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German Pages 307 Year 2003
MICHAEL PLÖTNER
Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und die sogenannte Expertenhaftung
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 276
Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und die sogenannte Expertenhaftung Von Michael Plötner
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10855-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ
Dem Andenken an meinen Vater
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen im Wintersemester 2001 / 2002 als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle meinem verehrten Lehrer und Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Eduard Picker, für seine wissenschaftliche sowie persönliche Betreuung und Unterstützung dieser Arbeit. Während meiner langjährigen Tätigkeit an seinem Lehrstuhl hat er mir die wissenschaftliche Freiheit gelassen, die diese Arbeit erst ermöglichte. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Prof. Dr. Gottfried Schiemann für die wohlwollende Erstellung des Zweitgutachtens. Ein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Siegfried Schoch für die außerordentlich gründliche Durchsicht des Manuskripts sowie der Reinhold-und-Maria-TeufelStiftung in Tuttlingen, die diese Arbeit mit einem großzügigen Preis ausgezeichnet hat. Danken möchte ich schließlich auch meinen Eltern für die großherzige Unterstützung bei der Fertigstellung dieser Arbeit und meiner Frau Tanja für ihre Geduld während dieser Zeit. Leider konnte mein Vater die Veröffentlichung der Dissertation nicht mehr erleben. Seinem Andenken ist diese Arbeit in Dankbarkeit gewidmet. Frankfurt am Main, im September 2002
Michael Plötner
Inhaltsverzeichnis Einleitung
19
1. Kapitel Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und ihre Entwicklung hin zur sog. Expertenhaftung A. Die Entwicklung der Rechtsprechung I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
24 24 24 27
1. Dogmatischer Wandel und Ausprägung einer eigenständigen Figur der Dritthaftung
27
a) Die Fortsetzung der Rechtsprechung des Reichsgerichts
27
aa) Der Dreschmaschinen-Fall
27
bb) Die Kritik von Larenz
28
cc) Die Kritik von Gernhuber
29
dd) Der Capuzol-Fall
29
b) Die Erweiterung auf Sachschäden 2. Die Erfassung primärer Vermögensschäden a) Die Fälle der Anwaltshaftung aa) Der Testaments-Fall bb) Die Folgeentscheidungen
30 32 32 32 34
b) Die Lastschriftverfahren-Fälle c) Die Bewältigung gesellschaftsrechtlicher Problemstellungen im Publikums KG-Fall
35
d) Die Fälle der Expertenhaftung
41
aa) Frühere Behandlung dieser Fälle in der Rechtsprechung bb) Die fallweise Ausweitung des Anwendungsbereichs
39 42 43
(1) Käufergruppe-Fall
43
(2) Konsul-Fall
47
(3) Hausbank-Fall
49
(4) Dachboden-Fall
51
Inhaltsverzeichnis
10
(5) Bürgschafts-Fall
55
(6) Die Abschlussprüfer-Fälle
57
(a) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. 4. 1998 ..
57
(b) Die gesetzgeberische Stellungnahme zum KontraG
60
(c) Die Entscheidung des LG Frankfurt vom 8. 4. 1997
61
(d) Die Entscheidung des LG Hamburg vom 22. 6. 1998
62
B. Der heterogene Verlauf dieser Entwicklung I. Die einzelnen Entwicklungsschritte und ihre Widersprüchlichkeit
63 63
1. Die Entwicklungsschritte der Rechtsfigur
63
2. Die einzelnen Widersprüche
65
a) Von Schutz- zu Leistungspflichten
65
b) Die Ausdehnung des geschützten Personenkreises
66
c) Das Abrücken von eng gesetzten Grenzen
67
II. Der tiefgreifende Bruch in der Entwicklung der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte 1. Der inhaltliche Dogmenwechsel
67 67
a) Die zunehmende Kritik der Literatur
68
b) Die Abkopplung des Anspruchs von den Gläubigerinteressen
69
2. Die heutige Problematik C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte als Form gewillkürter Haftung 1. Die verfehlte Vorstellung vom Parteiwillen als Haftungsgrund des Drittschutzes
70 71 71 71
a) Die Sichtweise der Rechtsprechung
71
b) Die Unhaltbarkeit dieser Position
72
2. Die inhaltliche Kritik an der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte a) Die Begründung der Kritik durch Gernhuber und Lehmann b) Die Kritik an der Herleitung aus dem Parteiwillen
74 74 74
aa) Die Gefahr der Haftungsausuferung
74
bb) Die Einbeziehung gegenläufiger Interessen und die Unbeachtlichkeit arglistigen Gläubigerverhaltens
75
cc) Der Vergleich des Dachboden-Urteils mit der Entscheidung des LG Mönchengladbach vom 31.5. 1990
76
c) Die Annahme eines stillschweigenden Einwendungsverzichts
77
d) Die Missachtung der Grenze des § 323 Abs. 1 S. 3 HGB
79
Inhaltsverzeichnis 3. Die Deutung des Schrifttums als Figur richterlicher Rechtsfortbildung
80
a) Die herrschende Lehre
80
b) Der fehlende Aussagegehalt dieser Deutung
80
II. Die Inhomogenität der gesamten Rechtsfigur 1. Die Unhaltbarkeit des Parteiwillens als einheitlicher Haftungsgrund
81 81
a) Die Anwendung der Figur auf einen nichtigen Mietvertrag
81
b) Der Gemüseblatt-Fall
82
c) Die Anwendung im Lastschriftverfahren-Fall
85
2. Die unterschiedliche Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
85
a) Der Haftungstatbestand der Rechtsfigur
85
b) Die zunehmenden Deutungsprobleme und Widersprüchlichkeiten in der Praxis
86
aa) Der Nitrierofen-Fall
87
bb) Die unterschiedlich gedeutete Subsidiarität der Figur
90
cc) Der Wachmann-Fall
91
dd) Die Anwendung der Figur bei einer Falschauskunft im Versorgungsausgleichsverfahren vor dem Familiengericht
92
ee) Die unterschiedliche Auslegung der „Leistungsnähe"
96
c) Konturenlosigkeit als Ursache der fehlenden Überzeugungskraft
97
III. Die nur vermeintlich gesetzeshomogene Anbindung an die Vorschriften des Vertrags zugunsten Dritter gemäß §§ 328 ff. BGB
97
1. Die konstruktionsbedingten Mängel des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
97
2. Die Tauglichkeit der §§ 328 ff. BGB als gesetzlicher Ansatz für die Herleitung einer Haftung auf Schadensersatz
101
a) Wesen und Ursprung des Vertrags zugunsten Dritter
101
b) Der fundamentale Unterschied zwischen dem Vertrag zugunsten Dritter und dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 105 IV. Das ungeklärte Verhältnis der Haftung aus Vertrag und Delikt
108
1. Die Haftung des Notars in den Testaments-Fällen
108
2. Vergleich zwischen Notars-und Anwaltshaftung
110
12
Inhaltsverzeichnis V. Das Nebeneinander alternativer Lösungswege in der Rechtsprechung als ungelöstes Konkurrenzverhältnis
112
1. Die tatbestandliche Erweiterung der Haftung für sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB 113 2. Die Konstruktion stillschweigend geschlossener Auskunftsverträge
115
a) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
115
b) Die Übernahme dieser Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof ...
116
c) Die Verwendung dieser Konstruktion in der Dritthaftungsproblematik ...
118
d) Die Austauschbarkeit dieses Begründungswegs gegenüber der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte 119 VI. Die Vorgaben des Gesetzgebers in § 675 Abs. 2 BGB zur Lösung der Fälle der Auskunftshaftung 121 1. Die heutige Relevanz des § 675 Abs. 2 BGB für die sog. Expertenhaftung .. 121 2. Die Intention der Gesetzesverfasser des BGB
122
3. Die Übertragung dieser Vorgaben auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
125
4. Die Beschränkung der Haftungsgründe in § 675 Abs. 2 BGB als Ausgangspunkt für die heutige Problematik 126 VII. Die Notwendigkeit einer Abkehr vom Schutzwirkungskonzept der Rechtsprechung als Resümee ihrer Kritikwürdigkeit 127
2. Kapitel Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
128
A. Figurimmanente Reformbestrebungen innerhalb des vertraglichen Schutzwirkungskonzepts 128 I. Die divergierenden Ansätze in der Literatur
128
1. Die Konzeption von Neuner
129
2. Die Konzeption von Ziegltrum
130
3. Die divergierenden Ergebnisse von Neuner und Ziegltrum
130
4. Die Aufspaltung der Figur durch Martiny und Hirth
131
II. Der erneute Beweis für die Untauglichkeit dieser Konstruktion B. Alternative Lösungswege
131 132
I. Haftung aus Garantieerklärung
132
1. Die Lösung Grunewalds
132
2. Kritik
133
Inhaltsverzeichnis II. Vertrauenshaftung
134
1. Dritthaftung aus culpa in contrahendo
134
a) Die Lehre von Canaris
134
b) Die grundsätzliche Verfehltheit einer Vertrauenshaftung
137
c) Unzulässige Aufspaltung des Fallmaterials
142
2. Vertretung im Vertrauen nach Junker III. Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens 1. Die rein deliktsrechtlichen Lösungsansätze in der Literatur
143 144 144
a) Die Konzeption von Mertens
145
b) Die Lösung K. Hubers
146
c) Die Ansicht von Bars
147
d) Der übereinstimmende Ansatz von Brüggemeier
147
2. Der fundamentale Unterschied zwischen Vermögens- und Rechts(güter)schutz IV. Berufshaftung
148 150
1. Die besondere Akzentuierung der Berufsrolle in der Literatur
150
a) Das Modell von Hopt
150
b) Die Konzeption Hirtes
152
c) Die Ansicht von Lammel und Lorenz
152
2. Die Ungeklärtheit eines berufsrechtlichen Ansatzes V. Sonderhaftung bei Sonderverbindung 1. Die Lehre Pickers
153 156 156
2. Die Bedeutung des maßgebenden Haftungskriteriums dieser Lehre und die Verfehltheit ihrer Kritik
161
3. Ubereinstimmung der Lehre Pickers mit den gesetzgeberischen Vorgaben .. 166 4. Die Konkretisierung und Präzisierung einer Sonderverbindung
169
3. Kapitel Dritthaftung für primäre Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
173
A. Die grundsätzliche Verfehltheit des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als gedanklicher Ausgangspunkt einer Lösung 173 I. Die „Rosinentheorie" der Rechtsprechung
173
14
Inhaltsverzeichnis II. Abkehr vom Grundsatz der Dichotomie vertraglicher und deliktischer Schadensersatzhaftung 174 1. Das Überwinden des verfehlten „vertraglichen" Ansatzes
174
2. Das Aufdecken unterschiedlicher eigenständiger Fragestellungen
175
B. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung für fahrlässige Verursachung primärer Vermögensschäden 177 I. Die Haftung des Handelsmaklers nach § 98 HGB
178
1. Tatbestand und Rechtsfolge des § 98 HGB
179
2. Deutungsversuche der Literatur und Rechtsprechung
180
a) Lutter, K. Schmidt und Röhricht
180
b) Die ältere handelsrechtliche Literatur
181
c) Die Entscheidung des OLG Hamburg
181
d) von Bar
182
e) Canaris
182
f) Wiegand
183
g) Die überwiegende neuere handelsrechtliche Literatur
183
3. Vergleich mit der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ... 184 4. Rechtsgrund der Haftung aus § 98 HGB a) Geschichtlicher Ursprung der Bestimmung
186 186
aa) Der Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland von 1848/49 186 bb) Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861
187
cc) Die praktische Anwendung des Art. 81 ADHGB
189
dd) Die Abschaffung der amtlich bestellten Handelsmakler und deren Ersetzung durch private Handelsmakler in der Denkschrift von 1896 190 ee) Der geschichtliche Hintergrund des §98 HGB
192
b) Heutiges Verständnis der Vorschrift
192
c) Dogmatische Einordnung der Haftung
193
5. Herausbildung eines allgemeinen (anknüpfungsfähigen) Rechtsgedankens .. 196 a) Parallelität zu den sog. Gutachten- und Experten-Fällen
196
b) Verfehltheit der bisherigen Sichtweise
199
c) Einbindung in das Haftungssystem des BGB
199
6. Anwendungsbereich und Analogiefähigkeit des § 98 HGB
200
a) Die Haftung des Gebrauchtwagenhändlers im Wege der Sachwalterhaftung 200 b) Die Grenzen einer Analogie zu § 98 HGB
201
c) Reduzierung auf den klaren Regelungsgehalt der Vorschrift
204
Inhaltsverzeichnis II. Die Haftung bei Amtspflichtverletzungen nach § 839 BGB und § 19 BNotO 204 1. Die Bedeutung für die vorliegende Problematik
204
2. Vergleich der unterschiedlichen Haftungsausgestaltungen von Notar und Rechtsanwalt 205 a) Der Haftungstatbestand des § 839 Abs. 1 BGB und des § 19 Abs. 1 BNotO 205 b) Die Haftung des Notars zugleich gegenüber den Erben und dem Erblasser 207 c) Die Aufdeckung eines einheitlichen Haftungsgedankens als Gleichbehandlungsgrund 210 aa) Die gemeinsame Ausrichtung der Haftung am Schutzzweck der verletzten Pflicht 210 bb) Die grundsätzliche Verschiedenheit von Amts- und Vertragspflicht und die entscheidungserhebliche Parallele der Fälle d) Dogmatische Einordnung der Schadensersatzansprüche 3. Gegenüberstellung von privatrechtlicher erteilung
212 215
und behördlicher Auskunfts216
III. Die historische Grundlage für eine außervertragliche Haftung für primäre Vermögensschäden 220 1. Die Haftung des mensors im römischen und gemeinen Recht a) Der mensor im römischen Recht
220 220
b) Die gemeinrechtliche Anwendung der mensor-Haftung
222
c) Die Judikate der Obergerichte
225
d) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts
227
2. Die deutschen Gesetzgebungswerke des 19. Jahrhunderts
228
a) Die gesetzlichen Regelungen einer Sachverständigenhaftung
228
b) Die gesetzgeberischen Motive
229
3. Die Gesetzesmaterialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch
229
a) Das umzusetzende (damals) geltende Recht
229
b) Die Abkehr von dem Sonderdelikt einer Sachverständigenhaftung
230
4. Zur heutigen Bedeutung des historischen Materials a) Der geschichtliche Kontext
231 231
aa) Der historische Bezug zur gegenwärtigen Problematik
231
bb) Der historische Ursprung der Haftung
233
b) Die Vorschrift des § 675 Abs. 2 BGB als Ausdruck einer generellen Entwicklung in der rechtlichen Erfassung der Auskunftshaftung 233
Inhaltsverzeichnis
16
c) Die Intention des Gesetzgebers
237
aa) Der Kontext der Motive zu § 675 Abs. 2 BGB und des Art. 1030 Dresdner Entwurf 237 bb) Das Zusammenspiel der Bestimmungen des 1. Entwurfs zum BGB und das unbewusste Übergehen der Sachverständigenhaftung cc) Die Anknüpfung an den „wahren" Willen der Gesetzesverfasser 5. Das Fortbestehen der mmsor-Haftung unter Geltung des BGB a) Die tatbestandliche Erweiterung des § 826 BGB b) Die schutzgesetzliche Lösung des Reichsgerichts
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes I. Gemeinsamkeiten der dargestellten Haftungstatbestände
237 242 243 243 244
247 247
1. Die tatbestandliche Nähe der gesuchten Sachverständigen- und Expertenhaftung zur Beamtenhaftung 247 2. Die parallele Entwicklung des Rechts der Landvermesser und der Handelsmakler als Grund für die heute empfundene „Haftungslücke" des Gesetzes 248 a) Die vergleichbare amtsähnliche Stellung
249
b) Der gemeinsame umfassende Haftungstatbestand
250
3. Die historischen Vorgaben für den gesuchten Lösungsansatz
252
a) Die Untauglichkeit vertragsrechtlicher Lösungsansätze
252
b) Die Ablösung einer Berufshaftung durch die Gesetzesverfasser des BGB
253
II. Ableitung einer allgemeinen ungeschriebenen Haftung neutraler Leistungserbringer 253 III. Widerspiegelung dieses Lösungswegs in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 255 1. Die Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
256
2. Die Rechtsprechung zum stillschweigenden Auskunftsvertrag
257
IV. Einbindung in das System des Haftungsrechts V. Die Bedeutung des § 675 Abs. 2 BGB für die Haftung gegenüber Dritten
D. Die Lösung des Fallmaterials
258 259
261
I. Die neutrale, unparteiische Stellung des Leistungserbringers zwischen Auftraggeber und Dritten 261 1. Die Stellung des Rechtsanwalts gegenüber Mandant und Dritten
262
2. Exkurs: Die Haftung des Anwalts für fehlerhafte Rechtsgutachten („legal opinions") 263
Inhaltsverzeichnis 3. Das Erstellen von Gutachten und Testaten durch Sachverständige, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in den Fällen der sog. Expertenhaftung 264 4. Der Geschäftsführer der GmbH & Co. KG
265
5. Die Rolle der Banken im Lastschriftverfahren
267
II. Die Gläubigerbestimmung nach dem Schutzzweck der vereinbarten Leistung und dem gesetzlichen Modell der Haftungsbeschränkung 268 1. Die Vermittlung fremder vermögenswerter Zuwendungen und die Einbeziehung Dritter in vermögenssorgende Leistungen 269 2. Die Erstattung von Wertgutachten zu Verkaufs- und Beleihungszwecken ... 270 3. Bankauskünfte über die Bonität von Personen und Unternehmen
273
4. Fehlerhafte Erstellung oder Prüfung von Jahresabschlüssen durch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer 275 a) Der maßgebliche Unterschied in den Abschlussprüfer-Fällen
278
b) Freiwillige Prüfung und Pflichtprüfung
279
III. Die rechtliche Behandlung von Einwendungen aus dem Verhältnis des Experten zum Auftraggeber 281 1. Die konstruktionsbedingte Unbeachtlichkeit eines Mitverschuldens auf Auftraggeberseite 281 2. Anspruchskürzung in den Testaments-Fällen bei Verschulden des Erblassers 282
Anhang Die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts 285 I. Die Möglichkeit der Haftung auch von Dritten aus culpa in contrahendo nach §311 Abs. 3 BGB n.F. 285 II. Auswirkungen der neuen Regelung auf die Expertenhaftung aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 286 III. Die dogmatische Grundlage der Haftung von Dritten
289
Literaturverzeichnis
291
Sachwortverzeichnis
302
2 Plötner
Einleitung Die Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist nach Lorenz „noch im Flusse"; „die Konturen dieses Rechtsinstituts (sind) noch keineswegs fest umrissen". In scharfem Kontrast hierzu sieht von Caemmerer die Rolle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als „heute geklärt" an. „Die Anschauungen über Funktion, Anwendungsbereich und Grenzen haben sich in Rechtsprechung und Lehre weitgehend verfestigt." Aufgezeigt ist damit nicht etwa eine persönliche Kontroverse beider namhafter Juristen, sondern zwischen beiden sich widersprechenden Äußerungen liegt eine geraume Zeitspanne, in unserem Fall fast zwanzig Jahre. Doch anders als wohl bei unvoreingenommener Lektüre zu vermuten wäre, entspricht die hier angeführte nicht auch der zeitlich richtigen Reihenfolge. Vielmehr stammt das Zitat von Lorenz aus dem Jahr 1997,1 die Aussage von Caemmerers hingegen geht zurück auf das Jahr 1978.2 Beide für ihre Zeit durchaus repräsentativen Stellungnahmen deuten damit bereits die Eigentümlichkeit und auch die ambivalente Stellung der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in der rechtswissenschaftlichen Doktrin an. Die Rechtsfigur ist heute einerseits sicherlich gefestigter Bestandteil von Lehre und Praxis. Sie ist mit der ihr zugedachten Aufgabe auch wohl nicht mehr wegzudenken aus der forensischen Rechtsanwendung. Die Sicherheit, so wird recht schnell deutlich, beschränkt sich dabei andererseits aber zumeist nur auf Grundsätzliches. Geht es an die Lösung von Einzelfällen, verliert die Figur ihre Klarheit, es verschwimmen ihre Konturen. Eine fast ein Jahrhundert währende Tradition in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs sowie eine fast ebenso lang währende wissenschaftliche Befassung haben nicht zur Festigung und Klärung dieses erst nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches entwickelten, ungeschriebenen Rechtsinstituts geführt. Im Gegenteil, so ist heute zu konstatieren, herrscht mehr denn je breite Unsicherheit über dessen praktischen Anwendungsbereich. Will man den Grund dieses erstaunlichen Wandels verstehen können, so ist zum Verständnis der Rechtsfigur zunächst eine Bestandsaufnahme des geltenden deutschen Haftungsrechts voranzustellen. Ursprung und Ursache der Rechtsfigur ist die im positiven Recht angelegte unbestrittene Rechtspraxis. Die Haftung auf Schadensersatz wird strikt unterteilt in eine solche „aus Vertrag" und eine solche 1
Lorenz, in einer Anm. zu BGH JZ 1997, 358, 361 f.; wohl anknüpfend an Larenz, Schuldrecht I, § 17 I I (S. 228). 2 von Caemmerer, FS Wieacker, S. 311. 2*
20
Einleitung
„aus Delikt", umfassend bezeichnet als „dualistisches System des BGB" 3 oder „Dichotomie zwischen vertraglicher und deliktischer Schadensersatzhaftung". 4 Die deliktische Haftung nach den §§ 823 ff. BGB auf der sog. „Jedermanns-Ebene" erweist sich dabei im Vergleich zur vertraglichen Ebene als sehr restriktiv. Der gesetzliche Schutz beschränkt sich - verkürzt dargestellt - auf die sog. absoluten Rechte, die Verletzung von Schutzgesetzen und die sittenwidrige vorsätzliche Schädigung, zusammenfassend von Canaris als „System der drei kleinen Generalklauseln" bezeichnet.5 Die haftungsbegründenden Umstände müssen vom Geschädigten stets dargelegt werden. Der deliktischen Verantwortlichkeit für Gehilfen kann sich der Geschäftsherr durch den Entlastungsbeweis gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB entziehen; eine deliktische Haftung für fremdes Verschulden findet hier nicht statt. Ansprüche auf Schadensersatz verjähren gemäß § 852 BGB bereits nach drei Jahren ab Kenntnis der haftungbegründenden Umstände. Ganz anders stellt sich demgegenüber die „Haftung aus Vertag" dar.6 Gehaftet wird für jede schuldhafte Schadenszufügung, unabhängig vom Verschuldensgrad und unabhängig von der Verletzung eines absoluten Rechts. Es kommt die für den Geschädigten günstige Beweislastumkehr des § 282 BGB zur Anwendung. Der Vertragsgegner hat nach § 278 BGB auch für die Schädigung durch die von ihm zur Leistungserbringung eingesetzten Personen einzustehen; ihm wird also das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen zugerechnet. Und schließlich wird dieser vertragliche Schadensersatzanspruch der dreißigjährigen Verjährungsfrist des § 195 BGB unterworfen. Aufgrund dieser Trennung gelangt man je nach Art der Haftung und entsprechend dem jeweiligen Haftungsregime zu ungleich anderen Ergebnissen, wie dieser knappe Vergleich verdeutlicht. Besteht zwischen Schädiger und Geschädigtem ein Vertragsverhältnis - so das Resümee - steht der Geschädigte entscheidend besser. Diese unterschiedlichen Ergebnisse und mit diesen die Grenze zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung geraten dabei nicht erst seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches mehr und mehr in den Mittelpunkt der juristischen Diskus3
Jost, Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 253: Dieses System trenne „deliktische und vertragliche Schadensersatzansprüche nach ihren Voraussetzungen und Folgen"; E. Schmidt, Nachwort in von Jhering culpa in contrahendo und Staub Die positive Vertragsverletzung, S. 131 m. Fn. 1, spricht von „Dualismus"; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 168: „Dualismus der Haftungsgründe"; ebenso Lammel, AcP 179, 337, 338; Thiele, JZ 1967, 649: Das Haftungssystem des BGB sei „zweispurig angelegt". 4 Picker, JZ 1987, 1041 f.; Gernhuber, FS Nikisch, S. 250, nennt dies „antithetisch aufgebautes Haftungsrecht der deutschen Rechtsordnung". 5 Larenz/ Canaris, Schuldrecht I I / 2 , § 75 I 3. 6
Unbeantwortet kann hierbei bleiben, ob es sich bei der Entdeckung der „positiven Vertragsverletzung" durch Staub wirklich um eine Neu-Erflndung oder doch eher um eine Aufdeckung bereits im gemeinen Recht gängigen und durch Inkrafttreten des BGB plötzlich in Vergessenheit geratenen Rechts handelt, vgl. dazu Staub, in: von Jhering culpa in contrahendo und Staub Die positive Vertragsverletzung, S. 93 ff.; E. Schmidt, Nachwort in das., S. 131 ff.; Emmerich, Leistungsstörungen, § 20IV; Himmelschein, AcP 158, 273 ff.
Einleitung
sion.7 Bereits früh wurde diese strikte Grenze um ein entscheidendes Stück verschoben. Anknüpfend an die Lehre von Jherings zur „culpa in contrahendo"8 wird die Haftung aus Vertrag - heute zumindest im Ergebnis unbestritten - auf den vor Vertragsschluss liegenden Zeitraum der Vertragsverhandlungen vorverlagert, unabhängig davon, ob dann später ein Vertragsschluss zustandekommmt oder nicht.9 Aber auch darüber hinaus wird diese Grenze zunehmend als ungerecht - weil nicht (mehr) akzeptable Ungleichbehandlung oder mit den heutigen Rechtsanforderungen nicht vereinbar - empfunden, so dass vermehrt nach Auswegen gesucht wird, um diese Grenze zumindest teilweise neu zu (ver)legen. Die an der Grenze verbliebenen „Haftungslücken" werden mit unterschiedlichen Ansätzen sowohl von vertraglicher Seite wie auch von deliktischer Seite vereinnahmt. Die zahllosen Versuche hinterlassen dabei eine „Grauzone zwischen Vertrag und Delikt", 10 die in der Zivilrechtsdogmatik bereits als eigenständiger (dritter) Bereich wahrgenommen wird. 11 Und eben dieses haftungserweiternde Bestreben setzt auch die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte um. Sie dient dazu, die umfassende Haftung aus Vertrag auszudehnen und zugleich die beschränkte Haftung aus Delikt zurückzudrängen. Konstruktiv wird dies dadurch erreicht, dass die Schutzwirkung des Vertrages, also die soeben beschriebene umfassende Haftung aus Vertrag, neben dem eigentlichen Vertragspartner auch auf Dritte ausgeweitet wird. Es sei, so der Bundesgerichtshof heute, in Rechtssprechung und Literatur anerkannt, „daß auch dritte, an einem Vertrag nicht unmittelbar beteiligte Personen in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen werden können". 12 „Ihnen gegenüber ist der Schuldner dann zwar nicht zur Leistung, wohl aber unter Umständen zum Schadensersatz verpflichtet." 13 Der Dritte wird folglich in den Vertrag, allerdings nur in haftungsrechtlicher Hinsicht, eingebunden. Er kommt so auch als Nicht-Vertragspartner in den Genuss der erweiterten Haftung „aus Vertrag". 14 7 Nach Thiele, JZ 1967, 649, habe die unterschiedliche Ausgestaltung der Haftung in jedem dieser beiden Bereiche die Entwicklung neuer Rechtsinstitute wie culpa in contrahendo, positive Vertragsverletzung und eben auch den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „geradezu provoziert". 8 von Jhering, JherJb. 4 (1861), S. 1 ff. = der s., in von Jhering culpa in contrahendo und Staub Die positive Vertragsverletzung, S. 8 ff. 9 Umstritten ist dagegen mehr denn je die Herleitung sowie Grund und Grenzen der Haftung, insbes. die an den vertraglichen Kontakt zu stellenden Anforderungen. 10 Lang, W M 1988, 1001; ders., WPg 1989, 57, etwa spricht vom „Grenzbereich zwischen vertraglicher Haftung und unerlaubter Handlung". Lammel, AcP 179, 365: „Übergangszone zwischen Vertrag und Delikt"; Damm, JZ 1991, 373, 374: „Niemandsland zwischen Vertragsund Deliktsrecht"; für Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 168, hat dies die Folge einer „Grenzverwässerung" von Vertrag und Delikt. 11
Canaris, FS Larenz, S. 102, spricht von einer „dritten Spur". 12 So einleitend BGH NJW 1996, 2927, 2928 = BB 1996, 2009. 13 BGH NJW 1996, 2928. 14 Ging es von Jhering darum, die im Rahmen von vertraglichen Beziehungen anerkannte allgemeine culpa-Haftung, heute im Anschluß an Staub als „positive Vertragsverletzung" geläufig, auch auf das vorvertragliche Verhältnis der Vertragsanbahnung zeitlich auszudehnen,
22
Einleitung
Dieser Ansatz wurde, weil geradezu verführerisch einfach handhabbar, allem voran von der Rechtsprechung gerne aufgegriffen, und so erfreut sich die Figur eines stetig zunehmenden Anwendungsbereichs. Beschränkte sich ihre Anwendung zunächst auf die Besserstellung des Dritten hinsichtlich Gehilfenhaftung und Verjährung, 15 so rückte vermehrt die Einstandspflicht für lediglich fahrlässig verursachte Vermögensschäden in den Blickpunkt des Interesses. Hier liegt zumindest in der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung ihr heutiger Schwerpunkt. Die Rechtsfigur entwickelte sich so mehr und mehr zu einem Tatbestand der „Berufs- und Expertenhaftung" für Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Sachverständige und Gutachter. Dabei war ihre Einschlägigkeit in den hierbei zugrunde liegenden Sachverhalten keinesfalls schon von Beginn an vorgezeichnet, so dass rückblickend mit Fug und Recht von einer „spektakulären Entwicklung" die Rede ist. 16 Mit dem zunehmenden Anwendungsbereich wurde jedoch zugleich eine stetig anwachsende Diskussion über Grund und Grenzen der Rechtsfigur im wissenschaftlichen Schrifttum entfacht, in der die Unsicherheit und das Unbehagen im Umgang mit der sich verändernden Figur zum Ausdruck kommt und die seither nicht mehr abreißen will. Die Kritik betrifft dabei sowohl die Rechtsfigur als solche wie auch vermehrt die mit ihr gewonnenen Ergebnisse. Durch die kontinuierliche Haftungsausweitung drohe der Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte „mittlerweile jede dogmatische Kontur zu verlieren". 17 Die Übertragung auf Experten habe „nur noch wenig gemein" mit der ursprünglichen Konzeption des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. 18 Der Bundesgerichtshof operiere hier „mit dem bis zur Chiffre verflüchtigten Topos der Schutzwirkung des Vertrages". 19 Die Rechtsfigur erweise sich dabei als „eine bereits in sich unstimmige Dritthaftungskonstruktion". 20 Gesprochen wird gar von einer „Hypertrophie des Vertragsrechts". 21 Als Folge dieser Entwicklung verlören auch die Ergebnisse immer mehr an Überzeugungskraft. 22 Damit nicht genug, beschwöre die Konstruktion vertraglichen Drittschutzes zudem eine „gefährliche Erosion der Grundstrukturen des Schuldrechts" herauf. 23 Es handele sich bei dieser Haftungserweiterung daher schlichtweg um ,»richterliche Rechtsfortbildung contra legem". 24 Angesichts so geht es beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte darum, diesen Schutz auch auf Dritte zu erweitern. Neben die zeitliche Ausdehnung der „vertraglichen Haftung" im Wege der culpa in contrahendo tritt hier nun die personelle Erweiterung dieser Privilegierungen. 15 Zur Vollständigkeit sei auch die Garantiehaftung des Vermieters für anfängliche Mängel nach § 538 Abs. 1,1. Alt. BGB angeführt. 16 Damm, JZ 1991, 377. π Neuner, JZ 1999, 126. ι 8 Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 97. 19 Picker, FS Medicus, S. 442. 20 Weber, NZG 1999, 1,12. 21 Kreuzer, JZ 1976,778. 22 Kiss, W M 1999, 117,118. 23 Honseil FS Medicus, S. 223 sowie bereits ders., JZ 1985, 953.
Einleitung
des sich ausdehnenden Anwendungsbereichs der Rechtsfigur werden offen Zweifel ausgesprochen, ob sich nicht der Bundesgerichtshof unter Überschreitung verfassungsrechtlicher Grenzen richterlicher Rechtfortbildung „Aufgaben zuschanzt, die nach dem Verständnis des Grundgesetzes allein in die Kompetenz des Gesetzgebers gehören". 25 Die die Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte stets begleitende Befürchtung einer uferlosen Ausweitung 26 und Verwischung der Grenzen zwischen Vertrags- und Deliktshaftung 27 scheint heute - angesichts dieser Stellungnahmen - Realität geworden zu sein. Der einstige Segen, so der unmittelbare Eindruck, hat sich mittlerweile zum Fluch gewandelt. Die heutige Behandlung der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in Praxis und Wissenschaft bietet somit insgesamt ein fragwürdiges Bild unserer Disziplin. Die Erweiterung des vertraglichen Schuldverhältnisses um Schutzwirkungen für Dritte wird gegenwärtig weithin als notwendig erachtet, dennoch ist die Frage der rechtsdogmatischen Begründung und damit die Frage der tatbestandlichen Voraussetzungen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nach wie vor ungeklärt. 28 Es soll Aufgabe dieser Arbeit sein, einen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen und zur Lösung der zugrunde liegenden Problematik zu leisten. Denn entgegen einer z.T. unverhohlen bekundeten Ansicht, auf eine dogmatische Grundlegung des Drittschutzes komme es letztlich nicht an, weil die Ansichten der Rechtsprechung und der Literatur im praktischen Ergebnis weitgehend übereinstimmten,29 gewinnt die Überzeugung Raum, dass die Anspruchsgrundlage „keineswegs zweitrangig" sei. 30 Gerade die jüngst vom Bundesgerichtshof unter Anwendung dieser Rechtsfigur entschiedenen Fälle offenbaren, dass auch im Ergebnis zwischen Rechtsprechung und Literatur, aber auch unter den Instanzgerichten, keine Einigkeit (mehr) herrscht. 31 Ohne klaren Haftungsgrund, so wird mehr und mehr deutlich, lässt sich auch die gesuchte Grenzziehung des Drittschutzes nicht bewältigen. 24 Ders., FS Medicus, S. 213 f. 25 Littbarski, NJW 1984, 1667, 1670. 26 So etwa BGH NJW 1998, 1059, 1060. 27 BGH NJW 1974, 1189; 1976, 712; 1977, 2074. 28 So die zutreffende Analyse von Soergel /Hadding, BGB, Anh. § 328 Rn. 4. 29 So etwa Dahm JZ 1992, 1168; anklingend bei Hübner, VersR 1991, 497; Palandt/tfemrichs, BGB, § 328 Rn. 14. Und so auch zunächst die Rechtsprechung im Scheidungsvereinbarungs-Fall, BGH NJW 1977, 2074: „Wie auch immer der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt rechtsdogmatisch einzuordnen sein mag, so muß nach Auffassung des Senats das Ergebnis jedenfalls sein, daß der Kl. dieses Rechtsstreits unmittelbar den bekl. Rechtsanwalt auf Ersatz des ihm durch ungenügende Belehrung seines Vaters [ . . . ] entstandenen Schadens in Anspruch nehmen kann." 30 s. Diskussionsbericht des ZHR-Symposions (am 15. 1. 1999 in Glashütten) zu den Referaten von Canaris, Schneider und Bosch zur Expertenhaftung gegenüber Dritten (abgedruckt in ZHR 163, 206 ff., 246 ff. u. 274 ff.), ZHR 163, 286 einerseits, 288 andererseits. 31 Vgl. wiederum repräsentativ den Diskussionsbericht, ZHR 163, 286 ff., und die darin angegebenen Entscheidungen.
7. Kapitel
Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und ihre Entwicklung hin zur sog. Expertenhaftung A. Die Entwicklung der Rechtsprechung Die Entwicklung der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist zugleich und in erster Linie eine Entwicklung der Rechtsprechung. Das wissenschaftliche Schrifttum war von Beginn an eher in die Rolle des staunenden Beobachters und Kritikers gedrängt. Die wegweisenden, mitunter bahnbrechenden Impulse gingen mit wenigen Ausnahmen stets von der Rechtsprechung aus. Will man die Entwicklung der Rechtsfigur zu ihrer heutigen Form und Fassung begreifen, ist folglich diese schrittweise Entwicklung der Rechtsprechung nachzuvollziehen.
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Den Ausgangspunkt der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bildet die grundlegende Entscheidung des Reichsgerichts vom 5. 10. 1917.1 Das Reichsgericht hatte darin der Tochter eines Mieters eigene vertragliche Ansprüche auf Ersatz von Heilbehandlungskosten gegen den Vermieter wegen Mangelhaftigkeit der Mietwohnung zugesprochen, die sich in der durch Vormieter mit Tuberkelbazillen verseuchten und vor dem Neubezug nicht rechtzeitig durch den Vermieter desinfizierten Wohnung angesteckt hatte. Ebenso wie der Mieter einer Wohnung den Vermieter wegen des ihm selbst erwachsenen Schadens auf Grund von § 538 BGB haftbar machen könne, wenn durch die vom Vermieter zu vertretende gesundheitsschädliche Beschaffenheit der Wohnräume Familienangehörige Nachteile erleiden würden, so könne sich in der Regel auch der erkrankte Angehörige wegen seines Vermögensschadens aufgrund des Mietvertrags am Vermieter erholen.2 Das Reichsgericht qualifizierte den Mietvertrag hierzu als Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 BGB. „Dem Mieter einer Familienwohnung muß, wenn nicht besondere Umstände eine abweichende Auffassung bedingen, die für den Vermie1 RGZ 91, 21. 2 RGZ 91, 24.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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ter erkennbare Absicht unterstellt werden, beim Abschlüsse des Mietvertrags auch die Interessen der mit ihm zusammenlebenden Angehörigen nach Möglichkeit wahrzunehmen und zu diesem Zwecke ihnen hinsichtlich der gefahrenfreien Beschaffenheit der Wohnräume dieselben Rechte gegen den Vermieter zu verschaffen, die ihm selbst zustehen (§ 328 BGB). Denn ohne eine solche Ausdehnung der Vertragspflichten des Vermieters sind die Angehörigen in Schädigungsfällen auf außervertragliche Ansprüche beschränkt und genießen insbesondere nicht die Vorteile, welche dem Mieter die Vorschriften der §§ 278, 538 BGB dadurch bieten, daß der Vermieter für einen beim Vertragsabschluß vorhandenen Mangel auch ohne Verschulden haftet. Eine solche verschiedene Gestaltung der Rechtslage des Mieters und seiner Angehörigen widerstrebt dem gesunden Rechtsgefühl und entspricht deshalb nicht den Vertragsabsichten des Mieters, der seine Angehörigen, wie sich der Vermieter nicht verhehlen kann, in bezug auf Ersatzansprüche der bezeichneten Art nicht schlechter stellen will als sich selbst."3 Der Mieter wolle, so die Auslegung der Richter, dem Vermieter die Verpflichtung auferlegen, seine Angehörigen durch sachgemäße Einrichtung und Unterhaltung der Wohnräume gegen Gefahren für Leib und Leben in gleichem Maße wie sich selbst zu schützen, und er wolle ihnen zudem neben seinem eigenen Anspruch auch ein „selbständiges Recht hierauf erwirken". Anders als in den zuvor entschiedenen Fällen der Schädigung Dritter aufgrund einer für diese vereinbarten ärztlichen Heilbehandlung4 oder einer Personenbeförderung,5 die das Reichsgericht als berechtigende Verträge zugunsten Dritter behandelte, wurde der Anwendungsbereich der §§ 328 ff. BGB hier nun nicht mehr auf die Vorstellung beschränkt, nur als Gläubiger der Vertragsleistung sei der Dritte auch in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen. Noch im Droschken-Fall vom 7. 6. 1915 hatte das Reichsgericht die Vertragshaftung gegenüber Dritten damit begründet, dass der Ehemann und Vater „den Beförderungsvertrag gleichzeitig zugunsten seiner mitfahrenden Frau und Tochter abgeschlossen (hat), so daß diese als ,Dritte' gemäß § 328 BGB unmittelbar das Recht erworben haben, die Leistung, d. h. die ordnungsmäßige und ungefährdete Beförderung zu verlangen". 6 Hier nun wurde ein vertraglicher Schadensersatzanspruch über § 328 BGB begründet, ohne dass für den geschädigten, aber am Vertragsschluss nicht beteiligten Dritten zugleich ein eigenes Forderungsrecht auf Erfüllung der vereinbarten Hauptleistungspflicht begründet wurde. Das Reichsgericht entschied somit erstmals im Grundsatz, dass Gegenstand einer Drittberechtigung nicht ein Forderungsrecht sein 3 RGZ 91, 24. 4 RG Warneyer 1915, Nr. 203; RG Warneyer 1918, Nr. 113. 5 RGZ 87, 64; RG Recht 1924, Nr. 161; OLG Hamburg Recht 1907, Nr. 3469; OLG Colmar Recht 1914, Nr. 327. 6
RGZ 87, 64, 65; und RG weiter: Es unterliege keinem Bedenken, dass der Inhaber des Droschkenunternehmens (Halter) „allen drei Fahrgästen aus dem Beforderungsvertrag haftbar war" und somit diesen für ein Verschulden des Droschkenfahrers „als ihres Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB aufzukommen hat".
26
1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
müsse, sondern dass sich die Drittwirkung des Vertrags auch auf Schutzpflichten beschränken könne. Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs der §§ 328 ff. BGB hat das Reichsgericht in der Folgezeit konsequent weiterverfolgt und auf andere Vertragsarten angewandt.7 Das wissenschaftliche Schrifttum hat diese Ausweitung des Vertragsschutzes auf Dritte überwiegend gebilligt.8 Die Kritik dieser Konstruktion gegenüber, namentlich etwa von Oertmann 9 und Leonhard, 10 blieb vereinzelt.
7 RGZ 98, 210 (Dienstvertrag); RGZ 102, 231 (Mietvertrag); RGZ 127, 218 = JW 1930, 3092 „Gasometer-Fall" (Werkvertrag), dort findet sich eine offizielle Rechtsgeschichte der Rechtsprechung zum Vertrag zugunsten Dritter; RGZ 160, 153 „Saalmiete-Fall" (Mietvertrag); RGZ 164, 397 (Dienstvertrag). » Staudinger/Werner, BGB, 9. Aufl. 1930, § 328 Anm. I I 2a; RGRK/Michaelis, BGB, 8. Aufl. 1934, § 328 Anm. 3; Soergel/Hahne, BGB, 6. Aufl. 1937, § 328 Anm. 9; Palandt/ Friesecke, BGB, 5. Aufl. 1942, § 328 Anm. 3. 9 Oertmann, LZ 1931, 201, 205, wendet sich gegen die Ausweitung der §§ 328 ff. BGB: Der „konstruktive Gedanke, daß jenen Dritten zunächst zwar kein Anspruch auf die vertragliche Leistung zustehe, wohl aber ein solcher 'auf Beobachtung der Sorgfalt (RG 127, 219) und daher auf Ersatz des durch Verletzung der Sorgfaltspflicht verursachten Schadens', ist schon deshalb verfehlt, weil es nach der richtigen Ansicht einen eigenen Anspruch des Gläubigers auf Sorgfaltsanwendung des Schuldners neben dem Anspruch auf sachgemäße Leistung gar nicht gibt". Gegen die Herleitung im Wege der Auslegung führt Oertmann an (Sp. 205): „An Ansprüche auf Ersatz wegen Schlecht- oder Nichterfüllung aber pflegen normale Vertragsparteien nicht von vornherein zu denken, also liegt es ihnen vollends fern, solche gegebenenfalls sogar einem Dritten - dem Angestellten des Gläubigers - zuzuwenden. Auch aus den Umständen, dem Vertragszwecke läßt sich eine solche Fürsorge für den Dritten schwerlich ohne weiteres entnehmen, wie es doch laut § 328 der Fall sein muß, um ihm eigene Ansprüche zu verschaffen. Mit der Gegenmeinung würde der Bereich der Verträge zugunsten Dritter ungemein ausgeweitet: bei Dienst-, Werk- und Mietverträgen würde man schließlich dahin kommen, allen Familienangehörigen und Hausangestellten des Gläubigers ein eigenes Vertragsrecht zwar nicht auf Vornahme der Dienstleistungen, auf Gebrauchsgewährung usw., wohl aber auf Ersatz bei Schädigungen infolge schuldhaften Versagens des Schuldners zu gewähren." Und Sp. 206: „Ein Satz 'Seid umschlungen, Millionen' ist dem Gebiet der Verträge zugunsten Dritter fremd. Es fehlt in jenen Fällen an jeder Abgrenzung der dabei zu berechtigenden Personen." 10 Leonhard, Allg. Schuldrecht, 1929, S. 353, befürwortet im Fall RGZ 91, 24 eine Lösung über die Konstruktion einer Drittschadensliquidation; bei einem Miet- oder Dienstvertrag werde nicht anzunehmen sein, dass der Mieter den Angehörigen des Mieters ein eigenes Recht verschaffe. Zwar sei es zu billigen, einen Vertragsanspruch auch bei deren Verletzung zu gewähren, dies lasse sich aber auch dadurch ermöglichen, dass man dem Mieter selbst einen Anspruch auf Erhaltung der Gesundheit seiner Angehörigen zuspricht. „Dagegen haben diese kein eigenes Recht, wie sie ja auch nicht selbst auf Erfüllung des Vertrages klagen können."
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
27
II. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 1. Dogmatischer Wandel und Ausprägung einer eigenständigen Figur der Dritthaftung a) Die Fortsetzung der Rechtsprechung des Reichsgerichts Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu den §§ 328 ff. BGB zunächst aufgenommen und fortgesetzt. 11 Ausgelöst durch Kritik der Literatur wurde jedoch eine Korrektur in der dogmatischen Herleitung der vertraglichen Schadensersatzansprüche Dritter hin zur heutigen Gestalt der Rechtsfigur vollzogen. aa) Der Dreschmaschinen-Fall Anlass hierzu war der Dreschmaschinen-Fall vom 25. 4. 1956.12 Der Bundesgerichtshof folgerte hier - noch ganz auf dem Boden der reichsgerichtlichen Rechtsprechung - aus dem Drittschutz von Mietverträgen zugunsten Angehöriger des Mieters, dass in gleicher Weise in einem Vertrag auf Lieferung einer betriebssicheren Antriebsscheibe für eine Dreschmaschine auch ein Vertrag zugunsten der Personen liegen könne, die der Besteller und Eigentümer der Dreschmaschine zu ihrer Bedienung heranziehe, wenn dieser bei Abschluss des Vertrages in der für den Lieferanten erkennbaren Absicht gehandelt habe, nach Möglichkeit auch die Belange dieser Personen wahrzunehmen.13 Der Lieferant habe „stillschweigend" nicht nur dem Besteller und Dienstherrn, sondern auch den von diesem angestellten Bedienern der Dreschmaschine gegenüber die Verpflichtung zur Lieferung einer betriebssicheren Antriebsscheibe übernommen. Den Angestellten stehe nach § 328 BGB ein eigener vertraglicher Ersatzanspruch gegen den Lieferanten zu, so dass er auch diesen gegenüber das Verschulden seines Monteurs nach § 278 BGB zu vertreten habe, wenn die nicht ordnungsgemäße Befestigung zu Verletzungen beim Betrieb der Dreschmaschine führe. 14
h Etwa BGHZ 2, 94 = NJW 1951, 596; NJW 1954, 874; VersR 1954, 324; VersR 1955, 279; VersR 1955, 740; VersR 1956, 500 = MDR 1956, 534 m. Anm. Rötelmann; BGHZ 24, 325; 26, 365. 12 BGH NJW 1956, 1193. 13 BGH NJW 1956, 1193 (LS)u. 1194. 14 Im konkreten Fall nahm der BGH jedoch an, dass der Verletzte nicht zu dem geschützten Personenkreis gehörte, da dieser nicht ein Erntehelfer des Bestellers, sondern eines anderen Landwirts war, der die Dreschmaschine ebenfalls verwendete; für die Anwendung des § 328 BGB sei kein Raum, denn als Erntehelfer des anderen Landwirts gehöre er nicht zu den Personen, die unmittelbar Rechte aus dem Vertrag zwischen dem Besteller und dem Lieferanten erworben haben könnten, vgl. BGH NJW 1956, 1194.
28
1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
bb) Die Kritik von Larenz Gegen die unmittelbare Anwendung der §§ 328 ff. BGB erhob Larenz grundsätzliche Einwände.15 § 328 BGB regele „klar und eindeutig, seinem Wortlaut und auch seinem Sinn nach" den Vertrag auf Leistung an einen Dritten. 16 Es sei dabei an Verträge gedacht, in denen den Dritten „ein Forderungsrecht (auf eine Primärleistung)" zugewandt werden solle. Um derartige Verträge handele es sich aber bei den Miet-, Werk- und Lieferverträgen, bei denen ein Schutz auch dritter Personen gegenüber den Folgen mangelnder Sorgfalt des einen Vertragspartners bei der Vertragsdurchführung erstrebt werde, gerade nicht. Nur „die von der Leistungspflicht zu unterscheidende Sorgfaltspflicht" sei hier auch gewissen dritten Personen gegenüber zu beachten. Es handele sich daher nicht um den in § 328 BGB geregelten Vertrag auf Leistung an einen Dritten, sondern „um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten bestimmter Dritter; eine im Gesetz nicht geregelte neue Rechtsfigur,; die erst von der Rechtsprechung geschaffen worden ist - in folgerichtiger Weiterbildung der Unterscheidung von Leistungspflichten und sonstigen Verhaltenspflichen (Schutzpflichten, Sorgfaltspflichten)". 17 Weiterhin wandte sich Larenz auch gegen die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung als einer „Willensfiktion". Es handele sich vielmehr um eine Ergänzung der Parteierklärungen gemäß dem Sinn des Vertrages und den Anforderungen einer immanenten Vertragsgerechtigkeit (Treu und Glauben). Neben der Namensgebung legte Larenz damit zugleich auch die Grundlagen für die künftige Bestimmung des geschützten Personenkreises. Denn ein Vertragspartner müsse nicht nur darauf vertrauen können, dass nicht durch unsorgsame Leistung ihm selbst ein Schaden entstehe, sondern auch darauf, dass dadurch nicht anderen Personen ein Schaden entstehe, die durch ihn mit der Leistung des anderen Vertragsteils in Berührung kommen und deren Ergehen ihn habe.18 selbst berühre, weil er ihnen gegenüber seinerseits eine Fürsorgepflicht Eine Vertragshaftung Dritten gegenüber sei folglich „immer dann und nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um solche Personen handelt, denen der Vertragsgläubiger rechtlich oder mindestens moralisch zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist, wie eben Familienangehörigen und sonstigen, in die häusliche Gemeinschaft aufgenommenen oder im Haushalt oder Betrieb des Gläubigers beschäftigten Personen". Und, so Larenz das künftige Schlagwort prägend, „für ihr Wohl und Wehe ist er 15
Larenz, NJW 1956, 1193, zum Dreschmaschinen-Fall: „Das Urteil des BGH ist geeignet, die von der Rechtsprechung, besonders des RG, entwickelte Lehre von der Begründung vertraglicher Sorgfalts- und Schutzpflichten Dritten gegenüber einen Schritt weiterzuführen." Diese Lehre entbehre noch der einwandfreien Begründung und daher auch einer sinnvollen Begrenzung. 16 Larenz, NJW 1956, 1193. 17 Larenz, NJW 1956, 1193 (Hervorheb.v.Verf.), Der Begriff „Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte" wurde hier erstmals verwandt; dieser wurde von Gernhuber aufgegriffen, FS Nikisch 1958, S. 264 und hat sich in Rechtsprechung und Schrifttum durchgesetzt; vgl. auch Larenz, NJW 1960, 78 ff. 18 Larenz, NJW 1956, 1194.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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[ . . . ] mitverantwortlich, und daher hat er ebensosehr ein Interesse daran, daß diese Personen nicht durch von dem Vertragspartner zu vertretende Mängel der Leistung zu Schaden kommen, wie, daß er selbst nicht zu Schaden kommt". 19 Dem Schuldner gegenüber sei die damit verbundene Erweiterung seiner Verantwortlichkeit gerechtfertigt, weil er zu erkennen vermöge, dass sein Vertragspartner auf die Sicherheit dieser Personen ebenso vertraue wie auf seine eigene, und weil es sich dabei um einen begrenzten, übersehbaren Personenkreis handele. cc) Die Kritik von Gernhuber In seinen Konsequenzen noch weitergehend warf Gernhuber der Rechtsprechung vor, sie „mißbrauche" die §§ 328 ff. BGB, denn die Drittberechtigung betreffe nicht die Leistung, sondern erschöpfe sich im vertraglichen Schutz vor Schäden durch mangelhafte, dem Vertragspartner selbst erbrachte Leistung. 20 Der Dritte sei nicht Gläubiger der Leistung.21 Vielmehr nehme ihn das fremde Schuldverhältnis als Annex in sich auf, unabhängig von einem auf eine solche Erweiterung des Schuldverhältnisses gerichteten Willen der Parteien. 22 Über den Vorschlag von Larenz hinaus will Gernhuber den Schutz des Dritten nicht nur auf das Vertragsrecht beschränken, sondern auf sämtliche Schuldverhältnisse ausdehnen.23 Eine beschränkte Teilnahme an fremden Schuldverhältnissen müsse demnach dort stattfinden, wo die mit einer Leistung verbundenen Gefahren nach der Anlage des Schuldverhältnisses einen Dritten mindestens ebenso stark wie den Gläubiger treffen. 24
dd) Der Capuzol-Fall Der Kritik folgend übernahm auch der Bundesgerichtshof im Capuzol-Fall vom 15. 5. 1959 diese differenzierende Sichtweise.25 In dem Fall hatte eine Arbeiterin 19 Oers., NJW 1956, 1194 (Hervorheb.v.Verf.). 20 Gernhuber, FS Nikisch, 1958, S. 249, 262 sowie S. 251: Der Vertrag zugunsten Dritter habe in der Rechtsprechung eine Bedeutung erlangt, die ihm von Haus aus nicht zukommt; die Rechtsprechung bediene sich dazu eines „Kunstgriffes", indem sie Dritte selbst als „Pol" im Schuldverhältnis auftreten lasse; es handele sich jedoch dabei nur um „Scheinbegründungen". Auch Lorenz, NJW 1960, 108, 112, spricht von „Mißbrauch des Vertragsrechts" und befürwortet seinerseits eine Ansiedlung der Problematik im Deliktsrecht. 21 Gernhuber, FS Nikisch, S. 269. 22 Gegen die Herleitung im Wege der Auslegung, ders., FS Nikisch, S. 261: „Das objektiv für richtig Empfundene wird unwiderleglich dem hypothetischen Partei willen imputiert." 23 Gernhuber zu Larenz: „Der neue Aspekt bessert, aber er rettet nicht", FS Nikisch, S. 264. Dazu Larenz später, NJW 1960, 81: „Verläßt man den Boden des Vertragsrechts, wie Gernhuber das fordert, so fürchte ich, läßt sich keine sinnvolle Begrenzung für die Ausdehnung der Verantwortlichkeit Dritten gegenüber mehr finden." 24 Ders., FS Nikisch, S. 270. Gernhuber prägt dabei den Begriff der „Leistungsnähe", vgl. Larenz, JZ 1962, 105, 109.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
eines Hüttenwerks gegenüber einem Vertragspartner des Hüttenwerks, der dieses mit Rostschutzmittel („Capuzol") belieferte, die Verletzung der Pflicht geltend gemacht, auf die Brennbarkeit des Mittels aufmerksam zu machen, und Schadensersatz wegen erheblicher Brandverletzungen verlangt. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ergab sich diese Pflicht „aus dem Vertrage", so dass die Frage zu entscheiden war, ob auch die Arbeiterin aus der Verletzung dieser Vertragspflicht Rechte gegen den Lieferanten herleiten könne. 26 Dies bejahte das Gericht und vollzog zugleich die Neuorientierung der Rechtsprechung. Es handele sich in diesen und ähnlichen Fällen nicht um einen eigentlichen Vertrag zugunsten Dritter, denn der Schuldner sei nach dem Vertrage nicht verpflichtet, an den Dritten zu leisten, wie § 328 BGB es voraussetze, sondern es handele sich hier um einen der Fälle, in denen dritte Personen in den Schutz des Vertrages einzubeziehen seien, weil die vertragliche Sorgfalts- und Schutzpflicht nach Treu und Glauben und dem Zweck des Vertrages nicht nur dem Vertragsgegner, sondern auch bestimmten weiteren Personen gegenüber zu beachten sei. Ebenso übernahm der Bundesgerichtshof auch die von Larenz vorgenommene Bestimmung des geschützten Personenkreises. „Nach dem Sinn und Zweck des Vertrages und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben wird die vertragliche Sorgfalts- und Obhutspflicht aber in der Regel gegenüber Personen bestehen, die durch den Gläubiger mit der Leistung des anderen Vertragsteils in Berührung kommen und deren Ergehen den Gläubiger selbst berührt, weil er seinerseits ihnen gegenüber zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist, wie der Vater gegenüber den Angehörigen der Familie und wie der Unternehmer gegenüber seinen Arbeitnehmern. Da sie für das Wohl und Wehe dieser Personen mitverantwortlich sind, haben sie ein Interesse daran, daß die ihrem Schutz anvertrauten Personen nicht durch Sorgfaltsverletzungen des Vertragsgegners geschädigt werden." 27 Weil der Schuldner dies erkennen könne, sei eine Erweiterung seiner Verantwortlichkeit auf einen begrenzten, übersehbaren Personenkreis gerechtfertigt. 28 Klar lässt das Urteil damit die heutige tatbestandliche Ausformung der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erkennen und ist zugleich Ausgangspunkt der sog. „Wohl und Wehe"-Rechtsprechung.
b) Die Erweiterung
auf Sachschäden
Erst später, ausdrücklich im Rauchrohröffnungs-Fall vom 22. 1. 1968, wurde der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte von der höchstrichterlichen Rechtsprechung 25 BGH NJW 1959, 1676. Kritisch hierzu Heiseke, NJW 1969, 77 f., der hier die Drittschadensliquidation befürwortet. Dazu auch Lorenz, NJW 1960, 108: „Bemerkenswert" sei die Begründung der Entscheidung, die eine „Abkehr von früheren Scheinbegründungen in vergleichbaren Fällen enthält". 26 BGH NJW 1959, 1676. 27 BGH NJW 1959, 1677 (Hervorheb.v.Verf.). 28 So mit wörtlicher Übereinstimmung zu Larenz, BGH NJW 1959, 1677. Die Berechtigung der von Gernhuber geforderten Ausweitung ließ der BGH dahingestellt.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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dann auch auf Sachschäden erstreckt. 29 Der Bundesgerichtshof gewährte dem Eigentümer von Gegenständen, die ein Mieter von Geschäftsräumen befugtermaßen für Zwecke seines Geschäftsbetriebes in den gemieteten Räumen untergebracht hatte, einen eigenen mietrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Vermieter und bezog dabei die Garantiehaftung des Vermieters für bereits bei Vertragsschluss vorhandene Mängel der Mietsache (§ 535 Abs. 1,1. Alt. BGB) in die mietvertragliche Schutzwirkung ein. 30 Die Richter widersprachen damit Gernhuber, nach dessen Ansicht die Rechtsfigur auf Körper- und Personenschäden beschränkt sei und der bei Sachschäden Dritter „an ihrer Stelle" die Schadensliquidation im Drittinteresse angewandt wissen wollte. 31 Mit dieser Entscheidung erlitt die „Wohl und Wehe"-Rechtsprechung zugleich „einen ersten Einbruch", 32 denn zwar bestand - so die Besonderheit des Falles - zwischen der Mieterin und der Eigentümerin der eingelagterten Sachen tatsächlich ein besonderes personenrechtliches Näheverhältnis - beide waren Geschwister - , gleichwohl konnte es ersichtlich auf diesen Zufall nicht ankommen. Noch im Bemühen um eine enge Anknüpfung an das CapuzolUrteil stellte die Entscheidung mit einer recht „gekünstelten Fürsorge-Konstruktion" 3 3 darauf ab, dass die Mieterin eine „Obhutspflicht" an den eingelagerten Sachen treffe und der Vermieter von Geschäftsräumen bei dem Umfang, den im Geschäftsleben Sicherungsübereignung und Eigentumsvorbehalt angenommen hätten, stets damit rechnen müsse, dass die vom Mieter eingebrachten Sachen nicht diesem, sondern einem Dritten gehörten. 34 Mit Urteil vom 17. 12. 1969 wurde dann im Fall der Vermietung von Räumen zur gewerbsmäßigen Einlagerung fremder Waren unter Hinweis auf die Rauchrohröffnungs-Entscheidung auch dem Einlage-
29 BGHZ 49, 350 = NJW 1968, 885 m. Anm. Berg, NJW 1970, 1325. Vgl. auch bereits BGH v. 10. 1. 1968, L M § 328 Nr. 33 = JZ 1968, 304 = MDR 1968,402 (Mietvertrag). 30 BGHZ 49, 354. 31 Gernhuber, JZ 1962, 553, 556: Die Rechtsprechung habe hier „gänzlich unmotiviert" einen anderen Weg eingeschlagen: „Vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte war nie die Rede". Bereits zuvor (FS Nikisch, 1958, S. 270) sprach Gernhuber von einem „beschränkten Radius der Rechtsprechung" auf Personenschäden; es könne de lege lata auf ihrer Basis eine weitergehende Drittwirkung im Schuldverhältnis nicht anerkannt werden. Demgegenüber ist es nach Ansicht des BGH nicht einzusehen, warum ein Familienangehöriger bei einem vom Vermieter zu vertretenden Unfall nur Ersatz seiner Körperschäden aus eigenem Recht soll verlangen können, dagegen wegen aus demselben Anlass erlittener Sachschäden auf einen ihm erst vom Mieter abzutretenden Anspruch aus sog. Drittschadensliquidation angewiesen sein würde (BGHZ 49, 355). Diese Ansicht wird jedoch nicht einhellig geteilt: Bezeichnenderweise entschied sich das jeweilige Berufungsgericht in den beiden zuvor angeführten Urteilen noch zugunsten der Drittschadensliquidation. Für die Drittschadensliquidation in diesen Fällen auch von Caemmerer, FS Wieacker, S. 319, Medicus, Bürgerl. Recht, Rn. 842; Schwerdtner, Jura 1980, 487; auch Söllner, JuS 1970, 159, 164, der aber bei einer personenenrechtlichen Bindung den Anspruch unter „beiden rechtlichen Gesichtspunkten" für begründet hält. 3
2 Martiny, JZ 1996, 22.
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Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 194. 4 BGHZ 49, 354 f.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
rer ein vertraglicher Anspruch gegen den Vermieter eingeräumt, obwohl hier nun zwischen Lagerhalter und Einlagerer nur noch eine rein geschäftliche Beziehung bestand.35
2. Die Erfassung primärer Vermögensschäden a) Die Fälle der Anwaltshaftung aa) Der Testaments-Fall Den wichtigen ersten Schritt in der Ausweitung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte hin zu den heutigen Anwendungsbereichen vollzog der Bundesgerichtshof im sog. Testaments-Fall mit dem Urteil vom 6. 7. 1965.36 Durch diese Entscheidung erreichte die Figur eine „neue Qualität". 37 Die Tochter des später verstorbenen Erblassers bat einen Rechtsanwalt, mit ihr gemeinsam ihren Vater aufzusuchen, der ein Testament errichten wollte. In einem ersten Gespräch teilte der Erblasser im Beisein der Tochter dem Rechtsanwalt die Absicht mit, seine Tochter als Alleinerbin einzusetzen. Der Rechtsanwalt sagte zu, zur Beurkundung des Testaments einen Notar beizuziehen und mit diesem wiederzukommen. Trotz mehrmaliger Nachfrage durch die Tochter kam ein neuer Termin nicht zustande. Der Erblasser verstarb und es trat gesetzliche Erbfolge ein. Die Tochter wurde zur Hälfte Miterbin. Sie forderte nun vom Rechtsanwalt den Ersatz des ihr durch die Nichterrichtung des Testaments entstandenen Schadens zuzüglich der Kosten der Erbauseinandersetzung und vermindert um die Kosten der unterbliebenen Testamentserrichtung. Entgegen der Erstinstanz und mit dem Berufungsgericht sah der Bundesgerichtshof den Erblasser als alleinigen Vertragspartner der Rechtsanwalts an. Auch ein „Vertrag zugunsten Dritter im eigentlichen Sinne des § 328 BGB" wurde abgelehnt. 38 Gleichwohl sah das Gericht den Anspruch als begründet an. Es rechtfertige 35 BGH NJW 1970,419 = JZ 1970, 375. Anders für den Fall eines privat „als Möbellager" zum Unterstellen von Hausrat gemieteten Raumes, BGH NJW 1985, 489: Hier fehle es an der Erkennbarkeit; der Vermieter müsse nicht damit rechnen, dass eingelagerte Möbel, Teppiche und sonstige Einrichtungsgegenstände im Wege der Sicherungsübereignung als Mittel der Kreditsicherung verwendet würden. Und ebenfalls erfolgt keine Einbeziehung des Untermieters in den Schutzbereich des Hauptmietvertrages, so BGHZ 70, 327. 36 BGH JZ 1966, 141 = NJW 1965, 1955 = L M § 328 BGB Nr. 29 = VersR 1965, 997. 37 Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 185. 38 Anders Berg, MDR 1969, 613, 616, der die Anwendung eines echten Vertrags zugunsten Dritter befürwortet, „da der Tochter ein Anspruch wegen Nichterbringung der Hauptleistung (Errichtung des Testaments) zugestanden werde". Dem steht wohl mit Lorenz (JZ 1966, 144) die Vorstellung entgegen, dass eine Gläubigerstellung der Erbin im Rahmen eines Anwaltsvertrags hier etwas Anstößiges haben könnte, weil es um die Errichtung eines Testaments ging, in welchem diese zur Alleinerbin eingesetzt werden sollte.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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sich „nach Sinn und Zweck des Vertrages zwischen dem Erblasser und dem Bekl. und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Annahme", dass eine „vertragliche Sorgfaltspflicht" dem Rechtsanwalt auch gegenüber der Tochter obgelegen habe.39 „Sollten die Dienste, die der Bekl. dem Erblasser versprach, diesem auch dazu verhelfen, seine letzten Dinge so zu ordnen, wie er es sich in seiner Fürsorge für die Kl. vorgenommen hatte, so war die Tätigkeit des Bekl. der Sache nach doch auch und gerade der Kl. zu dienen bestimmt. Der Abschluss des Vertrages des Erblassers mit dem Bekl. und die rechtzeitige Erfüllung der vom Bekl. übernommenen Verpflichtung lagen sogar besonders in ihrem Interesse. Das war auch für den Bekl. klar und deutlich. Bei dem nahen familiären Verhältnis des Erblassers zu der Kl. und dem engen Einvernehmen, das ihn mit ihr in seiner Sorge für sie verband, konnte es für den Bekl. nicht zweifelhaft sein, daß der Erblasser mit seiner Beauftragung nicht nur sich selbst, sondern auch die Kl. der vertraglichen Sorgfalt des Bekl. anvertraute." Ein Novum war der Fall dabei insoweit, als es sich in den bisher entschiedenen Fällen sogenannter Verträge mit Schutzwirkung für Dritte, aufbauend auf der von Larenz ausgehenden Grundlegung im Capuzol-Fall,40 in der Regel um die Erstrekkung von sog. Verhaltenspflichten auf Dritte gehandelt hatte, hier das schadensursächliche Verhalten des beklagten Anwalts aber darin lag, „daß er seiner Leistungspflicht nicht zeitgerecht nachgekommen ist". 41 Der Unterschied zwischen bloßen Verhaltenspflichten und der Hauptleistungspflicht, so der Bundesgerichtshof, verwehre einen Schadensersatzanspruch „aber nicht schon grundsätzlich", da sich auch insoweit „aus Sinn und Zweck des Vertrages unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben" eine Erstreckung der Pflicht auch auf den Erben rechtfertige. Und eine weitere Neuheit und Besonderheit des Falles war dabei, „daß es bei den in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannten Fällen um Ersatz von Körper- und Sachschäden ging, während hier die Ersetzung eines Vermögensschadens in Frage steht". Aber auch diesem Umstand, so urteilten die Richter, komme „keine entscheidende Bedeutung zu". Denn im Rahmen vertraglicher Haftung ebenso wie im Rechtsverhältnis der Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) sei ein Vermögensschaden ebenso wie Körper- und Sachschäden zu ersetzen. Gleiches müsse folglich auch für die Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gelten.42 39
BGH JZ 1966, 142; wobei es die Richter dahinstehen lassen wollten, „ob der vorliegende Sachverhalt mit dem Berufungsgericht in die Gruppe der Verträge mit Schutzwirkung für Dritte, so wie sie verstanden wird, einzuordnen ist". 40 s. oben u. II. 1. a) dd). 41 BGH JZ 1966, 142. 42 Nicht im Urteil behandelt, aber vom Schrifttum aufgeworfen wurde die Frage, ob der Schaden der Testamentserbin überhaupt ersatzfähig ist: Nach Zimmermann sei die „bloße Hoffnung, einmal Erbe zu werden juristisch irrelevant" (FamRZ 1980, 99, 101); der wahre Erbe habe keinen Schadesersatzanspruch gegen den Anwalt; es werde nur eine Hoffnung enttäuscht, nicht aber eine Rechtsposition zerstört; Zimmermann spricht dabei von „Fernwir3 Plötner
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Ohne dies in der Entscheidung klar auszusprechen und wohl auch ohne deren spätere Bedeutung schon recht zu erkennen, ging der Bundesgerichtshof damit weit über die bisherigen Grenzen der Rechtsfigur hinaus. Mit dem Schritt, auch reine Vermögensschäden für ersetzbar zu halten, betrat man „Neuland". 43 Nach Ziegltrum wurde damit eine „Wende der Rechtsprechung" eingeleitet.44 Geradezu prophetisch befürchtete deshalb Lorenz, „daß mit der Einbeziehung von Vermögensschäden schlechthin eine Fahrt ins Ungewisse beginnt" und, so resümierend, „sollte dieses Urteil über den Sachverhalt hinaus, der zur Entscheidung stand, Schule machen, so hätte sich eine bemerkenswerte Tendenz des deutschen Rechts verstärkt, Tatbestände, die eigentlich ins Deliktsrecht gehören, in die Vertragshaftung einzubeziehen".45
bb) Die Folgeentscheidungen Die Einbeziehung der Erben in den Schutzbereich des vom Erblasser mit dem Anwalt geschlossenen Beratungsvertrags bestätigte später der 4. Senat mit dem Urteil vom 13. 7. 1994 für den Fall fehlerhaft erbrachter Beratungsleistung. 46 Erst hier wurde nun ausdrücklich für die Einbeziehung der Erben auf den Parteiwillen abgestellt und ein Anwaltsvertrag mit Schutzwirkung für Dritte angenommen, was der 6. Senat im Testaments-Fall wohl unter dem Eindruck der doch ganz anders gelagerten ursprünglichen Fallgestaltungen der Figur noch „dahinstehen" lassen wollte. 47
kung der Form Vorschriften"; andernfalls würde man die testamentarischen Formvorschriften „desavouieren"; dagegen zu Recht Reihlen, Haftung von Rechtsanwälten und Notaren, S. 72 ff. Eine „Vermeidung einer Verdoppelung der Erbenstellung" strebt auch Kegel an (FS Flume, S. 545, 548 ff.); vorzunehmen sei ein Ausgleich zwischen dem tatsächlichen und dem intendierten Begünstigten, um so dem wahren Erblasserwillen zur Geltung zu verhelfen; auch dazu eingehend Reihlen, Haftung, S. 75 ff. Der entgangene Gewinn i.S.v. § 252 BGB umfaßt nach h.M. jedoch auch die Beeinträchtigung und den Verlust rein tatsächlicher Erwerbsaussichten und damit auch die Aussicht einmal Erbe zu werden, so schon RGZ 79, 55, 58; 111, 151, 156. Für die Haftung des Notars ist dies seit jeher anerkannt: BGHZ 27, 274, 275; 31, 5, 10; RGZ 58, 296 ff.; 72, 324, 330; 78, 241, 243 f. 43 So Lorenz in einer krit. Anm., JZ 1966, 143. Kritik aus dem zeitgenössischen Schrifttum kam auch von Böhmer, MDR 1966, 468,469. 44 Ziegltrum, Vertrag, S. 45. Die ursprüngliche Rechtsfigur und die bisherigen Grenzen seien damit „gesprengt", S. 46. 4 5 Lorenz, JZ 1966, 144 u. 145. 46 BGH NJW 1995, 51, 52: Wenn den ausdrücklichen Erklärungen oder dem schlüssigen Verhalten der Vertragsparteien ein entsprechender Wille zu entnehmen sei, so könnten innerhalb jedes Vertrags Schutzrechte Dritter entstehen, sofern die zu schützende Personengruppe objektiv abgrenzbar sei. Ebenso auch noch BGH NJW 1995, 2551, 2552. 4
? BGH JZ 1966, 142.
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Bereits zuvor hatte der 6. Senat die im Testaments-Fall begründete Anwaltshaftung gegenüber Dritten mit dem Urteil vom 11.1. 1977 auf den Parallelfall einer fehlerhaft abgeschlossenen Scheidungsvereinbarung erweitert, aufgrund derer die darin begünstigten Kinder ausfielen und nach Ansicht der Richter zu Recht von dem die Eltern beratenden Anwalt Schadensersatz wegen der entgangenen Vermögenswerte verlangten. 48 Der Problematik einer klaren dogmatischen Fundierung dieses Ergebnisses war man auch dort - anders als später - noch ausweichend begegnet und hatte es als „gleichgültig" erachtet, „ob die Rechtsstellung der Kinder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus dem Vertrag abgeleitet oder auf § 242 BGB gestützt wird" 4 9
b) Die Lastschriftverfahren-Fälle aa) Konnte der Ersatzanspruch der Erbin im Testaments-Fall noch eng angelehnt an die Ursprünge der Rechtsfigur hergeleitet werden, so vollzog der Bundesgerichtshof im Lastschriftverfahren-Urteil vom 28. 2. 1977 offen den Bruch mit seiner bisherigen Rechtsprechung und befürwortete hier einerichtungsweisende Ausdehnung des geschützten Personenkreises. 50 Die Klägerin lieferte in laufender Geschäftsverbindung Material an ein Bauunternehmen. Der Einzug der Kaufpreisforderung erfolgte einvernehmlich im Lastschriftverfahren. Das Bauunternehmen hatte seine Bank, die später beklagte Schuldnerbank, bei der das Bauunternehmen ein Girokonto unterhielt, den Auftrag erteilt, die von der Klägerin eingehenden Lastschriften zu Lasten seines Kontos einzulösen. Die Klägerin ihrerseits unterhielt bei der Schuldnerbank kein Konto, sondern reichte bei ihrer eigenen Bank (Gläubigerbank) mehrere Lastschriften zum Einzug zu Lasten des Kontos des Bauunternehmens ein. Da das Konto des Bauunternehmens keine Deckung aufwies, löste die Schuldnerbank von der Gläubigerbank übermittelte Lastschriften nach deren Eingang nicht ein, sondern ließ diese Lastschriften in schuldhafter Weise unvertretbar lange liegen. Als sie schließlich zurückgereicht wurden, musste die Gläubigerbank die der Klägerin als Zahlungsempfängerin erteilten Gutschriften wieder rückgängig machen. Die Klägerin hatte zwischenzeitlich in gutem Glauben auf eine korrekte Abwicklung weitere Waren an das Bauunternehmen als Zahlungsverpflichteten geliefert und war mit 48 BGH NJW 1977, 2073 f. Die anwaltliche Beratung richtete sich dabei auf den Abschluss einer Scheidungsvereinbarung zwischen Eheleuten, in der der eine Teil dem anderen versprach, den gemeinsamen Kindern bestimmte Vermögenswerte zuzuwenden. Diese, so urteilte das Gericht, können gegen den Anwalt eigene Ansprüche erheben, wenn die Vereinbarung wegen seines Verschuldens nicht durchsetzbar ist. 49 BGH NJW 1977, 2073 f. Demgegenüber tritt Hohloch, FamRZ 1977, 530, 533, in beiden Fällen für die Anwendung der Drittschadensliquidation ein. 50 BGHZ 69, 82 = NJW 1977, 1916 = W M 1977, 1042 = DB 1977, 1937 = BB 1977, 1371. 3*
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ihren Forderungen insoweit im Konkursverfahren ausgefallen. In ihrer Klage gegen die Schuldnerbank machte sie geltend, dass ihr bei unverzüglicher Zurücksendung der Lastschriften die Nichteinlösung früher bekannt geworden wäre und sie spätere Lieferungen nur noch gegen Vorkasse ausgeführt hätte. Der Bundesgerichtshof stellte zunächst fest, dass die Klägerin gegen die beklagte Schuldnerbank keine vertraglichen Leistungsansprüche besaß. „Denn unmittelbare Vertragsbeziehungen werden beim Lastschriftverfahren zwischen dem Gläubiger und der Bank des Schuldners nicht begründet." 51 „Vertragspartner des Empfängers (Gläubiger) ist nur dessen eigene Bank. Die Schuldnerbank, die die Lastschrift zur Einlösung erhält, handelt nur aufgrund einer Weisung, die die Gläubigerbank (oder eine etwa weiter eingeschaltete Zwischenbank) im Rahmen des zwischen den jeweiligen Banken bestehenden Giroverhältnisses im eigenen Namen (und ebenfalls nicht zugunsten des Gläubigers) erteilt. Der Schuldner gibt seinerseits entweder seiner Bank einen schriftlichen Auftrag, Lastschriften eines bestimmten Gläubigers einzulösen [ . . . ] (o)der der Schuldner räumt dem Gläubiger schriftlich die Ermächtigung ein, die zu leistenden Zahlungen mittels Lastschrift bei der Schuldnerbank einzuziehen".52 Der Bundesgerichtshof bejahte gleichwohl einen direkten Schadensersatzanspruch des Zahlungsempfängers gegen die Schuldnerbank „unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Schutzpflicht", „die zugunsten des Lastschriftgläubigers aus den bei der Durchführung des Lastschriftverfahrens entstehenden Rechtsverhältnissen der beteiligten Banken herzuleiten ist". 53 Aus dem Girovertrag zwischen Schuldnerbank und Gläubigerbank - oder bei weiterer Mehrgliedrigkeit zwischen Schuldnerbank und letzter Zwischenbank - ergebe sich eine Schutzpflicht zugunsten des Zahlungsempfängers, der als Lastschriftgläubiger in den Schutzbereich des Giro Vertrags einbezogen sei. Ausdrücklich weicht der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung von seiner bisher stets eingehaltenen Ansicht ab, wonach, „um eine Ausuferung von Ansprüchen dieser Art in nicht mehr kalkulierbarem Umfang zu vermeiden und eine Grenze zu halten, jenseits deren der Schutz Dritter auf das Recht der unerlaubten Handlungen beschränkt bleiben muß", eine Einbeziehung Dritter regelmäßig nur in Betracht komme, „wenn das Innenverhältnis zwischen Gläubiger und Drittem durch einen personenrechtlichen Einschlag gekennzeichnet und erkennbar sei, daß der Gläubiger in Mitverantwortung und Fürsorge für den Dritten handle". 54 An diese eng gezogene Grenze, die eine Schadensersatzpflicht für den hier verursachten primären Vermögensschaden verhindert hätte, wollten sich die Richter nicht mehr halten. „Soweit danach ein personenrechtlicher Einschlag verlangt wird, sind jedoch diese mehr an Individualvereinbarungen entwickelten Grundsätze dessen, was insoweit nach Treu und 51 52 53 54
BGHZ BGHZ BGHZ BGHZ
69, 84. 69, 84 f. 69, 85, entgegen der Berufungsinstanz OLG Oldenburg. 69, 86.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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Glauben zu gelten hat, unnötig eng, wenn es sich - wie hier - um Massengeschäfte eines bestimmten Typs mit einem einheitlich praktizierten Verfahren handelt, das dem Rechtsverkehr in großem Stile unter Inanspruchnahme des Vertrauens auf sach- und interessengerechte Abwicklung angeboten wird." 55 Der Bundesgerichtshof zog nun den Kreis der geschützten Personen weiter. „Hier kann nach Treu und Glauben eine Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich der anfallenden Schuldverhältnisse möglich und geboten sein, wenn das Verfahren für den Dritten, der sich dessen bedient, bestimmte verfahrenstypische Risiken in sich birgt und den mit der Durchführung betrauten Verfahrensbeteiligten ohne weiteres zugemutet werden kann, diese Risiken klein zu halten." Und eben um einen solchen Fall handele es sich, soweit - wie hier - im Lastschriftverfahren die Schuldnerbank Lastschriften zurückzuleiten habe, weil diese mangels Deckung nicht eingelöst werden könnten. Zwar sei die entsprechende Regelung im Lastschriftabkommen der Banken in erster Linie im Interesse der jeweiligen Gläubigerbank getroffen worden, dieses diene aber auch und „in eher noch stärkerem Maße" den Interessen des Gläubigers. 56 Gläubigerbank und Gläubiger hätten ein gleichwertiges Interesse daran, „daß die Schuldnerbank nichtbezahlte Lastschriften alsbald nach Eingang und Prüfung zurückgehen läßt oder Nachricht gibt". 57 „Dieses Gläubigerinteresse hat jede Bank, soweit sie als Bank des Gläubigers eingeschaltet ist, aufgrund des zu ihrem Kunden bestehenden vertraglichen Vertrauensverhältnisses gegenüber den anderen beteiligten Banken wie ihr eigenes wahrzunehmen. Da jede Bank von Fall zu Fall an den massenhaft anfallenden Lastschriftverfahren in der Rolle von Gläubiger- und Schuldnerbank tätig wird, ist das auch für alle anderen Banken erkennbar und selbstverständlich." Die Pflicht zur alsbaldigen Rücksendung nicht eingelöster Lastschriften sei nicht nur eine durch das Abkommen bankintern vereinbarte Vertragspflicht der Schuldnerbank gegenüber der Gläubigerbank, sondern nach Treu und Glauben auch eine Schutzpflicht der Schuldnerbank zugunsten des jeweiligen Lastschriftgläubigers. Sie beruhe „auf dem Rechtsverhältnis, das zwischen diesen beteiligten Banken hinsichtlich der einzelnen Lastschrift auf der Grundlage des zwischen ihnen bestehenden Girovertrages entsteht",58 „ihrem Vertragszweck und dem Grundsatz von Treu und Glauben, und sie wäre im übrigen auch anzunehmen, wenn es das Bankenabkommen nicht gäbe". 59 55 BGHZ 69, 86 (Hervorheb.v.Verf.). 56 BGHZ 69, 86 f.; unter Berufung auf Abschnitt II Nr. 1 Abs. 2 des Abkommens. 57 BGHZ 69, 88. 58 BGHZ 69, 88. Würden weitere Banken zwischengeschaltet, dann hätte diese Schutzpflicht das Rechtsverhältnis zwischen der letzten Zwischenbank und der Schuldnerbank zur Grundlage; denn auch die Zwischenbanken hätten aufgrund der auf die Gläubigerbank zurückführenden Kette von Vertragsverhältnissen nach Treu und Glauben die Verpflichtung der Gläubigerbank zur Wahrnehmung des Gläubigerinteresses insoweit bis hin zur Schuldnerbank weiterzuverfolgen. 59 BGHZ 69, 89. Die Schutzpflicht beruhe nicht auf dem Abkommen. Der BGH hält entgegen dem BerGer. den Schadensersatzanspruch der Klägerin auch aus § 826 BGB für begründet, W M 1977, 1042, 1043 f., insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 69, 82 ff.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Diese „plötzliche" Ausweitung des in ständiger Rechtsprechung tatbestandlich ausgeformten Anwendungsbereichs und die Abkehr von der sog. „Wohl und Wehe"-Formel hat im Schrifttum „nicht geringe Überraschung" ausgelöst.60 Die Haftung der Schuldnerbank im Lastschriftverfahren, so denn auch die unmittelbare Kritik etwa von Hadding, habe mit der bisherigen Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „nichts mehr gemeinsam".61 Der 2. Senat habe den bisherigen Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und seine tatbestandsmäßige Ausformung bei der Erstreckung auf das Lastschriftverfahren „in jeder Hinsicht verlassen". 62 Emmerich spricht unter dem Eindruck dieses Urteils von einer „widersprüchlichen neuesten Praxis", bei der die Entscheidung, bei welchen Verträgen welche Dritte in den Schutzbereich des Vertrags einzubeziehen seien, „heute letztlich ganz von dem Umständen des Einzelfalles abhängt und kaum mehr vorausgesagt werden kann". 63 bb) Trotz der Kritik wurde diese Rechtsprechung fortgeführt. Jede Bank habe, so bestätigte der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 19. 10. 1978, „soweit sie als Bank des Gläubigers eingeschaltet ist, gewisse Gläubigerinteressen wie eigene wahrzunehmen und in den Schutzbereich des Vertragsverhältnisses mit der Schuldnerbank einzubeziehen".64 Und diese Rechtsprechung wurde auch von den Untergerichten aufgegriffen. 65 Die Tragweite der Lastschriftverfahren-Entscheidung sicherlich noch nicht übersehend, hat der Bundesgerichtshof der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte mit dem Verzicht auf den personenrechtlichen Einschlag zum Schutz vor primären Vermögensschäden ein völlig neues Anwendungsgebiet erschlossen und die Figur damit in den Mittelpunkt der Suche nach Möglichkeiten zur Ausweitung des restriktiven deliktischen Vermögensschutzes gestellt.
60 Hadding, W M 1978, 1366,1372 f.; Hellner, ZHR 145, 109, 117, die Reaktionen zusammenfassend S. 118: „In der Praxis hatte das Urteil eine gewisse Verunsicherung hervorgerufen, da befürchtet wurde, daß das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte unkontrollierbar ausufert und damit aus den zahlreichen zwischbetrieblich vereinbarten Zahlungsverkehrsregelungen Haftungsansprüche von Nichtkunden entstehen"; dazu auch Rümker, ZHR 147, 27, 35 ff. 61
Hadding, W M 1978, 1374 unter Berufung auf die Tatbestandsmerkmale der Rechtsfigur. 62 Ders., W M 1978, 1374; ebenso Bauer, W M 1981, 1186, 1195. Ablehnend auch Badde, Vertrag, S. 78 ff., 159 ff., der seine ablehnende Ansicht aus der Auslegung des Lastschriftabkommens herleitet; dem Urteil zustimmend Holschbach, DB 1977, 1933, 1937; im Ergebnis zustimmend Canaris, Bankvertragsrecht, Rn. 22, 617. 63 Emmerich, JuS 1978,414 m. Fn. 6 auf S. 415. 64 BGHZ 72,343,348 = JR 1979,329 m. Anm. Olzen; später bestätigend BGHZ 96,9,17. 65 OLG Düsseldorf NJW 1977, 1403, 1404; W M 1982, 575, 576; OLG Frankfurt W M 1984, 726, 727; OLG Düsseldorf W M 1987, 1008, 1009 f.; OLG München W M 1988, 373 f.; OLG Frankfurt W M 1995, 1179, 1180: Anwendung im (mehrgliedrigen) Überweisungsverkehr.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
c) Die Bewältigung gesellschaftsrechtlicher im Publikums KG-Fall
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Problemstellungen
Der Gedanke des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, der nunmehr losgelöst von einem personenrechtlichen Einschlag auch den Ersatz von Vermögensschäden erfasste, fand ebenso Einzug in das Gesellschaftsrecht. Die Rechtsfigur wurde dort auf die Gesellschaftsform der GmbH & Co. KG und deren Rechtsverhältnisse angewandt und diente so zur Uberwindung der juristischen Selbständigkeit der beiden verbundenen Gesellschaften. aa) Anzuführen ist hierzu der Publikums KG-Fall des Bundesgerichtshofs vom 12. 11. 1979.66 Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, wurde unter Mitwirkung des Beklagten zu dem Zweck gegründet, Projekte im Ausland, insbesondere den Bau und Betrieb zweier Hotels in Spanien, zu fördern. Der Beklagte war einziger Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der persönlich haftenden Gesellschafterin, einer GmbH. In seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH veranlasste er die Transaktion von Bankguthaben der Klägerin, die aus Einlagen der Kapitalzeichner stammten, so dass er auf einen Teil des Geldes Zugriff nehmen und dieses unrechtmäßig für sich verwenden konnte. Die Klägerin verlangte Schadensersatz vom Beklagten in Höhe dieses Betrags. Da bei einer GmbH & Co. KG neben einem Dienstverhältnis zwischen der Komplementär-GmbH und deren Geschäftsführer Vertragsbeziehungen zwischen der Kommanditgesellschaft und dem Geschäftsführer nicht vorliegen und nicht allein daraus zu begründen waren, dass er als Organ der GmbH deren Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis in der Kommanditgesellschaft ausübt, hatte das Berufungsgericht eine vertragliche Haftung des Beklagten gegenüber der Klägerin verneint. Dieser Schlussfolgerung widersprach nun der Bundesgerichtshof. Die Kommanditgesellschaft sei in den Schutzbereich des zwischen der GmbH und ihrem Geschäftsführer bestehenden Dienstverhältnisses einbezogen. Unter Hinweis auf die Lastschriftverfahren-Entscheidung urteilte der 2. Senat, dass auch „ohne die Voraussetzungen des § 328 BGB" ein am Vertrag nicht beteiligter, aber von dessen Risiken mitbetroffener Dritter berechtigt sein könne, gegen eine Vertragspartei Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Schutzpflicht geltend zu machen.67 „Dies ist dann der Fall, wenn der Vertrag nach seinem Sinn und Zweck und mit Rücksicht auf Treu und Glauben den Einschluß des Dritten in seinen Schutzbereich erfordert und der Gläubiger die ihm geschuldete Sorge erkennbar auch auf den Dritten bezieht, für den er seinerseits Verantwortung trägt." 68 Die Richter stellten dabei auf die Eigenschaft der Klägerin als „eine typische Publikumsgesellschaft" ab, bei der die wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH 66 BGHZ 75, 321 = NJW 1980, 589 = DB 1980, 295 = BB 1980, 120. 67
BGHZ 75, 322; Es spiele daher keine Rolle, dass der Anspruch auf die Dienste des Geschäftsführers allein der GmbH und nicht der Kommanditgesellschaft zustünde, so S. 325. 68 BGH 75, 323.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
und damit auch ihres Geschäftsführers darin bestehe, die Geschäfte der Kommanditgesellschaft zu führen. Diese Aufgabe bestimme zugleich den Inhalt des zwischen der GmbH und dem Beklagten abgeschlossenen Dienstvertrags. Fehlleistungen der Geschäftsführung wirkten sich bei einer solchen Gestaltung zwangsläufig stets und in erster Linie zum Nachteil der Kommanditgesellschaft aus. Die Kommanditgesellschaft sei auf die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit des Geschäftsführers angewiesen, wie dieser ohne weiteres erkennen könne und in Rechnung stellen müsse. Abgestellt wird hierbei insbesondere auf die spezifische Lage des Falles, in der die Problematik „mit besonderer Schärfe" auftrete, „weil der Beklagte als Hauptinitiator der Gesellschaft nicht nur das ganze Vertrauen der Gesellschafter auf sich vereinigte, sondern überdies zu der maßgeblichen Zeit als einziger Gesellschafter und zugleich Geschäftsführer der GmbH praktisch allein über das Gesellschaftsvermögen verfügen konnte." 69 „In dieser Lage durften die Kommanditisten erwarten, daß die Klägerin bei pflichtwidriger Schädigung durch den geschäftsführenden Beklagten diesen unmittelbar in Anspruch nehmen könne. Es wäre unerträglich und mit der für alle Beteiligten klar einsichtigen Rechtswirklichkeit unvereinbar, wenn sich der Beklagte, wie das Berufungsgericht meint, demgegenüber auf die Zwischenschaltung der von einer Kapitaleinlage befreiten und auf das gesetzliche Mindestkapital beschränkten GmbH berufen könnte. Vielmehr ist bei vernünftiger, Treu und Glauben und die Interessenlage entsprechender Betrachtung davon auszugehen, daß in einer Publikumsgesellschaft wie der Klägerin auch das wohlverstandene Interesse der Komplementär-GmbH auf eine ordnungsgemäße Leitung der Kommanditgesellschaft gerichtet ist, weil sie auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung ihrer Beteiligung bedacht sein muß und als persönlich haftende Gesellschafterin selbst aus dem Gesellschaftsverhältnis der Kommanditgesellschaft zu einer sorgfältigen Geschäftsführung verpflichtet ist. Sie muß daher ersichtlich darauf vertrauen können, daß ihr Geschäftsführer den Angelegenheiten der Kommanditgesellschaft die gleiche Sorgfalt widmet wie ihre eigenen, soweit solche überhaupt zu besorgen sind. Das rechtfertigt es, in einem solchen Fall die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers aufgrund seines Dienstverhältnisses zur GmbH auch auf die Kommanditgesellschaft zu erstecken." 70 Dem stehe auch nicht entgegen, dass es sich bei der Führung der Geschäfte der Klägerin um die Verletzung der vertraglichen Hauptleistung des Beklagten handelte. Zwar seien die Grundsätze über die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrags hauptsächlich mit der Verletzung von Fürsorge- und Obhutspflichten - „also von ausgesprochenen Nebenpflichten" 71 - entwickelt worden. Die verletzte Verpflichtung könne aber je nach Lage des Falles in einer weiteren oder engeren Beziehung zur vertraglichen Hauptleistung stehen oder sich sogar weitgehend mit dieser decken.72
69 BGHZ 75, 323 f. 70 BGHZ 75, 324. 71 BGHZ 75, 325. 72 So unter Berufung auf die Testaments-Entscheidung.
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bb) Assmann etwa wertete diese Entscheidung als „durchweg von dem Bestreben geprägt, den Schutz von Kapitalanlegern gegen gesellschafts- und vertragsrechtliche Hindernisse einerseits und Schwächen des deliktischen Vermögensschutzes andererseits durchzusetzen".73 Der 2. Senat des Bundesgerichtshofs weitete jedoch im Urteil vom 24. 3. 1980 diesen zunächst für die Publikumsgesellschaft entwickelten Gedanken allgemein auf die Rechtsform der GmbH & Co. KG aus, in der die wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH in der Geschäftsführung für die Kommanditgesellschaft bestehe und sich zugleich darin erschöpfe. 74 Allein dies rechtfertige es, die Kommanditgesellschaft in den Schutzbereich des Dienstverhältnisses zur GmbH mit der Folge einzubeziehen, dass ihr gegebenenfalls Ansprüche wegen Verletzung dieses Vertrags unmittelbar zuzubilligen seien.75 Dieser Rechtsprechung wurde in der Literatur überwiegend - zumindest im Ergebnis - zugestimmt, wenn auch Westermann einräumte, dass hiermit das frühere Konzept des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, soweit es auf einem personenrechtlichen Verhältnis zwischen dem Vertragsgläubiger und dem Dritten beruhe, „deutlich erweitert, wenn nicht gesprengt" werde. 76 Schwerdtner stellte in Reaktion auf das Lastschriftverfahren- und das PublikumsKG-Urteil resignierend fest: „Ein System ist nicht mehr ausmachbar."77
d) Die Fälle der Expertenhaftung Die mit dem Testaments-Fall und dem Lastschriftverfahren-Urteil eingeleitete Entwicklung führte insbesondere auch zu einer Neuorientierung der Rechtsprechung im Bereich der sog. Berufs- und Expertenhaftung. 78 Die Haftung für Auskunft, Testate, Gutachten oder gutachterliche Äußerungen von Anwälten, Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern oder sonstigen Sachverständigen wurde zum Schwerpunkt der neueren höchstrichterlichen Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte.
73 Assmann, JuS 1986, 885, 890. 74 BGHZ 76, 326, 327 (LS 2) u. 337 f.; dort ausdrücklich als „Ergänzung zu BGHZ 75, 321" benannt. 75 BGHZ 76, 338. 76 Westermann, NJW 1982, 2870; ähnlich Grunewald, BB 1981, 581, 582: Das Ergebnis „überzeugt", der Abschied von der sozialen Komponente sei jedoch „nicht unbedenklich", weil damit der Kreis in den Vertrag mit einbezogener Dritter erheblich erweitert werde. 77 Schwerdtner, Jura 1980, 493,497 f., der beide Urteile auch im Ergebnis ablehnt. 78 So Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 189.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
aa) Frühere Behandlung dieser Fälle in der Rechtsprechung In früheren Entscheidungen wurde die Möglichkeit einer Schutzwirkung von Gutachtenverträgen für Dritte vom Bundesgerichtshof noch durchweg unter Hinweis auf die fehlende Fürsorgepflicht des Auftraggebers gegenüber dem Dritten sowie den entgegenstehenden Interessengegensatz verworfen. 79 (1) In dem der Entscheidung vom 18. 6. 1962 zugrundeliegenden Sachverhalt etwa hatte der Kläger, ehemaliger Vorstand einer Aktiengesellschaft, Schadensersatz wegen Fehler des Gutachtens eines Wirtschaftsprüfers geltend gemacht, das dieser im Auftrag der Aktiengesellschaft über Vorgänge der Geschäftsführung des Klägers angefertigt hatte, um zur Klärung vor Rechtsansprüchen zwischen der Aktiengesellschaft und dem Kläger aus dessen Tätigkeit als Vorstand beizutragen. 80 Der Kläger hatte sich hier vergeblich auf die Capuzol-Entscheidung berufen, denn der Bundesgerichtshof verneinte die Parallelität der Fälle. Dort „habe der Gläubiger ein Interesse daran, daß seinem Schutze anvertraute Personen nicht durch Sorgfaltsverletzungen des Vertragsgegners geschädigt würden; und der Schuldner vermöge zu erkennen, daß der Gläubiger auf die Sicherheit dieser Personen ebenso vertraue wie auf seine eigene."81 „Im vorliegenden Falle" bestehe eine „andere Interessenlage". Der Kläger sei „Prozeßgegner" der Aktiengesellschaft gewesen. Sie bräuchte, wenn sie auch ebenso wie der Kläger ein unparteiisches und sorgfältiges Gutachten erwartet habe, doch nicht darum bemüht zu sein, dem Kläger in dieser Hinsicht vertragliche Rechte gegen den Wirtschaftsprüfer zu verschaffen. Und mit einem solchen Willen der Aktiengesellschaft bräuchte der Wirtschaftsprüfer nicht zu rechnen. Er selbst sei auch nicht daran interessiert gewesen, eine Haftung gegenüber beiden Teilen und damit ein erhöhtes Risiko zu übernehmen. (2) Ebenfalls aufgrund fehlenden Schutzinteresses verneinte der Bundesgerichtshof im Urteil vom 5. 12. 1972 eine Schutzwirkung eines Auftrages zwischen einem Unternehmen und einem Wirtschafsprüfer zur Fertigung der Jahresabschlüsse zugunsten einer dem Unternehmen kreditgewährenden Bank. 82 Zwi79
So auch schon das RG v. 27. 10. 1902 noch zur Frage der unmittelberen Anwendung des § 328 BGB, RGZ 52, 365, 366 m. Anm. Laband, DJZ 1903, 259, 262. Das Reichsgericht hatte im Fall der Weiterleitung einer fehlerhaften Auskunft über einen Kreditnehmer durch einen Anwalt einen Vertrag zugunsten Dritter gem. § 328 BGB verneint. Es liege kein Grund für die Annahme vor, dass der Kreditnehmer eine solche Absicht gehabt hätte; „ihm kam es vielmehr nur darauf an, in seinem eigenen Interesse eine solche Bescheinugung über die Höhe der hypothekarischen Belastung seines Grundstücks zu erlangen und sie der Klägerin vorzulegen oder vorlegen zu lassen". so BGH W M 1962, 933 = DB 1962, 1003. si BGH W M 1962, 934. Ebenso OLG Saarbrücken NJW 1972, 55, 56, zur Haftung eines Architekten für eine fehlerhafte Grundstücksschätzung, die zu Beleihungszwecken verwandt wurde: „Die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte dürfte wegen des Fehlens von Schutz- und Fürsorgepflichten des Kunden gegenüber der Bank [ . . . ] nicht gerechtfertigt sein." 82 BGH NJW 1973, 321 m. krit. Anm. Lammel, NJW 1973, 700.
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sehen dem Unternehmen und der klagenden Bank hätten „nicht die durch eine Fürsorgepflicht gekennzeichneten Beziehungen bestanden", welche die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Voraussetzung für diese besondere Deutung des Vertragsinhalts mache.83 „Zudem verbietet sich die Annahme einer solchen Schutzwirkung auch mit Rücksicht auf die erkennbare Gegenläufigkeit der Interessen, die in Bezug auf die Darstellung der Kreditwürdigkeit zwischen dem Auftraggeber (Kreditsuchenden) einerseits und der Bank andererseits besteht."84 (3) Der 6. Senat bestätigte seine ablehnende Haltung noch in einem Urteil vom 30. 3. 1976 für die Frage der Haftung einer Bank wegen unrichtiger Angaben über die Solvenz eines Unternehmens an eine andere Bank, die diese Auskünfte an ihre Kunden weitergab und diese später mit ihren Ansprüchen auf Bezahlung daraufhin gelieferter Waren ausfielen. 85 Auch hier noch verneinte der Bundesgerichtshof den vertraglichen Drittschutz, weil „besondere durch eine Fürsorgepflicht gekennzeichnete Beziehungen" nicht vorlägen.
bb) Die fallweise Ausweitung des Anwendungsbereichs (1) Käufergruppe-Fall Eingeleitet wurde die Abkehr von der früheren Sichtweise des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in der Grundsatzentscheidung vom 2. 11. 1983 im Käufergruppe-Fall. 86 In diesem „wegweisenden Urteil" 8 7 findet die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung von Experten aus Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte zugleich ihre wichtigste Grundlage. 88 Offen wurde hier das bis dahin zentrale Tatbestandsmerkmal, die Schutz- und Fürsorgepflicht, aus dem Kreis der unverzichtbaren Voraussetzungen gestrichen. 89 Der Beklagte, ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bauwesen und Schätzung von Grundstücken und Gebäuden, wurde von S beauftragt, ein Verkehrs- und Ertragswertgutachten für ein Anwesen zu erstellen, das, wie S dem Sachverständigen unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, er selbst oder eine hinter ihm stehende Käufergruppe erwerben wollte mit der Absicht, das 83 BGH NJW 1973,322. 84 So auch OLG Saarbrücken BB 1978, 1434, 1435 m. w. N. für die damalige Literatur; OLG Köln BB 1978, 334. Dagegen bereits Musielak, Haftung, S. 37: Dieser Interessengegensatz dürfe nicht dazu führen, dass dem Kreditgeber falsche Angaben über die Kreditwürdigkeit des Kreditsuchenden gemacht werden. 85 BGH BB 1976,855,856. 86 BGH NJW 1984, 355 = W M 1984, 34 = JZ 1984, 246 (auch „ErtragswertgutachtenFair genannt). 87 Lang, W M 1988, 1001, 1005. 88 Canaris, ZHR 163, 206, 208. 89 Zu Recht bezeichnet als „Wendepunkt- Entscheidung", so Urban, Vertrag, S. 83.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Objekt in Eigentumswohnungen umzubauen. S selbst nahm von einer Beteiligung Abstand. Das Anwesen kaufte der Kläger für sich allein, der den S zuvor zu dem Gespräch mit dem Sachverständigen, in dessen Verlauf der Auftrag erteilt wurde, begleitet hatte. Der Sachverständige hatte in seinem Gutachten unberücksichtigt gelassen, dass das Mietanwesen den Einschränkungen des sozialen Wohnungsbaus unterlag. Der tatsächlich Ertragswert lag daher weit unter dem im Gutachten angegebenen Wert. Der Kläger musste den Kaufvertrag rückgängig machen und verlangte von dem Sachverständigen Schadensersatz in Höhe der ihm für Erwerb und dessen Rückgängigmachung entstandenen Kosten. Nachdem sich bereits in vorangegangenen Urteilen eine Wandlung der Rechtsprechung angedeutet hatte, 90 entschied der Bundesgerichtshof hier nun ausdrücklich, dass auch Verträge mit öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen Schutzpflichten zugunsten Dritter begründen können, die selbst keinen Anspruch auf die Hauptleistung aus dem Vertrag haben. Zur Begründung führten die Richter die „Umstände des vorliegenden Falles" an. Der Beklagte habe gewusst, dass auch eine hinter dem S stehende Käufergruppe den Erwerb des Hauses in Erwägung gezogen hatte und dass das Gutachten dieser Käufergruppe als Grundlage für ihre Entschließung dienen sollte. Es komme dabei nicht darauf an, dass dem Beklagten nicht bekannt gegeben worden sei, wer zu dieser Gruppe gehöre. „Schutzpflichten können auch zugunsten von solchen Personen begründet werden, die dem Vertragspartner nicht namentlich benannt worden sind. Ebensowenig ist erforderlich, daß der Vertragspartner die genaue Zahl der in den Schutzbereich einbezogenen Personen kennt." 91 Erforderlich sei nur, dass die zu schützende Personengruppe objektiv abgrenzbar sei. Wie bereits im Lastschriftverfahren-Urteil, so ließ der Bundesgerichtshof nun auch für den Vertrag mit dem Sachverständigen die Schutzwirkung nicht daran scheitern, dass hier der Auftraggeber gegenüber dem Kläger keine Schutz- und Fürsorgepflicht gehabt hatte.92 Eindeutig verorten die Richter dabei die dogmatische Herleitung dieses Schadensersatzanspruchs als privatautonom gestalteten Schutz. „Die Gestaltung eines Schuldvertrages steht grundsätzlich im freien Ermessen der Vertragsparteien; ihre Grenzen findet diese Gestaltungsfreiheit nur im zwingenden Gesetzesrecht und in den nach § 138 BGB zu beachtenden sittlichen 90 In diese Richtung bereits zuvor BGH v. 28. 4. 1982, NJW 1982, 2431 = W M 1982, 762 (Konsul I), s. dazu u. im Text u. (2). Ebenso auch schon die Entscheidung des BGH v. 29. 9. 1982, NJW 1983, 1053, 1054: Der BGH sah hier den Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft in den Schutzbereich eines von der Gesellschaft abgeschlossenen Vertrags mit einem steuerlichen Berater einbezogen, wenn das Gutachten von der Gesellschaft in Auftrag gegeben wurde, um die Gesellschafter vor den steuerlich nachteiligen Folgen der Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung zu bewahren. „Aufgabe des Bekl. war es daher, (auch) die steuerlichen Auswirkungen der vorgeschlagenen Maßnahme auf die Gesellschafter zu prüfen. Bei einer solchen Fallgestaltung kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Gesellschafter in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen sind." 91 BGH NJW 1984, 355. 92 Anders noch das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts, vgl. BGH NJW 1984, 355.
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Geboten. Die Vertragsparteien können daher in beliebiger Weise bestimmen, welche Personen in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden sollen; sie können den Schutzbereich auch auf solche Personen erstrecken, deren 'Wohl und Wehe' keinem der beiden Vertragspartner anvertraut ist." Was für ausdrückliche Abreden gelte, dürfe dann auch für schlüssiges Verhalten der Parteien herangezogen werden. Der Bundesgerichtshof verfestigte und konkretisierte hier seine im Lastschriftverfahren-Urteil entwickelte Rechtsprechung, wonach die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich nicht mehr wie noch in früheren Entscheidungen darauf zu beschränken sei, ob das „Wohl und Wehe" dieser Person dem Vertragspartner der schutzpflichtigen Partei anvertraut war. „Diese Entscheidungen sind jedoch nicht dahin zu verstehen, daß der BGH ausschließlich unter diesen Voraussetzungen die rechtliche Zulässigkeit dieses Vertragstyps bejahen wollte. Sie betreffen vielmehr lediglich die Frage, unter welchen Voraussetzungen allein aufgrund der objektiven Interessenlage - d. h. also ohne einen konkreten Anhaltspunkt in ausdrücklichen Parteierklärungen oder im sonstigen Parteiverhalten - die stillschweigende Vereinbarung einer Schutzpflicht für Dritte anzunehmen ist." 9 3 Demgegenüber sei es eine „ganz andere Frage", ob wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls eine Ausdehnung des Schutzbereichs eines Vertrages über den Kreis der Vertragsparteien hinaus anzunehmen sei. „Bei der Beauftragung von Sachverständigen kommt es häufig vor, daß das zu erstattende Gutachten als Grundlage für die Entscheidung von Personen dienen soll, die zum Sachverständigen nicht in vertraglichen Beziehungen stehen."94 „In diesem Falle hat der Tatrichter nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen anhand der Umstände zu prüfen, ob die Vertragsparteien den Willen hatten zugunsten dieser Person eine Schutzplicht des Sachverständigen zu begründen." Alter und neuer Ansatz für den vertraglichen Drittschutz sollten sich demnach nicht verdrängen, sondern ergänzen. Auch für den Käufergruppe-Fall könne es von Bedeutung sein, ob den Auftraggeber die Fürsorge für den Dritten anvertraut sei. Dies sei jedoch keine notwendige Voraussetzung für die Bejahung einer Schutzpflicht. Im vorliegenden Fall sei davon auszugehen, „daß ein Interessent, der ein Gutachten als Grundlage für die Entscheidung einer bestimmten Gruppe in Auftrag gibt, regelmäßig nicht nur sein persönliches Interesse, sondern auch das Interesse der anderen Gruppenmitglieder gewahrt wissen möchte; eine Beschränkung der Schadensersatzpflicht auf die Schäden, die ihm in eigener Person erwachsen, wird daher in der Regel nicht seinem rechtsgeschäftlichen Willen entsprechen." Der Sachverständige, dessen Interessen ebenfalls zu berücksichtigen seien, würde durch die Einstandspflicht auch nicht in einer unzumutbaren Weise mit Schadensersatzpflichten gegenüber Dritten belastet. Die Schäden, die in einer Käufergruppe 93 BGH NJW 1984, 356. 94 So unter Berufung auf die o. angefühlten Entscheidungen BGH NJW 1982, 2431; 1983, 1053.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
beim Erwerb eines Hauses infolge eines falschen Wertgutachtens entstehen könnten, seien in der Regel nicht höher als die, die einer Einzelperson in der gleichen Situation erwachsen würden. Der Bundesgerichtshof konnte für die hier vorgenommene Ausdehnung des vertraglichen Schutzbereichs an die gedanklichen Vorarbeiten von Caemmerers und dessen Kritik an der engen „Wohl und Wehe"-Formel anknüpfen, der bereits 1978 dafür eingetreten war, den ausdrücklichen oder stillschweigenden Parteiwillen, der sich aus Umständen und Zweck des Vertrages ergebe, als maßgebend für den geschützten Personenkreis zu erachten. 95 Von Caemmerer hatte insbesondere betont, dass für die Einbeziehung Dritter bei Personen- und Sachschäden ganz andere Kriterien maßgeblich seien als bei primären Vermögensschäden. Man betrete „ein völlig anderes Feld". 96 Auch hier sei es „kraft Vertragsfreiheit möglich", das Interesse des Dritten an der ordnungsmäßigen Erbringung dieser Leistung durch die Zubilligung von unmittelbaren Schadensersatzansprüchen nach § 328 BGB zu sichern. 97 Die Annahme der Berechtigung des Dritten müsse ihre Stütze im Sinn des konkreten Vertrags finden. „Ist eine derartige Stütze nach den Umständen und dem Zweck des Vertrages aber vorhanden, so sind die Grenzen, die bei dem lediglich kraft ergänzenden Rechts unterstellten Vertrag mit Schutzwirkung für Körper und Eigentum Dritter für die Annahme einer Drittberechtigung gezogen werden und die von der Sache her regelmäßig auch gar nicht passen, hier nicht anwendbar." Auf ein Sorgeverhältnis mit personenrechtlichem Einschlag zwischen Vertragsgläubiger und Drittem könne es für die Bejahung des Drittschutzes nicht ankommen.98 Das Schrifttum stand der Aufgabe der „Wohl und Wehe"-Rechtsprechung aber auch kritisch gegenüber. Littbarski äußerte die Befürchtung, dass einer unbestimmten Vielzahl von Dritten nunmehr die Möglichkeit geboten werde, sich der aus einem Vertrag ergebenden Vorteile zu bedienen, ohne selbst das Vertragsrisiko tragen und eine Gegenleistung erbringen zu müssen.99
95
von Caemmerer, FS Wieacker, S. 311, 316 f.; ausdrücklich zitiert im Urteil des BGH. 96 Ders., FS Wieacker, S. 320.
97
Ders., FS Wieacker, S. 320 f.
98
Ders., FS Wieacker, S. 322, schlußfolgernd bei seiner Analyse des Testaments-Falles. Ähnlich hatte sich bereits 1974 Musielak, Haftung, S. 36, geäußert: In den Gutachten- und Auskunfts-Fällen sei der Begriff der Fürsorgepflicht für den Dritten „wenig geeignet", als Kriterium für die Abgrenzung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung zu dienen. Der Hinweis in BGH NJW 1973, 321 auf den Interessengegensatz zwischen Kreditsuchendem und Kreditgeber wirke „fast zynisch" (S. 37). „Dieser Interessengegensatz darf jedenfalls nicht dazu führen, daß dem Kreditgeber falsche Angaben über die Kreditwürdigkeit des Kreditsuchenden gemacht werden" (S. 37). Allerdings wandte sich Musielak zugleich auch gegen die Herleitung aus dem Partei willen; seiner Ansicht nach ist der Umfang der vertraglichen Schutzwirkung von der vertraglichen Leistung her zu ermitteln (S. 38). 99
Littbarski, NJW 1984, 1667, 1669; diese Ausdehnung des Anwendungsbereiches des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist nach Littbarski eine fast logische Konsequenz der immer weiter ausufernden Rechtsprechung im Bereich der gesetzlichen Berufshaftung.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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(2) Konsul-Fall Eine konsequente Fortsetzung der im Käufergruppe-Fall eingeschlagenen Linie, aber auch eine weitere, entscheidende Ausweitung des Anwendungsbereichs der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erfolgte in dem viel diskutierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. 1. 1985. 100 Der Beklagte hatte als Sachverständiger im Auftrage der Firma Ρ ein Wertgutachten über einen dieser gehörenden Grundstückskomplex erstellt, das mit einem Feriendorf bebaut werden sollte. In dem Gutachten kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der Grundstückskomplex einen Verkehrswert von 20 Mio. DM habe. Wenige Monate später rief bei dem Sachverständigen der dänische Konsul in München an und teilte ihm mit, dem Konsulat liege eine Anfrage vor, ob er tatsächlich öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger sei. Weiter wollte der Konsul wissen, ob das Gutachten, das er über den Wert des Feriendorfgeländes erstellt hatte, heute noch zutreffend sei, wobei der Konsul dem Beklagten eröffnete, dass die von ihm erbetene Auskunft als Grundlage für die Entscheidung über die Gewährung eines Kredites benötigt werde. Beides bejahte der Beklagte und richtete auf Wunsch des Konsuls an das dänische Konsulat ein Schreiben, in dem er ausführte: „In Ergänzung meines ausführlichen Gutachtens stelle ich fest, daß der Wert des Objekts auch heute noch unverändert besteht." Daraufhin schloss die Klägerin, eine dänische Privatbank, mit der Firma Ρ ein Darlehensvertrag über 15 Mio. DM, der durch Grundschulden in Höhe von 18 Mio. DM auf dem Grundbesitz der Firma Ρ abgesichert wurde. Das Ferienprojekt wurde trotz Uberweisung des Darlehensbetrags in der Folgezeit nicht vorangetrieben. Der Kredit wurde notleidend. Die Klägerin betrieb aus ihren Grundschulden die Zwangsversteigerung des verpfändeten Grundbesitzes und ersteigerte ihn zu einem Gebot von 1,9 Mio. DM. Sie verlangte von dem Beklagten Schadensersatz, weil sie durch das Wertgutachten und die dem Konsul erteilte Auskunft zur Gewährung des Kredits veranlasst worden sei. Weder in dem Gutachten noch in der Auskunft war kargestellt worden, dass es sich bei dem angegebenen Verkehrswert nicht um einen tatsächlich vorhandenen, bereits erreichten Grundstückswert, sondern um einen in Zukunft möglicherweise zu erreichenden Wert handeln sollte und dass das Gelände im damaligen Zeitpunkt allenfalls als landwirtschaftlich nutzbare Fläche beleihbar war. Der Bundesgerichtshof bejahte eine Haftung des Sachverständigen aus einem stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag mit Schutzwirkung für Dritte. 101 Die Richter sahen der Auskunftserteilung an den Konsul entsprechend einer ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen stillschweigenden Auskunftsvertrag zugrunde liegen, da für den Sachverständigen als Auskunftsgeber zu erken-
loo BGH W M 1985, 450 = W M 1985, 450 = DB 1985, 1464 = JZ 1985, 951 m. Anm. Honseil (Konsul II); ausführlicher Sachverhalt in BGH NJW 1982, 2431 (Konsul I); auch „Feriendorf-Fall·' genannt, ιοί BGH JZ 1985, 951 f.
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nen gewesen sei, dass die Auskunft für den Empfänger von erheblicher Bedeutung war und von ihm zur Grundlage wesentlicher Maßnahmen auf wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Gebieten gemacht werden sollte und zudem der Auskunftgeber über besondere Sachkunde verfügte. 102 In den Schutzbereich dieses Auskunftsvertrags sei die Klägerin einbezogen. Entgegen dem Berufungsgericht und wie schon im Käufergruppe-Fall sollte es nicht darauf ankommen, ob den dänischen Konsul für dänische Unternehmen eine persönliche Fürsorge- und Obhutspflicht treffe. In nahezu wörtlicher Ubereinstimmung mit dem Käufergruppe-Urteil leitete der Bundesgerichtshof auch hier den Anspruch als privatautonom vereinbarten Schutz her. „Die Ausgestaltung eines schuldrechtlichen Vertrags steht grundsätzlich im freien Belieben der Parteien; Grenzen sind dem Parteiwillen nur durch gesetzliche Verbote, die Sittenordnung und durch zwingende gesetzliche Vorschriften gesetzt. Der Gesetzgeber hat es insbesondere der Entscheidung der Vertragspartner überlassen, inwieweit durch den Vertrag Rechte Dritter begründet werden; das gilt nicht nur für die in § 328 BGB behandelten Leistungspflichten, sondern nach dem allgemeinen Grundsatz der Vertragsfreiheit - auch für Schutzpflichten." 1 0 3 Die Vertragsparteien könnten - so die Folgerung der Richter - einerseits, wenn einem von ihnen „Wohl und Wehe" eines Dritten anvertraut sei, wirksam vereinbaren, dass dieser Dritte nicht in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden soll. Sie könnten andererseits aber auch den Schutzbereich auf jeden beliebigen Dritten erstrecken. In dieser Entscheidung wurde nun ein weiteres Kriterium zur Eingrenzung des über die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte geschützten Personenkreises preisgegeben. 104 Anders als noch im Käufergruppe-Fall, wo der Auftraggeber des Gutachters und der Kläger als Mitglied derselben „Käufergruppe" die gleichen Interessen an der Beschaffenheit des Gutachtens hatten, standen sich im Konsul-Fall die kreditsuchende Auftraggeberin und die kreditgebende Bank als Vertragsgegner gegenüber. Der das Gutachten in Auftrag gebenden Firma fehlte nicht nur jegliche fürsorgliche Stellung gegenüber der zu schützenden Bank, beide verfolgten darüber hinaus auch gegenläufige Interessen. Doch, so das höchste Gericht, die Einbeziehung in den Schutzbereich könne auch nicht deshalb verneint werden, „weil die Interessen der Klägerin und die der (ursprünglichen) Auftraggeber des Beklagten gegenläufig wären". 105 „Gerade ein öffentlich bestellter Sachverständiger kann in die Lage kommen, daß er bei der Begutachtung Sorgfaltspflichten gegenüber mehreren Personen mit unterschiedlicher Interessenrichtung zu beachten hat. Es kommt häufig vor, daß Auftraggeber ein Gutachten nicht nur zur eigenen Belehrung bestellen, sondern um von ihm gegenüber Dritten Gebrauch zu machen.
102 BGH JZ 1985, 951, unter Berufung auf die Rechtsprechung zum stillschweigenden Auskunftsvertrag. 103 BGH JZ 1985, 951 f.
104 So auch Weber, NZG 1999, 1, 3. 105 BGH JZ 1985, 952; anders noch BGH NJW 1973, 321, 322.
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Muß der Sachverständige mit einer solchen Verwendung des Gutachtens rechnen, dann kann er auch dem Dritten für die Richtigkeit des Gutachtens haftbar sein, sofern die zu schützende Personengruppe objektiv abgrenzbar ist." 1 0 6 Der Beklagte habe entweder schon von vornherein oder aber spätestens durch das Telefongespräch mit dem dänischen Konsul erfahren, dass sein Gutachten einem potentiellen Kreditgeber zum Nachweis der Beleihbarkeit der Grundstücke vorgelegt werden würde. In diesem Zeitpunkt sei er verpflichtet gewesen, klarzustellen, dass es sich bei dem von ihm errechneten Betrag nur um einen „aufschiebend bedingten Wert" handelte. Es müsse dem Beklagten auch nicht bekannt sein, wer konkret den Kredit vergibt. Es genüge, dass der Beklagte aus den Äußerungen des Konsuls unschwer entnehmen konnte, dass ein potentieller Kreditgeber einen Kredit geben wollte, dass die vom Beklagten begutachteten Grundstücke als dingliche Sicherheit für diesen Kredit dienen sollten und dass es dem Kreditgeber darauf ankam, ob der Wert dieser Grundstücke zu seiner Absicherung ausreichte. Dieses Urteil rief im Schrifttum heftige Kritik hervor. Der Auskunftsvertrag mit Schutzwirkung für Dritte, so am pointiertesten Honseil, führe zu „uferlosen, unübersehbaren, nicht mehr kalkulier- und versicherbaren Haftungsrisiken. Er verbirgt unter dem Gewand einer Vertragskonstruktion einen Anspruch deliktischer Natur, welcher in dieser Form im Deliktsrecht gerade ausgeschlossen ist." 1 0 7 Für Hübner birgt diese neuere Rechtsprechung selbst bei restriktiver Handhabung ein Haftungspotential, „welches die Frage immer akuter werden läßt, wie dieses einzugrenzen ist, um noch zumutbar zu sein". 108
(3) Hausbank-Fall Waren bislang nur die Käufer und Kreditgeber in den Schutzbereich von Verträgen des Verkäufers oder Kreditnehmers mit einem sachverständigen Experten über die Begutachtung des zu verkaufenden oder als Kreditgrundlage dienenden Gegenstands einbezogen, so weitete der Bundesgerichtshof den Kreis der geschützten Personen in seiner Entscheidung im Hausbank-Fall vom 26. 11. 1986 aus. 109 Ein Filmregisseur wollte vom Alleingesellschafter einer GmbH dessen Geschäftsanteile für insgesamt DM 500.000 erwerben. Er bat hierzu seine Hausbank, die spätere Klägerin, um die Finanzierung der Kaufsumme. Zur Unterstützung des Kreditgesuchs legte er eine Zwischenbilanz der GmbH vor, die ein Steuerberater im Auftrag des Alleingesellschafters und Geschäftsführers erstellt hatte. Der Regisseur erwarb sämtliche Geschäftsanteile der GmbH. Die Hausbank räumte ihm einen Tilgungskredit über DM 500.000 ein. Als Sicherheit wurden ihr die Ge-
106 BGH JZ 1985, 952. 107 Honseil JZ 1985, 953. los Hübner, NJW 1989, 5, 10. 109 BGH NJW 1987, 1758 = W M 1987, 257. 4 Plötner
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schäftsanteile der GmbH verpfändet. In dem vorgelegten Zwischenabschluss hatte der Steuerberater angeführt, er habe u. a. die Einhaltung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nach bestem Wissen und Gewissen geprüft. Aufgrund erheblicher Buchführungsmängel im Geschäftsbetrieb der GmbH, die der Steuerberater selbst bei Erstellung des Zwischenabschlusses festgestellt hatte, gab dieser die wirtschaftliche Lage jedoch unzutreffend wieder. Er wies einen Gewinn aus, obwohl die Gesellschaft Verluste erlitten hatte - so die Behauptung der Klägerin später. Über das Vermögen der GmbH und das persönliche Vermögen des Regisseurs wurde das Konkursverfahren eröffnet. Im Konkursverfahren fiel die Hausbank mit ihrer Forderung aus dem Kreditgeschäft aus. Die Hausbank verlangte daraufhin vom Steuerberater Schadensersatz. Wäre ihr, so machte sie geltend, ein Zwischenabschluss vorgelegt worden, in dem die wirtschaftliche Lage zutreffend dargestellt gewesen wäre, so hätte sie den Kredit nicht bewilligt. Auch hier ist der Bundesgerichtshof zunächst ebenso wie zuvor im Käufergruppe- und im Konsul-Fall bemüht, das „Mißverständnis" 110 des vorentscheidenden Berufungsgerichts aufzuklären, die Schutzwirkung sei stets davon abhängig, dass „Wohl und Wehe" des Dritten dem Vertragspartner anvertraut sein müssten. 111 Denn die eine „stillschweigende Vereinbarung einer Schutzpflicht für Dritte" in gleicher Weise begründenden „konkrete(n) Anhaltspunkt(e) in ausdrücklichen Parteierklärungen oder im sonstigen Parteiverhalten" liegen nach der Bewertung des Bundesgerichtshofs auch für diesen Fall vor. 1 1 2 Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Zwischenabschluss lediglich zur Belehrung des Mandanten des Beklagten dienen sollte, vielmehr sei er als Entscheidungsgrundlage für einen Dritten, entweder den Käufer oder einen Kreditgeber, bestimmt. „In einem solchen Fall liegt die Annahme nahe, daß der Dritte in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden sollte." Dem stehe wie im vorangegangenen Konsul-Fall nicht entgegen, dass die Interessen des Käufers oder Kreditgebers auf der einen und der Mandantin des Steuerberaters auf der anderen Seite gegenläufig waren. „Wer bei einer Person, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt (ζ. B. bei öffentlich bestellten Sachverständigen, Wirtschaftsprüfern, öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren, Steuerberatern) ein Gutachten oder eine gutachterliche Äußerung (ζ. B. ein Wirtschaftsprüfer- oder Steuerberatertestat) bestellt, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen, ist in der Regel daran interessiert, daß die Ausarbeitung die entsprechende Beweiskraft besitzt. Das ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn der Verfasser sie objektiv nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und auch dem Dritten gegenüber dafür einsteht." 113
110 So Assmann, JuS 1986, 889, der zum Lastschriftverfahren-Fall meint, selbst beim 2. Senat des BGH habe sich diese „irrige Auffassung festgesetzt". 111 BGH NJW 1987, 1759, unter wortgetreuer Verwendung der gleichen Formulierungen. 112 BGH NJW 1987, 1759.
113 BGH NJW 1987, 1759 f.
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Zur Einbeziehung der klagenden Bank in den Schutzbereich des mit dem Steuerberater geschlossenen Vertrags sah sich der Bundesgerichtshof hier nunmehr gezwungen, den Kreis der geschützten Personen weiter auszudehnen, da geschädigter Dritter hier erstmals nicht der Käufer, sondern die hinter dem Käufer stehende und den Kauf finanzierende Bank war, an die der Käufer den vom früheren Eigner in Auftrag gegebenen und ihm ausgehändigten Zwischenabschluss lediglich weitergegeben hatte. Es sei nicht erforderlich, so führte der Bundesgerichtshof zur Rechtfertigung aus, dass dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass der Zwischenbericht der Klägerin vorgelegt werden sollte. 114 Vielmehr genüge es, „wenn dem Beklagten erkennbar war, daß die Ausarbeitung entweder für einen Käufer oder einen Kreditgeber (Bank) bestimmt war", wenngleich die Richter ausdrücklich betonten, dass dies nicht bedeute, der Kreis der unter die Schutzpflicht fallenden Personen dürfe uferlos ausgeweitet werden. Es sei vielmehr erforderlich, dass die Schutzpflicht auf eine „überschaubare, klar abgrenzbare Personengruppe" beschränkt werde. „Es erscheint demnach nicht unzulässig", so die Folgerung für den vorliegenden Fall, „wenn diejenige Person, der der Zwischenabschluß erkennbar als Entscheidungsgrundlage diente, in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen wird; denn in diesem Falle würde sich der Schutzbereich nur auf den Käufer und einen etwaigen Geldgeber des Käufers erstrecken." 115 Die Ausweitung des geschützten Personenkreises wurde im Schrifttum skeptisch aufgenommen. Angesichts dieses Urteils sieht Hopt das Problem, wessen Erwartung beruflicher Gewährübernahme im Geschäftsverkehr bei Testaten rechtlich geschützt wird, als „nach wie vor offen" an. 1 1 6 (4) Dachboden-Fall Den wohl schillerndsten und spektakulärsten Anwendungsfall aus jüngster Zeit bildet die Entscheidung im Dachboden-Fall vom 10. 11. 1994 117 - dies nicht allein, weil das Urteil in die amtliche Sammlung aufgenommen wurde, 118 und auch nicht nur ob der breiten Resonanz, die dadurch hervorgerufen wurde, 119 sondern vor allem aufgrund der darin aufgeworfenen rechtlichen Probleme. Dieser Fall wurde gleichsam zum „Prüfstand" für die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, denn hier trat zum ersten Mal eine wesentliche Komplikation in Erscheinung. 120 114 BGH NJW 1987, 1760. us BGH NJW 1987, 1760. 116 Hopt, NJW 1987, 1745, 1746. i n BGHZ 127, 378 = NJW 1995, 392 = JZ 1995, 306 m. Anm. Medicus = L M § 328 BGB Nr. 91m. Anm. Pfeiffer. 118
Canaris meint, schon durch den Abdruck in der amtlichen Sammlung komme dem Urteil besonderes Gewicht zu, JZ 1995,441. 119 s. die Urteilsbesprechungen von Medicus, JZ 1995, 306; Canaris, JZ 1995, 441; Pfeiffer LM § 328 BGB Nr. 91; Probst, JR 1995, 509. 4*
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Ein Architekt und verpflichteter Bausachverständiger erstattete im Auftrag der Eigentümerin ein Wertgutachten über deren Hausgrundstück, das, wie bei Auftragserteilung mitgeteilt worden war, veräußert werden sollte. Der Sachverständige hielt darin „nennenswerte Reparaturen zur Zeit" nicht für erforderlich; es bestehe kein „Reparaturanstau". Den Untersuchungszustand des Hauses bezeichnete er insgesamt als gut. Bei der vorausgegangenen Besichtigung des Hauses hatten die Mitarbeiter des Sachverständigen es unterlassen, auch den Dachspitzboden des Hauses in Augenschein zu nehmen, da der Sohn der Grundstückseigentümerin, der für diese den Gutachtenvertrag als Vertreter schloss und abwickelte, darauf hingewirkt hatte, dass eine Besichtigung des nur schwer zugänglichen Dachbodens unterblieb und damit ihm bekannte Mängel unentdeckt blieben. Die Käufer verlangten von dem Sachverständigen den ihnen durch Abschluss des Kaufvertrags entstandenen Schaden ersetzt zu bekommen. Wären diese Baumängel bei der Erstattung des Gutachtens berücksichtigt worden, so machten sie geltend, hätten sie von dem Kauf des Grundstücks Abstand genommen. Der Bundesgerichtshof verneinte zunächst einen stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrag, „da die Parteien vor dem Kauf des Grundstücks in keinem direkten Kontakt zueinander standen".121 Bejaht wurde hingegen ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Der Gutachtenvertrag sei dahin auszulegen, dass für den Sachverständigen auch Schutzpflichten zugunsten der Käufer erwachsen sind. Gegen eine Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages spreche dabei im Einklang mit den vorangegangenen Judikaten nicht, dass die Interessen der Käufer und der Auftraggeberin hinsichtlich der Bewertung des Grundstücks gegenläufig waren. 122 Und darüber hinausgehend stehe dem auch nicht entgegen, dass der Vertreter der Grundstückseigentümerin bei der Besichtigung des Anwesens dessen Mängel bewusst verheimlichte. „Zwar mag dies ein Indiz dafür sein, daß dieser ein objektiv richtiges, auch den Interessen eines Kaufinteressenten entsprechendes Wertgutachten gar nicht wollte." 1 2 3 Dieser verborgen gebliebene innere Wille sei jedoch für die Auftragserteilung „mit Blick auf eine etwaige Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Vertrages" nicht maßgebend. Auch sei eine Auslegung des Gutachtenvertrages fernliegend, wonach aufgrund der unterbliebenen Besichtigung des Dachspitzbodens dahingehende Gutachterpflichten stillschweigend abbedungen worden seien. 124 Eine dieser Beschränkung der Gutachterpflichten entsprechende Begutachtung wäre unvollständig und damit für die Zwecke des Auftraggebers weitgehend unbrauchbar.
120 Zumindest für den BGH, dieselbe Problematik wurde zuvor auch schon vom LG Mönchengladbach NJW-RR 1991,415, 417, behandelt.
121 BGH NJW 1995, 392. 122 So unter Berufung auf wiederholte Rechtsprechung des BGH. i » BGH NJW 1995, 392. 124 BGH NJW 1995, 393.
Α. Die Entwicklung der Rechtsprechung
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Dieser Sachverhalt wies jedoch über das Problem der gegenläufigen Interessen eine weitere Besonderheit auf. Die Tatsache nämlich, dass der Sohn der auftraggebenden Verkäuferin den wahren Zustand des Gebälks gekannt und sich gegenüber den Mitarbeitern des Sachverständigen die Schwierigkeiten bezüglich der Zugänglichkeit des Spitzbodens zunutze gemacht hatte, um diese Mängel zu verheimlichen und sodann arglistig von dem objektiv unrichtigen Gutachten Gebrauch zu machen, veranlasste das OLG Köln als Berufungsgericht den Ersatzanspruch aus Schutzwirkung des Gutachtenvertrags für Dritte abzulehnen. Aufgrund dieses Verhaltens könne die Auftraggeberin selbst keine Ansprüche gegen den Beklagten wegen schuldhafter Schlechterfüllung des Gutachtenauftrags herleiten. Dies könne der Beklagte entsprechend § 334 BGB auch den Klägern entgegenhalten.125 Das Berufungsgericht wandte damit schlicht den zum Vertrag zugunsten Dritter bestehenden, aber auch für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte allgemein für gültig erachteten Grundsatz an, dass der Dritte keine weitergehenden Rechte aus dem Vertrag herleiten könne als der Gläubiger selbst. 126 Dem trat jedoch der Bundesgerichtshof entgegen. Zwar treffe es zu, „daß ein Auftraggeber, der es bewußt darauf anlegt, daß ein Wertgutachten den Erhaltungszustand des zu begutachtenden Objekts unrichtig wiedergibt, wegen dieses Fehlers keine Schadensersatzansprüche gegen den Auftragnehmer geltend machen kann". 127 Und ebenso befinde sich das Berufungsgericht „im Ansatzpunkt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH, wonach dem geschützten Dritten, der seine Rechte aus den Vertragsbeziehungen der unmittelbaren Vertragspartner herleitet, grundsätzlich keine weitergehenden Rechte zustehen als dem unmittelbaren Vertragspartner des Schädigers", und aus dem die Rechtsprechung gefolgert habe, „daß sich der durch den Schutzpflichtigen schuldhaft geschädigte Dritte ein Mitverschulden des Vertragspartners seines Schädigers nach § 254 BGB auch dann entgegenhalten lassen muß, wenn dieser Vertragspartner nicht der gesetzliche Vertreter oder Erfüllungsgehilfe des Dritten i.S. des § 278 BGB ist". Das Berufungsgericht habe diese, sowohl aus dem Rechtsgedanken des § 334 BGB als auch dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu entnehmende Begrenzung des Drittschutzes hier zu strikt angewandt. Es handele sich hierbei „nur um einen Grundsatz", „nicht aber um ein unverrückbares Prinzip". 128 Die den echten Vertrag zugunsten Dritter betreffende Bestimmung des § 334 BGB sei dispositives Recht
125 So OLG Köln, wiedergegeben in BGH NJW 1995, 393. 126 Ebenso hatte bereits auch das LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 415, 417, im Fall der Bilanzfälschung für die Haftung eines Wirtschaftsprüfers entschieden. 127 BGH NJW 1995, 393.; ein Auftraggeber, der die Mangelhaftigkeit des Gutachtens gezielt herbeiführe, setze sich dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung aus (venire contra factum proprium), wenn er wegen dieses Mangels nachträglich Schadensersatzansprüche erhebe. „Diesem Arglisteinwand ist er auch dann ausgesetzt, wenn der Vorwurf des widersprüchlichen Verhaltens auf ein Tätigwerden seines Vertreters zurückzuführen ist (§ 1661 BGB)." 128 BGH NJW 1995, 393.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
und könne - „auch stillschweigend" - abbedungen werden. Gleiches müsse auch für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gelten. Eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass die Haftung des Schutzpflichtigen gegenüber dem Dritten nicht weiterreicht als gegenüber dem unmittelbaren Vertragspartner, könne sich hier im Wege der Auslegung aus der „Natur des Vertrages" ergeben. 129 Dem Gutachter, der die Verkaufsabsicht seines Auftraggebers kenne, müsse bewusst sein, „daß angesichts des besonderen Vertrauens, das Kaufinteressenten regelmäßig in die Zuverlässigkeit und Sachkunde eines anerkannten Sachverständigen haben, seinen gutachterlichen Äußerungen möglicherweise ein größeres Gewicht zukommt als den Angaben des Verkäufers selbst und deshalb ein Gutachten dazu geeignet ist, ein etwaiges Mißtrauen dieser Kaufinteressenten gegenüber der Richtigkeit der Angaben des Verkäufers zu zerstreuen." 130 Es entspreche dem offenkundigen Interesse des möglichen Käufers, dass sein Vertrauen auf die Richtigkeit des Gutachtens gerade in den Fällen rechtlich geschützt wird, in denen der Verkäufer die willkürliche Beschaffenheit des Kaufgegenstands in unredlicher Weise zu verschleiern sucht. „Ist deshalb ein Gutachtenvertrag dahin auszulegen, daß auch mögliche Käufer in den Schutzbereich des Vertrages fallen, so liegt die Annahme nahe, daß das Vertrauen des Dritten in die Richtigkeit der gutachterlichen Aussagen auch dann geschützt werden soll, wenn die Unrichtigkeit durch den Auftraggeber (mit-) veranlaßt worden ist, und zwar unabhängig davon, welche Auswirkungen diese Veranlassung auf die Haftung des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber hat". 1 3 1 Durch eine solche Vertragsauslegung würde dem Sachverständigen auch kein unzumutbares Haftungsrisiko aufgebürdet. 132 Diese Entscheidung, so das Resümee von Pfeiffer, vollziehe einen weiteren Schritt in Richtung auf eine allgemeine Berufshaftung, die jetzt auch Sparkassengutachter erfasse. 133 Von irgendeiner Vertrags Wirkung könne man hier kaum mehr sprechen. Der Bundesgerichtshof vollziehe vielmehr unausgesprochen eine Absage an eine vertragsrechtliche Fundierung seines Ergebnisses. Für Probst „vermögen weder Begründungen noch Ergebnisse des BGH zu überzeugen". 134 129
Der BGH verwies die Sache zurück, um den Gutachten vertrag nach dieser Maßgabe erneut auszulegen (S. 394). 130 BGH NJW 1995, 393. 131 So unter Verweis auf Musielak, Haftung, S. 41 f.; Ziegltrum, Vertrag, S. 217 f.; MünchKomm/ Gottwald, BGB, § 328 Rn. 104. 132 BGH NJW 1995,394. 133 Pfeiffer, L M § 328 BGB Nr. 91 Bl. 5 und weiter: „Grundlage und Umfang eines Rechtsinstituts ' Berufshaftung ' erscheinen aber theoretisch wie praktisch höchst unsicher, so daß man hier auf zukünftige Klärung hoffen muß, die sich jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art nicht auf das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter stützen sollte." 134 Probst, JR 1995, 509, 510: Die Suche nach einer vertragsrechtlichen Rechtfertigung der Haftung des Leistungsschuldners auch für nicht von ihm verwirklichte Risiken sei dem BGH mit der Annahme einer stillschweigenden Abbedingung des § 334 BGB ebensowenig überzeugend gelungen wie mit seinem Rekurs auf die Käuferinteressen. Kritisch auch Ott, WuB IVA. § 328 BGB 1.95.
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(5) Bürgschafts-Fall Eine Folgeentscheidung zum Dachboden-Fall sowie zum Hausbank-Fall, bildet der Bürgschafts-Fall des Bundesgerichtshof vom 13. 11. 1997. 135 Ein öffentlich bestellter und vereidigter Bausachverständiger hatte für die Eheleute G ein Wertgutachten über deren Mehrfamiliengrundstück erstattet, wobei ihm bekannt war, dass das Gutachten als Grundlage für eine grundpfandrechtlich gesichelte Kreditgewährung dienen sollte. Seiner Begutachtung hatte er falsche Angaben der Auftraggeber über den Mietertrag zugrundegelegt, ohne diese zu prüfen. Den Verkehrswert schätzte er auf DM 1,5 Mio. Die Klägerin gewährte den Grundstückseigentümern, den Eheleuten G, nach Vorlage des Gutachtens ein Darlehen im Betrag von DM 1 Mio. gegen Einräumung von Hypotheken in gleicher Höhe. In Höhe von DM 400.000 übernahm die Stadtsparkasse N. zusätzlich eine selbstschuldnerische Bürgschaft gegenüber der Klägerin. Der Kredit wurde notleidend und das Grundstück versteigert. Im Zwangsversteigerungsverfahren schätzte ein Gutachter den Verkehrswert des Grundstücks auf nur DM 790.000. Die Klägerin erlitt einen erheblichen Ausfall und nahm die Stadtsparkasse aus der Bürgschaft in Anspruch. Die Klägerin verlangte von dem Sachverständigen daraufhin aus eigenem Recht und aus abgetretenem Recht der Bürgin Schadensersatz wegen des von diesem erstatteten fehlerhaften Gutachtens. Auch hier hatte der Bundesgerichtshof zunächst einen stillschweigend abgeschlossenen Auskunftsvertrag verneint und sodann eine Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich des zwischen dem Sachverständigen und den Eheleuten geschlossenen Gutachtervertrags bejaht. In den Schutzbereich eines Vertrags über die Erstattung eines Gutachtens durch einen öffentlich bestellten Sachverständigen zum Wert eines Grundstücks seien diejenigen einbezogen, denen das Gutachten nach seinem erkennbaren Zweck für Entscheidungen über Vermögensdispositionen vorgelegt werden solle. Dem stehe auch hier die Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers und des Dritten nicht entgegen.136 Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass der Sachverständige seine Prüfungspflicht verletzt habe, da es ihm nicht gestattet sei, die ihm vom Auftraggeber mitgeteilten Angaben ungeprüft in sein Gutachten zu übernehmen, ohne dies im Gutachten eindeutig zu vermerken, wenn er wisse oder wissen müsse, dass das Gutachten auch als Entscheidungshilfe für andere als den Auftraggeber dienen solle. 137 Soweit es die Ansprüche der Klägerin aus eigenem Recht anbetraf, bestätigte der 10. Senat die Rechtsprechung des 3. Senats im Dachboden-Fall.138 Entgegen 135 BGH NJW 1998, 1059 = JZ 1998, 624 = ZIP 1998, 556 (hier dargestellt mit leicht vereinfachtem Sachverhalt). 136 BGH NJW 1998, 1060, unter Berufung auf BGHZ 127, 378, 380. Das für den Fall eines Immobilienkaufs Anerkannte gelte auch für den Fall der Grundstücksbeleihung. 137 BGH NJW 1998, 1060 f., gegen die Ansicht des Berufungsgerichts. 138 BGH NJW 1998, 1061.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
der Ansicht des Berufungsgerichts dürfe eine Haftung des Sachverständigen nicht unter dem Gesichtspunkt völlig überwiegenden Mitverschuldens (§ 254 BGB) ausscheiden. Die grundsätzlich anzuwendende Begrenzung der Rechte des geschädigten Dritten beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte aus dem Rechtsgedanken des § 334 BGB und dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wonach sich der Dritte das Mitverschulden des Vertragspartners seines Schädigers - hier konkret die Angabe falscher Mieterträge - auch dann entgegenhalten lassen müsse, wenn dieser nicht der gesetzliche Vertreter oder Erfüllungsgehilfe des Schädigers i.S. des § 278 BGB sei, müsse auch in diesem Fall als durch eine abweichende vertragliche Regelung stillschweigend abbedungen angesehen werden. An dieser Rechtsprechung sei trotz Kritik in der Literatur festzuhalten. „Im Geschäftsverkehr darf der Kreditgeber von einem redlichen Kreditnehmer ausgehen, der nicht arglistig auf die Urteilsbildung des Sachverständigen einwirkt. Ein solcher Kreditnehmer kann redlicherweise nichts dagegen haben, daß auch dem Kreditgeber Ansprüche gegen den Sachverständigen wegen der Unrichtigkeit des Gutachtens zustehen." 1 3 9 Das könne nicht anders sein, wenn der Kreditnehmer unredlich ist und seinerseits die Fehlerhaftigkeit des Gutachtens herbeiführt. Durch das Vortäuschen redlichen Verhaltens könne der Kreditgeber den Kreditnehmer auch in diesem Fall dahin verstehen, dieser sei mit der Berechtigung des Kreditgebers aus dem Vertrag des Kreditnehmers mit dem Sachverständigen über die Gutachtenerstellung einverstanden. Dies beinhalte das Einverständnis mit einer vom Kreditgeber üblicherweise stillschweigend gewünschten Abbedingung des § 334 BGB. Und diese besondere Interessenlage sei auch dem Gutachter erkennbar, wenn er wisse oder damit rechnen müsse, dass das Gutachten als Entscheidungshilfe für Dritte, insbesondere für eine Kreditvergabe, dienen solle. Soweit es die Ansprüche aus abgetretenem Recht und damit um den Vermögensschaden der Bürgin anbetraf, ging es hier nun über die Entscheidung im Dachboden-Fall hinaus um die auch im Hausbank-Fall aufgeworfene Frage nach der personellen Reichweite der vertraglichen Schutzwirkung. 140 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs beurteile sich die Einbeziehung Dritter in die Schutzwirkung von Verträgen nicht allein nach den Kenntnissen der Vertragsparteien über die Personen, die möglicherweise mit der vertragsgemäßen Leistung in Betracht kämen. „Auch wenn die Ausgestaltung des Drittschutzes durch die Vertragsparteien grundsätzlich deren Gestaltungsfreiheit unterliegt, kann aus der Unkenntnis der Person, die in den Schutzbereich des Vertrags fallen kann, nicht deren Nichteinbeziehung in den Schutzbereich abgeleitet werden" - Erkennbarkeit genüge. Der Kreis der unter die Schutzpflicht fallenden Personen dürfe allerdings nicht uferlos ausgeweitet werden, vielmehr sei erforderlich, dass die Schutzpflicht auf eine überschaubare, klar abgrenzbare Personengruppe beschränkt werde. Bei 139 BGH NJW 1998, 1061, in wörtlicher Anlehnung an Medicus, der in der Anm. zum Dachboden-Fall eine stärkere Betonung der Situation des Dritten gefordert hatte, JZ 1995, 308, 309. 140 BGH NJW 1998, 1062.
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komplexeren Darlehens- und Finanzierungsvorgängen im Rahmen einer einheitlichen Finanzmaßnahme sei dies bei Einbeziehung des bürgenden Kreditinstituts, auf dessen Bürgschaft hier ein weiterer (höherer) Darlehensbetrag gewährt werde, der Fall. Eine Vervielfältigung des Risikos des Verpflichteten trete hierdurch nicht ein. Auch sei das fehlerhafte Gutachten für die Eingehung der Bürgschaftsverpflichtung ursächlich geworden. „Jedenfalls im geschäftlichen Verkehr muß sich ein Kreditinstitut, das sich gegenüber einem Realkreditgeber verbürgt, der ein dinglich gesichertes Darlehen gewährt, darauf verlassen können und dürfen, der Realkreditgeber habe die Werthaltigkeit des Beleihungsobjekts ordnungsgemäß anhand entsprechender Unterlagen geprüft. Eine eigene Prüfungspflicht dieser Unterlagen obliegt dem bürgenden Kreditinstitut in diesem Umfang jedenfalls im Verhältnis zu dem das Wertgutachten erstellenden Sachverständigen nicht. Damit ist im Ergebnis auch ohne Belang, ob die Stadtsparkasse N. vom Inhalt des Wertgutachtens Kenntnis hatte." 141 Trotz der Verfestigung seiner Rechtsprechung verweigert das Schrifttum dem Bundesgerichtshof mehr und mehr die Gefolgschaft. 142 Canaris sieht mit diesem Fall den genuinen Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte verlassen. 143 Eine derartige Bestimmung des Pflichteninhalts sei beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „zumindest kraß atypisch, ja geradezu widersinnig". Aus ihr werde deutlich, dass die Ansprüche des Dritten gegen den Sachverständigen letztlich nicht aus der Rechtsstellung des Gutachtenauftraggebers abgeleitet oder zumindest an diese angelehnt seien, sondern originären Charakter hätten. Für Kiss ist das Urteil „symptomatisch dafür, daß der eingeschlagene Weg nicht der richtige sein kann". 1 4 4
(6) Die Abschlussprüfer-Fälle Das - zumindest vorläufige - Ende in der Entwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bildet die Anwendung auf den handelsrechtlichen Abschlussprüfer. (a) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. 4. 1998 Hatte noch Claussen angesichts der Entwicklung dieser Figur durch die Rechtsprechung den Berufsstand der Wirtschaftsprüfer gewarnt, „wann dieses Richter-
141 BGH NJW 1998, 1062. 142 Medicus, WuB I V A . § 328 BGB 1.98, will hinsichtlich der Einbeziehung des Bürgen „eher an eine Drittschadensliquidation denken, deren Merkmale ja gerade die (vom Standpunkt des Schädigers aus zufällige) Schadensverlagerung bildet". 143 Canaris , JZ 1998, 603, 604. 144 Kiss, W M 1999, 117, 118.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
recht den Abschlußprüfer erreicht, ist offen", 145 so besteht auch darüber nunmehr Gewissheit. Denn in seiner Entscheidung vom 2. 4. 1998 erstreckte der Bundesgerichtshof den Gedanken vertraglicher Drittschutzwirkung auch auf den Prüfungsvertrag zwischen einer Kapitalgesellschaft und einem Abschlussprüfer über eine Pflichtprüfung nach den §§ 316 ff. HGB. 1 4 6 Die Klägerin, eine Gesellschaft, erwarb von dem Alleingesellschafter einer GmbH sämtliche Geschäftsanteile zum Kaufpreis von DM 2,5 Mio. Die beklagten Wirtschaftsprüfer hatten zuvor von dem Alleingesellschafter den Auftrag zur Pflichtprüfung nach §§ 316 ff. HGB erhalten. Mit einem Schreiben an den Alleingesellschafter der GmbH und einem weiteren Faxschreiben zu Händen eines von der Klägerin hinzugezogenen Wirtschaftsprüfers teilten die Beklagten mit, der nunmehr vorliegende Jahresabschluss werde von ihnen nicht mehr geändert und könne von ihnen bestätigt werden. Da sich später Unregelmäßigkeiten in der Buchführung der GmbH herausstellten, wies der endgültige Jahresabschluss, für den die Wirtschaftsprüfer nach § 322 HGB einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilten, anstelle eines von ihnen angenommenen Überschusses einen erheblichen Fehlbetrag auf. Die Klägerin verlangte von den Beklagten Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises und machte geltend, sie hätte die Geschäftsanteile in Kenntnis des tatsächlichen Geschäftsergebnisses nicht oder nur zu einem symbolischen Preis von DM 1 erworben. Der Bundesgerichtshof hatte sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob sich eine Haftung der Wirtschaftsprüfer gegenüber der Käuferin bereits aus § 323 Abs. 1 HGB ergibt oder ob dem darin festgelegten Pflichtenumfang der Abschlussprüfer und der Bestimmung der Ersatzberechtigten bei Pflichtverstößen abschließender Charakter zukommt. Nach § 323 Abs. 1 S. 1 HGB ist der Abschlussprüfer zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung und zur Verschwiegenheit verpflichtet. Verletzt er vorsätzlich oder fahrlässig seine Pflichten, ist er nach § 323 Abs. 1 S. 3 HGB der Kapitalgesellschaft und, wenn ein verbundenes Unternehmen geschädigt ist, auch diesem zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Der 3. Senat schloss sich hier der herrschenden Literaturansicht an, die aus dieser Normierung folgert, dass Dritten nach § 323 Abs. 1 S. 3 HGB bei Pflichtverletzungen des Abschlussprüfers keine Ansprüche zustehen. Eine Ausdehnung der Schadensersatzpflicht gegenüber weiteren Dritten, wie etwa Aktionäre/ Gesellschafter oder Gläubiger der Kapitalgesellschaft, im Wege der Auslegung oder Analogie verbiete sich. Dies laufe dem Ziel zuwider, das Haftungsrisiko des Abschlussprüfers zu begrenzen und lasse besorgen, dass die Kapitalgesellschaft 145 Claussen in KölnerKomm zum AktG, Bd. 4, 2. Aufl. 1991, § 323 HGB Rn. 22. Untrügerisch war dabei die Vorahnung Claussens: „Angesichts der Entwicklung des Rechtsgedankens von der Schutzwirkung gegenüber Dritten und des Anstiegs von Rechtsprechung zur Haftung von Abschlußprüfern insgesamt [ . . . ] ist davon auszugehen, daß [§ 323 HGB] Abs. 1 S. 3 die Haftung von Abschlußprüfern nicht auf Dauer abschließend regelt." 146 BGHZ 138, 257 = NJW 1998, 1948 = JZ 1998, 1013 = ZIP 1998, 826 = W M 1998, 1032 = NZG 1998,437 (hier dargestellt mit vereinfachtem Sachverhalt).
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ihre ohnehin beschränkten Ansprüche mit Dritten teilen müsse. Gleichwohl sahen sich die Richter durch § 323 HGB nicht gehindert, die Käuferin in den Schutzbereich des Prüfvertrages mit den Wirtschaftsprüfern einzubeziehen. Zwar gehöre die den Beklagten vorgeworfene Pflichtverletzung in den Bereich, der von der Regelung des § 323 HGB erfasst werde. Es gehe hier aber um die „weitergehende Frage", ob und unter welchen Voraussetzungen sich ein Abschlussprüfer, der mit der Pflichtprüfung betraut ist, für Begutachtungen, Testate oder andere Äußerungen, die mit dem Prüfgegenstand im Zusammenhang stehen, auch gegenüber Personen haftbar machen kann, die nicht Vertragspartner des Prüfvertrags sind und auch nicht zu den in § 323 HGB angesprochenen verbundenen Unternehmen gehören. Zur Beantwortung dieser Frage seien die Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte heranzuziehen, wie sie die Rechtsprechung auf Personen mit vom Staat anerkannter Sachkunde gerade auch bei Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers und des Dritten anwende.147 In dem Bemühen um eine Abgrenzung betonten die Richter, es bestünden „keine Bedenken, diese Grundsätze auch in Fällen anzuwenden, in denen ein Abschlußprüfer mit der Pflichtprüfung einer Kapitalgesellschaft betraut ist, wenn sich für ihn nur hinreichend deutlich ergibt, daß von ihm anläßlich dieser Prüfung eine besondere Leistung begehrt wird, von der gegenüber einem Dritten, der auf seine Sachkunde vertraut, Gebrauch gemacht werden soll." 1 4 8 Die Begrenzung der Ersatzberechtigten durch § 323 Abs. 1 S. 3 HGB schließe eine vertragliche Dritthaftung des Abschlussprüfers „schon im Vorfeld der Testaterteilung" nicht von vornherein aus. „Eine derartige Sperrwirkung gegenüber der Möglichkeit einer interessengerechten, auch dem Grundsatz der Privatautonomie Rechnung tragenden Gestaltung der Haftungsbedingungen ist der Vorschrift in dieser Weise nicht zu entnehmen."149 Da die Dritthaftung wesentlich darauf beru147
So unter Nennung der o. dargestellten Urteile. Weit früher hatte man im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum bereits den Gedanken des Prüfungsvertrags als Vertrag mit Schutzwirkung für Aktionäre und Gläubiger vertreten (und worauf sich nunmehr der BGH bezieht, NJW 1998,1950), so etwa Kropff in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. 3,1973, Rn. 32 zu § 168 a.F. m. w. N. aus der damaligen Literatur: Zwar könne regelmäßig nicht angenommen werden, dass der Abschlussprüfer bereit sei, einer unbekannten Vielzahl von Gläubigern und Aktionären sowie potentiellen Aktienerwerbern für die Richtigkeit seines Bestätigungsvermerks einzustehen. „Anders liegt es, wenn bei Auftragsannahme Übereinstimmung darüber besteht, daß die Prüfung auch im Interesse eines bestimmten Dritten durchgeführt werde und das Prüfungsergebnis diesem Dritten als Entscheidungsgrundlage dienen soll, ζ. B. wenn dem Prüfer bekannt ist, daß die Anteile an der Gesellschaft verkauft sind und die endgültige Höhe des Kaufpreises vom testierten Bilanzergebnis abhängt. Dann liegt in der Übernahme des Auftrags die schlüssige Erklärung des Prüfers, auch im Interesse des Dritten gewissenhaft und sorgfältig prüfen zu wollen und der Dritte hat aus einer Verletzung dieser Pflicht unmittelbare Ansprüche gegen den Prüfer." In der Literatur überwogen aber insgesamt eher restriktive Haftungstendenzen, vgl. zum Meinungsspektrum Quick, BB 1992,1675,1680 f. 148 BGH NJW 1998, 1949. 149 Und so der BGH weiter (NJW 1998, 1950): „Es gibt jedenfalls keinen Grund, das schutzwürdige Vertrauen eines in den Schutzbereich des Prüfvertrages einbezogenen Dritten auf die Richtigkeit einer solchen Ankündigung schlechthin ohne haftungsrechtliche Sanktion zu lassen."
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
he, dass es Sache der Vertragsparteien sei zu bestimmen, gegenüber welchen Personen eine Schutzpflicht begründet werden solle, werde § 323 Abs. 1 HGB nicht berührt oder gar missachtet.150 Allerdings sei § 323 HGB maßgeblich für die Bestimmung des Kreises der in den Schutzbereich einzubeziehenden Dritten. Die in § 323 HGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Intention, das Haftungsrisiko des Abschlussprüfers angemessen zu begrenzen, erfordere auch im Rahmen der vertraglichen Dritthaftung Bedeutung.151 „Die Einbeziehung einer unbekannten Vielzahl von Gläubigern, Gesellschaftern oder Anteilserwerbern in den Schutzbereich des Prüfauftrages würde dieser Tendenz zuwiderlaufen. Daß der Abschlußprüfer bereit ist, ein so weitgehendes Haftungsrisiko zu übernehmen, kann regelmäßig nicht angenommen werden. Anders liegt es, wenn die Vertragsteile bei Auftragserteilung, gegebenenfalls auch zu einem späteren Zeitpunkt, übereinstimmend davon ausgehen, daß die Prüfung auch im Interesse eines bestimmten Dritten durchgeführt werde und das Ergebnis diesem Dritten als Entscheidungsgrundlage dienen soll. Jedenfalls in solchen Fällen liegt in der Übernahme des Auftrags die schlüssige Erklärung des Prüfers, auch im Interesse des Dritten gewissenhaft und unparteiisch prüfen zu wollen." Und ebenso von Bedeutung für die Haftung aufgrund einer Schutzwirkung aus dem Prüfvertrag sei die Haftungsbeschränkung des § 323 Abs. 2 HGB. Diese Vorschrift gehe den vertragsrechtlichen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts als Spezialregelung vor. 1 5 2 (b) Die gesetzgeberische Stellungnahme zum KontraG Ihre Brisanz erhielt diese Entscheidung durch den Umstand, dass unmittelbar vor Urteilsverkündung im Rahmen der Beratungen des Gesetzes über Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KontraG) vom 27. 4. 1998 153 die Frage der Dritthaftung von Abschlussprüfern ausdrücklich behandelt worden war. 1 5 4 In seiner Stellungnahme zum KontraG-Entwurf der Bundesregierung hatte der Bundesrat auf Initiative der Wirtschaftsprüferkammer empfohlen, in § 323 Abs. 1 HGB festzuschreiben, dass Abschlussprüfer anderen als den in Satz 3 genannten Personen für eine fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten nicht haften. 155 Die Schadensersatzpflicht sollte, so die Begründung, „ausschließlich" gegenüber der Kapitalgesellschaft und den verbundenen Unternehmen bestehen.156 „Ein darüber hinausgehender Schadensersatz an Dritte sollte gesetzlich ausgeschlossen werden. Wenn 150 BGH NJW 1998, 1949. 151 Weber nennt dies in seiner Analyse des Urteils „Ausstrahlungswirkung" im Gegensatz zur vom BGH verworfenen „Sperrwirkung", NZG 1999, 1, 3. 152 BGH NJW 1998, 1951. 153 BGBl. 19981, S. 786. 154 Dies wurde jedoch im Urteil des BGH nicht erwähnt, was Ebke, JZ 1998, 991, 994, als „befremdlich" kritisiert. 155 Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 13/9712 vom 28. 1. 1998, S. 35. 156 Ebenda.
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die Frage des Schadensersatzes allein der Rechtsprechung überlassen wird, bedeutet dies für einen Abschlußprüfer i.S. von § 323 Abs. 1 Satz 1 HGB das Vorliegen von unkalkulierbar hohen wirtschaftlichen Risiken. Um diese bei fahrlässigem Handeln von vornherein auszuschließen, ist eine gesetzliche Festlegung notwendig." 1 5 7 Demgegenüber hielt der Rechtsausschuss des Bundestages eine Regelung zur Dritthaftung, wie sie der Bundesrat in seiner Stellungnahme vorgeschlagen hatte, für „derzeit nicht erforderlich". 158 „Schon der bisherige Gesetzeswortlaut gewählt nur der geprüften Kapitalgesellschaft oder einem verbundenen Unternehmen einen Schadensersatzanspruch und schließt den Anspruch eines Dritten schon vom Wortlaut her aus." 159 Und, so stellte der Rechtsausschuss - noch vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs - abschließend fest, dieses Verständnis werde auch durch die Rechtsprechung bestätigt. 160 (c) Die Entscheidung des LG Frankfurt vom 8. 4. 1997 Das vom Rechtsausschuss stellvertretend für die Rechtsprechung angeführte Urteil des LG Frankfurt vom 8. 4. 1997 hatte die Klage einer Bank gegen eine Wirtschaftsprüfergesellschaft wegen fehlerhaftem Jahresabschluss abgewiesen, die dem geprüften Unternehmen unter Vorlage der Jahresabschlüsse Darlehen gewährt hatte und damit ausgefallen war. 161 Die Bank hatte geltend gemacht, aufgrund des Bestätigungsvermerks der Wirtschaftsprüfer im Jahresabschluss darauf vertraut zu haben, dass dieser den gesetzlichen Vorschriften entspreche und darin enthaltene Angaben korrekt seien. Auch das LG Frankfurt hatte die Voraussetzungen für eine Haftung der Wirtschaftsprüfer nach den vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätzen über den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte grundsätzlich bejaht. 162 „Nach der neueren Entwicklung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wird allgemein angenommen, daß der Prüfungsauftrag eines Unternehmens an eine Wirtschaftsprüfergesellschaft die Haftung auch gegenüber Dritten herbeiführen kann, sofern der Prüfungsauftrag inhaltlich dazu bestimmt ist, einem Dritten als 157 Die Bundesregierung hatte in ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates gegen den vorgeschlagenen Haftungsausschluss keine Bedenken geäußert, BT-Drucks. 13/ 9712 vom 28. 1. 1998, S. 37. 158 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 13/10038 vom 4. 3. 1998, S. 25. 159 Ebenda. 160 So unter Berufung auf LG Frankfurt BB 1997, 1682; Entsprechend der Bewertung dieser gesetzgeberischen Äußerung zu § 323 Abs. 1 HGB wird denn auch in der Literatur deren Vereinbarkeit mit dem Urteil des BGH vom 2. 4. 1998 sehr geteilt beurteilt: Vgl. einerseits Ebke, JZ 1998, 991, 992; andererseits Grunewald, ZGR 1999, 583, 595 f. u. Feddersen, W M 1999, 105, 116; Weber, NZG 1999, 8, etwa meint, seit dem Urteil sei die vom Rechtsausschuss vertretene Auffassung „obsolet".
161 LG Frankfurt BB 1997, 1682. 162 LG Frankfurt BB 1997, 1683.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Entscheidungsgrundlage für wirtschaftlich bedeutende Vermögensdispositionen zu dienen." Danach könne eine Bank, die auf das Testat eines Wirtschaftsprüfers oder Steuerberaters vertrauend Kredite bewilligt oder verlängert, in den Schutzbereich des Vertrages des Wirtschaftsprüfers mit dem geprüften Unternehmen einbezogen werden. Gleichwohl lehnte das Landgericht in diesem Fall die Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte unter Verweis auf die „gesetzlichen Haftungsbeschränkungen bei der Durchführung von Abschlußprüfungen" nach § 323 Abs. 1 S. 3 HGB ab, „weil sie unter Mißachtung des Vorranges der Wertungen des Gesetzgebers die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschreitet". 163 Es müsse angenommen werden, dass eine vertragliche Haftung des Abschlussprüfers nicht gewollt sei. 164 (d) Die Entscheidung des LG Hamburg vom 22. 6. 1998 In gleicher Weise hat nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs in einem ähnlich gelagerten Sachverhalt das LG Hamburg in seinem Urteil vom 22. 6. 1998 entschieden.165 Auch das LG Hamburg hat für die Frage der Haftung eines Abschlussprüfers wegen fehlerhaftem Bestätigungsvermerk gegenüber einem Kreditgeber der geprüften Gesellschaft, dem die Jahresabschlüsse bei den Verhandlungen über die Kapitalgewährung vorgelegt worden waren, die Einschlägigkeit der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bejaht. 166 Das LG Hamburg folgert jedoch ebenso wie das LG Frankfurt aus § 323 Abs. 1 S. 3 HGB, dass Dritten für den Bereich der Pflichtprüfung bei Pflichtverletzungen des Abschlussprüfers keine Ansprüche zustehen. Bereits der Wortlaut spreche „e contrario" für einen Ausschluss von Ansprüchen für weitere vertragsfremde Dritte, die in der Vorschrift nicht genannt werden. § 323 Abs. 1 S. 3 HGB wäre überflüssig, wenn eine vertragliche Haftung des Abschlussprüfers im Bereich der Pflichtprüfung gegenüber allen Dritten, die auf die Richtigkeit des Testats vertrauen, zugelassen werden sollte. 167 In Abgrenzung zum Urteil des Bundesgerichtshofs hebt das Gericht hervor, dass kein direkter Kontakt zwischen den Wirtschaftsprüfern und der klagenden Bank im Vorfeld oder sonst im Zusammenhang mit der Erteilung der Testate für die Auftraggeberin stattgefunden habe. Es seien hier keine Erklärungen der Bank gegenüber abgegeben worden.
163 LG Frankfurt BB 1997, 1683. 164 So LG Frankfurt BB 1997, 1683, unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte und Gesetzesmaterialien. 165 LG Hamburg W M 1999, 139 m. Anm. Feddersen, W M 1999, 105. 166 LG Hamburg W M 1999, 141. 167 Das LG Hamburg beruft sich für seine historische Auslegung insbesondere auf die o.g. Materialien zum KontraG, W M 1999, 141 f.
Β. Der heterogene Verlauf dieser Entwicklung
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B. Der heterogene Verlauf dieser Entwicklung I. Die einzelnen Entwicklungsschritte und ihre Widersprüchlichkeit 1. Die Entwicklungsschritte der Rechtsfigur Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, so der erste Eindruck, hat einen wahren „Siegeszug" durch die Jurisprudenz vollzogen, stets geleitet von dem Ziel, die Defizite im Recht der unerlaubten Handlung durch immer großzügigere Gewährung vertraglicher Ansprüche auszugleichen. Die aufgezeigte Entwicklung der Rechtsprechung hin zu dem eigenständigen Rechtsinstitut in seiner heutigen Gestalt ist geprägt von einem sich in unterschiedliche Richtungen ausweitenden Anwendungsbereich. Vorgegangen wird dabei stets nach derselben Methode, auch Dritte, an einem Vertrag nicht unmittelbar beteiligte Personen in den Schutzbereich eines Vertrages einzubeziehen, so dass der Schuldner ihnen gegenüber dann zwar nicht zur Leistung, wohl aber zum Schadensersatz verpflichtet sei. Ihren Ausgangspunkt hat die Figur in der Anwendung der §§ 328 ff. BGB auf Mietverträge, PersonenbeförderungsVerträge und ärztliche Behandlungsverträge durch das Reichsgericht zum Schutz von Familienangehörigen und Hausangestellten. Anfangs „nur zögernd" erfolgte eine Ausweitung über diese Vertragsarten hinaus. 168 Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und auch noch die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beschränkte den vertraglichen Drittschutz dabei zunächst auf Personenschäden, ohne darin allerdings ein tatbestandliches Abgrenzungsmerkmal zu sehen.169 Angesichts der späteren Erweiterung auf Sach- und insbesondere Vermögensschäden handelt es sich bei dieser anfänglichen Beschränkung in der offiziellen Lesart des Bundesgerichtshofs auch nur um einen „dogmengeschichtlichen Zufall". 1 7 0 Entsprechend dem zunächst beschränkten Anwendungsbereich ging es meistens um die Uberwindung des § 831 BGB und zuweilen auch darum, mit Hilfe der positiven Vertragsverletzung der kurzen Verjährung deliktischer Ansprüche nach § 852 BGB zu entgehen.171 Treffend sieht von Caemmerer die „Wurzel dafür, daß die Praxis den Vertrag zugunsten Dritter heranzieht, um haftungsrechtliche Probleme bewältigen zu können", darin, „daß die Ordnung der Haftung für Hilfspersonen, wie 168 So die Bewertung von Canaris , JZ 1965,475,478. 169 Soergel /Hadding, BGB, Anh. § 328 Rn. 2. 170 So BGH NJW 1996, 2927, 2928 unter Berufung auf „maßgebliche Stimmen in der Literatur", namentlich Lorenz, JZ 1966, 143; StaudingerI Jagmann, BGB, Vor § 328 Rn. 96. Forciert wurde diese Entwicklung durch Bemerkungen aus dem Schrifttum, vgl. etwa Canaris, JZ 1965,478: Die Beschränkung auf den Ersatz von Körperschäden „ist unrichtig, da hier auch wie bei allen anderen Schutzpflichten ebensogut auch Sachwerte anvertraut bzw. gefährdet sein können und damit als Schutzobjekt anzuerkennen sind". 171 So Lorenz, JZ 1966, 143.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
sie § 831 BGB im Deliktsrecht vorsieht, unzulänglich ist". 1 7 2 Anfängliches Motiv der Konstruktion des vertraglichen Ersatzanspruchs war damit, das machen die eingangs dargestellten Urteile deutlich, die Anwendung von § 278 BGB. Gleichfalls stark eingeschränkt war zunächst auch der hierdurch geschützte Personenkreis. Diesen legte der Bundesgerichtshof anknüpfend an die Rechtsprechung des Reichsgerichts 173 dahingehend fest, dass nur solche Personen einzubeziehen seien, denen gegenüber der Gläubiger schütz- und fürsorgepflichtig war, erstmals festgelegt im Capuzol-Fall mit der sog. „Wohl und Wehe"-Formel. Doch, wie der Bundesgerichtshof selbst nüchtern resümiert, ist die Rechtsprechung „hierbei nicht stehengeblieben".174 Sie hat die Einbeziehung dritter Personen in vertragliche Beziehungen, an denen sie selbst nicht teilhaben, in Weiterentwicklung dieses Grundgedankens, - eingeleitet mit dem Testaments-Fall - auf Vermögensschäden ausgedehnt. Der Bundesgerichtshof ließ sich in jener Entscheidung von der Annahme rechtsgeschäftlicher Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts gegenüber der Tochter aus dem Sinn und Zweck des Vertrages und den Grundsätzen von Treu und Glauben leiten. 175 Stand dabei noch ein Schutz- und Fürsorgeverhältnis zwischen dem geschützten Dritten und dem Gläubiger im Vordergrund, 176 so hat der Bundesgerichtshof in der Folgezeit - im Lastschriftverfahren-Fall und insbesondere im Käufergruppe-Fall - auf dieses Erfordernis verzichtet und lediglich nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen geprüft, ob die Vertragsparteien den Willen hatten, zugunsten eines Dritten eine Schutzpflicht zu begründen. 177 Und „auf dieser Entwicklungslinie", so das weitere offizielle Resümee, hat sich dann eine „Berufshaftung für Rechtsanwälte, Sachverständige, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer herausgebildet". 178 Es handele sich dabei um „Berufsgruppen, die über eine besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügen und deren Vertragsleistungen von vornherein erkennbar zum Gebrauch gegenüber einem Dritten bestimmt sind und nach dem Willen des Auftraggebers mit einer entsprechenden Beweiskraft ausgestattet sein sollen, so etwa ganz deutlich bei einer Bilanz oder einem Sachverständigengutachten, die nicht für das 172
von Caemmerer, FS Wieacker, S. 311 f. Ein Ausnahme bildet insoweit die Entscheidung des Reichsgerichts im sog. SaalmieteFall v. 4. 4. 1939, RGZ 160, 153: Das RG hat bei der Vermietung eines Saales für eine Veranstaltung angenommen, dass der Gastwirt gegenüber allen Festteilnehmern und Bühnendarstellern vertraglich dafür hafte, dass Zugänge und Nebenräume des Saales in gefahrlosem Zustand waren. 173
™ BGH NJW 1996, 2928; zu diesem Urteil Lorenz in einer Anm., JZ 1997, 361: Der BGH habe „die richterrechtliche Entwicklung dieses Rechtsinstituts von dessen Anfängen bis in die neuere Zeit in lehrbuchartiger Klarheit" nachgezeichnet. 175 So später der BGH NJW 1996, 2928. 176
Ziegltrum, Vertrag, S. 89, spricht daher von „zweigleisiger Begründung", einerseits ein Abstellen auf Fürsorgepflichten begründende familiäre Beziehungen, andererseits auf den Zweck des Mandatsvertrags. 1 77 BGH NJW 1996, 2928. ne BGH NJW 1996, 2928.
Β. Der heterogene Verlauf dieser Entwicklung
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Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und Sachverständigem oder Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bestimmt sind". 1 7 9
2. Die einzelnen Widersprüche Dabei verlief diese Entwicklung keineswegs homogen oder auch nur bruchlos. 1 8 0 Vielmehr sind die von der Rechtsprechung vollzogenen Entwicklungsschritte bei genauerer Betrachtung jeweils in Widerspruch zu dem bis dahin geltenden Verständnis der Rechtsfigur getreten.
a) Von Schutz- zu Leistungspflichten Ein solcher Widerspruch ist auszumachen in der anfänglichen Beschränkung der Drittwirkung auf „bloße" Neben- und Schutzpflichten und ihrer Erweiterung auf Leistungspflichten im Testaments-Fall. Gerade der gedanklichen Aufspaltung der vertraglich geschuldeten Pflichten in (Haupt-)Leistungspflichten und Sorgfaltsbzw. Schutzpflichten, wie sie von Larenz ausging und im Capuzol-Fall vom Bundesgerichtshof übernommen wurde, verdankt die Rechtsfigur ihren Namen und ihre heutige Gestalt. Denn der Unterschied zwischen dem Vertrag zugunsten Dritter und dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte - mithin der Grund für die eigenständige Rechtsfigur - sollte darin liegen, dass es beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nicht darum geht, dem Dritten ein Recht auf die Leistung einzuräumen. 181 Es sollte vielmehr nur ein Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht zustande kommen, das die Verletzung bloßer Schutzpflichten im Erfüllungsstadium des Vertrags erfasst. 182 Mit dieser Positionierung kollidierte nun aber der Testaments-Fall. Die schadensursächliche Pflichtverletzung konnte hier nicht mehr als Verletzung einer neben der Hauptleistungspflicht bestehenden Schutzpflicht auch gegenüber dem Dritten gedeutet werden. Sie bestand eben gerade in der Nichterfüllung der Leistung. Verletzt war damit einzig und allein die Pflicht, auf die der Dritte nach der Dogmatik des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte keinen Anspruch hat und im Unterschied zum Vertrag zugunsten Dritter auch nicht haben soll, weil es hier lediglich um Schutzpflichten gehe. 183 Gleichwohl wurde auch der 179 BGH NJW 1996,2928. 180 So auch Lorenz, JZ 1966, 143. 181 Dazu Larenz, JZ 1962, 109: „Mit der Anerkennung solcher Schutzwirkungen Dritten gegenüber konnte die Fiktion eines echten, auf Begründung eines Forderungsrechts gerichteten Vertrags zugunsten eines Dritten, deren sich die Rechtsprechung vorher bedient hatte, aufgegeben werden." 182 So Ziegltrum, Vertrag, S. 110 f. 183 So wundert sich Lorenz, JZ 1966, 144, dass der Klägerin „letzlich dasselbe gewährt wird, was ihr als (Mit-)Gläubigerin des Anwaltsvertrags wegen schuldhafter Säumnis 5 Plötner
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Ersatz von Schäden aus der Verletzung primärer Leistungspflichten einbezogen, ohne dabei allerdings diesen Widerspruch auflösen zu können. Eben aus diesem Grunde verweigerte Medicus dem Bundesgerichtshof - zunächst - die Gefolgschaft. 184 Was die Erbin verlange, sei Schadensersatz wegen Nichterfüllung und den könne sie nur fordern, wenn ihr auch ein Erfüllungsanspruch zugestanden hätte. Zur nachträglichen und eher pragmatischen Rechtfertigung des Urteils führte von Caemmerer an, dass der Fall nicht anders entschieden werden dürfe als bei einem Formfehler der Urkundsperson; dann aber liege Schlechterfüllung vor und für einen Schadensersatzanspruch bestehe kein Hindernis. 185 Erst dieses Argument bewirkte einen „gewissen Meinungsumschwung" in der zunächst überwiegend kritischen Literatur. 186
b) Die Ausdehnung des geschützten Personenkreises Ein weiterer Widerspruch ergab sich bei der Ausdehnung des geschützten Personenkreises. Noch in ihrer ursprünglichen Ausrichtung im Capuzol-Fall sollte die Schutzwirkung davon getragen und begrenzt werden, dass zwischen Gläubiger und Drittem ein Sorgeverhältnis mit personenrechtlichem Einschlag bestehe. Auf diese Weise könne dem Gebot der Rechtssicherheit und dem auch schützenswerten Interesse des Schuldners, für den das Risiko der von ihm eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen überschaubar und kalkulierbar bleiben müsse, entsprochen werden, den Kreis der zu schützenden Personen einzugrenzen. Denn die Einbeziehung in den Schutzbereich eines Vertrages sei „sinnfällig" und dem Schuldner ohne weiteres einsichtig, wenn seinem Vertragspartner gegenüber Dritten eine gesteigerte Fürsorgepflicht obliege, ihm gleichsam deren „Wohl und Wehe" anvertraut sei. 187 Auf dieser Grundlage wurden vor allem Familienangehörige und Arbeitnehmer des Gläubigers geschützt. Diese zunächst für die Figur grundlegende enge Anbindung des Dritten an den Gläubiger des Vertrags ist dann, nachdem auf den personenrechtlichen Einschlag bereits zuvor verzichtet worden war, im Konsul-Fall in des Schuldners als nicht befriedigtes primäres Leistungsinteresse zuzusprechen gewesen wäre". Im Unterschied zu den vorherigen Fällen der Drittberechtigung sei eine „echte Gläubigerstellung des Dritten" anzuerkennen, denn es handele sich „nicht mehr nur darum, aus fremdem Vertrag zu seinen Gunsten eine Schutzpflicht abzuspalten, sondern er hat das eigentliche geldwerte Interesse an der Leistungserbringung durch den Schuldner". 184 Medicus, Bürgerl. Recht, 17. Aufl. 1996, Rn. 847a, hatte die Entscheidung bis zur 9. Aufl. für unrichtig gehalten. Auch Hohloch, FamRZ 1977, 530, 532, meint, die Lehre von der Schutzwirkung des Vertrages „sollte, damit sie mit ihrem rechtspolitischen Entstehungsgrund im Einklang bleibt, beschränkt bleiben auf die Verletzung von Verhaltenspflichten, die zu Rechtsgutverletzungen i.S. des § 823 I BGB führen". 185 von Caemmerer, FS Wieacker 1978, S. 311, 321 f. 186 So Lorenz, JZ 1995, 317, 321; dem Argument von Caemmerers schloss sich später auch Medicus an, ders., Bürgerl. Recht, Rn. 847a. 187 So wiederum das Resümee in BGH NJW 1996, 2928.
Β. Der heterogene Verlauf dieser Entwicklung
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ihr genaues Gegenteil umgeschlagen.188 Mit der Einbeziehung auch von Personen mit „gegenläufigen Interessen" gegenüber denen des Gläubigers wurde schon dem Wortsinne nach mit den Anfängen der Rechtsfigur gebrochen, was die Rechtsprechung aber wiederum nicht daran hinderte, diesen Schritt zu vollziehen. 189 c) Das Abrücken von eng gesetzten Grenzen Entsprechend widersprüchlich muss es schließlich auch erscheinen, wenn die Rechtsprechung einerseits - ganz offensichtlich noch um einen behutsamen Umgang mit der unsicheren Figur bemüht - strikt postuliert, dass „die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrages - soll die vom Gesetzgeber getroffene unterschiedliche Ausgestaltung von Vertrags- und deliktischer Haftung nicht aufgegeben oder verwischt werden - eine Beschränkung auf eng begrenzte Fälle " erfordere, und diese enge Grenze jedenfalls bei Vorliegen eines engen familienrechtlichen Bandes zwischen Gläubiger und Drittem als noch nicht überschritten wähnt, 190 sie andererseits - nur ein Jahr später - jegliche Zurückhaltung und Scheu verloren hat und die Beschränkung der Schutzwirkung auf Fälle mit personenrechtlichem Einschlag schlicht als nunmehr „unnötig eng" verwirft. 191 Man ist damit aus der soeben noch selbst auferlegten Beschränkung klar ersichtlich ausgebrochen.
II. Der tiefgreifende Bruch in der Entwicklung der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte 1. Der inhaltliche Dogmenwechsel Die chronologisch dargestellte Entwicklung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte offenbart den tiefgreifenden Wandel, dem die Rechtsfigur durch die Recht188 Zu Recht daher Canaris , JZ 1995, 442: „Von der 'Fürsorgepflicht' des primären Vertragspartners für den geschützten Dritten bis zu 'Gegenläufigkeit' ihrer Interessen ist es wahrlich ein weiter Weg!" Und ders. (S. 443): Es handele sich dabei nicht nur um eine geringfügige Ausweitung dieses Rechtsinstituts oder gar um eine bloße Randkorrektur, sondern um eine tiefgreifende Veränderung seines Anwendungsbereiches. 189 Diese Entwicklung abstrakt zusammenfassend Neuner, JZ 1999, 126: „Der anfangs restriktiven Handhabung folgt eine Verselbständigung, die wissenschaftliche Diskussion gewinnt eine Eigendynamik und der Blick auf die gesetzliche Einbindung [ . . . ] geht zunehmend verloren." Beispielhaft zur Unvereinbarkeit des ursprünglichen Ansatzes mit dem Vermögensschutz der Unternehmensgläubiger in den Abschlussprüfer-Fällen Gloeckner, Haftung, 1967, S. 50 f. 190 BGHZ 66, 51, 57 = NJW 1977, 776, 777: Gemüseblatt-Fall (Hervorheb.v.Verf.).
191 So der o.g. Lastschriftverfahren-Fall, BGHZ 69, 86. Auf diese verwirrenden höchstrichterlichen Stellungnahmen weist auch bereits Ziegler, JuS 1979, 328, 329 f., hin: Den Ausführungen zur Schutzbereichsbestimmung könne „schon wegen ihrer Unklarheit und Widersprüchlichkeit nicht gefolgt werden" (S. 330). 5*
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
sprechung unterzogen wurde. Anhand der aufgezeigten Widersprüche ist ein deutlicher Bruch in dieser Entwicklung auszumachen, der in der Erfassung auch primärer Vermögensschäden seine Ursache findet. Dieser Bruch wird dokumentiert durch die heute zur Bestimmung des geschützten Personenkreises in der Rechtsprechung nebeneinander, aber völlig bezugslos herangezogene „Wohl und Wehe"Formel einerseits und allgemeine Auslegungsgrundsätze andererseits. 192 Denn dargestellt ist hiermit nicht lediglich neuer und alter Ansatz einer einheitlichen Rechtsfigur, vielmehr kommt darin eine Zweiteilung der Rechtsfigur zum Ausdruck. 193 Mit der Abkehr von der engen „Wohl und Wehe"-Formel, dem Ersatz von primären Vermögensschäden und der Einbeziehung auch gegenläufiger Interessen wurde nicht nur ein ganz neues Feld von Fallgestaltungen erschlossen, sondern diese grundlegende Umgestaltung des Rechtsinstituts ging zugleich mit einem Dogmenwechsel einher, der die Figur in ihrer ursprünglichen Fassung sprengte.
a) Die zunehmende Kritik der Literatur Dieser Dogmenwechsel ist rein äußerlich festzumachen an den sich verändernden Stellungnahmen des Schrifttums. So spricht Gernhuber der noch auf Personenschäden beschränkten Figur die „Legitimation durch das Gewohnheitsrecht" zu, da sie in ihrem Ergebnis ausreichend verfestigt sei, ohne auf ernsthaften Widerspruch in der Rechtswissenschaft gestoßen zu sein. 194 Ebenso sah auch Lorenz die Figur anfangs „gewohnheitsrechtlich als selbständig anerkannt" an. 1 9 5 Für Larenz entspricht die Erweiterung der Verantwortlichkeit gegenüber Personen, denen der Gläubiger zu Schutz und Fürsorge verpflichtet ist, „offenbar einer gerechten Interessenbewertung" und liege „im Zuge der modernen Rechtsentwicklung". 1 9 6 Soweit demnach neben dem Vertragspartner auch „seinen Leuten" ein 192 So etwa beispielhaft BGH NJW-RR 1986, 1307: „Ist einem Vertragsschließenden Wohl und Wehe des Dritten anvertraut, dann spricht allein schon die objektive Interessenlage der Beteiligten entscheidend für eine Einbeziehung in den Schutzzweck. Die Vertragsparteien [ . . . ] können aber auch dann, wenn es ihnen nicht um das Wohl und Wehe eines Dritten geht oder gehen muß, diesen Dritten in den Schutzbereich ihres Vertrages ausdrücklich oder stillschweigend einbeziehen." Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 192, bezeichnet diese Differenzierung als „Kompromiß" der neueren Rechtsprechung, der allerdings nicht überzeuge. Es handele sich dabei nur um Auslegungsgrundsätze für die ergänzende Vertragsauslegung, so Dahm, JZ 1992, 1168. 193 Gernhuber, Schuldverhältnis, § 21 I 2, beschreibt diese Aufteilung in Verletzung „weiterer Verhaltenspflichten" einerseits und „Verletzung bestimmter Leistungspflichten" andererseits. Ähnlich Hirth, Entwicklung, S. 120 ff. und Martiny, JZ 1996, 22 ff., die „zwei große Kategorien" unterscheiden wollen, je nachdem, ob das Leistungs- oder das Integritätsinteresse betroffen ist. 194 Gernhuber, FS Nikisch 1958, S. 269; zust. Larenz, Schuldrecht I, § 17 I I Fn. 22 (S. 227), für einen „Kernbereich". 195 Lorenz, JZ 1966, 143. 196 Larenz, NJW 1960, 80, unter Hinweis auf Gernhuber.
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vertraglicher Schadensersatzanspruch zugestanden wird - also in den Grenzen der „Wohl und Wehe"-Formel - , will Flume unumwunden „hinsichtlich der vertraglichen Schutzwirkung für Dritte von dem Bestehen eines Rechtssatzes sprechen". 197 Ausschlaggebend für diese weitgehende Akzeptanz des neuen Rechtsinstituts war damit ursprünglich die Überlegung, dass die Personen, die in gleicher Weise wie der Gläubiger mit dem Leistungsgegenstand in Berührung kommen und für deren „Wohl und Wehe" der Gläubiger kraft seiner Fürsorgepflicht verantwortlich sei, auch den Schutz des Vertragsrechts erhalten und nicht auf deliktische Ansprüche, die infolge der Exkulpationsmöglichkeit stark entwertet sind, verwiesen werden sollen. 198 Diese positive Aufnahme im wissenschaftlichen Schrifttum wich jedoch mit der Erweiterung des Anwendungsbereichs gerade auf den Ersatz von Vermögensschäden zunehmender, eingangs dargestellter Kritik. 1 9 9 Seitdem die Rechtsprechung von der „Wohl und Wehe"-Formel abgerückt ist, so die Analyse Pfeiffers, herrscht über den Umfang der Vertragswirkungen zugunsten Dritter Unsicherheit. 200 Es drohe durch die Ausweitung der Rechtsfigur, wie Strauch stellvertretend für das kritische Schrifttum befürchtet, eine „Allwirkung" des Vertragsrechts. 201
b) Die Abkopplung des Anspruchs von den Gläubigerinteressen Inhaltlich besteht dieser Dogmenwechsel der Rechtsprechung zunächst in der veränderten Funktion der Rechtsfigur. Ging es anfangs nur um die günstigere vertragliche Haftungsausgestaltung, so ist nunmehr die ganz andere Funktion in den Vordergrund gerückt, das sanktionslose Leerlaufen von Pflichtverletzungen zu verhindern. 202 Vor allem aber ist dieser Dogmenwechsel festzumachen an der mit dieser Entwicklung einhergehenden Abkoppelung der Drittinteressen von denen des Gläubigers und der Verselbständigung der Position des Dritten. Der Schadensersatzanspruch des Dritten, konstruktiv noch immer in fremdem Schuldverhältnis begründet und vom Gläubigerinteresse abhängig gemacht, wird gerade in den Expertenhaftungs-Fällen der Sache nach in zunehmendem Maße von der Person des Gläubigers gelöst. 203 Ist diese Abkoppelung bereits im Konsul-Fall mit der Einbe-
197 Flume, Rechtsgeschäft, 3. Aufl. 1979, § 16, 4 f. (S. 330 f.): „Der Rechtsprechung ist in der Gewährung des Schutzes an den Dritten durch die Zuerkennung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs zu folgen.[... ] Die Begründung des Schutzes des Dritten war eine Tat." 198 So Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 185. ι " Siehe die in der Einleitung sowie der Rechtsprechungsübersicht (unter A II 2 d bb) angeführten kritischen Stimmen. Die Ansicht Gernhubers wird heute gar als „Flucht in die Behauptung der Existenz von Gewohnheitsrecht" diskreditiert, so Junker, Vertretung, S. 14. 200 Pfeiffer, L M § 328 BGB Nr. 91 Bl. 4. 201 Strauch, JuS 1992, 897, 899 unter Berufung auf Honseil, JuS 1976, 621, 626. 202 So Canaris, FS Larenz, S. 99, in seiner Analyse des Lastschriftverfahren-Urteils: Dies sei eine „neue Fallgruppe des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte".
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
ziehung gegenläufiger Interessen greifbar, so wird sie im Dachboden-Fall mit der Abbedingung von § 334 BGB offensichtlich. 204 Das Lösen von dem ursprünglich tragenden Gedanken des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist nicht mehr zu überspielen. Verfolgt wird hier nun ein anderer, neuer Ansatz, unabhängig von jeglichen Gläubigerinteressen. 205 Notwendigerweise muss dann die Antwort auf die Frage der Rechtfertigung eines Drittschutzes in diesen neuen Fallgestaltungen eine ganz andere sein. Denn wenn nicht ein Interesse des Gläubigers den Drittschutz verlangt, so mit Recht Keitel, ist die Drittschutzverpflichtung in der Beziehung der Vertragsparteien ein Fremdkörper. „Es wäre ein Mißbrauch des Vertragsverhältnisses für fremde Zwecke, einer Partei Pflichten aufzuerlegen, an denen keinem von beiden liegt." 2 0 6
2. Die heutige Problematik Dieser Dogmenwechsel erschwert heute zunehmend eine einheitliche Behandlung der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Sie zerfällt in unterschiedliche, sich widersprechende Ansätze, lediglich zusammengefasst unter einen einheitlichen, allumfassenden Begriff. Dahinter verbergen sich verschiedene Ziele und Aufgaben. Und - was viel schwerer wiegt - es schwindet mit diesem Wandel auch die Präjudizwirkung der mit ihrer Hilfe gefundenen Ergebnisse, so dass sich heute die Frage nach der grundsätzlichen Richtigkeit des eingeschlagenen Lösungswegs stellt.
203 Ebenso die Analyse Bayers, Vertrag zugunsten Dritter, S. 192: Die neuere Rechtsprechung insbesondere im Bereich der Banken- und Expertenhaftung habe sich offensichtlich völlig vom Parteiwillen gelöst. 204 Dabei kann der Annahme, zwischen Verkäufer und Käufer bestünden nur gegenläufige Interessen auch nicht entgegnet werden, beide verbinde ein „objektives gemeinsames Interesse am Sparen", so aber Traugott, Vertraglicher Drittschutz, S. 61. Die von Traugott beschriebenen besonderen Fallkonstellationen, die jeweils als Beweis für das bestehende „gemeinsame Interesse" angeführt werden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Parteien, Käufer wie Verkäufer, stets an einem für sie „vorteilhaften Geschäft" interessiert sind und dass diese Vorteilhaftigkeit notwendigerweise zu Lasten des anderen gehen muss. Zudem muss auch Traugott einräumen, dass in den Fällen mit Täuschungsabsicht die Interessen wirklich gänzlich gegenläufig seien, S. 63. 205 So sieht Bayer gar das Merkmal des Schutzinteresses durch die Rechtsprechung zur Expertenhaftung ganz aufgegeben, JuS 1996, 477: Es sei „keineswegs zwingend", dass der Vertragsgläubiger ein Interesse am Schutz des Dritten habe; es komme letztendlich also nur noch auf die Leistungsnähe an (S. 478). 2 06 Keitel, Rechtsgrundlage, S. 110, der daraus seinerseits folgert, dass auf ein besonderes Interesse des Vertragsgläubigers am Schutz des Dritten, durch das der Vertragsbezug hergestellt werde, nicht verzichtet werden könne.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes I. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte als Form gewillkürter Haftung 1. Die verfehlte Vorstellung vom Parteiwillen als Haftungsgrund des Drittschutzes a) Die Sichtweise der Rechtsprechung Die rechtsdogmatische Grundlage für die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte sehen Rechtsprechung und ein Teil des Schrifttums in einer auf den Parteiwillen zurückzuführenden ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §157 BGB. 2 0 7 Auch unter dem Eindruck lauter werdender Kritik von Seiten des Schrifttums hält der Bundesgerichtshof daran fest, dass „die Ausgestaltung des Drittschutzes durch die Vertragsparteien grundsätzlich deren Gestaltungsfreiheit unterliegt". 208 Gerade der Gesetzgeber habe es in § 328 BGB der Entscheidung der Vertragspartner überlassen, inwieweit durch den Vertrag Rechte Dritter begründet werden; und dies gelte nicht nur für Leistungspflichten, „sondern - nach dem allgemeinen Grundsatz der Vertragsfreiheit - auch für Schutzpflichten". 209 Die Dritthaftung beruhe damit wesentlich darauf, „daß es Sache der Vertragsparteien ist zu bestimmen, gegenüber welchen Personen eine Schutzpflicht begründet werden soll". 2 1 0 Die Rechtsprechung sieht sich nach dem Bekunden des Bundesrichters Lang „dabei noch auf dem relativ sicheren Boden der Auslegung konkludenten Handelns nach dem vermutlichen Willen und der Interessenlage der Beteiligten". 211 Der hiergegen erhobene Vorwurf der Fiktion eines vertraglichen Willens wiege schon deshalb nicht allzu schwer, so Lang selbstgefällig, weil die von der Rechtsprechung gefundenen Ergebnisse weitgehend Zustimmung fänden. 212 Es be207 So die o. unter A. genannten Entscheidungen; ausdrücklich offengelassen in BGHZ 56, 269, 273; 66, 51; NJW 1977, 2073; der Rechtsprechung folgend Palandt/Heinrichs, BGB, § 328 Rn. 14; ebenso zunächst auch Larenz, NJW 1960, 78, 80; and. ders., Schuldrecht I, § 17 I I (S. 226 f.); zust. ferner Dahm, Dogmatische Grundlagen, S. 73 ff.; Odersky, NJW 1989, 1, 3 f. 208 So im Bürgschafts-Fall, BGH NJW 1998, 1059, 1062, unter Berufung auf frühere Judikate; sowie unter Bezugnahme auf die Kritik von Canaris zur stillschweigenden Abbedingung von § 334 BGB im Dachboden-Fall, BGH NJW 1998, S. 1061: „Daran ist trotz Kritik in der Literatur [ . . . ] festzuhalten." 209 So etwa BGH JZ 1985, 951. Es sei dies die „legislative Idee, die der Zentralnorm des § 305 BGB zugrundeliegt", so zustimmend Dahm, JZ 1992, 1170. 210 BGHZ 138, 257, 261 = NJW 1998, 1949. 211 Lang, WPg 1989, 57, 59. 212 Lang, WPg 1989, 59. In diese Richtung, wenn auch durchaus kritisch gegenüber der Rechtsprechung Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 192: Der dogmatischen Kritik stehe
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
stehe weitgehend Übereinstimmung darüber, welche Fälle „'dritthaftungswürdig' erscheinen". 213 b) Die Unhaltbarkeit dieser Position Die Rechtsprechung loziert damit die Haftungsbegründung als ein Problem der Privatautonomie. Das zugrundeliegende Denkmodell ist dabei simpel und verführerisch. Besteht zwischen den Parteien ein Vertrag, so kommt es automatisch zur umfassenden vertraglichen Haftung. Denn im Rahmen vertraglicher Verbindungen sind die Beschränkungen des Deliktsrechts überwunden. Misst man nun dem Vertrag für diese Haftung konstitutive Wirkung bei, so kommt dem Vertragsschluss haftungsbegründender Charakter zu. Durch diesen Rückschluss wird der Vertragsschluss gleichsam zum Mittel der Haftungsbegründung und es steht dann der Weg offen, mittels der Vertragsauslegung als klassischer Juristendomäne auch Dritte in die vertragliche Verbindung einzubeziehen und damit in den Genuss vertraglicher Haftung kommen zu lassen. Ebenso wie den Primäranspruch unterwirft die Rechtsprechung damit auch den Schadensersatzanspruch des Dritten dem Konsensualprinzip. Begründung und Ausgestaltung der Haftung gegenüber dem Dritten stehen damit zur Disposition der Vertragsparteien. Der Haftungsanspruch wird zur besonderen Leistung i.S.v. § 328 BGB, gegründet auf der Freigiebigkeit einer Vertragspartei, ohne dass dafür eine Gegenleistung verlangt werde. Dieser Herleitung zufolge ist der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eine Form lediglich gewillkürten Rechtsschutzes. In krassem Gegensatz zum eigenen Rechtsschutz der Vertragsparteien, den ihnen unbestrittenermaßen das objektive Recht in Form eines Anspruchs aus positiver Vertragsverletzung gewährt, sind es nach der Vorstellung des Bundesgerichtshofs hier folglich die Parteien, die selbst das Recht in die Hand nehmen. Die Einbeziehung des Dritten beruhe allein auf dem Willen der Vertragsparteien, für die - so wird etwa in den Experten-Fällen unterstellt - die ohne ihr Eingreifen allein nach Gesetzeslage bestehende Anspruchslosigkeit des Dritten ein so unerträglicher Zustand ist, dass sie sich hier gegen den Gesetzgeber verbünden, sich gar über diesen erheben und schützend vor den Dritten als ihren „Schutzbefohlenen" stellen. Ihr Bündnis gegen die Härte und Ungerechtigkeit des Gesetzes nämlich des restriktiven Deliktsrechts - sei Grundlage des Anspruchs. Ihrem beherzten Eingreifen für seine Sache verdanke es der Dritte auch, dass etwa im Dachboden-Fall der einer Haftung entgegenstehende § 334 BGB sogar unter Zurückstellung eigener Interessen abbedungen wurde. Angesichts des hier höchstrichterlich dokumentierten Altruismus und Pateraalismus, der sonst allenfalls unter engen Fagegenüber, „daß diese Ergebnisse der Rechtsprechung im Regelfall überzeugen". Aber genau diese ergebnisorientierte „große Koalition" zwischen Rechtsprechung und Schrifttum bricht unter der Last einer nicht mehr nachvollziehbaren „Konstruktionsjurisprudenz" auseinander. So herrscht etwa über den Dachboden-Fall auch im Ergebnis keine Einigkeit, vgl. hierzu eindrucksvoll den Diskussionsbericht des ZHR-Symposions v. 15. 1. 1999, ZHR 163, 286 ff. 213 Lang, WPg 1989, 57.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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milienangehörigen, nicht aber unter Vertragsgegnera anzutreffen ist, wird offensichtlich, dass die von den Richtern hierbei angenommene Aufgabe eine andere war als die der bloßen Vertragsauslegung. Vollends hier bewahrheitet sich die Aussage Flumes , dass die ergänzende Auslegung der Schöpfung dispositiver Rechtssätze sehr nahe stehen könne und gerade beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „nur als Formulierung für die Anwendung ergänzenden Rechts verwandt wird". 2 1 4 Der Schutz des Dritten erfolgt in Wahrheit nicht mehr wegen fürsorglicher Absichten des Vertragsgläubigers, sondern um seiner selbst willen. 215 Hier wird keine Vertragslücke geschlossen, hier wird eine Gesetzeslücke geschlossen! 216 Denn es geht eben nicht an, den Parteien die Aufgabe zuzuweisen, in ihren Vertragswerken den Gesetzgeber zu korrigieren, um ihnen Unvollständigkeit und Nachlässigkeit vorzuwerfen, wenn sie sich dieser Aufgaben entziehen.217 Die Rechtsprechung erreicht ihr gewünschtes Ergebnis zudem nur durch einen unzulässigen Umkehrschluss. Selbstverständlich können die Parteien, so wie sie gemäß § 328 BGB dem Dritten einen primären Leistungsanspruch einräumen, auch einen Schadensersatzanspruch für den Fall seiner Schädigung zugestehen.218 An einer dahingehenden Vereinbarung bestehen keinerlei rechtliche Zweifel. Weder zulässig noch legitim ist es aber, allein von dem „Können" auf ein „Wollen" zu schließen. 219 Denn ob sie dies in den hier fraglichen Fallgestaltungen immer auch wollen, ist damit noch keineswegs beantwortet. Jegliche positive Antwort hierauf bleibt spekulativ und unbefriedigend. Im Gegenteil wird sich angesichts der bestehenden „gegenläufigen Interessen" oftmals doch eher der entgegengesetzte Parteiwille aufdrängen. 220 Das dahinter liegende, leicht durchschaubare Motiv der Rechtsprechung besteht denn auch darin, unter dem Deckmantel der Privatautonomie und den sich daraus ergebenden Gestaltungsspielräumen insbesondere für den Rechtsanwender zu den „richtigen" Ergebnissen gelangen zu können. Und so lässt gerade die Rechtsprechung unter Heranziehung ausschließlich objektiver Kriterien im Rahmen ihrer Deutung des „schlüssigen" Verhaltens den Schädiger in der Sache haften nicht wo er will, sondern wo er soll. 221
214 Flume , Rechtsgeschäft, § 16,4 f. (S. 330). 215 Martiny, JZ 1996, 24. 216 So bereits Gernhuber, FS Nikisch, S. 249; ihm folgend Larenz, Schuldrecht I, § 17 I I (S. 227). 217 Gernhuber, JZ 1962, 555. 218 So stets betonend die Rechtsprechung, vgl. etwa BGH NJW 1987, 1759. 219 Auch Canaris, JZ 1995, 443, hält dies für „nicht überzeugend". Ebenso auch die Kritik von Ebke, JZ 1998, 993. 220 Dazu Picker, FS Medicus, S. 402. 221 So Medicus, Bügerl. Recht, Rn. 371; Hopt, AcP 187, 608, 618.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
2. Die inhaltliche Kritik an der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte a) Die Begründung der Kritik durch Gernhuber und Lehmann Der Ansicht der Rechtsprechung vom haftungsbegründenden Parteiwillen gegenüber steht die nahezu geschlossen geteilte Kritik des Schrifttums. Sie geht in ihren Anfängen zurück auf Gernhuber, der sich bereits gegen die Auslegung als Vertrag zugunsten Dritter wandte. 222 § 157 BGB finde Anwendung auf lückenhafte Verträge. „Verträge, die nichts über die Rechtsstellung Dritter aussagen, sind aber nicht lückenhaft. Die Frage nach Drittberechtigungen wird nicht durch sie aufgeworfen, sondern von dem entscheidenden Richter, der die Auskunft des Gesetzes mit Recht! - als unbefriedigend empfindet und nun von den Parteien verlangt, was der Gesetzgeber versäumt hat." § 157 BGB sei überfordert, wenn das Gesetz korrigiert werden solle. Plakativ wirft auch bereits Lehmann der Rechtsprechung vor, sie erwecke „den peinlichen Eindruck, eine Lösung, die objektiv gerechtfertigt werden müßte, aus einem fiktiven Partei willen abzuleiten". 223 Diese anfangs nur vereinzelten Stellungnahmen haben sich mit dem zunehmenden Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zur Fundamentalkritik erhoben, nachdem trotz zwischenzeitlicher Unsicherheit im Testaments- und im Lastschriftverfahren-Fall 224 für die Experten-Fälle wieder voll und ganz auf den Parteiwillen und die Auslegungsmethode abgehoben wird.
b) Die Kritik an der Herleitung aus dem Parteiwillen Die Kritik des Schrifttums trifft daher vor allem die jüngste Entwicklung der Figur durch die Rechtsprechung, die den Vermögens-Drittschutz als Ergebnis simpler Vertragsauslegung postuliert. aa) Die Gefahr der Haftungsausuferung Anstoß genommen hat man insbesondere an der nun drohenden Gefahr einer Haftungsausuferung, wie sie in Reaktion auf das Käufergruppe- und das Konsul222 Gernhuber, FS Nikisch 1958, S. 265 u. ders. y JZ 1962, 555. 223 Enneccerus/Lehmann, Lehrbuch d. Bürgerl. Rechts, 2. Bd. (Schuldverhältnisse), 15. Bearb. 1958, § 35 I 1 (S. 149); Lehmann möchte seinerseits den Drittanspruch aus einem „gesetzlichen vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis (faktischer Vertrag i.S. Haupts)" ableiten. Ahnliche Kritik bei Flume, Rechtsgeschäft, § 16, 4 f (S. 331): Die häufige Betonung des Parteiwillens sei „unglücklich". 224 Auch der dort jeweils vorgenommene vage, unzureichende Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben und den Sinn und Zweck des Vertrags wurde im Schrifttum kritisiert: Lorenz, JZ 1966, 143; Hadding, W M 1978, 1374.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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Urteil befürchtet wird. 2 2 5 Honsell wirft der Rechtsprechung vor, „mit 'schlechter Konstruktionsjurisprudenz' und 'blutleeren Fiktionen' die Gefahr einer uferlosen Ausweitung des Haftpflichtrechts der beratenden Berufe heraufbeschworen" zu haben. 226 Es liege auf der Hand, dass der Gutachter keinen rechtsgeschäftlichen Willen gehabt habe, dieser werde lediglich unterstellt, um zu einer vertraglichen Haftung zu gelangen.227 Mit der Aufgabe der für sich zwar ebenso bedenklichen „Wohl und Wehe"-Formel und dem Abstellen auf den Parteiwillen, wie dies mit dem Käufergruppe-Fall eingeleitet worden war, sei eine Ausuferung der als notwendig empfundenen Figur eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht mehr zu verhindern. Honsell kritisiert die so vorgenommene Erweiterung der Figur, für die jetzt sogar die Privatautonomie herhalten müsse, denn - so sein Fazit - „was die Parteien wollten, bestimmt wiederum der BGH". Auch Hopt sieht mit der Preisgabe der „Wohl und Wehe"-Formel „ein verhältnismäßig griffiges Abgrenzungskriterium" betroffen. 228 Demgegenüber sei auf der Grundlage des Parteiwillens eine Grenzziehung des geschützten Personenkreises nicht mehr möglich. Die Menge der theoretisch zu schützenden Dritten zeige, dass die Konstruktion einer Einbeziehung in den Vertrag ebenso fiktiv sei wie die unmittelbaren Auskunftsverträge. bb) Die Einbeziehung gegenläufiger Interessen und die Unbeachtlichkeit arglistigen Gläubigerverhaltens Die bereits zum Konsul-Fall geübte Kritik an der Erfassung gegenläufiger Interessen wird durch die Entscheidung im Dachboden-Fall bestärkt. Die Vertragsauslegung gerate im Fall der Gegenläufigkeit der Interessen von Gläubiger und Drittem zwangsläufig in den Bereich bloßer Fiktionen. 229 So wirkt es für Canaris „ungereimt, ja fast paradox, einen Vertrag als Instrument zum Schutz des Widerparts(!) eines anderen Vertrags zu benutzen; denn die normale Funktion von Verträgen liegt in der Wahrnehmung der eigenen Interessen sowie u. U. in der Verfolgung altruistischer Ziele, nicht aber im Schutz von Personen, die man aus gutem Grund auch als Vertragsgegner zu bezeichnen pflegt". Das Erfordernis der „Gläubigernähe", das durch die von der „Wohl und Wehe"-Formel erfaßten Fälle geradezu prägend sei, verliere hierdurch „nahezu jede Kontur". 230 Ebenso zweifelt auch 225
Kritisch gegenüber dem Käufergruppe-Fall bereits Littbar ski, NJW 1984, 1667; ebenso Grunewald, AcP 187, 289 ff. 226 Honsell, JZ 1985, 952, der das Urteil nicht nur in der Begründung, sondern auch im Ergebnis ablehnt (S. 954). Zust. Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 192; Ebke/Scheel, W M 1991, 392. 221 Honsell, JZ 1985, 953. 228 Hopt, NJW 1987, 1746, in einer Besprechung des Hausbank-Falles. 229 Canaris, ZHR 163, 215; Picken FS Medicus, S. 402 ff., bes. 406. 2
30 Canaris, JZ 1995, 443; ders., ZHR 163, 215. Es drohe geradezu eine „Denaturierung der normalen Funktionen des Vertrages" (S 216); ebenso Junker, Vertrauen, S. 68.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Medicus wegen der Gegenläufigkeit der Interessen an der Anwendbarkeit der Rechtsfigur. 231 „Die Auslegung durch den BGH ersetzt also den vermutlichen Willen des Sachverständigen, der seinen eigenen Nutzen nicht ohne weiteres hintanstellt, durch einen von Fremdnützigkeit geprägten hypothetisch-idealen Willen". 2 3 2 Mit dem wahren Willen der Vertragsparteien habe dies nur noch wenig zu tun. 2 3 3 Und auch Pfeiffer spricht von einer „Fiktionslösung". 234 Canaris wirft der Auslegungskonstruktion Versagen gerade dann vor, wenn in der Person des Auftraggebers Einwendungen gegen die Haftung des Auftragnehmers gegeben sind, wie sich daraus ersehen lasse, dass im Dachboden-Fall zu Recht erwogen worden sei, ob ein Anspruch aus Schutzwirkungen zugunsten Dritter daran scheitere, dass der Auftraggeber aufgrund seines täuschenden Verhaltens ein objektiv richtiges, auch den Interessen eines Kaufinteressenten entsprechendens Wertgutachten gar nicht wollte. 235 Entgegen dem Urteil hätte die Täuschungsabsicht nicht als unerheblicher, „verborgen gebliebener innerer Wille" angesehen werden dürfen. 236 Denn die Erklärung der Auftragserteilung sei nicht aus Sicht des Dritten, sondern allein aus der Sicht des Auftragnehmers auszulegen. Und der Auftragnehmer könne und dürfe die Erklärung des Auftraggebers nicht so auffassen, dass dieser ihm ausgerechnet für den Fall eines von ihm arglistig verschwiegenen Mangels die Übernahme einer Haftung gegenüber dem Dritten ansinne. „Er würde ihn damit ja geradezu in eine Haftungsfalle locken, was grob unredlich wäre und also bei der Vertragsauslegung keinesfalls zugrundegelegt werden dürfe." 237
cc) Der Vergleich des Dachboden-Urteils mit der Entscheidung des LG Mönchengladbach vom 31.5. 1990 Und diese Bedenken werden auch von anderer Seite genährt. Denn dass auf der Grundlage eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte die Einbeziehung auch von Personen mit gegenläufigen Interessen - wie sie etwa zwischen Kreditnehmer und -geber bestehen - dann zumindest höchst fragwürdig ist, wenn dem Auftraggeber unlauteres Verhalten vorzuwerfen ist, verdeutlicht die Argumentation des LG Mönchengladbach zu der Frage der Haftung des seinerseits bei der Erstellung einer Bilanz vom Auftraggeber getäuschten Wirtschaftsprüfers gegenüber einem Kreditgeber des geprüften Unternehmens. 238 Das Landgericht verneinte die vertragliche 231 Medicus, JZ 1995, 308; für die Begrenzung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte auf Fälle gleichläufiger Interessen auch Kiss , W M 1999, 119. 232 Medicus, JZ 1995, 309. 233 234
Ebke, JZ 1998, 993.
Pfeiffer, L M § 328 Nr. 91, Bl. 4 R, der die Anwendung der Rechtsfigur in diesem Fall ablehnt. 23 5 Canaris, JZ 1995,443 f.; ders., ZHR 163, 217. 23 6 Ders., JZ 1995, 444. 237 Ders., JZ 1995, 444.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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Schutzwirkung zugunsten der klagenden Kreditgeberin, da hier die Umstände hinreichend deutlich für einen gegenteiligen Willen des auftraggebenden Unternehmens als Kreditnehmer sprächen. So lasse bei einer Bilanzfälschung durch vertretungsberechtigte Personen, deren Verhalten sich das Unternehmen zurechnen lassen müsse, dies den Willen erkennen, die kreditgebende Bank „gerade nicht" in den Schutzbereich des mit dem Wirtschaftsprüfer geschlossenen und auf Erstellung von Jahresabschlüssen gerichteten Vertrages einbeziehen zu wollen. Dem Unternehmen sei es erkennbar darum gegangen, die Bank unter Zuhilfenahme der den Jahresabschlussberichten des Wirtschaftsprüfers zukommenden Beweiskraft auf der Basis von verfälschten Bilanzen bei ihrer Krediteinschätzung fehlzuleiten. Vor diesem Hintergrund sei es nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen nicht angängig, gleichzeitig einen rechtsgeschäftlichen Willen des Unternehmens dahingehend anzunehmen, sie wolle im Rahmen ihres Vertrags mit dem Wirtschaftsprüfer auch eine Schutzpflicht zu Gunsten der Bank dahingehend begründen, der Wirtschaftsprüfer solle der Bank gegenüber für die Richtigkeit seiner Angaben haften. Dem Unternehmen „ging es gerade nicht darum, die Interessen ihrer Geschäftspartnerin, der Kl., zu schützen, sondern sie legte es vielmehr entscheidend darauf an, die Kl. zu täuschen"239. Ebensogut hätte aber auch im Dachboden-Fall argumentiert und damit zum gegenteiligen Ergebnis gelangt werden können, da auch hier eine vertretungsberechtigte Person den Gutachter täuschte.
c) Die Annahme eines stillschweigenden
Einwendungsverzichts
Darüber hinaus stößt auch der stillschweigende Einwendungsverzicht auf Ablehnung, wie er im Dachboden- und Bürgschafts-Fall vom Bundesgerichtshof angenommen worden war. 2 4 0 Medicus hält die Abbedingung von § 334 BGB für eine „künstliche Unterstellung". 241 Für Canaris ist es unerfindlich, warum eine derartige Abbedingung mit den Interessen und dem mutmaßlichen Willen des Auftragnehmers vereinbar sein sollte. „Denn dieser müßte sich ja auf eine Regelung des Inhalts einlassen, daß er dem Dritten auch dann haften will, wenn ihn der Auftraggeber arglistig über den Zustand des zu begutachtenden Objekts getäuscht hat! Das wird kein bei Verstand befindlicher Mensch tun, zumal ja der Auftragnehmer seinerseits keinerlei Interesse an dem Schutz des Dritten hat. Demgemäß würde auch kein Auftraggeber dem Auftragnehmer ansinnen, eine solche Klausel in den Vertrag zu schreiben. Wenn aber eine bestimmte Regelung redlicherweise nicht als ausdrücklicher Vertragsbestandteil erwartet werden kann, dann darf sie selbstverständlich auch nicht als »stillschweigend4 vereinbart angesehen oder im Wege der 238 LG Mönchengladbach NJW-RR 1991,417. 239 LG Mönchengladbach NJW-RR 1991,417. 240 s. etwa die Kritik von Probst, JR 1995, 509, 510; Weber, NZG 1999, 12: Die Abbedingung von § 334 BGB sei „als hanebüchene Fiktion völlig inakzeptabel". 241 Medicus, JZ 1995, 309.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
ergänzenden Auslegung in den Vertrag hineininterpretiert werden, da sie dann mit Treu und Glauben gemäß § 157 BGB unvereinbar ist." 2 4 2 Dieses Ergebnis ist für Picker schon deshalb widersinnig, weil der Besteller gerade dem Dritten, der ihm als Antagonist gegenübersteht einen Einwendungsschutz gewähren solle, allen den Dritten, an deren „Wohl und Wehe" ihm liege, dieser aber versagt bleibe. 243 Und auch für den Gutachter sei kein Anlass erkennbar für eine Gestaltung, die einzelne Dritte aus der Beschränkung der Schutzwirkung ausnehme, denn diese Beschränkung bestimme das Gesetz zur Sicherung gerade seiner eigenen Interessen, die aber gegenüber jedem Dritten bestünden. Nach Pfeiffer vollziehe der Bundesgerichtshof hiermit unausgesprochen eine Absage an eine vertragsrechtliche Fundierung seines Ergebnisses 244 - eine Analyse, die sich auch in der Kritik zum Bürgschafts-Fall widerspiegelt. Canaris hält diesem Urteil vor, dass der Inhalt der Sorgfaltspflichten des Gutachters von vornherein aus der Person des Dritten bestimmt würde und auch für die Auslegung des Vertrags zwischen Gutachter und Auftraggeber in erster Linie die Person des Dritten maßgeblich sei. 245 Die Ansprüche des Dritten gegen den Sachverständigen würden letztlich nicht aus der Rechtsstellung des Gutachtenauftraggebers abgeleitet oder zumindest an diesen angelehnt, sondern sie hätten damit originären Charakter. Und ein Blick auf das BürgschaftsUrteil bestätigt diese Kritik, wenn der Bundesgerichtshof anmerkt, der Kreditgeber - also der zu schützende Dritte und damit am Vertragsschluss Unbeteiligte dürfe das Verhalten des Kreditnehmers auch im Fall der unerkannten Unredlichkeit und der von diesem herbeigeführten Fehlerhaftigkeit des Gutachtens „dahin verstehen, dieser sei mit der Berechtigung des Kreditgebers aus dem Vertrag des Kreditnehmers mit dem Sachverständigen über die Gutachtenerstellung einverstanden. Das aber beinhaltet in der Regel auch das Einverständnis mit einer vom Kreditgeber üblicherweise stillschweigend gewünschten Abbedingung des § 334 BGB". 2 4 6 Damit wird nun in der Tat nicht mehr der Gutachtenvertrag ausgelegt, sondern ein gerade nicht geschlossener Vertrag mit dem Dritten, der die Haftungserwartungen des Verkehrs zum Ausdruck bringt. Wenn der Bundesgerichtshof sodann anführe, dem Gutachter sei diese besondere Interessenlage erkennbar, so die weitere Kritik von Canaris , dann werde dem Sachverständigen „ein Maß an Altruismus unterstellt, das auch bei einem äußerst redlichen Menschen als geradezu fiktiv erscheint". 247 Dem Sachverständigen werde hier angesonnen, sogar die Folgen einer arglistigen Täuschung, die sein Vertragspartner ihm gegenüber begangen habe, im Verhältnis zu einem Dritten auf sich zu nehmen. Dies sei nicht plausibel, da er in einem solchen Fall, sofern die Arglist 242 Ders., JZ 1995, 309. 243 Picker, FS Medicus, S. 408 244 Pfeiffer, L M § 328 BGB Nr. 91, Bl. 5. 245 Canaris, JZ 1998, 604. Dies sei beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „zumindest kraß atypisch, ja wohl geradezu widersinnig". 246 BGH NJW 1998, 1061. 247 Canaris, JZ 1998, 604 f. u. ähnlich ders., ZHR 163, 217.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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schon bei dessen Abschluss vorgelegen habe, den Vertrag grundsätzlich nach § 123 BGB anfechten könnte. Da die ergänzende Vertragsauslegung gemäß §157 BGB an den Geboten von Treu und Glauben orientiert sei, könne es nicht richtig sein, wenn sie zu einem Ergebnis führe, welches mit der Möglichkeit zur Täuschungsanfechtung kollidiere. 248 Und schließlich müsse die Rechtsprechung versagen im Fall eines Haftungsausschlusses zwischen den Vertragsparteien. Denn es bleibe für eine abweichende Auslegung kein Raum mehr, wenn der Sachverständige mit seinem Auftraggeber vereinbart, dass er für die Richtigkeit des Gutachtens oder bestimmter Teile daraus nicht einzustehen braucht, ohne allerdings diese Abrede im Gutachten offenzulegen. 249 Zusammenfassend beschreibt Kiss den Weg zu dem im Bürgschafts-Fall gefundenen Ergebnis mit Hilfe des Vertrags mit Schutz Wirkung für Dritte als einen „juristischein) Hindernislauf: Man muß an vielen Stellen nachhelfen, fingieren." 250 Die herangezogene Begründung demonstriert für Weber „letztlich nur in anschaulicher Weise die Fragwürdigkeit des gesamten Dritthaftungsansatzes des BGH". 2 5 1
d) Die Missachtung der Grenze des § 323 Abs. 1 S. 3 HGB Zu dieser Kritik trat mit dem Abschlussprüfer-Fall noch der Vorwurf der Missachtung des Gesetzes und des Gesetzgeberwillens hinzu. Die nicht mehr aus dem Willen der Parteien geborene, sondern aus dem (vermeintlichen) Willen des objektiven Rechts abgeleitete Erweiterung des Schutzbereiches des Prüfungsvertrages untergräbt nach Ebke im Bereich der gesetzlichen Abschlussprüfung die in § 323 BGB zum Ausdruck gekommene Grundentscheidung des Gesetzgebers zugunsten einer begrenzten Dritthaftung von Abschlussprüfern in Fällen fahrlässiger Pflichtverletzung. 252 Die Differenzierung des Bundesgerichtshofs zwischen einer Verletzung der in § 323 Abs. 1 S. 1 u. 2 HGB genannten Pflichten und einer Erteilung falscher Auskünfte über das Ergebnis der Prüfung im Vorfeld der Erteilung des Bestätigungsvermerks wolle nicht recht einleuchten, weil § 323 Abs. 1 S. 3 HGB insofern keinen Unterschied mache, sondern allgemein von „Pflichten" spreche. 253 Und auch das erneute Abstellen auf den Willen der Vertragsparteien gibt Weber Anlass zu weiteren, berechtigten Zweifeln. Die Begründung laviere ebenso auffällig wie wenig überzeugend zwischen dem Hinweis auf den objektiven Willen des Gesetzgebers und dem subjektiven Willen des Betroffenen, zwischen der Tendenz
248 Ders., JZ 1998, 605, Adoljf, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 109. 249 Canaris , JZ 1998, 605; ders., ZHR 163, 217. 250 Kiss, W M 1999, 117, der selbst auch im Ergebnis eine Haftung verneint (ebenda, S. 124). 251 Weber, NZG 1999, 12, zum Abschlussprüfer-Fall. 252 Ebke, JZ 1999, 993 f. u. 997. 253 Ders., JZ 1999, 994.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
zur gesetzlichen Haftungsbeschränkung, wie sie in der Vorschrift des § 323 HGB zum Ausdruck komme, und einer vermeintlichen Haftungsbereitschaft des Abschlussprüfers gegenüber Dritten. 254
3. Die Deutung des Schrifttums als Figur richterlicher Rechtsfortbildung a) Die herrschende Lehre In Reaktion auf die breite Kritik an der Rechtsprechung versteht die heute herrschende Ansicht in der Literatur im Anschluss an Gernhuber und Larenz die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als ein auf richterlicher Rechtsfortbildung und dem Prinzip von Treu und Glauben gegründetes gesetzliches Schuldverhältnis. 255 Es gehe, so federführend Larenz, nicht um die Ausfüllung einer Vertragslücke, da die Parteien regelmäßig gar nicht an die Möglichkeit einer Schädigung auch des Dritten gedacht und diese deshalb auch nicht in ihren Regelungsplan einbezogen hätten. 256 Vielmehr handele es sich um die Ergänzung des dispositiven Gesetzesrechts durch richterliche Rechtsfortbildung. Diese finde ihre gesetzliche Grundlage „letztlich nur in dem Prinzip von Treu und Glauben (§ 242)".
b) Der fehlende Aussagegehalt dieser Deutung Mit dieser Deutung kann die h.L. zwar dem Vorwurf der blanken Fiktion entgehen und damit den Hauptkritikpunkt am Rechtsprechungsmodell ausräumen. Dadurch, dass sie die umstrittene Figur schlicht zur richterlichen Rechtsforbildung kürt, wird indes der von der Rechtsprechung beschrittenen Weg nur beschrieben. Man weicht damit der eigentlichen Aufgabe einer dogmatischen Begründung und systematischen Einordnung in das geltende Haftungsrecht aus. Denn diese, jedem dogmatischen Ansatz entsagende Begründung vollzieht nur nach, was die Rechtsprechung ihrerseits im Wege der Auslegungsmethode „vorjudiziert", lediglich transponiert in durch den Richterakt gesetztes objektives Recht. Die gegen die Figur selbst bestehenden Bedenken sind auf diesem Wege nicht zu heilen. 254 Weber, NZG 1999, 3. 255 Larenz, Schuldrecht I, § 27 I I (S. 226 f.); Gernhuber, Schuldverhältnis, § 21 I I 6 (S. 529) u. III 4 (S. 540); MünchKomm ! Gottwald, BGB, § 328 Rn. 80; Erman / Westermann, BGB, § 328 Rn. 11; Fikentscher, Schuldrecht, Rn. 260; Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 34 IV 2 a (S. 269 f.); Musielak, Haftung, S. 38; Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 192; Puhle, Vertrag und DSL, S. 41 ff.; Ziegltrum, Vertrag, S. 146 ff.; Stahl, Dritthaftung, S. 75 f., 222 f.; Hirth, Entwicklung, S. 113, 118; Johlke, WuB I V A . § 328 BGB 2.89; Martiny, JZ 1996, 21. 256 Larenz, Schuldrecht, S. 227.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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II. Die Inhomogenität der gesamten Rechtsfigur 1. Die Unhaltbarkeit des Parteiwillens als einheitlicher Haftungsgrund Neben der breiten Kritik an der Herleitung der Haftung aus dem Partei willen ist zudem anzuführen, dass der Bundesgerichtshof selbst sein Haftungsmodell nicht durchgängig für alle Fälle, in denen auf die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zurückgegriffen wird, einhalten kann. Aus der „ständigen Rechtsprechung" fallen insbesondere drei Entscheidungen heraus, die sich in die gewohnte Anspruchsherleitung nicht recht einfügen lassen.
a) Die Anwendung der Figur auf einen nichtigen Mietvertrag So hat der 8. Senat in seiner Entscheidung vom 10. 1. 1968 vertragliche Schutzwirkung für Dritte auch einem wegen fehlender Vertretungsmacht nichtigen Mietvertrag zuerkannt. 257 Man ließ hier die Frage der Wirksamkeit des Mietvertrags dahinstehen, weil für die Drittwirkung jeweils gleiches gelten müsse. 258 Doch eben diese Parallelschaltung von wirksamem und unwirksamem Vertrag ist auf der Rechtsgrundlage der ergänzenden Vertragsauslegung „nicht nachvollziehbar". 259 Ist der Vertrag nichtig, so bleibt für seine Auslegung kein Raum. 260 Dahm, der einer Herleitung der Schutzwirkung aus dem Vertrag - wie sie die Rechtsprechung vornimmt - gerade zustimmt, 261 sieht hier folgerichtig keine ausreichende Grundlage für diesen Ansatz. Ein rechtlich wirkungsloser Konsens könne nicht im Wege der Auslegung zu einer Pflichtenbegründung gegenüber Dritten führen. 262 Will 257 BGH JZ 1968, 304. 258 BGH JZ 1968, 304: „In diesem Falle wurden aber zwischen den Parteien unmittelbare Rechtsbeziehungen begründet, denn eine sich nicht an formale Zufälligkeiten klammernde, sondern den wirtschaftlichen Gegebenheiten gerecht werdende und die Interessenlage beider Parteien berücksichtigende Wertung muß zu dem Ergebnis gelangen, daß auch dann, wenn mangels Vertretungsmacht des Ehemannes der Kl. ein Mietvertrag zwischen der GmbH und der Bekl. nicht zustande gekommen war, durch die von der Bekl. geduldete Benutzung der Untergeschoßräume durch die Kl. und die Annahme der Mietzinszahlungen seitens der Bekl. die gleichen Schutzwirkungen zu Gunsten der Kl. entstanden wie in dem oben zu a) behandelten Fall [Vollmacht besteht]." 259 Dahm, Dogmatische Grundlagen, S. 128, der das Urteil des BGH eine „auffallend unsorgfältig begründete Entscheidung" nennt. 260 So Canaris, JZ 1965, 475, 477. 261 Dahm, Dogmatische Grundlagen, S. 76. Der Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner stelle die Rechtsgrundlage für Ansprüche des Dritten dar. Es werde durch den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte eine Verbindlichkeit begründet, und da diese Verbindlichkeit nicht gesetzlich angeordnet sei, sei zu ihrer Begründung gemäß § 305 BGB ein Vertrag erforderlich (S. 75). 262 Ders., Dogmatische Grundlagen, S. 128. 6 Plötner
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
man also die Schutzwirkung auch nichtiger Verträge erreichen, so bedarf es (zumindest hier) eines neuen dogmatischen Ansatzes.263 Und dieselbe Problematik stellt sich für die Rechtsprechung auch bei formbedürftigen Verträgen. 264
b) Der Gemüseblatt-Fall Ebenso unvereinbar auf dem Boden der Rechtsprechung ist die Ableitung von Schutzwirkungen zugunsten Dritter aus einem Verhältnis der Vertragsanbahnung, wie sie im Gemüseblatt-Fall vom 28. 1. 1976 angenommen wurde. 265 Ebenfalls der 8. Senat hatte hier dem seine Mutter beim Einkauf begleitenden Kind, das noch bevor die Mutter bezahlt hatte - im Kassenbereich auf einem Gemüseblatt ausgerutscht war und sich nicht unerhebliche Verletzungen zuzog, einen eigenen vertraglichen Anspruch auf Ersatz der ärztlichen Heilbehandlungskosten zugesprochen. Begründet wurde dieser Anspruch aus dem die Haftung aus culpa in contrahendo tragenden vorvertraglichen, gesetzlichen Schuldverhältnis zwischen der Mutter und dem Supermarkt-Inhaber mit Schutzwirkung für das begleitende Kind. 2 6 6 Leitendes Motiv der Richter war dabei das Bestreben nach Gleichbehandlung von Mutter und Kind. Denn „wäre die Mutter der Kl. auf dieselbe Weise wie ihre Tochter zu Schaden gekommen, so bestünden gegen die Haftung der Beklagten aus culpa in contrahendo [ . . . ] keine Bedenken". Konstruktiver Weg hierzu war die „Kumulation" 267 der beiden Haftungsfiguren culpa in contrahendo und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Der zur Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrags geforderten Beschränkung auf „eng begrenzte Fälle" und der „in der Tat nicht von der Hand zu weisenden Gefahr einer Ausuferung" sollte hier dadurch Rechnung getragen werden können, „daß die Mutter der Klägerin im Innenverhältnis 'für Wohl und Wehe' ihrer Tochter verantwortlich war und damit auch für den Beklagten erkennbar - allein schon aus diesem Grunde redlicherweise davon ausgehen durfte, daß die sie begleitende Tochter denselben Schutz genießen würde wie sie selbst". 268 Und um das so gewonnene Urteil nochmals zu untermau263 s. dafür etwa Medicus, Bürgerl. Recht, Rn. 202; Canaris, JZ 1965,477. 264 Denn eine Willensauslegung aus schlüssigem Verhalten kommt nicht in Betracht, wenn Formvorschriften eingreifen. Dies sieht auch der BGH im Käufergruppe-Fall, NJW 1984, 355 f.: Der Umfang des Schutzbereichs könne sich auch aus schlüssigem Verhalten ergeben, „denn falls nicht besondere Formvorschriften eingreifen, steht eine konkludente Willenserklärung einer ausdrücklichen gleich". 265 BGHZ 66, 51 = JZ 1976, 776 m. Anm. Kreuzer = JR 1976,488 m. Anm. Strätz. 266 BGH JZ 1976, I I I . 267 BGH J Z 1976, 778. 268 BGH JZ 1976, I I I f.: „In einem derartigen engen familienrechtlichen Band hat die Rechtsprechung von jeher eine Rechtfertigung für die Erstreckung der vertraglichen Schutzwirkung gesehen." Ziegltrum, Vertrag, S. 102 ff., sieht darin in Verkennung der Rechtsprechung einen „Rückfall in die alte Auffassung". Nach der erklärten Absicht des BGH sollen aber beide Ansätze nach wie vor nebeneinander anwendbar sein, so etwa BGH NJW 1987,1759.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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ern - wohl weil man allein der Uberzeugungskraft dieser neuen Konstruktion („culpa in contrahendo mit Schutzwirkung für Dritte") nicht ganz traute - wurde noch nachgeschoben, dass es im Ergebnis ohne entscheidende rechtliche Bedeutung sei, dass der Kaufvertrag im Zeitpunkt des Unfalls noch nicht abgeschlossen war. 269 Es fehle an jedem vernünftigen Grund dafür, die vertragliche Haftung vom reinen Zufall abhängig zu machen, ob die Vertragsverhandlungen im Zeitpunkt der Schädigung schon zum endgültigen Vertragsschluss geführt hätten. 270 Der hier und heute interessierenden Frage nach der rechtsdogmatischen Herleitung meinte man dabei ausweichen zu können. „Ob sich ein derartiger Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte [ . . . ] - wovon bisher die Rechtsprechung ausgegangen ist - aus der ergänzenden Auslegung eines insoweit lückenhaften Vertrages herleitet (§§ 133, 157), oder ob sich unmittelbar vertragsähnliche Ansprüche, wie im Schrifttum in zunehmenden Maße angenommen wird, aus vom hypothetischen Parteiwillen losgelösten Gründen - etwa aus Gewohnheitsrecht oder auf grund richterlicher Rechtsfortbildung - ergeben, bedarf hier keiner Vertiefung und Entscheidung."271 Nach beiden Auffassungen komme es „jedenfalls entscheidend darauf an, daß der Vertrag nach seinem Sinn und Zweck und unter Berücksichtigung von Treu und Glauben eine Einbeziehung des Dritten in seinen Schutzbereich erfordert und die eine Vertragspartei - für den Vertragsgegner erkennbar - redlicherweise damit rechnen kann, daß die ihr geschuldete Obhut und Fürsorge in gleichem Maße auch dem Dritten entgegengebracht wird". Aber eben diese gedankliche Herleitung konnte gerade nicht mit der hier an den Tag gelegten höchstrichterlichen Großzügigkeit dahingestellt bleiben, zumal der Bundesgerichtshof doch noch Partei für seine Auslegungsmethode nahm, wenn schließlich bestätigend angefügt wird, dass „jedenfalls dann gegen die Erstreckung der Schutzwirkung keine Bedenken (bestehen), wenn - wie hier - der Schädiger sich dem Ansinnen der die Vertragsverhandlungen führenden Mutter, ihrem später zu Schaden gekommenen Kind von vornherein ausdrücklich den gleichen Schutz wie ihr selbst einzuräumen, redlicherweise nicht hätte widersetzen können". 272 Ganz im Gegenteil zu dem im Urteil vermittelten Eindruck zwingt gerade die Koppelung von culpa in contrahendo und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte zu einer klaren Stellungnahme. Denn die Haftung aus culpa in contrahendo beruht nach Aussage des Bundesgerichtshofs und in Übereinstimmung mit der h.L. „auf einem in Ergänzung des geschriebenen Rechts geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis, das aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entspringt und vom tatsächlichen Zustandekommen eines Vertrages und seiner Wirksamkeit weitgehend unabhängig ist". 2 7 3 Im Gegensatz zum Vertrag mit Schutzwirkung 269 BGH JZ 1976,778. 270 BGH JZ 1976, 778, im Fall seien zudem die Kaufverhandlungen im wesentlichen abgeschlossen gewesen und der Vertragsschluss hätte unmittelbar bevorgestanden. 271 BGH JZ 1976, 777. 272 BGH JZ 1976, 778. Deutlich wird damit wieder der Drittschutz zum Gegenstand einer Vereinbarung und damit der Privatautonomie gemacht. 6*
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
für Dritte wird für die Figur der culpa in contrahendo - trotz aller Unklarheiten über deren Wesen - (zumindest heute) einhellig davon ausgegangen, dass der Grund einer solchen Haftung nicht in einem dementsprechend geäußerten Willen beruht. 274 Willenserklärungen sind im Rahmen dieses gesetzlichen Schuld Verhältnisses gerade noch nicht ausgetauscht. Ein maßgeblicher Wille, so übereinstimmend, werde erst im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geäußert. 275 Folglich fehlt es hier überhaupt an einem Anknüpfungspunkt für die von der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte präferierte Auslegungsmethode anhand der §§ 133, 157 BGB. 2 7 6 Von einem irgendwie lückenhaften Vertrag, aus dem die Schutzwirkung hergeleitet werden könnte, kann keine Rede sein, und so hält hier Strätz mit Recht „die Ansicht, diese Pflichten seien im Parteiwillen begründet", für „stillschweigend preisgegeben". 277 Vom Boden der Rechtsprechung aus ist eine Verknüpfung der beiden Haftungsfiguren schlicht „denkunmöglich". Beide Figuren schließen sich aufgrund ihrer gegensätzlichen Herleitung in der Rechtsprechung von vornherein aus. 278 Der Vergleich beider Haftungsfiguren macht nicht nur erneut die Fragwürdigkeit der Konstruktion deutlich, sie drängt auch die Frage auf, warum bei zeitlicher Ausdehnung der vertraglichen Haftungsgrundsätze auf den vorvertraglichen Bereich objektive Kriterien heranzuziehen sind, dagegen bei personeller Ausdehnung der vertraglichen Haftung auf den Willen der Vertragsparteien abzustellen sein soll. Ein einheitlicher, im Parteiwillen beruhender Haftungsgrund läßt sich angesichts dieses weiten Anwendungsbereiches nicht aufrechterhalten. 279 273 BGH JZ 1976, 777 (Hervorheb.v.Verf.). 274 Anders noch im Linoleumteppichrollen-Fall, RGZ 78, 239, 240: Durch Antrag auf Vorlegung des Teppichs und Annahme des Antrags entstehe ein den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. 275 Die mit der culpa in contrahendo zu erfassende Haftung sei diesem Zeitpunkt vorgelagert, so dass Anknüpfungspunkt der Haftung bereits die Aufnahme eines vorvertraglichen Kontakts als objektiver Akt sein müsse. 276 So bereits Canaris, JZ 1965, 478: Mit Hilfe der ergänzenden Vertragsauslegung sei die Frage nicht zu lösen, ob nicht auch schon im vorvertraglichen Stadium Ansprüche wegen Schutzpflichtverletzung zu gewähren seien. Ebenso Medicus, Schuldrecht I, Rn. 776. 277 Strätz, JR 1976, 459. 278 Ahnliche Kritik bei Kreuzer, JZ 1976, 780. Entgegen Kreuzer konnte das Urteil diese Frage auch nicht deshalb offenlassen, weil die konkrete Entscheidung nicht unmittelbar auf die Rechtsfigur gestützt wurde. Denn ausdrücklich hält das Revisionsurteil dem Berufungsgericht vor, dass gegen seine Haupterwägung - der Beklagte hafte, auch ohne dass es der Heranziehung des Gesichtspunktes eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bedurfte, der Klägerin unmittelbar aus Verschulden bei Vertragsschluss - Bedenken bestünden, BGH JZ 1976, 777. 279 Wenig überzeugend ist es auch, wenn Sutschet, Schutzanspruch, S. 79, sich für seinen „Schutzanspruch zugunsten Dritter", der den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ersetzen soll und der ebenfalls auf einem rein rechtsgeschäftlichen Erklärungsmodell fußt, hinsichtlich des vorvertraglichen Bereichs auf die „Auslegung der Vertragsverhandlungen" stützen will. Sutschet selbst muss einräumen, dass, wenn „die Methode der ergänzenden Vertragsauslegung versagt", „Schutzansprüche auch aus dem unsere Rechtsordnung beherrschenden
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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c) Die Anwendung im Lastschriftverfahren-Fall Und schließlich kann auch die Lastschriftverfahren-Entscheidung nicht auf eine ergänzende Vertragsauslegung zurückgeführt werden. Denn spätestens muss ein, wenn auch nach objektiven Kriterien festgestellter, hypothetischer Parteiwille dort Halt machen, wo ein anderslautender - ausdrücklich erklärter - wirklicher Parteiwille vorliegt. Beschränkt der Schuldner seine Ersatzpflicht explizit auf die Person des Vertragspartners und schließt er Dritte von der Haftung aus, ist für ergänzende Vertragsauslegung kein Raum. Eben eine solche Fallgestaltung lag dem Lastschriftverfahren zugrunde. Aufgegeben wurde im Urteil nicht nur die bisherige, enge „Wohl und Wehe"-Formel, sondern es wurde - was oft übersehen wird - vertraglicher Drittschutz gewährt, obwohl die Parteien im Lastschrift-Abkommen vereinbart hatten, dass „nur Rechte und Pflichten zwischen den beteiligten Kreditinstituten" begründet werden sollten. 280 Wohlweislich hatte der 2. Senat sein Ergebnis nicht auf die Auslegungsmethode gestützt, sondern hierfür auf das Gebot von „Treu und Glauben" verwiesen. 281 Mit einem entsprechenden Parteiwillen ist diese Haftung nicht zu begründen. 282
2. Die unterschiedliche Auslegung und Anwendung der Tatbestandsmerkmale des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte a) Der Haftungstatbestand
der Rechtsfigur
Ausgehend von der Capuzol-Entscheidung des Bundesgerichtshofs und der vorausgehenden Kritik am Dreschmaschinen-Fall durch Larenz und Gernhuber haben sich mit der Abkehr vom Vertrag zugunsten Dritter und der Begründung einer eigenständigen Rechtsfigur vier mehr oder weniger scharf konturierte Tatbestandsmerkmale herausgebildet, anhand derer die Einschlägigkeit des vertraglichen Drittschutzes beantwortet werden soll. 2 8 3 Gefordert wird zunächst die „Leistungsnähe des Dritten". Der Kreis der in den Schutz eines Vertrages einbezogenen Dritten sei „unter Beachtung einer sachgerechten Abwägung der Interessen der Beteiligten dahin zu begrenzen, daß der Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet werden können". Damit ist letztlich aber eingestanden, dass sich ein einheitlicher vertraglicher Ansatz nicht durchhalten lässt. Denn wie Sutschet an anderer Stelle ausführt (S. 100), ist Rechtsgrund der ergänzenden Vertragsauslegung eben nicht § 242 BGB, sondern § 157 BGB. 280 Vgl. BGHZ 69, 82, 88. 281 BGHZ 69, 86 u. 88. 282 So zutreffend Bayer, JuS 1996, 476. 283 Dargestellt etwa auch bei Medicus, Bürgerl. Recht, Rn. 844 ff.; Kiss, WM 1999, 117.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Dritte bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung" komme. 284 Des Weiteren müsse ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages hinzutreten. Den Interessen des Schuldners sei zudem dadurch Rechnung zu tragen, dass die Einbeziehung Dritter und damit die für ihn verbundene Haftungserweiterung erkennbar sein müsse. Und schließlich sei eine Einbeziehung des Dritten abzulehnen, wenn ein Schutzbedürfnis des Dritten nicht bestehe. Demgemäß sei die Einbeziehung „im allgemeinen" dann zu verneinen, „wenn dem Dritten eigene Ansprüche - gleich gegen wen zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen Ansprüche, die ihm über eine Einbeziehung in den Schutzbereich eines Vertrages zukämen". 285
b) Die zunehmenden Deutungsprobleme und Widersprüchlichkeiten in der Praxis Der stetig anwachsende Anwendungsbereich der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte blieb für ihr tatbestandliches Erscheinungsbild nicht folgenlos. Die Erfassung immer weiterer, unterschiedlichster Fälle konnte nur um den Preis der Aufweichung ihrer usprünglichen Konturen und der Verallgemeinerung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen erreicht werden. 286 Dabei beschränkt sich diese Entwicklung keineswegs nur in der Aufgabe der engen „Wohl und Wehe"-Formel und der an ihrer Stelle herangezogenen Vertragsauslegung. 287 Auch die übrigen Kriterien sind betroffen. Der oben ausgemachte tiefgreifende Bruch in der Entwicklung der Rechtsfigur schlägt sich insgesamt nieder in einer unterschiedlichen Auslegung der Tatbestandsmerkmale sowie der zunehmenden Fallgruppenbildung. 288 Dabei macht sich zunehmende Unsicherheit über ihre Handhabung und die Anwendung ihrer Voraussetzungen breit. Bei genauerer Betrachtung offenbaren sich frappierende Unstimmigkeiten in der fallbezogenen Anwendung der Rechtsfigur.
284 So den Haftungstatbestand zusammenfassend BGH NJW 1996, 2927, 2928: Dies entspreche der h.M. in Literatur und Rechtsprechung, wenn auch „in der Terminologie - nicht aber in der Sache - Nuancen bestehen". 285 BGH NJW 1996, 2928. 286 Damm, JZ 1991, 384: Die Rechtsprechung habe „die Anwendungsvoraussetzungen drastisch reduziert und damit den Anwendungsbereich expandiert". Auch für Decku, Zwischen Vertrag und Delikt, S. 72, war die „entschiedene Hinwendung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte" nur durch eine „weitgehende Reduzierung der tatbestandlichen Voraussetzungen" zu realisieren. 287 Nach Canaris wurde hierdurch das Kriterium der „Gläubigernähe" fast völlig entwertet, ZHR 163, 215. 288 Vgl. etwa die nach Vertragsarten unterscheidende Darstellung bei Staudinger ! Jagmann, BGB, § 328 Rn. 67 ff. Martiny, JZ 1996, 19, will in der Rechtsprechung über zehn verschiedene Fallgruppen ausmachen können.
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aa) Der Nietrierofen-Fall Diese unterschiedliche Deutung führt dazu, dass die Rechtsfigur in Fällen für einschlägig erklärt wird, für die sie offensichtlich nicht gedacht ist. Anschauliches Beispiel hierfür ist der Nitrierofen-Fall des Bundesgerichtshofs vom 2. 7. 1996. 289 Beim Brennen von Nitriergut in einem speziellen Nitierofen kam es zu einer Explosion, da das an den Nitierofenbetreiber gelieferte Nitriergut von einem seiner Kunden vorher nicht (wie vereinbart) ordnungsgemäß gereinigt worden war. Ein anderer Kunde des Ofenbetreibers, dessen Nitriergut bei der Explosion zerstört wurde, klagte gegen den Eigentümer des schadhaften Nitrierguts auf Schadensersatz und machte geltend, dass dessen Reinigungspflicht, zu der er sich gegenüber dem Nitrierofenbetreiber verpflichtet hatte auch ihm gegenüber gelte. Das OLG Düsseldorf als Berufungsinstanz hatte hier, wie Lorenz meint, „ohne Not den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ins Spiel gebracht" 290 und für einschlägig erklärt, was beim Bundesgerichtshof auf klare Ablehnung stieß. Recht schroff warf der 10. Senat dem Instanzgericht vor, sich mit den Grundlagen der Anerkennung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter nicht auseinander gesetzt zu haben. 291 Es fehlten „entscheidende Kriterien", „die in der Rechtsprechung des BGH für die Bejahung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter [ . . . ] gefordert werden". So fehle die „zur sachgerechten Abgrenzung des geschützten Personenkreises geforderte ausreichende Leistungsnähe". Es sei offensichtlich, dass die Klägerin mit der Hauptleistung des Beklagten, die in der Zahlung des vereinbarten Werklohns liege, nicht in Berührung komme. Zudem bestehe „überhaupt kein Schutzbedürfnis" der Klägerin, diese in den Schutzbereich des Vertrages zwischen der Beklagten und dem Ofenbetreiber einzubeziehen.292 „Es bestehe weder Raum noch gar ein Bedürfnis hierfür, wenn der Geschädigte seinerseits eigene vertragliche Ansprüche desselben Inhalts, wenn auch gegen einen anderen Schuldner, habe wie diejenigen, die er auf dem Weg über die Einbeziehung in den Schutzbereich eines zwischen anderen geschlossenen Vertrages durchsetzen wolle." 2 9 3 Hier habe die Klägerin selbst und unabhängig von der Beklagten aufgrund des zwischen ihr und dem Ofenbetreiber geschlossenen Werkvertrages Gewährleistungsansprüche gegen diesen gemäß §§ 633 ff. BGB, welche ihrem Gehalt nach den Ansprü-
289 BGH NJW 1996, 2927 = BB 1996, 2009 = ZIP 1996, 1664 = W M 1996, 1739 = JZ 1997, 358 m. Anm. Lorenz. 290 Lorenz, JZ 1997, 361. 291 BGH NJW 1996, 2929. 292 BGH NJW 1996, 2929: Dieses zur Vermeidung einer unangemessenen Ausweitung des von der Rechtsprechung maßgeblich entwickelten Rechtsinstituts für unabdingbar angesehene Kriterium sei hier nicht erfüllt. 293 Und der BGH weiter (S. 2929): „In einem solchen Falle Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zu gewähren, würde auch gegen das von der Rechtsprechung stets hervorgehobene Anliegen verstoßen, eine uferlose Ausdehnung des Kreises der in den Schutzbereich fallenden Personen zu vermeiden."
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chen, die die Klägerin über den vom Berufungsgericht gefundenen Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gegen die Beklagte verfolge, „rechtlich in jeder Hinsicht gleichwertig" seien. 294 Die dem Urteil von Lorenz attestierte „lehrbuchartige Klarheit" 295 beginnt jedoch rasch zu weichen, vergleicht man den Fall mit anderen einschlägigen Urteilen zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Zieht man etwa den Gemüseblatt-Fall heran und wandelt diesen zur Verdeutlichung dahingehend ab, dass der Kaufvertrag nun bereits abgeschlossen ist, die vertragliche Schutzwirkung also dem Urteil zufolge erst recht eingreift, so besteht die Hauptleistungspflicht des Supermarktinhabers in der Übergabe und Übereignung der Kaufsache. 296 Mit dieser Hauptleistungspflicht muss aber das nun nicht vor, sondern nach der Abfertigung an der Kasse verletzte Kind nicht notwendigerweise in Berührung kommen, insbesondere dann nicht, wenn es sich um Waren handelt, die nicht für das den Einkauf begleitende Kind bestimmt sind oder gar deren Gebrauch für dieses verboten ist (etwa Zigaretten). Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof im Gemüseblatt-Fall, anders als im Nitrierofen-Fall, die Schutzwirkung nicht unter Verweis auf die fehlende Berührung mit der Hauptleistungspflicht verneint, sondern hielt ein „In-Berührung-Kommen" mit einer vertraglichen Nebenpflicht, deren Bestehen vom Bundesgerichtshof auch im Nitrierofen-Fall keineswegs geleugnet wird, 2 9 7 für ausreichend, den vertraglichen Drittschutz zu begründen. Denn es entspreche seit langem gefestigter Rechtsprechung, dass „auch Außenstehende, am Vertragsschluß selbst nicht beteiligte Dritte in den Schutzbereich eines Vertrages einbezogen sind mit der Folge, daß ihnen zwar kein Anspruch auf Erfüllung der primären Vertragspflicht, wohl aber auf den durch den Vertrag gebotenen Schutz und die Fürsorge zusteht, und daß sie aus der Verletzung dieser vertraglichen Nebenpflichten Schadensersatzansprüche in eigenem Namen geltend machen können". 298 Verneint der Bundesgerichtshof hier nun eine ausreichende Leistungsnähe, so erfährt dieses Kriterium eine gänzlich unterschiedliche Deutung. Die Klarheit des als tragend angeführten Arguments gegen die Einschlägigkeit des vertraglichen Drittschutzes verschwimmt. Und auf gleiche Weise lässt sich auch das zweite Argument entkräften, es bestehe kein Schutzbedürfnis, denn dem Geschädigten stünden gleichwertige Gewährleistungsansprüche gegen den Gläubiger zu. Auch im Dachboden-Fall standen dem Käufer gegen den Verkäufer aufgrund dessen Arglist Gewährleistungsansprüche zu, die genau dem Interesse dienten und dieses abdeckten, das der 294 Der BGH verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück, um dort zu klären, ob der Klägerin gegen die Beklagte deliktische Ansprüche nach §§ 823 ff. BGB zustehen. 295 Lorenz, JZ 1997, 361. 296 V g l . BGH JZ 1976, 776, I I I f. 297 BGH NJW 1996, 2929: „Das BerGer. hat ausgeführt, die Bekl. habe eine vertragliche Nebenpflicht für den Zustand, in dem sie das Nitriergut anliefern müsse, übernommen. Diese Auslegung der vertraglichen Beziehung zwischen der Firma G. [Nitrierofenbetreiberin] und der Bekl. mag als solche nicht zu beanstanden sein." 298 BGH JZ 1976, 777 (Hervorheb.v.Verf.).
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Käufer auch gegenüber dem Sachverständigen unter Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu befriedigen suchte. 299 Dennoch ging der Bundesgerichtshof dort auf ein möglicherweise fehlendes Schutzbedürfnis des Käufers, welches den Anspruch gegen den Sachverständigen ausschließen könnte, erst gar nicht ein. Obwohl also dasselbe „von der Rechtsprechung für unabdingbar angesehene Kriterium" 300 in beiden Fällen nicht erfüllt war, wurde sein Fehlen nur im Nitierofen-Fall beachtet und führte hier zur Ablehnung der Haftung. Dabei kann zur Rechtfertigung dieser unterschiedlichen Behandlung auch nicht die Verschiedenheit von kaufrechtlichen und werkvertraglichen Gewährleistungsansprüchen geltend gemacht werden, da aufgrund der im Dachboden-Fall festgestellten Arglist des Verkäufers dem zu schützenden Dritten in beiden Fällen ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zustand.301 Beide die Nitrierofen-Entscheidung im Ergebnis tragenden Kriterien sind folglich unter Zugrundelegung dieser Parallelen ebensogut zu bejahen. 302 Das gewonnene Urteil ist entgegen dem darin vermittelten Eindruck allein unter Hinweis auf die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht zu begründen. Die Subsumtion der haftungsbegründenden Kriterien bleibt zweifelhaft und letztlich unbefriedigend. 303 An entscheidender Stelle wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Die relative, von Fall zu Fall unterschiedliche Auslegung und Anwendung der Figur ist aus sich heraus nicht nachvollziehbar. Sie ist nur damit zu erklären, dass hier versucht wird, völlig unterschiedliche Problembereiche unter eine einzige Rechtsfigur zu subsumieren. Der eigentliche Fehler, der dem OLG Düsseldorf daher vorzuwerfen ist, liegt darin, dass es irrig von der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als einem einheitlichen Gebilde der Rechtsfortbildung ausgegangen ist, aber gerade das ist die Figur nicht.
299 BGH NJW 1995, 392 (vgl. den dort geschilderten Sachverhalt). 300 So ausdrücklich noch in BGH NJW 1996, 2929 (Hervorheb.v.Verf.). 301 Entsprechend hatte das OLG Schleswig (v. 9. 9. 1996) im Fall des fehlerhaften, einem Pferdekauf zugrundeliegenden Tiergutachtens das Schutzbedürfnis des Käufers bejaht, da diesem gegen den nicht arglistig handelnden Verkäufer nur Mängelgewährleistungsansprüche nach den §§481 ff. BGB zustanden. Zum Ausschluss der Schutzbedürftigkeit sei ein inhaltsgleicher Anspruch erforderlich; dies treffe angesichts der „grundsätzlich eingeschränkten Mängelhaftung beim Tierkauf und der überaus kurzen Verjährung etwaiger Gewährleistungsansprüche" nicht zu, OLG Report 1997, 2, 3. Folglich muss der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte aufgrund dessen Subsidiarität ausscheiden, wenn der Anspruch aufgrund der Arglist des Verkäufers inhaltsgleich ist. 302 Auch sind dem BGH beide hier angeführten Entscheidungen bekannt, werden doch beide in den Urteilsgründen ausdrücklich angeführt. 303 Gegen den BGH insoweit auch Sutschet, Schutzanspruch, S. 124.
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bb) Die unterschiedlich gedeutete Subsidiarität der Figur Die Verwirrung über die selektive Anwendung der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Haftungsformel betrifft dabei keineswegs nur äußerlich unterschiedliche, sondern durchaus auch verwandte Fallgestaltungen. Denn eben unter Verweis auf ein fehlendes Schutzbedürfnis und die bloß subsidiäre Stellung der Figur verneinte das LG Mönchengladbach in einem dem Dachboden-Urteil vergleichbaren Fall die Haftung eines seinerseits vom Auftraggeber bei Erstellung einer Bilanz getäuschten Wirtschaftsprüfers gegenüber einem Kreditgeber des geprüften Unternehmens.304 Ausreichend sei in diesem Fall der auf das schädigende Täuschungsverhalten gestützte Schadensersatzanspruch des Dritten gegen das Unternehmen. Für die Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und damit für einen eigenen Anspruch gegen den Wirtschaftsprüfer bestehe daneben kein Bedürfnis, „wenn der Geschädigte seinerseits eigene vertragliche Ansprüche desselben Inhaltes, wenn auch gegen einen anderen Schuldner, hat wie diejenigen, die er auf dem Wege über die Einbeziehung in den Schutzbereich eines zwischen anderen geschlossenen Vertrages durchsetzen w i l l " . 3 0 5 Anders als der Bundesgerichtshof im Dachboden-Fall, der die Frage nach dem fehlenden Schutzbedürfnis erst gar nicht aufwarf, verfing sich das Landgericht in diesem Kriterium und entschied: „So liegt es hier." Aufgrund des TäuschungsVerhaltens durch das kreditsuchende Unternehmen stehe dem Dritten wegen des hierdurch verursachten Schadens aus dem mit diesem bestehenden Kreditverhältnis der gleiche Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung zu, den er nunmehr mittels des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gegenüber dem Wirtschaftsprüfer durchzusetzen suche. 306 Diese folgerichtige Subsumtion anhand des höchstrichterlich vorgegebenen Haftungstatbestands durch das Landgericht macht das wortlose Übergehen wesentlicher Voraussetzungen im Dachboden-Fall umso unverständlicher. 307 Die eben noch beschworene Unabdingbarkeit eines Schutzbedürfnisses des Dritten für die vertragliche Schutzwirkung erweist sich hiermit endgültig als bloß vorgegeben. Denn völlig unklar bleibt, ob die der Rechtsfigur zugedachte Subsidiarität und Reservefunktion gegenüber anderen (vertraglichen) Haftungsansprüchen als eines ihrer Wesensmerkmale hiermit bewusst oder unbewusst aufgegeben wurde. 308 Werden aber zu ihrer Anwendung beliebig Tatbestandsmerkmale weggelassen oder hinzugefügt, so verliert die Figur ihre Berechtigung als einheitliches Rechtsinstitut. 304 LG Mönchengladbach NJW-RR 1991,415,417. 305 So LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 417, unter Verweis auf BGHZ 70, 327, 330 = NJW 1978, 883. 306 Das LG Mönchengladbach verneinte hier den Anspruch aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, obwohl die Kreditnehmerin zwischenzeitlich in Konkurs gefallen war mit der Folge, dass die Klägerin mit ihrer Forderung auf die Quote angewiesen war, NJW-RR 1991,417. 307 Das Schutzbedürfnis des Dritten ausdrücklich bejaht und damit die subsidiäre Stellung der Rechtsfigur auch im Fall eines fehlerhaften Tiergutachtens anerkannt hatte das OLG Schleswig, OLG Report 1997, 3. Zweifelnd angesichts dieser Unstimmigkeiten auch Ebke, JZ 1998, 993 bei u. mit Fn. 30.
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cc) Der Wachmann-Fall Die hier aufzuzeigenden Widersprüchlichkeiten im höchstrichterlichen Umgang mit der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte sind sogar anhand ein und derselben Entscheidung auszumachen, denn im Wachmann-Fall des Bundesgerichtshofs vom 16. 6. 1987 stellt sich die Frage nach vertraglichen Schutzwirkungen zugunsten Dritter gleich doppelt. 309 Ein Bewachungsunternehmen wurde von dem Inhaber eines Lagerhauses, in dem vorübergehend fremde Pelzwaren gelagert waren, mit dessen Bewachung beauftragt. Da Unbekannte in das Lagerhaus einbrachen und die Pelzwaren stahlen, nahm die Eigentümerin der Pelzwaren das Bewachungsunternehmen sowie den dort angestellten Wachmann, während dessen Wachdienst der Diebstahl begangen wurde, auf Schadensersatz in Anspruch. Als mögliche Grundlage der gerügten Pflichtverletzung des Wachmanns wurde eine Drittschutzwirkung aus dem Arbeitsvertrag mit dem Wachunternehmen erwogen. Der Bundesgerichtshof lehnte jedoch die Auslegung des Arbeitsvertrags als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ab. Der Eigentümerin fehle das erforderliche Schutzbedürfnis, da ihr andere vertragliche Ansprüche zustünden. Konkret wurde das für eine Schutzwirkung des Arbeitsvertrags fehlende Schutzbedürfnis mit einem der Eigentümerin zustehenden Schadensersatzanspruch gegen das Wachunternehmen begründet, den die Richter aber seinerseits - weil auch zwischen Eigentümerin und Wachunternehmen kein unmittelbarer vertraglicher Kontakt bestand - ebenfalls aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte herleiteten. „Es liegt nahe", so die Entscheidungsgründe, den Bewachungsvertrag zwischen dem Lagerhausinhaber und dem Bewachungsunternehmen „als Vertrag mit Schutzwirkung (auch) zugunsten der Eigentümerin des Lagerguts anzusehen".310 Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs haftet damit nur das Wachunternehmen, nicht aber der Wachmann aus vertraglicher Schutzwirkung für Dritte. Das doppelte Rekurrieren auf die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte führt jedoch bei genauerer 308 Gegen die Tauglichkeit des Kriteriums der „Schutzbedürftigkeit" überhaupt Neuner, JZ 1999, 129, der offen ausspricht, was wohl auch den BGH im Dachboden-Fall geleitet haben dürfte, dass es nämlich nicht einleuchte, weshalb „ein arglistiges Handeln des Hauptgläubigers, das eine Haftung gemäß § 463 BGB auslöst, dem getäuschten Dritten Ansprüche gegen den Schädiger soll entziehen können". 309 BGH NJW 1987, 2510 = ZIP 1987, 1260 = VersR 1987, 935 m. Anm. Dunz, VersR 1988, 35. 310 BGH NJW 1987, 2511. Der Bundesgerichtshof wollte und musste sich hier jedoch auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte als die zutreffende Anspruchsgrundlage nicht eindeutig festlegen, denn die Frage bedürfe „indessen keiner abschließenden Entscheidung": Falls den geschädigten Eigentümern des Lagerguts kein unmittelbarer vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen das Wachunternehmen zustünde, wäre jedenfalls ein Anspruch des Lagerhausinhabers gegen das Wachunternehmen aus positiver Vertragsverletzung begründet, mit dem der Lagerhausinhaber den am Lagergut entstandenen Schaden im Wege der Drittschadensliquidation geltend machen könnte. Die Abtretung dieses Schadensersatzanspruchs könnte dann der geschädigte Eigentümer gemäß § 281 BGB verlangen.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Betrachtung zu unüberwindbaren Zweifeln an der Art und Weise der Herleitung dieses Urteils, denn die Argumentation des Bundesgerichtshofs lässt sich gedanklich mühelos umkehren. Ebenso wie die vertragliche Schutzwirkung aus dem Arbeitsvertrag mit dem Wachmann, so verlangt auch die Schutzwirkung aus dem Bewachungsvertrag mit dem Bewachungsunternehmen ihrerseits ein Schutzbedürfnis des zu schützenden Dritten. Auch dem Bewachungsvertrag kommt Schutzwirkung zugunsten der Eigentümerin der Pelzwaren - streng nach den tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Rechtsfigur - nur dann zu, wenn ihr nicht bereits anderweitig gleichwertige Ansprüche zustehen. Und so lässt sich gegen das dahingehende Schutzbedürfnis wiederum die in Betracht kommende Schutzwirkung des Arbeitsvertrags mit dem Wachmann ins Feld führen. Beide hier rein konstruktiv möglichen Schutzwirkungen zugunsten der Eigentümerin der Pelzwaren setzen sich damit „matt". Will man nicht offen unterschiedliche Maßstäbe anlegen müssen, so ist eine Schutzwirkung in der einen wie in der anderen Richtung zu verneinen. Wiederum erweist sich das vorgeblich rein anhand juristischer Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gewonnene Ergebnis als höchst fragwürdig, denn die hier kreierte Schutzwirkung ersten und zweiten Ranges ist dem Rechtsinstitut - zumindest bislang fremd. Die leitenden Entscheidungsmotive bleiben von der Schutzwirkungskonstruktion verdeckt. Und es bleibt nur zu vermuten, dass das Ergebnis der Entscheidung, den Wachmann von der persönlichen Haftung auszunehmen, wohl weniger von dem Bemühen um eine klare und widerspruchsfreie Dogmatik des Rechtsinstituts, als vielmehr von - eher beiläufig erwähnten - Erwägungen des Arbeitnehmerschutzes motiviert ist. 3 1 1
dd) Die Anwendung der Figur bei einer Falschauskunft im Versorgungsausgleichsverfahren vor dem Familiengericht Als weiterer Beweis für die in der Praxis auszumachende Ungeklärtheit der Figur ist die Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 12. 12. 1985 anzuführen. 312
311 So die nachgeschobene Begründung des BGH NJW 1987, 2511: „Wollte man den Eigentümern des Lagerguts darüber hinaus unmittelbare Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten gegen einen Wachmann des Bewachungsunternehmens zubilligen, würde das den Haftungsbereich des Arbeitsvertrages des Wachmanns in einer für den Arbeitnehmer nicht mehr überschaubaren und daher unzumutbaren Weise ausweiten." Den Aspekt des Arbeitnehmerschutzes hebt auch Dunz hervor, VersR 1988, 35. Zu diesem Fall vgl. auch Larenz! Canaris, Schuldrecht I I / 2 , § 76 III 5d (S. 421) m.w.N. 312 OLG Karlsruhe NJW 1986, 854 f.; einen vergleichbaren Sachverhalt behandelt OLG Hamm FamRZ 1985, 718. Darüber hinaus ist nunmehr auch die Frage umstritten, in welchen Fällen weiterhin ein Schutz- und Fürsorgeverhältnis zwischen Gläubiger und Drittem zu verlangen ist, vgl. einerseits LG Frankfurt NJW-RR 1986, 966, andererseits Strauch, JuS 1987, 947, 949, für den Fall des Abholens einer unzureichend verpackten Pizza durch eine andere Person als den Besteller, deren Kleidung dadurch zu Schaden kommt.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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Eine Bank hatte im Rahmen eines Versorgungsausgleichsverfahrens vor dem Familiengericht als privater Arbeitgeber fahrlässig eine Falschauskunft über das zu erwartende Altersruhegeld eines bei ihr beschäftigten Bankdirektors erteilt. Aufgrund dieser Auskunft wurde der Versorgungsausgleich für die geschiedene Ehefrau des Bankdirektors vom Gericht zu niedrig festgesetzt. Die Entscheidung wurde rechtskräftig und die Ehefrau war nach Aufdeckung des Irrtums nunmehr daran gehindert, eine Erhöhung des Versorgungsausgleichs gegen ihren früheren Ehemann durchzusetzen. Sie nimmt nun die Bank auf Schadensersatz in Anspruch. Das OLG Karlsruhe hat ihr den Anspruch versagt. Trotz der schadensursächlichen Pflichtverletzung könne die Ehefrau von der Bank unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ersatz des geltend gemachten Vermögensschadens verlangen. Die Bank hafte weder aus Vertag oder vertragsähnlichem Vertrauensverhältnis noch unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte auf Schadensersatz. Auch ein Ersatzanspruch aus unerlaubter Handlung stehe der Ehefrau nicht zu. 3 1 3 (1) Eine Haftung aus einem stillschweigend abgeschlossenen Auskunftsvertrag entfalle von vornherein, da es sich bei der Auskunft der Bank über die Höhe der künftigen Versorgungsleistung um eine „bloße Wissenserklärung, die auf Anfrage des Familiengerichts diesem gegenüber abgegeben wurde", handele. Die Bank wolle „ohne Verpflichtungswillen nur dem gerichtlichen Auskunftsersuchen nach § 53b Abs. 2 S. 2 FGG nachkommen". Die Angabe sei lediglich eine „unverbindliche Wertauskunft" der Bank. (2) Auch eine Vertrauens- oder Erklärungshaftung komme nicht in Betracht. 314 Die Bank habe „kein persönliches Vertrauen in Anspruch genommen, das durch die Falschauskunft gegenüber dem Familiengericht enttäuscht worden wäre". 315 Die Auskunft der Bank zur Höhe der Betriebsrente sei erkennbar nur als unverbindliche Mitteilung gegenüber dem Gericht, nicht aber als ein Leistungsversprechen im Verhältnis zur klagenden Ehefrau zu verstehen gewesen. Adressat der Auskunft sei ausschließlich das Familiengericht gewesen. „Da sie nicht an die Kl. gerichtet war, konnte sie bei der Kl. auch nicht vertrauensbildend wirken." 3 1 6 (3) Der Anstellungsvertrag des Ehemannes mit der Bank entfalte auch keine Schutzwirkung zugunsten der geschiedenen Ehefrau. 317 Dahinstehen könne dabei
313 Insbesondere sei § 53b Abs. 2 S. 3 FGG kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. 314 So insbes. unter Berufung auf Canaris, FS Larenz, S. 94 ff. 315 Die Haftung sei nicht allein damit zu rechtfertigen, dass die Bank möglicherweise damit hätte rechnen können, die Ehefrau werde die Auskunft ungeprüft zur Grundlage ihrer Dispositionen im Versorgungsausgleichsverfahren machen. 316 Auch habe die Bank weder im eigenen wirtschaftlichen Interesse gehandelt, noch habe sie die Versorgungsauskunft als Fachmann im Rahmen ihrer eigentlichen Berufsleistung erteilt. 317 Ebenso auch OLG Hamm FamRZ 1985, 718, 719: „Die Rechtsfigur eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte kann hier keine Anwendung finden."
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
die Frage, ob die Bank überhaupt durch die Auskunftserteilung gegenüber dem Familiengericht nach § 53b Abs. 2 FGG zugleich vertragliche Schutzpflichten im Rahmen des Anstellungsvertrages verletzen konnte, da einem eigenen Ersatzanspruch der Ehefrau entgegenstehe, „daß sie nicht in den Schutzbereich des Anstellungsvertrags einbezogen ist". Denn, da die Ehe im Zeitpunkt der Auskunftserteilung bereits rechtskräftig geschieden worden war, lagen keine „besondere(n) durch eine persönliche Fürsorgepflicht gekennzeichnete(n) Beziehungen" mehr vor. Die geschiedenen Ehegatten „verfolgten vielmehr im Verfahren über die Höhe des Versorgungsausgleichs gegenläufige Interessen". Diese objektive Interessenlage lasse es nicht zu, den Schutzbereich des Dienstvertrages der Bank mit dem geschiedenen Ehemann auf die Ehefrau zu erstrecken. Und, so das Gericht weiter, da die Bank die Auskunft auf gerichtliches Ersuchen hin und nicht auf Veranlassung oder im Benehmen mit dem Ehemann erteilt habe, scheide schließlich die Möglichkeit aus, „daß zwischen ihnen vertragliche Schutzpflichten auch zugunsten der Ehefrau (stillschweigend) vereinbart worden sind". (4) Sachverhalt wie Entscheidungsgründe bilden geradezu einen „Paradefall" für unsere Problematik. Angesprochen und geprüft werden neben den unzureichenden deliktischen Anspruchsgrundlagen sämtliche zur Lösung der Drittschutzfrage gängigen juristischen Konstruktionen. Offensichtlich wird dabei auch die Austauschbarkeit dieser Figuren untereinander. Ob die Bank für ihre Auskunft gegenüber der Ehefrau einstehen will, ob diese der Auskunft vertrauen durfte und die Bank besonderes Vertrauen in Anspruch genommen hat oder ob sie nach dem Willen und Interesse ihres geschiedenen Ehegatten gegenüber seinem Arbeitgeber geschützt werden soll, stets geht es im Kern um die Frage, ob und gegenüber wem die Bank als Arbeitgeber die Pflicht trifft, ordnungsgemäß Auskunft über die Versorgungsansprüche zu geben. Bei der Prüfung eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte hält sich das OLG Karlsruhe in den Entscheidungsgründen streng an die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgebildeten Erscheinungsformen. Es vollzieht dabei strikt die Zweispurigkeit der Figur nach. 318 So wird zunächst die auf Treu und Glauben und der „Wohl und Wehe"-Formel beruhende Einbeziehung von nahestehenden Personen des Gläubigers verneint. Denn aufgrund der hier in der Tat zwischen den geschiedenen Ehegatten bestehenden gegenläufigen Interessen konnte das Gericht eine Anwendung nicht bejahen. Das Gericht gelangte sodann zur zweiten, auf konkludente Vereinbarung abstellenden Herleitung der Schutzwirkung. Im Wege ergänzender Vertragsauslegung werden, wie gesehen, auch Personen mit gegenläufigen Interessen in den vertraglichen Schutz einbezogen, so dass hier also die gegenläufigen Interessen der geschiedenen Ehefrau unbeachtlich und ihre Einbeziehung möglich sein könnte. Jedoch war die Auskunftserteilung der Bank nicht - wie sonst üblich - aufgrund einer Auskunftsabrede oder eines entsprechenden Vertrags erteilt worden, sondern die Auskunft betraf die Rentenansprüche des an318
Vgl. zur Zweiteilung der Figur bereits o. u. Β. II. 1.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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gestellten Ehemanns und ihre Erteilung erfolgte aufgrund gerichtlichen Ersuchens gemäß § 53 b Abs. 3 FGG. Es bestand somit keine vertragliche Vereinbarung zwischen der Bank und dem Ehemann, in die eine vertragliche Schutzwirkung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung „hineinfingiert" werden konnte. Eine Verbindung der beiden Herleitungen dahingehend, eine Schutzwirkung auch bei gegenläufigen Interessen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben herzuleiten, wurde erst gar nicht erwogen. Das Gericht kam so zu dem Schluss, dass es zwar „unter bestimmten Voraussetzungen" möglich sein könne, dass dem Ehegatten seinerseits bei ihn schädigenden Falschauskünften gegen die Bank ein Ersatzanspruch wegen der Verletzung vertraglicher Schutzpflichten im Rahmen des Anstellungsvertrags zustehe, dass hingegen die geschiedene Ehefrau keine Ersatzansprüche geltend machen könne. 319 Zweifelhafte Folge dieser Ansicht ist damit, dass ein und dasselbe Fehlverhalten der Bank, das nur rein zufällig je nach Ausschlag des Fehlers, einmal den Ehegatten und ein anderes Mal die Ehefrau treffen kann, unterschiedlich sanktioniert wird. Trifft das Versehen den angestellten Ehemann, so haftet die Bank. Trifft es dagegen die geschiedene Ehefrau, so bleibt das Versehen sanktionslos - ein bei unvoreingenommener Betrachtung sowohl für Bank wie Geschädigte willkürliches Resultat, das zudem gegen das stets für den vertraglichen Drittschutz erhobene Argument des sonst eintretenden „Leerlaufens von Pflichten" verstößt. 320 Mit dem Rechtsempfinden ist diese Ungleichbehandlung jedenfalls nur schwer zu vereinbaren. 321 Dabei ist das Ergebnis des OLG Karlsruhe und damit auch seine auf dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte beruhende Herleitung nur richtig, wenn eine Haftung für die nach § 53b Abs. 2 FGG im Wege des gerichtlichen Ersuchens und nicht kraft privatrechtlicher Vereinbarung erteilte Auskunft generell nicht in Betracht kommt. Nur dann nämlich erweist es sich als richtig, für den Drittschutz an eine vertragliche Vereinbarung anzuknüpfen. Aber genau das Gegenteil nimmt der Bundesgerichtshof im Fall der Auskunftserteilung durch einen öffentlich-rechtlichen Rentenversicherungsträger an. 3 2 2 Dieser soll nach § 839 BGB sowohl dem versicherten Ehemann als auch der geschiedenen Ehefrau haften trotz der gesetzlich angeordneten Auskunftspflicht nach § 53 Abs. 2 FGG.
319 OLG Karlsruhe NJW 1986, 854. 320 So etwa Ziegltrum, Vertrag, S. 180 f.; ebenso Canaris , FS Larenz, S. 99. 321 Konsequenterweise auch gegen eine Haftung gegenüber dem Arbeitnehmer OLG Hamm FamRZ 1985, 719: Zwar „befand sich allerdings - insofern anders als regelmäßig ein gerichtlicher Sachverständiger - die AGg. in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeberin des gesch. Ehemannes in der Rolle der zu sachkundiger Auskunft verpflichteten Stelle. Gleichwohl kann der behauptete Fehler in der dem FamG erteilten Auskunft nicht (auch) als Verletzung des mit dem gesch. Ehemann bestehenden Arbeitsvertrages und der daraus herzuleitenden Schutzpflichten zugunsten der gesch. Ehefrau angesehen werden". 322 BGH NJW 1998, 138 ff.; dazu eigehend unten 3. Kap. Β. II. 3.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Das im Wege der Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gewonnene Ergebnis bleibt somit äußerst zweifelhaft, die tragenden Kriterien unklar.
ee) Die unterschiedliche Auslegung der „Leistungsnähe" Und schließlich zwang auch der Bürgschafts-Fall zu einer weiteren Aufweichung des Haftungstatbestands. Betroffen war dabei das Merkmal der „Leistungsnähe", denn offenbar hatte die für den Kredit bürgende Bank das fehlerhafte Gutachten selbst nie gesehen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs stand auch dies einer Drittschutzwirkung nicht entgegen. Ein Kreditinstitut, das sich gegenüber einem Realkreditgeber verbürge, müsse sich darauf verlassen können und dürfen, dass der Realkreditgeber die Werthaltigkeit des Beleihungsobjekts ordnungsgemäß geprüft habe, und es sei daher ohne Belang, ob die Bank vom Inhalt des Wertgutachtens Kenntnis gehabt hätte. 323 Die Zahl der erforderlichen Fiktionen, so buchhalterisch nüchtern Kiss , ist mit diesem Urteil auf drei angewachsen.324 Denn davon, dass die bürgende Bank auch ohne eigene Prüfung bestimmungsgemäß mit dem Gutachten in Berührung gekommen wäre, wie eben noch im Nitrierofen-Fall gefordert, 325 kann hier keine Rede sein. Das Merkmal „Leistungsnähe" ist mit dieser Auslegung zu einem bloß hypothetischen Vertrauenserfordernis degradiert. 326 Der Dritte muss nicht mehr mit dem Leistungsgegenstand, hier das Gutachten, sondern dem Gutachtengegenstand in Berührung kommen. Es soll hier ausreichen, dass der Realkreditgeber für den Bürgen quasi „in Vertretung" prüft und vertraut und es soll zudem nicht schaden, dass der Experte von dem Bürgen keinerlei Kenntnis hatte, obwohl an anderer Stelle, im Urteil vom 21.5. 1996, ausdrücklich für erforderlich erklärt wurde, dass die Auskunft für den Dritten bestimmt und der auskunftgebende Experte - dort eine Bank - sich bewusst war, dass sie für diesen in der erwähnten Weise bedeutsam und als Grundlage entscheidender Vermögensverfügungen dienen werde. 327 „Wird das nicht offenbart, muß die Bank nicht mit der atypischen Situation rechnen, daß der anfragende Kunde die Auskunft in verdeckter Stellvertretung für einen Dritten einholt." 328 Die „Leistungsnähe" erfährt somit in beiden Fällen eine höchst unterschiedliche, bei Gegenüberstellung widersprüchliche Deutung. 329
323 BGH NJW 1998, 1062. 324 Kiss, W M 1999, 117. 325 BGH NJW 1996, 2927, 2929, s. oben unter C. II. 2. b) aa). 326 Kiss, W M 1999, 118. 327 BGHZ 133, 36,42 = BGH NJW 1996, 2734, 2736 zur Drittschadensliquidation. 328 BGH NJW 1996, 2736. 329 Auch Schneider, ZHR 163, 260, merkt an, dass beide Entscheidungen „in einem gewissen Gegensatz" stünden.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
c) Konturenlosigkeit
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als Ursache der fehlenden Überzeugungskraft
Diese ganz offensichtlich mehr ergebnisorientierte Auslegung ist beispielhaft für die Auflösungstendenzen innerhalb der Rechtsfigur sowie die wachsende Konturenlosigkeit und schwindende Präjudizwirkung ihrer Tatbestandsmerkmale.330 Die Kriterien für eine vertragliche Schutzwirkung sind „inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verwischt". 331 Eine Vorhersage in künftigen Fallgestaltungen über deren „Dritthaftungswürdigkeit" 332 ist auf der Grundlage dieser verschwommenen, generalklauselartig angelegten Rechtsfigur nahezu unmöglich. Die Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte erweist sich als völlig inkonsistent. Die aufgezeigten Widersprüche verhindern heute ein einheitliches Verständnis der Figur. Unter ihren Anwendungsbereich werden offensichtlich ganz unterschiedliche Probleme und Fragenkomplexe subsumiert, notwendigerweise müssen die Kriterien dabei unscharf und beliebig deutbar bleiben. 333 Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte liefert nur noch die „Hilfs-Konstruktion" 334 einer Haftung, trägt aber selbst nicht mehr zur Lösung bei.
I I I . Die nur vermeintlich gesetzeshomogene Anbindung an die Vorschriften des Vertrags zugunsten Dritter gemäß §§ 328 ff. BGB 1. Die konstruktionsbedingten Mängel des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Kennzeichnend für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist die enge Anlehnung an die gesetzlichen Regelungen des Vertrags zugunsten Dritter in §§ 328 ff. BGB, wie sie auch in den Äußerungen der Literatur zum Ausdruck kommt. 335 Nach von Caemmerer stellt der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 330
Die Befürchtung von Schwerdtner, Jura 1980, 498, die Rechtsfigur werde „völlig konturenlos", „wenn man schlicht von den Auswirkungen auf Dritte auf eine Einbeziehung in den Schutzbereich schließt", scheint damit eingetreten zu sein. 33 1 So mit Recht MünchKomm ! Mertens, BGB, § 823 Rn. 469. 33 2 In Anlehnung an Lang, WPg 1989, 57. 333 Auch Esser/Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 34 IV 2 c (S. 271), sprechen von „Heterogenität der angeblich 'vertraglichen' Schutzgegenstände". Bezeichnend für die Inhomogenität des Fallmaterials ist die Arbeit von Ziegltrum, mit der eine einheitliche Fundierung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu erreichen versucht wird, auf deren Grundlage dann aber im Ergebnis wichtige Fälle aus dem Anwendungsbereich der neuausgerichteten Rechtsfigur fallen (Vertrag, S. 194 ff.), vgl. dazu noch u. 2. Kap. Α. I. 2. u. 3. 334 So die passende Bezeichnung von Strauch, JuS 1992, 899. 335 Der Schritt des BGH weg von der Anspruchsherleitung des RG war in Wahrheit rein formaler Natur, nämlich die Einsicht in die von Larenz vorgetragene Differenzierung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten. Inhaltlich blieb der BGH der Rechtsprechung des RG
7 Plötner
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
nur eine „kraft Privatautonomie mögliche Spielart des Vertrags zugunsten Dritter" dar. 336 Larenz sieht darin „einen im Gesetz nicht geregelten schwächeren Typus des 'Vertrags zugunsten Dritter' im weiteren Sinn", „der auf einer Fortbildung des Rechts durch die Rechtsprechung" beruhe. 337 Die §§ 328 ff. BGB sind gesetzliche Stütze und konstruktive Grundlage für die Herleitung dieser Haftungsfigur. Der Schadensersatzanspruch wird - nach wie vor und trotz aller Tendenzen einer Verobjektivierung - aus dem Vertragsverhältnis zwischen Schädiger /Schuldner und Gläubiger abgeleitet. Gerade diese Herleitung der Haftung birgt jedoch für die Fälle des Vermögensschadensersatzes eine tiefgreifende, die gesamte Anspruchskonstruktion in Frage stellende Problematik, die sich im Konsul-Fall bereits andeutete und die dann im Dachboden-Fall und im Bürgschafts-Fall in ihrer ganzen Schärfe hervorbrach. Dem Dritten wird im Wege des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht ein Anspruch aus eigenem Recht gewährt, sondern konstruktionsbedingt nur ein abgeleiteter Anspruch durch den Gläubiger aus seinem Verhältnis zum Schuldner und Schädiger eingeräumt. Konstruktiv wird also der in § 328 BGB geregelte Leistungsanspruch zugunsten Dritter durch eine Schutzpflicht und dem korrespondierend einen Schadensersatzanspruch ausgetauscht. Die Anspruchsherleitung im Wege privatautonomer Gestaltung bleibt im übrigen gleich. Notwendigerweise muss dann aber auch auf Grundlage dieser Herleitung der für § 328 BGB fundamentale Grundsatz Geltung finden, dass dieser - gedanklich - lediglich abgeleitete Anspruch nur so auch für die Person des Dritten begründet werden kann, wie er für den Gläubiger selbst begründet werden könnte. Denn es handelt sich ja gerade nicht um einen originär eigenen Anspruch. Folge dieser Herleitung ist damit zwangsläufig, dass sich der Dritte sämtliche Einreden und Einwendungen, die der Schuldner gegenüber dem ihn begünstigenden Gläubiger hat, entgegenhalten lassen muss, wie dies ausdrücklich in §§ 334 BGB festgeschrieben ist. Und in konsequenter Anwendung dieses Gedankens muss sich der Dritte insbesondere auch das Mitverschulden des Gläubigers gegenüber Ersatzansprüchen gegen den Schuldner anspruchsmindernd zurechnen lassen, auch ohne dass dieser zugleich im Verhältnis zum Schuldner sein Erfüllungsgehilfe i.S.v. § 278 BGB ist. Eben diesen Schluss hat der Bundesgerichtshof im Werkshallen-Fall vom 7. 11. 1960 auch gezogen.338 „Wie bei jedem Vertrag zugunsten eines Dritten leitet auch bei einem Vertrag der
treu. Eine Herleitung des Anspruchs des Dritten erfolgte weiterhin im Wege ergänzender Vertragsauslegung. Aus der unmittelbaren Anwendung der §§ 328 ff. BGB wurde lediglich eine entsprechende Anwendung. 336 von Caemmerer, FS Wieacker, S. 315; dagegen Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 185. 33 7 Larenz, Schuldrecht I, § 17 I I (S. 226). Auch Lorenz, JZ 1995, 320, sieht das Wirkungsgebiet der §§ 328 ff. BGB noch nicht verlassen, wenn man dem Dritten zwar keinen eigenen Leistungsanspruch gibt, ihn aber gleichwohl dergestalt in die Schutzwirkung des Vertrages einbezieht, dass nicht nur seine Integritätsinteressen, sondern auch Vermögensinteressen gewahrt sein sollen. 338
BGHZ 33, 247 = NJW 1961, 211.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes
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hier vorliegenden Art der geschützte Dritte seine Rechte gegen den Schädiger nur aus den Vertragsbeziehungen der unmittelbaren Vertragspartner her. Dann ist es aber auch folgerichtig, daß ihm keine größeren Rechte zustehen als dem unmittelbaren Vertragspartner des Schädigers. Das ist schon dem dem § 334 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken zu entnehmem, wonach Einwendungen aus dem Vertrag dem Versprechenden auch gegenüber dem Dritten zustehen."339 Kurz: Die Einbeziehung des Dritten in den geschützten Vertragsbereich bringe es mit sich, dass dieser mit der Erweiterung des Rechtsschutzes auch die damit verbundenen Rechtsnachteile in Kauf nehmen müsse. Allein dieses Ergebnis - so abschließend - entspreche der Billigkeit. In schlichter Anwendung und Übertragung der Anspruchsherleitung müsste damit eigentlich auch in den Fällen der Expertenhaftung der geschädigte Käufer oder Kreditgeber das Mitverschulden des Verkäufers oder Kreditnehmers gegenüber dem Experten selbst tragen, und wiederum rein konstruktiv folgerichtig auch dessen arglistiges und von Täuschungsabsicht getragenes Verhalten, auch wenn dieses mittelbar gerade auf die Schädigung des Dritten abzielt. Und genau diese Konsequenz hat vor dem Dachboden-Urteil in der Tat noch das LG Mönchengladbach gezogen.340 Geklagt hatte die Hausbank eines Unternehmens gegen den die Jahresabschlüsse erstellenden Wirtschaftsprüfer. Die Bank war dadurch, dass sie auf der Basis der ihr zugeleiteten Jahresabschlussberichte und der dadurch bewirkten Fehlvorstellung über die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens den Kreditrahmen ausgeweitet hatte, infolge der Insolvenz des Unternehmens mit ihren Forderungen ausgefallen. Den Ersatz des Schadens verlangte sie von dem Wirtschaftsprüfer vor allem auf der Grundlage eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs unter dem Gesichtspunkt des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Diesen Anspruch verneinte das Landgericht (u. a.) unter Hinweis auf die den für das Unternehmen vertretungsberechtigten Personen vorzuwerfende Bilanzfälschung.341 „Wie bei jedem Vertrag zu Gunsten eines Dritten vermag auch bei einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte der geschützte Dritte [ . . . ] seine Rechte gegen den Schädiger [ . . . ] nur aus der Vertragsbeziehung der unmittelbaren Vertragspartner mit der Folge herzuleiten, daß dem Dritten keine größeren Rechte zustehen als dem unmittelbaren Vertragspartner des Schädigers". 342 Soweit sich hieraus ergebe, dass der Dritte sich ein eventuelles Mitverschulden des Vertragspartners des Schädigers nach § 254 BGB anspruchsmindernd anrechnen lassen müsse, führe dies im Ergebnis dazu, dass der Bank gegenüber dem Wirtschaftsprüfer keine vertraglichen Ansprüche zustünden. Das Unternehmen als unmittelbarer Vertragspartner des Wirtschaftsprüfers habe durch die von ihren vertretungsberechtigten 339 BGHZ 33, 250. 340 LG Mönchengladbach v. 31. 5. 1990, NJW-RR 1991, 415, dazu bereits oben C. II. 2. b) bb). 341 Das LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 416, sah dabei durchaus die sich in der Tat aufdrängende Parallele zum Hausbank-Fall des BGH. 342 LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 417.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Personen verfälschten Bilanzen die entscheidende Ursache dafür gesetzt, dass die auf diesen Bilanzen beruhenden Jahresabschlussberichte des Wirtschaftsprüfers fehlerhafte Weitungen über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens beinhaltet hätten. Und schlussfolgernd: „Könnte aber aus den vorbezeichneten Gründen die Gemeinschuldnerin (das Unternehmen) ihrerseits nicht mit Erfolg gegenüber dem [Wirtschaftsprüfer] vertragliche Schadensersatzansprüche geltend machen, so besteht auch gleichzeitig keine Grundlage für die Ansprüche der K l . " 3 4 3 Das LG Mönchengladbach kommt aber mit diesem, in Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte letztlich nur konsequenten Schluss 344 zu einem grotesk anmutenden, nicht hinnehmbaren Resultat. Gerade dann, wenn der Kreditnehmer oder der Käufer den ihm durch das Testat gewährten Schutz vor Übervorteilung am nötigsten hat, würde ihm die konstruktive Herleitung dieses Schutzes einen Anspruch versagen. Dort nämlich, wo der Kreditnehmer oder Käufer seinem Vertragsgegner und dessen Angaben zu Recht nicht traut, weil dieser hier nunmehr seine „gegenläufigen Interessen" mit unlauteren Mitteln durchzusetzen sucht, wo also die Gefahr der Übervorteilung durch Unrichtigkeit und Unvollständigkeit der Angaben des jeweiligen Gegenübers, vor der die Expertise gerade bewahren soll, in ihrem Extremfall eskaliert, würde der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte kläglich versagen. Obwohl sich der Käufer oder Kreditgeber durch die Angaben des Experten vor eben diesem Risiko abgesichert fühlt, würde die Figur bei dessen tatsächlichem Eintritt keinen Schutz gewähren. Im Gegensatz zum Werkshallen-Fall entspricht die Zurechnung des Mitverschuldens in diesen Fallgestaltungen gerade nicht der „Billigkeit" und die Unhaltbarkeit dieses Ergebnisses, wie auch die Unterschiedlichkeit der Fälle, hat denn auch der Bundesgerichtshof erkannt. Die Richter behalfen sich - wie sollte es anders sein - mit dem bewährten und gefügigen Mittel der Vertragsauslegung. Die entgegenstehende Vorschrift des § 334 BGB sei von den Parteien zugunsten des Dritten stillschweigend abbedungen.345 Zu Recht meint Canaris , „daß eine solche doppelte (!) Vertragsauslegung hochgradig gekünstelt wirkt". 3 4 6 Die oben bereits festgestellte Inhomogenität des Fallmaterials wird hier nunmehr auch vom Bundesgerichtshof in aller Offenheit bestätigt. Die Rechtsprechung zu den Fällen von „Wohl und Wehe", so das Eingeständnis der Richter, lasse sich nicht unbesehen auf die Fälle „gegenläufiger Interessen" übertragen. 347 Gerade aber in der Durchbrechung dieses Grundsatzes liegt eine gravierende Einschränkung der Regeln über Schutzwirkungen zugunsten Dritter. 348 Vollends hier wird deutlich, dass der eingeschlagene Weg 343 LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 416. 344 So auch Weber, NZG 1999, 8; Canaris, ZHR 163, 216. Stahl, Dritthaftung, S. 137, spricht von einer „denknotwendigen Folge des gewählten Ansatzes". 345 BGH NJW 1995, 393; NJW 1998, 1061. 346 Canaris, JZ 1995, 444; zust. Kiss, W M 1999, 118. 347 BGH NJW 1995, 393 f. 348 Canaris, JZ 1995, 442; Canaris sieht denn auch in der Ableitung des Anspruchs die „zentrale Schwäche der Konstruktion des BGH", ZHR 163, 216.
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nicht der richtige sein kann. 349 Offensichtlich wird im Dachboden- und Bürgschafts-Fall die Notwendigkeit einer völligen Loslösung der Haftungsfrage vom Vertragsverhältnis des Experten mit dem Auftraggeber. Gerade diese neueren Fallgestaltungen der Expertenhaftung zwingen zu immer größeren argumentativen Anstrengungen und Winkelzügen, um dem richterlichen Judiz und den Interessen der Parteien auf der Grundlage des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte noch gerecht werden zu können. Die Ergebnisse verlieren dabei immer mehr an Überzeugungskraft. Die §§ 328 ff. BGB sind immer weniger gesetzliches Fundament, als vielmehr lästiges Hindernis. Denn mit der Loslösung des Drittanspruchs von der Person des Gläubigers und der zunehmenden Entfremdung von den Ursprüngen der Rechtsfigur hat man sich zugleich auch von der gesetzlichen Anknüpfung in den §§ 328 ff. BGB weit entfernt.
2. Die Tauglichkeit der §§ 328 ff. BGB als gesetzlicher Ansatz für die Herleitung einer Haftung auf Schadensersatz Hat bereits Medicus in Reaktion auf das Dachboden-Urteil angemerkt, dass § 334 BGB auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bei gegenläufigen Interessen „überhaupt nicht paßt", 350 so kommen hier mehr und mehr Zweifel auf, ob diese berechtigte Feststellung nicht doch auf halbem Wege stehen bleibt. Denn angesichts der festgestellten konstruktionsbedingten Mängel dieser Figur drängt sich nunmehr weitergehend die Frage auf, ob die §§ 328 ff. BGB insgesamt tauglicher gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die gesuchte Haftung sein können.
a) Wesen und Ursprung des Vertrags zugunsten Dritter Der Vertrag zugunsten Dritter ist ein Rechtsinstitut des modernen Privatrechts. Er verdankt seine Entstehung der Überwindung eines römisch-rechtlichen Prinzips durch das Naturrecht und der gemeinrechtlichen Wissenschaft des Usus Modernus Pandectarum. Nach klassischem römischen Recht waren Verträge zugunsten Dritter generell unzulässig.351 Der Rechtserwerb durch einen am Vertrag nicht beteiligten Dritten widersprach dem Prinzip des „alteri stipulali nemo potest", das über die Stipulationen hinaus allgemeine Geltung für alle Obligationen hatte. Die „obligatio" begründete danach kein selbständiges Rechtsverhältnis, sondern war als „vinculum iuris" untrennbar mit den Parteien verbunden. 352 Eine Beteiligung Dritter an einem Ver349 So auch Kiss, W M 1999, 118. 350 Medicus, JZ 1995, 309. 351 Käser, Röm.Recht, Bd. 1, § 115 II 5 (S. 491); Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, 1990, S. 82 f.; Kabel, Röm.Privatrecht, 2. Aufl., 1955, S. 179 f.; Windscheid, Pandekten, 2. Bd., § 316, 2; Motive bei Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. 2, S. 147.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
tragsverhältnis war folglich denknotwendigerweise ausgeschlossen. Der Rechtssatz „alteri stipulali nemo potest" verhinderte nicht nur einen unmittelbaren Rechtserwerb des begünstigten Dritten, sondern bedeutete darüber hinaus, dass eine Leistung an einen Dritten grundsätzlich nicht zum Inhalt der Obligation gemacht werden konnte. Erst das spätklassische Kaiserrecht erkannte Ausnahmen an, in denen dem Dritten billigkeitshalber ein Anspruch - sog. actio utilis - eingeräumt wurde. 3 5 3 Auch später, für die Glossatoren und Kommentatoren des Mittelalters, hatte das Prinzip „alteri stipulali nemo potest" Geltung und mit der Rezeption des römischen Rechts fand es sodann Einzug in die deutsche Rechtsgeschichte.354 Erst das Naturrecht wich von der tradierten römischen Vertragsordnung ab und setzte dem die Erkenntnis entgegen, dass allein der Konsens der Parteien den natürlichen Geltungsgrund für eine vertragliche Bindung darstelle. 355 Die Möglichkeit, einen Dritten durch vertragliche Vereinbarung zu begünstigen, stand danach außer Frage und das römisch-rechtliche Prinzip war außer Kraft gesetzt. Dem folgend war für die gemeinrechtliche Wissenschaft des Usus Modernus Pandectarum eine vertragliche Drittbegünstigung zulässig und die Regel des „alteri stipulali nemo potest" durch entgegenstehendes Gewohnheitsrecht verdrängt. 356 Die historische Rechtsschule bewirkte dann mit ihrer Rückbesinnung auf die römisch-rechtlichen Quellen auch ein Wiederaufleben des strengen römischen Prinzips. Bereits ein Bedürfnis für das Abweichen von der Regel und die Anerkennung eines Vertrags zugunsten Dritter streitet von Savigny ab. 3 5 7 Ein innerer Grund sei gar nicht vorhanden, „eine Praxis des heutigen Rechts anzunehmen, wodurch die Regel aufgehoben worden wäre, dergestalt, daß nunmehr der Dritte, zu dessen Vortheil der Vertrag geschlossen wird, daraus ein Klagrecht erworben hätte, ohne durch Auftrag oder Genehmigung in ein Verhältniß der Stellvertretung gekommen zu seyn". 358 „Die Behauptung 352 Vgl. dazu Flume, Rechtsakt und Rechtsverhältnis, S. 82 f.; Rabel, Röm.Privatrecht, S. 179 f.; u. die bei Bayer angeführten Quellen und Zitate, Vertrag zugunsten Dritter, S. 6 ff. 3 3 * Käser, Röm.Recht, S. 491; Windscheid, Pandekten, § 316, 2; ausfühlich Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 12 ff., etwa für den Fall, dass der Gläubiger ein in Geld schätzbares Eigeninteresse an der Drittleistung hatte. 3 54 Vgl. dazu wiederum ausfühlich Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 30 ff. 355 Hierbei federführend Hugo Grotius, De iure belli ac pacis libri très, 1625, vgl. dazu die Zitate bei Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 37 ff. 356
Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 43 ff. m. Hinweisen für die damalige Literatur. Die Möglichkeit vertraglicher Drittbegünstigung ist auch eingegangen in damalige Kodifikationen, vgl. ders. y S. 56 ff. 357 von Savigny, Obligationenrecht, 2. Bd. 1859, § 59 (S. 74 ff.); von Savigny sieht den Grund der Regelung darin, „daß die Obligation überhaupt, als Beschränkungen der natürlichen Freiheit, nur insoweit einen Rechtsschutz erhalten, als das Bedürfnis des Verkehrs denselben nothwendig erfordert; dieses Bedürfnis aber führt nur darauf, für den Handelnden, nicht auch für einen Dritten, Rechte zu begründen" (S. 76). 3 58 von Savigny, Oblligationenrecht, 2. Bd., S. 83. Dieser Fall sei „nicht von großer Erheblichkeit" und werde „in den meisten wichtigen Anwendungen in einen Fall der Stellvertretung, durch spätere Genehmigung, übergehen, und dann aus den für die Stellvertretung aufgestellten Regeln von selbst seine Erledigung finden" (S. 84).
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 103
Mancher, daß ein Dritter, jetzt nach dem Naturrecht, aus dem, zu seinem Vortheil geschlossenen Vertrage eines Dritten klagen könne", so etwa auch Thibaut , „setzt den zweifach unmöglichen Beweis voraus, daß das Naturrecht wirklich dem Römischen Recht widerstreite, und diesem vorzuziehen sey." 359 Dementsprechend war nach Göschen ein Vertrag ungültig, „inwiefern man sich darin eine Leistung ausbedingt an einen Dritten". 360 Der Gültigkeit dieses Vertrages stand für Puchta entgegen, „daß das Erfordernis des Interesses bei dieser Forderung fehlt. Der, welcher Gläubiger werden könnte, hat kein Interesse, und der das Interesse hat, wird nicht Gläubiger." 361 Das strikte Prinzip anerkennend, aber zugleich abschwächend verlangten etwa von Wächter, Thibaut und von Wening-Ingenheim im Einklang mit den römischen Quellen für die Wirksamkeit des Vertrages ein eigenes Interesse des Gläubigers an der Leistung an den Dritten. 362 Diese Renaissance des Prinzips „alteri stipulali nemo potest" beschränkte sich allerdings auf den Bereich der Rechtswissenschaft. In der Rechtspraxis konnte sich die Historische Rechtsschule nicht durchsetzen. 363 Die Rechtssprechung anerkannte zahlreiche Vertragsgestaltungen zugunsten Dritter als „deutsches Gewohnheitsrecht". 364 Und mit dem Ende der Historischen Rechtsschule wurden die Verträge zugunsten Dritter nunmehr auch von der Wissenschaft akzeptiert. Ausschlaggebend hierfür waren die wirtschaftlichen Bedürfnisse, denen dieser Rechtszustand auf Dauer nicht genügen konnte, hierbei insbesondere „wichtige Erscheinungen im modernen Rechtsleben" wie die Lebensversicherungsverträge zugunsten Dritter, der Einkauf der Ehefrau in eine Witwenkasse und die bäuerlichen Gutsübergaben mit Ausbedingung einer Abfindung oder sonstigen Begünstigungen.365 Beispielhaft sieht Windscheid in dem Drang nach Anerkennung des Vertrags zugunsten Dritter „eine Thatsache, welche nicht unbeachtet gelassen werden darf, in welcher vielmehr der Zug eines modernen Rechtsbewußtseins anerkannt werden muß". 3 6 6 In den Vordergrund trat nunmehr die Frage, ob und aufgrund welcher rechtlichen Konstruktion der Dritte ein eigenes For-
359 Thibaut, System des Pandektenrechts, Bd. 2, 8. Aufl. 1834, § 463 (S. 21). 360 Göschen, Vorlesungen über das gemeine Civilrecht, 2. Bd. 2. Abt., 2. Aufl. 1843, § 433 (S. 187), unter Verweis auf den allgemeinen römischen Grundsatz, wonach es unzulässig sei, „der Leistung, welche den Gegenstand des Vertrages ausmachen soll, eine Beziehung zu geben auf einen Dritten". 361 Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht, Bd. 2, 1848, § 256. Ebenso von Wening-Ingenheim, Gemeines Civilrecht, 2. Bd., 2. Aufl., 1825, § 85 (S. 110): Der Dritte erwirbt kein Recht „selbst, wenn ausdrücklich für einen Dritten contrahiert wurde, in welchem Falle der Vertrag sogar ungültig ist und der Dritte überhaupt kein Klagerecht erhält". 362 Von Wächter, Württemberg. Privatrecht, 2. Bd., 1842, § 88 (S. 683 f.); Thibaut, System, § 463; von Wening-Ingenheim, Civilrecht, § 86 (S. 111); so auch Göschen, Vorlesungen, S. 189\ Arndts, Pandektenrecht, § 233 (S. 408). 363 Weitere Nachweise zu den Vertretern der jeweiligen Rechtsauffassung und den Gerichtsentscheidungen bei Windscheid, Pandekten, § 316, 2, Anm. 13. 364 Vgl. dazu die Darstellung und Zitate bei Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 68 ff. 365 So zusammenfassend die Motive bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 147. 366 Windscheid, Pandekten, § 316, 2 Anm. 13.
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derungsrecht erwerben könne, und diese Diskussion beherrschte auch das Gesetzgebungsverfahren für die heutigen §§ 328 ff. B G B . 3 6 7 Überwiegend wurde ein selbständiges und klagbares Recht des Drittbegünstigten b e j a h t 3 6 8 und unter den zahlreichen, i m Schrifttum vertretenen und in der Praxis angewandten Theorien setzte sich zunehmend die alleinig drittberechtigende Wirkungskraft des Parteiwillens durch, ohne dass es noch weiterer hinzutretender Voraussetzungen in der Person des Dritten bedurfte. 3 6 9 So konnte die 1. Kommission zusammenfassend feststellen, dass „die Anerkennung des 'pactum in favorem tertii' als ein allgemeines Rechtsinstitut mit der Wirkung der unmittelbaren Entstehung eines Forderungsrechtes für den Dritten heutzutage für die Mehrzahl der in Betracht kommenden Verhältnisse allein den Bedürfnissen und der i m Rechtsleben herrschenden Intention (entspricht)". 3 7 0 Auch sei die Gültigkeit und Wirksamkeit des Versprechens zugunsten Dritter nicht von einem besonderen Interesse des Versprechensempfängers an der für den Dritten versprochenen Leistung abhängig. 3 7 1 Die 2. Kommission behielt die Grundkonzeption eines Forderungserwerbs beruhend auf dem Willen der Vertragsschließenden b e i . 3 7 2 Man konzedierte aber der von wissenschaftlicher Seite geübten Kritik am veröffentlichten 1. Entwurf das praktische Bedürfnis, die
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Motive bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 147: „Daß durch den Vertrag für den Empfänger des Versprechens ein wirksames Forderungsrecht auf die Leistung an den Dritten begründet werden kann, wird heutzutage nicht bezweifelt [unter Verweis auf Windscheid]. Dies braucht für den Entwurf nicht besonders hervorgehoben werden. Die Frage ist vielmehr, ob durch den Vertrag für den Dritten, der den Vertrag nicht geschlossen hat, ein Forderungsrecht gegen den Versprechenden geschaffen werden kann." 3 68 Die Gegenposition nahm etwa von Wächter ein, Pandekten, Bd. 2,1881, § 190 (S. 389), der argumentierte, dass „der Dritte, zu dessen Gunsten dem anderen Kontrahenten die Zusage gemacht wurde, kein Recht an dem Vertrage erwirbt, weil er an dem Vertrage nicht Theil nahm und die Partieen nicht als Stellvertreter handeln wollten". Dem Dritten ein Recht auf Erfüllung gegen den Versprechenden einzuräumen, wäre „ganz gegen die Natur der Sache, da in solchen Fällen es offenbar die Absicht der Partieen ist, bloß einander sich zu verpflichten und Herren des Verhältnisses zu bleiben, nicht aber dem Dritten ein selbständiges Recht gegen sie einzuräumen". 369 s. zu den aus heutiger Sicht umständlich erscheinenden Ansätzen Windscheid, Pandekten, § 316 a; umfassend auch hierzu Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 83 ff. 3 ™ Motive bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 149. 371 Motive bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 149. Dies ergebe sich schon aus dem allgemeinen Grundsatze des § 206 (E I, heute § 241 BGB). Auch insoweit noch a.A. von Wächter, Württ.Privatrecht, S. 683 f, der ein eigenes pekuniäres Interesse des Versprechensempfängers forderte. Auch noch in der Vorkommission zur 1. Kommission wurde der Redaktionsvorlage von Kübels entgegengehalten, dass am römisch-rechtlichen Erfordernis eines besonderen Eigeniteresses des Gläubigers grundsätzlich festgehalten werden müsse. Dieser Antrag fand indes keine Unterstützung. Die Mehrheit dort, wie auch in der 1. Kommission befürwortete die uneingeschränkte Anerkennung der Verträge zugunsten Dritter sowie die unmittelbare Entstehung eines Forderungsrechts für den Dritten. 372 Die Vorkommission des Reichsjustizamtes billigte ausdrücklich den diesbezügl. Standpunkt des Enwurfs, vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen, 2. Bd., S. 513; ebenso die 2. Kommission, dies., ebenda, S. 518.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 105
Fälle der Drittberechtigung genauer festlegen zu müssen, und gab dem Rechtsinstitut seine heute geltende Gestalt. 373
b) Der fundamentale Unterschied zwischen dem Vertrag zugunsten Dritter und dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Diese sich über Jahrtausende langsam bahnbrechende, hier nur skizzierte Entwicklung, an deren Anfang das Prinzip „alteri stipulali nemo potest" und an deren vorläufigem Ende die §§ 328 ff. BGB stehen, macht deutlich, dass mit der gesetzlichen Anerkennung eines „pactum in favorem tertii" die Frage der Schadensersatzhaftung, um die es aber beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte unbestritten geht, nicht auch nur ansatzweise berührt wird. Auf die Frage, wann und warum gegenüber einem „Dritten" gehaftet werden soll und muss, geben diese Vorschriften keinerlei Grundlage für Spekulationen oder Anknüpfungsversuche. Nach der klaren gesetzgeberischen Intention beruhen die Regeln des Vertrags zugunsten Dritter auf der Anerkennung des Grundsatzes, „daß durch Vertrag zwischen zwei Personen für einen an dem Vertrage nicht beteiligten (nicht vertretenen) Dritten unmittelbar, ohne daß irgend eine Mitwirkung, Acceptation (im Sinne der Annahme einer Offerte) oder ein Beitritt desselben zum Vertrag nöthig ist, ein selbständiges Forderungsrecht auf die Leistung, zu der sich im Vertrage der eine Vertragsschließende (Promittent) verpflichtet hat, begründet werden kann". 3 7 4 Und gemeint war damit - dies ist heute hinzuzufügen - stets nur die Einräumung eines vertraglichen Hauptleistungsanspruchs.375
373 Die Kritik von Bahr, Seujfert, Gierke, Laband und Goldschmidt ist wiedergegeben bei Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 119 ff.; Ausdrücklich dazu die Vorkommission bei Jakobs/Schubert, Beratungen, 2. Bd., S. 513: „Man verkannte nicht, daß es für die Praxis wünschenswerth sein würde, die unmittelbare Berechtigung des Dritten von objektiven Kriterien abhängig zu machen, allein ein allgemeines, auf objektive Kriterien sich gründendes Prinzip lasse sich nicht aufstellen." Abgelehnt wurde insbes. der Vorschlag, „eine unmittelbare Berechtigung des Dritten nur in solchen Fällen eintreten zu lassen, in welchen die Leistung an den Dritten zum Zwecke der Fürsorge für diesen versprochen werde" (eben wie heute für den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte); dies empfehle sich nicht, „da diese Abgrenzung einerseits wenig praktikabel, andererseits zu eng sei". S. dazu auch die Änderungsanträge von Struckmann, Jacubezky und Planck, dargestellt bei dens., Beratungen, 2. Bd., S. 512 ff. 374
So die Motive bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 149. Davon gingen ohne jeden Zweifel die Gesetzesverfasser des BGB aus, wenn von Kübel als Redaktor der für das Recht der Schuldverhältnisse vom Bundesrat eingesetzten 1. Kommission, in seiner Vorlage (Nr. 11) die Verträge zugunsten Dritter in das Kapitel „Das einseitige Versprechen als Grund der Verpflichtung zur Erfüllung (Auslobung, Versprechen zu Händen Dritter, Inhaberpapiere)" einordnete, vgl. Jakobs/Schubert, Beratungen, 2. Bd., S. 491. Und dies muss auch Sutschet, Schutzanspruch, S. 87, einräumen, der sich für die gesuchte Haftung unmittelbar auf die Figur des Vertrags zugunsten Dritter beruft (S. 80 ff.). 375
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Wenn demgegenüber von Caemmerer angesichts des historischen Ursprungs meint, dies decke auch die Fälle, in denen der Dritte nicht auf die Primärleistung, sondern nur auf Schadensersatz soll klagen können, 376 so übergeht er die Wesensverschiedenheit beider streng zu unterscheidenden Fragen. Und dieser Unterschied lässt sich auch nicht mittels extensiver Auslegung des Begriffs der „Leistung" im Sinne von § 328 Abs. 1 BGB überspielen. 377 Inhalt des Vertrags zugunsten Dritter, wie eben auch von Verträgen insgesamt, ist die Begründung und Entstehung neuer Rechte im Wege der Vereinbarung durch die Vertragsparteien. Regelungsgegenstand des § 328 Abs. 1 BGB ist damit die Vermögensauf Stockung des Dritten mit einem Leistungsanspruch. Demgegenüber kommt dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte die ganz andere Funktion des Schutzes bereits bestehender Rechts- und Vermögenspositionen zu, indem er immer nur auf Verletzungen absoluter Rechte oder eben auch des Vermögens reagiert. Sein Regelungsgegenstand ist damit der Rechtsschutz. Über den Schutz der im Wege des Vertrags zugunsten Dritter begründeten Rechte treffen die vertragliche Absprache und auch die §§ 328 ff. BGB daher selbst keine Regelung, die Folgen der Verletzung dieser Rechte regelt vielmehr das Gesetz in den §§ 280 ff., 325 ff. BGB als besondere Vorschriften über den Schutz relativer Rechte. Auszumachen sind damit gänzlich unterschiedliche Entstehungsgründe. Zwar führt auch der Rechtsschutz zur Entstehung und Begründung eines neuen Forderungsrechts, inhaltlich gerichtet auf Schadensersatz. Dies erfolgt jedoch aufgrund Anordnung des objektiven Rechts in Reaktion auf die eingetretene Rechtsverletzung oder Vermögenseinbuße bei jeweils bereits bestehenden Positionen. Demgegenüber besteht der Leistungsanspruch des Dritten im Sinne von § 328 BGB allein und ausschließlich aufgrund der privatautonomen Gestaltung und Rechtssetzung der Vertragsparteien. Allein anhand dieser Differenzierung ist auch die Vorschrift des § 333 BGB zu erklären, die verhindern soll, dass dem Dritten etwas aufgedrängt wird, was dieser nicht haben w i l l . 3 7 8 Das diesem Grundsatz Rechnung tragende Widerspruchsrecht des Dritten rechtfertigt sich aber nur bei einer aus der Vereinbarung folgenden Vermögensaufstockung. Nur dann wird ihm etwas „aufgedrängt", über dessen Verbleib in seinem Vermögen er erst noch entscheiden muss. Geht es hingegen um Rechtsschutz und demgemäß um den vermögensmäßigen Ausgleich eingebüßter Positionen, so verliert dieser Grundsatz gegenüber dem Schadensersatzanspruch völlig seine Berechtigung. Es wird dann nicht aufgedrängt, sondern nur ausgeglichen. Allein das Innehaben und die Zuweisung dieser Rechtsposition impliziert dann das Kompensationsinteresse. Der Ge-
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6 von Caemmerer, FS Wieacker, S. 315.
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So aber Sutschet, Schutzanspruch, S. 80 ff.. Der Begriff der Leistung sei nicht notwendig auf Erwerbsansprüche beschränkt. Leistung i.S.v. § 328 Abs. 1 BGB meine alles, was überhaupt Inhalt eines Schuldverhältnisses sein könne und dies umfasse auch Schutzansprüche (S. 89). Sutschet beruft sich hierfür ausdrücklich auch auf die historische Auslegung (S. 84 ff.). Ebenso Pfeiffer, L M § 328 Nr. 91 Bl. 4 R, der sich hierfür auf MünchKomm/Ärömer, BGB, § 241 Rn. 15 Fn. 26, beruft. 378 Vgl. statt aller Ptûandt/ Heinrichs, BGB, § 333 Rn. 1.
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schädigte wird auch nicht dem Ersatzanspruch widersprechen, sondern allenfalls in die vorausgehende Schädigung einwilligen, denn diese und nicht der Leistungsanspruch selbst bildet die Grundlage der Verpflichtung zum Schadensersatz. Auch § 333 BGB wie eben die §§ 328 ff. BGB insgesamt passen hier nicht. Denn es handelt sich bei der Haftungsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte weder um „eine kraft Privatautonomie mögliche Spielart des Vertrags zugunsten Dritter" noch um einen „schwächerer Typus des Vertrags zugunsten Dritter". 379 Diese Betrachtung vernachlässigt zu stark, dass im Gegensatz zum Vertrag zugunsten Dritter, der eine Richtungsänderung der vertraglich geschuldeten Leistung bezweckt, der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte die völlig andere Funktion einer Haftungserweiterung hat. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ist vielmehr ein „aliud". 3 8 0 Es geht hier um Haftung, nicht um Leistung. 381 Und es geht hierbei auch nicht um ein privatautonomes Versprechen, sondern um die ganz andere - dazu konträre - Anspruchslegitimation einer heteronomen Haftungssanktion für schadensverursachendes Handeln. 382 Diese Haftungserweiterung durch Schutzpflichten zugunsten Dritter soll Einschränkungen der in den §§ 823 ff. BGB geregelten Schadenshaftung überwinden, die in diesen Fällen als rechtpolitisch verfehlt bewertet werden. 383 Und wenn dagegen etwa Sutschet rechtfertigend anführt, es sei nicht zugleich gesagt, „daß der Gesetzgeber das Abstellen von Schutzansprüchen auf Dritte vermeiden wollte", da „nach dem damaligen Stand der Gesetzgeber sich diesbezüglich überhaupt keine Meinung bilden (konnte), weil ihm die gedankliche Unterscheidung zwischen Erwerbsansprüchen und Schutzansprüchen fehlte", 384 so wird schließlich ungewollt zugegeben, dass heute aus § 328 BGB
379 So die oben angeführten Zitate von Larenz, Schuldecht I, § 17 II (S. 226) und von Caemmerer, FS Wieacker, S. 315. Ähnlich verfehlt fasst Staudinger/ Jagmann, BGB, § 328 Rn. 67, beide Figuren als „Fallgruppen" der Rechtsprechung zusammen, „weil es jeweils eine Frage der Auslegung des Parteiwillens im Einzelfall ist, ob der Dritte ein Recht i. S. d. § 328 Abs. 2 erwirbt [ . . . ] oder ob ihm nur die aus einer Schutzwirkung des Vertrages entstehende vornehmlich auf Schadensersatz gerichteten Ansprüche zustehen". 380 So mit Recht Bayer, Vertrag zugunsten Dritter, S. 185. 381 Schlechtriem, Schuldrecht AT, 3. Aufl. 1997, Rn. 551. 382 Vgl. zu dieser Unterscheidung eingehend Picker, AcP 183, 369, 505 ff.; ders., JZ 1987, 1041, 1055. 383 Noch offen die wahren Motive benennend Psàanàt/ Friesecke, BGB, 5. Aufl. 1942, § 328 Anm. 3: „Insbesondere legen der große Unterschied bei der Haftung für Hilfspersonen im Vertragsrecht (§ 278) und im Recht der unerlaubten Handlung (§ 831), sowie das Fehlen einer Generalklausel im Recht der Haftung aus unerlaubter Handlung es vielfach nahe, anzunehmen, daß die Vertragsschließenden bei Schadensfällen auch Dritten die - größeren - Vertragsrechte zukommen lassen wollten." Mit Recht spricht daher Köndgen, Selbstbindung, S. 365, von einer „vertragsfernen Verlegenheitskonstruktion", die den deliktisch-vorhersehbaren Leistungsbetroffenen vor den Schwächen des Deliktsrechtsschutzes bewahren soll. In einer Rechtsordnung, die vertragliche Drittbegünstigungen nicht zulässt, kann die Lösung nur im außervertraglichen Haftungsrecht gefunden werden, vgl. dazu die Ausführungen von Lorenz zur Lösung der Testaments-Fälle im englischen Recht, JZ 1995, 319 u.323 f.; ders., JZ 1997,105.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
eine Aussage entnommen wird, die dort niemals auch nur ansatzweise enthalten sein sollte. Die vorgebliche Gesetzestreue ist mit dieser Deutung weit überschritten. Man befindet sich damit auf dem Gebiet freier Rechtsschöpfung. Wird in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte dennoch eine Haftung bejaht, so lässt sich dieses Ergebnis zumindest aus den §§ 328 ff. BGB seriöserweise nicht herleiten.
IV. Das ungeklärte Verhältnis der Haftung aus Vertrag und Delikt Prämisse und Ausgangspunkt der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist es, deliktische Anspruchsgrundlagen als generell nicht einschlägig und zur Lösung der sich hier stellenden Problematik für untauglich zu erachten und somit als Ausweg die Notwendigkeit heraufzubeschwören, eine Anspruchsgrundlage auf vertraglicher Ebene zu begründen. Diese Herleitung ist damit geprägt von der Vorstellung eines streng getrennten Nebeneinanders von dispositven vertraglichen und zwingend beschränkten deliktischen Schadensersatzansprüchen. Aber schon dieser Ausgangspunkt ist bei näherer Betrachtung in Zweifel zu ziehen, wie sich in den Testamentsfällen offenbart. Der Anwalt soll hier wegen nicht rechtzeitiger oder fehlerhafter Erfüllung der Testamentserrichtung auch gegenüber den ausfallenden Erben unter Rückgriff auf die ungeschriebenen Grundsätze des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte haften. 385 Anders stellt sich dagegen die Rechtslage dar, wenn der zur Testamentserrichtung Beauftragte nicht Anwalt, sondern Notar ist. Denn, so treffend Medicus, „alle diese Schwierigkeiten bestehen nicht, wenn ein Notar einen Erwerb von Todes wegen durch Fehler bei der Testamentserrichtung vereitelt". 386
1. Die Haftung des Notars in den Testaments-Fällen Stellvertretend für eine gefestigte Rechtsprechung sei hier das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. 5. 1997 angeführt. 387 Ein Notar hatte es pflichtwidrig und schuldhaft versäumt, ein von dem später verstorbenen Erblasser in Auftrag gegebenes Testament zu beurkunden, in dem der Erblasser eine kirchliche Stiftung zu seiner Alleinerbin einsetzen wollte. Die Stiftung kam aufgrund der versäumten Beur384
Sutschet, Schutzanspruch, S. 87; Sutschet muss dabei zugeben, dass der „Schadensersatzanspruch zugunsten des Dritten keine Abstützung durch die Rechtsmaterialien oder die Dogmengeschichte erhält". 38 5 Vgl. o.u. Α. II. 2. a). 386 Medicus, Bürgerl. Recht, Rn. 847a: „Hier ergibt sich der Ersatzanspruch aus § 19 BNotO, der wie § 839 eine Haftung auch für Vermögensschäden Dritter bestimmt." 387 BGH NJW 1997, 2327.
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kundung nicht in den Genuss der Erbschaft und nahm daher den Notar auf Schadensersatz gemäß § 19 Abs. 1 BNotO in Anspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, so die urteilenden Richter, sei anerkannt, dass den Notar, der ein Testament zugunsten eines Dritten beurkunden soll, diesem gegenüber Amtspflichten treffen und deren Verletzung gegenüber dem vom Erblasser in Aussicht genommenen Testamentserben, der nur deshalb nicht Erbe geworden ist, weil der vom Erblasser angespochene Notar amtspflichtwidrig das Testament nicht oder nicht ordnungsgemäß beurkundet, zur Schadensersatzhaftung führe. 388 Seine besondere Problematik und zugleich seine hier interessierende Anlehnung an die Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erfuhr der Fall durch die Besonderheit im Sachverhalt, dass es nämlich dem Erblasser vorzuwerfen war, den Notar nicht an die noch ausstehende Beurkundung erinnert zu haben. Für den 9. Senat stellte sich damit die Frage, ob der in Aussicht genommene Testamentserbe mit seinem Schadensersatzanspruch gemäß § 19 Abs. 1 S. 3 BNotO i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sein kann, wenn der Erblasser die Einlegung eines Rechtsmittels (hier: Erinnerung gegenüber dem Notar) schuldhaft unterlassen hat, oder - umfassender gesprochen - ob sich der in Aussicht genommene Erbe das Mitverschulden des an der Beurkundung unmittelbar beteiligten Erblassers anrechnen lassen muss. 389 Dazu, dass die Fälle von Notar und Anwalt auch unter den unterschiedlichen öffentlich-rechtlichen Vorzeichen haftungsrechtlich vergleichbar sind, führt das Urteil selbst unverkennbare Parallelen auf. Denn neben den Amtspflichten gegenüber den Erben, so die Entscheidungsgründe, „ - und sogar in erster Linie - bestehen aber auch Amtspflichten gegenüber dem Erblasser, der den Notar mit der Beurkundung des Testaments beauftragt hat. Durch den Auftrag ist eine vertragsähnliche öffentlich-rechtliche Sonderverbindung zwischen dem Erblasser und dem Notar entstanden."390 „Insofern ähnelt der vorliegende Sachverhalt einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte (§ 328 BGB analog)." 391 Auch zur Bestimmung des zu schützenden Personenkreises zogen die Richter diese Parallele: „Die Einbeziehung derer, die - ohne unmittelbar beteiligt zu sein - aufgrund des zu beurkundenden Rechtsgeschäfts Rechte erwerben sollen, in den Schutzbereich der Notarspflichten wird mit der,Leistungsnähe4 dieser nur mittelbar Beteiligten oder gänzlich Außenstehenden begründet." Ganz auf der Linie des vetraglichen Drittschutzes hält der Senat auch für die Haftung des Notars die Anrechnung von Mitverschulden für geboten, „weil es - ähnlich wie bei vergleichbaren privatrechtlichen Verhältnissen Treu und Glauben widerspräche, wenn dem lediglich in den Schutzbereich der Notarpflichten miteinbezogenen Testamentserben (Vermächtnisnehmer) weitergehen388 BGH NJW 1997, 2327. 389 BGH NJW 1997, 2328. 390 BGH NJW 1997, 2328. 391 BGH NJW 1997, 2328, wobei gerade auf die Haftung des Rechtsanwalts gegenüber Erben abgestellt wird.
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de Rechte zustünden als den unmittelbar Urkundsbeteiligten." Der Bundesgerichtshof beruft sich dabei ausdrücklich auf die Argumentation zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. „Da der Geschädigte seine Rechte gegen den Schädiger nur aus der Vertragsbeziehung der unmittelbaren Vertragseteiligten herleitet, dürfen ihm nicht mehr Rechte zustehen als dem Vertragspartner des Schädigers. Die Einbeziehung des Dritten in den geschützten Vertragsbereich bringt es mit sich, daß jener mit der Erweiterung des Rechtsschutzes auch die damit verbundenen Rechtsnachteile in Kauf nehmen muß." Da der Rechtsanwalt aus Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages mit Schutzwirkung für Dritte durch die ausfallenden, aber in Aussicht genommenen Erben in Anspruch genommen werden könne und diese sich das Mitverschulden des Vertragspartners ihres Schädigers anrechnen lassen müssten, selbst wenn jener nicht sein Erfüllungsgehilfe oder gesetzlicher Vertreter sei, müsse auch hier nach § 242 BGB Gleiches gelten.
2. Vergleich zwischen Notars- und Anwaltshaftung Trotz der vom Bundesgerichtshof selbst - für die Frage des Mitverschuldens befürworteten Gleichbehandlung von Anwalt und Notar wird an dem unterschiedlichen Haftungsgrund - deliktisch hier und vertraglich dort - in keiner Weise Anstoß genommen. Der allgemeingültige, weil fundamentale Rechtssatz, Gleiches gleich zu behandeln, scheint hier, wenn auch nicht im Ergebnis, so doch in Herleitung und Begründung des Anspruchs aufgehoben zu sein. Dabei drängt sich doch für uns bei dieser Gegenüberstellung die Frage auf, warum das, was für das Problem der Zurechnung des Mitverschuldens gelten soll, nicht auch für Grund und Herleitung der Haftung gilt. Denn führt man die Argumentation des Bundesgerichtshofs einfach nur weiter, wird plötzlich äußerst zweifelhaft, warum in ein und demselben Sachverhalt der Notar einer deliktischen, der Anwalt dagegen einer vertraglichen Haftung unterliegen kann und warum es sich einmal um einen eigenständigen, das andere Mal um einen nur abgeleiteten Schadensersatzanspruch handeln soll. Ebenfalls fraglich erscheint es dann, warum für die Haftung des Anwalts ein solcher Begründungsaufwand und erst die Kreation einer neuen, ungeschriebenen Rechtsfigur nötig ist, dagegen sich die Haftung des Notars aus simpler Gesetzessubsumtion ergibt. 392 Auch die Notwendigkeit einer besonderen Fürsorgepflicht des Gläubigers für den Geschädigten, das „Wohl und Wehe", oder entsprechend eine zumindest konkludent vereinbarten Schutzabrede zwischen Gläubiger und Schädiger ist hier in Frage zu stellen, wird doch dies gerade vom Gesetz für die gleiche Haftung des Notars nicht gefordert. Es ist nicht einzusehen, warum die Haftung des Notars ausschließlich eine Frage des objektiven Rechts zwischen ihm 392 Der nüchternen Feststellung der Amtspflichtverletzung und der Schadensverursachung stehen in ungleichem Verhältnis die bedeutungsschwere Herleitung einer Leistungsnähe, eines Schutzwillens und -intéressés in der Person des Erblassers, der Zumutbarkeit einer Einstandspflicht auf Seiten des Schädigers sowie das Schutzbedürfnis auf Seiten des Geschädigten gegenüber. Dass man hier mit zweierlei Maß misst, ist offensichtlich.
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als Schädiger und dem geschädigten Erben ist, die Haftung des Anwalts aber vom Willen oder Schutzinteresse des Erblassers abhängen soll. Die Einbeziehung „Dritter" in das Vertragsverhältnis ist bei diesem Vergleich weder zwingend noch sachgerecht. Dabei sind diese Fragen nicht bereits damit beantwortet, dass der Notar nicht einer vertraglichen Verpflichtung unterliegt und für dessen Haftung ein umfassender gesetzlicher Haftungstatbestand vorgegeben ist, für den Anwalt hingegen nicht. Denn eine in ihrer Konstruktion wie Begründung voneinander abweichende Anspruchsherleitung ist damit nicht zu rechtfertigen. Ebenso nahe- oder fernliegend wie die Anbindung an den Anwaltsvertrag bietet sich auch eine Analogie zu § 19 Abs. 1 BNotO an. Aufgrund derselben Tätigkeit und der vergleichbaren Stellung der Schädiger kann dieser Weg durchaus nicht von vornherein als abwegig erachtet werden. Kann aber der fragliche Anspruch bereits deliktsrechtlich begründet werden, so wäre der Grund für eine vertragliche Konstruktion entfallen. Ebenso rechtfertigt allein die Stellung des Notars als mit staatlichen Aufgaben beliehene Person diese Andersbehandlung nicht, ist doch auch der Anwalt von Gesetzes wegen unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Und auch eine Argumentation mit einem Mehr oder Weniger an Reputation beider Berufe ist hier wohl ersichtlich unbrauchbar. Ist damit eine vertragliche ebenso wie eine deliktische Einordnung der Haftung möglich, so vermag die von der Rechtsprechung gewählte vertragliche Herleitung des Anspruchs unterschiedliche Voraussetzungen nicht zu rechtfertigen. Gerade der Vergleich von Notar und Anwalt macht deutlich, dass mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte der wahre Haftungsgrund bisher nicht angesprochen wurde. Denn ebenso wie man für den vertraglichen Bereich annimmt, die vertragliche Haftung bestehe (zunächst) nur gegenüber dem jeweiligen Vertragspartner, so besteht auch die Amtspflicht und mit ihr eine Haftung für deren Verletzung selbstverständlich nicht gegenüber jedermann. Vielmehr gibt es auch für die Amtspflicht der Testamentserrichtung und deren Erfüllung schon bereits bei deren Begründung ein „Gegenüber", also einen „Gläubiger". Der Bundesgerichtshof spricht insoweit von einer „vertragsähnlichen öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung". Es stellt sich also trotz vorgegebener und einschlägiger Anspruchsgrundlage dieselbe Frage nach dem Personenkreis der Anspruchsberechtigten oder mit den Worten des Bundesgerichtshofs nach dem „Schutzbereich der Notarspflichten" und ihrer „Leistungsnähe". Auszugehen ist damit auch hier von dem Umstand, dass zunächst einmal die Amtspflicht, das korrekte Erstellen des Testaments, gegenüber dem beauftragenden Erblasser zu erfüllen und zu beachten ist. Die Frage, ob daneben auch der Erbe „anderer" i.S.v. § 19 Abs. 1 BNotO sein kann, ist in gleicher Weise zu stellen. Diese inhaltliche Parallelität legt dann aber die Schlussfolgerung nahe, dass auch die Anspruchsgrundlage und die -begründung für die Haftung des Notars wie des Anwalts nicht verschieden sein kann und nährt so die Zweifel an der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Denn wiederum erweist sich auch hier die Anknüpfung an die Parteiabrede als bloß vorgegeben, wenn im Rahmen der Notarshaftung ohne Vereinbarung
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1. Kap. : Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
allein nach dem Gesetz gleiche Maßstäbe angelegt werden. Wenn das Deliktsrecht den Notar gegenüber dem Erben haften lässt, so kann es sich doch im gleichen Fall beim Anwalt nicht um Vertragsauslegung handeln. Und es wird sich dann auch bei der Haftung des Anwalts nicht nur um einen aus vertraglicher Schutzwirkung bloß abgeleiteten Anspruch handeln können, sondern ebenso wie bei der Haftung des Notars um einen eigenen Anspruch des Erben aus objektivem Recht. Diese Widersprüche lassen sich nicht auflösen. Der Umstand, dass das geschriebene Recht einen vergleichbaren Anspruch gegen den Anwalt nicht bereit hält, macht in Wahrheit - dies wird hierbei erneut offensichtlich - weniger die Parteien als vielmehr die urteilenden Richter erfinderisch. Die bereits gesetzlich festgelegte Drittschutzwirkung der Amtspflicht wird so für die Vertragspflicht mit der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erreicht. Diese unterschiedliche Behandlung von Amtspflicht und Vertragspflicht in diesen Parallelfällen vermag jedoch nicht zu überzeugen, geht es doch inhaltlich um dieselbe Frage. 393 Dem Notar wie dem Anwalt gegenüber verlangt der Erbe seinen entgangenen Gewinn aus der Erbschaft, der ihm dadurch entgeht, dass der Schädiger seiner Pflicht zur Erstellung des Testaments nicht nachkommt. Die zu stellende Frage muss also lauten, warum sich auch der Testamentserbe ebenso wie auf die Verletzung der Amtspflicht auch auf die der Vertragspflicht berufen kann. Und diese Frage ist mit den bisherigen hierzu angeführten Argumenten einer besonderen Fürsorgepflicht, Treu und Glauben sowie einer konkludenten Haftungsabrede nicht beantwortet, wenn hier der Vergleich ergibt, dass der Notar auch ohne Fürsorgepflicht und ohne Haftungsabrede einzustehen hat.
V. Das Nebeneinander alternativer Lösungswege in der Rechtsprechung als ungelöstes Konkurrenzverhältnis Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist keineswegs einziges und alleiniges Mittel zur Überwindung der engen Grenzen der deliktischen und zur Ausweitung der günstigeren vertraglichen Haftung. 394 Für den hier interessierenden Bereich der Haftung für fahrlässig verursachte Vermögensschäden und damit insbesondere der Berufs- und Expertenhaftung treten neben den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und in Konkurrenz zu diesem noch weitere, ebenfalls von der Rechtsprechung herangezogene Lösungswege.395 Noch bevor die Judika393
Kurios ist auch der hierbei festzustellende Zirkelschluss: Hatte noch das Berufungsgericht im o.g. Testaments-Fall seine vom BGH im wesentlichen übernommene Begründung auf eines der zahlreichen Urteile gestützt, wonach ein Notar auf Grund § 839 BGB dem ausgefallenen Testamentserben haftet (vgl. BGH JZ 1966, 142 sowie dazu Lorenz, JZ 1966, 144), so stützt sich hier nun das Urteil zur Haftung des Notars nach § 19 BNotO auf die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. 39 4 Vgl. hierzu auch Bayer, JuS 1996, 473, 475; Stahl, Dritthaftung, S. 73 f.; eingehend Damm, JZ 1991, 373, 375 ff.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 113
tur den vertraglichen Drittschutz aus der Taufe gehoben hatte und sodann in der hier beschriebenen Weise auch auf primäre Vermögensschäden ausgeweitet hat, gelangte sie vor allem durch eine tatbestandliche Aufweichung und Herabsetzung der strengen Anforderungen des § 826 BGB sowie der großzügigen Annahme und Unterstellung von stillschweigend geschlossenen Auskunftsverträgen zur Begründung der Einstandspflicht auch gegenüber Dritten und damit zu vergleichbaren Ergebnissen. Und beide Wege finden sich auch heute noch in der Rechtsprechung, wenn auch festzustellen ist, dass der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in den letzten Jahren zunehmend an Boden gewonnen und die anderen Begründungsformen mehr und mehr verdrängt hat. 3 9 6
1. Die tatbestandliche Erweiterung der Haftung für sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB Die Voraussetzungen einer Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB sind von der Rechtsprechung - sowohl des Reichsgerichts wie des Bundesgerichtshofs - für den Bereich fehlerhafter Auskünfte, Gutachten, Bilanzerstellungen und deren Prüfungen „stark herabgesetzt worden". 397 Danach begründet bereits leichtfertiges und gewissenloses Verhalten, etwa durch nachlässige Ermittlungen oder „ins Blaue hinein" gemachte Angaben, die Haftung aus § 826 BGB. 3 9 8 Erreicht wird dies durch eine weitgehende, zu Recht kritisierte „Reduzierung der Anspruchsvoraussetzungen" des § 826 BGB. 3 9 9 So lässt es die Rechtsprechung für den Nachweis der Sittenwidrigkeit genügen, dass der Handelnde, der mit Rücksicht auf sein Ansehen, seine Sachkunde und seinen Beruf eine Vertrauensstellung einnehme, bei der Erstellung seines Testats sich über ihm bekannte, sich aufdrängende oder auch nur ihm kaum verborgen gebliebene Fehler und Bedenken hinwegsetze, auf eine unerlässliche eigene Prüfung verzichte oder Prüfungsergebnisse anderer ungeprüft übernehme. 400 Und zugleich wird aus die395 Ein Konkurrenzverhältnis besteht auch zwischen der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und der Drittschadensliquidation in den Fällen des Sach- und Vermögensschadens, vgl. dazu jüngst mit dem Versuch einer Abgrenzung Traugott, Vertraglicher Drittschutz, 1997. Vollständigkeitshalber zu nennen ist auch die Figur der Sachwalterhaftung, auf deren Darstellung hier verzichtet wird, auf die aber an späterer Stelle zurückzukommen ist, vgl. dazu Wiegand, Sachwalterhaftung, 1991. 396 Schneider, ZHR 163, 246, 251. 397 So LG Frankfurt BB 1997,1682, 1683, für die Haftung des Abschlussprüfers. 398 Etwa BGHZ 10, 228, 233; NJW 1956, 1595; VersR 1986, 159; NJW 1987, 1758; NJW 1991, 3282, 3283; NJW 1992, 2080, 2083; Damm, JZ 1991, 383, spricht von „Fachleutehaftung gem. § 826 BGB"; Honseil, FS Medicus, S. 215 f.; VdXnnàtl Thomas, BGB, § 826 Rn. 26; Erman / Schiemann, BGB, § 826 Rn. 12, 38 ff.; für die Rechtsprechung des RG: RGZ 72, 175 f.; 76, 313, 319; 143,48, 51; JW 1932, 937. 399 So Damm JZ 1991, 383. 8 Plötner
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
sem leichtfertigen, gewissenlosen Handeln auf das Vorliegen von bedingtem Schädigungsvorsatz geschlossen, wenn dem Auskunftgeber erkennbar war, dass die Auskunft für die Entschließung des Empfängers von Bedeutung war. 401 Auf dem Umweg über die grobfahrlässige Sittenwidrigkeit wird § 826 BGB damit entgegen seinem eindeutigen Wortlaut und seiner Entstehungsgeschichte zum „Einfallstor der Dritthaftung", 402 denn es wird damit im Ergebnis die grob fahrlässige Vermögensschädigung der vorsätzlichen gleichgestellt.403 Diese Rechtsprechung findet sich gerade in den früheren, eine vertragliche Drittwirkung von Auskunfts- und Gutachtenverträgen noch ablehnenden Urteilen wieder, 404 sowie auch heute noch bei der Frage der Haftung von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Sachverständigen für fehlerhafte Bilanzen, Jahresabschlussprüfungen und Gutachten gegenüber Dritten. 405 Und auf eine Haftung aus § 826 BGB wurde auch im Lastschriftverfahren-Fall (hilfs weise) neben der bejahten vertraglichen Schutzwirkung zurückgegriffen. 406 Hinter der Aufweichung des § 826 BGB und dem vertraglichen Drittschutz steht dabei nicht nur dasselbe Motiv einer Erweiterung des gesetzlichen Vermögensschutzes, es lassen sich auch ähnliche Argumente ausmachen. Jeweils wird abgestellt auf die Sachkunde und das dadurch her400 So etwa BGH W M 1956, 1228; W M 1958, 877; WM 1960, 1323, 1325; VersR 1962, 803, 805; W M 1966, 1148, 1149; W M 1969, 470;WM 1979, 326; W M 1987, 257, 258; OLG Karlsruhe W M 1985, 940, 942. 401 BGH W M 1966, 1149; VersR 1986, 159. 402 So Ebke/Scheel, W M 1991, 389; ebenso Honsell, FS Medicus, S. 215 m. Fn. 21 für den geschichtlichen Hintergrund der Vorschrift, der vom „Einfallstor einer Haftung für grob fahrlässige Vermögensschäden" spricht. Abzulehnen ist diese Rechtsprechung auch deshalb, weil sie mit dem Risiko verbunden ist, dass der Experte nach § 152 VVG seinen Versicherungsschutz verliert; vgl. dazu auch Hirte, Berufshaftung, S. 426. 403 Ebke/Scheel, W M 1991, 390, sehen darin eine „Verwässerung des Merkmals der Sittenwidrigkeit"; Faiandt/Thomas, BGB, § 826 Rn. 26; Hirte, Berufshaftung, S. 426; Honsell, FS Medicus, S. 215 Fn. 17; ausdrücklich BGH VersR 1986, 159: „Die positive Kenntnis der Unrichtigkeit abgegebender Erklärungen ist weder für die Sittenwidrigkeit noch für den Schädigungsvorsatz erforderlich." Anders wohl LG Hamburg W M 1999, 139, 142: Grobe Fahrlässigkeit reiche nicht aus. 404 Anwendung fand und findet diese Rechtsprechung damit gerade auf Fälle der Beteiligung von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern bei Verhandlungen der begutachteten Unternehmen mit Dritten über Verkauf, Beteiligung oder Krediterteilung sowie der Vorlage ihrer im Auftrag des Unternehmens erstellten Testate gegenüber Dritten, so die o. (u. A II 2 d aa) bereits genannten Entscheidungen BGH WM 1962, 933, 934 f.; BGH NJW 1973, 321 f.; BGH BB 1976, 855, 856; OLG Saarbrücken NJW 1972, 55, 58; ebenso auch noch das OLG München als Berufungsgericht im Hausbank-Fall, wiedergegeben in BGH NJW 1987, 1758, dazu BGH, ebenda. 405 Für Abschlussprüfer: LG Frankfurt BB 1997, 1682, 1683; LG Hamburg W M 1999, 142. Für Gutachter: BGH NJW 1991, 3282, 3283. 406 BGH W M 1977, 1042, 1043 f. (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 69, 82 ff.), dort allerdings nicht unter Bezugnahme auf die hier genannte Rechtsprechung, sondern weil die Bank ggf. durch Liegenlassen der Lastschrift unter Inkaufnahme der Schädigung der Kl. zugelassen habe, dass die Kl. ihre Schuldnerin weiter beliefert habe.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 115
vorgerufene Vertrauen sowie auch die Erkennbarkeit der beteiligten Vermögensinteressen Dritter. Beide Konstruktionen führen zu einer „Fahrlässigkeitshaftung für primäre Vermögensschäden",407 deren Anwendungsbereiche sich weitgehend überschneiden. Da aber zwischen der deliktischen Haftung aus § 826 BGB und einem möglichen vertraglichen Drittschutz nach herrschendem Verständnis „Anspruchskonkurrenz" besteht und beide Anspruchsgrundslagen „grundsätzlich nebeneinander und unabhängig voneinander" einschlägig sein können, 408 bedarf es einer Abgrenzung der Anwendungsbereiche beider Herleitungen nicht. Der wechselseitige Bezug bleibt darauf beschränkt, dass durch den Ausbau der vertraglichen Haftung, insbesondere aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, die „etwas überstrapazierte Haftungsbegründung" aus § 826 BGB an Bedeutung verloren habe. 409 Anderes muss demgegenüber für das Verhältnis zweier in Betracht zu ziehender vertraglicher Anspruchsgrundslagen gelten.
2. Die Konstruktion stillschweigend geschlossener Auskunftsverträge a) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Bereits die Leitentscheidung des Reichsgerichts vom 27. 10. 1902 zur Konstruktion stillschweigender Auskunftsverträge ist zugleich auch ein Fall der Drittschutzproblematik. 410 Ein Rechtsanwalt hatte der Bank eines Mandanten auf dessen Veranlassung versehentlich eine unrichtige, weil zu niedrige Auskunft über die hypothekarische Belastung eines Grundstücks des Mandanten erteilt. 411 Die Bank hatte einen Hypothekenkredit gewährt und war in der Zwangsversteigerung mit der Forderung ausgefallen. Zwar hatte das Reichsgericht für die Frage der Haftungsbegründung die Annahme eines Vertrags zugunsten Dritter immerhin bereits erwogen, allerdings nur, um diesen Gedanken sogleich wieder zu verwerfen. Noch ohne Vorstellung von dem gegenüber schutzwürdigen Dritten paternalistischen Fürsorgebestreben der Vertragsparteien, wie es heute der Bundesgerichtshof in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte unterstellen zu können glaubt, sahen die Richter damals keinen Grund für die Annahme, dass der Kreditnehmer „eine solche Absicht gehabt hätte"; denn, so ihre Analyse, „ihm kam es vielmehr nur darauf an, in seinem eigenen Interesse eine solche Bescheinigung über die Höhe der hypotheka407
So ausdrücklich Hirte für die extensive Auslegung des § 826 BGB, Berufshaftung, S. 426. 408 Dazu Staudinger/Hager, BGB, 13. Bearb. 1999, Vorbem. zu §§ 823 ff. Rn. 38, 40. 409 So Erman/Ehmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 675 Rn. 137. 410 RGZ 52, 365, 366 m. Anm. Laband, DJZ 1903, 259, 262. 411 Der Beklagte war sowohl Anwalt als auch Notar, aber nach der Feststellung des Gerichts hier nicht als Notar, sondern nur als Rechtsanwalt tätig geworden, RGz 52, 367, so dass eine Amts-/Notarhaftung demzufolge nicht in Betracht kam. *
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
rischen Belastung seines Grundstücks zu erlangen und sie der Klägerin vorzulegen oder vorlegen zu lassen." 412 Das Reichsgericht bejahte seinerseits vielmehr ein unmittelbares Auftrags Verhältnis zwischen Anwalt und Bank. Denn es sei trotz Vertragsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant „nicht ausgeschlossen", „daß der Beklagte in derselben Angelegenheit auch zu der Klägerin in ein Vertragsverhältnis getreten, und daß dieser Vertrag auch stillschweigend geschlossen sein kann". 413 „Wenn jemand, zu dessen Berufsgeschäften es gehört, anderen in Geschäften der fraglichen Art beratend zur Seite zu stehen, und der erfahren hat, daß ein anderer in einer solchen Angelegenheit einer zuverlässigen Auskunft bedarf, diesem dann in einem an denselben gerichteten Schreiben eine Auskunft über den erheblichen Punkt gibt, so schließt er eben dadurch den betreffenden Vertrag mit dem Auskunft Begehrenden ab." 4 1 4 Trotz der Kritik, so etwa von Laband, die Annahme eines stillschweigend abgeschlossenen Vertrages sei „eine willkürliche Fiktion und ein schlechter Notbehelf der juristischen Konstruktion", 415 führte das Reichsgericht diesen Weg f o r t 4 1 6 Und schon hier werden Überschneidungen deutlich, denn in diesem Fall hätte - zumindest heute - ebensogut und mit dem gleichen Ergebnis auch die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte angewandt werden können. b) Die Übernahme dieser Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung im Urteil vom 29. 10. 1952 „mit einer noch blasseren Formulierung" 417 gefolgt. 418 Denn - so diese „Grundsatzentscheidung"419 - für die Annahme eines stillschweigenden AuskunftsVertrags komme es nicht darauf an, ob auch nur eine der beiden Parteien den Willen gehabt habe, mit der anderen in Vertragsbeziehungen zu treten. „Es genügt, daß der Beklagte zu der Klägerin in Beziehungen getreten ist, die, wenn sie einmal vor412 RGZ 52, 366 (Hervorheb. v. Verf.). 413 RGZ 52,366. 414 RGZ 52, 366 f. 415 Laband, DJZ 1903, 259, 262: Die Entscheidung sei praktisch von größter Gefährlichkeit, denn Anträge an jemanden, einem anderen eine Mitteilung zu machen oder Auskunft zu geben, die für diesen von geschäftlicher Wichtigkeit sind, kämen überaus häufig vor; „es könnte aber niemand einen solchen Auftrag annehmen und ausführen, ohne sich eine unübersehbare Verantwortlichkeit aufzuladen" (S. 263). 416 Etwa RGZ 114, 289, 290 m.w.N; JW 1928, 1134 m. krit. Anm. Friedlaender ; sowie JW 1931, 3097; 1933, 510; 1933, 2701. 417 So K. Huber, FS von Caemmerer, S. 370. 418 BGHZ 7, 371 = NJW 1953, 60, für den Fall, dass ein Wirtschaftstreuhänder, der mit der Abfassung eines Vertrages als Berater der einen Vertragspartei beauftragt war, der anderen Vertragspartei eine Auskunft über ihm bekannt gewordene tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse gibt, die für die Entschließungen der anderen Partei erkennbar von wesentlicher Bedeutung ist (LS). 419 So Damm, JZ 1991, 376.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 117
liegen, nach Maßgabe der bürgerlichen Rechtsordnung als vertraglich anzusehen und dementsprechend in ihren rechtlichen Auswirkungen zu beurteilen sind". 4 2 0 Die Rechtsprechung hat dies in der Folgezeit zu dem „anerkannten rechtlichen Grundsatz" verfestigt, „daß derjenige, der - insbesondere mit Sachkunde - schuldhaft eine falsche Auskunft erteilt, dem Empfänger auch bei Fehlen sonstiger Vertragsbeziehungen schon nach Vertragsgrundsätzen auf Schadensersatz haftet, wenn sie erkennbar für diesen von erheblicher Bedeutung war und er sie zur Grundlage wesentlicher Entschlüsse oder Maßnahmen gemacht hat". 4 2 1 Dies gelte insbesondere in Fällen - so die spätere Konkretisierung - , in denen der Auskunftgeber für die Erteilung der Auskunft besonders sachkundig oder ein eigenes wirtschaftliches Interesse bei ihm im Spiel sei. 422 Relevanz erhielt dieser Grundsatz auch und gerade für die Dritthaftungsproblematik, wie sich aus den bereits angeführten Urteilen ersehen lässt, die eine Haftung aus vertraglicher Drittwirkung noch verneinten. 423 Denn darüber hinaus sei ebenso anerkannt, dass eine solche Haftung des Auskunftgebers gegenüber dem auf sie Vertrauenden ausnahmsweise auch dann begründet sein könne, wenn die Auskunft nicht dem darauf Vertrauenden, sondern einem anderen erteilt werde. 424 Erforderlich sei dabei, „daß die Auskunft (auch) für jenen bestimmt und der Auskunftgeber sich bewusst war, dass sie für weitere Kreise bedeutsam und unter Umständen als Grundlage entscheidender Vermögensdispositionen dienen werde". 425 Die Erteilung eines Rates oder einer Auskunft, die Erstattung eines Gutachtens oder die Erstellung einer Wertschätzung sei „zur Begründung von Vertragspflichten mit der Folge des Eintritts einer entsprechenden Haftung auch gegenüber einem Dritten demnach nicht nur gegenüber dem unmittelbar Rat- und Auskunftsuchenden oder dem Auftraggeber - " dann als geeignet zu erachten, „wenn der Dritte offensichtlich und damit auch für den Gutachter pp. erkennbar die bestimmungsgemäß zu seiner Kenntnis gelangenden Feststellungen als vertrauenswürdig erachtet und sie zur Grundlage seiner Disposition macht". 426 Etwa wenn bei Anfertigung eines 420 BGHZ 7, 375; kritisch hierzu F. Baur, JZ 1953, 372, 373: „Hier einen ,Vertrag' zu fingieren, tut dem Vertragsbegriff Gewalt an." 421 So das oben bereits angeführte Urteil BGH BB 1976, 855; ebenso bereits BGH W M 1965, 287; 1966, 1148, 1149; 1969, 36, 37; aus neuerer Zeit etwa NJW 1991, 352. Bei der vom BGH darüber hinaus für möglich gehaltenen „wenigstens Vertragsähnliche(n) Haftung für den Inhalt einer Bescheinigung", „wenn der Aussteller zum Ausdruck bringt, daß er jedem, 'den es angeht' für die Richtigkeit haften will", also der Zuspitzung dieser Anspruchskonstruktion, sei hingegen „nach der Lebenserfahrung große Zurückhaltung geboten", so BGH BB 1976, 855 f.; NJW 1973, 323. 422 BGH NJW 1992, 2080, 2082, m. w. N. für die Rechtsprechung. 423 s. dazu oben Α. II. 2. d) aa). 424 So bereits BGH W M 1966, 1149. 425 So BGH BB 1976, 855, m. w. N. für Rechtsprechung und Literatur; ebenso BGH NJW 1973, 322 f. sowie bereits BGHZ 12, 105, 109. 426 OLG Saarbrücken NJW 1972, 55, 56 (Hervorheb.v.Verf.). Zu betonen sei dabei der objektive Erklärungswert des Verhaltens insbesondere einer sachkundigen, vertrauenswürdigen
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Gutachtens erhebliche wirtschaftliche Interessen des Dritten neben denjenigen des Auftraggebers zwangsläufig mit im Spiel stünden, indem jener ebenso wie der Auftraggeber sich auf die getroffenen Feststellungen und die gewonnenen Ergebnisse verlasse und verlassen dürfe, so sei dies ein zureichender Grund, „unter Absehung(!) von den Absichten und Vorstellungen des Gutachters ihn auch gegenüber dem Dritten wie einen Vertragspartner zu behandeln". Im Ergebnis werde damit ein „stillschweigend durch konkludente Erklärungen zustandegekommener, eigenständiger Vertrag angenommen, welcher dem Dritten zwar keinen Anspruch auf Erstattung des Gutachtens verleiht, dem Gutachter jedoch auch im Verhältnis zum Dritten Sorgfaltspflichten auferlegt". 427 Beschränkt wird die Annahme stillschweigender Auskunftsverträge dabei auf das Bestehen „unmittelbarer Fühlungnahme zwischen Geber und Empfänger der Auskunft". 428
c) Die Verwendung dieser Konstruktion Dritthaftungsproblematik
in der
Wenn auch nach der neueren Rechtsprechung diese Voraussetzungen nur noch als - „allerdings sehr gewichtige" 429 - Indizien für einen Auskunftsvertrag zu werten sind, und im Übrigen darauf abzustellen sei, „ob die Gesamtumstände unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und des Verkehrsbedürfnisses den Rückschluß zulassen, daß beide Teile nach dem objektiven Inhalt ihrer Erklärungen die Auskunft zum Gegenstand vertraglicher Rechte und Pflichten gemacht haben", 430 so gilt doch diese Rechtsprechung - weitgehend unbeeindruckt von der Kritik des Schrifttums 431 - im wesentlichen heute fort. Besteht zwischen dem Experten und Dritten ein „direkter Kontakt", so kommt demnach die Annahme eines stillschweigenden Auskunftsvertrags in Betracht. 432 Und eben unter Verweis auf einen fehPerson ohne Rücksicht auf den möglicherweise fehlenden oder sogar gegenteiligen Willen (Geschäftswillen) des Betroffenen, weil diese Beurteilung unter den gegebenen Umständen durch den Grundsatz von Treu und Glauben geboten erscheine. 427 OLG Saarbrücken NJW 1972, 56. 428 So BGH NJW 1973, 321, 323 m. w. N. für die Rechtsprechung des BGH. 429 Lang, WPg 1989, 61. 430 So BGH NJW 1986, 180, 181; 1992, 2082 m. w. N.; sowie auch das o.g. LG Frankfurt BB 1997,1682. 431 s. etwa Hopt, AcP 183, 617 f.; Lammel, AcP 179, 340 ff.; Köndgen, Selbstbindung, S. 354 ff.; Grunewald, AcP 187, 295 f.; Honsell, FS Medicus, S. 219; Mertens, AcP 178, 617 ff.; Κ Huber, FS von Caemmerer, S. 369 ff. 432 So jüngst und in diesem Zusammenhang LG Frankfurt BB 1997, 1682 f.; LG Hamburg W M 1999, 140 f.: Die Annahme eines vertraglichen Auskunftverhältnisses sei beschränkt auf Fälle, in denen der Experte - dort ein Abschlussprüfer - auf Verlangen auch des Dritten hinzugezogen werde und dann unter Berufung auf seine Sachkunde und Prüfungstätigkeit Erklärungen oder Zusicherungen unmittelbar gegenüber Dritten abgebe. Für einen Auskunftsvertrag mit der Gegenseite in den Gutachten-Fällen spricht sich explizit Bosch aus, ZHR 163, 283; es handele sich um „keine gekünstelte, sondern eine naheliegende Vorstellung".
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 119
lenden direkten Kontakt wurde etwa im Dachboden-Fall ein stillschweigend geschlossener Auskunftsvertrag zwischen Gutachter und Drittem verworfen und schließlich zum vertraglichen Drittschutz gegriffen. 433 War damit eine Abgrenzung beider zum selben Ergebnis führender vertraglicher Konstruktionen, nämlich der Einstandspflicht für nur fahrlässig verursachte primäre Vermögensschäden, bislang - wenn auch unausgesprochen - dahingehend vorgenommen worden, einen stillschweigenden Auskunftsvertrag immer bei einem unmittelbaren Kontakt zwischen Experten und Drittem anzunehmen und dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte quasi Auffangfunktion für alle übrigen „dritthaftungswürdigen" Fälle zukommen zu lassen, so ist dieses Verhältnis mit dem Abschlußprüfer-Fall nunmehr durchbrochen. Denn gerade dort bestand, worauf der Bundesgerichtshof entscheidend abhebt, zwischen Wirtschaftsprüfer und Kreditinstitut ein unmittelbarer (schriftlicher) Kontakt, denn eben dieser Kontakt soll den vertraglichen Drittschutz neben oder trotz - der Schranke des § 323 HGB begründen helfen. 434 Ebensogut, wenn nicht gar vorrangig, hätte hier aber auch ein stillschweigender Auskunftsvertrag zwischen Wirtschaftsprüfer und Drittem angenommen werden können. 435 Denn auch wenn bereits ein „Umschwenken der Rechtsprechung" hin zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte festgestellt wird, 4 3 6 so ist die Annahme eines stillschweigenden Auskunftsvertrags auf der Grundlage dieser Rechtsprechung weiterhin möglich. 437 Das Ergebnis wäre indes dasselbe.
d) Die Austauschbarkeit dieses Begründungswegs gegenüber der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte Aus der Gegenüberstellung wird deutlich, dass beide Konstruktionen beliebig und austauschbar sind. Jeweils wird unter besonderer Betonung der Sachkenntnis und beruflichen Stellung des Schädigers sowie des ihm entgegengebrachten Ver433 BGH NJW 1995, 392. Ein direkter Auskunftsvertrag wurde auch im Bürgschafts-Fall erwogen und abgelehnt, BGH NJW 1998, 1060. 434 BGH NJW 1998, 1948, 1949 f.: Vorgelegen hatte eine Ankündigung des Prüfungsergebnisses mittels Telefaxschreiben. Auf diesen „direkten Kontakt" weist insbesondere auch das o.g. LG Hamburg W M 1999, 139, 142, in Abgrenzung zum eigenen Sachverhalt hin. 43 5 Dafür spricht auch die stets vorrangige Prüfung des stillschweigenden Auskunftsvertrags gegenüber dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. 456 Grunewald, AcP 187, 295; ebenso Hirte, Berufshaftung, S. 388; Decku, Vertrag und Delikt, S. 60, 72; Emmerich in einer Anm. zum Bürgschafts-Fall für das Verhältnis zur Sachwalterhaftung, JuS 1998, 558; dazu auch Schmitz, DB 1989, 1909, 1911. 431
So etwa ausdrücklich Schmitz, DB 1989, 1911, für den Fall der „Kontaktaufnahme des Dritten durch ein Auskunftsersuchen an den Wirtschaftsprüfer"; es sei „nicht einzusehen, weshalb dann nicht ein Auskunftsvertrag zustande kommen soll". Dies führt Schmitz (S. 1914) zu Zweifeln, „ob dem Dritten zu Recht zwei Anspruchsgrundlagen gleichzeitig zustehen". Auch Bosch, ZHR 163, 283, weist darauf hin, dass der BGH sowohl im Bürgschaftswie im Abschlußprüfer-Fall zur Haftung des Gutachters und Wirtschaftsprüfers die Möglichkeit einer Haftung aus Auskunftsvertrag ausdrücklich offen gelassen habe.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
trauens eine vertragliche Haftung auch gegenüber Dritten begründet. 438 Vorgehensweise, Motive und Argumentation sind weitgehend identisch. 439 Einziger Unterschied ist das jeweils als Anknüpfungspunkt der Haftung gewählte Personen Verhältnis - hier Einbeziehung in ein bereits bestehendes Vertragsverhältnis, dort Begründung eines weiteren, neuen Vertrags. Und eben dieser Unterschied trägt wiederum zu Zweifeln an der Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bei. Die Aussage des Bundesgerichtshofs im Abschlussprüfer-Fall, die Dritthaftung beruhe wesentlich darauf, dass es Sache der Vertragsparteien sei - also des Wirtschaftsprüfers und des geprüften Unternehmens - zu bestimmen, gegenüber welchen Personen eine Schutzpflicht begründet werden solle, 440 relativiert sich gegenüber der hier ebenso möglichen Konstruktion eines stillschweigenden Auskunftsvertrags, bei der es dann zumindest auf den Willen des geprüften Unternehmens überhaupt nicht mehr ankommt, weil sie rein konstruktiv auf andere Vertragsparteien - den Wirtschaftsprüfer und den Kreditgeber - abstellt. Die Anspruchsbegründung scheint damit aber entgegen dem von der Rechtsprechung erweckten Eindruck nicht an bestimmte Vertragsparteien gebunden zu sein, wenn dasselbe Ergebnis auf unterschiedlichem Wege und durch verschiedene Vertragsbeteiligte erzielt werden kann. Das Konkurrenzverhältnis beider vertraglichen Haftungskonstruktionen bleibt von der Rechtsprechung ungelöst und wird bislang vom Schrifttum schlicht dahin gedeutet, dass der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in der Rechtsprechung derzeit en vogue sei, 441 was in dogmatischer Hinsicht wohl kaum befriedigen kann. Formenreichtum mag zwar grundsätzlich ein Zeichen hochentwickelter Rechtskultur sein, sobald er aber Resultat des Zufalls ist, so treffend Gernhuber, verliert er jeglichen Wert und kann sogar zum Hindernis werden. 442 Die Beliebigkeit der fallweisen Anwendung beider vertraglicher Konstruktionen und die Austauschbarkeit der Gründe zeigt, dass der Haftungsgrund in Wahrheit ein anderer ist, den es erst zu suchen gilt. 4 4 3 Und auch ein im Bereich der Auskunftshaftung - wie der Bun438
Zutreffend Schneider, ZHR 163, 253: „Die genannten objektiven Faktoren der Haftungsbegründung haben diesen Wandel in der bevorzugten Anspruchsgrundlage überlebt". Auch Bosch, ZHR 163, 276, spricht von einem „gemeinsamen Nenner". 439 N u r scheinbarer Vorteil der Fiktion einer Drittwirkung gegenüber der Fiktion eines Auskunftsvertrags ist, dass nicht das „Unikum" eines Vertrags begründet wird, der nichts weiter als eine Schadensersatzpflicht zum Gegenstand hat (so die Kritik von Honseil, FS Medicus, S. 219), denn auch die Aufblähung des bereits bestehenden Vertrags dient „lediglich dazu, um diese Haftung konstruieren zu können" (so bereits Laband, DJZ 1903, 262, gegen die Annahme des AuskunftsVertrags); dazu auch Schneider, ZHR 163, 251 ff. ^o BGH NJW 1998, 1949. 44 1 Die Rede ist von einem „Umschwenken des BGH", vgl. etwa Schmitz, DB 1989, 1914. 442 So Gernhuber, JZ 1962, 556, zum Verhältnis des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und der Drittschadensliquidation. Auch nach Lorenz, JZ 1995, 324, zeichnet sich das deutsche Schuldrecht „durch einen gewissen Figurenreichtum aus, was Überschneidungen nicht ausschließt". 443 So auch Lammel, AcP 173, 341 f., beim Vergleich der Gründe für die Herabsetzung der Sittenwidrigkeitsschwelle und für die Annahme eines isolierten Auskunfts Vertrags. Dies ver-
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 121
desgerichtshof selbst einräumt - „vielleicht schon allzusehr strapazierter Tatbestand des § 826 B G B " 4 4 4 trägt seinerseits stark zu dieser Annahme bei.
VI. Die Vorgaben des Gesetzgebers in § 675 Abs. 2 BGB zur Lösung der Fälle der Auskunftshaftung 1. Die heutige Relevanz des § 675 Abs. 2 BGB für die sog. Expertenhaftung a) Nach § 676 BGB a.F., der durch das Überweisungsgesetz vom 21. 7. 1999 zu § 675 Abs. 2 BGB n.F. umgestellt wurde, 445 findet eine Haftung für Rat und Empfehlung - und damit zugleich für Auskunft und Begutachtung446 - nur im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses oder bei Verwirklichung eines deliktischen Tatbestandes statt. Die heutige Relevanz dieser Vorschrift ist in der Praxis eher gering. Die Verweisung auf vertragliche und deliktische Anspruchsgrundlagen wird oft nur als deklaratorische Aussage verstanden. 447 § 676 BGB a.F. betone im Hinblick auf das unser Schuldrecht beherrschende Konsensualprinzip, so etwa Lammel, „nur eine Selbstverständlichkeit, daß nämlich eine Verbindlichkeit nur durch Vertrag oder Delikt entstehen kann". 448 Hierbei wird zugleich Kritik am historischen Gesetzgeber laut, denn der Hinweis auf Vertrag oder Delikt sei „wenig durchdacht und in der Konsequenz kaum hilfreich". 449 Zu Fragen der Auskunftshaftung, so Seiler, könne § 676 BGB a.F. „keinen Beitrag leisten". 450 Und auch nach Hopt spielt § 676 BGB a.F. für die Haftung aus Rat, Auskunft und Aufklärung „heute praktisch keine Rolle mehr". 451 Die Vorschrift müsse im Zuge fortschreitender richterlicher Rechtsfortbildung „heute in weiten Bereichen als überkennt Bosch, ZHR 163, 282 f., der sämtliche auf dem Markt befindlichen Lösungswege parallel beschreiten will: Auskunftsvertrag, Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte sowie culpa in contrahendo. 444 So BGH JZ 1979, 725,727. 445 s. BGBl. I 1642, in Kraft getreten am 14. 8. 1999; § 675 Abs. 2 BGB n.F. entspricht mit einer geringfügigen Einfügung („oder sonstigen gesetzlichen Bestimmungen") der Fassung des früheren § 676 BGB, vgl. Palandt / Sprau, BGB, 59. Aufl. 2000, § 675 Rn. 26. 446 Rechtsprechung und Schrifttum haben dem Rat und der Empfehlung, die in § 675 Abs. 2 BGB ausdrücklich genannt sind, die Erteilung einer Auskunft gleichgestellt, SoergelHäuser/Welter, BGB, § 676 Rn. 1; Staudinger/Wittmann, BGB, § 676 Rn. 2. 447 MünchKomm / Seiler, BGB, § 676 Rn. 2: „§ 676 BGB besitzt nur deklaratorische Funktion"; die Vorschrift bezeichne nur mögliche Anknüpfungspunkte für die Beurteilung von Rat und Empfehlung. 448 Lammel, AcP 179, 346. 449 Oers., AcP 179, 347. 450 MünchKomm/Seiler, BGB, § 676 Rn. 3. 451 So Baumbach/Hopt, HGB, § 347 Rn. 8.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
wunden betrachtet werden". 452 Ganz auf dieser Linie meint auch der Bundesgerichtshof eine vertragliche Haftung für den Inhalt einer Auskunft „ ungeachtet der Vorschrift des § 676 BGB" herleiten zu können. 453 Dass schließlich auch der aktuelle Gesetzgeber heute dieser Bestimmung nur mäßige Bedeutung beimisst, zeigt denn auch die Tatsache, dass sie als § 675 Abs. 2 BGB n.F. dem entgeltlichen Geschäftsbesorgungsrecht untergeordnet wurde, obwohl doch in der zuvor im Auftragsrecht geregelten Norm schon dem Wortlaut nach allgemeine Haftungserwägungen enthalten sind. 454 Dementsprechend sieht Damm für den Bereich der Expertenhaftung das in § 676 BGB a.F. zum Ausdruck kommende traditionelle Konzept in sein Gegenteil verkehrt. 455 Und betrachtet man die in den Fällen der Auskunftshaftung beschrittenen Lösungswege eines stillschweigenden Auskunftsvertrags, eines Auskunftsvertrags „mit dem, den es angeht", oder eben auch des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, so scheint diese Regelung geradezu als Aufforderung verstanden zu werden, vertragliche Ansprüche zu konstruieren. b) Vielfach wird die Vorschrift des § 675 Abs. 2 BGB n.F. aber auch als Argument gegen die Begründung stillschweigend geschlossener Auskunftsverträge angeführt, wie sie insbesondere von der Rechtsprechung immer wieder unterstellt werden. 456 Indes ist allein dem Wortlaut kein dahingehendes Verbot zu entnehmen, behält sich die Vorschrift doch eine Haftung aus Vertrag ausdrücklich vor. Auch für die eine Auskunftshaftung begründende Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte scheint sich folglich kein Widerspruch mit dem Gesetzeswillen zu ergeben. Dieses vordergründige Resultat ändert sich hingegen bei Heranziehung der Gesetzesmaterialien.457
2. Die Intention der Gesetzesverfasser In der ursprünglichen Fassung des 1. Entwurfs sollte eine Haftung für „einen Rath oder eine Empfehlung" nur dann eintreten, wenn der Erteilende „arglistig gehandelt hat, sofern nicht aus einem Vertragsverhältnisse oder aus einer Amtspflicht 452 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 447 (S. 286), für die in § 675 Abs. 2 BGB zum Ausdruck gekommene dogmatische Position, dass fahrlässig unrichtige, unentgeltliche außervertragliche Auskunftserteilung grundsätzlich nicht schadensersatzpflichtig mache. 453 BGH NJW 1973, 321, 323; ebenso NJW 1996, 2734, 2736 (Hervorheb.v.Verf.). 454 Zu Recht daher die Kritik von Erman lEhmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 675 Rn. 134, der von einer „Haftungsbeschränkung am falschen Platz" spricht. 455 Damm, JZ 1991, 374; zust. Honseil, FS Medicus, S. 223. 456 Vgl. zur Rspr. u. deren Kritik unter Hinweis auf § 676 BGB a.F. etwa Honseil, FS Medicus, S. 212 f., 219 ff., 233; ders., JZ 1985, 953; tendenziell auch noch BGH BB 1976, 855; zum stillschweigenden Auskunftsvertrag s. oben u. V 2.; Soergel-Häuser/Welter, BGB, § 676 Rn. 14 m. Fn. 61. 457 Zu Recht meint daher MünchKomm/ Seiler, BGB, § 676 Rn. 1: „Inhalt und systematische Stellung des § 676 werden nur durch einen Blick auf die historische Entwicklung verständlich."
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 123
eine weitergehende Haftung sich ergiebt". 458 Zurückgewiesen werden sollte nach dem Willen der Gesetzesverfasser insbesondere „die in Theorie und Praxis noch nicht verschwundene Ansicht, es müsse auch für culpa, mindestens für culpa lata, eingestanden werden". 459 Vielmehr sollte „der unaufgefordert oder auf Anfrage gegebene Rath, eine solche Auskunft oder Empfehlung" unverbindlich sein. 460 Ins Auge gefasst hatten die Gesetzesverfasser dabei insbesondere „Erkundigungen nach Insolvenz und Kreditwürdigkeit". 461 „Der Wille, sich zu obligieren, fehlt gewöhnlich und derjenige, welcher den Rath oder die Empfehlung empfangen, handelt, wenn er sie befolgt, auf eigene Gefahr." 462 Jedoch könnten „die besonderen Umstände eine weitergehende Haftung begründen", so etwa, „wenn der Rath oder die Empfehlung auf Grund eines ausdrücklichen oder stillschweigenden Vertrages, vielleicht sogar gegen Entgelt ertheilt ist und eine umfassendere Haftung aus den für Verträge geltenden allgemeinen Grundsätzen sich ergiebt". 463 Ein zunächst angenommener Antrag, die ursprünglich als Haftungsnorm abgefasste Vorläuferbestimmung des späteren § 676 BGB a.F. in den Abschnitt über die Schuldverhältnisse aus unerlaubten Handlungen einzustellen,464 um als klare Grenze gegenüber der anfangs erwogenen, auch einen umfassenden Vermögensschutz enthaltenden großen deliktischen Generalklausel eine Auskunftshaftung für bloße Fahrlässigkeit (culpa) auszuschließen, wurde später wieder verworfen, 465 da sie dort aufgrund der zwischenzeitlich vollzogenen Abkehr von der Generalklausel und der Herausbildung von §§ 823 und 826 BGB für entbehrlich erachtet wurde. 466 War damit die angestrebte Absage an eine reine Fahrlässigkeitshaftung bereits durch die „neue" Konzeption des Deliktsrechts umgesetzt, so wurde § 676 BGB a.F. nun auf seine „zweite Funktion", die Absage an eine Vertragskonstruktion allein aufgrund der 458 So § 604 E I . 459 Motive zum BGB, Bd. 2, S. 555; Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 380. Zur damaligen Rechtspraxis auch Würthwein, Schadensersatzpflicht, S. 211 f. 460 Motive zum BGB, Bd. 2, S. 554. 461 Motive zum BGB, Bd. 2, S. 555. 462 Motive zum BGB, Bd. 2, S, 554. 463 Motive zum BGB, Bd. 2, S. 555. 464 Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 380. 465 Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 664. 466 Ausführlich hierzu die 2. Kommission: „Die Vorschrift würde hier nur besagen, daß nur arglistige, nicht auch fahrlässige Ertheilung eines schädlichen Rathes widerrechtlich sei und zum Schadensersatz verpflichte. In diesem Sinne habe sie gegenüber dem § 705 des Entw. [heute § 826 BGB] den Zweck gehabt, klarzustellen, daß fahrlässige Ertheilung eines schädlichen Rathes nicht als Verstoß gegen die guten Sitten anzusehen sei. Dieser Zweck erledige sich aber durch den zu § 705 gefaßten Beschluß, daß ein Verstoß gegen die guten Sitten nur im Fall vorsätzlicher Schadenszufügung eine Ersatzpflicht begründen solle. Daß die arglistige Ertheilung eines schädlichen Rathes unter den so geänderten § 705 falle, unterliege keinem Zweifel; andererseits fehle es an einem Gesetze, welches die fahrlässige Ertheilung eines schädlichen Rathes verbiete; eine Ersatzpflicht wegen solcher Rathsertheilung lasse sich daher auch nicht aus § 704 [heute § 823 BGB] in seiner jetzigen Gestalt herleiten.", so Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 664.
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
Auskunftserteilung, verkürzt. 467 Denn auch nach diesem grundlegenden Umschwenken hin zu dem heutigen restriktiven Vermögensschutz „empfehle es sich nicht", so später die 2. Kommission, „über die Haftung wegen Rathserteilung ganz zu schweigen". 468 „Eine solche Haftung lasse sich nämlich nicht nur aus den Grundsätzen über unerlaubte Handlungen ableiten, sondern werde von einer verbreiteten Ansicht", die es - wie oben angeführt - nach dem Willen des Gesetzgebers zu verwerfen galt, „darauf gegründet, daß derjenige, welcher sich zur Ertheilung eines Rathes herbeilasse, sich durch stillschweigenden Vertrag zur Anwendung ordentlicher Sorgfalt bei der Rathsertheilung verpflichte. Von dieser Grundlage gelange man zur Haftung desjenigen, der den Rath ertheile, für jede Fahrlässigkeit." 469 Die Gesetzes Verfasser richteten sich ausdrücklich „gegen die Annahme einer vertragsmäßigen Verpflichtung". Da diese Bestimmung „in die Lehre von den Verträgen" gehöre, fand die Vorschrift des § 676 BGB a.F. ihre heutige Fassung und „wegen der inneren Verwandtschaft des Verhältnisses mit dem Auftrag" ihre Stellung im Gesetzeswerk. 470 Auf diese Weise wollte man dieser Ansicht den Boden entziehen.471 Während also der Gesetzgeber an anderer Stelle der Fortbildung des Rechts durch Praxis und Wissenschaft nicht vorgreifen wollte, 472 hat man hier unzweifelhaft federführend in die rechtswissenschaftliche Forschung und Praxis eingreifen wollen. Explizit wandte man sich gegen die Fiktion stillschweigender Auskunftsverträge aus der bloßen Erteilung des Rates oder der Empfehlung und wollte diese Anspruchsherleitung ein für alle Male untersagt wissen. Sinn und Zweck von § 676 BGB a.F. - und damit von § 675 Abs. 2 BGB - sind danach recht eindeutig. 473 Der Gesetzgeber wollte sich gegen die Annahme einer 467 So Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 117. Unvollständig, weil zu eng Esser/Weyers, Schuldrecht BT, Bd. 2 Teilbd. 1, 8. Aufl. 1998, § 35 I 3 c, die § 676 BGB a.F. auf den Ausschluss der Haftung für die fahrlässige Erteilung eines Rates beschränken. 468 Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 664. 469 Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 664 = Mugdan, Materialien zum BGB, Bd. 2, S. 959 f. 470 Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 664. Knapp und prägnant die erste Kommentierung von Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 2, 8. Aufl. 1900, § 412, 2 [2.]: „In der bloßen Erteilung des Rathes oder der Empfehlung liegt, wie bisher, die Eingehung eines Vertragsverhältnisses nicht. In Bezug auf die Anwendung der Grundsätze über unerlaubte Handlungen ist zu beachten, daß Derjenige, welcher einem Anderen einen falschen Rath gibt und ihn hierdurch zu nachtheiligen Maßregeln veranlaßt, die Rechte des Anderen nicht verletzt, also nicht aus § 823 wegen Fahrlässigkeit haftet, sondern nur die Entschlüsse des Berathenen motivirt und nur aus § 826 wegen Vorsatzes haften kann. Dies entspricht auch der Absicht des Gesetzes."
471 So auch Hirte, Berufshaftung, S. 168; zu einer anderen Schlussfolgerung gelangt: Jost, Auskunfts- u. Beratungshaftung, S. 102 ff. 472 Vgl. nur etwa zur Rechtsnatur der Haftung aus culpa in contrahendo: Motive zum BGB, Bd. 2, S. 745 = Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 416: Ob es sich in den Fällen der culpa in contrahendo „um eine Haftung aus Delikt handelt oder um eine Haftung wegen Verletzung rechtsgeschäftlicher Pflichten, hat der Entw. nicht entschieden, sondern die Lösung dieser Frage der Wissenschaft und Praxis überlassen". 473 So auch Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 90 ff.
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 125
vertraglichen Verpflichtung bei Auskunftserteilung jeglicher Art wenden. Die Vorschrift sollte „restriktive Auslegungsregel" sein. 474 Aus der Auskunft selbst sollte nicht auf die Willenserklärung zu einem Vertragsschluss über sie geschlossen werden dürfen. 475 Und mit diesem Inhalt ist die Vorschrift weiterhin anzwenden.476
3. Die Übertragung dieser Vorgaben auf den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Nicht nur die Konstruktion stillschweigender Auskunftsverträge gerät mit § 675 Abs. 2 BGB in Konflikt, sondern auch die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte stellt sich - soweit zur Begründung der Gutachter- und Auskunftshaftung verwandt - als unzulässige Umgehung dieser gesetzgeberischen Vorgabe dar. Der Vorwurf der Fiktion lässt sich nicht einfach dadurch aus dem Weg räumen, dass das Personenverhältnis, an das die Fiktion geknüpft wird, ausgewechselt wird. Denn soll die Begründung von Schadensersatzansprüchen über die Konstruktion stillschweigender Auskunftsverträge zwischen Geschädigtem und schädigendem Auskunftgeber oder Gutachter untersagt werden, so ist dieser Vorgabe ja nicht allein dadurch Rechnung getragen, dass die Fiktion nun nicht auf das Verhältnis Schädiger zu Geschädigtem, sondern auf das Verhältnis zwischen Schädiger und Auftraggeber projiziert wird. Die Vorgabe des Gesetzgebers bleibt auch hier zu beachten. Das Verbot der Fiktion einer anspruchsbegründenden Abrede greift in gleicher Weise auch hier ein. Verhindern wollte der Gesetzgeber mit diesem Verbot eine auf fiktiven Vertragskonstruktionen aufbauende Haftung insbesondere für Vermögensschäden. Und dabei bleibt es sich im Ergebnis gleich, ob, wie vom Gesetzgeber intendiert, ein neuer Auskunftsvertrag oder aber ein Schutzanspruch des Dritten im Rahmen eines bestehenden Auskunftsverhältnisses fingiert wird. Vom Standpunkt des Gesetzgebers muss die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte lediglich als unzulässige Umgehung des Verbots erscheinen. Der Anspruch ist und bleibt eine Fiktion. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte im Bereich der Auskunfts- und Gutachtenhaftung muss sich damit 474
Dies., Sachwalterhaftung, S. 90; in diesem Sinne auch Soegel-Häuser/Welter, BGB § 676 Rn. 1; dagegen MünchKomm / Seiler, BGB, § 676 Rn. 2. 4 ?5 Ähnlich Hirte, Berufshaftung, S. 174: „Daß der (heutige) § 676 BGB schließlich ins Auftragsrecht eingestellt wurde, ist nach dem erklärten Ziel der Gesetzesverfasser darauf zurückzuführen, daß der im gemeinen Recht vertretenen Möglichkeit eines durch Auskunftserteilung stillschweigend zustandegekommenen Auskunftsvertrages eine Absage erteilt werden sollte." 476
Staudinger/ Wittmann, BGB, § 676 Rn. 5, spricht zutreffend von einem „Regel-Ausnahme· Verhältnis". In diese Richtung geht z.T. auch die Rechtsprechung des BGH, etwa BB 1976, 855: Eine „zurückhaltende Sicht [gegenüber der Begründung stillschweigender Auskunftsverträge] ist schon im Hinblick auf die in § 676 BGB erkennbare Wertung geboten. Eine Ausweitung [ . . . ] ist daher nicht angebracht."
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1. Kap.: Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
nicht nur den Vorwurf der blanken Fiktion gefallen lassen, sondern widerspricht zugleich klar dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers. Zwar ist dem § 675 Abs. 2 BGB kein Verbot der Haftung von beruflichen Dienstleistungen gegenüber Dritten zu entnehmen,477 doch erweist sich die Anspruchsherleitung mittels Willensfiktion als Missachtung der Vorgaben des Gesetzgebers, mithin als krasser Gesetzesverstoß.
4. Die Beschränkung der Haftungsgründe in § 675 Abs. 2 BGB als Ausgangspunkt für die heutige Problematik Gerade in der Beschränkung der Auskunftshaftung auf Vertrag und Delikt, wie sie in § 675 Abs. 2 BGB festgeschrieben wird, 4 7 8 scheint unsere heutige Problematik ihren Ursprung zu finden, führt doch eben diese restriktive gesetzliche Vorgabe zu einem dem juristischen Laien nur schwer zu vermittelnden Resultat, das hinzunehmen sich zunehmend auch das Judiz der am BGB geschulten Juristen sträubt. Begutachtet etwa in dem klassischen Fall des fehlerhaft erstellten Verkaufsgutachtens der Experte die zum Verkauf vorgesehene Sache im Auftrag des Verkäufers mit einem ihr nicht zukommenden minderen Wert, so schädigt er den Verkäufer und dieser kann den ihm im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben entgangenen Kaufpreis aus vertraglicher Schlechterfüllung ersetzt verlangen. Begutachtet er hingegen die Kaufsache mit einem höheren als dem tatsächlichen Wert, so schädigt er den Käufer, der unter Vorlage des Gutachtens bereit war, den veranschlagten Verkehrs wert zu bezahlen. Ihm nun aber versagt das Gesetz mangels Vertrag oder Vorsatz den Anspruch auf den durch den Erwerb entstandenen Vermögensschaden. Über die Haftung des Gutachters entscheidet damit - will man den Fall auf die Spitze treiben - einzig die reine Zufälligkeit, ob er dem in seinem Gutachten angegebenen Verkehrsweit aus Unachtsamkeit eine Null zuviel oder aber zuwenig hinzugefügt hatte. Diese unterschiedliche Behandlung von Verkäufer und Käufer ist in der Tat nicht zu rechtfertigen. Schon in der Leistung des Gutachters angelegt ist ein jeweils nur zufällig zur einen oder anderen Seite gerichtetes, pendelartiges Ausschlagen der Mangelhaftigkeit. Und hierin liegt die Triebfeder für das Gleichbehandlungsstreben, das in der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes seine Umsetzung findet. 479 477 So etwa Hirte, Berufshaftung, S. 415; a.A. offenbar Honseil, FS Medicus, S. 233, der eine Haftung auf „krasse Fälle" beschränken möchte. 478 Die Erweiterung des § 675 Abs. 2 BGB auf „sonstige gesetzliche Bestimmungen" hat gegenüber der alten Fassung des § 676 BGB nur klarstellende Bedeutung und verweist damit auf Tatbestände in Spezialgesetzen wie BörsenG und WpHG; s. dazu Palandt /Sprau, BGB, 59. Aufl. 2000, § 675 Rn. 41. 479 Offen wird denn auch auf das Gebot der Gleichbehandlung rekurriert, so etwa Ziegltrum, Vertrag, S. 181, 186 u. 191: Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte verdanke „seine Rechtfertigung ausschließlich dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz".
C. Die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Konstruktion vertraglichen Drittschutzes 127
Eben diese gesetzliche Ausgangslage erscheint auch als Grund für die widersprüchliche Sichtweise der Rolle des Vertrags in derartigen Fallgestaltungen. Wird einerseits die ausschlaggebende Kraft des Vertragsverhältnisses für die Gewährung eines Ersatzanspruchs auf lediglich fahrlässig verursachte Vermögensschäden in Frage gestellt, weil es doch eher zufällig sei, mit wem von beiden der Experte den Vertrag abschließe - er zumindest aber ebensogut auch mit dem jeweils anderen hätte abschließen können - , so wird andererseits gerade der abgeschlossene Vertrag als Anknüpfungspunkt und Haftungsgrundlage für den gesuchten Anspruch auch des jeweils „Dritten" herangezogen. So sehr man die Bedeutung des Vertrag auf der einen Seite kleinzureden versucht, so sehr wird er auf der anderen Seite ausgebaut und aufgebläht. Soll die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als ganz offensichtliche Notlösung überwunden werden können, so gilt es, den Ursprung und die Ursache dieser in § 675 Abs. 2 BGB angelegten „Haftungslücken" zu finden.
VII. Die Notwendigkeit einer Abkehr vom Schutzwirkungskonzept der Rechtsprechung als Resümee ihrer Kritikwürdigkeit Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erweist sich nach alledem sowohl in ihrer dogmatischen Grundlegung wie auch in ihrer Konstruktion als widersprüchlich und zur Lösung insbesondere der Fälle primärer Vermögensschäden untauglich. Die Erfassung heterogener Fallgestaltungen durch die Aufweichung ihrer Tatbestandsmerkmale hat zum Verlust jeglicher Konturen geführt. Sie greift tatbestandlich viel zu weit und ist heute eine Generalkausel für beliebig weitgehenden Drittschutz. Für das zentrale Problem der Bestimmung und Begrenzung des geschützten Personenkreises hält die Figur keinerlei präziser Vorgaben bereit. Nicht mehr die eigentliche Problemlösung steht im Vordergrund, sondern die Subsumtion des Falles unter die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte wird zunehmend zum Problem. Die Abkehr von der ursprünglichen „Wohl und Wehe"-Formel, die Erfassung auch gegenläufiger Interessen und das Uberwinden des entgegenstehenden § 334 BGB verdunkeln die entscheidungserheblichen Kriterien. Die argumentative Mühe bei der Einbeziehung dieser Fälle raubt der Figur jegliche Präjudizwirkung. Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte trägt nicht mehr zur Problemlösung bei, er ist mittlerweile selbst das Problem. Nicht mehr zu verhehlen ist, dass man allem voran für die Problematik des Ersatzes primärer Vermögensschäden Dritter offensichtlich einen falschen Ansatz gewählt hat und ein grundsätzliches Umdenken vonnöten ist. Die Untauglichkeit gerade auch der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bei der Lösung der ihr zugedachten Aufgabe eines erweiterten Vermögensschutzes und die allseits bekundete, eklatante Inkongruenz von Rechtsempfinden und Gesetzeswirklichkeit ist denn auch der Ausgangspunkt für zahlreiche alternative Lösungsvorschläge aus der Literatur.
2. Kapitel
Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum Bei der Erfassung und Auswertung der juristischen Literatur ist zwischen Lösungsvorschlägen zu unterscheiden, die die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als solche anerkennen und erhalten, dieser vielmehr nur einen neuen Geltungsgrund zuweisen wollen (dazu unter Α.), und solchen, die in Ablehnung der vertraglichen Drittschutz-Konstruktion das von dieser Figur erfasste Fallmaterial gerade im Bereich der Haftung für primäre Vermögensschäden aus dem Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte herausnehmen und einer anderen neuen Herleitung unterwerfen wollen (unter B.).
A. Figurimmanente Reformbestrebungen innerhalb des vertraglichen Schutzwirkungskonzepts I. Die divergierenden Ansätze in der Literatur Von den zahllosen, ganz unterschiedlichen Versuchen aus der Literatur, die hier aufgezeigten Unstimmigkeiten und Widersprüche aufzulösen und die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in eine neue, zweifelsfreie Form zu kleiden, hat sich bislang kein Modell mit einer überzeugenden Lösung der Drittschutzproblematik und einer klaren Festlegung des zu schützenden Personenkreises durchsetzen können. Die Bandbreite der vertretenen Meinungen reicht von völliger Ablehnung der Figur 1 bis zu einer nahezu unbeschränkten Ausdehnung des ge-
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Dezidiert gegen die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte E. Wolf, Schuldrecht, 2. Bd., 1978, § 18 IV b (S. 356 ff.); ebenso SoergelIR. Schmidt, BGB, Bd. 2, 10. Aufl. 1967, Vor § 328 Rn. 14, der abschätzig von einer „Abart des Vertrag zugunsten Dritter" spricht und der die Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber Dritten mit der Drittschadensliquidation erfassen möchte (Rn. 17); auch Keitel, Rechtsgrundlage, S. 150 ff., will die Fälle der Auskunfts- und Gutachtenhaftung wie auch den Lastschriftverfahren-Fall (S. 140 f.) nicht mit Hilfe des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, sondern der Drittschadensliquidation lösen. Gegen Figur und Konstruktion wenden sich auch Böhmer, MDR 1966, 468 und Ziegler, JuS 1979, 328, der vielmehr unmittelbar den Vertrag zugunsten Dritter anwenden will, da Haupt- und Nebenpflichten stets in einem „Abhängigkeitsverhältnis" stünden (S. 330).
Α. Figurimmanente Reformbestrebungen innerhalb des Schutzwirkungskonzepts
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schützten Personenkreises. 2 Entsprechend unterschiedlich ist auch der jeweils benannte „Gerechtigkeitsgrund" für den Schutz des Dritten, sofern man nicht, wie etwa Traugott, einen solchen ganz leugnet und stattdessen schlicht auf die „Effizienz eines solchen Anspruchs" verweist. 3
1. Die Konzeption von Neuner In einem der jüngsten Versuche einer Strukturierung des Fallmaterials w i l l Neuner „ seinen " Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte allein aus dem Sozialstaatsprinzip als „Legitimationsbasis für die Privilegierung Dritter aufgrund eines fremden Schuldverhältnisses" ableiten. 4 Dessen Anwendungsbereich sei dabei auf Fälle mit einem besonderen Näheverhältnis i m Sinne der „Wohl und Wehe"-Formel zu beschränken, 5 da das Sozialstaatsprinzip gerade eine besondere Fürsorge und Hilfestellung zugunsten einzelner Personengruppen verlange. 6 Als besondere Charakteristik der so angelegten Figur bewirkt der dadurch vermittelte Drittschutz für Neuner aus Sicht des Schuldners eine „Risikovermehrung", da ein weiterer Gläubiger hinzutrete. 7
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So auch die Analyse der Literatur bei Ziegltrum, Vertrag, S. 180; zu den verschiedenen Ansätzen der Literatur vgl. dies., S. 162 ff. 3 Traugott, Vertraglicher Drittschutz, S. 64, zu den Gutachten-Fällen: „Dem Dritten einen eigenen Anspruch zu verwehren, hätte nämlich eine bedenkliche Folge: Es käme zu einer Verschwendung von Ressourcen. Müßten sich nämlich Käufer und Verkäufer jeweils ein eigenes Gutachten erstellen lassen, so führte dies zu einer wesentlichen Erhöhung des Aufwands. Dem stünde aber kein entsprechender Vorteil durch eine verläßliche Wertschätzung gegenüber. Vielmehr wären im Gegenteil die Gutachter geneigt, eine für ihren jeweiligen Auftraggeber vermeintlich günstigere Bewertung vorzunehmen, da sie der anderen Partei des Kaufvertrags ja nicht hafteten. Die Unterschiede in der Beurteilung würden zu Auseinandersetzungen und damit zusätzlichen Effizienzverlusten führen. Rechtssätze sollten aber möglichst so gestaltet sein, daß sie eine effiziente Verteilung von Ressourcen begünstigen." Daraus leitet Traugott her, dass der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „unentbehrlich" und nicht durch andere Rechtsinstitute zu ersetzen sei (S. 65). 4 Neuner, JZ 1999, 126, 127 f. m. w. N. für diesen Lösungsansatz. Davon unterscheiden möchte Neuner die Figur der Drittschadensliquidation, einen (wohl neuen) „Vertrag mit Schadensliquidation zugunsten Dritter" sowie die Haftung Dritter aus culpa in contrahendo, auf die er das erfasste Fallmaterial aufteilt (S. 128 ff., 135 f.). Im Gegensatz zur Rechtsprechung meint Neuner, dass dem Dritten Einwendungen aus dem Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner grundsätzlich nicht entgegengehalten werden könnten (S. 130, 135). 5 Ders., JZ 1999, 128 ff., 135. 6 Ders., JZ 1999, 127. Auf das Sozialstaatsgebot stellt auch Kümmeth, Dogmatische Begründung, S. 230, ab: „Sozial besonders schwache Rechtssubjekte, ζ. B. Kinder" bedürften bei einer Gefährdung durch ein fremdes Schuldverhältnis eines maximalen und damit vertraglichen Schutzes. 7 Neuner, JZ 1999, S. 129, 135.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
2. Die Konzeption von Ziegltrum Bereits von ihrer Grundlegung ganz verschieden will demgegenüber Ziegltrum die Figur aus dem Rechtsgedanken der „Rechtsfortbildung aus sonst drohender Ungleichbehandlung" herleiten und „nur dort einsetzen, wo der Dritte eine dem Gläubiger vergleichbare Stellung einnimmt".8 Ziegltrum strebt für „ihre" Figur eine enge Begrenzung des Begriffs der „Leistungsnähe" an, ausschalten möchte sie insbesondere die „erst nach Vertragsschluß eintretende Risikoerhöhung". 9 Das Merkmal der Fürsorgepflicht des Gläubigers gegenüber dem Dritten bezeichnet sie im Gegensatz zu Neuner als „völlig überflüssig". 10
3. Die divergierenden Ergebnisse von Neuner und Ziegltrum Beide Konzepte kommen so zu divergierenden Ergebnissen. Während Neuner die Fälle ausgrenzen will, in denen der Dritte „lediglich anstelle des Gläubigers mit den Gefahren einer Leistungsstörung konfrontiert wird", 11 will Ziegltrum gerade „diejenigen Fälle einbeziehen, deren - nur personell verlagertes - Risiko von vornherein erkennbar im Vertrag angelegt ist". 1 2 Und so verwehrt denn Ziegltrum im Capuzol- und im Dreschmaschinen-Fall den verletzten Arbeitnehmern und im Gemüseblatt-Fall dem Kind den vertraglichen Schutz,13 während Neuner den vertraglichen Anspruch des Dritten als „Sozialschutz" gerade bei arbeits- und familienrechtlichen Beziehungen als Form einer „besonderen Gläubigernähe" anerkennt. 14 Ziegltrum ihrerseits beschränkt den Anwendungsbereich ihrer Figur ganz auf die Fälle der Berufs- und Expertenhaftung, 15 die wiederum Neuner aus dem Bereich seiner Figur ausnimmt.16 Obwohl beide Male vom Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte die Rede ist, wird die Figur in ihrer Schutzrichtung ganz 8 Ziegltrum, Vertrag, S. 186. 9 Dies., Vertrag, S. 182 u. 192. 10 Dies., Vertrag, S. 192. h Neuner, JZ 1999, 129 (Hervorheb.v.Verf.). 12 Ziegltrum, Vertrag, S. 182 f. 13 Dies., Vertrag, S. 189 f. (zu Capuzol- u. Dreschmaschinen-Fall): Die Vertragsleistung sei nur für den Gläubiger bestimmt gewesen; S. 198 f. (zum Gemüseblatt-Fall): Das Kind habe keine „leistungsvermittelnde Schädigung" erlitten, so dass ihm „zu Unrecht" vertraglicher Drittschutz zuerkannt worden sei (S. 199). 14 Neuner, JZ 1999, 128. 15 Ziegltrum, Vertrag, S. 205 ff., bes. 208, 210. Sogar den Testaments-Fall hält Ziegltrum auf der Grundlage ihres Modells für „falsch" entschieden (S. 202); ebenso den Lastschriftverfahren-Fall: „Fehlentscheidung" (S. 203); und auch der Publikums-KG-Fall sei „abzulehnen" (S. 210). 16 Die Fälle der Expertenhaftung möchte Neuner stattdessen mit Hilfe der culpa in contrahendo sowie unter Anwendung eines „Vertrags mit Schadensliquidation im Drittinteresse" lösen, JZ 1999, 133 f., 135.
A. Figurimmanente Reformbestrebungen innerhalb des Schutzwirkungskonzepts
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unterschiedlich ausgerichtet; zwischen den jeweils erfassten Fällen beider Modelle besteht nicht einmal eine Schnittmenge.17
4. Die Aufspaltung der Figur durch Martiny und Hirth Geleitet aus der sich hierbei offenbarenden, fast schon resignativen Erkenntnis, dass „die vielfältig verwendbare Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte keine Eingrenzung des Kreises der geschützten Dritten mit Hilfe lediglich einer einfachen, einheitlichen Formel" erlaube, propagieren Martiny und Hirth offen eine Aufspaltung der Rechtsfigur, um so dem erfassten Fallmaterial insgesamt mit unterschiedlichen Maßstäben und Kriterien für den Drittschutz gerecht werden zu können.18 Denn Dritte würden „in unterschiedlicher Weise berührt" und seien „in verschieden gelagerten Fallgruppen anspruchsberechtigt". 19 Auszumachen seien dabei „zwei große Kategorien des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte", je nach dem, ob das Integritäts- oder das Leistungsinteresse berührt sei, ob Verhaltens· oder Leistungspflichten verletzt seien.20
II. Der erneute Beweis der Untauglichkeit dieser Konstruktion An diesen, hier nur exemplarisch und stichprobenhaft dargestellten Erklärungsmodellen zeigt sich erneut die Untauglichkeit der Konstruktion vertraglicher Drittwirkung, sämtliche heute erfassten Fallgestaltungen einheitlich und zweifelsfrei zu lösen. Die unterschiedlichen, ja konträren Positionierungen der Rechtsfigur jenseits der fiktiven Willensdeutung durch die Rechtsprechung sind damit letztlich nur weiteres Indiz für die bereits festgestellte Inhomogenität des gesamten Fallmaterials. Versuche, die konturenlose Figur auf ein neues, einheitliches dogmatisches Fundament zu stellen, können immer nur Teilbereiche ihres heutigen Anwendungsgebiets erfassen, wie anhand der beiden genannten und jeweils einen ganz anderen Bereich erfassenden Ansätze von Neuner und Ziegltrum anschaulich hervorgeht. 17 Ebenso wie Neuner nimmt auch Urban, Vertrag, S. 131 ff., 135, mit Anleihen an die strafrechtliche Figur des „Obhutsgaranten" die Fälle der Berufs- und Expertenhaftung aus dem Anwendungsbereich der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte heraus, da sie sich von ihrer Struktur her in wesentlichen Punkten von den klassischen Fallgestaltungen abheben würden (S. 148 ff.). Urban plädiert seinerseits dafür, die Berufshaftung als eigenständigen Haftungsgrund anzuerkennen (S. 150). 18
Martiny, JZ 1996, 19, 22, 25: Der „schleichenden Haftungserweiterung und bloßer Kasuistik" müsse „mit größerer und exakterer Differenzierung begegnet werden". Hirth, Entwicklung, S. 119 ff. Hirth unterscheidet zwischen einem „Vertrag mit Schutzinteresse Dritter" (S. 121 ff.) und einem „Vertrag mit Leistungsinteresse Dritter" (S. 133 ff.). 19 Martiny, JZ 1996, 25. 20 Vgl. dazu im Einzelnen Martiny, JZ 1996, 22 ff.; Hirth, Entwicklung, S. 121. 9*
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
Ein einheitlicher Ansatz muss notwendigerweise scheitern, und so beherrscht denn auch zunehmend ein der Rechtsprechung hinterhereilendes Fallgruppendenken die Dogmatik dieser Rechtsfigur. Es gilt deshalb bei der Lösung der Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte vorab den weiten, grenzenlosen Ansatz dieser Rechtsfigur auszublenden und die eigentliche Problematik des jeweiligen Falles herauszulösen. Und nicht zuletzt aus dieser Erkenntnis wird in der Literatur für die Frage des Ersatzes fahrlässig verursachter Vermögensschäden - insbesondere in den Fällen der Berufs- und Expertenhaftung - nach alternativen Lösungswegen gesucht.
B. Alternative Lösungswege I. Haftung aus Garantieerklärung 1. Die Lösung Grunewalds Für die Fälle der Experten-Haftung vertritt Grunewald die Annahme einer unmittelbaren vertraglichen Haftung der Gutachter und Wirtschaftsprüfer. 21 Sie möchte dem Verhalten des Experten eine mit der Expertise verbundene Garantieerklärung i m Sinne einer „beruflichen Gewährübernahme" entnehmen - besser gesagt unterstellen - , nach der der Experte für schuldhaft fehlerhafte Stellungnahmen auch Dritten gegenüber vertraglich einzustehen hat. 2 2 Grunewald beruft sich dafür auf die „Einmütigkeit", mit der angenommen werde, dass Sachverständige unter Umständen auch Dritten gegenüber haften sowie der besonderen Bedeutung, die den Gutachten dieser Berufsgruppen i m Alltag zugemessen werde. „ A u f diese Stellungnahmen kann man sich nach Ansicht der betroffenen Verkehrskreise verlassen. Man geht - bestärkt durch die einschlägige Rechtsprechung - allgemein davon aus, daß der Sachverständige hinter seinem Gutachten steht und dafür, falls er schuldhaft fehlerhaft gehandelt hat, auch einsteht. Dies wiederum ist dem Experten bekannt. Er lebt gewissermaßen von dieser Einschätzung." 23 A n diesem Befund könne daher aber auch die Interpretation des Verhaltens der Betroffenen nicht vorbeigehen. „Wenn ein Sachverständiger in Kenntnis dieser Umstände ein Gutachten in den Verkehr bringt, dann kann dies, wie er weiß, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, auch nur so verstanden werden, daß er für die Richtigkeit seiner Angaben auch finanziell einsteht." 2 4 Für diese Deutung spreche ferner, dass sich Gutachter meist auch entsprechend versichern würden. 2 5 Erforderlich sei dabei das 21 Grunewald, AcP 187, 285 ff. zum Käufergruppe- und Konsul-Fall; dies., ZGR 1999, 583, 598 zum Abschlussprüfer-Fall. 22 Dies., AcP 187, 299 ff., 308; sowie bereits JZ 1982, 627, 631. 23 Dies., AcP 187, 299. 24 Dies., AcP 187, 299 f. 25 Dies., AcP 187, 300.
Β. Alternative Lösungswege
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Erreichen einer „gewissen Seriositätsschwelle", eine „Gewichtigkeit" der Aussage des Sachverständigen, „die Voraussetzung einer Einstandspflicht ist". 2 6 Die Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten komme demnach in Frage, „wenn das Gutachten aus der Sicht des Dritten so zu verstehen ist, daß er derjenige ist, der sich auf das Gutachten soll verlassen können". 27 Die erforderlichen Einschränkungen dieses weitgehenden Ansatzes will Grunewald im Wege „interessengerechter Auslegung der Garantieerklärung" erreichen können.28 So soll etwa bei Gutachten, auf die sich eine große Vielzahl von Personen verlasse, wie etwa Wirtschaftsprüfer-Testate, eine Vertragshaftung gegenüber Dritten - „falls keine Besonderheiten vorliegen" - nicht in Frage kommen.
2. Kritik Ebenso wie die Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und dem von ihr ebenso abgelehnten stillschweigenden Auskunftsvertrag beruft sich Grunewald damit als Haftungsgrund des Anspruchs auf einen im Wege der Auslegung herzuleitenden Haftungswillen des Experten, wenn auch im Gegensatz zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte losgelöst von der Person des Gläubigers. Wie die Rechtsprechung setzt sie sich damit aber auch dem Vorwurf „blanker Fiktion" aus, denn schließlich räumt auch Grunewald ein, dass dem Gutachter eigentlich an der Haftung gegenüber Dritten nicht gelegen sei. 29 Als weitere Schwäche dieser Haftungsherleitung ist anzuführen, dass Grunewald ihr Ergebnis aus der „Einmütigkeit" bei der Feststellung der Dritthaftung, bestärkt durch die Rechtsprechung, ableiten will, obwohl diese Einmütigkeit und auch die Rechtsprechung im Einzelfall - wie gesehen - sehr fragwürdig ist. Ihr Ansatz gewährt zudem keinerlei Anhaltspunkte für eine Begrenzung und Bestimmung der im Einzelfall geschützten Dritten. Mit dem Abstellen auf eine „interessengerechte Auslegung der Garantieerklärung" beschwört sie gerade die Probleme herauf, in denen sich die Rechtsprechung heute befindet und die es zu lösen gilt.
26 Dies., AcP 187, 300, u. ZGR 1999, 598. 27 Dies., AcP 187, 308. 28 Dies., AcP 187, 301 ff. 29 So dies., AcP 187, 290, zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. Dieser Grund, der gegen den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte spricht, richtet sich aber genauso auch gegen die Deutung als „Garantieerklärung".
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
II. Vertrauenshaftung 1. Dritthaftung aus culpa in contrahendo a) Die Lehre von Canaris Canaris wendet sich mit seiner eindringlichen Kritik gegen die Anwendung der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in den Fällen gegenläufiger Interessen.30 Es drohe „geradezu eine Denatuierung der normalen Funktion des Vertrages", die in der Wahrnehmung der eigenen Interessen der Parteien liege, nicht dagegen im Schutz eines solchen Dritten, „den man aus gutem Grund auch als Vertragsgegner zu bezeichnen pflegt". 31 Ein praktisch befriedigender und zugleich dogmatisch konsistenter Schutz des Dritten sei nur möglich, wenn man diesem grundsätzlich einen originären, also aus eigenem Recht stammenden Anspruch gegen den sog. Experten zuerkenne. 32 Hierzu will Canaris diese Fallgestaltungen mit Hilfe der Vertrauenshaftung und der culpa in contrahendo lösen.33 Canaris sieht in der Vertrauenshaftung eine „dritte Spur" zwischen Vertragsund Deliktshaftung, die sich aus dem BGB selbst, insbesondere den Vorschriften der §§ 122, 179 Abs. 2, 307, 309 und 663 BGB, herleiten lasse.34 Auch die gewohnheitsrechtlich längst anerkannte culpa in contrahendo stehe „unbestreitbar ebenfalls irgendwo zwischen Vertrags- und Deliktshaftung". 35 Die starre Dichotomie zwischen Vertrags- und Deliktshaftung werde demgegenüber schon seit langem der rechtlichen Realität nicht mehr gerecht. 36 Auf der Grundlage dieser Deutung will Canaris die vom Bundesgerichtshof entwickelte Lehre von der Dritthaftung aus culpa in contrahendo in den Fällen gegenläufiger Interessen fruchtbar machen.37 Die Haftung des Experten gegen30 Canaris JZ 1995,444; JZ 1998, 605; ZHR 163 (1999), 215. 31 Ders., ZHR 163, 216. 32 Ders., ZHR 163, 218. 33 So bereits in FS Larenz, S. 93; JZ 1995,444 f.; JZ 1998, 605 f.; ausführlich in ZHR 163, 220 ff. Ansatzweise auch in Bankvertragsrecht, Bd. 1, Rn. 25. 34 Ausführlich in FS Schimansky, S. 43, 49; grundlegend ders., Vertrauenshaftung, 1971; ebenso ders., ZHR 163, 220. Diese Normen ließen sich weder als Tatbestände des Vertragsbruchs noch als solche der Haftung für eine unerlaubte Handlung einordnen. 35 Ders., ZHR 163, 220. 36 Ders., ZHR 163, 221. 37 Die Haftung des Stellvertreters für das Bestehen seiner Vertretungsmacht nach § 179 BGB bilde dabei die „Brücke" der Vertrauenshaftung zu der von Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelten Haftung Dritter aus culpa in contrahendo, „zeigt sie doch, daß eine solche Rechtsfigur dem Gesetz keineswegs fremd ist", ZHR 163, 222. Zwar stelle § 179 BGB aufgrund der überschießenden Erfüllungspflicht in Abs. 1 und der verschuldensunabhängigen Haftung in Abs. 2 keinen Fall der culpa in contrahendo dar, „es liegt aber gewiß kein unzulässiges Contra-legem-Judizieren darin, daß die Rechtsprechung den Vertreter für bestimmte andere Erklärungen unter der zusätzlichen, im Vergleich zu § 179 Abs. 2 BGB
Β. Alternative Lösungswege
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über Dritten lasse sich bruchlos in diese Lehre integrieren. 38 Und in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofs zur „Sachwalterhaftung" seien die auch für die vorliegende Problematik passenden Wertungskriterien zu finden. 39 Die Dritthaftung aus culpa in contrahendo setze danach voraus, dass der Haftende dem Geschädigten gegenüber in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen habe. Dies sei der Fall, wenn er dem Verhandlungspartner eine zusätzliche, von ihm persönlich ausgehende Gewähr für den Bestand und die Erfüllung des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts geboten habe, die für die Willensentschließung des anderen Teils bedeutsam war, etwa aufgrund dessen außergewöhnlichen Sachkunde für den Vertragsgegenstand. 40 Die Haftung treffe diejenige Person, die auf der Seite des Vertragspartners an dem Zustandekommen des Vertragsschlusses beteiligt sei und dabei über das bei der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen immer vorauszusetzende normale Verhandlungsvertrauen hinaus in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch nehme und dadurch dem anderen Verhandlungspartner eine zusätzliche gerade von ihm persönlich ausgehende Gewähr für Bestand und Erfüllung des in Aussicht genommenen Rechtsgeschäfts biete. 41 Auch der Gutachter bzw. Experte spiele eine wesentliche Rolle „in contrahendo". 4 2 Die Expertise sei grundsätzlich dazu bestimmt, den Abschluss des Vertrages zwischen dem Auftraggeber und dem Dritten zu erleichtern oder dessen Konditionen zu beeinflussen. 43 Genau darauf ziele auch die Aktivität eines Stellvertreters oder Sachwalters, wenn diese in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch nehmen.44 Zentrales Kriterium sei dabei das Merkmal der „persönlichen Gewähr". 45 Und dies sei in den Fällen der Expertenhaftung immer dann erengeren Voraussetzung des Verschuldens ebenfalls für den Vertrauensschaden haften läßt". Diese Haftung treffe nicht nur den Stellvertreter, sondern auch andere Personen, die vor Abschluss eines Vertrages tätig werden und auf diesen im eigenen Namen Einfluss nehmen. 38 Ders., ZHR 163, 228, 243; JZ 1998, 605. Diesem Ansatz folgend: Schneider ZHR 163, 253 f.; Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 118 ff.; Neuner, JZ 1999, 126, 135 (teilweise). Auch Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. 2 Teilbd. 1, 8. Aufl. 1998, § 35 I 3 c, befürworten eine „Haftung aufgrund der professionellen Inanspruchnahme von Vertrauen", die sie mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte als eigene Kategorie der „Statushaftung" zusammenfassen wollen. Ebenso bereits Ballerstedt, AcP 151,501 ff. 39 Zur Anknüpfung an die Sachwalterhaftung: ZHR 163, 223 Fn. 56; anders noch in JZ 1995, 445; JZ 1998, 605. Canaris sieht in dem Begriff „Sachwalter" nur eines von mehreren Beispielen dieser Haftung, ZHR 163, 243. 40 So ders., ZHR 163, 223 in Anknüpfung an BGHZ 56, 81, 84 f.
41 So ders., ZHR 163, 224 unter Berufung auf BGH W M 1988,1535,1536. 42 Ders., JZ 1995, 444 f. 43 Ders., JZ 1998, 605; ZHR 163, 224. 44 Ders., ZHR 163, 224. 45 Darin liege „ein sowohl dogmatisch überzeugungskräftiges als auch praktisch einigermaßen handhabbares Kriterium, um die haftenden 'Täter' von den haftungsfreien Gehilfen abzugrenzen"; so ZHR 163, 225, 232.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
füllt, wenn die Expertise die Funktion habe, eigene Untersuchungen des Dritten bzw. die Einholung einer weiteren Expertise durch diesen überflüssig zu machen.46 Entsprechend dem Schwerpunkt der Problematik sei ein „Wechsel der Perspektive" vorzunehmen. 47 Der richtige Ansatzpunkt liege nicht in der Anknüpfung an den Vertrag zwischen dem Experten und seinem Auftraggeber, sondern vielmehr in der Anknüpfung an den intendierten Vertrag zwischen dem Dritten und dem Auftraggeber des Experten, auf den die Expertise Einfluss zu nehmen bestimmt sei; an die Stelle von Schutzwirkungen für einen Dritten rücke die Haftung eines Dritten, und Dritter sei dann nicht mehr der geschädigte Vertragspartner des Auftraggebers, sondern der Experte selbst. Mit der Anknüpfung an die Dritthaftung aus culpa in contrahendo könnten die maßgeblichen Wertungs- und Gerechtigkeitskriterien, nämlich der Schutz des Dritten in seinem Vertrauen auf die Richtigkeit der Expertise und die Einflussnahme der Expertise auf das von diesem vorgenommene Geschäft, auch dogmatisch zum Angelpunkt gemacht werden. 48 Und - so ein weiterer Vorteil - die Frage, ob Einwendungen des Experten gegenüber seinem Auftraggeber wie ζ. B. eine von diesem verübte arglistige Täuschung, sein Mitverschulden oder eine mit ihm vereinbarte Haftungsbeschränkung auf den Anspruch des Dritten durchschlagen, sei bei dieser Herleitung grundsätzlich zu verneinen. 49 Dabei handele es sich dann um eine „konstruktionsbedingte Selbstvertändlichkeit", 50 denn der Anspruch sei originär und eigenständig gegenüber dem Anspruch des Auftraggebers aus dessen Vertrag mit dem Experten. 51 Den Kreis der geschützten Dritten will Canaris bestimmen und begrenzen, indem er auf die Rechtsnatur der Vertrauenshaftung und der culpa in contrahendo als einer „Haftung kraft Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr" sowie als „Haftung im Rahmen der ,Anbahnung' von Geschäften" abstellt.52 Von ausschlaggebender Bedeutung sei nicht die Person des Dritten, sondern das „ins Auge gefaßte
46 Ders., ZHR 163, 233. 47 Ders., ZHR 163, 233. 48 Ders., ZHR 163, 228, 240. Zum Gutachter-Fall: Tragender Gerechtigkeitsgrund für den Anspruch des Käufers bestehe nicht darin, dass sein Vertrauen in ähnlicher Weise Schutz verdiene, als sei er selbst Partei des Vertrages mit dem Sachverständigen, sondern vielmehr darin, dass sein Vertrauen Schutz verdiene, weil er den Vertrag im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen geschlossen habe und dieser dabei wissentlich oder zumindest für ihn erkennbar die Position des Verkäufers gefördert, also ähnlich wie ein selbständiger Verhandlungsgehilfe fungiert habe, JZ 1995,445. 49 Ders., ZHR 163, 229, 240. 50 Ders., JZ 1995,445. 51 Grundlage dieses originären Anspruchs sei ein „gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht", JZ 1998, 605. 52 Ders., ZHR 163, 234 f.
Β. Alternative Lösungswege
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Projekt, bei dessen Realisierung seine Expertise Verwendung finden soll". 53 Danach richte sich sein Haftungsrisiko. 54 Demgegenüber stelle der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte „nach wie vor das richtige Instrument für die ,klassischen4 Fälle dar, in denen eine Person geschädigt worden ist, gegenüber der dem Auftraggeber des Experten eine besondere Schutzpflicht obliegt oder zu der er in einem ähnlichen Näheverhältnis steht". 55 Und des Weiteren gebe es nach Canaris auch Konstellationen, in denen die Konstruktion von Schutzwirkung für Dritte nach wie vor vorzugswürdig sei, da hier wie etwa dem Käufergruppe-Fall - die Interessen des Auftraggebers des Experten und des Dritten gleichläufig seien und der Experte gegenüber dem Dritten keinen eigenständigen Vertrauenstatbestand gesetzt habe.56 Der Experte solle in diesen Konstellationen etwaige Einwendungen aus dem Verhältnis zu seinem Auftraggeber dem Dritten uneingeschränkt entgegensetzen können.57 Diese Lösung habe damit insgesamt den Vorteil, dass die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte dogmatisch und praktisch stark entlastet und von der Unübersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit befreit werde, durch welche diese Rechtsfigur beim derzeitigen Stand der Rechtsprechung beeinträchtigt werde. 58 Sie könne wieder auf die „klassischen" Fälle einer besonderen Nähebeziehung zwischen dem Vertragsgläubiger und dem geschützten Dritten sowie gewisse Fälle einer bloßen Schadensverlagerung beschränkt werden. 59 Und es bedürfe, da in den Fällen gegenläufiger Interessen alle Voraussetzungen erfüllt seien, die der Bundesgerichtshof schon bisher unter dem Stichwort der Sachwalterhaftung entwickelt habe, insoweit keiner dogmatischen oder praktischen Neuerung. 60
b) Die grundsätzliche
Verfehltheit
einer Vertrauenshaftung
So berechtigt das Bemühen von Canaris ist, die Unübersichtlichkeit und Uneinheitlichkeit der Rechtfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte beheben zu wollen, so kann doch der auf dem Vertrauensgedanken aufbauenden Dritthaftung 53 Ders., ZHR 163, 235, 238. 54
Gegenüber einem späteren Erwerber des Objekts, auf das sich die Expertise bezieht, treffe den Experten keine Haftung. Der Zweck der Expertise beschränke sich nämlich grundsätzlich auf die Beeinflussung des von seinem Auftraggeber verfolgten Projekts und umfasse nicht darüber hinaus auch Projekte späterer Inhaber des begutachteten Gegenstandes, da er an deren Anbahnung nicht mehr beteiligt sei, ZHR 163, 237. 55 Ders., ZHR 163, 218 mit Beispiele in Fn. 32. 56 Ders., ZHR 163, 243. 57 So ders., ZHR 163, 244. 58 Ders., ZHR 163, 242, 245. 59 Ders., JZ 1995, 442 f.; ZHR 163, 242, wobei, wie Canaris selbst angibt, noch die Abgrenzung zur Drittschadensliquidation als ungelöstes Problem verbleibe. 60 Ders., ZHR 163, 241 f.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
aus culpa in contrahendo nicht gefolgt werden. Canaris ist entgegenzuhalten, dass er mit seiner Lösung nur ein vages und konturenloses Rechtsinstitut durch das nächste ersetzt. Uberzeugen kann dabei nur die dadurch gewonnene Eigenständigkeit des Ersatzanspruchs des Dritten. Doch ist der zugrundeliegende Haftungsgrund nur vage und nicht überzeugend formuliert. aa) Bereits die Anknüpfung an das Institut der culpa in contrahendo ist zweifelhaft. Denn in seiner unsprünglichen Zielrichtung ist dieses nur auf diejenigen Personen gerichtet, die durch ihr Verhalten oder ihre Erklärungen die Absicht kundtun, einen Vertrag abschließen zu wollen. Hier, so die ratio, ist es gerechtfertigt, die vertragliche Haftung, die erst mit Vertragsschluss eintritt, auch schon auf den vorvertraglichen Bereich zu erstrecken. Denn der Zeitpunkt des Vertragsschlusses erscheint hierfür willkürlich und vielmehr bereits die Aufnahme von Vertragsverhandlungen maßgeblich. Die Haftung ist damit - zumindest ihrem Ursprung nach - nur zwischen den Personen einschlägig, die einen späteren Vertragsschluss beabsichtigen, zumindest aber ins Auge fassen oder objektiv ein auf Vertragsschluss gerichtetes Verhalten an den Tag legen. Dies ist Kern und tragender Gedanke der culpa in contrahendo. Die Ausdehnung dieser Haftung nunmehr auch auf Dritte durch den Bundesgerichtshof - und hieran nun anknüpfend Canaris - bricht gewollt oder ungewollt mit diesem Ansatz.61 Das „in contrahendo"-Verhältnis besteht in den Gutachter- und Experten-Fällen nur zwischen Käufer und Verkäufer. Dagegen soll zwischen Käufer und Experte gerade kein Vertrag geschlossen werden. Folgt man der Sichtweise von Canaris , so ist der Dritte lediglich Teilnehmer „in contrahendo". Es bedarf also ähnlich wie beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte ebenso auch auf diesem Lösungsweg der Begründung, warum das „in contrahendo"-Verhältnis auch Schutzwirkung zu Lasten des Dritten haben soll. Mit der auf den ersten Blick eingängigen und gegenüber der Rechtsprechungslösung vorzugswürdigen Konstruktion ist in Wahrheit also nicht viel gewonnen. Bei näherer Betrachtung gleicht sie der Konstuktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Während der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte den späteren Käufer und Mitkontrahenten in die Schutzwirkungen des Gutachtervertrages einbezieht, bindet Canaris den Experten in die Schutzwirkungen des vorvertraglichen (in contrahendo) Verhältnisses zwischen Käufer und Verkäufer ein. Beidemal findet eine Anknüpfung an vorgefundene vertragliche bzw. vorvertragliche Schuldverhältnisse und eine personelle Erweiterung dieser relativen Beziehung statt.62 Lediglich die Ableitung aus dem Parteiwillen, wie sie die Rechtsprechung vornimmt, wird durch objektive Kriterien ersetzt. 63 61 Auf diese „prinzipielle Veränderung" der culpa in contrahendo weist zu Recht auch Pikker, FS Medicus, S. 414 f., in seiner Kritik an der Vertrauenshaftung hin. 62 Es ändert sich nur die Fragestellung, das zugrundeliegende Problem bleibt dasselbe: Aus dem „Schutz eines Dritten" wird die „Haftung eines Dritten", vgl. JZ 1995, 445. Dass allein diese Konstruktion „zu der in sich überaus schlüssigen Konsequenz" führe, dass ein Dritter dem Käufer haften soll, weil er im Lager des Verkäufers steht und auf dessen Seite den Abschluss des Kaufvertrages gefördert hat, ist nicht zu sehen (so aber Canaris zum Dachboden-Fall, JZ 1995,445).
Β. Alternative Lösungswege
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bb) Zweifel bestehen auch hinsichtlich der benannten Analogiebasis einer auf den Vertrauensgedanken gründenden Haftung. 6 4 Selbst wenn man von „Vertrauenshaftung" dort sprechen will, wo „das Gesetz den Ersatz des Vertrauensschadens anordnet und sich das weder aus Delikt noch aus Vertrag erklären läßt", 6 5 so sind damit die vorliegenden Fälle nicht erklärt. Die Tatbestände der §§ 122, 179, 307, 309, 663 BGB schützen das Vertrauen in den rechtlichen Bestand und die Geltung einer (Willens-)Erklärung. Nach den angeführten Normen ist der Schaden zu ersetzen, „den der andere Teil dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit des Vertrages bzw. auf die Vertretungsmacht vertraut", 6 6 m.a.W. er wird so gestellt, wie wenn er die Erklärung nie vernommen hätte. Demgegenüber soll in den hier in Rede stehenden Fällen das Vertrauen in die inhaltliche Richtigkeit der Expertise und damit in die ordnungsgemäße Erfüllung einer vertraglichen Leistung geschützt werden. Der Experte soll dafür einstehen müssen, dass er die in ihn und seinen Berufsstand gesetzten Erwartungen nicht nur dem Vertragspartner, sondern auch Dritten gegenüber enttäuscht. Es geht damit aber um Haftung aus Schlechterfüllung und nicht um Vertrauensschadensersatz. Analogiebasis müssten demnach die §§ 280, 325, 326 B G B sowie die positive Vertragsverletzung sein. Jedenfalls ist ein „Anschluß an die gesetzlich geregelte Tatbestände oder den gesicherten Kernbereich der cic." nicht hergestellt. 67 63
Auf die Figur der Sachwalterhaftung kann und soll hier nicht genauer eingegangen werden; diese ist Gegenstand eigener Monographien: s. etwa Wiegand, Sachwalterhaftung, 1991. Nur soviel sei angemerkt: Es bestehen durchaus Unterschiede unserer Fälle zur Sachwalter(Leit-)Entscheidung des BGH: Der Sachwalter ist schon tatbestandlich „im Lager" seines Auftraggebers tätig, ist also gerade keine neutrale Instanz zwischen diesem und dem Dritten (so auch Canaris selbst, ZHR 163, 226). Dagegen sieht Canaris gerade diesen Objetivitätsund Neutralitätsanspruch als Anlass für eine Vertrauenshaftung an (ebenda, ohne Hinweis für eine Auflösung dieses Widerspruchs). Wesentliches Entscheidungsmotiv war damit die Gleichstellung des Dritten mit dem Vertragspartner. Dafür spricht auch die Besonderheit, dass der Abschluss des Vertrags mit dem geschädigten Dritten geradezu an der Zustimmung des als Sachwalter fungierenden Beklagten gebunden war und dass demgemäß „von dessen Entscheidung nach den gegebenen Umständen der Abschluß des beabsichtigten Rechtsgeschäfts letzlich abhing", (so BGHZ 56, 81, 87; gegen diesen Einwand: Canaris, ZHR 163, 226). Einen Unterschied zwischen beiden Fällen erkennt letztlich auch Canaris an, wenn er die Sachwalter-Fälle als „Vertrauenshaftung kraft Tatherrschaft" (ZHR 163, 223 Fn. 53), die Experten-Fälle demgegenüber als „Haftung kraft Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Bereich" (ZHR 163, 234) einordnen möchte (zu diesem Unterschied vgl. auch: ZHR 163, 227). 64 „Die Anknüpfung an die Bestimmungen wie die §§ 122, 179 Abs. 2, 307 BGB ist aber für die Lehre von der Vertrauenshaftung von schlechthin grundlegender Bedeutung", so Canaris, FS Schimansky, S. 54. 65 Ders., FS Schimansky, S. 51. 66 So ders., FS Schimansky, S. 50. 67 So aber ders., FS Schimansky, S. 59. Zudem kann insbes. der von Canaris hervorgehobene § 179 BGB nicht allein mit dem Vertrauensgedanken erklärt werden (so Canaris selbst: ZHR 163, 222). Dabei verkennt Canaris die Beweislast für die Fundierung seiner These (ZHR 163, 222 Fn. 51): Nicht alle anderen haben die dogmatische Einordnung der angeführten Vorschriften vorzunehmen, vielmehr muss umgekehrt Canaris den Unterschied zu anderen Haftungsnormen darlegen - dies ist bisher nicht gelungen.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
cc) Und ebenso bleibt das Merkmal der „Inanspruchnahme von Vertrauen" oder die „besondere Gewähr" vage und schillernd. Seine Positionierung als allein tragendes Haftungskonstitutivum für eine eigenständige „dritte Spur" kann nicht gelingen, denn das Vertrauen ist im Rahmen aller Schadensersatzansprüche, unabhängig davon ob deliktischer oder vertraglicher Natur, von entscheidender Bedeutung, wo der zu ersetzende Schaden erst durch ein vom Schädiger ausgelöstes und motiviertes selbstschädigendes Verhalten des Geschädigten eintritt. Die zum Schadensersatz verpflichtende, psychisch vermittelte Kausalität wird erst durch dieses Merkmal des Vertrauens auf Seiten des Geschädigten begründet. Dies tritt nur besonders deutlich und hervorstechend in den gesetzlichen Tatbeständen der §§ 122, 179 Abs. 2, 307 BGB sowie der culpa in contrahendo hervor. Eine derart zu begründende Kausalität kann aber ebenso auch einer Haftung aus § 823 BGB oder positiver Vertragsverletzung zugrundeliegen. So haftet nach dem von Canaris selbst angefühlten Fall der Experte, wenn er in einem medizinischen Lehrbuch ein Komma an der falschen Stelle setzt und ein Patient im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angabe durch Injektion einer zu hohen Dosis einer Kochsalzlösung gesundheitlich geschädigt wurde. 68 Diese Haftung ergibt sich aber bereits aus § 823 Abs. 1 BGB und nicht aus enttäuschtem Vertrauen in seine besondere Sachkunde. 69 Und ebenso haftet der Experte dem Verkäufer und Auftraggeber in den Gutachten-Fällen nicht aus vertrauensrechtlichem, sondern aus vertraglichem Anspruch, wenn nun seine Expertise nicht - wie sonst - den Wert einer Sache zu hoch, sondern diesmal zu niedrig bewertet und der Verkäufer daraufhin im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Bewertung die Kauf sache weit unter Wert veräußert und hierdurch geschädigt wird, obwohl beide - Käufer wie Verkäufer - gleichermaßen auf die Richtigkeit der Bewertung vertrauen. Man wird beim Vergleich dieser Fallvarianten nicht ernsthaft behaupten wollen, dem zweifellos zugrundeliegenden Vertrauen auf Käufer- und Verkäuferseite komme ganz unterschiedliche Bedeutung zu. 70 In allen drei genannten Fällen - der Haftung aus Delikt, Vertrag und Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte - beschreibt das Vertrauen lediglich die Kausalität zwischen Schaden und falscher Expertise. 71 Mit Recht ist daraus zu fol-
68 So ders., ZHR 163, 214 Fn. 14. 69 Auch für die Begründung von Verkehrspflichten i.R.v. § 823 Abs. 1 BGB wird auf das Vertrauensprinzip abgestellt: So etwa BGH VersR 1990, 540: Haftung des Architekten für Wasserschäden an Sachen der Mieter, weil die Bewohner des Gebäudes gerade im Vertrauen auf den Schutz gegen die Unbilden der Witterung ihre Sachen in das Haus einbringen; BGHZ 80, 186, 189 f. u. 80, 199, 201: Haftung des Warenherstellers eines wirkungslosen Produkts, weil der Benutzer von der Verwendung eines anderen wirksamen Produkts im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Produkts absieht. 70 Folgerichtig müsste auch die Haftung aus positiver Vertragsverletzung der Vertrauenshaftung unterstellt werden und die Berechtigung einer „dritten Spur" wäre in Zweifel gezogen. 71 Das Vertrauen lässt sich bei dieser Einsicht nicht in einem der drei Fälle zum haftungsauslösenden und tragenden Kriterium überhöhen. Letztlich ergibt sich die Ubiquität des Vertrauens auch aus § 254 BGB, da im Rahmen dieses notwendigen Prüfungspunktes einer jeden
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gern, dass „alle Bemühungen, mit der Figur einer gesetzlichen Vertrauenshaftung eine dritte Haftungsform neben Vertrag und Delikt zu begründen, an dem einfachen, aber zwingenden Schluß scheitern, daß ein und dasselbe Moment, das allen drei Haftungsformen als integrierendes Element gemein ist, nicht zugleich das Spezifikum nur einer dieser Haftungsformen sein kann". 72 Gegen diesen Einwand der Ubiquität des Vertrauens hat Canaris zur Verteidigung und Fundierung seiner Lehre vorgebracht, dass von Vertrauenshaftung nur gesprochen werde, „wenn der Vertrauensgedanke als konstituierendes Prinzip fungiert und die Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen also eine notwendige Voraussetzung der Haftung darstellt". 73 Demgegenüber spiele „der Vertrauensgedanke im Rahmen der Vertrags- und der Deliktshaftung zwar in der Tat ebenfalls eine wichtige, aber eben nur eine ergänzende Rolle". 74 Folge dieser erläuternden Stellungnahme ist nunmehr ein Stufenverhältnis des Vertrauens mit einerseits „schwacher", allgemeiner Bedeutung und andererseits „konstituierender", besonderer Bedeutung, das jedoch seinerseits wiederum einer Begründung und der Vorgabe entsprechender Kriterien bedarf, wann die eine oder andere Stufe zu beschreiten ist. Vertrauen, dies wird daraus deutlich, ist letztlich auch für Canaris nur eine Chiffre. Die Herleitung der Vertrauenshaftung erfolgt stets unter Bündelung mehrerer, teils vager und unscharfer Kriterien. 75 Auch für Canaris geht es nie allein darum, ob der Geschädigte vertraut hat, sondern immer um die Frage, ob dieser auch vertrauen durfte, ob nämlich das Vertrauen berechtigt und schützenswert ist. 76 Die Beachtlichkeit des Vertrauens im konkreten Fall ergibt sich so erst unter Heranziehung der besonderen Begebenheiten eben dieses Falles. Es sind damit gerade andere (weitere) Umstände, die über die Schutzwürdigkeit des Vertrauens Schadensersatzhaftung Leichtgläubigkeit und unberechtigtes Vertrauen den Anspruch mindern oder gar ausschließen können. 72 So Picker AcP 183 (1983), 369, 427. 73 Canaris, FS Schimansky, S. 55 (Hervorheb. im Original); ebenso: ZHR 163, 221; das sei bei Tatbeständen wie denen der §§ 122, 179 Abs. 2, 307, 309 BGB der Fall. 74 Ders., FS Schimansky, S. 55 (Hervorheb. im Original). 75 Wenig Gehalt hat etwa die Beschreibung als „Haftung kraft Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Bereich", ZHR 163, 234. Sehr vage ist es auch, wenn im Dachboden-Fall aus dem Umstand, dass der Sachverständige „im Lager" oder auf Seiten des Auftraggebers / Verkäufers stehe, zu folgern sei: „demgemäß ist er grundsätzlich 'näher dran' als der Käufer, das Risiko zu tragen, daß er von jenem hinsichtlich des zu begutachtenden Objekts irregeführt worden ist", so JZ 1995, 446; solche Aussagen sind allenfalls Ausdruck eines allerersten Judizes, vermögen aber eine Haftung nicht zu tragen. 76 Das Vertrauen allein ließe sich immer schon dadurch matt setzen, dass auch der Schädiger auf die Zulässigkeit seines Handelns vertraut hat. Vertrauen steht gegen Vertrauen und es bedarf der Gewichtung und Abwägung. Auszuscheiden gilt es auch „blindes Vertrauen auf die Aussagen Dritter", das sich, wie bereits von Jhering, in von Jhering cic u. Staub pVV, S. 38, meint, jeder „selbst zuzuschreiben" hat. Eben um diese fehlende Aussagekraft zu überspielen, ist daher von besonderem Vertrauen und von wesentlichen Vermögensentscheidungen die Rede. Die Vertrauenshaftung verfängt damit zwar als Schlagwort, erweist sich aber in der praktischen Anwendung als Leerformel.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
Aufschluss geben. Und wenn Canaris anführt, dass zur Lösung der vorliegenden Fälle auch der Gedanken der Berufshaftung „förderlich" sei und mit der Vertrauenshaftung „kombiniert" werden könne,77 so bestätigt er diesen Eindruck. Die Trennung von rechtlich relevantem von irrelevantem Vertäuen ist nach wie vor ungeklärt und nur von Fall zu Fall zu lösen.78 Kriterien dafür, wann das Vertrauen berechtigt und schutzwürdig sein soll, bleibt diese Lehre schuldig und so stößt sie in der Literatur auch auf berechtigte Kritik. 7 9
c) Unzulässige Aufspaltung des Fallmaterials Schließlich ist auch die Aufspaltung der Fallkonstellationen - Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte bei gleichläufigen Interessen und culpa in contrahendo bei gegenläufigen Interessen - nicht überzeugend. Die Abgrenzung ist rein künstlich. Zwar mag bei gleichläufigen Interessen ein Schutzwille des Auftraggebers noch einsichtig sein. Warum der Schutz des Dritten aber ein „bloß" gewillkürter sein soll, ist es dagegegen nicht, drängt sich doch die Frage auf, warum der Auftraggeber nicht seinen eigenen Schutz, der ihm doch weit näher liegen müsste, vertraglich vereinbaren muss, sondern ihm hier wie bei Gegenläufigkeit der Interessen dem Dritten das objektive Recht zur Seite steht. Allein der von Canaris genannte Grund, der Experte solle bei gleichläufigen Interessen die Einwendungen aus dem Verhältnis mit dem Auftraggeber auch dem Dritten entgegenhalten können, kann die Unterscheidung nicht tragen. 80 Macht man damit Ernst, so würden ohne Grund Geschäfte unter Familienmitgliedern benachteiligt, die zwar nach der Formel des Bundesgerichtshofs für das „Wohl und Wehe" des anderen Sorge zu tragen haben, unter denen aber durchaus auch die Missgunst groß sein kann. Und so kann es durchaus auch Sinn einer Expertise sein, der Übervorteilung durch den anderen vorzubeugen, man denke etwa nur an eine Vermögensbewertung im Zuge einer Erbauseinandersetzung. Eine Gleichbehandlung der Fälle sowohl gegenläufiger als auch gleichläufiger Interessen ist damit schon aufgrund der stets nur schwer fest77 Ders., ZHR 163, 219 f. u. 243: unter dem Gesichtpunkt der Gewähr für die berufliche Kompetenz. ™ So bereits Larenz, MDR 1954, 515, 517. 79
s. gegen Canaris etwa die Kritik von Flume, Rechtsgeschäft, § 10, 5 (S. 132 f.): „Es gibt kein eigenständiges Rechtsinstitut der Vertrauenshaftung"; Hopt, AcP 183, 604, 640 ff.; Gernhuber, Schuldverhältnis, § 8 I 6 b (S. 178 f.) m. w. N. in Fn. 26; Köndgen, Selbstbindung, S. 98: „Vertrauen ist ein ubiquitäres psychologisches, soziales und juristisches Phänomen, das selbst in seiner Beschränkung auf den Vertragskontext noch kaum faßbar ist", bes. S. 101 ff, 115 f.; Picken AcP 183, 369, 418 ff.; ders., JZ 1987, 1041, 1045 f.; ders, FS Medicus, S. 419 ff; Ziegltrum, Vertrag, S. 119 ff., bes. S. 128: Die „entscheidende Schwäche" liege in der „Ungeeignetheit zur sachgemäßen Haftungsbegrenzung"; Reihten, Haftung, S. 104 ff.; gegen ein Abstellen der Haftung allein auf den Aspekt des Vertrauens auch Grunewald, AcP 187, 298 f. u. Schlechtriem, FS Medicus, S. 541. so Canaris, ZHR 163, 240 f., 244.
Β. Alternative Lösungswege
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stellbaren und vielschichtigen Interessen an einer Transaktion angebracht.81 Zudem vertraut der Dritte etwa in dem angefühlten Käufergruppe-Fall bei Gleichläufigkeit ebenso wie auch bei Gegenläufigkeit der Interessen im Dachboden-Fall in gleichem Maße auf den Experten. Dass es nun für ersteres hierauf nicht ankommen soll, weil der Dritte bereits vom Auftraggeber geschützt werde, für letzteres dagegen schon, ist so nicht nachvollziehbar. 82 Es kann also insgesamt keine Rede davon sein, wie Canaris meint, dass diese Sichtweise und Unterscheidung „wesentlich zu einer systematisch sinnvollen Abgrenzung und damit zugleich zu einer Vereinfachung der einschlägigen Rechtsfiguren beiträgt". 83
2. Vertretung im Vertrauen nach Junker Dieselben Bedenken, die gegen die Vertrauenshaftung auf der Grundlage der culpa in contrahendo zu erheben sind, stehen auch einer Lösung mit dem Modell Junkers von einer „Vertretung im Vertrauen" im Wege einer analogen Anwendung der §§ 164 ff. BGB entgegen, der ebenso wie Canaris davon ausgeht, dass der Grund für die Haftung des Partners einer Sonderverbindung gegenüber einem Dritten, an dieser Sonderverbindung Unbeteiligten, „vom Schädiger in Anspruch genommenes und vom Geschädigten entgegengebrachtes Vertrauen" sei. 84 Diesem Modell liegt die Vorstellung zugrunde, dass neben das vertraglich begründete Leistungsverhältnis ein Schutzverhältnis trete, welches nicht durch den Austausch von Willenserklärungen, sondern infolge von Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen unabhängig vom Willen der Parteien kraft Gesetzes zustande komme. 85 In dieses Schuldverhältnis könne im Wege der Vertretung im Vertrauen auch ein Dritter eingebunden werden. Die Heranziehung der §§ 164 ff. BGB rechtfertige sich nach Ansicht Junkers bereits daraus, dass durch das Vertrauensverhältnis die Grundlage für eine Haftung geschaffen werde, die nicht den Vorschriften des Deliktsrechts, sondern denen des Vertragsrechts entspreche und dass daher „folgerichtig auch die vertragliche Zuständigkeitsordnung zum Zuge kommen" müsse.86 Damit aber wird auch hier nur eine untaugliche Konstruktion aus dem Bereich der Rechtsgeschäftslehre durch die andere ausgetauscht - statt den §§ 328 ff. wird auf 81 Zur schwierigen Abgrenzung s. Canaris , das., S. 241 Fn. 109: dort will Canaris Interessen von Ehegatten als gegenläufig behandelt wissen; es handele sich dabei um einen „interessanten Grenzfair! 82 Nach Canaris , ZHR 163, 241, setzt der Experte im Käufergruppe-Fall gegenüber dem Dritten keinen eigenständigen Vertrauenstatbestand - warum? 83 So ders., ZHR 163, 241. 84
Junker, Vertretung im Vertrauen, S. 23. Ders, Vertretung im Vertrauen, S. 25. 86 Ders., Vertretung im Vertrauen, S. 25; so aufbauend auf einem Gedanken von Canaris , Bankvertragsrecht, Rn. 17. 85
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die §§ 164 ff. BGB gesetzt. Auch auf diesem Wege werden zwei Ebenen - Haftung und rechtsgeschäftliche Leistungsbegründung - in unzulässiger Weise verknüpft. Ein dogmatischer Gewinn stellt sich dabei nicht ein. 87 Beides passt auch hier nicht zusammen. Nur mühsam und letztlich nicht überzeugend vermag Junker den „Vorwurf der Künstlichkeit" dieser Konstruktion auszuräumen.88 Das zum Schutz des Geschäftspartners bestehende Offenkundigkeitsprinzip der Vertretung erscheint angesichts des Rückgriffs auf die Grundsätze vom „verdeckten Geschäft für den, den es angeht" nur beschränkt umsetzbar zu sein. 89 Und wenn Junker etwa auch für den Verkaufsgutachten-Fall, in dem der Gutachtenvertrag abgeschlossen wird, bevor der spätere Käufer überhaupt bekannt ist, das „Vertretergeschäft" im Wege der Vertretung ohne Vertretungsmacht und durch spätere konkludente Genehmigung durch den Käufer begründet wissen will, so kann diese umständliche Konstruktion wohl kaum wirklich zur Lösung der sich hier stellenden Haftungsfrage beitragen. 90 Unstimmig ist auch, dass der „Vertreter" zugleich für sich und in Vertretung für den Dritten handeln können soll, ist doch dem Vertetungsrecht eine doppelte Inanspruchnahme fremd. 91 Diese für die Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte charakteristische Anspruchshäufung ist mit den §§ 164 ff. BGB nicht in Einklang zu bringen. Die Rechtsfigur der Stellvertretung hat ihre Funktion im Rahmen der privatautonomen Gestaltung von Rechtsverhältnissen. Für ein anderes rechtserhebliches Verhalten ist sie nicht gedacht und darauf rechtstechnisch auch nicht zugeschnitten.92
I I I . Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens 1. Die rein deliktsrechtlichen Lösungsansätze in der Literatur Eine Lösung der hier aufgeworfenen Haftungsfrage wird von Teilen des Schrifttums auch in einer Fortbildung des Deliktsrechts gesucht.
87 Wenn nach Junker , jeder Dritte, auf dessen Rechte oder Rechtsgüter der Schädiger im Rahmen der Sonderverbindung einwirken kann, vertrauen darf, daß ihm von Seiten dessen, der diese Einwirkungsmöglichkeit besitzt, nicht rechtswidrig und schuldhaft Schaden zugefügt wird" (Vertretung im Vertrauen, S. 30), so ist dieser Ansatz zudem auch unerträglich weit. Die als Ausnahmetatbestand zu beschreibende Haftung wird damit zur Regel. 88
Junker, Vertretung im Vertrauen, S. 28. Die These, der Analogie stünden weder unter dogmatischen, noch unter methodischen Gesichtspunkten Bedenken entgegen (S 23), erweist sich doch als „reichlich kühn", so insgesamt auch Hagen, AcP 192, 568, 569. 89 Dazu Junker, Vertretung im Vertrauen, S. 29 ff. Für diese Figur meint Junker hier „einen neuen und bisher unbekannten Anwendungsfall" gefunden zu haben, S. 32. 90 Ders., Vertretung im Vertrauen, S. 29, 57 ff. 91
So aber ders., Vertretung im Vertrauen, S. 27. So zu Recht gegen dieses Modell Hagen, AcP 192, 569. Gegen Junker auch Sutschet, Schutzanspruch, S. 48 Fn. 146; Reichard, Drittschadensersatz, S. 29 f. 92
Β. Alternative Lösungswege
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a) Die Konzeption von Mertens In Anknüpfung an die Verkehrspflichten, um die § 823 Abs. 1 BGB von der Rechtsprechung ergänzt worden ist, und unter Berufung auf die Rechtsfortbildungsaufgabe, die der Rechtsprechung im Deliktsrecht zukomme, hat Mertens „deliktisch relevante vermögensbezogene Verkehrspflichten" in gedanklicher Erweiterung von § 823 Abs. 2 BGB entwickelt. 93 Mertens will auf diese Weise die vertraglichen Haftungskonstruktionen - darunter die Konstruktion fiktiver Verträge wie auch den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 94 - in das Deliktsrecht integrieren 95 und diese „als Teil eines umfassenden zivilrechtlichen Systems des deliktischen Schutzes fremder Vermögensinteressen" verstehen. 96 Die Erwägungen, die zur Anerkennung und Konkretisierung von Verhaltenspflichten führten, müssten auch außerhalb des Vertragsrechts und über den engen Rahmen des § 826 BGB hinaus eine durch Schadensersatzpflichten sanktionierte Verantwortung begründen können. Es sei „unleugbares Ergebnis der Rechtsentwicklung", dass der Vermögensschutz nach § 826 BGB der Ergänzung im Falle besonderen sozialen Kontakts oder spezifischer Macht- oder Vertrauenspositionen eines Rechtsträgers im Verhältnis zu anderen bedürfe. 97 Da gerade diese Momente für die Ausbildung deliktischer Verkehrspflichten im Bereich des § 823 Abs. 1 BGB von Bedeutung seien, liege es „keineswegs fern, die in dieser Hinsicht erforderliche Verstärkung des Vermögensschutzes, soweit sie sich nicht oder nur unter dogmatischen Verrenkungen in das [ . . . ] Vertragsrecht einordnen läßt, als Fortbildung des deliktischen Verkehrspflichtkonzepts anzusehen".98 Nach der Vorstellung von Mertens habe sich hinter der Einteilung der Haftungen in vertragliche und deliktische mit einigen gesetzlichen Zwischenstufen inzwischen ein wesentlich differenzierteres Haftungssystem entwickelt, das auf unterschiedlche Formen und Intensitäten des sozialen Kontakts reagiere und insofern auch an bestimmte soziale Rollen anknüpfe. 99 Mit dem offen benannten Ziel, die konstruktiven Bedenken, die sich wegen offensichtlicher Verlegung vertraglicher Haftungskonstruktionen erheben ließen, auszuräumen und gewisse Grenzen, die sich aus solchen Konstruktionen ergeben, zu relativieren, meint Mertens aufzeigen zu können, „daß die heute das Deliktsrecht weithin prägende Konzeption der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen als einheitlicher Haftungsgrund einer Reihe von Haftungen für die Verletzung fremden Vermögens in Erscheinung tritt". 1 0 0 Die Momente, die zur Ausbildung solcher Haftungen ge93 Mertens, AcP 178, 227; ders., in MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 466 ff.; ebenso auch K. Huber, FS von Caemmerer, S. 359 ff., 377 ff.; Mertens folgend von Bar, Verkehrspflichten, 1983, S. 157 ff., 204 ff.; ders., ZGR 1983, 504 ff., Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 77. 94 Mertens, AcP 178, 237 f.; ders. in MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 469. 95 Ders., AcP 178, 232. 96 Ders., AcP 178, 255. 97 MünchKomm /Mertens, BGB, § 823 Rn. 466. 98 Ders. in MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 466. 99 Ders. in MünchKomm, BGB § 823 Rn. 472. 10 Plötner
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
führt hätten und noch immer führten, bildeten zugleich „geeignete Anknüpfungspunkte für die Rechtsfortbildung im Sinne der Herausarbeitung und Sanktionierung bestimmter Verkehrspflichten in bezug auf fremdes Vermögen". Für die Herausbildung von Schutzpflichten für fremdes Vermögen will Mertens der Rechtsprechung „verallgemeinerungsfähige Haftungselemente" entnehmen, darunter und hier allein interessierend „die Ausübung von Berufen, denen eine öffentliche Verantwortung für fremdes Vermögen zufällt". 101 Als Fallgruppe vermögensbezogener Verkehrspflichten gelte daher die „Übernahme einer fremdvermögensbezogenen sozialen Rolle": „Jemand geht faktisch eine gesteigerte Verantwortung für fremdes Vermögen ein, sei es kraft verlautbarter Sachkunde oder Professionalisierung." 1 0 2 Gedankliche Grundlage ist dabei für Mertens die Deutung des Deliktsrechts des BGB als „bewegliches System" geschriebener und ungeschriebener Haftungsmerkmale und -prinzipien. 103 § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB bildeten „im modernen Verständnis" eine Einheit, „wobei man in § 823 Abs. 2 sogar den eigentlichen deliktischen Grundtatbestand sehen kann". 1 0 4
b) Die Lösung K. Hubers Ebenso wie Mertens plädiert auch K. Huber für die Anerkennung von Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens. 105 K. Huber entnimmt der Rechtsprechung zur Haftung von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Sachverständigen mittels stillschweigender Auskunfts Verträge sowie nach § 826 BGB, dass „bei Verletzung von Berufspflichten eben doch für primäre Vermögensschäden gehaftet wird". 1 0 6 Die Verletzung von Berufspflichten führe nicht nur zum Ersatz von absoluten Rechten im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, sondern auch von primären Vermögensschäden über die Anerkennung von diesbezüglichen Verhaltenspflichten im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB. 1 0 7 Offen wird hierbei auf die normative Kraft dieser Entwicklung abgestellt. „Es ist nicht mehr die
ioo Ders. in MünchKomm, BGB § 823 Rn. 472. ιοί Ders., AcP 178, 240 f.; ders., in MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 473. ι 0 2 Ders., AcP 178, 252. Im Rahmen der Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens, die auf der Erzeugung besonderen Vertrauens oder auf einem engen sozialen Kontakt beruhten, sei für die Gehilfenhaftung heute § 278 BGB anzuwenden, so in MünchKomm, BGB, § 823 Rn. 480. 103 Ders., AcP 178, 234 ff. 104 Ders., AcP 178, 252. los K. Huber, FS von Caemmerer, 1978, S. 359 ff. 106 Ders., FS von Caemmerer, S. 378. 107 K. Huber geht aus vom Bestehen einer allgemeinen Verhaltensnorm, dass „deqenige, der einen Beruf ausübt, unabhängig von vertraglichen Bestimmungen gegenüber bestimmten Personen, die allgemeine Verantwortung dafür übernimmt, daß, wo er seinen Beruf ausübt, ein geordneter Verlauf der Dinge gewährleistet ist" (FS von Caemmerer, S. 379).
Β. Alternative Lösungswege
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Aufgabe der Rechtsprechung, diesen Schritt zu vollziehen, sondern der Wissenschaft, zu erkennen, daß die Rechtsprechung ihn vollzogen hat." 1 0 8 Die Schranke des positiven Rechts lasse sich hierbei überwinden, „wenn man die in »Verkehrspflichten 4 konkretisierten Verhaltensnormen insgesamt als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB behandelt". 109
c) Die Ansicht von Bars Unter Hervorhebung der Anknüpfung von Schadensersatzpflichten an die berufliche Stellung des Inanspruchgenommenen und kritischer Würdigung der dogmatischen Fundierung sieht auch von Bar in der Rechtsprechung zu § 826 BGB, zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und zur Sachwalterhaftung eine ausreichende Basis, „um deliktsrechtliche Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens in Form von Berufspflichten anzuerkennen". 110 Es sei im Vergleich der Entwicklungen nicht einzusehen, dass die gesteigerte Verantwortlichkeit, die aus einer exponierten Rolle im Gesamtgefüge des Wirtschafts- und Berufslebens folge, sich auf Berufe beschränken solle, die sich vorwiegend mit der Bewahrung der im § 823 Abs. 1 BGB genannten Güter befassen. Gleiches müsse entsprechend auch für Angehörige von Berufen gelten, denen typischerweise die Betreuung fremder Vermögensinteressen obliege. 111 Diese Verkehrspflichten will auch von Bar wie Schutzgesetze im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB ansiedeln.112 Als Fallgruppe bereits „vorhanden und vorsichtig entwickelbar" sieht von Bar dabei die Berufspflichten von Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern, Schätzern, Banken und Versicherungen. 113
d) Der übereinstimmende Ansatz von Brüggemeier Und auch Brüggemeier will mittels der Figur der Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens die quasi-vertragliche Haftung in ein „modernisiertes", durch richterliche Rechtsentwicklung geprägtes Deliktsrecht zurückführen. 114 Gerade die Fälle der Informationshaftung will Brüggemeier allgemein, statt über stillschweigende Auskunftsverträge, Verträge mit Schutzwirkung für Dritte, Sachwalterhaftung und deliktische Haftung für grobe Fahrlässigkeit nach los Ders., FS von Caemmerer, S. 379. 109 Ders., FS von Caemmerer, S. 374. no von Ban Verkehrspflichten, 1980, S. 204 ff., 221 ff.; ders., ZGR 1983, 476, 507 f.; ders., JuS 1982, 637, 645. m Ders., Verkehrspflichten, S. 234. 112 Ders., Verkehrspflichten, S. 157 ff. 113 Ders., Verkehrspflichten, S. 237. 114 Brüggemeien Deliktsrecht, 1986, Rz. 77 (S. 76). 1*
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
§ 826 BGB, „konsequent und einheitlich" deliktsrechtlich nach § 823 Abs. 1 BGB lösen. 115 In Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes „deliktischer Berufshaftung" würden bestimmten Berufsgruppen, denen speziell die Wahrung fremder Vermögensbelange obliege, „im Interesse sozialer Schadensprävention" bestimmte Verkehrspflichten auferlegt, deren Verletzung nach § 823 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig mache. 116 Diese Verhaltenspflichten seien unabhängig vom Bestehen individueller Vertragsverhältnisse. 117 Als Voraussetzung der Haftung bezeichnet Brüggemeier die berufsrollenspezifische Erteilung einer Information, die für den geschädigten Dritten erkennbar von vermögensrechtlicher Bedeutung sein müsse; der geschädigte Personenkreis müsse bestimmbar und der Dritte bestimmungsgemäß mit der Information in Kontakt gekommen sein. 118
2. Der fundamentale Unterschied zwischen Vermögens- und Rechts(güter)schutz Die Begründung von Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens, sei es durch Einordnung in § 823 Abs. 1 oder Abs. 2 BGB, lässt sich nicht ohne sichtlichen Bruch mit dem System des geltenden Deliktsrecht bewältigen. Denn selbst wenn die rechtsquellen-theorethischen Bedenken zu überwinden wären, die dagegen bestehen, richterliche Rechtsfortbildung als ungeschriebene „Rechtsnorm" i. S. d. Art. 2 EGBGB anzuerkennen, 119 obwohl doch eine Rechtsnorm ihrer Natur nach eine - wenn auch nicht notwendigerweise geschriebene - Umsetzung als allgemein geltender Rechtssatz voraussetzt, die gerade nicht vom urteilenden Richter geleistet werden kann, so würde doch die Gleichsetzung von richterlich statuierten Verkehrspflichten und Schutzgesetzen im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB das Normengefüge des Deliktsrechts sprengen. 120 Denn die Anerkennung vermögensschützender Verkehrspflichten würde mit der grundlegenden rechtspolitischen Zielsetzung des Gesetzes brechen, durch die Ausgestaltung des Deliktsrechts in „drei kleine Generalklauseln" und der Abkehr von einer großen Generalklausel gerade nicht dem Richter die Aufgabe zu überantworten, darüber zu entscheiden, in 115 Ders., Deliktsrecht, Rz. 446 (S. 291). h 6 Ders, Deliktsrecht, Rz. 446 (S. 291). Brüggemeier (Rz. 77) bezeichnet dies als „Sonder-Deliktsrecht" oder auch „deliktische Haftung in Sonderbeziehungen", da die richterlich normierten Verkehrs-, Berufs- und Schutzpflichten nicht mehr generell gegenüber jedermann, sondern jeweils für bestimmte, enger oder weiter gefasste Sozialbereiche gelten würden. 117 Ders., Deliktsrecht, Rz. 77. us Ders., Deliktsrecht, Rz. 458 ff. (S. 292 f.). 119 Dafür etwa Canaris, FS Larenz, S. 45. 120 So auch Grunewald, AcP 187, 297; dies., JZ 1982, 631; Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 115; dagegen auch Canaris, FS Larenz, S 83; für Honsell, FS Medicus, S. 221, argumentieren die Befürworter dieser Lehre, „wie wenn sie sich im rechtsfreien Raum befänden"; Lang, WPg 1989, 59: „wohl etwas kühner Vorschlag".
Β. Alternative Lösungswege
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welchen Fällen eine Restitutionspflicht eingreifen soll. 1 2 1 Mit einer deliktischen Haftung für die nur fahrlässige Verletzung beruflicher Verhaltensanforderungen unabhängig von Art und Rang des verletzten Rechtsguts würde § 823 Abs. 2 BGB die Bedeutung und Funktion jener - gerade verworfenen - großen Generalklausel mit Ermächtigungsfunktion zur Begründung neuer Einstandspflichten an den Richter zukommen. § 823 Abs. 1 und § 826 BGB hätten in Umkehrung der ursprünglichen Konzeption nur noch Ergänzungsfunktion. 122 Die vom Gesetzgeber angestrebte und auch erreichte tatbestandliche Klarheit und Erkennbarkeit der gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen wäre mit diesem Schritt deutlich verwässert. Denn bei reinen Vermögensschäden ist das Verletzungsobjekt aus Schädigerperspektive überaus schwer zu greifen. Dem Schädiger geht die „Signalfunktion" der absoluten Rechte und Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 und der Schutzgesetze des § 823 Abs. 2 BGB für die Steuerung schadensvermeidenden Verhaltens verloren. 123 Die bewusste, systemprägende aber auch stets notwendige Differenzierung zwischen umfassendem Rechts(güter)schutz und nur restriktivem Vermögensschutz auf Deliktsebene findet eben darin ihren Grund. Wird nun das Vermögen den absolut geschützten Rechten über die Statuierung von Verkehrspflichten gleichgesetzt, so droht diese „Signalfunktion" verloren zu gehen. Eine entspechende „Signalfunktion" könnte vom jeweils auf den Einzelfall bezogenen Richterspruch erst in langjähriger, gleichmäßiger Übung erreicht werden. Mit der Deutung als „Verkehrspflicht" des Schädigers ist zudem eine heute einhellig für notwendig erachtete und gesuchte personelle Grenzziehung der Einstandspflicht etwa in den Fällen der Bilanzerstellung oder -prüfung durch den Wirtschaftsprüfer unmöglich. 1 2 4 Als Verkehrspflicht richtet diese sich notwendigerweise an alle, die darauf vertrauen. 125 Es droht damit für den Bereich des Vermögensschutzes eine nicht hinnehmbare Haftungsausuferung, denn man kommt regelmäßig zu einer Haftung der Experten gegenüber allen für (fast) alles. 126 Letztlich müssen auch die Befürworter den Schutz primärer Vermögensinteressen als „wunden Punkt" bei dem allgemeinen Versuch der Zurückdrängung vertraglicher Hilfskonstruktionen durch
121 Picker, JZ 1987, 1047; ähnlich Damm, JZ 1991, 382. 122 Adoljf, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 115. 123 So Köndgen, Selbstbindung, S. 367. 124 Bereits der den Verkehrspflichten zugrundeliegende Gedanke, dass jeder, der im Verkehr eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, alle Schutzmaßnahmen für das gefährdete Publikum ergreifen muss (so von Bar, ZGR 1983, 508), passt hier nicht. Es geht hier nicht um das Setzen einer Gefahr, sondern um eine Schlecht- oder Nichterfüllung einer versprochenen Leistung, die von vornherein nicht nur den Gläubiger, sondern auch Dritte treffen kann. Wäre dies mit einer deliktischen Gefahr gleichzustellen, so bestünde kein rechtfertigender Grund, warum diese Gefahr nicht auch zu einer Haftung gegenüber jedermann führen sollte. 125 Dieser bereits gedanklich uferlose Anknüpfungspunkt schlägt sich auch nieder in den damit gewonnenen Ergebnissen: So folgert K. Huber im Fall BGH NJW 1973, 321, aus §18 KWG, dass der Wirtschaftsprüfer allen Dritten haftet, denen die von diesem erstellte Bilanz vorgelegt wird, FS von Caemmerer, S. 386 f. m. Fn. 114. 126 Grunewald, AcP 187, 297.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
Fortbildung des geltenden Deliktsrechts einräumen. Und von Bar sieht daher die Lehre von den Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens eher als „theoretischen Boden", auf dem „der Gesetzgeber insbesondere auf dem Gebiet zur Fortschreibung des Deliktsrechts aktiv werden" sollte. De lege lata jedenfalls lassen sich Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens nicht begründen.
IV. Berufshaftung 1. Die besondere Akzentuierung der Berufsrolle in der Literatur a) Das Modell von Hopt Ebenso wie Mertens hält auch Hopt prinzipiell das Deliktsrecht unter der Voraussetzung angemessener Rechtsfortbildung geeignet, den Rechtsgüter- und Vermögensschutz gegen die Verletzung von Berufspflichten zu gewährleisten. 127 Die Erwägungen Hopts gehen dabei jedoch eher in die Richtung, Berufsrecht und Berufshaftung als eine Rechtskategorie eigener Art anzusehen, die herkömmliche Differenzierungen zwischen Vertrags-, Quasivertrags- und Deliktsrecht überschreitet. Hopt entnimmt seiner Analyse von Rechtsprechung und Schrifttum zu den Fällen nichtvertraglicher Haftung - dabei insbesondere auch die Fälle der Auskunfts- und Gutachtenhaftung und des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte 1 2 8 - als wesentliches Ergebnis, „daß als ein immer wiederkehrender, mehr oder weniger zentraler Topos für die Bejahung einer solchen Haftung die Zugehörigkeit zu bestimmten Berufen auftaucht". 129 Hieraus entwickelt Hopt eine einheitliche Dogmatik von Berufsrecht und Berufshaftung. Regelungsgegenstand dieses gegenüber dem gewöhnlichen Privatrechtsverkehr eigenständigen Bereichs sei ein „berufliches Auftreten am Markt", das in haftungsrechtlicher Hinsicht „den ganzen Bereich von Vertragsrecht, quasivertraglichem und Deliktsrecht" erfasse. 130 Als eine „Schicht" des Berufsrechts benennt Hopt dabei die „beruflichen Schutzpflichten", wie etwa die Prüfungs- und Hinweispflichten der Wirtschaftsprüfer und Sachverständigen, „die diesen unter Umständen auch gegenüber einem nicht an dem Gutachtenvertrag beteiligten Dritten obliegen". 131 Ebenso wie Mertens spricht auch Hopt davon, dass Berufsangehörige am Markt besondere „Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens" treffen können, die er den verschiedensten Rechtsfiguren aus Rechtsprechung und Lehre wie etwa Auskunftsverträ127 Hopt, AcP 183, 608 ff.; Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl. 1997, § 347 Rn. 22. 128 Ders., AcP 183, allgem. S. 625 ff., bes. 627 f. u. 631. 129 Ders., AcP 183, 634. 130 Ders., AcP 183, 657 f. 131 Ders., AcP 183, 658.
Β. Alternative Lösungswege
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ge, Verträge mit Schutzwirkung für Dritte und Prospekthaftung entnehmen w i l l . 1 3 2 Anders aber als bei Mertens könnten diese „Berufspflichten" sowohl Inhalt eines besonderen Vertragsverhältnisses sein, wie ebenso als Aufklärungsund Interessenwahrungspflichten auch dort ex lege bestehen, wo die Annahme eines Vertrags überhaupt fiktiv wäre. 133 Für die „Absteckung beruflicher Aufklärungs- und Interessenwahrungspflichten" sei dabei „allein auf die Berufstätigkeit" abzuheben. Die sonstigen von der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang benutzten Kriterien, etwa die vermögensrechtliche Relevanz der Auskunft für den Empfänger oder das eigene wirtschaftliche Interesse des Auskunftgebers verlören gegenüber dem Merkmal der Berufstätigkeit ihre Bedeutung.134 Das Problem der „Ausgrenzung von Drittschäden", die hier ausschließlich interessierende Frage also, ob die Berufspflicht, die der Berufspflichtige seinem Vertragspartner schuldet, ausnahmsweise auch dem weiteren Partner des letzteren oder sonstigen Dritten gegenüber zu beachten habe, beantwortet Hopt allerdings nur ausweichend.135 Berufliches Auftreten am Markt richte sich regelmäßig an einen bestimmten Klienten oder Geschäftspartner, der dann durch die Regeln des Berufsrechts geschützt werde. 136 Beliebige Dritte würden zumindest nicht direkt durch Einräumung eigener Ansprüche geschützt. Ob Berufspflichten auch bestimmten weiteren Dritten geschuldet sind, 137 mithin die Abgrenzungsprobleme bei fahrlässig verursachten primären Vermögensschäden seien bisher noch nicht bewältigt und können auch aus der Sicht der Berufshaftung nicht gelöst werden. 138 Notwendig sei ein (zusätzliches) „risikoeingrenzendes Kriterium, das einerseits über Vertragspartner hinaus bestimmte Dritte in den Schutz einbezieht, andererseits aber die Belastung des Berufstätigen mit unübersehbaren Drittschäden verhindert". 139 Für Drittschäden aus Auskunft und Gutachten könne dieses 132 Ders., AcP 183, 705 f. 133 Ders., AcP 183, 706. 134 Ders., AcP 183, 707. 135 Dazu ders., AcP 183, 707 u. 682 f. 136 Ders., AcP 183, 682. 137 Hopt spricht dabei namentlich den Lastschriftverfahren- und Testaments-Fall sowie die Testats-Fälle an. 138 So ausdrücklich ders., AcP 183, 682 f. Es müsse vielmehr genügen, darauf hinzuweisen, dass eine befriedigende Abgrenzung weder mit den Vertragsfiktionen noch ohne weiteres mit der Berufung auf Vertrauen in einer gesetzlichen Sonderverbindung erzielt werden könne, bedürfe es doch erst gerade der Erklärung, warum die Fiktion berechtigt sei oder eine Sonderverbindung gerade zu dem Dritten bestünde bzw. sein Vertrauen rechtlich schützenswert sei (AcP 183, 683). Diese Grenzziehung bei beruflichen Schutz- und Verkehrspflichten werfe ganz erhebliche dogmatische und rechtspolitische Schwierigkeiten auf, die sich in Figuren wie fiktiven Auskunftsverträgen, Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte, culpa in contrahendo mit Schutzwirkung für Dritte niederschlagen würden (AcP 183,682). 139 Ders., AcP 183, 683. Ein solches Kriterium sei grundsätzlich unabhängig davon nötig, ob die in Frage stehende Berufspflicht als quasivertraglich oder als deliktisch angesehen und behandelt werde. Denn auch letzterenfalls müsse dafür gesorgt werden, dass der Ersatz in kalkulierbaren und damit versicherbaren Grenzen gehalten werde.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
Kriterium als „berufliche Gewährübernahme" bezeichnet werden, „ohne daß damit die gerade dabei entscheidende Konkretisierung mehr als nur angedeutet wird". 1 4 0 b) Die Konzeption Hirtes In die gleiche Richtung einer umfassenden Berufshaftung geht auch Hirte in seinen Überlegungen zu einem einheitlichen System der Dienstleistungshaftung. 141 Umfassender Anknüpfungspunkt ist für Hirte die „unternehmerische Tätigkeit", 142 auf deren Grundlage er die Gleichstellung von Dienstleistung und Warenherstellung gerade auch in haftungsrechtlicher Hinsicht anstrebt. Wenn man die Haftung gegenüber Dritten bei Dienstleistungen mit der Dritthaftung bei Herstellung und Verkauf von Waren vergleiche, erscheine die im Vergleich zum Deliktsrecht strengere Haftung gegenüber bestimmten Nicht-Vertragspartnern garadezu selbstverständlich. 143 Gerade die Parallele zur Produkthaftung liege auf der Hand. 144 Demzufolge bilde die Haftung gegenüber Dritten für Rat und Auskunft bei den vermögenssorgenden Berufen die dienstleistungsspezifische Seite einer allgemeinen „unternehmerischen Außenhaftung". 145 Hirte sieht die Rechtfertigung schwinden, die Haftung gegenüber Dritten im Dienstleistungsbereich grundsätzlich anders als bei der Warenherstellung zu behandeln. „Die Haftung gegenüber Dritten im Dienstleistungssektor stellt - plastisch ausgedrückt - das in den Verkehr gebrachte fehlerhafte Gutachten den in die Umwelt entlassenen schädlichen Emissionen gleich." Haftungsgrund ist für Hirte nicht der (einzelne) Vertrag, sondern „die sich (auch) in Vertragsschlüssen äußernde rechtsgeschäftlich-unternehmerische Tätigkeit". 146 Die „zentrale Schwierigkeit" der Haftung gegenüber Dritten, nämlich wie der Kreis der geschützten Dritten bestimmt werden soll, könne dabei unter Rückgriff auf das Kriterium der Vorhersehbarkeit mit hinreichender Klarheit gelöst werden. 147
c) Die Ansicht von Lammel und Lorenz Von einer „Haftung kraft Berufsstellung" spricht auch bereits Lammel. 14* Grundlage für die Auskunftshaftung ist für ihn ein „berufsbezogenes Vertrauen in 140 Ders., AcP 183, 683. Daran anknüpfend Strauch, JuS 1992, 897, 902, der eine „berufsbezogene Erklärungshaftung" befürwortet, „die weder auf Vertrag noch auf unerlaubter Handlung beruht, sondern sich auf die Erklärung stützt". 141 Hirte, Berufshaftung, bes. S. 386 ff., 412 ff., 417 ff. 142 Ders., Berufshaftung, S. 425. 143 Ders., Berufshaftung, S. 417. 144 Ders., Berufshaftung, S. 422. 145 Ders., Berufshaftung, S. 418. 146 Ders., Berufshaftung, S. 422. 147 Ders., Berufshaftung, S. 419 f. 148 Lammel, AcP 179, 337, 365 f.
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die besondere Sachkunde", das durch gesetzliche oder selbstorganisatorische Öffnung der Berufstätigkeit zur Allgemeinheit legitimiert werde. 149 Systematisch dürfe nicht versucht werden, die Fälle der Auskunftshaftung in den herkömmlichen Rahmen Vertrag oder Delikt zu pressen, vielmehr sei in Abkehr von § 675 Abs. 2 BGB die Haftungsgrundlage in der Berufsstellung zu sehen.150 Die Auskunftshaftung tritt nach Lammel ein, wenn ein Rat etc. auf berufsbezogenem Gebiet erteilt werde und dieser das in die berufsspezifischen Sachkunde legitimerweise gesetzte Vertrauen infolge mangelhafter Uberprüfung der Grundlagen enttäusche. Und in ähnlicher Weise äußerte sich zuvor auch bereits Lorenz dahingehend, dass die Haftung für unrichtige Auskunft „auf der mit bestimmter Öffentlichkeits- und Vertrauensstellung ausgestalteter Berufsstellung des die Auskunft Erteilenden beruht und nicht mit einem unabhängig davon feststellbaren rechtsgeschäftlichen Verpflichtungswillen zu begründen ist". 1 5 1 Dies sei in Wahrheit der tragende Gedanke.152
2. Die Ungeklärtheit eines berufsrechtlichen Ansatzes Der Ansatz einer eigenständigen Berufshaftung steht quer zu der schuldrechtssystematischen Zuordnung zu Vertrag und Delikt. 1 5 3 . Eine Einbindung dieser Haftungskategorie in das vorgegebene, positivierte Haftungsrecht ist nicht möglich. Das Deliktsrecht kennt keine allgemeine Einstandspflicht für fahrlässig verursachte Vermögensschäden und außer § 839 BGB keine berufsbezogenen Sonderdelikte, an die anzuknüpfen wäre. Die vertragliche Haftung hat sich gerade als zu eng erwiesen, will man - wie hier vorgegeben - auf Fiktionen verzichten. Und einem weiteren Haftungsgrund steht für die hier besonders bedeutsame Auskunftshaftung ausdrücklich § 675 Abs. 2 BGB entgegen, der den Beruf neben Vertrag und Delikt gerade nicht nennt. 154 Es bestehen deshalb berechtigte Zweifel, ob die Berufsrolle überhaupt ein eigenständiger Haftungsgrund sein kann, 155 die durch die ganz unterschiedliche systematische Lokalisierung der Berufshaftung - sowohl von ihren Befürwortern wie auch von anderer Seite - bestärkt werden. Denn die Erscheinungsformen einer Berufshaftung werden stets in die 149 Ders., AcP 179, 365. 150 Ders., AcP 179, 366. 151 Lorenz, FS Larenz, 1973, S. 575, 591. 152 Auch für Jost ,Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 253 ff., 257, steht im Mittelpunkt für die Haftungsbegründung die berufliche Stellung des Beauftragten, seine Eigenschaft als Fachmann (Berufsträgerschaft) mache ihn verbindlich; Auskunftshaftung ist für Jost quasivertragliche Haftung, die von dem besonderen Status des Informationssachverständigen ausgehe und ihn aufgrund seiner an den späteren Geschädigten gerichteten Erklärungen treffe (ebenda, S. 265). 153 Brüggemeier, Deliktsrecht, Rz. 78 (S. 77). 154 Eben aus diesem Grunde fordert daher Lammel „in Abkehr von § 676 BGB" die Haftungsgrundlage in der Berufsstellung zu sehen, AcP 179, 366. 155 Canaris, ZHR 163, 218 f.
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geläufigen vertraglichen, vertragsähnlichen oder deliktischen Anspruchsgrundlagen eingebettet. Während etwa Hopt den „beruflichen Schutzpflichten" einerseits „rechtspolitisch" deliktische Rechtsnatur zuspricht, 156 so meint er andernorts, dass die Berufshaftung „gegenüber der culpa in contrahendo keinen Gegensatz, sondern eine Konkretisierung des gesetzlichen Schuldverhältnisses darstellt". 157 Auch Lorenz möchte als Haftungsgrund ein der culpa in contrahendo ähnliches gesetzliches Schuldverhältnis heranziehen, das an gewährtes und in Anspruch genommenes Vertrauen anknüpfe. 158 Für Hirte scheint die Haftung gegenüber Dritten eher „genuines Vertragsrecht" als Deliktsrecht darzustellen. 159 Demgegenüber ist nach Lammel die Haftungsgrundlage außerhalb von Vertrag oder Delikt in der Berufsstellung zu sehen.160 Schiemann erachtet die deliktische Berufshaftung zum Schutz fremden Vermögens bereits in der Rechtsprechung zur Haftung von Banken für Auskünfte nach § 826 BGB umgesetzt.161 Und auch der Bundesgerichtshof selbst spricht gerade im Zusammenhang mit dem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte von „Berufshaftung". 162 Darüber hinaus wird die Kategorie der Berufshaftung auch von der Lehre der Vertrauenshaftung vereinnahmt. Denn „die berufliche Stellung und die mit dieser verbundene Autorität" ist für Canaris „eine der wichtigsten Vertrauensgrundlagen, die es überhaupt gibt". 1 6 3 Allein anhand dieser Äußerungen wird klar: Die Berufshaftung ist kein einheitliches, eigenständiges Rechtsinstitut.164 Zwar kommt der Berufsrolle ganz offensichtlich
156 Hopt, AcP 183, 661. 157 Baumbach IHopt, HGB, § 347 Rn. 22. Das erleichtere zugleich eine sachgerechte Einbeziehung der geschädigten Dritten in den Schutzbereich der Aufklärungs-, Auskunfts- und Beratungspflicht statt fiktiver Auskunftsverträge, Verträge mit Schutzwirkung für Dritte oder Drittschadensliquidation. 158 Lorenz, FS Larenz, S. 591 u. 618. 159 Hirte, Berufshaftung, S. 425. 160 Lammel, AcP 179, 365 f. 161 Schiemann, FS Gernhuber, 1993, S. 287, 403. Gehe man diesen Weg weiter, lasse sich wohl ein erheblicher Teil der Auskunftsproblematik nach diesem Modell bewältigen. Berufsspezifische Anforderungen führten zur „passenden" Konkretisierung und Funktionalisierung des § 826 BGB, so dass dessen Schranken leichter zu überwinden seien. Schiemann plädiert insgesamt für eine Einordnung ins Deliktsrecht; der Vorteil gegenüber den gebräuchlichen Vertragsfiktionen bestehe nicht nur in der größeren dogmatischen Stringenz, sondern praktisch insbesondere in der Möglichkeit, Dritte, die von der Auskunft Gebrauch gemacht haben, in den Schutzbereich der Berufspflichten einzubeziehen. 162 BGH NJW 1996, 2928. 163 Canaris, ZHR 163, 219 f. 164 So Köndgen, Selbstbindung, S. 352, der seinerseits zur Lösung der Fälle der Auskunftshaftung eine „quasi-vertragliche Berufshaftung" vertritt (S. 365) und die Pflicht zur gewissenhaften Auskunftshaftung ebenfalls aus der beruflichen Position des Auskunftgebers ableiten will (S. 353). Als Haftungsgrund sieht Köndgen das gegebene Wort, das bestimmte Erwartungen erweckt, die auch außerhalb eines Vertrags legitim sein können und binden. Der Geltungsanspruch der Auskunft, der Charakter des Auskunftskontakts als konsensuale Beziehung sowie das realvertragliche Moment der Auskunftserteilung legten es nahe, die Aus-
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eine wichtige Bedeutung für die Statuierung von Einstandspflichten zu - hier insbesondere für die Differenzierung des Fahrlässigkeitsmaßstabes - , sie allerdings zum systembildenden und haftungsbegründenden Kriterium zu erheben, erscheint danach nicht folgerichtig. Der Beruf ist keineswegs einziges Haftungskriterium, er steht oft neben und in Verbindung mit dem Vertrauensaspekt und ist wie dieser letztlich ein ubiquitäres Moment, das in allen bekannten Anspruchsgrundlagen mehr oder minder Betonung findet. Der Beruf steht aber niemals allein. Und gerade für die hier zu lösende Problematik der Drittschädigung will Hopt selbst neben dem Topos Beruf zusätzlich auf das risikoeingrenzende Kriterium einer „Gewährübernahme" zurückgreifen, eben in der Erkenntnis, dass der Beruf allein eine „Ausgrenzung der Drittschäden" nicht ermöglicht. Wenn nun gegenüber derartigen Einwänden und in Anbetracht des restriktiven Haftungsrechts von den Vertretern der Berufshaftungs-Lehre propagiert wird, dass die Haftungsgründe zugunsten der Haftungsstandards an Bedeutung verlören und eine Zuordnung der Haftung gegenüber Dritten zum Vertrags- oder Deliktsrecht eigentlich nicht mehr notwendig sei, 165 so werden in unzulässiger Weise zwei zu trennende Ebenen vermengt. Denn Berufsstandards, auf die hierbei abgestellt wird, sind haftungsausfüllend. Sie beschreiben und definieren die Art und Weise der zu erbringenden Aufgabe, sei es gegenüber allen als Verkehrspflicht oder gegenüber dem Auftraggeber als Vertragspflicht. Sie sind aber nicht auch schon haftungsbegründend. Sie bestimmen nicht zugleich die geschützten Positionen und Personen. Sie erheben insbesondere nicht das Vermögen zum absolut geschützten Rechtsgut. Die Gleichsetzung von Berufsstandards und Haftungsgrund verwischt die Grenzen des gesetzlichen Vermögensschutzes, ohne ihrerseits klare Grenzen an deren Stelle setzen zu können. Und schließlich erweist sich die Anknüpfung an den Topos „Beruf 4 als untauglich, gerade die vorliegende Problematik umfassend zu lösen. Denn der Ansatz der Berufshaftung erweist sich einerseits als zu weit und andererseits als zu eng. Er ist zu weit, soweit jegliches beruflich veranlasstes Fehlverhalten erfasst und damit sämtliche durch Verstoß gegen Berufsregeln verursachte Schäden und insbesondere auch Vermögensschäden für ersetzbar erklärt werden. Es bedarf daneben einer notwendigen Beschränkung auf bestimmte Schadensfolgen und bestimmte Geschädigte durch zusätzliche Krikunftshaftung nach Vertragsrecht zu beurteilen. Und auch sonst komme ein quasi-vertraglicher Ansatz in Betracht, wo immer eine Person professionelle Dienste im geschäftlichen Kontakt in Anspruch nehme und wo - aus der Sicht des Berufspraktikers - diese Person als Benefiziar der beruflichen Leistung ausersehen sei (S. 362). Eine quasi-vertragliche „Rollenbeziehung" könne dabei auch begründet werden, wenn der Berufspraktiker von Dritten eingeschaltet worden sei und er auf Grund dieser Bestellung an die ihm vertraglich nicht verbundenen Destinatare Leistungen erbringt (S. 363). Köndgen betrachtet dies als „eigene Dimension" einer „zwischen bloßer Drittschutzwirkung und berechtigendem Vertrag zugunsten Dritter stehenden Konfiguration", die der deutschen Dogmatik bisher nicht hinreichend klar sei (S. 364). Vgl. eingehend zur Ansicht Köndgens die Kritik bei Brüggemeier, AG 1982, 268, 271 ff. 165 So Baumbach/Hopt, HGB, § 347 Rn. 22; Hirte, Berufshaftung, S. 424; zust. MünchKomm /Mertens, BGB, § 823 Rn. 466.
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terien. 166 Und er ist zu eng, soweit mit diesem Ansatz nur bestimmte, aus Tradition gewachsene Berufsbilder sowie nur die üblicherweise zu diesen Berufsbildern passenden Tätigkeiten erfasst werden. Handelt es sich einmal nicht um die Übernahme einer dem Berufsbild entsprechenden Funktion, so muss ein berufsrollenspezifischer Ansatz notwendigerweise scheitern, obwohl auch in diesen Fällen - etwa wenn im Testaments-Fall der Anwalt die Aufgabe eines Notars übernimmt - eine Haftung angezeigt sein kann. Ein Topos, an dem es im haftungbegründenden Sachverhalt auch einmal fehlen kann, ist aber zur allgemeinen, alleinigen Haftungbegründung kaum geeignet.167
V. Sonderhaftung bei Sonderverbindung 1. Die Lehre Pickers Picker hält die Suche nach einer positiven Begründung der schärferen vertraglichen Haftung gegenüber der allgemeinen deliktsrechtlichen Haftung für fehlgeschlagen.168 Das Aufdecken besonderer „Pflichtverstärkungsfaktoren" sei nirgends gelungen und müsse aufgegeben werden. 169 Weder komme dem Verhalten eine besondere Unrechtsqualität zu, noch ließe sich die Haftung aus besonderen Umständen bei seiner Vornahme ableiten. 170 Die bisherige Vorgehensweise müsse deshalb „direkt umgekehrt werden". 171 Der tiefere Geltungsgrund von Restitutionspflichten sei stets derselbe und beruhe nicht bloß auf einer irgendwie ausgestalteten konkreten Normierung des positiven Rechts. Auszugehen sei allein von dem Sinn des Prinzips, das die Einstandspflicht für primäre Vermögensschäden prinzipiell ausschließt. 172 Ausgangspunkt seiner Lehre ist dabei die Feststellung, dass jede rechtliche Anerkennung von Haftung gegenüber den Rechtsgenossen Ge- und Verbote begründe. 173 Sie habe folglich immer eine Beschränkung von Handlungsfreiheit zur Folge. Jede Rechtsordnung stehe bewusst oder unbewusst unter dem Zwang, die insoweit „antagonistischen Werte von Bestandsschutz und Betätigungsfreiheit auszutarieren". Sie habe durch deren beiderseits abgestimmte Beschränkung eine 166 Allein der „Rückgriff auf das Kriterium der Vorhersehbarkeit", wie Hirte, Berufshaftung, S. 419 f., zur Bestimmung des Kreises der geschützten Dritten anführt, hat in den Auskunftsfällen so gut wie keine Selektionswirkung. Die Notwendigkeit der Eingrenzung sieht auch Jost, Auskunfts- und Berufshaftung, S. 258 ff. !67 Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 115; so auch Picker, JZ 1987, 1046. 168 Picker, AcP 183 (1983), 369,460 ff.; JZ 1987, 1041 ff.; FS Medicus, S. 397 ff. 169 Ders., FS Medicus, S. 429,433 u. JZ 1987, 1047.
no Ders., JZ 1987, 1043. 171 Ders., JZ 1987, 1048. 172 Ders., FS Medicus, S. 445 sowie S. 433. Denn: „Ein grundsätzlich nach Ersatz verlangender Schaden ist auch die Einbuße im Vermögen als solchem", so in JZ 1987, 1051. 173 Ders., FS Medicus, S. 343 u. JZ 1987, 1052.
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Lebensordnung zu schaffen, die bei hinreichender Sicherung der geschützten Interessen zugleich die Garantie ausreichender persönlicher Freiheit gewähre. Diese Ausbalancierung sei das zentrale und zeitlose Ordnungsproblem jeder Haftungsgestaltung. 174 In dieser Notwendigkeit einer freiheitssichernden Haftungsbeschränkung liege der Beweggrund dafür, dass die Schöpfer des BGB neben dem Rückgriff auf Schutzgesetze das Begrenzungsprinzip der Enumeration absolut geschützter Rechtspositionen wählten. 175 Und hier liege auch das Motiv für die gesetzgeberische Entscheidung, den Ersatz von primären Vermögensschäden prinzipiell zu versagen. Die Anerkennung auch ihrer Ersatzfähigkeit hätte die Anerkennung von Ansprüchen selbst entfernter mittelbar geschädigter Personen bedeutet.176 Sie hätte also die Zahl der Anspruchsberechtigten potenziert. Eine sachlich begründbare Begrenzung dieses Gläubigerkreises hätte sie nicht mehr gestattet. Die damit drohende Uferlosigkeit der Schadenshaftung musste zur Wahrung der unabdingbaren Handlungsfreiheit abgewehrt werden. Die Nichtbeachtung primärer Vermögensschäden sei damit nur das Mittel einer apriorischen Beschränkung der Gläubigerzahl und schränke auf diese Weise das allgemeine Haftungsrisiko ein. 1 7 7 Dies sei insbesondere nicht als legislatorische Minderbewertung oder Geringschätzung solcher Schäden zu verstehen. 178 Das Prinzip der Irrelevanz primärer Vermögensschäden aus einem sozial unerwünschten Verhalten könne dann dort nicht mehr gelten, wo der legislatorische Zweck, zur Beschränkung der Haftung den Kreis der möglichen Anspruchsberechtigten von vornherein abstrakt-generell zu fixieren, bereits auf andere Weise erreicht sei. Das Vermögen als solches sei daher in den Integritätsschutz durch die geltende Ordnung einzubeziehen, wenn eine Potenzierung der Gläubigerzahl nicht mehr drohe, weil die denkbaren Anspruchsteller zumindest abstrakt schon festgelegt und damit schon ex ante begrenzt seien. 179 Hier müsse der 174 Für eine Rechtsordnung, die eine sinnvolle Lebensordnung gewährleisten solle, könne es bei der Formierung des Haftungsrechts nur darum gehen, die beiden unabdingbaren rechtspolitischen Ziele des Bestandsschutzes einerseits und der in ihren Risiken begrenzten Handlungsfreiheit andererseits miteinander in Einklang zu bringen, so ders., JZ 1987, 1052. 175
Ders., FS Medicus, S. 346. Das Ziel eines sinnvollen Kompromisses zwischen Integritäts- und Freiheitsschutz hätten die Gesetzesverfasser durch die Wahl der heutigen differenzierten Gestaltung des Deliktsrechts zu erreichen versucht, so ders., JZ 1987, 1052. 176 Ohne eine Beschränkung, so Picker zur Veranschaulichung (JZ 1987, 1053), müsste der Schädiger nicht nur dem unmittelbar Verletzten, sondern darüber hinaus allen denen Schadensersatz leisten, die mit dem zunächst Verletzten in einer rechtlich relevanten Beziehung standen und die so durch den Ausfall des Verletzten selbst oder seiner Güter ihrerseits einen Schaden erleiden und weiterhin käme zu dieser Gläubigerschar noch deren jeweilige eigene Partner hinzu - insgesamt eine „praktisch unendliche Gläubigerkette". 1 77 Ders., FS Medicus, S. 437, ebenso JZ 1987, 1051: „nur ein technisches Mittel der Haftungsbeschränkung". 178 Ders., JZ 1987, 1053. 179 Denn gerade in der Bestrebung, einer freiheitsvernichtenden uferlosen Haftung für Schadensverursachung vorzubeugen, erschöpfe sich zugleich die ratio der Gesetzesgestaltung mit ihrer prinzipiellen Beschränkung auf die absoluten Rechtspositionen; dies sei zwingender Rückschluss der Herleitung, ders., JZ 1987, 1052.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
fundamentale Gerechtigkeitssatz, dass der Schädiger für den fehlsam und vorwerfbar verursachten Schaden zu haften habe, ohne Einschränkung wieder in Kraft gesetzt werden. Denn die Haftung auf Wiedergutmachung eines Schadens, der durch ein grundsätzlich als widerrechtlich bewertbares zurechenbares Verhalten herbeigführt worden sei, entspreche einer zeitlosen Rechtsüberzeugung und einem Elementarsatz auch des geltenden Rechts. 180 Dieser Satz sei Leitidee und allgemeinstes Prinzip auch unserer Rechtsordnung und finde seinen historischen Ansatz in dem Gebot des „neminem laedere". 181 Er bedürfe als allgemeines, ideales Prinzip erst einer näheren Präzisierung. Er sei deshalb auch nicht absolut zu realisieren und uneingeschränkt in verbindliches Recht umzusetzen. Vielmehr müsse er mit dem gegenläufigen Prinzip der Betätigungsfreiheit in Einklang gebracht werden. 182 Das so beschriebene Prinzip der Haftungsbeschränkung durch Vorabfixierung finde sich im allgemeinen Deliktsrecht, das die Haftung im Grundsatz auf die Verletzung absoluter Rechte und Schutzgesetze beschränke. 183 Und es erlaube zugleich auch unter Wahrung der Handlungsfreiheit das Vermögen als solches zu schützen, wenn eine rechtliche Sonderverbindung gesetzlicher, vertraglicher oder vorvertraglicher Begründung bestehe, kraft deren der Partner der Interaktion und mit ihm also im Fall eines Fehlverhaltens auch der mögliche Gläubiger eines Anspruchs auf Schadensersatz ex ante schon feststehe. 184 Die haftungbeschränkende Funktion des Deliktsrechts werde hier durch die Individualität und Vereinzelung dieser Beziehung gesichert. 185 Die Schadenshaftung kraft Sonderverbindung erweise sich so als eine der deliktischen Einstandspflicht im Prinzip homogene Haftung. Beide funktionierten nach dem gleichen rechtlichen Regelungsmechanismus. 186 Vertragliche und deliktische Haftung hätten im Kern einen einheitlichen Geltungsgrund. 187 Durch Fortbildung dieses Prinzips lasse sich auch in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte eine Haftung entsprechend dessen Technik und Wertung gesetzeshomogen herleiten, wobei Picker vor allem die Gutach-
180 Ders., JZ 1987, 1048 u. ausführlich in AcP 183, 460 ff. 181 Ders., AcP 183,460 ff., mit rechtshistorischen und -philosophischen Nachweisen. 182 Ders., JZ 1987, 1049. In einer derart konzipierten Ordnung sei dann die Einstandspflicht des fehlsam-vorwerfbar handelden Schädigers das Prinzip. Die Verneinung der Restitutionspflicht stelle dagegen die begründungspflichtige Ausnahme dar, denn sie setze das zur tragenden Rechtsmaxime erhobene Ordnungsziel der Integritätssicherung partiell außer Kraft und müsse daher durch ein kollidierendes vorrangiges Schutzziel gerechtfertigt sein. 183 Ders., FS Medicus, S. 438. 184 Ders., FS Medicus, S. 438, u. JZ 1987, 1053. Die haftungbeschränkende Funktion des Deliktsrechts werde hier durch die Individualität der Beziehung erreicht. 185 Ders., JZ 1987, 1053 f. u. 1055. 186 Ders., JZ 1987, 1054. 187 Der Unterschied sei nicht der Haftungsumfang, sondern bestehe lediglich in der Art und Weise, wie der Haftungsgläubiger festgelegt werde, nämlich zum einen mittels Fixierung bestimmter haftungsbegründender Rechtspositionen, zum anderen bereits durch die Sonderverbindung. Sei der Haftungsgläubiger bestimmt, so trete immer das Prinzip der vollen Ersatzpflicht in Kraft; so ders. in JZ 1987, 1054.
Β. Alternative Lösungswege
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ten-Fälle im Blick hat. 1 8 8 Auch in diesen Fällen sei wie in der klassischen Sonderbeziehung von bestehendem oder angebahntem Vertrag die Individualität der Beziehung schon durch die Person des Partners bestimmt und durch diese Vereinzelung des Kontakts die entscheidende Begrenzung der Haftung gesichert. Auch in dieser „vertragslose(n), gleichwohl privatautonom begründete(n) faktische(n) Leistungsbeziehung" liege der haftungsrechtlich relevante Gesichtspunkt in gleicher Weise und Intensität vor. 1 8 9 Sie erfülle exakt die Funktion, die die sonstigen im geltenden Recht eingesetzten Mittel der Haftungsbegrenzung leisten. Ebenso wie die vertragliche oder gesetzliche Sonderbeziehung sei auch diese Verbindung qualifiziert durch die personelle Bezogenheit und die sachliche Finalität des Kontakts. 190 Die faktische Leistungserbringung schränke wie die vertragliche oder gesetzliche Sonderverbindung, wie das Erfordernis der Verletzung eines absoluten Rechts oder Schutzgesetzes oder wie auch das Postulat der Sittenwidrigkeit der Schadenszufügung von vornherein den Kreis der möglichen Anspruchsberechtigten ein. Auch sie mache diesen begrenzten Kreis damit schon vor dem Eintritt des Schadens abstrakt bestimmbar. Es gelte hier im Prinzip exakt dasselbe wie im Bereich der positiven Forderungsverletzung oder der culpa in contrahendo als den klassischen Fällen vertraglicher Haftung auf Schadensersatz.191 „Wie dort der Vertrag, so ist hier die faktische Leistungsbeziehung nicht der materiale Rechtsgrund der Haftung auf das negative Interesse. Beide erfüllen nur als Sonderverbindungen die Bedingung, unter der die Haftung ohne Freiheitsverlust bejaht werden kann." Jeweils stehe der Empfänger der Leistung und folglich bei Leistungsmängeln das Opfer zumindest abstrakt ex ante schon fest. Den Grund für die Schärfe der Problematik und die heute auszumachende „Diskrepanz von Recht und Rechtsempfinden" sieht Picker dabei allein in dem „faktischein) Umstand veränderter Formen der Organisation und der Kooperation, die sich beim Waren- und Dienstleistungsaustausch in den modernen Leistungsverbünden wachsender Beliebtheit erfreuen". 192 Auszumachen sei eine „wachsende Funktionslosigkeit des Vertrags beim modernen Güter- und Dienstleistungsaustausch". 193 Die „neuartigen Phänomene der Leistungsverknüpfung" seien gekenn188 Die Fortbildung der bürgerlich-rechtlichen Haftungsordnung lasse sich damit unmittelbar aus den grundsätzlichen Wertungen und Gestaltungsmaximen dieser Ordnung entwickeln; erforderlich sei ein „bloßes Fortdenken längst angelegter Strukturen", ders., FS Medicus, S. 432 f. 189 Ders., FS Medicus, S. 439 u. JZ 1987, 1058. 190
Es sei damit für alle Beteiligten fassbar, wessen Interesse bei der Durchführung der einzelnen Leistungsbeiträge im Endeffekt auf dem Spiel stehe: Wie der Inhalt und die Richtung der hier rein faktischen Leistungserbringung, so stünden zwangsläufig auch deren Folgen und Opfer im Fall ihrer fehlerhaften Gestaltung von vornherein fest; so in FS Medicus, S. 439. 191 Ders., FS Medicus, S. 446. 192 Ders., FS Medicus, S. 428 f. u. dazu bereits JZ 1987, 1043. 193 Ders., FS Medicus, S. 431 f. Die reale Leistungsbeziehung sei nicht mehr kongruent mit einer schutzstiftenden rechtlichen Bindung.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
zeichnet „durch die technisch wie organisatorisch präzis abgestimmte Einschaltung rechtlich isolierter Akteure, die als externe, an der Gesamttransaktion nur partiell beteiligte ,Leistungsträger 4 fungieren". 194 Diese Leistungsträger erbrächten „ihren je eigenen Beitrag im Rahmen einer fremden Vertragsbeziehung" und sie träten deshalb typischerweise zu dem tatsächlichen Destinatär ihres Beitrags bewusst und gewollt in keinerlei rechtsgeschäftliche Bindung. 195 Es finde so eine „fortschreitende Ersetzung des vertraglich unterfangenen Kooperierens durch dessen vertraglose Organisierung im Überbau des LeistungsVerbunds" statt. 196 Trotz fehlendem Vertrag träfen aufgrund „dieser übergreifenden organisatorischen Verknüpfung der Einzelbeiträge" die Folgen der Fehlerhaftigkeit solcher Teilakte unverändert zwangsläufig einen anderen Beteiligten in dem Leistungs verbünd. 197 „Denn auf einen oder einige von ihnen hin sind sie finalisiert". 198 Sie seien „nach dem Willen und dem Gesamtplan aller Akteure die eigentlichen ,Verwender 4 der Leistung4', und diese „faktischen Destinatäre" planten sie deshalb auch ihrerseits ein bei der Gestaltung ihrer eigenen organisatorischen Dispositionen.199 In einem solchen Leistungsverbund seien sich die Mitakteure wie Vertragspartner ausgeliefert. 200 Der Unterschied zur Vertragsbeziehung beschränke sich darauf, „daß diese schicksalsbestimmende Stellung bei den modernen Kooperationen lediglich ,faktisch 4 determiniert 44 sei. Diese Entwicklung spiegele sich auch in den Gutachten-Fällen wider, die Picker mit Hilfe seiner Lehre lösen w i l l . 2 0 1 Das Gutachten als die schadensstiftende Teilleistung in der Gesamttransaktion sei zwar rechtlich an den Besteller, es sei jedoch nach der realen Finalität des Projekts personal wie sachlich an den Käufer gerichtet. 2 0 2 Es gelte ihm als dem Destinatär von Hauptgegenstand und Endzweck der Kooperation der Teilleistungsträger. Und darüber hinaus sei das Gutachten bei entsprechender Gestaltung dieser Zusammenarbeit in gleicher Weise auch an Personen gerichtet, die als Kredit- oder Sicherungsgeber hinter dem Käufer als Schuldner stünden. Auch ihnen als den Mit- und Zwischennutzern dieser Aufklärungs194 Ders., FS Medicus, S. 429. 1 95 Ders., FS Medicus, S. 429. Ein „organisatorische(r) Überbau der Gesamttransaktion", getragen „durch einen Gesamtzweck als übergeordneten Koordinator", mache die Aufnahme partikularer Kontakte und damit die Begründung einer Vertragsbeziehung entbehrlich. 196 Ders., FS Medicus, S. 432. 197 Ders., FS Medicus, S. 429 f. 198 Ders., FS Medicus, S. 430. ι " Ders., FS Medicus, S. 430. Mit „organisationsbedingter Zwanghaftigkeit" führten diese Teilakte damit entweder beim Endempfänger der Gesamttransaktion oder bei einem Zwischenempfänger der Teilbeiträge zu zumeist vermögensmäßigen Schäden. 200
Ders., FS Medicus, S. 430. Wie im Rahmen eines Vertragsverhältnisses sei der Verwender der Empfänger der Leistung. Ebenso wie ein Vertragspartner sei er je nach Qualität der Leistung deren Profiteur oder Opfer. 201 Ders., FS Medicus, S. 440 f. 202 Ders., FS Medicus, S. 441.
Β. Alternative Lösungswege
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und Beratungsleistung solle es zur Prüfung und Durchführung ihres eigenen Teilbetrags dienen. Das Gutachten sei nach seiner Funktion im Verbund jeweils an die Akteure gerichtet, deren Beitrag darin bestehe, die Entscheidung über das Kaufobjekt zu treffen und deshalb das Kaufobjekt zu bezahlen oder zu finanzieren oder aber die Kapitalaufbringung durch die Gestellung von Sicherheiten möglich zu machen. Es liefere bestimmungsgemäß gerade diesen Beteiligten eine wichtige Basis, um über ihre eigene Mitwirkung in dem Verbund zu entscheiden. Der Gutachter adressiere sich selbst nach der Funktion seines Beitrags primär an diese Personen. Ihnen erbringe er bewusst und gewollt, der Organisation des Gesamtgeschehens entsprechend, seine abgesprochene Leistung. Dass dieser faktischen Leistungsbeziehung keine rechtliche Bindung entsprach, müsse für die Frage der Einstandspflicht bedeutungslos bleiben. Ein Vertrag sei bereits aus organisatorischen Gründen entbehrlich, weil der Gutachter seinen Auftrag und mit ihm sein Entgelt bereits von einem anderen der beteiligten Leistungsträger erhalte. Durch die bestimmungsgemäße Erbringung der faktischen Leistung in einer präexistenten Beziehung sei hier von vornherein festgelegt, wessen Interesse bei der Begutachtung auf dem Spiel stand. Der Kreis der Geschädigten sei hier durch die Gesamtorganisation schon präjudiziell Die faktische Leistungsbeziehung übe dieselbe Selektionsfunktion aus wie eine vertragliche oder gesetzliche Sonderbeziehung. Sie verhindere damit die unbegrenzbare Potenzierung der Gläubigerzahl und sie erlaube die Anerkennung der Haftung für die primären Vermögensschäden der Opfer, ohne die Handlungsfreiheit in Frage zu stellen. 203 Generell könne eine Haftung für primäre Vermögensschäden wie bei vertraglicher oder gesetzlicher Sonderbeziehung immer dort bejaht werden, wo eine zwar faktische, gleichwohl durch einen Organisationsüberbau finanzierte Leistungsbeziehung vorliege. 204 Denn die bewusste und gewollte Adressierung einer Leistung an einen schon vorweg bestimmbaren Destinatär begründe eine Individualität und Vereinzelung der Beziehung, die die Haftung für die fehlerhaft eingerichtete Leistung erlaube, weil sie die Unbegrenztheit der Gläubigerzahl, die bei genereller Beachtung primärer Vermögensschäden eintreten würde, von vornherein verhindere. 205
2. Die Bedeutung des maßgebenden Haftungskriteriums dieser Lehre und die Verfehltheit ihrer Kritik a) Der Ausgangspunkt dieser Lehre, jegliche Schadensersatzansprüche, wie etwa die §§ 823 ff. BGB und eben auch der hier zu suchende Haftungsanspruch, 203
Ders., FS Medicus, S. 441; u. S. 447: Es drohe dabei keine Vervielfältigung oder Steigerung des Haftungsrisikos, vielmehr werde es nur von dem einen Beteiligten in dem Verbund auf andere Mitakteure verlagert. 204 Ders., FS Medicus, S. 442. 205 Ders., FS Medicus, S. 443. 11 Plötner
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
stünden i m Spannungsfeld zwischen Handlungsfreiheit einerseits und Güter- und Integritätsschutz andererseits, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Vorrangige Aufgabe des Gesetzgebers wie auch des Rechtsanwenders muss es stets sein, zwischen diesen beiden konträren Seiten einen gerechten und praktikablen Ausgleich zu finden. Dies wird auch von den Kritikern dieser Lehre nicht geleugnet. Canaris etwa sieht die Haftungsregeln der §§ 823 ff. B G B i m Spannungsfeld der „freien Entfaltung der Persönlichkeit" und einem „umfassenden Deliktsschutz" des „Vermögen(s) als solche(m)", als die beiden entgegenstehenden Extreme und auszugleichenden Positionen. 2 0 6 Dabei habe „die Entscheidung des BGB gegen einen allgemeinen deliktsrechtlichen Vermögensschutz in hohem Maße freiheitswahrenden Charakter", da die „Offenhaltung von Freiheitsräumen und die Bewahrung der Handlungsfreiheit vor übermäßiger Beeinträchtigung durch Schadensersatzrisiken" „eine elementare Aufgabe der Rechtsordnung" darstelle. 2 0 7 b) Gleichwohl stößt gerade das von Picker benannte allgemeine und überpositive Gebot des „neminem laedere" auf K r i t i k . 2 0 8 Ein allgemeines haftungsbegründendes Prinzip, wie es der Rechtssatz des „neminem laedere" verkörpere, sei unserer Rechtsordnung in dieser Form nicht zu entnehmen. 2 0 9 M i t der positiven Regelung sei ein solcher Elementarsatz gerade ausgeschlossen. 210 Die Schadenshaftung be206 Larenz I Canaris, Schuldrecht I I / 2, § 75 I 3 b, S. 356 f. 207 Larenz/Canaris, Schuldrecht I I / 2 , S. 356 f. Ebenso Adolff, Haftung deutscher Anwälte, S. 116: Die Differenzierung zwischen Rechtsgüterschutz und Vermögensschutz sei eine „grundlegende Wertungsentscheidung" im Widerstreit zwischen der Wirtschafts- und Handlungsfreiheit des Schädigers und dem Bestands- und Integritätsinteresse des Geschädigten, welcher jedes System allgemeiner Haftungsnormen beherrsche. 208 Zur Geschichte des Grundsatzes „neminem laedere" und zugleich kritisch zu Pickers Ansatz vgl. Schiemann, JuS 1989, 345, 346 ff. Auch Schiemann anerkennt die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung des Schädigungsverbots für das heutige Haftungsrecht, wobei er die Entwicklung in drei Stufen unterteilt (JuS 1989, 350): „das antike dolus-Verbot, das vernunftrechtliche Schädigungsverbot als Ausgangspunkt des gesamten Rechtssystems und das teilweise zur Antike zurückgehende, freilich vom Verschuldensprinzip beherrschte Denken der Pandektenwissenschaft und der Verfasser des BGB." Zu Recht sieht Schiemann den „Vermögensschutz durch Vertrag oder vertragsähnliche Sonderverbindung" als „Entwicklungsstrang" bei der „Verwirklichung des Schädigungsverbots". Schiemanns Folgerung jedoch, das im Grundsatz „neminem laede" zum Ausdruck kommende Prinzip eines möglichst weitgehenden Schutzes des Opfers auch bei fahrlässiger Schädigung sei „gesetzesgeschichtlich eindeutig mit der Generalklausel verbunden" und damit gehöre das BGB „nicht zu diesem Entwicklungsstrang" (so JuS 1989, 350), ist schon dadurch zu widerlegen, dass die Verfasser des BGB erst im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Abkehr von der großen Generalklausel vollzogen hatten (vgl. dazu sogleich im Text u. 3 b). 209 Stoll, Fortbildung, S. 43 f. Fn. 75; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 183 Fn. 35: „scheint im positiven Recht derzeit keine rechte Stütze zu haben"; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 296; Larenz/Canaris, Schuldrecht I I / 2 , S. 357: „man könne das geltende Deliktsrecht nicht als Einschränkung einer eigentlich bestehenden, aus dem Prinzip des neminem laedere folgenden Ersatzpflicht für allgemeine Vermögensschäden verstehen, sondern als originäre Lösung eines Konflikts". Gegen Picker auch Möschel, AcP 186, 187, 225; Emmerich, Leistungsstörungsrecht, § 5 12 a; Erman/Ehmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 675 Rn. 138. 210 Stoll, Fortbildung, S. 43 f. Fn. 75. Gegen diese Kritik bereits Picker, JZ 1987, 1049.
Β. Alternative Lösungswege
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stehe nur so, wie sie konkret von den Gesetzes Verfassern des BGB ausgestaltet worden sei. 211 „Es fehlen Normen, die ein ausnahmsweises Verbot der Haftung für Vermögensschäden anordnen." „Der Gesetzgeber (hätte) den Bereich beschreiben müssen, in welchem die eigentlich bestehende Ersatzpflicht ausscheiden soll." 2 1 2 Wie, so wird gefragt, könne „ein Rechtssatz »ideales Grundpostulat jeder rechtlich verfallen Gemeinschaft', »unmittelbares Postulat der Vernunft 4 sein und seine Verwirklichung ,sozusagen schiere Gerechtigkeit4 darstellen, wenn seine Verwirklichung ,die Rechtsordnung letztlich funktionsunfähig 4 machen und jeden unbefangenen freien Verkehr 4 unterbinden würde? 44213 Diese Aussagen beinhalten jedoch weniger fundierte Kritik, sondern dokumentieren eher das Unverständnis, mit welchem diese Lehre und der in den §§ 823 ff. BGB ausgeformte Integritätsschutz betrachtet wird. Es ist gerade das Wesen wie Sinn und Zweck des „neminem laedere", dass es als allgemeines Prinzip niemals im Gesetz festgeschrieben vorzufinden ist. Schon seine Suche offenbart das Fehl Verständnis. Es ist ein seiner Natur nach ungeschriebenes, stets vorrechtliches Prinzip. Rechtliche Relevanz erhält es immer nur in der Kollision mit der Handlungsfreiheit anderer Personen. In gesetzlicher Form aufzufinden ist es daher niemals uneingeschränkt und umfassend, sondern es tritt in der rechtlichen Wirklichkeit immer nur als Ergebnis einer Abwägung hervor. Mit dem Gebot des „neminem laedere44 ist nur die eine Seite des von jeder Haftungsordnung zu lösenden Interessenkonflikts zwischen allgemeiner Handlungsfreiheit und umfassendem Integritätsschutz beschrieben. Es erfasst alle geldwerten Interessen des Geschädigten, die den Interessen des Schadensverursachers, umfassend beschrieben als „Wertidee der Betätigungsfreiheit 44,214 gegenüberstehen und miteinander in Einklang zu bringen sind. Sämtliche Schadensfolgen sind damit zunächst gleichwertig, so dass es nicht höherwertige Interessen und weniger ausgleichswürdige Schäden gibt. Die Leugnung dieses Prinzips lässt sich nur von einem weder zeitnoch sachgerechten Standpunkt eines extremen Gesetzespositivismus begründen. Ebensogut könnte man zum Vergleich für die Regelungen des gutgläubigen Erwerbs beweglicher Sachen in §§ 932 ff. BGB, die den Konflikt zwischen den Erwerberinteressen und dem Beharrungsinteresse des Eigentümers lösen, behaupten, das Eigentümerinteresse existiere nicht mangels konkreter gesetzlicher Nennung. Gerade die Regelung des gutgläubigen Erwerbs beweglicher Sachen veranschau-
2Π Schwitanski, Deliktsrecht, S. 295. 212 So Wiegandy Sachwalterhaftung, S. 185 Fn. 35, und weiter: „Wäre das Prinzip so, wie Picker meint, so harmoniert damit nicht, daß der Gesetzgeber bruchstückartig (durch §§ 823 I, 823 I I und das vertragliche Schadensersatzrecht) den Bereich beschrieben hat, in dem gehaftet werden soll." 213 So Schwitanski, Berufshaftung, S. 295; Stoll, Fortbildung, S. 43 f. Fn. 75: Es würde die Dinge auf den Kopf stellen, „wenn der Vertrag oder eine sonstige Sonderverbindung nicht als Rechtsgrund einer spezialisierten Haftung, sondern gewissermaßen als Katalysator für die Entwicklung einer deliktsrechtlichen Vollhaftung 'in diesem speziellen Bereich' angesehen werden, während die Deliktshaftung in ihrem ureigenen Bereich, nämlich auf der 'Rechtsebene der Zufallskontakte', sich nicht voll entfalten könne". 214 So Picker, JZ 1987, 1049. 11*
2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
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licht dabei recht gut die Trennung zwischen der konkreten Umsetzung des Problems durch den Gesetzgeber in regelnde Vorschriften, wiedergegeben in den §§ 932 ff. BGB, und dem dahinterstehenden vorrechtlichen Konflikt, der darin seine abschließende Bewältigung gefunden hat. Uber Existenz und Bedeutung von Beharrungsinteresse auf Eigentümerseite und Erwerbsinteresse auf Erwerberseite als die tangierten Abwägungsinteressen besteht Einigkeit, obwohl sie beide nicht uneingeschränkt vom Gesetz geschützt werden, sondern sich gegenseitig einschränken. Das Gesetz begründet die widerstreitenden Interessen in den §§ 932 ff. BGB nicht erst, sondern es nimmt sie als vorrechtliche Ideale auf und gibt Vorgaben für deren Abwägung im Einzelfall. 215 In gleicher Weise sind aber auch die komplexeren Regelungen der §§ 823 ff. BGB, wie auch das Haftungsrecht insgesamt zu verstehen. Allgemeine Handlungsfreiheit und umfassender Integritätsschutz sind vorrechtliche Ideale, die niemals absolut Geltung finden können, sondern erst in der gegenseitigen Relativierung Bedeutung und nötige Ausgewogenheit finden. Auch die übrige geäußerte Kritik beruht eher auf einem Fehlverständnis dieser Lehre. 216 Unberechtigt ist etwa der Vorwurf, es sei eine „Schwäche" dieser Lehre, dass immer wieder wie selbstverständlich von einem sozial-missbilligten Verhalten ausgegangen werde, obwohl doch dessen rechtliche Bewertung erst noch zu treffen sei. 217 Das Problem der Rechtswidrigkeit ist gerade nicht Gegenstand dieser Lehre. 2 1 8 Das Urteil über die Widerrechtlichkeit einer schadensstiftenden Handlung unterliegt einer eigenen Beurteilung und dessen vorherige Bejahung wird stets vorausgesetzt. Die Frage, wann grundsätzlich freies Verhalten in rechtswidrige Betätigung umschlägt, wird also nicht überspielt. 219 Dieses Problem wird ebenso wie 215 Im Prinzip also nicht anders lässt das Recht im Fall der Kollision von Eigentumsschutz und Gutglaubenserwerb ab einer bestimmten Grenze, die notwendigerweise positivistisch fixiert ist, das eine ideale Prinzip dem kollidierenden anderen weichen; so bereits Picker, JZ 1987, 1054. 216 Fehl geht auch die Kritik Schwitanskis, Picker beschränke sich „gerade nicht darauf, darzutun, daß die Haftungsbeschränkungsregeln in dem von ihm behandelten Bereich der Sonderverbindungen nicht greifen", Deliktsrecht, S. 293. Gerade auch das Kriterium der Sonderverbindung sei eine positive Begründung der Haftung, was im Widerspruch zu der Grundannahme Pickers stehe, in den fraglichen Fällen sei eine solche positive Haftungsbegründung gar nicht erforderlich, es liege nur ein ganz gewöhnliches, nicht qualifiziertes Fehlverhalten vor. Doch beruht dieser Vorwurf auf einem fehlerhaften Verständnis der von Picker aufgedeckten Arbeitsweise des Haftungsrechts. Danach dienen die deliktischen Tatbestände der Haftungsbeschränkung und zu suchen ist damit nach Umständen, die diese Funktion schon durch andere „Filter" gewährleisten, wie eben das Kriterium der Sonderverbindung; so gegen Schwitanski zu Recht Reihlen, Haftung von Anwälten und Notaren, S. 118 f. Begründet wird die Haftung immer durch das jeweilige vorwerfbare Fehlverhalten; die bestehende Sonderverbindung führt dazu, dass der Schädiger dafür auch einzustehen hat, dass also die Handlungsfreiheit hinter dem Integritätsschutz im konkreten Fall zurückzutreten hat.
217 So Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 3 b Fn. 19, S. 357; Schwitanski, Deliktsrecht, S. 294; Möschel, AcP 186, 225. 218 21
So auch Reihlen, Haftung von Anwälten und Notaren, S. 123. 9 So Picker zu seiner eigenen Rechtfertigung, JZ 1987, 1050.
Β. Alternative Lösungswege
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dies gedanklich jede große deliktische Generalklausel tun muss, indem sie Schadensersatzpflicht nur an „widerrechtliche Handlungen" knüpft, 220 als bereits gelöst vorausgesetzt. Die Lehre trifft nur die Auswahl, welche Schäden, obwohl eine als widerrechtlich qualifizierbare Handlung vorliegt, nicht ersetzt werden. Soweit Medicus vorbringt, Picker gebe „keinen Anhalt für die praktisch überaus wichtige Feststellung des Inhalts der Pflichten aus einer Sonderverbindung", ist dem entgegenzuhalten, dass diese Pflichten abstrakt immer die Wahrung fremder (Vermögens-)interessen beinhalten und die konkrete Handlungspflicht die Sonderverbindung erst begründet. 221 Die von Medicus vermisste wichtige weitere Aufdeckung und Präzisierung von Sonderverbindungen sind für den Bereich der Gutachterhaftung erfolgt, die Formulierungen daher nicht mehr „höchst unbestimmt". 222 Und entgegen den Mutmaßungen von Medicus passt diese Lehre auch und gerade für die „vertragliche Drittschutzwirkung". 223 Auf Kritik gestoßen ist auch die Deutung der Entscheidung des BGB gegen eine generelle Ersatzfähigkeit allgemeiner Vermögensschäden als „nur ein technisches Mittel der Haftungsbeschränkung". 224 Es gehe bei dem zu lösenden Konflikt „keineswegs nur um technische4 Zweckmäßigkeitsfragen, sondern durchaus um Gerechtigkeitsprobleme von hoher Dignität". 225 Doch beruht dieser Vorwurf wohl eher auf einem Missverständnis, denn auch die Beschreibung als Mittel der Haftungsbeschränkung hindert nicht, dass mit dieser Vorgehens weise zugleich das höchste Gut einer Rechtsordnung angestrebt wird, nämlich Rechtssicherheit für die dem Gesetz Unterworfenen und Bewahrung der Handlungsfreiheit vor unabsehbaren Einschränkungen, wie sie gerade durch den Ersatz von Vermögensschäden drohen. Auch dem dies umsetzenden Mittel kommt mithin „hohe Dignität" zu. Immer, wenn im Sinne der Lehre Pickers eine Sonderverbindung, sei es in Form des Vertrags, der vorvertraglichen Beziehung oder eben auch in den Gutachten-Fällen zwischen Käufer und Gutachter, besteht, ist die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Vermögens für den Schädiger evident, so wie dies für die in § 823 Abs. 1 BGB enthaltenen Rechte und Rechtsgüter stets zutrifft. 226
220 Vgl. etwa § 704 Abs. 1 E I (dazu sogleich unten im Text u. 3. b); § 1294 österr. ABGB; Art. 1382 Code civil. 221 Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, 1987, S. 24. Der weitere Einwand von Medicus, die unter Umständen weitreichende vertragliche Schutzwirkung für Dritte zeige, dass auch für Sonderverbindungen die Beteiligten keineswegs festzustehen brauchen, hat sich gerade als verfehlt, weil grenzenlos erwiesen. 222 Ders., Probleme um das Schuldverhältnis, S. 25; ebenso die Kritik bei Stahl, Dritthaftung, S. 67, der den „gewichtigsten Einwand" darin sieht, dass die Lehre noch so in ihrem Anfangsstadium sei, dass die Praxis hierauf als Lösung noch lange nicht zurückgreifen werde (ebenda, S. 68). 223 Das gerügte Fehlen einer einheitlichen oder verwendbaren Formel soll hier behoben werden. 224 So Larenz / Canaris, Schuldrecht II / 2, § 75 I 3 b, S. 357 mit Fn. 19. 225 Larenz/ Canaris, Schuldrecht I I / 2 , S. 357.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
Es ist das Verdienst dieser Lehre, die Haftungsbeschränkung als das systembildende Mittel zur Lösung des für jede Haftungsordnung bestehenden Konflikts zwischen Handlungsfreiheit und Integritätsschutz herausgestellt zu haben. 227 Zu Recht beginnt sich daher die Sichtweise von „vertraglicher" und deliktischer Haftung als ein einheitliches System der Haftungsbegrenzung gerade auch für die vorliegende Problematik mehr und mehr durchzusetzen. 228
3. Übereinstimmung der Lehre Pickers mit den
gesetzgeberischen Vorgaben a) Das Haftungsmodell Pickers kann mit der Maxime einer wirksamen Haftungsbeschränkung in einem Zug die Systematik der heute gesetzlich niedergelegten und darüber hinaus anerkannten Haftungstatbestände erklären. Erfasst und einbezogen werden können die §§ 823 ff. BGB, die positive Vertragsverletzung und die culpa in contrahendo. b) Es erklärt sich damit auch der aus heutiger Sicht spektakuläre Wandel des heutigen § 823 BGB innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens. 229 Noch der Vorentwurf von Kübels für einen Teilentwurf des Obligationenrechts „Unerlaubte Handlungen" von 1882 (§ 1 TE-OR Nr. 15) enthielt in Übereinstimmung mit sämtlichen neueren Entwürfen der damaligen Zeit einen allgemeinen Grundtatbestand deliktischer Haftung: 230 „Hat Jemand durch eine widerrechtliche Handlung oder Unterlassung aus Absicht oder aus Fahrlässigkeit einem Anderen einen Schaden zugefügt, so ist er diesem zum Schadensersatz verpflichtet."
Und auch die Fassung des 1. Entwurfs der Gesetzesverfasser von 1888 (§ 704 Abs. 1) hatte einen zwar schon differenzierteren, aber doch noch weit über den heutigen § 823 BGB hinausgehenden Inhalt: 231
226
Darin sieht Canaris gerade die „Dignität" dieser Regelung, Schuldrecht I I / 2, § 75 13 a. Picker folgend auch Reihlen, Haftung von Anwälten und Notaren, S. 118 ff. Gegen den Ansatz einer Systembildung überhaupt/. Schmidt, GS D. Schultz, S. 341, 369 f. 228 So etwa bei Stürner, VersR 1984, 297, 304; Ziegltrum, Vertrag, S. 180 f.; Schack, JZ 1986, 305. Eine eher noch unscharfe, gleichwohl in diese Richtung gehende Formulierung findet sich auch bei Lorenz, FS Larenz, S. 616 f.: Es sei ein „im Kern gesunder Gedanke, daß sich der Ersatz fahrlässig verursachter primärer Vermögensschäden nur innerhalb einer zwischen Schädiger und Geschädigtem bestehenden Sonderverbindung in kalkulierbaren und damit versicherbaren Grenzen halten läßt". 22 9 Dazu auch Picker, AcP 183,467 f. 227
230
Vgl. Jakobs/Schubert, recht, Rz. 80 f. 23 1 Vgl. Jakobs/Schubert, Bd. 2, S. CXXII f.
Beratungen, Bd. 3, S. 873; dazu ebenso Brüggemeier, DeliktsBeratungen, Bd. 3, S. 891; Mugdan, Materialien zum BGB,
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„Hat Jemand durch eine aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit begangene widerrechtliche Handlung - Thun oder Unterlassen - einem Anderen einen Schaden zugefügt, dessen Entstehung er vorausgesehen hat oder voraussehen mußte, so ist er dem Anderen zum Ersätze des durch die Handlung verursachten Schadens verpflichtet, ohne Unterschied, ob der Umfang des Schadens vorauszusehen war oder nicht."
Geregelt war damit eine große Generalklausel, die nicht nach verletzter Position unterschied und insbesondere auch das Vermögen als solches schützte. Die Vorschrift spiegelte in dieser Fassung den von der 1. Kommission weit gezogenen Aufgabenbereich des Haftungsrechts wider. So stellten die Gesetzesverfasser auf Grundlage der als Vergleich herangezogenen Gesetzgebungswerke der damaligen Zeit fest: 232 „Die neueren deutschen Entw. normiren desgleichen die Schadensersatzpflicht auf der Basis des Grundsatzes, daß Jedermann die Rechtssphäre Anderer zu achten und sich eines jeden wiederrechtlichen Eingriffes in dieselbe zu enthalten habe. Aus der Verletzung dieses allgemeinen Rechtsgebotes entspringt die Verpflichtung zum Schadensersatze."233 Von diesem gedanklichen Ausgangspunkt sollte auch in dem zu schaffenden BGB ein ausreichender Schutz gegen unerlaubte Handlungen gerade dadurch gewährt werden, dass in Abkehr vom römischen und gemeinen Recht „die Schadensersatzpflicht nicht an einzelne bestimmte, möglicherweise nicht erschöpfend gestaltete Delikte" angeknüpft wurde, „sondern allgemein als die mögliche Folge einer jeden unerlaubten Handlung" hingestellt wurde. 2 3 4 Eine Haftungsbegrenzung versuchte man dabei auf anderem Wege zu erreichen. „Um jedoch die Verpflichtung des Thäters nicht ins Ungemessene zu erweitern, macht der Entw. den Eintritt der Schadensersatzpflicht davon abhängig, daß der Beschädiger die Entstehung des Schadens vorausgesehen hat oder doch hatte voraussehen können." 235 An diese Grundhaltung knüpfte auch die 2. Kommission an. „Der Entwurf und die sämtlichen Anträge gehen davon aus, daß die Vorschriften über die Schadensersatzpflicht aus unerlaubten Handlungen zu denjenigen Vorschriften gehören, welche dazu bestimmt sind, die Rechtskreise der Einzelnen, innerhalb deren sie ihre individuelle Freiheit entfalten und ihre Interessen verfolgen dürfen, voneinander abzugrenzen." 236 In der 2. Kommission wurden jedoch grund232
Vorbild waren insbes. das preuß. ALR, das österr. ABGB, der franz. Code civil, das sächs. GB; dazu Motive bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 404: „Die moderne Gesetzgebung regelt die Schadensersatzpflicht aus Delikt vorwiegend auf einheitlicher, allgemeiner Grundlage". 233
Motive bei Mudgan, Materialien, Bd. 2, S. 404 f. Dieser Grundsatz ist nichts anderes als eine Umschreibung des Prinzips „neminem laedere". 234 So die Begründung des Entwurfs in den Motiven bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 405. 235 So später noch die Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 1074. 236 Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 1073. Dabei wurden die zu regelnden Interessen, unter denen eine Abgrenzung zu erfolgen habe, umfassend gesehen: „Der Rechtskreis des Einzelnen umfasse - so wurde hervorgehoben - zunächst seine eigentlichen Vermögensrechte, dingliche wie obligatorische, sodann aber auch seine sog. Persönlichkeitsrechte (Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit, Ehre), welche durch das an Jedermann gerichtete Verbot eines Eingriffes ebenso geschützt seien, wie die Rechte an Sachen."
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
legende Bedenken gegen die weitgehend unbestimmte Fassung des 1. Entwurfs vorgebracht, die letztlich zu einem Abrücken führten. Diese Bedenken lassen sich dokumentieren bei der Ablehnung eines Antrags, den § 704 E I noch klarer als Generalklausel dahingehend zu fassen: 237 „Wer einen Anderen widerrechtlich Schaden zufügt, sei es aus Vorsatz, sei es aus Fahrlässigkeit, ist ihm zum Ersätze verpflichtet."
Dem hielt die Kommissionsmehrheit entgegen, dass, wenn man „sich mit der Aufstellung des Prinzipes der Ersatzverpflichtung für den aus unerlaubten Handlungen zugefügten Schaden begnüge, ohne die Voraussetzungen des Eintrittes der Verpflichtung zu normiren", so verdecke man „damit nur die vorhandenen Schwierigkeiten, ohne sie zu lösen, und lade deren Lösung auf den Richter ab". 2 3 8 „Es bleibe nach dem Antrag unbestimmt, wer als Beschädigter den Anspruch erheben dürfe, ob nur der unmittelbar oder auch der mittelbar Betroffene [ . . . ] . " „Es liege aber weder in der Tendenz des Entw. noch entspreche es der im deutschen Volke herrschenden Auffassung von der Stellung des Richteramtes, die Lösung solcher Aufgaben, die durch das Gesetz erfolgen müsse auf die Gerichte abzuwälzen. Es ließe sich auch nicht absehen, zu welchen Konsequenzen die Einräumung einer autoritativen Stellung an den Richter führen und ob nicht die deutsche Rechtsprechung zu ähnlichen Auswüchsen gelangen werde, welche zahlreiche Urtheile der französischen Gerichte aufwiesen. Diesen Bedenken gegenüber verdiene es den Vorzug, den Richter zu seiner Entscheidung schon im Gesetze einen gewissen objektiven Maßstab an die Hand zu geben." 239 Ziel der Abkehr von der Fassung des § 704 E I und von einer großen Generalklausel, das machen diese Ausführungen deutlich, war nicht von vornherein, den Vermögensschutz als solchen zu beschneiden. Davon war keine Rede. Geschaffen werden sollte vielmehr bereits durch klare gesetzliche Vorgaben eine möglichst hohe Rechtsklarheit und -Sicherheit. Angestrebt wurde insbesondere eine Beschränkung der Ersatzpflicht bei den nur mittelbar Beschädigten und damit eine schon durch den Gesetzgeber vorgenommene Gläubigerbestimmung und -begrenzung. 240 237
So Antrag 6a, wiedergegeben bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 1073. Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 1075, und dort weiter zur Kritik an der tatbestandlichen Offenheit: „Dem Entw. und allen Anträgen sei gemeinsam, daß sie die Beantwortung der Frage, ob eine Schadensersatzpflicht vorliege, der Ermittlung durch Wissenschaft und Praxis frei gäben. [ . . . ] Die Fassung des § 704 Abs. 1 des Entw. werde wegen ihrer Unbestimmtheit zu Streit und Zweifeln Anlaß geben." 23 9 Protokolle bei Mugkan, Materialien, Bd. 2, S. 1075. Auch § 704 Abs. 1 E I unterlag diesen Bedenken, denn er führe zu „unangemessenen Ergebnissen". „Es gehe zu weit, jedem Beschädigten ein Recht auf Entschädigung zu gewähren, ohne daß es darauf ankomme, ob das verletzte Gesetz zum Schutze der geschädigten Interessen bestimmt sei. Andererseits verkümmere der Entw. das Recht des unmittelbar Betroffenen, in dem er seinen Anspruch davon abhängig mache, daß der Urheber des Schadens dessen Entstehung habe voraussehen können." So Protokolle bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 1076. 238
240 Man hatte sogar erwogen, den Unterschied zwischen unmittelbaren und mittelbaren Beschädigten ins Gesetz aufzunehmen (vgl. Antrag 7 bei Mugdan, Materialien, Bd. 2,
Β. Alternative Lösungswege
169
Dies wurde erreicht durch die Herausbildung von absoluten Rechten und Schutzgesetzen. Die Ausgrenzung des Vermögens als solchen war lediglich Folge dieser Vorgehensweise. Sie war nicht intendiert, sondern bloßer Reflex. Sie beruht insbesondere nicht auf einer Geringschätzung des Vermögensschadens oder einer Wesensverschiedenheit als Schadensart, sondern war in der Tat nur gesetzgeberisches Mittel, um auf diese Weise die angestrebte Rechtsklarheit und -Sicherheit - und das heißt immer auch Haftungsbegrenzung - herbeizuführen. Und dies gilt es auch für die Kritiker dieser Lehre anzuerkennen, wenn sie heute „die Bedeutung der Absage des Gesetzgebers an die ,große4 Generalklausel" in der Nicht-Erfassung des Vermögens als solchen sehen.241 Mit Recht wird daher gerade im Zusammenhang mit der vorliegende Problematik angeführt, dass die Enge des deliktsrechtlichen Schutzes des Vermögens im deutschen Recht auch eine haftungsbegrenzende Funktion habe. 242 c) Dieses Haftungsmodell gewährt darüber hinaus einen klaren Anknüpfungspunkt für den hier gesuchten Haftungstatbestand. Aufzufinden und darzustellen ist eine „Sonderverbindung", vergleichbar mit einem Vertrag, in der die Ersatzpflicht für primäre Vermögensschäden gerade nicht zu den von den Gesetzesverfassern befürchteten Unsicherheiten bei der Bestimmung der Gläubiger führt.
4. Die Konkretisierung und Präzisierung einer Sonderverbindung Nicht zu folgen ist Picker hingegen in der Bewertung und Analyse der Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte sowie der Konkretisierung und Präzisierung einer Sonderverbindung in diesen Fällen. Die Hervorhebung eines „organisatorischen Überbaus der Gesamttransaktion" als „Leistungsverbund" nach dem Willen und Gesamtplan aller Akteure, zu dem die fehlerhafte Leistung lediglich einen „Teilakt" darstelle, 243 lässt gedanklich an die Stelle eines Vertrags ein übergeordnetes „Vertragsnetz" treten, 244 dessen Anforderungen an Zusammenhalt und Enge unS. 1073), da sich der Begriff des mittelbaren Schadens, so der Antragsteller zur Begründung, in Praxis und Wissenschaft herausgebildet habe (S. 1077). Dies wurde jedoch abgelehnt (S. 1077), da diese Unterscheidung Zweifel hervorrufen müsse (S. 1076) und zu praktisch großen Schwierigkeiten führe (S. 1077). Anders noch die Vorstellung zu § 704 E I: „Die widerrechtliche Handlung, sofern sie aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit ausgeführt ist, soll jedem wenn auch nur mittelbar Beschädigten das Recht geben, Schadensersatz vom Beschädiger zu fordern." Protokolle, ebenda, S. 1074. Zum Ausschluss der mittelbar Geschädigten auch Picker, AcP 183,477; Larenz / Canaris, Schuldrecht II / 2, § 75 I 3 c. 241 So etwa Larenz / Canaris, Schuldrecht II / 2, § 75 I 3 b (S. 356). 242 Etwa Ebke, JZ 1998, 991, 995. Ebenso Honsell, FS Medicus, S. 213: „Der Umstand, daß gegen fahrlässige Schädigungen nur das Eigentum und vergleichbare absolute Rechte geschützt sind, nicht aber das Vermögen, ist kein Zufall, sondern eine vom Gesetzgeber gewollte Haftungsbeschränkung"; dies sei eine „wohlüberlegte Barriere gegen die heute freilich modische Tendenz einer ständigen Ausweitung des Haftungsrechts". 243 picker, FS Medicus, S. 429 f. 244 So Picker selbst, FS Medicus, S. 439 Fn. 88.
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2. Kap.: Alternative Lösungsversuche aus dem Schrifttum
bestimmt bleiben. Dass der fehlerhafte Teilakt, etwa eine falsche Auskunft, erst in der Gesamttransaktion seinen schadensstiftenden Niederschlag findet, ist kein Spezifikum gerade der Gutachten-Fälle. Auskünfte bedürfen vielmehr stets erst der Umsetzung durch eine weitere Disposition, sie sind für sich allein niemals schädlich. Es kommt so immer zu einer Aneinanderkettung von Verträgen. Die Betonung von „neuartigen Phänomenen der Leistungsverknüpfung" 245 oder „neuartigen geschäftlichen Organisationsformen" 246 beschreibt für sich zunächst nur das Phänomen der Schadensverlagerung weg von dem Auftraggeber hin zu dem tatsächlich Geschädigten. Die „organisatorisch bedingte Zwanghaftigkeit", 247 mit der diese Teilakte zu vermögensmäßigen Schädigungen führen, umschreibt nur die zugrundeliegende Kausalität. Damit ist nicht auch schon der Grund benannt, warum der Schädiger ebenso wie dem Auftraggeber der fehlerhaften und schadensverursachenden Leistung gleichzeitig auch dem „faktischen Destinatär" zu Schadensersatz verpflichtet ist. Denn es geht hier nicht nur um eine Anspruchsverlagerung. Das Gutachten ist auch in der Finalität des Projekts personal wie sachlich nicht nur an den Käufer, sondern ebenso zugleich an den Auftraggeber und Verkäufer gerichtet. 2 4 8 Der Auftraggeber reicht die Leistung nicht einfach nur als Glied in einer Kette weiter, denn auch er verlässt sich auf das Gutachten. Auch ihm gegenüber ist und bleibt der Gutachter schadensersatzpflichtig, falls dieser durch die fehlerhafte Leistung Schaden leidet. Auch er ist Destinatär der Leistung, die je nach Art des Fehlers und letztlich zufällig entweder ihn oder den faktischen Destinatär in ihrer schädigenden Wirkung trifft. Für die gesuchte Haftung bedarf es der Begründung, warum der Dritte - als Teilnehmer an dem Leistungsverbund - mit dem eigentlichen Auftraggeber gleichgestellt und auch für ihn eine „zweite" Sonderverbindung zum sog. Leistungsträger hergestellt wird. Es gilt dabei zunächst zu klären, warum der Dritte eine für ihn fremde Leistung bei der Gestaltung seiner eigenen organisatorischen Dispositionen einplanen darf, warum in den Gutachten-Fällen der Käufer auf eigene oder anderweitige fremde Recherchen über den Kaufgegenstand verzichten durfte und warum der Gutachter - übertragen gesprochen - zugleich „der Diener zweier Herren" sein soll und kann. Die Überhöhung der Vertragskette als Leistungsverbund allein kann diesen Grund nicht liefern. Denn auch als Teilakt eines Leistungsverbundes bleibt das ursächliche Verhalten eine fehlerhafte Einzelleistung zunächst und primär gegenüber dem Auftraggeber. 249 Die Aufgabe der Konkretisierung und Präzisierung einer Sonderverbindung stellt sich damit nach wie vor.
245 Ders., FS Medicus, S. 429. 246 Ders., FS Medicus, S. 431. 247 Ders., FS Medicus, S. 430. 248 in diese Richtung geht auch die Kritik von Stahl, Dritthaftung, S. 67. 249 Das Festmachen eines Einzelvertrags an einem übergeordneten Vertragsverbund begründet für sich allein nicht die Einstandspflicht des Leistenden und den Schutz des Vermögens; andernfalls müsste bereits jeder Arbeitnehmer den Geschäftspartnern seines Arbeitgebers haften, denn auch der Arbeitsvertrag fließt ein in eine wie auch immer zu bestimmende Gesamtorganisation.
Β. Alternative Lösungswege
171
Vor diesem Hintergrund ist es auch zweifelhaft, ob es sich bei den von Picker angesprochenen Gutachten-Fällen allesamt um „neuartige Phänomene der Leistungsverknüpfung" handelt, was dann den Schluss rechtfertigen soll, dass diese „moderne Entwicklung der Organisation von Leistungsverbünden" eine „Modernisierung des Rechts" verlange. 250 Denn auch in den Gutachten-Fällen handelt es sich um die Haftung für fehlerhafte Auskünfte, deren Problematik bereits dem Gesetzgeber des BGB bekannt und geläufig war, wie sich unschwer an § 676 BGB a.F. (heute § 675 Abs. 2 BGB) ersehen lässt. Und ebenso zweifelhaft bleibt, ob in den Gutachten-Fällen eine „wachsende Funktionslosigkeit des Vertrags" auszumachen ist. Denn ein Vertrag mit dem faktischen Destinatär der Leistung hätte die Problematik des Falles keineswegs gelöst oder auch nur entschärft. Das Problem hätte sich vielmehr umgekehrt in gleicher Weise gestellt. Wäre nun das Wertgutachten im Auftrag des Käufers zu niedrig und damit für den Verkäufer ungünstig ausgefallen, so wäre dieser nun geschädigt und stünde in einer faktischen Leistungsbeziehung zum Gutachter. Hat sich damit also insgesamt die Haftungslehre Pickers in ihren Grundlegungen und Maximen einer effizienten Haftungsbeschränkung als vorzugswürdig erwiesen, so drängen die hier angeführten Bedenken gegen die Analyse der GutachtenFälle doch eine weitergehende Untersuchung der Gutachter- und Expertenhaftung auf, um in diesen Fällen auf der Grundlage dieser Haftungslehre eine überzeugende Ablösung der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte durch eine konkret zu beschreibende Sonderverbindung leisten zu können.
250 Picker, FS Medicus, S. 432.
3. Kapitel
Dritthaftung für primäre Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung A. Die grundsätzliche Verfehltheit des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als gedanklicher Ausgangspunkt einer Lösung I. Die „Rosinentheorie44 der Rechtsprechung An der hier und anderswo geäußerten Kritik an der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte wie auch an den zur Lösung der Fälle alternativ vorgeschlagenen Konzepten wurde die Inhomogenität der gesamten Rechtsfigur und des erfassten Fallmaterials deutlich. Die Rechtsfigur verbindet in Wahrheit völlig unterschiedliche Fragenkomplexe und verengt zu Unrecht die Sichtweise auf das Kriterium des vertraglichen Kontakts und der ihm zugrundeliegenden Vereinbarungen als kleinsten gemeinsamen Nenner. Grund für diese verfehlte Sichtweise ist das überkommene Verständnis der „Dichotomie zwischen vertraglicher und deliktischer Schadenshaftung". 1 Immer dann, wenn die deliktische Haftungsordnung der §§ 823 ff. BGB als zu eng, zu restriktiv und im Ergebnis als ungerecht empfunden wird, werden die Vergünstigungen einer vertraglichen Haftung im Wege der Konstruktion eines vertragsähnlichen Verhältnisses auch zum geschädigten Dritten hergeleitet.2 Vorgegangen wird damit vorgeblich stets nach dem „Alles-oder-Nichts-Prinzip". Wird ein Element des den Inhaber begünstigenden vertraglichen Schadensersatzanspruchs benötigt, so wird die zu schützende Person immer sogleich ganz in fremde Verträge einbezogen und damit die gesamte vertragliche Haftungsordnung für einschlägig erklärt. Die Figur des Vertrags zugunsten Dritter, hier beschränkt auf bloße Schutzwirkung, hat auf diese Weise eine Bedeutung erlangt, die ihr von Haus aus nicht zukommt und die Forderung des Rechtsempfindens wird so eben nur „in scheinbarer Gesetzestreue" erfüllt. 3 Denn der Vertrag ist doch dabei immer nur dienliches Vehikel der Herlei1
Vgl. zu diesem Begriff bereits o. in der Einleitung. Vgl. dazu auch schon Gernhuber, FS Nikisch 1958, S. 250: „Die Grenzen zwischen den beiden Haftungsbereichen haben so, wie das BGB sie zieht, das Rechtsempfinden nicht überzeugen können". 2
Α. Die grundsätzliche Verfehltheit des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
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tung. Würde man nämlich Ernst machen mit dem beschrittenen Weg, so führte dies zu unakzeptablen und unerwünschten Ergebnissen.4 Die mittels der Schutzwirkungskonstruktion begründete vertragliche Beziehung wird denn auch keineswegs in ihrer Konsequenz letztlich so praktiziert, wie eine Abwandlung des DachbodenFalles zeigt.5 Verletzt der Gutachter bei einer gemeinsamen Begutachtung und Besichtigung des Verkäuferhauses aus Unachtsamkeit den Käufer selbst oder dessen Eigentum, so wäre hier die Herleitung eines vertraglichen Schadensersatzanspruchs aus dem Gutachtervertrag nicht nur abwegig, sondern auch entbehrlich, ergibt sich seine Haftung doch bereits aus § 823 Abs. 1 BGB. Dem das Gutachten in Auftrag gebenden Verkäufer würde er hingegen nach überkommenem Verständnis auch aus vertraglicher Anspruchsgrundlage in Form der positiven Vertragsverletzung haften. Es geht in den Gutachten-Fällen in Wahrheit trotz umfassender vertraglicher Grundlage allein und ausschließlich um den Ersatz eines primären Vermögensschadens. Dies ist zugleich auch der Grund, warum hier vertragliche mit deliktischen Lösungsansätzen6 in Wettstreit treten können. Und um ein weiteres Beispiel anzuführen, wird auch der Arbeitnehmer, demgegenüber sein Arbeitgeber in besonderer Weise fürsorgepflichtig sein soll, nicht vor primären Vermögensschäden geschützt, wenn eine fehlerhafte Warenlieferung eines Vertragspartners des Arbeitgebers, vor der er - wie gesehen7 - ebenfalls vertraglichen Schutz genießen soll, nun nicht ihn, sondern seinen Arbeitgeber verletzt und dieser daraufhin den Geschäftsbetrieb einstellen muss, so dass der Arbeitnehmer Stellung und Verdienst verliert. 8 In diesem Fall bleibt der Ersatz primärer Vermögensschäden streng auf das Vertragsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Lieferant beschränkt. Die Einbeziehung in die fremde Vertragsbeziehung erfolgt damit in Wahrheit sehr selektiv, je nach dem gewünschten Einzelprivilegium des „vertraglichen" Haftungsregimes, und sie hat darin zugleich ihre Grenze. Es geht also gerade nicht um „alles oder nichts", tatsächlich vorgegangen wird vielmehr gleichsam nach einer unausgesprochenen „Rosinentheorie". Der Weg über die Einbeziehung in ein fremdes vertragliches Schuldverhältnis erweist sich dabei immer nur als ein Vorwand, untauglich den tieferen Grund für die angestrebte einheitliche Lösung zu liefern. 9 Inhaltlich werden auf diesem Wege mit den Mitteln des Vertragsrechts immer nur bestimmte Schwächen der außervertraglichen Haftung überwunden - es werden 3 s. dazu ausführlich ο. 1. Kap. C. III.; u. so auch die Kritik von Gernhuber, FS Nikisch, S. 251: Die Rechtsprechung lasse Dritte „selbst als Pol im Schuldverhältnis auftreten". 4 Ein anschauliches Beispiel dafür bildet der Nitrierofen-Fall, s. dazu ο. 1. Kap. C. II. 2. b) aa). 5 Ahnlich Picker, FS Medicus, S. 427. Eine andere, einschlägige Fallgestaltung bildet auch von Bar, Verkehrspflichten, S. 237. 6 Vgl. zu den alternativen Lösungsvorschlägen der Literatur o. 2. Kap. B. 7 s. ο. 1. Kap. Α. II. 1. a) dd) zum Capuzol-Fall. 8 Ein vergleichbarer Fall ist für Familienangehörige eigens geregelt in §§ 844, 845 BGB. 9 s. bereits die frühe Kritik an der Rechtsprechung, sie beruhe auf „Scheinbegründungen": Gernhuber, FS Nikisch, S. 251; Lorenz, JZ 1960, 108.
174 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
hier mit anderen Worten „Mängel des Deliktsrechts bekämpft". 10 Die eigentlich zu stellende Frage aber bleibt von der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte verdeckt. Und diese Frage gilt es hier in den Vordergrund zu stellen. Es ist dies die Frage nach Sinn und Zweck der jeweils unterschiedlichen Regelungen von „vertraglicher" und deliktischer Haftung. 11
II. Abkehr vom Grundsatz der Dichotomie vertraglicher und deliktischer Schadensersatzhaftung 1. Das Überwinden des verfehlten „vertraglichen" Ansatzes Ist damit der „Kardinalfehler" der Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte aufgedeckt, so liegt zugleich der Ausgangspunkt für einen Neuansatz auf der Hand. Aufzugeben ist hierzu mit Picker die Ursache dieser verfehlten Vorgehensweise, nämlich „die übliche fundamentale, weil auf unterschiedliche Geltungsgründe gestützte Dichotomie von vertraglicher und deliktischer Schadenshaftung". 12 Beide Schadensersatzansprüche stehen sich nicht als völlig konträre, unverbundene Ansprüche gegenüber. Vielmehr findet sich für jegliche Schadensersatzansprüche auf das Integritätsinteresse nur ein einheitlicher Geltungsgrund. Es handelt sich um zwei auf demselben Rechtsgrund beruhende Erscheinungsformen ein und desselben Anspruchs. Eine Differenzierung nach dem Rechtsgrund eines Anspruchs ist nur zwischen autonom rechtsgeschäftlich begründeten Leistungspflichten und stets heteronom begründeter Schadensersatzhaftung angebracht. Die überkommene Unterteilung ist auszuwechseln gegen die „tatsächlich fundamentale Differenzierung zwischen autonom-rechtsgeschäftlich begründeter Leistungsverpflichtung und willensunabhängiger Wiedergutmachungspflicht kraft Gesetzesbefehls". 13 Die kraft autonomer Selbstbindung begründete Haftung erschöpft sich in der Verpflichtung zu der versprochenen Leistung. Sie erfasst nicht auch eine eventuelle Haftung auf Schadensersatz. Die Verpflichtung zum Schadensersatz ist „auch im Bereich einer Sonderverbindung immer eine willensunabhängige, kraft Rechtsbefehl und also durch Fremdbindung begründete Haftung". 14 10 So Medicus, Schuldrecht I, Rn. 776; ebenso Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 558. 11 Denn so treffend Soergel/Hadding, BGB, Anh. § 328 Rn. 1: „Es sind also die Defizite im Recht der unerlaubten Handlung, die für bestimmte Fälle eine Abhilfe erforderlich erscheinen lassen. Durch eine modifizierte Regelung des Rechts der unerlaubten Handlung würde deshalb die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in weiten Bereichen entbehrlich." Ähnlich Medicus, Schuldrecht I, Rn. 776; Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 558, die beide Korrekturen im Deliktsrecht fordern. 12 Picker, JZ 1987, 1055 f. u. AcP 183, 505 ff.; so auch unter anderen Vorzeichen schon Thiele, JZ 1967, 652. 13 So Picker, JZ 1987, 1055 u. AcP 183, 507.
Α. Die grundsätzliche Verfehltheit des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte
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2. Das Aufdecken unterschiedlicher eigenständiger Fragestellungen Klar zu trennen sind sodann die eigenständigen, aber bislang vermischten Fragestellungen. Denn ist die Unterscheidung zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung als technisches Mittel der Haftungsbeschränkung ausgewiesen, so ist sie zugleich als Erklärung für weitere Privilegierungen „verbraucht". Die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zerfällt dann gedanklich in ihre Einzelbestandteile, nämlich die verschiedenen Einzelprivilegien einer „vertraglichen" Haftung und deren unterschiedliche Regelung auf deliktischer Ebene. a) Es sind dann jeweils getrennt für sich der Geltungsgrund für die im vertraglichen Bereich mit § 278 BGB schärfere Gehilfenhaftung ohne Möglichkeit eines Entlastungsbeweises gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zu klären. 15 b) Jeweils für den beteffenden Schadensersatzanspruch gilt es dann auch im Kollisionsfall den Anwendungsbereich der unterschiedlichen kürzeren und längeren Verjährungfristen wie insgesamt der besonderen vertraglichen Haftungsbeschränkungen herzuleiten. 16 c) Eine eigenständige Lösung ist des Weiteren auch für die Frage der Beweislastverteilung zwischen Schädiger und Geschädigtem zu finden, wie sie der Bundesgerichtshof selbst im Hühnerpest-Fall vom 26. 11. 1968 gewählt und dabei einen Rückgriff auf die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ausdrücklich verworfen hat. 17 In dem zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die Klägerin ihre Hühner von einem Tierarzt gegen Hühnerpest impfen lassen. Einige Tage nach der Impfung verendeten die Tiere, was darauf zurückzuführen war, dass das Impfserum verunreinigt war. Die Klägerin verlangte daraufhin Schadensersatz vom Impf14 Ders., JZ 1987, 1055. 15
Soweit es um die in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechte und Rechtsgüter Dritter geht, handelt es sich ersichtlich nicht um Vertrags-, sondern um Verkehrspflichten, wie etwa der Capuzol-, Dreschmaschinen- und Gemüseblatt-Fall verdeutlichen. Deren Abstützung auf einen Vertrag ist nur eine „Verlegenheitslösung", um § 278 BGB anwenden und § 831 BGB umgehen zu können, so mit Recht Schlechtriem, Schuldrecht AT, Rn. 558. Mit der Lehre vom Organisationsverschulden findet sich demgegenüber ein eigener Lösungsansatz fernab vertraglicher Hilfskonstruktionen auch im Deliktsrecht. 16 So für die Frage des Regelungs- und Schutzzwecks der kurzen mietrechtlichen Verjährung nach § 558 BGB, BGH NJW 1997, 1983: Ein Beseitigungsanspruch des Eigentümers nach § 1004 BGB gegen einen Untermieter wurde dem § 558 BGB unterworfen, ohne dieses Ergebnis dabei auf die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu stützen. Auf ein Schutzinteresse wurde demgemäß zu Recht nicht eingegangen, vielmehr wurde allgemein festgestellt, dass die kurze Verjährung im Fall der Untervermietung auf Ansprüche des Hauptvermieters gegen den Untermieter Anwendung zu finden habe, soweit der Eigentümer die Vermietung gestattet habe. Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass es der Konstruktion eines vertraglichen Überbaus für die Anwendung „vertraglicher" Vorschriften nicht bedarf. Das Abstellen auf einen dann fingierten Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte würde im Gegenteil den Blick auf die hier entscheidungserheblichen Gesichtspunkte verdecken. 17 BGHZ 51, 91 = NJW 1969, 269 m. zust. Anm. Diederichsen = JZ 1969, 387 m. zust. Anm. Deutsch = L M § 823 BGB [J] Nr. 22 m. Anm. Weber.
176 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
stoffwerk, das dem Tierarzt das Serum geliefert hatte. Im Kern ging es um die Frage, wer die Beweislast für den Nachweis des Verschuldens der Eigentumsverletzung zu tragen hat. 18 Das Berufungsgericht noch hatte die Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation bejaht und die Herleitung eines „vertraglichen" Anspruchs zusätzlich damit begründet, hier ergebe sich aus Sinn und Zweck des Vertrages eine Fürsorgepflicht des Herstellers zugunsten des Dritten. Der Bundesgerichtshof hatte beide Wege verworfen. Die Heranziehung der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte wurde dabei noch unter dem Eindruck der „Wohl und Wehe"-Rechtsprechung mangels Fürsorgeverhältnis zwischen Arzt und Klägerin verneint. 19 Der 6. Senat bejahte den Schadensersatzanspruch vielmehr aus § 823 BGB und traf damit die „Grundsatzentscheidung" zur sog. Produzentenhaftung. 20 Zwar seien die Regeln des Vertragsrechts nicht anwendbar, es müsse aber dennoch davon ausgegangen werden, dass den Beklagten ein eigenes Verschulden zur Last falle. 21 „Wird jemand bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieerzeugnisses dadurch an einem der in § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgüter geschädigt, dass dieses Produkt fehlerhaft hergestellt war, so ist es Sache des Herstellers, die Vorgänge aufzuklären, die den Fehler verursacht haben, und dabei darzutun, dass ihn hieran kein Verschulden trifft." Der Bundesgerichtshof hat damit eine im Rahmen von § 823 BGB nach Gefahrenbereichen abgegrenzte Beweislastumkehr dem Weg der Konstruktion einer vertraglichen Verbindung vorgezogen. 22 Ausgekehit sind folglich alle voluntativen Elemente; aufgedeckt und nachvollziehbar gelöst ist damit das eigentliche Problem des Falles.23 18 In diesem Fall war es der Klägerin mangels jeglichen Einblicks in Organisation und Produktion des Werks schlechthin unmöglich, dem Impfstoffwerk ein Verschulden nachzuweisen. Zugleich ging es dabei auch um die Frage der Gehilfenhaftung, und damit um die Anwendung von § 278 BGB, denn das Berufungsgericht hatte festgestellt, es sei nicht auszuschließen, dass es zu der Verunreinigung durch Fahrlässigkeit der beim Abfüllen von der Beklagten beschäftigten Personen gekommen sei (BGHZ 51,92). 19 BGHZ 51, 96: Die Einbeziehung Dritter sei mit dem Grundsätzen von Treu und Glauben, aus denen der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte gerade entwickelt sei, nicht mehr zu vereinbaren, wenn die Gefahr bestünde, dass der Schuldner das Risiko, das er bei Abschluss des Vertrages eingeht, nicht mehr einkalkulieren könne. Nur wenn das Innenverhältnis zwischen dem Gläubiger und einem Dritten durch einen personenrechtlichen Einschlag gekennzeichet sei, führe dies zur Schutzwirkung für den Dritten. Ein solches Verhältnis liege bei einem Kauf- oder einem Werkvertrag in aller Regel nicht vor. 20 Dazu etwa Medicus, Bürgerl. Recht, Rn. 650. BGHZ 51, 102. 22 Dies ist mehr als nur der „historischer Zufall", dass für den Kaufvertrag zwischen Hersteller und (Wieder-)Verkäufer ein Drittschutz verneint und die Produzentenhaftung stattdessen begründet wurde, auch wenn die vertragliche Dritthaftung allein mit dem „heute überholten" Argument fehlendem personenrechtlichem Einschlag abgelehnt wurde, so aber Bayer, JuS 1996,478. Diese Entscheidung zeigt vielmehr den alternativen Lösungsweg und zugleich die Grenzen dieser Behelfskonstruktion. Die Pflicht des Herstellers ist Verkehrspflicht, nicht bloß Vertragspflicht gegenüber einem wie auch immer abgrenzbaren geschützten Personenkreis. Die Beschränkung nur auf Käufer des Produkts erweist sich jedenfalls in der Praxis als willkürlich und nicht durchführbar, anders aber Bayer, ebenda. Ahnlich wie hier Schlecht-
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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d) Und schließlich stellt sich dann auch die eigenständige Frage nach einer außervertraglichen Haftung für fahrlässige Verursachung primärer Vermögensschäden in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, auf die hier eingegangen werden soll. 24
B. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung für fahrlässige Verursachung primärer Vermögensschäden Mit der Beschränkung der Sichtweise auf die Einstandspflicht für nur fahrlässig verursachte Vermögensschäden ist zugleich die zur Lösung der Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu beantwortende Frage aufgedeckt. Zu klären gilt es zunächst abstrakt, warum ein genereller Schutz vor primären Vermögensschäden nur innerhalb einer Vertragsbeziehung oder einem Verhältnis der Vertragsanbahnung erfolgt, nicht dagegen auch generell im außervertraglichen Bereich. Und zu beantworten ist für die vorliegenden Fälle konkret, worin der Grund für die unserem Rechtsempfinden entsprechende - ja geforderte - haftungsrechtliche Gleichbehandlung des Dritten mit dem Vertragspartner des Schädigers liegt. Aufzufinden gilt es den Grund für die hier stets gesuchte enge Anlehnung an den Schädiger im Wege eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte oder gar eines stillschweigenden Auskunftsvertrags. Ist hierbei - wie oben ausgeführt - in der restriktiven gesetzlichen Behandlung von Vermögensschäden mit Picker bloß ein Mittel der Haftungsbeschränkung zu sehen und in der Relativität des Schuldverhältnisses ein solches der Gläubigerbestimmung,25 so verbietet sich zugleich eine Haftungserweiterung auf Dritte nach dem gesetzlichen Leitbild des Vertrags zugunsten Dritter. Denn folgt die Einriem, FS Medicus, S. 529, 530 in u. bei Fn. 6: Der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte sei in den Fällen von Körper- und Eigentumsschäden „entbehrlich" und „nur noch ein Erinnerungsposten". 23 Klar wird damit die Tendenz, die bei der Lösung dieser Fälle einzuschlagen ist. Es ist jeweils zu fragen, warum und woran der Integritätsschutz scheitert. Es gilt also die ratio der Beweislastverteilung für den Verschuldensnachweis bei § 823 Abs. 1 BGB und i.R.v. Schuldverhältnissen herauszuarbeiten. Hat man Sinn und Zweck der Regelung aufgedeckt, lässt sich auch entscheiden, ob die Beweislast im Fall ausnahmsweise eine andere sein kann. Entsprechend diesem Gedanken der Produzentenhaftung lassen sich auch der o.g. Dreschmaschinenund Capuzol-Fall lösen, so dass es auch dort einer „vertraglichen" Konstruktion nicht bedarf. Und ebenso lässt sich der Gedanke einer Haftung für bestimmte Gefahrenbereiche auch im Gemüseblatt-Fall fruchtbar machen. 24
Insgesamt stellt sich bei dieser Vorgehensweise dann die Frage, ob die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht insgesamt entbehrlich wird, ob sie sich nämlich nicht ganz und gar auflösen lässt. 25 s. dazu die Ausführungen o. 2. Kap. Β. V. 12 Plötner
178 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
standspflicht für Vermögensschäden aus der Individualität und Vereinzelung der Beziehung zwischen Geschädigtem und Schädiger, so ist eine Einbeziehung weiterer Personen konstruktiv ausgeschlossen. In der Relativität dieser Beziehung findet diese Haftung zugleich ihre Grenzen. Das Schuldverhältnis kann also nicht nur wie es die Rechtsprechung vorgibt - hinsichtlich der Haftungsfolgen auf Dritten erweitert werden. 26 Vielmehr muss gerade zu dem „Dritten" eine der vertraglichen Beziehung vergleichbare eigenständige Sonderverbindung vorliegen. Für die gesuchte Haftung geht es dann um die „Aufdeckung und Päzisierung solcher Sonderverbindungen" zu den geschädigten Personen.27 Aufzufinden und zu benennen sind die Kriterien, die es erlauben, auch Dritte, wie einen Vertragspartner, hinsichtlich ihres Vermögensschutzes zu behandeln. Für die Suche nach einer solchen, Vermögensschutzpflichten auslösenden Sonderverbindung unter Nicht-Vertragspartnern ist dabei anzuknüpfen an die gesetzliche Regelung einer Haftung für fahrlässig verursachte Vermögensschäden außerhalb bestehender vertraglicher Beziehungen, wie sie im geltenden Recht in der Haftung des Handelsmaklers gemäß § 98 HGB (dazu u. I.), der Haftung für Amtspflichtverletzungen gemäß § 839 Abs. 1 BGB und § 19 BNotO (u. II.) und historisch in der Haftung des mensor (u. III.) zum Ausdruck kommt. 28
I. Die Haftung des Handelsmaklers nach § 98 HGB Im Gegensatz zum Zivilmakler der §§ 652 ff. BGB vermittelt der Handelsmakler Verträge über Waren und Gegenstände des Handelsverkehrs, wofür § 93 Abs. 1 HGB Beispiele anführt. 29 Zu diesem eher formalen Unterschied kommt die von der gewöhnlichen Vertragshaftung entscheidend abweichende Regelung des § 98 HGB hinzu, die nach Canaris „bisher zu Unrecht dogmatisch wie praktisch ganz im Schatten (stand)" 30 und - so ist vorzugreifen - auch weiterhin steht. 26 Es beinhaltet als solches nicht den Grund für erweiterte Schutzpflichten, ebenso verleiht es einem Fehlverhalten keine besondere Unrechtsqualität, die eine Ersetzbarkeit von Vermögensschäden tragen könnte. Sein Aussagegehalt erschöpft sich haftungsrechtlich in der Erhaltung eines erträglichen Maßes an Handlungsfreiheit. Picker, AcP 183, 489 f. 28 Außer Betracht bleiben hier die §§ 844, 845 (mit § 618 Abs. 3) BGB, die zwar ebenfalls Vermögensschadensersatz für lediglich fahrlässige Schädigung außerhalb bestehender Vertragsverhältnisse gewähren, denen aber lediglich Einzelfall- und Ausnahmecharakter zukommt. Diese Bestimmungen sollten nach dem Willen der Gesetzgeber eine Ausnahme von dem Grundsatz sein, dass nur der unmittelbar Geschädigte Schadensersatz fordern könne, vgl. RGZ 78, 241, 247. Sie betreffen demgemäß Vermögens/o/geschäden Dritter, konkret der Hinterbliebenen des Getöteten. Nach dem Standpunkt des 1. Entwurfs waren sie Ausnahmevorschriften von dem in § 704 E I beinhalteten Prinzip, dass bei Begehung der unerlaubten Handlung die Schädigung der Ersatzberechtigten voraussehbar sein musste, Motive bei Mugdan, Materialien, Bd. 2, S. 429. 29
Vgl. Baumbach//fo/?f, HGB § 93 Rn. 1.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
179
1. Tatbestand und Rechtsfolge des § 98 HGB Das Gesetz regelt mit der knappen Bestimmung des § 98 HGB zugleich drei Fallvarianten der Haftung des Handelsmaklers.31 Soweit die Vorschrift damit anordnet, dass der Makler der Vertragspartei, die ihn beauftragt hat, für schuldhaft verursachte Schäden einzustehen hat, enthält sie - nach unserem heutigen Verständnis - lediglich eine Wiederholung der Regelung des zivilen Leistungsstörungsrechts und des ungeschriebenen Instituts der positiven Vertragsverletzung. 32 Und ebenso für den Fall, dass beide Vertragspartner des vom Makler zu vermittelnden Vertrages diesen beauftragt haben, ist mit der Haftung nur eine „Selbstverständlichkeit" geregelt. 33 Einzig die unbestrittenermaßen ebenfalls erfasste Variante sticht hervor, dass nämlich der Handelsmakler auch demjenigen gegenüber haftet, der ihn nicht beauftragt hat. 34 Dieser Mitkontrahent des vermittelten Vertrags ist dann nicht sein Vertragspartner, ihm gegenüber haftet der Makler folglich auch nicht aus den genannten vertraglichen Anspruchsgrundlagen. Dieser ist für den Makler „nur" Dritter. 35 Und diesem Dritten gegenüber haftet der Handelsmakler hier nun entgegen den §§ 823 ff. BGB kraft gesetzlicher Anordnung auch und insbesondere für lediglich fahrlässig verursachte Vermögensschäden. Das OLG Hamburg urteilte daher bereits im Jahr 1907 über § 98 HGB: „Der ihn beauftragenden Partei gegenüber wäre das nicht nötig gewesen auszusprechen, gerade dem Gegner gegenüber tritt die Bedeutung dieser gesetzlichen Haftung hervor, weil mit ihm kein Vertragsverhältnis begründet wird". 3 6 Es ist damit in § 98 HGB nüchtern und unspektakulär niedergelegt, was an anderer Stelle - in den Gutachter- und Expertenhaftungs-Fällen - verzweifelt gesucht und mit viel Begründungsaufwand herzuleiten versucht wird. Das Gesetz selbst ordnet für den Handelsmakler gleichsam mit Selbstverständlichkeit an, dass dieser nicht nur seinem Auftraggeber und Vertragspartner gegenüber, sondern auch für Vermögensschäden eines Dritten, dem Vertragspartner des Auftraggebers, bei Verschulden einzustehen hat. Und ein weiteres gilt es vorab festzustellen: § 98 HGB beinhaltet, anders als etwa § 179 Abs. 2 BGB für die Einstandspflicht des Vertreters ohne Vertretungsmacht gegenüber dem Verhandlungspartner, nicht nur eine 30 Canaris, FS Larenz, S. 91. 31 Vgl. hierzu auch Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 343. 32 Koller//tof/i/Morck, HGB, § 98 Rn. 1: „§ 98 HGB ist eine gesetzliche Regelung der pVV." 33 Canaris, Handelsrecht, 23. Aufl. 2000, § 21 Rn. 26. 34 So einhellige Meinung: Heymann/Herrmann, HGB, § 98 Rn. 1; Koller/ Roth/Morck, HGB, § 98 Rn. 2; Brüggemann in Großkomm., HGB, § 98 Rn. 2; Ruß in HeidelbergerKomm. (HK), HGB, § 98 Rn. 2; Schlegelberger/Schröder, HGB, § 98 Rn. 1; Canaris, Handelsrecht, § 21 Rn. 26. 35 Vgl. für eine andere Sichtweise Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 343: „Denn ihm gegenüber haftet der Makler als Dritter." 36 OLG Hamburg v. 14. 2. 1907, OLGE 14, 348, 349 (Hervorheb.v.Verf.). 12*
180 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Haftung auf Ersatz des enttäuschten Vertrauens in Bestand und Gültigkeit einer Willenserklärung, sondern eben auch zugleich eine Haftung für die ordnungsgemäße Erfüllung einer vertraglich übernommenen Aufgabe gegenüber Dritten. 37
2. Deutungsversuche der Literatur und Rechtsprechung Die Nähe zu unserem Problembereich offenbart vor allem das Bemühen des wissenschaftlichen Schrifttums und der Rechtsprechung um eine dogmatische Einordnung des § 98 HGB in unser heutiges Haftungssystem. Und so lassen sich an dieser Vorschrift dieselben dogmatischen Unsicherheiten wie auch die Vielfalt an Lösungsvorschlägen aufzeigen, die auch in den Fällen des Vermögensschadensersatzes mit Hilfe der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zu finden sind. a) Lutter 38 und K. Schmidt 39 halten § 98 HGB denn auch als speziellen, gesetzlich geregelten Fall eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. 40 Nach Röhricht handelt es sich um eine „gesetzliche Erstreckung von vertraglichen Schutzpflichten auf einen Dritten". 41 Dem folgend führt etwa das OLG Frankfurt aus, § 98 HGB beinhalte keine deliktische Haftung, sondern setze einen Vertrag mit mindestens einer der beiden Parteien voraus, zwischen denen das Rechtsgeschäft vermittelt werde. 42 „Aus diesem Vertrag leitet sich die gesetzliche Haftung des Handelsmäklers her, und zwar auch gegenüber demjenigen, der den Handelsmäkler nicht beauftragt hat. Ihm gegenüber liegt der gesetzliche Fall eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte vor." 43 37
Auf § 179 Abs. 2 BGB beruft sich Canaris zur Begründung der Vertrauenshaftung Dritter, s.o. 2. Kap. Β I I 1 a. Wenngleich hier anzumerken ist, dass der Handelsmakler nach heutigem Verständnis weder Tätigkeit noch Erfolg schuldet, K o l l e r / M o r c k , HGB, § 93 Rn. 16; Brüggemann in Großkomm., HGB, Vor § 93 Rn. 10; anders noch bzgl. des Tätigwerdens: Goldmann, HGB, 1901, § 98 Anm. 1. 38 Lutter, FS Bärmann, 1975, S. 605, 614 f. Fn. 23: Lutter möchte den Emissionsgehilfen als Handesmakler behandeln, indem er auch die Vermittlung von Kommanditbeteiligungen an Abschreibungsgesellschaften als Gegenstände des Handelsverkehrs i.S.v. § 93 HGB einstuft. Dieser sei folglich auch „mit vertraglichen Pflichten gegenüber dem Interessenten aus § 98 HGB" belastet. „Die Vorschrift geht weder von einem Vertragsschluß zwischen dem Emissionsgehilfen und dem Anleger aus, noch ist sie deliktischer Natur, sondern vertragliche Pflicht des Handelsmäklers gegenüber dem Interessenten aus seinem Vertragsverhältnis zur Gesellschaft: § 98 HGB kann daher als gesetzlicher Fall einer vertraglichen Schutzwirkung gegenüber dem betroffenen Dritten (Anleger) aus dem Vertrag Makler/KG angesehen werden." 39 K. Schmidt, Handelsrecht, § 26 I I 3c. 40 Ebenso Heymann /Herrmann, HGB, Bd. 1, § 98 Rn. 1; MünchKomm /von HoyningenHuene, HGB, § 98 Rn. 1. 41 Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, § 98 Rn. 1. 42 OLG Frankfurt a.M. W M 1979, 1393, 1396. 43 So das OLG im Anschluss an Lutter, FS Bärmann, S. 614 f. Fn. 23.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
181
b) Die ältere Literatur, noch nicht in der Vorstellung vertraglicher Schutzwirkung für Dritte verhaftet, versuchte die Haftung aus § 98 HGB überwiegend rechtsgeschäftlich zu konstruieren. Der Handelsmakler trete auch zu der Gegenpartei in ein Vertrags Verhältnis. 44 Zwar bestehe, so etwa Goldmann, ein pflichten- und haftungsbegründendes Vertragsverhältnis zunächst nur demjenigen gegenüber, der sich zuerst an den Handelsmakler gewandt habe, „demnächst aber in gleicher Weise auch dem anderen Theile gegenüber, nachdem dieser die Vermittlerthätigkeit des Handelsmaklers angenommen, sich auf dieselbe eingelassen hat". 45 Dagegen hatte bereits Heymann zu Recht vorgebracht, man könne „in dem bloßen Sichgefallenlassen der Vermittlungstätigkeit nicht den stillschweigenden Vertragsschluß ohne weiteres sehen. Es fehlt am dahingehenden Willen und seiner Erklärung durch konkludente Handlungen, man gelangt zu einer Fiktion." 46 Heymann selbst wollte die Ansprüche gegen den Handelsmakler auch ohne Vertrag „nach den Grundsätzen über die Vertragshaftung" beurteilen, denn die Haftung des Maklers sei „nicht eine deliktische".47 c) Das OLG Hamburg sprach sich in der bereits angeführten Entscheidung vom 14. 2. 1907 für eine „gesetzliche Haftung" des Handelsmaklers dem Gegner der beauftragenden Partei gegenüber aus, „weil mit ihm kein Vertragsverhältnis begründet wird, sondern nur ein vertragsähnlicher Geschäftsverkehr, welcher Vertrauen erfordert". 48 44 Düringer/Hachenburg/Hoeniger, Komm, zum HGB, 1. Bd., 2. Aufl. 1908, § 98 Anm. 1; dies., in 3. Aufl. 1930, § 98 Anm. 2: „Der Handelsmakler haftet jeder der beiden Parteien, weil er zu jeder in vertragliche Beziehungen tritt." So bereits für den amtlichen Handelsmakler des ADHGB von Hahn, Commentar zum ADHGB, 1. Bd., 3. Aufl. 1879, Vorbem. zum 7. Titel, § 5: Der Handelsmakler trete nicht nur mit demjenigen in ein Vertragsverhältnis, welcher ihm zuerst den Auftrag gibt, sondern auch mit demjenigen, „an welchen der Mäkler sich um das Geschäft zu Stande zu bringen, wendet, sobald derselbe sich mit ihm einläßt". 45 Goldmann, HGB, 1. Bd., 1901, § 98 Anm. 1 (S. 453) sowie § 93 Anm. 2 (S. 437): „Nur so erklären sich die Vorschriften der §§ 98, 99 HGB"; Düringer/Hachenburg/Hoeniger, HGB, § 98 Anm. 2: „Sein Vertragsverhältnis beginnt mit der Erteilung und Annahme des Vermittlungsauftrages, sein Vertragsverhältnis zu der Gegenpartei mit dem Augenblick, in dem diese seine Vermittlerdienste annimmt." 46 Heymann in Ehrenberg, Handelsrecht, 5. Bd. I. Abtlg. 1. Hälfte 1. Lfg., 1926, § 96, I (S. 387). Und Heymann selbst weiter (S. 388): „Man wird annehmen müssen, daß durch diese Bestimmungen das Rechtsverhältnis des Handelsmaklers zum Gegenkontrahenten demjenigen zur Erstpartei ganz gleichartig gestaltet werden sollte, gleichviel, ob ein Maklervertrag mit dem Gegenkontrahenten geschlossen ist, oder nur ein tatsächliches in Verkehrtreten stattgefunden hat. In beiden Fällen sind die Rechtswirkungen nach den für Verträge geltenden Grundsätzen zu behandeln, da man sonst in manchen Fällen den Gegenkontrahenten anders als die Erstpartei behandeln müßte, indem man insbesondere für die Haftung die Deliktsgrundsätze mangels Vertragsverhältnisses heranzuziehen hätte." 47 Ders. in Ehrenberg, Handelsrecht, 5. Bd. I. Abtlg. 1. Hälfte 1. Lfg., S. 388. 48 OLGE 14, 348, 349; ebenso auch Lehmann/Ring, HGB, 1. Bd., 1902, § 98 Nr. 1: Im Fall, dass der Handelsmakler einen Auftrag nur von einer Seite habe, „haftet er dem Auftraggeber ex contractu, dem anderen ex lege".
182 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
d) Nach von Bar steckt in § 98 HGB der Gedanke der Berufshaftung. 49 Den Handelsmakler treffe eine allgemeine Verkehrspflicht aus der Erwägung heraus, „daß aus einer exponierten Rolle im Gefüge des Wirtschafts- und Berufslebens auch unabhängig von vertragsrechtlichen Beziehungen Pflichten anderen Personen gegenüber entstehen können". 50 e) Canaris zufolge lasse sich die Haftung des Handelsmaklers weder vertragsnoch deliktsrechtlich, wohl aber vertrauensrechtlich einordnen. 51 Einer vertraglichen Interpretation stehe entgegen, dass die Vorschrift nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut zugunsten beider Teile eingreife und dies anerkanntermaßen auch dann gelte, wenn nur mit einem von ihnen ein Vertrag bestanden habe. Die Deutung als gesetzlich geregelter Fall des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte müsse scheitern, da zwischen der Vertragspartei und dem geschützten Dritten gegenläufige Interessen bestünden, „da diese sich ja als Kontrahenten (!) gegenüberstehen". 52 Einem deliktsrechtlichen Verständnis stehe nicht nur der Standort der Vorschrift, sondern vor allem auch die Tatsache entgegen, dass dem geltenden Deliktsrecht eine Einstandspflicht für fahrlässige Vermögensverletzungen grundsätzlich fremd sei. Und in Bezugnahme oder Vorwegnahme der Ansicht von Bars, stellt er fest: „Eine besondere Berufshaftung, an die man in diesem Zusammenhang denken könnte, kennt die lex lata als eigenständiges deliktsrechtliches Institut nicht." 53 § 98 HGB füge sich vielmehr bruchlos in die Vertrauenshaftung ein, „wenn man die Vorschrift in Parallele zu der Haftung von Stellvertretern, Verhandlungsgehilfen, Sachwaltern und dgl. aus culpa in contrahendo setzt". 54 Das Gesetz gehe vom Leitbild des redlichen, d. h. neutralen Makler aus, „dem auch die Zweitpartei so vertrauen darf, als hätte er mit ihr ebenfalls einen Maklervertrag abgeschlossen".55 Canaris wertet demgemäß § 98 HGB als Zeichen, „daß das Institut der Vertrauens-
49 v. Bar, ZGR 1983, 476, 507. Ähnlich Jost, Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 242 f., der in § 98 HGB einen „gesetzlich geregelten Fall der Berufshaftung" sieht, der aber „allgemeine Kategorien zur Lösung und Absicherung der Beratungshaftung" daraus nicht finden kann. 50
Berufspflichten ließen sich als Teil der sog. Verkehrspflichten ausmachen, Heimstätte solcher Pflichten sei § 823 BGB, so von Bar, ZGR 1983, 507. 51 Canaris, FS Larenz, S. 91; ders., FS Schimansky, S. 51; ders., Handelsrecht, § 21 Rn. 26. 52 So ders. unter dem Eindruck der früheren „Wohl-und-Wehe"-Formel des BGH: „Die Parallelität der Interessen [ . . . ] ist nämlich im Verhältnis zwischen den Parteien des vermittelten Geschäfs i.d.R. gerade nicht gegeben...", FS Larenz, S. 92; ders., Handelsrecht, § 21 Rn. 26. 53 Ders., FS Larenz, S. 92. 54 Nicht beirren dürfe dabei, dass nicht jeweils im einzelnen gefragt werde, ob der Handelsmakler auch gegenüber der Partei, mit der er keinen Vertrag geschlossen habe, Vertrauen für die eigene Person in Anspruch genommen hat, da das Gesetz ersichtlich vom Leitbild des gegenüber beiden Seiten in einer Vertrauens- und Neutralitätsposition befindlichen redlichen Maklers ausgehe; so ders., FS Larenz, S. 92. 55 Ders., Handelsrecht, § 21 Rn. 26.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
183
haftung und insbesondere die Ausweitung des Kreises der Verpflichteten über die Parteien des jeweiligen Vertrages hinaus keine beliebige Erfindung der Dogmatik darstellt, sondern ebenso wie die damit zwangsläufig verbundene Dreispurigkeit von Vertrags-, Delikts- und Vertrauenshaftung im System des geltenden Rechts selbst angelegt ist". 5 6 f) Wiegand versteht § 98 HGB als „gesetzliche(n) Fall einer vertragsähnlichen Sonderverbindungshaftung unter Dritten". 57 Die Vorschrift enthalte die Anordnung, dass, soweit den Handelsmakler Nebenpflichten treffen, „die typische, aus cic. und pFV im Verhältnis zum Auftraggeber bestehende Verantwortlichkeit" auch auf den Nichtauftraggeber erstreckt werde. Damit impliziere die Norm einen „Gleichstellungsgrund" von Dritthaftung mit vertraglicher Haftung. 58 g) In der handelsrechtlichen Doktrin findet sich heute ein breites Spektrum von sich ζ. T. überschneidenden Erklärungsansätzen, wobei eine Verortung als vertraglicher oder quasi-vertraglicher Anspruch klar überwiegt. So etwa soll es sich bei § 98 HGB schlicht um eine „Vertragshaftung" handeln.59 Andere sprechen von einem „vertragsähnlichen Geschäfts- und Vertrauensverhältnis", 60 oder nur von „Treueverhältnis". 61 Ebenfalls genannt wird ein „gesetzliches Schuld- bzw. Schutzverhältnis", 62 das nach der eher vagen Formulierung von Roth weit über den allgemeinen Vertrauensschutz hinausgehe und nahezu die gleichen Pflichten wie das vertragliche Treueverhältnis zum Auftraggeber beinhalte.63 Zusammenfassend lässt sich das heute herrschende Verständnis von § 98 HGB als eine gesetzliche Anordnung einer vertraglichen Haftung ohne Vertrag interpretieren.
56
Ders., FS Larenz, S. 92, und schlussfolgernd: „Man sollte daher den hierin liegenden Ansatz für eine Rechtsfortbildung kräftig nutzen." Schuldig bleibt Canaris dabei die Erläuterung, worin das Vertrauen begründet ist und wie weit es reichen soll. Geht es in den Experten-Fällen um das Vertrauen in die Richtigkeit der Expertise, so fällt eine Festlegung bei § 98 HGB unweit schwerer. 57
Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 344. Dies., Sachwalterhaftung, S. 348. Als andere „Gleichstellungsgründe" benennt Wiegand die aus der Figur der Sachwalterhaftung stammenden Kriterien Vertrauen und wirtschaftliches Eigeninteresse, so etwa ebenda, S. 288. 59 Baumbach/Hopt, HGB, § 98 Rn. 1; Schlegelberger/Schröder, HGB, § 98 Rn. 1; Ruß in HK, HGB, § 98 Rn. 1; OLG München NJW 1970, 1924, 1925. 58
60
Heymann/Herrmann, HGB, § 98 Rn. 1; ebenso schon Heymann in Ehrenberg, Handelsrecht, 5. Bd. I. Abtig., S. 387 unter Berufung auf OLG Hamburg OLGE 14, 349. 61 Lehmann, Lehrbuch d. Handelsrecht, 2. Aufl. 1912, S. 243. 62 Für ersteres Ruß in HK, HGB, § 93 Rn. 3 ; für letzteres Koller/Roth/Morck, HGB, § 93 Rn. 24 u. § 98 Rn. 1. 63 In Koller/Roth/Morck, HGB, § 93 Rn. 24. Auf Vertrauensschutz des Dritten stellt etwa auch Heymann / Herrmann, HGB, § 93 Rn. 12, sowie Brüggemann in Großkomm., HGB, § 93 Rn. 8, ab.
184 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
3. Vergleich mit der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte a) Ein Vergleich der Handelsmaklerhaftung mit der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte besticht zunächst. Es bedarf keiner allzu großen hellseherischen Fähigkeiten, um zu prophezeien, dass ein an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geschulter Jurist den hier gesetzlich geregelten Fall bei Außerachtlassung des § 98 HGB nach den Regeln des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gelöst hätte. Dafür spricht bereits die angeführte Deutung als gesetzliche Ausprägung dieser Rechtsfigur. Es lassen sich aber eben auch alle Umstände ausmachen, die sonst in den Experten-Fällen die vertragliche Schutzwirkung greifen lassen. In den Schutz des Maklervertrags wäre der Vertragspartner mit einbezogen worden. Die Überwindung der hier zwischen den Parteien des vermittelten Vertrages bestehenden „gegenläufigen Interessen" stellt dabei auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung kein Hindernis mehr dar. Der Parteiwillen wäre mittels ergänzender Vertragsauslegung dahingehend gedeutet worden. Doch eben zu diesem Schritt war man hier nie gezwungen. Der Gesetzgeber hat diese Fallgestaltung bedacht und positiv geregelt. b) Mit der Gleichstellung beider Parteien in § 98 HGB übergeht der Gesetzgeber aber zugleich die sonst eine Haftung tragenden Voraussetzungen der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Und der Vergleich macht zudem deren Untauglichkeit im Fall des § 98 HGB deutlich. Das Tatbestandsmerkmal der „Leistungsnähe" erweist sich hier als völlig unscharf, denn der Vertragsgegner befindet sich nicht nur irgendwie in der Nähe einer Leistung. Er nimmt diese vielmehr ebenso wie der Auftraggeber in Anspruch, er ist Leistungsdestinatär und -benefiziar. 64 Die Haftung wird weiterhin auch nicht auf ein besonderes „Schutzinteresse" des Auftraggebers gegenüber seinem Vertragspartner oder einer besonderen vertraglichen Absprache zwischen Makler und Auftraggeber gegründet. Beides ließe sich auch nur mit Fiktionen herleiten, handelt es sich doch um einen Fall von „gegenläufigen Interessen". Und auch das Merkmal eines „Schutzbedürfnisses" ist im Rahmen des § 98 HGB gerade nicht erforderlich. Der Anspruch ist nicht subsidiär. Vielmehr ist hier seit jeher anerkannt, dass der Handelsmakler solidarisch neben dem Gegenkontrahenten haftet, wenn diesen auch ein Verschulden trifft. 65 Einzig das Merkmal der „Erkennbarkeit" ist hier, da derart allgemein gehalten, unzweifelhaft erfüllt. Und darüber hinaus fehlt in Ergänzung des § 98 HGB eine dem § 334 BGB entsprechende Vorschrift. Das Geltendmachen von Einreden des Maklers gegenüber seinem Auftraggeber im Verhältnis zu dessen Vertragspartner ist nicht vorgesehen. Der Anspruch des Vertragspartners wie des Nicht-Vertragspartners, des Kontrahenten, steht beiden jeweils selbständig zu, ohne dabei in ein 64 Zu Recht meint Köndgen, Selbstbindung, S. 365, in seiner Kritik am Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, dass von einer „gläubigergleichen Gefährdung" wegen „Leistungsnähe" des Dritten nicht die Rede sein könne, wo der Dritte selbst Leistungsdestinatär sei. 65 Staub, Komm, zum ADHGB, 3. u. 4. Aufl. 1896, Art. 81, § 2 m.w.N.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
185
Rang- oder Abhängigkeitsverhältnis gesetzt zu werden. Schon daraus wird ersichtlich, dass für die hier behandelten Fallgestaltungen nicht nur § 334 BGB unpassend ist, sondern wohl die §§ 328 ff. BGB insgesamt nicht die richtige Anknüpfung sind. Auch ist die Haftung gegenüber dem NichtVertragspartner nicht an ein besonderes Vertrauen geknüpft und setzt (heute) keine öffentliche Bestellung voraus, wie dies für den Sachverständigen gefordert wird. Kurz: In § 98 HGB fehlen jegliche Pflichtverstärkungsfaktoren. Es bestehen also zwischen diesem Fall des gesetzlichen Drittschutzes und den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte grundlegende konstruktive Unterschiede. Das Gesetz behandelt den Dritten wie einen Vertragspartner, ohne ihn jedoch zu einem solchen, etwa im Wege einer Fiktion, zu machen. Es statuiert die Gleichbehandlung beider Fallkonstellationen, nämlich der Schädigung des Auftraggebers und der des Mitkontrahenten, und damit dieser beider Personen, ohne dabei den Umweg über die - vermeintlich - willensgetragene Einbeziehung in ein fremdes Schuldverhältnis zu gehen. Die Haftung nach § 98 HGB ist gänzlich willensunabhängig. Besteht aber gerade in der Willensanbindung der Hauptkritikpunkt gegen den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte und haben sich bereits im Rahmen der Kritik an der Rechtsfigur ihre Tatbestandsmerkmale als ebenso untauglich zur Lösung der Gutachter- und Expertenhaftung erwiesen, so ist zu erwägen, ob sich beide Fallgruppen, wie die Äußerungen im Schrifttum andeuten, auf einen einheitlichen Rechtsgedanken zurückführen lassen und daher zur Lösung der Gutachter- und Experten-Fällen eine Anknüpfung an die Vorschrift des § 98 HGB in Betracht kommt. 66 Es ist zu fragen, ob es sich hierbei um einen gesetzlich geregelten Sonderfall oder um einen Ansatz für eine allgemeine Regel handeln kann. Für diese Frage der „Fruchtbarmachung" des § 98 HGB auf die Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gilt es dabei zunächst das Besondere und Eigentümliche dieser Haftung herauszulösen.
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Nach Canaris lasse sich in den Experten-Fällen § 98 HGB fruchtbar machen, wonach der Handelsmakler - originär und ohne Einwendungsdurchgriff - beiden Parteien hafte (so in Diskussionsbericht, ZHR-Symposion in Glashütten am 15. 1. 1999, ZHR 163, 287). Es sei rechtlich geboten, dass im Vergleich zur Sachwalterhaftung neutrale Dritte erst recht haften müssten, wenn eine Haftung sogar bei Personen angenommen werde, die im Lager des Vertragspartners stünden; so Canaris gegen die Kritik an seiner Lehre (vgl. ZHR 163, 206 ff.), der Experte stehe anders als der Verteter und Sachwalter nicht im Lager seines Auftraggebers, sondern nehme eine neutrale Stellung ein.
186 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
4. Rechtsgrund der Haftung aus § 98 HGB a) Geschichtlicher Ursprung der Bestimmung 61 aa) Der Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland von 1848/49 Die Vorschriften über den Handelsmakler gehen zurück auf den erstmals gesamtdeutschen „Entwurf eines allgemeinen Handelsgesetzbuches für Deutschland" aus den Jahren 1848/49. 68 Dort heißt es im vierten Titel, zweiter Abschnitt „Von den Mäklern": 69 Art. 4
„Die Mäkler sind die gesetzlichen Vermittler für Handelsgeschäfte. Sie werden in den Einzelstaaten wie bisher ernannt, leisten vor ihrem Amtsantritte den Eid, daß sie die ihnen obliegenden Pflichten getreu erfüllen wollen und bestellen dafür Caution."
Art. 20 „Der Mäkler, welcher Wechsel und andere Handelspapiere im Namen und mit der Unterschrift eines Anderen übergiebt, haftet für die Aechtheit dieser Unterschrift." 70 Art. 23 „Ist unter den Parteien nichts darüber vereinbart, wer den Mäklerlohn bezahlen soll, so hat ihn der Auftraggeber zu entrichten."
Dem Handelsmakler sollte danach, entsprechend unseren heutigen Kategorien, ein „hoheitliches" Tätigkeitsfeld zukommen. Die Motive des Entwurfs sehen eine staatliche Ernennung vor. 71 Gesprochen wird dort von einer „Amtspflicht der Mäkler", 72 sowie einer „amtlichen Autorität", 73 aber auch zugleich von „Mandatspflichten". 74 Die in Art. 20 des Entwurfs geregelte und gegenüber § 98 HGB noch sehr beschränkte Haftung des Maklers sollte eine „Anwendung des Satzes sein, daß der Mäkler die Identität der Personen zu vertreten habe, auf den Handel mit Papieren, zu deren Uebertragung es eines Indossaments oder einer anderen schriftlichen Cession bedarf'. 75 Zwar sei diese Vorschrift durchaus „rigoros", die beratende Kommission erkannte aber „für den Handel ein unbestreitbares Bedürfnis und keine Ungerechtigkeit gegen den Mäkler, weil er sich die Ueberzeugung, 67
Zur Geschichte des Handelsmaklers: Heymann in Ehrenberg, Handelsrecht, 5. Bd., I. Abt., 1. Hälfte, 1. Lfg., S. 321 ff.; Lehmann, Lehrbuch des Handelsrechts, S. 240 ff.; Goldschmidt, Ztschr.f.d.ges.Handelsrecht, Bd. 28, S. 115 ff. 68 Veröffentlicht durch das Reichsministerium der Justiz im April 1849; vgl. zum Hintergrund des Entwurfs: Goldschmidt, Hdb.d.Handelsrecht, 1. Bd., 2. Aufl. 1874, S. 84 ff. 69 Entwurf eines allgem. Handelsgesetzbuches für Deutschland 1848/49, herausgeg. v. Baums, 1982, S. 166 ff. 70 Hervorheb.v.Verf. 7 1 Motive des Entwurfs bei Baums, Entwurf HGB 1848/49, S. 174. 72 Motive bei Baums, Entwurf HGB 1848/49, S. 173. 73 Motive bei Baums, Entwurf HGB 1848/49, S. 172. 74 Motive bei Baums, Entwurf HGB 1848/49, S. 173. 7 5 Motive bei Baums, Entwurf HGB 1848/49, S. 180.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
187
daß die Unterschrift die des Verkäufers sei, stets verschaffen kann". An die Voraussetzung, dass der Geschädigte zugleich der Auftraggeber und Vertragspartner des Maklers ist, wurde die Haftung dabei nicht geknüpft. Auch wenn die Kommission Vorschriften, welche die Verpflichtung der Mäkler betrafen, „ihrer Partei allein zu dienen", und wie sie in den damals geltenden Partikulargesetzen z.T. enthalten waren, als „eine so unbestreitbare Folge der Amtspflicht der Mäkler oder mit den Mandatspflichten so nothwendig verbunden" ansah, „daß expresse gesetzliche Vorschriften hier überflüssig erscheinen dürften", 76 so war doch anerkannt, dass der Makler „die Richtigkeit der Unterschrift der Personen, für welche das Geschäft vermittelt worden, schon durch die Bestätigung des Geschäftsabschlusses" und somit notwendigerweise beiden Parteien des vermittelten Vertrags gegenüber bezeuge.77 Der Entwurf fand jedoch keine gesetzliche Umsetzung, denn mit dem Scheitern der Reichsverfassung im Jahre 1849 war zugleich auch das Schicksal dieses ersten Versuchs einer Vereinheitlichung des Handelsrechts besiegelt. Seine Bedeutung liegt heute vielmehr in der darin geleisteten Vorarbeit zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 (ADHGB).
bb) Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 Im Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 wurde das auf dem Entwurf von 1848/49 beruhende Verständnis der Stellung des Handelsmaklers übernommen und zudem eine wesentlich weitgehendere Haftungsregel aufgestellt, die mit dem heutigen § 98 HGB vergleichbar ist: Art. 66 „Die Handelsmäkler (Sensale) sind amtlich bestellte Vermittler für Handelsgeschäfte. Sie leisten vor Antritt ihres Amtes den Eid, daß sie die ihnen obliegenden Pflichten getreu erfüllen wollen." Art. 81 „ Jedes Verschulden des Handelsmäklers berechtigt die dadurch beschädigte Partei, Schadloshaltung von ihm zu fordern." 78
Ganz deutlich tritt auch hier der öffentlich-rechtliche Charakter der Tätigkeit des Handelsmaklers hervor, wenngleich man sich im Gesetzgebungsverfahren gegen die Bezeichnung „öffentliche Beamte" wandte.79
76 Motive bei Baums, Entwurf HGB 1848/49, S. 172 (Hervorheb.v.Verf.). Gleiches sollte für die Verpflichtung gelten, „sich von der Identität der Personen zu überzeugen". 77 Motive bei Baums, Entwurf HGB 1848/49, S. 180. Zudem war zur Frage der Entrichtung der Maklercourtage (Art. 23) anerkannt, dass sich auch beide Parteien eines Maklers bedienen können, der Makler also nicht allein nur einer Partei zu dienen hatte, ebenda, S. 182. 78 Hervorheb.v.Verf. 79 Protokolle der Kommission zur Berathung eines allgem. dt. Handelsgesetzbuches, herausgeg. von J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, 1858, S. 113.
188 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
In den Beratungen zu Art. 81 ADHGB befasste sich die Nürnberger Kommission 80 ausdrücklich mit der uns interessierenden Frage, „ob es nicht etwa angemessen wäre, nach dem Beispiele des österreichischen Entwurfes in einer ausdrücklichen Bestimmung zu verordnen, daß der Mäkler beiden Partheien, also nicht allein seinem Auftraggeber, welchem er allerdings schon aus dem Auftrage hafte, sondern auch dem anderen Contrahenten zur Treue verpflichtet sei, und daß er wegen eines Verschuldens Beiden hafte". 81 Die hierüber geführte Debatte ist dabei stark von dem Aufeinandertreffen von zivilrechtlicher Beauftragung einerseits und amtlicher Stellung andererseits geprägt. So wurde teilweise vertreten, „daß ein Mäkler unter allen Umständen kraft seiner amtlichen Stellung, als zwischen den Partheien stehend, als der Mandatar beider Contrahenten angesehen werden müsse. Die Folge davon sei die, daß er gegen beide Contrahenten Pflichttreue zu beobachten und im Falle eines Verschuldens jedem dadurch beschädigten Contrahenten Schadensersatz zu leisten habe." 82 Andere waren der Ansicht, „daß ganz abgesehen von der Frage, ob der Mäkler als Mandatar beider Contrahenten betrachtet werden könne, die obenberegte Haftung nach allgemeinen bürgerlichen Rechtsgrundsätzen bestehe, weil jeder für den Schaden einzustehen habe, den sein Verschulden erzeuge". 83 Und „eine dritte Ansicht ging dahin, daß es von den Verhältnissen abhänge, ob der Mäkler in einem besonderen Falle als Mandatar beider Contrahenten angesehen werden könne und beiden hafte oder nicht, daß namentlich viel darauf ankomme, ob er mit Bezug auf seine amtliche Stellung von dem Contrahenten, der ihn ursprünglich nicht beauftragt habe, um Auskunft befragt worden sei." 84 Schließlich einigte man sich später darauf, dass die Verpflichtung des Maklers gegenüber beiden Parteien und dem folgend auch seine Haftung „aus der Eigenschaft des Mäklers als eines amtlich verpflichteten Vermittlers" folge. 85 „Als solcher habe er namentlich gegen Jeden die Pflicht, über die thatsächlichen Verhältnisse im Allgemeinen auf Befragen wahre Angaben zu machen, auch wenn er zu ihm nicht im Verhältnisse des Beauftragten stehe."86
80
s. zur Nürnberger Konferenz Goldschmidt, Handelsrecht, 1. Bd., S. 91 ff.
ei Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, XVI. Sitzung v. 12. 2. 1857, S. 124. 52 Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 124. 53 Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 125. 54 Protokolle bei 7. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 173. ss Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, XVIII. Sitzung v. 14. 2. 1857, S. 152; wobei wiederholt darauf verwiesen wurde, „der Mäkler sei nicht überall ein Mandatar beider Partheien, es könne also nicht überall davon gesprochen werden, daß er aus dem Mandate gegen beide Partheien Verpflichtungen habe". 86 Und so weiter: „Um hierauf hinzuweisen, wurde mit 12 gegen 1 Stimme beschlossen, in das Gesetz an einer passenden, von der Redaktions-Commission zu ermittelnden Stelle die Bestimmung aufzunehmen, daß jedes Verschulden des Mäklers die dadurch erweislich beschädigte Parthei berechtiget, Schadloshaltung von ihm zu fordern", Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 152.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
189
Herrschte über die Frage der Anspruchsberechtigten weitgehend Konsens, so konzentrierte sich die damalige Diskussion zu Art. 81 ADHGB eher darauf, dass mit dieser Haftungsregel weit über den Entwurf von 1849/49 hinausgegangen wurde. Die Kommission hatte Sorge, die Vorschrift könnte missverständlich sein und zu einer zu weit gehenden Haftung führen, denn, „wo ein Mäkler in dem von dem Art. 81 im Auge gehaltenen Falle sich ein Verschulden beigehen lasse, da verstehe es sich auch ohne eine ausdrückliche Bestimmung des Handelsgesetzbuches von selbst, daß er für dessen Folgen einzustehen habe". 87 Man sah die Gefahr einer nicht für sachgerecht erachteten zeitlichen Ausdehnung der Haftung über den Vertragsschluss hinaus auch für dessen Erfüllung. 88 Zudem habe mit der Bestimmung des Art. 81 ADHGB, „der aus dem früheren Entwürfe eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs für Deutschland entnommen sei", und mit dem „eigentlich nur der Grundsatz eingeführt werden wolle, daß der Mäkler jedem Contrahenten für die Identität des anderen Contrahenten haften müsse", dieser Satz wohl einen zu weitgehenden Ausdruck erhalten. 89 Mehrheitlich wollte man den Artikel aber „als ein nützlicher Wink für die Mäkler beibehalten [ . . . ] umsomehr als sich kaum ein Fall denken lasse, in welchem ohne Verschulden des Mäklers gegründete Steitigkeiten über die Aechtheit der Unterschrift des letzten Veräußerers entstünden".90 Die Aufgabe der Vermittlung von Verträgen „und die Befriedigung des Bedürfnisses nach Sicherheit im kaufmännischen Verkehr bringe die Haftbarkeit des Mäklers für die Aechtheit der Unterschriften der Contrahenten von selbst mit sich". 91
cc) Die praktische Anwendung des Art. 81 ADHGB Seine praktische Anwendung fand Art. 81 ADHGB in der konkreten Verpflichtung des Handelsmaklers, „den Parteien ihm bekannte Umstände anzugeben, welche dieselben, falls sie ihnen bekannt gewesen wären, von dem Vertragsschlusse abgehalten hätten". 92 Zwar treffe ihn keine Verantwortlichkeit für die Mängel der 87 Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 113. 88 Prot., J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 145: „Das Geschäft des Mäklers als solchen sei mit dem Zustandekommen des Vertrages beendigt. Die Sorge für dessen Erfüllung liege dem Berufe des Mäklers ferne." 89 Prot., J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 146. 90 Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 146; man ging davon aus, „daß es die Aufgabe des Mäklers sei, die dem Kaufmanne abgehende Kenntnis der Personalien zu ergänzen und hierdurch den Verkehr zu vermitteln". 91 Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 147; und weiter S. 148: „Gegen den Vorschlag lediglich eine Haftung für die Identität des Veräußerers anzuerkennen, wurde aber insbesondere hervorgehoben, daß in diesem Falle die Haftung des Mäklers und die Schwierigkeit seiner Lage keine geringere sei, als nach der Vorschrift des Entwurfes; denn derjenige, der im Stande sei, seine eigene Unterschrift abzuleugnen, werde auch keinen Umstand nehmen, zu leugnen, daß ein Papier von ihm verkauft worden sei." 92 Staub, Komm, zum ADHGB, 3. u. 4. Aufl. 1896, Art. 81, § 3; Makower, Komm, zum ADHGB, 11. Aufl. 1893, Art. 81 Anm. 27 a: Der Handelsmakler habe „namentlich die
190 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Waren, Wechsel oder Papiere, auf welche sich der von ihm vermittelte Geschäftsabschluss bezieht, habe er aber den Kontrahenten durch wissentlich unwahre Anpreisungen der Qualität der Ware zum Geschäftsabschluss veranlasst, so hafte er für den Schaden.93 Eine Pflichtverletzung liege demnach immer dann vor, wenn der Handelsmakler „eine Partei vor der anderen, sei es durch Verhehlung nachtheiliger Umstände oder Mängel, durch Anrührung vorgespiegelter Eigenschaften oder Vortheile oder auf andere Weise begünstigt".94 Der Handelsmakler haftete für Schadloshaltung, nicht für Erfüllung. 95 Dabei sei derjenige Schaden zu ersetzen, „den der Makler durch seine Handlungsweise verursacht hat. So haftet er ζ. B., wenn er eine Partei in den Glauben versetzt hat, der Vertrag sei abgeschlossen, nicht für den entgangenen Gewinn, das Erfüllungsinteresse, sondern nur für das negative Vertragsinteresse, d. h. für die Folgen von Handlungen und Unterlassungen, die auf jenen Irrthum zurückzuführen sind, ζ. B. wenn die Partei in Folge dessen unterlassen hat, anderweit abzuschließen [ . . . ] ; anders, wenn durch sein Verschulden der Vertrag nicht zu Stande gekommen ist, da haftet er auch für den entgangenen Gewinn." 96
dd) Die Abschaffung der amtlich bestellten Handelsmakler und deren Ersetzung durch private Handelsmakler in der Denkschrift von 1896 Unter Geltung des ADHGB traten im Handelsverkehr neben die gesetzlich geregelten, amtlich bestellten Handelsmakler und in Konkurrenz zu diesen die Privathandelsmakler.97 Für diese an Zahl und Bedeutung zunehmenden Kaufleute gab es im Gesetz keine Regelung, was nach Staub „um so bedauerlicher" war, „als die Privathandelsmakler das bei Weitem praktischere Institut, ihre Rechtsstreitigkeiten die weit häufigeren" waren. 98 Dieses Nebeneinander von amtlich bestellten VerPflicht, über die tatsächlichen Verhältnisse im Allgemeinen auf Befragen wahre Angaben zu machen, auch wenn er zu dem Fragesteller nicht in dem Verhältnisse des Beauftragten steht". Komm, zum ADHGB, 4. Aufl. 1893, Art. 81 Anm. 3; Staub, 93 Puchelt/Frötsch, ADHGB, Art. 81, § 3: eine Prüfungspflicht hinsichtlich Ware, Wechsel, Papiere oder Solvenz der Parteien obliegt dem Handelsmakler nicht. 94 von Hahn, Comm. zum ADHGB, 1. Bd., 3. Aufl. 1879, Art. 81, § 1 Fn. 4. 95 Staub, ADHGB, Art. 81, § 4: „Insbesondere ist der gegenüber dem falsus procurator bestehende Anspruch auf Erfüllung des geplanten Geschäfts hier nicht gegeben." 96 Ders., ADHGB, Art. 81, § 4. 97 Die private Maklertätigkeit, die früher vielfach verboten war, wurde durch das ADHGB zugelassen; den amtlich bestellten Handelsmakler wurde kein Exklusivrecht mehr auf Vermittlung von Handelsgeschäften eingeräumt, vgl. Art. 84 Abs. 2 sowie Dernburg, Preuß. Privatrecht, 2. Bd. 1878, § 190; Staub, ADHGB, Art. 66, § 2. Amtlich bestellte Handelsmakler gab es zudem nicht überall im Reichsgebiet, so ζ. B. nicht in Baden, Staub, ADHGB, Art. 66, Einl. Zur Figur des Privathandelsmaklers: Staub, ADHGB, nach Art. 84, S. 130 ff. Zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten: ders., ADHGB, Art. 66, § 2 u. 3. 98 Ders., ADHGB, S. 130.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
191
mittlem und Privathandelsmaklern wurde in der um eine Angleichung des Handelsrechts an das neu geschaffene BGB bemühten Denkschrift aus dem Jahr 1896 zum Entwurf des heute geltenden Handelsgesetzbuchs aufgegeben und eine strikte Abkehr von der tradierten Vorstellung vollzogen." „Der Entwurf kennt dagegen das Institut der amtlichen Handelsmäkler überhaupt nicht mehr; Handelsmäkler im Sinne desselben sind vielmehr die nach dem bisherigen Sprachgebrauch als Privathandelsmäkler bezeichneten Personen." 100 Das ganze System der Handelsmäkler wurde damit „umgekrempelt". 101 Die Vermittlertätigkeit im Handelsverkehr sollte keine öffentlich-rechtliche Tätigkeit mehr sein. Für die Privathandelsmäkler sollten in Ubereinstimmung mit der bisherigen Praxis die Vorschriften über die amtlichen Handelsmakler Anwendung finden, und so wurden diesem „Grundgedanken" folgend die Vorschriften des ADHGB - „soweit thunlich" - beibehalten.102 Auch die Haftung des privaten Handelsmaklers sollte abweichend vom Recht des Zivilmaklers weiter der des vormaligen, öffentlich bestellten Maklers entsprechen. „Bei dem Mäklervertrage des bürgerlichen Rechts steht der Mäkler an sich nur zu seinem Auftraggeber in einem Vertragsverhältnisse; von dem Dritten kann er der Regel nach keinen Mäklerlohn fordern und für Verschulden haftet er dem letzteren im Allgemeinen nur nach den Grundsätzen über die unerlaubten Handlungen. Für den amtlichen Handelsmäkler gilt dagegen nach Art. 81, 83 des Handelsgesetzbuchs in allen diesen Beziehungen das Gegentheil, und die in der Rechtsprechung und Wissenschaft herrschende Ansicht stellt hierin den Privathandelsmäkler dem amtlichen Mäkler gleich. Bei dieser Auffassung bleibt der Entwurf stehen. Im Handelsverkehr gilt der Mäkler als Vermittler für beide Parteien, er leistet beiden seine Dienste, und es ist meist vom Zufall abhängig, welche der Parteien sich zuerst an ihn gewendet hat. Nach den §§ 87, 88 [des Entwurfs] haftet er daher beiden Parteien für den durch sein Verschulden entstehenden Schaden und in Ermangelung örtlicher Verordnungen oder eines Ortsgebrauchs kann er von jeder Partei die Hälfte des Mäklerlohns verlangen." 103
99 s. Entwurf eines Handelsgesetzbuchs nebst Denkschrift, aufgestellt im Reichs-Justizamt, 1896. Für eine „Aufhebung des Instituts der vereidigten Mäkler" plädierte bereits J. Rieker, Zur Revision des Handelsgesetzbuchs, 1. Abtheilung, 1887, S. 47 ff. m. w. N. für diese Forderung. Zum Bedürfnis einer gesetzlichen Regelung der Privathandelsmakler: „Es dürften sich jedoch solche Bestimmungen schon aus dem Grunde empfehlen, um die streitige Frage zu beseitigen, ob und inwieweit gewisse [ . . . ] Bestimmungen des 7. Titels auch auf die Privatmäkler angewandt werden können oder gar müssen". 100
Reichs-Justizamt, Denkschrift, S. 74; wiedergegeben auch bei Hahn /Mugdan, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, 6. Bd., Motive zum HGB, 1897, S. 251. 101 So Seligmann, Verhandlungen des 23. Dt. Handelstages (Außerordentl. Plenarversammlung) zu Berlin am 15. u. 16. Oktober 1896, wiedergegeben bei Schubert/Schmiedel/ Krampe, Quellen zum HGB von 1897, Bd. 2, 1. Halbbd., 1987, S. 601. 102 Reichs-Justizamt, Denkschrift, S. 74. 103 Reichs-Justizamt, Denkschrift, S. 76 f.
192 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
ee) Der geschichtliche Hintergrund des § 98 HGB Die in § 98 HGB geregelte umfassende Verschuldenshaftung beiden Kontrahenten gegenüber erweist sich damit als eine Ausweitung der dem Handelsmakler ursprünglich zugedachten Pflicht, die Identität der an dem vermittelten Vertrag beteiligten Parteien zu gewährleisten und so den kaufmännischen Verkehr abzusichern. Dem Handelsmakler kam so - ähnlich wie einem Notar - die Rolle eines neutralen Zeugen zu, die in der amtlichen Bestellung und eidlichen Verpflichtung ihren klaren Ausdruck fand. 104 Auf den heute im Gesetz geregelten privaten Handelsmakler wurden die Grundsätze und Vorschriften übertragen, 105 die früher auf den amtlichen Makler zugeschnitten waren, und seine neutrale, unparteiische Stellung zwischen den Parteien ist auch nach dessen „Privatisierung" tragendes gesetzgeberisches Motiv seiner Haftung.
b) Heutiges Verständnis der Vorschrift Die Neutralität und Unparteilichkeit des Handelsmaklers, 106 seine Stellung als „ehrlicher Makler" zwischen den Parteien, 107 der „das Interesse beider Seiten in gleicher Weise zu wahren hat", 1 0 8 wird auch heute noch als der entscheidende Grund der Haftung nach § 98 HGB angesehen. Aus seiner Stellung als „getreuer Sachwalter der Parteien", 109 „beiden Teilen in gleicher Weise zu objektiver Interessenwahrung und Aufklärung verpflichtet", 110 rechtfertige sich die besondere Einstandspflicht. Es ist dies auch, was den Handelsmakler unterscheidet von anderen dem HGB bekannten Figuren, deren Aufgabe im weitesten Sinne die Anbahnung von Verträgen ist, wie etwa der Handelsvertreter nach § 84 HGB, der Vermittlungsgehilfe nach § 75g HGB oder der Handlungsgehilfe gemäß § 59 HGB, 1 1 1 und ihn 104
So spricht die Nürnberger Kommission davon, „daß der Mäkler gewissermassen in den Verhältnissen eines Notars stehe", Protokolle bei J. Lutz, I. Theil, Protokolle I-XLV, S. 125. Ebenso Hoeniger in Düringer/Hachenburg, HGB, Bd. 1, 3. Aufl. 1930, § 98 Anm. 3: Das HGB gebe dem Handelsmakler zugleich die Aufgaben und Pflichten einer Urkundsperson bzgl. der von ihm vermittelten Geschäfte. Ferner von Hahn, ADHGB, 1. Bd., Vorbem. zum 7. Titel, § 3: Die amtliche Bestellung mache den Handelsmakler zu einer „besonders qualifizierten Urkundsperson". 105
s. Heymann in Ehrenberg, Handelsrecht, §§ 93 u. 94. K.Schmidt, Handelsrecht, § 26 I I 1; Heymann in Ehrenberg, Handelsrecht, § 95, 6, S. 369; Ruß in HK, HGB, § 93 Rn. 3. 107 Brüggemann in Großkomm., HGB, § 98 Rn. 2; Röhricht / Gtz£ v.Westphalen, HGB, § 98 Rn. 1; Koller/Roth/Morck, HGB, § 93 Rn. 24; Canaris, Handelsrecht, § 21 Rn. 26. los Röhricht/Graf v.Westphalen, HGB, § 93 Rn. 1. 109 Schlegelberger/ Schröder, HGB, § 98 Rn. 1; OLG München NJW 1970,1924, 1925. 106
no Ruß in HK, HGB, § 93 Rn. 3. m Dazu Brüggemann, Großkomm. HGB, § 93 Rn. 3: Der Handelsmakler wird nicht ständig im Auftrag eines Unternehmens tätig, sondern jeweils nur durch Einzelauftrag beauftragt.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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ebenso unterscheidet vom Zivilmakler, der nach der Vorstellung des § 654 BGB als Wahrer der Interessen nur einer Vertragspartei zu gelten hat. 112 Ihnen allen hat das Gesetz eine derartige Haftung nicht aufgebürdet. Die Stellung eines unparteiischen Mittlers, der die beiderseitigen Interessen berücksichtigt und ihren Ausgleich erstrebt, wird für den Handelsmakler dabei sogar für so wesentlich erachtet, dass die §§ 93 ff. HGB nicht mehr uneingeschränkt für anwendbar gehalten werden, wenn der Handelsmakler laut besonderer Vertragsbedingung ausschließlich im Interesse jener Partei zu handeln hat, von der er beauftragt worden ist, und er erkennbar auch als solcher dem Vertragspartner gegenübertritt. 113 Folgerichtig wird die Anwendbarkeit von § 98 HGB insoweit in den Willen des Maklers gestellt, als dieser nicht haften muss, wenn er deutlich macht, abweichend vom gesetzlichen Leitbild nur die Interessen einer Partei, seines Auftrag1
gebers, zu vertreten.
114
c) Dogmatische Einordnung der Haftung aa) Die heute von der Lehre vorgenommene dogmatische Einordnung des § 98 HGB, etwa als einheitliche vertragliche Haftung, als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte oder auch als vertragsnahe Vertrauenshaftung, wird der Vorschrift und ihrem historischen Ursprung nicht gerecht. Diese Erklärungsversuche bauen stets auf der unserem heutigen Rechtsverständnis entspringenden „modernen" Prämisse auf, eine Haftung für fahrlässig verursachte Vermögensschäden gegenüber anderen Personen als dem Vertragspartner müsse ihrerseits eine Vertrags-, zumindest aber eine quasi-vertragliche Haftung darstellen. 115 Dabei ist diese Prämisse und ihre Schlussfolgerung keineswegs die einzig zwingende. Denn das Gesetz durchbricht in § 98 HGB nicht nur die Relativität des Schuldverhältnisses, sondern setzt sich ebenso auch über die vorgeblichen Grenzen des Deliktsrecht hinweg. Die Verletzung von vertraglich übernommenen Pflichten muss nicht notwendig auch gegenüber Dritten zu einer vertraglichen Haftung führen und dies gilt auch für Vermögensschäden. Und zudem liegt bei § 98 HGB entgegen früher vertretener Auffassung eben nicht notwendigerweise ein Vertragsverhältnis zu beiden Parteien des vermittelten Vertrags zugrunde.
112 K.Schmidt, Handelsrecht, § 26 I I 1. 113 Brüggemann, Großkomm. HGB, § 93 Rn. 8; Canaris, Handelsrecht, § 21 Rn. 27: „Fungiert der Makler erkennbar allein als Interessen waiter der Erstpartei [ . . . ] , so ist § 98 HGB auf Grund einer teleologischen Reduktion außer Anwendung zu lassen." 114 So etwa Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 354. 115 Symptomatisch etwa Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 349 f. Fn. 26, die wohl in Verkennung der Ansicht Brüggemanns zu § 98 HGB eine Herleitung der Haftung für Vermögensschäden aus § 823 Abs. 2 BGB wie folgt verwirft: „Es läßt sich nicht verheimlichen, daß dieser Ansatz schon frappiert: wenn eine besonders nahe geschäftliche Beziehung eingegangen wird, sollen Pflichtverletzungen mit Hilfe des Deliktsrechts erfaßt werden." 13 Plötner
194 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
bb) Die §§ 93 ff. HGB sind, wie dargestellt, im historischen Kontext aus der Zusammenführung der Bestimmungen über die amtlich bestellten Mäkler und der Person des Privathandelsmaklers in einer einzigen neuen Figur entstanden. Besonders § 98 HGB wird als Rest der alten Vorschriften über den amtlich bestellten Handelsmakler verstanden. 116 Da für das heutige Verständnis des § 98 HGB die beamtengleiche Eigenschaft des Handelsmaklers völlig ausgeblendet werden muss, ist folglich auch und gerade die dogmatische Einordnung einer Haftung der früheren Privathandelsmakler von Interesse, sollte doch einzig diese der beiden konkurrierenden Figuren beibehalten werden. 117 Die Rechtsverhältnisse der Privathandelsmakler wurden zwar, soweit möglich, an die Bestimmungen der amtlich bestellten Handelsmäkler angelehnt,118 konnten aber demgegenüber nur privatrechtlich, nicht unter Bezugnahme auf die amtliche Stellung erklärt werden, denn, so Staub, „dessen Mandat ist die Quelle seiner Thätigkeit". 119 Versuche, die Haftung aus einem Vertragsverhältnis auch zu der anderen Partei abzuleiten,120 waren bereits damals als „reine Fiktion" bloßgestellt.121 Der Privathandelsmakler trete im Gegensatz zum amtlichen Handelsmakler zu der anderen Partei in kein kontraktliches Verhältnis. 122 Gleichwohl, so war man sich einig, sollte der Privathandelsmakler auch hinsichtlich seiner Haftung dem amtlichen Handelsmakler gleichgestellt werden. Insoweit enthalte der Art. 81 ADHGB „die Anwendung eines allgemeinen, auch für Privathandelsmäkler geltenden Prinzips". 123 „Auch dem anderen Theil, mit dem er unterhandelt," so Dernburg, „ist er, 116 Heymann in Ehrenberg, Handelsrecht, § 94, 2 (S. 342). 117 Denn so Staub, ADHGB, Art. 66, § 2, über die amtlich bestellten Makler: Der Umstand, dass sie als amtliche Beamte vermittelnd tätig sind, wirke auch auf ihre privatrechtliche Stellung zu den Parteien erheblich ein, wie dies ζ. B. in den Bestimmungen über ihre Verantwortlichkeit gegenüber beiden Parteien und ihre Gebührenforderung (Artt. 81 u. 83) zum Ausdruck gelangt sei. us Riesenfeld, Gruchot 37, S. 27, 63 m.w.H. für Theorie und Praxis. 119 Staub, ADHGB, 1. Zusatz zu Buch 1, § 3 (S. 131). 120 So etwa RG v. 26. 3. 1887 bei Bolze, Praxis, Bd. 4, Nr. 646; zust. Riesenfeld, Gruchot 37, S. 257, 273: Der Makler könne den ihm vom ersten Auftraggeber erteilten Auftrag nicht anders erfüllen, als dadurch, dass er zu einem anderen ebenfalls in ein Dienstverhältnis trete. Riesenfeld sieht in Art. 81 ADHGB ein „allgemeines, mit dem Wesen der Vermittlung durchaus zusammenhängendes und darum auf jede andere Art der Mäkler, auch auf Civilmäkler auszudehnendes" Prinzip. 121 Gegen das Reichsgericht Endemann, Handelsrecht, 1865, § 165 Fn. 9; Staub, ADHGB, 1. Zusatz zu Buch 1, § 3 (S. 131). 122 So der Unterschied der beiden konkurrierenden Figuren nach Staub, ADHGB, 1. Zusatz zu Buch 1, § 5 (S. 133). 123 Makower, Komm, zum ADHGB, 11. Aufl. 1893, Art. 81 Anm. 27 b. Ähnlich von Hahn, ADHGB, Zusatz 2 zum 7. Titel § 4 (3.), S. 303: „Der in Art. 81 ausgesprochene Satz, daß der Handelsmäkler für sein Verschulden nicht nur dem ersten Auftraggeber, sondern auch dem anderen Contrahenten verhaftet ist, stellt sich ebenfalls als eine Consequenz des Rechtsverhältnisses zwischen Mäkler und Parteien heraus und ist daher auch auf Privathandelsmäkler zu beziehen."
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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wenn auch nur außerkontraktlich, wegen schuldhafterweise zugefügten Schadens verpflichtet". 124 Denn, so die Erläuterung von Staub, „wenn er auch zu der andern Partei in keinem kontraktlichem Verhältniß steht, so tritt er doch zu derselben in einen nahen geschäftlichen Verkehr und hat daher die allgemeine, im Handelsverkehr in gesteigertem Maße bestehende Pflicht der Redlichkeit, deren Verletzung ihn auch dieser Partei gegenüber ersatzpflichtig macht, wenn auch aus anderem Rechtsgrunde, nämlich auf Grund der Vorschriften über außerkontraktliche Schadensverletzungen". 125 Zwar seien „kulpose Beschädigungen" im gemeinen Recht nicht allgemein zu ersetzen, 126 „doch muß auch hier eine unerlaubte Handlung vorliegen". Und der Umfang des Schadens sei, wenn eine Schadenspflicht erst bestehe, der gleiche, wie gegenüber der anderen Partei. 127 Demnach wurde die Haftung des Privathandelsmaklers gegenüber der anderen Partei nicht vertraglich oder vertragsähnlich, sondern außervertraglich (deliktisch) begründet. Zwar ging die Denkschrift für den Handelsmakler in Abgrenzung zum Maklervertrag des bürgerlichen Rechts wohl vom Regelfall der Doppelbeauftragung aus und normierte darauf aufbauend und nur für diesen Fall auch eine schadensersatzrechtliche Haftung ex contractu. 128 Eine vertragliche Schadensersatzpflicht gegenüber dem Mc/iivertragspartner lässt sich aber aus § 98 HGB nicht ableiten. 129 Die „moderne" Vorstellung eines zwingenden Zusammenhangs von Vertragsverhältnis und Haftung für fahrlässige Vermögensschäden lag dem nicht zugrunde. Insoweit handelt es sich um eine Haftung „ex lege". 130 Da die Gesetzesverfasser, wie in der Denkschrift ausgeführt, bei der Figur des Privathandelsmaklers und ihrer Behandlung durch Praxis und Theorie „stehen bleiben" wollten, mussten sie sich die Deutung seiner Haftung notwendig zu Eigen machen. Denn ein neues vertragliches oder haftungsrechtliches Institut wollten sie ausdrücklich gerade nicht begründen. Und es besteht also heute kein Grund, mit dem damaligen Verständnis des Privathandelsmaklers zu brechen, sollte doch eben diese Figur gesetzlich festgeschrieben werden. Nicht das Relativitätsprinzip der Vertragsverhältnisse im Wege einer Schutzwirkungskonstruktion, sondern die Grenzen der Haftung aus unerlaubten Handlungen nach dem damals gerade konzipierten neuen BGB, das der Denkschrift zugrunde lag, sollten überwunden werden. Denn das BGB kennt heute ebenso wie das gemeine Recht damals - keine Einstandspflicht für fahrlässig verursachte Vermögensschäden außerhalb bestehender vertraglicher Beziehungen. 124 Dernburg, Preuß.Privatrecht, 2. Bd., 1878, § 190. 125 Staub, ADHGB, 1. Zusatz zu Buch 1, § 5 (S. 133). 126 So unter Berufung auf RGZ 9, 163: „In außerkontraktlichen Verhältnissen besteht nach gemeinem Rechte eine allgemeine Verpflichtung zum Ersätze verursachten Schadens nur im Falle des Dolus, nicht auch im Falle bloßer Culpa." 127 Staub, ADHGB, 1. Zusatz zu Buch 1, § 5 (S. 133). 128 So Jabornegg/Fromherz, Komm, zum österr. HGB, 1997, MaklerG § 20 Rn. 13. 129 Jabornegg / F romherz, österr. HGB, MaklerG § 20 Rn. 13, der aber weiter meint, dass die Norm das Bestehen zweier Maklerverträge voraussetze. 130 So auch bereits Lehmann/Ring, HGB, 1. Bd., 1902, § 98 Nr. 1. 1
196 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Wollte man für den Handelsmaklers eine über die §§ 823 ff. BGB hinausgehende Haftung statuieren, so musste dies im HGB geregelt werden. Die Statuierung der Haftung des Handelsmaklers in § 98 HGB dem jeweiligen Vertragspartner und aber auch dem Dritten gegenüber ist damit zugleich vertraglicher und außervertraglicher Natur. 131
5. Herausbildung eines allgemeinen (anknüpfungsfähigen) Rechtsgedankens a) Parallelität
zu den sog. Gutachten- und Experten-Fällen
aa) Stellt man nun die uns beschäftigenden Fallgestaltungen einer Haftung von Gutachtern, Sachverständigen und anderen Experten gegenüber, so bestehen die Unterschiede zunächst äußerlich darin, dass der Handelsmakler gerade nicht die durch einen angestrebten Vertrag zu veräußernde Sache zu begutachten oder ein Unternehmen zu bewerten hat. Und umgekehrt ist es nicht Aufgabe des Gutachters neben der Prüfung und Bewertung der Sache auch die Vermittlung eines Vertrags zu bewerkstelligen. Dieser hat nur die Begutachtung vorzunehmen und die zu gewinnenden Informationen weiterzugeben. Doch dieser Unterschied relativiert sich, da auch der Handelsmakler Aufklärung über ihm bekannte Umstände schuldet, die für die Entscheidung über den Vertragsschluss bedeutsam sein können, und ein Verstoß hiergegen begründet gerade seine Haftung nach § 98 HGB, wenngleich ihn nach einhelliger Ansicht keine Erkundigungs- und Nachprüfpflicht trifft. 1 3 2 bb) Konzentriert man aber die Sichtweise auf die besondere Stellung des Handelsmaklers zu den beiden Kontrahierenden des zu vermittelnden Vertrages, auf 131
Dass es sich bei dem Schadensersatzanspruch des Nicht-Vertragspartners eben nicht um einen vertraglichen, sondern außervertraglichen Anspruch handelt, und es folglich unter Geltung einer großen Generalklausel der Vorschrift des § 98 HGB nicht bedarf, ist rechtsvergleichend mit der Rechts- und Gesetzeslage in Österreich eindeutig nachzuweisen: In Österreich wurde 1938 das deutsche HGB übernommen. Die h.M. zu § 98 österr. HGB ging im Einklang mit jener in Deutschland dahin, dass der Makler kraft Stellung als unparteiischer Mittler auch jener Partei des Hauptgeschäfts, mit der er in keiner maklervertraglichen Beziehung steht, vertraglich zum Schadensersatz verpflichtet sei (Straube /Griß-Reiterer, Komm, zum österr.HGB, 2. Aufl. 1995, § 98 Rn. 1). Durch das MaklerG von 1996 wurden die §§ 93 ff. österr.HGB aus dem HGB ausgelagert und dort systemkonform aufgenommen. Dabei wurde aber § 98 österr.HGB a.F. ersatzlos aufgehoben (vgl. F romherz, österr. HGB, MaklerG § 19 Rn. 1). Zur Rechtslage nach dieser Streichung auf der Grundlage des in § 1295 ABGB eine große Generalklausel enthaltenden österr. Rechts Fromherz, österr. HGB, MaklerG § 20 Rn. 13: „Nach der ersatzlosen Aufhebung des § 98 HGB durch das MaklerG sollte zumindest für Österreich nicht mehr zweifelhaft sein, daß die schadensersatzrechtliche Haftung des Handelsmaklers nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen ist und eine Haftung ex contractu auch beim Handelsmakler vom Bestehen eines Maklervertrages abhängig ist." Eine inhaltliche Ablehnung der Haftung auch dem NichtVertragspartner gegenüber ist darin nicht zu sehen. 132 Baumbach//Zopi, HGB, § 93 Rn. 27; Hey mann/Herrmann,
HGB, § 93 Rn. 10.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
197
die gerade haftungsrechtlich entscheidend abgestellt wird, so finden sich Übereinstimmungen in den tatsächlichen Gegebenheiten und den zugrundeliegenden rechtlichen Wertungen. Die historisch wie gegenwärtig genannten Gründe der Haftung des Handelsmaklers sind sämtlich auch in den Experten-Fällen auszumachen. Während der Handelsmakler seine spezifischen Kenntnisse für einen bestimmten Markt anbietet und die Suche beider Parteien nach einem geeigneten Vertragspartner koordinieren soll, bietet der Gutachter seine Kenntnisse über den zu veräußernden Vertragsgegenstand an und wirkt so präjudizierend auf die Preisfindung beider Parteien ein. Jeweils werden die besonderen beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Leistungserbringer beiden Parteien gewährt. Sie dienen beiden gleichermaßen, was besonders in den Experten-Fällen hervorgehoben wird. Und auch die Haftung aus § 98 HGB, so treffend Schröder, beruhe auf der Erwägung, dass der Handelsmakler für beide Parteien tätig werde. 133 Gerade die für den Handelsmakler charakteristische neutrale und unparteiische Stellung zwischen den gegenläufigen Interessen der Parteien kommt auch dem Experten zu. Erst durch diese Neutralität gewinnen beide Einfluss auf den Vertragsschluss. Sie überhaupt erst ist es, die sich schadensursächlich niederschlägt. Denn eine Bezugnahme oder ein Einlassen auf die Leistung von Handelsmakler wie Experte durch die Gegenseite findet nur und gerade wegen der Neutralität des Leistenden statt. Sie ist es, die ein „Vertrauen" erst rechtfertigt. Mit seiner auf den amtlichen Makler zurückgehenden Stellung als Urkundsperson 1 3 4 ist der Handelsmakler zudem auch mit dem Rechtsanwalt in den Testamentsfällen vergleichbar. 135 Ebenso wie dieser muss auch der Handelsmakler die Vertragshindernisse ausräumen oder kundgeben. Und ebenso wie dieser haftet er auf das positive Interesse (den entgangenen Gewinn), wenn durch sein Verschulden die Übertragung oder Veräußerung nicht gelingt. 136 Gemeinsam ist auch die Zufälligkeit des Vorliegens eines Vertragsschlusses zwischen Schädiger und Geschädigtem. Der Handelsmakler wird üblicherweise, der Experte stets nur von einer Seite beauftragt, und beide stehen dann zu dem jeweiligen Gegenüber des Auftraggebers in keinem Vertrags Verhältnis. Der Vertragsschluss auf der einen oder anderen Seite ist dabei zufällig. Beim Handelsmakler ist es sogar oft unklar, auf wessen Veranlassung und damit in wessen Auftrag dieser 133 Schlegelberger/Schröder, HGB, § 98 Rn. 2. 134 So Lehmann, Lehrbuch d. Handelsrecht, S. 241: Der Handelsmakler nehme „eine Art Notarsstellung" ein. 135 So für das österr. Recht Rummel/Reischauer, Komm, zum ABGB, Bd. 2, § 1299 Rn. 18: Wenn der Anwalt von beiden Vertragsparteien ins Vertrauen gezogen werde bzw. diese davon ausgehen dürften, dass er unparteiisch formuliere, so sei er beiden gegenüber zur sorgfältigen Wahrung ihrer Interessen verpflichtet. Die Stellung des Anwalts als Vertrauensperson sei in diesen Fällen durchaus der eines Notars und bzgl. der Sorgfaltspflichten gegen beide Parteien der eines Handelsmaklers und damit der Regel des § 98 österr. HGB (a.F.) übereinstimmend mit § 98 (dt.) HGB - vergleichbar. 136 Hey mann/Herrmann, HGB, § 98 Rn. 2; Schlegelberger/Schröder, HGB, § 98 Rn. 4.
198 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
tätig wird. 1 3 7 Aber auch in den Expertenfällen hätte der Vertragsschluss vom tatsächlichen Ablauf her ebenso gut mit der anderen Partei, d. h. dem Geschädigten erfolgen können. Aufgrund dieser Zufälligkeit darf es folglich auf den Vertragsschluss als Haftungskriterium nicht ankommen. Nicht zufällig ist hingegen, dass bei Verschulden des Maklers oder Experten auch eine andere Partei als der Vertragspartner zu Schaden kommen kann. Dies ist beiden bei ihrer Tätigkeit bewusst, dem Handelsmakler, weil er mit dem Gegner (zumeist) in unmittelbaren Kontakt tritt, aber auch dem Experten, weil der Gegenstand seiner Leistung, (auch) einem Dritten zugute kommen oder in Form eines Gutachtens als Grundlage einer Veräußerung oder Kreditfinanzierung dienen soll. Handelsmakler und Experte „adressieren" die versprochene Leistung, die Nutzung ihrer Kenntnisse über Markt oder Ware, an beide Parteien, der Handelsmakler durch Aufnahme von Verhandlungen mit dem Gegenüber, 138 der Experte durch Abfassung seines Gutachtens im Bewußtsein der diesem innewohnenden Zweckrichtung. Der Dritte nimmt dabei die Leistung ebenso wie der Auftraggeber bestimmungsgemäß in Anspruch. Die bei fehlerhafter Leistung eintretende Schädigung des Dritten ist damit nicht lediglich zufällig, sondern vorhersehbar und folglich kalkulierbar. Zufällig bleibt dann nur, wen von beiden Vertragspartnern das Fehlverhalten schädigt. Und schließlich findet sich in weiterer Übereinstimmung trotz gesetzlicher Normierung für den Handelsmakler ebenso wie für den Experten der Erklärungsversuch, auch seiner Haftung ein Vertragsverhältnis als Grundlage zu unterstellen und damit § 98 HGB als einheitliche vertragliche Haftung zu deuten. Der Handelsmakler soll beiden Parteien haften, weil er zu beiden in ein Vertragsverhältnis trete. Doch wird gerade aus dem Vergleich von Handelsmakler und Experte deutlich, dass die Neutralität und Unparteilichkeit, die den Handelsmakler ausmacht, überhaupt erst die Voraussetzung dafür schafft, dass hier ein Vertragsschluss mit dem Kontrahenten ohne entgegenstehende Interessenkollisionen angenommen werden kann. Denn sie - so die zeitlose Überzeugung zu § 98 HGB - macht seine Haftung aus. Ein unterstellter Vertragsschluss auch zur Gegenpartei, etwa in Form eines Auskunftsvertrags oder einer Drittschutzabrede, ist von ihr lediglich abgeleitet und damit als bloß nachgeschobene Hilfskonstruktion entbehrlich.
137 Es ist sogar der Fall denkbar, dass der Handelsmakler zunächst ohne konkreten Auftag tätig wird und sich die Vertragsparteien erst im Verlauf seiner Vermittlungsversuche herausstellen. Aus diesen rein tatsächlichen Schwierigkeiten wird denn auch die Vorschrift des § 99 HGB zu erklären versucht, der bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung dem Makler einen Lohnanspruch gegen beide Parteien je zur Hälfte zuspricht. 138
Dazu Goldmann, HGB, § 98 Anm. 2: „Hierbei ist zu beachten, daß die beiden Parteien, deren jeder der Handelmäkler haftet, nicht nur der Auftraggeber und diejenige Partei, mit welcher schließlich der Vertrag zu Stande gekommen, sondern der Auftraggeber und jede Partei ist, welcher gegenüber der Handelsmäkler mit deren Zustimmung zum Zwecke der Herbeiführung des Vertragsabschlusses eine Vermittlerthätigkeit ausgeübt, auch wenn diese Thätigkeit den Erfolg des Zustandekommens des Vertrages demnächst nicht gehabt hat"; so auch Düringer/Hachenburg, HGB, § 98 Anm. 2.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
b) Verfehltheit
199
der bisherigen Sichtweise
Es offenbart sich bei diesem Vergleich eine durch die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bedingte, verfehlte Akzentuierung des Haftungsgrundes in den Gutachter- und Expertenfällen durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine Haftung für primäre Vermögensschäden Dritter erfolgt nicht ausnahmsweise auch bei Gegenläufigkeit der Interessen zwischen Auftraggeber und zu schützendem Dritten, wie aber die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte suggeriert, wenn sie stets auf ein Gläubigerinteresse abstellt und bei dessen Herleitung gegenläufige Interessen des Dritten für nicht hinderlich erklärt. Gerade diese Gegenläufigkeit der Interessen begründet erst die Situation, in der der Handelsmakler, aber auch der Gutachter als neutrale, unparteiische Person zwischen den Parteien auftreten kann und gerade auch soll. Erst im Widerstreit der Interessen kommt der „objektiven" Leistung des Gutachters gleichmäßige Bedeutung für beide Vertragsgegner zu. Die Neutralität gegenüber den gegenläufigen Interessen, die in § 98 HGB die Haftung zugleich gegenüber Auftraggeber und Drittem begründet, ist folglich auch in den Fällen des Vermögensschutzes durch den Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wesentliches Haftungsmoment.
c) Einbindung in das Haftungssystem des BGB Auch für das Verständnis des § 98 HGB muss die herkömmliche Suche nach dem Haftungsgrund umgedreht werden. Zu suchen ist nicht ein den Vertragsschluss zwischen Handelsmakler und Auftraggeber kompensierendes Moment auch gegenüber der Gegenpartei. 139 Sondern es ist zu fragen, welche Kriterien eine ausufernde Haftung durch eine drohende Potenzierung der Gläubigerzahl in diesem Fall verhindern. Es sind damit gerade für eine „Fruchtbarmachung" in den ExpertenFällen die Voraussetzungen zu suchen, die eine Wiedergutmachung auch von Vermögensschäden hier erlauben. Dies ist im Verhältnis zum Auftraggeber das relative Vertragsverhältnis, nicht aber auch zur anderen Partei. Doch auch zu ihr tritt der Handelsmaklers in gleicher Weise in Kontakt. Seine Neutralität bedingt und bezweckt den Schutz beider Kontrahenten. Sie bringt beide Parteien dazu, sich auf 139 So etwa Wiegand in ihrer Bewertung des § 98 HGB (Sachwalterhaftung, S. 287 f. m. Fn. 2): Ihrer Ansicht nach müsse für die Begründung und Fortbildung der Dritthaftung bzw. Eigenhaftung Dritter eine der Sonderverbindung vergleichbare Haftungsbasis, ein sog. „Gleichstellungsgrund", gesucht und aufgezeigt werden. Diesen meint sie in § 98 HGB allein in Gestalt der Überparteilichkeit gefunden zu haben. Auch Wiegand unternimmt damit den untauglichen Versuch, das Verhältnis zwischen vertraglich ungebundenen Personen auf die Stufe eines Vertragsverhältnisses zu erhöhen, um so über das Kriterium der Unparteilichkeit die Anwendung vertragsähnlicher Grundsätze zu rechtfertigen. Jedoch beschreibt die Neutralität zunächst nur die Charakteristik des § 98 HGB und das Phänomen dieser Fälle, nicht aber zugleich den Grund der Haftung auch für reine Vermögensschäden. Diesen gilt es erst aufzudecken.
200 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
die Leistung des Handelsmaklers zu verlassen. Und sie macht beide Interessen für den Handelsmakler erst greifbar und schützenswert. An beide erbringt er zielgerichtet seine vermittelnde Tätigkeit. Daraus folgt für ihn erkennbar die Pflicht, beider Interessen gleichermaßen wahrzunehmen und beide Seiten nicht zu schädigen. Der Schutzanspruch und dem folgend die Haftung erwächst aus der Wahrnehmung beider Interessen. Beide Parteien stehen damit bereits vor dem schädigenden Verhalten als mögliche Geschädigte bei Fehlern der Vermittlungstätigkeit fest. Ebenso wie zum Auftraggeber das Vertragsverhältnis, so besteht auch zum vermittelten Partner eine durch Vereinzelung und Individualisierung gekennzeichnete Sonderverbindung im haftungsrechtlichen Sinne, die es rechtfertigt, die Wiedergutmachungspflicht auch auf Vermögensschäden zu erstrecken. Eine Ausuferung der Haftung droht hier ebenso wie im Vertragsverhältnis nicht. Die Vorschrift des § 98 HGB kann damit als ein besonderer gesetzlicher Fall einer hier gesuchten Sonderverbindung gewertet werden.
6. Anwendungsbereich und Analogiefahigkeit des § 98 HGB Der nun naheliegende Versuch, den Gedanken der Haftung des Handelsmaklers nach § 98 HGB auch auf Sachverständige und andere Experten (analog) anzuwenden, stößt sich jedoch an dem engen Anwendungsbereich der handelsrechtlichen Bestimmungen. Die §§ 93 ff. HGB haben ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich klare Grenzen hinsichtlich Personenkreis (Subjekt), Tätigkeit und Objekt der Vermittlung gesetzt. Erfasst sind nur gewerbsmäßig handelnde Personen, das Vermitteln von Veräußerungsgeschäften und Gegenstände des Handelsverkehrs.
a) Die Haftung des Gebrauchtwagenhändlers der Sachwalterhaftung
im Wege
Noch von diesem Anwendungsbereich erfasst, können etwa die umstrittenen Fälle des Gebrauchtwagenhandels durch Kfz-Händler in direkter Anwendung von § 98 HGB gelöst werden. 140 In diesen Fällen, die der Bundesgerichtshof über die Dritthaftung aus culpa in contrahendo löst, 141 in denen aber ebensogut ein vertraglicher Drittschutz zu konstruieren wäre, tritt der Kfz-Händler nicht selbst als Verkäufer, sondern als Vermittler des Gebrauchtwagenverkaufs und Abschlussvertreter des Verkäufers auf. 142 Entdeckt der Käufer nach dem Erwerb am Gebrauchtwa140
In diese Richtung auch Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 346 ff. Oft zusammengefasst als „Sachwalterhaftung" bezeichnet; vgl. zur Definition des Sachwalters BGH NJW 1997, 1233. 142 BGHZ 63, 382, 385 f.; 79, 281 ,286 f.; 87, 302, 304 ff.; NJW 1980, 2184, 2185; Palandt/Heinrichs, BGB, § 276 Rn. 98; Medicus, Bürgerl. Recht, Rn. 200a. 141
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
201
gen Mängel, so kann er „nach gefestigter Rechtsprechung des B G H " 1 4 3 den KfzHändler aus culpa in contrahendo auf Schadensersatz in Anspruch nehmen, wenn diesem die Mängel bekannt waren oder er sich deren Möglichkeit bewusst war. Bei konkreten Anhaltspunkten, die den Verdacht auf Schäden am Fahrzeug oder andere ungünstige und für den Vertragsschluss mitbestimmende Umstände rechtfertigen, könne daraus die Pflicht zur Untersuchung des Fahrzeugs oder zum Hinweis an den Käufer folgen. 144 Der Bundesgerichtshof begründet diese Einstandspflicht unter Nicht-Vertragspartnern für lediglich fahrlässig verursachte Vermögensschäden mit der als Vertreter eingenommenen Stellung als „Quasi-Verkäufer" sowie dem über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende besonderen persönlichen Vertrauen. 145 Eben diese Haftung ist aber nicht aus einem Vertreterverschulden bei Vertragsschluss herzuleiten, sondern aus der Stellung als neutraler Vermittler und § 98 HGB. Denn der Kfz-Händler geriert sich in diesen Fällen als „Makler" des anzubahnenden Kaufvertrags. Er bietet beiden Vertragsparteien seine Vermittlerdienste und zugleich seine besonderen Fähigkeiten und sein Wissen über Markt und Kaufgegenstand an. Er erbringt damit eine Leistung, die der Verkäufer selbst niemals erbringen könnte und er ist daher eben gerade nicht nur bloßer Vertreter. 146 Es wird dann auch offensichtlich, dass den bloßen Vermittler - wie auch sonst - keine allgemeine Pflicht zur Überprüfung der Ware trifft. 1 4 7 Er haftet aber bei offensichtlichen, für den Fachmann erkennbaren Mängeln und insbesondere dann, wenn er den Wagen als von ihm „werkstattgeprüft" vermittelt, auch dem Käufer gegenüber aus § 98 HGB. Der Kfz-Händler handelt gewerbsmäßig und man wird nicht bestreiten können, dass Gebrauchtwagen heute Gegenstände des Handelsverkehrs sind. Die §§ 93 ff. HGB sind für diese Deutung offen.
b) Die Grenzen einer Analogie zu § 98 HGB Ausgenommen von dem Anwendungsbereich der handelsrechtlichen Vorschrift sind aufgrund dieser gesetzlichen Grenzziehung Grundstücksmakler und alle freien Berufe. Einer Anwendung des § 98 HGB auf Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und - noch ferner liegend - Gutachter von Hausgrundstücken steht diese Beschränkung entgegen. Hier kommt nur eine Analogie zu § 98 HGB in Betracht. 143 Vgl. etwa nur BGH NJW 1997, 1233. 144 BGH NJW 1980, 2184, 2185 f. 145 BGHZ 63, 385 f. 146 Der Käufer sucht hier bewusst nicht in den Kleinanzeigen einer Zeitung ein von privater Hand angebotenes Gebrauchtfahrzeug, sondern legt Wert auf die Dienste und das Wissen eines Kfz-Händlers, auch wenn dieser formal nur als Vertreter auftritt, er aber auch seinen eigentlichen Vertragspartner - wenn überhaupt - erst nach seinem Entschluss, den Vertrag abzuschließen, zu Gesicht bekommt. Und eben dafür - so muss er sich jedenfalls bewusst sein - zahlt er dann auch einen höheren Kaufpreis, von dem eine Provision an den Kfz-Händler abfließt. 147 Schlegelberger/Schröder, HGB § 93 Rn. 13; Hey mann /Herrmann, HGB, § 93 Rn. 10.
202 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
aa) Den Versuch einer Analogie zu § 98 HGB hat bereits Wiegand unternommen. 148 Sie hat dabei die Grundlagen einer Analogie für den Bereich der „Dritthaftung" abgesteckt.149 Bereits § 93 Abs. 1 HGB enthalte mit der Wendung „sonstige Gegenstände des Handelsverkehrs" eine gewisse Öffnung für neue Tatbestände. Vom Wirtschaftsleben neu hervorgebrachte Handelsobjekte wie etwa die Vermittlung von Beteiligungen an Publikumsgesellschaften könnten auf diese Weise erfasst werden, soweit darüber „kaufähnliche" Verträge abgeschlossen würden. 150 Demgegenüber hindere der in § 93 Abs. 2 HGB deutlich ausgesprochene Gesetzgeberwille, die Grundstücksvermittlung auszuschließen, eine Analogie der Norm auf Verträge mit unbeweglichen Sachen wie überhaupt auf andere Gegenstände als solche des Handelsverkehrs. 151 Nicht über den Weg einer Analogie zu erfassen seien demnach die Vermittlung von Verträgen nicht kaufähnlichen Inhalts und der Bereich des Immobilien Verkehrs. Innerhalb dieser Grenzen könne § 98 HGB aber auch über das bloße Vermitteln hinausgehende Tätigkeiten erfassen. Wiegand befürwortet eine „personelle Analogieerstreckung auf Ratgeber und Vertragsgestalter oder -errichter" wie etwa Rechtsanwälte.152 Das Rollenbild des Handelsmaklers sei nicht auf bloßes Vermitteln beschränkt, sondern dieser dürfe auch Beratungsleistungen erbringen, ohne dass er deshalb nicht mehr Handelsmakler wäre. „Unabdingbarer Kern" der Verantwortlichkeit nach § 98 HGB sei aber, dass der Makler haften solle, weil er keine Seite übervorteilen dürfe, sondern immer beider Vorteil anstreben müsse.153 Und wenn die Fälle dieselbe Besonderheit aufwiesen, nämlich die Unparteilichkeit der Abschlussförderer zwischen zwei Kontra-
148 Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 351 ff. 1 49 Wiegand hat dabei auch die Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, namentlich die Sachverständigen-Fälle im Blick, Sachwalterhaftung, S. 348, 358. Auch diese Fälle will sie über eine Analogie zu § 98 HGB lösen. 1 50 Dies., Sachwalterhaftung, S. 352 f. Für eine Anwendung des § 98 HGB auf die Vermittlung von Kommanditbeteiligungen an Publikumsgesellschaften trat zuvor bereits Lutter ein, FS Bärmann, S. 614 f. Fn. 23 (s.o.u. 12 a); zust.: Heymann/Herrmann, HGB, § 98 Rn. 4: „Dadurch wird zugunsten der Anleger eine Haftung aus § 98 wegen schuldhaft pflichtwidriger Fehlinformation und falscher Beratung eröffnet." 151 Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 352. Und in der Tat wurden Bestrebungen, die Vorschriften über den Handelsmakler auf alle Personen zu beziehen, die gewerbsmäßig für andere Personen Verträge vermitteln unabhängig von der Art des Vertrages, im Gesetzbegungsverfahren ausdrücklich verworfen, wobei insbesondere die Gleichstellung der Immobilienmakler diskutiert wurde, vgl. Kommissionsbericht bei Hahn/Mugdan, Materialien zum HGB, 1897, S. 576 ff.: „Dem wurde entgegengehalten, daß es nicht wünschenswerth sei, die Bezugnahme auf den Handelsverkehr zu beseitigen. Der Entwurf halte bei den Hülfspersonen des kaufmännischen Verkehrs, den Handlungsgehülfen, den Handelsagenten und den Handelsmaklern den Zusammenhang mit dem Handelsgewerbe beziehungsweise den Gegenständen des Handelsverkehrs fest. Diesen festen Boden solle man nicht verlassen, da es sich um ein Handelsgesetzbuch und nicht um die generelle Regelung der Rechtsverhältnisse der gewerbsmäßigen Makler handele." 152 Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 356. 153 Dies., Sachwalterhaftung, S. 358.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
203
henten, dann lasse sich die Analogie auf diesen gemeinsamen Kerngedanken der Fälle stützen. 154 Dabei stehe einer Analogie zum Handelsrecht nicht entgegen, dass es sich bei Anwälten um Freiberufler handelt, deren Tätigkeit nur nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, wenn diese einen unternehmerischen Einschlag aufwiesen. 155 Und auch das Recht des Zivilmaklers schließe eine davon abweichende Haftung nicht aus, da der Zivilmakler typischerweise nur Vertreter der Interessen einer Partei sei, und daher eine Haftungslücke verbleibe, wenn der Makler auch außerhalb des Handelsrechts die Wahrnehmung der Interessen beider Parteien schulde. Eine Analogie zu § 98 HGB sei damit auch für freiberufliche Tätigkeit möglich, wenn es um ein Auftreten gehe, das gerade das charakteristische Merkmal unparteiischer Interessenwahrnehmung aufweise. 156 bb) Folgt man dieser Bewertung einer Analogiefähigkeit, so bleibt die Frage insgesamt unentschieden, wie § 98 HGB in den Expertenhaftungs-Fällen fruchtbar zu machen ist. Die Bewertung von Grundstücken, aber auch von Unternehmen ist, da deren Veräußerung kein Handelsgeschäft darstellt, auch selbst nicht unter § 98 HGB zu fassen. Anderes kann demnach gelten, wenn die Bewertung zum Zwecke der Sicherung eines Bankkredits erfolgt, da dieser Gegenstand des Handelsrechts ist. Ungelöst bleiben ferner auch die Fälle der Testamentserrichtung. 157 Zudem bleiben aufgrund der besonderen handelsrechtlichen Herkunft der Haftung Zweifel gegenüber einer schlichten Übertragung dieses Haftungsgedankens auch auf die Experten-Fälle bestehen, ob nicht in § 98 HGB nur eine Sonderregelung für die besondere Figur des Handelsmaklers geregelt ist, die einer Verallgemeinerung nicht zugänglich wäre. Diese Zweifel werden noch durch § 99 HGB verstärkt, der nach heute herrschender Auslegung dem Handelsmakler auch dann einen hälftigen Provisionsanspruch gegen den Geschäftsgegner gewähren soll, wenn mit diesem kein Maklervertrag abgeschlossen wurde. 158 Dem Geschäftsgegner wird damit auch ohne Vertragsschluss ein Primäranspruch eingeräumt, was mit den Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre nicht vereinbar ist. 1 5 9 154
Dies, so Wiegand, gelte auch für Fälle, in denen der Vermittler eines Geschäfts Unparteilichkeit verspricht oder vorgibt, Sachwalterhaftung, S. 354 f. 155 Dies., Sachwalterhaftung, S. 359 ff. m. w. N. 156
Dies., Sachwalterhaftung, S. 362. Wiegand selbst sieht insgesamt für eine Analogie zu § 98 HGB „eine recht weitgehende Basis, eine Dritthaftung nach vertragsnahen Regeln anzuerkennen"; ebenda, S. 363. Und zwar soll für diese immer Raum sein, „wenn eine berufliche Tätigkeit im Vorbereitungsstadium eines fremden Vertrages mit dem ausdrücklichen oder konkludenten Versprechen der Unparteilichkeit ausgeübt wird oder Unparteilichkeit gesetzlich angeordnet ist". Beispielhaft nennt Wiegand die Tätigkeit von Anwälten und Steuerberatern beim Erstellen von Vertragsentwürfen. 157 Völlig außerhalb des Anwendungsbereiches hält Wiegand die Testamentsfälle, in denen sich der mit der Testamentserrichtung beauftragte Anwalt bis nach Ableben des Auftraggebers zum Nachteil der potentiell Begünstigten verspätet, Sachwalterhaftung, S. 348 f. 158 So Heymann /Herrmann, HGB, § 99 Rn. 1; Ruß in HK, HGB, § 99 Rn. 1; Baumbach/ Hopt, HGB, § 99 Rn. 1; Koller/Roth/Morck, HGB, § 99 Rn. 1; a.A. Schlegelberger/Sc/iröder, HGB, § 99 Rn. 9: nur einschlägig, wenn zu beiden Parteien ein Vertragsverhältnis bestehe; Canaris, Handelsrecht, § 21 Rn. 30: § 99 HGB betreffe nur den „Doppelmakler".
204 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung c) Reduzierung auf den klaren Regelungsgehalt der Vorschrift Festzuhalten bleibt jedoch, dass § 98 HGB einen Tatbestand der außervertraglichen Haftung für primäre Vermögensschäden Dritter regelt. Diese wird dem neutralen, unparteiischen Vermittler von Handelsverträgen in Ergänzung der vertraglichen Haftung gegenüber seinem Auftraggeber auch gegenüber dem Mitkontrahenten auferlegt. Weiter nachzuprüfen bleibt, ob es sich hierbei um einen spezifischen Einzelfall oder um die gesetzliche Ausprägung einer allgemeinen Regel handelt.
II. Die Haftung bei Amtspflichtverletzungen nach § 839 BGB und § 19 BNotO 1. Die Bedeutung für die vorliegende Problematik Ein Vergleich der Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte mit der Haftung des Beamten nach § 839 Abs. 1 S. 1 B G B und des Notars nach § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO für Amtspflichtverletzungen erscheint zunächst fern liegend, geht es doch dort um den speziellen Fall der Haftung öffentlich angestellter Personen i m Rahmen ihrer hoheitlichen Tätigkeit. Es handelt sich anders als in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte nicht um die Verletzung vertraglicher Pflichten, sondern um deliktische Haftung für die Verletzung hoheitlicher Amtspflichten. Die Fälle haben somit äußerlich nichts gemein. Gleichwohl sind diese Tatbestände hier von Interesse, ordnen sie doch den Ersatz jeglicher Schäden und damit auch reiner Vermögensschäden bei lediglich fahr159 Zu Recht daher die Kritik von Canaris , Handelsrecht, § 21 Rn. 29: Bei § 99 HGB gehe es anders als bei § 98 HGB nicht um „bloße Schutzpflichten, bei deren Verletzung eine Dritthaftung nach dem heutigen Stand der Dogmatik nichts Ungewöhnliches ist, sondern um die Erfüllung der primären Leistungspflicht, die allein den Vertragsparteien obliegt, so daß § 99 HGB nach der Gegenansicht zu der - wohl geradezu verfassungswidrigen - Konstruktion eines Vertrags zu Lasten eines Dritten im Gewand einer gesetzlichen Haftungsregelung führen würde". Zudem ist bei der Anwendung der §§ 93 ff. HGB stets zu beachten, dass diese ursprünglich auf den amtlichen Handelsmakler zugeschnitten waren, die Provision damit eine Gebühr darstellte und so auch dem Geschäftskontrahenten auferlegt werden konnte (vgl. Heymann in Ehrenberg, Handelsrecht, S. 387; Staub, ADHGB, zu Art. 83, S. 129: „Die Quelle dieser Vorschrift ist der amtliche Charakter des Handelsmaklers"). Will man keinen unzulässigen willensunabhängigen Primäranspruch auf Vergütung begründen, so ist dies bei einem Transfer ins Vertragsrecht zu beachten und § 99 HGB nur auf den Fall beiderseitigen Beauftragung zu beschränken. So auch erstaunlicherweise bereits die Motive zum Entwurf von 1848/49 bei Baums, Entwurf, S. 182: „Gegen eine Bestimmung, welche den Parteien die gemeinschaftliche Entrichtung der Courtage auferlegte, spricht, daß vom rechtl. Standpunkte nur der Auftraggeber als der Verpflichtete erscheint, und demgemäß ist im Entwurf als Regel angenommen, daß, in Ermangelung einer anderen Übereinkunft unter den Parteien, der Auftraggeber die Courtage entrichten soll." Und so auch Staub, ADHGB, S. 134, zum Privathandelsmakler: „Als Verpflichteter zur Zahlung steht ihm lediglich sein Mandant gegenüber." Das bloße Gefallenlassen der Maklerdienste könne aber u.U. als Auftrag zu gelten haben.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
205
lässiger Verursachung an, ohne die Ersatzpflicht dabei mangels vertraglichem Auftragsverhältnis auf die Person des Vertragspartners beschränken zu können. Denn, so ist anerkannt, die deliktische Haftung ist hier gegenüber den allgemeinen Vorschriften insofern erweitert, als jede schuldhafte Verletzung der Amtspflicht, die dem Beamten gegenüber einem Dritten obliegt, die Haftung für den dem Dritten dadurch entstandenen Schaden auslöst, ohne Rücksicht darauf, ob die Amtspflichtverletzung den Tatbestand der §§ 823 ff. BGB erfüllt oder nicht. Es genügt, dass die Amtspflichtverletzung nur allgemein eine Vermögensschädigung zur Folge hat, ohne dass ein Eingriff in bestimmte Vermögensrechte vorliegt oder ein Schutzgesetz verletzt ist. 1 6 0 Eine Konkretisierung und Begrenzung der Anspruchsberechtigten muss also auf anderem Wege erfolgen. Und eben diese Bestimmung der Schadensersatzberechtigten gilt es genauer zu betrachten. Das Interesse an diesen Tatbeständen für unsere Problematik wird dabei insbesondere durch den bereits aufgezeigten Vergleich des Anwalts mit dem Notar geweckt, 161 ist doch für die Haftung des Notars heute nach § 19 Abs. 1 BNotO, früher nach § 839 Abs. 1 BGB und im gemeinen Recht im Wege der Syndikatsklage stets und immer schon anerkannt, dass dieser für schuldhaft verursachte Fehler bei der Testamentserrichtung gegenüber den in Aussicht genommenen Erben haftet, auch wenn ihn ausschließlich der Erblasser um die Errichtung des Testaments ersucht hatte. 162 Und gerade diese Haftung soll der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte entsprechend für den Rechtsanwalt begründen.
2. Vergleich der unterschiedlichen Haftungsausgestaltungen von Notar und Rechtsanwalt a) Der Haftungstatbestand des § 839 Abs. 1 BGB und des § 19 Abs. 1 BNotO Im Gegensatz zu den ungeschriebenen Grundlagen einer vertraglichen Haftung ist der Tatbestand des § 839 Abs. 1 BGB offen für die Einbeziehung mehrerer Personen in den Schutzbereich einer Amtspflicht. Da eine vertragliche Begründung fehlt, kommt eine Beschränkung der Amtspflicht auf nur eine Person von vornherein nicht in Betracht. Ausreichend für die Haftung nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB ist allein die Verletzung einer dem Beamten „einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht", und dasselbe gilt - wenn auch nicht tatbestandlich exakt gleichlautend, so doch entsprechend - für § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO. Der Drittschutz scheint nach diesem Wortlaut geradezu die Aufgabe der Norm zu sein. 160 Vgl. dazu Staudinger/Schäfer, BGB, § 839 Rn. 6. 161 s. oben 1. Kap. C. IV. 162 Vgl. die o.g. Entscheidung BGH NJW 1997, 2327 m. w. N. für die Rechtsprechung sowie sogleich im Text unter 2. b).
206 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Die generalklauselartige Weite des Amtshaftungstatbestands und mithin der Kreis der geschützten Personen wird nach einhelliger Meinung durch den Schutzzweck der jeweils verletzten Amtspflicht begrenzt. 163 Diese muss dem Beamten ausschließlich oder zumindest auch im Interesse einzelner bestimmter Personen auferlegt sein. 164 Es findet sich hier gleichsam die zu unserer Fragestellung konträre Aufgabe, die aber beide ein und dasselbe Problem beinhalten. Während in § 839 Abs. 1 BGB eine Eingrenzung einer sonst zu weit gehenden Haftung für Vermögensschäden zu erreichen ist, wird mit Hilfe der Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte die Ausweitung zu enger Grenzen der Haftung für Vermögensschäden angestrebt. Jeweils geht es um die Bestimmung der geschützten, anspruchs- und ersatzberechtigten Personen. Der Kreis der Dritten wird dabei anknüpfend an den Schutzzweckgedanken sehr weit gezogen.165 Die Amtstätigkeit des Notars auf dem Gebiet des Beurkundungswesens etwa diene allgemein der Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs. „Die Amtspflicht, die erforderliche Sorgfalt auf die Erfüllung dieser Tätigkeit zu verwenden, liegt daher dem Notar nicht nur gegenüber dem ob, auf dessen Antrag er tätig geworden ist oder werden soll, bei Beurkundung eines Vertrags auch nicht lediglich gegenüber den Vertragsparteien, sondern gegenüber allen denen, die in betreff der Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse auf jenem Gebiete auf die pflichtmäßige Ausübung der Tätigkeit des Notars angewiesen sind." 166 Erfasst werden sollen alle Personen, die im Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit der Beurkundung im Rechtsverkehr tätig geworden sind. 167 Entsprechend sei in den Schutzbereich der Amtspflichten im Zusammenhang mit der Erteilung von amtlichen Auskünften und Beratungen derjenige einzubeziehen, auf dessen Antrag, in dessen Interesse sie erteilt würden oder der nach der Natur des Amtsgeschäfts durch sie berührt werde. 168 Ausscheiden müssten lediglich diejenigen, die nicht unmittelbar durch die Amtspflichtverletzung in ihrer Rechtssphäre betroffen seien, sondern erst mittelbar und eher zufällig durch ihre Auswirkung benachteiligt würden. 169 Und eine weitere Einschränkung sei dann notwendig, wenn
163 Soergel / Winke, BGB, § 839 Rn. 148, 151; MünchKomm ί Papier, BGB, § 839 Rn. 226; Staudinger/ Schäfer, BGB, § 839 Rn. 255, 257. 164 Staudinger/Schäfer, BGB, § 839 Rn. 236 m.w.H.; Soergel/Winke, BGB, § 839 Rn. 148. 165 MünchKomm/Papier, BGB, § 839 Rn. 235. 166 So bereits RGZ 78, 241, 245/246. Enstprechend die heutige Literatur, etwa MünchKommIPapier, BGB, § 839 Rn. 235; Staudinger/Schäfer, BGB, § 839 Rn. 256: „In den Kreis der Dritten fallen nicht nur die an einem Amtsgeschäft unmittelbar Beteiligten, sondern alle Personen, deren Interesse nach der besonderen Natur des Amtsgeschäfts, d. h. seinem Zweck und seiner rechtlichen Bestimmung nach durch dieses berührt wird, oder in deren Rechtskreis durch das Amtsgeschäft eingegriffen werden kann, auch wenn sie durch die Amtsausübung nur mittelbar und unbeabsichtigt betroffen werden." 167 MünchKomm/Papier, BGB, § 839 Rn. 235; Staudinger/Schäfer, 168 Soergel/ Winke, BGB, § 839 Rn. 158. 169 Staudinger/ Schäfer, BGB, § 839 Rn. 258.
BGB, § 839 Rn. 258.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
207
der Kreis im Zeitpunkt der Amtspflichtverletzung noch nicht übersehbar sei, sondern sich erst aus der späteren Entwicklung der Verhältnisse ergebe. 170
b) Die Haftung des Notars zugleich gegenüber den Erben und dem Erblasser Die heute als „gefestigte Rechtsprechung" zu bezeichnende Einbeziehung der vom Erblasser in Aussicht genommenen Erben in den Schutzbereich der dem Notar auferlegten Amtspflichten fand bereits früh ihre Begründung und selbst auf der Grundlage unterschiedlicher Rechtsordnungen gelangte man stets zu dem gleichen, einmütigen Ergebnis. 171 aa) Erkennbar erstmals unter Geltung des BGB stellte sich im Fall einer fehlerhaften Testamentserrichtung für das Reichsgericht in seinem Urteil vom 20. 6. 1904 die Frage, ob „für diese fahrlässige Beschädigung des Vermögens des Klägers (durch entgangenen Gewinn) der Beklagte diesem schadensersatzpflichtig sei". 1 7 2 Deutlich wird an den Ausführungen des Gerichts die auch in § 839 Abs. 1 S. 1 BGB enthaltene haftungsbegrenzende Funktion gegenüber dem früher ζ. T. geltenden Partikularrecht. „In dieser Beziehung liegt die hier zu entscheidende Frage eben nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche ganz anders, als dies früher nach denjenigen Rechtssystemen der Fall war, welche, wie ζ. B. das Preußische Landrecht und der Code civil, an jede schuldhafte Beschädigung fremden Vermögens die Pflicht zum Schadensersatze knüpften. Aus diesem Rechtssatze ließ sich ohne weiteres folgern, daß derjenige Beamte, durch dessen Schuld ein Testament in ungültiger Weise errichtet war, den darin Bedachten, denen folgeweise das ihnen vom Testator Zugedachte entgangen war, für diesen Schaden aufkommen müsse." 173 Bei der Anwendung des § 839 BGB, so das Reichsgericht, komme es darauf an, „ob einem Beamten, der verpflichtet ist, alle Sorgfalt anzuwenden, damit bei den vor ihm zu errichtenden Testamenten die gesetzlich erforderliche Form beobachtet werde, diese Pflicht nicht bloß dem Testator gegenüber obliegt, sondern auch denjenigen gegenüber, die der Testator letztwillig bedenken w i l l " . 1 7 4 Das Reichsgericht bejahte diese Frage, „da die Pflicht, bei einem Geschäft alle Sorgfalt anzuwenden, einem Beamten nicht bloß demjenigen gegenüber obliegt, auf dessen Antrag er das Ge170 Staudinger/ Schäfer, BGB, § 839 Rn. 258. 171 Vgl. für das gemeine Recht: OAG Berlin Seuffert Bd. 27, 136; zust. RGZ 46, 213, 215; für die Rechtsprechung des RG etwa RGZ 58, 296 ff.; 72, 324, 330; 78, 241, 243 f.; für die Rechtsprechung des BGH etwa BGHZ 27, 274, 275; 31, 5, 10. 172 RGZ 58, 296, 297. In dem Urteil ging es konktret um die Haftung eines Gemeindevorstehers wegen fehlerhafter Errichtung eines Nottestaments nach § 2249 BGB. Ersichtlich noch unsicher in der Arbeit mit dem neuen Gesetz wird von den Richtern sowohl § 823 Abs. 1 wie Abs. 2 BGB geprüft und verneint. 173 RGZ 58, 298. 174 RGZ 58, 298, m.w.H. für die damals vertretenen unterschiedlichen Auffassungen.
208 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
schäft vornimmt, sondern allen denjenigen gegenüber, deren Interessen nach der besonderen eigenen Natur dieses Geschäfts durch dasselbe berührt werden". 175 „Zu diesen Interessenten gehören eben bei einer letztwilligen Verfügung deren Wesen gemäß allemal auch die in derselben Bedachten."176 Das Reichsgericht ging damit im Rahmen der Haftung nach § 839 BGB ganz ähnlich vor, wie der Bundesgerichtshof später für die entsprechende Haftung des Rechtsanwalts. Gefragt wurde jeweils, ob neben dem primären Destinatär der Leistung, dem testierenden Erblasser, auch Dritte in den Schutzbereich der dem Schädiger obliegenden Pflicht einbezogen sind. Und auch heute spricht der Bundesgerichtshof von einer „öffentlich-rechtlichen Sonderbeziehung" zwischen Erblasser und Notar und für die Erben von einer „Einbeziehung in den Schutzbereich der Notarpflichten". 177 Die starre Grenze, die für die vertragliche Haftung das Relativitätsprinzip vorgibt, ist folglich zumindest gedanklich auch im Rahmen der Amtshaftung von Bedeutung. Hier ist ebenso wie bei Vertragspflichten herzuleiten, warum die Verletzung der Amtspflicht auch für den Erben einen Schadensersatzanspruch begründet. bb) Gerade aus einem historischen Rückblick heraus lässt sich die Nähe der beiderseitigen Problematik für die heute unterschiedlich behandelten Berufsgruppen anschaulich darlegen. Einen „Schnittpunkt" zwischen der Haftung von öffentlichen Notaren und privatrechtlichen Anwälten bildet dabei die Entscheidung des Reichsgerichts vom 12. 2. 1901. 178 Das Reichsgericht hatte hier die Frage der Haftung des Notars für fehlerhafte Testamentserrichtung demjenigen gegenüber, in dessen Interesse die darin enthaltenen Verfügung getroffen war, auf der Grundlage des Allgemeinen Badischen Landrechts zu entscheiden, das keinen allgemeinen Tatbestand der Haftung von Notaren für ihre Amtspflichtverletzungen enthielt. 179 Unter Heranziehung der deliktischen Generalklausel des § 1383 Bad. Allg. Landrecht wurde die Einstandspflicht - entsprechend der heute gezogenen Parallele - sowohl für den Fall vertraglicher Beauftragung durch den Erblasser, als auch der Erfüllung einer Amtspflicht bejaht. Gegen die Anwendung dieser Vorschrift zugunsten des in Aussicht genommenen Erben hatte die Revision - ähnlich der Argumentation im Testaments-Fall - vorgebracht, dass der Notar nur vom Erblasser „um seinen Rat 175 RGZ 58, 298 f. 176 RGZ 58, 299. Ähnlich bereits das Urteil des OAG Berlin v. 22. 4. 1872, Seuffert, Bd. 27, 136: „Mit Recht sind ferner die Richter der Vorinstanz davon ausgegangen, daß nach den betreffenden Bestimmungen der Notariatsordnung [von 1512] der Notar nicht ausschließlich seinem Requirenten für die durch sein Verschulden verursachten Schäden verantwortlich sei, sondern daß im vorliegenden Falle auch die Kläger (die im Testamente eingesetzten Erben) berechtigt seien, von dem Beklagten Schadensersatz zu fordern." 177 BGH NJW 1997, 2327, s. dazu bereits o. 1. Kap. C. IV. 178 RGZ 48, 355. 179 So RGZ 48, 358: „Es greifen daher für deren außerkontraktliche Haftung aus ihrer Amtsverrichtung die allgemeinen Grundsätze über die Haftung aus Vergehen und Versehen nach 1382 und 1383 Platz."
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
209
und um seine Thätigkeit angegangen worden sei, daß er nur diesem aus dem dadurch begründeten Vertrags Verhältnisse oder nach den Landrechtssätzen 1381 ac und ad 1 8 0 haften könne, und daß dadurch allein schon eine deliktische Haftung gegen den Kläger als Dritten ausgeschlossen sei". 1 8 1 Das Reichsgericht bestätigte zunächst, dass nur der Erblasser den Notar „angegangen" hatte, ferner sei es hier nicht der Fall, dass dieser „nicht bloß im Interesse des Klägers, sondern auch in dessen Namen und in dessen Vertretung gehandelt hätte". 182 Es könne auch „dahingestellt bleiben", ob ein privatrechtlicher Vertrag 183 oder „nur die Landrechtssätze 1381 ac und ad zur Anwendung kämen". Denn nach Sachlage wäre dem Erblasser gegenüber in allen Fällen eine Haftung für jede Fahrlässigkeit gerechtfertigt gewesen. „Die Ausführungen der Revision aber, daß jene Haftung des Beklagten gegen [den Erblasser] aus dem Vertrage oder vertragsähnlichen Verhältnisse dessen weitere Haftung aus Landrechtssatz 1383 gegen einen Dritten ausschließe, sind in den Rechten nicht begründet." Nach § 1383 Bad. Landrecht begründe jede widerrechtliche Beschädigung eines anderen durch Fahrlässigkeit die deliktische Verpflichtung zum Ersatz der dadurch verletzten Vermögensinteressen. Es sei dabei gleich, ob die schuldhafte Verletzung eines Vertrages nicht nur den Kontrahenten, sondern auch dem Dritten gegenüber eine Entschädigungspflicht begründe, oder ob sich dessen Haftung aus einer Amtspflichtverletzung ergebe. 184 „Eine Rechtspflicht zur Anwendung von Sorgfalt, und im Falle deren Verletzung eine fahrlässige Handlung liegt im Sinne jener Gesetzesvorschrift [§ 1383] und nach der ihr in der Rechtsprechung gegebenen Tragweite gegenüber einem Dritten jedenfalls dann vor, wenn ein Notar in Ausübung seines zur Wahrnehmung der Interessen aller erkennbar Beteiligten bestimmten Amtes oder Berufes ausschließlich oder doch vorzugsweise im Interesse jenes Dritten angegangen wurde und überdies durch Verletzung seiner Amts- oder Berufspflichten nach Sachlage nur diesen Dritten zu beschädigen vermochte." 185 Trotz völlig unterschiedlicher gesetzlicher Ausgangslage finden sich auch in dieser Entscheidung des Reichsgericht vergleichbare Begründungsmuster zur Dritthaftung des Anwalts. Das der Haftung gegenüber dem Erben heute wie da180 § 1381 ac und ad Bad. Allg. Landrecht regelten eine Haftung für fehlerhaften Rat im Rahmen einer Amtstätigkeit; abgedruckt in Materialien zum BGB, 1. Kommission, Redaktoren-Motive, Bd. 2, S. 13 (zu Art. 688). 181 RGZ 48, 358. 182 RGZ 48, 359. 183 Ausfühlich: „Wenn hier nur die Vornahme eines beruflichen Nebengeschäfts in Frage käme, ob ein der Dienstmiete oder dem Mandat ähnliches Vertragsverhältnis vorläge." 184 D.h. aus § 1381 ac u. ad. Dazu RGZ 48, 358: „Denn es fehlt an jedem Anhalte dafür, daß der badische Gesetzgeber durch Aufnahme jener Gesetzesbestimmungen über die quasikontraktliche Haftung aus Rat und Empfehlung eine deliktische Haftung gegenüber Dritten ausschließen und eine Inanspruchnahme aus Landrechtssatz 1383 auch für den Fall entgegentreten wollte, wenn gegenüber dem Dritten alle Voraussetzungen dieser Gesetzesbestimmung erfüllt wären." 185 RGZ 48, 359 f. 1
Plötner
210 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
mais entgegengebrachte Argument bloß einseitiger Beauftragung wurde, wenn auch auf Grundlage einer deliktischen Generalklausel, eindeutig auch für den Fall vertraglicher Beauftragung zurückgewiesen. Die angemahnte Beschränkung der Ersatzpflicht für Vermögensschäden auf die relative Vertragsbeziehung zwischen Erblasser und Notar wurde für den Fall der Testamentserrichtung ausdrücklich verworfen. 186 Ausschlaggebend für die Einstandspflicht war auch dort die Verletzung einer dem Interesse des Erben dienenden Verpflichtung. Und diese Vorgehensweise, für die das badisch-französische Recht 187 eine gesetzliche Grundlage bereitstellte, entspricht auch heute - ohne gesetzlichen Anknüpungspunkt - unserem Rechtsempfinden. Unabhängig vom Beruf des Schädigers findet sich hier ein die jeweilige Gesetzes- und Rechtslage übergreifender, einheitlicher Weg.
c) Die Aufdeckung eines einheitlichen Haftungsgedankens als Gleichbehandlungsgrund aa) Die gemeinsame Ausrichtung der Haftung am Schutzzweck der verletzten Pflicht Es soll hier nicht die Rede davon sein, es könnten Vertrags- und Amtspflichten generell gleichgestellt werden. Beide weisen grundsätzlich eine ganz unterschiedliche Struktur und ganz verschiedene Aufgabenziele auf. Der Beamte und Notar erfüllt eine öffentliche Aufgabe und dient damit dem Gemeinwesen, der vertraglich verpflichtete Rechtsanwalt hingegen nur seinem Auftraggeber. Und von der Unabhängigkeit des Notars, darauf weist mit Recht Köndgen hin, trennen den Anwalt jedenfalls Welten. 188 Es gilt aber aufzuzeigen, dass es einzelne vertraglich begründete Pflichten gibt, die mit einer Amtspflicht durchaus vergleichbar sein können. So sind etwa die Pflichten von Anwälten und Notaren bei Abfassung von Testamenten wie in den hier gegenübergestellten Fällen zweifellos vergleichbar, wenn nicht gar identisch. Eben aus diesem Grunde hat sich im Testaments-Fall das Berufungsgericht zur Begründung der Haftung des Anwalts neben den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte auch auf die ständige Rechtsprechung bezogen, nach der ein Notar bei gleichem Verhalten dem Erben haften würde. 189 Und diese Parallele wird z. T. 186
Anders RGZ 49, 269, für die Frage der Haftung des Notars wegen fehlerhafter Anfertigung einer Schuld- und Pfandverschreibung, in der ein privatschriftliches Entwerfen von Urkunden und keine Amtspflicht gesehen wurde, so dass die Haftung gegenüber geschädigten Dritten verneint wurde; vielmehr trete „das Recht aus dem Geschäfte zu Grunde liegenden Vertrages - Auftrages, Dienstvertrages - mit den sich hieraus ergebenden Rechtsfolgen ein" (ebenda, S. 276). 187
Das Allgemeine Badische Landrecht entspricht dem franz. Code civil. iss Köndgen, Selbstbindung, S. 372. 189 Vgl. Entscheidungsgründe BGH JZ 1966, 142, mit Verweis auf BGHZ 31, 5.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
211
auch im Schrifttum als maßgeblich angesehen.190 Anwalt wie Notar sollen für die rechtzeitige und formgerechte Abfassung des Testaments zu Lebzeiten des Erblassers sorgen. Folglich - so die allgemeine Schlussfolgerung - muss auch der vor Pflichtverletzungen zu schützende Personenkreis identisch sein. Ausgerichtet wird diese „Drittbezogenheit" am Schutzzweck der verletzten Pflicht, so bereits gesetzlich vorgegeben im Rahmen der Haftung nach § 839 Abs. 1 BGB, so aber auch offen ausgesprochen im Fall der Haftung des Anwalts. Der Bundesgerichtshof sieht auch hier als entscheidungserheblich an, dass sich „nach Sinn und Zweck des Vertrages zwischen dem Erblasser und dem Bekl. und nach den Grundsätzen von Treu und Glauben die Annahme rechtfertigt, eine vertragliche Sorgfaltspflicht habe dem Bekl. auch gegenüber der Kl. obgelegen".191 Denn, „sollten die Dienste, die der Bekl. dem Erblasser versprach, diesem auch dazu verhelfen, seine letzten Dinge zu ordnen, [ . . . ] so war die Tätigkeit des Bekl. der Sache nach doch auch und gerade der Kl. zu dienen bestimmt." 192 Neben der äußerlichen Ubereinstimmung der Fälle lässt sich damit auch eine gleichläufige Begründungsweise der Ansprüche auffinden. Die aus der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte herrührenden Argumente eines „nahen familiären Verhältnisses des Erblassers zu der Klägerin" oder einer „Fürsorge, die auf enger familiärer Verbundenheit beruhte", erweisen sich bei diesem Vergleich als zur Begründung der Haftung bloß vorgeschoben, inhaltlich aber völlig untauglich und unbeachtlich. Denn Gleiches muss auch - wie im Rahmen von § 19 BNotO - für einen in Aussicht genommenen Erben gelten, zu dem keine enge familiäre Verbindung besteht.193
190 Lorenz, JZ 1966, 143, meint, dass „das durchaus vertretbare Ergebnis, zu dem der BGH hier gelangt ist" auf der Grundlage einer großen Generalklausel „durch Herausarbeitung der konkreten Berufspflicht des Anwalts" gewonnen werden müsste und sieht darin „ein(en) Vorgang, der methodisch insofern mit § 839 BGB vergleichbar ist"; von Caemmerer, FS Wieacker 1978, S. 322: „Es ist anzunehmen, daß das dem Anwalt erteilte Mandat entsprechende Berufspflichten mit entsprechendem Haftungsrisiko zum Inhalt haben sollte." Die Parallele zum Notar wird auch von Kiss, W M 1999, 121, angeführt. Diesen Vergleich zieht auch Bosch, ZHR 163, 278, - allerdings in umgekehrter Richtung - , der Notare für Erklärungen außerhalb ihres Kerntätigkeitsbereichs „nach den gleichen Rechtsgrundsätzen haftbar" machen will wie Anwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. 191 BGH JZ 1966, 142. 192 BGH JZ 1966, 142. 193 Ebenso bereits von Caemmerer, FS Wieacker, S. 322: Auf ein Sorgeverhältnis mit personenrechtlichem Einschlag zwischen Vertragsgläubiger und Drittem könne es für die Bejahung des Drittschutzes nicht ankommen; der Fall könne nicht anders liegen, wenn der Erblasser die Absicht gehabt hätte, eine Stiftung zu bedenken oder einem Mitgesellschafter, den er sich als künftigen Unternehmensleiter dächte, ein Aktienpaket zu vermachen. 1*
212 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
bb) Die grundsätzliche Verschiedenheit von Amts- und Vertragspflicht und die entscheidungserhebliche Parallele der Fälle (1) Im Rahmen der Amtshaftung folgt die personelle Erweiterung der Haftung des Notars bei Fehlern der Testaments- und Vertragserrichtung über die Partei hinaus, die um die Amtstätigkeit ersucht und schließlich dafür bezahlt, nach dem herrschenden Verständnis zu § 19 BNotO nicht etwa aus dem fehlenden Auftrags Verhältnis mit dem Notar und damit einer von vornherein fehlenden Beschränkungsmöglichkeit. Denn das „Denken in Vertragskategorien" ist - wie gesehen - durchaus auch dem Amtshaftungsrecht eigen. Vielmehr wird dem Notar bereits von Gesetzes wegen die Wahrung aller an dem jeweiligen Amtsgeschäft unmittelbar oder auch nur - erkennbar - mittelbar beteiligten (Vermögensinteressen je nach Schutzzweck der dabei bestehenden Pflichten auferlegt. Dem Notar obliegt der Schutz aller dieser Interessen, und zwar in gleicher Weise. Es ist ihm insbesondere versagt, das eine oder andere Interesse vorzuziehen. Die Erfüllung der ihm übertragenen hoheitlichen (amtlichen) Aufgaben weist ihm notwendigerweise eine unparteiische, neutrale Stellung zwischen den beteiligten Personen zu. Er ist „unabhängige(r) Träger eines öffentlichen Amtes" (§ 1 BNotO) und nach § 14 Abs. 1 S. 2 BNotO „nicht Vertreter einer Partei, sondern unabhängiger und unparteiischer Betreuer der Beteiligten". Gerade diese neutrale, unparteiische Stellung bedingt den Schutz nicht nur einer Partei, sondern aller Beteiligter. Es tritt hiermit der gleiche Gedanke hervor, wie bei der Haftung des Handelsmaklers nach § 98 HGB - dort allerdings beschränkt auf die Personen des intendierten Vertrags. Auch der Handelsmakler ist in seinem historischen Ursprung zunächst eine Urkundsperson und nimmt damit eine notarsähnliche Stellung ein. 1 9 4 Und eben darin liegt auch das maßgebliche Unterscheidungskriterium zwischen Amtsverhältnis und üblichen Vertragsverhältnissen, welches letztlich eine Einordnung des Notars in ein ziviles Auftragsverhältnis verwehrt, soweit es um die ihm übertragene Kerntätigkeit geht. Denn der vertraglich Beauftragte ist nach dem gesetzlichen Leitbild stets nur ein einseitiger Interessenwahrer seines Auftraggebers. 195 Die vertragsrechtlichen Folgen sind nach dem Maßstab der vertraglichen Pflichtenbeziehung konstruiert und damit nicht auf objektive, sondern auf subjektive Parteiinteressen bezogen.196 (2) Diese ganz andere Pflichtenlage des Vertragsrechts tritt besonders beim Beruf des Rechtsanwalts deutlich hervor. Denn gerade den Anwalt weist seine berufliche Rolle als streng gebundenen Interessenwahrer seines Mandanten aus. 197 Zwar 194
Vgl. die Ausführungen o.u. 14 a. Auf diesem Gedanken gründen auch die Zweifel des BGH im Scheidungsvereinbarungsfall (NJW 1977, 2073 f.) an der Einschlägigkeit des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte: Denn der Anwaltsvertrag sei auf einem Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt aufgebaut und damit vom Inhalt her streng zweiseitig ohne Außenwirkung angelegt. 196 Kiss , W M 1999, 121. 195
197 Dies tritt am ausgeprägtesten mit dem Straftatbestand des Partei verrats gemäß § 356 StGB hervor, äußert sich aber auch in zahlreichen standesrechtlichen Regelungen.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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beschreibt auch ihn § 1 BRAO als „unabhängiges Organ der Rechtspflege", doch erwartet wird von ihm „vertrauensvolle, engagierte und durchaus parteiische Beratung und Fürsorge". 198 Von ihm haben Dritte, etwa Vertragsparteien seines Mandanten, grundsätzlich keine fachkundige Unterstützung und keine gleichmäßige Wahrung ihrer Interessen zu erwarten. 199 Seine mandatsbezogene Rolle steht vielmehr der Dritthaftung grundsätzlich entgegen, denn er kann seine parteivertretende Tätigkeit nur sinnvoll ausüben, wenn ihn anders als den Notar keine gleichgerichteten Sorgfaltspflichten auch gegenüber den Vertragspartnern und Gläubigern seines Mandanten treffen. Anschaulich geht dies aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. 1. 1978 hervor, in der ein (stillschweigender) Auskunfts vertrag zwischen dem Anwalt und einem Gläubiger des Mandanten bei Äußerungen des Anwalts über die Kreditwürdigkeit seines Mandanten im Rahmen von gemeinsamen Verhandlungen eben unter Verweis auf die Berufsrolle eines Anwalts abgelehnt wurde. 200 So sei von einem Anwalt zu erwarten, „daß er sich für die Belange des Mandanten einsetzen und sich ,zu dessen Sprecher4 machen würde". 201 Der Anwalt habe sich - ohne darum „ersucht worden" zu sein - in die Auseinandersetzung eingeschaltet und habe sich in erster Linie vor seinen Mandanten gestellt und ihn in der Abwehr der angedrohten Maßnahmen unterstützen wollen. Aber nicht erst, wie der Bundesgerichtshof weiter folgerte, weil daher nicht angenommen werden könne, dass der Anwalt für seine Angaben über die wirtschaftliche Bonität des Mandanten „einstehen wolle" und ein Auskunftsvertrag zwischen dem für seinen Mandanten tätigen Rechtsanwalt und dessen Geschäftsgegner - weil „ohnehin die Ausnahme" - nur dann bejaht werden könne, „wenn die im einzelnen festgestellten Umstände deutlich für den VerpflichtungsvW//en des Anwalts sprechen", 202 sondern weil der Anwalt zu selbstschützender Zurückhaltung und damit zur Vernachlässigung der Mandanteninteressen genötigt wäre, ist hier eine Haftung mit Recht verneint worden. 203 Gerade für die Rolle des Anwalts als „Vertreter des Mandanten" erweist sich die gesetzliche Haftungsregelung als sachgerecht. Denn das Gesetz gewährt insoweit einen interessengerechten, „abgestuften Haftungs198 Köndgen, Selbstbindung, S. 371 f. 199 Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 134. 200 BGH W M 1978, 576. 201 BGH, W M 1978, 577. 202 BGH W M 1978, 577 (Hervorheb.v.Verf.). 203 So zutreffend Köndgen, Selbstbindung, S. 373, der zu Recht auf einen „unerwünschten Rollenkonflikt" des Anwalts zwischen Mandant und Dritten hinweist, ebenda, S. 375. Ein derartiger Rollenkonflikt ist aber nicht allein an der „Gegenläufigkeit der Interessen" festzumachen (so aber Köndgen, Selbstbindung, S. 375 ff. bes. Fn. 141 in seiner Kritik an Musielak), denn diese besteht immer auch in den Gutachten-Fällen (Köndgen spricht hier von „Gleichordnung der Rollenbeziehungen", ebenda, S. 379); sondern es ist auf die jeweils konkret zugewiesene Rolle abzustellen. Zu Recht räumt Köndgen ein (ebenda, S. 377, 378), dass es anders liegen könne, wenn ein Anwalt, Steuerberater oder Buchprüfer einvemehmlich vom Mandanten und dessen Kreditgeber eingeschaltet ist, ohne dass der Auftrag vom Kreditgeber rechtsgeschäftlich sein müsste; denn: „hier schuldet er beiden gleiche Sorgfalt" (ebenda, S. 378).
214 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
rechtsschutz" der Verhandlungsparteien gegenüber Schädigungen durch den Anwalt, indem es beide in eine Rangfolge stellt. 204 Dem Mandanten gegenüber haftet er für jede fahrlässige Vermögensschädigung, der Gegenseite - dem Verhandlungspartner oder Gläubiger des Mandanten - dagegen nur für vorsätzliche Schädigungen. Das Gesetz gewährleistet eben auch auf diese Weise die Berufsrolle des Anwalts als allein dem Mandanten verpflichteter Interessenwahrer. Haftungserweiterungen mittels konkludenter Auskunftsverträge mit der Gegenseite oder einer Schutzwirkung des Anwaltsvertrags für die Gegenpartei, also die Annahme einer rechtsverbindlichen Auskunft, „die ihn entgegen § 676 BGB auch schon für eine fahrlässig unrichtige Auskunft haftbar machen könnte", 205 sind mit diesem Rollenbild grundsätzlich unvereinbar. (3) Ist damit der Unterschied zwischen Vertrags- und Amtspflichten ausgemacht, so ist zugleich das entscheidende Kriterium der Gleichbehandlung benannt. Eine „Annäherung" des vertraglich Verpflichteten an den Amtsverpflichteten für die Lösung unserer Haftungsfrage ist immer dann angebracht und sachgerecht, wenn ihm, wie beim Beamten und Notar schon kraft ihrer amtlichen Aufgaben stets der Fall, erkennbar Neutralität und Unparteilichkeit zwischen dem Auftraggeber und Dritten zukommen soll. Ist dies der Fall, so schützt die übertragene Pflicht nicht nur den Auftraggeber, sondern je nach Zweck- und Schutzrichtung der versprochenen Leistung - entsprechend der Frage nach dem Schutzzweck der Amtspflichten - auch Dritte. Da es hier aber im Gegensatz zur Tätigkeit des Beamten und Notars nicht um die Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe geht, ist der personelle Schutzbereich notwendigerweise enger und - eben weil von öffentlichen Verkehrsinteressen unabhängig - allein am Vertragszweck der Leistung zu bestimmen.206 Diese Aufdeckung der entscheidungserheblichen Parallele erlaubt damit auch eine sachliche Bewertung des bisher nur judizgeleiteten Vergleiches zwischen Notar und Anwalt. Mit der Annahme der Aufgabe der Testamentserrichtung verpflichtet sich der Rechtsanwalt, ebenso wie der Notar, nicht nur zur Wahrung der Interessen des Erblassers, sondern zugleich auch der in Aussicht genommenen Erben. Diese Aufgabe weicht damit ab vom Leitbild des lediglich einseitigen Mandats. 207 Das Testament soll, wie etwa ein gemeinsam zugrunde gelegter Vertragsentwurf, beiden Seiten dienen. Der Rechtsanwalt ist dabei erkennbar nicht nur Interessenwahrer seines Auftraggebers, sondern mit der Auftragserteilung werden 204 Köndgen, Selbstbindung, S. 375, 379. 205 BGH W M 1978, 577. 206 Köndgen, Selbstbindung, S. 380, spricht im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Notars nicht zu Unrecht von „Systemvertrauen" in eine Einrichtung des Rechtslebens. 207 Ahnlich von Caemmerer, FS Wieacker, S. 324: „Natürlich begründet der Anwaltsvertrag in aller Regel nur Rechte und Pflichten zwischen Anwalt und Mandanten. Wo aber der dem Anwalt gegebene Auftrag dahingeht, für das Interesse eines Dritten zu sorgen und dieses rechtsgültig zu sichern, und ein rechtliches Eigeninteresse des Mandanten nicht besteht, muß angenommen werden, daß die Pflicht, dieses Interesse sorgfältig zu wahren, dem Dritten gegenüber besteht. Andernfalls würde die Verpflichtung des Anwalts rechtlich leerlaufen."
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
215
ihm zugleich auch die Vermögensinteressen des Dritten an der letztwilligen Verfügung überantwortet. Nach dem Willen des Erblassers soll für den Anwalt erkennbar der Erbe Begünstigter der Leistung sein. Der Anwalt nimmt damit zwischen dem Erblasser und dem Erben eine neutrale, unparteiische Vermittlerstellung ein, die ihn zur Wahrung beider Interessen verpflichtet. 208 Mit dem vom Anwalt bewusst eingegangenen Leistungszweck seines Tätigwerdens richtet dieser sich zugleich auch an den Erben. Dass eine fehlerhafte Leistung diesen schädigen kann, steht schon vor dem schädigenden Verhalten fest. Diese besondere Interessenlage und die „amts-/ notarsähnliche" Stellung rechtfertigt es, den Anwalt wie gegenüber seinem Auftraggeber auch für die Schädigung des Erben durch eine nicht oder fehlerhaft erstelltes Testament einstehen zu lassen. Die Auswahl der vor einer fehlerhaften Leistungserbringung geschützten Personen ist dann ebenso wie in § 19 BNotO für den Notar nach dem Schutzzweck der Leistung vorzunehmen.
d) Dogmatische Einordnung der Schadensersatzansprüche Die vorgeblich so fundamentale Einordnung als „vertraglicher" oder „deliktischer" Anspruch verliert hierbei ersichtlich an Bedeutung. Denn stellt man die Ansprüche des auftraggebenden Erblassers in vergleichender Betrachtung gegenüber, so haftet ihm der Notar deliktisch nach § 19 Abs. 1 BNotO und der Anwalt vertraglich nach den vormals ungeschriebenen Regeln der positiven Vertragsverletzung. Derselbe Anspruch kann hier nur deshalb einmal vertraglich und einmal deliktisch begründet werden, weil es sich im Kern um ein und dieselbe Haftung handelt. Die Unterscheidung zwischen vertraglichem und deliktischem Schadensersatzanspruch ist lediglich konstruktiver Natur durch die Art und Weise der Auswahl der Anspruchsgläubiger, wie durch die hier gegenübergestellte Arbeitsweise des Gesetzes in §§ 839 BGB, 19 BNotO veranschaulicht werden kann. Diese Einordnung besagt nichts über eine unterschiedliche Qualität der Ansprüche. Es geht zunächst nur darum, ob der primäre Vermögensschaden überhaupt ersetzbar ist. Der Unterscheidung kommt damit gerade für unsere Fälle vor allem eine haftungsbegrenzende Funktion zu. 2 0 9 Es ist folglich - entgegen einer verbreiteten Vorstellung - auch nicht befremdlich, wenn der Anwalt für eine Schädigung des Erblassers vertraglich 208 Für eine „haftungsrechtliche Gleichbehandlung" von Anwälten und Notaren tritt auch Reihlen, Haftung, S. 122, auf der Grundlage von Pickers Haftungskonzept ein: „Für die Ungleichbehandlung, die durch § 19 BNotO bzw. durch das Fehlen einer entsprechenden Regelung in der BRAO entstanden ist, gibt es keine Berechtigung." Reihlens generelle Gleichstellung geht jedoch zu weit, wie aus dem vorliegenden Vergleich deutlich wird. Der Grund für das Fehlen einer dem § 19 BNotO entsprechenden Regelung in der BRAO liegt in der Rolle des Anwalts als streng einseitiger Interessenwahrer seines Mandanten. Eine Haftungsnorm wie § 19 BNotO wäre damit unvereinbar. Nur wenn die vertraglich übernommene Aufgabe und Rolle des Anwalts hiervon abweicht ist daher eine „haftungsrechtliche Gleichbehandlung" angezeigt und gerechtfertigt. 209 Vgl. dazu o. 2. Kap. Β. V.
216 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
und wegen der entgangenen Erbschaft den Testamentserben außervertraglich haften soll. Einer fiktiven Auslegung des Anwaltsvertrags oder einer auf Treu und Glauben abstellenden Erweiterung des Vertrags, was hier aufgrund der gleichläufigen Interessen zumindest denkbar wäre, bedarf es zum Schutz der Erben nicht. Willenselemente dürfen ebenso wie im Rahmen der §§ 839 BGB, 19 BNotO keine Rolle spielen. Ein Schutzinteresse einer vom Geschädigten verschiedenen Person muss gleichfalls irrelevant bleiben. Vielmehr gilt es für den gesuchten Anspruch eine auch in den §§ 839 BGB, 19 BnotO zum Ausdruck kommende einheitliche Haftungsgrundlage fortzuschreiben, die aus der besonderen Pflichtenstellung des Anwalts folgt. Stets ist dann der Erbe aber auch Anspruchssteiler aus eigenem Recht. Denn ist er gegenüber dem Notar nicht nur mittelbar und aus fremder Willkür Berechtigter, so kann er es auch dem Anwalt gegenüber nicht sein. Jeweils ist er unmittelbar in seinem Vermögen Geschädigter. Sein Ersatzanspruch entspringt entgegen der Rechtsprechung nicht aus vertraglich gesetztem, dispositivem Recht, sondern aus geschriebenem oder ungeschriebenem objektiven Recht.
3. Gegenüberstellung von privatrechtlicher und behördlicher Auskunftserteilung Es handelt sich bei der hier aufgezeigten Parallele zwischen Notar und Anwalt keineswegs nur um einen absonderlichen Einzelfall, wie sich mit einem weiteren, bemerkenswerten Vergleich zu dem bereits oben 210 angeführten Fall der fehlerhaften Auskunftserteilung eines Arbeitgebers im Rahmen eines familiengerichtlichen Verfahrens zum Versorgungsausgleich belegen lässt. a) Anzuführen ist hierzu die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. 10. 1997 2 1 1 Aufgrund fehlerhaft erteilter Auskunft durch den Rentenversicherungsträger des Ehemanns im familienrechtlichen Verfahren wurden der Versorgungsausgleich zwischen den geschiedenen Eheleuten falsch geregelt und der geschiedenen Ehefrau zu Unrecht zu niedrige Rentenanwartschaften auf ihr Konto bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte übertragen. Erst nachdem die Entscheidung des Familiengerichts rechtskräftig geworden war, übermittelte der Rentenversicherungsträger des geschiedenen Ehemanns eine neue, korrigierte Auskunft, aus der sich eine höhere monatliche Rentenanwartschaft ergab. Die geschiedene Ehefrau begehrt aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB Schadensersatz wegen der fehlerhaften Auskunft von dem Rentenversicherungsträger. Der Bundesgerichtshof stellte zunächst fest, dass es sich bei der Verpflichtung zur Auskunftserteilung im Verfahren zum Versorgungsausgleich nach § 53 b 210 Vgl. o. 1. Kap. C. II. 2. b) cc). 211 BGH NJW 1998, 138 ff.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
217
Abs. 2 S. 2, 3 FGG um eine hoheitliche Tätigkeit handelt. Die Auskunft eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 53 b FGG sei prozessrechtlich als amtliche Auskunft anzusehen, „die die Zeugenvernehmung des in Frage kommenden Sachbearbeiters über die tatsächlichen Grundlagen einer Versorgungsanwartschaft ersetzt und zugleich eine rechtsgutachtliche Äußerung darüber enthält, wie nach den maßgebenden rentenrechtlichen Vorschriften die ehezeitlich erworbene Versorgungsanwartschaft eines Ehegatten zu berechnen ist". 2 1 2 Daher liege es nahe, „die Auskunft eines Rentenversicherungsträgers wie diejenige anderer - auch privater - Versorgungsträger als ein Beweismittel" für „das dem Grundsatz der Amtsermittlung unterliegende Verfahren zum Versorgungsausgleich" anzusehen, „das den allgemeinen Interessen der Rechtspflege dient". Die Frage allerdings, ob der Rentenversicherungsträger im Rahmen der Auskunftserteilung nicht auch eine Amtspflicht gegenüber den vom Versorgungsausgleich betroffenen Ehegatten treffe, ob also die Auskunftspflicht auch den Ehegatten gegenüber als Dritte im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB bestehe, „bestimme sich in erster Linie nach dem Zweck, dem die Amtspflicht dient". 213 Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs lasse sich nicht bezweifeln, „daß die im familiengerichtlichen Verfahren erteilten Auskünfte (auch) den Interessen beider Ehegatten dienen". 214 „Die Auskünfte der Rentenversicherungsträger und der anderen Versorgungsträger sind Grundlage für die Ermittlung der beiderseits erworbenen Versorgungsanwartschaften. Beide Eheleute haben ein schutzwürdiges Interesse an einer zutreffenden Aufteilung der Versorgungsanwartschaften." 215 Ziel des Versorgungsausgleichs sei eine ausgewogene Altersund Invaliditätssicherung beider Ehegatten, wofür die Auskünfte der Versorgungsträger ein wesentliches Element darstellten. 216 § 53 b Abs. 2 S. 3 FGG begründe dabei keine rein verfahrensrechtliche Verpflichtung, sondern stelle klar, „daß sich Versicherungsträger nicht auf die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und private Arbeitgeber nicht auf ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht berufen können". 217 Auch bestehe zwischen der fehlerhaften Auskunft und dem mangelnden Ausgleich der vom Ehemann erworbenen Anwartschaften ein notwendiger unmittelbarer Ursachenzusammenhang.218 Daran ändere auch nichts, dass das Familien-
212 BGH NJW 1998, 138. 213 BGH NJW 1998, 139. 214 BGH NJW 1998, 139. 215 Im Einzelnen, BGH NJW 1998, 139: „Für den ausgleichspflichtigen Ehegatten geht es, soweit - wie hier - Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung betroffen sind, um einen Eingriff in Rechtspositionen, die unter dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG stehen; für den ausgleichsberechtigten Ehegatten steht die gleichberechtigte Teilhabe an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen im Mittelpunkt." 216 Diese Bedeutung der Auskunft im Rahmen der materiell^versorgungs-)rechtlichen Verhältnisse der Ehegatten rechtfertige auch eine unterschiedliche Behandlung gegenüber der Tatsache, dass weder ein Zeuge noch ein Sachverständiger wegen lediglich fahrlässig falscher Angaben im Rahmen eines Rechtsstreits von den Prozeßbeteiligten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könne, BGH NJW 1998, 139 f. 217 BGH NJW 1998, 139.
218 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
gericht an die Auskünfte der Versicherungsträger nicht gebunden sei, sondern seine Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu treffen habe und gemäß dem Untersuchungsgrundsatz (§12 FGG) auch verpflichtet sei, die eingeholten Auskünfte von Amts wegen selbständig auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Es sei kein so ungewöhnlicher, außerhalb typischer Geschehensabläufe liegender Vorgang, wenn sich das Familiengericht auf die Richtigkeit der Auskunft verlassen oder sie ohne hinlängliche Überprüfung zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht habe. Der Rentenversicherungsträger sei daher verpflichtet, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr daraus entstehe, dass die von ihrem geschiedenen Ehemann erworbenen Anwartschaften nicht durch die Entscheidung des Familiengerichts ausgeglichen worden sind. 219 b) Bis auf den Umstand, dass es sich in dem bereits oben angeführten Fall des OLG Karlsruhe 220 um die Haftung eines privatrechtlichen Arbeitgebers und hier eines öffentlich-rechtlichen Rentenversicherungsträgers handelt, sind die Sachverhalte nahezu identisch. In beiden Fällen schädigt der Versorgungsträger des Ehemannes durch fehlerhafte Auskunft das Vermögen der geschiedenen Ehefrau. Unterschiedlich fiel hingegen die Antwort der beiden Gerichte auf die sich stellende Haftungsfrage aus. Im Gegensatz zum OLG Karlsruhe hat der Bundesgerichtshof den Anspruch der geschiedenen Ehefrau (dem Grunde nach) zugesprochen. Die im Fall des OLG Karlsruhe vorherrschende Problematik, ob neben dem versicherten Ehemann auch die in keiner vertraglichen Beziehung stehende geschiedene Ehefrau vor Verletzungen der Auskunftspflicht zu schützen sei, wird hier gänzlich übergangen. Es wird schlicht für beide festgestellt, dass ein Rentenversicherungsträger mit der Auskunft, die dieser im familiengerichtlichen Verfahren nach § 53 b Abs. 2 FGG erteilt, „zugleich eine ihm gegenüber dem Versicherten und seinem Ehegatten obliegende Amtspflicht" erfüllt. 221 Beiden wird ein „schutzwürdiges Interesse" an einer korrekten Angabe der erworbenen Rentenanwartschaften zuerkannt. Der Grund für diese Gleichstellung der geschiedenen Ehegatten gegenüber dem Versicherungsträger ist dabei derselbe, der auch den Bundesgerichtshof zur rechtlichen Einordnung der Auskunftserteilung nach § 53 b Abs. 2 FGG als hoheitliche Tätigkeit bewog, nämlich die Einnahme einer neutralen und unparteiischen Stellung gegenüber dem Versicherten und dem ebenso von der Auskunft betroffenen geschiedenen Ehepartner. Diese wird hier bereits aus der Zeugenstellung und der gesetzlichen Auskunftsverpflichtung im familienrechtlichen Verfahren gefolgert, so dass der Rentenversicherungsträger beide an dem Verfahren beteiligten Interessen gleichermaßen zu wahren habe. 218 BGH NJW 1998, 140. 219 So BGH NJW 1998, 141; zur Beantwortung der Fragen, ob der Kl. die Unterlassung eines Hinweises nicht i.S. des § 839 Abs. 3 BGB vorzuwerfen ist oder ob eine anderweitige Ersatzmöglichkeit (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB) nicht besteht, wurde der Fall an das Berufungsgericht zurückgewiesen. 220 OLG Karlsruhe NJW 1986, 854. 221 So der 1. Leitsatz aus BGH NJW 1998, 138 (Hervorheb.v.Verf.).
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
219
Dabei muss auch hier - ebenso wie für den Vergleich von Anwalt und Notar bezweifelt werden, ob dem Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Versorgungsträger haftungsbegründende bzw. -ausschließende Wirkung zukommen kann. Denn auch hier drängt sich die Gleichbehandlung beider Fälle auf, ist doch die Auskunft jeweils dieselbe. Jeweils kommt ihr für den Auskunftgebenden erkennbar dieselbe rechtliche Relevanz für beide Verfahrensbeteiligten zu. Immer wirkt sich eine falsche Mitteilung nur - und letztlich rein zufällig - entweder auf Versicherten- oder auf Ehepartnerseite schädigend aus. Eine Potenzierung der Gläubigerzahl droht nicht. Das beiden Verfahrensbeteiligten attestierte „schutzwürdige Interesse" geht wohl auch kaum einseitig verloren, wenn anstatt des öffentlichen Versorgungsträgers ein privater Arbeitgeber die Auskunft erteilt, sind doch die vermögensschädigenden Folgen der Falschauskunft identisch. Allein das Bestehen eines Vertragsverhältnisses zum privaten Versorgungsträger jedenfalls rechtfertigt hier keine Schlechter- oder Besserstellung im Vermögensschutz. Eine einseitige Parteinahme ist vielmehr auch dem privaten Versorgungsträger - weil ebenso als objektiver Zeuge im Verfahren herangezogen - untersagt. Es kommt ihm ebenso wie dem öffentlichen Versorgungsträger eine neutrale, unparteiische Stellung zu, wenn er um Auskunftserteilung durch das Familiengericht ersucht wird. Das bloß einseitige arbeitsvertragliche Verhältnis ist damit durch die „amtsähnliche" Auskunftserteilung überlagert. Die Kriterien der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und die mit diesem Ansatz gefundene Lösung vermögen demgegenüber die unterschiedliche Behandlung beider Fälle nicht zu rechtfertigen. Das Argument gegenläufiger Interessen der geschiedenen Ehegatten wie auch der angeführte Mangel einer auslegungsfähigen Auskunftsabrede hindern die Haftung, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts, jedenfalls nicht. 222 Vielmehr sind gleiche Maßstäbe anzulegen. Es ist im Fall des OLG Karlsruhe nicht mehr zu fragen, ob hier ausnahmsweise auch die geschiedene Ehefrau in den Schutzbereich der Auskunftspflicht oder des Anstellungsvertrags des Ehemanns mit seinem Arbeitgeber einbezogen ist, sondern es ist einzig und allein die dort nur ausweichend behandelte und letztlich dahingestellte Frage zu beantworten, ob der Ehemann selbst, wäre er durch die Falschauskunft geschädigt, ersatzberechtigt ist. Gleiches muss dann aufgrund der erkennbaren Folgen für die geschiedene Ehefrau gelten. Auch dem Ehemann gegenüber muss die Auskunft an das Gericht eine „bloße Wissenserklärung" darstellen. 223 Das Aufrechterhalten dieses Arguments ist dann umso schwerer, besteht doch zu ihm ein Arbeitsverhältnis, das auch die Altersversorgung zum Gegenstand hat. Die Auskunftserteilung hat damit auch für den privaten Arbeitgeber einen offensichtlichen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Die Annahme eines fehlenden Bindungswillens ist ihm gegenüber nicht haltbar, handelt es sich doch erkennbar nicht um eine bloße Gefälligkeit. 224 222 So die Argumentation des OLG Karlsruhe NJW 1986,854 f., s.o. 1. Kap. C. II. 2. b) cc). 223 So das OLG Karlsruhe NJW 1986, 854 f. 224 Der Arbeitgeber hat die vermögensschützende Pflicht, die im Laufe der Tätigkeit des Arbeitnehmers erworbenen Rentenanwartschaften ordnungsgemäß zu erfassen und nach
220 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Die beiden am Versorgungsausgleich beteiligten Ehegatten, so lässt sich festhalten, sind vor Falschauskünften der Versorgungsträger - unabhängig davon, ob eigener oder der des geschiedenen Ehepartners - in gleicher Weise zu schützen. Beide sind auch gegenüber privaten Versorgungsträgern und öffentlich-rechtlichen Rentenversicherungsträgern gleich zu behandeln. Die neutrale, unparteiische Stellung kommt bei der Auskunftserteilung beiden zu. Es geht stets allein um die Frage, ob in § 53 b Abs. 2 S. 3 FGG eine reine verfahrensrechtliche Verpflichtung normiert ist, oder ob die Auskunft zugleich auch materiell-rechtlich den Interessen der Verfahrensbeteiligten dient. Und diese Frage kann mit den Argumenten des Bundesgerichtshofs zu Recht im letzteren Sinne beantwortet werden.
I I I . Die historische Grundlage für eine außervertragliche Haftung für primäre Vermögensschäden 1. Die Haftung des mensors im römischen und im gemeinen Recht Die mit der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte angestrebte Haftung des Gutachters, Sachverständigen, Wirtschaftsprüfers und anderer Experten ist keine Neuerscheinung unseres heutigen Rechts. Ihren geschichtlichen Ursprung hat eine solche Haftung in der römisch- und gemeinrechtlichen Haftung der sog. Agrimensoren (Landvermesser). 225 a) Der mensor im römischen Recht Als mensor galt nach römischem Recht derjenige, „welcher die Größe einer Sache nach den Regeln der Geometrie zu bestimmen hat". 2 2 6 Erfasst waren damit „Geometer" und „Ingenieurs", „welche sich mit Landvermessungen und dergleichen befassen". 227 Die besondere Regelung der Haftung der Agrimensoren im römischen Recht entsprach dabei der besonderen Stellung, die diesen Personen aufgrund ihrer zu leistenden Dienste, „welche allein oder vorwiegend in freier geistiger Tätigkeit besteht", eingeräumt wurde. 228 Die Mensoren waren bei den Römern „Gelehrte, welche die Geometrie lehrten" und „standen in großer Achtung". 229 Sie übten nach römischem Verständnis eine freie Kunst (ars liberalis) aus. 230 Ihre TäErreichen des Rentenalters auszuzahlen; und er hat in diesem Rahmen auch die Pflicht, Auskünfte über die Höhe der bestehenden Rentenanwartschaften korrekt zu erteilen. Die Relevanz dieser Auskünfte für das Versorgungsausgleichsverfahren ist dabei offensichtlich. 225
Vgl. dazu D. 11, 6: si mensor falsum modum dixerit. 6 Glück, Pandekten, 11. Teil, 1809, § 763. 227 von Keller, Pandekten, 1861, § 371.
22
228
Windscheid, Pandekten, 2. Band, 5. Aufl. 1882, § 404. 229 Glück, Pandekten, § 763.
2
30 von Keller, Pandekten, § 371.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
221
tigkeit sollte weder entgeltlicher Natur, noch überhaupt einer vertraglichen Vereinbarung zugänglich sein, sondern das Geschäft wurde „als außerhalb des eigentlichen Rechtsgebietes liegend angesehen".231 „Wenn sie Jemandem ihre Dienste liehen", so von Keller, unserem heutigen Verständnis näherkommend, „so betrachtete man das nicht als Dienstmiethe oder ein sonstiges ordentliches Geschäftsverhältnis". 2 3 2 Ihre besondere Stellung im römischen Recht tritt dabei besonders hervor, wenn es bei Glück um die Bezahlung ihrer Dienste geht: „Wurde er auch für seine Mühe belohnt, so war dies doch kein Lohn, so wie man ihn dem Handwerksmanne accordirt; denn mit einem Gelehrten schließt man keinen Mietkontrakt, wenn er uns Dienste zu leisten verspricht; sondern es ist ein Honorar, was man ihm blos zur Bezeigung seiner Erkenntlichkeit, aber nicht als Aequivalent giebt." 233 „Eine gemeine Geschäftsverpflichtung bestand weder von der einen noch von der anderen Seite." 234 Und in Ermangelung anwendbarer Regeln für den Fall falscher Berechnung durch einen Feldmesser, so die Deutung Windscheids, „blieb nichts übrig, als zu versuchen, ob nicht von dem Inhaber der Jurisdictionsgewalt mit Rücksicht auf die Umstände des besonderen Falles ein außerordentliches Einschreiten zu erlangen sei". 2 3 5 Auf diese Weise „bildete sich allmälig doch wieder eine gewisse Regel aus", die dann später im praetorischen Edikt ihre Wiedergabe fand. 236 Da die Agrimensoren also, wie Mühlenbruch formuliert, „nach dem Civilrecht von aller Verantwortlichkeit frei" waren, führte „denn der Prätor eine in factum actio wider die Mensoren" ein, „welche durch dolus oder lata culpa zur Abgabe eines falschen Maaßes bestimmt wurden". 237 Es sollte also mittels einer besonderen Bestimmung im Edikt eine angemessene Verantwortlichkeit für den mensor im Falle schlechter Leistung begründet werden. Nach römischem Recht stand damit demjenigen, welcher sich durch einen Feldmesser Messungen besorgen lässt, im Falle unrichtiger Messung gegen den Feldmesser nur eine Deliktsklage auf Schadensersatz wegen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit zu. 2 3 8 „Mehr kann man von einem mensor nicht fordern, als daß er dafür hafte", wobei kein Unterschied gemacht wurde, „ob er eine Belohnung erhalten, oder die Messung umsonst übernahm". 239 Die Klage gegen den mensor sollte dabei nur subsidiäre Geltung haben, „d. h. dem Beschädigten nur dann zustehe(n), 231 232 233 234
Windscheid, Pandekten, 2. Bd., § 404 Anm. 3. von Keller, Pandekten, § 371. Glück, Pandekten, § 763. von Keller, Pandekten, § 371. 235 Windscheid, Pandekten, 2. Bd., § 404 Anm. 3. 236 Ders., Pandekten, 2. Bd., § 404 Anm. 3. 237 Mühlenbruch, Pandekten, 2. Bd., 2. Aufl. 1838, § 431. 238 von Kübel, Redaktoren-Motive bei Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren, Recht der Schuldverhältnisse, Teil 3 BT II, S. 1000. 239 Glück, Pandekten, § 764; auch komme es nicht darauf an, „ob die Messung von ihm selbst geschehen ist, oder von ihm einem Anderen überlassen worden. Denn auch für dessen dolus oder grobe Unachtsamkeit ist er verantwortlich".
222 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
wenn er auf andere Weise Ersatz seines Schadens nicht zu erlangen vermag". 240 Zum Anwendungsbereich der Klage schreibt Glück: „Direkt hat die actio in factum nur gegen einen agrimensor bey Feldgütern Statt. Der Prätor hat aber die Klage nachher auf die Vermessung der anderen, sowohl unbeweglichen als beweglichen Sachen, ausgedehnt, so daß daher diese Klage utiliter auch bey Gebäuden, Wein, Getreide, und dergleichen gebraucht werden kann". 241 Und Glück weiter: „Ulpian dehnte sie sogar auf einen Rechnungsführer aus, wenn er arglistig oder aus grober Nachlässigkeit einen Rechnungsfehler übersehen hat." 2 4 2 Offen zutage tritt die hier aufzuzeigende Parallele zu den heutigen GutachterFällen, wenn Glück die praktische Relevanz dieser Klage beschreibt: „Man bediente sich nun dieser Mensoren sowohl bey Gränzstreitigkeiten als auch insonderheit bey Kaufshandlungen, wenn es entweder dem Käufer oder dem Verkäufer daran lag, den Flächeninhalt eines Ackerstücks genau zu wissen." 243 Da nach dem römischen Zivilrecht keine Klage für den Fall vorgesehen war, dass „ein solcher Mensor ein falsches Maas angegeben" hatte, weil dieser „nach Ansicht der Römer kein gültiges Geschäft, sondern [ . . . ] nur eine Gefälligkeit" übernahm, wurde, um den „leicht möglichen Betrügereien vorzubeugen", „daher durch das prätorische Recht eine actio in factum für den Fall eingeführt, wenn der mensor durch dolus oder culpa lata dem einen oder anderen Theile Schaden gethan hätte." 244 Der Anspruch stand damit sowohl dem Käufer wie dem Verkäufer zu, ungeachtet dessen, wer den mensor beauftragt hatte. Inhaltlich war die Klage „auf den Ersatz des durch Angabe des falschen Maaßes verursachten Schadens" gerichtet, konkret „was der Käufer wegen der falschen Angabe mehr für die Sache gegeben, oder der Verkäufer weniger für dieselbe erhalten hat". 2 4 5
b) Die gemeinrechtliche Anwendung der mensor-Haftung Auch das gemeine Recht übernahm diese Klage. So leide es nach Glück, der die Rechtslage zu Beginn des 19. Jahrhunderts wiedergibt, keinen Zweifel, „daß auch noch heut zu Tage die actio in factum contra mensorem Statt finde, wenn 240 von Kübel bei Schubert; Vorlagen der Redaktoren, S. 1000; ebenso Glück, Pandekten, § 764: „Der verletzte Theil muß durch kein anderes Rechtsmittel seine Entschädigung erhalten können. Denn die actio in factum ist nur subsidiarisch." 2
*i Glück, Pandekten, § 764. Ders., Pandekten, § 764. 2 *3 Ders., Pandekten, § 763. 242
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Ders., Pandekten, § 763. Ders., Pandekten, § 763. Von dem uns heute befremdlichen Verständnis der römischen Juristen künden die Ausführungen Glücks, wonach die Klage zwar auch den Erben der Kaufvertragsparteien zustatten komme, hingegen finde die Klage nach römischem Recht nicht „wider die Erben des agrimensoris" statt, denn sie sei „von Seiten des Beklagten eine Pönalklage", ebenda, § 764. 245
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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das Ausmessen eines Grundstücks von einem Gelehrten nach den Regeln seiner Kunst geschehen ist". 2 4 6 Den Kreis der Anspruchsberechtigten zieht Glück ähnlich den römisch-rechtlichen Vorgaben. Die Klage stehe „jedem zu Gebote, dem durch die Angabe des falschen Maaßes geschadet, und welcher dadurch veranlaßt worden ist, das Grundstück entweder zu theuer zu kaufen, oder zu wohlfeil zu verkaufen. Also der Käufer oder Verkäufer, oder wer sonst dabey interessiert ist, kann sie anstellen". 247 Auch der heute im Wege der Schutzwirkungskonstruktion erfasste „Dritte" kam danach im Fall der fehlerhaften Begutachtung des zu veräußernden Grundstücks ebenso in den Genuss dieser Haftung wie der Auftraggeber selbst. Gemeinrechtlich einer Veränderung unterworfen war gegenüber dem römischen Recht allerdings die Bewertung der Tätigkeit des mensors als ars liberalis. „Oft geschieht aber auch heutigen Tages die Ausmessung von solchen Personen, die sich dazu für einen Lohn dingen lassen, und sich von diesem Metier nähren. Das Geschäft, welches mit solchen Leuten geschlossen wird, ist denn freylich nur eine locatio conductio operarum, und die Verbindlichkeit derselben nach den Grundsätzen dieses Contracts zu beurtheilen. Sie haften daher mit der actione conducti für culpa levis, wenn sie ein falsches Maas angegeben haben." 248 Ebenfalls von dem sich verändernden Rechtsverständnis zeugend und zu der uns interessierenden Frage der Anspruchsberechtigten Stellung nehmend, schreibt Mühlenbruch, dass „diese Klage nicht blos dem Mandanten selbst" zustehe, „sondern auch dessen Mitcontrahenten, wenn derselbe durch die unrichtige Angabe verletzt ist". 2 4 9 „Darin nun zeigt sich der Nutzen einer analogen Anwendung dieser Klage auf solche Verhältnisse, wofür auch das Recht der locatio conductio gilt." 2 5 0 Auch nach Ansicht Mühlenbruchs konnte die Beauftragung des mensors demnach als Vertragsverhältnis angesehen werden und gerade in diesem Fall wollte er unter Rückgriff auf die römisch-rechtliche Klage dem Mitkontrahenten, der nicht zugleich Auftraggeber des Gutachters war, einen eigenen Schadensersatzanspruch einräumen. In der Pandektenwissenschaft des 19. Jahrhunderts wurde einhellig von der Fortgeltung der römisch-rechtlichen Regel, zudem mit erweitertem Anwendungsfeld, ausgegangen. Nach Arndts treffe die Klage „analog auch andere Kunstverständige", „die durch falsche Berechnung oder Maßangabe Jemanden in Schaden bringen". 251 Ebenso wollte von Keller die Klage „analog" „gegen den Nicht-Mensor wegen Messung, und gegen einen Tabularius wegen falschen Rechnungsresultates" 246 247 248 249
Ders., Pandekten, § 765. Ders., Pandekten, § 764. Ders., Pandekten, § 765. Mühlenbruch, Pandekten, § 431.
250 Ders., Pandekten, § 431. 251 Arndts, Pandekten, 10. Aufl. 1879, § 338, behandelt dies unter der Überschrift: „Verletzung besonderer Berufspflicht"; ebenso schon Walther, AcP 26 (1843), 249, 289 f.
224 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
angewendet wissen. 252 Brinz sprach sich für eine Ausdehnung auf Architekten, Akkordanten und Kalkulatoren aus. 253 Gleichwohl wurde die praktische Bedeutung der Klage dabei in Frage gestellt und ihre Anwendbarkeit bestritten, da „jetzt dieses Verhältnis einfach nach den Regeln der locatio conductio zu beurteilen sei". 2 5 4 Die abweichende Beurteilung durch das römische Recht, so am eindringlichsten Sintenis, „muß jetzt ganz wegfallen". 255 Diese Sichtweise begann sich mehr und mehr durchzusetzen. Die Sonderstellung des mensors, die er noch bei den Römern einnahm, wurde schließlich ganz aufgegeben. „Heutzutage", so Windscheid zusammenfassend, „würde man die realen Verhältnisse und den darauf gebauten Sinn der Contrahenten sehr verkennen, wenn man Verträge dieser Art einer anderen rechtlichen Beurtheilung unterwerfen wollte, als gegenseitige Verträge überhaupt. Die Benützung geistiger Thätigkeit zum Erwerbe gilt heutzutage nicht nur nicht als eine Verletzung des Anstandes und der Würde, sondern hat auch längst aufgehört, etwas Außergewöhnliches und Auffälliges zu sein. Sie bildet einen Faktor im Vermögensverkehr, wie jeder andere Faktor und kann daher - im Principe - für die rechtliche Beurtheilung eine Ausnahmestellung ebensowenig verlangen, wie sie sich dieselbe gefallen zu lassen braucht." 256 Die Leistung geistiger Tätigkeiten sei wie jede andere als vertraglich versprochene Leistung zu bewerten und es seien „die gleichen Regeln, wie für den Miethvertrag" anwendbar. Der Schuldner hafte also „auch hier nicht bloß wegen Arglist, sondern auch wegen Nachlässigkeit und wegen Mangels derjenigen Kenntnisse und Fähigkeiten, welche der seine Dienste in Anspruch Nehmende bei ihm voraussetzen durfte". 257 Die Beschränkung der Haftung im römischen Recht auf culpa lata und dolus entfalle, da „die Beredung mit dem mensor den Römern auch nicht als eigentliches Rechtsgeschäft (galt)..., und dieser Grund fällt heutzutage weg". 2 5 8 Spezialdelikte des römischen Rechts, wie etwa die Klage gegen den mensor, so beschrieb von Jhering diese Entwicklung, „waren nur der erste unvollständige Keim mancher späterer Contractsklagen. Für unsere heutige Anschauung haben 252 von Keller, Pandekten, § 371. 253 Brinz, Pandekten, 2. Bd., 1. Abtheilung, 2. Aufl. 1879, § 267 Fn. 23. 254 Arndts, Pandekten, § 338 Anm. 3; Dernhurg, Pandekten, 2. Bd., 5. Aufl. 1897, § 112 Fn. 4; ebenso von Keller, Pandekten, § 371: „Heutzutage pflegt man in solchen Verhältnissen ordentliche Vertragsverhältnisse zu erblicken, mit Verantwortlichkeit nach Inhalt und Art des Vertrages, also gewöhnlich für jegliche culpa." 255 Sintenis, Civilrecht, 2. Bd., 2. Aufl. 1861, § 119 Fn. 2 sowie § 113 Fn. 8. 256 Windscheid, Pandekten, § 404 Anm. 3; und dort weiter: „Das Verhältnis wird auch dadurch nicht geändert, daß die Personen, welche solche Dienste leisten, zu diesem Ende vom Staat eine Approbation, Concession, Anstellung erhalten haben (Advocaten, Notare, Aerzte, Lehrer) - wohl freilich dadurch, daß sie vom Staate berufen sind, in dessen Namen, als Organ desselben thätig zu werden." 257 Ders., Pandekten, § 404. 258 Ders., Pandekten, § 404 Anm. 4.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
225
zwar die Begriffe Contract und Delikt etwas Ausschliessendes, so dass es als Widerspruch erscheinen mag in einem Contractsverhältniss von einer Delictsklage zu sprechen, aber diese Auffassung ist eben eine moderne, nicht die altrömische und hat nur in dem Umstand ihren Grund, dass die meisten jener speciellen Delictsklagen späterhin vollständig in die Contractsklage aufgegangen sind." 2 5 9 Zur Klage gegen den mensor meint von Jhering allerdings, habe „sich die ursprüngliche Gestalt der Sache auch noch in späterem Recht rein und unverfälscht erhalten". Die Klage sei eine „Deliktsklage aus einem Geschäftsverhältnis, das stets auf dieser niederen Stufe des rechtlichen Schutzes stehen geblieben, sich nie zur directen Klagbarkeit erhoben hat". 2 6 0 Dem Rückgriff auf die Haftung des mensor nach römischem Recht verblieb nach gemeinrechtlichem Verständnis demnach nur noch eine beschränkte Funktion, die aber gerade für uns von entscheidender Bedeutung ist. So sollten Personen, „welche auf Grund einer staatlichen Concession, Approbation, Anstellung, dem Publikum ihre Dienste darbieten", einerseits „demjenigen, welcher ihre Dienste benützt, nach den Grundsätzen des Vertrages, also wegen aller Nachlässigkeit", andererseits aber auch „Dritten wegen Arglist und grober Nachlässigkeit" haften. 261 Das Recht des mensors sei „in dieser Beziehung noch (analog) anwendbar". 262 Die gemeinrechtliche Doktrin hatte damit eine Anspruchsgrundlage für die Haftung des Gutachters und Sachverständigen - wenn auch beschränkt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit - gerade für die Fälle, in denen heute mühsam um die Herleitung einer solchen gerungen wird. 2 6 3
c) Die Judikate der Obergerichte Auch Judikate der Obergerichte aus der damaligen Zeit spiegeln die Rechtsauffassung des Schrifttums wider. 264 Geradezu einen klassischen Anwendungsfall des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte behandelt die Entscheidung des OAG Lübeck vom 31. 10. 1870. 265 Die Kläger hatten von einem Hamburger Tuchhändler Ware „mit der Verabredung gekauft, daß der beeidigte Tuchbereiter M. (Beklagter) die Waare genau durchsehen und nachmessen solle und diejenigen Stücke, welche 259
von Jhering, Das Schuldmoment im Römischen Privatrecht, 1867, S. 28. 260 Ders., Schuldmoment, S. 28 f; ebenso noch Puchta, Pandekten, 11. Aufl. 1872, § 378; gegen von Jhering wendet sich Schlossmann, Der Vertrag, 1876, S. 329 ff. 261 Windscheid, Pandekten, § 470 (Hervorheb.v.Verf.). 262 Ders., Pandekten, § 470 Anm. 6. 263 Unzutreffend ist es daher, wenn Lammel, AcP 179, 337, 349, unter Berufung auf Windscheid, Arndts u. a. meint, die Pandektistik habe der mensorischen Klage jede Anerkennung versagt. 264 OAG München v. 20. 3. 1867, Seuffert Bd. 21, 126; OAG Jena v. 3. 10. 1856, Seuffert Bd. 22, 240; OAG Oldenburg v. 22. 2. 1875, Seuffert Bd. 31, 234. 265 OAG Lübeck Seuffert, Bd. 25, Nr. 131. 1
Plötner
226 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
er rein und fehlerfrei befinden werde, von den Käufern zu empfangen seien". Der Beklagte M. hatte darauf „im Auftrage der Verkäufer die Tuche besichtigt" und schriftlich begutachtet. Die Kläger machten mit ihrer Klage geltend, „daß die ihnen zugesendete Waare weder ihrer Beschaffenheit nach noch hinsichtlich der angegebenen Maße den Attesten des M. entspreche, indem die Größe der einzelnen Stücke eine geringere, die Zahl der vorhandenen Löcher aber eine viel größere sei". Das OAG Lübeck urteilte, dass der vorliegende Anspruch „in den gesetzlich anerkannten Bereich der Klage" falle, „wie sie in den Quellen gegen einen mensor wegen Bezeugung eines falschen Maßes gegeben ist". „Wenn auch die Klage zuerst für den nach damaligen Lebensverhältnissen besonders wichtigen Fall der Vermessung von Grundstücken eingeführt wurde, so ist doch schon das römische Recht nicht hierbei stehen geblieben. Nicht nur wurde die Klage auf das Messen der beweglichen Sachen ausgedehnt, sondern in ihrer weiteren Ausbildung auch nicht mehr auf den Fall eigentlichen Ausmessens beschränkt." Und so das OAG schlussfolgernd, „wenn nach dieser Entwicklung der zu Grunde liegenden Idee, weder ein bestimmtes Objekt noch eine einzelne Art von Kunstausübung als wesentlich vorausgesetzt wird, so muß, auch ohne daß sich in den Quellen zahlreiche Beispiele für diese Consequenz finden, die Anwendung der Klage in allen Fällen, wo über Größe oder Beschaffenheit einer Sache auf Grundlage einer besonderen Sachkunde ein Zeugnis ertheilt wird, gerechtfertigt erscheinen". 266 In seinem Urteil nimmt das OAG Lübeck auch zum Verhältnis der Klage gegen den mensor und einem möglichen Vertragsverhältnis Stellung. So heißt es: „Die Klage [ . . . ] setzt kein vorgängiges Contractsverhältniß zwischen dem mensor und dem Regreßnehmenden voraus, steht vielmehr jedem Interessenten zu, welcher den mensor mit Rücksicht auf die in weiterem oder engerem Kreise zur Anerkennung gelangte Sachkunde desselben, über die Maßverhältnisse einer Sache befragt, darauf in Folge eines dolus oder einer culpa lata des mensor eine wahrheitswidrige Auskunft erhält und dadurch einen pecuniären Schaden erleidet." Es soll nicht darauf ankommen, „ob der mensor gerade von dem Regreßnehmenden zur Messung aufgefordert wurde oder diese auf andere Veranlassung vorgenommen hatte". 267 Dieser Haftung stellen die Urteilsgründe die Möglichkeit gegenüber, dass „vermöge eines Contractsverhältnisses" „ein Sachverständiger auch wegen geringer Nachlässigkeit haften" könne. „Wenn das römische Recht gegen den mensor eine auf Haftung für levis culpa hinausgehende Cortractsklage ausschloß, so scheint dies nur auf historischem Grunde zu beruhen und es ist daher in der deutschen Doctrin und Praxis von jeher die herrschende Ansicht gewesen, daß der mensor auch für levis culpa verantwortlich sei, wenn ein zwischen ihm und dem Regreßnehmenden bestehendes Contractsverhältniß seiner Natur nach dies mit sich bringt." Beide Anspruchsgrundlagen stehen folglich nach Ansicht des OAG Lübeck in der praktischen An266
So unter Berufung auf Windscheid, Pandekten, § 470. Ausdrücklich verweist die Entscheidung auf den in den Quellen geregelten Fall, dass ein Käufer oder Verkäufer über die Größe des Kaufobjekts wegen der Berechnung des Preises zuverlässig unterrichtet sein will. 267
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
227
wendung selbständig nebeneinander, wobei die Annahme einer vertraglichen Verpflichtung des Sachverständigen den strengeren Haftungsmaßstab begründet.
d) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts Auf dieser Grundlage fußt auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts zum gemeinen Recht. 268 In einem Urteil vom 13. 7. 1900 hatte das Gericht die Frage zu entscheiden, ob ein Notar für Fehler bei der Beurkundung eines Kaufvertrages auch Dritten gegenüber, d. h. anderen als den bei dem Rechtsakte unmittelbar Beteiligten, konkret dem Makler des Kaufvertrages, haftet. 269 Zur Beantwortung dieser Frage griff das Reichsgericht auf die Klage gegen den mensor zurück. „Das römische Recht kennt nur die Haftung des Spruchrichters den Parteien gegenüber und außerdem die Haftung des mensor den Beteiligten, den Kontrahenten gegenüber. Letztere erklärt sich leicht daraus, daß die Dienste des mensor sog. liberales waren, daher Dienstmiete nicht angenommen wurde, es also an einer Vertragsklage fehlte. Es lag jedoch nahe, daß ζ. B. beim Kauf, auch wenn nur einer der Vertragsgenossen den mensor beauftragt hatte, dies als für beide oder doch im beiderseitigen Interesse geschehen angenommen wurde." 270 Das Gericht befasste sich dabei mit der den Kern der heutigen Diskussion bildenden Frage, wie weit der Kreis der Anspruchsberechtigten im Wege einer ausdehnenden Auslegung der römischrechtlichen Stellen zu ziehen ist, nämlich „ob jedem Geschädigten der Anspruch zustehe". Die Beantwortung dieser Frage könne nur dahin führen, „daß auch denen der Anspruch zusteht, in deren Interesse die Schätzung, oder was es sonst sein mag, erfolgt, oder für die sie erkennbar bestimmt ist, auch wenn sie nicht Mitkontrahenten oder sonst unmittelbar beteiligt sind". „Dahin gehört ζ. B. das Maß oder die Taxe eines Grundstückes, auf Grund deren der sie bestellende Eigentümer einen Käufer oder Hypothekengläubiger suchen will, die dann getäuscht werden." 271 In Übereinstimmung mit dem hier vorangestellten Schrifttum geht auch das Reichsgericht davon aus, diese Regel sei nicht nur auf Agrimensoren, sondern auch auf sonstige Sachverständige anwendbar, und es will die Regel darüber hinaus als allgemeinen Grundsatz auch für die Haftung von Beamten, hier eines Notars, 268 Allgemein zur Haftung nach gemeinem Recht RGZ 48, 355, 360 f. (v. 12. 2. 1901): Das gemeine Recht kannte eine deliktische Haftung für Versehen (culpa) nicht, „von der Aquilischen culpa und etwa der Haftung der Agrimensoren abgesehen". Schadensersatz wegen bloß fahrlässiger Verursachung könne daher „nur aus dem Vertrage" begehrt werden, „wenn nicht einer jener Ausnahmefälle vorliege". 269 RGZ 46, 213; Anspruchsgrundlage war die röm.-rechtl. Syndikatsklage, die ursprünglich gegen den ein ungerechtes Urteil fällenden Richter gerichtet war, später dann allgemein bei Verletzung einer Amtspflicht Anwendung fand, vgl. dazu Windscheid, Pandekten, § 470 mit Anm. 2: „Nach der Analogie der Syndikatsklage und der Bestimmungen über den mensor. " 270 RGZ 46, 213. 271 RGZ 46, 214. 1
228 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
fruchtbar machen. Das Gericht legt damit der Beamten-, Notars- und Sachverständigenhaftung den gleichen Rechtsgedanken zugrunde, denn „gerade aus der Natur ihrer Thätigkeit ergibt sich als das natürlichste, daß sie nur denjenigen haften, die zu sichern ihre Thätigkeit dienen soll, nicht jedem Dritten, der etwa indirekt durch ihre Nachlässigkeit Schaden leidet". 272 Zur Abwendung einer allgemeinen Haftung wurde darauf abgestellt, „daß der betreffende Akt im Interesse der unmittelbar beteiligten Kläger oder zur Sicherung unbestimmter Dritter vorgenommen war, die durch ihn getäuscht wurden und infolgedessen Schaden erlitten". Aufgrund dieser Ausführungen wurde im konkret zu entscheidenden Fall der Makler als Vermittler des Kaufvertrages aus dem Schutzzweck der Notarspflicht zur ordnungsgemäßen notariellen Abfassung ausgenommen. „Ihm gegenüber bestand keine Verpflichtung, den Vertrag wirksam abzuschließen; er ist auch nicht durch den Mangel getäuscht und infolge einer Täuschung geschädigt." „Sein Provisionsanspruch war bedingt durch einen rechtsgültigen Abschluß; erfolgte dieser nicht, so entstand für ihn der Anspruch nicht; er würde diesen auch dann nicht haben, wenn der Vertrag infolge eines Versehens der Parteien oder einer Partei nichtig wäre." 273 Auf diese römisch-rechtlichen Grundsätze griff der erkennende Senat des Reichsgerichts auch noch später, bereits unter Geltung des BGB, in einem Urteil vom 10. 1. 1912 zurück und bestätigte dort diese Ausführungen. 274
2. Die deutschen Gesetzgebungswerke des 19. Jahrhunderts a) Die gesetzlichen Regelungen einer Sachverständigenhaftung Zahlreiche Gesetzgebungswerke dieser Zeit nahmen den zur allgemeinen Sachverständigenhaftung entwickelten Rechtssatz des römischen Rechts als Vorschrift auf. So lautete der den Beratungen der 1. Kommission als Redaktorenvorlage dienende Art. 1030 des Dresdener Entwurfs: 275 „Oeffentlich angestellte Sachverständige oder Schätzer, welche innerhalb ihres Wirkungskreises in Angelegenheiten ihrer Kunst oder Wissenschaft absichtlich oder aus grober Fahrlässigkeit ein unrichtiges Gutachten abgeben oder eine unrichtige Schätzung aufstellen, sind zum Ersätze des dadurch entstandenen Schadens dem Beschädigten verpflichtet."
Eine vergleichbare Regelung enthielt auch § 1508 des sächsischen BGB. 2 7 6 Darüber hinaus sahen der hessische Entwurf in Art. 685 2 7 7 und der bayerische Entwurf 272 RGZ 46, 215. 273 Der Makler habe seinen Schaden nicht deshalb erlitten, weil er auf die rechtsgültige Beurkundung des Kaufvertrages vertraut habe und in diesem Vertrauen getäuscht worden wäre, denn er sei nicht im Vertrauen darauf tätig geworden, so RGZ 46, 215. 274 RGZ 78, 241, 250. 275 Vgl. Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 755. 276 Sächs. BGB § 1508: „Oeffentlich angestellte Sachverständige, welche innerhalb ihres Wirkungskreises in Angelegenheiten ihrer Kunst oder Wissenschaft absichtlich oder aus
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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in Art. 954 2 7 8 eine Haftung für alle, d. h. auch nicht öffentlich angestellte Sachverständige oder Schätzer vor. b) Die gesetzgeberischen Motive Die Dresdner Kommission hob zu Art. 1030 einzig hervor, dass „die Haftung hier auf culpa lata beschränkt werde", und genehmigte die Vorschrift in erster und zweiter Lesung ohne weitere Diskussion. 279 Das Verständnis von culpa lata im Rahmen dieser Berufshaftungstatbestände war dabei keineswegs gleichbedeutend mit unserer heutigen Definition von grober Fahrlässigkeit, sondern war ungleich strenger, wie die Motive zum bayerischen Entwurf bezeugen. Denn culpa lata sollte bereits dann begründet sein, „wenn ein Beamter, Richter oder Schätzmann nicht jene Sorgfalt und Aufmerksamkeit und jenen Fleiß beobachtet, welchen man von jedem ordentlichen Beamten, Richter oder Schätzmann verlangen darf; während Fehler, deren Vermeidung man nur von einem besonders eifrigen und kenntnisreichen Beamten u.s.w. erwarten darf, den Entschädigungs-Anspruch nicht begründen". 280
3. Die Gesetzesmaterialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch a) Das umzusetzende (damals) geltende Recht Auch die 1. Kommission befasste sich mit der Frage nach der Haftung von Sachverständigen und Schätzern. 281 Als Grundlage für einen in den Gesetzestext aufzunehmenden deliktsrechtlichen Haftungssatz dienten die vorausgegangenen Gesetzgebungswerke, deren gemeinsame „Quelle" nach Auffassung der Gesetzesverfasser die Vorschriften des römischen Rechts über die Haftung des mensors waren. grober Fahrlässigkeit ein unrichtiges Gutachten abgeben oder eine unrichtige Schätzung aufstellen, sind zum Ersätze des dadurch entstandenen Schadens verpflichtet." 277 Hess. Entwurf Art. 685: „Sachverständige oder Schätzer, welche in Angelegenheiten ihrer Kunst oder Wissenschaft absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit ein unrichtiges Gutachten abgeben oder eine unrichtige Schätzung aufgestellt und dadurch Jemanden in Schaden gebracht haben, sind zum Ersätze desselben verpflichtet." 278 Bayer. Entwurf Art. 954: „Sachverständige oder Schätzer, welche ein unrichtiges Gutachten oder eine unrichtige Schätzung abgeben, sind zum Ersätze des dadurch verursachten Schadens verpflichtet, wenn sie der Vorwurf der Unredlichkeit oder der Unterlassung gewöhnlicher Aufmerksamkeit treffe, vorbehaltlich der durch besondere Gründe gesteigerten Verantwortlichkeit derselben." Der Wortlaut dieser Vorschriften ist abgedruckt bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 1001. 279 Protocolle der Commission zur Ausarbeitung eines Allg. Dt. Obligationenrechtes, 1865, S. 3669, 3744; s. auch von Kübel bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 1002. 280 Motive zu Art. 954 Bayer. Entw. in Entwurf eines BGB für das Königreich Bayern, 1861 - 64, Neudruck 1973, S. 595. 28 1 Motive zum BGB, Band 2,1888, S. 827.
230 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
„Das römische Recht giebt demjenigen, welcher sich durch einen Feldmesser Messungen besorgen läßt, gegen den letzteren im Falle unrichtiger Messung nur eine Deliktsklage auf Schadensersatz wegen dolus und culpa lata, indem es dieses Verhältniß nicht als ein eigentliches Vertragsverhältniß behandelt. Mittels jener Klage können aber auch Dritte, welche ihrerseits die Dienste des Feldmessers nicht in Anspruch genommen hatten, Ersatz des ihnen durch die unrichtige Messung entstandenen Schadens fordern". 282 Für die Darstellung des damals geltenden Rechts übernahm die Kommission die Analyse von Kübels, 283 der als zuständiger Redaktor der Vorkommission den Wandel in der rechtlichen Auffassung vorbereitend zusammengefasst hatte: „Ob die Grundsätze des röm. Rechtes über die Haftung des mensor demjenigen gegenüber, welcher seine Dienste in Anspruch genommen hat, auch gemeinrechtlich noch anwendbar sind, ist bestritten; in Theorie und Praxis wird vielfach angenommen, daß nach heutigem Rechte das Verhältniß zwischen dem mensor und demjenigen, welcher dessen Dienste benutzt, nach den Grundsätzen des Dienstvertrages zu beurtheilen sei und deshalb der mensor dem anderen Kontrahenten auch wegen culpa levis hafte. Dagegen sind die Grundsätze des röm. Rechtes jedenfalls insoweit, als Dritte beschädigt sind, noch praktisch, und zwar wenden Theorie und Praxis jene Bestimmungen analog auf alle Fälle an, in denen Sachverständige, insbesondere solche, welche mit staatlicher Ermächtigung ihre Dienst dem Publikum anbieten, in Ausübung ihres Berufes, namentlich durch Ausstellung unrichtiger Gutachten und Zeugnisse, Dritte beschädigen."284 b) Die Abkehr von dem Sonderdelikt
einer Sachverständigenhaftung
In ihren Entwurf nahm die 1. Kommission „besondere Bestimmungen über die Haftung der in Rede stehenden Personen wegen Verletzung der Berufspflicht" nicht auf. 285 Zur Begründung wird angeführt: Insofern der Sachverständige oder Schätzer, wenn er sich strafbar gemacht habe oder „seinen kontraktlichen Pflichten demjenigen gegenüber, welcher seine Dienste in Anspruch genommen hat, nicht genügt", durch eine solche Norm nur wegen grober Fahrlässigkeit für verantwortlich erklärt wird, sei dies „unrichtig und mit den sonstigen Grundsätzen des Entwurfes (§§ 704, 224, 144) nicht vereinbar". „Insoweit sie aber bestimmen, daß ein solcher Sachverständiger oder Schätzer wegen grober Fahrlässigkeit für den einem Dritten dadurch entstandenen Schaden verantwortlich sei, schaffen sie in nicht zu billigender Weise ein besonderes zivilrechtliches Delikt. Zu einer solchen positiven Satzung liegt ein Bedürfnis nicht vor. Der Umstand, daß durch ein Versehen der fraglichen Art ein Dritter leicht Schaden erleiden kann, ist als ein zureichender Grund für die Angemessenheit der Vorschrift nicht anzusehen. Es giebt noch eine große Zahl 282 Motive zum BGB, S. 827 (Hervorheb. v. Verf.). 283 Vgl. Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 1000 f. 284 Motive zum BGB, S. 827; zu Angaben aus der damaligen Literatur und Rechtsprechung vgl. Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 1002. 285 Motive zum BGB, S. 827.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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anderer und weit wichtigerer Fälle, in welchen Jemand - insbesondere, wenn er zu einem gewissen Gewerbe nach vorheriger Prüfung und dergl. konzessionirt oder zugelassen ist - durch Verletzung einer in Ausübung des Gewerbes übernommenen obligatorischen Verpflichtung einen Anderen als den Gläubiger beschädigen kann. Erklärt ihn das Gesetz für den Schaden verantwortlich, so wird von einem fundamentalen Grundsatze in der eingreifendsten Weise abgewichen. Weshalb eine solche Abweichung gerade zum Nachtheile des aus grober Fahrlässigkeit fehlenden, wenn auch öffentlich angestellten, gleichwohl der Beamtenqualität entbehrenden Sachverständigen oder Schätzers sich rechtfertigt, ist nicht abzusehen. Liegt Beamtenqualität vor, so beurtheilt sich die Verantwortung nach § 736. Die öffentliche Anstellung der Beamtenqualität gleichzustellen, kann nur zu einer unrichtigen Beurtheilung der letzteren und zu gefährlichen Irrungen führen. Wäre sie gerechtfertigt, so würde übrigens auch die Vertretung wegen nicht grober Fahrlässigkeit bestimmt, insoweit also über die oben gedachten Vorschriften des sächs.G.B. und des dresd. Entw. hinausgegangen werden müssen. Diese Ausdehnung würde auch schon deshalb nöthig sein, weil die Haftung nur für grobes Versehen in Deliktsfällen, wenigstens vom Standpunkte des Entwurfes aus (vergi. §§ 704, 144), als eine kaum haltbare Anomalie erscheint. Für die Fälle, in welchen ein Sachverständiger oder Schätzer vorsätzlich ein unrichtiges Gutachten abgegeben oder eine unrichtige Schätzung aufgestellt und dadurch einen Dritten beschädigt hat, reichen die allgemeinen Grundsätze aus (§ 704 verb, mit den §§ 705,604)." 286 Die Kommission war damit von Kübels Ansicht gefolgt, der bereits in seinen Bemerkungen zu dem als Vorlage dienenden Art. 1030 des Dresdner Entwurfs eine solche Vorschrift für entbehrlich erachtet hatte. 287 „Soweit zwischen dem Beschädigten und dem Sachverständigen oder Schätzer ein Vertragsverhältnis vorliegt, richtet sich die Haftung des letzteren nach den Grundsätzen des Dienstvertrags oder Auftrags." „Andernfalls kann der Beschädigte gegebenenfalls nach § 145 Abs. 1 des Obi. R. in Verbindung mit § 146 das. und den [ . . . ] Bestimmungen des St.G.B. sowie auf Grund des § 455 des Obi. R. Schadensersatz fordern." 288
4. Zur heutigen Bedeutung des historischen Materials a) Der geschichtliche Kontext aa) Der historische Bezug zur gegenwärtigen Problematik Ein Vergleich der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte mit der Haftung des mensors im gemeinen Recht 286 Motive zum BGB, S. 827 f. 287 von Kübel, Bemerkungen zu Art. 1030 des Dresdner Entwurfs, bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 1002. 288 Der darin genannte § 145 Obl.R. entsprach dem späteren § 704 E I, § 455 Obl.R. war die Vorläuferbestimmung des späteren § 676 BGB a.F.
232 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
bringt erstaunliche Ähnlichkeiten zum Vorschein. 289 Der historische Bezug wird offensichtlich. Heute ebenso wie damals werden der „Dritthaftung" auf reine Vermögensschäden insbesondere öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige sowie andere „öffentliches Vertrauen in Anspruch nehmende sachkundige Person(en)" unterworfen. 290 Es geht der Rechtsprechung auch heute, so Lang erläuternd, „um die besondere Sachkunde des Sachverständigen oder Wirtschaftsprüfers, der kraft dieser Sachkunde und eines auf Sachgerechtigkeit ausgerichteten verbindlichen Verhaltenskodexes in der Öffentlichkeit besonderes Vertrauen genießt und das auch beruflich auswertet". 291 Und wenn dabei dieses „typisierte Vertrauen in einen ganzen Berufsstand" zum „zentrale(n) Merkmal der vertraglichen Dritthaftung" erklärt wird, 2 9 2 so greift die Rechtsprechung ersichtlich - aber wohl gänzlich unbewusst - diese historischen Wurzeln wieder auf, und es scheint unausgesprochen und die gesetzgeberischen Vorgaben ignorierend ein um einfache Fahrlässigkeit erweiterter Art. 1030 des Dresdner Entwurfs der Dritthaftung von Sachverständigen und Wirtschaftsprüfern zugrundegelegt. Einzig wirklich „neu" an der Haftung des Sachverständigen ist heute, dass sie als „vertragliche" Haftung noch zusätzlich von einem Interesse des Auftraggebers am Schutz des Dritten und vom Willen der „Vertrauensperson", auch dem Dritten gegenüber einzustehen, getragen sein muss. Doch trübt allein dies nicht die Sicht auf ihre klare Entsprechung. Vielmehr verstärken sich gerade hier - bei einem Vergleich der historischen Grundlagen mit ihrem aktuellen Pendant - die an diesem Punkt bestehenden, oben angeführten Bedenken an der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte, 293 war doch der Vorläufer der hier gesuchten Haftung als willensunabhängiger Satz des objektiven Rechts anerkannt. Das Problem der Haftung für primäre Vermögensschäden im außervertraglichen Bereich in den Fällen, wie sie heute mit Hilfe der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gelöst werden, ist damit also kein neues. Es hat „ungebrochene Aktualität". 294 Auch sind die zugrundeliegenden Fallgestaltungen keineswegs nur eine Erscheinungsform unserer modernen arbeitsteiligen Wirtschaftsordnung, wie der Fall des OAG Lübeck eindrucksvoll bestätigt. 295 Es handelt sich vielmehr um ein - man kann sagen - zeitloses juristisches Problem, das sich fortwährend stellt, dessen Handhabung sich nur durch veränderte normative Vorgaben zugespitzt hat. 289 Mit Recht hebt Hirte, Berufshaftung, S. 170, in seiner Stellungnahme hervor, dass es erstaunt, welche Aktualität die Debatte noch heute besitzt; und ders., ebenda, S. 174: „Bei der Haftung gegenüber Dritten erinnert die im letzten Jahrhundert geführte Debatte am stärksten an die auch heute noch geführte Auseinandersetzung." 290 So Lang, WPg 1989,62, zur Rechtsprechung des BGH; vgl. auch die o. bereits genannten Urteile BGHZ 127, 378 = JZ 1995, 306; JZ 1998, 624. 29 1 Ders., WPg 1989, 62. 292 Ders., WPg 1989, 62. 29
3 Vgl. o. 1. Kap. C. I. u. II. 1. 294 So Hirte, Berufshaftung, S. 174. 295
Vielleicht mit Ausnahme des Lastschriftverfahren-Falls.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
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Es geht - abstrakt formuliert - um die Haftung für fehlerhaft erbrachte Leistungen, die schon ihrer Natur nach nicht nur einer einzigen Person - dem Auftraggeber und Vertragspartner - nützlich sein sollen, die vielmehr nach dem Inhalt der Leistung mehrere Personen, also auch Dritte (finanziell) absichern sollen.
bb) Der historische Ursprung der Haftung Ihren historischen Ursprung fand diese Haftung in der Person des Agrimensors und ihrer Verurteilung durch den Prätor im antiken Rom. Durch die Rezeption des römischen Rechts wurde diese Haftung von der deutschen Rechtsdoktrin und -praxis übernommen. Aus dem prätorischen Edikt wurde, anknüpfend an die Vorarbeiten des römischen Rechts, eine allgemeine Haftung für Gutachter und Sachverständige entwickelt, die, wenn auch noch dem historischen Vorbild folgend auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt, Eingang fand in die Gesetzgebungswerke des 19. Jahrhunderts. 296 Mit dem Überwinden der römisch-rechtlichen Vorstellung der ars liberalis und der Einordnung der Sachverständigen-Tätigkeit in das Vertragsrecht schwand die Bedeutung dieses Haftungssatzes. Dessen Rolle übernahm die Kontraktsklage, nach der nunmehr auch für einfache Fahrlässigkeit einzustehen war. Fand sich damit für das Verhältnis des Sachverständigen zum Auftraggeber und Vertragspartner eine neue Regel, so sollte doch im Verhältnis des Sachverständigen zu Dritten noch auf die mensor-Haftung zurückgegriffen werden können. Gerade in den uns heute interessierenden Fällen der Drittschädigung sollte also der verbleibende Anwendungsbereich dieser Haftung sein. Und genau davon ging auch noch der Gesetzgeber des BGB aus.
b) Die Vorschrift des § 675 Abs. 2 BGB als Ausdruck einer generellen Entwicklung in der rechtlichen Erfassung der Auskunftshaftung Der Verlauf der hier dargestellten Entwicklung in der damaligen Wissenschaft und Gesetzgebung ist maßgeblich geprägt von dem sich wandelnden Verständnis der Sachverständigentätigkeit - Begutachtung und Auskunfterteilung - und der „neuen" Sichtweise als allein vertraglich versprochene und geschuldete Leistung. Ging noch die „ältere Doktrin" nach den Erläuterungen von Kübels davon aus, „daß Personen, die vermöge ihres Amtes oder als Sachverständige zur Ertheilung eines Rathes verpflichtet seien, wegen dieser Verpflichtung für eine bei der Rathertheilung ihnen zur Last fallende culpa einzustehen hätten", so nahm die damals neue „gemeine Meinung" an, „daß Personen, welche auf Grund einer staatlichen Anstellung, Konzession oder Approbation berufen sind, in Angelegenheiten ihrer 296 Vgl. zum historischen Zusammenhang auch Honsell, FS Medicus, S. 214; Lammel, AcP 179, 337, 347 ff.
234 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Wissenschaft oder Kunst Rath zu ertheilen", an sich nicht anders als andere Personen zu beurteilen seien, „daß aber vermöge ihrer Stellung und Beschäftigung der Regel nach, wenn nicht immer die Sachlage sich so gestalten werde, daß sie die Rathertheilung vermöge eines unentgeltlichen oder entgeltlichen Auftrages übernehmen und alsdann die durch das betreffende obligatorische Verhältnis gebotene Sorgfalt zu prästiren haben 4 '. 297 Der Schwerpunkt der rechtlichen Problematik der ursprünglich eigenständig geregelten Haftung von Sachverständigen konzentrierte sich damit auf die allein ausschlaggebende Frage, ob ein pflichten- und haftungsbegründendes Auftragsverhältnis und damit ein Vertrag zustandegekommen ist. Vordringliches Bestreben der Gesetzesverfasser musste deshalb sein, einer exzessiven Auslegung Einhalt zu gebieten, wie die Materialien zu § 676 BGB a.F. belegen. 298 „Der Rath als solcher ist kein auf eine Verpflichtung gerichteter Willensakt", so die in § 676 BGB a.F. umgesetzte Rechtsüberzeugung, denn „dem Rath fehlt, abgesehen von dem Hinzutritt besonderer Umstände, jedes obligierende Moment. 44299 Und Einverständnis bestand, „daß eine Haftpflicht den Rathenden dann trifft, wenn er für die Folgen der angerathenen Handlung einzustehen sich besonders verpflichtet hat, [ . . . ] ferner, wenn er wissentlich einen schlechten Rath ertheilt hat 44 . 300 Man war mithin der Ansicht, die ursprünglich deliktisch eingekleidete Haftung aus der Verletzung von Berufspflichten (in Gestalt der Sachverständigenhaftung) völlig in vertragliche Maßstäbe überführen zu können, deren Anwendung dann besondere Regeln für den beruflichen Auskunfts- und Ratgeber entbehrlich machen sollte. Nachvollziehen lässt sich diese Entwicklung gerade auch an den unterschiedlichen Vorfassungen des heutigen § 675 Abs. 2 BGB. 3 0 1 Der als Redaktorenvorlage dienende Art. 688 Abs. 2 des Dresdner Entwurfs besagte:
297
So zusammenfassend von Kübel, Materialien zum BGB, Redaktoren-Motive nebst Vorlagen, Schuldverhältnisse II, Materialien zu dem Abschnitt über den Auftrag (Art. 688 des Dresdner Entw.), S. 18 f. 298 s. dazu bereits o.u. 1. Kap. C. VI. 2. 299 So von Kübel, Materialien, S. 18; ebenso auch die 1. Kommission: Motive zum BGB, S. 554: „Der unaufgefordert oder auf Anfrage gegebene Rath, eine solche Auskunft oder Empfehlung sind an sich unverbindlich. Der Wille sich zu obligieren, fehlt gewöhnlich und derjenige, welcher den Rath oder die Empfehlung empfangen, handelt, wenn er sie befolgt auf seine Gefahr"; so auch etwa aus der Rspr.: RG v. 31. 1. 1891, RGZ 27, 118, 120: „Betrachtet man die einzelne Auskunftserteilung oder Empfehlung lediglich für sich, so fehlt es an einem rechtlichen Grunde (causa) dafür, denjenigen, von welchem die Auskunft ausgeht, für die aus derselben entstehenden Folgen verantwortlich zu machen"; OAG Rostock v. 21. 7. 1870, Seuffert Bd. 32,45; sowie aus der Lit.: Tewes, AcP 51 (1868), 35 f. 300 Von Kübel, Materialien, S. 18. 301 Zur Vorschrift des § 676 BGB a.F. meint Kipp in einer ersten Bewertung: „In der bloßen Ertheilung des Raths oder der Empfehlung liegt, wie bisher, die Eingehung eines Vertragsverhältnisses nicht", Windscheid/Kipp, Pandekten, Bd. 2, 8. Aufl. 1900, § 412 a.E. (2.). Vertieft zur histor. Entwicklung und Gesetzgebungsgeschichte des § 676 BGB: Jost, Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 13 ff.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
235
„Ist Jemand durch Befolgung eines Rathes oder einer Empfehlung eines Anderen in Schaden gekommen, so ist der Letztere zum Ersätze verpflichtet, wenn er arglistig oder mit Versäumung der ihm durch Amtspflicht, Beruf oder Vertrag gebotenen Sorgfalt den Rath oder die Empfehlung ertheilt hat."
Noch bei der Entstehung dieser Vorschrift war die Auskunftshaftung zunächst nur auf die Verletzung der Berufs- und Amtspflicht beschränkt und wurde erst später „dahin erweitert, daß die Versäumung einer durch Vertrag gebotenen Sorgfalt die gleiche Haftung begründen solle, da hier dieselben legislativen Erwägungen für zutreffend zu erachten seien". 302 Aber bei der damit vollzogenen Gleichstellung von Beruf und Vertrag blieb es nicht. Die allmähliche schleichende Ablösung der beruflichen durch die vertragliche Auskunft als abstrakter Haftungsgrund wurde schließlich von den Gesetzesverfassern des BGB ganz vollzogen. Nach dem Willen der hieran anknüpfenden 1. Kommission war eine Bestimmung, nach der ein Ratender oder Empfehlender nur wegen dolus und nicht auch für culpa hafte, „von Wichtigkeit". 303 Es sei allerdings ein Zusatz nötig, der die Fälle decke, „in welchen die besonderen Umstände eine weiter gehende Haftung begründen". 304 Dahin gehöre die vertragliche Verpflichtung zur Raterteilung, und „zu diesen Vertragsfällen gehören auch diejenigen, in welchen Rath und Empfehlung kraft Gewerbes oder Berufes ertheilt ist". 3 0 5 „Es entfällt hiernach auch eine besondere Bestimmung über die Verantwortlichkeit derjenigen, welche als Sachverständige in Angelegenheiten ihrer Kunst oder Wissenschaft einen Rath ertheilen", wie etwa noch in den §§219-221 des Preußischen Allgemeinen Landrechts oder auch dem § 1300 des österreichischen ABGB geregelt, auf die ausdrücklich verwiesen wird. 3 0 6 Und ein anderer Fall sei schließlich der, wenn ein Beamter kraft seiner Amtspflicht zu raten und zu empfehlen habe. 302 Von Kübel, Materialien, S. 12, dort auch zum Zusammenhang mit Art. 1030. S. ferner die Vorlage des Ausschusses (Art. 731) für die Dresdner Kommission, Protocolle, S. 2484. Die dort noch enthaltene Alternative, „daß der Rathende, wenn er versprochen habe für den Erfolg einzustehen, aus diesem Versprechen verantwortlich werde", hielt man in der Dresdner Kommission für „selbstverständlich" und wurde „als entbehrlich" gestrichen, Protokolle der Dresd. Komm., S. 2486 f., 2489. Aber die „Beschränkung des Satzes auf die durch Amtspflicht oder durch Beruf gebotene Sorgfalt" war „bei Betrachtung der einschlägigen Fälle als zu eng" angesehen worden, so dass eine „Erweiterung der Bestimmung durch Berücksichtigung der Fälle einer durch Vertrag gebotenen Sorgfalt bei Ertheilung des Rathes oder der Empfehlung" für erforderlich erachtet wurde. 303 Jakobs/Schubert, Beratungen Schuldverhältnisse III, S. 35. Die Haftung ergebe sich nach den gemeinrechtlichen Grundsätzen über die actio doli, Motive zum BGB, S. 554 f.; so auch die 2. Kommission, Reichs-Justizamt, Protokolle, Bd. 2, S. 380. 304 Motive zum BGB, S. 555. 305 Motive zum BGB, S. 555. 306 Motive zum BGB, S. 555. Der ursprüngliche Haftungsgrund aus beruflicher Stellung kommt auch in den Motiven zu dem mit Art. 688 Dresdner Entw. vergleichbaren Art. 687 Bayer. Entw. von 1861 zum Ausdruck, Motive zum BGB, S. 513: Dort sah man eine „Ausnahme von der Regel, daß der Rathende für die Nachtheile nicht einzustehen habe, welche der Berathene durch die Befolgung des Rathes erleidet", auch in dem Falle für „gerechtfer-
236 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Rat, Auskunft oder Empfehlung - so die zeitlose Überzeugung - sollten also grundsätzlich unverbindlich sein. Für fehlerhafte Auskunft sollte noch nach der Auflistung der „Ausnahmen von dem Principe der NichtVerbindlichkeit des Rathes" 307 in Art. 688 Dresdner Entwurf nur bei Arglist, vertraglicher Beziehung, besonderer beruflicher Auskunftserteilung oder verletzter Amtspflicht gehaftet werden. 308 Bereits durch die Fassung des § 604 des 1. Entwurfs wurde das berufliche dem vertraglich veranlassten Handeln unterstellt. 309 Die ursprüngliche Beschränkung der Haftung auf Berufsträger mit besonderem Sachverstand war damit ganz ausgetauscht worden durch die Beschränkung auf das Bestehen oder Zustandekommen eines Vertragsverhältnisses. Dieses Auswechseln des haftungsbegründenden Elements machte eine restriktive Handhabung der Vertragsgrundsätze notwendig, die der Gesetzgeber in § 676 BGB a.F. niedergelegt wissen wollte. 3 1 0 Es kommt darin wohl von Jherings eindrucksvoll geäußerte und oft zitierte Befürchtung zum Ausdruck, wohin es führen würde, „wenn Jemand, wie wegen dolus, auch wegen culpa lata in Anspruch genommen werden könnte": „Eine unvorsichtige Äußerung, [ . . . ] ein schlechter Rath, [ . . . ] die von einem Vorübergehenden gebetene Auskunft über den Weg, die Zeit u.s.w., kurz, alles und jedes würde bei vorhandener culpa lata trotz aller bona fides zum Ersatz des dadurch veranlaßten Schadens verpflichten und die actio de dolo würde einer solchen Ausdehnung zu einer wahren Geißel des Umgangs und Verkehrs werden, alle Unbefangenheit der Conversation wäre dahin, das harmloseste Wort würde zum Strick!" 311 Ersichtlich lagen die Schwierigkeiten bei der rechtlichen Erfassung der römischen operae liberales - der freiberuflichen Tätigkeit - , wie sie traditionell der mensor und nach seinem Vorbild andere Sachverständige ausübten, durch das moderne Denken der Pandektistik weniger in der Zuordnung zu den einzelnen Vertragsarten Dienst-, Werkvertrag oder Auftrag, als vielmehr in der Einordnung in das Recht des bindenden Vertrags überhaupt begründet. 312 Der Gesichtspunkt der Haftung gegenüber Dritten, der heute jegliche Betrachtung des § 675 Abs. 2 BGB (§ 676 BGB a.F.) prägt, 313 trat demgegenüber ganz in den Hintergrund und wurde tigt, wenn autorisierte Kunst- und Sachverständige (wie Anwälte, Aerzte) die ihnen durch ihr Pflichtverhältnis gebotene besondere Sorgfalt bei Ertheilung eines Rathes verabsäumt haben, indem hierin eine Verletzung des Vertrauens der auf sie vermöge ihrer öffentlichen Stellung angewiesenen Rathsuchenden liegt". 307 Protocolle der Dresdner Kommission, S. 2487. 308 Der Fall der „Garantieübernahme" wurde dabei von der Dresdener Kommission noch eigens zusätzlich erwähnt, Protocolle , S. 2484, 2486 f., bes. 2599. 309 Abgedruckt bei Mugdan, Materialien zum BGB, S. XCVIII, s. bereits o.u. 1. Kap. VI. 2. 310 Vgl. hierzu Reichs-Justizamt, Protokolle, S. 664. Hirte, Berufshaftung, S. 174: „Die Grundtendenz der Entwurfsverfasser war es jedenfalls, die Haftung für Auskünfte im Vergleich zum römischen und zum gemeinen Recht zu beschränken." 311 von Jhering, JhJb Bd. 4 (1860), S. 12 f.; von Jhering wandte sich damit gegen eine Einbeziehung der groben Fahrlässigkeit in die Haftung nach der actio doli. 312 Hirte, Berufshaftung, S. 171. 313 Vgl. oben 1. Kap. C. VI. 1.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
237
von der Diskussion um den Aussagegehalt dieser Vorschrift nicht berührt, sondern trat vielmehr an anderer Stelle, nämlich in der Diskussion zu Art. 1030 Dresdner Entwurf, in den Focus gesetzgeberischer Überlegungen.
c) Die Intention des Gesetzgebers aa) Der Kontext der Motive zu § 675 Abs. 2 BGB und des Art. 1030 Dresdner Entwurf Die heute im Rahmen der Expertenhaftung geführte Debatte um § 675 Abs. 2 BGB darf nicht isoliert von der historischen Diskussion um den thematisch verwandten Art. 1030 des Dresdner Entwurfs betrachtet werden. Die Problematik erschließt sich nur aus einer Gesamtschau beider nur äußerlich getrennter Bereiche. Denn mit der Hinwendung zur vertraglich begründeten Haftung und der Abkehr von dem römisch-rechtlichen Ursprung der Klage gegen den mensor wurde nun zugleich der Grund gesetzt für das heutige Dilemma. Ein tradiertes Haftungsverständnis verlor seine historische Grundlage. Während noch unmittelbar bis zur Einführung des BGB die Haftung des Sachverständigen auch dem Mitkontrahenten des Auftraggebers gegenüber - zumindest für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit in der Praxis geläufig und in der Doktrin völlig unbestritten war, wie die Zitate von Windscheid und der Rechtsprechung des Reichsgerichts noch aus dem Jahre 1900 bezeugen,314 wurden diese Anspruchsgrundlage und die ihr zugrundeliegenden Haftungsgrundsätze bei der Bestimmung der geschützten Personen mit Geltung der neuen Regeln vollständig verdrängt.
bb) Das Zusammenspiel der Bestimmungen des 1. Entwurfs zum BGB und das unbewusste Übergehen der Sachverständigenhaftung Dabei muss bezweifelt werden, ob dem Gesetz die verdrängende Wirkung tatsächlich in diesem strikten Sinne zukommen sollte. Zwar wandte sich der Gesetzgeber des BGB ausdrücklich und dezidiert gegen die Aufnahme eines Tatbestands der Sachverständigenhaftung nach dem Vorbild des Art. 1030 Dresdner Entwurf in das Recht der unerlaubten Handlungen. Gleichwohl lässt sich der Eindruck einer „bewußten Nichtregelung" 315 der gesuchten Haftung bei genauerer Analyse nicht aufrechterhalten. Es ist zu konstatieren, dass die Gesetzesverfasser die im gemeinen Recht praktizierte Haftung von Sachverständigen auch Dritten, d. h. Nicht-Vertragspartnern, gegenüber als geltendes Recht auswiesen. Damals ebenso wie heute 314
s.o., für Windscheid vgl. gleichlautend später noch Windscheid/Kipp, Anm. 6. 315 So in Anlehnung an Hirte, Berufshaftung, S. 170.
Pandekten, § 470
238 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
galt, dass der Gutachter für Fehler seiner Leistung sowohl dem Käufer wie auch dem Verkäufer der begutachteten Sache Schadensersatz zu leisten hat, unabhängig davon, wer ihn beauftragte. Wenn sich hier nun die Gesetzesverfasser dagegen aussprachen, eine diese Haftung beinhaltende besondere Regel gesetzlich niederzulegen, und sich damit auf den ersten Blick auch gegen die geltende Rechtsansicht wandten, so darf diese Stellungnahme nicht isoliert und abschließend betrachtet werden. Denn es gilt bei einer Bewertung dieser formalen Streichung des Art. 1030 Dresdner Enwurf das Zusammenspiel der Vorschriften über unerlaubte Handlungen zu sehen. Nach der neuen, noch zu schaffenden Gesetzeslage wurde eine dahingehende Regelung entbehrlich. Denn der die Sachverständigenhaftung ablehnende Gesetzgeber tat dies noch auf der Grundlage des § 704 E I , der eine große Generalklausel beinhalten sollte. 316 Auf diese Vorschrift berufen sich sowohl von Kübel wie auch die 1. Kommission ausdrücklich. 317 Ersatz für primäre Vermögensschäden war demnach schon nach diesem deliktsrechlichen Grundtatbestand zu leisten. Eines haftungsbegründenden Spezialtatbestandes für Sachverständige und Schätzer nach Vorbild des Art. 1030 Dresdner Entwurf bedurfte es also zusätzlich nicht mehr. Dieser hätte vielmehr die Haftung für jegliches Verschulden eingeschränkt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, die Regel hätte also haftungsbeschränkend gewirkt. Dass diese Denkweise den Gesetzesverfassern durchaus nicht fern lag, lässt sich an anderer Stelle anschaulich nachweisen. So wurde auch für die Haftung der Beamten, die gemeinsam mit der Sachverständigenhaftung unter der Uberschrift „Verletzung von Berufspflichten" behandelt wurde, 318 im Gesetzgebungsverfahren erwogen, ob nicht „die prinzipeile Vorschrift des § 704 in Verbindung mit dem § 705 und den §§ 722-726, 728 vollkommen genügt und es bei demjenigen zu belassen ist, was sich aus jenen Vorschriften für die Vertretung des aus einem Beamtendelikte entstandenen Schadens ergiebt". 319 „Es läßt sich in Zweifel ziehen, ob es vom Standpunkte des Entwurfes aus in Ansehung der Verpflichtung der Beamten, den aus der Verletzung einer Amtspflicht entstandenen Schaden zu ersetzen, besonderer Bestimmungen überhaupt bedarf 4, denn bereits „(n)ach § 704 zieht jede aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit verübte widerrechtliche Handlung die Verpflichtung zum Ersätze des dadurch einem Anderen zugefügten Schadens nach sich". 3 2 0 Vorwiegend aus Gründen der Klarstellung hielt man an einer gesetzlichen Regelung fest und einigte sich sodann auf den dem heutigen § 839 Abs. 1 BGB entsprechenden § 736 Abs. 1 des 1. Entwurfs mit dem Inhalt: 321 316 Vgl. dazu o. 2. Kap. Β. V. 3. b). 317 Vgl. die o.g. Zitate o.u. 3. b). 318 s. Jakobs /Schubert, Beratungen Schuldverhältnisse III, S. 998; sowie Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 755. 319 Motive zum BGB, S. 822; Jakobs/Schubert, Beratungen Schuldverhältnisse III, S. 1000. 320 Motive zum BGB, S. 822. 321 So abschließend die Motive zum BGB, S. 823 f.: „Zur Vermeidung der hervorgehobenen Zweifel ist es als rathsam erachtet, im Abs. 1 den Gedanken zum Ausdrucke zu bringen,
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
239
„Ein Beamter, welcher die gegenüber Dritten ihm obliegende Amtspflicht aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit verletzt, ist für den hieraus einem Dritten entstehenden Schaden nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften über unerlaubte Handlungen verantwortlich."
Die Vorschrift beinhaltete damit eine Rechtsverweisung auf die große Generalklausel des § 704 E I. Erst später erhielt § 839 BGB die Fassung einer eigenständigen Anspruchsgrundlage. Diese angestrebte Systematik des entworfenen Gesetzeswerks wird auch bei der hier interessierenden Behandlung der Notare deutlich. So führte von Kübel in der Kommissions-Vorlage aus, dass auch die Haftung der Notare, die nach damaligem Recht nicht notwendig hoheitlich, sondern „in Ermangelung besonderer Bestimmungen" - etwa in einer Notariatsordnung - auch auf privatvertraglicher Grundlage handelten, „demjenigen gegenüber, welcher ihre Dienste benutzt, nach den Vorschriften über den Dienstvertrag oder Auftrag [ . . . ] , Dritten gegenüber nach dem § 145 des Obi. R. in Verbindung mit § 146 das. und den Bestimmungen des St.G.B. [ . . . ] zu beurtheilen sein" werde. 322 Es findet sich damit exakt derselbe Verweis auf die Regeln der unerlaubten Handlungen wie für den Sachverständigen, deren Anwendung auch für den Notar eine eigene Haftungsregel erübrigen sollte, und nur „soweit die Notare landesgesetzlich den Charakter von eigentlichen Beamten haben, finden in Ermangelung besonderer Bestimmungen die Vorschriften über die Haftung der Beamten wegen Verletzung der Amtspflicht auch auf sie Anwendung". Vor diesem Hintergrund konnte die Sachverständigenhaftung im Gesetzeswerk unerwähnt bleiben, ohne sie damit inhaltlich in der bisher gebräuchlichen Form abzulehnen oder zu verwerfen. Die Lösung des Problems konnte auf dieser Grundlage der Wissenschaft und Praxis in Ausfüllung der Generalklausel überlassen werden. Auch diese, auf den ersten Blick spekulative Bewertung der Vorgehensweise der Gesetzesverfasser kann an einschlägiger Stelle belegt werden. Die Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten wurde - wie angeführt - nur als Teil der Problematik begriffen, dass jemand durch Verletzung einer obligatorischen Pflicht einen anderen als den Gläubiger schädigt. Mit diesen Fällen der sog. „mittelbaren Beschädigung" befasste sich eingehend die 2. Kommission im Rahmen zweier Anträge zur Ergänzung der Regeln über Art und Inhalt des Schadensersatzes.323 Die damals abgelehnten Anträge zur Aufnahme eines § 221a in den Gesetzesentwurf betrafen inhaltlich und konstruktiv die Fälle der heute als ungeschriebenes Recht angewandten Drittschadensliquidation, 324 die mit dem Vertrag mit Schutzwirkung
daß ein Beamter, welcher die ihm Dritten gegenüber gesetzlich obliegende Amtspflicht aus Vorsatz oder Fahrlässigkeit verletzt, eine widerrechtliche Handlung begeht, welche ihn [ . . . ] für den aus der Verletzung der Amtspflicht einem Dritten entstandenen Schaden verantwortlich macht." 322 v o n Kübel bei Schubert, Vorlagen der Redaktoren, S. 1000 (Hervorheb.v.Verf.). 323 Reichs-Justizamt, Protokolle, S. 298; ebenso wiedergegeben bei Mugdan, Materialien zum BGB, S. 517 f. 324 Namentlich angesprochen war die mittelbare Stellvertretung.
240 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
für Dritte eng verwandt sind. 325 Eine gesetzliche Regelung wurde auch dort für entbehrlich erachtet, da, „soweit es nothwendig sei, dem Dritten einen unmittelbaren Schadensersatzanspruch an den Beschädiger zu gewähren, treffe der § 704 I ausreichende Vorsorge". 326 Mit Hilfe der deliktischen Generalklausel sollten diese Fälle also einer Lösung zugeführt werden können. 327 325 Dass beide Figuren eng miteinander verbunden sind, wird schon aus dem oben dargestellten Meinungsbild ersichtlich, nach dem v.a. bei Sachschäden, aber auch für Vermögensschäden, anstatt des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte immer wieder auch auf die Drittschadensliquidation zurückgegriffen wird, und beide erweisen sich dabei oft als austauschbar (s. die Angaben o. 1. Kap. A). Versuche, beide Rechtsinstitute gegeneinander abzugrenzen (beispielhaft etwa Traugott, Vertraglicher Drittschutz, S. 75 ff.; Urban, Vertrag, S. 152 ff.; Neuner, JZ 1999, 126, 128 ff.) können zwar beiden Rechtsfiguren in ihrem Verhältnis zueinander eine Existenzberechtigung einräumen, nicht aber zugleich auch immer schon eine Existenzberechtigung in unserer Rechtsordnung gewähren. Und wenn dann etwa Traugott, Vertraglicher Drittschutz, S. 94, feststellt, dass „die Rechtsfiguren zueinander im Verhältnis der Alternativität" stehen, die Parteien aber theoretisch vereinbaren könnten, „daß nicht die Rechtsfigur anwendbar sein soll, die nach der vorgeschlagenen Abgrenzung einschlägig wäre, sondern im Gegenteil gerade die andere Konstellation" (ebenda, S. 111), so darf deren Nutzen doch sehr bezweifelt werden. 326 Reichs-Justizamt, Protokolle, S. 299 f. Die Kommissionsmehrheit hatte ein Bedürfnis, diese Fragen durch eine besondere Vorschrift zu entscheiden, verneint, da auch die neueren Gesetzgebungswerke - ebenfalls mit einer deliktischen Generalklausel ausgestattet - einen solchen Rechtssatz nicht enthielten. Man nahm daher an, „daß auch ohne eine ausdrückliche Bestimmung die Rechtsprechung wie bisher zum richtigen Ergebnisse gelangen werde, und es empfehle sich nicht, in einer so zweifelshaften, noch nicht zu festem Abschlüsse gelangten Frage der wissenschaftlichen Entwicklung vorzugreifen" (S. 299). Die heutige Suche nach „planwidrigen Regelungslücken" zur Rechtfertigung einer Ergänzung des Gesetzes erweist sich angesichts dessen als geradezu absurd. 327 Dass gerade § 704 Abs. 1 E I Drittschädigungen im Vermögen erfassen sollte, geht auch an anderer Stelle deutlich hervor: So sollte sich etwa bei Ehrverletzungen nach § 704 Abs. 1 richten, „inwieweit auch dritte Personen, welche durch die Beleidigung, insbes. die Verleumdung oder Kreditgefährdung, eines anderen beschädigt worden sind, Schadensersatz fordern zu können", so Motive bei Mugdan, Materialien zum BGB, S. 419. Ebenso lässt sich auch für die Verletzung Dritter bei einer Körperverletzung oder Tötung die umfassend gedachte Funktion dieser Norm nachvollziehen. Das Verhältnis der „besonderen auf das Delikt der Tödtung sich beziehenden Bestimmungen [heute §§ 844, 845 BGB] zu den allgemeinen Rechtsnormen über unerlaubte Handlungen" sei durch die gesetzliche Regelung zweifelsfrei, Motive bei Mugdan, Materialien zum BGB, S. 429: Es „erhellt klar, daß die besonderen Bestimmungen nur zur Ergänzung jener Rechtsnormen, namentlich des § 704, dienen". Denn es stehe - auch ohne besondere Vorschriften - nach „dem Principe fest, daß im Falle der Tödtung der Getödtete bz. dessen Erben als solche nach Maßgabe des § 704 Abs. 2 , dritte Personen nach Maßgabe des § 704 Abs. 1 den vollen Ersatz des ihnen durch die Tödtung verursachten Schadens verlangen können" (Hervorheb.v.Verf.). Die gesonderten Regelungen sollten nur Modifikationen des § 704 Abs. 1 darstellen, insofern sie eine Ausnahme machen, „als die betr. Ersatzansprüche jener Personen dadurch nicht ausgeschlossen werden, daß bei Begehung der unerlaubten Handlung die Schädigung derselben in den hier fraglichen Richtungen nicht vorauszusehen war", denn der Täter bräuchte nach § 704 Abs. 1 in Ermangelung einer besonderen Bestimmung nicht zu haften, „wenn er die Beschädigung des Alimentationsberechtigten nicht hat voraussehen können", was im Ergebnis als „unbefriedigend" erachtet wurde (Motive bei Mugdan, Materialien zum BGB, S. 434).
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
241
Nachvollziehbar wird damit auch die Entwicklung vom Dresdner Entwurf von 1866 zum 1. Entwurf von 1887. Zwar normierte auch bereits der Dresdner Entwurf in Artt. 211, 212 „die Schadensersatzpflicht auf der Basis des Grundsatzes, daß Jedermann die Rechtssphäre Anderer zu achten und sich eines jeden widerrechtlichen Eingriffes in dieselbe zu enthalten habe" und verfolgte damit die damals zeitgemäße Uberzeugung - wie sie auch noch der 1. Kommission vorschwebte - , dass „aus der Verletzung dieses allgemeinen Rechtsgebots die Verpflichtung zum Schadensersatze (entspringt)". 328 Damals aber stand gedanklich noch der Beruf als eigenständiger Verpflichtungs- und Haftungsgrund neben dem Vertrag, wie aus der Behandlung der Auskunftshaftung in Art. 688 Abs. 2 Dresdner Entwurf ersichtlich wird. Dementsprechend wurde auch die tradierte Berufshaftung des mensors durch das Spezialdelikt der Sachverständigenhaftung in Art. 1030 Dresdner Entwurf aufgeführt. Der Dresdner Entwurf markiert damit eine Übergangszeit in dem wissenschaftlichen Streben nach Vereinheitlichung rechtlicher Maßstäbe. Nachdem dann durch die 1. Kommission die berufliche der vertraglichen Haftung untergeordnet worden war, wurde folglich zugleich die Sonderstellung der Sachverständigen obsolet. Das überlieferte Spezialdelikt aus der Verletzung beruflicher Pflichten war nicht weiter fortzuschreiben und eigene Vorschriften über die Verpflichtung zum Schadensersatz wegen der Verletzung einer Berufspflicht konnten in der Tat „als entbehrlich erachtet" werden, 329 ohne die bisher erfasste Haftung damit zu verwerfen. 330 Die Stellungnahme der 1. Kommission bekam jedoch mit der Abkehr der 2. Kommission von der Fassung des § 704 E I und damit der großen Generalklausel eine ganz andere Bedeutung. Aus der Nicht-Regelung mangels ensprechenden Regelungsbedürfnisses wurde auf diese Weise im Nachhinein eine Ablehnung dieser Haftung. 331 Ein späteres Aufgreifen der Sachverständigenhaftung im zweiten und dritten Entwurf erfolgte nicht mehr, weil man das tradierte Spezialdelikt aus besonderem beruflichen Fehlverhalten als eigenständigen Ansatz endgültig und abschließend aufgegeben hatte.
328
Motive bei Mugdan, Materialien zum BGB, S. 405. Motive bei Mugdan, Materialien zum BGB, S. 423. 330 Ein Blick über die Grenzen bestätigt diese Handhabung. In Übereinstimmung dazu wird in den Rechtsordnungen mit einer großen Generalklausel zur Lösung der Fälle der Drittschädigung durch fehlerhafte Auskunft oder andere Leistungen für die Haftung gegenüber dem Dritten auf diese deliktische Generalklausel zurückgegriffen: So etwa in der Schweiz (Art. 41 Abs. 1 Obligationenrecht), Frankreich (Art. 1382, 1383 Code civil), in Italien (Art. 2043 Codice civile), in England (Anwendung der negligence), Osterreich enthält demgegenüber eine eigene Regelung der Sachverständigenhaftung (§ 1300 ABGB), vgl. dazu Honsell, FS Medicus, S. 217 f.; Schlechtriem, FS Medicus, S. 533 ff.; umfassend Hirte, Berufshaftung, S. 250 ff. Und es verwundert daher auch nicht, dass man später in Deutschland ohne eine solche Generalklausel - auf die noch im Gesetzgebungsverfahren abgelehnte Figur der Drittschadensliquidation wieder zurückkam. 331 Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn heute von einem „Scheitern des BGB" beim Versuch einer Regelung des Fragenkomplexes der Haftung gegenüber Dritten gesprochen wird, so etwa Hirte, Berufshaftung, S. 174. 329
16 Plötner
242 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
cc) Die Anknüpfung an den „wahren" Willen der Gesetzesverfasser Die Gesetzesmaterialien lassen sich folglich in Wahrheit nicht strikt gegen eine weitergehende Sachverständigenhaftung vereinnahmen. Die Ausführungen der 1. Kommission sind vor dem Hintergrund des § 704 E I zu relativieren. Die angegebenen Beweggründe erlauben danach eine andere Bewertung. Für den nach neuem Verständnis auf vertraglicher Grundlage handelnden Sachverständigen sollte, anders als etwa für den hoheitlich agierenden Beamten, die deliktische Sonderstellung nicht weiter fortgeführt werden. Gehaftet werden sollte nur bei vorheriger vertraglicher „Garantieübernahme", unabhängig von einer öffentlichen Anstellung oder Konzession. Damit unvereinbar war eine allgemeine Regel in Gestalt eines Sonderdelikts, die den Sachverständigen stets bei grober Fahrlässigkeit haften ließ. Die Beschränkung auf lediglich öffentlich angestellte Sachverständige wäre demgegenüber eine ungerechtfertigte und zu enge Sonderregelung. Für das Verhältnis zum Auftraggeber wäre zudem eine nicht vereinbare Privilegierung dieses Berufsstandes in Form einer Haftungsbeschränkung die Folge. Und eben diese Sonderbehandlung durch das römischen Recht sollte nach der sich zunehmend durchsetzenden Ansicht aufgegeben werden, wie aus den angeführten Stellungnahmen hervorgeht. In Fällen ohne vertragliche Verpflichtung hätte dies einen Verstoß gegen den Rechtssatz beinhaltet, dass eine Haftung für Rat oder Empfehlung grundsätzlich nur bei Vorsatz eintritt. 332 Auch das Bedürfnis für einen ausdrücklichen legislativen Schutz des Mitkontrahenten neben dem Auftraggeber in dieser, lediglich als Unterfall der allgemeinen Problematik empfundenen Sachverhaltsgestaltung, in der jemand durch Verletzung einer obligatorischen Pflicht einen anderen als den Gläubiger verletzt, konnte zu Recht verneint werden, wurden diese Fallgestaltungen doch allesamt von § 704 E I tatbestandlich miterfasst. Und in der Tat, so ist schließlich den Gesetzesverfassern beizupflichten, musste die nur auf grobes Versehen beschränkte Haftung neben der das Verschuldensprinzip regelnden Generalklausel als „kaum hinnehmbare Anomalie" erscheinen. Der gesetzgeberische Wille hindert heute also nicht eine gedankliche Anknüpfung an die Grundsätze der Haftung des mensors. 333 Von den Gesetzgebern aufgegeben werden sollte nur die bisherige Erfassung und Behandlung als Sonderdelikt, nicht hingegen die darin enthaltene Haftung dieser Personen. Diesen historischen Bezug gilt es aufzudecken und wiederherzustellen. 334 Den bereits von den Geset332 Nicht zweifelsfrei ist dabei allerdings, ob bei dem „fundamentalen Grundsatz" (s.o.u. 3 b), von dem nicht abgewichen werden sollte, tatsächlich dieser Grundsatz (Haftung für Rat u. Empfehlung nur bei dolus) gemeint ist; in Betracht kommt auch das Verschuldensprinzip, das Relativitätsprinzip oder das Dogma vom Gläubigerinteresse. 333 An die Haftung der Landvermesser nach römischem Recht möchte auch Köndgen, Selbstbindung, S. 398 f., für die Haftung der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen „anknüpfen". 334 In diese Richtung, wenn auch vorsichtiger formulierend Hirte, Berufshaftung, S. 176: Aus dem Fehlen einer dem Art. 1030 Dresdn. Entw. entsprechenden Vorschrift im BGB
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
243
zesverfassern geäußerten Bedenken gegenüber einer Beschränkung dieser Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ist dabei Rechnung zu tragen. Diese Beschränkung war noch im römischen Verständnis über die freie Tätigkeit des mensors verhaftet und lässt sich heute, wie damals schon gegenüber dem Vertragspartner anerkannt, auch gegenüber Dritten nicht aufrecht erhalten. 335 Da sich die Verkehrsanschauung über die gutachterliche und sachverständige Tätigkeit grundlegend gewandelt hat, ist auch die allgemeine Verkehrserwartung an diesen Personenkreis insgesamt eine andere. Eine Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit ist damit nicht vereinbar, vielmehr haben sie gegenüber Auftraggeber und dessen Kontrahenten für jedes Fehlverhalten einzustehen.
5. Das Fortbestehen der mensor-Haftung unter Geltung des BGB a) Die tatbestandliche Erweiterung
des § 826 BGB
Der von den Gesetzesverfassern des BGB eben nur scheinbar vollzogene Bruch mit dem gemeinen Recht und den in ähnlicher Weise angewandten Partikularrechten 3 3 6 wurde denn auch von der Rechtsprechung unter der Geltung des BGB zumindest im Ergebnis nicht nachvollzogen. Sie hat vielmehr der Sache nach die mensor-Haftung in ihrer Geltung für öffentlich bestellte Sachverständige und Gutachter weiter fortgeführt und darüber hinaus auch auf Wirtschaftsprüfer und Steuerberater angewandt. Denn gerade in den früher nach den Grundsätzen der Haftung des mensors gelösten klassischen Dritthaftungsfällen hat sie die Anforderungen der Haftung für Vermögensschäden gemäß § 826 BGB - gegen dessen klaren Wortlaut - auf bloß leichtfertiges und gewissenloses Handeln herabgesetzt und ist zu einer Haftung dieser Experten Dritten gegenüber auch für grobe Fahrlässigkeit gelangt - so wie es für den mensor seit jeher schon galt. 337 Es erklärt sich damit auch, warum Honsell heute - eher verwundert - rückblickend feststellt, dass man die Frage der Haftung von öffentlich bestellten Sachverständigen „alsbald nach Inkrafttreten des BGB [ . . . ] weitungsmäßig wieder wie im gemeinen Recht" beurteilt habe und auf diese Weise eine Regelung des gemeinen Rechts „in der Rechtsprechung des Reichsgerichts - quasi kraft Natur der Sache - wieder auftaucht", könne keineswegs sicher eine ablehnende Haltung der Gesetzesverfasser gegenüber einer Haftung für fahrlässig verursachte Vermögensschäden gegenüber Dritten abgeleitet werden. 335 Rechtsvergleichend ist von Interesse, dass in Italien und Frankreich, die beide über eine große Generalklausel verfügen, in diesen Fällen eine Haftungsbeschränkung auf grobes Verschulden erwogen wird, vgl. dazu Honsell, FS Medicus, S. 218 unter Verweis auf Hirte, Berufshaftung, S. 257 f., 266 f. 336 Zu nennen sind etwa das preuß. ALR und der Code civil (dazu sogleich im Text unter b) wie auch die Angaben o.u. III. 2. a). 337 s. dazu ο. 1. Kap V. 1. Bemerkenswerterweise sieht Köndgen mit dem extensiv interpretierten § 826 BGB durch die Praxis den Bereich haftungswürdiger Schädigungen Dritter „durchaus sachgerecht abgesteckt", Selbstbindung, S. 373. 16*
244 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
„von der die BGB-Redaktoren bewußt abgewichen sind". 338 Denn von dieser tief im Rechtsbewusstsein verwurzelten Haftung, welche seit jeher geltendes Recht war, konnte ohne spürbare Haftungslücken nicht abgewichen werden. Wollte man aber diese nicht einfach hinnehmen, so musste im BGB nach Auswegen gesucht werden. b) Die schutzgesetzliche Lösung des Reichsgerichts Auch auf anderem Wege hat man den der Rechtstradition entsprechenden Vermögensschutz gerade des Mitkontrahenten gegenüber dem Feldmesser unter Anwendung der neuen, restriktiven Vorgaben des BGB herzuleiten versucht. aa) In der Entscheidung des Reichsgerichts vom 15. 3. 1912 339 hatte die Klägerin einem Bauunternehmer ein Darlehen gewährt, zu dessen Sicherheit dieser ihr ein Hausgrundstück verpfänden sollte. Die Bewilligung und Eintragung der Hypothek erfolgte irrtümlich nicht auf diesem Hausgrundstück, sondern auf einem unbebauten Grundstück des Bauunternehmers von geringem Wert. Später forderte die Klägerin vom Bauunternehmer die Erteilung der ihr bei Beleihung vorgeschriebenen Baubescheinigung. Der Bauunternehmer wandte sich an den Beklagten, einen vereidigten Landvermesser, und dieser stellte eine Bescheinigung dahin aus, dass auf dem Grundstück, auf dem die Hypothek lastete, ein Haus errichtet worden sei. Die Klägerin machte den Beklagten für den Schaden verantwortlich, den sie dadurch erlitten hatte, dass sie im Vertrauen auf die Richtigkeit der Bescheinigung davon abgesehen hatte, sich andererseits Sicherstellung ihrer Darlehensforderung zu erwirken, was damals noch möglich gewesen wäre. Das Reichsgericht verneinte zunächst die Beamteneigenschaft der öffentlich angestellten Feldmesser und damit eine Haftung nach § 839 BGB. 3 4 0 Die Richter maßen aber den Bestimmungen des preußischen Reglements für die öffentlich anzustellenden Feldmesser vom 2. 3. 1871 (bes. §§ 10 u. 12 3 4 1 ) - vergleichbar mit einer 338 Honseil FS Medicus, S. 214, unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 826 BGB. 339 RGZ 79, 85. 340 RGZ 79, 86 ff. 341 § 10 lautete: „Der Feldmesser ist für die Richtigkeit aller von ihm ausgeführten Arbeiten verantwortlich. Derselbe ist verpflichtet, in jedem Spezialfälle die geeignetste und beste Mehode zur Ausführung aller Längen-, Flächen- und Höhenmessungen zu wählen, auch die Zeichnungen und Ausarbeitungen deutlich, korrekt, vollständig, kunstgerecht und tadelfrei zu bewirken." § 12 bestimmte: „Die Ermittlung aller der Tatsachen und Angaben, welche durch die Natur des Auftrags bedingt werden, wie ζ. B. die Ermittlung von Grenzen, Namen der Besitzer von Grundstücken, Hochwasserständen und dergleichen mehr, müssen mit der größten Sorgfalt bewirkt und es muß dies durch ausführliche Verhandlungen und Erläuterungen dargetan werden. Der Feldmesser ist für die Vollständigkeit solcher Ermittlungen und für die richtige Aufnahme und Darstellung der ihm gemachten Angaben in gleicher Weise verantwortlich, wie für alle seine übrigen Arbeiten." Wiedergegeben vom RGZ 79, 89 f.
Β. Die Grundlegung für eine außervertragliche Haftung
245
Berufsordnung - die Eigenschaft eines Schutzgesetzes i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB bei. 3 4 2 Zwar sei es „an sich zweifellos richtig", dass das Reglement eine gesetzliche Verantwortlichkeit der Feldmesser - „die ohnehin ihrem Auftraggeber gegenüber bestehe" - in dem Sinne, dass dieser für alle Fehler zivilrechtlich jedem Dritten gegenüber aufkommen müsse, habe nicht treffen wollen und können, weil es dann materiell-rechtliche Bestimmungen getroffen hätte, zu deren Erlass es nicht befugt gewesen sei - so das Reichsgericht gegenüber den Ausführungen des Berufungsgerichts - , dies „trifft aber nicht die Sache". 343 Ausdrücklich berief man sich hier auf die alte Rechtslage vor 1900: „Die zivilrechtliche Verantwortung richtete sich nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes, zur Zeit des Erlasses des Reglements also nach §§ 8, 10 flg. ALR I. 6, Artt. 1382, 1383 Code civil, die gleichmäßig eine allgemeine Haftung für Verschulden begründeten, und für das gemeine Recht nach den Grundsätzen, die sich im Anschluß an /. 3 § 1 Dig. si mensor falsum modum dixerit XI, 6 über die Haftung der Personen entwickelt hatten, die auf Grund einer staatlichen Konzession, Approbation oder Anstellung dem Publikum ihre Dienste darbieten". 344 „Das Reglement brauchte eine solche zivilrechtliche Verantwortung also ebensowenig zu schaffen, als es dies tun konnte. Wohl aber wollte und konnte es die Pflichten der Feldmesser im einzelnen genau regeln und nachdrücklich auf die genaueste und sorgfältigste Ausführung ihrer Arbeiten dringen, und zwar im Interesse nicht bloß ihrer Auftraggeber, sondern auch derjenigen Personen, welche im Vertrauen auf die Richtigkeit der Arbeiten und Angaben der vereidigten und öffentlich angestellten Feldmesser Rechtshandlungen vornehmen." 3 4 5 Diese Regelungen sollten dahin wirken, „daß die Interessen ihrer Auftraggeber wie auch aller derer, die sich auf die Richtigkeit ihrer Arbeiten im Rechtsleben verließen, vor einer Schädigung nach Kräften bewahrt würden". 346 Damit erfüllten §§10 und 12 des Feldmesserreglements nach Ansicht der Richter die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtssatz als „ein den Schutz eines anderen bezweckenden Gesetz" i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen sei. Denn auch wenn das Regelment in seiner Gesamtheit die Verhältnisse der Feldmesser im allgemeinen öffentlichen Interesse ordne, so sei doch in den Bestimmungen, die den Feldmessern die Verantwortung für die Richtigkeit ihrer Arbeiten auferlegten, gerade der Zweck verfolgt, neben den Auftraggebern auch diejenigen zu schützen, welche im Vertrauen auf die Richtigkeit dieser Arbeiten im Rechtsverkehr handelten, also einen bestimmten Kreis von Interessenten gegen Gefährdung und Schädigung zu schützen.347
342 RGZ 79, S. 89, 91. 343 RGZ 79, 90. 344 RGZ 79, 90, mit Hinweis auf Windscheid, 345 RGZ 79, 90 f. 346 RGZ 79, 91. 347
RGZ 79, 92.
Pandekten, § 470.
246 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
bb) Der Weg des Reichsgerichts, Regelungen über Zulassung und Ausübung bestimmter, im Rechtsleben hervorstechender Tätigkeiten in einer Berufsordnung zum Schutzgesetz gegen die Verletzung durch die Berufsangehörigen zu erklären, hat sich später als zu weitgender Haftungsansatz und als untauglich zur Begrenzung auf einen bestimmten Personenkreis erwiesen und wurde - weil eben doch nur eine „Verlegenheitslösung" - von der Rechtsprechung nicht weiter beschritten. 348 Einhellig werden heute Berufsordnungen, gleich ob auf Grundlage eines Gesetzes, wie etwa die Wirtschaftsprüferordnung, und erst recht auf Grundlage einer Satzung, wie etwa die Sachverständigenordnungen der Industrie- und Handelskammern gemäß § 36 Abs. 4 GewO, 349 nicht als Schutzgesetze bewertet. 350 Eine Rechtsnorm i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB müsse dem einzelnen dienen - es reiche nicht aus, dass sie nur die Wirkung habe, dem einzelnen zu nutzen. 351 Sachverständigenordnungen wollten keinen besonderen Schutz gegenüber Pflichtverletzungen gewähren, der über die allgemeinen Schadensersatzvorschriften hinausgehe. Sie setzten die Sorgfaltspflicht des Sachverständigen voraus, begründeten sie aber nicht selbständig.352 Und auch bei den §§ 2, 43, 48 WPO handele es sich nur um Bestimmungen, die den Inhalt der Tätigkeit eines Wirtschaftsprüfers und dessen Berufspflichten in allgemeiner Weise umschreiben und kennzeichnen würden; sie seien aber nicht dazu bestimmt, dem einzelnen einen Rechtsschutz zu verleihen. 353 Diese berufsrechtlichen Bestimmungen begründen in erster Linie 348
Dies verkennt Köndgen, Selbstbindung, S. 397 ff., der zudem bei der von ihm präferierten „schutzgesetzlichen Lösung" für die Haftung von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen in Anlehnung gerade an RGZ 79, 85, übersieht, dass die eigentliche mensor-Haftung des gemeinen Rechts den Kreis der Geschützten enger zog, als dies die Entscheidung des Reichsgerichts mit der Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB tat. Denn dabei handelte es sich nur um den Versuch, die „alte" Haftung in das „neue" BGB zu transformieren, und dafür bleibt - deliktsrechtlich - neben §§ 826 und 839 nur 823 Abs. 2 BGB. 349 Vgl. dazu etwa die Muster-Sachverständigenordnungen bei Bayerlein, Praxishandbuch Sachverständigenrecht, 1990, § 51 Anhang 3 u. 5. 3 50 BGH W M 1966, 1148, 1150; OLG Saarbrücken BB 1978, 1434, 1435; LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 415, 417. Die mangelnde Schutzgesetz-Qualität kann sich nach der Rechtsprechung des BGH auch bereits aus der Natur der Berufsordnung als autonomer Satzung ergeben: Denn eine solche Satzung werde im allgemeinen schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht die privatrechtlichen Beziehungen der Berufsangehörigen zu Außenstehenden regeln wollen und dürfen; die Kompetenz der einer Körperschaft verliehenen Satzungsautonomie beschränke sich, wiewohl solche Satzungen objektives Recht seien, regelmäßig auf die der Körperschaft angehörigen und unterworfenen Personen; so für die Berufsordnung der Ärzte, BGH NJW 1981, 2007, 2008. Gleiches muss auch für die Berufsordnungen der Industrie- und Handelskammern gelten. 351 BGH W M 1966, 1150; OLG Saarbrücken BB 1978, 1435. 352
BGH W M 1966, 1150: Sinn ihrer Vorschriften sei zudem nicht, einem Dritten, demgegenüber dem Sachverständigen mangels rechtlicher Sonderverbindung keine besonderen Pflichten oblägen, einen zusätzlichen Rechtsschutz zu gewähren. 353 LG Mönchengladbach NJW-RR 1991, 417; OLG Saarbrücken BB 1978 , 1435: Es sei „große Zurückhaltung" bei der Bejahung einer derartigen außervertraglichen Haftung auf Grund des gesetzlich normierten Ausbildungs- und Berufsbildes geboten, weil dabei dem
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes
247
Standespflichten, die nur Pflichten gegenüber den Mitgliedern dieses Berufsstandes erzeugen. 354 Eine Sonderdeliktshaftung auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB kommt damit als Lösung und Umsetzung der mensor-Haftung heute jedenfalls nicht in Frage. 355
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes I. Gemeinsamkeiten der dargestellten Haftungstatbestände Die aufgezeigten Tatbestände regeln bzw. regelten alle eine Haftung für fehlerhaft erbrachte Leistungen auch gegenüber anderen Personen als dem eigentlichen Besteller und Bezahler der versprochenen Leistung, wie sie heute umfassend für sämtliche Experten angestrebt und gesucht wird. Neben der bereits aufgezeigten inhaltlichen Ubereinstimmung lässt sich auch eine einheitliche Entwicklung dieser Haftungstatbestände aufzeigen.
1. Die tatbestandliche Nähe der gesuchten Sachverständigenund Expertenhaftung zur Beamtenhaftung Bei der historischen Rückschau gilt es zu erkennen, dass sich das Problem der Haftung für fehlerhaft erbrachte Leistung gegenüber Dritten - trotz heute völlig unterschiedlicher Regelung als deliktische Haftung einerseits und als vertragliche andererseits - in ähnlicher Weise für Beamte, Notare und private Sachverständige stellt. Ihre Haftung beruht auf demselben Ursprung. 356 Die Ausgestaltung ihrer Wirtschaftsprüfer eine Inanspruchnahme durch eine nicht abzusehende Zahl Dritter drohen werde, die etwa im Geschäftsverkehr mit dem Auftraggeber des Wirtschaftsprüfers geschädigt würden. Ein derartiges Haftungsrisiko wäre für den Wirtschaftsprüfer nicht tragbar. 354 Quick, BB 1992, 1679. 355 Anders Köndgen, Selbstbindung, bes. S. 401, der nach dem Vorbild der Notarshaftung eine „Sonderdeliktshaftung" für öffentlich bestellte Sachverständige, S. 397 ff., und für Wirtschaftsprüfer, S. 385 ff., anstrebt, die er zusammenfassend betrachtet als „Berufe öffentlichen Glaubens", S. 380 ff. Diese sieht er nach einem einheitlichen „amtsähnlichen" Rollenmodell geformt (ebenda, S. 371). Auch wenn Köndgen in seiner Gegenüberstellung dieser Berufsgruppen und der Betonung der ihnen im Einzelfall zukommenden unparteiischen, neutralen Position beizupflichten ist, so ist doch die Annahme einer notarsähnlichen „öffentlichen Verantwortlichkeit" auch für Wirtschaftsprüfer und Sachverständige zu weitgehend, denn sie übernehmen anders als der Notar gerade keinen „gesetzlichen Auftrag" und sind nicht ohne Grund dem Vertragsrecht unterstellt. Die Dritthaftung muss daher die Ausnahme sein und der geschützte Personenkreis muss folglich enger sein. 356 Zur Anwendung des si mensor-Satzes auch auf die Beamtenhaftung: Motive zum BGB, Bd. 2. S. 820 m. w. N.; Windscheid, Pandekten, § 470 mit Anm. 2, demzufolge die Haftung für die Verletzung der Amtspflicht im Rahmen der amtlichen Tätigkeit eines jeden nicht rieh-
248 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Haftungsgrundsätze wurde entsprechend vorgenommen. So gibt das Reichsgericht in dem oben angeführten Urteil 3 5 7 zu, dass bei der Ausdehnung der römisch-rechtlichen Haftung des Spruchrichters auf Beamte und Notare im gemeinen Recht „die Grundsätze über den mensor, dem diese Kategorie viel näher stand(!), nicht ohne Einfluß geblieben sind". 358 Gerade für die Auslegung des § 839 BGB lehnte sich das Reichsgericht eng an die Haftung des mensors an. Die Auswahl der jeweils vor Pflichtverletzungen zu schützenden Personen und damit der Anspruchsberechtigten bei der Sachverständigen- und der Beamten- bzw. Notarhaftung erfolgte nach denselben Kriterien. Und vergleichbare Maßstäbe sind bei der Ermittlung des geschützten Personenkreises auch heute noch einschlägig. Für die Beamtenhaftung ist die Suche nach dem geschützten Dritten in § 839 BGB bereits tatbestandlich immanent. Stets ist zu fragen, ob die Amtspflicht neben dem Dienstherrn auch Dritten zu dienen bestimmt ist. 3 5 9 Ein dahingehender Maßstab wurde früher auch auf Gutachter und Sachverständige angelegt und wird es heute der Sache nach immer noch. Diese historisch begründete wie auch heute noch durch eine starke staatliche Reglementierung dokumentierte Nähe der Berufsgruppe der öffentlich bestellten Sachverständigen und Gutachter zu Beamten ist für deren gesuchte Haftung immer noch - nunmehr eben in umgekehrter Richtung - tragfähig und auch heranzuziehen. Denn die dem Beamten und Notar wesenseigene neutrale, unparteiische Stellung kommt traditionell dem Landvermesser sowie auch anderen Sachverständigen bei Erstellung ihrer Testate zu und trägt historisch die besondere Ausgestaltung ihrer Haftung.
2. Die parallele Entwicklung des Rechts der Landvermesser und der Handelsmakler als Grund für die heute empfundene „Haftungslücke" des Gesetzes Augenscheinlich sind auch die Gemeinsamkeiten der Haftung des mensors mit dem zuvor noch als Ausnahmevorschrift vermuteten § 98 HGB. Handelsmakler und Landvermesser weisen eine gleichläufige Entwicklung auf. Beide stimmen hinsichtlich ihrer ursprünglich dem jeweiligen Berufsstand zukommenden Sonder-
terlichen Beamten „nach der Analogie der Syndikatsklage und der Bestimmungen über den mensor" hergeleitet wurde. 357 s. o. unter B. III. 1. d). 358 RGZ 46, 213, 215 (Hervorheb.v.Verf.), und daraus schlussfolgernd: „Weiter als er, haften aber auch die Beamten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht." 359 Wenngleich für die Bestimmung des Schutzbereichs zu beachten ist, dass Gutachter und Sachverständige anders als Beamte und Notare keine öffentlichen Aufgaben wahrnehmen, und dass etwa die einem Notar auferlegten Pflichten „auf dem Gebiet des Beurkundungswesens" insgesamt „der Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs dienen" (so RGZ 78, 241, 245), daher der Kreis der Geschützten notwendigerweise ein kleinerer sein muss.
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes
249
Stellung im Rechtsverkehr überein. 360 Ihre Tätigkeit weist ihnen seit jeher eine herausgehobene, weil unparteiische und neutrale Stellung im Rechtsverkehr zu, die jeweils im Wege der öffentlichen Anstellung oder Vereidigung - wie z.T. auch heute noch 361 - sichergestellt werden sollte. Und mit dieser Stellung der beiden Berufsgruppen korrespondierte eine besondere Haftung.
a) Die vergleichbare amtsähnliche Stellung Diese „amtsähnliche", unparteiische Stellung wurde früher ζ. T. auch für die Rechtsverhältnisse der Landvermesser durch deren Verbeamtung erreicht, und so lässt sich hier die zum Handelsmakler parallele Entwicklung - weg von amtlichen Landvermessern, hin zu freien Gewerbetreibenden - auffinden, wie sie als Ursache für die heute schwierige dogmatische Einordnung des § 98 HGB auszumachen ist. 3 6 2 Denn noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Landvermesser in Preußen im allgemeinen als Beamte angesehen, „und zwar auch dann, wenn sie für Private arbeiteten". 363 Sie leisteten nach den älteren Vorschriften den allgemeinen Beamtendiensteid.364 Erst mit § 36 GewO für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 wurde „eine Klasse von an sich freien Gewerbetreibenden" geschaffen, „deren Handlungen gesetzlich eine besondere Glaubwürdigkeit besitzen oder an deren Handlungen besondere rechtliche Wirkungen geknüpft sind". 365 Nach § 36 GewO besitze „der Landvermesser nicht mehr die Beamteneigenschaft", sondern könne „die Landvermesser-Tätigkeit nunmehr als freies Gewerbe ausüben".366 Die „Bestallung" dieser Gewerbetreibenden durch ihre Vereidigung erfolge nur im Interesse des Publikums, um diesen die Möglichkeit zu gewähren, sich solcher Personen zu bedienen, denen bei Ausübung ihres Gewerbes gesetzlich eine besondere Glaubwürdigkeit beigelegt sei, oder die doch vermöge der öffentlichen Anstellung 360 Auch für den Makler erkannte das röm. Recht keine Kontraktsverbindlichkeit an, vgl. Dernburg, Preuß. Privatrecht, 2. Bd., § 190 m. Fn. 2. Zur Entstehung und Entwicklung des gegenüber dem Sachverständigen verhältnismäßigen jungen Berufs des Wirtschaftsprüfers Gloeckner, Haftung, S. 16 ff. 361 Die öffentliche Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen richtet sich heute nach § 36 GewO; vgl. zu den verschiedenen Arten von Sachverständigen Bayerlein /Pause, Praxishdb. Sachverständigenrecht, § 1 Rn. 20 ff. Ebenso ist auch nach § 1 I WPO Wirtschaftsprüfer, „wer als solcher öffentlich bestellt ist". 362 Vgl. dazu di e Ausführungen o.u. Β. I. 2. 363 So RGZ 79, 85, 86; 124, 239, 244; sowie das dort zitierte Berufungsgericht (S. 242). 364 Vgl. RGZ 79, 88 f.: Diesen Diensteid sollten nur noch diejenigen Landvermesser leisten, welche von einer Staatsbehörde zu dauernden amtlichen Funktionen bestellt werden und demgemäß von dieser Behörde als Beamte zu verpflichten sind, es werde zwischen Bestallung zum Feldmesser und der Anstellung als Beamter ausdrücklich unterschieden; ebenso RGZ 124, 244, und die dort genannten Zitate. RGZ 79, 87; 124, 244 f. 366 RGZ 124, 245. Zweck dieser Vorschrift sei „die Schaffung des grundsätzlich freien Gewerbebetriebs für Landvermesser". 365
250 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
für Zuverlässigkeit und berufliche Tätigkeit eine besondere Gewähr böten. 367 Mit der damit beschrittenen Liberalisierung des Wirtschaftsverkehrs entließ man die Landvermesser in ein Verhältnis bloßer öffentlicher Anstellung, ohne zugleich weiterhin Beamter zu sein. 368 Das Berufsbild blieb jedoch unverändert, und so passt das System des „vertraglichen" Haftungsrechts, das den Vertragsschuldner nur als einseitigen Interessenwahrer seines Auftraggebers ansieht, für die aus einem amtlichen Status in das Zivilrecht überführten Berufe zwangsläufig nicht.
b) Der gemeinsame umfassende Haftungstatbestand Auf beide Berufsgruppen fand ein allgemeiner, die Folgen aus der Fehlerhaftigkeit ihrer Leistung regelnder Haftungstatbestand Anwendung, wie ihn das geltende Recht neben dem § 98 HGB nur für Beamte und Notare kennt. 369 Geschützt und mithin schadensersatzberechtigt waren danach diejenigen, die sich auf den Inhalt und die Rechtmäßigkeit der jeweiligen Leistung verlassen mussten.370 Sowohl Handelsmakler wie auch Sachverständige, als im Rechtsleben bereits klar umrissene Berufsbilder mit festgelegtem Tätigkeitsfeld, wurden in ihrer historischen Entwicklung erst spät dem zivilen Vertragsrecht unterstellt. Die bereits für beide anerkannte Haftung an diesen Schritt, wie insgesamt an gestiegene Verkehrserwartungen und die am Ende des 19. Jahrhunderts angestrebte Rechts Vereinheitlichung, anzupassen, ist nur für den Handelsmakler gelungen. Innerhalb der eigenständigen Regeln der §§ 93 ff. HGB blieb die Möglichkeit, eigens für den Handelsmakler eine Regelung seiner Haftung entsprechend der historischen Tradition in Form einer Spezialnorm aufzunehmen. Dem Vorbild der noch vom amtlichen Status ge367 RGZ 79, 87 f. 368 RGZ 79, 88 m. w. N. 369 Bezeichnenderweise sieht Köndgen, Selbstbindung, S. 398, den Landvermesser im römischen Recht einer Art „Amtshaftung" unterworfen. 370 Geradezu einen „Schnittpunkt" zwischen den Fällen der Auskunftshaftung und der Haftung des unpateiischen Vermittlers bildet die Entscheidung des Reichsgerichts vom 26. 3. 1887 (RG bei Bolze, Praxis, Bd. 4, Nr. 646). Dort hatte ein Kaufmann (Bekl.) das Darlehensgeschäft zwischen einem Grundbesitzer und einem Kreditgeber (Kl.) vermittelt und dabei wider besseres Wissen „dem Darlehensgeber die Verhältnisse des Grundbesitzers als glänzend geschildert". Das Reichsgericht entschied, dass der Privathandelsmakler, auch wenn er den Auftrag zur Vermittlung nur vom Grundbesitzer erhalten habe, durch die Vermittlung zu dem Darlehensgeber in ein kontraktliches Verhältnis getreten sei, so dass er demselben aus diesem für den durch seine arglistige Empfehlung entstandenen Schaden hafte. Und auch ohne die bereits damals umstrittene Fiktion eines Vertragsverhältnisses war anerkannt, dass der Vermittler außervertraglich haftet, wenn ihm die Insolvenz des vorgeschlagenen Mitkontrahenten bekannt war und er dies nicht anzeigte (so Dernburg, Preuß. Privatrecht, § 190, S. 482). Ebensogut aber wie über die Grundsätze der Haftung des Handelsmaklers hätte der Fall auch über die Grundsätze der Haftung für Rat oder Empfehlung gelöst werden können, denn eine solche wurde bei Arglist (dolus) stets bejaht, dies umso mehr, da der Vermittler, wie das RG angibt, durch das Geschäft zur Befriedigung einer eigenen Forderung gelangen wollte.
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes
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prägten Vorläuferbestimmungen folgend, erfolgte dies auch für den zivilen Handelsmakler in der Vorschrift des § 98 HGB. 3 7 1 Für den Sachverständigen und Gutachter sowie die anderen unter die Grundsätze der Haftung des mensors subsumierten Berufe ist die Anpassung mit Einführung des BGB dagegen deutlich misslungen. Die Tätigkeit des Sachverständigen sollte entsprechend der im gemeinen Recht gewonnenen Überzeugung ganz in den vom BGB generalisierend vorgegebenen Vertragsarten Dienstvertrag, Werkvertrag und Auftrag untergeordnet werden können. Eigene Sonderregelungen sollten sich auch hinsichtlich der Haftung erübrigen. Doch die Anwendung vertraglicher Regeln blieb für die Haftung nicht folgenlos. Sie verengte haftungsrechtlich die Sichtweise auf das relative, streng zweiseitige Vertragsverhältnis und stellte zugleich eine Haftung gegenüber Dritten in Frage. Dabei wird hier gerade aus der historischen Rückschau deutlich, dass der Vertrag und die mit ihm begründete umfassende Haftung nur eine Seite der Einstandspflicht des mensors übernommen hat. 3 7 2 Wenn auch Leistungs- und Gegenleistungspflicht des Experten heute der vertraglichen Begründung unterliegen, so ist doch seine Tätigkeit dieselbe geblieben. Sie ist in den dargestellten Sachverständigen· und Gutachten-Fällen immer schon an mehrere Personen gerichtet, die sich gleichermaßen auf die Leistung verlassen, auch ohne gleichzeitig Vertragspartner zu sein. Diese andere Seite der Einstandspflicht des mensor, nämlich das Verhältnis zu Mitkontrahenten des Auftraggebers, wurde schließlich durch die Einführung der §§ 823 ff. BGB - eher unbewusst - übergangen. In dem Bestreben, in Abkehr von einer großen Generalklausel einzelne genau beschriebene Haftungstatbestände vorzugeben, um somit ein Höchstmaß an Rechtsklarheit und -Sicherheit zu gewährleisten, ist der Gesetzgeber einen entscheidenden Schritt zu weit gegangen. Hat sich diese gesetzgeberische Rechtsschöpfung auch grundsätzlich bewährt, so wird doch die Außerachtlassung dieser historischen Haftungsfigur mit der zunehmenden Bedeutung des tertiären Bereichs (des Dienstleistungssektors) im modernen Wirtschaftsleben mehr und mehr als Lücke spürbar. 373 Sie gilt es heute in unser gelten371 Da das erst später in Kraft getretene BGB den Verfassern des HGB in seiner endgültigen Fassung bereits vorlag und darin eine umfassende Verschuldenshaftung nicht beinhaltet war, musste die Haftung des Handelsmaklers sowohl in vertraglicher Hinsicht als auch, soweit über das BGB hinausgehend, in außervertraglicher Hinsicht gegenüber Dritten geregelt werden. Diese Vorgehensweise des handelsrechtlichen Gesetzgebers ist dabei nicht ungewöhnlich, denn ein einheitliches Handelsrecht erfordert auch ein einheitliches Schuldrecht, das eben im Handelsrecht erst einmal mitgeregelt wurde, vgl. Raisch, Grundlagen des Handelsrechts, 1965, S. 6. 372 Zu Recht führt daher Lammel, AcP 179, 337, 351, an, dass „bei der Ablehnung einer Berufshaftung unter Hinweis auf das Vorliegen eines Vertrages" zweierlei übersehen wurde: „Zum einen der Zusammenhang zwischen der mensorischen Klage und der Ratserteilung auf Grund besonderen Sachverstandes". „Zum anderen die Unabhängigkeit der Haftung vom Vorliegen eines Vertrages, so daß auch ein Drittgeschädigter Schadensersatzansprüche geltend machen kann." 373 Hat die gegenwärtige gesetzliche Fassung der Gefahr einer ausufernden Haftung Einhalt geboten, so verwirklichte sich doch die entgegengesetzte Gefahr, die zu vermeiden zunächst noch Leitbild der ursprünglichen Fassung des 1. Entwurfs war, denn so die Motive
252 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
des Haftungsrecht (wieder) einzufügen. Zu einer Rechtfertigung der heute gesuchten Haftung sind folglich nicht in erster Linie die Erfordernisse des modernen Wirtschaftsverkehrs anzuführen 374 und zu verlangen ist daher auch weit weniger eine „Modernisierung des Rechts", 375 als vielmehr eine Rückbesinnung auf die Ursprünge und gegenwärtigen Ausprägungen dieser Haftung.
3. Die historischen Vorgaben für den gesuchten Lösungsansatz Diese entwicklungsgeschichtlichen Erkenntnisse gewähren wiederum Rückschlüsse auf die anzustrebende Problemlösung. Die gesuchte Haftung muss nicht erst mit einer bis zur Unkenntlichkeit verschwommenen Kunstfigur wie der eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte neu „erfunden" werden, um sie in das geltende Haftungsrecht zu inkorporieren. 376 Ihre historischen Wurzeln sind vielmehr nur an die veränderten gesetzgeberischen Vorgaben anzupassen.
a) Die Untauglichkeit vertragsrechtlicher
Lösungsansätze
Untauglich müssen von vornherein alle Versuche sein, diese Haftung durch Subsumtion unter die bereits bekannten geschriebenen oder ungeschriebenen Haftungsnormen zu begründen. 377 Dies kann, da es sich hier ja gerade um eine ursprünglich eigenständige, neben diesen Haftungsnormen stehende Anspruchsgrundlage handelt, nicht ohne Fiktionen und Friktionen gelingen. Da die gesuchte Haftung bereits vor der Einordnung dieser Berufe und ihrer Akteure ins Vertragsrecht geltendes Recht war, kann sie nicht aus dem nur beschränkten Vertragsverhältnis hergeleitet werden. Und diese Haftung lässt sich folglich auch nicht aus einem „Funktionsverlust des Vertrags" begründen, denn diese Funktion konnte und sollte dem Vertrag nie zukommen. 378 Als mit den historischen Wurzeln dieser Hafbei Mugdan, Materialien, S. 405: „Soll ein in allen Fällen ausreichender Schutz gegen unerlaubte Handlungen gewährt werden, so ist die Schadensersatzpflicht nicht an einzelne bestimmte, möglicherweise nicht erschöpfend gestaltete Delikte zu knüpfen, sondern allgemein als die mögliche Folge einer jeden unerlaubten Handlung hinzustellen." 374 So aber Erman I Ehmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 675 Rn. 151. 375 So Picker, FS Medicus, S. 432. 376 Und erst recht kann dieser neue „Notbehelf 4 unserer heutigen Konstruktionsjurisprudenz nicht herangezogen werden, um die Vorschrift des § 98 HGB und damit altes gewachsenes Recht zu erklären, denn dies gerät dann unweigerlich zur Farce. 377 Ebenso Lammel, AcP 179, 337, 365, allerdings mit anderen Schlussfolgerungen. 378 So aber Picker, FS Medicus, S. 438; dem widerspricht schon die einfache Tatsache, dass diese Fälle älter sind als die Einordnung ihrer Akteure ins Vertragsrecht und unter dessen Regime. Es gilt hier daher nicht „neuartige geschäftliche Organisationsformen" haftungsrechtlich zu erfassen (so ders., FS Medicus, S. 431) und es bedarf keiner Überhöhung der Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum „Vertragsnetz" (ders., ebenda, Fn. 88).
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes
253
tung unvereinbar erweist sich dann insbesondere die keineswegs nur vereinzelte, vielmehr bei den meisten Lösungsansätzen mitschwingende Uberzeugung, die Gewährleistung von Vermögensschutz sei „systematisch gesehen Sache des Vertragsrechts". 379 b) Die Ablösung einer Berufshaftung durch die Gesetzesverfasser des BGB Gleichfalls spricht das historische Material gegen die Begründung einer heute ζ. T. angestrebten eigenständigen Figur der Berufshaftung, also die Anknüpfung der Haftung allein an besondere berufliche Fähigkeiten und Kenntnisse, wie sie der jeweiligen Berufsrolle eigen sind. 380 Auch wenn die gesuchte Haftung in diesem Gedanken ihren Ausgangspunkt findet und nicht zu leugnen ist, dass es sich bei den hier erfaßten Schädigern fast durchweg um ganz bestimmte, zumeist herausgehobene Berufsgruppen handelt, so hat doch die 1. Kommission einem weiteren „besonderen zivilrechtlichen Delikt" neben der Beamtenhaftung nach § 839 BGB für andere Berufsgruppen eine klare Absage erteilt. 381 Bereits dort wich der Gesetzgeber von der spezifischen beruflichen Rolle des Schädigers im Rechtsverkehr als haftungsbegründendes Moment ab und lozierte die Fälle der Expertenhaftung in der allgemeineren Problematik, dass in diesen Fällen jemand „durch Verletzung einer in Ausübung des Gewerbes übernommenen obligatorischen Verpflichtung einen Anderen als den Gläubiger beschädigen kann". 382 An diesen übergeordneten Gedanken ist anzuknüpfen, soll die gesuchte Haftung in das System des BGB eingebunden werden können. Die berufliche Stellung ist dabei nur mittelbar - ebenso wie für die Frage nach der vertraglichen Grundlage der Auskunftserteilung - als Indiz von Bedeutung.
II. Ableitung einer allgemeinen ungeschriebenen Haftung neutraler Leistungserbringer Die Vorschrift des § 98 HGB und die Arbeitsweise des Gesetzes in § 839 BGB und § 19 BNotO bei der Auswahl der Ersatzberechtigten sind Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens, auf den auch die früher geregelte und heute vergessene, aber umso heftiger gesuchte Haftung der Gutachter und Sachverständigen, wie auch weitere vergleichbare (moderne) Fallgestaltungen - etwa die Haftung des 379 So aber etwa Jost, Auskunfts- und Beratungshaftung, S. 256. In der Sache ähnlich beschreibt Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 185, das Deliktsrecht als Rechtsgebiet, „in das der Vermögensschutz nur als Randbereich hineingehört". 380 Vgl. z u diesem Ansatz oben u. 2. Kap. Β. IV. 381 Entwicklungsgeschichtlich wäre dies ein Rückfall in die alte, bereits von der Pandektistik und den Gesetzesverfassern überwundene Sichtweise. 3 82 So die Motive, s. die Angaben oben B. III. 3.
254 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Abschlussprüfers - gestützt werden können. Für dessen Aufdeckung lässt sich bruchlos an die hier aufgezeigte historische Entwicklung anknüpfen. Er beinhaltet eine außervertragliche Haftung für schuldhaft verursachte primäre Vermögensschäden aufgrund fehlerhafter, vertraglich zugesagter Leistung mit vermögenssorgendem Charakter gegenüber Dritten, denen der Leistungszweck (auch) zugute kommen soll. Erfasst wird das Erbringen einer originär eigenen Leistung, die schon in ihrer inhaltlichen Ausrichtung erkennbar neben dem Auftraggeber und Vertragspartner auch die Interessen anderer nicht nur reflexartig, sondern zielgerichtet berührt. Ausgenommen sind damit alle lediglich aus dem Pflichtenkreis des Auftraggebers übertragenen Aufgaben, für deren Erfüllung der Leistende im Verhältnis zum geschädigten Dritten lediglich Erfüllungsgehilfe gemäß § 278 BGB ist. Einen klassischen Anwendungsfall dieses Haftungssatzes bildet dabei die heute diskutierte Haftung des Sachverständigen für ein fehlerhaftes Verkaufs- oder Beleihungsgutachten gegenüber Käufer und Hypotheken- oder Grundschuldgläubiger. Ausschlaggebend für die Haftung gegenüber dem Nicht-Vertragspartner ist dabei die Rolle, die dem Verpflichteten nach dem Inhalt der vertraglichen Verpflichtung zukommen soll. Der Haftungssatz greift nur ein, wenn dieser nicht bloß - wie regelmäßig - Interessenwahrer seines Auftraggebers ist, sondern ausnahmsweise eine neutrale, unparteiische Stellung zwischen dem Auftraggeber und dem Geschädigten einnimmt. Nur in diesem Fall hat er überhaupt die Vermögensinteressen Dritter neben denen seines Auftraggebers zu achten. Mit dem Merkmal der Neutralität ist gleichsam als Bestätigung zugleich der Grund ausgemacht, warum es überhaupt möglich ist, zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten eine vertragliche Beziehung - sei es abgeleitet oder eigenständig - zu unterstellen, ohne dass diese in Kollision zu der bereits bestehenden vertraglichen Beziehung des Schädigers zum Gläubiger tritt. 3 8 3 Allein aufgrund dieser unparteiischen Stellung, unabhängig von einer vertraglichen Abrede für oder mit dem Dritten, obliegt dem Leistenden im Rahmen seiner Tätigkeit nicht nur der Vermögensschutz des Auftraggebers, sondern auch des Dritten; dies allerdings nur dann, wenn aus dem Inhalt der Leistung ein konkreter Vermögensbezug erkennbar ist, die Leistung also vermögenssorgenden Charakter hat. Für die Frage, wer sich konkret neben dem eigentlichen Vertragspartner auf die ordnungsgemäße Leistungserbringung verlassen darf, ist auf den jeweiligen Schutzzweck der Leistung abzustellen, wie er zwischen Schädiger und Auftraggeber vereinbart wurde oder wie er für den Schädiger erkennbar seiner Leistung zukommen soll. Diejenigen Personen, an die sich der Leistungserbringer bewusst und erkennbar mit seiner Leistung „adressiert" und die sich damit wie der Auftraggeber auf die fehlerlose Erbringung der Leistung verlassen dürfen, genießen wie 383 So meint etwa Bosch, ZHR 163, 282, dass im Einzelfall auch ein Vertragsverhältnis zwischen dem Experten und dem Dritten bestehen könne und zieht damit unbewusst die Parallele zum Handelsmakler: „Dies gilt unter anderem, aber nicht nur, für den 'neutralen Gutachter', den beide Parteien anrufen. Auch wenn ihn nur eine bezahlt, kann dieser in einem Vertragsverhältnis zu beiden Parteien stehen."
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes
255
dieser Schutz vor Fehlern. Immer also, wenn dem Leistungsverpflichteten eine unparteiische, neutrale Stellung zwischen dem Auftraggeber und Dritten zukommt, ist gedanklich ein dem § 839 Abs. 1 S. 1 BGB nahekommender, erweiterter Haftungstatbestand zugrunde zu legen. 384 Die Bestimmung der Ersatzberechtigten erfolgt dann im Prinzip wie dort nach dem Schutzzweck der Leistung. Berechtigt sind diejenigen, die hierdurch vermögensmäßig abgesichert werden sollen und als Leistungsdestinatär und -benefiziar, wenn auch noch nicht namentlich bekannt, so doch bereits individualisierbar sind. Der Anlass ständigen Anstoßes, ob nämlich zwischen dem Auftraggeber (Gläubiger) und dem Dritten gleichläufige Interessen wie im Testaments- und im Käufergruppe-Fall oder gegenläufige Interessen wie etwa im Konsul- und Dachboden-Fall bestehen, ist für diese Haftung gänzlich unbeachtlich, wie sich wiederum aus § 839 BGB und § 98 HGB erschließt. Aufgezeigt ist damit eine im Gesetz nur punktuell geregelte Haftung neutraler Leistungserbringer. Dieser allgemeine Haftungssatz des objektiven Rechts hat in § 98 HGB sein gesetzliches Leitbild und in der Haftung des mensors sein historisches Vorbild. Ebenso wie etwa die §§ 122, 307, 309 BGB gesetzliche Einzeltatbestände des heute umfassend als culpa in contrahendo anerkannten Rechtsgedankens sind, so ist auch § 98 HGB Ausdruck dieses ebenfalls ungeschriebenen Haftungstatbestandes, der in Ergänzung der restriktiven §§ 823 ff. BGB ausnahmsweise auch im Verhältnis von Nicht-Vertragspartnern den Ersatz primärer Vermögensschäden bei nur fahrlässiger Verursachung anordnet. Das Lösen von untauglichen rechtsgeschäftlichen Konstruktionen, wie es in der allgemeinen Rechtsüberzeugung für die Figur der culpa in contrahendo bereits vollzogen wurde, steht diesem Anspruch erst noch bevor. 385
I I I . Widerspiegelung dieses Lösungswegs in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Die Aufdeckung der maßgeblichen Entscheidungskriterien erlaubt auch eine neue Betrachtung und Sichtweise der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. 384
Auch Lammel, AcP 179, 365, zieht für das Problem der Auskunftshaftung eine Parallele zur Haftung der Beamten nach Amtshaftungsgrundsätzen. Er spricht für die Auskunftsfälle sehr bildlich von einer „privatrechtlichen Haftung kraft Amtes". Allerdings sieht Lammel die Grundlage für die Auskunftshaftung zu Unrecht in einem berufsbezogenen Vertrauen in die besondere Sachkunde. Vom Ausgangspunkt ähnlich auch Köndgen, Selbstbindung, S. 398 f., der jedoch eine völlige Gleichstellung von Sachverständigen, Wirtschaftsprüfern und Notaren befürwortet, ohne dabei, wie dies hier vertreten wird, auf die jeweilige Leistung und deren Zweck abzustellen. 385 Vgl. z u r früheren Herleitung des Anspruchs aus culpa in contrahendo den Linoleumteppichrollenfall, RGZ 78, 239, 240: Durch Antrag auf Vorlegung des Teppichs und Annahme des Antrags entstehe ein den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. Auch und gerade hier erweist sich erneut, dass die ergänzende Auslegung der Schöpfung dispositiver Rechtssätze sehr nahe stehen kann bzw. nur als Formulierung für die Anwendung ergänzenden Rechts verwandt wird, so Flume, Rechtsgeschäft, § 16,4 f (S. 330).
256 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
1. Die Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Das Merkmal der Neutralität und Unparteilichkeit lässt sich auch in den höchstrichterlichen Entscheidungen zur Dritthaftung von Experten wiederfinden, ohne dass die Richter es allerdings namentlich benennen oder auch nur dingfest machen könnten. Aber es schwingt mit als judizprägendes Kriterium und haftungsbegründendes persönliches Merkmal. Es kommt in der fortwährenden Betonung der besonderen, durch staatliche Anerkennung oder einen vergleichbaren Akt nachgewiesenen Sachkunde des Schädigers zum Ausdruck, auf die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach eigenem Bekunden „entscheidend abgehoben wird". 3 8 6 Die Stellung als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger soll also letztlich auch die Haftung gegenüber dem Nicht-Vertragspartner rechtfertigen. 387 Und liegt diese nicht vor, so wird wenigstens die Stellung als verpflichteter Sachverständiger einer Kreissparkasse als „einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts"(!) herausgestellt. 388 Stets wird so - bewusst oder unbewusst die Nähe zur Stellung eines Beamten und damit aber auch immer zugleich zum Haftungstatbestand des § 839 Abs. 1 S. 1 BGB hergestellt. 389 Dem folgt auch die Bewertung der erbrachten Leistung. Denn ein Gutachten oder eine gutachterliche Äußerung einer Person mit vom Staat anerkannter Sachkunde besitze entsprechende Beweiskraft, „wenn der Verfasser sie objektiv nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und auch Dritten gegenüber dafür einsteht". 390 Der Gutachter wird so argumentativ in eine neutrale und unparteiische Stellung zwischen den Kontrahenten gerückt, die eine Verantwortlichkeit des Experten für beide Seiten begründet. Und eben diese Stellung des Schädigers erlaubt es dann auch dem Bundesgerichtshof, die Ersatzberechtigten über die Grenzen des Relativitätsprinzips hinaus nach dem „Vertragszweck" zu bestimmen,391 was in der Sache nichts anderes ist als der „Schutzzweck der Amtspflicht" bei § 839 Abs. 1 S. 1 BGB.
386 BGH NJW 1995, 392; 1987, 1758, 1759: „z. B. bei öffentlich bestellten Sachverständigen, Wirtschaftsprüfern, öffentlich bestellten Vermessungsingenieuren, Steuerberatern". 387 So etwa in BGH NJW 1982, 2431; 1984, 355; NJW-RR 1986, 484; OLG Köln BB 1996, 898, 899. 388 BGH NJW 1995, 392; hervorstechend ist dabei das Abstellen auf die Beleihungsgrundsätze der öffentlichen Sparkassen: Daraus werde deutlich, so der BGH, „daß auch eine aufgrund dieser Bestimmung vorgenommene Verpflichtung durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts geeignet ist, in der Öffentlichkeit die berechtigte Erwartung einer gegenüber dem bloß 'privaten' Sachverständigen hervorgehobenen Sachkunde und Zuverlässigkeit hervorzurufen". 389 Zu Recht führt Pfeiffer in seiner Kritik am Dachbodenfall an, der BGH messe dem Gutachter eine „quasi-behördliche Stellung" zu, L M § 328 BGB Nr. 91 Bl. 5. 390 So die auf Willensauslegung abstellende Rechtsprechung, BGH NJW 1987, 1759 f. (Hervorheb.v.Verf.). 391 So Pfeiffer, NJW 1998, 1060.
L M § 328 BGB, Nr. 91 Bl. 4 R, über BGH NJW 1995, 392; ebenso BGH
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes
257
Der hier aufgezeigte Lösungsweg ist damit nicht weit entfernt von den tragenden Enscheidungskriterien der Rechtsprechung. Er erlaubt nur, diese Kriterien auch als entscheidend zu bezeichnen und blendet zugleich alle untauglichen und unbeachtlichen Willenselemente aus. Die Betonung der amtlichen, beamtengleichen Stellung durch die Rechtsprechung erweist sich nur als eine Metapher für das eigentlich aufzudeckende Merkmal der Neutralität und Unparteilichkeit der Leistungserbringer.
2. Die Rechtsprechung zum stillschweigenden Auskunftsvertrag Auffinden lässt sich das Merkmal der Neutraltät und Unparteilichkeit auch in der hier einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum stillschweigenden Auskunftsvertrag zwischen einem vom Vertragspartner zu (vor-)vertraglichen Verhandlungen herangezogenen sachkundigen Berater und der Gegenpartei. 3 9 2 Die Einbeziehung zumeist von Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern in Vertragsverhandlungen „als unabhängige neutrale Person" wird dabei zum „besonderen Umstand" erklärt, der die Annahme eines stillschweigenden Auskunftsvertrages rechtfertige und für den Verpflichtungswillen des Auskunftsgebers sprechen könne. 393 Ausdrücklich liegt dem die Absicht zugrunde, „durch derartige zusätzliche Erfordernisse" zu verhindern, dass die Vertragshaftung in unangemessener Weise auf Hilfspersonen ausgeweitet wird. 3 9 4 Eine Haftung tritt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht ein, wenn der Experte bei seinen Kontakten mit dem Verhandlungsgegner diesem „nicht als unparteiischer Sachwalter, sondern lediglich als unselbständige Hilfsperson ('verlängerter Arm')" des Vertragspartners auftrete, deren sich dieser für Einzelangaben zu dem Gegenstand der Vertragsverhandlungen bediene. Die Auskünfte seien daher vorrangig dem künftigen Vertragspartner zuzurechnen; er hafte dem Verhandlungsgegner als dessen Vertragspartner für den Experten als Verhandlungsgehilfe nach § 278 BGB, wenn die Angaben nicht der Wahrheit entsprächen. 395 Wenn aber der Experte aufgrund seiner beruflichen Position als unabhängige neutrale Person an den Verhandlungen teilgenommen hätte, dann wäre eine „rechtliche Grundlage sowie ein schutzwürdiges Bedürfnis" des Vertragsgegners „für eine zusätzliche Sicherung neben den vertraglichen Bindungen" zur Vertragspartei anzunehmen.396 Deutlich wird damit auch hier zwischen unparteiischen Mittlern und einseitig parteiischen Beratern unterschieden. Und es
392 Dazu bereits o. 1. Kap. C. V. 2. 393 Etwa BGH VersR 1972, 441, 443; VersR 1986, 158 = NJW 1986, 180; NJW 1992, 2080, 2082. Dies wird allerdings von der Rechtsprechung nur als eines unter mehreren haftungsbegründenden Kriterien angesehen. 394 BGH VersR 1986, 158, 159; NJW 1992, 2080, 2082. 395 BGH NJW 1992, 2083. 396 BGH NJW 1992, 2083. 17 Plötner
258 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
sind letztlich auch hier die drohenden Interessenkonflikte, die eine „beidseitige" Haftung des vertraulichen Beraters einer Partei verhindern. 397
IV. Einbindung in das System des Haftungsrechts Die aufgezeigten entwicklungsgeschichtlichen und gegenwärtigen gesetzlichen Parallelen zeigen auf, dass der gesuchte und aufzudeckende Haftungssatz eine Erweiterung und Fortentwicklung des restriktiven Vermögensschutzes darstellt, wie er im BGB bewusst festgeschrieben wurde. Es geht hierbei nicht um die Begründung einer vertraglichen oder auch nur vertragsähnlichen umfassenden Rechtsbeziehung, wie gerade die unzuträglichen Konsequenzen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte verdeutlicht haben. Vielmehr beschränkt sich die Haftung nur auf den aus der Fehlerhaftigkeit einer Leistung entstandenen Vermögensschaden. Der Begründung einer besonderen Vermögensschutzpflicht auch und gerade gegenüber dem Dritten bedarf es nicht, denn die Haftung folgt allein aus der versprochenen Leistung und der besonderen Stellung des Schädigers. Dieser allgemeine Gedanke einer Haftung für fahrlässige Vermögensschädigung im außervertraglichen Bereich läßt sich bruchlos in die von Picker aufgezeigte Arbeitsweise des geltenden Haftungsrechts einfügen. Die Funktion des zum Auftraggeber der schädigenden Leistung bestehenden Vertragsverhältnisses in haftungsrechtlicher Sicht ist dann nicht begründender, sondern bloß begrenzender Natur. Die durch das Vertragsverhältnis geschaffene „Sonderbeziehung" erlaubt kraft der personalen Bezogenheit und der sachlichen Finalität des Kontakts den Ersatz auch nur fahrlässig verursachter Vermögensschäden.398 Die Sonderverbindung ist Mittel der Haftungsbegrenzung. Damit ist gleichzeitig impliziert, dass auch auf andere Weise eine solche Haftungsbegrenzung erzielt werden kann. So „adressiert" sich der Schädiger in den vorliegenden Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte aufgrund des Vertrags- und Schutzzwecks der eingegangenen Leistungspflicht immer zugleich auch an den geschädigten Dritten. Seine ihm erkennbar zukommende Stellung als neutraler, unparteiischer Mittler oder Leistungserbringer überträgt ihm auch den Schutz des oder der anderen Adressaten, an die er sich mit seiner Leistung direkt oder indirekt richtet. Auch zwischen ihm und dem Geschädigten liegt damit eine ebenso wie das Vertragsverhältnis durch Vereinzelung und Individualisierung geprägte Sonderverbindung vor. Für die Frage der Einstandspflicht bleibt es dabei bedeutungslos, dass dieser rein faktischen Leistungsbziehung keine rechtliche Bindung entspricht. 399
397 Denn so der BGH NJW 1992, S. 2082: „Damit hatte der Bekl. erkennbar in erster Linie Interessen zu vertreten, die denen des Kl. entgegengesetzt waren." Vgl. dazu die Gegenüberstellung von Notar und Anwalt, o.u. Β. II. 2. c) bb). 398 Picker, FS Medicus, S. 439, ausführlich dazu o. 2. Kap. Β. V. 1. 399 Picker, FS Medicus, S. 441.
C. Herleitung eines allgemeinen Haftungsgrundsatzes
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Die Anknüpfung an die Leistung und nicht an ein vertragsähnliches Verhältnis vermag dann auch zu erklären, warum die Haftung des Experten gegenüber dem Dritten auf Vermögensschäden aus Fehlern der Expertise zu begrenzen ist, die Haftung des Handelsmaklers demgegenüber nicht auf eine einzige Fehlerquelle beschränkt bleibt. Der Handelsmakler erbringt nämlich auch gegenüber dem Dritten u. U. ein umfassendes Leistungsprogramm, er tritt insbesondere auch zu diesem in unmittelbaren geschäftlichen Kontakt. Im Unterschied dazu ist und bleibt die einzige Verbindung des Experten zum Dritten seine Expertise. Diese Deutung als „außervertragliche Sonderverbindung" fügt sich schließlich auch nahtlos in das gesetzliche System eines restriktiven Vermögensschutzes ein, da es sich schon dem Wesen nach - sachlich wie personell - um einen Ausnahmetatbestand des Haftungsrechts handelt. Dem geschädigten Vermögen des Dritten kommt hierbei die erforderliche „Signalfunktion" zu, da die Haftung auf solche Dritte beschränkt ist, deren Vermögen bestimmungsgemäß von der Leistung betroffen wird und deren Betroffenheit dem Leistungerbringer bewusst ist. Dieses bewusste Handeln mit Bezug auf fremdes Vermögen vermag die sonst fehlende soziale Evidenz des Vermögens als Verletzungsobjekt herzustellen. 400 Die gegen die Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erhobenen Bedenken einer uferlosen, unübersehbaren und nicht mehr kalkulierbaren Haftung können auf diese Weise ausgeräumt werden. Die Gefahr der Potenzierung der Gläubigerzahl ist hier immer schon negatives Tatbestandsmerkmal des Haftungssatzes. Einer von der Rechtsprechung in den vorliegenden Fällen oftmals vorgenommenen nochmaligen Überprüfung des Ergebnisses anhand dieses vorgesetzlichen Gerechtigkeitspostulats bedarf es nicht.
V. Die Bedeutung des § 675 Abs. 2 BGB für die Haftung gegenüber Dritten Soweit es sich bei dieser Haftung um eine solche wegen fehlerhafter Auskunft handelt, lässt sich dem hier hergeleiteten Haftungssatz auch nicht § 675 Abs. 2 BGB entgegenhalten.401 Denn die Vorschrift enthält - wie aufgezeigt - nur eine gesetzgeberische Vorgabe für einen restriktiven Umgang mit haftungsbegründenden Vertragsfiktionen. Für das hier interessierende Problem ist hingegen eine vorhergehende vertragliche Verpflichtung des Schädigers immer bereits als gegeben vorausgesetzt. Es geht bei den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte einzig um die hieran anknüpfende, aber ganz anders gelagerte Frage, ob der Experte neben dem Vertragspartner auch Dritten gegenüber für Fehler seiner Leistung - etwa einer Auskunft - einzustehen hat. Und dieser Frage steht § 675 Abs. 2 BGB wertneutral gegenüber. 400 401
17*
So unter anderen Vorzeichen in der Sache richtig Köndgen, Selbstbindung, S. 373 f. A.A. für die hier gesuchte Haftung der Experten Honsell, FS Medicus, S. 212, 233.
260 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Voraussetzung einer Haftung für fehlerhafte Auskunft ist nach Wortlaut und Materialien des § 676 BGB a.F., soweit nicht Vorsatz vorliegt, ein entsprechender Rechtsbindungswille des Schädigers. In der Entwicklung der Auskunftshaftung hat die vertragliche Verpflichtung die besondere berufliche Stellung des Auskunftgebers als Haftungsvoraussetzung verdrängt. Der Auskunftgebende haftet nur im Rahmen von bestehenden Vertragsverhältnissen oder, wenn er für die Auskunft eine „Garantie" übernommen hat, 4 0 2 wenn er sich also vertraglich binden wollte. 403 Im Verhältnis zum Dritten hingegen ist die Suche nach einem obligierenden Willen auch und gerade diesem gegenüber verfehlt. Schon aus tatsächlichen Gründen wird der Dritte für eine „ausdrückliche Vereinbarung", also einen zweiten Vertrag mit dem Experten, wie dies ζ. T. gefordert wird, 4 0 4 keinen Grund sehen, und man wird ihm darin beizupflichten haben, wenn er vorgibt, doch bereits eine autorisierte Erklärung in Händen zu halten. 405 § 675 Abs. 2 BGB jedenfalls fordert dies nicht. Die gesetzgeberische Funktion des § 675 Abs. 2 BGB ist die der Haftungsbegrenzung durch Bewahrung privater - haftungsloser - Freiräume für den Einzelnen. 406 Es kommt darin die Unterscheidung zwischen Handeln mit Rechtsbindungswillen und bloßer Gefälligkeit zum Ausdruck 4 0 7 Ist ein solcher Rechtsbindungswille aber für die in Rede stehende Auskunft bereits bejaht, so bestimmt sich die Frage, ob der Schädiger für deren Fehlerhaftigkeit neben dem Gläubiger auch Dritten einzustehen hat, nach anderen - hier aufgezeigten - Kriterien, denn der Bereich bloßer Gefälligkeit ist dann sowohl im Verhältnis zum Gläubiger wie auch zu Dritten einheitlich verlassen. 408
402
So noch die Diktion von Windscheid/Kipp, Pandekten, § 412, 2. Dieser Bindungswille ist, wenn nicht ausdrücklich kundgetan, aus objektiven Gegebenheiten zu folgern, wobei - entsprechend § 675 Abs. 2 BGB - hohe Anforderungen zu stellen sind. Bei der hierbei erforderlichen Auslegung lässt sich dann noch immer an die Berufsbezogenheit der Auskunft anknüpfen, wie gerade die Gesetzesmaterialien zeigen. Aus diesem Verständnis von § 675 Abs. 2 BGB ergibt sich folgerichtig, dass es sich bei der Formel der Rechtsprechung, wonach Auskunfts Verträge dann zu bejahen sind, wenn die Auskunft für den Anfragenden erkennbar von erheblicher Bedeutung ist und er sie zur Grundlage wesentlicher Vermögensdispositionen machen will, nur um Indizien handeln kann, vgl. SoergelHäuser/Welter, BGB, § 676 Rn. 14 Fn. 61 m. w. N. für die Rspr. So etwa Ebke/Scheel, W M 1991, 397, für das Verhältnis zum Wirtschaftsprüfer. 405 Auch besteht unter den Rechtsunterworfenen die keineswegs unbegründete Überzeugung, eine vertragliche Abrede sei gerade für den Ausschluss, nicht aber zur Begründung einer Haftung erforderlich. 4 06 Treffend daher Ermm/Ehmann, BGB, 10. Aufl. 2000, § 675 Rn. 135: „Trotz der umfangreichen, haftungsbegründende Tatbestände schaffenden Rsp [ . . . ] ist § 675 I I (=§ 676 a.F.) aber keinesfalls obsolet geworden, sondern ist tief im allgemeinen Bewußtsein verwurzelt und verhindert, daß jedermann jedermann für die 1000 gutgemeinten Ratschläge und Empfehlungen, die täglich wohlfeil im 'gesellschaftlichen Verkehr' ausgeteilt werden, zu haften hat"; und ebenso bereits von Jhering, o.u. B. III. 403
407
Klassisches Beispiel dazu ist der Fall der Bahnfahrgäste, von denen der eine den anderen bittet, ihn beim nächsten Halt zu wecken, dies aber dann vergessen wird. Vgl. dazu auch Musielak, Haftung, S. 7 f., mit einem ähnlichen Beispiel.
D. Die Lösung des Fallmaterials
261
D. Die Lösung des Fallmaterials Der hier aufgezeigte Haftungstatbestand erlaubt eine klare Subsumtion der eingangs dargestellten Fälle des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte unter das hier entwickelte Haftungsprinzip. Diese ist losgelöst von der die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beherrschenden Suche nach einem konkludenten Schutzund Haftungswillen in der Person des Auftraggebers und des Schädigers oder entsprechend - der Fiktion stillschweigender Auskunftsverträge zwischen Schädiger und geschädigtem Dritten. Es können mit dem oben entwickelten Lösungsansatz die auch in der Rechtsprechung wiederzufindenden, aber eher beiläufig angeführten Haftungsmerkmale als maßgebliche Entscheidungskriterien benannt werden. Und dieser Haftungstatbestand gibt - darauf kommt es entscheidend an, weil dies bei der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte am dringlichsten gesucht wird - feste Grenzen bei der Bestimmung des geschützten Personenkreises vor.
I. Die neutrale, unparteiische Stellung des Leistungserbringers zwischen Auftraggeber und Dritten Die Neutralität und Unparteilichkeit des Leistungserbringers bildet die Grundvoraussetzung dafür, dass die Verletzung einer vertraglichen Leistungspflicht mit vermögenssicherndem Charakter in den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte trotz nur einseitiger vertraglicher Verpflichtung nicht nur - wie regelmäßig - zur „vertraglichen" Haftung für jegliches Verschulden allein gegenüber dem Vertragspartner und Versprechensempfänger führt, sondern zugleich auch gegenüber Dritten, also Nicht-Vertragspartnern, zu einer Verschuldenshaftung für Vermögensschäden führen kann. Sie „überlagert" die im Prinzip streng einseitige Leistungsverpflichtung und überträgt dem Leistungserbringer auch den Vermögensschutz des nur faktischen Leistungsdestinatärs und -benefiziars. Diese besondere Stellung im Rechtsverkehr ist den „Berufen öffentlichen Glaubens", 409 wie etwa zuvorderst 408 Vom hier vertretenen Standpunkt wird denn auch deutlich, dass in der Entscheidung im Konsul-Fall zwei Fragen in unzulässiger Weise vermengt wurden. Die Annahme des Bundesgerichtshofs, es liege ein stillschweigender Auskunftsvertrag mit Schutzwirkung für Dritte vor, beinhaltet in Wahrheit zwei zu trennende Problembereiche. Einer drittschützenden Wirkung vorausgehend ist zu klären, ob in der Äußerung des Auskunftgebers überhaupt eine rechtlich verbindliche Erklärung liegt. Festzustellen gilt es dabei, ob der Äußerung ein Rechtsbindungswillen zugrunde liegt, ob also die Erklärung in den Rechtsverkehr bewusst gerichtet war und nicht lediglich als unverbindliche, gefälligkeitshalber motivierte Äußerung zu werten ist. Erst wenn diese Vorfrage geklärt ist und damit dann auch das Einstehenmüssen für deren Fehlerhaftigkeit bejaht wurde, muss in einem zweiten Schritt behandelt werden, wem gegenüber der Schädiger einzustehen hat. 409 So Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 139, der vom Ansatz einer Vertrauenshaftung ebenfalls auf das „zentrale topos der Unparteilichkeit" abstellt. Diese Gruppe
262 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
den Notaren, aber eben auch den privaten Handelsmaklern und öffentlich bestellten Sachverständigen wesenseigen, kann aber im Einzelfall auch auf andere Berufe und Personen zutreffen. Für die Bestimmung der Stellung des Schädigers zum Geschädigten ist dabei von der konkreten, vertraglich versprochenen Leistungspflicht auszugehen.
1. Die Stellung des Rechtsanwalts gegenüber Mandant und Dritten Deutlich geht aus der hier vorgeschlagenen Sichtweise hervor, dass es sich bei dem angefühlten Testaments-Fall410 um eine krass atypische Fallgestaltung der Anwaltshaftung handelt. Als vom Berufsbild her streng einseitiger Interessenwahrer seines Mandanten hat er grundsätzlich nur dessen (Vermögens-)Interessen wahrzunehmen und zumeist gerade gegen die Interessen Dritter durchzusetzen. Anders stellt sich demgegenüber die Tätigkeit dar, wenn der Rechtsanwalt - wie im Testaments-Fall - verspricht, die Vermögensübertragung von Todes wegen zugunsten der Tochter des Erblassers zu gewährleisten. Dies geht ersichtlich bereits daraus hervor, dass sich der Anwalt hier quasi in die Rolle des Notars begibt, als der üblicherweise und von Gesetzes wegen mit der Aufgabe der Testamentserrichtung betrauten Person, und kein Grund ersichtlich ist, ihn anders als diesen nicht auch gegenüber der Erbin haften zu lassen.411 Die Erbringung dieser Leistung erfolgt erkennbar nach deren Inhalt zugleich im Interesse des Erblassers wie auch im Interesse der in Aussicht genommenen Erbin. Es leuchtet aber den Fall nicht in seiner Gänze aus, wenn hier die Haftung mit dem sonst eintretenden „Leerlaufen" der Pflicht des Anwalts begründet wird. 4 1 2 Dies trifft zwar in der konkreten Konstellation zu; merkt aber der Erblasser noch zu Lebzeiten den Fehler des Anwalts, so kann dieser selbstverständlich die vergeudeten Notarskosten vom Anwalt wegen der Verletzung dieser Pflicht seinerseits ersetzt verlangen. Fehler der Leistungserbringung haben also nicht schlechthin nur Auswirkungen gegenüber dem Dritten. Der Anwalt hat hier vielmehr - ebenso wie der Notar - zugleich auch die Vermögensinteressen des Erben deshalb zu wahren, weil der Erblasser sich diese zu Eigen macht. Dem Anwalt kommt bei der Testamentserrichtung abweichend von seiner gewöhnlichen Rolle als einseitiger Interessenwahrer seines Mandanten die eines neutralen Vermittlers des Erblasservermögens zwischen beiden zu. Folglich kann er auch beiden gegenüber haften. 413 sei im Grundsatz auf die Wahrheit stärker verpflichtet, als auf die Loyaltität zu ihren jeweiligen Auftraggebern (S. 139 f.). Auf diesen Begriff stellt auch Köndgen ab, Selbstbindung, S. 380 ff. 410 s.o. 1. Kap. Α. II. 2. a) aa). 411 Zum Vergleich der Tätigkeit von Anwalt und Notar bereits ο. Β. II. 2. c) bb). 412 So wieder jüngst Neuner, JZ 1999, 134. 413 Gleiches gilt entsprechend für den Scheidungsvereinbarungs-Fall, s.o. 1. Kap. Α. II. 2. a) bb). Und eine vergleichbare neutrale Stellung kann einem Anwalt ausnahmsweise auch zukommen, wenn er von seinem Mandanten um Auskunft über die vorhandenen Belastungen
D. Die Lösung des Fallmaterials
263
2. Exkurs: Die Haftung des Anwalts für fehlerhafte Rechtsgutachten („legal opinions") Stellt man auf das hier herausgearbeitete Kriterium der Neutralität ab, so können auch die in diesem Zusammenhang diskutierten Fälle der Haftung von Rechtsanwälten für fehlerhafte Rechtsgutachten gelöst werden. Es ist dann das ausschlaggebende sowie nachvollziehbare Haftungskriterium benannt, mit dem zwischen einem Parteigutachten und einer sog. „third party legal opinion" unterschieden werden kann, mit der Anwälte gegenüber den Verhandlungsgegnern ihrer eigenen Mandanten im Rahmen größerer Transaktionen - etwa bei internationalen Konsortialkrediten sowie bei Anleihen und Aktienplazierungen - förmlich Stellung nehmen. 414 So hat ein Parteigutachten des Anwalts, das eine Seite der anderen im Rahmen von Vergleichs- oder Vertragsverhandlungen vorlegt, den erkennbaren Sinn, die Position dieser Seite zu unterstützen. Der Rechtsanwalt hat sich folglich bei der Erstellung seines Gutachtens allein an deren Interessen auszurichten. Die kollidierenden Vermögensinteressen der Gegenseite hat er dabei nicht zu wahren. Ganz anders stellt sich demgegenüber die Aufgabe bei Abfassung einer „third party legal opinion". Diese dient erkennbar dem Zweck, etwa als rechtliche Basis eines gemeinsamen Projekts der Parteien und damit einem gemeinsamen Vertragsschluss herangezogen zu werden. Es sollen sich also beide Seiten darauf verlassen können 4 1 5 Der Anwalt nimmt hierbei anders als bei einem Parteigutachten eine neutrale, unparteiische Stellung zwischen den beiden Parteien ein. Seine dabei übernommene Pflicht, die Vermögensinteressen anderer - im Hinblick auf rechtliche Risiken der Transaktion - wahrzunehmen, besteht aufgrund dieser Neutralität zu beiden Parteien in gleicher Weise. Auf ein - zudem kaum messbares (wie auch?) größeres oder weniger großes Maß an Vertrauen kommt es hier nicht an, und dass der Anwalt, wie Canaris meint, „in der Tat eine »persönliche Gewähr4 für dessen Richtigkeit übernimmt", 416 ist gerade nicht der entscheidende Unterschied, denn eines Grundstücks gegenüber weiteren möglichen Kreditgebern ersucht wird, so RGZ 52, 365, dazu bereits o. 1. Kap. C. V. 2. a). 414 Dazu umfassend Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 1 ff. (zum Erscheinungsbild), für die USA S. 4 ff., für Deutschland S. 55 ff.; Schneider, ZHR 163, 246, 247 f. m. w. N.; Canaris, ZHR 163, 233 f.; Bosch, ZHR 163, 276 f.; Neuner, JZ 1999, 135; Grunewald, AcP 187, 301. 415 So gerade auch Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 169: „Ein Schreiben an den Geschäftsgegner, in dem der Anwalt nur als Sprecher seines Mandanten auftritt, ist keine Third Party Legal Opinion und kann keine Eigenhaftung des Anwalts auslösen. Eine Third Party Legal Opinion kennzeichnet gerade, daß sie abgegeben wird, um Zweifel an der Richtigkeit einer Parteiaussage auszuräumen und nicht lediglich um eine Parteiaussage zu übermitteln." 416 Canaris, ZHR 163,233; ebenso Adolff, Verantwortlichkeit deutscher Anwälte, S. 189 f.: Der Anwalt habe gegenüber dem Empfänger Vertrauen auf die eigene Person gezogen und zugleich eine parteigleiche Vertrauensstellung begründet. Das mache die Haftung des Anwalts für die Richtigkeit der Third Party Legal Opinion aus culpa in contrahendo grundsätzlich möglich.
264 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
auch im Fall des bloßen Parteigutachtens übernimmt er in der Tat auch eine persönliche Gewähr für dessen Richtigkeit, nur eben dann ausschließlich dem Auftraggeber, nicht aber auch dem Dritten gegenüber. Ohne diese persönliche Gewähr hätte der Mandant das Gutachten wohl auch kaum in Auftrag gegeben. Eben erst aufgrund der ihm vertraglich übertragenen neutralen Stellung, d. h. wegen des erkennbaren Verwendungszwecks des Gutachtens, ist er auch zur Wahrnehmung der Vermögensinteressen Dritter verpflichtet und haftet demgemäß bei Verletzung dieser Pflicht auch gegenüber dem Dritten. 417
3. Das Erstellen von Gutachten und Testaten durch Sachverständige, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in den Fällen der sog. Expertenhaftung Eine unparteiische, neutrale Rolle kommt auch und gerade Sachverständigen, traditionell dem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bei der Erstellung von Gutachten und anderen Testaten zu, die als Grundlage für Verkaufs- und Beleihungszwecke dienen sollen. 418 Dabei sind hierfür nicht allein und generell schon ausschlaggebend die jeweiligen Berufsordnungen, die diesen Berufszugehörigen zumeist die Unparteilichkeit bei der Ausübung ihrer Tätigkeit auferlegen, 419 sondern abzustellen ist auf Sinn und Zweck der einzelnen, vertraglich vereinbarten Leistung, die von vornherein mehrere Destinatäre - neben dem Auftraggeber auch Dritte - vorsieht, die in gleicher Weise von dem Inhalt der Leistung Gebrauch machen. Es können daher etwa auch Steuerberater, die ähnlich wie Rechtsanwälte von ihrem Rollenbild eher einseitige Interessenwahrer ihrer Mandanten sind, im Einzelfall in eine neutrale, zwischen Mandant und dessen Geschäftsgegner gelagerte Rolle treten, wenn sie - wie ein Wirtschaftsprüfer - ein Wertgutachten oder eine Bilanz zu Verkaufszwecken erstellen. Dieser Gedanke tritt dabei sehr anschaulich im Dachboden-Fall420 hervor. Hier schädigt der Gutachter und Sachverständige je nach konkreter Unachtsamkeit und damit rein zufällig - entweder den Käufer oder den Verkäufer des Objekts, nämlich jeweils abhängig davon, ob sich der Fehler weiterhöhend oder wertmin417 Dass es dabei im Einzelfall mitunter schwierig sein kann, die Neutralität klar zu bestimmen, soll hier nicht in Abrede gestellt werden. Diese Unsicherheiten betreffen hingegen das Tatsächliche, nicht aber die Unrichtigkeit dieses Kriteriums als solches. 418 Treffend formuliert hierzu Köndgen, Selbstbindung, S. 397: „Obwohl der Auftraggeber den Sachverständigen mit seinem guten Geld honoriert, wird er deswegen doch nicht erwarten können, der Sachverständige werde seinen Wünschen zu Lasten des Adressaten der Expertise den Vorzug geben." Köndgen selbst spricht bei der Erstellung eines Sachverständigengutachtens von „Gleichordnung der Rollenbeziehungen zum Auftraggeber einerseits und zum intendierten Benefiziar andererseits". 419 So sieht etwa § 43 I 2 WPO vor, dass sich der Wirtschaftsprüfer „insbesondere bei der Erstellung von Prüfungsberichten und Gutachten unparteiisch zu verhalten hat". 4 20 s.o. 1. Kap. A. II. 2. d) bb) (4).
D. Die Lösung des Fallmaterials
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dernd auswirkt. Beide Vertragspartner verlassen sich aber erkennbar gleichermaßen auf die Richtigkeit der Angaben des Sachverständigen, weil ihm trotz nur einseitiger Beauftragung im Verhältnis zu beiden dieselbe unparteiliche Stellung zukommt. Die Beschränkung der Haftung auf das relative Schuldverhältnis zwischen Auftraggeber und Sachverständigem ist hier ersichtlich verfehlt. Zu Recht wird daher geltend gemacht, dass das Zustandekommen des Auftragsverhältnisses zur einen oder anderen Partei rein zufällig sei und für diese Frage folglich nicht ausschlaggebend sein dürfe. Dem ist vom hier vertretenen Standpunkt darüber hinaus noch erklärend hinzuzufügen, dass sich diese Zufälligkeit der Beauftragung von der einen oder von der anderen Seite gerade wiederum aus dem Inhalt der Leistung und der dem Sachverständigen zukommenden unparteiischen Stellung ergibt. Er ist gerade nicht nur Interessenwahrer einer Partei. Erst aus diesem Grunde kann überhaupt erwogen werden, dass auch die andere Partei den Sachverständigen, ohne diesen dabei in Interessenkonflikte zu führen, ebensogut zur gleichen Leistung hätte beauftragen können. Und gerade auch erst die Zuweisung dieser besonderen durch Neutralität und Unparteilichkeit geprägten Position zwischen Auftraggeber und einem weiteren Destinatär und Benefiziar der Leistung vermag überhaupt erst ausreichend zu erklären, warum hier neben dem Auftraggeber auch die Gegenseite berechtigterweise auf den Inhalt der Leistung und dessen Richtigkeit vertrauen darf und dieses allein vermögensschädigende Vertrauen auch außervertaglich geschützt wird. Diese neutrale Stellung des Leistungserbringers ist allen Expertenhaftungs-Fällen eigen. Sie führt zum Vorhandensein mehrerer gleichgestellter Leistungsdestinatäre oder auch zur Austauschbarkeit der Leistungsbenefiziare untereinander wie etwa im Käufergruppe-Fall 421 und sie folgt aus dem besonderen Verwendungs- und Leistungszweck des Testats. Für die Aufgabe der Prüfung des Jahresabschlusses einer prüfungspflichtigen Kapitalgesellschaft und die Erteilung des Bestätigungsvermerks durch den Abschlussprüfer schließlich ist die Neutralität gemäß § 323 Abs. 1 S. 1 HGB schon kraft Gesetzes durch die Verpflichtung „zur gewissenhaften und unparteiischen Prüfung" angeordnet.
4. Der Geschäftsführer der GmbH & Co. KG Das Kriterium der Neutralität ermöglicht auch eine klare Entscheidung der gesellschaftsrechtlichen Problematik einer Haftung des GmbH-Geschäftsführers in der GmbH & Co. KG auch gegenüber der Kommanditgesellschaft im PublikumsKG-Fall. 422 Es ist damit zugleich das maßgebliche Abgrenzungsmerkmal vorgegeben, an dem die Gesellschaftsstrukturen zu messen sind. Eine Haftung des Geschäftsführers sowohl der GmbH als auch der Kommanditgesellschaft gegenüber 421 s.o. 1. Kap. A. II. 2. d) bb) (1). 422 s.o. 1. Kap. A. II. 2. c).
266 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
in direkter und entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 43 GmbHG greift dann ein, wenn zwischen der Kommanditgesellschaft und der GmbH Interessenidentität besteht, wenn also der Geschäftsführer nicht nur einseitig die Interessen der einen gegenüber der anderen Gesellschaft durchzusetzen hat. Ahnlich entscheidet in der Sache auch der Bundesgerichtshof, wenn er betont, dass „nach Struktur und Bestimmungszweck der beiden Gesellschaften eine weitgehende Interessengleichheit" vorliege. 423 Dies ist aber nicht immer schon dann der Fall, wenn die GmbH einziger persönlicher Komplementär der Kommanditgesellschaft ist, sondern nur wenn die Beteiligungsverhältnisse an der Kommanditgesellschaft mit denen der GmbH identisch sind und deren Aufgabe und damit die ihres Geschäftsführers sich im wesentlichen darin erschöpft, die Kommanditgesellschaft zu leiten. Die GmbH ist dann nur ein gesellschaftsrechtliches Konstrukt, das zwischengeschaltet wurde, um die Beschränkung der Haftung einerseits und die Vorteile einer Kommanditgesellschaft andererseits zu kumulieren. Interessenkonflikte zwischen Kommanditgesellschaft und GmbH sind dann ausgeschlossen, denn die Interessen stimmen überein. Die Stellung des Geschäftsführers zwischen den beiden juristisch selbständigen Gesellschaften ist dann neutral und unparteiisch. Auf andere Gesellschaftsbeteiligungen ist diese Haftung nicht zu übertragen. Auf diese Weise sind zugleich den im Urteil wiedergegebenen Bedenken Rechnung getragen, der Geschäftsführer könne u. U. in den Zwiespalt auseinanderlaufender Interessen geraten. 424 Und bereits tatbestandlich ausgenommen ist dann der Fall, dass der Geschäftsführer nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, sondern etwa zur Deckung eines Fehlbetrages bei der persönlich haftenden Gesellschafterin und damit parteilich handelt. Denn, wie Westermann zutreffend formuliert, „er hätte dann doch nur eine Vertragsverletzung der Komplementärin in ihrem Verhältnis zur Kommanditgesellschaft begangen".425 Anzuknüpfen ist dabei nicht an den das Dienstverhältnis begründenden Anstellungsvertrag und dessen Schutzwirkung, sondern an die Bestellung als Geschäftsführer einer GmbH, die einzige persönlich haftende Komplementärin einer Kommanditgesellschaft ist. Dieser die Vertretungsbefugnis für die GmbH und zugleich auch für die Kommanditgesellschaft begründende gesellschaftsrechtliche Akt verleiht ihm die Machtstellung auch zur Kommanditgesellschaft, nicht aber bereits der davon unabhängige Dienstvertrag. 426
423 BGHZ 75, 325; und weiter: Die Kommanditgesellschaft und die GmbH hätten ein „im wesentlichen gleichgerichtetes Interesse an einer ordnungsgemäßen Erfüllung" der Aufgaben des Geschäftsführers. 424 BGHZ 75, 326. Anders ist etwa auch zu entscheiden, wenn es mehrere Gesellschafter in der GmbH gibt und dem Geschäftsführer Weisungen erteilt werden. 42 5 Westermann, NJW 1982, 2870. 426 So auch BGHZ 75, 326: „Die Vertragswirkungen werden nur insofern auf die Klägerin ausgedehnt, als der Geschäftsführer, wenn und solange er ihr als Organ der GmbH vertragsgemäß seine Dienste zu erbringen hat, dies mit der gebotenen Sorgfalt tun muß, andernfalls er ihr Schadensersatz schuldet."
D. Die Lösung des Fallmaterials
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5. Die Rolle der Banken im Lastschriftverfahren a) Zu lösen ist dananch auch der rein äußerlich als Sonderfall anmutende Lastschriftverfahren-Fall. 427 Auch in den als „Massengeschäfte" charakterisierten Geschäftsabläufen sind die hier für maßgeblich erachteten Kriterien aufzufinden. Entgegen dem Bundesgerichtshof ist nicht auf die „Inanspruchnahme des Vertrauens auf sach- und interessengerechte Abwicklung" abzustellen, sondern auf die Stellung, die der schädigenden Bank innerhalb des Lastschriftverfahrens zukommt. Die verletzte Pflicht zur alsbaldigen Rücksendung nicht eingelöster Lastschriften wurde zwischen Schuldner- und Gläubigerbank im Rahmen der gegenseitig zugesagten Mitwirkung am Lastschriftverfahren im Lastschriftabkommen der Banken niedergelegt. Doch diese Pflicht ist nicht nur im Verhältnis „Bank zu Bank" zu beachten, denn bei der Verletzung dieser Pflicht ist „auch das Interesse des Gläubigers im Spiel, der den Einziehungsauftrag erteilt hat". 4 2 8 Beiden Banken kommt im Lastschriftverfahren die Aufgabe einer raschen bargeldlosen Abwicklung eines erfüllungshalber getätigten Zahlungsvorgangs zwischen Lastschriftgläubiger und Schuldner zu. Hierzu bieten sie ein einheitliches Verfahren an, das von vornherein nicht nur an die eigenen Bankkunden gerichtet ist. Die Banken üben lediglich eine den fremden Erfüllungsvorgang vermittelnde Tätigkeit im Interesse der Beteiligten aus. Sie sind damit bloße neutrale Zahlungs- und Weiterleitungsstellen zwischen Gläubiger und Schuldner. Ihre Neutralität erschließt sich - wiederum zur Probe schon aus der Möglichkeit, dass beide Vertragspartner auch bei der gleichen Bank ihr Konto unterhalten können und die Haftung der Bank gegenüber beiden Beteiligten in diesem eingliedrigen Zahlungs Vorgang völlig unproblematisch als jeweils vertraglicher Natur zu bejahen wäre, worauf auch Canaris hinweist. 429 Ebenso wie sie ihre Leistung im bargeldlosen Zahlungsverkehr an alle Beteiligten erbringen, haben sie auch die Folgen ihrer Pflichtverstöße allen gegenüber zu tragen, so dass eine pflichtwidrig versäumte Rücksendung einer nicht eingelösten Lastschrift auch zur Schadensersatzhaftung gegenüber dem Lastschriftgläubiger führen kann. b) Zur Lösung der haftungsrechtlichen Problematik des bargeldlosen Zahlungsverkehrs bedarf es daher nicht, wie Möschel dies vorschlägt, der Kreation „einer neuen dogmatischen Kategorie des Verbunds- oder Netzvertrags", 430 der die Kette von Einzelverträgen zwischen Zahlungspflichtigem, Schuldner- und Gläubigerbank und Zahlungsempfänger als selbständige Glieder zu einem einheitlichen ver427 s. ο. 1 Kap. Α. II. 2. b). 428 Insoweit richtig BGHZ 69, 87. 429 Canaris , FS Larenz, S. 98, hält für „entscheidend", dass die Mitteilung allein den Interessen des Gläubigers zu dienen bestimmt sei und bei einem nur eingliedrigen Zahlungsvorgang mit Selbstverständlichkeit diesem gegenüber vorzunehmen wäre. „Durch die rein zahlungstechnische Zufälligkeit, daß es sich hier um einen mehrgliedrigen Vorgang handelte, darf das Interesse des Gläubigers nicht schutzlos und die Pflichtverletzung der (Schuldner)Bank nicht sanktionslos werden." 430 Möschel, AcP 186, 187, 235.
268 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
traglichen Bereich zusammenfasst und aufgrund dessen „Verbundbetrachtung" Schutzpflichten und entsprechend eine Haftung angenommen werden könne, „gleichgültig, an welcher Stelle innerhalb des Netzes das Fehlverhalten stattgefunden hat". 4 3 1 Zwar hat diese Konstruktion beim Lastschriftverfahren im mehrgliedrigen Zahlungsvorgang den Reiz und Vorzug, die konstruktiven Grenzen eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte dadurch zu überwinden, dass im „Netzvertrag" schlicht jeder jedem haftet. Doch die Überhöhung eines bloßen Vertragsnetzes zum „Netzvertrag" tut dem Vertragsbegriff Gewalt an. 4 3 2 Aus der Erkenntnis, „daß die Einzelverträge in ihrer wechselseitigen Aufeinanderbezogenheit ein System konstituieren mit dem einheitlichen Zweck der Zahlungsdurchführung, ohne daß dies ein gemeinsamer im Sinne eines Gesellschaftsvertrags wäre", 433 folgt die gewünschte Haftung nicht erst über den Umweg und die Stütze eines alles überlagernden „Netzvertrags" - quasi als bloß haftungsrechtliche Komponente des Gesellschaftsvertrags - , sondern bereits aus der daraus zu gewinnenden Besonderheit, dass den Banken im Verhältnis zu den Vertragsparteien eine neutrale Vermittlerrolle zwischen Lastschriftgläubiger und -Schuldner zukommt. Aus dieser Rolle folgt die Pflicht, die Vermögensinteressen beider Parteien gleichermaßen wahrzunehmen, da klar erkennbar ist, wer bei einem Fehlverhalten der Geschädigte sein wird. 4 3 4
II. Die Gläubigerbestimmung nach dem Schutzzweck der vereinbarten Leistung und dem gesetzlichen Modell der Haftungsbeschränkung Kommt dem vertraglichen Leistungserbringer eine hier beschriebene neutrale und unparteiische Stellung zu, so ist die Einstandspflicht für Fehler der Leistung nicht - wie üblich - auf die Person des Versprechensempfängers und Vertragspartners beschränkt, sondern die Bestimmung des geschützten Personenkreises und damit der Anspruchsberechtigten erfolgt nach dem vereinbarten oder der verletzten Leistung zukommenden Schutz- und Vertragszweck auf der Grundlage des gelten431 Die individualistischen Vertragsstrukturen sieht Möschel, AcP 186, 211, 222 u. 235, „von ihrer Einbettung in ein Gesamtsystem überlagert". Die Konzeption eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bleibe „auf halbem Wege stehen" (ders., ebenda, S. 222). 432 Auch diese „neue" Vertragsfigur ist letztlich eine Fiktion. Zwar ist es theoretisch möglich, dass hier von vornherein ein gemeinsamer Vertrag geschlossen wird; dann aber handelt es sich nicht um einen neuartigen „Netzvertrag", sondern um einen schlichten Gesellschaftsvertrag, den auch Möschel hier verneint. Der „Netzvertrag" lässt sich zudem nicht klar von bloßen Leistungs- und Vertragsketten, wie etwa bei Warenabsatzketten, abgrenzen, bei dem die haftungsrechtlichen Folgen der Verbundbetrachtung gerade nicht erwünscht wären. 433
Möschel, AcP 186, 222. So auch ders., AcP 186, 222. Zu Recht weist Möschel darauf hin, dass dadurch keine neuen Pflichten geschaffen würden, sondern nur die Identität von Pflichtenkreis einerseits und Schutzberechtigung andererseits hergestellt würde. 434
D. Die Lösung des Fallmaterials
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den Haftungsrechts als System der Haftungsbeschränkung. Denn durch diese „amtsähnliche" Stellung sieht sich der Leistungserbringer von vornherein nicht nur seinem Auftraggeber, sondern auch Dritten als Leistungsdestinatäre und -benefiziare gegenüber stehen. Geschützt sind danach diejenigen, die sich neben dem Auftraggeber und wie dieser auf die ordnungsgemäße Erfüllung und Richtigkeit der Leistung verlassen, weil sie bestimmungsgemäß und für den Leistungserbringer erkennbar Empfänger der Leistung sind und deren Vermögensschädigung es mit dem Inhalt der Leistung gerade zu verhüten gilt.
1. Die Vermittlung fremder vermögenswerter Zuwendungen und die Einbeziehung Dritter in vermögenssorgende Leistungen Die Bestimmung der durch die Leistung neben dem Auftraggeber geschützten, weiteren faktischen Destinatäre und Benefiziare ist immer bereits dann durch die Zuweisung einer Rolle als neutraler Leistungserbringer präjudiziell, wenn der Dritte bereits - und sei es gar namentlich - in der Leistungspflicht als Adressat einer zu vermittelnden Begünstigung angegeben oder in eine vermögenssorgende Leistung mit einbezogen wird, ohne dass damit zugleich eine Pflicht zur Leistung an den Dritten im Sinne eines echten (berechtigenden) oder unechten Vertrags zugunsten Dritter begründet wurde. 435 Im Testaments-Fall ist der vom Erblasser in Aussicht genommene Erbe als Begünstigter genannt und damit zugleich auch im Fall der Schlecht- oder Nichterfüllung als bestimmungsgemäß Geschädigter durch die Leistungspflicht individualisiert. Der Anwalt hat hier eine fremde Zuwendung umzusetzen. Er ist selbst nicht „Leistender" der Begünstigung, seine Leistung besteht vielmehr nur in ihrer formwirksamen Vermittlung. Und ebenso sind auch die Kinder im Scheidungsvereinbarungs-Fall die Adressaten der zu verwirklichenden Begünstigung, wenn ihnen in einer vom Anwalt aufzusetzenden Vereinbarung im Rahmen der Scheidung der Eltern Vermögenswerte zugewendet werden sollen. 436 Gleiches gilt auch, wenn Gegenstand der fremden Zuwendung nicht ein Vermögenswert, sondern die Vermögens sorge oder -betreuung ist. Der Dritte wird hier neben dem Auftraggeber und wie dieser als Benefiziar in eine vermögenssorgende Leistung mit einbezogen, etwa wenn ein steuerlicher Berater für eine Gesellschaft gesellschaftsinterne Vorgänge zu begutachten hat und dabei sowohl die Interessen der Gesellschaft wie der Gesellschafter berücksichtigen soll. 4 3 7 Und dies gilt erst 435
Nicht zu leugnen ist dabei, dass die hier erfassten Fallgestaltungen dem Vertrag zugunsten Dritter nahe stehen. Ergibt aber die Auslegung, dass keine Leistung an den Dritten zu erbringen ist, sondern nur (auch) für den Dritten, bedarf es für die gesuchte Haftung nicht der Reduzierung dieser vertaglichen Konstruktion auf bloße Vermögensschutzwirkung. 43 6 s. o. 1. Kap. A. II. 2. a) bb). 437 So der Fall des BGH NJW 1983, 1053, 1054, der ebenfalls mit Hilfe eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte gelöst wurde, s. dazu die Angaben o.u. 1. Kap. A. II. 2. d) bb) (1).
270 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
recht im Publikums-KG-Fall, da für den GmbH-Geschäftsführer aufgrund der besonderen Gesellschaftsstrukturen die Kommanditgesellschaft das eigentliche Objekt der Geschäftsführung ist und damit deren Belange den Maßstab seiner Pflichten darstellen. Aber auch im Lastschriftverfahren-Fall sind die Parteien des abzuwickelnden Zahlungsvorgangs, weil schon auf der Lastschrift als Gläubiger und Schuldner genannt, für die beteiligten Banken als Destinatäre und Benefiziare ihrer Leistung und Pflichtenstellung bestimmt. Jeweils treten die neutralen Leistungserbringer zu diesen „Dritten" in eine außervertragliche Sonderverbindung, vermöge derer ein Haftung für fahrlässige Vermögensschädigung begründet wird.
2. Die Erstattung von Wertgutachten zu Verkaufsund Beleihungszwecken a) Erfolgt eine Begutachtung von Grundstücken, Wertgegenständen oder Unternehmen in dem vereinbarten Ziel oder der erkennbaren Absicht des Auftraggebers, das Gutachten zu Verkaufs- oder Beleihungszwecken gegenüber Dritten zu verwenden, wie es für die Expertenhaftungs-Fälle charakteristisch ist, so haftet der Gutachter für Fehler bei der Bewertung sowohl dem Käufer wie dem Verkäufer, dem Kreditgeber ebenso wie dem Kreditnehmer, unabhängig davon, wer ihn jeweils beauftragt hat. Beide sind jeweils vom Schutzzweck des Wertgutachtens erfasst, so dass heute eine Haftung ebenso zu bejahen ist, wie bereits nach der römisch- und gemein-rechtlichen Klage gegen den mensor. 438 Es ist zwar bei Erstellung der Expertise der „Dritte" dem Experten typischerweise noch nicht namentlich bekannt, die Verwendung als Verkaufs- und Beleihungsgrundlage und damit ihr Schutzzweck hingegen ist es. 439 Sie lässt neben den auftragserteilenden Empfänger der Expertise immer noch einen weiteren Leistungsdestinatär treten. Die Gutachterleistung ist an beide „adressiert", da beide sich erkennbar beim Abschluß des Geschäfts auf die Angaben des Experten gleichermaßen verlassen. Für den Gutachter sind beide als die durch Bewertungsfehler potentiell geschädigten Personen von vornherein individualisiert. Das Vertragsverhältnis zum Auftraggeber als Rechtsgrund der Leistungspflicht kann hier schon aus entwicklungsgeschichtlicher Sicht die Haftung für Fehler der Leistung nicht auf diese Beziehung beschränken. 440 Eine haftungsrechtliche Sonderverbindung besteht hier zu beiden Leistungsbenefiziaren. So haftet der Sachverständige im Dach438
Dort allerdings noch beschränkt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, s.oben u. B. III. 1. Die Anwendung rechtsgeschäftlicher Maßstäbe für die Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte hat hier zur Folge, dass der Anknüpfungspunkt für die vertragliche Anspruchsberechtigung der Dritten allein der zweifelhafte Umstand wird, dass der Auskunftgeber „allen, die es angeht" für die Auskunft einzustehen habe; in dieser Konsequenz von Hoyningen-Huene, NJW 1975, 962, 964. 439
^o Dazu o. bes. C. I. 2. u. B. III.
D. Die Lösung des Fallmaterials
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boden-Fall 441 dem Käufer und ebenso auch im Käufergruppe-Fall 442 dem das Hausgrundstück allein erwerbenden Mitglied der Käufergruppe, unabhängig davon, wer ihn ursprünglich beauftragt hatte. b) Kommt es aber richtigerweise - und entgegen der Ansicht der Rechtsprechung - nicht auf die Möglichkeit der (willentlichen) Einbeziehung in das Vertragsverhältnis an, so ist im Hausbank- und Bürgschafts-Fall 443 auch nicht darauf abzustellen, ob die Parteien des Gutachtenvertrages neben dem Vertragspartner des Auftraggebers darüber hinaus an eine finanzierende Bank oder gar an einen kreditsichernden Bürgen und deren Vermögensschutz gedacht haben. Es geht hier einzig um die Frage, ob auch deren Schutz vor finanzieller Schädigung noch vom Verwendungs- und Schutzzweck der Leistung umfasst ist. Und es ist zu fragen, ob durch die Haftung auch dem Kreditgeber und dem Bürgen gegenüber eine stets zu vermeidende Ausuferung der Haftung durch die Potenzierung der Gläubigerzahl droht. Losgelöst von rechtsgeschäftlichem Denken ist dann zunächst festzustellen, dass auch diese „entfernteren" Leistungsdestinatäre in den Schutzzweck der Testatserstellung einbezogen sind. 444 Werden mit der Bewertungsleistung die Grundlagen für Erwerb und Beleihung festgelegt, so sollen damit die Beteiligten vor Risiken aus einer Fehlbewertung für das anzustrebende Geschäft bewahrt werden, und dies erfasst - weil üblicherweise in die Abwicklung involviert und von Fehlern notwendigerweise ebenso betroffen - auch die Finanzierung des Kaufpreises und die weitere Sicherung des Kredits. Hier nun erweist sich das Kriterium der Haftungsbeschränkung in der Tat und auch nach allen anderen Lösungsansätzen als das entscheidende und ausschlaggebende Haftungskriterium. 445 Und so stellt auch der Bundesgerichtshof im Bürgschafts-Fall darauf ab, dass „eine Vervielfältigung des Risikos des Verpflichteten [ . . . ] hierdurch nicht (eintritt)". 446 Denn ohne die Einschaltung der Hausbank oder des Bürgen hätte der jeweilige Vertragspartner des Auftraggebers den Schaden selbst zu tragen gehabt, den ihm nun Hausbank oder Bürge abgenommen haben. 447 Ohne dieses Korrektiv sind alle anderen Lösungswege in Wahrheit nicht praktikabel, was diese Fälle klar zum Vorschein bringen. Das Abstellen auf „pflichtverstärkende" Faktoren ermöglicht keine
441 s.o. 1. Kap. Α. II. 2. d) bb) (4). 442 s.o. 1. Kap. Α. II. 2. d) bb) (1). 443 s.o. 1. Kap. Α. II. 2. d) bb) (3) u. (5). 444 Wiederum erweist sich hier der Ansatz und die Terminologie des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte als irreführend. Denn beides wirft anläßlich des Hausbank-Falles im Schrifttum die kuriose Frage auf, ob nur der „erste Dritte", oder auch der „zweite Dritte" in den Schutz einzubeziehen ist, vgl. dazu Hopt, NJW 1987, 1746 u. Ebke/Scheel, W M 1991, 393. 445 Canaris , JZ 1998, 606 ebenso ZHR 163, 236, sieht darin den „ausschlaggebenden Wertungsgesichtspunkt". 446 BGH NJW 1998, 1061. 447 So etwa Canaris zum Bürgschafts-Fall, JZ 1998, 606.
272 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
Grenzziehung. 448 Daraus ist dann aber der Schluss zu ziehen, dass man nicht etwa nur ein Korrektiv aufgefunden hat, sondern dass man hiermit zugleich ein tragendes Haftungsmerkmal ausgemacht hat. Allein die fehlende Potenzierung der Gläubigerzahl, also die Vorwegbestimmung der Geschädigten durch den Schutzzweck der neutralen Leistung, rechtfertigt die Haftung unabhängig davon, ob der Experte im Einzelfall von dem konkret Geschädigten Kenntnis hatte. Denn wie die Kreditgewährung oder auch der Kaufpreis, als dessen Grundlage das Gutachten dient, finanzierungstechnisch im einzelnen ausgestaltet oder aufgebracht wird, kann dem Sachverständigen in der Regel gleichgültig sein, da sein Risiko davon nicht wesentlich beeinflusst wird, sondern primär von der Größenordnung des begutachteten Objekts abhängt. c) Auch im Konsul-Fall 449 sind damit die entscheidenden Ansatzpunkte für die Bestimmung der geschützten Person vorgegeben. Es bedarf nicht der Deutung des Telefonats zwischen dem dänischen Konsul und dem Sachverständigen als einem stillschweigenden Auskunftsvertrag der Telefonierenden, dem darüber hinaus auch noch Schutzwirkung für die kreditgebende Bank zukommen soll. Dies ist in der Tat nur eine „blutleere Fiktion" 4 5 0 eines neuen Gutachtenvertrags, obwohl doch ersichtlich nur auf das bereits erstellte Gutachten Bezug genommen wird. Die Haftung des Sachverständigen gründet sich vielmehr auch hier auf der fehlerhaft erbrachten Bewertungsleistung, wie sie von der das Feriendorf projektierenden Firma in Auftrag gegeben wurde. Das Besondere des Falles liegt nun darin, dass dem Gutachter die spätere Verwendung zunächst nicht bekannt war. Er hat hier jedoch nachträglich durch das Telefonat mit dem Konsul von der Einbeziehung seines Gutachtens als Kredit- und Beleihungsgrundlage in ein konkretes Finanzierungsgeschäft erfahren und war dem nicht entgegengetreten, sondern hatte der Verwendung des Auftraggebers gegenüber einem kreditgebenden Dritten zugestimmt. Auch eine solche - eben nur nachträgliche - bewusste Adressierung der Gutachterleistung an Dritte begründet die Haftung aus Fehlern der Begutachtung diesen Dritten gegenüber, als hätte der Gutachter bereits bei Erstellung von der konkreten Verwendung gewusst. 448
Die Einbeziehung auch des Bürgen in den Schutzbereich der Sachverständigen-Haftung erscheint denn auch unter Vertrauensgesichtspunkten „als sehr weitgehend", so Canaris, JZ 1998, 606, der das Ergebnis der Entscheidung indes befürwortet. Canaris meint zum Bürgschafts-Fall, dass der für die culpa in contrahendo zentrale Gesichtspunkt, dass das Gutachten die Bereitschaft zu einem Vertragsschluss fördern soll, „jedenfalls erfüllt" sei (JZ 1998, 606). Und, da der Bürge von der Existenz und dem Inhalt des Gutachtens keine Kenntnis hatte, sich aber nach Ansicht des BGH darauf verlassen könne und dürfe, dass der Realkreditgeber die Werthaltigkeit des Beleihungsobjekts ordnungsgemäß anhand entsprechender Unterlagen geprüft habe, sei auch ein „gewisser Vertrauensbezug" hergestellt. Angesichts der sonstigen Überbetonung des Vertrauensgesichtspunkts muss Canaris hier letztlich zweifelnd und fast entschuldigend hinzufügen: Sehe man diesen als zu schwach an, bleibe nur noch der Weg über die Drittschadensliquidation (ebenda). 449 s.o. 1. Kap. Α. II. 2. d) bb) (2). 4
50 So die Kritik von Honseil, JZ 1985,952, dazu bereits o. 1. Kap. C. I. 2 b) aa).
D. Die Lösung des Fallmaterials
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3. Bankauskünfte über die Bonität von Personen und Unternehmen Aufgrund der dargelegten Wertungen ist auch die Haftung für fehlerhafte Auskünfte über die wirtschaftliche Lage von Unternehmen oder die Bonität von Schuldnern zu lösen, wie sie häufig bei Banken angefragt und von diesen erteilt werden. Die rechtliche Problematik dieser Fälle besteht gewöhnlicherweise darin, ob der Auskunftsgewährung ein haftungsbegründender Auskunftsvertrag zu unterstellen ist. 4 5 1 Entgegen der hieran vorgebrachten Kritik entspricht diese Vorgehensweise den im BGB vorgegebenen Grundstrukturen für die rechtliche Bewertung von Auskünften und daran anschließend für eine Haftung bei deren Fehlerhaftigkeit. Gehaftet wird nur bei Vorsatz oder bei entsprechender vertraglicher Bindung. Es ist hierbei die dem § 675 Abs. 2 BGB zugedachte und auch heute noch gültige Funktion als restriktive Auslegungsregel zu beachten, bei dessen Entstehung die Gesetzesverfasser namentlich die Fälle der Auskunft über die Solvenz und Kreditwürdigkeit vor Augen hatten. 452 Kann im Einzelfall auch ohne erklärten Willen ein entsprechender Rechtsbindungswille unterstellt werden - wobei maßgeblich auf die äußeren Umstände der Auskunftserteilung abzustellen ist - , so begründet dies die Einstandspflicht gegenüber dem anfragenden Kunden. Wird nun diese Auskunft an einen Dritten weitergegeben, so ist die Haftung diesem gegenüber weder aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte 4 5 3 noch aus dem in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hierfür anerkannten Grundsatz herzuleiten, dass „eine Haftung der Bank gegenüber dem auf die Auskunft Vertrauenden ausnahmsweise auch dann begründet sein kann, wenn die Auskunft einem Dritten erteilt worden ist", sofern „die Auskunft für jenen [den Vertrauenden] bestimmt und der Auskunftgeber sich bewußt war, daß sie für diesen in der erwähnten Weise bedeutsam und als Grundlage entscheidender Vermögensdispositionen dienen werde". 454 Vielmehr ist, wenn ein Rechtsbindungswille des Auskunftgebers zu bejahen war, die davon zu trennende Frage nach der Einstandspflicht Dritten gegenüber danach zu beurteilen, ob der konkrete Schutzzweck der Auskunft auch die eingetretene Schädigung des Dritten verhindern sollte. Abzustellen ist dabei auf den zwischen Auskunftsuchendem und -geber vereinbarten oder letzterem kundgegebenen Verwendungszweck der Auskunft. Ist etwa - in Anlehnung an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. 5. 1996 455 - der Bank bekannt, dass
« ι s. etwa BGH NJW 1991, 352 m. w. N. 452 Vgl. hierzu o. 1. Kap. C. VI. 2. Zu Recht daher eine Haftung verneinend BGH NJW 1991, 352. 453 So aber die Ansicht des Berufungsgerichts (OLG Frankfurt) in BGH NJW 1991, 352. 454 BGH W M 1976,498; NJW 1991, 352; NJW 1996, 2734, 2736. 455 BGHZ 133, 36 = NJW 1996, 2734. Aus dem dargestellten Sachverhalt wird nicht ersichtlich, ob die beklagte Bank auch die Kenntnis der der Auskunft zugedachten Verwendung bestreitet; sie behauptet nur, dass der Kunde nicht deutlich gemacht habe, dass die Auskunft 18 Plötner
274 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
die Auskunft über die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens benötigt wird, um über eine Beteiligung mit DM 500.000 an dieser Gesellschaft zu entscheiden, agiert der Anfragende dabei jedoch als verdeckter Stellvertreter, so spricht allein dieser Umstand nicht gegen die Haftung der Bank gegenüber dem Hintermann, der sich auf die Auskunft verlassen hatte. 456 Denn für die Bank war damit die konkrete Schadensfolge aus der Fehlerhaftigkeit ihrer Auskunft - hier der Verlust der Beteiligung - bestimmt und vorhersehbar. Dass die Bank nicht mit der „atypischen Situation" rechnen müsse, dass der anfragende Kunde die Auskunft in verdeckter Stellvertretung für einen Dritten einholt, ist für die Schadenshaftung unbeachtlich. 4 5 7 Es reicht insoweit aus, dass der Geschädigte zumindest abstrakt bestimmt ist - hier als Erwerber der Beteiligung. Gänzlich verfehlt ist dabei das Argument, eine Haftung wäre auch im Hinblick auf die in § 675 Abs. 2 BGB enthaltene Wertung bedenklich und brächte die Gefahr von unübersehbaren, aus der interessenmäßigen Weitung nicht mehr zu rechtfertigenden Haftungsrisiken mit sich. 458 Denn lag der Fall so, dass der Bank die konkrete Verwendung der Auskunft kundgegeben worden war, so tritt gerade keine Haftungserweiterung ein, wenn anstatt des verdeckten Stellvertreters der Hintermann daraufhin die vermögensschädigende Disposition vornimmt. Sind dem Auskunftgeber die konkreten Folgen möglicher Fehler bekannt, so kommt es nicht mehr darauf an, ob sich diese dann bei dem Anfragenden oder einem Dritten schädigend auswirken. Schutzzweck der Auskunft war allgemein die Absicherung einer konkreten Vermögensdisposition, hier der genannten Unternehmensbeteiligung, vor Risiken aus der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft. Ebenso wie es für den Auskunftgeber unbeachtlich ist, ob der Empfänger oder wie etwa im Hausbank-Fall der die Vermögensdisposition finanzierende Kreditgeber die Fehlerhaftigkeit der Auskunft geltend macht, weil seine Haftung aus dem konkreten Verschulden dadurch nicht vergrößert wird, ist es für ihn auch gleichgültig, ob der konkret Anfragende oder ein hinter diesem stehender Dritter von der Auskunft Gebrauch macht. Einer vorausgehenden Anzeige bedarf es nicht. Auf diese Weise lassen sich auch die oben angeführten Widersprüche dieser Entscheidung zum Bürgschafts-Fall auflösen. 459 Und es ist dies nur die logische Fort-
als Grundlage für Vermögensentscheidungen eines Dritten hätte dienen sollen. Zur Frage der Haftungsbegründung zog der BGH sowohl die Figur der Drittschadensliquidation als auch die Grundsätze des stillschweigenden Auskunftsvertrags heran. Beides wurde indes verneint. Ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wurde nicht erwogen. 456 Anders BGHZ 133,42 = NJW 1996, 2736. 457 So aber der BGH, BGHZ 133,42, gegen den Schadensersatzanspruch des Dritten. 458 BGHZ 133, 42. Als untauglich erweist sich hierbei der vom BGH unternommene, aber verworfene Versuch, den Sachverhalt als Fall der Drittschadensliquidation zu subsumieren (so BGHZ 133, 41 f. bzw. NJW 1996, 2735 f.): Eine typische Schadensverlagerung wurde verneint, weil der Geschädigte, nachdem ihm die Auskunft übermittelt worden war, „selbständige Vermögensdispositionen" getroffen habe. Obwohl dies typischerweise auf die Fallgestaltungen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte zutrifft, wurde die Anwendung dieser Rechtsfigur nicht erwogen. 459 s.o. 1. Kap. C. II. 2. b) dd).
D. Die Lösung des Fallmaterials
275
Setzung des im Käufergruppe-Fall ausgespochenen Rechtsempfindens, wonach nur der konkrete Schaden, nicht aber die Person des Geschädigten genau festzustehen hat. Eine Potenzierung der Gläubigerzahl droht durch diese Haftung nicht.
4. Fehlerhafte Erstellung oder Prüfung von Jahresabschlüssen durch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Die Notwendigkeit einer klaren Bestimmung und Begrenzung der geschützten Personen und Anspruchsberechtigten wird besonders deutlich in den Abschlussprüfer-Fällen 460 sowie insgesamt bei der Frage der Haftung von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern für die fehlerhafte Erstellung oder Prüfung von Jahresabschlüssen. 461 Der Schutz aller, die sich auf die Angaben im Jahresabschluss und im Prüfungsvermerk verlassen und diesen zur Grundlage ihrer Vermögensdispositionen machen, würde hier zu einer nicht absehbaren, uferlosen Haftungsausweitung führen. Der Jahresabschluss kann zur Kreditgewährung, zur Beteiligung oder Veräußerung sowie zu jeglichen anderen Rechtsgeschäften mit dem bilanzierenden Unternehmen herangezogen werden. Die „Leistungsnähe" zur Jahresabschlussprüfung - so das unzureichende Kriterium der Rechtsprechung - ist jeweils gleich. Die Zahl derer, die sich später auf die Richtigkeit des Jahresabschlusses verlassen, ist bei Erstellung oder Überprüfung nicht ersichtlich. Gerade auch das Merkmal der „Erkennbarkeit" der Einbeziehung Dritter, dem wohl als einziges Tatbestandsmerkmal des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte noch eine gewisse Abgrenzungsfunktion zukommt, erweist sich hier als unbrauchbar. Denn nach der gesetzlichen Bestimmung des § 18 S. 1 KWG hat sich ein Kreditinstitut von Kreditnehmern die Jahresabschlüsse vorlegen zu lassen, wenn Kredite von insgesamt mehr als DM 500.000 gewährt werden. Es soll auf diese Weise sichergestellt werden, dass sich die Kreditinstitute die Kreditwürdigkeit ihrer Kreditnehmer anhand sachgerechter Unterlagen nachweisen lassen.462 Ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte nicht erforderlich, dass dem Experten bei der Erstellung des Testats die genaue Zahl oder die Namen der zu schützenden Dritten bekannt waren, reicht es vielmehr aus, dass ihm bekannt war, seine Expertise könne einem Dritten vorgelegt werden und sei hierfür auch bestimmt, 463 so müsste folgerichtig ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte
460 s.o. 1. Kap. Α. II. 2. d) bb) (6). 461 Zu Recht mahnt Brandner, JZ 1985, 758,761, für eine Lösung der Dritthaftungsproblematik der Wirtschaftsprüfer an, dass ein Haftungskonzept geeignet sein müsse, den Kreis der externen Vermögensträger abzugrenzen, die in den Schutzbereich der Berufserwartung einbezogen sind. 462 Szagunn/Haug/Ergenzinger, KWG, 6. Aufl. 1997, § 18 Rn. 1; Boos/Fischer/ Schulte-Matder, KWG, 2000, § 18 Rn. 1. 463 So etwa BGH NJW 1998, 1949; LG Frankfurt, BB 1997, 1682, 1683; LG Hamburg W M 1999, 139, 141. 18*
276 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
stets und allen gegenüber bejaht werden. 464 Denn gerade bei Wirtschaftsprüfern ist davon auszugehen, dass sie die ihren Testaten von Gesetzes wegen zukommende Bedeutung im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung kennen. 465 Demzufolge wäre aber der Wirtschaftsprüfer einem unübersehbaren Haftungsrisiko ausgesetzt. Es erscheint nun in der Tat „nicht unbedingt als ein klares und verständliches Urteil", wenn der Bundesgerichtshof im Abschlussprüfer-Fall, um diesem weitgehenden Ergebnis zu entgehen, aus § 323 Abs. 1 S. 3 HGB folgert, diese Vorschrift schließe die Dritthaftung des Abschlussprüfers in der Regel aus, dann jedoch wiederum im Einzelfall bei Vorliegen besonderer Umstände trotz § 323 HGB eine Haftung gegenüber Dritten zulassen w i l l . 4 6 6 Die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte jedenfalls kann diese Differenzierung nicht erklären. 467 Auch hier gilt es sich von der Vorstellung einer vertraglichen Einbeziehung Dritter und den vagen Voraussetzungen dieser Rechtsfigur zu lösen und die Sichtweise auf den erkennbaren konkreten Leistungszweck und den beim Dritten eingetretenen Vermögensschaden zu konzentrieren. Die bloße Erkennbarkeit eines Drittinteresses an der Prüfleistung kann die Haftung allein nicht begründen. Gerade aus der Vorlagepflicht des § 18 S. 1 KWG folgt, dass die Zahl derer, die sich auf das Testat verlassen grundsätzlich unbestimmt ist und die Haftung uferlos wäre. 468 Aber genau dies gilt es nach den Wertungen und Vorgaben des Gesetzes in den §§ 823 ff. BGB zu verhindern. Es ist nicht erst „die in § 323 HGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Intention, das Haftungsrisiko des Abschlußprüfers angemessen zu begrenzen", die „auch im Rahmen der vertraglichen Dritthaftung des Abschlußprüfers Bedeutung" erfordere. 469 „Die Einbeziehung einer unbekannten Vielzahl 464 So in der Konsequenz tatsächlich Otto/Mittag, WM 1996, 325, 330: Es liege nahe, „aus dieser öffentlich-rechtlichen Pflicht [§ 18 KWG] eine Einbeziehung von Kreditinstituten in den Schutzbereich von Prüfungsverträgen grundsätzlich abzuleiten, sofern dem Prüfer die dem Kreditgewerbe aus diesen aufsichtsrechtlichen Vorschriften erwachsenden Verpflichtungen bekannt ist". 465 So Claussen in KölnerKomm zum AktG, § 323 Rn. 22: „Abschlußprüfer müssen davon ausgehen, daß der Jahresabschluß ζ. B. Kreditgebern ausgehändigt wird zum Ziel der EinWerbung von Kreditmitteln." 466 F edder sen, W M 1999, 105, 116. Die Unstimmigkeiten bei der Anwendung in den verschiedenen Fällen bei der Bestimmung der geschützten Personen macht auch Ebke geltend, JZ 1998, 995 f. 467 im Schrifttum war vor dem Urteil des BGH umstritten, ob § 323 HGB eine Dritthaftung und damit eine Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ausschließt; dafür etwa Schmitz, BB 1989, 1914; Lang, WPg 1989, 58; dagegen Claussen in KölnerKomm, AktG, § 323 HGB Rn. 22; Otto/Mittag, W M 1996, 331 m. w. N. Eine Haftung aus einem „vertragsähnlichen Vertrauensverhältnis" gegenüber Gläubigern der Gesellschaft anerkennt Brönner in Großkomm., AktG, 3. Aufl. 1970, § 168 Anm. 10; ebenso Heymann /Herrman, HGB, 2. Aufl. 1999, § 323 Rn. 7. 468 § 18 KWG ist gerade auch kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB, so BGH NJW 1973, 321: Das Gebot richte sich nicht an den Experten (Wirtschaftsprüfer). 469 So BGH NJW 1998, 1948, 1950. Deutlich relativiert ist damit die zuvor von dem Bundesrichter Lang, WPg 1989, 58, geäußerte Ansicht, „daß als wohl gesicherter Stand derzeit
D. Die Lösung des Fallmaterials
277
von Gläubigern, Gesellschaftern oder Anteilserwerbern in den Schutzbereich des Prüfauftrages" würde nicht nur „dieser Tendenz zuwiderlaufen", 4 7 0 sondern dem geltenden Haftungsrecht überhaupt. Nicht § 323 Abs. 1 S. 3 HGB, sondern bereits die §§ 823 ff. BGB schließen also eine Haftung gegenüber Dritten bei sorgfaltswidrig erteilten Testaten i m Rahmen einer Pflichtprüfung aus. 4 7 1 § 323 Abs. 1 S. 3 HGB ist, soweit darin dem die Prüfung beauftragenden Unternehmen auch verbundene Unternehmen als Anspruchsberechtigte gleichgestellt werden, selbst ein gesetzlicher Fall einer „vertraglichen Schutzwirkung". Dies ist seine eigentliche positive Aussage. 4 7 2 Die ihm nunmehr zugedachte negative Aussage ei-
festgehalten werden kann, daß aus Fehlern bei der Pflichtprüfung eine vertragliche Dritthaftung nicht erwachsen kann". 470 BGH NJW 1998, 1950. 471 Auch aus der Entstehungsgeschichte des § 323 Abs. 1 S. 3 HGB lässt sich keine über die Funktion der Anspruchsbegründung hinausgehende besondere haftungsbeschränkende Intention des Gesetzgebers entnehmen. Noch § 141 Abs. 1 S. 3 AktG (1937), die ursprüngliche Vorläuferbestimmung, lautete: „Wer seine Obliegenheit verletzt, ist der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet [ . . . ] . " Eine weitergehende Haftung gegenüber Dritten wurde abgelehnt, wie Judikate und andere Stellungnahmen bezeugen: Etwa BGH im Urteil v. 25. 4. 1961, W M 1961, 776, 778: „Gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft kommt aufgrund der Vorschriften des Aktiengesetzes eine Haftung des Abschlußprüfers nur dann in Betracht, wenn er die Strafvorschrift des § 302 Nr. 1 AktG verletzt, also über das Ergebnis seiner Prüfung falsch berichtet oder erhebliche Umstände im Bericht verschwiegen hat. [ . . . ] Insoweit genügt aber nicht eine fahrlässige Pflichtverletzung, vielmehr setzt § 302 Nr. 1 AktG nach übereinstimmender Auffassung vorsätzliches Verhalten des Prüfers voraus [ . . . ] . Dieser muß bewußt falsch berichtet haben." Ausdrücklich Schlegelberger/ Quassowski, AktG, 3. Aufl. 1939, § 141 AktG Rn. 17: „Unter dem Gesichtspunkt des Vertrages zugunsten Dritter läßt sich keine Verantwortlichkeit des Prüfers begründen. Zwar erteilt der Prüfer mit dem Bestätigungsvermerk die Auskunft, daß der Jahresabschluß der Gesellschaft den gesetzlichen Vorschriften entspricht. Diese Auskunft wird jedoch nicht auf ein bestimmtes konkretes Geschäft erteilt. Der Umstand, daß u.U. der Bestätigungsvermerk tatsächlich die Unterlage für die Vornahme von Rechtsgeschäften bilden kann, reicht nicht aus, um eine Verantwortlichkeit des Prüfers nach den Grundsätzen der Auskunftshaftung zu begründen." Ähnlich Gadow/Heinichen, AktG, 1939, § 141 Anm. 14 mit § 42 Anm. 3. Der erstmals Konzernunternehmen einbeziehende § 168 AktG (1965), der § 141 AktG (1937) ablöste, musste also den Kreis der Dritten in keiner Weise einschränken, sondern erweiterte nur den Schutz auf verbundene Unternehmen. Erst zu § 168 AktG a.F. wurde die Frage aufgeworfen, ob auch Dritte einzubeziehen oder auf anderem Wege zu schützen seien. Durch das BilanzrichtlinienG von 1985 wurde der alte § 168 AktG fast wortgleich in den neuen § 323 HGB transformiert. Es kann hierbei in keiner Weise von einer „eindeutigen Stellungnahme des Gesetzgebers" gesprochen werden, wie aber Lang meint (WPg 1989, 58), wenn im Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit einer Erweiterung der Haftung des Abschlussprüfers „in Richtung auf eine Dritthaftung nicht einmal erwähnt wurde" (so gerade Lang selbst, WPg 1989, 58). 472 Zur amtlichen Begründung der mit § 168 Abs. 1 S. 3 AktG (1965) - der § 323 Abs. 1 S. 3 HGB entsprechenden Vorläuferbestimmung - eingeführten Haftungserweiterung heißt es: „Die Ersatzpflicht besteht nach Abs. 1 S. 3 auch gegenüber einem Konzernunternehmen und einem herrschenden oder abhängigen Unternehmen. Diese Ausdehnung ist eine notwendige Folge der Erweiterung des Auskunftsrechts nach § 153 Abs. 4 [des Entwurfs]", so Begründung zum Entwurf der BReg. (zu § 156), BT-Drucks. 4/171 vom 3. 2. 1962, S. 184.
278 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
ner Haftungsbeschränkung für den Bereich der Abschlussprüfung ist wohl nur mit der im Handelsrecht auszumachenden gedanklichen Ferne zum bürgerlichen Haftungsrecht als sedes materiae unserer Problematik zu erklären. Auch die Haftung für die fehlerhafte Jahresprüfung ist im Einklang mit dem geltenden Haftungssystem zu lösen. Maßgeblich sind damit die oben herausgearbeiteten Haftungskriterien. Eine Einstandspflicht für fahrlässig verursachte Vermögensschäden ist nur dann zulässig, wenn die hierbei stets drohende Haftungsausweitung nicht eintritt. Dies ist dann der Fall, wenn der Dritte für den Abschlussprüfer ebenso wie dessen Auftraggeber als Destinatär seiner Leistung, zwar nicht zwingend namentlich, aber doch als Person individualisierbar, feststand. Er muss dazu Kenntnis von einer konkreten Vermögensdisposition des Dritten haben, für die seine Prüfleistung zur Grundlage gemacht wird. Seiner Leistung muss der konkrete Schutzzweck zukommen, den eingetretenen Schaden des Dritten zu verhindern. Der Vermögensschaden in der Person des Dritten muss bereits im Leistungszeitpunkt als zwingende Folge der Fehlerhaftigkeit vorhersehbar sein. Unternimmt man damit nicht den künstlichen Versuch, den Haftungsgrund im Verhältnis zu Dritten gegenüber § 323 Abs. 1 S. 3 HGB als aliud abzugrenzen, sondern anerkennt man nur einen einheitlichen Haftungsgrund für das Einstehenmüssen des Abschlussprüfers, so lässt sich auch die vom Bundesgerichtshof geforderte Anwendung der Haftungsbeschränkung des § 323 Abs. 2 HGB leichter herleiten und tritt nicht offen in Widerspruch zu dem hier eigens kreierten Haftungsgrund. 473
a) Der maßgebliche Unterschied in den Abschlussprüfer-Fällen Auszumachen ist damit der relevante Unterschied in den oben dargestellten Abschlussprüfer-Fällen und die Rechtfertigung für deren unterschiedliche Behandlung. 4 7 4 Im Fall des Bundesgerichtshofs wurde der Experte anders als in den Fällen der Landgerichte Frankfurt 475 und Hamburg 476 in die Vertragsverhandlungen des auftraggebenden Unternehmens mit dem Dritten einbezogen.477 Die konkret beab473 s. dazu BGH NJW 1998, 1951 u. zur diesbezügl. Kritik o. 1. Kap. C. I. 2 d); zum prinzipiell hierfür anzustrebenden Lösungsansatz s.o.u. Α. I. 1. 474 Vgl. o. 1. Kap. Α. II. 2. d) bb) (6). 475 LG Frankfurt BB 1997, 1682. 476 LG Hamburg W M 1999, 139. 477 Ebke, JZ 1998, 994, meint daher, der Fall des BGH sei im Tatsächlichen „atypisch"; Ebke selbst will angesichts des § 323 Abs. 1 S. 3 HGB die Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte auf den Fall ausdrücklicher Vereinbarung zwischen Abschlussprüfer und Auftraggeber über eine Erweiterung des Schutzbereiches des Pflichtprüfvertrages beschränken (ebenda, S. 997); doch eine solche wird nie vorliegen, es bleibt immer nur die „Krücke" der Auslegung, deren Maßstäbe aber gerade gesucht werden. So auch Ebke selbst,
D. Die Lösung des Fallmaterials
279
sichtigte Vermögensdisposition des Dritten war ihm damit bekannt. Der diesem bei Fehlerhaftigkeit der Prüfung erwachsende Schaden war für den Wirtschaftsprüfer vorhersehbar. Der Dritte war damit für den Experten nicht mehr Teil einer unbestimmten Vielzahl von potentiell Geschädigten, sondern er stand ebenso wie der Auftraggeber der Prüfung bereits im Vorhinein als möglicher Geschädigter und schutzwürdiger Destinatär fest. Auch an diesen für ihn individualisierten Dritten adressierte er faktisch seine Leistung. Allein diese Erwägung rechtfertigt die Haftung des Wirtschaftsprüfers im Fall des Bundesgerichtshofs und verwehrt dies in den anderen Fällen. Entbehrlich sind alle darüber hinausgehenden haftungsbegründenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs. Weder wurde hier „anläßlich" der Prüfung eine „besondere Leistung" begehrt, noch handelt es sich hierbei um eine Haftung des Abschlussprüfers „schon im Vorfeld der Testatserstellung". 478 Sämtliche pflichtensteigernden Abgrenzungsversuche gehen fehl. Inkriminiertes Verhalten ist und bleibt allein die fehlerhafte Prüfungsleistung. Die Haftung ist dabei auch nicht auf die Fallgestaltung begrenzt, dass es zu einer direkten Kontaktaufnahme zwischen Schädiger und Geschädigtem kommt, wie aber das Urteil des Bundesgerichtshof verstanden wird, wenn etwa Feddersen meint, es handele sich bei dieser Konstellation „ - jedenfalls im Wortsinne - nicht um eine Haftung des Abschlußprüfers gegenüber Dritten, sondern gegenüber einer unmittelbaren Vertragspartei". 479 Ausreichend ist vielmehr bereits die Kenntnis von der konkret schädigenden Verwendung seiner Prüfungsergebnisse durch einen bestimmten Dritten.
b) Freiwillige
Prüfung und Pflichtprüfung
Betrafen die angeführten Abschlussprüfer-Fälle sämtlich nur Pflichtprüfungen nach §§ 316 ff. HGB, so stellt sich zugleich die Frage, wie Fälle der freiwilligen Prüfung, d. h. nicht auf gesetzlicher Anordnung beruhender Abschlussprüfungen, zu behandeln sind. 480 Die Anwendung der Grundsätze des Vertrags mit SchutzwirJZ 1998, 993 m. Fn. 24: „Ausdrücklich geschieht das in Pflichtprüfungsfällen aber typischerweise nicht"; in dem von ihm hierfür angeführten Fall BGH BB 1997, 1685, blieb eine Einbeziehung in den Schutzbereich eines Prüfungsvertrags mit einem Wirtschaftsprüfer gerade dahingestellt, da der Auftrag im eigenen Namen der Gesellschafter für die Prüfung der Gesellschaft erteilt worden war, so dass (auch) diese ersatzpflichtig waren. 478 BGH NJW 1998, 1949. 479 Feddersen, W M 1999, 116, und weiter: „Infolge eines rechtsgeschäftlichen Kontaktes unmittelbar zwischen dem Abschlussprüfer und dem auf die Auskunft Vertrauenden kann letzterer unter bestimmten Umständen einen eigenen (unter Umständen quasi-) vertraglichen Anspruch gegen den Abschlußprüfer besitzen." Ebenfalls auf den Kontakt abstellend, wenn auch nicht im Sinne einer rechtsgeschäftlichen Lösung Grunewald, ZGR 1999, 583, 595. 480 Angesprochen sind damit neben kleinen Kapitalgesellschaften i. S. d. § 267 Abs. 1 HGB insbesondere Personengesellschaften, soweit diese nicht der Rechnungslegungspflicht nach § 1 Abs. 1 PublizitätsG unterliegen, so dass eine Prüfung des Jahresabschlusses durch Ab-
280 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
kung für Dritte auf den Abschlussprüfer wurde von der Rechtsprechung im Hausbank-Fall gerade für die Anfertigung und (freiwillige) Prüfung von Jahresabschlüssen durch einen Steuerberater entwickelt und wird auch noch im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. 12. 1996 bestätigt. „Ein Steuerberater, der einen Jahresabschluß erstellt und zugleich bescheinigt, dabei die handelsrechtlichen und steuerlichen Vorschriften beachtet und sich von der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung überzeugt zu haben, haftet nach der Rechtsprechung des BGH Dritten, denen - für den Steuerberater erkennbar - der Jahresabschluß als Entscheidungsgrundlage für wirtschaftliche Dispositionen dienen soll für die inhaltliche Richtigkeit seiner Bescheinigung".481 Die auf dieser Grundlage hergeleitete Einstandspflicht gegenüber einem Kreditgeber des geprüften Unternehmens würde jedoch angesichts von § 18 S. 1 KWG bei uneingeschränkter Geltung und Anwendung dieses Urteilsspruchs für den Bereich der freiwilligen Prüfung zwangsläufig zu unabsehbaren Haftungsfolgen für den Experten führen. Gerade bei einem Vergleich mit der gesetzlichen Jahresabschlussprüfung werden daher Bedenken laut, dass die rechtliche Wertung des Bundesgerichtshofs im Ergebnis für den Bereich freiwilliger Prüfung zu einer schärferen Haftung führe, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund bestehe. 4 8 2 Diesem Rechtsempfinden kann hier Rechnung getragen werden. Denn unabhängig davon, ob freiwillige Prüfung oder Pflichtprüfung, folgt die Haftung des Abschlussprüfers gegenüber Dritten einheitlichen Regeln. Nicht § 323 Abs. 1 S. 3 HGB, sondern bereits die Entscheidung des Gesetzgebers in den §§ 823 ff. BGB gegen einen allgemeinen, umfassenden Vermögensschutz schließt eine generelle (Dritt-)Haftung allen gegenüber aus, die sich auf den Bestätigungsvermerk verlassen und dadurch einen Vermögensschaden erleiden. Eine dann drohende uferlose schlussprüfer nach § 6 Abs. 1 S. 2 PublizitätsG stattzufinden hat, wonach die §§ 321 bis 324 HGB für sinngemäß anwendbar erklärt werden. 481 BGH NJW 1997, 1235 (unter Berufung auf den Hausbank-Fall); wenn auch zur weiteren Begründung vom BGH angeführt wurde, dass der Steuerberater wusste, seine Bescheinigung werde einem Kreditinstitut vorgelegt, was sich jedoch aus dem Sachverhalt nicht ergibt. Ebenso OLG Köln BB 1996, 898, 899, das allein aufgrund des Inhalts des Bestätigungsvermerks und der Tatsache, dass testierte Unternehmensabschlüsse im Geschäftsverkehr zwischen Kreditnehmern und Banken benötigt werden, schließt, dass dem Wirtschaftsprüfer „durchaus bewußt war, daß der Jahresabschluß zum Gebrauch gegenüber Dritten - Banken bestimmt war". „Bei diesen Gegebenheiten muß angenommen werden, daß der Dritte in den Schutzbereich des Vertrages betreffend die Einstellung des Jahresabschlusses einbezogen werden sollte". „Es genügt, wenn - wie hier - erkennbar war, daß er für einen Kreditgeber/ eine Bank bestimmt war." 482 Bereits das LG Mönchengladbach, NJW-RR 1991, 415, 416, hatte in seinem Urteil vom 31. 5. 1990 im Hinblick auf die Begrenzung der Anspruchsberechtigten durch § 323 Abs. 1 3 HGB einer Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte im Bereich der freiwilligen Prüfung entgegengehalten, dass es „nicht angängig" sei, für freiwillige Prüfungen eine weitergehende Haftung als bei Pflichtprüfungen anzunehmen; die Richter vermochten keinen „sachlich gerechtfertigten Grund erkennen, warum bei freiwilligen Prüfungen [ . . . ] eine weitergehende Haftung gelten soll". Ebenso Schmitz, BB 1989, 1914: „Es fehlt jede sachliche Begründung dafür, daß WP/StB in diesen Fällen schärfer haften sollen als bei gesetzlichen Abschlußprüfungen."
D. Die Lösung des Fallmaterials
281
Haftung des Abschlussprüfers wollte der Gesetzgeber grundsätzlich und nicht nur für den Fall der Pflichtprüfung ausschließen. Auf die Frage einer entsprechenden Anwendbarkeit von § 323 HGB auf die Fälle der freiwilligen Prüfung, wie sie etwa Weber in Reaktion auf das Urteil des Bundesgerichtshofs im Abschlussprüfer-Fall aufwirft, kommt es folglich nicht an. 4 8 3 Auch ohne die Regelung des § 323 HGB erfolgt die Bestimmung der geschützten Personen außerhalb bestehender Vertragsbeziehungen auch für den Bereich der freiwilligen Prüfung nach denselben Regeln. Stets gültiges Gesetzespostulat ist die Abwehr einer drohenden Potenzierung der Gläubigerzahl.
I I I . Die rechtliche Behandlung von Einwendungen aus dem Verhältnis des Experten zum Auftraggeber 1. Die konstruktionsbedingte Unbeachtlichkeit eines Mitverschuldens auf Auftraggeberseite Die Antwort auf die vom Bundesgerichtshof im Dachboden- und im Bürgschafts-Fall nur durch den Kunstgriff des stillschweigenden Einwendungsverzichts zu bewältigende Frage, ob sich der Dritte das Mitverschulden seines Vertragsgegners und Auftraggebers des Gutachtens zurechnen lassen muss, ist damit klar vorgezeichnet.484 Bereits die Herleitung des Haftungssatzes als eigenständiger, nicht nur derivativer Anspruch auf Vermögensschadensersatz führt zu dem simplen Schluss, dass Einwendungen des Sachverständigen gegenüber seinem Auftraggeber, wie etwa der Vorwurf arglistiger Täuschung oder eines schadensursächlichen Mitverschuldens dem Dritten gegenüber grundsätzlich ausgeschlossen sind. Die „zentrale Schwäche"485 der Konstruktion eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte ist damit überwunden. Ein „Durchschlagen" der Einwendungen auf den Anspruch des Dritten kommt rein konstruktiv nicht in Betracht. § 334 BGB oder auch der allgemeine Rechtssatz, dass der Dritte keine weitergehenden Rechte geltend machen kann als der ihn begünstigende Gläubiger selbst, findet hier keine Anwendung. Die Einräumung eines originären Ersatzanspruchs aus eigenem Recht, unabhängig von fremdem Willen und fremden Vertragsverhältnissen, ermöglicht ohne jeglichen Begründungsaufwand das vom Judiz getragene Ergebnis. Es gilt hier Gleiches wie für die Haftung des Handelsmaklers nach § 98 HGB. Auch der Handelsmakler kann keine Einwendungen aus dem Verhältnis zum Auftraggeber ge483 Weber, NZG 1999, 1,8; Weber zufolge seien dogmatisch überzeugende Gründe für eine Erstreckung des § 323 HGB auf den Bereich der freiwilligen Prüfung nicht ersichtlich; nicht widerspruchsfrei lehnt er dagegen an anderer Stelle Differenzierungen zwischen freiwilliger Prüfung und Pflichtprüfung ab (ebenda, S. 2). 484 48
s. zur Rechtsprechung und der Kritik hieran 2. Kap. C. III. 1. 5 Canaris, ZHR 163, 217.
282 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
genüber dem vermittelten Vertragskontrahenten gelten manchen.486 Eine Anrechnung von fremdem Mitverschulden ist - wie sonst auch - nur unter den Voraussetzungen von §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB möglich. Und dies gilt nach dem hier vertretenen Standpunkt sowohl für den Fall der Gegenläufigkeit, wie auch der Gleichläufigkeit der Interessen von Gläubiger und Drittem. Auf diese künstliche, allein in der Entwicklungsgeschichte des vertraglichen Drittschutzes begründete Unterscheidung kann es, da im Einzelfall nur schwer feststellbar und stets Gegenstand rechtlicher Wertungen, nicht ankommen. Darin liegt jedenfalls kein hinreichender Grund, den Experten und den Vertragspartner des Dritten anders als andere Gesamtschuldner zu behandeln. Dem Geschädigten ist auch hier der volle Ersatzanspruch zu gewähren und beide Schadensmitverursacher sind auf einen erst nachträglichen Ausgleich untereinander zu verweisen. Der Experte muss sich damit auf § 426 BGB stützen, bilden er und sein Kontrahent in der Regel doch eine Gesamtschuldnergemeinschaft, innerhalb deren die jeweiligen Verursachungsbeiträge den Maßstab für die Letztbelastung bilden. 487
2. Anspruchskürzung in den Testaments-Fällen bei Verschulden des Erblassers Nur ausnahmsweise, dies ist in abschließender Erfassung der oben angeführten Fälle anzuführen, kann aber auch für den Anspruch des Dritten von vornherein eine Beachtlichkeit des Mitverschuldens des Gläubigers begründet sein, wie sie auch den Bundesgerichtshof im Fall der deliktischen Notarshaftung gegenüber dem ausgefallenen Erben bei Mitverschulden des Erblassers zu der kühnen Analogie zu den Fällen des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte veranlasst hat. 4 8 8 Die dort gewählte Konstruktion eines zwar eigenen deliktischen Anspruchs des Erben nach § 19 BNotO, dem aber als „lediglich in den Schutzbereich der Notarspflichten miteinbezogene(r) Testamentserbe" keine weitergehenden Rechte als den unmittelbaren Urkundsbeteiligten zustünden, wirkt kurios und gekünstelt.489 Und die Bezugnahme auf das Institut des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte steht nach allem Gesagten auf unsicherem Boden, so dass zu fragen ist, ob dieses Ergebnis nicht sachgerechter und überzeugender auf anderem Wege hergeleitet werden 486
So auch Canaris, Handelsrecht, § 21 Rn. 28. Zu Recht macht Canaris geltend, dass „sich dieses - allein der Interessenlage entsprechende - Ergebnis mit Hilfe der Konstruktion von Schutzwirkungen für Dritte nicht überzeugend begründen läßt, weil der Anspruch der Zweitpartei danach aus dem Vertrag zwischen dem Makler und der Erstpartei abgeleitet wird und also nur derivativen Charakter hat"; vgl. zu diesen Deutungsversuchen des § 98 HGB o.u. Β. I. 2. a). 487 So wenn auch nicht in der Herleitung, so doch in den Konsequenzen ähnlich wie hier, nämlich mit dem Schluss, dass es „nicht um Dritt-, sondern um Direktschutz" gehe, Esserl Schmidt, Schuldrecht 1/2, § 34IV 2 d (S. 273). 488 BGH NJW 1997, 2327; vgl. dazu o. 1. Kap. C. IV. 489 BGH NJW 1997, 2328 (Hervorheb.v.Verf.).
D. Die Lösung des Fallmaterials
283
kann. Auszugehen ist dabei von dem gesetzlichen Ersatzanspruch nach § 19 BNotO, der dem Testamentserben gedanklich zunächst unvermindert zusteht. Eine Besonderheit ergibt sich hier insoweit, als der Erblasser den Schaden mitverursacht hat, weil er den Notar vorwerfbar (im Verhältnis zu diesem) nicht an die Errichtung des Testaments erinnert hatte. Für den Schaden des Erben sind damit sowohl das Fehlverhalten des Notars wie auch die Nachlässigkeit des Erblassers ursächlich geworden. Beide wären an sich nach der Terminologie des Gesetzes „Gesamtschuldner" und der Notar könnte, wenn ihn der Erbe für den Schaden in Anspruch nimmt, den Nachlass in Regress nehmen, so dass eine Aufteilung des Schadens nach Verschuldensanteilen die Folge wäre. Aber eben diese Abwicklung scheidet im Fall des Mitverschuldens des Erblassers aus. Der ausgefallene Erbe hat im Verhältnis zum Erblasser keine geschützte Rechtsposition. Den Erblasser treffen ihm gegenüber keinerlei Sorgfaltspflichten. Die testamentarische Einsetzung zum Erben unterliegt allein seiner Willkür. Obwohl für den Schaden mitursächlich, liegt in dem Unterlassen des Erblassers kein Verschulden im Sinne von § 276 BGB gegenüber dem Erben. Ein Gesamtschuldverhältnis mit der Möglichkeit des Regresses besteht somit nicht. Gleichwohl muss der Mitverursachungsbeitrag des Erblassers für die Haftung des Notars Beachtung finden und dies geht, weil nachträglich nicht mehr zu erreichen, nur im Wege der Anspruchskürzung. 490 Dieses Ergebnis trägt dann auch der besonderen Rechtsposition des Erben Rechnung, die zwar im Verhältnis zum Notar, nicht aber zum Erblasser geschützt ist. Denn wer als Erbe der Willkür des Erblassers ausgeliefert ist, der muss auch die Folgen dessen fahrlässigen Verschuldens tragen. Bestätigend heranzuziehen ist hierfür auch die abseits stehende, aber doch in dieser Hinsicht ähnlich gelagerte Vorschrift des § 846 BGB, die gegenüber den Ansprüchen der Hinterbliebenen nach §§ 844, 845 BGB die Anrechnung eines Mitverschuldens des Getöteten anordnet. 491 Diese Vorschrift enthält 490
Die sich hierbei zunächst aufdrängende Parallele zu den Fällen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ist kaum förderlich, da die Fälle aufgrund der hier bereits fehlenden Rechtsposition im Verhältnis zum Erblasser doch ganz verschieden gelagert sind. 491
Der Ersatzanspruch der Hinterbliebenen sollte nach dem Willen der Gesetzes Verfasser und entgegen einer z.T. damals vertretenen Ansicht „nicht der Verfügungsgewalt des Verletzten" unterliegen, so ein von der 2. Kommission zustimmend aufgenommener Antrag, vgl. Protokolle bei Mugdan, Materialien, S. 1118 f. Obwohl sogar nur „mittelbarer Nachtheil" (so Protokolle bei Mugdan, Materialien, S. 1114), sollte es sich hier - anders als später beim Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte - um „selbständige Rechte dieser Dritten" handeln (Protokolle bei Mugdan, Materialien, S. 1118 f.). Zur Begründung des erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hinzugefügten § 846 BGB wurde angeführt: „Die Anschauung, daß der Ersatzanspruch der Dritten gegen den Verletzenden, wie behauptet werde, ein vollkommen selbständiger sei, beruhe auf theoretischen Erwägungen und enthalte eine Übertreibung der logischen Konsequenzen", so Protokolle bei Mugdan, Materialien, S. 1119. „Ihre strenge Anwendung führe zu Ergebnissen, die der Gerechtigkeit und Billigkeit zuwiderliefen." Und erläuternd die Protokolle (ebenda): „Der Anspruch der Hinterbliebenen eines Getöteten habe seinen Grund in der Tödtung, es liege in der Natur der Sache, daß sie mit Rücksicht auf ihre Beziehungen zu dem Verletzten auch die Folgen aus dessen fahrlässigem Verhalten, insofern dieses den tödtlichen Ausgang herbeigeführt oder beschleunigt habe, auf sich nehmen müßten."
284 3. Kap.: Dritthaftung primärer Vermögensschäden aus fehlerhaft erbrachter Leistung
nach gängigem Verständnis einen „allgemein gültigen, auch sonst entsprechend anwendbaren Rechtsgrundsatz". 492 Dass anders als in § 846 BGB der Ersatzberechtigte hier nicht erst „mittelbar" geschädigt werde und der Schaden des in Aussicht genommenen Testamentserben keine schadensstiftende Einwirkung auf den Erblasser voraussetze, hindert entgegen einer früheren Ansicht des Bundesgerichtshofs diese Parallele nicht. 493 Denn wie der Bundesgerichtshof heute unter dem Eindruck der vergleichbaren Fälle einer Anwaltshaftung und in Überprüfung der damaligen Argumente selbst einräumen muss, wird dabei nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich die Amtspflichtverletzung „auch und sogar in erster Linie gegen den Erblasser richtet und daß dieser auch gegen die eigenen Interessen handelt, wenn er den säumigen Notar nicht dazu anhält, den erbrechtlichen Dispositionen des Erblassers Wirksamkeit zu verleihen". 494 Und so entscheidet der Bundesgerichtshof, ohne allerdings den Weg einer Analogie offen zu beschreiten, nunmehr in der Sache wie in § 846 BGB angeordnet. Diese Erwägungen rechtfertigen damit in den Testaments-Fällen sowohl für die Anwalts- wie für die Notarshaftung ausnahmsweise eine Anrechnung fremden Mitverschuldens. Der analogen Anwendung der vertraglichen Schutzwirkungskonstruktion auf gesetzliche Schadensersatzansprüche bedarf es auch hier nicht.
492 Erman / Schiemann, BGB, § 846 Rn. 2 unter Verweis auf RGZ 170, 311, 315. 493 So im Urteil vom 17. 10. 1955, BGH NJW 1956, 260: Dort wurde noch ausdrücklich ausgesprochen, dass derjenige, der in einem nichtigen Testament als Erbe eingesetzt sei und gem. § 839 BGB Ersatz des ihm aus der Nichtigkeit des Testaments entstehenden Vermögensschadens verlange, sich ein Selbstverschulden auf Seiten des Erblassers nicht entgegenhalten zu lassen brauche. Demgegenüber folgt der BGH in NJW 1997, 2327 dieser Ansicht nicht, sondern kommt zum gegenteiligen Ergebnis. 494 BGH NJW 1997, 2328.
Anhang Die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts I. Die Möglichkeit der Haftung auch von Dritten aus culpa in contrahendo nach § 311 Abs. 3 BGB n.F. Das am 1. 1. 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts1 strahlt mit seiner umfassenden Überarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches auch auf die hier behandelten Fälle der Gutachter- und Expertenhaftung aus. Im Zusammenhang mit der erstmaligen Normierung der Rechtsfigur der culpa in contrahendo im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde zugleich „die Möglichkeit einer Haftung auch von Dritten " begründet.2 § 311 Abs. 3 Satz 1 BGB n. F. bestimmt, „dass ein vertragsähnliches Schuldverhältnis auch mit Personen entstehen kann, die gar nicht selbst Vertragspartei werden sollen".3 Ist hierbei vom Gesetzgeber zunächst an die Fälle der Eigenhaftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen gedacht, so werden in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB als „wichtigste Fallgruppe" diejenigen Fälle „exemplarisch" aufgeführt, „in denen jemand besonderes Vertrauen für sich selbst in Anspruch nimmt". 4 Ausdrücklich angesprochen soll damit auch die Sachwalterhaftung sein, bei der es sich nach der gesetzgeberischen Umschreibung „um die Haftung von Sachverständigen und anderen ,Auskunftspersonen 4 [handelt], die nicht selbst ein Eigeninteresse an einem Abschluss des Vertrags haben, dennoch aber durch ihre Äußerungen entscheidend zum Vertragsabschluss beitragen, weil sich ein Verhandlungspartner auf ihre Objektivität und Neutralität ver1 Gesetz vom 26. 11. 2001, BGBl. 12001, S. 3138. 2 Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/6040 v. 14. 5. 2001, S. 79 ff. (S. 163). Ferner wurden auch die vertraglichen und deliktischen VeijährungsVorschriften im Wege der Neuregelung angeglichen, deren unterschiedliche Laufzeit bislang einen Grund für die Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bildete (vgl. dazu allgemein o. in der Einleitung). Auf das neue Verjährungsrecht ist hier aufgrund der Eigenständigkeit dieser Problematik nicht einzugehen; zum Lösungsansatz für etwa noch verbleibende Diskrepanzen vgl. o. 3. Kap. Α. II. 2. 3
Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/6040, S. 163; zur Bedeutung und Einordnung der neuen Haftungsgrundlage vgl. Krebs in AnwKomm, BGB, § 311 Rn. 47; zur Anknüpfung dieser Kodifizierung an die bisherige Rechtsprechung vgl. Palandt/ Heinrichs, Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts, § 311 Rn. 3 ff. u. 52 ff. 4 Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/6040, S. 163.
286
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lässt".5 Gerade weil diese Fälle bisher nicht einheitlich als Anwendungsfälle der culpa in contrahendo angesehen worden seien, sondern teilweise eine Haftung nur bei Zugrundelegung eines Auskunfts- oder ΒeratungsVertrages angenommen werde, was - wie der Gesetzgeber zu Recht anmerkt - „in diesen Fällen oft nicht einfach zu bejahen ist", solle die Praxis auf die nun gesetzlich normierte Figur der culpa in contrahendo und den Gedanken der Inanspruchnahme von Vertrauen rekurrieren können, denn - so die Gesetzbegründung abschließend: „Die Vorschrift soll der Rechtsprechung aufzeigen, dass diese Fälle auch auf diesem Wege zu lösen sind".6
II. Auswirkungen der neuen Regelung auf die Expertenhaftung aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte Auch wenn in der Gesetzesbegründung des § 311 Abs. 3 BGB ausdrücklich nur die Eigenhaftung von Vertretern und Verhandlungsgehilfen sowie die Sachwalterhaftung als Anwendungsfälle der neuen Vorschrift aufgeführt werden, so liegt dem Wortlaut wie den gesetzgeberischen Motiven doch unverkennbar ein weiter, nicht nur fallgruppenbezogener Ansatz zugrunde. Allgemein soll die Vorschrift „die Möglichkeit einer Haftung auch von Dritten" aus culpa in contrahendo in einer Weise regeln, „die eine Weiterentwicklung dieses Rechtsinstituts durch Praxis und Wissenschaft erlaubt". 7 Derart offen ausgestaltet lässt § 311 Abs. 3 BGB auch die Anwendung der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in den Fällen der Haftung für fehlerhafte Gutachten und Auskunft nicht unberührt, 8 denn die dort angesprochene Haftung von Sachverständigen und anderen Auskunftspersonen wird in der Rechtsprechung eben nicht nur als Sachwalterhaftung, sondern auch mit Hilfe des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte erklärt. 9 Und die in der Regierungsbegründung verwandte Umschreibung der Sachwalterhaftung trifft ebenso auf die Anwendungsfälle des Vertrags mit Schutz Wirkung für Dritte zu. Die Unterschiede beider Konstruktionen finden ihre Ursache allein „in einem plötzli5 Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/6040, S. 163. 6 Reg.-Begr., S. 163. 7
Eine Beschränkung auf die genannten Fälle bzw. Fallgruppen ist nicht beabsichtigt und so wird die Sachwalterhaftung nur als einer unter mehreren Anwendungsbereichen angesprochen („Angesprochen ist damit auch die Sachwalterhaftung"), so die Reg.-Begr., S. 163 (Hervorheb. v. Verf.); darauf weisen auch Canaris, Schuldrechtsmodernisierung 2002, Einleitung, S. XX, und Teichmann, BB 2001, 1492, hin. s Noch weitergehend will Canaris, JZ 2001, 520, § 311 Abs. 3 BGB verstanden wissen, wenn er meint, Satz 1 sei „so offen formuliert, dass man darunter nicht nur die Passiv-, sondern auch die Aktivlegitimation subsumieren kann"; das Problem der Schutzwirkung für Dritte ließe sich daher auch mit Hilfe von Abs. 3 erfassen; und so sein Fazit: „Das erscheint sogar als durchaus vorzugswürdig, weil dadurch alle ,Drittfälle' in dieser Bestimmung zusammengefasst sind." 9 Zu dieser Parallelität auch Krebs in AnwKomm, BGB, § 311 Rn. 54.
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chen Perspektivenwechsel" des Betrachters. 10 War der Dritte hier noch Geschädigter, so ist er dort nun Schädiger und rückt aus der Aktiv- in die Passivlegitimation. Der Sache nach geht es hingegen um ein und denselben Anspruch, so dass sich die vorstehend beschriebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte an der neuen Regelung wird messen müssen, wie nicht zuletzt die Äußerungen von Canaris nahe legen, der bereits nach altem Recht die Lösung der Fälle der Expertenhaftung anstatt durch Fiktion eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte mit Hilfe der culpa in contrahendo unter ausdrücklicher Parallele zur Sachwalterhaftung zu lösen suchte.11 Trotz gespaltener Motivlage der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten darüber, ob auch insoweit eine Korrektur der Rechtsprechung beabsichtigt war, 12 wurde mit § 311 Abs. 3 BGB die Notwendigkeit einer Uberprüfung der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in den Fällen der Expertenhaftung heraufbeschworen. Denn mit der gesetzlichen Normierung der culpa in contrahendo auch für die Fälle der Dritthaftung stellt sich nun die Frage nach Verhältnis und Konkurrenz der unterschiedlichen Herleitungen. 13 Und die neue gesetzliche Ausgangslage stellt dabei die Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte neben der Dritthaftung aus culpa in contrahendo in den Fällen der Haftung von Sachverständigen und anderen Auskunftgebern zur Disposition.14 Die Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen verschafft auch insoweit dem deutlichen Hinweis des Gesetzgebers an die Rechtsprechung Geltung, dass diese Fälle auch auf diesem Wege zu lösen seien.15 10 So treffend Arnold in Dauner-Lieb/Arnold/Dötsch/Kitz, Fälle zum Neuen Schuldrecht, 2002, S. 220.
» Canaris , ZHR 163 (1999), S. 223; vgl. dazu bereits o. 2. Kap. Β. II. la). 12 Vgl. hierzu einerseits Canaris, JZ 2001, 520: „Von der Formulierung gedeckt und in der Tat von der Kommission gewollt ist grundsätzlich auch die Einbeziehung der Haftung von Sachverständigen gegenüber einem Geschäftspartner ihres Auftraggebers, doch hätte es der Funktion des Gesetzgebers nicht entsprochen, die Rechtsprechung, die sich insoweit bisher bekanntlich noch der Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bedient, durch eine ausdrückliche Regelung dogmatisch festzulegen." Demgegenüber einschränkend Teichmann, BB 2001, 1492, der angibt, dass es der Vorschrift zumindest in ihrer Zielrichtung nicht um eine Korrektur der Rechtsprechung in den Gutachterfällen zum Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter gehe. Sowohl Canaris wie auch Teichmann waren Mitglieder der vom BMJ für diesen Bereich eingesetzten Kommission. 13
Mit Recht stellt daher Arnold in Dauner-Lieb/Arnold/Dötsch/Kitz, Fälle zum Neuen Schuldrecht, 2002, S. 218 ff. (220), für die Lösung des o. angeführten Dachboden-Falls (s. 1. Kap. A I I 2d bb (4)) § 311 Abs. 3 BGB alternativ neben die Anwendung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte. Anlass zur Neuordnung des Instituts des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte sieht auch Krebs, AnwKomm, BGB, § 311 Rn. 52, da § 311 Abs. 2 Satz 2 den „scheinbaren Vorzug einer gesetzlichen Anknüpfung" biete. 14 Dieses Konkurrenzverhältnis besteht zunächst nur in den vorstehend beschriebenen Fällen, denn auch der Gesetzgeber des § 311 BGB geht weiterhin von einem Nebeneinander bzw. einer Kombination beider Rechtsfiguren aus (Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/604, S. 163 zu § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB). 15 Für die Ablösung bereits Muthers in Henssler/Graf von Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, 2002, § 311 Rn. 26.
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Die Vorteile einer Anwendung der neuen gesetzlichen Haftungsgrundlage des § 311 Abs. 3 BGB und einer Ablösung des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in den Fällen der Expertenhaftung ergeben sich dabei zwangsläufig aus der oben angeführten Kritik an der bisherigen Rechtsprechung.16 Mit der Positionierung des Anspruchs als culpa in contrahendo wäre die unhaltbare, weil rein fiktive Auslegung des Willens verzichtbar. Die Blickrichtung des Rechtsanwenders wäre auf die allein maßgeblichen Personen, nämlich Schädiger und Geschädigter, beschränkt. Das zusätzliche und in diesen Fällen so fragwürdige Schutzinteresse einer dritten Person (des Gläubigers) wäre bereits konstruktiv entbehrlich. 17 Die Überfrachtung der Figur des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte und ihre damit einhergehende schwindende Präjudizwirkung wie auch die wachsende Konturenlosigkeit ihrer Tatbestandsmerkmale wäre einzudämmen.18 Die als „zentrale Schwäche" der Konstruktion des Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte bezeichnete Problematik der Behandlung von Einwendungen aus dem Verhältnis des Schädigers zum Auftraggeber wäre gelöst.19 Der wenig überzeugende Kunstgriff einer stillschweigenden Abbedingung von § 334 BGB 2 0 hätte sich erübrigt, denn als eigener, nicht bloß abgeleiteter Anspruch des Geschädigten sind solche Einwendungen grundsätzlich ausgeschlossen.21 Und obwohl es sich bei der hier gesuchten Haftung - im übrigen ebenso wie bei der Sachwalterhaftung - nicht im ursprünglichen „/Äermgschen" Sinne um eine solche „in contrahendo", sondern um Integritätsverletzungen infolge Nichtoder Schlechterfüllung handelt,22 ist der Rechtsprechung m. E. anzuraten, sich den gesetzgeberischen Hinweis zur Anwendung des § 311 Abs. 3 BGB auch für die Fälle der Expertenhaftung zu eigen zu machen und die Anwendung des immer nur als Hilfskonstruktion dienenden Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte in diesen Fällen aufzugeben. 23 Auf diese Weise kann die im Ergebnis berechtigte, aber eben nur vorgeblich willensgetragene Haftung als das bezeichnet werden, was sie in der Sache ist: eine gesetzliche Haftung des objektiven Rechts.24
16
Vgl. o. u. 1. Kap. C. passim. Zur Problematik dieses Tatbestandsmerkmals bei gegenläufigen Interessen vgl. o. u. 1. Kap. C. I. 2. b) bb). 18 Zur Kritik an dieser Rechtsprechung s. bes. o. 1. Kap. C. II. 2. c). Die Ausklammerung der Expertenhaftung aus dem Anwendungsbereich der Rechtsfigur könnte ihr die abhanden gekommenen Konturen wiedergeben und die Widersprüche ihrer fallweisen unterschiedlichen Behandlung auflösen. Das Bedürfnis einer Neuordnung des konturenlosen Instituts auch im Verhältnis zu § 311 BGB bestätigend Krebs, AnwKomm, BGB, § 311 Rn. 52. 17
19 So die berechtigte Kritik von Canaris, ZHR 163, 217, am Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte. 20 So der BGH im Dachboden-Fall, BGHZ 127, 378, und im Bürgschafts-Fall, BGH NJW 1998, 1059; vgl. dazu o. 1. Kap. A. II. 2. d) bb) (4) und (5).
21 Zur Lösung dieser Problematik vgl. o. 3. Kap. D. III. 22 Siehe zur Problematik dieser Anknüpfung o. 2. Kap. B. II. 1. b) aa). 23 Das oben eingeforderte grundsätzliche Umdenken bei der Behandlung der Fälle der Expertenhaftung kann mit der Anwendung des § 311 Abs. 3 BGB nunmehr umgesetzt werden, s. o. 1. Kap. C. VIII.
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I I I . Die dogmatische Grundlage der Haftung von Dritten Die neue Vorschrift des § 311 B G B regelt nicht nur erstmalig die Figur der culpa in contrahendo und die Möglichkeit der Haftung auch von Dritten aus culpa in contrahendo, sie führt darüber hinaus auch ausdrücklich den Gedanken einer allgemeinen Haftung aus Inanspruchnahme von Vertrauen als dogmatische Grundlage der Einstandspflicht des Dritten in das Bürgerliche Gesetzbuch ein. Für die Maßgeblichkeit der Vertrauenslehre i m Streit um die richtige dogmatische Begründung einer Haftung von Sachverständigen und anderen Experten gegenüber Dritten können ihre Vertreter damit nun das gewichtige Argument anführen, sich mit § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB eine gesetzliche Grundlage geschaffen zu haben. 2 5 Gleichwohl ändert dies nichts an der oben ausgeführten Kritik am Ansatz einer allgemeinen Vertrauenslehre. 26 Nach wie vor anzuzweifeln ist die Tragfähigkeit und Belastbarkeit des Kriteriums der Inanspruchnahme von Vertrauen als allein maßgeblicher Haftungsgrund. Stets bleibt das Vertrauen ein verschwommener und i m Einzelfall erst ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff, der nur die Kausalität der Schädigung beschreibt. 27 Maßgeblich ist nicht allein das Vertrauen, sondern vielmehr die Be24 So ausdrücklich der Rechtsausschuss, BT-Drs. 14/7052, S. 190: „Unter § 311 BGB-E fallen auch Ansprüche, die nicht auf Rechtsgeschäft beruhen, wie die nach der bisherigen Culpa in contrahendo." 25 Als Protagonist der Vertrauenslehre war Canaris maßgeblich an der Entstehung des § 311 Abs. 3 BGB beteiligt, vgl. ders., JZ 2001, 499 mit Fn. 1. Vgl. zu den verschiedenen Ansätzen einer Begründung der Haftung von Sachverständigen und anderen Experten o. u. 2. Kap. B. 26 Vgl. hierzu o. 2. Kap. Β. II. 1. b). Bedenken gegen die tatbestandliche Weite der in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB festgeschriebenen Vertrauenshaftung äußert bereits Krebs, AnwKomm, BGB, § 311 Rn. 48 f., der seinerseits für eine enge Auslegung eintritt. 27 Von der fehlenden Klarheit und Subsumtionsfähigkeit des Vertrauensaspekts zeugt auch die im Rechtsausschuss aufgeworfene Frage, „ob und ggf. wie sich Absatz 3 der Vorschrift auf die sog. due-diligence-Prüfung von Anwälten im Zusammenhang mit Firmenübernahmen negativ auswirken könnte" (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrs. 14/7052 vom 9. 10. 2001, S. 190). Angesprochen ist damit die o. behandelte Problematik der Haftung von Anwälten für Parteigutachten und third party legal opinions und die Auswirkung des § 311 Abs. 3 BGB hierauf. Hatte die Gesetzesbegründung zu § 311 BGB noch formuliert, dass es bei der Anwendung der culpa in contrahendo entscheidend darauf ankomme, „ob Vertrauen in Anspruch genommen worden ist oder nicht" (Rechtsausschuss, BTDrs. 14/7052, S. 190), so sah sich der Rechtsausschuss (ebenda) insoweit zur Klarstellung veranlasst: „Ein Rechtsanwalt haftet nach geltendem Recht aus einem »Parteigutachten\ das er für seinen Mandanten angefertigt hat, einem Dritten gegenüber nicht. Daran ändert Absatz 3 Satz 2 nichts. Denn der Rechtsanwalt nimmt besonderes Vertrauen seiner Mandantschaft, nicht aber das besondere Vertrauen des Vertragspartners seiner Mandantschaft in Anspruch. Anders liegt es schon nach geltendem Recht bei einer sogenannten ,third party legal opinion', die dazu bestimmt ist, dem Dritten vorgelegt zu werden und auf die dieser seine Entscheidung über einen etwaigen Vertragsschluss soll stützen können." Die eher ungewollte feinsinnige Unterscheidung zwischen Vertrauen und besonderem Vertrauen vermag jedoch dieses Ergebnis nicht ausreichend zu erklären. Erneut wird nur ersichtlich, dass es sich eben nur um ein notwendiges, nie jedoch auch hinreichendes Merkmal der Haftung handelt, das 19 Plötner
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rechtigung des Vertrauens. Zu beantworten gilt es für die Haftung des Sachverständigen die Frage, warum der Geschädigte wie der Auftraggeber auf die Auskunft des Sachverständigen vertrauen darf. Dementsprechend begnügt sich die Gesetzesbegründung zu § 311 Abs. 3 BGB nicht mit dem bloßen Umstand der Gewährung und Inanspruchnahme von Vertrauen. Ergänzend und konkretisierend wird für die Haftung von Sachverständigen und anderen Auskunftgebern aus culpa in contrahendo darauf abgestellt, dass sie durch ihre Äußerungen entscheidend zum Abschluss beitragen, weil sich ein Verhandlungspartner auf ihre Objektivität und Neutralität verlässt. 28 In der Umschreibung der Haftungsvoraussetzungen für Sachverständige und andere Auskunftgeber findet sich damit - wenn auch nur hintergründig - das oben herausgearbeitete maßgebliche Kriterium der Expertenhaftung. Denn der objektive, neutrale Leistungserbringer adressiert sich mit seiner Leistung nicht nur an den Auftraggeber, sondern immer zugleich an einen Dritten, so dass eine Fehlerhaftigkeit seiner Leistung bestimmungsgemäß auch zu Schäden beim Dritten führen kann. Nicht das Vertrauen auf Seiten des Geschädigten, sondern die bewusst eingenommene objektive und neutrale Stellung des Schädigers gegenüber mehreren Adressaten seiner Leistung bildet den Grund der Haftung. 29 Erst das Kriterium der Objektivität und Neutralität vermag dabei die vermeintliche Vertrauenshaftung zu konkretisieren und die neue Haftungsgrundlage zu beschränken, ist doch der Kreis der durch den Wortlaut des § 311 Abs. 3 BGB einbezogenen Dritten - wie offen konstatiert wird - „reichlich weit geraten". 30 Die neue Haftungsgrundlage ist für diese einschränkende Auslegung offen. § 311 Abs. 3 BGB lässt insoweit Raum für andere Kriterien, wie die Worte „.. .kann auch zu Personen entstehen. .." sowie die daran anschließende Wendung „.. .entsteht insbesondere..." zeigen. 31 Die hier entwickelte Figur der Haftung neutraler Leistungserbringer, auf deren zentrales Kriterium auch die Gesetzesbegründung für § 311 Abs. 3 BGB rekurriert, kann demgemäß zur Ausfüllung dieser neuen Generalklausel bei der Lösung der Fälle der Sachverständigen- und Expertenhaftung herangezogen werden.
stets durch einschränkende Tatumstände anzureichern ist. Der Rechtsausschuss sieht dieses besondere Vertrauen nur dann als gegeben, wenn der Experte dem Dritten „persönliche Gewähr" für die Richtigkeit seines Gutachtens bietet (so unter Berufung auf Canaris in ZHR 163, S. 233) und rückt die Rechtfertigung des Anspruchs damit in die Nähe einer fragwürdigen rechtsgeschäftlichen Anspruchsbegründung zwischen Experten und Drittem. Vgl. zur Problematik der Haftung von Anwälten aus einer „third party legal opinion" o. u. 3. Kap. D. I. 2. 28
So die Beschreibung der Fälle der Sachwalterhaftung, wie sie von dem neuen § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB nach dem Willen des Gesetzgebers erfasst werde soll, Regierungsbegründung, BT-Drs. 14/6040, S. 163. 2 9 Vgl. ausführlich o. 3. Kap. C., bes. u. II. 30 Canaris , JZ 2001, 520; Teichmann, BB 2001,1492. 31 So Canaris, JZ 2001, 520; zustimmend Teichmann, BB 2001, 1492; Muthers in Henssler/Graf von Westphalen, Praxis der Schuldrechtsreform, § 311 Rn. 26; Krebs, AnwKomm, BGB, § 311 Rn. 48.
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Sachwortverzeichnis Abbedingung von § 334 BGB 70, 77 - stillschweigend 54, 56, 77 f., 288 Abschlussprüfer 57 ff., 79 f., 265, 276, 278, 280 f. -Haftung 62, 276 Abschlussprüfer-Fall 57, 79, 119 f., 275 f., 278, 279, 281 Absolute Rechte 20, 106, 149, 158, 168 Agrimensor 220 ff., 233 Allgem. Badisches Landrecht 208 f. Alteri stipulali nemo potest 101 ff., 105 Altersruhegeld 93 Amtshaftung 207,212 Amtspflicht 109,111, 112,122, 204,205 ff., 210 ff., 216 f., 235, 256 - Drittschutzwirkung 112,205 - Schutzbereich 205 f., 214 - Verletzung 204 f., 206 ff., 216, 236, 234 Anfechtung wegen Täuschung 79 Angehörige 27 Angestellte 27 Anwaltshaftung 32, 108, 111, 262, 284 Arbeitnehmer 66 Architekt 224 Arglist 53, 78, 89, 99, 122, 225, 236 Arglistige Täuschung 77 f., 136, 281 Ärztliche Heilbehandlung 25, 63 Auftragsrecht 122 Auskunft 42, 95, 117, 121 f., 206, 216 ff., 236, 274 - amtliche 216 f. - auf gerichtliches Ersuchen 94 - fehlerhafte 93, 113, 219, 259, 273, 286 Auskunftshaftung 120, 121 ff., 125 f., 150, 152 f., 171, 233, 235, 241, 259 f., 273, 286 Auskunftsvertrag 125, 150 f., 273 - stillschweigender 47, 52, 55, 93, 113, 115 ff., 122 ff., 146 f., 177, 213, 257, 272
Bausachverständiger 52, 55 Beamtenhaftung 227 f., 248 Beförderungsvertrag 25 Beratungsvertrag 34 Berufshaftung 22, 41 ff., 54, 64, 112, 130, 142, 148, 150 ff., 182, 253 Berufsordnung 246 Bestandsschutz 156 Betätigungsfreiheit 156, 158, 163 Bestätigungsvermerk 58, 60, 62, 79, 265, 275, 280 Beurkundung 206 Bewachungsvertrag 91 Beweislast 20, 175 f. Bilanz 64, 77, 90, 113 f., 149, 264 Bilanzfälschung 77, 99 f. Bürgschafts-Fall 55, 77 ff., 96, 98, 100, 271, 274, 282 Capuzol-Fall 29, 64 f., 85,130 Culpa in contrahendo 20, 33, 82, 124 Fn. 472, 134 ff., 138, 154, 159, 166, 182, 200, 255, 285 ff. - Dritthaftung aus 136 - mit Schutzwirkung für Dritte 83 Dachboden-Fall 51, 70, 72, 76 f., 89, 90, 98, 100, 119, 143, 173, 255, 264, 270 f., 282 Deliktische Haftung 20, 145, 174 Deliktsrecht 20 f., 34, 63 f., 72, 112, 144, 146 f., 150, 153, 158 Dreschmaschinen-Fall 27, 85, 130 Dresdner Entwurf 228 f., 231, 232, 234 f., 237, 241 Drittschadensliquidation 26 Fn. 10, 31, 113 Fn. 395, 176, 239 Drittschutz des - Arbeitsvertrags 91 - AuskunftsVertrags 114 - Beförderungsvertrags 25
Sachwortverzeichnis - Dienstvertrags 40, 93 - Girovertrags 36 - Gutachten Vertrags 42, 52, 114 - Mietvertrags 24, 31 Droschken-Fall 25 Einreden 98, 184 Einwendungen 76, 98, 136 f., 281, 288 Einwendungsverzicht 77 - stillschweigender 77, 281 Entgangener Gewinn 112 Entlastungsbeweis 175 Entscheidungsgrundlage 50 f., 96, 264, 270 Erfüllungsgehilfe 20, 56, 63, 98, 110, 175, 254 Erkennbarkeit der Haftung 56, 86, 184 Ertragswertgutachten 43 Ertragswertgutachten-Fall 43 Fn. 86 Erwerb von Todes wegen 108 Exkulpationsmöglichkeit 69 Expertenhaftung 22, 41 ff., 69, 99, 100, 112, 121 ff., 130, 135, 179, 185, 203, 237, 253, 264 f., 270, 285, 287 f., 290 Expertise 135 f., 139, 259,270 Fallgruppenbildung 86 Familienangehörige 28, 66, 72 f., 142 - Schutz der 63 Feldmesser 221, 230, 244 f. Feriendorf-Fall 47 Fn. 100 Fiktion 75, 80 Formbedürfnis 82 Fürsorgepflicht 27, 36, 40, 42 f., 48, 64, 69, 83,94, 110, 112,130, 173, 176,211 Garantieerklärung 132 f. Gasometer-Fall 26 Fn. 7 Gebrauchtwagenkauf 200 f. Gefälligkeit 219, 260 Gegenläufige Interessen 42 f., 48, 50, 52, 55, 59, 68, 70, 73, 75 f., 94, 100, 101, 127, 134, 137, 142, 182, 184, 197, 199, 219, 255, 282 Gehilfenhaftung 175 Gemüseblatt-Fall 82, 88, 130 Generalklausel - deliktische 20, 123, 127, 149, 165, 167 ff., 207, 210, 238 f., 240 f., 251
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Gesamtschuldner 282 f. Gesamtschuldnergemeinschaft 282 Gesamtschuldverhältnis 283 Geschäftsbesorgung 122 Geschäftsführer 40,49, 265 f., 270 Gesellschaftsrecht 39 Gestaltungsfreiheit 71 Gewährleistungsansprüche 87, 89 Gewohnheitsrecht 68, 83 Gläubigerinteresse 69 f., 75 Gläubigerzahl - Beschränkung 157 - Potenzierung der 157, 161, 219, 259, 271, 272, 281 Gleichbehandlung 126 mit Fn. 479 Gleichläufige Interessen 137, 142, 216, 255, 282 GmbH & Co. KG 39, 265 Gutachten 42 f., 64, 96, 113 f., 117, 121, 125, 132, 161,230, 256, 264, 272 Gutachter 22, 75, 119, 132, 135, 170, 173, 196, 201, 220, 225, 238, 248, 251, 256, 264, 270, 272 Gutgläubiger Erwerb 163 Haftung des - Abschlussprüfers 59, 253 f., 279 - Beamten 227 f. - Gutachters 22,125, 233, 253 - Handelsmaklers 178 ff., 259 - Notars 205 ff., 212, 227 f., 239, 248 - Rechtsanwalts 22, 32, 111, 263 - Sachverständigen 22, 54, 228, 233 f., 238 f., 241, 248, 253 f., 272, 285 ff. - Steuerberaters 275 - Wirtschaftsprüfers 22, 58, 275, 279 Haftung aus - Delikt 19 f., 72, 108 ff., 112, 115, 134, 145, 156, 172 ff., 209 - Vertrag 19 f., 72, 108 ff., 112, 115, 134, 145, 156, 172 ff., 207 Haftung für Rat und Empfehlung 121, 125, 152, 242 Haftungsausschluss 79 Haftungsausuferung 74 f., 149 Haftungsbeschränkung 60, 62, 80, 136, 157 f., 165, 167, 169, 177, 258, 260, 269, 271,278
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arverzeichnis
Haftungserweiterung 107, 274 Haftungsrisiko 54, 60, 157, 276 Handelsmakler 178 ff., 186 ff., 196 ff., 212, 248 f., 250 f., 259, 262, 281 - amtlich bestellter 190, 194 - Doppelbeauftragung 195 - Haftung 179 ff., 212, 281 - historische Entwicklung 186 ff. - Provisionsanspruch 203 - Rolle 192 f. Handelsvertreter 192 Handlungsfreiheit 156, 158, 161, 162 ff. Handlungsgehilfe 192 Hauptleistung 40, 105 Hauptleistungspflicht 33, 65, 88 Hausangestellte - Schutz der 63 Hausbank-Fall 49,271,274,280 Heilbehandlungskosten 24, 82 Hilfspersonen 63 Hühnerpest-Fall 175 Inanspruchnahme von Vertrauen 37, 135, 140, 289 Integritätsinteresse 131, 174 Integritätsschutz 162 ff. Jahresabschluss 58, 61, 77, 99 f., 114, 265, 275, 280 Käufergruppe-Fall 43, 64, 74 f., 137, 143, 255, 265,271,275 Kausalität 140 Kommanditgesellschaft 39, 265 f., 270 Kompensationsinteresse 106 Konsensualprinzip 72, 121 Konsul-Fall 47, 66, 69, 74 f., 98, 255, 272 KontraG 60 Körperschäden 31, 33 Kreditgewährung 56, 62, 275 f. Kreditgrundlage 49, 264, 270 Kreditinstitut 96 Landvermesser 244, 248 f. Lastschriftabkommen 267 Lastschriftverfahren 36 ff., 267 Lastschriftverfahren-Fall 35, 64, 74, 85, 114, 267, 270
Leistungsanspruch 98, 106 Leistungsbeziehung - faktische 159, 161 Leistungsinteresse 131 Leistungsnähe 29 Fn. 24, 85, 87 f., 96, 109, 111, 129, 130, 184, 275 Leistungspflicht 27 f., 33, 65 f., 71, 131, 174, 251 Lei stungs verbünd 160 Linoliumteppichrollen-Fall 84 Fn. 274, 255 Fn. 385 Massengeschäfte 37 Mensor 220 ff., 237, 241 f., 243, 248, 270 - Haftung 220 ff., 225, 231, 251, 255 - Tätigkeit 221 ff. Mietvertrag 24, 63, 81 - nichtiger 81 Mitverschulden 53, 56, 98, 99, 109 f., 136, 281 ff. - Anrechnung von fremdem 282 ff. Näheverhältnis 137 - personenrechtliches 31 Nebenpflichten 40, 65, 88 Neminem laedere 158, 162 f. mit Fn. 207 Netzvertrag 267 f. Neutralität 198, 214, 254, 256, 257, 261, 290 Nichterfüllung 65 f., 89, 288 Nitrierofen-Fall 87, 96 Notar 32, 108, 156, 205 ff., 247 f., 250, 262, 283 f. - Haftung des 109,111,282,284 - Rolle des 210 Obhutspflicht 30, 40, 48, 83 Pactum in favorem tertii 104 f. Parteigutachten 263 f. Parteiwille 34, 45 f., 48, 71 ff.. 81 ff., 84, 104, 138 - hypothetischer 85 Personenbeförderung 25, 63 Personenkreis 29, 136 - abgrenzbarer 51 - geschützter 30, 66, 75, 127, 129, 206, 211,227, 261,268
Sachwortverzeichnis Personenrechtlicher Einschlag 37, 38, 39, 46, 66 f. Personenrechtliches Verhältnis 40 Personenschäden 31,46, 63, 68 Pflichtprüfung 58 f., 62, 277, 279 ff. Pflichtverstärkungsfaktor 156, 271 Positive Vertragsverletzung 63, 90, 159, 166, 173, 179,215 Primärleistung 27, 72, 106 Privatautonomie 59, 72 f., 75, 98, 107 Privathandelsmakler 190, 193 Produkthaftung 152 Produzentenhaftung 176 Prospekthaftung 151 Publikums-KG-Fall 39, 265, 270 Publikumsgesellschaft 39 f. Rauchrohröffnungs-Fall 30 Rechtsanwalt 22, 32 f., 41, 64, 108 ff., 116, 146, 156, 201 f., 205, 209, 211, 212 f., 215, 262, 263, 269, 284 - Haftung 210 f., 284 - Verhältnis zum Notar 210 Rechtsbindungswille 219, 260, 273 Rechtsfortbildung 130 Rechtsgutachten 263 - Haftung aus fehlerhaftem 263 f. Rechtsgüter 149 Rechtsgüterschutz 149 Rechtsschutz 106 Rechtssicherheit 251 Regress 283 Reinigungspflicht 87 Relative Rechte 106 Relativitätsprinzip 208, 256 Rentenversicherungsträger 216 ff. - öffentlich-rechtlicher 95, 216, 218 - privater 218 f. Richterliche Rechtsfortbildung 23, 80, 83 Saalmiete-Fall 26 Fn. 7 Sachschäden 30 f., 33,45, 63 Sachverständigenhaftung 228 ff., 238 f., 241 f. Sachverständiger 22, 41, 43, 47, 56, 64, 76, 78, 89, 114, 132, 146, 150, 185, 196, 220, 225,227, 228 f., 230 f., 232 f., 235,237 f., 20 Plötner
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239, 242, 247 f., 250, 251, 264 f., 270, 272, 286 f., 290 - öffentlich bestellter und vereidigter 44, 47 f., 50, 228, 231 f., 242 f., 256, 262 Sachwalter 135, 257 Sachwalterhaftung 135, 137, 139 Fn. 63, 147, 200, 285 ff. Schadensverlagerung 137, 170 Schätzer 228 f., 230 f., 238 Scheidungsvereinbarungs-Fall 35, 269 Schlechterfüllung 66, 110, 126,139, 288 Schlüssige Erklärung 60 Schlüssiges Verhalten 45 Schuldrechtsmodernisierung 285 ff. Schutz und Fürsorge 27,43 f., 88 Schutzbedürfnis 86 ff., 90, 91, 184 Schutzbereich - der Abschlussprüfung 60 - der Auskunftspflicht 219 - des Bewachungsvertrags 92 - des Dienstvertrags 41,93 - des Girovertrags 36 - des Gutachtenvertrags 54 - der Notarspflichten 109, 111,206,282 - des Prüfvertrags 59 f., 62, 277 - der Testamentserrichtung 109,211 - des Werkvertrags 87 f. Schutzgesetz 20,147 f., 149,158,168,245 f. Schutzinteresse 42, 86, 184, 216 Schutzpflicht 26, 30, 36, 45, 48, 50 f., 64 f., 71,94,98, 137 Schutzzweck 212, 228, 268 - der Amtspflicht 206, 211, 256 - der Auskunft 273, 274 - der Leistung 254, 255, 268, 271 - der Testatserstellung 271 - des Wertgutachtens 270 Sittenwidrig vorsätzliche Schädigung 20, 113 Sonderdelikt 153, 242, 247 Sonderverbindung 158 f., 165, 169 ff., 177, 200, 258, 270 - öffentlich-rechtliche 109, 111 Sorgfaltspflicht 27, 30, 32, 78, 118, 213 Sozialschutz 130 Sozialstaatsprinzip 129 Staatlich anerkannte Sachkunde 59, 64, 256
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arverzeichnis
Steuerberater 22, 41, 49 f., 62, 64, 114, 243, 257, 264, 280 Stillschweigende Vereinbarung 45, 50, 94 Subsidiarität 90 Täuschungsabsicht 76 Täuschungsverhalten 90 Tatbestandsmerkmale 85 f., 92 Testament 32, 108 ff., 207 f., 210, 214 f. Testamentserrichtung 108, 111, 205, 207 f., 210,214, 262, 283 Testaments-Fall 32, 64 f., 74, 108, 156, 197, 208,210, 255,262, 269, 284 Third Party Legal Opinion 263 Tiergutachten 89 Fn. 301 Treu und Glauben 27, 30, 33, 36 f., 39 f., 53, 56, 78, 80, 83, 85, 94, 109, 112, 211, 216 Tuberkelbazillen-Fall 24 Überweisungsgesetz 121 Unerlaubte Handlung 63, 93, 237 f., 239 Untersuchungsgrundsatz 218 Venire contra factum proprium 53 Fn. 127 Verdeckte Stellvertretung 274 Verhaltenspflicht 33, 131, 146 Verhandlungsgehilfe 257, 285 - Eigenhaftung des 286 Verjährung 20, 63, 175 Verkaufsgutachten 126 Verkehrsauffassung 118 Verkehrspflicht 145 ff., 155, 180 Verkehrswertgutachten 43 Vermessungsingenieur 50 Vermittlungsgehilfe 192 Vermögensaufstockung 106 Vermögensschaden 22, 33 f., 39, 56, 63 f., 68 f., 98, 106, 112 f., 114, 119, 125 f., 132, 149, 153, 165, 179, 193, 204, 210, 243, 258 f., 276, 278, 280 - Haftung für 128, 161,232 - primärer 32, 46, 113, 127, 146, 151, 156 f., 161, 169, 173, 177, 199, 204, 215, 232, 238, 254, 255
Vermögensschutz 74, 114, 123 f., 149, 162, 168, 219, 244, 254, 258 f., 261, 280 - deliktischer 38 Versorgungsausgleich 93, 216 f., 220 Versorgungsausgleichsverfahren 93, 216 Vertrag zugunsten Dritter 24 f., 30, 32, 65, 98 ff., 115, 172 Vertragsanbahnung 82 Vertragsauslegung 54, 68, 74, 76 f., 80 f., 85 f., 100, 112 -ergänzende 35, 71 ff., 78, 83, 94 f. Vertragsfreiheit 48, 56, 71 Vertragshaftung 34, 172 f., 175, 180, 183 Vertragslücke 80 Vertrauen 37, 40, 54, 113, 119, 135, 140, 143, 180, 201,206, 285, 289 f. - Beachtlichkeit 141, 290 - Schutzwürdigkeit 141 Vertrauenshaftung 93, 134 ff., 182, 290 Vertrauensschaden 139 Vertrauensverhältnis - vertragsähnliches 93 Vertreter 110, 135, 285 - Eigenhaftung des 285 f. - ohne Vertretungsmacht 179 Vertretung 143 f. Wachmann-Fall 91 Werkshallen-Fall 98, 100 Wertgutachten 47, 52, 55, 57, 96, 264, 270 Widerspruchsrecht 106 Willenserklärung 84, 125 Wirtschaftsprüfer 22, 41 f., 50, 58, 60, 64, 76, 90, 99 f., 119 f., 132, 149, 150, 201, 220, 232, 243, 246, 257, 264, 276, 279 Wirtschaftsprüferordnung 246 Wissenserklärung 93 Wohl und Wehe 27, 30 f., 38, 45 f., 50, 64, 66, 68, 75, 78, 82, 85 f., 94, 100, 110, 127,129, 142,176 Zahlungsverkehr - bargeldloser 267 Zivilmakler 178, 193 Zwischenabschluss 50