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German Pages 133 [136] Year 1995
Abraham Isaak HaCohen Kook
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Moses Mendelssohn Zentrum Europäisch-Jüdische Studien Universität Potsdam
Jüdische Quellen
binar nmpö Herausgegeben von Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte
Band 4 Abraham Isaak HaCohen Kook Die Lichter der Tora
Abraham Isaak HaCohen Kook
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Die Lichter der Tora
nmnn mmx Herausgegeben von Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Timotheus Arndt Mit einem Nachwort von Joseph Dan
Akademie Verlag
Das Nachwort von Joseph Dan wurde aus dem Englischen übersetzt von Angelika Schweikhart.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Qüq, Avrähäm Y.: Die Lichter der Tora / Abraham Isaak HaCohen Kook. Hrsg. von Eveline Goodman-Thau und Christoph Schulte. Übers, und mit Anm. vers, von Timotheus Arndt. Mit einem Nachw. von Joseph Dan. - Berlin : Akad. Verl., 1995 (Jüdische Quellen ; Bd. 4) Einheitssacht.: Orot hat-törä Parallelsacht, in hebr. Sehr. ISBN 3-05-002515-8 NE: GT
ISSN 0944-100X © Akademie Verlag GmbH, Berlin 1995 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. All rights reserved (including those of translation into other languages). No part of this book may be reproduced in any form - by photoprinting, microfilm, or any other means - nor transmitted or translated into a machine language without written permission from the publishers. Lektorat: Helmar Kreysig Satz: Hans Herschelmann Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Verlagsbuchbinderei D. Mikolai Printed in the Federal Republic of Germany
Inhalt
Eveline Goodman-Thau/Christoph Schulte Vorwort 7
Orot HaTora Die Lichter der Tora Kapitel I Die Schriftliche Tora und die Mündliche Tora 33 Kapitel II Tora um ihrer selbst willen 37 Kapitel m Einzelheiten der Tora und ihre Allgemeinheit 43 Kapitel IV Die ganze Tora 49 Kapitel V Die Buchstaben der Tora 53 Kapitel VI Lernen der Tora 55
Kapitel VII Schmerz der Vernachlässigung der Tora 63 Kapitel VIII Das Lernen und das Tun 67 Kapitel IX Wege der Tora und ihre Pfade 73 Kapitel X Zu den Verborgenheiten der Tora und ihren Geheimnissen 89 Kapitel XI Die Wirksamkeit der Tora und ihre Anleitung 99 Kapitel XII Die Tora für Israel und die Welt 105 Kapitel XIII Die Tora des Auslandes und die Tora des Landes Israel 111
Joseph Dan Rav Kooks Stellung im zeitgenössischen jüdischen Denken 125
Vorwort
Von den religiösen Denkern des Judentums im 20. Jahrhundert, die in hebräischer Sprache schrieben, galt Abraham Isaak HaCohen Kook (1865-1935) schon seinen Zeitgenossen als,Klassiker'. Kennern der neuhebräischen Literatur und der jüdischen Religionsgeschichte wie Schmuel Joseph Agnon, Martin Buber, Gershom Scholem 1 und anderen war jener Mann noch persönlich bekannt, der als „Rav Kook" von 1919 bis zu seinem Tode Oberrabbiner des Jischuv, der jüdischen Ansiedlungen im Palästina der britischen Mandatszeit war. Aber die Wahrnehmung und Wirkungsgeschichte seines Denkens in Europa und Amerika begann erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung des Staates Israel. Bis heute ist Rav Kook, wie er überall genannt wird, in Deutschland so gut wie unbekannt. Nie wurde einer seiner Texte ins Deutsche übersetzt, obwohl immer deutlicher wird, daß Rav Kook wohl der bedeutendste und einflußreichste orthodox-religiöse jüdische Denker und Mystiker unseres Jahrhunderts ist. Als jüdischen ,Klassiker' und Zeitgenossen dieses 20. Jahrhunderts wollten wir Rav Kook mit einem für ihn zentralen Text in unserer Reihe Jüdische Quellen präsentieren. Wir entschieden uns für Orot HaTora, dem hier in deutscher Erstübersetzung vorgelegten Werk Die Lichter der Tora, einen Text, in dem Ideen der modernen europäischen Philosophie und die gesamte rabbinische Traditionsliteratur, ebenso wie Elemente der jüdischen Mystik und des Zionismus in religiös und poetisch hoch aufgeladenen Sprachbildern verschmolzen werden. Entsprechend anspruchsvoll war die Aufgabe des Übersetzers von Orot HaTora, die Timotheus Arndt übernommen hat. Er mußte ein Hebräisch verdeutschen, das literal und metaphorisch auf mehreren Sprach- und Inhaltsebenen Deutung und Bedeutung heischt. Denn das Neuhebräisch Rav Kooks steckt voller Bezüge auf die Bibel, den Talmud und die Midraschim, auf die mittelalterliche jüdische Philosophie und auf die Kabbala; Bezüge, die in der deutschen Übersetzung durch Anmerkungen deutlich gemacht werden mußten, weil sie, anders als die hebräische oder aramäische religiöse
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Gershom Scholem, „Hirhurim AI Efscharut Schel Mistika Jehudit BiJamenu", in: Devarim BeGo, Bd. 1, Jerusalem 1976, S. 7 1 - 8 3 , bes. S. 76.
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Traditionsliteratur im neuhebräischen Originaltext, in der deutschen Übersetzung auch dem Kenner als Zitat oder Anspielung nicht erkennbar und hörbar werden. Oft wird es dem des Hebräischen kundigen Leser so scheinen, als wenn die deutsche Übersetzung, welche auch in die Syntax Rav Kooks eingreifen muß, die gewollte Vieldeutigkeit und das poetische Schillern seiner Sprache vereindeutigt und einschränkt. Das war indessen unumgänglich, denn die semantische Reichhaltigkeit wird durch fast jede Übersetzung vermindert, und die Syntax im Deutschen verlangt häufig eine eindeutige logische Zuordnung von Satzteilen, die vorzunehmen immer ein Akt der Interpretation ist. Zu diesen interpretatorischen Eingriffen haben wir uns umwillen von Verständlichkeit und Kohärenz der Übersetzung entschließen müssen. Denn die Texte Rav Kooks haben mystische Züge, sind aber keineswegs dunkel oder verworren, wie es ein landläufiges Mystik-Klischee wissen will. Eine Interpretation kleineren Ausmaßes ist auch die Punktierung des hebräischen Originaltextes, wie sie in unserer Ausgabe überhaupt das erste Mal vorgenommen wird. Auch in Israel existiert bis heute keine punktierte Ausgabe von Orot HaTora. Sie wurde hier nach dem hebräischen Original der Orot HaTora (Jerusalem: Mossad Harav Kook, 2. Aufl. 1985) von Geula Rabinowitz, Jerusalem, besorgt, überprüft und in die Übersetzung eingearbeitet. Zuvor waren nur Rav Kooks Orot HaTeschuva in einer punktierten Ausgabe in Israel erschienen, die dem weniger geübten Leser die Lektüre erleichtern soll. Allen Kundigen ist bewußt, daß als Preis dieser Erleichterung die Punktierung bisweilen eine interpretatorische Vereinheitlichung mit sich bringt, weil sie Mehrdeutigkeiten bestimmter Wörter zugunsten eines bestimmten Sinnes eliminiert. In seinem Nachwort zu diesem Band weist Joseph Dan Rav Kooks einmalige Stellung in der jüdischen Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts auf. Einerseits war Rav Kook orthodoxer Erbe von verschiedenen, ja sogar gegensätzlichen religiösen Traditionen; andererseits war er religiöser Zionist, der im heutigen Israel mit Auswirkungen bis in die Tagespolitik gleichermaßen von einem religiösen wie von einem säkularen Publikum ernstgenommen wird. Einzigartig war Rav Kooks Sicheinlassen auf die Aktualität und das Handeln: Er ist Oberrabbiner des Jischuv, der gegen die verbreitete orthodoxe Feindseligkeit den Zionismus begrüßt, er kommt aus der Schule der Mitnagdim, aber verarbeitet in seinen Schriften Elemente wie die hier besonders wichtige Lichtmetaphorik der lurianischen Kabbala und er anerkennt den Chassidismus. Rav Kook wirkt weiter durch sein Denken und durch sein Handeln, etwa richtungsweisende Urteile aus seiner Zeit als Oberrabbiner, die bis heute Gültigkeit haben.2 Orot HaTora ist ein Werk, das wegen der in ihm enthaltenen Gedanken Rav Kooks zur Tora eine zentrale Stellung in seinem Denken behaupten darf. Das war Anlaß, diesen Text für eine deutsche Erstübersetzung zu wählen.
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Josef Ben-Shlomo, Introduction ä la pensee du Rav Kook, Paris 1992, S. 14.
I. Fünf Jahre nach dem Tod von Rav Abraham Isaak HaCohen Kook veröffentlichte sein Sohn, Rav Zwi Jehuda HaCohen Kook, in Jerusalem eine Auswahl aus den Schriften seines Vaters unter dem Titel Orot HaTora, „Die Lichter der Tora", in der die Bedeutung der Tora als höchster Ausdruck und Zeugnis jüdischer Frömmigkeit in den Mittelpunkt gerückt wird. In seinem Vorwort, geschrieben in Jerusalem am Rosch Chodesch Menachem-Av (des Trostmonates Av) 5700 (5. August 1940), also wenige Monate nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Europa, lesen wir: „Nach der Erhebung unserer großen Kraft als des Volkes Gottes, das am Ausgang unserer Tage zum Land seines Erbes zurückkehrt, in der Zeit der Vorbereitung für die Rückkehr der Gegenwart der Tora von der Streuung ihrer Exilorte, aus dem Unglück der Schrecken, das in diesem Jahr für Israel in die Welt herabgekommen ist, mit der Zerstörung der Gemeinden ihrer Diaspora und dem Ausreißen der Lehrhäuser und Plätze ihrer Versammlung - unser Einsammeln geschieht also am Ort unseres Auflebens - erscheinen jetzt, da das fünfte Jahr voll wird für das Verbergen des Schreines unseres Heiligen [Anspielung auf das Begräbnis des Rav Kook; die Hrsg.], diese Lichter der Tora - in der Fortführung der Ordnungsform der Dinge im Lichte der Umkehr (Orot HaTeschuva) die ich aus den Schätzen seiner Lichter (Orot) gesammelt habe, welche noch in Manuskripten vorhanden sind, und habe sie geordnet nach den Abschnitten der Gegenstände und mit Namen genannt, die sich aus dem Material der Dinge ergeben (...). In diesen schrecklichen und beängstigenden Zeiten - ( . . . ) ,wer von uns kann wohnen an ewigen Brandherden' (Jes. 33,14) - werden die Lichter der Tora unsere Finsternis erleuchten; sie sind es, die uns schützen und bewahren. Möge doch die Rettungstat der Rechten der Gerechtigkeit des Herrn der Kriege, der die Gerechtigkeit aussät und Rettungen sprießen läßt, der König der Könige, der Heilige - Er ist gesegnet - uns auch weiter den Verdienst dieser Lichter zeigen. Denn er wird großartig handeln in der Aufrichtung seines Volkes, seines Erbteils und seiner Tora, in der Erneuerung seines Lichtes und seines Wortes aus Jerusalem, denn da gebot er den Segen, und er wird leben bis in Ewigkeit (Ps. 133,3)."3 Die Tora gewinnt als Bindeglied zwischen Gott und dem jüdischen Volk in jeder Generation eine neue Bedeutung. In diesen finsteren Zeiten, am Vorabend der Auslöschung des europäischen Judentums, erscheinen die Schriften des Rav Kook, der während seines ganzen Lebens ständig bemüht war, eine Brücke zwischen der alten und der neuen Welt zu bauen, zwischen dem traditionellen Judentum der Diaspora und der neuen Sied-
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A.I. Kook, Orot HaTora, 2. Aufl. Jerusalem 1985, S. 7.
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lung in Erez Israel. Der Rückkehr nach Zion, die das jüdische Volk in seiner Generation erleben durfte, war für Rav Kook kein normales Ereignis im Kontinuum des langen Leidenswegs des jüdischen Volkes, sondern eine Art .Bruch der Geschichte', der alle Hoffnungen der Vergangenheit auf einen Punkt brachte: die Realität hat sich radikal geändert, das Exil hat den Anfang seines Endes erlebt, und das Volk Israel steht, wie am Anfang seiner Geschichte, auf der Schwelle einer neuen Wirklichkeit und Selbstverwirklichung in Palästina. Dies gilt nicht nur für das Volk als Ganzes, sondern auch für jedes Individuum auf allen Ebenen seiner Existenz. Aber für Rav Kook steht nicht nur das Schicksal des jüdischen Volkes auf dem Spiel, sondern das Schicksal der ganzen Welt, die durch die Erneuerung des Volkes Israel, in dem Gottes Geist pulsiert, belebt werden soll. Rav Abraham Isaak HaCohen Kook war eine besondere Figur innerhalb der jüdischen Gemeinschaft seiner Zeit und innerhalb der jüdischen Tradition überhaupt. Ein Einzelgänger, Rabbiner, Mystiker, Philosoph, Dichter und Politiker. Ein Mann, der einerseits in seinem Amt als Oberrabbiner ganz hautnah mit den meist alltäglichen Ereignissen des Lebens verbunden war, aber andererseits von den höchsten Höhen der menschlichen Erfahrung des Göttlichen zu schreiben weiß. Einer, der sich tragen läßt al kanfei haschechina - auf den Flügeln der Einwohnung Gottes; ein Mensch auch, der in den tiefsten Tiefen der menschlichen Verzweiflung den göttlichen Funken zu erlösen sucht. Der Mensch ist es, so Rav Kooks Lehre, der als kleinster Teil dieser Welt das Ganze zusammenhält. Dies ist möglich, da der Mensch, zu Gottes Ebenbild geschaffen, das Heilige mit dem Profanen zu verbinden vermag. Die Trennung des Menschen und der Welt von Gott ist für Rav Kook der Grund des Schmerzes, und die Sehnsucht nach der Erlösung findet so ihre Quelle in der Hoffnung auf die Einheit, auf die Wiedervereinigung von Gott und Mensch, von Gott und seiner Schöpfung. Dieses Element macht ihn zum Mystiker, der die Synthese sucht und den Abgrund, der sich in der Welt immer wieder auftut, in jeder Hinsicht zu überbrücken versucht. So ist sein Schicksal das Schicksal der Welt und des jüdischen Volkes - wie auch das Schicksal der Welt und des Volkes sein Schicksal ist. Alles ist durch den Menschen verbunden, das Oben und das Unten, das Innen und das Außen, der Himmel und die Erde. Hauptpunkt für den religiösen Zionismus Rav Kooks ist seine Überzeugung, daß das Land Israel - als Erez (Erde) Israel - der Ort ist, an dem alle Gegensätze aufgehoben sind und die Lebenskräfte in einer großen Symphonie zusammenwirken: „Höre auf mich, mein Volk", heißt es in einem Fragment, das Bergsons élan vital mit religiösem Zionismus mischt, „aus meiner Seele rede ich mit euch, aus der Seele meiner Seele aus dem Bund des Lebens, mit dem ich mit euch allen verbunden bin und ihr alle mit mir verbunden seid. Aus dem Gefühl, welches ich tiefer als alle anderen Gefühle meines Lebens spüre, das ihr, nur ihr, der Inhalt meines Lebens 10
seid. In euch lebe ich, in euch, in der alles-übergreifenden Einheit von euch allen hat mein Leben diesen Inhalt, der ,Leben' heißt. Ohne euch habe ich nichts. Alle Hoffnungen, alle Strebungen, der ganze Lebenswert, dies alles finde ich in mir nur mit euch, und ich muß mich mit allen euren Seelen verbinden, ich muß euch mit unendlicher Liebe lieben, ich kann kein anderes Gefühl ertragen, alle kleinen und großen Liebesgefühle in meinem Lebenslauf, alle sind sie aufgehoben in der Liebe zu euch, in der Liebe eurer Gesamtheit, in der alle eure Einzelheiten da sind und leben. Jeder einzelne von euch, jede einzelne Seele aus eurer Gesamtheit, ist ein großer und bedeutender Funken aus der Fackel des Weltlichtes, der mir das Lebenslicht gibt. Ihr gebt mir Inhalt für das Leben, für die Arbeit, für die Tora, für das Gebet, für die Dichtung, für die Hoffnung. Durch das Rohr eures Daseins spüre ich Alles, liebe ich Alles, auf den Geistesflügeln eurer Zuneigung werde ich erhoben zur Gottesliebe und sie wird mir so zur Pflicht, wird mir so deutlich, flammt so auf in meiner Seele, funkt in meinem Denken. Mit euch, mein Volk, meine Nation, mein Mutterland, Quelle meines Lebens, mit euch erhebe ich mich in den Weiten der Welt, mit eurer Ewigkeit lebe ich ein ewiges Leben, mit eurer Pracht werde ich mit Ehre und Pracht erfüllt, mit eurer Anmut bin ich voll Schmerz, mit dem Leid in eurer Seele bin ich voll Bitterkeit, mit dem Wissen und der Einsicht, die in euch ist, bin ich mit Wissen und Einsicht erfüllt. Jeder Rhythmus, jedes Gesetz eures Gehens ist mir eine Schatzgrube des Lebens. Euer Land, das Land eurer Hoffnung, ist mir heilig, sein Himmel eine Quelle der Wonne, Quelle der Weltpracht, sein Karmel und sein Scharon eine Quelle der Hoffnung, Quelle des Segens, Quelle der Lebensfreude, seine Küste und sein Wald zeichnen sich vor mir ab in ihrer ewigen Huld und Pracht". 4 Aus dieser romantisierenden Passage spricht mehr als religiöser Enthusiasmus, mehr als Fieber und Leidenschaft oder Liebe für den Boden von Erez Israel, die Heimat der neugeborenen Nation, und für ein Volk, das nach zweitausend Jahren der Wanderung in sein Land zurückkehrt. Es spricht in erster Linie ein Mensch, der sein Mensch-Sein, seine Existenz als Teil seines Volkes, im weiteren Sinn als Teil der Menschheit, in diesem Land und in diesem Volk vor Gott bestätigt findet. Die Sehnsucht, mit jedem einzelnen Mitglied der jüdischen Gemeinschaft verbunden zu sein, zielt nicht auf Ausschließlichkeit, sondern ist für Rav Kook die Quelle der menschlichen Existenz auf Erden überhaupt: Nur mit dem Mitmenschen findet der Mensch zu Gott. Das Erwachen von Juden zum Bewußtsein einer besonderen Aufgabe im heiligen Land, welches sich vor seinen Augen vollzog, war für ihn nicht nur Ausdruck der Aufgabe, die das jüdische Volk im Laufe der Jahrhunderte in der Diaspora immer gehabt hatte, nämlich ein Licht für die Völker zu sein. Vielmehr und vielleicht in erster Linie bedeutete dies für Rav
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A. I. Kook, Orot HaReaja, 2. Aufl. Jerusalem 1985, S. 54. 11
Kook, daß das Volk den Weg zu seiner Authentizität wiederzufinden hatte - einen Weg, der die Verbindung des Einzelnen mit der Gemeinschaft und mit dem Zeitgeist voraussetzt. Aus dieser Sicht ist auch Rav Kooks Arbeit innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Erez Israel zu verstehen, sein Bemühen, zwischen verschiedenen Gruppierungen und zwischen den verschiedenen Interpretationen des Judentums Verbindungen aufzuzeigen und herzustellen. Das Volk erlebt so seine Geschichte als Herausforderung an seine Existenz - eine Herausforderung, die einerseits als Lösung seiner gegenwärtigen Existenzprobleme, aber auch als Wegweiser zu seiner endgültigen Erlösung empfunden werden sollte. Grundlage dafür ist die Liebe, die, so Rav Kook, ein Jude zu seinem Volk und so zu jedem einzelnen empfindet; eine Liebe, die ihre Quelle in der Tiefe seiner Seele hat, und die daher von ihm als eine tiefe Sehnsucht empfunden wird. Nur im gemeinsamen Schaffen von Mensch und Mensch, von Mensch und Gott, kann die Welt zur Erlösung gelangen.
II. Verfolgen wird kurz den Lebenslauf des Rav Kook 5 : Er wurde geboren am 15. Elul 5625 (1865) in Griva (Lithauen). Sein Vater Schlomo Salman, ein großer Gelehrter, stammte aus einer wichtigen Linie von Rabbinern in der eher antichassidisch und aufgeklärt geprägten Tradition der Mitnagdim, seine Mutter Perla Zlata aus einer chassidischen Familie, die als eine der ersten der Bewegung des chassidischen Rabbiners Menachem Mendel Schneersohn aus Lubavitsch, dem Gründer des Chabad Chassidismus, angehörte. So trafen schon in seinem Elternhaus verschiedene Glaubenswelten innerhalb des Judentums aufeinander. Bis zum dreizehnten Lebensjahr lernte er dort. Die Wurzeln seiner Liebe für die Vereinigung von Gegensätzen wie auch für das Land Israel und die hebräische Sprache sind in diesen frühen Jahren seiner Erziehung zu finden. In den nächsten acht Jahren wandert Rav Kook von Ort zu Ort und nimmt so die klassisch-talmudische wie auch die chassidisch-kabbalistische Richtung des jüdischen Lernens in sich auf: Unter anderem lernt er in der berühmten Jeschiva von Völoschin. Die Lebenswelt des jungen Rav Kook war eine zerissene: die verschiedenen ideologischen Richtungen des Judentums im 19. Jahrhundert, die Chassidim und die Mitnagdim, die Maskilim und die Chovevej Zion, bekämpften sich gegenseitig. Er litt sehr unter dieser Tatsache. Von Anfang an sah er es als seine Aufgabe an, die jüdische Gemeinschaft trotz ihrer Gegensätzlichkeit zusammenzuhalten. Die jüdische Lebenswelt
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Vgl. zur Biographie: Benjamin Ish-Shalom, Rav Avraham Itzhak HaCohen Kook. Between Rationalism and Mysticism, New York 1993, S. 5ff.
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in Osteuropa war in dieser Zeit im Umbruch - die Ideen der Aufklärung, der Emanzipation, des Sozialismus, des Kommunismus und Nationalismus fanden ihren Niederschlag auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft, die im Ringen um eine Identität, die das Alte mit dem Neuen verbinden sollte, am tiefsten zerstritten und in einen Kulturkampf verwickelt war. Rav Kook war ein Mensch des Handelns. Als er erst 23 Jahre alt war, gründete er 1888 die Zeitschrift Itur Sofrim mit dem Ziel, „einen Heimatort für rabbinische Literatur zu schaffen" und „alle gegensätzlichen Meinungen zur Ehre und Renaissance des Volkes" zu vereinen. Die Zeitschrift hatte eine kurze Lebensdauer, da Rav Kook den organisatorischen Schwierigkeiten nicht gewachsen war, sie bezeichnet jedoch den Anfang seiner lebenslangen Tätigkeit in der Öffentlichkeit. 1888 wurde er Rabbiner von Zaumel; sieben Jahre später, im Jahr 1895, übernahm er das Rabbinat in Bausk. Sein Vorgänger war einer der ersten Führer des religiösen Zionismus. Während dieser Zeit begann sich die nationale Idee des Judentums bei Rav Kook herauszubilden. Es entstanden einige seiner eher publizistisch geprägten Aufsätze, die sich mit Fragen der Polemik zwischen den Maskilim sowie den säkularen Zionisten und den orthodoxen Rabbinern beschäftigen. 1904 wanderte Rav Kook nach Palästina ein und wird dort zum Oberrabiner von Jaffa ernannt; eine Position, die er bis 1919 erfüllt. Während eines Besuches in Europa 1914, bei dem er die dortigen traditionellen jüdischen Gemeinden vom zionistischen Ideal zu überzeugen versuchte, strandet er dort jedoch wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges und übernimmt 1917/1918 einen Posten als Rabbiner der Machsikei HaDat-Gemeinde in London, wo er seine zionistische Tätigkeit fortsetzt. Nach seiner Rückkehr nach Palästina wird er 1919 zum Oberrabiner Jerusalems und Palästinas ernannt - eine Position, die er trotz vieler Auseinandersetzungen bis zu seinem Tod 1935 innehatte. Seine berühmteste, bis heute gültige halachische Rechtsentscheidung fällte er in der Frage der Schemitta: Er erlaubte, zugunsten des Überlebens des noch jungen Jischuv, die Früchte der Felder zu essen, die in jedem siebten, dem Ruhe- oder Sabbatjahr auf den Feldern des Jischuv geerntet wurden und eigentlich nicht hätten gegessen werden sollen.6
III. Rav Kook war einerseits ein profunder Kenner der jüdischen traditionellen Literatur aller Epochen, insbesondere der kabbalistischen Schule. Auf der anderen Seite war er jedoch beeinflußt von der europäischen Philosophie seiner Zeit; ein Wissen, welches er als Autodidakt erworben hatte. Seine Kenntnisse der europäischen Philosophie (Piaton,
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Josef Ben-Shlomo. Introduction ä la pensee du Rav Kook (Anm. 2), S. 14.
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Aristoteles, Spinoza, Kant, Schopenhauer, Hegel, Schelling und besonders Bergson) wie auch der jüdischen Tradition verknüpfte er in einer sehr persönlichen Weise. Er nahm Ideen aus der lurianischen Kabbala, der rabbinischen Tradition der Mitnagdim, der Mussar-Literatur und des Chassidismus auf, um daraus eine Mischung zwischen Rationalismus und Mystik zu gestalten, die den Forscher seines Oeuvres, der versucht, ihn in ein bestimmtes System einzuordnen, zur Verzweiflung bringen kann. Für Rav Kook ist die fruchtbare Spannung, die aus Vernunft und Intuition, Ratio und Mystik fließt, eine Quelle, die das besondere der jüdischen Seele als Teil der Weltseele7 ausmacht. Rav Kook entwickelt eine mystische Philosophie, die die verschiedenen Elemente der menschlichen Erfahrung zusammenhält in einem Ganzen, wo Gegensätze nicht aufgehoben werden, sondern sich dynamisch befruchten. Diese Denkfigur, in der das Heilige und das Profane sich begegnen, ermöglicht, ein höheres Ganzes auszusprechen, das jenseits der Trennung von Himmel und Erde erfahren und gedacht werden kann. Das ist eine Denkfigur, die religiöses Erleben und seinen sprachlichen Ausdruck als poetische Interpretation von religiöser Erfahrung möglich macht. Zur Zeit steht ein übergreifendes Werk zur Erforschung der jüdischen wie auch der nicht-jüdischen Beeinflussung der Werke Rav Kooks aus.8 Manche unterstreichen den Einfluß der lurianischen Kabbala, andere betonen seinen Bezug auf die Schriften von R. Schneur Zalman von Lyady und von R. Chaim von Völoschin. Wieder andere zeigen den Einfluß des Baal Schern Tov auf. Dagegen gibt es Meinungen, daß man Rav Kook nicht lesen soll als Nachfolger einer bestimmten Tradition, sondern als modernen Denker des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Wie dem auch sei: der Einfluß, den sein Denken in der jüdischen Welt ausgeübt hat, ist nicht nur Ausdruck eines bestimmen Zeitgeistes, sondern es hat diesen Zeitgeist dermaßen beflügelt, daß bis zum heutigen Tag die Kontroverse über die religiöse Bedeutung der Rückkehr des jüdischen Volkes nach Zion im Mittelpunkt der politischen Debatte des Staates Israel steht und daß Rav Kooks Lehre als Ideologie des Programms der Siedlungsbewegung Gusch Emunim dient; eine Ideologie, die besagt, daß diese Rückkehr als eine Atchalta de-Geula (Anfang der Erlösung) betrachtet werden soll. Hier wird, wie Jeshajahu Leibowitz gesagt hat,9 das Denken Rav Kooks, das unter den Bedingungen der britischen Mandatszeit entstanden war, nach der alle Umstände verändernden Staatsgründung Israels und vor allem nach den Eroberungen des Sechstage-Kriegs von 1967 in einer neuen politischen Situation mißbraucht, um die Siedlungspolitik extremistischer religiöser Gruppen in den besetzten Gebieten zu rechtfertigen. 7
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Möglicherweise ist die Vorstellung der Weltseele ein Erbe Schellings; vgl. F. W. J. Schelling, Von der Weltseele (1798), in: Ausgewählte Werke. Schriften 1794-1798, Darmstadt 1980, S. 399-637. Vgl. Benjamin Ish-Schalom, Rav Kook (Anm. 5), S. 6. Gespräche über Gott und die Welt. Jeshajahu Leibowitz mit Michael Shashar, Frankfurt/Leipzig 1994, S. 3 1 - 3 5 .
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Es ist sehr schwer, einen chronologischen Zusammenhang der Werke Rav Kooks festzustellen. Viele seiner Schriften sind nicht datiert; seine wichtigsten vorliegenden Werke - viele existieren noch immer nur als Manuskript - wurden nicht von ihm, sondern von R. David HaCohen (dem „Nasir") und von seinem Sohn R. Zvi Jehuda HaCohen Kook herausgegeben und aus vielen Quellen, die von ähnlichen Themen handeln, zusammengesetzt. Die Forschung tendiert dahin, einen Unterschied zu machen zwischen seinen frühen und seinen späten Schriften, wobei die Grenze um 1904, dem Jahr seiner Alija (Einwanderung) nach Palästina, gesetzt wird.10
IV. Ein Grundthema von Rav Kooks Denken ist die Spannung von Individualismus und Universalismus. Jeder Mensch hat einzigartige Qualitäten und ist berufen, gerade diese innerhalb der menschlichen Gemeinschaft zu entwickeln. Der Mensch ist jedoch nicht autonom und kann auch nicht allein existieren. Um sich zu verwirklichen und zur Vervollkommnung zu gelangen, benötigt er die Welt und insbesondere die anderen Menschen, da auch sie im Rahmen des Ganzen existieren und ihn mit ihrer Individualität ausfüllen. Der Mensch erwirbt diese Einsicht erst in einer langen Odyssee, und das Licht der Harmonie wird auf dem Weg durch Streit und Haß verdüstert. Der Antagonismus der Menschen stammt laut Rav Kook von zu viel isoliertem Individualismus, weil sie nicht sehen, daß ihre Welt nur ein kleines Bruchstück des Ganzen ausmacht, ein Bruchstück, das den Rest der Welt braucht, um sich selbst zu ergänzen. „Alle Defekte der Welt, die materiellen wie auch die geistigen, stammen von der Tatsache, daß jeder Mensch nur einen Aspekt der Existenz sieht, der ihm angenehm ist und ihm paßt; und alle anderen Aspekte, die er nicht versteht, sind für ihn ein Anlaß, sie zu vernichten, aus der Welt zu schaffen. Dieser Gedanke hinterläßt seinen Einfluß auf Individuen und Gruppen, auf Generationen und Epochen; daß alles nämlich was außerhalb der eigenen Erfahrung ist, destruktiv und störend ist. Das Resultat ist eine Vielfalt von Konflikten." 11 Bei der Auflösung der Spannung von Individuum und Universalismus kommt der Tora eine besondere Rolle zu. Denn in der Tora findet Rav Kook die höchste Weisheit, die alle anderen Lehren der Welt in ihrer Wahrheit erkennen läßt: Im Licht der Tora können sie erst richtig erkannt werden, gereinigt von jeglicher falschen Einsicht. Rav Kook
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Vgl. unsere Bibliographie der Werke Rav Kooks. A. I. Kook, Orot HaKodesch, Bd. I, Jerusalem 1938, S. 120f.
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plädiert daher für eine ganzheitliche Bildung, in der Religion und Naturwissenschaft, Philosophie und Fremdsprachen ihren Ort bekommen. Es gibt kein fremdes Gedankengut, welches nicht mit der Tora in Übereinstimmung zu bringen ist. So entwickelt Rav Kook eine tiefe und wirkliche Toleranz gegenüber jedem Menschen, die sogar den Atheismus mit einbezieht. Er sah im Atheismus einen Schrei der Verzweiflung, den Menschen aus den Abgründen seiner irdischen Existenz zu befreien. Die Namen, mit denen wir Gott anrufen, sind, so Rav Kook, nicht mehr als ein winziges Fragment und ein Funke des unendlichen Lichtes, das die Seele zu erreichen versucht. Jede Definition der göttlichen Essenz ruft in ganz natürlicher Weise eine atheistische Reaktion hervor. „So hat der Atheismus eine zeitlich legitime Funktion, da er dazu dient, den Schmutz, der sich jetzt mit der Religion verbunden hat, zu beseitigen, so daß der Mensch zum Kern und zur Quelle gelangen kann. Durch den Konflikt zwischen Glauben und Unglauben wird der Menschheit geholfen, Gott in Wahrheit zu erkennen. Anstatt sterile Spekulationen über die Essenz Gottes wird das Herz sich mit der Bedeutung der Moral beschäftigen. Die wirkliche Stärke des Menschen, die von Gottes Licht herkommt, wird durchbrechen. Diese Stärke ist ständig verbunden mit Gottes Licht, mit ihrer Quelle. Dieses wird den Weg des Menschen erleuchten". 12 Obwohl es fast kein Thema in der jüdischen Tadition gibt, mit dem Rav Kook sich nicht beschäftigt hat, wie Prophetie, Halacha und Aggada, Gebet, Knesset Israel, Tora als Gesetz, steht besonders in Orot HaTora jedoch ein Thema im Mittelpunkt - die Bedeutung von Torat Erez Israel, derjenigen Tora, die erst jetzt im Land Israel, wenn das Volk wieder auf seinem Heimatboden ist, ihre wirkliche Offenbarung entfalten wird. Dies ist so, weil die Tora der Diaspora auf die Einzelheiten und auf den Einzelnen wirkt, die Torat Erez Israel dagegen auf das Ganze. Sie vereinigt die Meinungen und einzelnen Disziplinen der Völker, die sich in der „armen Luft" der Diaspora befinden, so daß sie sich im Volk Israel in Erez Israel in einer Vollkommenheit entfalten können, die die ganze Welt befruchtet und beeinflußt. Die Tora der Diaspora kann nur bei einzelnen Gerechten das Böse in das Gute verwandeln, die Torat Erez Israel kann dies im Allgemeinen, bei jedem einzelnen und beim ganzen jüdischen Volk bewirken. Die Zeit ist gekommen, um dem Land Israel seinen Ort als materielles und geistiges Zentrum wieder zurückzugeben und es ist die Aufgabe von Torat Erez Israel, das Unwissen über große Teile der traditionellen jüdischen Quellen wie die Aggada, die Kabbala, den Chassidismus, die Geschichte und den Pijjut (religiöse Spruch-Dichtung) aufzudecken, da sie ja alle verschiedene Zweige der prophetischen Lehre und des Ruach HaKodesch (Geist des Heiligen) sind, die in Erez Israel ihre Wurzeln haben. In Erez
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A. I. Kook, Orot, Jerusalem 1973, S. 126f.
Israel soll eine Tora entstehen, die, wie einst, eine Renaissance des lebendigen Judentums auf allen geistigen und gesellschaftlichen Ebenen ermöglicht. Nur in der Atmosphäre des Heiligen Landes kann das Volk den göttlichen Funken aufnehmen - so werden erst den Gelehrten der To rat Erez Israel alle Geheimnisse der Tora offenbart werden. Diese geistige Renaissance des jüdischen Vokes wird den Geist der ganzen Welt reinigen und erneuern und die ursprüngliche Prophetie, die Reinheit des Glaubens und des Wissens wird wiederkehren. Die Tora als Gesetzeslehre und historische Tatsache der physischen Rückkehr seiner Generation nach Zion sind in der To rat Erez Israel von Rav Kook zu einer Lehre verschmolzen: sie sind in Heiligkeit vereint und finden so ihre Vollkommenheit. „Im Inneren des Herzen, in den Kammern seiner Reinheit und Heiligkeit wird die israelitische Flamme stärker, die dringend die starke und ständige Verbindung des Lebens mit allen Gesetzen Gottes sucht, um den Geist Gottes zu gestalten - den Geist der Fülle Israels, der die Leere der Seele füllt. Dies geschieht in allen ihren vielen Gefäßen, um den israelitischen Charakter in seiner Fülle zum Ausdruck zu bringen im vollendeten Ausdruck, praktisch und geistig. Dies ist die Sehnsucht nach dem Land Israel, dem heiligen Boden, dem Land Gottes, in dem alle Gesetze Gestalt gewinnen und zum Ausdruck kommen in allen ihren besonderen Einzelheiten". 13 Wir begegnen hier keiner jüdischen Mystik im normalen Sinn. Auch innerhalb der übrigen rabbinischen Tradition bedeutet die Lehre von Rav Kook einen völlig neuen Ansatz, der aus der Verbindung zwischen Immanenz und Transzendenz, Himmel und Erde, Gesetz und Gottesbegegnung, Offenbarung und Tradition einen Ort erreicht - das Land Israel - , wo, wie am Anfang der Geschichte des jüdischen Volkes mit Gott, die Nähe zu Gott und zu allen Dingen der Welt auf natürliche Weise gegeben ist. Die Rückkehr ist aus dieser Sicht nicht die „verheißende Rückkehr nach Zion am Ende der Tage" oder der „Tikkun" der lurianischen Kabbala, sondern sie wird erfahren als eine gegenwärtige Wirklichkeit, ein Heute, und es ist die Aufgabe des Menschen, in diesem Heute einen Anfang der Erlösung zu sehen. Das göttliche Licht - Orot HaKodesch - ist es, das den Weg des Menschen, ob religiös oder profan, erleuchtet. „An jenem Tag wird der Herr beschirmen die Einwohner Jerusalems, und wer von ihnen strauchelt an jenem Tag wird wie David sein: und das Haus David wird sein wie ein göttliches Wesen, wie die Engel des Herrn vor ihnen" (Sach. 12,8). Im Land Israel wird das Volk wie einst von Gottes Hand geführt werden und in unmittelbare Verbindung zu Gott treten.
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A. I. Kook, Orot, Jerusalem 1973, S. 12f.
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Die Lichter der Tora, in ihrer schriftlichen und mündlichen Form, das göttliche Wort und das menschliche Verständnis als Bindeglied zwischen Mensch und Gott sind in der Lehre des Rav Kook eine ewige Quelle der Sehnsucht nach Erlösung. So drückt er die Sehnsucht am Anfang der Orot HaTora aus: „Es ist sicher, daß diese menschliche Tora in der Tora Gottes enthalten ist - Tora Gottes ist auch sie. Dem klaren Auge dessen, der in den erhellenden Spiegel späht, dessen, der im ganzen Haus Gottes treu ist, kann unmöglich diese Lebensfülle mit all ihren Entwicklungsmöglichkeiten verborgen sein. Auch das, was ein erfahrener Schüler künftig erneuert - alles ist schon von Mose vom Sinai her gesagt worden. Diese beiden Lichter bilden eine ganze Welt, in der sich Himmel und Erde küssen."
V. Das Buch Orot HaTora enthält 13 Kapitel, die sämtlich in durchnumerierte Einzelabschnitte unterteilt sind: 1) Die Schriftliche und die Mündliche Tora 2) Tora um ihrer selbst willen 3) Einzelheiten der Tora und ihre Allgemeinheit 4) Die ganze Tora 5) Die Buchstaben der Tora 6) Lernen der Tora 7) Schmerz der Vernachlässigung der Tora 8) Das Lernen und das Tun 9) Wege der Tora und ihre Pfade 10) Zu den Verborgenheiten der Tora und ihren Geheimnissen 11) Die Wirksamkeit der Tora und ihre Anleitung 12) Die Tora für Israel und für die Welt 13) Die Tora des Auslandes und die Tora des Landes Israel Wie schon aus diesem Aufriß deutlich wird, führt der Gang der Kapitel vom Allgemeinsten, der traditionellen Unterscheidung von Schriftlicher Tora und Mündlicher Tora, über den praktischen Umgang mit der Tora und den diesem innewohnenden Problemen zum Einzelnen, der Torat Erez Israel, der Lehre des religiösen Zionismus von Rav Kook, in der sein Werk Orot HaTora aufgipfelt. Dennoch ist dieser Gang der Kapitel und der Aufbau des Buches im Gang der Gedanken nicht als einlinige, fortschreitende Entwicklung eines Themas zu betrachten. Vielmehr sind die Aussagen der Schlußkapitel schon am Anfang mitgedacht und enthalten. Das Verfahren von Rav Kook ist nicht additiv in dem Sinne, das in jedem Kapitel ein 18
neues, zusätzliches Thema zur Tora ausgefaltet würde, das auf dem zuvor Gesagten aufbaut. Die Gedankenführung gleicht eher einer Abfolge von Tableaus und Bildern und hebt mit jedem Kapitel neu an. In jedem Kapitel werden die Lehren anderer Kapitel je schon berücksichtigt, wenn auch einem Leitmotiv untergeordnet. So ist in den Ausführungen der einzelnen Kapitel das Ganze stets präsent, zumal Rav Kook ja an alte jüdische Traditionen und rabbinische Textstellen anknüpft und diese, wenn auch in Variationen, schon durch bloße Anspielungen in Erinnerung gerufen werden können. Orot HaTora ist, musikalisch gesagt, ein Thema mit Variationen, in dem bestimmte Seitenmotive immer wieder auftauchen. Musikalisch im eminenten Sinne ist die Sprache dieser Texte. Sie sind wie für den mündlichen Vortrag geschrieben und lassen die Charakteristika der Mündlichkeit wie gezielte Wiederholung von Schlüsselbegriffen und wie reiche biblische und talmudische Metaphorik in der vorliegenden Fassung immer wieder hören. Die Reihenfolge der Kapitel und der einzelnen Abschnitte ebenso wie die Kapitelüberschriften sind durch den Herausgeber der Texte, Rav Zwi Yehuda HaCohen Kook, den Sohn ihres Verfassers festgelegt worden; eine historisch-kritische Ausgabe nach den Handschriften Rav Kooks steht bislang aus und ist auch nicht zu erwarten. So folgten wir der Textanordnung und den Kapitelüberschriften von Rav Zwi, die wir brauchbar, wenn auch nicht in allen Punkten zwingend finden. Dabei ist es von Gewicht, daß Rav Kooks Schreibweise es möglich macht, einzelne Gedankengänge, Abschnitte oder ganze Kapitel in einer anderen Reihenfolge als der hier gebotenen zu lesen. Daß dem so ist, verdankt sich der Tatsache, daß wir es ja nicht mit einem philosophischen Traktat über die Tora zu tun haben, sondern mit Texten, in denen sich religiöses Denken und Meditation mit der Rhetorik und Aura von mündlicher Ansprache fruchtbar mischt.
VI. 1. Schriftliche Tora und Mündliche Tora Die Unterscheidung von Schriftlicher Tora und Mündlicher Tora ist für das rabbinische Judentum grundlegend. Mit dieser Unterscheidung beginnt Rav Kook seine Ausführungen im 1. Kapitel von Orot HaTora. Dabei setzt er voraus, daß der Leser oder Hörer weiß, daß die Schriftliche Tora die des Mose vom Sinai ist, während die Mündliche Tora die ursprünglich mündlich überlieferten Kommentare und Auslegungen zur Schriftlichen Tora im Talmud meint. Auch die Lehre von der Präexistenz der Schriftlichen Tora noch vor der Erschaffung der Welt und vor der Offenbarung am Sinai wird von Rav Kook als bekannt vorausgesetzt, wenn er schreibt, die Schriftliche Tora sei die „Grundlage der Schöpfung aller Welten" insgesamt. Sie hat daher universellen 19
Charakter und ist für alle Menschen gedacht. Die Mündliche Tora hingegen eignet allein dem jüdischen Volk, das sie hervorgebracht hat, als Gabe undAufgabe. Diese Mündliche Tora ist während des Exils Israels verdunkelt und harrt der für Rav Kook mit dem Zionismus begonnenen Wiederbelebung im verheißenen Land, um wieder zu altem Glanz zurückzufinden. 2. Tora um ihrer selbst willen Das alte rabbinische Wort von der Tora LeSchema nimmt Rav Kook auf und verbindet es hier im zweiten Kapitel mit der aristotelischen Idee 14 des Selbstzwecks: Die Tora existiert um ihrer selbst willen, nicht als Funktion oder um der Erreichung anderer Zwecke willen. Sie wurde von Gott um ihrer selbst willen gegeben und offenbart. Selbstzweck soll jedoch auch das Lernen der Tora seitens der Menschen sein. Das Studium der Tora hat seinen Zweck in sich selbst. Es ist, mit Aristoteles, eine entelechetische Tätigkeit, eine Tätigkeit, die um ihrer selbst willen geschieht, so wie durch Theorie Erkenntnis um ihrer selbst willen angestrebt wird. Ohnehin ist das Lernen der Tora geboten, aber Rav Kook bevorzugt bei weitem das Lernen der Tora um ihrer selbst willen. Gott sei das Lernen der Tora als Selbstzweck wohlgefällig, weil dadurch immer mehr Tora in der Welt verwirklicht wird und die Tora damit immer größer wird. Wenn einer Tora um ihrer selbst willen lernt, führt Rav Kook breit aus, so sorgt er dafür, daß sich das oberste Licht der Tora Gottes und das irdische, eingeschränkte Licht der Menschen begegnen. Das erleuchtet den einzelnen und alle Einzelheiten, vor allem aber stärkt und erleuchtet das Studium der Tora als Selbstzweck, also nicht nur aus Furcht vor Sanktionen oder aus Gehorsam oder aus Gewohnheit, die ganze jüdische Nation. 3. Einzelheiten der Tora und ihre Allgemeinheit „Wenn man Tora um ihrer selbst willen lernt, führt man willig die erhabene Absicht der Tora fort, die sich in jedem einzelnen Gegenstand ausbreitet." Von der immer notwendigen Beschäftigung mit der oberen Tora fällt Licht auf alle Einzelheiten des Alltagslebens und der Mündlichen Tora. Diese muß ihrerseits immer wieder mit der oberen, Schriftlichen Tora verknüpft werden, sonst verliert man sich in den Details der Halachot und „trocknen durch das Ablassen von der oberen Tora die Quellen des Reichtums des Lebens weg von der Welt". Andererseits ist gerade die Beschäftigung mit der Mündlichen Tora „in all ihren Einzelheiten die Wurzelverzweigung des heiligen Geistes der Nation". Nur das Lernen von beidem, Schriftlicher und Mündlicher Tora im Zusammenhang und in wechselseitiger
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Aristoteles, Metaphysik, 983 a, 1021b f.; Nikomachische Ethik, 1094a.
Befruchtung und Erleuchtung vermag die Tora in der Welt und in der Seele der jüdischen Nation in allen Einzelheiten zu verwirklichen, ohne ein nur noch technisches, unbeseeltes und vertrocknetes Sich-Verlieren im Dunkel von Details der Halacha. 4. Die ganze Tora In der Tora als ganzer bricht die Stimme Gottes hervor, auf die alle hören. Die ganze Tora nur ist vollkommen. Sie besteht aus den Namen Gottes und umfaßt jede Tugend, Verhaltensweise und Weisheit, Theorie und Praxis. Jedes einzelne Wort der Tora fließt aus dem Zusammenhang der ganzen Tora, keines ist überflüssig, und aus jedem einzelnen Wort wiederum strahlt daher das unbegrenzte, höchste Licht Gottes. 5. Die Buchstaben der Tora Noch die einzelnen Buchstaben der Tora sind voll des göttlichen Lichts. Deshalb machen noch die kleinsten Feinheiten der Tora, wie etwa die Buchstaben, aber auch die Feinheiten der Tora-Gelehrten bei der Auslegung „Lust an der Tora". Der Buchstabe tötet nicht, während der Geist lebendig macht, wie es eine ganze christliche Tradition im Anschluß an Paulus (2. Kor. 3,6) meint. Vielmehr wertet Rav Kook ganz im Sinne einer entgegengesetzten jüdischen Tradition die Buchstaben ähnlich hoch wie das Sefer Jezira.15 Die Buchstaben der Tora beleben und erleuchten: „Feuerpferde das sind die Buchstaben der Tora", die den Menschen zu Erkenntnissen befeuern, die er allein mit den Kräften seines Geistes nicht erlangen könnte. 6. Lernen der Tora Das Studium einer Wissenschaft belebt und erleuchtet nur das jeweilige Objekt der Untersuchung, das Lernen der Tora hingegen veredelt den Lernenden. Darin liegt für Rav Kook der Unterschied zwischen heilig und profan. Das Lernen der Tora setzt allerdings Teschuva, Umkehr und Buße für die Sünden voraus, will einer zu dieser höchsten Einsicht gelangen. Jede Einsicht in Einzelheiten oder das Ganze von Tora ist nicht Entdeckung von Neuem, sondern im Sinne der Anamnesis Piatons eine Wiedererinnerung an etwas im Reich der Ideen seit je Gewußtes und Gegebenes: Die Tora ist präexistent und wird vom Einzelnen schrittweise gelernt und erkannt. Das Lernen der Tora ist kein Akt der Theorie, es hat konkrete Folgen. „Das praktische Lernen ist die Nahrung der Seele." Für Rav Kook ist, wie für Piaton, die Seele das höchste Erkenntnisorgan.
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Das Buch Jezira - Sefer Jezira, hg. v. E. Goodman-Thau u. Ch. Schulte, Berlin 1993, S. VII.
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Nur kann manchmal einer nicht lernen, weil er sich zu sehr nach der Versenkung in das Gebet sehnt. Dann soll er beten. Aber Beten und Lernen sollen stets miteinander verschränkt sein, nie soll das eine ohne das andere praktiziert werden. Das Lernen ist die Nahrung der Seele, das Beten ihr Trank. Beides ist unverzichtbar für die Gesundheit der Seele. Theorie und Praxis, fromme Schau und halacha-konformes Handeln sind beim Lernen der Tora vereint. Durch beides bereitet sich das Volk Israel für seine Erneuerung im Land der Väter vor. Vermehrung des Lernens verspricht dabei nicht immer Einsicht in alle Tiefen der Dinge und ihre Geheimnisse, aber sie verhilft zur Gnade Gottes über den Lernenden. 7. Schmerz der Vernachlässigung der Tora Die Vernachlässigung der Tora erzeugt nicht nur geistige und materielle Verwirrung, sie verursacht auch inneren Schmerz. „Der Mangel der Tora ist das Gehinnom selbst." Gott verzeiht Götzendienst, Entblößung und sogar Blutvergießen, aber nicht das Verwerfen der Tora. Von daher ermöglicht nur sofortige Umkehr zur Tora die Errettung aus den Bedrängnissen wie dem Hester Panim, der Abkehr des Gesichtes Gottes von seinen Geschöpfen, die von der Vernachlässigung der Tora herrühren. 8. Das Lernen und das Tun In diesem Kapitel geht es um die Einheit von Lernen und Tun. Weder in der Zeitoder in der Rangordnung gibt es nämlich einen Vorrang des einen vor dem anderen. Die Tora bietet keine Theorie, der dann die Praxis, das Tun folgt. Vielmehr: „Wir wollen tun und hören" (Ex 24,7) gilt in dieser Reihenfolge. So ist auch das Erreichen von geistiger und theoretischer Vollkommenheit als Ziel von Tun und Lernen weniger wichtig als der Weg, die einzelnen Handlungen und die Haltung zur Tora, die ihnen zugrundeliegt. Über dem Ziel dürfen nie die Mittel, der Weg, die Praxis und die einzelnen Handlungen vernachlässigt werden. 9. Wege der Tora und ihre Pfade Wie man Tora lernen solle, ist das Thema des langen 9. Kapitels der Schrift. „Jeder einzelne muß sich mit seinem Geschäft beschäftigen, für das er gerüstet ist." Jeder nach seinen Fähigkeiten, nicht jeder nach seinen Bedürfnissen. Stets soll das Lernen der Tora Selbstzweck sein, gebunden an die Suche nach Wahrheit und moralischer Geradheit. Dient etwa das Lernen von Einzelheiten der Tora ohne einen Blick aufs Ganze nur dem Beweis der Gelehrtheit des Lernenden und seinem Hochmut, so „entleert sich das Denken" und hat dies eine „Verkürzung des Verstandes" zur Folge. 22
Auch wenn wir wissen, daß wir im Lernen der Tora unmöglich zu einer Vollendung kommen können, soll über den Einzelheiten der Halachot nie das Ganze und die Wahrheit der Tora aus den Augen verloren werden. Umgekehrt ist dies kein Freibrief, sich nicht täglich um das Studium der Halachot zu bemühen. Die Halachot sollen nach dem Sefer HaHalachot des Alfasi gelernt werden; dies ist dann mit dem Studium der Schriftlichen Tora, der Aggadot, Midraschim und der ethischen Literatur ebenso wie dem des Talmud und der Toseftot zu verbinden. Nur dann gilt für den Lernenden jene erhabene Regel, welche vor dem spirituell entleerten Sich-Verlieren in Einzelheiten oder im Perfektionismus genauso schützt wie vor der Oberflächlichkeit dessen, der sich nicht wirklich an jeder der Halachot müht: „Du mußt das Werk nicht vollenden und bist nicht frei davon zu lassen." Klärung und Erfüllen der Halachot sind notwendige Bedingungen für die „Erhebung der Seele des gesamten Judentums". Noch der Gelehrteste lernt und tut sie mit Freude und in der Furcht des Herrn, welche der Anfang aller Erkenntnis ist. Dabei soll das Lernen der Einzelheiten nicht in Widerspruch mit den Fähigkeiten jedes einzelnen geraten, weil das ihn verbiegt und er eine böse Entwicklung nehmen kann. Ob einer demnach verstärkt Halacha oder Aggada oder Schriftliche Tora gemeinsam mit natürlicher Moral lernt, soll von seinen persönlichen Eigenschaften, Begabungen und seiner „Seelennatur" abhängen und nicht fälschlich gegen seine Fähigkeiten erzwungen werden. Manchmal plagt sich die Seele schmerzlich mit dem Studium der Einzelheiten der Halachot. Aber auch dann kommt Heilung nicht durch das Ablassen von der praktischen Befolgung und dem Tun der Halachot, sondern liegt in der Bereitung des Geistes für die Erhebung der Seele, wenn Aufblitzen des Verstandes und inneres Empfinden, Lernen und Gefühl sich glücklich zusammenfügen und die Seele erheben: „Feuer von oben und Feuer von unten vereinigen sich miteinander." Freude beim Lernen der Tora steht keineswegs in Widerspruch zum Studium der Tora um ihrer selbst willen. Freude und das Abwenden der Traurigkeit sind vielmehr Pflichten und gehören zur gebotenen Verbesserung des Tugenden. Freude ist ein gebotener und ein willkommener Affekt beim Lernen der Tora. Im Detail, zumal wenn die Zeit drängt, müssen die Rabbinen in ganz praktischen Fragen Entscheidungen treffen, ohne lange lernen zu können. Hier empfiehlt Rav Kook, sich an die „frühen Meister", die großen Halachisten der Tradition wie Alfasi und Maimonides 16 zu halten und bei Dissens nach der Mehrheit der Meinungen zu entscheiden.
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Maimonides, Das Buch der Erkenntnis - Sefer HaMadda, hg. v. E. Goodman-Thau u. Ch. Schulte, Berlin 1994.
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10. Zu den Verborgenheiten der Tora und ihren Geheimnissen Verborgenheiten der Tora und ihre Geheimnisse sind solche, die sich dem Studium des in der Tora Offenbaren und der klaren Halachot und damit der normalen Verstandeseinsicht entziehen. Einsicht in die Verborgenheiten der Tora verschafft sonach nicht der Verstand mit seinen Grenzen, sondern nur die göttliche Erleuchtung. Wann nun soll der Mensch seinem inneren, seelischen Verlangen nach der Nähe Gottes und nach höchsten geistigen Erscheinungen nachgeben und die Verborgenheiten der Tora lernen? Kurz: Wann und unter welchen Bedingungen ist die mystische Suche in den Verborgenheiten der Tora nach der unmittelbaren Erfahrung Gottes jenseits des täglichen Lernens legitim? Rav Kook beschreibt hier seine Auffassung vom Verhältnis von Halacha und Mystik. Wenn das Verlangen nach einem inneren Sinnen über die Geheimnisse der Welt zu stark wird, kann einer sich den Verbogenheiten der Tora zuwenden. Aber nicht zu jeder Zeit ist der Mensch für diese inneren Erleuchtungen bereit. Zunächst soll er sich dem Lernen des Offenbaren in der Tora, der Halacha und dem praktischen Dienst zuwenden. Nur dann, wenn das „Licht der Seele ausbricht", soll ihm sofort Freiheit gegeben werden. Wenn nämlich ein Lernender durch das Lernen des Offenbaren gar nicht befriedigt wird und dies ganz seinen inneren Neigungen widerspricht, so soll Raum sein für das Sinnen über die inneren Geheimnisse der Tora. Religiöse Vervollkommnung besteht für so einen nicht allein in Halacha, sondern „im Lernen dieses Teiles vom inneren Licht der Tora der wahren Weisheit". Auch der Umstand, daß einige der größten rabbinischen Gelehrten sich nie mit den Verborgenheiten der Tora beschäftigt haben, soll denjenigen, der sich nach ihrem Studium sehnt, nicht abhalten. Mangelnde Befähigung und mangelndes Interesse am Offenbaren verbunden mit der Sehnsucht nach dem Lernen der Verborgenheiten sind eben sein geistiges Erbteil, das er annehmen soll. Er soll sich und anderen seine Schwäche in der Gelehrtheit eingestehen, diese akzeptieren und in Bescheidenheit den Geheimnissen der Tora nachsinnen, ohne sich dabei einzubilden, daß er damit alle Wahrheit und Weisheit erlangen könne. Denn das ist, so Rav Kook, ohne halachische und andere Gelehrtheit nicht möglich. Aber das mystische Sinnen über die Geheimnisse der Tora hat für ihn noch andere Grenzen: Ein großer Mangel beim üblichen Lernen von „Kabbala", Überlieferung, ist, „daß die Lernenden nicht von Anfang an mit ihrem Verstand von den Quellen der Tora zum Verstehen der göttlichen Gegenstände wandern", sondern sich mit Wissen aus kabbalistischen Büchern begnügen. Nur wer beim Lernen der Geheimnisse der Tora von der Tora selber ausgeht, hat auch ein Anrecht auf diese Art der Suche, ein Anrecht und einen Platz auch in der Knesset Israel. Wissenschaftlicher und Verstandeseinsicht, so die Überzeugung Rav Kooks, erschließt sich die Tora nie ganz, schon gar nicht irgendwelcher Klügelei. Darum ist das 24
Lernen der Geheimnisse der Tora über die Grenzen von Halacha und Wissenschaft hinaus nur legitim. Mehr noch: Es erhebt, wird es mit Liebe und innerem Empfinden betrieben, den ganzen Menschen. „Wohl jedem, der den lieblichen Geschmack Gottes und die Bäche seiner Lieblichkeiten kostet." Ideal ist es, wenn sich das Lernen der Einzelheiten und des Offenbaren mit dem der Verborgenheiten, wenn sich das Lernen von Halacha und Kabbala ergänzen. Ideal ist die Vermischung von Stärke und Güte, die „Verbindung der aus dem Einfluß der offenbaren Tora erwachsenen Genauigkeit mit der Güte und dem Licht des Angesichtes der verborgenen Tora". 11. Die Wirksamkeit der Tora und ihre Anleitung Nach den Möglichkeiten und Grenzen des mystischen Strebens nach innerer Errleuchtung im Sinnen über die Verborgenheiten der Tora, handelt dieses Kapitel von den Konsequenzen und dem Wirken der Tora im praktischen Leben des einzelnen und des jüdischen Volkes im Land Israel. Das Leben der Nation nämlich entspringt dem wachen Lernen der Tora und den guten Werken. Die Tora ist nie ganz erforschlich, aber der israelitische Mensch - der in Palästina lebende Jude (Rav Kook setzt hier ganz bewußt den Neologismus „israelitisch", um den Unterschied vom Juden der Diaspora zu markieren) - kann aufrichtig daran glauben, daß das Licht der Tora ihn und sein Volk leitet und mit Leben erfüllt, kann er sich doch selbst, so Rav Kook metaphorisch, als Schriftzeichen der Tora fühlen, als eine ganze, lebendige Welt, als ein Teil der Tora des Lebens. Der israelitische Mensch kann ohne Kleinglauben darauf vertrauen, daß die Grundlagen der Tora im Leben der Nation verwirklicht werden, er ist beim Lernen nicht mehr auf sich allein gestellt. Das Licht der Umkehr (Teschuva) erfüllt das Volk mit dem Geist Gottes und mit starker Kraft, auf Seinen Wegen zu gehen. Dem Elan des zionistischen Umschwungs zum Leben im eigenen Land - auch hier ist Bergsons Denkfigur des élan vital erkennbar 17 - muß das vereinzelte und schrittweise Studium der Tora, die langsame Besserung und Vervollkommnung des Exils weichen. Der israelitische Mensch freut sich daran, daß die Tora die Vergnügungen der geistigen Welt zu ihm herabbringt, er genießt das Glück „der zarten Nähe Gottes" und muß angesichts der segensreichen Wirkungen der Tora nur darauf achten, daß ihn nichts vom höchsten Licht trenne. Weitere Wirkungen der Tora in Erez Israel sind die Läuterung aller körperlichen und seelischen Eigenschaften, die Demut, die Verwandlung des bösen Triebs (Jezer HaRa) und alles Bösen in der Welt zum Guten. Schließlich wird der Durst nach geistiger Erleuchtung und israelitischer Vollkommenheit durch die Erfüllung der Tora gestillt. 17
Henri Bergson, Les deux sources de la religion et de la morale, in: Bergson, Oeuvres, hg. v. André Robinet, Paris 1959, S. 980-1247.
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12. Die Tora für Israel und für die Welt Was bedeutet die Tora für Israel und was bedeutet sie für die Völker? Und was für das Verhältnis von Israel und den Völkern? „Die Tora ist eingefaßt in den Geist Israels", aber „der natürliche Brauch kommt vor der Tora". Der natürliche Brauch oder auch die natürliche Erkenntnis gehen bei allen Menschen voraus; sie dienen der Tora als „Unterlage", auf welcher der „Saal der Tora" errichtet wird. Die natürliche Erkenntnis und Moral ist allen gegeben, die Tora Israel. Auch jeder Einzelheit der Tora muß ein natürlicher Brauch vorangehen, selbst wenn die Tora den allgemeinen menschlichen Verstand oder die Neigungen übersteigt und transzendiert. Selbst der Wille und die Aufrichtigkeit bei den Juden, mit der Tora verbunden zu sein, ist zunächst Sache des natürlichen Brauchs. Die Gabe der Tora schafft dann erst die israelitische Seele, während jene Weisheit außerhalb der Tora die Seele aller Menschen schafft und prägt. Genau betrachtet zeigt sich jedoch auch im inneren Wesen dieser natürlichen Vollkommenheit und Weisheit noch das Licht der Tora auch bei Nichtjuden. Daher sollen die Juden auch in der natürlichen Erkenntnis die Stimme Gottes hören, nicht nur in den Offenbarungen der Tora. Geistiges Leben Israels ohne das Licht der Tora ist unmöglich, der israelitische Mensch erlangt seine geistigen Eignungen nur durch die Tora im dafür prädestinierten Land. 13. Die Tora des Auslandes und die Tora des Landes Israel Hatte das 12. Kapitel das Verhältnis von allgemein menschlicher, natürlicher Erkenntnis und der Tora verhandelt, wird nun im 13. Kapitel mit Rav Kooks Lehre von To rat Erez Israel sein religiöser Zionismus ausdrücklich entfaltet, indem er die Tora des Landes Israel der Tora im Exil gegenüberstellt. Die Tora des Landes Israel gilt der des Exils in allen Belangen überlegen: So wie der Jerusalemer Talmud dem Babylonischen vorgezogen wird, so schreibt Rav Kook schon der „Luft des Landes Israel" die Eigenschaft zu, daß in Erez Israel Halachot nicht mehr wie in der Diaspora nur mit dem menschlichen Verstand entschieden werden, sondern der genius loci Aggadot und Halachot beeinflussen, erleuchten und erklären hilft. Mit einem Zitat aus dem Midrasch: „Keine Tora ist wie die Tora des Landes Israel und keine Weisheit wie die Weisheit des Landes Israel." Die Liebe zur To rat Erez Israel war nie dringlicher als in unserer Generation, schlägt Rav Kook die Brücke zur Aktualität. Die Tora des Landes Israel ist Lebenselixier, sie ist Tora der Wahrheit und des Lebens für die Zionisten. Den vollen Geschmack der Tora zu schmecken und zu schmecken zu geben ist allein in Erez Israel möglich. Aber nicht nur das Empfangen und Empfinden der Tora ist in Erez Israel anders als im Exil. Die Tora des Landes Israel hat auch eine andere Funktion als die Tora des Exils: „Die Tora des Auslandes beschäftigt sich mit der Vervollkommnung der einzelnen Seele", die Torat 26
Erez Israel „sorgt ständig für die Gesamtheit, für die Allgemeinheit der Seele der Nation". Sie bringt Ermutigung und Belebung, „Erweiterung der Schauung und des Lichtes", ja sogar „Lust an der körperlichen Entwicklung". Nur die Luft des Landes Israel bringt die Gelehrten zu höchster Erkenntnis und Weisheit. Nur auf dem heiligen Boden kann die Tora ganz, in allen Einzelheiten, Allgemeinheiten und Regeln der Regeln verstanden werden. Nur in Erez Israel lebt die Knesset Israel ursprünglich und nach den eigenen, von der Tora geprägten Gesetzen. Im Ausland hingegen ist alles, die Geschäftigkeit und der Dienst, Halacha und Aggada, Offenbares und Verborgenes, Überlieferung und Moral, Intellekt und Sang, Logik und Finesse nicht von innen gewachsen, sondern von außen festgelegt. Deshalb kann sich die wahre Einheit und der höchste Friede nur in Erez Israel einstellen. Nur dort offenbart sich die innere Seele der Nation, nur dort ist die Tora ursprünglich - ist sie doch eingerichtet, nur in Erez Israel ursprünglich zu sein. Die ursprüngliche, vitale Verwirklichung von Tora im Lande Israel führt allerdings gerade nicht zu plumpem und brutalem Nationalismus, in dem jede Nation sagt: „ich und außer mir nichts", wie Rav Kook mit Jesaja (48,8.10) ausführt. Dies verdient hier gegen die nationalistische Vereinnahmung von Rav Kook festgehalten zu werden, die seine Nähe zu der jüdisch-pazifistischen Gruppe Brit Schalom in Jerusalem zu gern vergessen machen möchte. Die Tora des Landes Israel ermöglicht es den Weisen des Landes gerade, so schreibt er, „die Härte des Herzens zu erweichen", die Gewalt zu schwächen und jeden Schmerz auf der Welt mitzuempfinden. Aus der Tora des Landes Israel wird der Nation Leben erwachsen, Größe und Glanz, Reichtum und Ehre, Erkenntnis, Einsicht und Moral. Vor allem aber wird Friede aus ihr erwachsen, der bewirkt, daß eine Hütte des Friedens über ganz Israel gebaut werden kann und daß in Gerechtigkeit der Name des Herrn angerufen werden kann, „der die Hütte des Friedens über uns errichtet und über sein ganzes Volk Israel und über Jerusalem". Eveline Goodman-Thau Christoph Schulte
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Druckwerke und Artikel Rav Kooks in der Reihenfolge des Erscheinens (Auswahl) „Teudat Jisrael ULeumiuto", in: HaPeless, Bern 1901. „Tallelei Orot", in: Tachechmoni, Berlin 1910. „Kirvat Elohim", in: Tachechmoni 2, Berlin 1911. „Perurim MiSchulchan HaGavoa", in: Jezreel. Hg. v. Alexander Siskind Rabinovitz, Jaffa 1913. Arpalei Tohar, Jaffa 1914; Neudruck hg. v. Issac Shilat, Jerusalem 1983. HaMachschava HaJisraelit. Hg. v. Elchanan Kalmanson, Jerusalem 1920. Needar BaKodesch, Jerusalem 1933. „LeDemut Dijukono Schel HaRaMBaM", in: HaAretz, Pessach-Ausgabe 1935. „Maamar Mejuchad", in: Zeev Yaavetz, Toldot Jisrael, Tel Aviv 1935. Orot HaTora, Jerusalem 1940. Chason HaGeula, Jerusalem 1941. „HaMisped BeJeruschalajim", in: Sinai 47 (1960); Neudruck in: BeOro, hg. v. Chaim Hamiel, Jerusalem 1986. Iggerot HaReaja, 4 Bde. Jerusalem 1962-65. Olat Reaja, 2 Bde. Jerusalem 1963. Orot HaKodesch, Jerusalem 1963-64. Eder HaJakar Velkvei HaZon, Jerusalem 1967. Orot HaTeschuva, Jerusalem 1970. Orot, Jerusalem 1973. Maamarei HaReaja, hg. v. Elisha Aviner, Jerusalem 1980. Orot HaEmuna, Jerusalem 1985.
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Auswahlbibliographie Hebräische Beiträge werden, soweit angegeben, nach ihrem englischen Untertitel zitiert. Avineri, Shlomo: Histoire de la pensée sioniste, Paris 1982. Avneri, Joseph: „Rabbi Kook and His Educational Activities During His Jaffa Tenure", in: Niv HaMidraschia, 1984. Arieli, Nahum: „Repentance in the Philosophy of Rav Kook", in: Teschuva VeSchavim, Jerusalem 1980. Ashkenazi, Yehuda: „The Kabbalistic Sources of Rabbi Kook", in: Yovel Orot. Hg. v. Benjamin Ish Shalom und Shalom Rosenberg, Jerusalem 1985. Ben-Shlomo, Joseph: Introduction à la pensée du Rav Kook, Paris 1992. - „Schlemut VeHischtalmut BeTorat HaElohim Schei HaRav Kook", in: Iyyun 33 (1984). - „The Divine Ideals in Rav Kook's Teaching", in: Bar Ilan Sefer HaSchana. Hg. v. M. Halamisch, Ramat Gan 1988. Bergmann, Samuel Hugo: „Torat HaHitpatchut BeMischnato Schei HaRav Kook", in: Anaschim UDerachim, Jerusalem 1967. - „Mawet VeAl HaMawet BeMachschavato Schei HaRav Kook", in: Hogim UMaaminim, Tel Aviv 1959. Fishman, Yehuda Leib: HaReaja, Jerusalem 1965. - „Toldot HaRav", in: Askara. Hg. v. Y. L. Fishman, Jerusalem 1936-38. Fried, Yochanan: „Letters and Documents", in: Zichron Reaja, Jerusalem 1986. Friedman, Menachem: „On the Social Significance of the Polemic on Schmita 1888-89", in: Schalem 1 (1974). Hamiel, Chajim (Hg.): BeOro: Iyyunim BeMischnato Schei HaRav Kook, Jerusalem 1986. Ish-Shalom, Benjamin/Rosenberg, Shalom (Hg.): Yovel Orot, Jerusalem 1985. Ish-Shalom, Benjamin: HaRav Kook. Ben Razionalism LeMistika, Tel Aviv 1990 (engl. Übers.: Rav Avraham Itzhak HaCohen Kook, New York 1993). - „Religion, Repentance and the Freedom of Man in the Philosophy of Rabbi Kook", Tel Aviv 1990. - „Tolerance and Its Roots in the Thought of Rav Kook", in: Daat 20 (1988). Kaplan, Zvi: „His Approach to the Halacha", in: Kovez HaReaja. Hg. v. Yitzchak Raphael, Jerusalem 1966. 29
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Die Lichter der Tora
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Kapitel I Die Schriftliche Tora und die Mündliche Tora
1. Die Schriftliche Tora empfangen wir mittels der höchsten und umfassendsten Vorstellung in unserer Seele. Wir fühlen aus ihrem Inneren das Gleißen der Herrlichkeit des umfassenden lebendigen Lichtes alles Bestehenden. Wir gleiten an ihrer Hand oberhalb aller Logik und jedes Verstandes, wir empfinden den Geist des höchsten Gottes über uns schweben 1 ; berührend und nicht berührend gleitet er über unserem Leben und bestrahlt es mit seinem Licht. Das Licht gleißt, leuchtet auf und durchdringt alles, unter dem gesamten Himmel waltet es. Nicht der Geist der Nation ruft solch großes Licht hervor - der Geist Gottes des Allesschöpfers erschuf es. Eine solche Tora des Lebens ist die Grundlage der Schöpfung aller Welten insgesamt. In der Mündlichen Tora steigen wir bereits herab zum Leben. Wir spüren, daß wir das höchste Licht durch die zweite Ader in der Seele, die Ader, die zum praktischen Leben führt, empfangen. Wir spüren, daß der Geist der Nation, der - wie die Flamme an die Kohle - an das Licht der wahren Tora gebunden ist, durch den ihm eigenen Charakter bewirkt, daß die Mündliche Tora in der ihr eigenartigen Gestalt gebildet ist. Es ist sicher, daß diese menschliche Tora in der Tora des JHWH 2 enthalten ist - Tora des JHWH ist auch sie. Dem klaren Auge dessen, der in den erhellenden Spiegel späht, dessen, der im ganzen Hause des JHWH treu ist 3 , kann unmöglich diese Lebensfülle mit all ihren Entwicklungsmöglichkeiten verborgen sein. Auch das, was ein erfahrener Schüler künftig erneuert - alles ist Mose vom Sinai her gesagt worden.4 Diese beiden Lichter bilden eine ganze Welt, in der sich Himmel und Erde küssen. 5 2. Die Mündliche Tora ruht auf dem Charakter der Nation selbst, die ihren Segen durch die himmlische Offenbarung der Schriftlichen Tora erlangt hat. In der Offenba-
1 2
3 4
5
Gen 1,2b. Im Hebräischen steht ein „Dalet" - als vierter Buchstabe des Alphabetes Zeichen für die Zahl vier für den vierbuchstabigen unaussprechbaren Namen. Num 12,7b. Vgl. yPea 3,6 17a, par. TanB (Schemot) ki tissa 17, hier in der Form von Or HaChajim Tasria 13,37 (vgl. VayR 22,1 par. KohR 1,29; 5,7). Vgl. Ps 85,11.
33
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rung ist die Mündliche Tora niedriger als die Schriftliche Tora. Denn die Hauptveranlassung, ihren Pfad zu finden, ist die Schriftliche Tora, jene höchste Beziehung der Nation zur höchsten Gottheit, zum Ziel der Ziele, zur Ewigkeit und Pracht, in den Welten und oberhalb aller ihrer Gesetzmäßigkeit.6 Aber in der inneren Gestalt ist die Tora doch Israel wegen seiner höchsten inneren Eignung gegeben - hat doch diese verborgene göttliche Eignung die Erscheinung der Tora vom Himmel über ihnen (das ist Israel) bewirkt. So erweist sich die Mündliche Tora in ihrer Wurzel höher als die Wurzel der Schriftlichen Tora: „Geliebt sind die Worte der Schriftgelehrten mehr als die Worte der Tora."7 3. Die Tränkung der Mündlichen Tora geschieht in ihrer Verborgenheit vom Himmel und in Offenbarkeit von der Erde. Für sie muß das Land Israel gebaut sein und ganz Israel entsprechend all seinen Ordnungen in ihm wohnen: Heiligtum und Königtum, Priestertum und Prophetentum, Richter und Ordnungshüter und all ihre Einrichtungen. Dann lebt die Mündliche Tora im ganzen Glanz ihrer Pracht, blüht und treibt Knospen und verbindet sich mit der Schriftlichen Tora in ihrer gesamten ausgewachsenen Größe. Im Exil trennten sich die Zwillinge, erhob sich die Schriftliche Tora zu heiligen Höhen, und sank die Mündliche Tora zu unterster Tiefe, empfängt aber dennoch verborgene Tränkung vom Licht der Schriftlichen Tora aus dem Folgeertrag 8 der Vergangenheit, der genügt, ihr ein eingeschränktes Leben zu erhalten. Und sie sinkt und fällt Tag um Tag, „bis der Tag zur Neige geht" 9 und das Lebenslicht aus dem Schatz der ewigen Erlösung kommt, und Israel Sieg erlangt, gepflanzt wird in seinem Lande und Erfolg hat in allem Glanz seiner Ordnungen. Dann wird die Mündliche Tora anfangen zu sprossen aus der Tiefe ihrer Wurzel, wird höher und höher aufsteigen, und das Licht der Schriftlichen Tora wird über ihr erneut seine Lichtstrahlen aufleuchten lassen, „neu für die Morgen" 10 . Die Liebenden vereinigen sich auf dem Gelände ihres Ehrenplatzes 11 . Das Licht der Seele des in Ewigkeiten lebenden Gottes, der sich offenbart in der Belebung Israels und in der Erhebung seines Glanzes, leuchtet mit dem Licht der sieben Tage des Lichtes der Sonne und des Lichtes des Mondes zusammen 12 . Ihr Licht wird geradewegs durchdringen und von hier bis dort reichen, der Erde antworten und dem Volk mit aller Pracht des Lebens. „Und das Licht
6
7 8 9 10 11 12
Das hebräische Wort für „Gesetzmäßigkeit" ließe sich auch mit „Verallgemeinerung" wiedergeben und steht in enger Verbindung mit den Ausdrücken „Allgemeinheit" und „Gesamtheit" in diesem Text. yBer 1,7 (Horowitz: 4) 3b par. ySanh 11,6 30a und yAZ 2,8 41c. Lev 25,5: Was ohne Aussaat von bei der Ernte ausgefallenen Körner wächst. Vgl. Hl 2,17; 4,6. Klgl 3,23a. Entsprechend Hl 3,9. Vgl. Jes 30,26.
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Wurzeln des Baumes des wahren Lebens, sie, die gemäß ihrer Reinheit und Kraft die Tiefe der Milde des guten Geschmacks dieses beglückten Lebens erkennt und fühlt. „Dein Gaumen ist wie der gute Wein, der lieblich mundet, die müden Lippen erfrischt." 19 5. Wenn man Tora zum Selbstzweck lernt, übt man Wohltat an der Gemeinschaft Israels. Wieso? - Der Geist der Nation stärkt sich an dem, von dem sich ihre Kinder bei ihrer geistigen Ernährung nähren - an der Frucht ihres Geistes. Die Tora insgesamt füllt den Geist Israels, und jeder einzelne, der sich mit der Tora beschäftigt, legt in der Seele Israels Kraft neuen Lebens frei durch die seelische Nahrung, die er von der Tora empfängt. Durch alles, was das Studium mehr beleuchtet und mit erweiterter Kenntnis und gutem Verstand krönt, und alles, was dadurch den Edelmut des Herzens und die Reinheit der Seele ergänzt, eröffnet sich ja immer mehr die Kraft des israelitischen Lebens. Es gibt der Nation Kraft und Lebensfreude, sich zu ermutigen und sich aufzurichten. Das Vergessen der Tora und das Erschlaffen der Hände 20 von der Tora sind die Quelle aller Erschlaffungen, die durch den Geist Israels zur Welt kommen. 6. Grundlage der Tora zum Selbstzweck ist die Stärkung der Kraft der Gemeinschaft Israels, die in uns verborgen liegt. Je mehr wir Zweige der Erkenntnis und die Erweiterung der Empfindung von ihr zur Wirkung bringen, desto mehr vergrößern wir ihre Kraft und lassen ihre Pracht strahlen, ja vermehren wir die Tora selbst, die die Geistigkeit des wahren Lebens der Gemeinschaft Israels ist, die in uns verborgen und in der ganzen Tora zusammen und in jeder einzelnen ihrer Einzelheiten versteckt ist. 7. Grundsätzlich kann man zum Lernen der Tora zum Selbstzweck unmöglich anders kommen als durch solch eine Ertüchtigung der Verständnisses und des mit ihm einhergehenden Empfindens dafür, wie alle Einzelheiten der Tora mit heiliger Liebe geliebt werden und wie das umfassende Licht, das voller Leben ist und Leben zur Welt bringt, alle Einzelheiten insgesamt durchdringt.
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Kapitel III Einzelheiten der Tora und ihre Allgemeinheit 1. Die Bindung der Tora an den Heiligen - Er ist gesegnet - ist die Grundlage des Dienstes der Auserwählten am Heiligtum. Wenn wir uns mit Halachot21, deren Zergliederungen und Einzelheiten beschäftigen, wissen wir im allgemeinen, daß doch alle Worte der Tora Pfade des JHWH sind, die aus der Quelle des oberen Lebens fließen. Zwar ist ja in der Seele das göttliche Sehnen lebendig, pulsiert die Milde des JHWH in ihrem Inneren, und ist die Nähe Gottes ihr besser als alle Lieblichkeiten. Doch dasselbe zarte Sehnen ist auch im Herzen des Lebens spürbar: „Mein Herz und mein Fleisch jubeln zu dem lebendigen Gott." 22 Die Ebene des edlen Empfindens, das auch in allen Klüften der Tora und ihren Einzelheiten verborgen ist, auf dasselbe Maß der umfassenden höchsten Empfindung zu erhöhen, die in der Seele aus der Milde des Höchsten hervorbricht - eine solche Aktivität, die aus einem mächtigen Streben der Seele kommt, gehört zur Bindung der Tora an den Heiligen - Er ist gesegnet. Das heißt, die untere Tora des einzelnen mit der allgemeinen oberen Tora zu verknüpfen. 2. Wenn die Worte mit der Klarheit der Absicht nach oben steigen, wird ständig Kenntnis zum Schatz des höchsten Daseins hinzugefügt. Die Lust der „ewigen Liebe" 23 und die „große Liebe" 24 zum endlosen Licht25 berauschen sich an der Wonne des Lebens, und „sie sehen es an und strahlen" 26 . Aber durch die Abwendung der Aufmerksamkeit und ihre Armseligkeit verdüstert sich das Antlitz des Himmels. Die Pracht wird in Betrübnis verwandelt und schwindet zu nichts. Der himmlische Bedarf, der seine Aufgabe kräftig sucht, schmälert allen Vorzug des Menschen und dämpft das Licht des Verstandes und alle Inhalte des vollen Lebens. Da der Bedarf nach der Wurzel allen Seins eine notwendige, eingeprägte und sich unablässig fortsetzende Sache ist, trocknen durch das Ablassen von der oberen Tora die Quellen des Reichtums des Lebens weg von der Welt. Aber alles kehrt zu seinem Licht und zu seinem glänzenden Leben zurück durch obere Umkehr voll Erkenntnis und guten Verstandes, die durch das Licht der Tora erleuchtet wird. Dies ist ein Erbe der Väter in der Weisheit Israels,
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Mehrzahl zu „Halacha": Verhaltensanweisung, (vorschriftsmäßige) Vorgehensweise. Ps 84,3b. Beginn und Name der Benediktion vor dem „Höre Israel" im Abendgebet. Beginn und Name der Benediktion vor dem „Höre Israel" im Morgengebet. In der Kabbala Bezeichnung für die höchste Transparenz. Angespielt ist hier auf den kabbalistischen terminus technicus Or Ein-Sof, das Licht des Ein-Sof. Ps 34,6.
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die voller ewigen Adels ist; „und ewiges Leben pflanzte er in unsere Mitte,27 das ist die Mündliche Tora" 28 in all ihren Stufen und in ihrer vollkommenen Pracht. 3. Grundsatz der Kenntnis ist, daß die Gesamtheit der Tora so fest und mit klarem Bewußtsein im Herzen hafte, daß aus der Kraft des Einflusses des Ganzen die Kraft der speziellen Achtsamkeit gegenüber allen Pflichten und Einzelheiten der Tora beeinflußt wird. Dann gleicht die Sache der Lebenskraft, die vom Herzen ausströmt und sich über alle Glieder ausbreitet - was ohne die wahre allgemeine Erkenntnis nicht stattfindet. Da ist jedes Wort aus der Tora ein besonderer Gegenstand für sich; dies bringt Störung in die Grundlage der Toraerkenntnis und hindert den liebevollen und freimütigen Dienst, „und das Wort des JHWH wird ihnen Befehl auf Befehl und Meßschnur auf Meßschnur." 29 Denn die Worte der Tora müssen als einerlei Gesetz und einerlei Gebot erkennbar sein. 4. Wenn das Herz gesund ist, breitet sich der Strom des Blutes mit der starken Kraft des Pulsschlages in alle dünnen und fernen Adern aus. Wenn der Verstand stark ist, die Grundlage der Tora und ihre Regeln zu verstehen, und zu verstehen, wie ihre vielen Einzelheiten sich aus ihrer Gesamtheit ergeben, entsteht der helle und zusammenhängende Überblick, dann kommen die große Liebe und Empfindungen der Achtung und der heiligen Pracht für jedes Wort und jede leichte Feinheit der Tora. 5. Wenn man Tora um ihrer selbst willen lernt, führt man willig die erhabene Absicht der Tora fort, die sich in jeden einzelnen Gegenstand ausbreitet. Für den Lernenden selbst und für die ganze Welt mit ihm nimmt die höchste Gnade immer mehr zu. Aber wenn man sie nicht um ihrer selbst willen lernt, dann werden die einzelnen Entdeckungen als isolierte Einzelheiten offenbart, und der darin enthaltene Verstand ist beschränkt. Entsprechend dem Maß des Verstandes ist der Wille unzureichend und voller Pedanterie und Ärger, und es wäre für ihn besser, er wäre nicht zur Welt gekommen. 30 6. Jedes Wort der Tora, sei es Haggada 31 , sei es Halacha 32 , beansprucht seine Aufgabe bei der Benetzung mit dem Tau der höchsten Belebung33, und zwar aus dem Schatz der höchsten Empfindungen und der erhabensten Wissenschaften, die aus der mächtigen Allgemeinheit hervorquellen. Denn dies - die Einzelheit, die gelernt wird - rührt von der Allgemeinheit her. Dies ist die Eigenschaft des Durstes derer, die sich mit der Tora um ihrer selbst willen beschäftigen, die in ihnen beständig stärker wird und sie
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Aus der Benediktion nach der Lesung aus der Tora. Schulchan Aruch, Orech Chajim 139,10. Jes 28,13. Andere, hier auch mögliche Interpretation: „Und für sie wird das Wort des Herrn zu ..." Ein traditioneller Ausdruck z. B. bQid 40a. Auch „Aggada": Erzählung. Das heißt: Verhaltensanweisung, Lehre, „Weg". Zur Rolle des Taus bei der Auferstehung vgl. Jes 26,19 und bBer 38b; bShab 88b par.
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