Die lex sacra von Selinunt: Totenmanipulation in der Archaik und Klassik 3447108916, 9783447108911

In der griechischen Archaik entwickelte sich die Vorstellung, dass Tote mithilfe von Bildnissen (Puppen, Figuren etc.) m

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German Pages 140 [141] Year 2017

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Inhalt
Vorwort
1 Einflussnahme der Toten auf die Welt der Lebenden
2 Die lex sacra von Selinunt
2.1 Beschreibung und Herkunft der Inschrift
2.2 Struktur des Textes
2.3 Text und Übersetzung
2.4 Deutung des Textes
2.4.1 Spalte A
2.4.2 Spalte B
2.5 Die übergeordnete Bedeutung der Rituale in Spalte A und B
3 Die lex sacra von Kyrene
3.1 Beschreibung und Datierung der Inschrift aus Kyrene
3.2 Inhalt und Deutung der lex sacra von Kyrene
3.3 Hikesios – Schutzsuchender, Dämon oder Geist?
3.4 Parallelen und Unterschiede zwischen den Texten aus Selinunt und Kyrene
4 Die Nutzung von ‚Zauberpuppen‘ in Mesopotamien
5 Östliche Einflüsse auf Griechenland: Wann und wie?
6 Figuren und Statuen als Mittel der Geisterkontrolle in den weiteren frühen griechischen Quellen
7 Zusammenfassung
Anhang
Abbildungsnachweise
Siglen
Quellen
Literaturverzeichnis
Stellenindex
Namen-, Orts- und Sachindex
Tafeln
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Die lex sacra von Selinunt: Totenmanipulation in der Archaik und Klassik
 3447108916, 9783447108911

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Krešimir Matijević

Die lex sacra von Selinunt: Totenmanipulation in der Archaik und Klassik

PHILIPPIKA

Altertumswissenschaftliche Abhandlungen Contributions to the Study of Ancient World Cultures 113

Harrassowitz Verlag

© 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10891-1 - ISBN E-Book: 978-3-447-19695-6

P H I L I P P I K A

Altertumswissenschaftliche Abhandlungen Contributions to the Study of Ancient World Cultures

Herausgegeben von /Edited by Joachim Hengstl, Elizabeth Irwin, Andrea Jördens, Torsten Mattern, Robert Rollinger, Kai Ruffing, Orell Witthuhn 113

2017

Harrassowitz Verlag . Wiesbaden

© 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10891-1 - ISBN E-Book: 978-3-447-19695-6

Krešimir Matijević

Die lex sacra von Selinunt: Totenmanipulation in der Archaik und Klassik

2017

Harrassowitz Verlag . Wiesbaden

© 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10891-1 - ISBN E-Book: 978-3-447-19695-6

Bis Band 60: Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the internet at http://dnb.dnb.de.

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 1613-5628 ISBN 978-3-447-10891-1 e-ISBN 978-3-447-19695-6

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Inhalt Vorwort................................................................................................................... vii 1 Einflussnahme der Toten auf die Welt der Lebenden............................................. 1 2 Die lex sacra von Selinunt...................................................................................... 5 2.1 Beschreibung und Herkunft der Inschrift...................................................... 5 2.2 Struktur des Textes........................................................................................ 8 2.3 Text und Übersetzung................................................................................... 10 2.4 Deutung des Textes....................................................................................... 15 2.4.1 Spalte A................................................................................................... 15 2.4.2 Spalte B................................................................................................... 27 2.5 Die übergeordnete Bedeutung der Rituale in Spalte A und B........................ 35 3 Die lex sacra von Kyrene........................................................................................ 39 3.1 Beschreibung und Datierung der Inschrift aus Kyrene................................... 39 3.2 Inhalt und Deutung der lex sacra von Kyrene................................................ 40 3.3 Hikesios – Schutzsuchender, Dämon oder Geist?........................................... 42 3.4 Parallelen und Unterschiede zwischen den Texten aus Selinunt und Kyrene.................................................... 46 4 Die Nutzung von ‚Zauberpuppen‘ in Mesopotamien............................................ 50 5 Östliche Einflüsse auf Griechenland: Wann und wie?........................................... 58 6 Figuren und Statuen als Mittel der Geisterkontrolle in den weiteren frühen griechischen Quellen........................................................ 71 7 Zusammenfassung................................................................................................ 85 Anhang Abbildungsnachweise.......................................................................................... 89 Siglen.................................................................................................................. 91 Quellen............................................................................................................... 93 Literaturverzeichnis............................................................................................. 97 Stellenindex......................................................................................................... 115 Namen-, Orts- und Sachindex............................................................................ 119 Tafeln

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Vorwort Bisweilen kommen neue Quellen zum Vorschein, die uns – wie im vorliegenden Fall – interessante und neue Einsichten in die griechische Religion vermitteln. Wie so häufig werden aber nicht nur alte Streitfragen geklärt, sondern auch neue Probleme aufgeworfen. So stellt uns die im Folgenden hier erstmals vollständig ins Deutsche übersetzte, außergewöhnliche lex sacra von Selinunt vor eine Reihe von Schwierigkeiten, die in der Forschung unterschiedliche Lösungsansätze gefunden haben. Handelt es sich bei dem Zeugnis, wie die Erstherausgeber es vermuten, 1 um eine Anleitung zur Reinigung von metaphysischer Befleckung, die durch Blutvergießen hervorgerufen wurde, und zur Befreiung von Totengeistern oder Dämonen, die einen aufgrund dieser Befleckung verfolgten? Oder werden verschiedene Fruchtbarkeitsrituale aufgelistet, die über das ganze Jahr verteilt den Feldertrag sichern sollten – eine Ansicht, die von N. Robertson vorgebracht wurde? 2 Dies sind nur zwei von einer Vielzahl an – gerade in den Details – verschiedenen Deutungsansätzen, welche von der Forschung bislang angeboten wurden. Es geht an dieser Stelle nicht nur darum, eine definitive Antwort auf die Frage nach dem übergeordneten Zweck der beschriebenen Riten zu geben oder besser: zu entscheiden, welche Interpretation plausibler ist, sondern auch darum, die weiteren, von der Forschung gezogenen Erkenntnisse für die griechische Religion im Allgemeinen und die Ehrung bzw. Manipulation von Toten im Speziellen auf den Prüfstand zu stellen. So wurde von C. A. Faraone und D. Ogden die These aufgestellt, dass die Manipulation von Totengeistern mittels Figuren sich bereits in den archäologischen Zeugnissen der Bronzezeit wie auch bei Homer nachweisen lasse. 3 Bislang ging man davon aus, dass die Grenze zwischen der Welt der Toten und derjenigen der Lebenden in früharchaischer Zeit undurchdringlich gewesen sei und erst im Verlaufe der Archaik durchlässiger wurde, wodurch die Toten an Macht gewannen, welche von den Lebenden wiederum genutzt bzw. gefürchtet wurde. J. Bremmer bemerkte 1994, dass die Präsenz der Geister sogar noch in klassischer Zeit sehr limitiert sei. 4 Aus der Athen-zentrischen Sicht ist dies vielleicht richtig. Noch in der griechischen Tragödie des 5. Jh.s spielt die Rache der Verstorbenen keine Rolle. Es wird der Eindruck vermittelt, dass man – wie zu Zeiten Homers – stattdessen den Zorn 1

Jameson/Jordan/Kotansky 1993 = SEG 43, Nr. 630; vgl. 44, Nr. 783; 46, Nr. 1273; 47, Nr. 1455; 48, Nr. 1250; 49, Nr. 1327; 50, Nr. 1021; 51, Nr. 1387; 52, Nr. 932; 53, Nr. 1032; 56, Nr. 1098; 57, Nr. 888; 59, Nr. 1119; 60, Nr. 1014. 2 Robertson 2010. 3 Faraone 1991a, 184, 188f.; Faraone 1992, 82f.; Ogden 2001, 102f. 4 Bremmer 1994, 105.

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Vorwort

der Götter fürchtete. 5 Der Blick nach Großgriechenland zeigt dagegen, dass der Einfluss der Toten auf den Alltag wesentlich größer war, als man im Allgemeinen annimmt. Für die frühklassische Zeit wesentlich ist die erwähnte, erst in jüngerer Zeit entdeckte lex sacra von Selinunt. Diese Inschrift und andere Zeugnisse der klassischen Zeit, die den Versuch einer Manipulation von Toten wahrscheinlich machen, werden im Folgenden als erstes diskutiert. Hierbei interessiert insbesondere, welche Praktiken im Detail angewendet wurden und welche Rolle figürliche Nachbildungen in den Riten spielten. 6 Auch auf die Ursprünge der Verwendung von Figuren zur Symbolisierung von Toten, Dämonen 7 oder auch Lebenden, welche vielfach im mesopotamischen Raum vermutet werden, ist einzugehen. Zuletzt soll, im Rückgriff auf Homer und mit Blick auf die diskutierten archäologischen Funde und Befunde der Bronzezeit, die These von Faraone und Ogden geprüft werden.

5 Vgl. North 1992, 55. Siehe für Homer Matijević 2015, 130‒137. 6 Auf die dahinterliegenden möglichen Vorstellungen kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden; siehe hierzu u. a. die einflussreiche Studie Gell 1998, bes. 96‒154. 7 Wenn im Folgenden ohne jede Erläuterung von Dämonen gesprochen wird, dann sind hiermit Schadegeister göttlichen Ursprungs gemeint, die von menschlichen Totengeistern zu unterscheiden sind, wenngleich aus letzteren auch erstere hervorgehen können; siehe Herter 1950, 56f., Parrinder 1989, 240 und die Diskussion in Matijević 2015, 130‒137.

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1 Einflussnahme der Toten auf die Welt der Lebenden Eine nicht erfolgte Bestattung hatte schon in den homerischen Epen gravierende Konsequenzen. 1 Nicht nur war es dem Toten ohne angemessene Beerdigung unmöglich, in den inneren Bereich des Hades einzugehen, er konnte selbst aktiv werden und dem für die Bestattung zuständigen Hinterbliebenen, wie Patroklos seinem Freund Achilleus, im Traum erscheinen und die eigene Beisetzung einfordern (Il. 23,65‒98). Patroklos ist es auch, dessen Zorn Achilleus fürchtet, da er anders als in seiner Totenklage versprochen (Il. 18,333‒335) den Leichnam des Hektor an Priamos zurückgibt (Il. 24,592‒594). Hektor wiederum kann Achilleus (Il. 22,358) ebenso wie Elpenor dem Odysseus (Od. 11,73) mit dem „Zorn der Götter“ (theôn mênima) drohen, wenn die angemessene Totehrung verhindert bzw. nicht durchgeführt wird. Der unbestattete Tote war in den homerischen Epen somit keineswegs völlig machtlos, wenn auch abhängig von göttlicher Hilfe. Das, was K. Meuli als einen der „drei Grundzüge des Totenglaubens“ bezeichnet hat, „die Überzeugung, dass er [der Tote] mächtig“ ist, fehlt sowohl in der Odyssee als auch in der Ilias. 2 Erst in nachhomerischer Zeit gewinnt der Tote an Macht oder anders herum: Die Grenze zwischen Tod und Leben wird durchlässiger. Zum einen Bedarf der Tote nicht mehr zwingend göttlicher Helfer, um seine Rache zu vollziehen, zum anderen wird er aber auch selbst zum Ziel magischer Praktiken, mittels der er im positiven wie negativen Sinne instrumentalisiert wird. 3 Wann genau die Vorstellung entsteht, dass Tote in die Welt der Lebenden aktiv eingreifen können, ist unsicher. Als erster Schritt in diese Richtung ist sicherlich der Heroenkult zu begreifen, da von diesen besonderen Toten angenommen wurde, dass sie weiterhin Einfluss auf das Diesseits nehmen konnten. Schon in den homerischen Epen sind Hinweise auf die Verehrung ursprünglich sterblicher Menschen auszumachen. So ist in der Ilias (2,547‒551), im Rahmen des Schiffskatalogs, von Erechtheus die Rede, dem die Athener jährlich Opfer im Athena-Tempel darbrachten. Die Stelle wird allerdings häufig als spätere Interpolation angesehen. 4 Nichtsdestotrotz zeigen auch die dem Teiresias versprochenen Opfer, 5 dass der zu seiner Zeit an Einfluss gewinnende Heroenkult für Homer kein fremdes Phänomen war, wenngleich nirgendwo ersichtlich wird, 1 2

Siehe Matijević 2015, 130‒137, 143‒156. Meuli 1937/56, 303. Siehe auch dieselbe Studie insgesamt für Beispiele aus anderen Kulturen für die Macht der Toten. 3 Vgl. Johnston 1999, 31. 4 Athetiert in der neuen Edition von West/Latacz 2003; Einschub auch nach Wees 2006, 373 Anm. 29; als homerisch angesehen z. B. von Coldstream 1976, 16; Richardson 1985, 55; Boehringer 2001, 29. Vgl. ferner Latacz/Brügger/Stoevesandt/Visser 2003, 175‒177. Siehe auch Kirk 1985, 179f., 205f. 5 Siehe Matijević 2015, 143‒156.

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1 Einflussnahme der Toten auf die Welt der Lebenden

dass diese besonderen Toten in das Leben der Menschen eingreifen können. 6 Ferner ist bei Teiresias nicht davon die Rede, dass Odysseus ihm fortan regelmäßig opfern würde. 7 Hinweise auf Heroenkult finden sich ebenfalls bei Hesiod. Interessant ist hierbei insbesondere das „Goldene Geschlecht“ (chryseon genos), dessen Mitglieder zwar verstorben sind, als daimones esthloi epichthonioi aber über Rechtssprüche und Freveltaten auf Erden wachen, d. h. urteilen (erg. 109‒126). 8 Unter Umständen ist dies im Zusammenhang mit der langen Liste an Untaten zu sehen, die Hesiod nennt und die seiner Ansicht nach von den Göttern zu Lebzeiten belohnt bzw. bestraft werden (erg. 212‒366). In Vers 252 ist von 30.000 Wächtern des Zeus die Rede, mit denen das Geschlecht identisch wäre, wenn man nicht annimmt, dass es sich in den Versen 124f. um einen nachträglichen Einschub aus der späteren Stelle handelt. 9 Ganz abgesehen davon, ob man diese Wächter mit dem Goldenen Geschlecht gleichsetzen möchte oder nicht, mit den späteren unglücklichen Totengeistern, die Menschen verfolgen, hat dies wenig zu tun. Zum Teil möchte man die Existenz von solchen aber bereits für die Zeit um 600 v.Chr. erschließen. Grundlage hierfür ist ein kurzes Sappho-Fragment: Gellôs paidophilôtera. 10 Gello ist in späterer Zeit der Geist einer Jungfrau genannt worden, welche unverheiratet verstarb und kleinen Kindern sowie schwangeren Frauen zur Gefahr werden konnte. 11 Das Sappho-Fragment wird von Zenobios (prov. 3,3) zitiert, der Gello charakterisiert. Ob man aus dieser Beschreibung des 2. Jh.s n.Chr. und den weiteren späteren Texten zu Lamia und Mormo, bei denen es sich um ähnliche übersinnliche Wesenheiten handelt, einen derartigen Charakter schon für Sapphos Gello erschließen kann, 12 bleibt angesichts der Kürze des Fragments und des folglich unbekannten Zusammenhangs unsicher, gleiches gilt für den vermuteten östlichen Ursprung. 13 Dass Geister an ‚Mobilität‘ gewannen, belegt die in den ‚Nostoi‘ (p. 154f. [West]) geschilderte Episode, wonach das eidôlon des Achilleus Agamemnon und seinen Gefolgsleuten erscheint und diese vom Aufbruch aus Troia abhalten will, indem es die düstere Zukunft voraussagt. Anders als in den homerischen Epen existierte in der späten Archa 6 Dass Homer diesen Wesenszug der Toten über beide Epen hinweg konsequent unterdrückt haben soll, wie die sog. Neoanalyse es annimmt, erscheint mir unwahrscheinlich; siehe Matijević 2015, 15, 56‒59. 7 Boehringer 2001, 29 erkennt in der Befragung des Teiresias dennoch eine „Handlung des Heroenkults“. 8 Nach Schwinge 2012, 432 ist ihr Tod deshalb „nur ein Scheintod“. 9 Die Verse 124f. und 253f. sind identisch. Dass erstere interpoliert sind, vertritt West 1978, 183 in seinem Kommentar mit dem Argument, dass das Beschenken der Sterblichen und die Überwachung derselben sich widersprechen. Anders Verdenius 1985, 86f. und Johnston 1999, 17, welche Gerechtigkeit gleichfalls als Geschenk ansieht, sowie zuletzt Schwinge 2012, 432. Plutarch (mor. 431b‒e) benutzte einen Text inklusive der Verse 124f., Proklos einen ohne die entsprechenden Zeilen (siehe Sch. Prokl. zu Hes. erg. 121‒125; vgl. Marzillo 2010, 54‒57, 325). In den neueren HesiodAusgaben (Most 2006, 96f.; Schönberger 22007, 12f.) sind die Verse nicht getilgt worden. 10 Frg. 178 (PLF). 11 Vgl. Johnston 1999, 22, 166, 173. 12 So z. B. Herter 1950, 50; Johnston 1999, 22, 166, 173. 13 Siehe Herter 1950, 50; vgl. ferner West 1991, 361‒368 und schon Gaster 1900, 129‒162.

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1 Einflussnahme der Toten auf die Welt der Lebenden

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ik 14 somit die Auffassung, dass Tote den Lebenden auch außerhalb von Träumen erscheinen konnten. Ein weiterer Unterschied ist, dass Achilleus hier als Toter augenscheinlich über besonderes Wissen verfügt. Dies ist den homerischen Helden zwar im Angesicht des Todes ebenfalls inhärent, 15 im Hades selbst haben sie allerdings keinen Anteil mehr an der Welt der Lebenden. Sicherlich handelt es sich bei Achilleus um einen besonderen Toten, weitere Zeugnisse erweisen allerdings, dass die Vorstellung von wiederkehrenden Toten an der Wende von der Archaik zur Klassik keineswegs mehr ungewöhnlich ist. Im 5. Jh. v.Chr. soll der Vorsokratiker Empedokles seinem Schüler 16 versprochen haben, ihn die Fähigkeit zu lehren, den kataphthimenou menos andros aus dem Hades zu führen. 17 D. Obbink und M. L. Gemelli Marciano haben ausgeführt, dass diese Angabe zwei verschiedene Interpretationen zulässt: 18 Entweder sollte der Tote zum Leben wiedererweckt 19 oder der Geist eines Toten heraufbeschworen werden. 20 Während letzteres in den Bereich der Nekromantie einzuordnen ist, ist die Wiedererweckung von Toten eine sehr viel größere Kunst, die unter anderem dem Asklepios gelungen sein soll. 21 Zu beachten ist, dass dieser Bericht über Empedokles bei Diogenes Laertius (8,59) verzeichnet ist und dort als Erläuterung dient. Kurz zuvor wird davon gesprochen, dass Gorgias – laut einer Behauptung des Satyros – erzählt habe, er sei zugegen gewesen, als Empedokles goêteia betrieben habe. Auch die Suda bezeichnet Empedokles als goês und führt aus, er habe eine Frau, die bereits 30 Tage tot war, ins Leben zurückgeholt. 22 Insofern könnte das bei Diogenes zitierte Fragment auf etwas Ähnliches ansprechen. Tatsächlich ist aber völlig unsicher, was Empedokles mit menos gemeint haben könnte. 23 Wiederum im Traum erscheint bei Pindar (P. 4,159‒164) Phrixos seinem Nachfahren Pelias und bittet diesen, seine psychê (im Goldenen Vlies) nach Hause zu bringen, 24 eine Aufgabe, die Iason bekanntlich übernimmt. Neben den offensichtlichen Parallelen zur Ilias, in welcher der verstorbene Patroklos dem Achilleus ebenfalls im Schlaf erscheint (23,69‒101), sind verschiedene Unterschiede auffällig: 25 Bei Phrixos handelt es sich um 14 Zur Datierung der ‚Nostoi‘ Latacz 2000a, 1008: „wohl nicht allzuweit vor 500 v.Chr.“ 15 Siehe Matijević 2015, 143‒156. 16 Wahrscheinlich handelt es sich um den in anderen Fragmenten angesprochenen Pausanias; vgl. Obbink 1993, 73, 75 Anm. 51, S. 87. 17 DK 31 B 111 = Diog. Laert. 8,59 = Gemelli Marciano 2009, 154‒157 Nr. 8. 18 Obbink 1993, 91f.; Gemelli Marciano 2009, 369f. 19 So Kingsley 1995, 40f., Wright 21995, 262f. und Gemelli Marciano 2009, 370 selbst. 20 Vertreten von Obbink 1993, 91f.; Johnston 1999, 19f., 104f.; Ogden 22009, 184. 21 Pind. P. 3,55‒60. Ein etwas anderer Fall liegt bei Herakles vor, der bei Euripides im Rahmen einer Katabasis Alkestis ins Leben zurückführt. Dass auf eben solch ein Beispiel bei Empedokles hingewiesen wird, vermutet Gemelli Marciano 2009, 370. Siehe aber im Folgenden. 22 Suda s.v. ἄπνους; vgl. auch dieselbe Episode in Diog. Laert. 8,60f. Siehe ferner die Anmerkungen von Wright 21995, 12f. 23 Siehe hierzu Obbink 1993, 91f., der darauf hinweist, dass in Z. 3 des Fragments DK 31 B 111 von der Beherrschung des menos der Winde gesprochen wird. Hieraus könnte man versucht sein abzuleiten, dass in Z. 9 mit menos auf die ‚hauchförmige‘ psychê angespielt wird; vgl. auch Obbinks Übersetzung „you will lead from Hades the soul of a dead man“ (87). 24 Nach Apollonios von Rhodos (2,1192‒1195; 3,336‒339), um den Zorn des Zeus abzuwenden. 25 Vgl. Johnston 1999, 21.

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1 Einflussnahme der Toten auf die Welt der Lebenden

einen Geist, der nicht zur Ruhe kommt, weil er in der Fremde gebunden ist. Ferner soll Iason die psychê, welche bei Homer ganz selbstständig in den Hades gelangt, nach Hause geleiten; sicherlich, damit sie dann Ruhe findet. In der 2. Hälfte des 5. Jh.s spricht Demokrit von eidôla, von denen die einen wohltätig, andere dagegen schädlich seien. Zudem verkündeten sie Menschen die Zukunft. 26 Hier ist also von Totengeistern die Rede, die helfend oder auch schadend eingreifen und wie Achilleus in den oben diskutierten ‚Nostoi‘ die Zukunft prophezeien können. 27 Die vorstehend diskutierten Zeugnisse zeigen, dass in nachhomerischer Zeit die Möglichkeiten des Kontakts und der Beeinflussung von Toten größer wurden, ebenso wurden letztere zum Teil aus eigenem Antrieb aktiv. Im Folgenden sollen ausgehend von einem in jüngerer Zeit entdeckten und äußerst kontrovers diskutierten Zeugnis, der lex sacra von Selinunt, weitere Quellen diskutiert werden, die eine regelrechte Manipulation von Toten in klassischer Zeit wahrscheinlich machen. Hierbei interessiert insbesondere, welche Praktiken angewendet wurden und welche Rolle figürliche Nachbildungen in den magischen Riten spielten. Auch auf die Ursprünge der Verwendung von Figuren zur Symbolisierung von Toten, Dämonen oder auch Lebenden, welche vielfach im mesopotamischen Raum vermutet werden, ist einzugehen. Zuletzt ist zu prüfen, ob der Brauch schon in den archaischen und bronzezeitlichen Zeugnissen nachzuweisen ist.

26 DK 68 B 166 = Gemelli Marciano 2010, 368‒371 Nr. 49a und 49b. 27 Vgl. Bremmer 1983, 79.

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2 Die lex sacra von Selinunt

2.1 Beschreibung und Herkunft der Inschrift Es handelt sich um eine rundherum gebrochene, dünne Tafel aus Blei (Tafel 1), 1 die in der Mitte einen senkrechten Streifen aufweist, der ohne Beschriftung ist. Zugehörig ist eine Stange aus Bronze (Tafel 1), mit der die Tafel in der Mitte fixiert war, wahrscheinlich auf Holz. Sogar zwei der Nägel haben sich noch erhalten, und die entsprechenden gebohrten Löcher sind in der Tafel nachzuweisen. Leider, und dies ist für die Interpretation des Textinhalts von fundamentaler Bedeutung, ist die Stange an keinem ihrer Enden vollständig erhalten. 2 Somit ist nach formalen Kriterien unklar, wie groß die tabula ursprünglich gewesen ist. Da am rechten wie linken Rand mehrfach das Ende der Textzeilen erhalten ist, 3 wird die Tafel zumindest in ihrer Breite fast komplett sein. 4 Die ursprüngliche Höhe bleibt offen. Im Anschluss an die editio princeps von M. H. Jameson, D. R. Jordan und R. D. Kotansky wird hier die umfangreicher beschriftete Hälfte als Spalte A (Tafel 2) und die weniger Zeichen umfassende Hälfte als Spalte B (Tafel 1) bezeichnet. 5 Fast der gesamte Text steht inter lineas (Tafel 2 und 3). 6 Während in Spalte A oben mehrere linierte Zeilen (A4‒6) ohne Text und am Ende des erhaltenen Teils zwar noch Text, aber keine Hilfslinien erkennbar sind (A19‒24), endet in Spalte B die Beschriftung vor einem großen linierten Bereich. Ferner scheinen im unbeschrifteten Bereich A4‒6 Spuren einer 1 Die Maße betragen noch 23,0 x noch 59,7 x 0,2 cm; siehe Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 3, wo aber die Höhen- und Breitenangabe offensichtlich vertauscht wurden. 2 So aber Graham 1995, 366, der zudem meint, die Ansicht der editio princeps wiederzugeben, worin er irrt. 3 Seltsamerweise sind die einzelnen Wörter zum Teil nicht ausgeschrieben, auch wenn hierfür der Platz vorhanden gewesen wäre. 4 So zu Recht schon Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 3f., die dann aufgrund ihrer Interpretation des Textes davon ausgehen, dass auch am oberen und unteren Rand der Tafel nur wenig fehle. 5 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 3 Anm. 1: „A being the column that we believe was inscribed first“. Diese Vermutung wird aber nirgendwo näher ausgeführt. Eine umgekehrte Reihenfolge vertreten Dimartino 2006, 345 und Grotta 2010, 190 aufgrund ihrer Interpretation (hierzu unten). 6 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 4 sind der Ansicht, dass die Hilfslinien eingeritzt worden sein müssen, bevor die Tafel befestigt wurde, da die Linien bis unter die Bronzestange reichen. Letzteres ist anhand der Abbildungen weder zu bestätigen noch zu widerlegen. Der mittlere Bereich der Tafel unter der Bronzestange weist jedenfalls keine Linien auf. Ferner ist der Beginn von Spalte B liniert, während der unmittelbar benachbarte Bereich in Spalte A keine Linien mehr aufweist. Folglich sind die Linien nicht in einem gleichzeitigen Arbeitsschritt über die ganze Tafel hinweg vorgerissen worden und könnten demnach auch nach der Fixierung der tabula in dieselbe gearbeitet worden sein.

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2 Die lex sacra von Selinunt

früheren Inschrift durch. 7 Schräg verlaufende Buchstaben im leeren Raum unter Spalte B gehören dagegen wahrscheinlich in eine spätere Zeit. 8 Bei den verschiedentlich im beschrifteten Teil durchschimmernden Lettern handelt es sich wiederum um Versehen, die unmittelbar verbessert wurden, indem man die Korrektur einfach darüber- (A3, A13, A21), in einem Falle sogar boustrophedon darunterschrieb (B3). Äußerst ungewöhnlich und im Vergleich mit den übrigen bislang bekannten leges sacrae 9 sogar einzigartig ist die Textanordnung: Die beiden Spalten sind zueinander seitenverkehrt in die Fläche gearbeitet, das heißt: Liest man eine Spalte, steht der Text der anderen auf dem Kopf. Verschiedene Erklärungen sind von der Forschung formuliert worden. Einerseits wurde gemutmaßt, dass wie bei Fluchtäfelchen eine Verbindung zwischen Textinhalt und ‑darstellung vorliegen könnte. So hat man vorgeschlagen, dass die Anordnung den gegensätzlichen Zustand von ‚befleckt‘ und ‚rein‘ symbolisieren könnte. 10 Andererseits wurde in der Erstveröffentlichung der Tafel zu bedenken gegeben, dass vielleicht schon zum Zeitpunkt der Beschriftung links und rechts der Rand der Tafel sich in einem unregelmäßigen, schlechten Zustand befunden haben könnte und dass man durch die seitenverkehrte, linksbündige Beschriftung Platz gespart habe, da man die Bleitafel nach rechts von Zeile zu Zeile jeweils soweit wie möglich nutzen konnte (was man in einigen Zeilen aber deutlich sichtbar nicht getan hat!). 11 Wieder andere Forscher haben die Meinung geäußert, dass die tabula in der Mitte um eine Holzplanke herum gefaltet war und dass man diese Planke wie kyrbeis/axones horizontal über eine Mittelachse kippen konnte, um so beide Seiten lesen zu können. 12 Während die erste Vermutung eine inhaltliche Zusammengehörigkeit der beiden Textspalten erfordert, die, wie unten gezeigt werden wird, abzulehnen ist, müsste die tabula, wenn sie um eine Holzfläche herum gefaltet worden wäre, eine entsprechende Knickfalte in der Mitte besitzen, 13 von 7 Es sind nur noch vereinzelte Buchstaben lesbar; vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 9. 8 Siehe Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 3 Anm. 2, die von „graffiti“ sprechen und zu Recht da­ rauf hinweisen, dass diese Zeichen schräg zu den Hilfslinien verlaufen und somit wahrscheinlich nach dem Einritzen derselben auf die Tafel geschrieben wurden. Sicher zu entziffern sind nur noch einzelne Buchstaben, keine Wörter; vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 3 Anm. 2. 9 Siehe zur Gattung der so genannten leges sacrae Parker 2004, 57‒70; zur Entstehung ferner Gagarin 2011, 101‒111. 10 So Curti/van Bremen 1999, 23. Einen „carattere simbolico“ wollte schon Moscati Castelnuovo 1996, 218 nicht ausschließen. 11 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 3f.; erwogen auch von Lupu 2005, 361; dagegen sind sich Curti/van Bremen 1999, 22 sicher, dass der Rand der Tafel ursprünglich rundherum gerade und gleichmäßig war. 12 Vertreten von Nenci 1994, 459‒466; Manganaro 1997, 562; Dubois 1999, 332; Prosdocimi 1999, 470‒474; Rausch 2000a, 40; Dubois 2003, 109; Antonetti in Antonetti/de Vido 2006, 432; Vonderstein 2006, 209; Grotta 2010, 189; Salvo 2012a, 858; zumindest als Möglichkeiten erwogen bei Curti/van Bremen 1999, 23. – Vielleicht vermutet auch Johnston 1999, 47 eine derartige Aufstellung der Inschrift, wenn sie, an und für sich unpassend und ohne dies zu begründen, von „Side A“ und „Side B“ spricht. – Zuletzt hat sich zum Aussehen der kyrbeis/axones Davis 2011, 1‒35 geäußert, ohne unsere Inschrift in seiner Diskussion und Aufstellung an Belegen zu berücksichtigen. 13 So völlig zu Recht bereits D. R. Jordan ad SEG 44, Nr. 783.

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2.1 Beschreibung und Herkunft der Inschrift

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der aber nichts zu erkennen ist. Der Grund für die Seitenverkehrtheit des Textes ist somit nach wie vor offen. So oder so muss die Bleiplatte aber entweder auf einer waagerechten Fläche, wie einem Tisch, angebracht gewesen sein und man ging um den Tisch herum bzw. drehte ihn, um den Text zu lesen, 14 oder die Inschrift war an einer senkrechten, drehbaren Fläche befestigt. 15 Letzteres ist wohl die wahrscheinlichere Alternative. Angemerkt sei ferner, dass es sich bis dato um die längste erhaltene Inschrift auf Blei überhaupt handelt. 16 Üblicherweise wurden derartige Texte auf Bronze oder in Stein publiziert. 17 Die Tafel gelangte 1981 ohne weitere Detailinformationen zu Fundort und -zeitpunkt als Geschenk ins John Paul Getty Museum in Malibu/Kalifornien. 18 Somit handelt es sich ohne Zweifel um den Fund einer Raubgrabung. Über den Antiquitätenhandel wird das Denkmal nach Amerika gelangt sein. Interessanterweise wurde die tabula auf einer Holzfläche montiert dem Museum überlassen. Folglich haben die Raubgräber oder der spätere, anonym gebliebene Besitzer sich bereits Gedanken darüber gemacht, wie die Stange und die Tafel zusammengehören. Der eigentliche Fundort des Denkmals ist unbekannt, kann aber aufgrund indirekter Anhaltspunkte erschlossen werden. Drei Hinweise führen nach Selinunt: Zum einen der dorische Dialekt des Textes, zum zweiten einige der erwähnten Personen und Gottheiten, auf die noch einzugehen sein wird, sowie drittens paläographische Besonderheiten. Bei letzteren handelt es sich um das schlagende Argument: So ist der äußerst ungewöhnlich ausgeführte Buchstabe ‚Beta‘ (A14, B10; vgl. A3 und A24) in dieser Form bisher nur in den Inschriften Selinunts nachgewiesen. 19 Die in der Forschung unumstrittene Verortung der Inschrift nach Selinunt 20 liefert uns auch einen terminus ante quem für die Datierung. Da Selinunt im Jahre 409 v.Chr. in den Einflussbereich Karthagos geriet und sich diesem hernach nur noch für kurze Perioden bis zur Übernahme Siziliens durch die Römer entziehen konnte, muss die Inschrift vor dem Jahre 409 erstellt worden sein. Der paläographische Vergleich mit den

14 Vorgeschlagen von Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 4; Dubois 1995b, 127; North 1996, 294; Clinton 1996, 162. Der bei Curti/van Bremen 1999 und Robertson 2010, 33 erhobene Einwand, dass eine derartige Anbringung beispiellos sei, ist angesichts der Einzigartigkeit der Ausrichtung der Inschriftspalten irrelevant. 15 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 4. – Abwegig ist Robertsons 2010, 34 Ansicht, wonach die Tafel nicht drehbar gewesen, sondern je nach Jahreszeit immer wieder neu von einer festen vertikalen Oberfläche abgenommen, gedreht und hernach erneut fixiert worden sei; vgl. Salvo 2012a, 858. 16 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, ix. 17 Robertson 2010, 32 Anm. 9 macht auf SEG 32, Nr. 359 aufmerksam, eine Bleitafel mit Opferanweisungen aus Korinth, welche auf ca. 600 v.Chr. datiert wird. 18 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, vii. 19 Siehe hierzu und zu den weiteren paläographischen Eigenarten der Inschrift: Jameson/Jordan/ Kotansky 1993, 5, 7, 46f. 20 Die Identifizierung des ursprünglichen Herkunftsortes und die Bedeutung der Inschrift haben das John Paul Getty Museum veranlasst, das Denkmal 1992 wieder an Italien zurückzugeben. Inzwischen ist es nahe beim antiken Selinus, in Castelvetrano (Museo Civico), ausgestellt.

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weiteren Inschriften aus Selinunt führt nach den Erstherausgebern zu einer Datierung in das 2. Viertel des 5. Jh.s. v.Chr., 21 worin man ihnen zumeist folgt. 22

2.2 Struktur des Textes Die Deutung des Textes muss von den in vielerlei Hinsicht nach wie vor plausiblen Vorschlägen ausgehen, die M. H. Jameson, D. R. Jordan und R. D. Kotansky in ihrer umfangreichen und zu Recht gelobten Untersuchung durchgängig mit Vorsicht und der notwendigen Skepsis zur Diskussion gestellt haben. Vorneweg ist allerdings die Struktur der Inschrift zu klären, zumal diese auch über das Verhältnis der beiden Textspalten zueinander entscheidet. Die Erstherausgeber hielten beide Teile für unterschiedliche Rituale, die aufgrund ihres Inhalts miteinander verbunden sind. Letzteres ist noch zu diskutieren. Formal gesehen sprechen aber verschiedene Details gegen eine allzu enge Verknüpfung von Spalte A und B. Als erstes ist hierbei die schon in der Erstveröffentlichung angesprochene Beobachtung zu nennen, 23 dass der obere Bereich von Spalte A (A1‒3), der auf die vorgebliche Rasur folgende Teil (A7‒24) und Spalte B jeweils von unterschiedlichen Händen geschrieben wurden. 24 Allein in A7‒24 wurden Satzzeichen gesetzt (welche keineswegs durchgängig Sinn ergeben). 25 Ferner erscheint der Buchstabe ‚Koppa‘ ebenfalls ausschließlich in diesem Bereich von Spalte A. Hieraus ist sicherlich zu schließen, dass die drei Teile der Inschrift nicht nur von unterschiedlichen Personen, sondern auch zu unterschiedlichen Zeiten geschrieben wurden. Dies schließt natürlich nicht vollends aus, dass diese Stücke inhaltlich direkt aufeinander bezogen sind, macht es aber doch wenig wahrscheinlich. Zwar hat man argumentiert, dass die Verbindung zwischen A3 und A7 eradiert worden sei, 26 doch erklärt sich hierdurch nicht die unterschiedliche Handschrift

21 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 47f. 22 Allgemein in die 1. Hälfte des 5. Jh.s datieren Dubois 1995b, 129 (das gesamte 5. Jh. bei Dubois 1995a, 556!), Graham 1995, 367, Giuliani 1998, 67, Lazzarini 1998, 315, Dubois 1999, 331 bzw. Dubois 2003, 105 und Salvo 2012b, 125 Anm. 1. Nach Cordano 1996, 137 bzw. Cordano in Cordano/ Arena 1997, 424 kommt in paläographischer Hinsicht die gesamte Zeitspanne vom Ende des 6. bis zur Mitte des 5. Jh.s in Betracht; ähnlich Cusumano 1999, 778 Anm. 204; siehe ferner Rausch 2000a, 40, der zum 3. Viertel des 5. Jh.s tendiert, dabei aber annimmt, der editio princeps zu folgen. 23 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 4f. 24 Robertson 2010, 21, 26, 30 meint, in den wenigen erhaltenen Buchstaben von A24 die Handschrift von A1‒3 identifizieren zu können. Ebenso denkt er, dass B9‒13 von anderer Hand seien als B1‒8. Beides ist abzulehnen. In Spalte B werden die Buchstaben offensichtlich immer größer, weil der Schreiber realisierte, dass er über genügend Raum verfügte. 25 Hierzu Carbon 2012, 320. 26 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 4. Den eradierten Bereich halten sie für von demselben Schreiber verfasst wie A7‒24. Eine Zusammengehörigkeit von A1‒3 und A7‒24 vertreten auch Jordan 1996, 326; North 1996, 295; Johnston 1999, 49f.; Rausch 2000a, 45; Cusumano 2006, 178; Dimartino 2006, 310, 333; Vonderstein 2006, 210f. Anm. 1603; Robertson 2010, 20f., passim.

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2.2 Struktur des Textes

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in den beiden Abschnitten. 27 Ferner hat K. Clinton zu Recht darauf hingewiesen, dass der Wortlaut von A7 sprachlich keinerlei vorangehenden fehlenden Text erfordert. 28 Ein Blick auf die Detailaufnahme von A4‒6 (Tafel 4) zeigt zudem deutlich, dass gar keine Rasur vorliegt, jedenfalls keine der noch sichtbaren Inschrift. Weder sind die Hilfslinien an irgendeiner Stelle durch das Löschen von Buchstaben verletzt worden, 29 noch liegt der vorgeblich eradierte Bereich tiefer als der Rest der Tafel. Zwangsläufige Folge ist, dass zumindest das uns erhaltene Stück vollständig gelöscht wurde. Erst danach wurden die Hilfslinien und hierauf die Inschrift selbst zu verschiedenen Zeitpunkten ins Blei geritzt. Somit gehören die in A4‒6 noch vereinzelt sichtbaren Buchstaben zu einer früheren Beschriftung 30 und nicht zu der Inschrift, wie sie uns vorliegt, weshalb man nicht von einer Rasur, sondern besser von einer sekundären Verwendung der gesamten Tafel reden sollte. Ebenso unabweisbar ist der Schluss, dass es sich bei A4‒6 um einen bewusst eingefügten Abstand handelt, der zweifellos auch eine inhaltliche Bedeutung hat. Eine weitere Folge ist, dass die unter A24 sichtbare Lücke nicht das Ende der Tafel anzeigen muss. 31 Hier könnte erneut eine Grenze zu einem weiteren folgenden Ritual vorliegen. Der große freigelassene Raum unter Spalte B könnte dagegen derart zu deuten sein, dass die Liste der verzeichneten Riten hier ihr (vorläufiges?) Ende gefunden hat. 32 Hieraus ist allerdings keineswegs abzuleiten, dass auch über A1 ursprünglich nichts oder nur wenig an Text verzeichnet gewesen ist. Sollte A zuerst geschrieben worden und die Tafel vormals höher gewesen sein, dann hat das Ende von B keinerlei Bedeutung für den Anfang von A, zumal es der verschiedenen Handschriften wegen so scheint, als habe man die Tafel erst nach und nach beschriftet. Festzuhalten ist somit, dass uns insgesamt drei verschiedene Rituale von einer vielleicht vormals deutlich größeren Anzahl an Anweisungen vorliegen. 33 Während in 27 Mit diesem Punkt setzt sich weder die editio princeps noch die folgende Forschung angemessen auseinander. Abwegig ist die Ansicht von Robertson 2010, 21, 38, die zuerst als Vermutung, dann als Tatsache formuliert wird, dass A1‒6 komplett eradiert wurden, um den vormaligen Text zu kürzen. Erstens gibt es für eine Kürzung keinen Hinweis und zweitens hätte man einen gekürzten Text doch dem folgenden direkt vorangestellt, wenn dieser inhaltlich zugehörig gewesen wäre, statt drei Zeilen frei zu lassen. 28 Clinton 1996, 160f. 29 Im Übrigen ergibt es keinen Sinn, die Linien bei einer Rasur des Textes stehen zu lassen. 30 Hierfür spricht auch die Beobachtung von Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 4f., dass diese Buchstaben kleiner ausgeführt zu sein scheinen als diejenigen in A1‒3 und A7‒24. Sie selbst geben aber zu bedenken, dass dies der Rasur geschuldet sein könnte: „the appearance of smallness may be only a result of the erasure, which seems to have been made by smoothing the letters down into the lead“. 31 So aber neben der editio princeps auch Curti/van Bremen 1999, 22. 32 Da hier keine Reste einer früheren Inschrift erkennbar sind, könnte dieser Teil schon zum Zeitpunkt der Erstbeschriftung frei gewesen sein. 33 So ebenfalls Clinton 1996, 162, der darüber hinaus eine chronologische Sortierung vermutet: „So we may suggest, if only tentatively, that rituals in this document were arranged chronologically – perhaps, first, annual rituals, then biennial, triennial, and quadrennial, and finally rituals not carried out at set times.“ Clinton verweist als Parallele auf LSSupp. 10. Ferner möchte Clinton nicht ausschließen, dass sich das Dokument ursprünglich über mehrere Tafeln hinweg erstreckte;

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A7‒24 Teile sowohl des Anfanges wie auch des Endes einer Opferprozedur erhalten sind, besitzen wir in A1‒3 und B1‒13 jeweils nur das Ende von zwei weiteren rituellen Beschreibungen. Diese Schlussfolgerung widerlegt bereits einige allzu weitgehende Deutungen der Tafel, die von einer Gesamtkonzeption der lesbaren Abschnitte ausgehen, wie die eingangs erwähnte Annahme von N. Robertson, 34 dass der titulus als eine chronologisch sortierte Liste von Opfern für die göttlichen Mächte der Natur aufzufassen sei und dass Spalte A die Rituale für die erste Jahreshälfte, Spalte B diejenigen für die zweite Jahreshälfte verzeichne. Auch die These von A. Dimartino, 35 dass ein Individuum sich und seine Umgebung durch einen Mord befleckt habe und dass Spalte B die Reinigung des Individuums, Spalte A diejenige des oikos der Person beschreibe, kann folglich nicht überzeugen. 36

2.3 Text und Übersetzung Text 37 Spalte A

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[-ca.8-]+AN[-ca.4-]Ạ[---] [-ca. 6-] ΔEMA[-1-2-]+[-1-2-]TEHA+ATΔPA[.]KA+[---] [-ca. 4-] +[.]καταλ[ε]ί̣ποντας, κατ̣hαιγίζε̣ν δὲ τὸς hομοσεπύος vacat vacat vacat τν hιαρν hα θυσία πρὸ Ϙοτυτίον καὶ τᾶς ἐχεχερίας πένπ̣[τοι] ϝέτει hιπερ hόκα hα Ὀλυνπιὰς ποτείε. τι Διὶ: τι Εὐμενεῖ θύ[ε]ν̣ [καὶ] ταῖς: Εὐμενίδεσι: τέλεον, καὶ τι Διὶ: τι Μιλιχίοι τι: ἐν Μύσϙο: τέλεον: τοῖς Τριτοπατρεῦσι· τοῖς· μιαροῖς hόσπερ τοῖς hερόεσι, ϝοῖνον hυπολhείψας· δι’ ὀρόφο· καὶ τᾶν μοιρᾶν· τᾶν ἐνάταν· κατακαίεν· μίαν. θυόντο θῦμα: καὶ καταγιζόντο hοῖς hοσία· καὶ περιράναντες καταλινάντο: κἔπειτα: τοῖς κθαροῖς: τέλεον θυόντο: μελίκρατα hυπο-

34 35 36 37

ihm folgt Lupu 2005, 366. Von einem „calendar“ spricht auch Scullion 1998, 117. Dass ursprünglich weitere Ritual aufgelistet waren, erwägen ferner Curti/van Bremen 1999, 22f., 32f., die eine kalenderartige Auflistung aber eher skeptisch betrachten. Diejenigen Forscher, die eine inhaltliche Zusammengehörigkeit der beiden Spalten vertreten, gehen notwendigerweise davon aus, dass der Text so gut wie vollständig ist; vgl. Dimartino 2006, 308; Grotta 2010, 189; Robertson 2010, 32. Robertson 2010. Methodisch bedenklich ist ferner die bei ihm zu beobachtende Vorgehensweise, auf reine Hypothesen sogleich weitere Vermutungen aufzubauen. Dimartino 2006, 305‒347, bes. 345f.; bekräftigt von Grotta 2010, 190. Abgelehnt auch von Salvo 2012b, 129. Der griechische Text folgt der editio princeps, genauer gesagt, der Transkription auf S. 14‒16, die sich in Details von dem „Diplomatic Transcript“ auf S. 8‒13 und den Zeichnungen (zwischen S. 18 und 19) in der genannten Ausgabe (hier wieder abgedruckt als Tafel 2 und Tafel 3) unterscheidet; siehe auch Graham 1995, 367.

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2.3 Text und Übersetzung

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λείβον· καὶ τράπεζαν καὶ κλίναν κἐνβαλέτ̣ο καθαρὸν hμα καὶ στεφάνος ἐλαίας καὶ μελίκρατα ἐν καιναῖς ποτερίδε̣[σ]ι καὶ: πλάσματα καὶ κρᾶ. κἀπαρξάμενοι{ι} κατακαάντο καὶ καταλινάντο τ̣ὰς ποτερίδας ἐνθέντες .̣ θυόντ̣ο hόσπερ τοῖς θεοῖς τὰ πατρια: `τ´ι ἐν Εὐθυδάμο: Μιλιχίοι: κριὸν θ̣[υ]όντο. ἔστο δὲ καὶ θῦμα πεδὰ ϝέτος θύεν. τὰ δὲ hιαρὰ τὰ δαμόσια ἐξhιρέτο καὶ  τρά[πεζα]ν: προθέμεν καὶ ϙολέαν καὶ τἀπὸ τᾶς τραπέζας: ἀπάργματα καὶ τὀστέα κα[τα]κᾶαι· τὰ κρᾶ μἐχφερέτο. καλέτο [h]όντινα λι. ἔστο δὲ καὶ πεδὰ ϝ̣έτ[ος ϝ]ca.3 ca.3 ca.1-2 οίϙοι θύεν: σφαζόντο δὲ: ΚΑΟM . ṬΕΟ[- -]Ο ἀγαλμάτον[- -]Δ̣ ΕΣ+[- -]+ [---] Ο θῦμα hότι κα προχορι τὰ πατρ[ια.]+ΕΞΑΙ+[---] Ṭ[-ca.3-4-]+ITOIAΠTOXOI τρίτοι ϝέτ̣[ει] Ẹ[---] [-ca.10-]+YΣYN++[---] vacat -----1 ΘAN oder OAN JJK (möglicherweise aber auch ΔAN oder ΦAN?); [-10-] AN Robertson 2010, der eine komplette, aber kaum haltbare Ergänzung als Beispiel anbietet. – 2 ΔEMA[.]Ạ [.]TEHẠ Λ̣ TẸ PA[.]KAỊỌ JJK: „δέ μᾶ[ζ]α[ν] τε hάλα τε gives ingredients of a meal such as might be left behind […] but the letters beginning with PA are unexplained and the lex sacra does not elsewhere use τε for a series of objects or actions. Reading O after the H, we get hολατερ α[.]και. = hο ἀλάτηρ […]. Derivation from ἀλάομαι, ‚wander‘, is conceivable […] Nothing else in the text, however, suggests the participation of a priest“; [ἐξελν] δὲ μᾶ[ζ]α[ν] τε hάλα τε {κα} κἀπ[άρχεσθαι τότον] Robertson 2010. – 3 Ḅ [.]καταλ[ε]ί π̣ οντας JJK: „a complete B or the righthand part of a M“; μ̣ [.] καταλ[h]ί π̣ οντας Robertson 2010: „The aorist is better, the more so if the different tenses in lines 10 and 14 convey different meanings, as we might expect“. – 4‒6 Als rasura angesehen von JJK und Robertson 2010. JJK lesen hier folgende Buchstabenreste: [---] HỊ+[-ca.2-]TAΣ[---] / K[-ca. 13-]X[---] / A[-ca. 3-]+++H[-7-8-]X [---] und bemerken: „The few letters read seem to be from an earlier inscription, for the lead has been smoothed as if in erasure. The letters appear to be smaller than those of 1–3 and 7ff.“ In ihrer Übersetzung bemerken JJK, dass in Z. 4 hiarà zu lesen sei. – 8 εὐμενι θύ[ε]ν̣ καὶ] Robertson 2010 (zweifellos versehentlich). – 11/12 ψας· JJK: „A single dot to the right [left! K.M.] of the Δ, but a second dot may have been lost in the crack below“. Robertson 2010: „The feminine endings up to mian will be genitive plural, as argued by JJK 15, 31, though Parker […] registers some doubt“. – 13 ναντες JJK: „traces of an earlier N beneath this [second] N“; καθαροῖς Robertson 2010 (versehentlich?). – 14 καὶ τράπεζαν Dubois 1995b; Dubois 1999; Dubois 2003; Dubois 2008. – 15 κρᾶ· Robertson 2010; ohne Satzzeichen JJK, Dubois 1995b, Clinton 1996, Dubois 1999; Dubois 2003; Dubois 2008. – 16 Am Ende von αρξάμενοι zwei I dicht nebeneinander. – 17 `τ´ι antike Korrektur von ει zu τι. – 18 ἐξhιρέτο καὶ JJK: „OK written twice, each over another“; ἐξιρέτο· καὶ Robertson 2010: „ἐξhιρέτο is clear but somehow misspelt. It is similar to μ̣ ἐξαιρ̣[ in line 22 […]; they are likely to be the same. […] The verb in both places is ἐξαιρήτω < ἐξαιρέω“. – 19 προθέμεν· Robertson 2010 (zweifellos irrig). – 20 κᾶαι·

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JJK: „the single point may be accidental“. Nach JJK sind ο in καλέτο, τ in [h]όντινα und λ in λι jeweils doppelt übereinander geschrieben, was am Photo allerdings nicht zu verifizieren ist. – 21 οίϙοι JJK: „I, seen before restoration of the tablet, is no longer visible“. ΚΑΟṂṬΕΟ JJK: „yields no sense. Corrections or a second writing over a first draft, […], and insertions of letters have produced confusion. With no great confidence we suggest the following sequence: […] σφαζόντο δὲ καὶ β[ν πρ]ὸ ἀγαλμάτον“; es folgen Dubois 1995a; Lupu 2005; Dubois 2008. ἀγαλμάτον JJK: „first the writer wrote AΓAΛMTN[, omitting the second A and the O of AΓAΛMATON. He corrected by writing A over the T, a new T, and then O over the N.“ Δ̣ ΕΣ[-ca.1-2-].[---] JJK: „possibly an upright stroke after the sigma. […] after a gap with space for one or two letters, the upper half of a stroke slanting to the right“. οίϙοι θύεν: σφαζόντο δὲ: κἂντερ̣[α πρ]ὸ ἀγαλμάτον [ἐκλ]ο̣ έσ[αντες καάντο. ἔστ]/ο Robertson 2010. – 22 πατρ[ια.].ΕΞΑΙ. [-ca.24-] JJK: „After the sentence ending with πατρ[ια, ist seems likely that there is some form of the verb ἐξαιρεῖσθαι, perhaps μ]ὲ ἐξαιρ[το, a restriction on the use of the δαμόσια hιαρά“. προχορεῖ τὰ πατρ[ια.] μ̣ ἐξαιρ̣[έτο τὰ hιαρὰ τὰ δαμόσια. καὶ δό]/τ̣[ο Robertson 2010. – 23 Hier nach JJK, welche im Unterschied zu ihrer Transkription am Ende FET[E]I[---] lesen wollen. JJK bieten für den Beginn zwei mögliche Emendationen: 1. [ἔσ]/τ[ο τ]ρίτοια πτοχι „(τρίτοια for τρίττοια, a sacrifice with three components, with the usual haplography of double consonants seen in this text). But to whom or what πτοχι refers remains mysterious: a laconic way of providing an alternative to the expensive bos we have suggested for line 21?“ sowie 2. „τ[ι] Δ̣ ὶ τι Ἀπτόχοι, ‚to Zeus the ‚Un-poor‘‘, a new but not unreasonable epithet for Zeus […]. But an isolated sequence of words is not a favorable context for the introduction of a new epithet of Zeus“. δό]/τ̣[ο τ]ρ̣ίτοια πτοχι τρίτοι ϝέτ[ει. vacat] Robertson 2010. Zu bedenken ist hierbei, dass in der Lücke zu Anfang der Zeile eher drei bis vier als zwei Buchstaben zu ergänzen sind. – 24 Noch zu erkennen sind +YΣYN++, wobei die letzten beiden Buchstabenreste zu IA oder B zu ergänzen sind. [-ca.7-8-]Ẹ YΣYNḄ [---] JJK: „ε]ὐσύνβ[ολος or -[λητος ‚easy to divine or understand,‘ ‚auspicious‘?“. [ἔστο δὲ ε]ὐ̣ σ ύνβ̣[ολα τὰ hιαρά. vacat] Robertson 2010. Spalte B

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-----[-2-3-]++ἄν̣ θ̣ρ̣ο̣π̣ο̣ς [-6-7-]++τ̣+[.(?)ἐλ]αστ̣έ ̣ρο̣ ν ἀπ̣ οκα[θαίρεσθ][αι]. προειπὸν hόπο κα λι ̣ κ̣ αὶ τ ϝέ̣[τ]ε̣ος hόπο κα λι καὶ [τ μενὸς] hοπείο κα λι καὶ ἀμέραι hοπείαι κα λι, π{ο}ροειπὸν hόπυι κα λι,  καθαιρέσθο̣. [-3-4-? hυ]ποδεκόμενος ἀπονίψασθαι δότο κἀκρατίξασθαι καὶ hάλα τι αὐ[τι] [κ]αὶ θύσας τι Δὶ χοῖρον ἐξ αὐτ ἴτο καὶ περιστ{ι}ραφέσθο καὶ ποταγορέσθο καὶ σῖτον hαιρέσθο καὶ καθευδέτο hόπε κ̣ α λι. αἴ τίς κα λι ξενικὸν ἒ πατριον ἒ ’πακουστὸν ἒ ’φορατὸν ἒ καὶ χὄντινα καθαίρεσθαι, τὸν αὐτὸν τρόπον̣ κ̣αθαιρέσθο hόνπερ hοὐτορέκτας ἐπεί κ’ ἐλαστέρο ἀποκαθάρεται.

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2.3 Text und Übersetzung

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hιαρεῖον τέλεον ἐπὶ τι βομι τι δαμοσίοι θύσας καθαρὸς ἔστο. διορίξας hαλὶ καὶ χρυσι ἀπορανάμενος ἀπίτο. hόκα τι ἐλαστέροι χρέζει θύεν, θύεν hόσπερ τοῖς ἀθανάτοισι. σφαζέτο δ’ ἐς γᾶν. vacat 1 [αἴ] κ’ ἄνθροπος [αὐτορέκ]τα[ς ἐλ]αστέρον ἀποκα[θαίρεσθαι / λι] JJK (im Kommentar); Burkert 2000: „I would favour αἴ κ’ ἄνθροπος ἀνθρόπο ἐλάστερον …“; [αἴ] κ̣’ ἄ̣ν̣θροπ[ο]ς [αὐτορέκ]τ̣α̣[ς ἐλ]άστερον ἀποκα[θαίρεσθαι / λι] Robertson 2010. – 2 προειπὸν JJK: „P was omitted and then added below the other letters between Π and O“. προειπὸν hόπο κα λι JJK: „NHOΠOK are written over HOΠEKAΛEI“. – 3 JJK: „HOΠEIAIKAΛIΠOPOEIΠONHOΠ are written over KAΛEIKAIHOΠEIAIKAΛEI. […] after ΠONHOΠ the scribe has doubled back and written Y[I]KAΛEI in smaller letters backwards and beneath ΠONHOΠ“.; ἀμέραι Robertson 2010. [καὶ hο δὲ hυ]/ποδεκόμενος Clinton 1996; καθαιρέσθο. [hο hυ]/ ποδεκόμενος Dubois 2003; Dubois 2008; καθαιρέσθο̣. [καὶ hυ]/ποδεκόμενος Ro­ bertson 2010. – 4 ἀπονίψασθαι JJK: „Π written over traces of an earlier letter“. Das erste Kappa in κἀκρατίξασθαι war nach JJK zuerst als Rho ausgeführt – auf dem Photo nicht zu verifizieren. τι αὐ[τορέκται] Clinton 1996; τι αὐ[τορ(ρ)έκ/τ]αι Dubois 2003; Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, Dubois 2008. – 7 πατριον JJK: „T omitted and then inserted“. – 9 ἐλαστέρο JJK: „Λ was first omitted and then ΛA written over A“. hοὐτορέκτας. Burkert 2000; Robertson 2010. – 10 βομι JJK: „B at first omitted and then written over O“; δαμασίοι JJK, Grotta 2010 und Robertson 2010 (sicher versehentlich). – 11 hαλὶ JJK: „ΛI at first written joined, i. e., as N, then written over the N as ΛI“. χρυσι JJK: „Π [gemeint ist P!] first omitted and then written over Y“. διορίξας, hαλὶ Dubois 1995a; Dubois 1995b; Dubois 1999; Dubois 2003; Dubois 2008. – 13 ἐς JJK: „Σ written over a vertical“. Übersetzung Spalte A: ------ die zurücklassenden (?), dass aber die Mitglieder des Haushalts weihen. [Lücke] Das Darbringen der Opfer vor (den) Kotytia und dem Waffenstillstand im fünften Jahr, in welchem die Olympiade hinzutritt. Dem Zeus Eumenes [und] den Eumenides opfere ein ausgewachsenes (Schaf?/Rind?) und dem Zeus Milichios im (Heroon?) des Myskos ein ausgewachsenes (Schaf?/Rind?), den befleckten Tritopatreis (ein Opfer) wie den Heroen, nach dem Gießen von Wein durch ein Dach, und von den neunten Teilen (des Opfers) verbrenne eines. Die, denen es durch göttliches Recht gestattet ist, sollen ein Opfer darbringen und weihen, und nachdem sie ringsum benetzt haben, sollen sie salben, und dann sollen sie ein ausgewachsenes (Schaf?/Rind?) für die reinen (Tritopatreis) opfern. Einer, der melikrata (= mit Honig gemischte Libationen) ausgießt, soll sowohl einen Tisch als auch eine Kline

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(aufstellen) und darauflegen ein sauberes Gewand und Olivenkränze und melikrata in neuen Bechern und plasmata und Fleisch. Und nachdem sie das Erstlingsopfer dargebracht haben, sollen sie verbrennen, und sie sollen salben, nachdem sie die Becher hinein (in ihren Aufbewahrungsort) gestellt haben. Wie den Göttern sollen sie opfern die althergebrachten (Opfer). Dem (Zeus) Milichios sollen sie im (Heroon?) des Euthydamos einen Schafbock opfern. Es soll (möglich) sein, auch ein Opfer nach einem Jahr darzubringen. Er soll die öffentlichen hiara (heiligen Dinge? Opfer?) herausnehmen und einen Tisch davorstellen (vor die hiara? den Schrein? den Altar?) und eine Keule und die Erstlingsopfer vom Tisch und die Knochen verbrennen. Er darf das Fleisch nicht hinaustragen (aus dem Heiligtum). Er soll einladen, wen auch immer er wünscht. Es soll (möglich) sein, auch nach einem Jahr zu Hause zu opfern. Sie sollen aber schlachten [---] Statuen [---] welches Opfer auch immer von statten geht von den althergebrachten (Opfern) [---] im dritten Jahr [---]. -----Spalte B: -----[---] Mensch/Menschen [---] von Elasteroi gereinigt/befreit zu werden. Nachdem er laut verkündet hat, wo immer er wünscht und wann immer im Jahr er wünscht und in welchem [Monat] er auch immer wünscht und an welchem Tag er auch immer wünscht, nachdem er laut verkündet hat, wohin (in welche Richtung) er auch immer wünscht, soll er sich reinigen. [Und?] (den Elasteros?/den Befleckten?) gastlich aufnehmend soll er demselben (Wasser) geben, um sich zu waschen, und zu essen und Salz, und nachdem er dem Zeus ein Ferkel geopfert hat, soll er von dort heraus gehen und sich umdrehen und er soll angesprochen werden und sich Nahrung nehmen und schlafen, wo auch immer er wünscht. Wenn jemand wünscht, dass einer, der fremd (ein Gast?) ist, oder einer, der ein Vorfahr ist, oder einer, der gehört wird, oder einer, der gesehen wird, oder dass welcher auch immer gereinigt wird, soll er sich auf dieselbe Weise reinigen, welche der Mörder (anwendet), wenn er sich von einem Elasteros reinigt/befreit. Nachdem er ein ausgewachsenes Opfertier auf dem öffentlichen Altar geopfert hat, soll er rein sein. Nachdem er mit Salz eine Grenze gezogen hat und aus einem goldenen (Gefäß ringsum) benetzt hat, soll er weggehen. Wann immer es notwendig ist, dem Elasteros zu opfern, opfer wie den Unsterblichen. Er soll aber (so) schlachten (, dass das Blut) in die Erde hinein (fließt).

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2.4 Deutung des Textes

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2.4 Deutung des Textes Im Folgenden werden die einzelnen Passagen der Inschrift der Reihe nacheinander besprochen, wobei die Einteilung in Sinnabschnitte an sich schon umstritten ist. An dieser Stelle kann selbstverständlich keine ähnlich eingehende Auseinandersetzung mit der Inschrift erfolgen, wie sie von M. H. Jameson, D. R. Jordan und R. D. Kotansky in monographischer Form vorgenommen wurde. 38 Insbesondere für die Diskussion der weiteren Belege zu den in der Inschrift genannten Namen von Gottheiten, Personen oder griechischen Begriffen ist ihre wertvolle Abhandlung durchgängig zu vergleichen. 2.4.1 Spalte A Zu Beginn von Spalte A sind nur noch Buchstabenreste zu sehen, deren Vervollständigung Spekulation bleibt. 39 In A3 ist erkennbar, dass gewisse homosepuoi etwas weihen, also Personen, die das Essen teilen, und insofern wohl Mitglieder desselben oikos. 40 Worum es im Detail geht, bleibt uns verschlossen. Mit dem ab A7 folgenden Ritual besteht aus den oben genannten Gründen jedenfalls kein weitergehender inhaltlicher Zusammenhang. Hinzuweisen ist aber immerhin auf den interessanten Umstand, dass auch im folgenden Abschnitt (A21) Opfer im privaten Bereich beschrieben sein könnten, wobei der dort erwähnte oikos aber unterschiedlich gedeutet wird (siehe unten). Nach der erwähnten Lücke von drei Zeilen beginnt ein neues, umfangreiches Ritual. M. H. Jameson, D. R. Jordan und R. D. Kotansky gehen davon aus, dass der Text in A7 mitten im Satz beginnt, was, wie erwähnt, sprachlich nicht notwendig und formal gesehen auch auszuschließen ist. Was den folgenden Text angeht, folgen wir der Einteilung in Sinnabschnitte von K. Clinton. Dieser konnte schlüssig aufzeigen, dass „each set of prescriptions in the entire section A. 7–23 begins with the name of a deity preceded by asyndeton.“ 41 Die in A7 erwähnten hiara begegnen weiter unten (A18) noch einmal, werden dort aber als damosia spezifiziert. Hier in A7 müssen mit hiara alle darauffolgenden Opfer gemeint sein, 42 die zu einer bestimmten Zeit stattzufinden hatten, nämlich vor den Kotytia und dem olympische Waffenstillstand in jedem vierten (bzw. nach griechischer 38 Vgl. auch neuerdings die nur der lex sacra von Selinunt und dem weiter unten besprochenen Text aus Kyrene gewidmete, noch umfangreichere, aber wenig überzeugende Abhandlung von Robertson 2010; insgesamt kritisch zu Robertsons Untersuchung äußern sich u. a. Dobias-Lalou 2011, 508f.; Dubois 2011, 517; Maffi 2012, 682‒687. 39 Die bei Robertson 2010, 15‒30 in seiner Wiedergabe und Diskussion des griechischen Textes immer wieder als einzig plausibel angesehenen Textergänzungen, die zum Teil sogar Fehler im schlecht erhaltenen Bereich propagieren, sind weder zu beweisen noch zu wiederlegen; siehe auch Carbon 2012, 319. 40 Siehe Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 20 mit Verweis auf Aristot. pol. 1252b14: ὁμοσιπύους und Hesych. s.v. ὁμοσίπυοι· ὁμοτράπεζοι. Nach Clinton 1996, 165 Anm. 19 könnte der Begriff auch für eine größere „kin group“ stehen. 41 Clinton 1996, 166 (Zitat), 173. 42 So auch Clinton 1996, 160f.; Lupu 2005, 369. Graham 1995, 367 übersetzt: „the sacrifice of the victims“

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Zählweise in jedem fünften) Jahr. 43 Die Herausgeber der editio princeps legen diese Angabe so aus, dass die folgenden Rituale in jedem Jahr vollzogen werden konnten: In einem normalen Jahr vor den Kotytia sowie in den olympischen Jahren vor den Kotytia und dem Waffenstillstand, der den Spielen vorausging und der augenscheinlich auch den Kotytia vorausgehen konnte. Sonst hätte man ihn nicht erwähnen müssen. 44 Jameson, Jordan und Kotansky verstehen dies also als eine reine Zeitangabe ohne inhaltliche Bedeutung. Von einem Opfer, das jährlich oder in jedem beliebigen Jahr stattfinden konnte, 45 ist aber gar keine Rede. Versteht man die zeitliche Vorgabe wörtlich, dann sollten die folgenden Prozeduren alle vier Jahre stattfinden. 46 Zuzustimmen ist den Erstherausgebern somit darin, dass die doppelte ‚Deadline‘ darauf zurückzuführen ist, dass der olympische Waffenstillstand im Gegensatz zu den Kotytia keinen fest datierten Anfang besaß. 47 Hätte es sich um eine jährlich stattfindende Prozedur gehandelt, wäre völlig unverständlich, warum im unteren Teil der Inschrift Vorgaben für weitere Rituale nach einem (A18; A20) und zwei Jahr(en) (A23) getroffen werden. 48 Der folgende Abschnitt beschreibt mehrere Opfer. Zeus Eumenes und die Eumeniden („die Wohlwollenden“) bekommen gemeinsam 49 ein ausgewachsenes Opfertier 50. Während Zeus Eumenes bislang unbekannt ist, sind uns die Eumeniden durch viele 43 Bei den Kotyt(t)ia handelt es sich um ein Fest, welches nach der Göttin Kotya (bzw. Kotyto oder auch Kotys) benannt war. Laut Plutarch (prov. Alex. 1,78) sollen auf Sizilien während der Kotytia die Feiernden nach Kuchen und Früchten geschnappt haben, die an Zweigen aufgehängt waren. Siehe hierzu die ausführliche Diskussion, unter anderem zum umstrittenen Ursprung (thrakisch nach Strabo 10,3,16), bei Jameson/JORDAN/Kotansky 1993, 23‒26; DUBOIS 1995b, 132; JOHNSTON 1999, 57f.; LUPU 2005, 369f. – Vgl. zum olympischen Waffenstillstand, dessen Länge kontrovers diskutiert wird, Jameson/JORDAN/Kotansky 1993, 27; CLINTON 1996, 161; LUPU 2005, 369f.; ROBERTSON 2010, 64‒68. 44 Jameson/JORDAN/Kotansky 1993, 27. 45 Dies ist zu unterscheiden, da einige Forscher eine jährliche Durchführung annehmen (so ROBERTSON 2010, 55f.), während andere (wie die Erstherausgeber) denken, dass die Rituale in jedem beliebigen Jahr stattfinden konnten. Letzteres vertreten beispielsweise auch JOHNSTON 1999, 50 und RAUSCH 2000b, 112. 46 So bereits CLINTON 1996, 161; CURTI/VAN BREMEN 1999, 26; SIEWERT 2002, 366; HENRICHS 2005, 53; LUPU 2005, 370; VONDERSTEIN 2006, 209f. 47 LUPU 2005, 369f. vermutet dagegen „calendar discrepancies“. 48 Ähnlich CURTI/VAN BREMEN 1999, 26, die Jameson, JORDAN und KOTANSKY allerdings zu unrecht unterstellen, dass diese eine jährliche Durchführung befürworten; siehe Anm. 45. 49 Bislang treten Zeus und die Eumeniden nur noch nahe bei Kyrene (in Ain-el-Hofra) zusammen auf, und zwar in einer Reihe von in Fels gehauenen Inschriften (SEG 9, Nr. 325‒346; vgl. 20, Nr. 723a‒d), die aber nur durch eine Publikation der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bekannt sind; siehe FERRI 1923. Zeus trägt dabei in mehreren Fällen das Epitheton Meilichios. Die in den Inschriften von Kyrene mit Zeus Meilichios und den Eumeniden gemeinsam auftretenden, nicht näher spezifizierten Heroen, könnten nach Jameson/JORDAN/Kotansky 1993, 78f. und LAZZARINI 1998, 315f. mit den Tritopatores unserer lex sacra vergleichbar sein. Letztere sind auch selbst in Kyrene belegt (in der Form Tritopateres; LSSupp. 115 A23). SCULLION 2000, 170 betont dagegen, dass es sich bei den Tritopatores nicht um Heroen handle; hierzu unten. 50 Nach Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 28 zweifellos ein Schaf, was aber keinesfalls sicher ist; vgl. Lupu 2005, 386.

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2.4 Deutung des Textes

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weitere literarische und epigraphische Quellen sehr vertraut. Dennoch ist ihr eigentliches Wesen insbesondere ihr Verhältnis zu den Erinyen, den Rachegöttinnen bzw. Furien, stark umstritten. Jameson, Jordan und Kotansky sehen Eumeniden und Erinyen als identisch an. Die Eumeniden seien sozusagen der freundliche Aspekt der schrecklichen Erinyen. 51 Zeus Eumenes verstehen die Forscher ähnlich: Ein Gott mit einem wohlklingenden Namen, in dem bedrohliche Aspekte aber durchaus mitschwingen. 52 Dagegen deutet K. Clinton die Vielzahl an Zeugnissen derart, dass es sich bei den Eumeniden und Erinyen in archaischer Zeit noch um verschiedene Gottheiten gehandelt hat, die später, erst im Verlaufe der Klassik, verschmolzen sind. 53 So oder so sind in unserer Inschrift aber die freundlichen Pendants oder der entsprechende Aspekt der Erinyen angesprochen. Jameson, Jordan und Kotansky führen als Vergleich Iason und Medeia an: 54 Um sich von der Befleckung durch die Ermordung des Apsyrtos zu reinigen, bringen sie Zeus, der als Hikesios und Katharsios bezeichnet wird, sowie den Erinyen Kuchen und melikrata dar mit dem Ziel, die Erinyen zu besänftigen (also in Eumeniden zu verwandeln) und um Zeus eumeidês […] kai êpios (Apoll. Rhod. 4,715) zu stimmen. Wenn man, wie die drei Forscher, davon ausgeht, dass das gesamte Ritual eine große Reinigungsprozedur nach blutigen Auseinandersetzungen darstellt (siehe unten), ist es freilich ungewöhnlich, dass in unserer Inschrift nicht wie bei Apollonios Erinyen, sondern Eumeniden bedacht werden. Einen wohlklingenden Namen 55 besitzt auch Zeus Milichios oder Meilichios, wie er in vielen weiteren Inschriften genannt wird, 56 dem gleichfalls ein ausgewachsenes Opfertier dargebracht wird. Dieser Gott ist uns in Selinunt bereits wohlvertraut. 57 Auf 51 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 79; so beispielsweise auch Henrichs 1994, 28, 38, der darüber hinaus die Ansicht vertritt, dass es sich bei den Eumeniden um „a more powerful female version of the male ancestral Tritopatores“ handelt (53). 52 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 79f.: Zeus Eumenes „may be expected to have rôles related to but distinct from that of Zeus Meilichios“ (80). 53 Clinton 1996, 166‒170: „Aeschylus may have been the first to identify them, in the Semnai“ (170). In unserer lex sacra erscheinen die Eumeniden nach Ansicht von Clinton in einer von den Erinyen unabhängigen Form. Ferner sieht er in den Elasteroi von Spalte B das Äquivalent zu den Erinyen; vgl. Anm. 137. Tatsächlich ist dies kein völlig neuer Gedanke. Bereits Dodds 1960, 55 vertrat, dass „the terms δαίμων, ἀλάστωρ, and ἐρινύς are used more or less interchangeably.“ Ablehnend Sewell-Rutter 2007, 84, der unter anderem, allerdings irrig, feststellt, dass „the alastor is generally single in number“ (siehe dagegen Plut. mor. 418B‒C; zitiert in Anm. 136). Kurz darauf (85) akzeptiert er dann nicht nur die Gleichsetzung von Alastor und Elasteros, sondern auch den Plural in unserer lex sacra (B1)! 54 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 80 mit Verweis auf Apoll. Rhod. 4,700‒717. 55 Vgl. zur unsicheren Etymologie Jameson/Jordan/Kotansky 1993,91f.; Grotta 2010, 138‒147. – Milichios bzw. Meilichios tritt als Epitheton nicht nur bei Zeus, sondern auch bei Dionysos (Plut. Ant. 24) und anderen Göttern auf, allerdings so vereinzelt, dass bei alleiniger Nennung des Epithetons wohl doch durchgängig Zeus Milichios gemeint ist. 56 Bekannt ist ferner die Schreibweise Melichios. Alle drei Formen sind in Selinunt belegt; siehe für die Nachweise Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 81‒91; ferner Grotta 2010, 101‒136, 279‒291, der einige weitere hinzufügen kann. 57 Seine Erwähnung in der Inschrift ist eines der Argumente für die Verortung des titulus nach Selinunt.

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2 Die lex sacra von Selinunt

dem Gaggera, im Westen der antiken Polis, ist ein Kultbezirk ergraben worden, 58 in dem ein Areal (‚Campo di Stele‘) mit über 200 Stelen entdeckt worden ist, 59 welche, wie die bisherigen Inschriften andeuten, Zeus Milichios geweiht waren und ihn wohl auch darstellen sollen. 60 Das kleine Gebäude direkt neben dem ‚Campo di Stele‘ interpretiert man vielfach als Schrein des Milichios, was aber nicht sicher ist, da bislang keinerlei Dedikationsinschrift gefunden wurde. 61 Was die Funktion des Zeus Milichios angeht, so steht nur fest, dass er mit Reinigungsritualen in Zusammenhang steht; 62 sein Attribut, das Füllhorn, zeigt, dass seine Anbetung aber nicht nur Reinigung, sondern auch Wohlstand versprach. 63 Die bisweilen mit Milichios zusammen auftretende bzw. ihn darstellende Schlange könnte ferner in den chthonischen Bereich weisen. 64 Wichtig für die Gesamtinterpretation von Jameson, Jordan und Kotansky ist ihre Feststellung, dass der Kult für Zeus Milichios hauptsächlich ein privater sei, da der Dedikantenkreis des Gottes nach den bisherigen Zeugnissen nur Individuen und gentilizische Gruppen, nie die gesamte Polis umfasste, 65 wobei die drei Forscher vermuten, dass jede einzelne Stele vom ‚Campo di Stele‘ einen eigenen Opferbereich dieser Individuen bzw. Gruppen markierte. 66 Für Opferplätze sprechen jedenfalls archäologisch 58 Siehe zum Kultbezirk, in dem neben Zeus Milichios auch Demeter Malophoros und Hekate verehrt wurden, Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 132‒136 mit Taf. 6; Curti/van Bremen 1999, 24, 30f. und jetzt Grotta 2010. Die frühesten Funde, hauptsächlich Keramik, datieren ins späte 7. Jh. und damit in die Anfangszeit der Kolonie. Die Zuordnung der Gottheiten zu den einzelnen Tempeln ist nicht ganz sicher. Da man annimmt, dass Demeter Malophoros die Hauptgottheit war, hat man ihr den größten Tempel zugeschrieben, für den zwei kleinere Vorgängerbauten (der spätere aus der Mitte des 6. Jh.s) nachgewiesen werden konnten. 59 Siehe für die Stelen und die Probleme um die Datierung bzw. Zuordnung, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 97‒107 (mit der älteren Forschung); Famà/Tusa 2000; Doepner 2002, 132‒137; Vonderstein 2006, 201‒206; Grotta 2010, 44‒61, 101‒136. Nur wenige der Denkmäler (15 an der Zahl) sind mit Inschriften versehen. Diese gehören durchgängig in die vorpunische Phase der Polis, die anepigraphischen ikonischen Stelen (mit einer Ausnahme) in die punische. Ferner stammen die größeren anepigraphischen anikonischen Stelen wohl gleichfalls aus der griechischen Zeit. 60 Auf zwei Stelen wird bemerkt: „ich bin Meilichios“; vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 90, 101; Grotta 2010, 112‒114 Nr. 5 und Nr. 6. 61 Ferner datiert man den Tempel üblicherweise ins 4. Jh. und damit in die punische Zeit. Ein Vorgängerbau konnte hier nicht nachgewiesen werden; vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 134 (mit der älteren Forschung); Doepner 2002, 133; Grotta 2010, 98‒100, 198, passim. 62 Paus. 1,37,4; 2,20,1f.; vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 82f., 95 zu den weiteren Hinweisen, die bislang ausschließlich den literarischen Quellen zu entnehmen sind, und Cusumano 2006, 165‒192. 63 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 94f. 64 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 95‒97 mit der Diskussion der weiteren Hinweise. Siehe zur Bedeutung der Schlangen im griechischen Kult auch Küster 1913. Vgl. für die numismatischen Zeugnisse aus Selinunt, auf denen eine Schlange abgebildet ist, die von Teilen der Wissenschaft als Zeus angesehen wird, Vonderstein 2006, 197. 65 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 28, 92f. 66 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 93, 100‒102. Skeptisch gegenüber dieser Vermutung äußert sich Clinton 1996, 164 Anm. 18, der darauf hinweist, dass nicht alle bekannten Stelen aus dem so genannten ‚Campo di Stele‘ stammen; vgl. hierzu auch Doepner 2002, 135f.

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2.4 Deutung des Textes

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nachgewiesene Brandspuren und Reste von Opfertieren, hauptsächlich Schafen. 67 Die Angabe „Zeus Milichios in Myskos“ deuten die Forscher als Bezeichnung einer solchen Opferstelle. 68 Myskos, ein Name, der in Selinunt bereits auf einem Grabstein des 7. Jh.s erwähnt wird, 69 ist ihrer Ansicht nach (ebenso wie der weiter unten erwähnte Euthydamos) der Vorfahre einer gentilizischen Gruppe, wobei sie nicht ausschließen wollen, dass die beiden Myskoi identisch sind und es sich bei dem Mann um einen der Gründungsväter der Polis handelt. 70 Letzteres ist angesichts des äußerst schlichten Grabsteines jedoch zweifellos auszuschließen. 71 Letztlich widersprechen Jameson, Jordan und Kotansky aber ihren eigenen Feststellungen, 72 indem sie im Falle der lex sacra von Selinunt vermuten, dass die Angaben „Zeus Milichios in Myskos“ und „Zeus Milichios in Euthydamos“ auch Kulte von gentilizischen Gruppen bezeichnen könnten, die „had become significant for the whole community, or possibly only for the groups who had need of the rituals prescribed in this text“. 73 67 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 102 Anm. 30, S. 133, 136. 68 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 52. Sie übersetzen „Zeus Meilichios in the (plot) of Myskos“ (15); ihnen folgen Jordan 1996, 327 und Burkert 1999a, 28; ähnlich Suárez 2006, 21, 34: „recinto de Misco“ und Grotta 2010, 192: „(terreno) di Myskos“. Dagegen verweist Clinton 1996, 165 auf IG II/III2 1138,8 (ἐμ Πανδίονος) und überträgt: „in (the sanctuary of) Myskos“ (vgl. auch Anm. 70); ähnlich Lupu 2005, 363; siehe ferner Arena in Cordano/Arena 1997, 430: „proprietà di Myscos“; Manganaro 1997, 562: „οἶκος di Myskos“; Lazzarini 1998, 315: „recinto sacro […] di Myskos“; Camassa 1999, 141 und Antonetti in Antonetti/de Vido 2006, 428: „luogo sacro di Myskos“; Johnston 1999, 50 Anm. 40: „in the grove of the hero Myskos“; ähnlich Dubois 2003, 113f., 124: „dans la chapelle de Muskos“. 69 Manni Piraino 1973, 106f. Nr. 76 mit Abb. 76 auf Taf. 46 = SEG 26, Nr. 1109. Burkert 1999a, 28 bzw. Burkert 2000, 207 denkt fälschlicherweise, dass es sich um eine Milichios-Stele vom ‚Campo di Stele‘ handelt. 70 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 29, 93; Antonetti in Antonetti/de Vido 2006, 428 Anm. 73 steht einer Identifizierung der beiden Myskoi skeptisch gegenüber. Von „founders of some sort“ bzw. „heroes“, allerdings mit eigenen Heiligtümern, geht auch Clinton 1996, 165 aus. Siehe ferner Schwabl 1996, 284: „offenbar Ktistai im weiteren Sinne“. Diese Interpretation hat inzwischen großen Anklang gefunden. Hornblower 22010, 288f. erwägt in seinem Kommentar zu Thuk. 6,4,2, dass an genannter Stelle der Name des Myskos oder Euthydamos ausgefallen sei; siehe auch Suárez 2006, 21. Dubois 1995b, 134 bzw. Dubois 2003, 114 spricht von „grands ancêtres, […] chefs de famille, qui ont acquis le statut de héros chthoniens tutélaires“ und folgert: „ce sont peutêtre les œcistes“ (Dubois 1995a, 559). 71 Siehe Cordano 1996, 139 bzw. Cordano in Cordano/Arena 1997, 426f.; Brugnone 2003, 25 Anm. 67. Letztere vermutet, dass die Opfer für Milichios in Myskos und in Euthydamos von patriai dargebracht wurden; vgl. bereits Brugnone 1997, 129. 72 Bei allem Lob für die editio princeps hat North 1996, 293 zu Recht festgestellt, dass es bisweilen schwierig oder sogar unmöglich scheint, „to guess […] the definitive version of the editors’ view“, da sich über die Ausgabe hinweg zum Teil verschiedene, vorsichtig formulierte Deutungen zu den jeweiligen Problemen finden. 73 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 28. Siehe auch S. 93: „In the lex sacra, however, these two ‚private‘ Meilichioi appear to be significant for more people than the kin or associates of the named person[s], for sacrifices are required to be made by all those to whom these rules are meant to apply; and while it is conceivable, we think it improbable that only those in their two descent groups were involved“. – Curti/van Bremen 1999, 30 machen darauf aufmerksam, dass Hesychios (s.v.

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Ähnlich verwirrend ist die Deutung der bereits erwähnten hiara, bei denen es sich ihrer Ansicht nach einerseits um Stelen handeln könnte, wie sie im Heiligtum auf dem Gaggera entdeckt wurden. 74 Da die öffentlichen hiara weiter unten in der Inschrift bewegt werden, müsste es sich ihrer Meinung nach aber um Pendants aus Holz oder Terrakotta handeln, 75 wofür freilich bislang die Nachweise fehlen. 76 Andererseits erwägen Jameson, Jordan und Kotansky, dass auch Darstellungen der im Folgenden genannten Tritopatreis gemeint sein könnten. 77 Bei diesen Tritopatreis 78 (bzw. Tritopatores oder Tritopateres) handelt es sich wörtlich übersetzt um „Urgroßväter“, womit Stammväter gemeint sind. 79 Die literarischen Zeugnisse sind am plausibelsten derart auszulegen, dass die Hauptaufgabe der Tritopatreis die Sicherung des Fortbestandes ihrer Adoranten war. 80 Die bisher bekannten μύσκος; εὐθύδημον) zu beiden Namen bzw. Adjektiven Bedeutungen anführt: Während Myskos mit miasma verbunden wird, trägt Euthydamos eine positive Konnotation: „someone beneficial to the demos. […] We suggest that perhaps behind what may have been names of imaginary, mythistorical ancestors or founders there is a subconscious identification of certain concepts with a physical reality“. Eine derartige Deutung könnte die Aufmerksamkeit durch die gesamte Polis erklären. Die Vermutung von Curti und van Bremen, dass Myskos und Euthydamos jeweils ein Heroon besessen haben müssen und dass dasjenige des Myskos im Heiligtum der Demeter Malophoros zu lokalisieren sei, das andere wegen des Namens des Euthydamos dagegen am ehesten auf der agora von Selinunt, ist dagegen durch nichts zu erweisen. Wenig überzeugend ist Robertsons 2010, 130‒134, 152f., 190, 200f. Versuch, in Myskos und Euthydamos Ortsbezeichnungen statt Personennamen zu erkennen, insbesondere aber Myskos auf Grundlage von Diog. Laert. 8,70 zu lokalisieren; siehe auch Carbon 2012, 320. 74 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 53, 65, 102, 111. 75 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 53, 102. 76 Diese Ansicht scheint allzu sehr durch die in der lex sacra von Kyrene erwähnten kolos(s)oi beeinflusst zu sein (siehe unten). 77 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 111; so auch Jameson 1994, 44 und Rausch 2000b, 111f., der wenig später aber von „Kultgeräten“ spricht. Eich 2011, 308 Anm. 115: „[…] nicht zwingend Bilder […].“ Dickie 1996, 238 Anm. 4 missversteht hier einiges, wenn er bildliche Darstellungen von den in Spalte B erwähnten Elasteroi (siehe unten) vermutet. 78 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 107‒111 listen alle bislang bekannten Zeugnisse auf. 79 Vgl. Wüst 1939, 324: „über den Urgroßvater hinaus wurde die Ahnenreihe meist nicht hinaufgeführt“; siehe auch Anm. 51 und Georgoudi 2001, 152‒163. 80 Phanodemos FGrHist 325 F 6: Φανόδημος δὲ ἐν ϛ φησὶν, ὅτι μόνοι ᾿Αθηναῖοι θύουσί τε καὶ εὔχονται αὐτοῖς ὑπὲρ γενέσεως παίδων, ὅταν γαμεῖν μέλλωσιν. – „Phanodemos [4. Jh. v. Chr.] sagt in [Buch] 6, dass allein (die) Athener ihnen [den Tritopatores] opfern und von ihnen die Geburt von Kindern erflehen, wenn sie im Begriff sind zu heiraten.“ μόνοι sollte man hier nicht allzu wörtlich nehmen, wie Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 110 und Lupu 2005, 371 zu Recht feststellen, zumal das Zitat aus seinem Zusammenhang gerissen wurde; vgl. auch Philochorus FGrHist 328 F 182; Aischyl. Eum. 835; Sch. Hom. Il. 8,39; Poll. 3,17 (= Aristot. Frg. 415 [Rose]). Anders, aber wenig überzeugend, Robertson 2010, 167‒184, der den Kult zwar als athenisch ansieht (was die Erstherausgeber nicht für zwingend halten), andererseits aber das Phanodemos-Zitat derart verstehen möchte, dass die Tritopatreis woanders auch anders verehrt wurden, nämlich als Windgötter, womit er Demon (FGrHist 327 F 2) folgt. Siehe zur zeugenden Kraft der Winde, die Robertson hierbei ungenügend berücksichtigt, schon Wüst 1939, 325f. Rohde 21898, Bd. 1, 247‒249 bezeichnet die Tritopatreis als „Ahnenseelen, die zu Windgeistern geworden sind und

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epigraphischen Zeugnisse für diese Gruppe belegen ihre Verehrung durch gentilizische Gruppen 81 und Demen 82 sowie auf staatlicher Ebene 83. In unserer lex sacra wird dies nicht näher spezifiziert. Dennoch werden nach Ansicht der Erstherausgeber am ehesten Ahnen von Familien oder größeren gentilizischen Gruppen angesprochen gewesen sein. 84 Andererseits könnte man gerade wegen der fehlenden Spezifizierung annehmen, dass die Gruppe hier durch die gesamte Polis verehrt wurde. 85 Interessanterweise erscheinen zuerst Tritopatreis in befleckter Form. Ihnen wird „wie Heroen“ geopfert, indem eine Libation 86 von Wein durch ein Dach in ein Gebäude, augenscheinlich ein Heroon, 87 gegossen und ein Neuntel 88 eines Opfertieres verbrannt wird. Danach treten Tritopatreis in reiner Form auf und religiöse Spezialisten, wahr-

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88

mit anderen ψυχαí (die ja auch vom Windhauche benannt sind) im Winde fahren, von denen, als von wahren πνοιαì ζῳογóνοι, ihre Nachkommen Hilfe erhoffen“ (248 Anm. 1). Genos oder Phratrie in LSCG 2 D8‒10 (Athen); IG II/III2 2615 (Attika); vgl. Parker 1996, 323. LSCG 18 Δ41‒46 (Attika); LSCG 20 (= IG II/III2 1358) B32. B52f. (Attika). IG I3 1066 A‒C und 1067 aus dem Kultbezirk der Tritopatreis im Kerameikos im Zipfel zwischen via sacra und Gräberstraße; siehe Knigge 1988, 103‒105 mit Nr. 14 auf Abb. 165. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 109. Antonaccio 2006, 384f. vermutet einen Zusammenhang mit dem aus Linear B-Texten bekannten ti-ri-se-(ro)-e (PY Fr 1204); Antonaccio 2011, 351: „[…] undoubtedly […]“. Dies vertreten Clinton 1996, 172, Rausch 2000b, 111‒116 und Georgoudi 2001, 157. Siehe zu den verschiedenen Libationen Graf 1980, 209‒221; Henrichs 1983, 93‒99; Jameson/ Jordan/Kotansky 1993, 30f., 70‒73. Letztere weisen darauf hin, dass Libationen nur beschrieben wurden, wenn sie von der Norm abwichen, das heißt neben den in A10‒11 und A13‒14 erwähnten Libationen sind weitere in üblicher Form vorauszusetzen. Pausanias (10,4,10) beschreibt eine ähnliche Prozedur, bei der allerdings Blut durch ein Loch in ein Heroon gegossen wird. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 30 mit Taf. 18a verweisen als bauliche Parallele auf das teilweise unterirdisch angelegte so genannte ‚Hypogäum‘ aus dem 6. Jh. in Poseidonia/Paestum, welches im Dach aber keinerlei Öffnung aufweist (Rausch 2000b, 107‒116 möchte das ‚Hypogäum‘ aufgrund der Parallelen als Heiligtum für die Tritopatores ansehen, was Georgoudi 2001, 158 Anm. 42 ablehnt). Curti/van Bremen 1999, 30‒32 mit Abb. 4‒7 denken dagegen, dass zwei mit Steinplatten abgedeckte Zylinder aus Terrakotta nahe beim ‚Campo di Stele‘, die ursprünglich als Brunnen angesehen wurden, die Libationen aufgenommen haben könnten. Darunter vermuten sie ein entsprechendes Heroon, allerdings nicht der Tritopatreis, sondern des Myskos; siehe hierzu auch Anm. 73. Dagegen Dimartino 2006, 314 Anm. 25: „in realtà gli studiosi [Curti/van Bremen] leggono male le relazioni di Gabrici, che esclude l’esistenza di una struttura sottostante il tempietto del Meilichios“; ablehnend auch Vonderstein 2006, 212 und Grotta 2010, 31f., 197 Anm. 336. Nach Henrichs 2005, 54 (ohne Diskussion) wurden die Libationen „‚through the roof‘ of a covered hearth-altar“ gegossen. Hierbei handelt es sich sicherlich um den Teil eines eigenen Opfers für die Tritopatreis (vgl. Clinton 1996, 170f.; Scullion 2000, 163; Ekroth 2002, 222f.; Henrichs 2005, 54; Lupu 2005, 373; Parker 2005, 43) und nicht um das Neuntel eines der vorangegangenen Opfertiere für Zeus Milichios und/oder Zeus Eumenes bzw. die Eumeniden; letzteres haben Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 31, Moscati Castelnuovo 1996, 217, Camassa 1999, 142 und Johnston 1999, 51 vertreten. Die übrigen acht Teile sind wohl verzehrt worden; siehe Stengel 1895, 420; Scullion 2000, 163; Lupu 2005, 373. Vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 31f. und Bergquist 2005, 61‒70 für die weiteren Belege zum Opfern von Neunteln.

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scheinlich Priester 89, vollziehen verschiedene kultische Handlungen, zu denen eine Lustration, eine Salbung 90 und erneut das Opfer eines ausgewachsenen Tieres gehören. 91 Im Anschluss werden die Tritopatreis gastlich aufgenommen, indem eine Theoxenia veranstaltet wird: 92 Nach einer Libation, diesmal von Honigmischgetränken (melikrata), werden ein Tisch und eine Liege aufgestellt, die Tritopatreis erhalten ein Gewand 93 und Kränze sowie weitere Honiggetränke, Fleisch und plasmata, bei denen es sich am ehesten um Backwerk handelt. 94 Danach wird ein Teil der Nahrung verbrannt, 95 und es wird wiederum gesalbt. Zum Schluss wird nochmals festgestellt, dass diese Opfer für die reinen Tritopatreis „wie für die Götter“ vollzogen werden sollen, 96 also im Unterschied zu den befleckten Tritopatreis, denen „wie den Heroen“ geopfert wird.

89 So wird hοῖς hοσία (A12) durchgängig gedeutet; anders, aber wenig überzeugend, Dimartino 2006, 315 Anm. 28, die den Ausdruck auf die befleckten Tritopatreis beziehen will und übersetzt: „compiano i sacrifici e consacrino a coloro ai quali è ritualmente consentito (scil. i Tritopatori miaroi) e, versata una libagione intorno, compiano l’unzione (dell’altare)“; ihr folgt Grotta 2010, 192. 90 Wohl des Altars, vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 33‒35; Clinton 1996, 171 („preparation for another sacrifice“); Lupu 2005, 363, 374 jeweils mit weiteren Belegen; anders Curti/van Bremen 1999, 27: „let them anoint (themselves?)“. 91 Nach Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 32, Clinton 1996, 171, Henrichs 2005, 54, Anm. 46 und Lupu 2005, 374 sind die religiösen Spezialisten schon für die vorangehenden Opfer, insbesondere die Verbrennung des Neuntels, zuständig. Dagegen ist einzuwenden, dass zuvor keine der Anweisung im Plural steht. Andererseits steht auch nur eine (hυπολhείψας) im Singular; das Übrige wird durch Infinitive ausgedrückt, die als Imperative fungieren, und auch im Weiteren wechseln bisweilen Singular- und Pluralformen sowie Infinitive, ohne dass klar würde, wer genau gemeint ist. Vielleicht beaufsichtigten somit die Priester das gesamte Ritual, wobei ausgewählte Handlungen, wie das Ausgießen der Libationen, von einzelnen aus dieser Gruppe der religiösen Spezialisten durchzuführen waren. 92 Vgl. zur Theoxenia Jameson 1994, 35‒57. 93 So die übliche Deutung. Dubois 2003, 116 interpretiert καθαρὸν hμα dagegen als sauberes Tischtuch. 94 Es könnten aber auch andere Gebilde, Tonfiguren etwa, gemeint sein; vgl. hierzu Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 69, die zwar auf Funde derartiger Fragmente im Bereich des ‚Campo di Stele‘ hinweisen, diese Möglichkeit aber dann doch für weniger wahrscheinlich halten, da die Position zwischen den Getränken und dem Fleisch darauf hinweise, dass mit plasmata gleichfalls Essbares gemeint sei; ähnlich Jameson 1994, 44; Clinton 1996, 171 Anm. 48 mit Verweis auf Sch. Lukian. p. 276 (Rabe): „cakes […] in the form of images“. Siehe generell zum Kuchen als Opfergabe Kearns 1994, 65‒70. 95 Nach der Ansicht verschiedener Forscher auch die Becher, die in das Feuer hinein- bzw. auf den Altar gestellt werden; siehe Scullion 1998, 117; Lupu 2005, 363, 376f. Hernach werde der Altar durch Salbung für das nächste Opfer vorbereitet (siehe Anm. 90). Wahrscheinlicher ist aber, dass die Erstlinge verbrannt, die Becher zurück in ihren Aufbewahrungsort gebracht werden und der Altar dann gesalbt wird. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 69 denken dagegen, dass die Becher in ihren Aufbewahrungsort gebracht und daraufhin gesalbt werden. – Siehe zur Anweisung, dass „neue Becher“ genommen werden sollen, Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 35. 96 So auch Jameson 1994, 44; anders aber auf S. 43, wo er feststellt, dass sich diese Anweisung nur auf das Opfern des Tieres vor der Theoxenia beziehe.

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Verschiedene Probleme erschweren das Verständnis dieses Abschnitts. Zum einen wird den befleckten Tritopatreis wie Heroen, zum anderen den reinen Tritopatreis wie Göttern geopfert. Beides sagt nichts über den Status der Gruppe(n) aus, jedenfalls nicht zwingend, 97 sondern scheint sich auf die Opferprozeduren zu beziehen. 98 Jameson, Jordan und Kotansky ist sicherlich darin zuzustimmen, dass beide Libationen, sowohl diejenige mit Wein, also auch diejenige mit melikrata, 99 am selben Ort darzubringen waren. 100 Fraglich ist allerdings, ob das Ausgießen in dasselbe (wohl unterirdische) Bauwerk zwangsläufig bedeuten muss, dass auch dieselbe Gruppe, mal in befleckter, mal in reiner Form verehrt und somit durch die Opfer gereinigt wurde, wie die Erstherausgeber es annehmen. 101 Wie im Falle der Eumeniden/Erinyen gehen andere Forscher auch hier von zwei verschiedenen Gruppen aus. 102 Dann würde freilich gar keine Reinigung vorliegen. 103 Wie aber soll man sich eine derartige überhaupt vorstellen, und wie kam es in erster Linie überhaupt zur Befleckung der Tritopatreis? Von beiden Seiten 104 wird als Stütze dasselbe Vergleichsbeispiel angeführt: Pausanias (8,34,1‒3) berichtet, dass nahe bei Megalopolis die Maniai verehrt worden seien, wobei es sich hierbei seiner Ansicht nach um einen Beinamen der Eumeniden handelt. Die Göttinnen sollen Orestes, der hier vorbeikam, rasend gemacht haben und ihm dabei schwarz erschienen sein. Dieser habe sich daraufhin einen Finger abgebissen, worauf ihm die Maniai weiß schienen, wodurch er wieder zur Vernunft kam: „Und daher brachte er für die einen zur Abwendung ihres Zorns ein Totenopfer dar und ein Dankopfer 97 So aber North 1996, 294, 299: „shift from non-divine to divine“; siehe auch oben Anm. 49. 98 Lupu 2005, 372: „seems to be used here technically, referring to ritual performance“. Er stellt aber selbst fest, dass das Ritual vom üblichen olympischen Opfer abweiche; siehe Anm. 99. Vgl. zur Diskussion um den chthonischen/olympischen Charakter der Opfer in dieser Inschrift auch Scullion 2000, 163‒171; Ekroth 2002, 235‒238; Scullion 2005, 33f.; ferner Parker 2005, 38f., der zu Recht darauf hinweist, dass zwischen Opfern für Heroen und für Unsterbliche unterschieden wird, nicht zwischen olympischen und chthonischen. – Auf die Debatte über die generelle Verwendbarkeit der Kategorisierung von Opferprozeduren in olympisch/chthonisch oder göttlich/ heroisch kann hier nicht eingegangen werden; siehe hierzu die Beiträge in: Hägg/Alroth 2005. 99 Nach Lupu 2005, 375 indiziert das ungewöhnliche Darbringen von melikrata im Rahmen der Opfer „the recipients’ less than Olympian character.“ 100 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 30 mit Verweis auf „the use of the same unusual verb ὑπολείβω for both kinds of libation.“ Dagegen Clinton 1996, 172: „there may have been two precincts, but if so, both were evidently served by a single altar“. 101 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 29f., 53, 111. Ihnen folgen Jordan 1996, 326, Moscati Castelnuovo 1996, 217, North 1996, 299f., Dimartino 2006, 333, Vonderstein 2006, 210, Grotta 2010, 197 und Salvo 2012b, 132f. 102 Clinton 1996, 172f.; ebenso Curti/van Bremen 1999, 32, Ekroth 2002, 222f. und Camassa 1999, 142‒144, der die befleckten als Tritopatreis „dell’oikos“ und die reinen als Tritopatreis „della polis“ ansieht. Dubois 2003, 114 erwägt wiederum, dass die reine Gruppe in Mysterien eingeweiht war und die befleckte nicht. 103 Abwegig ist meines Erachtens die von Georgoudi 2001, 160‒162 vertretene These, wonach es sich bei den befleckten und reinen Tritopatreis zwar um ein und dieselbe Gruppe handelt, die Rituale in Spalte A aber keine Reinigungszeremonie darstellen. 104 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 53 (in Bezug auf die Tritopatreis), 80 (bei der Diskussion der umstrittenen Identität von Erinyen und Eumeniden); Clinton 1996, 172f.

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den weißen […].“ 105 Tatsächlich erinnert einiges an die Tritopatreis, nicht zuletzt die unterschiedliche Art von Opfern. Andererseits ist es bei Pausanias der des Muttermordes wegen befleckte Orestes, der nach der Selbstverstümmelung wieder rein und bei Sinnen ist; die Maniai sind nicht unrein, sondern erst zornig/schwarz und hernach besänftigt/ weiß. Der Status der Maniai verändert sich somit nicht. Dies bemerkt auch S. I. Johnston. 106 Sie erkennt eine ihrer Ansicht nach passendere Parallele bei Platon (rep. 364b5‒365a3). Dort werden wandernde ‚Experten‘ erwähnt, die gegen bare Münze versprechen, durch Opfer und andere Riten die Lebenden und ihre Vorfahren von begangenen Vergehen zu reinigen. 107 Nach Johnston wären also die Tritopatreis von ihren eigenen Vergehen, nicht denjenigen ihrer Nachfahren zu reinigen. Offen bleibt bei dieser Begründung, warum dieses Verfahren immer wieder angewandt werden sollte, denn für den Einzelfall ergibt eine permanente Aufzeichnung der notwendigen Riten keinen Sinn. Wesentlich überzeugender ist deshalb eine weitere, von S. I. Johnston aufgezeigte Parallele: 108 Für den Gott Pan wurde eine Reinigungszeremonie durchgeführt, wenn der Wild-Bestand zu niedrig wurde. 109 Ähnliches könnte in Selinunt vorliegen, hier im Falle sinkender Geburtenrate: „A group suffering from impaired fertility might come to suspect, therefore, that one or more of their Tritopatores was miaros. This would be the signal to perform the rituals described in the lex sacra. If improvement in the form of pregnancies and births did not follow, then another ritual would be performed a year later.“ 110 Wie erwähnt, gibt es ferner die Ansicht, dass zwei unterschiedliche Gruppen von Tritopatreis angesprochen werden. Auch wenn die von K. Clinton ebenfalls als Stütze für diese Interpretation angeführte Orestes-Episode bei Pausanias eher für eine einzige Gruppe im Falle der Maniai spricht, 111 heißt dies nicht, dass es bei den Tritopatreis 105 Paus. 8,34,3: καὶ οὕτω ταῖς μὲν ἐνήγισεν ἀποτρέπων τὸ μήνιμα αὐτῶν, ταῖς δὲ ἔθυσε ταῖς λευκαῖς. Übersetzung von E. Meyer. 106 Johnston 1999, 53: „there is no instance, to my knowledge, in which a deity is polluted by bad human behavior“. 107 Diese Rituale gingen, so diese ‚Experten‘ bei Platon (rep. 364b5‒365a3), auf Orpheus und Musaios zurück. Ferner schließt Johnston sich Kingsley 1995, 115f., 141 an, nach dessen Ansicht die bei Platon beschriebenen Mysterien ebenso wie die orphischen wahrscheinlich einen sizilischen oder süditalischen Ursprungs besitzen. Demnach hätten sowohl Platons Schilderung als auch die lex sacra von Selinunt „the same core of beliefs“ (Johnston 1999, 54). 108 Johnston 1999, 54 Anm. 52, S. 56. 109 Siehe hierzu Nilsson 1906, 443f.; Borgeaud 1979, 106‒114 mit Bezug auf Theokrit (7,103‒114), der von einem arkadischen Ritual berichtet, in dem die Jungen dieser Landschaft ein Standbild des Gottes mit Meerzwiebeln peitschen, wenn es an Fleisch mangelt. 110 Johnston 1999, 56. Ähnlich schon North 1996, 300, der den Grund für die Befleckung der Tritopatreis gleichfalls in „any illness that threatened the fertility or continuity of the family“ vermutet. Von „crop-failure“ spricht Gordon 1999, 187, wobei er vorgibt, North zu folgen, und als Verursacher die Elasteroi aus Spalte B nennt 111 Clinton 1996, 172 nimmt an, dass bei Pausanias zwei Gruppen, die Maniai und die Ake, erwähnt werden. Bei den ersten handle es sich um die schwarzen, bei letzteren um die weißen Göttinnen. Es geht jedoch durchgängig um die Maniai; Ake heißt nur ein Ort (Paus. 8,34,2: τούτῳ δέ ἐστιν ἕτερον συνεχὲς χωρίον ῎Ακη καλούμενον), der nahebei liegt und bei dem ein weiteres

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nicht anders gewesen sein kann. So meint Clinton, dass bei gereinigten Tritopatreis der Ausdruck „hος καθαροῖς“ passender gewesen wäre. 112 Es ist aber fraglich, ob man eine derartige korrekte Ausdrucksweise bei einem epigraphischen Zeugnis zwingend voraussetzen kann. Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich um eine einzige Gruppe von Tritopatreis handelt, ist es angesichts der zeitlichen Vorgaben zu Beginn des umfangreichen Rituals in der lex sacra doch unwahrscheinlich, dass ein spezieller Grund für ihre Anbetung vorliegen musste. Ebenso gut könnte es sein, dass man in regelmäßigen Abständen und zu bestimmten Ereignissen automatisch Reinigungsprozeduren vornahm, in denen befleckte und reine Tritopatreis berücksichtigt wurden. Nimmt man einen konkreten Anlass an, dann muss man folglich die Ansicht der editio princeps vertreten, dass das Ritual in jedem beliebigen Jahr beginnen konnte und dass eine „relatively small group, such as a genos or family“ betroffen war. 113 Von einer bestimmten Gruppe ist aber in der Inschrift nirgendwo die Rede, 114 und es ist, wie oben ausgeführt, plausibler, dass die gesamte Polis an den Opferprozeduren beteiligt war. Nach den Ritualen für die befleckten und reinen Tritopatreis wird ein erneutes Opfer für Zeus Milichios durchgeführt, diesmal „in Euthydamos“ (siehe oben), ein weiterer, bislang unbekannter Name. Danach werden Prozeduren aufgelistet, die ein bzw. zwei Jahre später durchgeführt werden können. Nach einem Jahr darf erneut eine Theoxenia veranstaltet werden, die an dieser Stelle weniger detailreich als oben beschrieben wird. 115 Neu ist, dass zwar auch hiara erwähnt, dabei aber als damosia, öffentlich, spezifiziert werden. Da diese hiara ‚herauszunehmen‘ 116 sind, können nicht, wie oben in der Inschrift, Opferprozeduren gemeint sein, sondern es muss sich um Dinge handeln, die für die Göttermahlzeit vonnöten sind. Im Rahmen der letzteren werden die Erstlinge erneut dem Feuer übergeben, wobei eigentlich unnötigerweise erwähnt wird, dass die Knochen ebenfalls verbrannt werden; unnötig, weil dies üblicherweise automatisch anzunehmen Heiligtum für die Maniai gewesen sei. So auch Burkert 1999a, 25 und Georgoudi 2001, 160f.; anders und auf einer Linie mit Clinton wiederum Burkert 2000, 213. 112 Clinton 1996, 172. Als Vergleich führt er wiederum ein Beispiel an, dass auch Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 53 für ihre Sicht der Tritopatreis geben: Nach Flavius Philostratos (Heroicus 53,8‒13) ordnete das Orakel von Dodona an, dass die Thessalier für Achilleus jährlich Opfer darbringen, und zwar hôs tethneôti und hôs theô. Ähnliches berichtet Herodot (2,44,5) für Herakles; vgl. zu letzterem noch Diod. 4,38f. und Pind. N. 3,22. Bei Achilleus und Herakles könnte der Grund für diese Art der Verehrung darin liegen, dass sie beide für gewisse Zeit im Hades waren, bevor sie die Unsterblichkeit erlangten; siehe Matijević 2015, Kap. 2 und Pfister 1948, 148f. 113 Johnston 1999, 50 im Anschluss an Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 51f. 114 Anders Johnston 1999, 50, die in dieser Hinsicht die homosepuoi vom Beginn der Inschrift anführt. Der obere Teil gehört jedoch, wie schon gezeigt wurde, zu einem anderen Ritual. 115 Das heißt nicht zwingend, dass von den oben erwähnten Prozeduren, die unten fehlen, stillschweigend eine Wiederholung erwartet wurde; so Jameson 1994, 44. Wahrscheinlicher ist, dass die spätere Theoxenia der üblichen für olympische Götter entsprach, weshalb eine detaillierte Ausführung unnötig war. 116 So die einleuchtende Verbesserung von ἐξhιρέτο zu ἐξιρέτο durch Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 22; siehe ebd. 21f. für weitere, weniger überzeugende Emendationen.

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ist. 117 Zum ersten Mal wird ferner ausdrücklich bemerkt, dass die Adoranten hier den Großteil des geopferten Tieres, von dem diesmal nur eine Keule verbrannt wird, 118 im Heiligtum selbst verspeisen dürfen, wozu man nach Belieben einladen darf. 119 Neben diesem anschließenden Opfer nach einem Jahr war es ebenfalls erlaubt, zu Hause 120 weitere Riten zu vollziehen, wobei der entsprechende Teil der Inschrift, der die Details vermerkt haben wird, leider nicht mehr sicher ergänzt werden kann. Immerhin scheint im heute zerstörten Bereich ein weiteres mögliches Ritual für das dritte Jahr, also zwei Jahre nach dem ausführlich beschriebenen Opfer, spezifiziert worden zu sein. Für wen werden die fakultativen Riten vollzogen? Da die entsprechenden Empfänger nicht genannt werden, nehmen Jameson, Jordan und Kotansky an, dass diese späteren Rituale sich auf die Tritopatreis und Zeus Milichios in Euthydamos oder sogar alle zuvor genannten Gottheiten beziehen. 121 Für diese Interpretation könnte der Plural hiara sprechen, in denen die genannten Gelehrten Stelen bzw. Bildnisse des Zeus Milichios oder der Tritopatreis vermuten (siehe oben). Andererseits ist gar nicht sicher, dass es sich um bildliche Darstellungen handeln muss, die bewirtet werden. 122 Laut den Anweisungen in der lex sacra sollen die öffentlichen hiara herausgenommen und ein Tisch soll davorgestellt werden – wovor ist unklar. Der Tisch könnte auch vor den Schrein gestellt worden sein, in dem die hiara aufbewahrt wurden. 123 Bei letzteren könnte es sich sogar um den Tisch selbst und die weiteren notwendigen Opfergeräte handeln; denkbar sind auch Opfertiere 124. Es gibt somit keinen Hinweis darauf, dass alle zuvor genannten Gottheiten berücksichtigt wurden, jedenfalls nicht in dem vollständig erhaltenen, ersten Ritual, das nach einem Jahr durchgeführt werden durfte. Unwahrscheinlich ist 117 Henrichs 2005, 55. 118 Bei Ekroth 2002, 332 Anm. 81 findet sich die interessante Bemerkung, dass die hintere Keule eines heutigen Schafes ohne Knochen etwas ein Zehntel des gesamten Tieres ausmache, so dass die Menge in etwa dem Neuntel für die befleckten Tritopatreis entspreche. 119 Dass hier, wie in Spalte B, eine Wiedereingliederung des „sacrificer […] and his gentilitial group into the community by securing the participation of people outside his own group“ vorliegt, so Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 39, ist, wie Clinton 1996, 174 anmerkt, „overly speculative“. Lupu 2005, 378 sieht dies ähnlich. 120 So wohl die plausibelste Deutung des Lokativs [ϝ]οίϙοι; siehe Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 39. Clinton 1996, 174 hält es für wahrscheinlicher, dass ein Gebäude im Bereich des Heiligtums (der Aufbewahrungsort der hiara oder der Tempel selbst) gemeint ist: „The fact that public hιαρά are involved would tend to suggest a public οἶκος as opposed to a private house“; Lupu 2005, 379 tendiert in dieselbe Richtung. 121 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 64; vgl. Vonderstein 2006, 210: „(Zeus) Meilichios […] und vielleicht auch den Tritopatoren“. 122 Clinton 1996, 173 deutet den Plural derart, dass es sich um ein Bildnis des Zeus Milichios und „other objects“ gehandelt haben könnte; ihm folgt Lupu 2005, 378. – Jordan 1996, 327 spricht sich gegen bildliche Darstellungen aus, weil diese wie in A21 als ἀγάλματα bezeichnet worden wären. 123 Der Wortlaut τὰ δαμόσια ἐξhιρέτο καὶ τρά[πεζα]/ν: προθέμεν scheint nahezulegen, dass die Präpositionen ‚heraus‘ und ‚davor‘ denselben Bezugspunkt haben könnten. Dies wollen auch Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 67f. nicht ausschließen. Sie erwägen ferner, dass der Tisch vor den entsprechenden Altar gestellt werden sollte, favorisieren aber Stelen/Statuen. 124 So Graham 1995, 367: „public sacrificial victims“; ähnlich Dimartino 2006, 318 Anm. 37; vgl. auch oben Anm. 42.

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2.4 Deutung des Textes

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dies auch im Falle des zweiten, welches zuhause stattfinden konnte, da man hier die angesprochene Gottheit (wie im oberen Teil der Inschrift) zu Beginn der ihr bestimmten Rituale erwartet hätte, jedenfalls wenn man der überzeugenden Einteilung in Sinnabschnitte von K. Clinton folgt (siehe oben). Somit können sich die fakultativen Prozeduren in den ersten beiden Fällen nur auf Zeus Milichios in Euthydamos beziehen. 125 Alles andere macht auch wenig Sinn, da, soweit ersichtlich, jeweils nur ein einziges Opferritual durchgeführt wird, während zuvor jede erwähnte Gottheit bzw. Gruppe ihren Teil erhielt. Von einer Wiederholung von Opfern für den Fall, dass der gewünschte Reinigungseffekt nicht eintritt, wie sie S. I. Johnston erkennen möchte, kann ebenfalls keine Rede sein. 126 Erstens wird nur zur Wahl gestellt, nach einem Jahr/zwei Jahren weitere Opfer darzubringen. Zweitens hätte man nicht nur die Theoxenia für die reinen Tritopatreis wiederholt, sondern sich vor allem auf die Riten für die befleckten konzentriert, wenn der Erfolg des ersten Rituals ausgeblieben wäre. 2.4.2 Spalte B Wenden wir uns nun Spalte B zu. Auch hier fehlt der Anfang des Titulus, wobei anzumerken ist, dass nach Ansicht von M. H. Jameson, D. R. Jordan und R. D. Kotansky von der Tafel und damit vom Text nur wenig verloren sein dürfte. 127 Dies ist jedoch, wie oben ausgeführt, ungewiss. In der ersten, nur fragmentarisch erhalten Zeile ist noch verifizierbar, dass sich jemand von Elasteroi reinigen bzw. befreien möchte. In ihrer Übersetzung und im gegenüberliegenden griechischen Text führen Jameson, Jordan und Kotansky zwar keinerlei Ergänzung dieser Zeile auf. Im Kommentar zur Inschrift favorisieren sie aber folgende: [αἴ] κ’ ἄνθροπος [αὐτορέκ]τα[ς ἐλ]αστέρον ἀποκα[θαίρεσθαι / λι], und übersetzen: „‚If a man (who is an) autorrektas wishes to be purified of elasteroi …‘“. 128 Diese Lesung ist maßgeblich durch Zeile B9 beinflusst: hόνπερ hοὐτορέκτας ἐπεί κ’ ἐλαστέρο ἀποκαθάρεται. Während das Ende von B1 zweifellos in der von Jameson, Jordan und Kotansky vorgeschlagenen oder ähnlicher Form 129 zu ergänzen ist, ist ihre Vervollstän125 Vgl. Clinton 1996, 173; Ekroth 2002, 219. 126 So Johnston 1999, 50, 56, welche die Tritopatreis zu sehr in das Zentrum ihrer Interpretation rückt; ferner Jameson 1994, 43f.; Dubois 1995a, 559; Jordan 1996, 327; North 1996, 295; Lupu 2005, 365; Dimartino 2006, 317; Grotta 2010, 197. Von einer Wiederholung spricht seltsamerweise auch Clinton 1996, 173f., ohne dies jedoch auszuführen. 127 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 3f. 128 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 12 (Zitat), 40: „The subject of the [first] sentence should be an autorrektas, whether or not explicitly so described“. Dieser Deutung folgt Burkert 1999a, 23‒38 bzw. Burkert 2000, 207‒216, der zwar anders ergänzt und übersetzt („Wenn ein Mensch eines Menschen Rachegeist hinweg-reinigen will“ [29]), der „überwältigenden“ „Übereinstimmungen mit Aischylos’ Eumeniden“ (30) wegen aber dennoch einen Mord zugrunde legt, allerdings ausschließlich solche, die außerhalb von Selinunt begangen wurden; vgl. Anm. 170. 129 Es ist verwunderlich, dass der Elasteros im weiteren Verlauf der Inschrift jeweils nur im Singular erscheint (am Schluss der Inschrift sogar mit bestimmtem Artikel!). Folgt man ferner der Auslegung von Jameson, Jordan und Kotansky hinsichtlich B7, wonach dort verschiedene Elasteroi

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digung von [αὐτορέκ]τα[ς] auf Grundlage zweier Buchstaben und ei­ner fragwürdigen inhaltlichen Interpretation (siehe unten) kaum haltbar. 130 Letztlich ist nicht einmal klar, ob das erste, mit einiger Sicherheit zu entziffernde Wort, ἄνθροπος, einen Nominativ Singular oder Akkusativ Plural darstellt, was natürlich auch Jameson, Jordan und Kotansky nicht entgangen ist. 131 Sieht man ἐλαστέρον in B1 als Genitiv Plural an, wäre es zumindest ungewöhnlich, dass eine einzige Person von gleich mehreren Elasteroi befreit werden muss. Sicher ist somit nur, dass im Folgenden ein Ritual be­schrieben wird, dass die Menschen dabei unterstützen soll, sich von Elasteroi zu befreien. Wer ist dieser Elasteros, von dem es vielleicht sogar verschiedene Formen gibt? 132 Es muss sich um eine übernatürliche Erscheinung handeln, da ihr Opfer darzubringen sind, welche teils olympischer, teils chthonischer Natur sind (B12f.). Ferner ist klar, dass es sich im Ritual um eine Wesenheit dreht, die man loswerden möchte, indem man sich reinigt. Bekannt war der Elasteros bislang als Beiname des Zeus, und zwar ausschließlich auf der Insel Paros. 133 Mit dem Namen verwandt sind die Formen Alastoros und Alastor, 134 die sowohl als Epitheton des Zeus, 135 wie auch ohne ihn nachgewiesen sind und für welche literarische Erwähnungen aufzeigen, 136 dass es sich um übernatürliche Verfolger handelt. Die Forschung erwägt zum einen, dass Elasteroi im Auftrag und als spezifiziert werden, und zwar im Akkusativ Singular, dann ist dieser Kasus auch für B1 nicht auszuschließen (favorisiert von Schwabl 1996, 285; Burkert 1999a, 29; Burkert 2000, 208). Letztlich ist es aber wahrscheinlicher, dass hier der Genitivus Separativus im Plural vorliegt. 130 Die Forschung übernimmt die Ergänzung allerdings nahezu durchgängig; vgl. Dubois 1995a, 560; Dubois 1995b, 138; Clinton 1996, 176; Schwabl 1996, 285; Dubois 1999, 334; Dubois 2003, 108, 117; Clinton 2005, 174; Lupu 2005, 363; Dimartino 2006, 318f.; Dubois in DobiasLalou/Dubois 2007, 153; Grotta 2010, 190; Robertson 2010, 16, 27; Patera 2010, 291; Eck 2012, 271. 131 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 56 Anm. 2. 132 Dies hängt von der Interpretation von B7 ab (siehe unten). 133 Siehe Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 116f. für die zu ihrer Zeit bekannten Belege sowie Lupu 2005, 382 für weitere jüngeren Datums. – Wahrscheinlich leitet sich das Epitheton von dem Verb ἐλαύνειν ab. So spricht Orestes (Eur. Iph. T. 970f.; vgl. 934) von den Erinyes, die ihn beständig verfolgen: ὅσαι δ‘ ᾿Ερινύων […] ἠλάστρουν μ‘ ἀεί (vgl. auch Aischyl. Choeph. 966‒968); siehe hierzu ferner Dubois 2003, 118f., 121; Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 154‒156; Patera 2010, 278‒280. 134 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 117‒120 mit den Belegen; ferner Burkert 1999a, 30; Johnston 1999, 47; Burkert 2000, 208; Lupu 2005, 382; Kearns 2010, 108. Zögernd äußert sich Clinton 1996, 174: „may be related“. 135 Siehe Cornutus p. 10,20‒11,4 (Lang); Hesych. s.v. ἀλάστωρ. 136 Vgl. Plut. mor. 418B‒C: παγγέλοιον γάρ ἐστιν, ὦ ἑταῖρε, τὸν ᾿Απόλλω κτείναντα θηρίον φεύγειν ἐπὶ πέρατα τῆς ῾Ελλάδος ἁγνισμοῦ δεόμεnon, εἶτ‘ ἐκεῖ χοάς τινας χεῖσθαι καὶ δρᾶν ἃ δρῶσιν ἄνθρωποι μηνίματα δαιμόνων ἀφοσιούμενοι καὶ πραΰνοντες, οὓς ἀλάστορας καὶ παλαμναίους ὀνομάζουσιν, ὡς ἀλήστων τινῶν καὶ παλαιῶν μιασμάτων μνήμαις ἐπεξιόντας. „Denn, mein Freund, nichts kann lächerlicher sein, als dass Apollo, nach Erlegung des Ungeheuers, der Reinigung wegen bis an die Grenze Griechenlands fliehen, daselbst Sühneopfer darbringen und andere Zeremonien durchführen soll, die die Menschen durchzuführen pflegen, wenn sie den Zorn jener Dämonen besänftigen und stillen wollen, die man Alastores und Palamnai nennt, weil sie Erinnerungen an irgendwelche unvergessenen und alten Verbrechen (miasmata) verfolgen.“ Übersetzung nach J. F. S. Kaltwasser. Siehe ferner Plut. mor. 297A; Eur. Hipp. 820.

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Rächer von Toten agieren, denen Unrecht angetan wurde und die es nach Vergeltung dürstet, 137 zum anderen, dass es sich um die Toten selbst handelt, die ihre Mörder heimsuchen. 138 Ersteres ist angesichts der dem Elasteros darzubringenden Opfer plausibler. 139 In unserer Inschrift erscheinen Elasteroi im Plural wie im Singular, 140 und zwar als selbstständige, übernatürliche Wesenheiten. Die besondere Verbindung zu Zeus zeigt sich dennoch, nämlich im Opfer für diesen Gott, welches am Ende des ersten Reinigungsprozesses durchgeführt wird. Derjenige, der von einem Elasteros befreit werden möchte, soll nach Anweisung der lex sacra zuerst etwas laut verkünden (was, bleibt offen 141), und zwar wann, wo und in welche Richtung er auch immer möchte. Dann soll er das Reinigungsritual vornehmen, welches nach Auslegung von Jameson, Jordan und Kotansky eine gastliche Aufnahme des Elasteros umfasst. Somit findet auch hier eine xenia statt, wenn auch in einem bescheidenen Rahmen. Als Abschluss erhält Zeus, in dem die Forscher Milichios vermuten, 142 wie erwähnt, ein Ferkel-Opfer. 143 Daraufhin soll der Gereinigte weggehen, sich umdrehen 144 und darf nun als Gereinigter wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, indem er mit seinen Mitmenschen konversiert sowie isst und schläft, wo auch immer er möchte. 145 137 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 116; Eck 2012, 269. Clinton 1996, 179 sieht in ihnen „the Erin­ yes’ Selinuntine equivalent“ und nimmt mit Verweis auf Eur. Iph. T. 970f. (zitiert in Anm. 133) an, „that the correspondance of Erinyes and Elasteroi was generally recognized“; siehe aber Anm. 53. 138 Johnston 1999, 47: „either the soul of a dead person or another supernatural agent sent by that soul.“ Wenig später favorisiert sie die Deutung als „angry soul“ (48). Burkert 1999a, 29f.: „Rachegeist“; Burkert 2000, 208: „demon or ghost“; Ogden 2002, 114 bzw. Ogden 22009, 163: verärgerter Geist eines Toten; Patera 2010, 278: „esprits vengeurs“; anders Salvo 2012b, 140f., die in dem Elasteros einen „evil genius“ bzw. „demon“ erkennt, der das Verbrechen nicht räche, sondern bewirkt habe. 139 Abwegig ist meines Erachtens die Interpretation von Dimartino 2006, 321‒323 und Grotta 2010, 193, wonach der Elasteros den Verfolgten erst zum Verbrechen verleitet hat; siehe auch die Skepsis von A. Chaniotis ad SEG 53, Nr. 1032. 140 Siehe aber Anm. 129. 141 Der Vergleich mit der lex sacra von Kyrene (siehe unten) legt nahe, dass auch hier die Ausrufung denjenigen, auf dessen Veranlassung der Elasteros aktiv wurde, (oder den Elasteros selbst?) identifizieren sollte. Doch bleibt dies ungewiss. Dagegen geht Dubois 1995b, 140 davon aus, dass die folgenden Spezifikationen (Ort und Zeit der Reinigung) Inhalt der Proklamation waren. Johnston 1999, 47 wiederum vermutet, dass der Beginn des Rituals verkündet wurde. Siehe ferner Patera 2010, 292: „Cette annonce rituelle pourrait donc être à la fois un avertissement du danger que représente l’homme impur et une demande d’aide pour que quelqu’un accepte de le purifier.“ – Jedenfalls steht die Handlung in keinem Gegensatz zu dem unten aufgeführten Verbot der Konversation; hierzu Burkert 2000, 210. 142 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 42, 54; anders Grotta 2010, 191, 194‒196: „Zeus (Elasteros?)“. 143 Siehe zum Ferkel-Opfer im Allgemeinen Clinton 2005, 167‒179. 144 Anscheinend durfte der Gereinigte nicht zurückschauen; siehe Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 43, Johnston 1999, 47f. und Bremmer 2008, 121‒123 mit den Belegen; vgl. auch Matijević 2015, Kap. 4.1; anders Schwabl 1996, 285f., der dies zu den wiedergewonnenen Freiheiten zählt und „wandere herum“ übersetzt; wiederum anders Kearns 2010, 108: „turning round in a circle“. 145 Siehe zu den wiedergewonnenen Freiheiten Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 43, Burkert 1999a, 25, 31, Burkert 2000, 210 und Lupu 2005, 385, jeweils mit den dort angegebenen weiteren Belegen.

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Der grundlegende Inhalt der Passage ist klar. Eine befleckte Person ist von der Gesellschaft ausgeschlossen worden und unternimmt verschiedene Riten, die eine Wiedereingliederung ermöglichen sollen. In den Details ist freilich vieles verwirrend bzw. umstritten. So ist letztlich ungewiss, wer wen bewirtet: Der zu Reinigende den Elasteros oder wird ersterer durch eine weitere Person verköstigt? 146 Wir wissen aus den literarischen Quellen, dass ein unreiner Mensch in die Fremde ging, gerade wenn er ein schwerwiegendes Verbrechen begangen und sich hierdurch befleckt hatte. 147 Dort kümmerten sich dann andere Menschen, in aller Regel die Gastgeber, um die rituelle Reinigung. Folglich könnte in unserem Text auch der Befleckte mit Wasser zum Waschen, Essen und Salz empfangen werden. 148 Dann wäre allerdings von einem zweifachen Subjektswechsel auszugehen, der für den Leser nicht kenntlich gemacht worden wäre, 149 einer der Gründe, weshalb Jameson, Jordan und Kotansky es als wahrscheinlicher ansehen, dass der Elasteros und nicht die unreine Person bewirtet wird. 150 Andererseits wechselt auch in Spalte A das Subjekt, und zwar sogar mehrfach, vom Singular in den Plural, ohne dass durchgängig deutlich würde, wer gemeint ist. Auch wenn es sich hierbei um einen anderen Schreiber gehandelt hat, zeigt dies doch, dass wir mit derartigen Phänomenen rechnen müssen. 151 Eine dritte Möglichkeit ist von L. Dubois aufgezeigt worden. 152 Er verweist auf Platons Abhandlung über die Gesetze, in der die Reinigung im Falle einer unabsichtlichen Tötung beschrieben wird (865d‒866a). Demnach wird die Prozedur von dem nächsten Verwandten des Toten begleitet, und er ist es, der den Befleckten bewirtet, was Dubois auch in unserer lex sacra vermutet. 153 146 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 41f., 56 Anm. 2 diskutieren beide Möglichkeiten und entscheiden sich für die gastliche Aufnahme des Elasteros; ihnen folgen Dubois 1995a, 560; Dubois 1995b, 140f.; Giuliani 1998, 68‒70, Camassa 1999, 144, Dubois 1999, 335, Johnston 1999, 47, Ekroth 2002, 279 Anm. 317, Rhodes/Osborne 2003, 505, Dimartino 2006, 324 Anm. 73 und Grotta 2010, 193f.; unentschieden bleibt Schwabl 1996, 285f. 147 Vgl. die zahlreichen Beispiele bei Parker 1983, 375‒392; vgl. ferner Burkert 1999a, 30, 32‒34; Burkert 2000, 211. 148 So Clinton 1996, 175f., der am Ende von B4 τι αὐ[τορέκται] ergänzt; ihm folgen Burkert 1999a, 30, Burkert 2000, 211, Lupu 2005, 363, 383f. und Dubois 2003, 108, 119 bzw. Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 155, der ursprünglich der editio princeps gefolgt war (siehe Anm. 146), sowie Salvo 2012b, 137f. Robertson 2010, 29 möchte dies aus Platzgründen ausschließen. Da der Text nicht rechtsbündig und die Tafel selbst rundherum gebrochen ist, bleibt die ursprüngliche Länge der Zeile aber offen. 149 Zumindest im zweiten Falle; der erste Wechsel könnte in der Lacuna am Ende von B3 angezeigt gewesen sein. Dagegen gehen Maffi 2001, 210f., 213 und Salvo 2012b, 138f. wenig schlüssig davon aus, dass bereits die Verkündigung von einer weiteren Person und nicht dem Befleckten vorgenommen wurde. Die Anweisung καθαιρέσθο am Ende von B3 impliziert aber zweifellos, dass zuvor der Befleckte selbst Subjekt ist. 150 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 56 Anm. 2. Zweifellos gewichtiger für ihre Deutung der Stelle ist die von ihnen erkannte Parallele zur lex sacra von Kyrene; hierzu unten. 151 Siehe auch Dubois 2003, 121; Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 156; Salvo 2012b, 138. 152 Dubois 2003, 120f.; Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 156; vgl. hierzu bereits Maffi 2001, 213; ferner Patera 2010, 293f. 153 Salvo 2012b, 138 schließt sich an.

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2.4 Deutung des Textes

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Strittig diskutiert wird ferner der Ausdruck: ἐξ αὐτ ἴτο. Jameson, Jordan und Kotansky denken, 154 dass der Gereinigte den Ort verlassen soll, an dem das Ritual durchgeführt wurde – ihrer Ansicht nach, auch wegen des weiter unten erwähnten öffentlichen Altars, das Heiligtum des Zeus Milichios auf dem Gaggera. Dies geht aus dem Text jedoch nicht hervor. Es liegt näher, dass der anfangs frei gewählte Platz gemeint ist, an dem auch die Proklamation stattfand. 155 L. Dubois denkt dagegen an eine Trennung von Gereinigtem und Elasteros bzw. dessen Darstellung, 156 eine Vorstellung, die zweifellos durch die lex sacra von Kyrene beeinflusst ist (siehe unten). K. Clinton gibt wiederum zu bedenken, dass als Bezugswort für αὐτ am ehesten hυποδεκόμενος in Frage komme, also der die Purifikation durchführende Gastgeber, der verlassen wird. 157 Wiederum anders sieht dies W. Burkert, der ἐξ αὐτ mit χοῖρον verbindet und das Ferkel als „aus eigenen Mitteln“ gestellt ansieht. 158 W. Burkert denkt ferner, dass das Opfern des Ferkels noch zur Reinigungszeremonie gehört. 159 Dem widersprechen K. Clinton und E. Lupu: Das Opfer zeige ebenso wie die folgenden wiedergewonnenen Freiheiten, dass der Gereinigte erneut ein vollwertiges Mitglied seiner Umgebung ist. 160 Der nächste Abschnitt in der lex sacra scheint ein neues Ritual zu beschreiben, gerade auch angesichts der erfolgten Reinigung im zuvor beschriebenen Ablauf. 161 Zuerst wird jemand charakterisiert: als Fremder bzw. Gast oder Vorfahr oder einer, der gehört bzw. gesehen wird, oder „welcher auch immer“. Für den Fall, dass eine dieser Charakterisierungen zutrifft, soll sich der Befleckte so reinigen wie sich ein autorrektas, also Mörder (hierzu unten), von einem Elasteros reinigt: Nachdem er ein ausgewachsenes Tier auf dem öffentlichen Altar geopfert hat, soll er rein sein. Ferner soll er eine Grenze mit Salz ziehen, 162 aus einem goldenen Gefäß eine Lustration vornehmen und den Ort, wo der öffentliche Altar aufgestellt ist, verlassen. 154 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 42; ähnlich Scullion 1998, 119. 155 So Robertson 2010, 29. 156 Dubois 1995a, 560f. bzw. Dubois 1995b, 140f., wobei ihm selbst bewusst ist, dass eine Darstellung des Elasteros in der Inschrift gar nicht erwähnt wird. 157 Clinton 1996, 176: „The sacrifice took place surely therefore at the host’s house, or, at any rate, a spot designated by the host“; ihm folgt Lupu 2005, 363. 158 Burkert 1999a, 29‒31 bzw. Burkert 2000, 207, 211. Nach Robertson 2010, 29 ist diese Deutung sprachlich nicht möglich. 159 Burkert 2000, 210f.; ebenso Vonderstein 2006, 209, Kearns 2010, 108 und schon Johnston 1999, 47: „typical offering in rites of purification from murder“; ähnlich auch Dubois 1995a, 560, Dimartino 2006, 324 und Patera 2010, 294. 160 Clinton 2005, 175; Lupu 2005, 384. Nach Clinton waren Opfertiere von Reinigungszeremonien niemals spezifischen Göttern gewidmet; ferner weise auch das Verb θύειν auf ein normales Opfer hin. 161 Graham 1995, 367; Clinton 1996, 178; Giuliani 1998, 75‒78; Kearns 2010, 108; anders Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 45, Dubois 1995b, 142, North 1996, 297 und Dimartino 2006, 328, die von einem einzigen Reinigungsritual in zwei Stufen ausgehen. 162 Siehe zur apotropäischen Funktion des Salzes Parker 1983, 226f. Anders möchte diese Stelle Dubois 1995a, 561, Dubois 2003, 123 bzw. Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 157 verstehen:

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2 Die lex sacra von Selinunt

Der Beginn des Abschnitts ist schwer verständlich: Auf wen beziehen sich die vier Adjektive ξενικὸν ἒ πατριον ἒ ’πακουστὸν ἒ ’φορατὸν? Jameson, Jordan und Kotansky denken, dass bestimmte Elasteroi charakterisiert werden, von denen man sich reinigen lassen bzw. befreien will. Darüber hinaus sehen sie die ersten beiden Begriffe und die letzten beiden als jeweils zusammengehörig an und trennen diese in ihrem Text durch ein Komma voneinander ab. Demnach würde der Elasteros ‚fremd‘ oder ‚verwandt‘ sein und ‚gehört‘ oder ‚gesehen‘ werden. Wäre dem so, würde man allerdings einen Genitiv statt Akkusativ erwarten; ferner gibt die griechische Formulierung keinen Anlass für die zweifache Paarung. In ihrem Kommentar erklären die drei Forscher den Akkusativ damit, dass der Prozess der Reinigung des Elasteros äquivalent zum Vorgang der Reinigung von diesem sei. 163 Nur zwei Zeilen tiefer (B9) wird dies indes mit dem Genitivus Separativus ausgedrückt. Das Problem ist von der übrigen Forschung zwar bemerkt worden, dennoch ist man den Erstherausgebern auf Grund mangelnder Alternativen in der Regel gefolgt. 164 An anderer Stelle, allerdings nur in einer Anmerkung, geben Jameson, Jordan und Kotansky dann zu bedenken, dass unter Umständen nicht der Elasteros, sondern die befleckte Person näher spezifiziert werde. 165 Rein grammatikalisch liegt dies sogar näher, und auch unter allgemeinen Erwägungen möchte man eher annehmen, dass die unreine Person (bzw. ihr Verbrechen) näher charakterisiert wird als das übernatürliche Wesen. 166 Hierfür spricht auch, dass das Vergehen über den Aufwand des Opfers entschied (siehe unten). Offen bliebe bei dieser Deutung, warum die unreine Person als ‚gehörte‘ bzw. ‚gesehene‘ bezeichnet werden sollte, was auch der Grund dafür ist, dass Jameson, Jordan und Kotansky die Attribute letztlich doch auf den Elasteros beziehen wollen. Dagegen denkt B. Jordan in seiner Besprechung der editio princeps, eine Deutung für die alternative Übersetzung anbieten zu können. Seiner Ansicht nach könnte gemeint sein, dass der Befleckte bei seinem Vergehen gehört oder gesehen worden sei. 167 Einen etwas anderen Ansatz verfolgt C. Dobias-Lalou in seiner (vielleicht etwas zu freien) Übersetzung: „Si l’on veut purifier un homme avec qui on est lié par l’hospitalité ou la famille, ou dont on connaît le cas par ouï-dire ou pour en avoir été témoin, […].“ 168 Keine tragendere Rolle spielt diese Frage nach Ansicht von M. Patera, da Elasteros den Verfolger wie den Verfolgten bezeichnen könne: „À notre avis, cette question n’est pas très importante, puisque celui qui souffre d’un ἐλάστερος

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„l’individu qui se purifie délimite sur le sol la surface sur laquelle il fera des aspersions d’eau de mer à partir d’un vase en or“. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 44. Siehe z. B. Dubois 1995a, 561; Clinton 1996, 177Anm. 74; Schwabl 1996, 285f.; Brugnone 1999, 596; Burkert 1999a, 29; Camassa 1999, 144; Johnston 1999, 48; Burkert 2000, 208f.; Dubois 2003, 121f.; Dimartino 2006, 327; Suárez 2006, 35; Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 154, Anm. 25, S. 157; Grotta 2010, 191, 194 ; Salvo 2012b, 141. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 56 Anm. 2. Insbesondere wenn man Elasteroi mit Erinyen gleichsetzen möchte; siehe Anm. 137. Jordan 1996, 328 übersetzt: „If someone wishes that a foreign or native (man) or one who has been overheard or observed (in a crime), or any one at all, be purified, […].“ Dobias-Lalou 1997, 267 (allerdings ohne Diskussion).

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2.4 Deutung des Textes

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est luimême nommé ainsi. Qu’on purifie un ἐλάστερος (criminel) ou un homme de son ἐλάστερος (esprit vengeur) revient plus ou moins au même.“ 169  Interessanterweise werden die Differenzierungen des Befleckten bzw. ihn verfolgenden Elasteros schon im nächsten Atemzug wieder aufgehoben: wen auch immer (ἒ καὶ χὄντινα) man purifizieren wolle, man solle vorgehen wie im Falle eines autorrektas. Jameson, Jordan und Kotansky konnten überzeugend darlegen, dass diese bislang unbekannte Vokabel am ehesten einen Mörder bzw. Totschläger bezeichnet. 170 Wie bereits angemerkt ist die Ergänzung von autorrektas in B1 dagegen wenig überzeugend. Diese Skepsis erhält dadurch zusätzliche Nahrung, dass im ersten Ritual (B1‒7) nur ein Ferkel, hier aber, wo man sich auf dieselbe Art reinigen solle wie ein Mörder, ein ausgewachsenes Tier dargebracht wird. Überhaupt ergibt es wenig Sinn zuerst das Reinigungsprocedere für einen Mörder zu beschreiben und hernach dieses noch einmal, aber auf andere Weise auszuführen. K. Clinton hat dies damit zu begründen gesucht, dass der in B7 spezifizierte Elasteros nicht ein fremder oder verwandter Verfolger sei, sondern dem Befleckten nachstelle, weil dieser einen Gast/Gastgeber bzw. Blutsverwandten getötet habe. 171 Seiner Ansicht nach handelt es sich somit um eine schlimmere Art von Mord, die ein größeres Opfer verlange. Die folgenden Adjektive formt auch Clinton zu einer eigenen Gruppe: Demnach würden diese beschreiben, wie sich der Elasteros manifestiert, d. h. entweder man sieht oder hört ihn oder er macht sich anders bemerkbar. 172 Ganz abgesehen davon, dass der Text die Teilung in zwei unterschiedliche Gruppen 169 Patera 2010, 297. 170 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 44f. zu hοὐτορέκτας (= hο αὐτορέκτας). Das Gros der Forschung folgt hierin der editio princeps. Dimartino 2006, 334‒345 spezifiziert: „un omicidio me ek pronoias“ (344), also Totschlag. Anders und allgemeiner Dubois 1995a, 560, Dubois 1995b, 139f., 144, Dubois 1999, 336, 345 bzw. Dubois 2003, 125: „agent responsable“ bzw. „le coupable“; ähnlich Schwabl 1996, 286: „der durch eigene Tat Schuldige“ und Giuliani 1998, 78: „‚autore diretto‘, ‚colui che ha materialmente / personalmente compiuto l’azione‘“; Patera 2010, 297: „Il n’est donc pas nécessaire de postuler un meurtrier pour rendre le sens de notre document“; Suárez 2006, 35: „el criminal“. Der Einwand von Dubois 1995b, 139f. (vgl. auch Giuliani 1998, 72‒74), dass die Polis die Reinigung von Mord nicht in private Hand übergeben hätte, wird von Lupu 2005, 382 Anm. 103 zu Recht zurückgewiesen: „the purification proper – here strictly spea­ king only from elasteroi – does not necessarily absolve a homicide from the act of killing and is different from a trial.“ Burkert 2000, 212f. hält den Einwand dagegen für nicht schlagend, da die Reinigungsanweisungen nur für außerhalb von Selinunt begangene Morde gelten; vgl. Anm. 128. Abwegig ist Robertsons 2010, 18, 28, 214, 227 Ansatz, der zwar ähnlich wie die editio princeps, wenn auch überwörtlich, übersetzt („the one slaying with his own hand“), hierin aber eine Person erkennen möchte, die eigenhändig das Opfertier töten muss. 171 Clinton 1996, 178f.; diesen Gedankengang teilen ferner Johnston 1999, 49, Dubois 2003, 121f.; Lupu 2005, 385, Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 157 und Kearns 2010, 108. Ähnliches wurde schon in der editio princeps angedeutet; vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 44, anders dann aber auf S. 55! – Wenn man davon ausgeht, dass es sich bei dem Elasteros um den Geist des Opfers handelt (siehe oben mit Anm. 138), spielt die Unterscheidung freilich keine Rolle. 172 Clinton 1996, 178: „[…] the ‚whoever‘ referring to whatever other way the ἐλάστερος may make himself known (e.g., by his effect on the body or mind of the person pursued).“ Zustimmung findet sich wiederum bei Lupu 2005, 385. Hierbei handelt es sich aber um eine allzu freie Übersetzung von χὄντινα.

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2 Die lex sacra von Selinunt

nicht stützt und die Attribute sich, wie dargelegt, ebenfalls auf den zu Reinigenden beziehen könnten, erklärt auch Clintons Deutung nicht, warum diese schwerer wiegenden Verbrechen dann doch wiederum wie ein ‚normaler‘ Mord/Totschlag gesühnt werden sollen und warum sich dieses Ritual von dem vorangehenden für einen Mörder dennoch unterscheidet. Zumindest ein Teil der Probleme löst sich in Wohlgefallen auf, wenn man die ohnehin wenig überzeugende Ergänzung von B1 fallen lässt und akzeptiert, dass das erste Ritual irgendeine unreine Person unterstützt, die aus anderen Gründen als Mord, 173 von einem Elasteros verfolgt wird. Letztlich ist nicht einmal im zweiten Ritual sicher, dass ein Mord vorliegt; es wird nur ausgesagt, dass man sich auf dieselbe Art von dem Elasteros reinigen bzw. befreien solle wie ein Mörder – weiter nichts. 174 Da im Rahmen dieses Vergleichs ausgeführt wird, was ein Mörder zu unternehmen hat, der von einem Elasteros verfolgt wird, kann man den zweiten Abschnitt aber durchaus als Anleitung auch für derartige Verbrecher verstehen. Bemerkenswert ist, dass das Opfer im zweiten Ritual auf dem öffentlichen Altar darzubringen ist. Dies mag ein Interesse auf Seiten der Polis implizieren 175 – man vermutet der Schwere des Verbrechens wegen 176 –; ferner könnten auch Priester beteiligt gewesen sein. 177 Die Details bleiben aber ungenannt. Wie im ersten Ritual in Spalte B scheinen auch im zweiten nur der Befleckte bzw. die diesen unterstützende Person zu handeln. 178 Am Schluss der Inschrift in Spalte B wird angewiesen, dass dem Elasteros 179 wie den Unsterblichen geopfert werden müsse, wobei das Blut allerdings in die Erde fließen solle. Dies bezieht sich sicherlich auf das Procedere beim öffentlichen Altar, 180 zumal dort kein Empfänger des Opfers genannt ist. Das Tier bzw. die Knochen werden also wie bei olympischen Opfern üblich verbrannt, während das Blut des Tieres der Unterwelt 173 Auf dem ‚Campo di Stele‘ sind mehrere Fluchtäfelchen gefunden worden; Jameson/Jordan/ Kotansky 1993, 131 vermuten zwar einen Zusammenhang mit der lex sacra, führen dies aber nicht weiter aus. Vgl. hierzu auch Grotta 2010, 94, 204, der auf Grundlage einer erneuten Überprüfung der Grabungsdokumentation die Anzahl der im Bereich des ‚Campo di Stele‘ entdeckten defixiones von 12 auf 5 korrigiert und einen Zusammenhang mit der Weihepraxis für Zeus Milichios der Stratigraphie wegen ausschließen möchte. 174 Dies betont North 1996, 297. 175 Vgl. North 1996, 300; Burkert 1999a, 32; Burkert 2000, 212; Lupu 2005, 386. 176 Vgl. Lupu 2005, 386. 177 Vgl. North 1996, 301; Burkert 1999a, 32; Lupu 2005, 386. 178 Sofern man der hier abgedruckten Übersetzung von B7f. folgen möchte. Der Befleckte wird in jedem Falle Unterstützung benötigt haben, da er selbst als Unreiner keine Opfer darbringen konnte. 179 Dubois 1995a, 561, Dubois 1995b, 142, Dubois 2003, 123, Suárez 2006, 35, Dubois in DobiasLalou/Dubois 2007, 157f. und Grotta 2010, 192, 194‒196 denken, dass hier am Ende der Inschrift Zeus Elasteros gemeint ist! Allerdings ist dieser Gott bislang ausschließlich in Paros belegt (siehe oben). Ferner wäre ein derartiger Bedeutungswechsel allein aufgrund des bestimmten Artikels für den Leser sicher nicht nachvollziehbar. 180 Burkert 1999a, 32 betrachtet diese Verfügung getrennt von den vorangehenden Prozeduren: „Der Gereinigte könnte den Wunsch haben, seinem Rachegeist Opfer darzubringen, also einen Privatkult einzurichten, in dem die Beziehung zum Dämon dauerhaft geregelt wird“; ähnlich schon Schwabl 1996, 298; vgl. auch Burkert 2000, 211f.

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2.5 Die übergeordnete Bedeutung der Rituale in Spalte A und B

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gehört. 181 Wie schon im Falle der Tritopatreis in Spalte A wird mit der Anweisung, das Opfer wie für die Unsterblichen durchzuführen, nur das Ritual selbst charakterisiert, nicht zwingend gleichzeitig das Wesen des Elasteros. 182

2.5 Die übergeordnete Bedeutung der Rituale in Spalte A und B Viele Details der Inschrift sind umstritten und werden umstritten bleiben. Letztlich könnten nur weitere Neufunde zur Klärung beitragen. 183 Dennoch ist es gerade in Bezug auf die übergeordnete Bedeutung der Tafel möglich, Aussagen zu treffen sowie insbesondere zu weit gehende Ansätze zu revidieren. Von einer einzigen großen Reinigungsprozedur in Spalte A ausgehend haben M. H. Jameson, D. R. Jordan und R. D. Kotansky vermutet, dass diese einer stasis in der Polis wegen notwendig gewesen sein könnte. 184 Ihrer Ansicht nach sind die Tritopatreis als Ahnen von Familien und größeren gentilizischen Gruppen befleckt worden, weil ihre Nachfahren sich schwerwiegender Verbrechen schuldig gemacht haben. Hierauf würden auch die weiteren Gottheiten hinweisen. Die drei Forscher gehen davon aus, dass es zwischen den gentilizischen Gruppen des Myskos und des Euthydamos zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen sei, welche die beschriebenen Reinigungsrituale notwendig gemacht hätten. Hiermit in Zusammenhang stehen könnten nach Ansicht von Jameson, Jordan und Kotansky zwei Gräber unweit des „Campo di Stele“, in denen einmal 26 und einmal 11 Individuen beigesetzt waren. 185 Das Ritual in Spalte A stellte nach ihrer Meinung also den Frieden in der Polis wieder her, weshalb dieselbe auch ein Interesse an der lex sacra hatte und nach Ansicht der drei Forscher für die Publikation derselben verantwortlich war. 186 Sie wollen aber darüber hinaus nicht ausschließen, dass die Polis als Ganze „adopted the Meilichioi of two persons [Myskos und Euthydamos] important in its early history,“ 187 was unter anderem ihrer Interpretation der damosia hiara geschuldet ist. Dies führt sie letztendlich zu der Schlussfolgerung, dass es sich um mehrfach anwendbare, von der Polis erlassene Instruktionen gehandelt haben könnte, die im Falle von blutigen Auseinandersetzungen zwischen Gruppen oder Individuen durchzuführen waren. 188 Letzteres bilde die Brücke zwischen Spalte A und Spalte B. 189 181 Ausführlich hierzu Lupu 2005, 379f. (mit weiteren Belegen); siehe auch oben Anm. 98 zum Problem der Opfer-Kategorisierung in olympisch/chthonisch oder göttlich/heroisch. 182 Eine Wandlung von „spirits that appear to be close to human beings“ zu „divine figures of some kind“ vertritt North 1996, 299f. 183 Vgl. Carbon 2012, 323. 184 Zum Folgenden Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 52f., 57‒59. Ihnen folgen beispielsweise Boffo 1996, 621, Moscati Castelnuovo 1996, 215 und Eck 2012, 268f. 185 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 59f. Anm. 3. 186 Die Details seien freilich den „parties themselves“ (58) überlassen worden. 187 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 28, 52, 57 (Zitat), 93. 188 Dies formulieren Jameson, Jordan und Kotansky allerdings nur an einer einzigen Stelle (58) in ihrer Monographie; ähnlich, aber ohne Diskussion, Rausch 2000b, 111f., 116. 189 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 41, 59.

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2 Die lex sacra von Selinunt

Verschiedene Einwände sprechen gegen diese Interpretation. So wurde zum einen festgestellt, dass allein schon die Struktur des Textes gegen eine inhaltliche Verknüpfung von Spalte B mit Spalte A spricht. Da die Bleitafel ferner, wie es die drei unterschiedlichen Handschriften belegen, sukzessive beschriftet worden ist, kann man kaum von einem einzigen der Erstellung der tabula zugrundeliegenden Ereignis sprechen. Daneben stehen der Deutung auch Bedenken inhaltlicher, freilich umstritten diskutierter Natur entgegen. Geht man davon aus, dass das Ritual in A7‒24 alle vier Jahr vorzunehmen war, kann es nicht eine einmalige stasis zwischen gentilizischen Gruppen zum Ursprung haben. Sinnlos wäre unter diesen zeitlichen Voraussetzungen auch eine jeweilige Anwendung im Bedarfsfall, nach den Herausgebern der editio princeps weitere blutige Auseinandersetzungen zwischen Gruppen, 190 nach S. I. Johnston ein Sinken der Geburtenrate. Für diese Interpretationen unverzichtbar ist die Zugehörigkeit der nur fragmentarisch erhaltenen Zeilen A1‒3 zu dem Ritual in A7‒24, da die in A3 erwähnten homosepuoi für beide Ansätze den Aufhänger bilden. Wie gezeigt wurde, handelt es sich bei den Zeilen A4‒6 jedoch um einen bewusst unbeschriftet gelassenen Raum, der also auch eine inhaltliche Zäsur darstellt. Eine Folge hiervon ist, dass die Tafel trotz des erkennbaren Freiraums unter A24 ursprünglich sehr viel größer gewesen sein kann; eine zweite, dass wir für die Prozedur in A7‒24 keine spezielle Zielgruppe mitgeteilt bekommen. Dies wiederum spricht dafür, dass dem Ritual ab A7 auch kein unregelmäßig auftretender Bedarfsfall zugrundeliegt. Suchen wir nach einem Grund, so ist dieser am ehesten in der zeitlichen Angabe zu suchen, welche ja auch zu Beginn der Inschrift als ‚Deadline‘ für alles Folgende deutlich herausgestellt wird: Vor den Kotytia und vor dem olympischen Waffenstillstand, d. h. in jedem vierten Jahr. Da am Ende dieses Abschnitts in Spalte A weitere Opfer für das folgende fünfte und sechste Jahr spezifiziert werden, kann diese Zeitangabe nicht etwa als jährliche, im Sinne von: „in jedem Jahr vor den Kotytia, im olympischen aber auch vor dem Waffenstillstand“, aufgefasst werden. Somit muss der Anlass mit den olympischen Spielen zusammenhängen. 191 Da der Waffenstillstand nicht fest datiert war, treten die Kotytia als zweites Datierungskriterium hinzu. Der Grund für die späteren Opfer ein Jahr bzw. zwei Jahre nach den olympischen Spielen bleibt offen. Von einer Wiederholung der Rituale, deren Erfolg ausgeblieben 190 Letztlich ist der Ansatz von Jameson, Jordan und Kotansky schon deshalb abzulehnen, weil es kaum nachvollziehbar ist, dass die Polis nach einer stasis für die Reinigung der beteiligten Personen eine lex sacra erstellt haben soll und dies mit dem Hintergedanken, dass der Text bei weiteren Unruhen erneut zur Anwendung kommen solle; vgl. North 1996, 299. Ebenso wenig Sinn ergibt die Alternative, dass die Anordnungen zur einmaligen Anwendung gedacht gewesen seien, da in diesem Falle eine Aufzeichnung auf Dauer unnötig gewesen wäre. 191 Dies vertreten auch Curti/van Bremen 1999, 27, 31f. Siehe ebd. 25f. für die enge Verbindung von Selinunt mit Olympia, welche Selinunt mit seiner Metropolis, Megara Hyblaia, und dem griechischen Megara, wiederum Metropolis von Megara Hyblaea, teilte; ähnlich Vonderstein 2006, 210. – Siewert 2002, 366 geht davon aus, dass Spalte A ein gemeinsames Opfer von Gesandten aus Olympia, die den Waffenstillstand verkündigen, und von den „Opferfunktionären des lokalen Zeus-Kultes“ beschreibt.

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2.5 Die übergeordnete Bedeutung der Rituale in Spalte A und B

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sei, kann jedenfalls keine Rede sein. Die lex stellt es lediglich frei, weitere Opfer darzubringen, die sich im Übrigen, soweit ersichtlich, von den vorangehenden unterscheiden. Was bleibt, ist somit eine umfangreiche Anhäufung von Opfern für unterschiedliche Gottheiten, unter Umständen an verschiedenen Orten. 192 Zweifellos ist es auffällig, dass die erwähnten übernatürlichen Gestalten zum großen Teil mit Reinigung in Verbindung stehen, im Falle der Tritopatreis sogar als miaroi und katharoi bezeichnet werden, nur muss dies nicht bedeuten, dass ein unvorhergesehener Notfall eingetreten ist, der eine Anrufung oder sogar Reinigung dieser übernatürlichen Wesenheiten erforderlich gemacht hätte. 193 Es war durchaus üblich, sich vor Festen rituell zu säubern, und eine derart wichtige, panhellenische Veranstaltung wie die olympischen Spiele wird entsprechende Vorkehrungen notwendig gemacht haben. 194 Da keine bestimmte Gruppe spezifiziert wird, hat das Ritual wahrscheinlich die gesamte Polis tangiert. 195 Hierfür sprechen auch die nicht unbeträchtlichen Kosten, die sich der verschiedenen Opfertiere wegen ergeben und deren Übernahme nirgendwo spezifiziert wird. 196 Was die Interpretation von Spalte B angeht, ist die Forschung der Deutung der editio princeps im Großen und Ganzen gefolgt, 197 ohne jedoch durchgängig auch eine inhaltliche Verbindung mit Spalte A herstellen zu wollen. Der Text beschreibt zwei verschiedene Rituale, die beide dasselbe Problem behandeln: Sie unterstützen eine oder mehrere Personen dabei, sich von übernatürlichen Verfolgern zu befreien, die Elasteroi genannt werden. Grund der Heimsuchung sind die begangenen Untaten dieser Personen, die hierdurch befleckt wurden. Dabei gibt es verschiedene Hinweise darauf, dass je nach Vergehen unterschiedliche Maßnahmen zu treffen waren: Zum einen der Vergleich mit der Reinigung für Mörder, zum anderen die in den beiden Ritualen unterschiedlich kostspieligen Opfertiere, die darzubringen waren. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die Person, die sich durch ein schwerer wiegendes Verbrechen besudelt hatte, auch ein aufwändigeres Opfer zu erbringen hatte. Von einem Mörder ist im gesamten Dokument aber nur ein einziges Mal die Rede und dies genau genommen nur vergleichsweise. Gleichzeitig beinhaltet dieser Vergleich auch die reinigende Vorgehensweise im Falle von Mord. Folglich kann diese im fehlenden Teil der Inschrift nicht spezifiziert gewesen sein, sonst hätte man auf die Details an dieser Stelle verzichten können. Die Art der Belästigung, die den besudelten Menschen durch Elasteroi widerfuhr, wird in der Inschrift nicht erläutert. Immerhin war die Befleckung aber so offensichtlich oder die ihr zugrunde liegende Tat derart bekannt, dass die verfolgten Personen von 192 Clinton 1996, 165. 193 Letztlich spricht die hier vertretene Deutung auch gegen eine Reinigung und damit Wandlung von befleckten zu reinen Tritopatreis. 194 Ähnlich Vonderstein 2006, 210. 195 So ebenfalls North 1996, 300; Curti/van Bremen 1999, 27; Rausch 2000b, 111‒116; Vonderstein 2006, 210. 196 Diese Unterlassung hat nicht wenige Forscher erstaunt; siehe Clinton 1996, 163; Jordan 1996, 326; North 1996, 294f. 197 An der grundsätzlichen Bedeutung, der Befreiung von einem übernatürlichen Verfolger, ist auch kaum zu rütteln. Anders, aber kaum überzeugend, lediglich Robertson 2010, 213‒251.

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2 Die lex sacra von Selinunt

allen sozialen Aktivitäten der Polis ausgeschlossen waren. Wie die Inschrift zeigt, musste einer Heimsuchung durch Elasteroi nicht zwingend ein Mord zugrunde liegen, auch geringere Vergehen konnten diese Folge nach sich ziehen. 198 Die Reinigung von gravierenderen Untaten enthielt allerdings ein Opfer auf dem öffentlichen Altar und erforderte somit ein gewisses Publikum, vielleicht auch spezielle Priester. Die einzige offensichtliche Verbindung zwischen Spalte A und B ist somit der Aspekt der Reinigung, 199 die allerdings nur im Falle von Spalte B durch bestimmte Vergehen notwendig geworden war. Da es sich hierbei nicht zwingend um Mord bzw. Totschlag handeln musste, kann auch hier der Anlass für die Aufzeichnung der Anweisungen nicht in umfangreicheren blutigen Auseinandersetzungen gelegen haben. Im Gegensatz zum Ritual in A7‒24 waren die Prozeduren in Spalte B offensichtlich stets anwendbar, da das Problem – der Elasteros und der Ausschluss von den sozialen Aktivitäten – jederzeit auftreten konnte. Der ursprüngliche Aufstellungsort der Inschrift ist ungewiss. Jameson, Jordan und Kotansky denken an das Heiligtum mit dem ‚Campo di Stele‘ für Milichios, dies aber natürlich aufgrund ihrer Interpretation und wegen der Erwähnung des Gottes. 200 Sicher ist nur, dass es ein öffentlicher Ort gewesen sein muss, da als einzige Ortsbeschreibung ein „öffentlicher Altar“ in Spalte B erwähnt wird. 201 Die Vermutung von Jameson, Jordan und Kotansky, dass sowohl für die Abfassung von Spalte A wie auch für diejenige von Spalte B die Polis verantwortlich zeichnete, kann somit einige Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen. 202

198 Dies stellt auch North 1996, 297f. fest. 199 So ebenfalls Kingsley 1996, 281; Curti/van Bremen 1999, 33; Grotta 2010, 190; anders Clinton 1996, 163 und Georgoudi 2001, 158, 160, die im Falle von Spalte A keine Reinigung erkennen können. 200 Ihnen folgen North 1996, 293; Manganaro 1997, 562 („forse“); Burkert 2000, 207. Skeptisch stehen dieser Vermutung Nenci 1994, 463f., Rausch 2000a, 40f. und Cusumano 2006, 178 gegenüber. Nenci erwägt statt dessen das Innere des Prytaneion von Selinunt; auch Rausch denkt dagegen an eine „esposizione in un edificio pubblico“ (40). 201 Der Aufstellungsplatz und der bzw. die Ort(e), wo die Rituale durchgeführt wurden, müssen nicht zwingend identisch sein. 202 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 58; ebenso Clinton 1996, 163; North 1996, 300f.

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3 Die lex sacra von Kyrene

3.1 Beschreibung und Datierung der Inschrift aus Kyrene Eine schon lange bekannte und in vielerlei Hinsicht gleichfalls kontrovers diskutierte lex sacra aus Kyrene ist seit der Entdeckung der Bleitafel aus Selinunt immer wieder als Parallele angeführt worden. 1 Es handelt sich um einen auf drei Seiten beschrifteten Block aus weißem Marmor, der 1922 (in zwei ungleich große Fragmente 2 zerbrochen) in den römischen Bädern 3 Kyrenes entdeckt wurde, wo er sekundäre Verwendung als Sitzfläche im frigidarium fand. Im oberen Bereich ist das Denkmal streckenweise noch vollständig erhalten, am unteren Ende sind dagegen Teile des Textes unwiederbringlich verloren. Legt man zugrunde, dass es sich beim unbeschrifteten Teil um die Rückseite handelt, nimmt die lex sacra die Front und die linke Seite ein. Rechts findet sich eine lange Liste 4 mit Getreidelieferungen Kyrenes an verschiedene griechische Poleis und Herrscher während einer Nahrungsmittelknappheit in der Zeitspanne zwischen 335 und 323 v.Chr. 5 Dieser Bereich wirft für sich viele Fragen auf, die an dieser Stelle nicht behandelt werden können. 6 Nach allgemeiner Einschätzung weisen die Unterschiede in der Ausführung der Inschriften darauf hin, dass die lex sacra und die Lieferliste zu unterschiedlichen Zeitpunkten erstellt wurden. S. Ferri ging auf Grundlage paläographischer Argumente davon aus, dass die Liste früher datiert als die lex sacra und tendierte bei letzterer zum Anfang des 3. Jh.s, was unter anderem von U. v. Wilamowitz-Moellendorff bestä-

1 Die Erstpublikation erfolgte durch Ferri 1927 = SEG 9, Nr. 72 = LSSupp. 115 = Rhodes/Osborne 2003, 494‒505 Nr. 97. Siehe für die umfangreiche Forschung zur Inschrift ferner SEG 14, Nr. 889; 15, Nr. 879; 20, Nr. 717; 31, Nr. 1576; 33, Nr. 1535; 34, Nr. 1644; 37, Nr. 1670; 39, Nr. 1714; 43, Nr. 1187; 46, Nr. 2200; 47, Nr. 2165; 50, Nr. 1638; 51, Nr. 2210; 57, Nr. 2000; 60, Nr. 1834. – Der Stein befindet sich heute im „Cyrene Sculpture Museum“ nahe der antiken Überreste Kyrenes. 2 Ferri 1927, 93 gibt für die aneinanderpassenden Fragmente die Maße (noch) 132 x 39 x 39 cm. 3 So die gesamte Forschung; nach Dobias-Lalou 2000, 297 dagegen in den byzantinischen Bädern. 4 SEG 9, Nr. 2 = Rhodes/Osborne 2003, 486‒493 Nr. 96; vgl. SEG 38, Nr. 1880; 42, Nr. 1663. 5 Dies wird abgeleitet aus der Erwähnung von Alexanders Mutter Olympias und ihrer Tochter Kleopatra, die mit Alexander von Epiros verheiratet war; siehe Servais 1960, 117; Rhodes/Osborne 2003, 489f. Oliverio 1933, 33‒36 datiert in die Periode 331‒323, Parker 1983, 332 in die Jahre 331‒326, Robertson 2010, 259 legt sich auf 330‒325 v.Chr. fest. 6 Vgl. hierzu Rhodes/Osborne 2003, 488‒493.

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3 Die lex sacra von Kyrene

tigt wurde. 7 G. De Sanctis stimmte der Datierung der Buchstabenformen zu, nahm aber an, dass der Unterschied im Alter der verschiedenen Steinmetze seine Ursache hatte, und setzte die lex sacra zeitlich vor die Lieferliste. 8 In jüngerer Zeit hat R. Parker bemerkt, dass diese Datierungsfrage nicht beantwortet werden kann. 9 Ob die beiden Seiten der lex sacra gleichzeitig 10 oder in geringem zeitlichen Abstand 11 voneinander in den Stein gearbeitet wurden, muss gleichfalls offen bleiben. Die ähnliche formale Gliederung, einerseits durch Paragraphoi, 12 andererseits durch Freilassung des Restes von Zeilen, spricht aber eher für eine Gleichzeitigkeit der beiden Teile. Letztlich sind diese chronologischen Fragen von untergeordneter Bedeutung, da man sich aufgrund von Schwankungen im dorischen Dialekt einig ist, dass es sich um religiöse Anweisungen aus verschiedenen, früheren Zeiten handelt, die vielleicht sogar mehrmals abgeschrieben und redigiert worden sind. 13 Nach Ansicht von C. A. Faraone sind die Rituale zumindest klassischen, wenn nicht noch älteren Ursprungs. 14

3.2 Inhalt und Deutung der lex sacra von Kyrene Seite A trägt in größeren Buchstaben die Überschrift „Apollon verkündete“. 15 Danach folgen insgesamt 137 weitere, mal besser, mal schlechter erhaltene Zeilen, die in der Forschung, je nach Einteilung der beiden Seiten in Sinnabschnitte, entweder in 6 16, 8 17, 19 18 oder 20 19 Paragraphen zusammengefasst werden. Ohne auf alle Einzelheiten eingehen zu können, 20 sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass ganz unterschiedliche Regelungen aufgelistet sind: So wird angewiesen, dass Holz von heiligem Boden gegen 7 Ferri 1927, 93; Wilamowitz-Moellendorff 1927, 155. Letzterer neigte zur Zeit des Ptolemaios I., aber „nicht vor dem Ende des vierten Jahrhunderts“; ähnlich ferner Dobias-Lalou 1997, 262, Anm. 2; Rhodes/Osborne 2003, 500. 8 De Sanctis 1927, 186f.; siehe auch Oliverio 1933, 93f. 9 Parker 1983, 332. 10 Wilamowitz-Moellendorff 1927, 156. 11 Dies vermutet Ferri 1927, 93. 12 Diese könnten aber auch nachträglich eingefügt worden sein. 13 Vgl. Wilamowitz-Moellendorff 1927, 156, 172, 174; Herzog 1928, 55; Schaefer 1957, 330; LSSupp. 115 p. 190; Parker 1983, 334; Burkert 1992, 68; Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 119; Dobias-Lalou 1997, 262; Burkert 2000, 215 Anm. 10; Rhodes/Osborne 2003, 501; Traulsen 2004, 187. 14 Faraone 1991a, 180. 15 Der bekannten Verbindung zwischen Kyrene und Delphi wegen (Hdt. 4,150‒161) geht man durchgängig davon aus, dass hier der Apollon von Delphi gemeint ist; vgl. Faraone 1992, 91 Anm. 56. 16 Robertson 2010, 280. 17 LSSupp. 115. 18 Ferri 1927, 94‒99; Wilamowitz-Moellendorff 1927, 156‒170; Buck 41968, 307‒310; DobiasLalou 2000, 299‒302. 19 Rhodes/Osborne 2003, 494‒500. 20 Zuletzt hat sich zur gesamten Inschrift detailliert Robertson 2010 geäußert. Seine Interpretation kann aber über weite Strecken nicht überzeugen.

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3.2 Inhalt und Deutung der lex sacra von Kyrene

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Bezahlung zu heiligem, profanem oder auch befleckendem Zwecke benutzt werden darf (A8‒10). 21 Direkt im Anschluss wird festgelegt, welche Vorgaben ein Mann zu beachten hat, der opfern möchte, nachdem er Geschlechtsverkehr hatte (A11‒15). Danach wird die Befleckung spezifiziert, die durch Kontakt mit einer Frau im Wochenbett entsteht (A16‒20). Ferner werden Bestimmungen getroffen, die zu erfüllen sind, wenn auf dem Altar falsch geopfert wurde (A26‒31). Diese Anordnungen zeigen ebenso wie die Überschrift, dass das Denkmal ursprünglich im berühmten Apollon-Heiligtum Kyrenes aufgestellt gewesen sein könnte (siehe aber unten). 22 Im weiteren Verlauf der Inschrift folgen Vorgaben ganz anderer Natur. So beschäftigen sich A33‒72 ausschließlich mit Menschen oder Besitzstand, die/der mit dem Zehnten belegt war(en), welcher – augenscheinlich als Strafe – Apollon darzubringen war, und den Bedingungen, unter denen dies zu geschehen hatte. 23 Auf Seite B werden dann als erstes Pflichtbesuche des Artemis-Heiligtums aufgeführt, die eine Frau in den verschiedenen Stadien ihres Lebens (als unverheiratete Jungfrau, als Braut, als Schwangere bzw. Mutter) vorzunehmen hatte (B1‒23); ferner die Reinigungszeremonien, die bei Missachtung durchzuführen waren. Angesichts der vorangehenden Regelungen, die sich, soweit ersichtlich, ausschließlich auf Apollon bezogen haben, erstaunt dieser Passus. Es folgt ein Abschnitt, welcher die mit einer Fehlgeburt einhergehende Befleckung spezifiziert (B24‒27), eine Anweisung, die man hinter der Befleckung durch Kontakt mit einer Frau im Wochenbett erwartet hätte (siehe oben). Zum Schluss dieser Seite folgen drei Paragraphen, die mit dem Wort Ἱκεσίων in einer eigenen Zeile eingeleitet werden (Tafel 5 und Tafel 6), wobei die Größe dieser Überschrift derjenigen zu Beginn von Seite A entspricht. Es sind diese drei Absätze, die mit Bezug auf die lex sacra von Selinunt neuerlich in den Blickpunkt der Forschung geraten sind, und dabei insbesondere der erste: 24 Ἱκέσιος ἐπακτός· αἴ κα ἐπιπεμφθῆι ἐπὶ τὰν οἰκίαν, αἰ μέγ κα ἴσαι ἀφ’ ὅτινός οἱ ἐπῆνθε, ὀνυμαξεῖ αὐτὸν προειπὼν τρὶς ἀμέρας· αἰ δ[ὲ] κα τεθνάκηι ἔγγαιος ἢ ἄλλη πη ἀπολώλη[ι], αἰ μέγ κα ἴσαι τὸ ὄνυμα, ὀνυμαστὶ προερεῖ, αἰ δέ κα μὴ ἴσαι, „ὦ ἄνθρωπε, αἴτε ἀνὴρ αἴτε γυνὰ ἐσσί“, κολοσὸς ποιήσαντα ἔρσενα καὶ θήλεια[ν] ἢ καλίνος ἢ γαΐνος ὑποδεξάμενον παρτιθ̣[έ]21 Der Preis wurde sicherlich bewusst nicht spezifiziert, sondern vom Kultpersonal festgesetzt und gegebenenfalls erhöht oder erniedrigt. – Mit dem befleckenden Nutzen des Holzes ist wohl die Leichenverbrennung gemeint; siehe Wilamowitz-Moellendorff 1927, 157. 22 Hiervon gehen Wilamowitz-Moellendorff 1927, 174 und Robertson 2010, 279 aus. 23 Wilamowitz-Moellendorff 1927, 164 hat als Parallele die bei Herodot (7,132) überlieferte Drohung angeführt, dass diejenigen Griechen, die sich freiwillig den Persern angeschlossen hatten, den zehnten Teil ihres Besitzes abgeben sollten; siehe hierzu ferner die detaillierten Ausführungen bei Parker 1983, 341‒433. 24 Der griechische Text ist in diesem Bereich fast vollständig erhalten und folglich kaum umstritten; hier nach Rhodes/Osborne 2003, 498, 500.

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μεν τὸ μέρος πάντων· ἐπεὶ δέ κα ποιῆσες τὰ νομιζόμενα, φέροντα ἐς ὕλαν ἀεργὸν ἐρε[ῖ]σαι 25 τὰς κολοσὸς καὶ τὰ μέρη. „Ein fremder Hikesios: Wenn er zu dem Hause geschickt wird, wenn er (der Hausherr) weiß, von wem er (der Hikesios) zu ihm kam, wird er (der Hausherr) ihn (den Schickenden) mit Namen rufen, drei Tage (oder: dreimal täglich) verkündigend. Wenn er (der Schickende) im Lande verstorben ist oder anderswo umgekommen ist, wenn er (der Hausherr) den Namen weiß, wird er (der Hausherr) mit Namennennung verkündigen, wenn er es (den Namen) aber nicht weiß (wird er ihn anreden): „Oh Mensch, ob du Mann oder Frau bist.“ Nach Anfertigung von Kolossen, einem männlichen und einem weiblichen, aus Holz oder Ton, nach der gastlichen Aufnahme (soll er) den (gebührenden) Teil von allem zufügen. Wenn Du das Gebührende getan hast, (sollst Du) die Kolosse und die Teile (der Bewirtung) in ungerodeten Wald bringen und aufstellen 26.“ Schon vor Publikation der lex sacra aus Selinunt war die Deutung dieses Abschnitts höchst umstritten. Die verschiedenen Thesen hängen dabei hauptsächlich vom Verständnis des genannten Hikesios ab. 27

3.3 Hikesios – Schutzsuchender, Dämon oder Geist? Teile der Forschung deuteten den Text derart, dass es sich bei dem Hikesios um einen Schutzsuchenden handeln müsse, der um Aufnahme in ein Haus bittet und dass hierfür die Gewalt über den Schutzflehenden auf den Hausherrn übergehen muss, weshalb das beschriebene Ritual durchgeführt wird. 28 So schlug U. v. Wilamowitz-Moellendorff vor, dass man bei dem Schutzsuchenden an einen Sohn denken könnte, „den der

25 ἐρέ[σ]/σαι Ferri 1927, 99 und De Sanctis 1927, 202. Nach dieser Lesung wären die Figuren und das Essen (in Bäume?) aufgehängt worden; siehe hierzu Faraone 1992, 92 Anm. 66. Die hier vertretene Lesung und Übersetzung hat sich in der Forschung durchgesetzt. 26 Siehe Anm. 25. 27 Dabei wird durchgängig angenommen, dass das Adjektiv ἱκέσιος hier anstelle des Substantivs ἱκέτης steht; siehe Hesych. und Suda s.v. ἱκέσιος; vgl. hierzu Wilamowitz-Moellendorff 1927, 167; Stukey 1937, 32; Servais 1960, 121; Traulsen 2004, 189. 28 Wilamowitz-Moellendorff 1927, 167‒169. Ihm folgen beispielsweise Latte 1928, 47f., Schaefer 1957, 330 und Servais 1960, 122f. – Parker 1983, 348 hat dagegen herausgestellt, dass „rituals of this kind relating to potestas are unattested in Greece“. In neuerer Zeit hat Cassella 1997, 344, erneut einen ähnlichen Ansatz wie Wilamowitz-Moellendorff vorgeschlagen. Ihrer Ansicht nach wird ein Schutzsuchender vom Oberhaupt eines genos zu einem anderen genos geschickt, in welches er aufgenommen werden soll. Allerdings scheint ihr die gesamte neuere Diskussion seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unbekannt zu sein. Die lex sacra von Selinunt bleibt gleichfalls unerwähnt.

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3.3 Hikesios – Schutzsuchender, Dämon oder Geist?

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Vater in die Fremde schickt, und der in der Kolonie sein Glück machen will.“ 29 Allerdings ist es wenig einleuchtend, dass ein Schutzsuchender, zumal ein Sohn, nicht weiß, wer ihn geschickt hat. 30 Seltsam wirkt bei dieser Interpretation ferner die Erstellung von Bildnissen, die bewirtet und hernach in einem ungerodeten, also unbewirtschafteten Wald abgestellt werden sollen. Dass eine gastliche Aufnahme der Figuren vorliegt, hat allerdings erst G. De Sanctis erkannt. Seiner Ansicht nach handelt es sich bei dem Hikesios um einen Missetäter aus der Fremde. Der Kyrener, bei dem er Aufnahme findet, ruft den Geschädigten an, damit dieser seinen Fall darlegt und versöhnt wird. Sollte dieser verstorben sein, wird an seiner Stelle eine Figur, sofern er bekannt ist, erstellt und bewirtet; ist er unbekannt, wird er mittels zweier Bildnisse symbolisiert. 31 Letztlich wird auch bei De Sanctis nicht plausibel gemacht, weshalb der Missetäter nicht verrät, wen er geschädigt hat. Lange vor der Entdeckung der Inschrift aus Selinunt hat H. J. Stukey vorgeschlagen, den Hikesios als übernatürlichen Verfolger anzusehen und Ähnlichkeiten zum zu seiner Zeit allein literarisch belegten Alastor und zu den Erinyen herausgestellt. Schon die benutzten Vokabeln epipempein und eperchesthai wiesen seiner Ansicht nach in diese Richtung, noch mehr aber das Attribut epaktos. 32 Demnach wäre der Beginn des Abschnitts folgendermaßen zu übersetzen: „Ein (mit magischen Mitteln) geschickter Besucher: Wenn er gegen das Haus geschickt wird, wenn er (der Hausherr) weiß, von wem er (der Besucher) zu ihm kam …“ Stukeys These blieb allerdings ebenfalls umstritten, was zweifelsohne mit darin begründet liegt, dass er auch die in den folgenden beiden Abschnitten beschriebenen Hikesioi als übernatürliche Verfolger verstehen wollte. 33 So haben J. Servais und C. D. Buck für alle drei Hikesioi die Deutung als übersinnliche Wesen abgelehnt, 34 und auch R. Parker hat bei aller Zustimmung für die sprachliche Argumentation Stukeys in seiner Übersetzung dieses ersten Abschnitts beide Varianten, diejenige des fremden Bittstellers, wie auch diejenige des übernatürlichen Besuchers, berücksichtigt. 35 C. Dobias-Lalou ist Stukeys sprachlichen Analyse zwar ebenfalls gefolgt, spricht sich aber dennoch da29 Wilamowitz-Moellendorff 1927, 168. 30 Wilamowitz-Moellendorff 1927, 168 hat vermutet, dass „der Schutzflehende, der ihn kennen muß, die Angabe verweigert“, was wenig Sinn ergibt, wenn der Ankömmling auf Aufnahme hofft. 31 De Sanctis 1927, 203‒205, so neuerdings wieder, ohne De Sanctis zu erwähnen, Salvo 2012b, 146. 32 Stukey 1937, 35‒38, 40 mit den Belegen; siehe hierzu auch Parker 1983, 348, der herausstellt, dass diese Vokabeln zwar andere Bedeutungen tragen können, die Ansammlungen von epi-Komposita aber doch mehr als auffällig sei und dass zudem die Wendung epi tan oikian „strongly suggests that the action is an aggressive one“. Vgl. auch unten Kap. 6 Anm. 21 zur ähnlichen Wortwahl bei der Episode um Pausanias, dessen eidôlon die Spartaner verfolgt. 33 Stukey 1937, 38‒43; ihm folgen Burkert 1992, 68‒73; Ogden 22009, 163. 34 Servais 1960, 115; Buck 41968, 312. 35 Parker 1983, 347.

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für aus, in dem Hikesios einen Schutzsuchenden zu sehen: „dirigé vers une maisonnée cyrénéenne par un esprit vengeur.“ 36 Von den beiden folgenden Hikesioi ist letzterer – Hikesios tritos, autophonos – der zweifellos einfacher zu deutende. 37 Obschon der Abschnitt nur in Teilen erhalten ist, hat sich das Gros der Forschung dafür ausgesprochen, dass der Hikesios autophonos als Mörder 38 anzusehen ist, der von einer weiteren Person bei der Reinigung unterstützt wird, 39 wofür es, wie bereits erwähnt, viele literarische Parallelen gibt. 40 Die Deutung auch dieses Hikesios als übernatürliche Wesenheit durch Stukey und in jüngerer Zeit W. Burkert kann dagegen nicht überzeugen. 41 Schwierig liegt der Fall im zweiten Abschnitt beim Hikesios hateros, tetelesmenos e ateles. 42 Obwohl am jeweiligen Zeilenende maximal drei Buchstaben fehlen, deren Ergän36 Dobias-Lalou 1997, 268 (Zitat); Dobias-Lalou in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 150f. 37 B50‒59: Ἱκέσιος τρίτος, αυτοφόνος· ἀφικετεύεν ἐς [-3-4-]/πολίαν καὶ τριφυλίαν· ως δέ κα καταγγήλε̣[ι ἱκέ]/σθαι, ἵσσαντα ἐπὶ τῶι ὠδῶι ἐπὶ νάκει λευκῶ̣ [ι νί]/ζεν καὶ χρῖσαι καὶ ἐξίμεν ἐς τὰν δαμοσί [̣ αν] / ὁδόν καὶ σιγὲν πάντας ἧ κα ἔξοι ἔωντ[ι τὸ]55/[ς] ὑ̣ ποδεκομένος· τὸν προαγγελτῆ̣ [ρα ….] / [..]ν παρίμεν τὸν ἀφικετευ[ό]μ̣ ε ν̣ [ον..] / [....]ω̣ ν καὶ τὸς ἑπομένος [---] / [....]υ̣σ̣ε̣ῖ θύη καὶ ἄλλ[α ---] / [--- δ]ὲ̣ μὴ̣ [---] / ------; hier nach Rhodes/Osborne 2003, 498, 500. Wilamowitz-Moellendorff 1927, 171 übersetzt: „Ein dritter Schutzflehender, Mörder. Losbitten bei einer Dreiheit von Städten und einer Dreiheit von Phylen. Entsprechend dem, daß er anmeldet, er komme als Schutzflehender, soll man ihn, nachdem man ihn auf die Schwelle gesetzt hat, auf ein weißes Vlies setzen und hinausgehen auf die öffentliche Straße, und schweigen sollen alle, die den vorher Angemeldeten aufnehmen wollen, wo immer sie draußen sind. In das Heiligtum der … Götter soll der, welcher losgebeten werden soll, hineingehen und die Begleitenden draußen warten. Er wird Rauchopfer bringen und …“. 38 Vgl. zu autophonos, üblicherweise die Bezeichnung für einen Mord innerhalb der Familie, hier aber wohl mit allgemeinerer Bedeutung, Stukey 1937, 39, Anm. 29; Parker 1983, 350f.; Traulsen 2004, 197. Anders Dobias-Lalou 1997, 266, 268f.; Dubois 2003, 119 bzw. Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 155. 39 Vertreten von Wilamowitz-Moellendorff 1927, 171; Latte 1928, 48f.; Servais 1960, 139; Parker 1983, 350f.; Dobias-Lalou 1997, 267f.; Rhodes/Osborne 2003, 505; Traulsen 2004, 199; Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 155; Kearns 2010, 107. – Nach Kontorini 1987, 579f. (vgl. Kontorini 1989, 17‒29 Nr. 1 = SEG 39, Nr. 729) kann ein Neufund (3. Jh. v.Chr.) aus Lindos die Interpretation von Wilamowitz-Moellendorff zusätzlich stützen. Die Schlussfolgerung von Kontorini, dass die Inschrift aus Lindos dieselben drei Hikesioi unterschieden hätte, ist angesichts des lediglich fragmentarisch erhaltenen Zeugnisses zu spekulativ; siehe Traulsen 2004, 198. 40 Siehe oben Kap. 2 mit Anm. 147. 41 Stukey 1937, 38‒40; Burkert 1992, 71f.; vgl. die berechtigte Skepsis bei Rhodes/Osborne 2003, 505 und Traulsen 2004, 196f. 42 B40‒49: Ἱκέσιος ἅτερος, τετελεσμένος ἢ ἀτελής, ἱσ/σάμενος ἐπὶ τῶι δαμοσίωι ἱαρῶι· αἰ μέγ κα προ[φέ]/ρηται, ὁπόσσω κα προφέρηται, οὕτως τελίσκ[ε]/σθαι· αἰ δέ κα μὴ προφέρηται, γᾶς καρπὸν θ[ύ]/εν καὶ σπονδὰν καθ’ ἕτος ἀεί. αἰ δέ κα παρῆι, ἐ̣[κ] 45/ νέω δὶς τόσσα. αἰ δέ κα διαλίπηι τέκνον ἐπι [̣ λα]/θόμενον καί οἱ προφέρηται, ὅ τι κά οἱ μαντε̣[υ]/ομένωι ἀναιρεθῆι, τοῦτο ἀποτεισεῖ τῶι θεῶι κ̣ [αὶ] / θυσεῖ, αἰ μέγ κα ἴσαι ἐπὶ τὸμ πατρῶιον· αἰ δὲ μή, [χρή]/σασθαι; hier nach Rhodes/Osborne 2003, 498, 500. Wilamowitz-Moellendorff 1927, 169 übersetzt: „Ein zweiter Schutzflehender, geweiht oder ungeweiht. Er muß sich vor dem Heiligtum der Gemeinde hinsetzen und so viel, wie ihm angegeben wird, für die Weihung zahlen. Wird ihm nichts angegeben, hat er Frucht der Erde und Spende alljährlich für immer zu opfern. Unterläßt er es, von neuem das Doppelte. Wenn ein Kind es aus Vergeßlichkeit ausfallen läßt und es ihm angegeben

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3.3 Hikesios – Schutzsuchender, Dämon oder Geist?

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zung kaum strittig ist, geht die Bedeutung des beschriebenen Ritus aus dem Text nicht klar hervor, was vor allem darin begründet liegt, dass für mehrere Termini (beispielsweise tetelesmenos vs. ateles, propheresthai und teliskesthai) in der hier benutzten Form bislang keine Parallelen bekannt sind. Dies wird schon allein durch die sehr unterschiedlichen Übersetzungen illustriert: Parker übersetzt tetelesmenos e ateles mit „initiated or not initiated“, 43 Burkert dagegen mit „with or without performance of a ritual“. 44 Folglich vermutet Parker, wenn auch mit aller Vorsicht, dass es sich um einen Initiationsritus handeln könnte, 45 während Burkert der Ansicht ist, dass auch hier ein übernatürlicher Verfolger sein Unwesen treibt, dessen Beendigung Ziel des Rituals sei. 46 Jameson, Jordan und Kotansky folgen in ihrer editio princeps der lex sacra von Selinunt Stukey und Burkert darin, alle drei Hikesioi als übernatürlich anzusehen, wenn auch ohne die letzten beiden Abschnitte der Inschrift aus Kyrene zu diskutieren. 47 Zweifellos liegt der Grund darin, dass bei aller Ähnlichkeit zwischen den beiden leges sacrae, auf welche noch einzugehen sein wird, Stukeys Interpretation des Hikesios epaktos mit derjenigen der beiden weiteren Hikesioi zu stehen oder fallen scheint, was auch Burkert deutlich herausgestellt hat, 48 und schon S. Ferri hat unter dieser Prämisse alle drei Hikesioi als Mörder angesehen. 49 Diese ‚Vorbedingung‘ an jede Interpretation der drei Paragraphen hat die meisten Gelehrten daran gehindert, eine weitere Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Wenn man der Vokabel ‚Hikesios‘ mehrere mögliche Bedeutungen zuspricht 50 und die drei Rituale sogar unterschiedlichen Zeiten zuordnen möchte, 51 ergibt es Sinn, zumindest die Erwägung in Rechnung zu stellen, dass in den drei Abschnitten jeweils auch Unterschiedliches gemeint ist. So ist es zweifellos von Interesse, dass schon die wird, muß es das dem Gotte zahlen, was ihm nach Befragung von dem Orakel verkündet wird, und muß opfern, wenn es ihn kennt, an seinen väterlichen Gott (sein Grab), wo nicht, für sich opfern“. 43 Parker 1983, 349; ähnlich bereits Wilamowitz-Moellendorff 1927, 169f., der mit „geweiht oder ungeweiht“ übersetzt, und Latte 1928, 48, Buck 41968, 312 sowie Traulsen 2004, 193‒195, 199, wobei Sinn und Zweck der (Ein)Weihung unterschiedlich interpretiert werden; vgl. auch Sokolowski 1954, 177 und Servais 1960, 134‒137. 44 Burkert 1992, 70. 45 Parker 1983, 349. 46 Burkert 1992, 70f. – Dass der Hikesios hateros Schutz im Apollon-Heiligtum sucht und es sich folglich um Asylbestimmungen handelt, nehmen De Sanctis 1927, 205‒207 und Oliverio 1933, 81 an. 47 Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 55, 119. 48 Burkert 1992, 70; vgl. ferner Eck 2012, 280. 49 Ferri 1927, 118‒135. 50 Siehe Parker 1983, 349: „etymologically a suppliant is anyway merely a ‚comer‘“. 51 Vgl. Wilamowitz-Moellendorff 1927, 167, 169, 174 nach dessen Analyse die Sprache im ersten Abschnitt (B29‒39) „so altertümlich stammelnd [ist], daß die Formulierung ein hohes Alter des Gesetzes beweist“, wogegen der zweite Paragraph „eine viel jüngere Fassung“ sei, „das verrät auch die Sprache.“ Der dritte sei wiederum „sehr alten Ursprungs“. Ihm folgt Latte 1928, 48f. Dass der erste Paragraph älter als die beiden folgenden sei, vertritt Servais 1960, 121; ähnlich Traulsen 2004, 189.

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Überschrift im Plural steht. Ferner werden die einzelnen Hikesioi jeweils spezifiziert: als epaktos, tetelesmenos bzw. ateles und als autophonos. Somit ist es keinesfalls auszuschließen, dass nur im ersten Absatz eine übernatürliche Erscheinung angesprochen wird. 52 Gerade angesichts der Ähnlichkeiten zum Elasteros/Alastor/Alastoros ist ferner in Rechnung zu stellen, dass Hikesios in gleicher Weise sowohl den übersinnlichen Verfolger als auch den Verfolgten selbst bezeichnen kann, 53 womit wenigstens zwei der drei Hikesioi in der Inschrift von Kyrene eine befriedigende Erklärung fänden.

3.4 Parallelen und Unterschiede zwischen den Texten aus Selinunt und Kyrene In der jüngeren Forschung hat man zumeist wie in der editio princeps des Titulus aus Selinunt auf eine genauere Auseinandersetzung mit dem Kyrener Zeugnis verzichtet und sich auf das Aufzeigen der Parallelen zwischen dem Elasteros und dem ersten Hikesios beschränkt. Worin liegen diese? Folgt man Jameson und seinen beiden Kollegen, so wird sowohl in Selinunt als auch in Kyrene ein übernatürlicher Verfolger bewirtet. Darüber hinaus wird in beiden Ritualen zu Beginn eine Verkündigung vorgenommen, die in Kyrene genau spezifiziert wird. Es geht darum, den Schickenden zu identifizieren und seinen Namen auszurufen. In Selinunt fehlt jede Erläuterung, was den Inhalt der Verkündigung angeht. Der vorangehende Text ist allerdings nicht entsprechend gut erhalten, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch in Selinunt eine Identifizierung der schickenden Person versucht wurde. 54 Beide Vorgänge, Bewirtung und Ausrufung, werden in den jeweiligen Zeugnissen durch dieselben Vokabeln beschrieben. 55 Es existieren aber ebenso deutliche Unterschiede, selbst wenn man davon ausgeht, dass in der lex sacra von Selinunt tatsächlich der Elasteros und nicht etwa der Befleckte bewirtet wird. 56 So spielte im Titulus aus Selinunt derjenige, der den übernatürlichen Verfolger geschickt hat, auch wenn er im fehlenden Teil der Tafel erwähnt worden sein sollte, kaum die zentrale Rolle, die ihm in Kyrene beigemessen wird. Dagegen vermisst man in Kyrene die helfende Person, ferner die reinigenden Opfer, die in Selinunt erst dazu führten, dass der Befleckte erneut am öffentlichen Leben teilnehmen durfte. Überhaupt vermittelt das Zeugnis aus Kyrene den Eindruck, dass der Verfolgung keine Missetat, die ge52 So ebenfalls Faraone 1992, 82, 91, Anm. 60; Rhodes/Osborne 2003, 501; Dubois 2003, 119 Anm. 34 bzw. Dubois in Dobias-Lalou/Dubois 2007, 155 Anm. 31; Traulsen 2004, 191, 197, 199. 53 Siehe Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 118 mit den Quellen und der weiteren Forschung; ferner insbesondere Parker 1983, 108f., der diese Bedeutungsspanne auch für prostropaios, palamnaios, miastor und aliterios feststellt, und Faraone 1992, 82, 91, Anm. 60. Derartiges ist, wie auch das Wort xenos darlegt, für das Griechische durchaus üblich. 54 Siehe oben Kap. 2 mit Anm. 141. 55 Selinunt: B2 und 3: προειπὸν; B3/4: [hυ]/ποδεκόμενος. Kyrene: B31: προειπὼν; B36: ὑποδεξάμενον. 56 Siehe oben Kap. 2 mit Anm. 146 und 148.

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3.4 Parallelen und Unterschiede zwischen den Texten aus Selinunt und Kyrene

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sühnt werden müsste, zugrunde lag. 57 Darüber hinaus wird hier das übernatürliche Wesen nicht gegen ein Individuum, sondern gegen eine oikia ausgeschickt. 58 Letztere wird aber wiederum durch eine einzelne Person repräsentiert, von der einerseits in der dritten, andererseits in der zweiten Person Singular die Rede ist. 59 Zweifellos sind beide Rituale in gekürzter Form niedergeschrieben worden, wobei am ehesten allgemein bekannte Handlungen gerafft dargestellt oder sogar ganz ausgelassen wurden. 60 Nichtsdestotrotz berechtigt uns der Titulus aus Kyrene nicht, die in ihm geschilderten Details auf das Ritual in Selinunt zu übertragen. So ist die Vermutung von L. Dubois, dass auch in Selinunt „sehr wahrscheinlich“ Objekte bewirtet wurden, die den Elasteros symbolisieren sollten, durch nichts zu erweisen. 61 Ein genauerer Blick auf die Inschrift aus Kyrene zeigt zudem, dass keinesfalls eindeutig von einer Bewirtung des Hikesios gesprochen werden kann. 62 Der Ablauf des Rituals ist ebenso wie in Selinunt nicht einfach zu verfolgen. Als erstes wird vorgeschrieben, dass die Person, welche die oikia repräsentiert, den Schickenden an drei Tagen namentlich anrufen soll, wenn sie diesen kennt. Was andernfalls zu tun ist, bleibt (vorerst) offen. Danach wird die Verfügung getroffen, dass der Schickende auch im Falle seines Ablebens (zweifellos erneut an drei Tagen) anzurufen ist, und zwar ganz unabhängig davon, wo er verstorben ist. Erst an dieser Stelle wird deutlich, dass es sich bei dem Initiator um einen Menschen handeln muss und nicht um ein göttliches Wesen. Jetzt wird außerdem eine Alternative formuliert, die sicherlich für den lebenden wie toten Schickenden gilt: 63 Kennt man seinen Namen nicht, so ist er als „Mensch, ob Du Frau oder Mann bist,“ anzurufen. 64 Danach sind ein männlicher und 57 Dies ist unter anderem der Grund dafür, weshalb nach Clinton 1996, 176 Spalte B der lex sacra von Selinunt inhaltlich der Passage zum Hikesios autophonos nähersteht als derjenigen zum Hikesios epaktos. 58 Stukey 1937, 34 stellt heraus, dass „οἰκία signifies the household, while the dwelling is ὄροφος.“ Er bezieht sich hierbei auf Calhoun 1934, 346, der sich allerdings zu B26 in der Inschrift von Kyrene äußert. 59 In mesopotamischen Ritualen, die weiter unten mit denjenigen aus Kyrene verglichen werden (S. 50‒57), sind Anweisungen in der zweiten Person Singular meistens an den Arzt bzw. Exorzisten (w)āšipu gerichtet; siehe Daxelmüller/Thomsen 1982, 32. Hier scheint der Wechsel keine derartige Bedeutung zu besitzen. 60 Vgl. zur Frage, was in leges sacrae als erwähnenswert angesehen wurde, Lupu 2005, 55f., 373f. 61 Dubois 1995a, 560f.: „plus probablement“; Dubois 1995b, 141: „suggérer l’existence d’un objet-substitut“; siehe ferner oben Kap. 2 mit Anm. 156. Die Ausführungen bei Ogden 2001, 103 implizieren dies ebenfalls. Siehe dagegen zu Recht Eich 2011, 451. 62 Neben Dubois nehmen dies die meisten Forscher jüngerer Zeit an; vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 55, 76; Clinton 1996, 175, Anm. 64; North 1996, 295; Johnston 1999, 48, 59; Ogden 2001, 103; Traulsen 2004, 192. Die ältere Forschung bezog dies durchgängig auf den Schickenden, nie auf den Bittsteller! 63 So zu Recht schon Stukey 1937, 36. 64 Faraone 1992, 82 schwankt, ob hier der Verfolger oder die schickende Person angesprochen wird, favorisiert aber ersteren. Clinton 1996, 175, Anm. 64 ist sogar fest davon überzeugt, dass mit „Oh, Mensch“ der Hikesios angerufen wird, weshalb die Ähnlichkeiten zur lex sacra von Selinunt nach Clinton von eher untergeordneter Natur seien. Der Hikesios sei also ein Mensch! Die Logik des Textes impliziert aber anderes, wie Clinton selbst zugesteht. Dennoch hält er an seiner Deutung

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3 Die lex sacra von Kyrene

ein weiblicher Koloss aus Holz oder Ton zu fertigen. 65 Diese werden bewirtet (über drei Tage hinweg?) und dann zusammen mit der Nahrung in einem einsamen Waldstück abgelegt. Das Ritual ist keineswegs so klar geschildert, wie es häufig in der Forschung behauptet wird. Verschiedene Fragen können nur vermutungsweise beantwortet werden. Rollt man den Text von hinten nach vorne auf, so ist als erstes in Zweifel zu stellen, ob es überhaupt der Hikesios ist, der hier bewirtet wird. Wen symbolisieren die beiden Kolosse? Dass ein männlicher und ein weiblicher angefertigt werden, hängt doch ganz ohne Zweifel damit zusammen, dass das Geschlecht des schickenden Individuums unbekannt ist. Die Erstellung der Bildnisse geschieht aber augenscheinlich unabhängig davon, ob dieses Individuum noch lebt oder nicht. Folglich kann es sich auch nicht um ein Totenmahl handeln. 66 Unklar bleibt ferner, was zu tun ist, wenn der Initiator bekannt ist: nur die namentliche Ausrufung an drei Tagen oder schließt sich noch die Bewirtung eines einzelnen Bildnisses an? 67 An einer gastlichen Aufnahme des Hikesios kann man jedenfalls auf Grundlage der Inschrift allein kaum festhalten. Unter Umständen wäre es vielleicht denkbar, dass der Hikesios als Abbild des Schickenden angesehen wurde und dass es somit letztlich doch er ist, der bewirtet wird. Allerdings gibt weder die Inschrift einen Hinweis hierauf, noch fest, da der Schickende und der Hikesios in der Inschrift nicht gut auseinander gehalten werden könnten und da zudem der Hikesios, nicht der Schickende, bewirtet würde (was nicht zutreffend ist). Ferner denkt Clinton, dass der Name des Hikesios, nicht derjenige des Schickenden drei Tage lang ausgerufen wird. Ähnlich, ohne dieselben Schlussfolgerungen zu ziehen, auch Johnston 1999, 59. 65 Dickie 1996, 237‒248 geht gegen Wilamowitz-Moellendorff 1927, 169 davon aus, dass der Begriff kolossos schon in klassischer Zeit überlebensgroße Standbilder bezeichnete. Zumindest in Bezug auf die Kyrener Figuren, welche Dickie 1996, 241 (ihm folgt Johnston 1999, 59) ebenfalls für mindestens lebensgroß, wenn nicht größer hält, kann ich ihm nicht folgen. Wie sollten überlebensgroße Figuren in einen unbewirtschafteten, also dichten Wald gebracht worden sein? Wenn ferner bei Herodot (2,175,1) und Polybios (5,88,1) die Rede von einem megas kolossos ist, liegt es nahe, dass es auch kleine kolossoi gab; vgl. Walbank 21970, 617; Faraone 1992, 92 Anm. 65; Traulsen 2004, 190 Anm. 343. Hierauf deuten auch die kolossoi aus Wachs im (vorgeblich) archaischen Eid der Kolonisten aus Thera hin, die bei der Gründung von Kyrene verbrannt wurden; siehe SEG 9, Nr. 3 = M/L 5 = Brodersen/Günther/Schmitt 1992, 4‒6 Nr. 6. Darüber hinaus vergisst Dickie bei seiner Auflistung der literarischen Belege für überlebensgroße Statuen aus Lehm und Holz, dass im Falle der lex sacra von Kyrene der Verfolgte selbst die Bildnisse anzufertigen hatte, nicht ein bezahlter Bildhauer. Zuletzt stellt sich die Frage, warum die Statuen, ganz gleich ob sie den Schickenden oder den Hikesios symbolisieren sollten (siehe unten), überlebensgroß hätten sein sollen. Auch die Bezüge zu den mesopotamischen Zeugnissen (siehe unten) legen kleinere Figuren nahe. 66 Diese These wurde von De Sanctis 1927, 204f. aufgestellt; ihm folgten Latte 1928, 48, Radermacher 1928, 184, 186f. und Picard 1933, 348. In jüngerer Zeit hat Faraone 1992, 82‒84 Bezüge zur symbolischen Bestattung für fern der Heimat Verstorbene und Tote, deren Körper nicht auffindbar war, hergestellt. 67 Dies nehmen De Sanctis 1927, 204 und Stukey 1937, 36 an; anders Faraone 1992, 82. – Denjenigen Forschern, die eine Bewirtung des Hikesios annehmen, stellt sich diese Frage nicht; siehe Traulsen 2004, 192 und oben Anm. 62.

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3.4 Parallelen und Unterschiede zwischen den Texten aus Selinunt und Kyrene

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sind mir hierfür irgendwelche Parallelen bekannt. Letztlich wissen wir nicht einmal genau, wie der Hikesios epaktos zu charakterisieren ist: Handelt es sich um einen göttlichen Verfolger in der Art der Erinyen oder um den instrumentalisierten Geist eines Toten? 68 Es ist zwar bekannt, dass der athenische Geschichtsschreiber Pherekydes im 5. oder 6. vorchristlichen Jh. Zeus Alastoros mit Zeus Hikesios gleichsetzte, 69 nur muss dies nicht automatisch auch für den Elasteros aus Selinunt und den Hikesios aus Kyrene gelten und selbst wenn, so ist doch daran zu erinnern, dass in Bezug auf den Elasteros in der Forschung bislang keine Einigkeit dahingehend erzielt werden konnte, ober er der göttlichen Sphäre oder derjenigen der Toten zuzurechnen ist, 70 selbst wenn ersteres aufgrund der Opfer wahrscheinlicher ist. Bei allen interessanten Gemeinsamkeiten bleiben somit für beide Zeugnisse viele Fragen offen. In übergeordneter Hinsicht sei zumindest darauf hingewiesen, dass die Kyrener Inschrift viele verschiedene Regelungen aufweist, die keinesfalls durchgängig in Bezug zueinander stehen und sich sogar auf zwei verschiedene Heiligtümer, dasjenige des Apollon und dasjenige seiner Schwester Artemis, beziehen. Dies sollte davor warnen, die in der fragmentarischen lex sacra von Selinunt erhaltenen Rituale zwanghaft miteinander verbinden und auf einen einzigen Ort beziehen zu wollen.

68 Stukey 1937, 38: „visitation or divinity that works harm“; Faraone 1992, 81: „evil spirit or ghost“, 82: „a ghost or a demon“. 69 FGrHist 3 F 175: […] καὶ Φερεκύδης· „῾Ο Ζεὺς δὲ ῾Ικέσιος καὶ ᾿Α λάστορος καλεῖται.“ Vgl. Jameson/Jordan/Kotansky 1993, 118. 70 Siehe oben Kap. 2 mit Anm. 137 und 138.

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4 Die Nutzung von ‚Zauberpuppen‘ 1 in Mesopotamien W. Burkert hat auf Gemeinsamkeiten zwischen den Ritualen der lex sacra von Kyrene und akkadischer Magie hingewiesen. Parallelen erkennt er insbesondere in einem Ritual, 2 welches für die Heilung einer kranken Person die Anfertigung eines Bildnisses aus „allem Bösen“ vorschreibt. Dieses Bildnis ist auf dem Dach eines Hauses 3 aufzustellen und dort drei Tage lange zu bewirten. Dann wird das Bildnis in einem Topf in der Wildnis vergraben. 4 Ferner macht Burkert auf verschiedene Passagen der Maqlû-Tafeln 5 aufmerksam, die seiner Ansicht nach belegen, dass auch in Mesopotamien Geister beschworen wurden, die man als männlich oder weiblich anrief. 6 C. A. Faraone erkennt den von Burkert hergestellten Bezug an und führt weitere Belege auf, die er als Parallelen ansieht. So stellt er fest, dass in neuassyrischen Zeugnissen bei der Abwehr von Toten häufig zwischen angemessen bestatteten Verstorbenen sowie Toten, deren Bestattung oder Tod nicht nach Plan verlief, unterschieden wird, 7 1 2 3

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Nach Gordon 2003, 700f., der diesen Begriff für den hier diskutierten Zusammenhang benutzt; daneben spricht man häufiger von „Voodoo Dolls“ bzw. „Voodoo-Puppen“; siehe Faraone 1991a; Graf 1996, 122; Ogden 1999, 71; Marston 2007, 123, 126; Ogden 22009, 245. Burkert 1992, 69 mit Verweis auf Ebeling 1931, 78‒86 Nr. 21 (Vorderseite) Z. 1‒38 (= BAM 323 = KAR 184). Text, Übersetzung und Kommentar auch bei Nasrabadi 1999, 44‒49. Burkerts 1992, 69 Formulierung „on the roof next to the sickbed“ ist missverständlich. Scurlock (MMTGI p. 534) überträgt treffend „on the roof of the patient’s house“. Ebeling 1931, 79, 81 geht davon aus, dass der Kranke selbst das Dach betreten sollte; ihm folgt Nasrabadi 1999, 46. Vgl. zu Ebelings Übersetzungen insgesamt aber die kritische Besprechung von Soden 1934. Zur Rolle von Dächern in mesopotamischen und hethitischen Ritualen Abusch/Schwemer 2011, 21; Jean 2015, 42. Burkert 1992, 69: „The correspondence between the procedures – the making of a figurine, the tending of it, its disposal in the wilderness – is perfect“. Vgl. zu den Keilschrift-Tafeln Abusch/Schwemer 2008, 128‒186 (mit einer Übersetzung auf S. 136‒186), nach deren Ansicht „die serialisierte neuntaflige Form von Maqlû“ im späten 2. oder frühen 1. Jt. kanonisiert wurde (129). Die ältesten Exemplare datieren ins 8. Jh.; siehe auch Daxelmüller/Thomsen 1982, 34; Abusch 1989, 346‒351; Abusch 2007, 379; Schwemer 2007a, 37‒55. Zeilenzählung im Folgenden nach Meier 1937. Burkert 1992, 192 Anm. 33 mit Verweis auf Maqlû I 73‒86; II 38‒49; 108‒110; 131. Anders als Burkert festzustellen meint, geht es in den genannten Stellen weniger um Geister als um feindliche Magierinnen und Magier (siehe unten). Faraone 1992, 91 Anm. 58 mit Verweis auf MMDG Nr. 11; Nr. 62; Nr. 67 (= MMTGI Nr. 18; Nr. 120; Nr. 219). Siehe auch Thompson 1906, 220‒227 (Spalte 1) Z. 7f., 23f. (= Ebeling 1931, 146‒154 Nr. 30F). Scurlock (MMTGI p. 5‒8) macht darauf aufmerksam, dass die Todesart des Geistes Auswirkungen auf die Ausprägung der Besessenheit haben konnte. Hinzuweisen ist darauf, dass die genannte Unterscheidung zwischen nach Gebühr Bestatteten und Toten, deren Tod oder Beerdigung ‚Unregelmäßigkeiten‘ aufwies, anders als im Falle der in nachhomerischer Zeit promi-

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und zieht eine Verbindung zu B32 in unserer Inschrift aus Kyrene. 8 Ebenso werde in verschiedenen assyrischen Texten differenziert zwischen Geistern, die man kennt, und solchen, die einem unbekannt sind, 9 Faraones Ansicht nach eine Parallele zum in Kyrene unbekannten Verfolger bzw. zur Person, die den Verfolger schickt. 10 Als weitere Parallelen identifiziert Faraone im assyrischen Quellenmaterial die dreitägige Länge der Rituale, 11 die Anfertigung von Figurenpaaren männlichen und weiblichen Geschlechts aus günstigen – und, wie hinzuzufügen ist, leicht zu zerstörenden – Substanzen (Ton, Wachs etc.) 12 sowie die Bewirtung und anschließende Deponierung von Statuen (zusammen mit den Bestandteilen der Bewirtung) in der Wildnis. 13 Dabei werden die Statuen aber durchgängig vergraben, 14 nicht, wie im Ritual aus Kyrene, abgestellt. Hinsichtlich dieser Einschränkung ist zu bemerken, dass mehrere Bearbeiter des Titulus aus Kyrene nenten aoˆroi and biaiothanatoi offensichtlich nicht über die Empfänglichkeit der entsprechenden Totengeister für Beschwörungen entschied; siehe auch Matijević 2015, 183f. 8 Für die Passage bietet Faraone 1992, 82 eine Übersetzung, die von der hier vertretenen (siehe S. 42) abweicht: „If he is dead and buried in the earth or has in some other manner perished“. 9 Faraone 1992, 91 Anm. 63 mit Verweis auf MMDG Nr. 17; Nr. 23; Nr. 26 (= MMTGI Nr. 21; Nr. 15; Nr. 9). Siehe ferner Thompson 1906, 220‒227 (Spalte 1) Z. 6‒8, 20‒24, 49 (Spalte 2) Z. 9 (= Ebeling 1931, 146‒154 Nr. 30F). 10 Wie oben angemerkt (Kap. 3 Anm. 64) ist sich Faraone nicht sicher, ob in der lex sacra aus Kyrene der Verfolger oder die schickende Person angerufen wird. 11 Faraone 1992, 90f. Anm. 51 und 63 mit Verweis auf MMDG Nr. 22; Nr. 23; Nr. 55; Nr. 56; Nr. 57; Nr. 58 (= MMTGI Nr. 14; Nr. 15; Nr. 17; Nr. 226; Nr. 218; Nr. 228). Siehe auch Farber 1987, 259f.; Farber 2001, 254‒257 Z. 21‒28; MMTGI p. 21, 105 Anm. 291 mit weiteren Belegen. – Die dreitägige Länge war selbstverständlich nicht durchgängig Pflicht. 12 Faraone 1992, 80‒82 mit Verweis auf Caplice 1970, 134‒141 Nr. 40 (Vorderseite) Z. 32 (Ton, Teig, Wachs, Talg); MMDG Nr. 15; Nr. 20; Nr. 22; Nr. 58; Nr. 65; Nr. 66; Nr. 71 (jeweils aus Ton; = MMTGI Nr. 10; Nr. 12; Nr. 14; Nr. 228; Nr. 131; Nr. 115; Nr. 230); MMDG Nr. 15; Nr. 67 (jeweils aus Wachs; = MMTGI Nr. 10; Nr. 219); MMDG Nr. 56 (Staub und Oxenblut; = MMTGI Nr. 226); MMDG Nr. 57 (Pferdeurin und Mehl; = MMTGI Nr. 218); MMDG Nr. 61 (Mischung aus Ton, Talg und Wachs; = MMTGI Nr. 119); MMDG Nr. 71 (Exkremente, Stroh und Eselurin; = MMTGI Nr. 230). Siehe hierzu auch Daxelmüller/Thomsen 1982, 45f., welche weitere leicht zerstörbare Materialien auflisten. Zur Herstellung der Figuren siehe dies., 46‒69, 52f. Interessante Zeichnungen finden sich bei Schwemer 1998, 65 Abb. 1‒4 abgedruckt. Siehe auch Abusch/ Schwe­m er 2011, 22f. Aus Mesopotamien ist erst ein archäologischer Fund einer solchen Figur (ca. 18. Jh. v.Chr.) aus Ton bekannt, die vielfach durchstochen wurde; siehe Schwemer 2007a, 23 Anm. 3, S. 200, 212‒214 mit Abb. 5 und Abb. 6 auf S. 213; Schwemer 2015, 24f. Eine Abbildung findet sich auch auf der Projektseite CMAwRo Online: http://www.cmawro.altorientalistik.uniwuerzburg.de/magic_witchcraft/witches/ (Zugriff: 20.3.2017). 13 Faraone 1992, 81f. mit Verweis auf MMDG Nr. 21 (Libation; = MMTGI Nr. 13); MMDG Nr. 56 (Gerstenbrei und Libationen; = MMTGI Nr. 226); MMDG Nr. 58 (Libation von heißer Brühe und Nahrung; = MMTGI Nr. 228); MMDG Nr. 65 (Nahrung; = MMTGI Nr. 131); MMDG Nr. 67 (Libation von heißer Brühe und Bier; = MMTGI Nr. 219); MMDG Nr. 70 (Bier und Wein; = MMTGI Nr. 231). Deponierung in abgelegenen Gebieten: MMDG Nr. 56; Nr. 57 (= MMTGI Nr. 226; Nr. 218). 14 Faraone 1992, 80, 82 mit Verweis auf Caplice 1970, 134‒141 Nr. 40 (Rückseite) Z. 4; MMDG Nr. 15; Nr. 18; Nr. 20; Nr. 22; Nr. 23; Nr. 56; Nr. 57; Nr. 66 (= MMTGI Nr. 10; Nr. 11; Nr. 12; Nr. 14; Nr. 15; Nr. 226; Nr. 218; Nr. 115). Siehe auch Farber 1987, 259f.; MMTGI p. 50‒53; mesopotamische Beispiele für das Vergraben von Figuren im Wohnhaus bei Huber 2005, 24, 31f.

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vorgeschlagen haben, ereisai in B38/39 mit „vergraben“ zu übersetzen. 15 Einen gewichtigen Unterschied zu den kyrenischen Anweisungen bildet allerdings der Umstand, dass die Figuren im Zuge der assyrischen Rituale vor ihrer Deponierung häufig gefesselt und in Behältern eingesperrt wurde, 16 wobei für dieses Details andere griechische literarische wie archäologische Parallelen existieren. 17 Die von Burkert und Faraone festgestellten Ähnlichkeiten zwischen dem Kyrener Ritual und den mesopotamischen Zeugnissen, welche bis ins 3. Jahrtausend v.Chr. zurückreichen, 18 sind also zweifellos gegeben. 19 Jedoch wurde hierbei nicht ausreichend betont, dass die Figuren in vielen Fällen nicht die Geister oder Dämonen symbolisieren sollten, sondern die feindlichen männlichen und weiblichen Magier, deren schädlichem Zauber auf die Weise entgegengewirkt werden sollte. 20 Die Maqlû-Tafeln enthalten zahlreiche entsprechende Passagen. 21 Maqlû I 15‒20 22: „Ich habe (je) eine Figur meines Hexers und meiner Hexe angefertigt, meines Zauberers und meiner Bezauberin, habe (sie) unter euch (Sternen) hingelegt und erhebe nun Anklage in meiner Sache: Weil sie 23 mir Böses tat, nach gar nicht Gutem gegen mich trachtete, möge sie sterben, und ich möge leben! Ihre Hexereien, ihre Zaubereien, ihre magischen Manipulationen mögen gelöst sein!“ Dabei erfährt man zugleich, wie es zur Verzauberung des besessenen Menschen kam.

15 Siehe bereits Ferri 1929, 399. Burkert 1992, 69 übersetzt „cast them [die Figuren] into the ground“; Dobias-Lalou 2000, 306: „planter dans le sol“. 16 Faraone 1992, 81f. mit Verweis auf Caplice 1970, 134‒141 Nr. 40 (Vorderseite) Z. 33f. (Fesselung); MMDG Nr. 62; Nr. 65 (Fesselung; = MMTGI Nr. 120; Nr. 131); MMDG Nr. 18; Nr. 20; Nr. 56; Nr. 57; Nr. 61; Nr. 71 (jeweils Deponierung in Behältern; = MMTGI Nr. 11; Nr. 12; Nr. 226; Nr. 218; Nr. 119; Nr. 230). 17 Siehe Faraone 1991a, 189‒196; Faraone 1991b, 4, 7‒9; Graf 1996, 122‒133; Ogden 1999, 72‒74; Collins 2008, 92‒97. 18 Schwemer 2015, 23. Ebd., 23 und Schwemer 2007a, 255‒276, auch zu den hethitischen Ritualen späterer Zeitstellung. 19 Vgl. auch Graf 1996, 155f. 20 Siehe für die verschiedenen Spezialisten das Kapitel „Exorcists, Physicians, Snake Charmers, and Witches“ in Schwemer 2015, 25‒28. 21 Vgl. neben der im Folgenden zitierten Passage auch Maqlû II 37‒49; 108‒110; 131, passim. 22 Diese und die folgenden Übersetzungen entstammen Abusch/Schwemer 2008, 128‒186. Die Übertragung ist auch online einsehbar auf der Seite des CMAwRo-Projekts: http://www.cmawro. altorientalistik.uni-wuerzburg.de/magic_witchcraft/maqlu/maqlu_german_translation/ (Zugriff: 20.3.2017). 23 Der Wechsel vom Plural (Hexer und Hexe) zur dritten Person im Femininum (Hexe) ist häufig zu beobachten; vgl. auch Abusch/Schwemer 2008, 132.

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Maqlû I 96‒109 24: „(sie), die Figuren von mir herstellten, meine Gestalt nachahmten, meinen [Mu]nd packten, meinen Hals beben ließen, meine Brust preßten, meine Wirbelsäule krümmten, mein >Herz< schwächten, meine Libido packten, mich mit mir selbst zürnen ließen, meine Kräfte schwächten, meine Arme hinschütteten, meine Beine banden, […] mich mit behextem Brot speisten, mir behextes Wasser zu trinken gaben, mich mit verseuchtem Waschwasser wuschen, mich mit Salben aus schädlichen Kräutern salbten, mich für einen Toten erwählten, das Wasser meines Lebens in einem Grab beerdigten, Gott, König, Vornehmen und Edelmann mit mir zürnen ließen.“ Entsprechende Figuren wurden somit in beiden Fällen erstellt und misshandelt, 25 sowohl im Falle des Angriffs als auch im Falle der Verteidigung, die gleichfalls aggressiver Natur war, da die Bildnisse des Feindes in vielen Fällen vergraben oder verbrannt 26 oder auf andere Weise zerstört wurden: 27 Maqlû I 135: „Beschwörung: ‚Ich erhebe die Fackel, ihre Figuren verbrenne ich!‘“ Maqlû IV 39‒41: „Figuren, Nach[bildungen] meines Gesichtes und meines Leibes habt ihr hergestellt und habt (sie) einen Hund fressen lassen, habt (sie) ein Schwein fressen lassen, habt (sie) die Vögel fressen lassen, habt (sie) in den Fluß geworfen.“

24 Vgl. auch Maqlû II 31‒35; 160‒168; 183; passim. 25 Nach Daxelmüller/Thomsen 1982, 41, sollen „die mit den Statuetten vollzogenen Praktiken […] nicht qua Bild auf das Ziel übertragen werden, sondern den angerufenen Gott aufmerksam machen.“ Der Effekt bleibt derselbe. Siehe auch Schwemer 2007a, 92‒100, 200‒202; Schwemer 2007b, 3f. 26 Nach Thomsen 1987, 34 spielt dieser Unterschied inhaltlich keine Rolle: „Beide Prozeduren sollen die Vernichtung, bzw. den Tod des Opfers herbeiführen.“ 27 Siehe zu den verschiedenen Arten der Beseitigung der Figuren die Ausführungen bei Thomsen 2001 39f. und Schwemer 2007a, 97‒100. Hinzuweisen ist als Parallele auf die Eidesvereinbarung der Siedler in Kyrene, in der ebenfalls Menschen symbolisierende Figuren verbrannt wurden; siehe Kap. 3 Anm. 65.

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Von einer Bewirtung der Figuren kann – das zeigt die zitierte Stelle Maqlû I 96‒109 – zumindest hier nicht die Rede sein. Der ‚Verköstigung‘ der Bildnisse lag eine rein negative Absicht zu Grunde. 28 Bei allen Unterschieden ist es für unsere Interpretation der lex sacra von Kyrene zweifellos von Interesse, dass die erstellten Bildnisse in den zitieren Stellen der Maqlû-Tafeln Menschen 29, nicht Geister 30, symbolisieren sollten. Ferner erstellte man gemäß den Anweisungen auch hier eine weibliche und eine männliche Figur, da man häufig nicht wusste, wer einen verhext hatte: 31 Maqlû I 86f. 32: „die Figuren meines Übeltäters und meiner Übeltäterin, die du, Richter Nuska 33, kennst, die ich aber nicht kenne“ J. Scurlock stellt heraus, dass in den mesopotamischen Ritualen die Abbilder sogar durchgängig den Hexer oder die Hexe darstellten, wenn diese den betreffenden Quälgeist entsandt hatten. 34 Eine Ähnlichkeit mit dem anvisierten Feind scheint dabei unnötig gewesen zu sein. 35 Hierfür spricht auch, dass man die Figuren bisweilen mit einem Namen an der (unheilvollen) linken Körperhälfte versehen hat. 36 Dabei muss es sich nicht durchgängig um den wahren Namen gehandelt haben, den man in vielen Fällen vielleicht auch nur ahnte, nicht sicher wusste. 37 Stattdessen hat man den Feind um-

28 Ebenso in Maqlû IV 59‒61, wo nach einer langen Aufzählung von Misshandlungen auch von einer Bewirtung der Figur des Bezauberten mit verschiedenen wohlschmeckenden Getränken (Wasser, Milch, Bier, Wein) und einer Salbung mit Öl die Rede ist. 29 So ebenfalls im Zeugnis Caplice 1970, 134‒141 Nr. 40 (Vorderseite) Z. 31‒37. Das in Thompson 1906, 220‒227 (Spalte 2) Z. 2‒6 (= Ebeling 1931, 146‒154 Nr. 30F) beschriebene Ritual scheint Anweisungen zu enthalten, welche die Anfertigung einer Figur für einen lebenden und einer für einen toten Menschen vorschreiben. 30 Siehe dagegen Burkert (oben S. 50 mit Anm. 6). 31 Siehe Schwemer 2007a, 70‒75, 81‒83; Schwemer 2007b, 2; Abusch/Schwemer 2011, 5. 32 Vgl. auch Maqlû II 205‒209; IV 76. 33 Eine Lichtgottheit, Gott der nachts leuchtenden Lampe; vgl. Abusch/Schwemer 2008, 132, 138 Anm. 21; ferner Abusch 2002, 126f. Anzumerken ist, dass es keine für die Anwendung oder Abwehr von ‚schwarzer Magie‘ speziell zuständigen Gottheiten gab; siehe Thomsen 1987, 38; Thomsen 2001, 40f. 34 MMTGI p. 49. 35 Daxelmüller/Thomsen 1982, 53‒56. Dies gilt auch für die griechischen Exemplare; siehe Ogden 1999, 75. 36 Faraone 1992, 81 mit Verweis auf MMDG Nr. 20; Nr. 22; Nr. 57; Nr. 61; Nr. 66; Nr. 67 (= MMTGI Nr. 12; Nr. 14; Nr. 218; Nr. 119; Nr. 115; Nr. 219); siehe auch Thompson 1906, 220‒227 (Spalte 2) Z. 13 (= Ebeling 1931, 146‒154 Nr. 30F); Caplice 1970, 134‒141 Nr. 40 (Vorderseite) Z. 33. Siehe ferner Schwemer 2007a, 201f. zu linksseitig sowie rechtsseitig beschrifteten Figuren. 37 Vgl. Thomsen 1987, 21‒26; Thomsen 2001, 23.

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schrieben. 38 Kannte man den Gegner, konnte man den schadenden Effekt durch die Benutzung von „identitätstragenden Materialien“ verstärken. 39 Gleichwohl existiert eine Reihe an Zeugnissen, anhand welcher zu beobachten ist, dass man in Mesopotamien Bildnisse nicht nur gegen menschliche, sondern auch gegen dämonische Angriffe nutzte. 40 So werden in einer weiteren Passage der Maqlû-Tafeln insgesamt zehn verschiedene Dämonen aufgezählt, deren Figuren 41 gleichfalls verbrannt wurden, und eine elfte, die „alles Schlechte, das einen Menschen packen kann“, symbolisieren sollte, erlitt dasselbe Schicksal. 42 Daneben dienten Bildnisse nicht nur dem magischen Angriff sowie der Abwehr desselben, sondern auch der Heilung, beispielsweise im Falle von Impotenz, für deren Bekämpfung man Figuren der Betroffenen erstellte. 43 Hierbei ist aber zu bedenken, dass in Mesopotamien die Vorstellung verbreitet war, dass Dämonen oder Geister für bestimmte Leiden verantwortlich sein konnten. 44 Es gab aber auch ‚gute‘ Dämonen, deren Figuren apotropäischen Nutzen hatten. 45 Bildnisse kamen darüber hinaus zum Einsatz, wenn man entflohene Sklaven magisch zur Rückkehr zwingen wollte. 46 Sehr interessant ist ferner ein akkadisches Ritual aus der Zeit um etwa 1300 v.Chr., welches einen Besessenen von einem Totengeist befreien soll. 47 Hierfür wurde als erstes eine weibliche Puppe erstellt, wobei die Anweisungen hierfür sehr penibel über insgesamt dreizehn Zeilen (!) hinweg ausgeführt wurden. 48 Hernach wurde die Figur drei Tage lang bewirtet, mit einer Mitgift ausgestattet und daraufhin mit dem Totengeist 38 Siehe MMTGI p. 49f., 133 Anm. 777. In den meisten Fällen (siehe Anm. 36) wird die Bezeichnung der Puppe lapidar vorgeschrieben, ohne dass Details ausgeführt wären 39 Schwemer 2007a, 90f.; Abusch/ Schwemer 2011, 20. Hierzu zählten beispielsweise Fingernägel und Haare, daneben aber auch Dinge wie der Lehm einer Mauer, auf die der Schatten der entsprechenden Person gefallen ist; vgl. auch Thomsen 1987, 32‒34; Thomsen 2001, 38f.; Maul 2004, 85f. 40 Zu den mesopotamischen Dämonen, ihrem Aussehen und Einfluss jetzt auch Abusch 2011, 342‒356; Geller 2011, 333‒341; Heessel 2011, 357‒368; Rendu Loisel 2011, 323‒332; Wiggermann 2011, 298‒322; Schwemer 2011, 427‒429; Schwemer 2015, 31f. 41 Siehe für die bildlichen Nachweise Daxelmüller/Thomsen 1982, 39f., 42, 50 mit der dort genannten Literatur. 42 Maqlû I 136‒139; vgl. II 52‒71; siehe ferner Farber 1987, 259f.; Farber 1987, 260f. = Ebeling 1931, 138‒142 Nr. 30C; vgl. auch Wiggermann 2011, 312. 43 Vgl. Daxelmüller/Thomsen 1982, 38; MMTGI p. 49. Man spricht auch von „Substitutspuppen“; siehe Huber 2005, 37‒44 (mit weiterer Forschung); Schwemer 2007a, 202. Ihre Nutzung ist auch für Ugarit belegt; ein entsprechendes Ritual diskutiert Huber 2005, 70‒72. 44 Daxelmüller/Thomsen 1982, 31f., 39; Huber 2005, 31, Anm. 60. Siehe die umfassende Testimonien-Sammlung MMDG sowie die Überarbeitung MMTGI. 45 Daxelmüller/Thomsen 1982, 42. 46 LKA Nr. 135; hierzu Ebeling 1954, 52‒56; Daxelmüller/Thomsen 1982, 38f.; Schwemer 2011, 431f. 47 Schwemer 1998 = Farber 2001, 253‒263; vgl. Farber 2004, 117‒132. Die Keilschrift befindet sich in einem sehr fragmentarischen Zustand. Die grundsätzliche Aussage ist allerdings nicht umstritten. Siehe Schwemer 1998, 60‒64, Maul 2004, 86‒90 und Schwemer 2015, 36 für weitere vergleichbare Rituale. 48 Schwemer 1998, 102f. Z. 58‒70 = Farber 2001, 254‒257 Z. 8‒20. Verschiedene Zeichnungen, die einen „ungefähren Nachbau der ‚Braut‘“, skizzieren, finden sich bei Schwemer 1998, 65 Abb. 1‒4, 66 (Zitat).

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vermählt, wodurch der Patient von letzterem befreit wurde. Somit repräsentiert die Figur in diesem Ritual weder den Dämon bzw. Geist noch den schickenden Menschen (von dem im erhaltenen Teil des Zeugnisses keine Rede ist), sondern sie diente einzig und allein als Lockmittel für den Totengeist. 49 Neben der Darstellung von Personen und Dämonen sowie der Nutzung als Köder konnten Bildnisse auch den Effekt einer Verhexung, im folgenden Fall 50 übler Nachrede, abbilden: „Fertige sieben Zungen aus Ton an; setze die Zungen in ein Schiffchen aus Ton und bedecke das Boot mit Ton […] Die Beschwörung rezitierst du siebenmal, dann wirfst du alles in den Fluß oder in einen Brunnen, dessen Wasser nach Westen abfließt, und dabei darfst du nicht hinter dich blicken.“ Die letztgenannte Anweisung könnte eine Parallele zu B5 in der lex sacra von Selinunt darstellen, was allerdings umstritten ist. 51 Die Spannbreite der Anwendungsmöglichkeiten von Figuren und Bildnissen ist in Mesopotamien somit außerordentlich groß. Zu erwähnen ist bei aller Parallelität zum mesopotamischen Raum, dass aus Ägypten ähnliche Figuren bekannt sind. Auffällig sind insbesondere Exemplare aus Ton bzw. Stein (größtenteils aus der Zeit des Mittleren Reiches), die im Bereich von Bestattungsplätzen oder nahe bei Tempeln von Totengöttern entdeckt worden sind: Diese sind gefesselt und tragen häufig Personennamen oder längere Texte, die ganze Völker 52, Götter und Dämonen verfluchen. Die Fundumstände – C. A. Faraone beschreibt durchgängig Depotfunde mit zum Teil mehreren Hundert Figuren 53 – weisen aber auf Unterschiede im Ritualablauf hin. Gewisse Gemeinsamkeiten zeigen sich ferner in der Darstellung des siegreichen Pharao bzw. des knienden, gefesselten Gegners und den mesopotamischen Kriegsritualen. 54 49 Man könnte allerdings auch in diesem Falle von einer Substitutspuppe sprechen; siehe Anm. 43. 50 Gadd/Kramer 1966, Taf. 298 Nr. 410 (Vorderseite) Z. 17‒20. Übersetzung: Daxelmüller/ Thomsen 1982, 41; siehe ferner Gurney 1960, 221‒227. 51 Siehe oben Kap. 2 Anm. 144. Siehe auch VAT 13943 (= Maul/Strauss 2011, 83‒85 Nr. 36), Z. 10 und VAT 14006 (= Maul/Strauss 2011, 85f. Nr. 37), Z. 10. 52 Unüblich in den mesopotamoschen Texten; siehe Abusch/Schwemer 2011, 4. 53 Siehe Faraone 1991a, 172‒176 bzw. Faraone 1992, 78f. mit der dort zitierten Forschung. Jetzt auch Theis 2014, 708‒729, der große Teile des Materials (Frühzeit bis arabische Zeit) zusammenstellt. Deutlich wird darauf hingewiesen (Theis 2014, 67f., 71‒74, 645f.), dass die Figuren aus Holz, Wachs, Papyrus und Lehm insbesondere dem Schutz Ägyptens und demjenigen seiner Kultstätten dienten, während die Nutzung im privaten Bereich erst in nachpharaonischer Zeit eingesetzt habe. Ferner macht Theis 2014, 68 darauf aufmerksam, dass man „Ächtungsfiguren“ und „Gefangenenstatuetten“ unterscheiden müsse. Allerdings wird a. a. O. deutlich, dass dies in vielen Fällen schwierig ist. 54 Zu letzteren Elat 1982, 21‒24.

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In jüngster Zeit hat P. Eich vermutet, dass die in der lex sacra von Kyrene beschriebenen Rituale „ihren Grund in der räumlichen Nähe der griechischen Diaspora­gemeinde Kyrene zu Ägypten“ finden. 55 Dies ist sicherlich nicht völlig auszuschließen. Angesichts der hier dargelegten mesopotamischen Praktiken ist es aber wahrscheinlicher, dass der griechische Raum vom Zweistromland beeinflusst wurde und dass die Siedler aus Thera den Brauch, übernatürliche Verfolger mittels Bildnissen zu manipulieren, folglich bereits aus ihrer Heimat kannten, zumal dieser Ritus, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, in Griechenland keineswegs isoliert dasteht und die griechischen ‚Zauberpuppen‘ bereits für die Archaik nachgewiesen sind. 56

55 Eich 2011, 386 (Zitat), 450f. (zum Eid der Siedler von Kyrene); siehe Kap. 3 Anm. 65. 56 Ogden 1999, 71.

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5 Östliche Einflüsse auf Griechenland: Wann und wie? Steht der mesopotamische Einfluss auf die griechische Totenmanipulation somit zweifelsfrei fest, so ist ebenso deutlich festzuhalten, dass die homerischen Epen noch keinerlei Hinweis auf die Kontrolle oder auch nur Symbolisierung von Toten durch entsprechende Abbilder enthalten (hierzu auch Kap. 6). Tatsächlich passt dies zu den in Ilias und Odyssee vermittelten Jenseitsvorstellungen, wonach der Tote noch passiv und abhängig von göttlicher Unterstützung war. 1 Erst in nachhomerischer Zeit ändert sich dies: Die Grenze zwischen Tod und Leben wird durchlässiger. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass diejenigen historischen und archäologischen Zeugnisse, welche die Instrumentalisierung von toten Menschen mittels Figuren/Statuen belegen, 2 alle, soweit datierbar, aus klassischer oder späterer Zeit stammen, 3 auch wenn zum Teil auf frühere Ereignisse Bezug genommen wird. Der Blick auf die Keilschrifttexte aus Mesopotamien verdeutlicht, dass der Ritus der Kontrolle von Menschen, seien sie lebendig oder tot, durch Abbilder im Zweistrohmland schon wesentlich früher in Gebrauch war. Eine genuin griechische Entwicklung erscheint angesichts der Ähnlichkeiten ebenso unwahrscheinlich wie angesichts des doch verhältnismäßig späten Aufkommens dieses Ritus, zumal auch Herodot (6,58) Parallelen zu persischen Bräuchen erkennt. 4 Die Frage, ob das griechische Mutterland direkt von Mesopotamien oder vermittels der Griechen und übrigen Bewohner Kleinasiens oder über den Kontakt zu den Menschen in der Levante beeinflusst wurde, ist von der Forschung intensiv diskutiert worden. Hierbei gibt es verschiedene Ansätze, die teils auch nebeneinanderstehen können, wengleich man bei der Verfolgung der Diskussion bisweilen den Eindruck erhält, dass sie miteinander konkurrieren. Zum einen wird die Ansicht vertreten, dass eine starke Einflussnahme auf die Ionier bereits in der Bronzezeit von den Hethitern bzw. Luwiern in Kleinasien ausgegangen sei. Dabei seien ebenso, wenngleich nicht hauptsächlich, mesopotamische ‚Kulturgüter‘ vermittelt worden, wie z. B. das Gilgamesch-Epos, von welchem eine hethitische Übersetzung existierte, aber auch andere Geschichten aus dem Zweistromland. Diese 1 Siehe Matijević 2015. 2 Dass die sog. Menhirs von Mideia/Dendra eine derartige Funktion besaßen, ist nicht nachweisbar; siehe Kap. 5. 3 Die Datierung des vorgeblich archaischen Eides der Kolonisten aus Thera in Kyrene (siehe Kap. 3 Anm. 65), nach dessen Wortlaut Wachsfiguren lebende Menschen symbolisierten, ist umstritten. Walter 1993, 141‒144 sieht den Eid als Fiktion des 4. Jh.s v.Chr. an. 4 Siehe Schwemer 2007a, 255, einen der besten Kenner der mesopotamischen Riten, der von „Motiven“ spricht, die „an und für sich zu spezifisch erscheinen, um völlig unabhängig voneinander in verschiedenen Kulturen entwickelt worden zu sein.“ Allerdings betont er auch die gewichtigen Unterschiede.

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Position nehmen zum Beispiel P. Högemann und N. Oettinger ein. 5 Zum anderen findet sich die These, dass die östliche Beeinflussung vor allem mesopotamisch gewesen und zeitlich in der frühen Archaik vonstattengegangen sei und dass dabei hauptsächlich die Levante (Nordsyrien, Kilikien, Zypern) den Mittler gespielt hätte. Diese Einschätzung ist insbesondere von R. Rollinger und ferner auch von J. Wiesehöfer vertreten worden. 6 Da die entsprechenden Texte aus der Levante fehlen, ursprünglich aber in einer großen Menge vorhanden gewesen sein mögen, lässt sich hierzu keine verlässliche Angabe machen. Auszuschließen ist eine Mittlerfunktion freilich nicht. 7 Im Mittelpunkt der Diskussion stand hierbei durchweg die Beobachtung, dass die homerischen Gesänge östliche Anklänge enthielten. Auf der einen Seite werden Ähnlichkeiten insbesondere zur akkadischen Standardversion des Gilgamesch-Epos, aber auch anderen mesopotamischen Epen, herausgestellt, auf der anderen Seite auf Parallelen zu hethitischen Texten des 2. Jahrtausends hingewiesen. Man könnte nun feststellen, dass verschiedene nahöstliche Kulturen zu verschiedenen Zeiten den Prozess der Formierung der homerischen Epen beeinflusst hätten, und auch R. Rollinger bemerkt, dass „it is first necessary to point out that they [die beiden Forschungsansätze] do not have to be mutually exclusive and that in principle, both are equally plausible.“ 8 Dann fährt er aber fort und stellt fest, dass eine Beeinflussung über die Levante wahrscheinlicher sei, da diese eine niedergeschriebene Form der homerischen Epen voraussetze, welche in der späten Bronzezeit noch nicht existierte: „There is […] some difficulty in imagining a direct influence of Near Eastern narratives on the Aegean world of the late Bronze Age, at least as far as the creation of the Homeric epics is concerned. Such a direct influence would have necessitated a sort of ‚Proto-Iliad‘ created before the written version, into which literary motifs and narrative elements from the Near East were woven. How this prototype is supposed to have been transmitted through the long period

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Högemann 2000, 183‒198; Högemann 2005, 1‒19; Högemann/Oettinger 2008, 12f.; siehe auch Collins/Bachvarova/Rutherford 2008b, 2, 4, 7; Bryce 2008, 88; Strobel 2011, 248‒250. 6 Rollinger 2011b, 33‒36; Rollinger 2011c, 219‒221; Rollinger 2014, 134f.; Rollinger 2015, 14‒16; Wiesehöfer 2011, 136‒143. So ferner bereits Wirth 1921, 197; Thomas 2004, 176f. Den Seeweg favorisiert auch Blum 2002, 277. Burkert 1992, 129 hat explizit die homerische Zeit als Phase der „orientalizing revolution“ angesehen. Noch in jüngerer Zeit wurde diese Einschätzung von Powell 2011, 562 zur communis opinio erklärt. Im Falle der Beeinflussung der griechischen Mythen und Epen halten viele Forscher die homerische Zeit allerdings für einen zu späten zeitlichen Ansatz; vgl. z. B. Dijk 1998, 11 Anm. 14; Strasburger 1998, 2. Reichel 1992, 190 denkt, dass sich eine Einflussnahme „der orientalischen auf die griechische Epik“ im Zeitraum von der „spätmykenischen Zeit bis ins 7. Jhd.“ vollzog, wobei er sich lediglich auf die Standardversion des Gilgamesch-Epos bezieht; ähnlich, und zwar mit umfassenderem Ansatz, äußerte sich bereits Webster 1956, 104‒116. Morris 1997, 608 spricht sich für die gesamte Bronzezeit aus. Differenziert und differenzierend Collins/Bach­va­ro­va/Ru­t her­ford 2008b, 3. 7 Siehe Rollinger 2011c, 218f.; Rollinger 2015, 8‒16 mit Hinweisen auf weitere Forschung zu diesem Problem. Anders Strobel 2011, 249 Anm. 18. 8 Rollinger 2015, 15. Siehe auch Patzek 2003, 4, die in der Ilias Entlehnungen aus hethitischen und mesopotamischen Epen identifiziert.

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of the so called Dark Ages in a more or less stable form still awaits explanation given the lack of a writing system.“ 9 Tatsächlich ist durch die Studie von M. Parry aber bereits vor gut hundert Jahren plausibel gemacht worden, wie ‚Oral Tradition‘ funktioniert, 10 und es ist es gut vorstellbar, dass mündliche Versionen der homerischen Epen von nahöstlichen Geschichten beeinflusst worden sind, zumal man immer, wie im Falle der Levante, von fehlenden Texten ausgehen muss. So ist zu beachten, dass zwischen der akkadischen Standardversion des Gilgamesch-Epos und den sumerischen Episoden des Bilgames/Gilgamesch-Zyklus mehrere hundert Jahre liegen, aus denen sich keine Texte über Gilgamesch erhalten haben. 11 Die Unterschiede in den verschiedenen Versionen des Epos deuten aber darauf hin, dass 1. entweder schon in früher Zeit unterschiedliche Fassungen existierten, uns hierfür aber die Texte fehlen, oder dass sich 2. Veränderungen im Rahmen der ‚Oral Tradition‘ abspielten oder dass 3. entsprechende ‚Zwischentexte‘ verloren gegangen sind. 12 Zu bermerken ist darüber hinaus, dass P. Högemann und N. Oettinger im Rahmen ihrer Argumentation „nach Ausweis der hieroglyphen-luwischen Inschriften des 10.‒8. Jh. v.Chr. aus dem südlichen und südöstlichen Anatolien […] eine auffällige Kontinuität zu den hethiterzeitlichen Verhältnissen feststellen“. 13 Ähnliche „Traditionen finden sich sowohl in hethitischen Texten des mittleren zweiten Jahrtausends als auch auf Hieroglypheninschriften der Luwier Südostanatoliens und Nordsyriens im frühen und mittleren ersten Jahrtausend v.Chr.“ 14 Demnach wären also auch hier die Beeinflussungen möglicherweise erst nachbronzeitlich anzusetzen. „Der Iliasdichter“, so P. Högemann und N. Oettinger, habe „hethiterzeitliche Traditionen noch in praxi erlebt.“ 15 R. Rollinger und J. Wiesehöfer argumentieren wiederum, 16 dass der Seeweg zu allen Zeiten der schnellere und kostengünstigere gewesen sei und dass auch der kulturelle Transport sich eher über Wasser als über Land vollzogen haben wird. Ferner hätten die Griechen schließlich auch ihre Schrift von den Phöniziern übernommen. Zudem seien die Parallelen zu den bislang diskutierten hethitischen Texten weit weniger offensichtlich als diejenigen zwischen den homerischen Gedichten und dem Gilgamesch-Epos. Letzteres ist angesichts der Tatsache, dass eine hethitische Version des Gilgamesch-Epos .

9 Ebd. 10 Siehe außer den inzwischen klassischen Studien Parry 1928 und Lord 1960 den konzisen Überblick bei Latacz 2000b, 52‒60; ferner Clarke 1999, 19f.; Visser 2006, 430‒435; Danek 2011, 298‒304; Finkelberg 2012, 73‒82. 11 Bekannt sind bislang spärliche sumerische Fragmente des 21. Jahrhunderts v.Chr., insgesamt fünf sumerische Abenteuer des Bilgames/Gilgamesch aus dem 18./17. Jahrhundert v.Chr., wenige akkadische Fragmente derselben Zeitstellung sowie die akkadische Standardversion des GilgameschEpos, die wohl im 13./12. Jahrhundert v.Chr. ediert und uns in Texten ab der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts v.Chr. erhalten ist: siehe George 2003, 18, 39‒47. 12 Siehe auch George 2007, 449f. 13 Högemann/Oettinger 2008, 19. Siehe ebenfalls bereits Starke 1997, 447‒487. Abgelehnt von Blum 2002, 275‒318. 14 Ebd. 15 Högemann/Oettinger 2008, 26. Siehe auch Strobel 2011, 249 mit weiterer Forschung in Anm. 19. 16 Siehe Anm. 6.

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existierte, kein durchschlagendes Argument. 17 Als Träger des kulturellen Austauschs zwischen Levante und Griechenland werden wandernde Priester/Seher, Handwerker und Söldner erwogen, 18 was von altorientalistischer und altertumswissenschaftlicher Seite aber zum Teil auch angezweifelt worden ist. 19 Hinsichtlich des Übertragungsweges ist zu bedenken, dass P. Högemann eben nicht allgemein vom kulturellen Austausch zwischen den nahöstlichen Kulturen und Griechenland spricht, sondern dass er in den homerischen Epen einen Kulturtransfer zwischen den ionischen Griechen und den übrigen Kulturen Anatoliens zu identifizieren meint, wofür nur der ‚Landweg‘ in Frage komme. 20 Voraussetzung ist also für beide Ansätze, auch wenn keine der beiden Seiten derartiges dezidiert geäußert hat, dass in den homerischen Epen griechisches Kulturgut verankert ist, ob nun panhellenisches, wie es das Gros der Forschung plausibel vertritt, 21 oder panionisches, wie P. Högemann denkt. 22 Wenn man von einem einzelnen Dichter ausginge, der die ihm bekannten Mythen nach Gutdünken abgewandelt hat, wie es die sog. Neoanalyse tut, dann wäre der östliche Einfluss auf den Dichter Homer unter Umständen von größerer Bedeutung für seine Niederschrift gewesen als die generelle Beeinflussung ‚der Griechen‘ bzw. ‚der griechischen Kultur‘. 23 Bei der Frage nach dem ‚Wann‘ und ‚Auf welche Weise‘ der generellen und natürlich auch gegenseitigen Beeinflussung hat man sich, wie erwähnt, in der Hauptsache auf die frühen griechischen Texte Homers und Hesiods fokussiert. Während im Falle von Hesiod niemand der Beobachtung widersprechen wird, dass hier deutliche Anlehnungen an nahöstliche Mythen zu finden sind, 24 ist sich die Forschung hinsichtlich der homeri17 Siehe Högemann 2000, 187; Strobel 2011, 250f. 18 Burkert 1992, 128f.; Rollinger 1996, 202‒210; Huber 2005, 14; Burkert 2011, 411‒418; Rollinger 2014, 135. Siehe auch Nikoloudis 2008, 45‒56 zu den bronzezeitlichen aus Linear B-Texten erschlossenen möglichen ‚Kulturträgern‘. 19 Röllig 2001, 314 äußert Zweifel daran, dass jemals mehr als ein oder zwei wandernde babylonische Priester die griechische Welt betreten hätten; skeptisch auch Nutton 2005; ferner Högemann 2005, 6. Tsagarakis 2000, 22 Anm. 60 traut Handwerkern nur einen Transfer „of the more tangible aspects of the culture, including iconography“, zu. Im Falle von sozialen und politischen ‚Importen‘ müsse man nach Raaflaub 2011a, 245 an Adlige denken. Für die archäologischen Belege von Griechen im Vorderen Orient und in Ägypten siehe Haider 1996, 59‒115, für die schriftlichen Nachweise in den vorderasiatischen Quellen Rollinger 2011a, 267‒282. 20 Högemann 2000, 187‒189, 193; Högemann 2005, 15; siehe auch Bryce 2008, 86f. 21 Nagy 1983, 190 hat zu Recht dargelegt, dass die gesamte Darstellungsweise der homerischen Epen eine panhellenische Perspektive aufweist; ähnlich bereits Rohde 21898, Bd. 1, 41; vgl. Wirbelauer 2004, 200; Danek 2011, 296f.; Raaflaub 2011b, 351; Torres 2012, 519 mit weiterer Forschung. 22 Högemann 2000, 187‒189, 193; siehe auch Bryce 2008, 88, der zwar wie Högemann in den kleinasiatischen Griechen die Zielgruppe Homers erkennt, trotzdem aber eine „panhellenic inclusiveness“ identifiziert. 23 Dass zumindest die ‚homerische Religion‘ nicht von der griechischen zu trennen ist, wurde an anderer Stelle gezeigt; siehe Matijević 2015, 16‒19. Dass Homer selbst Texte mesopotamischen Ursprungs benutzt haben könnte, erwägen beispielsweise Burkert 1999b, 42 und Bremmer 2004, 49. Als „sehr unwahrscheinlich“ bezeichnet dies Högemann 2005, 1. 24 Siehe Burkert 2011, 417f., Rutherford 2011, 221, Strobel 2011, 253, Metcalf 2015, 225 sowie Rollinger 2015, 16 zum Mythos von Kumarbi.

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schen Epen weit weniger einig. Der Ansatz von M. L. West – „The Iliad […] is pervaded by themes and motifs of Near Eastern character“ 25 – geht jedenfalls deutlich zu weit. 26 So hat man insbesondere den Ursprung der homerischen Jenseitsvorstellungen vielfach in Mesopotamien verortet. 27 W. Burkert hat beispielsweise von den mesopotamischen Zeugnissen über Homer bis zu Aristophanes eine Kontinuität in der Behandlung von Vatermördern und Eidbrechern in der Unterwelt erkennen wollen. 28 Diese und andere Thesen halten einer genaueren Betrachtung der Zeugnisse aber nicht stand. 29 Ilias und Odyssee enthalten, wie noch gezeigt werden wird (Kap. 6), auch keine Hinweise auf eine Mani­ pulation von Toten mittels Bildnissen. I. Huber hat in ihrer Dissertation zu den „Ritualen der Seuchen- und Schadensabwehr im Vorderen Orient und Griechenland“ darüber hinaus gezeigt, dass die homerischen Epen auch nicht von den genannten östlichen Abwehr­ ritualen beeinflusst waren (im Gegensatz zur späteren griechischen Tragödie). 30 Trotzdem sind es immer wieder die homerischen Epen, die als Beweis für einen Kulturaustausch zwischen Mesopotamien und Griechenland angeführt werden. Konzentriert hat man sich im Anschluss an den genannten M. L. West insbesondere auf Motiv­ent­leh­ nun­gen der homerischen Gesänge aus dem Gilgamesch-Epos, wobei diese Vorgehensweise in ihrer umfassendsten Form aber bereits in P. Jensens zweibändigem Werk „Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur“ (1906/1928) betrieben wurde. Vielfach hat man beim Identifizieren von Analogien auch sogleich betont, dass „von einer direkten Entlehnung [durch die Griechen] keine Rede sein“ könne und die Griechen die Vorlage „vollständig umgearbeitet [sowie] ihrem Geiste angepaßt“ hätten. 31 Hiermit wollte man aber vor allem der Kritik zuvorkommen, nur den wenigen Gemeinsamkeiten, nicht aber den Unterschieden zwischen den diskutierten Texten Rechnung zu tragen. 32 25 West 1997, 400; siehe auch West 2007 zu den vorgeblichen indoeuropäischen Gemeinsamkeiten. 26 Vgl. Matijević 2015, 173, 178f. Inzwischen häuft sich die Kritik an Wests methodischem Vorgehen und den von ihm vertretenen Entlehnungen; siehe García Ramón 2011, 83‒95; Janda 2012, 481f.; Metcalf 2015, 222f., 226f., bes. 227: „[…] the case for pervasive Near Eastern influence is likely to have been overstated“; vgl. auch Létoublon 2011, 198f. 27 Foss 1997, 1: „Dieses Wenige, was in Griechenland zum festen Bestand eines ursprünglichen Jenseitsglaubens gehört hat, […] war auch zuvor schon beinahe Allgemeingut der orientalischen Welt“; Mumm 2012, 184: „[…] die Ähnlichkeit mit den mesopotamischen [Jenseitsvorstellungen] lässt wohl nur den Schluss zu, dass die griechischen Vorstellungen einem massiven Einfluss aus Mesopotamien ausgesetzt waren.“. 28 Burkert 2009, 141‒160. 29 Siehe jetzt Matijević 2015, bes. 53‒56, 60‒64, 173‒212. Ferner, zeitgleich, aber aus anderer Perspektive Metcalf 2015, 226: „[…] there was no sufficient historical basis for Sumero-Akkadian religious literature to make any great impact, beyond certain individual cases, on early Greek poetry.“ 30 Huber 2005, 92‒96, 254; siehe dagegen Högemann/Oettinger 2008, 7‒26. 31 Ungnad 1923, 32; ähnlich Stella 1978, 368; Clark 1979, 24 („with particular exceptions“); Michaux 2003, 25; vgl. auch Rollinger 2015, 19 Anm. 28. 32 Siehe insbesondere West 1997, viii: „If anyone wants to write another book pointing them [die Unterschiede – K.M.] out, I should have no objection (though I do not promise to read it).“ Dagegen schon Gressmann in Ungnad/Gressmann 1911, 189: „Was nützt alle Ähnlichkeit, wenn die Unähnlichkeiten so groß sind, daß keine Brücke die Kluft überspannen kann?“

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R. Rollinger hat ebenfalls mehrfach betont, dass Entlehnung nicht heiße, dass bestimmte Textelemente einfach kopiert worden seien. Er nimmt einen mesopotamischen literarischen „gene-pool“ an, aus dem sich die Nachbarregionen bedient hätten, über die sich dann der Transfer an die Griechen vollzogen hätte. 33 Darüber hinaus sichert Rollinger das Ganze auch in theoretischer Hinsicht ab: Man dürfe sich nicht einzelne Details herausgreifen und als ähnlich und folglich entlehnt bezeichnen. Stattdessen müsse man die übergreifenden Textstrukturen beachten sowie die Integration individueller Motive innerhalb von Sequenzen, darüber hinaus auch die Charaktere der einzelnen Personen. 34 An anderer Stelle spricht er von der Suche nach Motivketten und „patterns“. 35 So löblich dieser Ansatz gerade im Vergleich mit demjenigen von M. L. West ist, letztlich geht es doch immer wieder darum, in einzelnen Details der homerischen Epen etwas Mesopotamisches wiedererkennen zu wollen, und das ist nun einmal ein höchst subjektiver Vorgang (übrigens hat man kaum jemals umgekehrt, in mesopotamischen Quellen nach Entlehnungen aus dem griechischen Kulturbereich gesucht, wenngleich des Häufigeren von einem Austausch gesprochen wird 36). R. Rollinger hat in zwei kürzlich publizierten Artikeln drei Beispiele für Entlehnungen aus dem Gilgamesch-Epos in den homerischen Epen vorgestellt, welche er unter dem Titel „Gilgamesh-Enkidu versus Achill-Patroklos“ diskutiert hat 37 und welche an dieser Stelle pars pro toto auf den Prüfstand gestellt werden sollen. 38 Als erstes wird die Trauer von Gilgamesch und Achilleus um ihren jeweils toten Freund Enkidu bzw. Patroklos parallel gesetzt.

33 Rollinger 2015, 13: „We should rather imagine the randomly preserved Near Eastern textual evidence as being part of a literary ‚gene-pool‘ at a specific point in time. From this collective cultural repository, narratives and motifs emanated to those regions directly bordering Mesopotamia, […], and then extended to regions further to the west launching ‚dialogues in literature‘.“ Siehe bereits Rollinger 1996, 159; Rollinger 2011b, 37; ähnlich Ulf 2010, 297: „Textpool des Vorderen Orients“. Rutherford 2008, 81 wiederum erwägt „a deep-rooted cultural homogeneity in the Aegeo-Antolian region, an areal koiné“; siehe auch Strobel 2011, 246: „Anatolisch-Ägäische Koinē“ bzw. 249: „ägäisch-anatolisches Interface“. Raaflaub 2011a, 242 spricht weniger einschränkend von einer „‚kulturellen koinē‘“ des gesamten östlichen Mittelmeerraums. Metcalf 2015, 13 bezei­ chnet diesen Ansatz als „higher level of abstraction“ und bemerkt nicht ganz zu Unrecht: „The result of such a broader approach, with its consequent lack of detail, is a loss of focus on the exegesis of the Greek sources.“ 34 Rollinger 2015, 14. 35 Rollinger 1996, 158, 208; Rollinger 2011c, 219. So auch Huber 2005, 96; Ulf 2010, 283. 36 Vgl. Raaflaub 2011a, 245f.; Rollinger 2015, 13. Siehe immerhin Burkert 1992, 118f., welcher auf Grundlage von Kampfschilderungen in der Ilias die Beeinflussung des assyrischen Berichtes der Schlacht von Halule (691 v.Chr.) durch einen griechischen Dichter vermutet; die Ähnlichkeiten, aber auch die Unterschiede werden betont bei Rollinger 2015, 21‒24. Vgl. aber auch Burkert 2011, 409: „Die orientalische Kultur war zunächst überlegen – als ‚höhere Kultur‘ lässt sie sich, ohne Vorlieben und Abneigungen, als diejenige fassen, die nachgeahmt wird und damit ‚Einflüsse‘ auslöst.“ 37 Rollinger 2011c, 221‒223; Rollinger 2015, 17‒19. 38 Eine Analyse der identifizierten hethitischen Parallelen wird an anderer Stelle erfolgen.

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Gilgamesch-Epos 8,59‒62 (Ed. George 2003): „He covered (his) friend, (veiling) his face like a bride, circling around him like an eagle. Like a lioness who is deprived of her cubs, he kept turning about, this way and that.“ Homer, Ilias 18,317‒320 39 (Ed. Schadewaldt 2002): „Die männermordenden Hände gelegt auf die Brust des Gefährten, sehr häufig stöhnend, so wie ein starkbärtiger Löwe, dem die Jungen heimlich geraubt hat ein Hirsche jagender Mann aus dem dichten Gehölz.“ R. Rollinger bemerkt hierzu: „The profound grief of both characters is expressed in similar terms, and the simile of the lion/lioness that has lost his/her cubs to a hunter is particularly distinctive.“ 40 Als wie ähnlich man diese beiden Stellen ansieht, liegt sicherlich im Auge des Betrachters. 41 Die dargestellte Feststellung von Rollinger ist aber nicht in jeder Hinsicht nachvollziehbar, da von einem Jäger bei Gilgamesch überhaupt keine Rede ist. Ferner stöhnt Achilleus wie ein Löwe, Gilgamesch läuft rastlos auf und ab. Mit einem Löwen werden in der Ilias darüber hinaus auch Aias (11,480‒486), Agamemnon (11,238‒240), Sarpedon (12,292f. 298‒308), Menelaos (17,108‒112) und andere Helden verglichen. 42 Zuletzt ist in Rechnung zu stellen, dass die sehr oberflächlichen Ähnlichkeiten ganz ohne gegenseitige Beeinflussung entstanden sein könnten, wie M. W. Ed­wards bemerkt: „[…] the greatest hero of a tale is likely to be compared to the most dangerous predator, and when the context is one of grief a lion must be made to mourn its cubs, not its best friend; so a parallel creation is very probable.“ 43 Die Ansicht, dass die meisten Griechen nie einen Löwen gesehen haben dürften, weil für das griechische Festland und die Inseln lediglich (!) neun Löwen archäologisch nachge-

χεῖρας ἐπ‘ ἀνδροφόνους θέμενος στήθεσσιν ἑταίρου πυκνὰ μάλα στενάχων ὥς τε λὶς ἠϋγένειος, ᾧ ῥά θ‘ ὑπὸ σκύμνους ἐλαφηβόλος ἁρπάσῃ ἀνὴρ ὕλης ἐκ πυκινῆς· Rollinger 2015, 18; vgl. Rollinger 2011c, 222. Von einer Entlehnung gehen auch folgende Forscher aus: z. B. Szabó 1956, 62f.; Webster 1956, 114; Morris 1997, 618; West 1997, 341‒343; Currie 2012, 551; Haubold 2013, 22f. 42 Vgl. Ulanowski 2015, 268. Siehe für die Odyssee Oswald 1993, 34‒38, für die Löwengleichnisse in den homerischen Epen insgesamt jetzt Saïd 2012, 359‒366. Ulanowski 2015, 257: „The lion was probably used in Mycenaean times to symbolize the warrior aspect of kings and nobles […]“. Jedoch hält er die homerischen Vergleiche für „late linguistically“ (258). 43 Edwards 1991, 184. Siehe auch Tsagarakis 2000, 22 Anm. 60.

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wiesen sind, bei welchen es sich auch um Überreste von Haustieren handeln könnte, 44 spielt für die Diskussion keine Rolle, zumal die homerischen Epen von den kleinasiatischen griechischen Verhältnissen beeinflusst worden sein dürften. Die beiden weiteren von Rollinger identifizierten Entlehnungen sind relevant für die diskutierte Beeinflussung der griechischen Jenseitsvorstellungen. Rollinger erkennt ein magisches Ritual des Gilgamesch, welches dazu diene, den Geist seines Freundes Enkidu durch einen Spalt aus dem Jenseits zu beschwören: „Gilgamesh conducting a magic ritual to open a chink in the Netherworld in order to conjure up the spirit of his friend (Standard Babylonian Version, XII, lines 79‒87: George, 2003: 732‒733) strikingly resembles a similar ritual conducted by Odysseus in the course of his own nekyia (Od. 11, 24‒35).“ 45 Von einer Motivkette kann man streng genommen nicht sprechen, da auf griechischer Seite nicht mehr Achilleus in der Ilias, sondern Odysseus in seinem Heldenlied als Vergleich angeführt wird. Wenn wir die beiden von Rollinger angegebenen Stellen nebeneinander (bzw. untereinander) stellen, zeigt sich darüber hinaus wenig bis gar keine Ähnlichkeit. Gilgamesch-Epos 12,79‒87 (Ed. George 2003): „Father Ea [helped him] in [this matter,] [he spoke] to Young Hero [Šamaš:] ‚O Young Hero Šamaš, [ … son of Ningal,] perhaps [you can open] a chink [in the Netherworld,] [you can bring] the shade of Enkidu [up from the Netherworld like a phantom!]‘ To the word [of Ea ……] the Young Hero Šamaš, […] son of Ningal, opened a chink in the Netherworld, he brought the shade of Enkidu up from the Netherworld like a phantom.“ Homer, Odyssee 11, 24‒35 46 (Ed. Schadewaldt 1966): „Ich [Odysseus] aber zog das scharfe Schwert von der Hüfte und grub eine Grube, eine Elle lang hierhin und dorthin, 44 So Ulanowski 2015, 255f. Zugleich macht er aber auf griechische bildliche Darstellungen aus dem 8. Jh. aufmerksam (258). 45 Rollinger 2015, 18; vgl. Rollinger 2011c, 222. 46 ἐγὼ δ' ἄορ ὀξὺ ἐρυσσάμενος παρὰ μηροῦ βόθρον ὄρυξ' ὅσσον τε πυγούσιον ἔνθα καὶ ἔνθα, ἀμφ' αὐτῷ δὲ χοὴν χεόμην πᾶσιν νεκύεσσι, πρῶτα μελικρήτῳ, μετέπειτα δὲ ἡδέϊ οἴνῳ, τὸ τρίτον αὖθ' ὕδατι· ἐπὶ δ' ἄλφιτα λευκὰ πάλυνον. [...] τοὺς δ' ἐπεὶ εὐχωλῇσι λιτῇσί τε, ἔθνεα νεκρῶν, ἐλλισάμην, τὰ δὲ μῆλα λαβὼν ἀπεδειροτόμησα.

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und um sie goss ich den Weihguss für alle Toten: zuerst von Honiggemisch, hernach von süßem Wein, zum dritten hinwieder von Wasser, und streute darüber weiße Gerste. […] Doch als ich die Völker der Toten mit Gelübden und Gebeten angefleht, ergriff ich die Schafe und durchschnitt ihnen den Hals.“ Während Odysseus tatsächlich ein Ritual durchführt, um innerhalb der Unterwelt die Toten zur Befragung zu sich zu rufen, sorgt im Gilgamesch-Epos der Gott Schamasch auf Bitten des Gottes Ea für eine Öffnung, durch die Enkidu aus der Welt der Toten zu Gilgamesch gelangen kann. Rollinger zitiert zwar die Edition von A. George, scheint sich an dieser Stelle aber den Forschungen von M. L. West anzuschließen, insbesondere dessen Buch „The East Face of Helicon“ von 1997, auf welches inzwischen, auch von altorientalistischer Seite, 47 vielfach hingewiesen wird, wenn östliche Einflüsse auf die griechische Kultur diskutiert werden. West behauptet, dass die von Odysseus ausgestochene Grube, mit dem Loch vergleichbar sei, welches Gilgamesch für Enkidu gräbt. 48 West verweist für diese Feststellung allerdings nur auf die Forscher A. Ungnad und L. A. Stella, deren Äußerungen in dieser Sache nicht deutlich machen, auf welcher Textgrundlage im Gilgamesch-Epos diese Analogie identifiziert wurde. 49 Tatsächlich geht das Missverständnis augenscheinlich auf Ungnads eigene ein alte Ausgabe des Gilgamesch-Epos von 1911 zurück, die zu viel in die erhaltenen Fragmente hineingedeutet hat, 50 und es kann gar keine Rede davon sein, dass Gilgamesch selbst eine Öffnung in die Unterwelt gegraben hat. Zur Ehrenrettung des früheren Herausgebers muss betont werden, dass die entsprechende Stelle ehemals weniger gut erhalten war. Übersehen wird im Übrigen, dass eine wesentlich offensichtlichere Parallele in einem hethitischen Ritual aus dem 13. Jh. vorliegt: Hethitische Inschrift aus Boğazköy (Ed. Otten 1961): „[I 39‒42] Dann geht er zu den Flussufern, nimmt Öl, Bier, Wein […]. Ferner hat er ein Lamm. Das schlachtet er in die Grube hinab. […] [III 13‒14] Dann bricht er eine Opfergrube mit einem Messer auf und libiert Öl, Honig, Wein, Trank in die Grube.“

47 Siehe z. B. Röllig 2001, 307‒314, der viele der von West identifizierten Parallelen anerkennt. 48 West 1997, 345, 416. Ihm folgt Röllig 2001, 311. 49 Ungnad 1923, 32 bemerkt lediglich: „Das Graben einer Grube (Od. 10, 515 ff.) begegnet auch im Gilgamesch‒Epos, wenn auch in der schlecht erhaltenen 12. Tafel nicht davon die Rede ist.“ Ähnlich und gleichfalls ohne Stellenangabe äußert sich Stella 1955, 224: „Gilgamesh che per intercessione del Dio evoca da un ‚botro‘ scavato al suolo l’anima dell’amico dal Paese dei Morti.“ 50 Siehe Ungnad/Gressmann 1911, 67 (Übersetzung von Ungnad) und 225f. Anm. 7 (Kommentar von Gressmann, der Gilgamesch die Grube ausgraben lässt, wenn auch ohne Hinweis auf die Odyssee). Auch in Thompsons Gilgamesch-Ausgabe von 1930 wird die Lücke mit der Angabe, wer die Öffnung in die Unterwelt hergestellt hat, mit Gilgameschs Namen gefüllt.

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Wie in der Odyssee so finden auch in diesem hethitischen Text Opfer an einem Flussufer statt, an dem eine Grube mit einem Messer ausgehoben wird. Neben dem Schafsopfer werden ebenfalls vegetabile Speiseopfer und Libationen dargebracht. Abgesehen von diesen formalen Ähnlichkeiten findet in inhaltlicher Hinsicht aber etwas völlig anderes statt. 51 Während Odysseus Tote herbeiruft, wohlgemerkt in der Unterwelt, handelt es sich bei der hethitischen Prozedur um ein umfangreiches Reinigungsritual 52 für ein Haus, das durch ein unbekanntes Fehlverhalten befleckt worden ist. Ferner handelt es sich bei den ähnlichen Opferprozeduren nur um einzelne Details, die an verschiedenen Stellen eines äußerst umfangreichen, über 250 Zeilen hinweg beschriebenen Rituals verzeichnet sind. Zuletzt ist anzumerken, dass unklar ist, was genau mit dem Messer im hethitischen Ritual gemeint ist. Da im Rahmen des Rituals auch Götterbilder in Schwertform erstellt und in den Boden gesteckt werden, wird vielleicht auch mit einem dieser Bildnisse die Grube ausgehoben. Rollinger entdeckt, wiederum im Anschluss an M. L. West, 53 noch eine dritte Parallele. Im Gilgamesch-Epos umarmt der Held seinen Freund Enkidu, obwohl dieser ein Geist ist: Gilgamesch-Epos 12,84‒88 (Ed. George 2003): „To the word [of Ea ......] the Young Hero Šamaš, […] son of Ningal, opened a chink in the Netherworld, he brought the shade of Enkidu up from the Netherworld like a phantom. They hugged each other, kissing one another.“ Achilleus scheitert dagegen bei seinem Versuch, seinen toten Freund Patroklos zu umarmen, ebenso Odysseus im Falle seiner verstorbenen Mutter Antikleia: Homer, Ilias 23,99‒104 54 (Ed. Schadewaldt 2002): „Als er [Achilleus] so gesprochen, griff er nach ihm mit seinen Händen, aber fasste ihn nicht, und die Seele ging unter die Erde wie ein Rauch, schwirrend. Und staunend sprang auf Achilleus, schlug die Hände zusammen und sprach das Wort mit Jammern: ‚Nein doch! so ist denn wirklich noch in des Hades Häusern irgendwie Seele und Bild, doch das Zwerchfell ganz und gar nicht!‘“ 51 Siehe Matijević 2015, 118‒121. 52 Diese finden typischerweise in Wassernähe statt; siehe Jean 2015, 42. 53 West 1997, 344f. 54 Ὣς ἄρα φωνήσας ὠρέξατο χερσὶ φίλῃσιν οὐδ‘ ἔλαβε· ψυχὴ δὲ κατὰ χθονὸς ἠΰτε καπνὸς ᾤχετο τετριγυῖα· ταφὼν δ‘ ἀνόρουσεν Ἀχιλλεὺς χερσί τε συμπλατάγησεν, ἔπος δ‘ ὀλοφυδνὸν ἔειπεν·   ὢ πόποι ἦ ῥά τίς ἐστι καὶ εἰν Ἀΐδαο δόμοισι ψυχὴ καὶ εἴδωλον, ἀτὰρ φρένες οὐκ ἔνι πάμπαν·

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Homer, Odyssee 11,204‒208 55 (Ed. Schadewaldt 1966): „So sprach sie. Ich [Odysseus] aber, schwankend in dem Herzen, wollte die Seele meiner Mutter, der dahingestorbenen, ergreifen. Und dreimal schickte ich mich an, und es befahl mir der Mut, sie zu ergreifen. Dreimal jedoch entflog mir jene aus den Armen, einem Schatten gleich oder auch einem Traume. Mir aber wurde jedesmal das Leid noch schärfer in dem Herzen“ Rollinger hat den Unterschied zwar festgestellt, letztlich aber doch Verwandtschaft propagiert. 56 „Even if Patroklos’ body had not yet been buried, the scene nevertheless presupposes the Greek ritual of cremation that features heavily in the Iliad and that was absolutely anathema to Babylonians, signifying as it did the complete annihilation of a person. It is for this reason that Gilgamesh can so easily embrace his beloved friend, while this is impossible for Odysseus and his mother.“ 57 Wenn ich Rollinger richtig verstehe, dann können seiner Ansicht nach griechische Tote nicht berührt werden, weil diese im Gegensatz zu mesopotamischen Toten verbrannt wurden (das sumerische Gedicht ‚Bilgames und das Jenseits‘ belegt die Vorstellung, dass der Geist verbrannter Menschen nicht in die Unterwelt einziehen kann 58). Die Begründung von Rollinger kann nicht überzeugen. Nur weil die Toten in Mesopotamien nicht verbrannt wurden, war man ja nicht der Meinung, dass diese im Jenseits körperlicher wären – im Gegenteil, die Forschung geht davon aus, dass Tote in Mesopotamien durchgängig als schemenhaft, schattenhaft und windhauchartig galten. 59 ὣς ἔφατ‘, αὐτὰρ ἐγώ γ‘ ἔθελον φρεσὶ μερμηρίξας μητρὸς ἐμῆς ψυχὴν ἑλέειν κατατεθνηυίης. τρὶς μὲν ἐφωρμήθην, ἑλέειν τέ με θυμὸς ἀνώγει, τρὶς δέ μοι ἐκ χειρῶν σκιῇ εἴκελον ἢ καὶ ὀνείρῳ ἔπτατ‘· ἐμοὶ δ‘ ἄχος ὀξὺ γενέσκετο κηρόθι μᾶλλον. Siehe bereits Dirlmeier 1955, 33; Bauer 1989, 22; Burkert 1992, 200 Anm. 1; West 1997, 345 bzw. West 2011, 314; Michaux 2003, 21; Currie 2012, 551. Michaux und Currie erwähnen nicht einmal, dass es sich in den homerischen Epen nur um Versuche handelt. – Befremdlich ist der Analogieschluss von Strasburger 1998, 6: „Aber Gilgameš hatte nur ein Phantom im Arm, und genau das muß Achill erleben, als er seinen toten Freund umfassen und mit ihm weinen will.“ 57 Rollinger 2015, 18; vgl. Rollinger 2011c, 222f. 58 ‚Bilgames, Enkidu und die Unterwelt‘, t1‒2 (sumer.; Ed. George 2003, 776): „‚Did you see the man who was burnt to death?‘ ‚I did not see him. His ghost is not there, his smoke went up to the heavens.‘“ Auch Cooper 2009, 30f. merkt an, dass Kremation (aus diesem Grunde?) in Mesopotamien nicht praktiziert wurde, wogegen Katz 2003, 215 hierin kein Problem erkennt, da vor einer derartigen Bestattung, anders als beim Feuertod, die Seele („soul“) des Verstorbenen aus dem Körper bereits entwichen sei. Zustimmung findet Katz bei Gadotti 2014, 301 (mit weiterer Forschung zur Stelle). 59 Kramer 1960, 68 Anm. 25; Bottéro 1980, 28 Anm. 28; Groneberg 1990, 251.

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Tatsächlich ist der Umstand, dass Gilgamesch und Enkidu sich umarmen und küssen können, der Entwicklung des Gilgamesch-Zyklus selbst zuzuweisen. 60 Enkidu, in der sumerischen Version eher Diener als gleichberechtigter Freund des Gilgamesch, kehrt in der früheren Version aus dem 18. v.Chr. lebend aus der Unterwelt zu Gilgamesch zurück. Er hat hier also lediglich eine Katabasis unternommen. In der späteren akkadischen Variante ist er dagegen nur noch ein Geist, der für kurze Zeit seinem Freund erscheint. Aus einer Anabasis ist eine Totenbeschwörung geworden. Ob diese Änderung unterschiedliche Jenseitsvorstellungen oder einen Wandel derselben dokumentiert, muss offen bleiben. Angesichts der Tatsache, dass sich Herr und Diener auch im akkadischen Standard­epos umarmen (können), wäre eine solche zu erwägende Wandlung (?) jedenfalls nicht stringent umgesetzt worden. J. Cooper vermutet andererseits, dass dieser Inkonsistenz ein Übersetzungsfehler vom Sumerischen ins Akkadische zu Grunde liegt. 61 Die Unterschiede in der gesamten Szene sind also erneut weit größer als die Gemeinsamkeiten. Eine Entlehnung erscheint unwahrscheinlich. Im Übrigen ist anzumerken, dass die Vorstellung, tote Verwandte umarmen zu wollen, kulturübergreifend sicherlich ganz ohne Beeinflussung von außen entstehen kann. Resümierend ist festzustellen, dass bislang keine überzeugenden Argumente dafür geliefert wurden, dass die homerischen Epen durch das Gilgamesch-Epos direkt oder indirekt beeinflusst wurden. Methodisch stehen dem Nachweis der Entlehnung verschiedene Hindernisse im Weg. So ist eine parallele Entwicklung immer in Rechnung zu stellen. 62 Um ein Beispiel zu nennen: Nach aztekischem Glauben erhielten Stillgeburten und junge Kinder im Jenseits von einem Milch-Baum Nahrung. 63 Das Gilgamesch-Epos wiederum berichtet von Stillgeburten, die ebenfalls ein privilegiertes Dasein in der Unterwelt führen und sich dort an Tischen aus Silber und Gold an Sirup sowie Butter erfreuen. 64 Niemand wird behaupten wollen, dass hier eine Entlehnung vorliege. Es fehlt an einer kulturübergreifenden Untersuchung der Jenseitsvorstellungen, welche genau prüft, was durch Entlehnung und was an verschiedenen Orten selbstständig entstanden ist. So ist, um ein weiteres Beispiel zu nennen, der Totenfährmann offensichtlich ein universales Phänomen, welches bei den Griechen erst in der späten Archaik nachzuweisen ist. 65 Erwähnt sei, dass R. Rollingers Theoriegerüst durchaus auswendbar ist. Ein schönes Beispiel für den Nachweis von Motivketten bietet die Sintflut-Geschichte auf der 11. Ta60 Zum Folgenden ausführlich Matijević 2015, 204‒206. 61 Cooper 2009, 29: „[…] the word ‚ghost‘ in the Akkadian is a misreading of the Sumerian word ‚servant‘, probably because Enkidu is never a servant of Gilgamesh in the Akkadian tradition.“ 62 Hierzu treffend Nutton 2005; ferner Collins/Bachvarova/Rutherford 2008b, 3; Schwemer 2015, 20. Auch Rollinger 1996, 158 gibt dies zu bedenken. 63 Baquedano 2011, 212: „Codex Vaticanus A mentions yet another destination of the dead, Chichihuacuauhco, which was in the house of Tonacatecuhtli (Lord of our flesh) […]. To this place went children who died before attaining ‚the age of reason‘. This tree had branches with breasts, and the children fed from the milk that dripped from its leaves.“ 64 ‚Bilgames, Enkidu und die Unterwelt‘, r1‒2 (sumer.; Ed. George 2003, 776): „Did you see the little stillborn babies, who knew not names of their own?‘ ‚I saw them.‘ ‚How do they fare?‘ ‚They play amid syrup and ghee at tables of silver and gold.‘“ 65 Siehe Matijević 2015, 52, 79, 170f., 199.

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fel des Epos (11,9‒176) und die entsprechende Episode im Buch Genesis (7,10‒8,14). 66 Uta-napischti entspricht Noah: Er wird von einer baldigen Sintflut unterrichtet. Er baut eine Arche, lädt Tiere, aber auch seine Familie in sie. Ein Berg hält später die Arche fest. Uta-napischti schickt wie Noah Vögel aus, um zu prüfen, ob sich das Wasser irgendwo zurückgezogen hat. Es finden sich also wenigstens ein halbes Dutzend identische Details die in einer sehr ähnlichen Erzählung auf engem Raume aufeinanderfolgen. Es ist somit wenig verwunderlich, dass man sich trotz einiger bedeutender Unterschiede (Utanapischti nimmt auch Vertreter aller Künste mit auf sein Schiff, und er wird nach der Sintflut zum Gotte erhoben) einig ist, dass hier eine Beeinflussung stattgefunden hat, zumal die Geschichte auch außerhalb des Gilgamesch-Epos und der Bibel in vielen weiteren akkadischen, sumerischen und auch griechischen Texten nachweisbar ist – nicht dagegen in den homerischen Epen. 67 Bezüglich der Beeinflussung der griechischen Literatur durch das Gilgamesch Epos ist zuletzt zu bemerken, dass es in der gesamten griechisch-römischen Literatur nur eine einzige Erwähnung von Gilgamesch selbst gibt, und zwar bei Aelian (nat. 12,21) im 3. Jh. n.Chr., der zudem einen Mythos aus der Jugend des Helden erwähnt, welcher sich in den mesopotamischen Zeugnissen nicht wiederfindet. 68 Darüber hinaus wird in keinem der zahlreichen Scholien zu den homerischen Epen auch nur in entferntester Weise eine Verwandtschaft zwischen den homerischen und mesopotamischen Epen angedeutet. 69 Der Gedanke, dass die frühesten erhaltenen bedeutenden Epen sich in irgendeiner Weise beeinflusst haben müssen, ist bei nicht wenigen Forschern Ausgangspunkt ihrer Thesen gewesen. 70 Bislang sind diese Beeinflussungen nicht zu erweisen. Wie im Falle der Totenmanipulation deutet auch dieses Ergebnis darauf hin, dass eine Beeinflussung der griechischen Jenseitsvorstellungen durch mesopotamische Auffassungen erst in nachhomerischer Zeit stattgefunden hat, was im Nachfolgenden durch die Untersuchung der weiteren frühen griechischen Zeugnisse belegt werden soll. 66 So auch Rollinger 2015, 13. 67 Nicht überzeugend ist die von West 1997, 377‒380 und Patzek 2003, 8 identifizierte Analogie in Hom. Il. 12,1‒31. Umstritten (und hier nicht näher diskutiert) ist wiederum die Verwendung von nahöstlichen Motiven im 14. und 15. Gesang der Ilias (sog. ‚Täuschung des Zeus‘); vgl. z. B. Kelly 2007, 280‒282 bzw. Kelly 2008, 259‒304 gegen Burkert 1992, 88‒96; West 1997, 382‒385; Rollinger 2011c, 223f.; Rollinger 2015, 19‒21. 68 Tigay 1982, 252‒255 vermutet schlüssig, dass eine Verwechslung vorliegt und die Episode bei Aelian sich also gar nicht auf den Gilgamesch bezieht. George 2007, 458 hält es für möglich, dass „such a story would have stemmed from an oral tradition of the poem of Gilgamesh that in its accretion of detail bore the imprint of non-Mesopotamian traditions but was ultimately descended from the oral poem of the Old Babylonian period.“ 69 Siehe Haubold 2013, 24f. 70 Gresseth 1975, 1: „[…] it is not a matter of specifics or the possibility of relatedness either direct or indirect but rather a general sense, an intuition, that the Homeric works and the Near Eastern epic stand out each from its time and background in a way to suggest a striking resemblance, whatever the explanation may be.“ Siehe auch Petriconi 1964, 336: „Aber auch wenn man auf die griechische Dichtung sieht, müsste man annehmen, dass Homer die vorderasiatische Literatur gekannt habe, denn was dem Boiotier Hesiod recht ist, muss einem Dichter aus Chios billig sein.“

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6 Figuren und Statuen als Mittel der Geisterkontrolle in den weiteren frühen griechischen Quellen Unter den weiteren griechischen Zeugnissen für die Symbolisierung von Menschen oder Geistern durch Figuren und Abbilder nimmt der Bericht des Thukydides in seiner „Geschichte des Peloponnesischen Krieges“ über die bekannte Episode des Spartiaten Pausanias eine prominente Stelle ein. Letzterer hatte sich um 470 v.Chr. 1 in das Heiligtum der Athena Chalkioikos geflüchtet, wo er eingeschlossen und ausgehungert wurde (1,134 2): „Kurz bevor er dann, wie er war, in dem Gebäude 3 verscheiden wollte, nahmen sie den Augenblick wahr und führten ihn noch lebend aus dem Heiligtum, und kaum draußen, starb er auf der Stelle. Zuerst hatten sie vor, ihn in den Kaiadas zu werfen wie die Verbrecher; aber dann beschlossen sie, ihn irgendwo in der Nähe zu vergraben. Der Gott in Delphi kündete aber später den Spartanern, sie müßten das Grab dorthin verlegen, wo er gestorben war (es liegt jetzt im Vorbezirk, wie Inschriftstelen dort melden), und sie müßten wegen dieses Frevels/Fluches (agos 4) zwei Leiber (sômata) für den einen der Chalkioikos darbringen. Da machten sie zwei eherne Standbilder und weihten sie an Stelle von/für (anti) Pausanias.“ 5 Diese Schilderung lässt eine wichtige Frage unbeantwortet: Warum suchten die Spartaner überhaupt Rat beim Orakel von Delphi? Die Umbettung 6 und die Dedikation 1

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Richer 1994, 83 datiert die Ereignisse in das Jahr 469 v.Chr.; Rosenberger 2001, 18: 467/466; Ogden 2002, 111: „around 470“ und merkt an (128 Anm. 2): „If the chronology of the episode is difficult, this is no doubt due in part to the heavily mythologized nature of the tradition.“ Siehe ebendort für die weitere Forschung zu diesem Problem. καὶ μέλλοντος αὐτοῦ ἀποψύχειν ὥσπερ εἶχεν ἐν τῷ οἰκήματι, αἰσθόμενοι ἐξάγουσιν ἐκ τοῦ ἱεροῦ ἔτι ἔμπνουν ὄντα, καὶ ἐξαχθεὶς ἀπέθανε παραχρῆμα. καὶ αὐτὸν ἐμέλλησαν μὲν ἐς τὸν Καιάδαν [οὗπερ τοὺς κακούργους] ἐσβάλλειν· ἔπειτα ἔδοξε πλησίον που κατορύξαι. ὁ δὲ θεὸς ὁ ἐν Δελφοῖς τόν τε τάφον ὕστερον ἔχρησε τοῖς Λακεδαιμονίοις μετενεγκεῖν οὗπερ ἀπέθανε (καὶ νῦν κεῖται ἐν τῷ προτεμενίσματι, ὃ γραφῇ στῆλαι δηλοῦσι) καὶ ὡς ἄγος αὐτοῖς ὂν τὸ πεπραγμένον δύο σώματα ἀνθ’ ἑνὸς τῇ Χαλκιοίκῳ ἀποδοῦναι. οἱ δὲ ποιησάμενοι χαλκοῦς ἀνδριάντας δύο ὡς ἀντὶ Παυσανίου ἀνέθεσαν. Hiermit ist nicht der Tempel der Athena, sondern ein anderes (Neben)Gebäude innerhalb des Heiligtums gemeint; siehe Stibbe 1996, 24f. Siehe zum agos Burkert 22011, 405f. Übersetzung nach G. P. Landmann. Vgl. zu den Versuchen, die hier beschriebenen Örtlichkeiten und Denkmäler im archäologischen Material nachzuweisen, Ogden 2002, 128 Anm. 10 und Schneider 2003, 290‒292. Dass Pausanias vorher ohne die entsprechenden Begräbnisriten bestattet worden sei, schließt Ogden 2001, 101, aber zu Unrecht, aus dem Bericht des Thukydides und den späteren Quellen; siehe unten Anm. 38. Schneider 2003, 290 („irgendwo verscharrt“) impliziert Ähnliches. Thukydides

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zweier menschlicher Standbilder 7 verdeutlicht, dass die Spartaner augenscheinlich befleckt worden waren, obgleich Pausanias nicht im Heiligtum, sondern vor demselben verstorben war. Der Frevel lag also im „Herausführen“ des Pausanias, wodurch das sa­ krale Asyl 8 missachtet worden war. 9 Wie sich der befleckte Zustand ausgewirkt hat, wird verschwiegen, ob aus Unkenntnis, Zweifel am Wahrheitsgehalt oder der Rationalität des Thukydides wegen bleibe vorerst offen (hierzu unten). Das Orakel von Delphi scheint somit ohne jeden Anlass aufgesucht worden zu sein. Ferner bleibt unerklärt, weshalb Pausanias zwei Leiber erhalten sollte, was wiederum in die Errichtung zweier Statuen mündete (hierzu ebenfalls unten). Eine grundsätzlich ähnliche Version findet sich bei Diodor. 10 Auch hier werden zwei eherne Standbilder von Pausanias im Athena-Heiligtum aufgestellt, nachdem das Apollon-Orakel von Delphi befohlen hat, der Göttin Athena ihren hiketês zurückzubringen. 11 Diodor gibt aber weitere und zum Teil auch abweichende Details bekannt. So beteiligt sich bei ihm die Mutter des Pausanias an der Einmauerung ihres Sohnes 12, benutzt die Vokabel κατορύσσω in seinem Werk nur an dieser Stelle. Bei Herodot (2,41; 3,35; 7,114; 8,36) steht das Wort allgemein für „graben“, „vergraben“, aber auch „bestatten“. Dass das, was verlegt werden sollte, als τάφος beschrieben wird, spricht ebenfalls für eine ordnungsgemäße Bestattung. 7 Nach Wilamowitz-Moellendorff 91929, 30 „keineswegs Porträts des Pausanias, wenn man sie auch schon im Altertum so gedeutet hat. Was man archaische ‚Apollofiguren‘ nennt […] sind solche ἀνδριάντες, die als Weihgeschenke an Götter […] gedient haben.“ Allerdings ist davon auszugehen, dass es sich um Bildnisse handelte, die Pausanias symbolisieren sollten, ob sie diesen nun portraithaft darstellten oder nicht. 8 Vgl. hierzu die wichtige Studie von Traulsen 2004. 9 Siehe Burkert 22011, 138. 10 11,45,6‒9: ἀπορουμένων δὲ τῶν Λακεδαιμονίων εἰ τιμωρήσονται τὸν ἱκέτην, λέγεται τὴν μητέρα τοῦ Παυσανίου καταντήσασαν εἰς τὸ ἱερὸν ἄλλο μὲν μηδὲν μήτ‘ εἰπεῖν μήτε πρᾶξαι [τι], πλίνθον δὲ βαστάσασαν ἀναθεῖναι κατὰ τὴν εἰς τὸ ἱερὸν εἴσοδον, καὶ τοῦτο πράξασαν ἐπανελθεῖν εἰς τὴν ἰδίαν οἰκίαν. τοὺς δὲ Λακεδαιμονίους τῇ τῆς μητρὸς κρίσει συνακολουθήσαντας ἐνοικοδομῆσαι τὴν εἴσοδον, καὶ τούτῳ τῷ τρόπῳ συναναγκάσαι τὸν Παυσανίαν λιμῷ καταστρέψαι τὸν βίον. τὸ μὲν οὖν σῶμα τοῦ τελευτήσαντος συνεχωρήθη τοῖς προσήκουσι καταχῶσαι, τὸ δὲ δαιμόνιον τῆς τῶν ἱκετῶν σωτηρίας καταλυθείσης ἐπεσήμηνε· τῶν γὰρ Λακεδαιμονίων περί τινων ἄλλων ἐν Δελφοῖς χρηστηριαζομένων, ὁ θεὸς ἔδωκε χρησμὸν κελεύων ἀποκαταστῆσαι τῇ θεῷ τὸν ἱκέτην. διόπερ οἱ Σπαρτιᾶται τὴν μαντείαν ἀδύνατον νομίζοντες εἶναι, ἠπόρουν ἐφ‘ ἱκανὸν χρόνον, οὐ δυνάμενοι ποιῆσαι τὸ προσταττόμενον ὑπὸ τοῦ θεοῦ· ὅμως δ‘ ἐκ τῶν ἐνδεχομένων βουλευσάμενοι κατεσκεύασαν εἰκόνας δύο τοῦ Παυσανίου χαλκᾶς, καὶ ἀνέθηκαν εἰς τὸ ἱερὸν τῆς ᾿Αθηνᾶς. Vielfach wird die Vermutung geäußert, dass Diodors Version auf Ephoros zurückgeht; siehe beispielsweise Westlake 1977, 106; Fontenrose 1978, 129. 11 Doenges 1981, 270 interpretiert unzutreffend: „the oracle told the Spartans to resurrect the ghost of Pausanias.“ Vom Geist des Pausanias ist bei Diodor gerade keine Rede. – Rosenberger 2001, 18 meint (sicher versehentlich), dass Apollon befohlen habe, „ihm Pausanias zurückzugeben.“ Diodor schreibt eindeutig ἀποκαταστῆσαι τῇ θεῷ τὸν ἱκέτην, womit Athena gemeint sein muss. 12 Dies vermeldet auch Cornelius Nepos (Paus. 5,2‒5), der im Übrigen aber ganz der Version des Thukydides folgt und nichts Neues bietet. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Hinzufügung, welche den Patriotismus der spartanischen Frauen betonen sollte; erwähnt auch bei Polyain. 8,51, Aristodemos FGrHist 104 F 1,8,4 und der Suda s.v. Παυσανίας; bei Chrysermos FGrHist 287 F 4

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und dieser verstirbt direkt im Heiligtum der Athena, 13 was den Zorn der Göttin 14 auf den ersten Blick wesentlich plausibler erklärt. Ferner wird der Leichnam der Familie übergeben und nach dem Orakelspruch auch nicht umgebettet. Die Statuen dienen als Ersatz für den Körper, und so wird man wohl auch den Orakelspruch bei Thukydides zu verstehen haben, da in diesem ausdrücklich von sômata die Rede ist. Nur wird dort nicht auf eine Umbettung verzichtet; stattdessen wird Pausanias, da er nunmal nicht direkt im Heiligtum bestattet werden kann, im Vorbezirk desselben beigesetzt. 15 Erfüllt wurde der Orakelspruch aber erst durch die symbolische Rückgabe des hiketês an die Göttin anhand zweier Standbilder. Warum das Orakel bei Thukydides gleich zwei sômata verlangt, bei Diodor dagegen nur eins (nämlich den hiketês selbst), wird nicht deutlich. Ausgeführt wird die Anweisung aber bei beiden auf dieselbe Weise. Während Thukydides nichts darüber aussagt, wie sich die Missetat der Spartaner und ihr befleckter Status vor der Erfüllung des Orakelspruchs auf ihr Leben ausgewirkt haben, womit der Anlass für die Befragung unklar bleibt, erbaten sich die Spartaner nach Diodor ursprünglich in einer anderen Sache Rat, woraufhin das Orakel das Problem selbst zu Sprache brachte. 16 Demnach wäre den Spartanern ihre Befleckung überhaupt nicht bewusst gewesen. 17 Erst die späteren, kaiserzeitlichen Autoren berichten, dass sich der Frevel der Spartaner für diese umgehend ausgewirkt habe. Plutarch soll (nach einer Mitteilung in den Scholia zur Alkestis des Euripides 18) berichtet haben, dass das eidôlon 19 des Pausanias Besucher beim Betreten des Chalkioikos-Heiligtums terrorisiert habe. Hier ist es aber nicht das Orakel, welches um Hilfe gebeten wird, sondern die Spartaner schicken nach thessalischen oder italischen psychagôgoi 20, die in der Lage gewesen sein sollen, eidôla so-

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übernimmt diese Rolle der Vater; siehe ferner Pomeroy 2002, 58 Anm. 29, welche die Historizität dieses Details nicht ausschließen möchte. Ogdens 2002, 116 Argumentation, dass Thukydides diese Begebenheit unerwähnt gelassen habe wegen seines „established distaste for the mention of women and of female causes in particular“, überzeugt wenig. So auch bei Polyain. 8,51, der zu den Auswirkungen aber schweigt. In der Suda s.v. Παυσανίας verstirbt Pausanias gleichfalls im Heiligtum, woraufhin Sparta von einer Seuche befallen wird; siehe hierzu unten S. 75. Der Zusammenhang zeigt, dass mit dem erwähnten daimonion in Diod. 11,45,7 Athena gemeint sein muss. Fontenrose 1978, 129 kommentiert: „[…] an oracular order to move a man’s grave to the place where he died is strange and unprecedented among Historical responses [des Orakels von Delphi].“ Fontenrose 1978, 129 bemerkt, dass diese Einzelheit charakteristisch für pseudo-historische Orakelsprüche Delphis sei. Burkert 1962, 49 hält den Bericht des Diodor für „sehr ungenau“. Sch. Eur. Alc. 1128 = Plut. Frg. 126 (Sandbach): Ψυχαγωγοί τινες γόητες ἐν Θετταλίᾳ οὕτω καλούμενοι, οἵτινες καθαρμοῖς τισι καὶ γοητείαις τὰ εἴδωλα ἐπάγουσί τε καὶ ἐξάγουσιν· οὓς καὶ Λάκωνες μετεπέμψαντο, ἡνίκα τὸ Παυσανίου εἴδωλον ἐξετάραξε τοὺς προσιόντας τῷ ναῷ τῆς Χαλκιοίκου, ὡς ἱστορεῖ Πλούταρχος ἐν ταῖς ῾Ομηρικαῖς μελέταις; vgl. Ogden 22009, 27f. Vgl. zu den verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten dieser Vokabel Schaefer 1957, 333‒336. Die dort beobachtete zeitliche Entwicklung von einer älteren Bedeutung als „Geist“ bzw. „‚Abbild‘ eines Verstorbenen“ zu einer jüngeren, profanen als „Abbild“ bzw. „Ebenbild“, im Sinne von Portrait, berücksichtigt allerdings nicht alle verfügbaren Zeugnisse; so auch nicht die hier diskutierte Passage. Ob die psychagôgoi aus Thessalien (so das Plutarch-Fragment; siehe Anm. 18) oder Italien (so Plut. mor. 560e‒f; siehe Anm. 22) stammten, ist umstritten. Laut Fontenrose 1978, 129 und Ogden

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wohl gegen jemanden zu senden 21 als auch zu bannen, was sehr an die oben diskutierten mesopotamischen Hexer und die lex sacra aus Kyrene erinnert. Dass es sich dabei nicht um einen Widerspruch handelt, zeigt eine weitere Passage in Plutarchs Moralia 22, in der dieser ausführt, dass das Orakel der Zuhilfenahme von psychagôgoi vorausgegangen sei. Hier wird ferner mitgeteilt, dass es die psychê des Pausanias gewesen sei, welche man besänftigen wollte, ein gewichtiger Unterschied zu den Versionen des Thukydides und Diodor, bei denen der Eindruck erweckt wird, dass Chalkioikos selbst günstig gestimmt werden musste. Bei Plutarch fehlen dagegen wiederum die Details zur Vorgehensweise der psychagôgoi. Die etwa zeitgleich verfassten so genannten ‚Briefe des Themistokles‘ 23 reden zum einen von einem palamnaios oder alitêrios, 24 der Sparta befallen habe, wissen zum anderen aber darüber hinaus von den ehernen Standbildern, deren Aufstellung hier wiederum von dem „Gott“, also Apollon, befohlen wurde, wohingegen die psychagôgoi unerwähnt bleiben. Ähnlich ist die Schilderung des Periegeten Pausanias, der die beiden Statuen seines Namensvetters neben dem Altar der Chalkioikos gesehen haben will und die Ausführung der Monumente dem Auftrag des Orakels von Delphi zuschreibt. 25 2001, 105 stammten die psychagôgoi aus Italien. Mittelhaus in Meyer 1938, 2084 schlägt dagegen auf Grundlage von Paus. 3,17,9 eine Verbesserung in ἐξ Φιγαλίας vor, da Pausanias selber einer versehentlichen Tötung eines Mädchens wegen Rat bei psychagôgoi aus Phigalia gesucht haben soll, was Burkert 1962, 48f. Anm. 65 für „ansprechend“ hält. Nach Plutarch (mor. 555c) soll Pausanias dagegen zu einem psychopompeion bzw. nekyomanteion (Plut. Kimon 6,6) in Herakleia gereist sein und dort mit der psychê des Mädchens gesprochen haben. Siehe zur Verbindung zwischen psychagôgoi und psychopompeion bzw. nekyomanteion Ogden 2001, 17‒28. 21 Die hierbei benutzte Vokabel, epagô, ist interessanterweise dieselbe wie in der Inschrift aus Kyrene (Hikesios epaktos); vgl. oben S. 43. 22 560e‒f: ὁμοίως δὲ καὶ Σπαρτιάταις χρησθὲν ἱλάσασθαι τὴν Παυσανίου ψυχὴν ἐξ ᾿Ιταλίας μεταπεμφθέντες οἱ ψυχαγωγοὶ καὶ θύσαντες ἀπεσπάσαντο τοῦ ἱεροῦ τὸ εἴδωλον. 23 4,15: οὐδὲ ἐπιχωρήσομεν ᾿Αθηναίοις μὲν ἐναγέσι γενέσθαι τοῦ ἡμετέρου μύσους καὶ παλαμναῖον ἢ ἀλιτήριον προστρῖψαι τῇ πόλει οὐκ ἀκεστὸν οὐδὲ χαλκοῖς ἀνδριάσιν ἀποδιοπομπησόμενον, οἷα περὶ Παυσανίου Σπαρτιάταις ὁ θεὸς ἔχρησεν, ἀλλ‘ ἐνεργῆ τινὰ καὶ ἄφυκτον καὶ τοῦ Κυλωνείου πέρα. Siehe zur Datierung der Briefe in das Ende des 1. bzw. den Anfang des 2. Jh.s Doenges 1981, 49‒63; etwa zeitgleich mit Plutarch nach Faraone 1991a, 186. 24 Diese Begriffe sind zwar, wie Elasteros und Hikesios (siehe oben S. 46), mehrdeutig, bezeichnen an dieser Stelle aber doch am ehesten den Quälgeist des Pausanias; so auch Fontenrose 1978, 129; Faraone 1991a, 186; Ogden 2001, 100; anders Doenges 1981, 143, der „blood guilt or curse“ übersetzt. 25 3,17,7‒9: παρὰ δὲ τῆς Χαλκιοίκου τὸν βωμὸν ἑστήκασι δύο εἰκόνες Παυσανίου τοῦ περὶ Πλάταιαν ἡγησαμένου. τὰ δὲ ἐς αὐτὸν ὁποῖα ἐγένετο εἰδόσιν οὐ διηγήσομαι·τὰ γὰρ τοῖς πρότερον συγγραφέντα ἐπ‘ ἀκριβὲς ἀποχρῶντα ἦν· ἐπεξελθεῖν σφισιν ἀρκέσομαι. ἤκουσα δὲ ἀνδρὸς Βυζαντίου Παυσανίαν φωραθῆναί τε ἐφ‘ οἷς ἐβουλεύετο καὶ μόνον τῶν ἱκετευσάντων τὴν Χαλκίοικον ἁμαρτεῖν ἀδείας κατ‘ ἄλλο μὲν οὐδέν, φόνου δὲ ἄγος ἐκνίψασθαι μὴ δυνηθέντα. ὡς γὰρ δὴ διέτριβε περὶ ῾Ελλήσποντον ναυσὶ τῶν τε ἄλλων ῾Ελλήνων καὶ αὐτῶν Λακεδαιμονίων, παρθένου Βυζαντίας ἐπεθύμησε· καὶ αὐτίκα νυκτὸς ἀρχομένης τὴν Κλεονίκην–τοῦτο γὰρ ὄνομα ἦν τῇ κόρῃ–κομίζουσιν οἷς ἐπετέτακτο. ἐν τούτῳ δὲ ὑπνωμένον τὸν Παυσανίαν ἐπήγειρεν ὁ ψόφος· ἰοῦσα γὰρ παρ‘ αὐτὸν τὸν καιόμενον λύχνον κατέβαλεν ἄκουσα. ἅτε δὲ ὁ Παυσανίας συνειδὼς αὑτῷ προδιδόντι τὴν ῾Ελλάδα καὶ δι‘ αὐτὸ ἐχόμενος ταραχῇ τε ἀεὶ καὶ δείματι, ἐξέστη καὶ τότε καὶ τὴν παῖδα τῷ ἀκινάκῃ παίει. τοῦτο τὸ ἄγος οὐκ

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Die psychagôgoi spielen hier ebenfalls keine Rolle. Eingeschoben in die Darstellung ist aber eine weitere Episode, wonach Pausanias vor seinem Ende selbst Rat bei psychagôgoi in Phigalia gesucht habe, 26 weil er versehentlich ein Mädchen namens Kleonike getötet hatte, 27 was nach Ansicht des Periegeten der Grund dafür war, dass diesem kurz darauf der Schutz der Chalkioikos verwehrt blieb. Ferner wird mitgeteilt, dass die Spartaner nicht nur die Standbilder aufgestellt, sondern auch einen Kult für den daimôn Epidotes 28 eingerichtet hätten, damit dieser den Zorn des Hikesios auf die Spartaner wegen Pausanias abwehre. 29 Hikesios bezeichnet hier also wie in der oben besprochenen lex sacra von Kyrene wahrscheinlich einen Rachegeist bzw. Dämon. 30 Die spätesten Quellen, Aristodemos 31 und die Suda 32, werfen die früheren Mitteilungen zusammen, wobei die Absicht erkennbar ist, gewisse Widersprüche tilgen zu wollen. So wird einerseits aus den (für die Autoren augenscheinlich wenig nachvollziehbaren) zwei Statuen des Pausanias eine einzige. 33 Ferner geht der Befragung des Orakels eine Seuche voraus, die erst durch das Standbild abgewandt werden kann, wobei Aristodemos noch die daimônes des Pausanias als Verursacher der Seuche und viele weitere, bereits bekannte Details in seine Darstellung einflicht. In der Suda wird zudem behauptet, dass Pausanias tatsächlich in den Kaiadas geworfen worden sei. ἐξεγένετο ἀποφυγεῖν Παυσανίᾳ, καθάρσια παντοῖα καὶ ἱκεσίας δεξαμένῳ Διὸς Φυξίου καὶ δὴ ἐς Φιγαλίαν ἐλθόντι τὴν ᾿Αρκάδων παρὰ τοὺς ψυχαγωγούς· δίκην δὲ ἣν εἰκὸς ἦν Κλεονίκῃ τε ἀπέδωκε καὶ τῷ θεῷ. Λακεδαιμόνιοι δὲ ἐκτελοῦντες πρόσταγμα ἐκ Δελφῶν τάς τε εἰκόνας ἐποιήσαντο τὰς χαλκᾶς καὶ δαίμονα τιμῶσιν ᾿Επιδώτην, τὸ ἐπὶ Παυσανίᾳ τοῦ ῾Ικεσίου μήνιμα ἀποτρέπειν τὸν ᾿Επιδώτην λέγοντες τοῦτον. 26 Siehe Anm. 20. 27 Siehe auch Plut. Kimon 6,4‒7; mor. 555c; Aristodemos FGrHist 104 F 1,8,1. – Wenig überzeugend ist Ogdens 2002, 117 Ansicht, wonach diese Geschichte „is evidently considerably older than Plutarch, who first attests it for us, as is indicated by the fact that he already says that it was told by many.“ 28 Epidotes kann, wie hier, allein, und zwar im Singular wie Plural, oder als Epiklese des Zeus erscheinen; siehe Jessen 1907, 60f. 29 Fontenrose 1978, 129f. denkt wenig plausibel, dass der Zorn nicht gegen die Spartaner, sondern gegen Pausanias selbst wegen der Tötung des Mädchens gerichtet war. Warum aber sollten die Spartaner dann den Kult des Epidotes einrichten, wenn sie selber nicht betroffen waren? Ferner war Zeus Hikesios, den Fontenrose hinter Hikesios zu erkennen glaubt, für die Schutzflehenden/Bittsteller zuständig, zu denen man Kleonike nicht zählen kann. 30 Anders Burkert 1962, 49, der Hikesios an dieser Stelle als „Gott der Schutzflehenden“ ansieht; siehe auch Anm. 29. – Die Formulierung τὸ ἐπὶ Παυσανίᾳ τοῦ ῾Ικεσίου μήνιμα deutet darauf hin, dass Hikesios zumindest hier einen Rachegeist und nicht den Totengeist des Pausanias bezeichnet; letzteres vertritt Ogden 2001, 104f.; Ogden 2002, 114; Ogden 22009, 29. Von τοῦ ῾Ικεσίου μήνιμα ist ebenso in Paus. 1,20,7 und 7,25,2 die Rede; auch an letztgenannter Stelle wird deutlich, dass es sich eher um ein göttliches Wesen als um den Geist eines Toten handeln muss, selbst wenn in allen diesen Fällen hiketai zu Schaden gekommen sind. Vgl. auch theôn mênima in Hom. Il. 22,358 und Od. 11,73. 31 FGrHist 104 F 1,8,1‒5. Vgl. zur unsicheren Datierung den Kommentar von Jacoby; Doenges 1981, 445f. datiert auf Grundlage sprachlicher Argumente ins 2. Jh. n.Chr. oder später; Ogden 2002, 112: 4. Jh. n.Chr. 32 Suda s.v. Παυσανίας; vgl. auch Ail. var. 4,7; 9,41. 33 Vgl. Ogden 2002, 128 Anm. 10.

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Man hat in der Forschung natürlich längst erkannt, dass die Pausanias-Episode im Laufe der Antike beträchtliche Wandlungen erfahren hat. Dreh- und Angelpunkt ist die Version des Thukydides: Wusste dieser nicht mehr, als er mitteilt, oder hat er bewusst die Details zum Geist des Pausanias und den psychagôgoi verschwiegen? Letzteres vertritt J. Fontenrose. 34 Thukydides habe diesen Teil der Ereignisse nicht für wahr gehalten und folglich unterschlagen. 35 In eine ähnliche Richtung argumentieren C. A. Faraone und D. Ogden, die der Ansicht sind, dass Thukydides seine „Rationalität“ im Wege gestanden habe. 36 Folgt man dieser Auffassung, dann gab es grundsätzlich gesehen eine ‚Ur-Tradition‘, deren Details erst nach Thukydides Eingang in die weiteren Texte gefunden haben. So vertritt Faraone die Meinung, dass Plutarchs Schilderung, soweit nachvollziehbar, nicht derjenigen des Thukydides widerspreche, sondern lediglich weitere Details hinzufüge. 37 Ogden geht sogar so weit, fast durchgängig die späteren Mitteilungen gegenüber dem Bericht des Thukydides zu bevorzugen. 38 Somit hätte der antike Historiker nicht nur Details verschwiegen, sondern die Episode insgesamt verfälscht. Während letztere Position bei aller Problematik, die dieser Passage innewohnt, 39 kaum haltbar sein dürfte, bedarf ersteres der näheren Prüfung. Ein Vergleich der verschiedenen antiken Mitteilungen darf sich dabei nicht allein auf Thukydides und Plutarch beschränken. Insbesondere das verhältnismäßig frühe Zeugnis des Diodor ist ebenfalls zu berücksichtigen, da dieses in dem grundsätzlichen Punkt, dem Zorn der Athena, hier weniger durch Verletzung des Asyls in ihrem Heiligtum als durch den Tod des Pausanias im Bereich desselben, mit Thukydides übereinstimmt und daneben weitere Einzelheiten mitteilt, die ebenfalls im Einklang mit diesem stehen. 34 Fontenrose 1978, 129. 35 Was den Wahrheitsgehalt angeht, schließt sich Fontenrose diesem Zweifel an. Tatsächlich bezweifelt er sogar das Gros der überlieferten Details. 36 Faraone 1991a, 187 („notoriously rationalizing“); Ogden 2001, 100f.; Ogden 2002, 113, 116. 37 Faraone 1991a, 186: „It is important to note, however, that this second tradition of the haunted temple and the subsequent exorcism of the angry ghost does not (as far as we can tell) necessarily contradict Thucydides’ explanation of pollution followed by purification by means of compensation to an offended deity“. 38 Beispielsweise äußert Ogden 2001, 101 die Ansicht, dass „the tradition that the body was put down the Caeadas […] was probably the older one.“ Dies widerspricht nicht nur Thukydides (anders freilich Ogden; siehe Anm. 6; vgl. dagegen Wilamowitz-Moellendorff 91929, 30), sondern bevorzugt die Suda gegenüber allen weiteren Quellen, die hiervon nichts wissen. Neben der Suda berichtet allein Chrysermos (FGrHist 287 F 4; ohne Erwähnung des Kaiadas), dass Pausanias nicht ordnungsgemäß bestattet wurde, dies aber im Rahmen der fragwürdigen Episode um die Mutter des Pausanias; siehe Anm. 12. Laut Ogden 2001, 101 Anm. 15 bzw. Ogden 2002, 115 soll auch Aristodemos überliefern, dass Pausanias ein „due burial“ verweigert wurde, was nicht den Tatsachen entspricht. 39 Siehe Hornblower 21997, 211f. mit der weiteren relevanten Forschung, die einerseits annimmt, dass Thukydides für die Exkurse zu Themistokles und Pausanias seine Informationen aus einer schriftlichen Quelle entnahm, und andererseits vermutet, dass er auf eine andere Abhandlung reagierte. Hornblower selbst stellt heraus, dass „the Pausanias-Themistokles excursus shows that Th[ukydides] had an interest in biography; but he was prepared to indulge it only when, as here, there was a non-Greek, specifically a Greco-Persian, angle.“

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So teilt Diodor mit, dass das Orakel von Delphi die Spartaner mit seiner Anweisung überraschte, da diese eigentlich einer anderen Angelegenheit wegen nach Delphi gekommen waren. Dies steht durchaus im Einklang mit Thukydides, aber im Widerspruch zu Plutarch, bei dem der spukende Geist des Pausanias die Spartaner dazu bewegt, Apollon um Rat zu fragen. 40 Beide Details stehen somit unvereinbar nebeneinander. Ferner ist zu fragen, weshalb der Geist gespukt haben soll? Weniger Pausanias als Athena wurde Unrecht getan. 41 Nach Thukydides und Diodor wurde Pausanias zudem ordnungsgemäß begraben, 42 und bei beiden ist es die Göttin, die ihren Schutzflehenden zurückverlangt, was mittels zweier Statuen und bei Thukydides zusätzlich durch die Umbettung in den Vorbezirk des Heiligtums erreicht wird. Somit spricht einiges dafür, dass Plutarch nicht (von Thukydides verschwiegene) Einzelheiten der ursprünglichen Tradition widergibt, sondern dass es sich bei diesen Details um spätere Hinzufügungen (des Plutarch selber?) handelt. 43 Von diesen finden sich die psychagôgoi auch in keiner der späteren Quellen wieder. Der Geist des Pausanias, bei Plutarch sein eidôlon, findet in den ‚Briefen des Themistokles“ (palamnaios bzw. alitêrios) und beim Periegeten Pausanias (Hikesios) dagegen andere, zudem mehrdeutige 44 Bezeichnungen, während Aristodemos sogar von mehreren daimônes des Pausanias spricht, diese aber mit einer Seuche in Verbindung bringt, von der wiederum die früheren Gewährsmänner nichts wissen. Das heißt selbstverständlich nicht, dass wir eine Existenz von psychagôgoi für das 5. Jh. grundsätzlich ausschließen müssen. 45 So finden sich bei Platon Hinweise auf Spezialisten, so genannte goêtes, die behaupteten, dass sie die Toten zum Schaden von Lebenden beschwören könnten – gegen klingende Münze versteht sich –, wobei auch Figuren aus Wachs zum Einsatz kamen. 46 Hinter der Person, die in der lex sacra von Kyrene den Hikesios schickt, wird ebenfalls solch ein ‚Experte‘ zu vermuten sein. 40 Gleiches gilt für die in den späteren Quellen überlieferte Seuche, die Ogden 2001, 100 als ursprünglichen Grund für die Befragung des Orakels ansieht. 41 Ogden 2002, 112f. stellt dagegen fest, dass zwischen „the ‚anger of Athene‘“ und „the ‚anger of Pausanias‘ […] remains a bond at deep level“. Diese ‚Verbindung‘ möchte er anhand der SirisGeschichte bei Iustin/Pompeius Trogus (! Hierzu unten S. 78f.) belegen können. 42 Erst die späteren Quellen (siehe Anm. 38) sehen dies anders, wohl um das Spuken des Geistes begründen zu können. 43 Siehe schon Burkert 1962, 49: „[…] die Gespenstergeschichte Plutarchs [ist] für sekundäre Ausschmückung zu halten; […].“ Vgl. ferner Eich 2011, 29f. Ogden 2002, 115 versteht Burkert offensichtlich falsch: „Burkert’s plausible solution is that in the gap belonged the terrorizing ghost, and that Thucydides has suppressed it.“ 44 Siehe Anm. 24 und 30. 45 Burkert 1962, 49: „[…] die Gespenstergeschichte Plutarchs […] fügt […] sich in die Denkweise des 5. Jahrhunderts v. Chr. ein […]. Es ist keineswegs unglaublich, daß man zum Vollzug der Sühneriten, die Thukydides beschreibt, Spezialisten kommen ließ, die mit Göttern und Geistern zu verkehren wissen.“ 46 Plat. leg. 909a8‒b6; 933a2‒b5; siehe ferner oben S. 24 mit Anm. 107; vgl. zum goês Burkert 1962, 36‒55; Johnston 1999, 82‒123; für die enge Verwandtschaft der Tätigkeitsbereichte von psychagôgoi und goêtes Ogden 2001, 110‒112.

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Ferner kann die Pausanias-Affäre durchaus als Zeugnis für die rituelle Verwendung von Figuren angeführt werden, die Menschen, in diesem Falle einen toten, symbolisieren sollten. Schließlich forderte Athena Chalkioikos ausdrücklich ihren Schutzflehenden Pausanias zurück, und ihr Begehr wurde durch zwei Bildnisse erfüllt. Der Grund dafür, dass zwei Statuen dediziert werden mussten, liegt indes weniger in einem speziellen Ritual begründet. Wie J. W. Schneider sehr überzeugend ausgeführt hat, 47 handelt es sich bei der Verdoppelung um eine (bei Diebstählen übliche) Strafe nach dem duplum- bzw. diplê-Prinzip. 48 Mit der Inschrift von Kyrene und den mesopotamischen Zeugnissen, in denen jeweils zwei Figuren unterschiedlichen Geschlechts benutzt wurden, wenn die symbolisierte Person und damit ihr Geschlecht unbekannt waren, besteht somit kein näherer inhaltlicher Zusammenhang. 49 Ein ähnlicher Fall liegt aber in der Geschichte über die Tötung von 50 Jugendlichen (iuvenes) und eines Priesters im Athena-Heiligtum von Siris vor, welche sich bei Iustin (bzw. Pompeius Trogus) 50 findet. Die Bewohner von Metapont, Sybaris und Kroton sollen dieses Verbrechen bei der Einnahme von Siris zusammen begangen haben. 51 Hernach kam es zu Seuchen und Unruhen in diesen Städten, woraufhin sich die Krotoniaten an das Orakel von Delphi wandten. Auf dessen Rat hin, Athena und die manes interfectorum zu besänftigen, begannen die Krotoniaten, Statuen „von angemessener Größe“ für die Getöteten und die Göttin zu bauen. 52 Als die Metapontiner vom Orakelspruch 47 Schneider 2003, 298‒301. 48 Schneider 2003, 301f. macht unter anderem als Parallele auf Hdt. 1,19‒22 aufmerksam. Dort wird berichtet, dass der lydische König Alyattes erkrankte, nachdem er während eines Feldzuges versehentlich den Tempel der Athena Assesia zerstört hatte, und erst wieder gesundete, nachdem er in Milet/Assesos gleich zwei neue Heiligtümer für Athena errichtet hatte; vgl. auch Chorikios von Gaza 2,77 mit der Deutung bei Fontenrose 1978, 301. Wenig überzeugend ist Ogdens 2001, 102f. Ansatz, dass die Schilderung bei Iust. 20,2 (siehe gleich) als Aitiologie für die Besänftigung von Geistern durch (jeweils zwei) Statuen fungiere. Daneben erwägt er ferner (vgl. auch Richer 1994, 83f.), dass zwei Statuen benutzt wurden, um Körper und Seele zu symbolisieren, oder dass der archaische Brauch der Kompensation eines Geschädigten durch den doppelten Wert des Verlustes vorliegt, was Schneiders Ansatz entspricht. 49 So, in Bezug auf das kyrener Zeugnis, auch Ogden 2001, 103, der aber zu Unrecht davon ausgeht, dass der Hikesios bewirtet wird; siehe oben S. 47 mit Anm. 62. 50 Iust. 20,2: Sed principio originum Metapontini cum Sybaritanis et Crotoniensibus pellere ceteros Graecos Italia statuerunt. Cum primum urbem Sirim cepissent, in expugnatione eius L iuvenes amplexos Minervae simulacrum sacerdotemque deae velatum ornamentis inter ipsa altaria trucidaverunt. Ob haec cum peste et seditionibus vexarentur, priores Crotonienses Delphicum oraculum adierunt. Responsum his est, finem mali fore, si violatum Minervae numen et interfectorum manes placassent. Itaque cum statuas iuvenibus iustae magnitudinis et in primis Minervae fabricare coepissent, Metapontini cognito oraculo dei, occupandam manium et deae pacem rati, iuvenibus modica et lapidea simulacra ponunt et deam panificiis placant. Atque ita pestis utrubique sedata est, cum alteri magnificentia, alteri velocitate certassent. Recuperata sanitate non diu Crotonienses quievere. 51 Nach Faraone 1991a, 185: „[…] early in the Classical period.“ Muggia 2001, 595 und Ogden 2001, 102: Mitte des 6. Jh.s v. Chr. 52 Von „life-size“, so Faraone 1991a, 185 und Ogden 2001, 102, ist bei Iustin keine Rede, auch wenn dies gemeint sein könnte. Genau genommen wird dort auch nicht von einer einzigen Statue für Minerva/Athena gesprochen, wie Ogden es annimmt.

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hörten, beeilten sich diese, den Krotoniaten zuvorzukommen, und errichteten für die Toten „mäßige, steinerne Bildnisse“, 53 wohingegen Athena nur Opferkuchen erhielt. Auf diese Weise fand die Seuche in beiden Orten ein Ende. 54 Somit liegt erneut ein Verstoß gegen das sakrale Asyl vor, wobei die Schutzflehenden sogar direkt im Heiligtum umgebracht werden, und auch hier werden Athena ihre Adoranten ‚zurückerstattet‘, indem man ihr nach dem duplum- bzw. diplê-Prinzip für jede Person zwei Statuen dediziert. 55 Der vorgebliche ‚Wettlauf‘ zwischen Metapont und Kroton diente wohl lediglich aitiologischen Zwecken, da man sich bemüßigt fühlte, für die Anfertigung zweier Statuen für jedes einzelne Individuum eine Erklärung anzubieten. Darüber, dass die Geister der Schutzflehenden ihre Mörder verfolgten, lässt Iustin nichts verlauten; ebenso wenig hinsichtlich einer (nicht) erfolgten Bestattung. Die manes der Toten sollen zwar besänftigt werden, dies aber allein, um die Seuche abzuwenden. Interessanterweise treten als weitere Folge der Befleckung in den Städten der Täter staseis (seditiones) auf. Jedoch ist insgesamt festzustellen, dass der Mythos, auch wenn er in die frühe Zeit von Siris zurückprojiziert wird, uns vielleicht mehr über die Reinigung von metaphysischer Befleckung zur Zeit des Pompeius Trogus mitteilt als zu den entsprechenden Bräuchen in der griechischen Klassik, 56 zumal die weiteren Quellen auch hier andere Versionen des Mythos anbieten. So sollen die hiketai, wenn man Strabon folgt, von Ioniern aus dem Athena-Heiligtum herausgezerrt (und dann getötet?) worden sein. 57 Diesen Mythos allgemein als „aetiology for the custom of placating ghosts each with the dedication of double effigies“ anzusehen (D. Ogden), misst ihm wohl eine zu große Bedeutung bei. 58 Wie oben dargelegt, kann man nicht allgemein von einer Kontrolle der Totengeister durch zwei Bildnisse sprechen. Dies belegt auch eine weitere Passage in der Periegese des Pausanias. 59 Dieser berichtet, dass die Orchomenier vom Geiste des Heros Aktaion heimgesucht wurden. Das Orakel von Delphi empfahl, das, was von Aktaion (der von seinen Hunden zerfleischt worden war) übrig geblieben sei, ausfindig zu machen und in der Erde

53 Nach Ogden 2001, 102 „miniature stone effigies“, was zwar wiederum möglich, aber nicht die einzig denkbare Deutung von modica et lapidea simulacra ist; Faraone 1991a, 185 spricht von „smaller statuettes“. Dass diese nur für die manes der Getöteten bestimmt gewesen seien, wie Fara­one annimmt, entspricht nicht den Ausführungen bei Iustin. 54 Das ebenfalls am Überfall auf Siris beteiligte Sybaris wird nicht weiter erwähnt. 55 Schneider 2003, 299 Anm. 75. 56 Siehe auch Scheer 2000, 183: „Der Frevel soll sich nach der Aussage Justins unter Griechen in der frommen alten Zeit der Kolonisation ereignet haben. Das Ereignis spricht eine andere Sprache als die der von späteren Zeiten stets beschworenen Gottesfurcht, die diese Zeiten beherrscht haben soll.“ 57 Strab. 6,1,14; siehe ferner Lykophron Alexandra 978‒992; Athen. 12,521d‒e = Phylarchos FGrHist 81 F 45; Athen. 12,521e‒f = Herakl. Pont. Frg. 49 (Wehrli); vgl. Fontenrose 1978, 76; Scheer 2000, 181‒184. 58 Ogden 2001, 102; Ogden 2002, 113; siehe auch Anm. 48. 59 9,38,5: περὶ δὲ ᾿Ακταίωνος λεγόμενα ἦν ᾿Ορχομενίοις λυμαίνεσθαι τὴν γῆν πέτρας ἔχον εἴδωλον· ὡς δὲ ἐχρῶντο ἐν Δελφοῖς, κελεύει σφίσιν ὁ θεὸς ἀνευρόντας εἴ τι ἦν ᾿Ακταίωνος λοιπὸν κρύψαι γῇ, κελεύει δὲ καὶ τοῦ εἰδώλου χαλκῆν ποιησαμένους εἰκόνα πρὸς πέτρᾳ σιδήρῳ δῆσαι. τοῦτο καὶ αὐτὸς δεδεμένον τὸ ἄγαλμα εἶδον· καὶ τῷ ᾿Ακταίωνι ἐναγίζουσιν ἀνὰ πᾶν ἔτος.

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zu verbergen 60. Ferner sollten die Bewohner vom eidôlon 61 des Aktaion ein ehernes Bild fertigen und dieses mit Eisen 62 an einen Stein fesseln. 63 Pausanias will dieses agalma selbst gesehen haben. Darüber hinaus berichtet er, dass die Orchomenier Aktaion jährlich geopfert hätten. Zweifellos kann man hier von einem Sonderfall sprechen, da es weniger um einen gängigen Totengeist als um denjenigen eines Heroen geht. Dennoch fällt auf, dass nur ein einziges agalma des Toten bzw. seines eidôlon erstellt wird und dass Aktaion spukt, weil seine sterblichen Überreste nicht angemessen beerdigt wurden. Sucht man in den weiteren griechischen Zeugnissen nach Figuren und Abbildern, die (tote) Menschen oder Geister symbolisieren sollten, so findet man nach dem Dafürhalten verschiedener Spezialisten schon in den frühesten Texten Hinweise: In der Odyssee werden für weitab der Heimat verstorbene oder vermisste Personen Kenotaphe errichtet. 64 Zwar ist hierbei von Stellvertretern in den Gräbern keine Rede, doch hat man auf archäologische Funde hingewiesen, die darauf hindeuten könnten, dass in den ‚leeren Gräbern‘ üblicherweise Figuren beigesetzt wurden. 65 Diskutiert wird dabei insbesondere das spätbronzezeitliche, so genannte ‚Kenotaph von Mideia/Dendra‘ (ca. 1200 v.Chr. 66) in der Argolis, welches keine menschlichen Überreste, dafür aber zwei recht große, viereckige ‚Steinfiguren‘ bzw. ‚Menhirs‘ barg. 67 So hat C. Picard von diesen ‚Figuren‘ aus Mideia über die Kolosse in Kyrene eine Verbindung bis zu den Kolossen des Menelaos im Agamemnon des Aischylos (416) gezogen und argumentiert, dass sich in 60 Nicht „verbrennen“, wie Fontenrose 1978, 130, zweifellos versehentlich, schreibt. 61 Siehe zu eidôlon oben Anm. 19. 62 Siehe Quint. decl. mai. 10,2. 8. 15. 18f. für das Binden von Toten durch Eisen; ferner ps.-Aug. homilia de sacrilegis § 22; Lukian. Philopseudes 17; Alex. Aphr. probl. 2,46 (Kupfer und Eisen gegen Dämonen); siehe auch Matijević 2015, Kap. 6 für Odysseus, der die von ihm heraufbeschworenen Toten mit seinem Schwert kontrolliert; ferner für den Schall von Eisen und Erz, welcher Gespenster (phasmata) vertreibe, Lukian. Philopseudes 15, Plut. mor. 944b sowie Theokr. 2,35f. Umgekehrt erzählt Plinius die amüsante Geschichte (epist. 7,27,5‒11), dass ein idolon gespukt und mit seinen Eisenketten gerasselt habe. Als man an der Stelle grub, wo die Erscheinung verschwand, fand man ebendort in Eisen gelegte Gebeine, die offensichtlich vom Spuken abgehalten werden sollten. Hier handelt es sich also um einen ironisch-spielerischen Umgang mit diesem Aberglauben; vgl. zu dieser Geschichte auch Ogden 22009, 316f. 63 Die Fesselung an einen Stein hat vielleicht damit zu tun, dass Aktaion nach Pausanias (9,2,3) einen Felsen als Ruheplatz benutzt hat. Ogden 2001, 103 vermutet, dass es die Absicht war, den Geist am Umherwandern zu hindern. 64 Hom. Od. 1,289‒292 (vgl. 2,220‒223); 4,584. 65 Verschiedene vorgebliche Kenotaphe der Bronzezeit (Athen, Dendra, Kokla) werden bei Demakopoulou 1990, 120‒122 kritisch diskutiert; ähnlich Gallou 2005, 115‒117; siehe aber auch Schofield 2007, 60, die vermutet, dass es sich bei Kokla um ein Kenotaph handeln könnte, „das zu Ehren eines auf See oder in der Fremde Umgekommenen errichtet wurde.“ 66 Die Datierung schwankt zwischen 1300 und 1200 v.Chr.; siehe Picard 1933, 347, Anm. 1. 67 Persson 1931, 108‒117 mit Tafel XXIX; Burkert 1962, 46f.; Nilsson 31967, 379 (jeweils mit Hinweis auf die Kenotaphe bei Homer). Eines der Denkmäler ist 125 cm hoch und 64 cm breit, das andere noch 61 cm hoch und 52 cm breit. Siehe auch die Abb. 2 auf Taf. 25 bei Nilsson 31967 sowie Gallou 2005, 238 Abb. 87b. Tatsächlich kann man im Falle der beiden flachen Steinmonumente kaum von Figuren sprechen.

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der symbolischen Bestattung dieser Denkmäler eine durchgängige, dorische Tradition der Geisterabwehr widerspiegele. 68 C. A. Faraone und D. Ogden sind diesem Ansatz gefolgt (wobei ersterer den Hintergrund lieber „peloponnesisch“ nennen will) und haben ihn mit weiteren Zeugnissen, literarischer wie archäologischer Natur, zu stützen gesucht. 69 Zum einen führen sie Herodots Bericht über die Gewohnheiten der Spartaner bei der Beerdigung ihrer Könige an. 70 Unter vielen Details, die Herodot seltsam und barbarisch anmuten, erwähnt er, dass die Spartaner für einen im Krieg gestorbenen König ein eidôlon 71 erstellen und dieses zu Grabe tragen. Interessanterweise erkennt Herodot hierbei Parallelen zu persischen Bräuchen. Hingewiesen haben Faraone und Ogden ferner auf eine Grablege des 7. Jh.s auf Thera. Zwar habe man eine große Menge an Beigaben entdeckt, darunter erneut zwei grob bearbeitete (anscheinend weibliche) Statuen aus Stein, 72 dafür fehlten aber wiederum alle menschlichen Überreste, 73 wobei Faraone noch der Versuchung erlag, eine direkte Verbindung zur Inschrift aus Kyrene zu propagieren, da letztere Polis von Thera aus kolonisiert wurde. 74 Tatsächlich haben beide Forscher aber wesentliche Details der Beschreibung des Befundes von Thera durch A. Schiff und F. Hiller von Gaertringen übersehen: 75 Die Nordwestecke des Grabbaus ist am Hang des Stephanosberges abgerutscht, wobei „der Schädel […] mit in die Tiefe gerollt sein“ muss. 76 Ferner hat man Überreste von Knochen in großer Anzahl geborgen; diese seien aber „ganz mürbe“ 68 Picard 1933, 341‒354; vgl. Picard 1934, 9‒12. Dabei interpretierte er den ersten hikesios-Abschnitt in der lex sacra von Kyrene im Anschluss an Radermacher und andere (siehe S. 48 mit Anm. 66) aber noch als einen Ritus, welcher der nachträglichen Bestattung eines Toten dient, und stellte darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen der in der lex sacra vorgeschriebenen Namensausrufung und derjenigen der gegen die Kikonen gefallenen Kameraden durch Odysseus her (Hom. Od. 9,62‒66); hierzu unten S. 83. – Dass eine rein dorische Tradition zugrunde liege, ist nach Schaefer 1957, 330 Anm. 4 dagegen nicht eindeutig erwiesen. 69 Faraone 1991a, 184, 188f.; Faraone 1992, 82f.; Ogden 1999, 78f.; Ogden 2001, 102f. – Ogden 2002, 113 sieht direkte Parallelen zwischen den ‚Menhirs‘ und den oben erwähnten Statuen in Siris (S. 78f.): „Each pair of replacement effigies at Siris consisted of a large and a small [effigy; hierzu oben Anm. 52 und Anm. 53] […]. In this way they strongly resemble the pair of stone ‚menhirs‘, […] the function of which was evidently to replace the (single) missing body.“ Dass bereits Kenotaphe allein der Geisterabwehr dienten, denkt Xagorari-Gleissner 2008, 165. 70 6,58; siehe hierzu Schaefer 1957, 323‒336; Richer 1994, 70‒82; Schörner 2007, 148. 71 Richer 1994, 78f. vermutet (mit Verweis auf den Eid von Kyrene; siehe Kap. 3 Anm. 65), dass es aus Wachs gemacht war. 72 Diese sind aber deutlich kleiner als diejenigen aus Mideia. Hiller von Gaertringen 1903, 305 mit Abb. 492 und 493 nennt als Höhe 19 bzw. 18,3 cm (jeweils mit Basis); siehe auch Kurtz/ Boardman 1985, 211 Abb. 65. 73 Faraone 1991a, 184, Anm. 71; Ogden 2001, 103. Kurtz/Boardman 1985, 212f. meinen, es sei nicht gelungen, „die wenigen darin befindlichen kleinen Knochen (kein Schädel) als spezifisch menschlich zu identifizieren.“ 74 Faraone 1991a, 188f. 75 Hiller von Gaertringen 1903, 291‒297 mit den Tagebucheinträgen von A. Schiff. 76 Schiff bei Hiller von Gaertringen 1903, 293. Nach Faraone 1991a, 184 Anm. 71 habe Hiller von Gaertringen geglaubt, „that the grave once held a body that was washed out of the tomb.“ Dies findet sich im Bericht aber nirgendwo vermerkt.

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gewesen. 77 Neben den beiden kleinen Steinfiguren hat man außerdem eine Tierfigur aus Stein und Terrakotten von Frauen und weiteren Tieren entdeckt. Die Funde weisen also auf ein gewöhnliches, wenn auch reich ausgestattetes Grab hin. Die von Faraone und Ogden erkannte Parallele zum Kenotaph von Mideia ist somit hinfällig. 78 Eine weitere meinen sie im italischen Lokroi entdeckt zu haben. Hier wurde im 5. Jh. eine weibliche Büste in einem Topf begraben. 79 Nun weisen diese Funde und Befunde, selbst wenn man der Interpretation einer fortlaufenden Tradition folgen möchte, zwar einige Gemeinsamkeiten auf, und es ist einerseits auffällig, andererseits aber nicht undenkbar, dass ganz unterschiedliche Vertreter einer Denkmalgruppe – große flache ‚Menhirs‘ 80, kleine Statuetten und Büsten – denselben Zweck erfüllt haben sollen. Jedoch ist neben den bereits vorgebrachten Bedenken ferner gegen Picard, Faraone und Ogden daran zu erinnern, dass in Kyrene der Grund für die Anwesenheit des übernatürlichen Verfolgers nicht in einer fehlenden Bestattung liegt. 81 Ein anderer Mensch hat diesen geschickt! Nun könnte man argumentieren, dass die nachträgliche Bestattung der Beruhigung des lästigen Totengeistes dienen sollte. In dieser Hinsicht ist aber erneut ins Gedächtnis zu rufen, dass zum einen der Hikesios, sowohl in der lex sacra von Kyrene als auch in der Beschreibung der Pausanias-Episode beim Periegeten Pausanias (3,17,9), eher einen Rachegeist bzw. Dämon zu bezeichnen scheint als einen Totengeist und dass zum anderen die Kolosse, wenn man den Text wörtlich nimmt, gar nicht den Hikesios, sondern (wie in den mesopotamischen Zeugnissen) den schickenden Menschen symbolisieren sollten. 82 Dieser konnte (!), musste aber nicht tot sein. Die relevanten Stellen in den homerischen Epen sprechen ebenfalls eher gegen eine fortlaufende Tradition von der Bronzezeit bis zur griechischen Klassik, sofern man diese Texte für einen dorischen oder auch peloponnesischen Brauch überhaupt heranziehen 77 Schiff bei Hiller von Gaertringen 1903, 292. Ein Zweifel daran, dass es sich um menschliche Knochen gehandelt hat, findet sich im Bericht nicht; siehe dagegen Kurtz/Boardman in Anm. 73. 78 Faraone 1991a, 184; Faraone 1992, 82f.; Ogden 2001, 102f.; siehe auch, ohne Rückbezug auf Mideia, Kurtz/Boardman 1985, 212, 311f. 79 Faraone 1991a, 184; Faraone 1992, 82f.; Ogden 2001, 103 Anm. 22; vgl. Kurtz/Boardman 1985, 312 mit Abb. 115. 80 Jüngst hat Gallou 2005, 128 die ‚Menhirs‘ von Midea/Dendra als „baetyls symbolising the pre­ sence of the ancestral spirits or the chthonic deities“ angesehen und hieraus auf „ancestor worship“ (129) geschlossen. 81 Siehe jetzt auch die nebenbei geäußerte Skepsis von Eich 2011, 386 Anm. 54. 82 Deshalb ist es auch ganz unverständlich, wenn Ogden 2001, xxiii (ähnlich schon Ogden 1999, 79) die Terrakotta-Figur eines Kentauren aus dem 10. Jh. v.Chr., welche in Lefkandi im Bereich der früheisenzeitlichen Nekropole gefunden wurde, als Hinweis ansieht, der „may indicate that the Greeks were already using ghost-laying techniques at graves similar to those known in the historical period.“ Siehe zu dem Fund Desborough/Nicholls/Popham 1970, 21‒30 mit Taf. 7‒11. Dort wird festgestellt, dass es sich am ehesten um ein Weihedenkmal oder um ein Spielzeug gehandelt hat (27). Für die Geisterabwehr kann das Denkmal keine Bedeutung besessen haben, da es zum einen keinen Menschen darstellt und zum anderen der Kopf der Figur in einem anderen Grab gefunden wurde als der Körper (21f.). Blome 1984, 21 erwägt, dass es sich um die Darstellung einer Kentauromachie, Eder 2008, 185, dass es sich um Chiron handelt.

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kann. Zwar ist hier von Kenotaphen die Rede, die zum Zwecke der Zurschaustellung bzw. Erhaltung des „ewigen Ruhmes“ der betreffenden Person errichtet werden, 83 Figuren, welche die Toten symbolisieren sollten, werden aber nirgendwo erwähnt. E. Rohde hat (noch in Unkenntnis des Fundes aus Mideia) in der Errichtung der leeren Gräber „ein bedeutsames Rudiment ältesten Glaubens in einem in veränderter Zeit noch nicht ganz abgestorbenen Brauche“ vermutet: „Die Seele der in der Fremde Gefallenen“ habe man in das Kenotaph rufen können, womit die Hinterbliebenen „eine religiöse Pflicht“ erfüllt hätten. 84 Demnach würde es sich also um einen in homerischer Zeit fast vergessenen Ritus handeln. Tatsächlich geht es aber weniger darum, die Seele in ihr Grab zu rufen, als ihr mittels der dem Toten zustehenden Begräbnisriten den Einzug in den Hades zu ermöglichen. Was denjenigen drohte, die diese Pflicht vernachlässigten – und dies betraf nicht nur die Familie, sondern auch die Freunde –, zeigt die Anrufung der Toten im elften Gesang der Odyssee. Hier droht Odysseus sein einstiger Gefährte Elpenor mit „dem Zorn der Götter“ (theôn mênima), sollte Odysseus nicht seine Überreste bergen und beerdigen. 85 Einen ähnlichen Zweck erfüllt die dreimalige Anrufung der gegen die Kikonen Gefallenen in der Odyssee (9,62‒66). Auch hier geht es nicht darum, die Seelen in die Heimat zu geleiten, wie es E. Rohde, W. Burkert und viele andere zu erkennen meinen, 86 die dem Scholion zur Stelle folgen, sondern „the calling proved to the dead that they were not forgotten, that their friends would have given them proper burial were that possible; that Odysseus and his living companions were thus absolved of an obligation and were freed of any unpleasant visitations.“ 87 Zu Recht weist G. E. Mylonas ferner darauf hin, dass Achilleus während der Verbrennung des Patroklos diesen beständig beim Namen rief, und zwar zweifellos nicht, damit die psychê des Freundes ihm folge. 88 Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass Menelaos zum „ewigen Ruhme“ 83 Hom. Od. 4,584; vgl. 24,30‒34 (vgl. die Anspielung hierauf in Aischyl. Choeph. 345‒353); Il. 7,84‒91. 84 Rohde 21898, Bd. 1, 66, Anm. 1. 85 Hom. Od. 11,51‒83; vgl. die Erfüllung der Bitte in 12,8‒15. Der Wortlaut in Vers 11,73 (μή τοί τι θεῶν μήνιμα γένωμαι) wiederholt sich in Il. 22,358 als Drohung des sterbenden Hektor gegen Achilleus. 86 Rohde 21898, Bd. 1, 65f.; Burkert 1962, 46f.; siehe ferner Persson 1931, 109; Ogden 2001, 109; Schörner 2007, 143 Anm. 1200; Ogden 22009, 161; vgl. auch Anm. 68. 87 Mylonas 1948, 65. 88 Mylonas 1948, 65 Anm. 28 zu Il. 23,219‒221. Dementsprechend bietet er auch eine andere Interpretation des ‚Kenotaphs von Mideia‘; vgl. auch Mylonas 1951, 94; Mylonas 1966, 117. Er vermutet, dass in der Grabkammer (gefunden wurden auch ein Schlachtblock, ein Tisch und eine Grube mit Tierknochen) die Seelen in der Art angerufen wurden, wie Odysseus es tat, als er den Geist des Teiresias befragen wollte (Hom. Od. 11,25‒36). Diese Riten „were believed perhaps to be adequate to bring the lost persons for whose benefit it was built to their grave and to induce them to stay in it.“ (76). Wofür die ‚Menhirs‘ gebraucht wurden, lässt Mylonas dabei offen. Ferner versteht man (Mylonas’ übrige Deutungen bedenkend) auch nicht, warum die Toten(geister) in die Kammer gelockt werden sollten, wenn die psychai doch an den Körper gebunden waren, sofern dieser noch Fleisch enthielt, oder in den Hades gewandert waren, wenn das Fleisch verwest oder verbrannt war; siehe zur Totenbeschwörung des Odysseus auch Matijević 2015, Kap. 4.4.

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seines in Argos (!) ermordeten Bruders Agamemnon in Ägypten (!) einen Grabhügel (tymbos) aufschüttet (Hom. Od. 4,584). Weitere Passagen belegen zwar bei den homerischen Helden eine konstante Abneigung davor, in der Fremde zu sterben, Folgen für das Jenseits werden aber nirgendwo befürchtet. 89 So zeigt sich in Agamemnons Worten (Il. 4,174‒181), dass er Menelaos in Troias Erde bestatten müsste, wenn dieser dort stürbe, ein gewisses Bedauern. Ein Problem für die Existenz nach dem Tod ergibt sich aus einem Sterben in der Fremde aber nicht. Agamemnon befürchtet lediglich, man würde das Grab des Menelaos schänden, nicht etwa, dass der Geist seines Bruders keine Ruhe finden würde. 90 Die sich Achilleus bietende Wahl, ruhmvoller Tod in der Fremde oder weniger ruhmvolles, aber längeres Leben in der Heimat (Il. 9,410‒415), zeigt gleichfalls, dass ein Tod in der Heimat zwar vorzuziehen war, aber keine positiven Auswirkungen auf das jenseitige Leben hatte. Die bereits mehrfach angesprochene Forderung von Patroklos und Elpenor, zeigt ebenfalls, dass in der frühen Archaik die Bestattung selbst, nicht so sehr der Ort derselben eine Rolle spielte. Betrachtet man die relevanten Episoden bei Homer unvoreingenommen und vor allem unabhängig von der späteren Entwicklung des Jenseitsglaubens, so kann man die Kenotaphe zwar als Ersatzbestattung für verschollene Tote interpretieren, dafür, dass man die Verstorbenen auch bildlich hätte darstellen wollen, gibt es aber keine Hinweise. Ferner sind die Kenotaphe weder als ein Rudiment ältesten, fast verlorenen Glaubens aufzufassen, wonach man die Seelen der Toten nach Hause geleiten wollte, wie Rohde es annimmt, noch als Teil eines durchgängigen von der Bronzezeit bis Aischylos verfolgbaren, gleichbleibenden Brauches, wie Picard oder in neuerer Zeit Faraone es vertreten. 91 Gerade die Einschränkung des letzteren, dass eine Bestattung von Figuren möglicherweise nicht immer notwendig gewesen sei, spricht gegen diese Theorie. 92

89 Vgl. Tsagalis 2004, 76‒87. 90 Derartige Erwägungen, nicht etwa die Angst vor spukenden Toten, werden auch der Passage Il. 7,332‒335 zugrunde liegen, wo davon die Rede ist, dass man die (verbrannten!) Gebeine der Gefallenen nach Hause transportieren wolle, um sie dort zu beizusetzen. Zumeist geht man davon aus, dass es sich bei diesen Versen um einen späteren Einschub handelt; siehe schon die Scholia zu dieser Passage; ferner Mylonas 1948, 63; Willcock 1976, 80f.; Garland 1982, 14‒16; Kirk 1990, 278f. 91 Inzwischen steht man der Annahme, dass Rituale über Jahrhunderte hinweg kaum Veränderungen unterworfen waren, zunehmend skeptisch gegenüber; siehe beispielsweise SourvinouInwood 1995, 18‒32; Bremmer 2010, 71‒86; ferner Krummen 2010, 173‒214, welche die Arbeit des SFB „Ritualdynamik“ skizziert. 92 Faraone 1991a, 184. In einer etwas späteren Publikation (Faraone 1992, 83, 92, Anm. 69) tendiert er dann augenscheinlich mehr zur Auffassung von Rohde, unterstützte aber nach wie vor die von Picard propagierte fortlaufende Tradition!

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7 Zusammenfassung Figuren und Standbilder begegnen uns in verschiedenster Weise als Stellvertreter. In der lex sacra von Selinunt ist in den uns erhaltenen Abschnitten nirgendwo von symbolischen Nachbildungen die Rede, mittels welcher, wie es in Teilen der Forschung vermutet wurde, Totengeister oder Dämonen gebannt würden. In der Tat listet diese Inschrift Teile von drei verschiedenen Ritualen auf, von denen zumindest zwei in Verbindung mit Reinigungsprozeduren stehen. Zwar ist in Spalte B von Elasteroi die Rede, welche Menschen, unter anderem auch Mörder, verfolgen konnten und welche man mittels der beschriebenen Handlungen zu bannen suchte, doch wurde hierzu, wenigstens dem noch vorliegenden Text nach, keine Puppe oder ähnliches von der übernatürlichen Wesenheit angefertigt. Soweit derartige Vermutungen existieren, wurden sie eindeutig durch die lex sacra von Kyrene hervorgerufen, 1 oder sie beruhen schlicht auf Missverständnissen. 2 Gleiches gilt für die in Spalte B beschriebene Bewirtung, bei der das Subjekt der Verköstigung nicht eindeutig zu bestimmen ist. Auch hier führt der Vergleich mit der Inschrift aus Kyrene bei Teilen der Forschung dazu, dass man eher eine Bewirtung des Elasteros als diejenige des befleckten Menschen annehmen möchte. 3 Bei einem näheren Abgleich mit dem Kyrener Zeugnis zeigt sich, dass gewichtige Unterschiede zur lex sacra von Selinunt festzustellen sind. So scheint in Kyrene der Verfolgung durch den Hikesios kein Verbrechen zugrunde zu liegen, was in Selinunt ja zumindest eine von verschiedenen Möglichkeiten darstellt. Dementsprechend ist in der Inschrift von Kyrene auch keine Rede von reinigenden Opfern. Ferner wird nicht ein Individuum verfolgt, sondern eine oikia, welche durch eine einzelne Person im Ritual repräsentiert wird. Letztlich zeigt die genaue Analyse, dass die Anweisungen für die Anfertigung von Figuren sich auch gar nicht auf den Hikesios beziehen, sondern auf das Individuum, welches diesen Verfolger ausgesandt hat. Gleiches gilt folglich für die Bewirtung im unbewirtschafteten Wald. Durch diese Feststellung gewinnen die beiden leges sacrae dann allerdings doch wieder an Gemeinsamkeiten, da in keiner von beiden Inschriften der übernatürliche Verfolger figürlich repräsentiert ist. Ob der Elasteros und der Hikesios (epaktos) in diesen Inschriften Wesen der göttlichen Sphäre oder Totengeister darstellen, wird umstritten diskutiert. Zumindest bei ersterem ist es aufgrund der durchzuführenden Opfer wahrscheinlicher, dass es sich um einen göttlichen Dämon als um einen Wiederkehrer handelt. Auch im Falle des Hikesios scheint dies aus verschiedenen Gründen plausibler, wenn auch keinesfalls sicher zu sein.

1 Siehe oben S. 20, S. 31 und S. 47. 2 Siehe Kap. 2 Anm. 77. 3 Siehe S. 30 mit Anm. 150.

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7 Zusammenfassung

Im Falle der mesopotamischen Zeugnisse, auf die in der Forschung als Vergleich verschiedentlich hingewiesen wurde, zeigt es sich, dass die Keilschriften in der Tat zahlreiche Parallelen zu unseren griechischen Inschriften aufweisen. Die mesopotamischen Figuren symbolisieren allerdings, anders als von den Religionswissenschaftlern bei der Untersuchung der griechischen Zeugnisse bisher angemerkt wurde, nicht ausschließlich Geister oder Dämonen, die man vertreiben wollte, sondern in vielen weiteren Fällen auch, wie im Kyrener Zeugnis, die Feinde, welche die übernatürlichen Verfolger ausgeschickt haben. Insgesamt ist die Palette an magischen Anwendungsmöglichkeiten von Abbildern in den mesopotamischen Riten außerordentlich breit. Beeinflusst wurden die Griechen von diesen offensichtlich erst in nachhomerischer Zeit. Die weiteren griechischen Zeugnisse unterstützen die hier vertretene Interpretation, dass Figuren oder Standbilder in Ritualen lebende oder auch tote Menschen repräsentieren konnten, und zwar im privaten wie auch öffentlichen Bereich. Dies zeigt sich schon in der Pausanias-Affäre, in welcher der Zorn der Athena durch zwei Standbilder, die den Leib ihres Bittstellers symbolisierten, und eine Umbettung in den Vorbezirk ihres Heiligtums besänftigt werden sollte. Ein ähnlicher Ritus zeigt sich in der Schändung des Athena-Heiligtums von Siris, in welchem Jugendliche und ein Priester zuerst ermordet und später mittels Standbildern der Göttin ‚zurückerstattet‘ wurden. Dass man der Vorstellung anhing, spukende Tote mittels Standbildern binden zu können, erweist der Mythos um den Heros Aktaion, dessen Bildnis man an einen Stein fesselte. Allerdings zeigt sich hier, dass man als weitere (und vielleicht wichtigere) Maßnahme auch die Überreste des Aktaion beerdigte. Die Symbolisierung und Manipulation von lebenden Menschen in Ritualen mittels Figuren demonstriert der Eid der Kolonisten aus Thera in Kyrene, der vorgeblich der Gründungszeit der Kolonie entstammen soll. 4 Was die zuerst von C. Picard und seitdem von weiteren Forschern vertretene These der von der Bronzezeit bis in die Klassik verfolgbaren, dorischen bzw. peloponnesischen Geisterabwehr mittels Bildnissen angeht, so ist festzuhalten, dass dieser Ritus in Zeugnissen, die sich auf klassische und spätere Zeit beziehen, zwar nachweisbar ist, dass die homerischen Epen sowie die archäologischen Funde und Befunde der Bronzezeit ebenso wie diejenigen der Archaik diese Idee aber kaum hinreichend stützen können. Auffällig ist immerhin, dass die Belege, soweit verifizierbar, ausschließlich aus dem dorischen Kulturkreis stammen bzw. diesen beschreiben, das heißt von der Peloponnes und den von dort aus gegründeten Kolonien. In dieser Hinsicht ist es zweifellos bemerkenswert, dass Herodot (6,58) die spartanische Sitte, ein eidôlon als Platzhalter zu begraben, nicht nur als ungewöhnlich und damit für seinen eigenen Lebensraum als fremd ansieht, sondern auch als barbarisch bzw. persisch bezeichnet, was man angesichts der Parallelen aus Mesopotamien durchaus ernst nehmen darf. Einschränkend ist hierbei aber zu bemerken, dass Herodot an der genannten Stelle zum einen nicht von Geisterabwehr spricht und zum anderen diesen Brauch als den Königen vorbehalten ansieht.

4 Siehe Kap. 3 Anm. 65.

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Anhang

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Abbildungsnachweise Tafel 1: Jameson/Jordan/Kotansky 1993, Taf. 1 Column A/B; Bronzestange (gedreht). Tafel 2: Jameson/Jordan/Kotansky 1993, Falttaf. 1 Column A (gedreht). Tafel 3: Jameson/Jordan/Kotansky 1993, Falttaf. 2 Column B (gedreht). Tafel 4: Jameson/Jordan/Kotansky 1993, Taf. 3 Column A Detail Zeilen 1‒7 (gedreht). Tafel 5: Oliverio 1933, Taf. III. Tafel 6: Oliverio 1933, Taf. IV.

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Stellenindex1 Ail. nat. 12,21 70 Ail. var. 4,7 75 Ail. var. 9,41 75 Aischyl. Ag. 416 80 Aischyl. Choeph. 345‒353 83 Aischyl. Choeph. 966‒968 28 Aischyl. Eum. 835 20 Alex. Aphr. probl. 2,46 80 Apoll. Rhod. 2,1192‒1195 3 Apoll. Rhod. 3,336‒339 3 Apoll. Rhod. 4,700‒717 17 Apoll. Rhod. 4,715 17 Aristodemos FGrHist 104 F 1,8,1 75 Aristodemos FGrHist 104 F 1,8,1‒5 75 Aristodemos FGrHist 104 F 1,8,4 72 Aristot. Frg. 415 (Rose) 20 Aristot. pol. 1252b14 15 AT Gen. 7,10‒8,14 70 Athen. 12,521d‒e 79 Athen. 12,521e‒f 79 BAM 323 50 Bilgames, Enkidu und die Unterwelt, r1‒2 69 Bilgames, Enkidu und die Unterwelt, t1‒2 68 Brodersen/Günther/Schmitt 1992, 4‒6 Nr. 6 48 Caplice 1970, 134‒141 Nr. 40 51f., 54 Chorikios von Gaza 2,77 78 Chrysermos FGrHist 287 F 4 72, 76 Cornutus p. 10,20‒11,4 (Lang) 28 Demokr. DK 68 B 166 4 Demon FGrHist 327 F 2 20 Diod. 4,38f. 25 Diod. 11,45,6‒9 72 Diod. 11,45,7 73 Diog. Laert. 8,59 3

Diog. Laert. 8,60f. 3 Diog. Laert. 8,70 20 Ebeling 1931, 78‒86 Nr. 21 50 Ebeling 1931, 138‒142 Nr. 30C 55 Ebeling 1931, 146‒154 Nr. 30F 50f., 54 Empedokles DK 31 B 111 3 Eur. Hipp. 820 28 Eur. Iph. T. 934 28 Eur. Iph. T. 970f. 28f. Gadd/Kramer 1966, Nr. 410 56 Gemelli Marciano 2009, 154‒157 Nr. 8 3 Gemelli Marciano 2010, 368‒371 Nr. 49a 4 Gemelli Marciano 2010, 368‒371 Nr. 49b 4 Gilgamesch-Epos 8,59‒62 64 Gilgamesch-Epos 11,9‒176 70 Gilgamesch-Epos 12,79‒87 65 Gilgamesch-Epos 12,84‒88 67 Hdt. 1,19‒22 78 Hdt. 2,41 72 Hdt. 2,44,5 25 Hdt. 2,175,1 48 Hdt. 3,35 72 Hdt. 4,150‒161 40 Hdt. 6,58 58, 81, 86 Hdt. 7,114 72 Hdt. 7,132 41 Hdt. 8,36 72 Herakl. Pont. Frg. 49 (Wehrli) 79 Hes. erg. 109‒126 2 Hes. erg. 124f. 2 Hes. erg. 212‒366 2 Hes. erg. 252 2 Hes. erg. 253f. 2 Hesych. s.v. ἀλάστωρ 28 Hesych. s.v. εὐθύδημον 20

1 Die griechischen und lateinischen Quellen sind nach den Vorgaben des ‚Kleinen Pauly‘ (5. Bd.e, 1964–1975) abgekürzt.

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Hesych. s.v. ἱκέσιος 42 Hesych. s.v. μύσκος 20 Hesych. s.v. ὁμοσίπυοι 15 Hom. Il. 2,547‒551 1 Hom. Il. 4,174‒181 84 Hom. Il. 7,84‒91 83 Hom. Il. 7,332‒335 84 Hom. Il. 9,410‒415 84 Hom. Il. 11,238‒240 64 Hom. Il. 11,480‒486 64 Hom. Il. 12,1‒31 70 Hom. Il. 12,292f. 64 Hom. Il. 12,298‒308 64 Hom. Il. 17,108‒112 64 Hom. Il. 18,317‒320 64 Hom. Il. 18,333‒335 1 Hom. Il. 22,358 1, 75, 83 Hom. Il. 23,65‒98 1 Hom. Il. 23,69‒101 3 Hom. Il. 23,99‒104 67 Hom. Il. 23,219‒221 83 Hom. Il. 24,592‒594 1 Hom. Od. 1,289‒292 80 Hom. Od. 2,220‒223 80 Hom. Od. 4,584 80, 83, 84 Hom. Od. 9,62‒66 81, 83 Hom. Od. 11,24‒35 65 Hom. Od. 11,25‒36 83 Hom. Od. 11,51‒83 83 Hom. Od. 11,73 1, 75, 83 Hom. Od. 11,204‒208 68 Hom. Od. 12,8‒15 83 Hom. Od. 24,30‒34 83 IG I3 1066 A‒C 21 IG I3 1067 21 IG II/III2 1138,8 19 IG II/III2 1358 21 IG II/III2 2615 21 Iust. 20,2 78 KAR 184 50 Kontorini 1989, 17‒29 Nr. 1 44 Linear B PY Fr 1204 21 LKA Nr. 135 55 LSCG 2 D8‒10 21 LSCG 18 Δ41‒46 21

LSCG 20 21 LSCG 20 B32 21 LSCG 20 B52f. 21 LSSupp. 10 9 LSSupp. 115 A23 16 LSSupp. 115 39, 40 Lukian. Philopseudes 15 80 Lukian. Philopseudes 17 80 Lykophron Alexandra 978‒992 79 M/L 5 48 Manni Piraino 1973, 106f. Nr. 76 19 Maqlû I 15‒20 52 Maqlû I 73‒86 50 Maqlû I 86f. 54 Maqlû I 96‒109 53f. Maqlû I 135 53 Maqlû I 136‒139 55 Maqlû II 31‒35 53 Maqlû II 37‒49 52 Maqlû II 38‒49 50 Maqlû II 52‒71 55 Maqlû II 108‒110 50, 52 Maqlû II 131 50, 52 Maqlû II 160‒168 53 Maqlû II 183 53 Maqlû II 205‒209 54 Maqlû IV 39‒41 53 Maqlû IV 59‒61 54 Maqlû IV 76 54 Maul/Strauss 2011, 83‒85 Nr. 36 56 Maul/Strauss 2011, 85f. Nr. 37 56 MMDG Nr. 11 50 MMDG Nr. 15 51 MMDG Nr. 17 51 MMDG Nr. 18 51f. MMDG Nr. 20 51f., 54 MMDG Nr. 21 51 MMDG Nr. 22 51, 54 MMDG Nr. 23 51 MMDG Nr. 26 51 MMDG Nr. 55 51 MMDG Nr. 56 51f. MMDG Nr. 57 51f., 54 MMDG Nr. 58 51 MMDG Nr. 61 51f., 54

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Stellenindex 

MMDG Nr. 62 50, 52 MMDG Nr. 65 51f. MMDG Nr. 66 51, 54 MMDG Nr. 67 50f., 54 MMDG Nr. 70 51 MMDG Nr. 71 51, 52 MMTGI Nr. 9 51 MMTGI Nr. 10 51 MMTGI Nr. 11 51f. MMTGI Nr. 12 51f., 54 MMTGI Nr. 13 51 MMTGI Nr. 14 51, 54 MMTGI Nr. 15 51 MMTGI Nr. 17 51 MMTGI Nr. 18 50 MMTGI Nr. 21 51 MMTGI Nr. 115 51, 54 MMTGI Nr. 119 51f., 54 MMTGI Nr. 120 50, 52 MMTGI Nr. 131 51f. MMTGI Nr. 218 51f., 54 MMTGI Nr. 219 50f., 54 MMTGI Nr. 226 52 MMTGI Nr. 228 51 MMTGI Nr. 230 51f. MMTGI Nr. 231 51 Nep. Paus. 5,2‒5 72 Nostoi p. 154f. (West) 2 Paus. 1,20,7 75 Paus. 1,37,4 18 Paus. 2,20,1f. 18 Paus. 3,17,7‒9 74 Paus. 3,17,9 74, 82 Paus. 7,25,2 75 Paus. 8,34,1‒3 23 Paus. 8,34,2 24 Paus. 8,34,3 24 Paus. 9,2,3 80 Paus. 9,38,5 79 Paus. 10,4,10 21 Phanodemos FGrHist 325 F 6 20 Pherekydes FGrHist 3 F 175 49 Philochorus FGrHist 328 F 182 20 Philostratos Heroicus 53,8‒13 25 Phylarchos FGrHist 81 F 45 79

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Pind. N. 3,22 25 Pind. P. 3,55‒60 3 Pind. P. 4,159‒164 3 Plat. leg. 865d‒866a 30 Plat. leg. 909a8‒b6 77 Plat. leg. 933a2‒b5 77 Plat. rep. 364b5‒365a3 24 Plin. epist. 7,27,5‒11 80 Plut. Ant. 24 17 Plut. Frg. 126 (Sandbach) 73 Plut. Kim. 6,4‒7 75 Plut. Kim. 6,6 74 Plut. mor. 297A 28 Plut. mor. 418B‒C 17, 28 Plut. mor. 431b‒e 2 Plut. mor. 555c 74, 75 Plut. mor. 560e‒f 73 Plut. mor. 944b 80 Plut. prov. Alex. 1,78 16 Pol. 5,88,1 48 Poll. 3,17 20 Polyain. 8,51 72f. ps.-Aug. homilia de sacrilegis §22 80 Quint. decl. mai. 10,2 80 Quint. decl. mai. 10,8 80 Quint. decl. mai. 10,15 80 Quint. decl. mai. 10,18f. 80 Rhodes/Osborne 2003, 486‒493 Nr. 96 39 Rhodes/Osborne 2003, 494‒505 Nr. 97 39 Sappho Frg. 178 (PLF) 2 Sch. Eur. Alc. 1128 73 Sch. Hom. Il. 7,332‒335 84 Sch. Hom. Il. 8,39 20 Sch. Hom. Od. 9,62 83 Sch. Lukian. p. 276 (Rabe) 22 Sch. Prokl. zu Hes. erg. 121‒125 2 Schwemer 1998, 102f. Z. 58‒70 55 SEG 9, Nr. 2 39 SEG 9, Nr. 3 48 SEG 9, Nr. 72 39 SEG 9, Nr. 325‒346 16 SEG 14, Nr. 889 39 SEG 15, Nr. 879 39

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Stellenindex

SEG 20, Nr. 717 39 SEG 20, Nr. 723a‒d 16 SEG 26, Nr. 1109 19 SEG 31, Nr. 1576 39 SEG 32, Nr. 359 7 SEG 33, Nr. 1535 39 SEG 34, Nr. 1644 39 SEG 37, Nr. 1670 39 SEG 38, Nr. 1880 39 SEG 39, Nr. 729 44 SEG 39, Nr. 1714 39 SEG 42, Nr. 1663 39 SEG 43, Nr. 630 vii SEG 43, Nr. 1187 39 SEG 44, Nr. 783 vii, 6 SEG 46, Nr. 1273 vii SEG 46, Nr. 2200 39 SEG 47, Nr. 1455 vii SEG 47, Nr. 2165 39 SEG 48, Nr. 1250 vii SEG 49, Nr. 1327 vii SEG 50, Nr. 1021 vii SEG 50, Nr. 1638 39

SEG 51, Nr. 1387 vii SEG 51, Nr. 2210 39 SEG 52, Nr. 932 vii SEG 53, Nr. 1032 vii, 29 SEG 56, Nr. 1098 vii SEG 57, Nr. 888 vii SEG 57, Nr. 2000 39 SEG 59, Nr. 1119 vii SEG 60, Nr. 1014 vii SEG 60, Nr. 1834 39 Strab. 6,1,14 79 Strab. 10,3,16 16 Suda s.v. ἄπνους 3 Suda s.v. ἱκέσιος 42 Suda s.v. Παυσανίας 72f., 75 Themistokles epist. 4,15 74 Theokr. 2,35f. 80 Theokr. 7,103‒114 24 Thuk. 1,134 71 Thuk. 6,4,2 19 VAT 13943 56 VAT 14006 56 Zenob. prov. 3.3 2

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Namen-1, Orts- und Sachindex Abbild siehe Figur Achilleus 1‒4, 25, 63‒65, 67, 83f. Ägäis 63 agalma 80 Agamemnon 2, 64, 80, 84 Ägypten/ägyptisch 56f., 61, 84 Aias 64 Ake 24 Akkadisch 50, 55, 59f., 62, 69f. Aktaion 79, 80, 86 Alastor siehe Elasteros Alastoros siehe Elasteros Alexander d. Gr. 39 Alexander v. Epiros 39 alitêrios 46, 74, 77 Alkestis 3 Alyattes 78 Amerika 7 Anabasis 69 Anatolien/anatolisch 60f., 63 Antikleia 67 aôros 51 Apollon 40f., 45, 49, 72, 74, 77 Apsyrtos 17 Argolis 80 Argos 84 Artemis 41, 49 Asklepios 3 Assesos 78 Assyrer/assyrisch 50‒52, 63 Asyl 45, 72, 76, 79 Athen/athenisch vii, 1, 20f., 49, 80, 86, Athena 1, 71‒73, 76‒79, 86 Athena Assesia 78 Athena Chalkioikos 71‒78 Attika 21 autorrektas 27, 31, 33 axones 6

Azteken 69 Babylon 61, 68 Befleckung (miasma) vii, 6, 10, 13f., 17, 20‒28, 30‒35, 37, 41, 46, 67, 72f., 79, 85, biaiothanatos 51 Bier 51, 54, 66 Bildnis siehe Figur Bilgames siehe Gilgamesch Blut vii, 14, 21, 34, 51 Boğazköy 66 Boiotien 70 Bremmer, J. vii Buck, C. D. 43 Burkert, W. 31, 44f., 50, 52, 62, 83 Castelvetrano 7 Chichihuacuauhco 69 Chios 70 Chiron 82 Chthonisch 18f., 23, 28, 35 Clinton, K. 9, 15, 17, 24f., 27, 31, 33f. Cooper, J. 69 Dämon vii, viii, 4, 28, 34, 42‒46, 52, 55f., 75, 80, 82, 85f. Dark Ages 60 Delphi/delphisch 40, 71‒74, 77‒79 Demeter Malophoros 18, 20 Dendra siehe Mideia De Sanctis, G. 40, 43 Dimartino, A. 10 Dionysos 17 Dobias-Lalou, C. 32, 43 Dodona 25 Dorier/dorisch 7, 40, 81f., 86 Dubois, L. 30f., 47 duplum-/diplê-Prinzip 78f. Ea 65‒67 Edwards, M. W. 64 Eich, P. 57

1 Von Gelehrten werden nur die im Fließtext erwähnten Namen aufgeführt.

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Namen-, Orts- und Sachindex

Eid 48, 57, 58, 81, 86 Eidbrecher 62 eidôlon 2, 43, 73, 77, 80f., 86 Elasteros 14, 17, 27‒35, 38, 43, 46f., 49, 74, 85 Elpenor 1, 83f. Empedokles Enkidu 63, 65‒69 Ephoros 72 Epidotes 75 Epiros 39 Erechtheus 1 Erinyen 17, 23, 28f., 32, 43, 49 Eumeniden 13, 16f., 21, 23 Euthydamos 14, 19f., 25‒27, 35 Exorzist 47 Faraone, C. A. vii, viii, 40, 50‒52, 56, 76, 81f., 84 Ferri, S. 39, 45 Figur (Abbild, Bildnis, Statue) vii, viii, 4, 14, 22, 26, 35, 42f., 48, 50‒57, 58, 62, 67, 71‒86 Fontenrose, J. 76 Fruchtbarkeit vii Gaggera 18, 20, 31 Geist siehe Totengeist Gello 2 Gemelli Marciano, M. L. 3 Genos 2, 21, 25, 42 George, A. 66 Gilgamesch (Bilgames) 60, 63‒70 goês siehe goêteia goêteia 3, 77 Goldenes Geschlecht 2 Goldenes Vlies 3 Gorgias 3 Hades (Unterwelt) 1, 3f., 25, 34, 62, 66‒69, 83 Halule 63 Handwerker 61 Hekate 18 Hektor 1, 83 Herakleia 74 Herakles 3, 25 Heroenkult 1f.

Heroon 13f., 20f. Heros 13, 16, 19, 21‒23, 35, 79f., 86 Hethiter/hethitisch 50, 52, 58‒60, 63, 66f. Hexe 52, 54 Hexer 52, 54, 74 hikesios 42‒49, 74f., 77f., 81f., 85 hiketês 72f., 75, 79 Hiller von Gaertringen, F. 81 Högemann, P. 59‒61 homosepuoi 15, 25, 36 Honig 13, 22, 66 Huber, I. 62 Iason 3f., 17 Indoeuropäisch 62 Ionien/ionisch 58, 61, 79 Italien/italisch 7, 24, 73f., 82 Jameson, M. H. 5, 8, 15‒20, 23, 26‒33, 35, 38, 45f. Jason siehe Iason Jenseitsvorstellungen 58, 62, 65, 68‒70, 84 Jensen, P. 62 Johnston, S. I. 24, 27, 36 Jordan, B. 32 Jordan, D. R. 5, 8, 15‒20, 23, 26‒33, 35, 38, 45f. Kaiadas 71, 75f. Karthago 7 Katabasis 3, 69 katharos 37 Katharsis siehe Reinigung Kenotaph 80‒84 Kentaur 82 Kerameikos 21 Kikonen 81, 83 Kilikien 59 Kleinasien/kleinasiatisch 58, 61, 65 Kleonike 75 Kleopatra 39 Kokla 80 kolossos 20, 42, 48, 80, 82 Korinth 7 Kotansky, R. D. 5, 8, 15‒20, 23, 26‒33, 35, 38, 45f. Kotya 16 Kotys siehe Kotya

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Namen-, Orts-und Sachindex

Kotytia 13, 15f., 36 Kotyto siehe Kotya Kroton 78f. Kumarbi 61 kyrbeis 6 Kyrene 15f., 20, 29‒31, 39‒54, 57f., 74f., 77f., 80‒82, 85f. Lamia 2 Levante 58‒61 Libation 13, 21‒23, 51, 67 Lindos 44 Lokroi 82 Lupu, E. 31 Lustration 22, 31 Luwier/luwisch 58, 60 Magie/magisch 1, 4, 43, 50, 52, 54f., 65, 86 Magier 50, 52 Magierin 50, 52 Malibu 7 Maniai 23‒25 Maqlû 55, 52‒55 Medeia 17 Megalopolis 23 Megara 36 Megara Hyblaia 36 melikrata 13f., 17, 22f. Menelaos 64, 80, 83f. Menhir 58, 80‒83 menos 3 Mesopotamien/mesopotamisch viii, 4, 47f., 50‒59, 61‒63, 68, 70, 74, 78, 82, 86 Metapont 78f. Meuli, K. 1 miaros 24 miasma siehe Befleckung Mideia 58, 80, 82 Milch 54, 69 Milet 78 Minerva 78 Mormo 2 Musaios 24 Mylonas, G. E. 83 Myskos 13, 19‒21, 35 Mysterien 23f. Nekromantie 3

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nekyomanteion 74 Neoanalyse 2, 61 Ningal 65, 67 Noah 70 Nuska 54 Obbink, D. 3 Odysseus 1f., 65‒68, 80f., 83 Oettinger, N. 59f. Ogden, D. vii, viii, 76, 79, 81f. oikia siehe oikos oikos 10, 15, 23, 43, 47, 85 Öl 54, 66 Olympia 36 Olympiade 13 Olympias 39 Olympische Opfer 23, 25, 28, 34f. Olympische Spiele 16, 36f. Olympischer Waffenstillstand 15f., 36 Opfer 1f., 7, 10, 13‒29, 31‒38, 41, 44‒46, 49, 53, 66f., 79f., 85 Orakel 25, 45, 71‒75, 77‒79 Oral Tradition 60, 70 Orchomenos 79f. Orestes 23f., 28 Orient 59, 61‒63 Orpheus 24 Orphische Mysterien 24 Paestum siehe Poseidonia Palamnai 28 palamnaios 46, 74, 77 Pan 24 Parker, R. 40, 43, 45 Paros 28, 34 Parry, M. 60 Patera, M. 32 Patroklos 1, 3, 63, 67f., 83f. Pausanias, Schüler des Empedokles, 3 Pausanias, Sohn des Kleombrotos, 43, 71‒78, 82, 86 Pelias 3 Peloponnes/peloponnesisch 81f., 86 Peloponnesischer Krieg 71 Perser/persisch 41, 58, 76, 81, 86 Pharao 56 phasma 80

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Namen-, Orts- und Sachindex

Phigalia 74f. Phönizier 60 Phratrie 21 Phrixos 3 Picard, C. 80, 82, 84, 86 plasmata 14, 22 Polis 18‒21, 23, 25, 33‒38, 81 Poseidonia 21 Priamos 1 Priester 22, 34, 38, 61, 78, 86 Prytaneion 38 psychagôgos 73‒77 psychê 3f., 74, 83 psychopompeion 74 Ptolemaios I. 40 Puppe siehe Figur Rachegeist siehe Totengeist Reinigung vii, 10, 14, 17f., 23‒25, 27‒38, 41, 44, 46, 67, 79, 85 Ritual vii, 8‒10, 15‒19, 22‒29, 31, 33‒38, 40, 42, 45‒52, 54‒57, 62, 65‒68, 78, 84‒86 Robertson, N. vii, 10 Rohde, E. 83f. Rollinger, R. 59f., 63‒69 Salz 14, 30f. Sarpedon 64 Satyros 3 Schamasch (Šamaš) 65‒67 Schiff 1, 56, 70 Schiff, A. 81 Schlange 18 Schneider, J. W. 78 Scurlock, J. 54 Seele 20, 67f., 78, 83f. Seher 61 Selinunt vii, viii, 4‒39, 41‒43, 45‒49, 56, 85 Servais, J. 43 Sintflut 69f. Siris 77‒79, 81, 86 Sizilien 7, 16 Söldner 61 sôma 71, 73 Sparta 43, 71‒75, 77, 81, 86

Stasis 35f. Statue(tte) siehe Figur Stele 18‒22, 26, 34f., 38, 71 Stella, L. A. 66 Stephanosberg 81 Stillgeburt 69 Stukey, H. J. 43‒45 Sumerisch 60, 68‒70 Sybaris 78f. Syrien 59f. Teiresias 1f., 83 Theoxenia 22, 25, 27 Thera 48, 57f., 81, 86 Thessalien 25, 73 Tonacatecuhtli 69 Totenbeschwörung 69, 83 Totenfährmann 69 Totengeist (Geist, Rachegeist, Toter) vii, viii, 1‒4, 23, 27, 29f., 33f., 42‒45, 48‒56, 58, 62, 65‒86 Totenmahl 48 Toter siehe Totengeist Traum 1, 3, 68 Tritopateres siehe Tritopatreis Tritopatores siehe Tritopatreis Tritopatreis 13, 16f., 20‒27, 35, 37 Troia 2, 84 tymbos 84 Ugarit 55 Ungnad, A. 66 Unterwelt siehe Hades Uta-napischti 70 Vatermörder 62 Vorderasien/vorderasiatisch 61, 70 Waffenstillstand siehe Olympischer Waffenstillstand Wein 13, 21, 23, 51, 54, 66 West, M. L. 62f., 66f. Wiesehöfer, J. 59f. Wilamowitz-Moellendorff, U. v. 39, 42 Zauberer 52 Zauberin 52 Zeus 2f., 14, 18, 29, 36, 70, 75 Zeus Alastoros/Elasteros 28f., 34, 49 Zeus Eumenes 13, 16f., 21

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Namen-, Orts-und Sachindex

Zeus Hikesios 17, 49, 75 Zeus Katharsios 17 Zeus Meilichios siehe Zeus Milichios Zeus Melichios siehe Zeus Milichios

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Zeus Milichios 13f., 16‒19, 21, 25‒27, 29, 31, 34 Zorn der Götter (theôn mênima) vii, viii, 1, 83 Zypern 59

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Tafeln

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Lex sacra von Selinunt.

Tafel 1

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Tafel 2

Lex sacra von Selinunt, Spalte A (Zeichnung). © 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10891-1 - ISBN E-Book: 978-3-447-19695-6

Lex sacra von Selinunt, Spalte B (Zeichnung).

Tafel 3

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Tafel 4

Lex sacra von Selinunt, Spalte A (Detail). © 2017, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-10891-1 - ISBN E-Book: 978-3-447-19695-6

Tafel 5

Lex sacra von Kyrene (oberer Teil).

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Tafel 6

Lex sacra von Kyrene (unterer Teil).

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