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German Pages 328 [358] Year 2012
E DM U N D H US SE R L
Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie
Mit einer Einleitung und Registern herausgegeben von elisabeth ströker †
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 641 Der Text „Die Krisis der europäischen Wissenschaften“ wurde entnommen aus Husserliana. Edmund Husserl, Gesammelte Werke, Band VI, hrsg. von Walter Biemel, Martinus Nijhoff Publishers, Den Haag 21956.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2259-6 ISBN E-Book: 978-3-7873-2260-2
© Felix Meiner Verlag, Hamburg 2012. Alle Rechte vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 – 54 URG ausdrücklich gestatten. Satz: Jens-Sören Mann. Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany.
INHALT
Einleitung. Von Elisabeth Ströker ....................................
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edmund husserl Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie Vorwort ...............................................................................
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I. Die Krisis der Wissenschaften als Ausdruck der radikalen Lebenskrisis des europäischen Menschentums
§ 1 Gibt es angesichts der ständigen Erfolge wirklich eine Krisis der Wissenschaften? .................................
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§ 2 Die positivistische Reduktion der Idee der Wissenschaft auf bloße Tatsachenwissenschaft. Die „Krisis“ der Wissenschaft als Verlust ihrer Lebensbedeutsamtkeit ........................................................................
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§ 3 Die Begründung der Autonomie des europäischen Menschentums mit der neuen Konzeption der Idee der Philosophie in der Renaissance ............................
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§ 4 Das Versagen der anfänglich gelingenden neuen Wissenschaft und sein ungeklärtes Motiv .......................
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§ 5 Das Ideal der universalen Philosophie und der Prozeß seiner inneren Auflösung ......................................
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§ 6 Die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie als Kampf um den Sinn des Menschen ...........................
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§ 7 Die Vorhabe der Untersuchungen dieser Schrift ......
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Inhalt
II. Die Ursprungsklärung des neuzeitlichen Gegensatzes zwischen physikalistischem Objektivismus und transzendentalem Subjektivismus
§ 8 Der Ursprung der neuen Idee der Universalität der Wissenschaft in der Umgestaltung der Mathematik
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§ 9 Die Mathematisierung der Natur. Galileis Konzeption der Natur als einer in sich geschlossenen Körperwelt ...............................................................................
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a) „Reine Geometrie“ .................................................. b) Der Grundgedanke der Galileischen Physik: Natur als mathematisches Universum .................. c) Das Problem der Mathematisierbarkeit der „Füllen“ .................................................................... d) Motivation der Galileischen Naturkonzeption .... e) Der Bewährungscharakter der naturwissenschaftlichen Fundamentalhypothese .................... f) Das Problem des naturwissenschaftlichen „Formel“-Sinnes ...................................................... g) Die Sinnentleerung der mathematischen Naturwissenschaft in der Technisierung .............. h) Die Lebenswelt als vergessenes Sinnesfundament der Naturwissenschaft ........................................... i) Verhängnisvolle Mißverständnisse als Folgen der Unklarheit über den Sinn der Mathematisierung ..................................................................... k) Grundsätzliche Bedeutung des Ursprungsproblems der mathematischen Naturwissenschaft ........................................................................ l) Methodische Charakteristik unserer Auslegung ...
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Inhalt
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§ 10 Der Ursprung des Dualismus in der herrschenden Vorbildlichkeit der Naturwissenschaft. Die Rationalität der Welt „more geometrico“ .........................
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§ 11 Der Dualismus als Grund für die Unfaßbarkeit der Vernunftprobleme, als Voraussetzung der Spezialisierung der Wissenschaften, als Grundlage der naturalistischen Psychologie ........................................
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§ 12 Gesamtcharakteristik des neuzeitlichen physikalistischen Rationalismus .............................................
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§ 13 Die ersten Schwierigkeiten des physikalistischen Rationalismus in der Psychologie: die Unfaßbarkeit der leistenden Subjektivität .....................................
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§ 14 Vordeutende Charakteristik des Objektivismus und Transzendentalismus. Das Ringen dieser beiden Ideen als der Sinn der neuzeitlichen Geistesgeschichte ...................................................................
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§ 15 Reflexion über die Methode unserer historischen Betrachtungsart ........................................................
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§ 16 Descartes als Urstifter sowohl der neuzeitlichen Idee des objektivistischen Rationalismus als auch des ihn sprengenden transzendentalen Motivs .......
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§ 17 Descartes’ Rückgang zum „ego cogito“. Sinnauslegung der Cartesianischen Epoche .........................
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§ 18 Descartes’ Selbstmißdeutung: die psychologistische Verfälschung des durch die Epoche gewonnenen reinen Ego ..................................................................
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§ 19 Descartes’ vordringliches Interesse am Objektivismus als Grund seiner Selbstmißdeutung .................
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§ 20 Die „Intentionalität“ bei Descartes ..........................
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§ 21 Descartes als Ausgang der beiden Entwicklungslinien des Rationalismus und Empirismus .............
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§ 22 Lockes naturalistisch-erkenntnistheoretische Psychologie ......................................................................
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Inhalt
§ 23 Berkeley. – David Humes Psychologie als fiktionalistische Erkenntnistheorie: der „Bankrott“ der Philosophie und Wissenschaft .......................................
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§ 24 Das im Widersinn der Humeschen Skepsis verborgene echte philosophische Motiv der Erschütterung des Objektivismus .....................................................
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§ 25 Das „transzendentale“ Motiv im Rationalismus: Kants Konzeption einer Transzendentalphilosophie .............................................................................
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§ 26 Vorerörterung über den uns leitenden Begriff des „Transzendentalen“ ................................................... 106 § 27 Die Philosophie Kants und seiner Nachfahren in der Perspektive unseres Leitbegriffs vom „Transzendentalen“. Die Aufgabe einer kritischen Stellungnahme ................................................................. 107
III. Die Klärung des transzendentalen Problems und die darauf bezogene Funktion der Psychologie
A. Der Weg in die phänomenologische Transzendentalphilosophie in der Rückfrage von der vorgegebenen Lebenswelt aus ................................................... 111 § 28 Die unausgesprochene „Voraussetzung“ Kants: die selbstverständlich geltende Lebensumwelt ............. 111 § 29 Die Lebenswelt ist erschließbar als ein Reich „anonym“ gebliebener subjektiver Phänomene .............. 120 § 30 Der Mangel einer anschaulich-aufweisenden Methode als Grund für die mythischen Konstruktionen Kants ........................................................................... 123 § 31 Kant und die Unzulänglichkeit der damaligen Psy-
Inhalt
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chologie. Die Undurchsichtigkeit des Unterschiedes von transzendentaler Subjektivität und Seele ........ 125 § 32 Die Möglichkeit einer verborgenen Wahrheit in Kants Transzendentalphilosophie: das Problem einer „neuen Dimension“. Der Antagonismus zwischen „Flächenleben“ und „Tiefenleben“ ................. 127 § 33 Das Problem der „Lebenswelt“ als ein Teilproblem im allgemeinen Problem der objektiven Wissenschaft ........................................................................... 130 § 34 Exposition des Problems einer Wissenschaft von der Lebenswelt ................................................................. 133 a) Differenz von objektiver Wissenschaft und Wissenschaft überhaupt ........................................ b) Die Benützung der subjektiv-relativen Erfahrung für die objektiven Wissenschaften und die Wissenschaft von ihnen ......................................... c) Ist das Subjektiv-Relative Gegenstand der Psychologie? ........................................................... d) Die Lebenswelt als Universum prinzipieller Anschaubarkeit – die „objektiv-wahre“ Welt als prinzipiell unanschauliche „logische“ Substruktion .................................................................. e) Die objektiven Wissenschaften als subjektive Gebilde – als die einer besonderen, der theoretisch-logischen Praxis, selbst zur vollen Konkretion der Lebenswelt gehörig ............................ f) Das Problem der Lebenswelt anstatt als Teilproblem vielmehr als philosophisches Universalproblem ................................................................... § 35 Analytik der transzendentalen Epoché. Das Erste: die Epoché von der objektiven Wissenschaft ......... § 36 Wie kann die Lebenswelt nach der Epoché von den objektiven Wissenschaften zum Thema einer Wis-
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Inhalt
senschaft werden? Prinzipielle Scheidung zwischen dem objektiv-logischen Apriori und dem Apriori der Lebenswelt ........................................................... 149 § 37 Die formal-allgemeinsten Strukturen der Lebenswelt: Ding und Welt einerseits, Dingbewußtsein andererseits ..................................................................... 154 § 38 Die zwei möglichen Grundweisen, die Lebenswelt thematisch zu machen: die naiv-natürliche Geradehineinstellung und die Idee einer konsequent reflexiven Einstellung auf das Wie der subjektiven Gegebenheitsweise der Lebenswelt und der lebensweltlichen Objekte ..................................................... 155 § 39 Die Eigenart der transzendentalen Epoché als totale Änderung der natürlichen Lebenseinstellung ......... 160 § 40 Die Schwierigkeiten des echten Vollzugssinnes der totalen Epoché. Die Verführung, sie als eine schrittweise zu leistende Enthaltung von allen einzelnen Geltungen mißzuverstehen ....................................... 161 § 41 Die echte transzendentale Epoché ermöglicht die „transzendentale Reduktion“ – die Entdeckung und Erforschung der transzendentalen Korrelation von Welt und Weltbewußtsein ......................................... 164 § 42 Die Aufgabe der konkreten Vorzeichnung von Wegen einer wirklichen Durchführung der transzendentalen Reduktion ............................................ 165 § 43 Charakteristik eines neuen Weges zur Reduktion in Abhebung gegen den „cartesianischen Weg“ ........... 166 § 44 Die Lebenswelt als Thema eines theoretischen Interesses, das durch eine universale Epoché hinsichtlich der Wirklichkeit der lebensweltlichen Dinge bestimmt ist ................................................................ 168 § 45 Anfänge einer konkreten Auslegung der Gegebenheiten sinnlicher Anschauung rein als solcher ........ 170
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§ 46 Das universale Korrelationsapriori .......................... 172 § 47 Hinweis auf weitere Forschungsrichtungen: die subjektiven Grundphänomene der Kinästhesen, des Geltungswandels, des Horizontbewußtseins und der Vergemeinschaftung der Erfahrung ......................... 174 § 48 Alles Seiende jeden Sinnes und jeder Region als Index eines subjektiven Korrelationssystems ......... 178 § 49 Vorläufiger Begriff der transzendentalen Konstitution als „ursprünglicher Sinnbildung“. Die exemplarische Enge der ausgeführten Analysen; Andeutung weiterer Auslegungshorizonte ................................... 181 § 50 Erste Ordnung aller Arbeitsprobleme unter den Titeln: Ego – cogito – cogitatum ................................... 185 § 51 Die Aufgabe einer „Ontologie der Lebenswelt“ ....... 187 § 52 Das Auftauchen paradoxer Unverständlichkeiten. Die Notwendigkeit neuer radikaler Besinnungen ... 189 § 53 Die Paradoxie der menschlichen Subjektivität: das Subjektsein für die Welt und zugleich Objektsein in der Welt ....................................................................... 194 § 54 Die Auflösung der Paradoxie: a) Wir als Menschen und wir als letztlich fungierend-leistende Subjekte ......................................... 197 b) Ich als Ur-Ich konstituiere meinen Horizont der transzendentalen Anderen als der Mitsubjekte der die Welt konstituierenden transzendentalen Intersubjektivität ................................................... 199 § 55 Die prinzipielle Korrektur unseres ersten Ansatzes der Epoché durch Reduktion derselben auf das absolut einzige letztlich fungierende Ego .................... 203
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Inhalt
B. Der Weg in die phänomenologische Transzendentalphilosophie von der Psychologie aus ........................ 206 § 56 Charakteristik der philosophischen Entwicklung nach Kant unter dem Gesichtspunkt des Kampfes zwischen physikalistischem Objektivismus und dem immer wieder sich meldenden „transzendentalen Motiv“ .... 206 § 57 Die verhängnisvolle Trennung von Transzendentalphilosophie und Psychologie .................................... 214 § 58 Verschwisterung und Verschiedenheit von Psychologie und Transzendentalphilosophie. Die Psychologie als das Feld der Entscheidungen .................... 221 § 59 Analyse der Umstellung aus der psychologischen Einstellung in die transzendentale. Die Psychologie „vor“ und „nach“ der phänomenologischen Reduktion. (Das Problem des „Einströmens“) ................... 226 § 60 Der Grund des Versagens der Psychologie: die dualistischen und physikalistischen Voraussetzungen 228 § 61 Die Psychologie in der Spannung zwischen (objektivistisch-philosophischer) Wissenschaftsidee und empirischem Verfahren: die Unvereinbarkeit der beiden Richtungen psychologischer Forschung (der psychophysischen und der „Psychologie aus innerer Erfahrung“) ................................................................ 231 § 62 Vorerörterung des Widersinns der prinzipiellen Gleichstellung von Seelen und Körpern als Realitäten: Hinweis auf die prinzipielle Differenz der Zeitlichkeit, der Kausalität, der Individuation bei Naturding und Seele ....................................................... 233 § 63 Fragwürdigkeit der Begriffe „äußere“ und „innere Erfahrung“. Warum gehört die Erfahrung vom lebensweltlichen Körperding, als Erfahrung von etwas „bloß Subjektivem“, nicht bislang in das Thema der Psychologie ................................................................. 237
Inhalt
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§ 64 Der Cartesianische Dualismus als Grund der Parallelisierung – Vom Schema: beschreibende und erklärende Wissenschaft ist nur das Formal-Allgemeinste berechtigt .................................................................... 238 § 65 Die Prüfung des Rechtes eines empirisch begründeten Dualismus durch Einleben in das faktische Verfahren der Psychologen und Physiologen .......... 242 § 66 Die Welt der allgemeinen Erfahrung; ihre regionale Typik und die in ihr möglichen Universalabstraktionen:“ Natur“ als Korrelat einer universalen Abstraktion, Problem der ergänzenden Abstraktion ... 244 § 67 Dualismus der erfahrungsbegründeten Abstraktionen. Die geschichtliche Fortwirkung des empiristischen Ansatzes (von Hobbes bis Wundt). Kritik des Datenempirismus ....................................................... 248 § 68 Die Aufgabe einer Auslegung des Bewußtseins als solchen: die universale Problematik der Intentionalität. (Brentanos Reformversuch der Psychologie) ... 251 § 69 Die psychologische Grundmethode der „phänomenologisch-psychologischen Reduktion“. (Erste Charakteristik: 1. das intentionale Bezogensein und die Epoché; 2. Stufen der deskriptiven Psychologie; 3. Etablierung des „uninteressierten Zuschauers“) 253 § 70 Die Schwierigkeiten der „psychologischen Abstraktion“. (Paradoxie des „intentionalen Gegenstandes“, das intentionale Urphänomen des „Sinnes“) ........... 260 § 71 Die Gefahr des Mißverstehens der „Universalität“ der phänomenologisch-psychologischen Epoché. Die entscheidende Bedeutsamkeit des richtigen Verständnisses .................................................................. 263 § 72 Das Verhältnis der transzendentalen Psychologie zur transzendentalen Phänomenologie als der eigentliche Zugang zur reinen Selbsterkenntnis. End-
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Inhalt
gültige Beseitigung des objektivistischen Ideals bei der Wissenschaft von der Seele ................................ 277 〈 § 73 Schlußwort: 〉 Die Philosophie als menschheitliche
Selbstbesinnung, Selbstverwirklichung der Vernunft 286 Namenregister .................................................................... 294 Sachregister ......................................................................... 295
Einleitung
Zum Krisis-Werk. Geschichte – Lebenswelt – Wissenschaft Mehr als alle anderen Werke Husserls hat sein letztes aus dem Jahr 1936 Aufsehen erregt; schien doch nicht nur das Thema der ,Krisis der europäischen Wissenschaften‘ neu, sondern vor allem, daß Husserl hier der Lebenswelt sich zuwandte, und dies in einer Eindringlichkeit, daß vielfach sogar von einer neuerlichen ,Wende‘ Husserls die Rede war. Gegen dieses Mißverständnis, das anfangs noch zusätzlich genährt sein mochte durch Husserls Absicht, dieses späte Werk abermals als eine ,Einleitung‘ in die phänomenologische Philosophie vorzulegen, sollte indes sogleich daran erinnert werden, daß Husserl auch in diesem Werk sich voll und ganz der transzendentalen Phänomenologie sowie ihrer keineswegs preisgegebenen Endabsicht einer strengen philosophischen Wissenschaft verschrieben hat – so sehr, daß er bemüht war, die Fundamente seiner Phänomenologie noch einmal tiefer zu legen und von der Lebenswelt her nicht nur die Begründung der positiven Wissenschaften, sondern auch die Selbstbegründung der phänomenologischen Philosophie noch einmal auf neuen Wegen zu versuchen. Auch ist schwerlich zu übersehen, daß Husserl, was Idee und Absicht der phänomenologischen Philosophie betrifft, im Krisis-Werk nur in neuer Weise aufnimmt, was er dazu bereits in der ,Formalen und transzendentalen Logik‘ ausgeführt hatte. Denn was sich dort im ersten Teil der Einleitung seines sieben Jahre zuvor verfaßten Werkes findet, hätte, bis in einzelne Formulierungen und Wendungen hinein, ebensogut als Einführung jedenfalls in die grundsätzliche Problematik und Endabsicht der ,Krisis‘ stehen können. Damit kann das Neuartige im Krisis-Werk selbstverständlich nicht bestritten werden. Und so sichtbar dieses in der Tat auch in der Behandlung der Lebenswelt-Problematik besteht, so deutlich ist doch andererseits, daß es vor allem und allem anderen zuvor zunächst die Einbeziehung von Tradition und
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Elisabeth Ströker
Geschichte war, die Husserls letztes Werk so spürbar von allen vorhergehenden schied.1 Auch ging es hier nicht um Geschichte jenes Typus wie in der Ersten Philosophie von 1923, die lediglich einen ideengeschichtlichen Hintergrund für Husserls Unternehmen gebildet hatte, das seinerzeit selber noch wesentlich ungeschichtlich verstanden worden war. Vielmehr ist Husserl mittlerweile zu einer Auffassung von Geschichte gekommen, die es verlangt, in die Grundlegung der Phänomenologie selber einbezogen zu werden und folglich ihre intentionalen zu intentionalhistorischen Analysen fortzubilden fordert. Das bedeutet zugleich, daß Husserl Geschichte nunmehr nicht in der Art mundaner Geschichtsforschung betreibt, sondern daß er in konsequenter Verfolgung seines konstitutionsanalytischen Ansatzes nunmehr auf ,Sinnsedimente‘ der eigenen Philosophie stößt, welche unabweisbar auch den Index der Geschichtlichkeit tragen. Ausdruck dessen ist Husserls wiederholt betonte „Notwendigkeit der Geschichte“ für die Phänomenologie. Die Unverzichtbarkeit der Rückbesinnung auf die eigenen Sinnesvoraussetzungen hat ihn schließlich zu der Einsicht geführt, daß „wir nicht nur geistiges Erbe haben, sondern auch durch und durch nichts anderes als historisch-geistig Gewordene sind“, und daß damit auch alle vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, über die seine Philosophie bisher hinweggeglitten war, nichts anderes seien als „Vorurteile …, Unklarheiten aus einer traditionalen Sedimentierung“ (S. 78), die es, wie deren andere auch, zu reaktivieren gelte. Zugleich stellt Husserl das Erfordernis „eingehender historischer und kritischer Rückbesinnungen“ unter eine bemerkenswerte Zielsetzung der Phänomenologie. Indem er ihr ein radikales Selbstverständnis zur Pflicht macht mit der „Rückfrage, was je als Philosophie gewollt und durch alle historisch miteinander kommunizierenden Philosophen und Philo1
Dazu P. Janssen, Ontologie und Lebenswelt, Den Haag 1970; ders. Ontologie, Wissenschaftstheorie und Geschichte im Spätwerk Husserls, in: U. Claesges und K. Held (Hg.), Perspektiven transzendentalphänomenologischer Forschung, Den Haag 1972, S. 145 – 163. Ferner die eingehende Studie von D. Carr, Phenomenology and the Problem of History, Evanston 1974.
Einleitung
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sophien fortgewollt war“ (S. 19), sucht Husserl ein eigentümliches Telos in der Philosophiegeschichte zur Geltung zu bringen, das ihren Gang seit der griechischen Antike, der Urstätte der europäischen Philosophie und Wissenschaft, bestimmt habe: die Idee universaler Wissenschaft zu verwirklichen, und zwar in jenem umfassenden Sinn, in dem das Streben nach Erkenntnis der Welt die Forderung kritischer Rechenschaftsablage einschloß, und zwar nach Prinzipien der dem Menschen eingeborenen Vernunft, welche zugleich für menschliches Handeln und Verhalten schlechthin verbindlich sein sollten. Wenn Husserl in solchen Zusammenhängen auch und in nachgerade beschwörenden Formulierungen davon spricht, daß wir als Philosophen „Funktionäre der Menschheit“ seien (S. 18), so will diese vielleicht befremdlich anmutende Emphase eines Denkers, den, wenn irgendeinen, der unbeirrbare Wille zur Sachlichkeit ausgezeichnet hat, im größeren Kontext seines Werkes verstanden sein, der sich ihm nicht nur zuletzt abermals geweitet hatte zu einem historischen Kontext, sondern der als dieser auch – und über längere Jahre bereits, als es im Krisis-Werk zur Darstellung kam – aus der Vergewisserung des eigenen zeitgeschichtlichen Ortes reflektiert worden war. Wenn Husserl die allgemeine Situation seiner Zeit als eine Krisensituation verstand, so war dies keineswegs nur Ausdruck seines persönlichen Lebensschicksals. Vielmehr konnte Husserl sich darin mit vielen seiner Zeitgenossen inmitten der geistigen und politischen Wirren seiner Zeit einig sehen. Sein geschärftes Problembewußtsein hatte ihn zudem, bei aller imposanten Entwicklung der positiven Wissenschaften und ihrer technischen Effizienz, niemals übersehen lassen, daß trotz der unbestreitbaren und auch von ihm selbst bejahten Nützlichkeit der Wissenschaften doch deren Lebensbedeutsamkeit mehr und mehr schwand. So betraf die „Krise der Wissenschaften“ auch keineswegs ihre Wissenschaftlichkeit, sondern das, „was Wissenschaft überhaupt dem menschlichen Dasein … bedeuten kann“ (S. 5).2 2
Zu Husserls Begriff der durch die neuzeitlichen Wissenschaften geprägten und die gesamte westliche Zivilisation einbeziehenden „euro-
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Elisabeth Ströker
Schon im 17. Jahrhundert hatte sich mit der beginnenden Mathematisierung der Natur durch Galilei eine folgenreiche Sinnwandlung menschlichen Weltverständnisses vollzogen. Indem die Quantifizierung von Gegebenheiten einer vorwissenschaftlichen Erfahrungswelt eine objektive Erkenntnis völlig neuer Art und eine völlig neue „Voraussicht“ der Welt mir ihrer Berechenbarkeit geschaffen hatte, setzte sich eine allgemeine Methode der Erkenntnis der Wirklichkeit durch, die fortan den Rang des einzig verläßlichen Zugangs zur Wahrheit über die Natur gewann. Husserl ist dieser „Verwandlung der Idee der Welt überhaupt“ genauer in seinem berühmten ,Galilei-Paragraphen‘ (S. 23 ff.) nachgegangen – einem bei aller skizzenhaften Knappheit in seiner gedanklichen Dichte meisterhaften Lehrstück seiner intentionalhistorischen Analyse, die beispielhaft zeigt, was Husserl hier, sehr im Unterschied zu einer problemhistorischen Darstellung mundaner Geschichte, unter „innerer Historie“ verstand, nämlich die Freilegung unbefragter Traditionalität durch die Rückkehr in die „ursprüngliche Sinngebung der Methode“ (S. 50). Nur so war diese für ihn in ihrem Sinn als spezifische Leistung der Wissenschaften für die Welterkenntnis verstehbar zu machen. Den eigentlichen Grund der Krise der Wissenschaften sah Husserl jedoch in einer Krise der Philosophie, die es nicht vermocht hatte, dem neuzeitlichen Objektivismus und Naturalismus die leistende Subjektivität zurückzugeben, welche, im Gefolge des cartesischen Dualismus, nicht nur aus dem Bannkreis der Wissenschaften, sondern auch des philosophischen Fragens ausgeschieden war (S. 70 ff.). Sie erneut zur Geltung zu bringen und die platonische Idee einer vernunftbegründeten, universalen philosophischen Wissenschaft restituieren zu päischen Kultur“ und ihrer Krise bes. aufschlußreich die umfänglichen Ergänzenden Texte in der Edition der Husserliana VI., hrsg. von W. Biemel. Vgl. ferner E. Ströker, Edmund Husserls Phänmenologie: Philosophia Perennis in der Krise der europäischen Kultur, Husserl Studies 5, 1988, S. 197–217, auch in Phänomenologische Forschungen, Band 22, 1989, S. 11–38.
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wollen konnte freilich nicht gegen die positiven Wissenschaften und nicht abseits ihrer geschehen, sondern nur mit ihnen, indem die Philosophie sie auf ihre letzterreichbaren Geltungsursprünge zurückführte und von ihnen her verstehbar machte, was es mit ihnen für die Natur- und Menschenwelt auf sich hat. Es waren Besinnungen dieser Art, die Husserl auf die Lebenswelt führten. Ihre Untersuchung, beginnend erst im dritten Teil des Krisis-Werkes, nimmt eine denkwürdige Stellung ein. Im schlicht verstandenen Sinne Welt unseres alltäglichen erfahrenden Lebens, unaufhebbar relativ auf menschliche Subjektivität, kulturell begrenzt, geschichtlich wandelbar und vor allem längst in der westlichen Welt durch Wissenschaft und Technik geprägt und zwar in einer Weise, daß beide für lebensweltliche Strukturen nachgerade mitkonstitutiv geworden sind, könnte eine so verstandene Lebenswelt „in voller Konkretion“ weder als Stätte des Ursprungs für wissenschaftliche Idealisierungen und Konstruktionen ausgemacht werden, noch konnte sie ohne weiteres als Ausgangspunkt für einen neuen Weg in die transzendentale Phänomenologie dienen. Da Husserl der Lebenswelt aber diese beiden Funktionen zugewiesen hat, kann es sich hier für Husserl weder in dem einen noch in dem anderen Fall bei der Lebenswelt um phänomenologisch schlicht Vorgegebenes handeln. Vielmehr muß für die eine wie für die andere Funktion die zum Ausgangspunkt genommene ,Lebenswelt‘ bereits das Ergebnis einer jeweils anders zweckorientierten methodologischen Reflexion Husserls sein. Einige Mehrdeutigkeiten in Husserls Lebensweltbegriff lassen sich auf diesen Tatbestand, der allerdings Husserl selber nicht ,thetisch‘ bewußt geworden zu sein scheint, zurückführen.3 Bereits in den intentionalhistorischen Ausführungen kommt die Lebenswelt in jener Funktion ins Spiel, die Husserl ihr als ,Boden‘ für die neuzeitliche Wissenschaft zugedacht hat. Aus 3
Aufschlußreich dazu U. Claesges, Zweideutigkeiten in Husserls Lebenswelt-Begriff, in: ders. und K. Held (Hg.), a. a. O. (wie in Anm. 1), S. 85–101. Dazu auch E. Ströker, Husserls transzendentale Phänomenologie, Frankfurt/M. 1987, S. 199 ff.
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ihnen ergibt sich füglich auch die Frageperspektive, die hier den Blick auf die Lebenswelt bestimmt. Dabei ist von Husserl mehr in der verwendeten sinngenetischen Begrifflichkeit indiziert als deutlich expliziert worden, daß es sich von allem Anfang an hier um eine transzendentalphänomenologische Perspektive handelt. Erst in der vollen Vergegenwärtigung ihrer transzendentalen Funktion, in welcher die Lebenswelt innerhalb der Epoché als Geltungsboden der Wissenschaft thematisiert, und das heißt, in jenen Grundstrukturen untersucht wird, die sie – unter Absehen alles dessen, was sie im vollen konkreten Sinne sonst noch ist – als lebensweltliches Sinnesfundament für die objektiven Wissenschaften tauglich machen, lassen sich einige Paradoxien auflösen, in die Husserl selber sich verstrickt sah und sogar meinte, „der Bodenlosigkeit unseres ganzen bisherigen Philosophierens“ innewerden zu müssen (S. 142).4 Die dafür notwendigen Analysen, welche die ,Bodenfunktion‘ der Lebenswelt für die objektiven Wissenschaften präziser als eine sinngeschichtlich zu bestimmende Funktion hervortreten lassen könnten, hat Husserl, auch außerhalb des Krisis-Bandes, nur in wenigen Teilstücken noch durchführen können. Daß er ihr nicht mehr Detailforschung gewidmet hat, dürfte indessen auch daran gelegen haben, daß er der Lebenswelt noch eine zweite Funktion zugeschrieben hat. Denn das Grundlagenproblem der objektiven Wissenschaften, dessen Lösung vom Boden der Lebenswelt aus angegangen werden sollte, hat sich für Husserl alsbald als das „eigentliche und universalste Problem“ (S. 145) damit ergeben, daß die Lebenswelt 4
Aus der umfänglichen Literatur zur Lebenswelt-Problematik bei Husserl, die sich überwiegend in Form von Abhandlungen in Sammelbänden findet, sei hier – nicht zuletzt wegen der dort angegebenen weiterführenden Literatur zum Thema – nur hingewiesen auf die Beiträge von W. Biemel, R. Boehm, D. Carr, G. Funke, P. Janssen, I. Kern, K. Schuhmann, R. Sokolowski, E. Ströker u. B. Waldenfels in: E. Ströker (Hg.), Lebenswelt und Wissenschaft in der Philosophie Edmund Husserls, Frankfurt/M. 1979, sowie auf die einschlägige Literatur in E. Ströker und P. Janssen, Phänomenologische Philosophie, Handbuch Philosophie, Freiburg/München 1989, S. 351–395.
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kein phänomenologisch unhintergehbar Letztgegebenes ist, sondern daß sie ihrerseits konstitutionsanalytischer Aufklärung und tieferen Eindringens in ihre eigenen ,Sinnesfundamente‘ bedarf. Damit aber wird sie zum Leitfaden des intentionalanalytischen Rückgangs in ihre eigenen konstitutiven Bedingungen, und sie kann dies nur so werden, daß die hier neu ansetzende Begründungsarbeit der transzendentalen Phänomenologie Wissenschaft und Lebenswelt gleichermaßen dient. Die Entfaltung dieser ,Leitfadenfunktion‘ verlangt abermals eine veränderte Blickrichtung auf die Lebenswelt in ihrer konkreten Vorgegebenheit. Darin nichts anderes als ein universaler, unthematischer Horizont präreflexiven, praktischen Lebens, kann sie für die Phänomenologie einerseits zum Thema gemacht werden dergestalt, daß nach ihren allgemeinsten Strukturen gefragt wird. Diese Aufgabe einer ,Ontologie der Lebenswelt‘ im Sinne einer allgemeinen Wesenslehre lebensweltlicher Onta hat Husserl nur grob umrissen, da er sich vor der größeren und die lebensweltliche Ontologie mitumspannenden Aufgabe einer neuen Grundlegung seiner Transzendentalphilosophie sah. Diese zu lösen verlangte für Husserl aber auch eine erneute Vergewisserung und Sicherung des phänomenologischen Zugangs zur Sinnfrage der Lebenswelt in der transzendentalen Reduktion. So kommt es zu einer erneuten Verhandlung der transzendentalen Epoché (S. 146 ff.), die nun ihrerseits nicht nur erneuter Sinnklärung, sondern auch der Erörterung einer „Sinnumwandlung“ bedarf (S. 167 f.) – und zwar dadurch, daß Husserl mit der Thematisierung der Lebenswelt auch die letztfungierende transzendentale Subjektivität einer neuen Betrachtung unterziehen muß. Gehört zur Lebenswelt wesentlich ihre Subjektrelativität, so ist also diese eine ihrer strukturellen Invarianten, deren Untersuchung bereits in die Ontologie der Lebenswelt gehörte. Dann aber gilt es, die Lebenswelt in ihrer Leitfadenfunktion dergestalt in den Blick zu nehmen, daß sie auch in denjenigen Relationen hervortritt, die wesentlich als „Relativitäten“ strukturiert sind. Zu ihrer weitverzweigten Typik gehören aber nicht nur alle Korrelationen räumlich-zeitlich-kausaler
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Art, die durch die Leiblichkeit des einzelnen Subjekts bedingt sind, sondern auch des weiteren alle korrelativen Gegebenheiten, die sich aus menschlichen Sozietäten und ihren kommunikativen Verflechtungen ergeben – alle Kulturgebilde mithin, die zugleich in relativer Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit die Geschichtlichkeit der Lebenswelt bedingen und, abweichend von aller Veränderung in der außermenschlichen Natur, ihre strukturell historische Wandelbarkeit ausmachen. Geht es mithin für Husserl nunmehr darum, daß das Subjekt vor allen transzendentalphänomenologischen Vorkehrungen zunächst in dem erfaßt werde, was es als Menschen-Ich in Wechselseitigkeit mit anderen ist und was es in Gemeinschaft mit ihnen zum Sinn lebensweltlichen Seins beizutragen vermag, so ist damit nicht nur endlich der ursprüngliche Ort ausgemacht, an dem die Frage der Intersubjektivität, angemessener als in den Cartesianischen Meditationen, zu stellen ist; es muß sich auch für ein dergestalt primär lebensweltlich existierendes und allererst als dieses in phänomenologischer Reflexion ursprünglich ,erfahrenes‘ Subjekt das Problem von Sinn und Leistung seiner transzendentalen Reduktion neu auftun. Hat die Leitfadenfunktion der Lebenswelt für die Grundlegung der transzendentalen Phänomenologie in gewisser Weise einen Aufschub der transzendentalen Reduktion notwendig gemacht, da in einer dergestalt gesichteten Lebenswelt zwangsläufig auch ihre strukturelle Bezogenheit auf menschliche Subjekte zum Zuge kommen muß, so sind es nunmehr diese in ihrer Vorgängigkeit vor jeder transzendentalphänomenologischen Maßnahme, von denen her erst die phänomenologische Reduktion als ausdrückliche Vornahme unter einer ganz bestimmten Zielsetzung verständlich gemacht werden muß. Daß mit ihr das „Eingangstor“ (S. 277) zum Feld der transzendentalen Erfahrung erreicht wird, das ist jetzt nicht länger mehr als Entscheidung eines gleichsam willkürlich, weil ohne zureichende Motivgrundlage tätigen Willens darzustellen, sondern als eine Möglichkeit, die das Subjekt ,von‘ seiner konkreten Lebenswirklichkeit ,her‘ zu ergreifen vermag und dann auch zu ergreifen hat, wenn sich ihm Fragen der Sinnklärung und Sinnursprünge seines lebensweltlichen Seins stellen.
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Indem das Subjekt sich dergestalt reflektiv seinem eigenen weltlichen Leben zuwendet, vermag es sich selbst allererst als transzendentales Subjekt zu entdecken. Und solches selbstreflektive Gewahren bedeutet denn auch nicht einen Erkenntniserwerb seiner selbst von der Art, als würde es damit zu einem ,transmundanen‘ zweiten Ich, welches fortan dann über irgendeine Spaltung seiner selbst in zwei Iche zu meditieren und „paradoxe Unverständlichkeiten“ auszuräumen hätte, die Husserl freilich, ohne alle Beschönigung und Glättung hier auftretender Schwierigkeiten, auf eine letztverbindliche Selbstbegründung seiner phänomenologischen Philosophie zukommen sah (S. 189–196). Vielmehr entdeckt sich nun das Subjekt in der Epoché als das, was es je schon ist und nur in einer ihm selbst bis dahin unbekannten „Anonymität“ immer schon gewesen ist. Daß sich damit die Frage der Selbstidentifikation des Subjekts aufs neue stellt wie ebenso die Aufgabe der Auslegung der transzendentalen Reduktion und der durch sie zu erreichenden Einsichten, liegt auf der Hand. Auch das mag Husserl bewegt haben, im Anschluß an den Begründungsversuch seiner Philosophie von der Lebenswelt aus noch einmal einen letzten Weg in die transzendentale Phänomenologie zu versuchen, der nunmehr von der Psychologie aus begangen werden soll.5 Daraus versteht sich einerseits die relative Selbständigkeit des letzten Teils in Husserls Krisis-Werk (S. 206 ff.). Andererseits knüpft Husserl hier unübersehbar auch an seine letzten Erörterungen über die Lebenswelt als Leitfaden für den Rückgang in die Gründe der transzendentalen Phänomenologie an. Insgesamt ist dieser abermals neue und letzte Weg Husserls 5
Die drei Wege zur transzendentalphänomenologischen Reduktion in der Philosophie Edmund Husserls verfolgt unter gleichnamigem Titel eingehend I. Kern, in: Tijdschrift voor Philosophie 24, 1962, S. 303–349. Speziell zu Husserls ,Weg‘ über die Psychologie im letzten Teil des KrisisWerks E. Ströker, Husserls letzter Weg zur Transzendentalphilosophie im Krisis-Werk, Zeitschrift für Philosophische Forschung, Bd. 35, Heft 2, 1981, S. 165–183 (amerikanisch in South Western Journal of Philosophy, Vol. IX, Nr. 3, 1980, S. 67–87), ferner in: dies., Phänomenologische Studien, Frankfurt/M. 1987, S. 115–138.
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in die transzendentale Phänomenologie von ausnehmender Schwierigkeit. Sie ist bereits dadurch angezeigt, daß Husserl – anscheinend jeder Metapher des ,Weges‘ zuwiderlaufend – unzweideutig nicht nur seine transzendentale Phänomenologie in undiskutierter Selbstverständlichkeit als bekannt voraussetzt, sondern von ihr auch in seinen Darlegungen zur Psychologie von Anfang an Gebrauch macht. Auch kann es verwirren, wenn Husserl hier die Stadien, in denen die Beziehungen von Psychologie undtranszendentaler Phänomenologie dargelegt werden, in Begriffen wie „Verschwisterung“, „Paradoxie“, „Verwandlung“ und „Identität“ beschreibt. Besondere und besonders schwierig zu entwirrende Verhältnisse bestehen zwischen Psychologie und Phänomenologie offenkundig bereits dadurch, daß es nicht nur hier wie dort dasselbe Subjekt ist, welches bloß das eine Mal als empirisches Subjekt Objekt der psychologischen Forschung wäre, während es das andere Mal sich als transzendentales Subjekt zu erkennen Gelegenheit hätte. Vielmehr gibt es sowohl in der Psychologie Probleme der Identifizierung von Subjekt und Objekt des Forschens – also bereits in der natürlichen Einstellung dieser Wissenschaft –, als auch in der transzendentalen Phänomenologie, und hier dergestalt, daß zum einen jene empirischpsychologische Doppelung des Subjekts konstitutionsphänomenologisch aufzuklären ist, daß zum anderen aber auch das Subjekt hier nicht nur in sich selbst als quasi einfach vorgegebenes empirisches Subjekt, sondern auch als jenes zweifache der Psychologie in seiner „Anonymität“ als leistende transzendentale Subjektivität ausgemacht werden muß. Husserls ,Weg‘ besteht nun im Grunde darin, daß Husserl, und zwar im Lichte schon vorausgesetzter transzendentaler Phänomenologie, zunächst mehrere Stufen der Psychologie als Stufen ihrer eigenen möglichen Selbstklärung vorführt, welche von der empirischen zu einer transzendentalen Psychologie führen, um diese schließlich mit der phänomenologischen Transzendentalphilosophie soweit verschmolzen zu sehen, daß er beide – scheinbar – in eins setzt. Gegen den möglichen Einwand der Zirkularität eines solchen Vorgehens ist Husserl keineswegs blind geblieben. In-
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dessen handelt es sich hier nicht um einen circulus vitiosus, sondern um einen jener reflektiven Zirkel, in dem ein schon Gewußtes den Ansatzpunkt dafür abgeben muß, damit nach ihm selber genauer gefragt und es in den Status des klar Erkannten gebracht werden kann. Analog verhält es sich auch mit dem ,Weg‘ der Husserlschen Transzendentalphilosophie im Ausgang von der Psychologie, welcher nichts anderes ist als ein Weg zu ihr selbst in einer neuen Selbstvergewisserung: Der Weg, den Husserl zunächst für die Psychologie – und zwar bereits in der Begrifflichkeit seiner transzendentalen Phänomenologie – nachzeichnet, ist prinzipiell kein anderer als der Weg einer neuen Selbstaufklärung der Husserlschen Transzendentalphilosophie ,im Wege‘ oder mittels der Psychologie. Beginnend mit der empirischen Psychologie und ihren Typen von Erfahrungen, sei es in der experimentellen oder der deskriptiven Psychologie (S. 231 ff.), sieht Husserl zumal in der phänomenologischen Reflexion auf die letztere sie nicht nur prinzipiell als eidetische Psychologie, sondern auch in praxi so gehandhabt, daß der Psychologe in seinem Berufsleben eine eigentümliche „psychologische Reduktion“ durchführt (S. 253 ff.) dahingehend, daß er während seiner Erforschung fremden personalen Seelenlebens sich jeder eigenen „Stellungnahme“ zu diesem enthält und eigene „Mitgeltungen“ daran „inhibiert“. Offenkundig ist nun diese psychologische Reduktion nach Verfahren und Resultat mit der transzendentalen Reduktion identisch; und wenn Husserl jene in diese umschlagen sieht (S. 276), so bezieht sich diese Wendung nicht deskriptiv auf den Vorgang der Reduktion, sondern allein auf die Entdeckung des Phänomenologen, daß beide identisch sind. Die naheliegende Frage, ob damit die phänomenologische Transzendentalphilosophie und die transzendentale Psychologie identisch, ja ob jene nichts anderes als diese sei, ist mit der von Husserl hier in der Tat behaupteten Identität (S. 279 f.) nicht zureichend genau beantwortet. Wohl wäre die Forschung des Psychologen in der psychologischen Reduktion als ,an sich‘ transzendentalphilosophische zu charakterisieren; doch betreibt der Psychologe sie nicht im Wissen dieser Qualifizierung; indessen der Transzendentalphi-
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losoph sich dieses Wissen auch ,für sich‘ zu eigen macht. Doch wäre dieser Unterschied noch nicht alles. Die psychologische Reduktion, ihrer Struktur nach in der Tat keine andere als die transzendentalphänomenologische Reduktion, ist damit wie diese nicht mehr und nicht weniger als jenes „Eingangstor“, ohne daß es als solches schon erkennen lassen könnte, wofür es Zugang bietet. „Die leere Allgemeinheit der Epoché klärt noch nichts auf …“, und innerhalb ihrer muß allererst die „neue Welt der reinen Subjektivität entdeckt werden … Die wirkliche Entdeckung ist Sache der konkreten, höchst diffizilen und differenzierten Arbeit“ (S. 277). Die damit angezeigten notwendigen Einzelanalysen hat Husserl nicht mehr ausführen können. Folgt man ihm indes auf seinem letzten Weg in die transzendentale Phänomenologie im einzelnen und insbesondere in dem, was ihm aus dem Aspekt der transzendentalen Reduktion als einer psychologischen aus der von ihm im weitesten Sinne gefaßten mundanen Psychologie an Grundzügen weltlicher Erfahrung, insbesondere der menschlichen Subjekte in ihrem Miteinander, schärfer als bisher zu sehen möglich war, so bietet dieser Weg zur Selbstklärung der transzendentalen Phänomenologie jedenfalls prinzipielle Ansätze für eine fällige Neuverhandlung des Verhältnisses von mundaner und transzendentaler Erfahrung des Subjekts innerhalb der Epoché, die auch seiner transzendentalen Selbsterfahrung zugute kommen muß. Insofern hat Husserl hier indirekt auch frühere Mängel seiner transzendentalen Phänomenologie aufgedeckt und seinen letzten Weg in die transzendentale Phänomenologie als einen Weg der Selbstkritik gezeigt. Darum darf vielleicht dieser Weg als der beste von allen Husserlschen Wegen in die Transzendentalphilosophie gelten. Freilich ist er nicht weniger als die früheren eben nur dies geblieben: Weg und nichts weiter in die transzendentale Phänomenologie. Aber damit ist noch kaum etwas von dem erfaßt, was diese Phänomenologie leisten – und somit, was sie sein kann. Die transzendentale Reduktion und Epoché, Husserls Eigenstes und wahrhaft das Herzstück seiner phänomenologischen Transzendentalphilosophie, um das sein Denken von Anfang bis Ende kreiste, auch in der nie nachlassenden Sorge,
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es könne nicht nur in seiner Bedeutung unterschätzt, sondern auch mißverstanden werden, wenn nicht gar unverstanden bleiben, ist auch für ihn selbst in der Klärung seines Sinnes letztlich eine unvollendete Aufgabe geblieben.6 Nur „Anfänge“ auch hier also – wie alles für Husserl nur „Anfänge“ waren, was er, neben den nie aussetzenden Selbstreflexionen über das eigene Tun, in zahllosen Einzelanalysen wirklich getan und in der von ihm so oft apostrophierten „handanlegenden Arbeit“ sich abgefordert und zu leisten vermocht hat. Ihm persönlich blieb es ein Geringes; und sein einzig in Anspruch genommenes Verdienst war ganz zuletzt, sich wohl einen „absoluten Anfänger“ nennen zu dürfen (S. 145). Eindrucksvoller aber, als ihm in der Selbstvergessenheit seines fünfzigjährigen unablässigen Mühens um die ,Sache‘ der Philosophie wohl selbst bewußt, in seinem eigenen Sinne reflektiv „thematisch“ zu werden vermochte, ist Husserl nicht nur Schöpfer, sondern auch Vollender eines neuen Stils des Philosophierens geworden. Mit dem Begriff der „Arbeitsphilosophie“ unzureichend nur umschrieben, bedeutet er Form und Ethos eines philosophischen Lebens, das im dauernden, kritisch-besinnlichen Neubeginn die Möglichkeit der Vollendung auch im Endlichen hat.
editorische hinweise
Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, Husserls letztes, unvollendetes Werk, geht auf Vorträge zurück, die er 1935 in Wien und Prag gehalten hat. Die beiden thematisch zusammenhängenden Prager Vorträge, die er am 14. und 15. November unter dem Titel „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die Psychologie“ hielt, gestaltete er anschließend mit bedeutenden Erweiterun6
Dazu und zu den prinzipiellen Schwierigkeiten der Husserlschen „Anfänge“ L. Landgrebe, Das Problem des Anfangs der Philosophie in der Phänomenologie Husserls, in: ders., Faktizität und Individuation, Studien zu den Grundfragen der Phänomenologie, Hamburg 1982, S. 21–37.
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gen zu einer größeren Schrift aus, die eine neue und „eigenständige Einleitung in die transzendentale Phänomenologie“ (Vorwort) darstellt. Von dieser erschienen zu Husserls Lebzeiten nur die Teile I und II als ein Artikel im 1. Band der von Arthur Liebert in Belgrad herausgegebenen Zeitschrift Philosophia (1936, S. 77–176). Zur Vollendung dieser auf fünf Teile angelegten Schrift, die, da sie in Deutschland nicht mehr erscheinen konnte, zunächst in einer Serie weiterer Artikel in der Philosophia und dann auch in Buchform veröffentlicht werden sollte, kam es nicht mehr, da Husserl nach langer Krankheit im April 1938 starb. Zur Druckreife gelangte lediglich noch das Manuskript des dritten Teils der Krisis, in dem die Problematik der „Lebenswelt“ entfaltet wird. Dieses von Eugen Fink, Husserls letztem Assistenten, aus dem nicht mehr vorhandenen stenographischen Original transkribierte, maschinenschriftliche Manuskript wurde von Husserl handschriftlich überarbeitet und ergänzt (Archiv-Signatur M III 5 III 1 und 2). Die vorliegende Ausgabe der Krisis, die den Band 292 der „Philosophischen Bibliothek“ (Hamburg 31996) ersetzt, bietet den 73 Paragraphen umfassenden Haupttext nach Band VI der Husserliana (Edmund Husserl, Gesammelte Werke), der 1956 unter dem Titel Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie bei Martinus Nijhoff in Den Haag in 2. Auflage erschien (11954). Der Gestaltung des Textes lag für die §§ 1–27 Husserls Artikel in der Philosophia (ohne sein kurzes Vorwort) und für die §§ 28–71 das Manuskript M III 5 III 1 und 2 zugrunde. Den Paragraphen 72 bildet ein nicht transkribierter Text aus dem Manuskript K III 6 (Bl. 230–236), der von Husserl als zur Krisis-Abhandlung gehörig gekennzeichnet worden ist. Der Text des vom Herausgeber als ,Schlußwort‘ angefügten § 73 ist demselben Manuskript (Bl. 150–156) entnommen. Seitenwechsel des Bandes VI der Husserliana werden durch Trennstriche ( | ) im Text und zugehörige Marginalien wiedergegeben.
EDMUND HUSSERL
Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie
Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie
Vorwort
Die Schrift, die ich mit der vorliegenden Abhandlung beginne und in einer Kette von weiteren Artikeln in der „Philosophia“ vollenden werde, macht den Versuch, auf dem Wege einer teleologisch-historischen Besinnung auf die Ursprünge unserer kritischen wissenschaftlichen und philosophischen Situation die unausweichliche Notwendigkeit einer transzendentalphänomenologischen Umwendung der Philosophie zu begründen. Sonach wird sie zu einer eigenständigen Einleitung in die Transzendentale Phänomenologie. Erwachsen ist die Schrift in der Ausarbeitung der Gedanken, die den wesentlichen Inhalt eines Vortragszyklus bildeten, den ich einer freundlichen Einladung des „Cercle Philosophique de Prague pour les recherches sur l’entendement humain“ folgend, im November 1935 zur Hälfte in den gastlichen Räumen der Deutschen und der Tschechischen Universität zu Prag gehalten habe.
I. Die Krisis der Wissenschaften als Ausdruck der radikalen Lebenskrisis des europäischen Menschentums
§ 1 Gibt es angesichts der ständigen Erfolge wirklich eine Krisis der Wissenschaften?
Ich muß darauf gefaßt sein, daß an dieser den Wissenschaften gewidmeten Stätte schon der Titel dieser Vorträge: „Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die Psychologie“1 Widerspruch errege. Eine Krisis unserer Wissenschaften schlechthin, kann davon ernstlich gesprochen werden? Ist diese heutzutage vielgehörte Rede nicht eine Übertreibung? Die Krisis einer Wissenschaft besagt doch nichts minderes, als daß ihre echte Wissenschaftlichkeit, daß die ganze Weise, wie sie sich ihre Aufgabe gestellt und dafür ihre Methodik ausgebildet hat, fraglich geworden ist. Das mag für die Philosophie zutreffen, die ja in unserer Gegenwart der Skepsis, dem Irrationalismus, dem Mystizismus zu erliegen droht. Soweit die Psychologie noch philosophische Ansprüche erhebt und nicht bloß eine unter den positiven Wissenschaften sein will, mag für sie dasselbe gelten. Aber wie könnte geradehin und ganz ernstlich von einer Krisis der Wissenschaften überhaupt, also auch der positiven Wissenschaften gesprochen werden: darin der reinen Mathematik, der exakten Naturwissenschaften, die wir doch nie aufhören können, als Vorbilder strenger und höchst erfolgreicher Wissenschaftlichkeit zu bewundern? Gewiß erwiesen sie sich im Gesamtstil ihrer systematischen Theoretik und Methodik als wandelbar. Sie durchbrachen jüngst erst eine in dieser Hinsicht unter dem Titel klassische Physik drohende Erstarrung, drohend als vermeintliche klassische Vollendung ihres jahrhundertelang bewährten Stils. Aber bedeutet | denn der siegreiche Kampf gegen das Ideal der klassischen Physik, und ebenso der noch fortgehende Streit um die sinngemäß echte Aufbauform der reinen Mathematik, daß die vorhergehende 1
So war der anfängliche Titel des Prager Vortragszyklus.
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Physik und Mathematik noch nicht wissenschaftlich waren, oder daß sie, wenn schon behaftet mit gewissen Unklarheiten oder Abblendungen, nicht doch in ihrem Arbeitsfeld evidente Einsichten erwarben? Sind es nicht auch für uns, die von diesen Blenden Befreiten, zwingende Einsichten? Verstehen wir von daher, uns in die Einstellung der Klassizisten zurückversetzend, nicht vollkommen, wie in ihr alle die großen und für immer gültigen Entdeckungen zustande gekommen sind und zudem die Fülle der technischen Erfindungen, welche der Bewunderung der früheren Generationen so guten Grund gaben? Ob die Physik repräsentiert wird durch einen Newton oder einen Planck oder Einstein oder wen immer sonst in der Zukunft, sie war immer und bleibt exakte Wissenschaft. Sie bleibt es selbst, wenn diejenigen recht haben, die da meinen, daß eine absolut letzte Gestalt des Aufbaustiles der gesamten Theoretik nie zu erwarten, nie zu erstreben ist. Ähnliches gilt offenbar aber auch für eine andere große Wissenschaftsgruppe, die wir zu den positiven Wissenschaften zu rechnen pflegen, nämlich für die konkreten Geisteswissenschaften – mag es sich mit ihrer strittigen Rückbeziehung auf das Ideal der naturwissenschaftlichen Exaktheit verhalten wie immer –, eine Fraglichkeit, die übrigens auch schon das Verhältnis der biophysischen („konkret“-naturwissenschaftlichen) Disziplinen zu denjenigen der mathematisch exakten Naturwissenschaften betrifft. Die Strenge der Wissenschaftlichkeit aller dieser Disziplinen, die Evidenz ihrer theoretischen Leistungen und ihrer dauernd zwingenden Erfolge ist außer Frage. Nur für die Psychologie, wie sehr sie für die konkreten Geisteswissenschaften die abstrakte, letztlich erklärende Grundwissenschaft zu sein prätendiert, werden wir vielleicht nicht so sicher sein. Aber den offenbaren Abstand in Methode und Leistung als den einer naturgemäß langsameren Entwicklung einschätzend, wird man doch ziemlich allgemein auch sie mitgelten lassen. Jedenfalls ist der Kontrast der „Wissenschaftlichkeit“ dieser Wissenschaftsgruppen gegenüber der „Unwissenschaftlichkeit“ der Philosophie unverkennbar. Wir gestehen demnach dem ersten inneren Protest der | ihrer Methode sicheren Wissenschaftler gegen den Titel der Vorträge vorweg ein Recht zu.
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§ 2 Die positivistische Reduktion der Idee der Wissenschaft auf bloße Tatsachenwissenschaft. Die „Krisis“ der Wissenschaft als Verlust ihrer Lebensbedeutsamkeit
Vielleicht aber, daß uns doch von einer anderen Betrachtungsrichtung her, nämlich im Ausgang von den allgemeinen Klagen über die Krisis unserer Kultur und von der dabei den Wissenschaften zugeschriebenen Rolle, Motive erwachsen, die Wissenschaftlichkeit aller Wissenschaften einer ernstlichen und sehr notwendigen Kritik zu unterwerfen, ohne darum ihren ersten, in der Rechtsmäßigkeit methodischer Leistungen unangreifbaren Sinn von Wissenschaftlichkeit preiszugeben. Die soeben vorgedeutete Änderung der ganzen Betrachtungsrichtung wollen wir in der Tat in die Wege leiten. In der Durchführung werden wir bald dessen innewerden, daß der Fraglichkeit, an welcher die Psychologie nicht erst in unseren Tagen, sondern schon seit Jahrhunderten krankt – einer ihr eigentümlichen „Krisis“ –, eine zentrale Bedeutung zukommt für das Zutagetreten von rätselhaften, unauflöslichen Unverständlichkeiten der modernen, selbst der mathematischen Wissenschaften und in Verbindung damit für ein Auftauchen einer Art von Welträtseln, die den früheren Zeiten fremd waren. Sie alle führen eben auf das Rätsel der Subjektivität zurück und hängen daher mit dem Rätsel der psychologischen Thematik und Methode untrennbar zusammen. Dies nur als erste Vordeutung über den tieferen Sinn des Vorhabens in diesen Vorträgen. Unseren Ausgang nehmen wir von einer an der Wende des letzten Jahrhunderts hinsichtlich der Wissenschaften eingetretenen Umwendung der allgemeinen Bewertung. Sie betrifft nicht ihre Wissenschaftlichkeit, sondern das, was sie, was Wissenschaft überhaupt, dem menschlichen Dasein bedeutet hatte und bedeuten kann. Die Ausschließlichkeit, in welcher sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die ganze Weltanschauung des modernen Menschen von den positiven Wissenschaften bestimmen und von der ihr verdankten „prosperity“ blenden ließ, bedeutete ein gleichgültiges Sichabkehren von den Fragen, die für ein echtes | Menschentum die entscheidenden sind. Bloße
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Tatsachenwissenschaften machen bloße Tatsachenmenschen. Die Umwendung der öffentlichen Bewertung war insbesondere nach dem Kriege unvermeidlich, und sie ist, wie wir wissen, in der jungen Generation nachgerade zu einer feindlichen Stimmung geworden. In unserer Lebensnot – so hören wir – hat diese Wissenschaft uns nichts zu sagen. Gerade die Fragen schließt sie prinzipiell aus, die für den in unseren unseligen Zeiten den schicksalvollsten Umwälzungen preisgegebenen Menschen die brennenden sind: die Fragen nach Sinn oder Sinnlosigkeit dieses ganzen menschlichen Daseins. Fordern sie nicht in ihrer Allgemeinheit und Notwendigkeit für alle Menschen auch allgemeine Besinnungen und ihre Beantwortung aus vernünftiger Einsicht? Sie betreffen schließlich den Menschen als in seinem Verhalten zur menschlichen und außermenschlichen Umwelt frei sich entscheidenden, als frei in seinen Möglichkeiten, sich und seine Umwelt vernünftig zu gestalten. Was hat über Vernunft und Unvernunft, was hat über uns Menschen als Subjekte dieser Freiheit die Wissenschaft zu sagen? Die bloße Körperwissenschaft selbstverständlich nichts, sie abstrahiert ja von allem Subjektivieren. Was andererseits die Geisteswissenschaften anlangt, die doch in allen besonderen und allgemeinen Disziplinen den Menschen in seinem geistigen Dasein betrachten, also im Horizont seiner Geschichtlichkeit, so fordert, sagt man, ihre strenge Wissenschaftlichkeit, daß der Forscher alle wertenden Stellungnahmen, alle Fragen nach Vernunft und Unvernunft des thematischen Menschentums und seiner Kulturgebilde sorgsam ausschalte. Wissenschaftliche, objektive Wahrheit ist ausschließlich Feststellung dessen, was die Welt, wie die physische so die geistige Welt, tatsächlich ist. Kann aber die Welt und menschliches Dasein in ihr in Wahrheit einen Sinn haben, wenn die Wissenschaften nur in dieser Art objektiv Feststellbares als wahr gelten lassen, wenn die Geschichte nichts weiteres zu lehren hat, als daß alle Gestalten der geistigen Welt, alle den Menschen jeweils haltgebenden Lebensbindungen, Ideale, Normen, wie flüchtige Wellen sich bilden und wieder auflösen, daß es so immer war und sein wird, daß immer wieder Vernunft zum Unsinn, Wohltat zur Plage werden muß? Können wir uns damit beruhigen, kön-
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nen wir in dieser Welt leben, deren geschichtliches Geschehen nichts anderes ist als eine unaufhörliche Verkettung | von illusionären Aufschwüngen und bitteren Enttäuschungen?
§ 3 Die Begründung der Autonomie des europäischen Menschentums mit der neuen Konzeption der Idee der Philosophie in der Renaissance
Nicht immer war es so, daß die Wissenschaft ihre Forderung einer streng begründeten Wahrheit im Sinne jener Objektivität verstand, die unsere positiven Wissenschaften methodisch beherrscht und, weit über sie hinauswirkend, einem philosophischen und weltanschaulichen Positivismus Halt und allgemeine Verbreitung verschafft. Nicht immer waren die spezifischen Menschheitsfragen aus dem Reiche der Wissenschaft verbannt und ihre innere Beziehung zu allen Wissenschaften, selbst zu denen, in welchen nicht der Mensch das Thema ist (wie in den Naturwissenschaften), außer Betracht gestellt. Solange es sich noch anders verhielt, konnte die Wissenschaft für das sich seit der Renaissance völlig neu gestaltende europäische Menschentum eine Bedeutung beanspruchen, ja, wie wir wissen, für diese Neugestaltung die führende Bedeutung. Warum sie diese Führung verlor, warum es zu einer wesentlichen Änderung, zur positivistischen Einschränkung der Wissenschaftsidee kam – das nach seinen tieferen Motiven zu verstehen, ist für die Absicht dieser Vorträge von Wichtigkeit. Das europäische Menschentum vollzieht in der Renaissance bekanntlich in sich eine revolutionäre Umwendung. Es wendet sich gegen seine bisherige, die mittelalterliche Daseinsweise, es entwertet sie, es will sich in Freiheit neu gestalten. Sein bewundertes Vorbild hat es am antiken Menschentum. Diese Daseinsart will es an sich nachbilden. Was erfaßt es als das Wesentliche des antiken Menschen? Nach einigem Schwanken nichts anderes als die „philosophische“ Daseinsform: das frei sich selbst, seinem ganzen Leben, seine Regel aus reiner Vernunft, aus der Philosophie Geben. Theoretische Philosophie ist das Erste. Eine überlegene Welt-
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betrachtung, frei von den Bindungen des Mythos und der Tradition überhaupt, soll ins Werk gesetzt werden, eine universale Welt- und Menschenerkenntnis in absoluter Vorurteilslosigkeit – schließlich in der Welt selbst die ihr innewohnende Vernunft und Teleologie und ihr oberstes Prinzip: Gott, erkennend. Philosophie | als Theorie macht nicht bloß den Forscher, sie macht jeden philosophisch Gebildeten frei. Der theoretischen Autonomie folgt die praktische. In dem die Renaissance leitenden Ideal ist der antike Mensch der sich in freier Vernunft einsichtig Formende. Darin liegt für den erneuerten „Platonismus“: es gilt, nicht nur sich selbst ethisch, sondern die ganze menschliche Umwelt, das politische, das soziale Dasein der Menschheit aus freier Vernunft, aus den Einsichten einer universalen Philosophie neu zu gestalten. Gemäß diesem antiken, zunächst in einzelnen und kleinen Kreisen sich durchsetzenden Vorbild soll wieder eine theoretische Philosophie werden, die nicht blind traditionalistisch übernommen, sondern aus selbsteigener Forschung und Kritik neu werden soll. Hier ist Nachdruck darauf zu legen, daß die von den Alten überkommene Idee der Philosophie nicht der uns geläufige Schulbegriff ist, der nur eine Gruppe von Disziplinen befaßt: sie ändert sich zwar nicht unwesentlich alsbald nach der Übernahme, formell behält sie aber in den ersten Jahrhunderten der Neuzeit den Sinn der einen allbefassenden Wissenschaft, der Wissenschaft von der Totalität des Seienden. Wissenschaften im Plural, alle je zu begründenden und alle schon in Arbeit stehenden sind nur unselbständige Zweige der Einen Philosophie. In einer kühnen, ja überschwenglichen Steigerung des Sinnes der Universalität, die schon mit Descartes einsetzt, erstrebt diese neue Philosophie nichts Geringeres, als in der Einheit eines theoretischen Systems alle überhaupt sinnvollen Fragen streng wissenschaftlich zu umfangen in einer apodiktisch einsichtigen Methodik und in einem unendlichen, aber rational geordneten Progressus der Forschung. Ein einziger, von Generation zu Generation ins Unendliche fortwachsender Bau endgültiger, theoretisch verbundener Wahrheiten sollte also alle erdenklichen Probleme beantworten – Tatsachenpro-
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bleme und Vernunftprobleme, Probleme der Zeitlichkeit und der Ewigkeit. Der positivistische Begriff der Wissenschaft in unserer Zeit ist also – historisch betrachtet – ein Restbegriff. Er hat alle die Fragen fallen gelassen, die man in die bald engeren, bald weiteren Begriffe von Metaphysik einbezogen hatte, darunter alle die unklar sogenannten „höchsten und letzten Fragen“. Genau besehen haben sie, und alle zum Ausschluß gekommenen | überhaupt, ihre unabtrennbare Einheit darin, daß sie, sei es ausdrücklich, sei es in ihrem Sinn impliziert, die Probleme der Vernunft – der Vernunft in allen ihren Sondergestalten – enthalten. Ausdrücklich ist sie das Thema in den Disziplinen von der Erkenntnis (sc. der wahren und echten, der vernünftigen Erkenntnis), von der wahren und echten Wertung (echte Werte als Werte der Vernunft), von der ethischen Handlung (das wahrhaft gute Handeln, das Handeln aus praktischer Vernunft); dabei ist Vernunft ein Titel für „absolute“, „ewige“, „überzeitliche“, „unbedingt“ gültige Ideen und Ideale. Wird der Mensch zum „metaphysischen“, zum spezifisch philosophischen Problem, so ist er in Frage als Vernunftwesen, und ist seine Geschichte in Frage, so handelt es sich um den „Sinn“, um die Vernunft in der Geschichte. Das Gottesproblem enthält offenbar das Problem der „absoluten“ Vernunft als der teleologischen Quelle aller Vernunft in der Welt, des „Sinnes“ der Welt. Natürlich ist auch die Frage der Unsterblichkeit eine Vernunftfrage, wie nicht minder die Frage der Freiheit. Alle diese „metaphysischen“ Fragen, weit gefaßt, die spezifisch philosophischen in der üblichen Rede, übersteigen die Welt als Universum der bloßen Tatsachen. Sie übersteigen sie eben als Fragen, welche die Idee Vernunft im Sinne haben. Und sie alle beanspruchen eine höhere Dignität gegenüber den Tatsachenfragen, die auch in der Frageordnung unter ihnen liegen. Der Positivismus enthauptet sozusagen die Philosophie. Schon in der antiken Idee der Philosophie, die ihre Einheit in der untrennbaren Einheit alles Seins hat, war mitgemeint eine sinnvolle Ordnung des Seins und daher der Seinsprobleme. Demgemäß kam der Metaphysik, der Wissenschaft von den höchsten und letzten Fragen, die Würde der Königin der Wis-
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senschaften zu, deren Geist allen Erkenntnissen, denen aller anderen Wissenschaften, erst den letzten Sinn zumaß. Auch das übernahm die sich erneuernde Philosophie, ja sie glaubte sogar, die wahre universale Methode entdeckt zu haben, durch die sich eine solche systematische und in der Metaphysik kulminierende Philosophie müsse aufbauen lassen, und zwar ernstlich als philosophia perennis. Von daher verstehen wir den Schwung, der alle wissenschaftlichen Unternehmungen, aber auch die bloß tatsachenwissenschaftlichen der Unterstufe beseelte, der im 18. Jahrhundert, | das sich selbst das philosophische nannte, immer weitere Kreise mit Begeisterung für Philosophie und für alle Einzelwissenschaften als ihre Verzweigungen erfüllte. Daher jener heiße Bildungsdrang, jener Eifer für eine philosophische Reform des Erziehungswesens und der gesamten sozialen und politischen Daseinsformen der Menschheit, welcher dieses vielgeschmähte Zeitalter der Aufklärung so verehrungswürdig macht. Ein unvergängliches Zeugnis für diesen Geist besitzen wir in dem herrlichen Schiller-Beethovenschen Hymnus „An die Freude“. Heutzutage können wir diesen Hymnus nur mit schmerzlichen Gefühlen nachverstehen. Kein größerer Kontrast ist denkbar als derjenige mit unserer Gegenwartssituation.
§ 4 Das Versagen der anfänglich gelingenden neuen Wissenschaft und sein ungeklärtes Motiv
Wenn nun das neue, von jenem hohen Geiste beseelte und beglückte Menschentum nicht standhielt, so konnte es nur dadurch geschehen, daß es den schwunggebenden Glauben an eine universale Philosophie seines Ideals und an die Tragweite der neuen Methode verlor. Und so geschah es wirklich. Es erwies sich, daß diese Methode sich nur in den positiven Wissenschaften in zweifellosen Erfolgen auswirken konnte. Anders in der Metaphysik, bzw. in den im besonderen Sinne philosophischen Problemen, obschon es auch hier nicht an hoffnungsreichen, scheinbar wohlgelingenden Anfängen fehlte. Die univer-
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sale Philosophie, in welcher diese Probleme – unklar genug – mit den Tatsachenwissenschaften verbunden waren, nahm die Gestalt eindrucksvoller, aber leider sich nicht einigender, sondern einander ablösender Systemphilosophien an. Mochte man noch im 18. Jahrhundert überzeugt sein, zur Einigung, zu einem durch keine Kritik zu erschütternden, von Generation zu Generation theoretisch sich erweiternden Bau zu kommen, so wie es in den positiven Wissenschaften unbestritten und unter allgemeiner Bewunderung der Fall war – auf die Dauer konnte sich diese Überzeugung nicht erhalten. Der Glaube an das seit Anfang der Neuzeit die Bewegungen dirigierende Ideal der Philosophie und der Methode geriet ins Wanken. Nicht etwa bloß aus dem äußerlichen Motiv, daß der Kontrast zwischen dem beständigen Mißlingen der Metaphysik und dem ungebrochenen und immer gewaltigeren An | schwellen der theoretischen und praktischen Erfolge der positiven Wissenschaften ins Ungeheure wuchs. Dergleichen wirkte auf die Außenstehenden, sowie auf die im spezialisierten Betriebe der positiven Wissenschaften immer mehr zu unphilosophischen Fachmännern gewordenen Wissenschaftler. Aber auch in den vom philosophischen Geiste ganz erfüllten und daher zentral an den obersten metaphysischen Fragen interessierten Forschern stellte sich ein immer vordringlicheres Gefühl des Versagens ein, und zwar bei ihnen aus tiefsten, obzwar ganz ungeklärten Motiven, die gegen die festgewurzelten Selbstverständlichkeiten des regierenden Ideals immer lauter Protest erhoben. Es kommt nun eine lange, von Hume und Kant bis in unsere Tage hineinreichende Zeit leidenschaftlichen Ringens, zu einem klaren Selbstverständnis der wahren Gründe dieses jahrhundertlangen Versagens durchzudringen. Natürlich eines Ringens, das sich in den ganz wenigen Berufenen und Auserlesenen abspielte, während die Masse der Übrigen schnell ihre Formel fand und findet, sich und ihre Leser zu beruhigen.
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§ 5 Das Ideal der universalen Philosophie und der Prozeß seiner inneren Auflösung
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Eine sonderbare Wendung des ganzen Denkens war die notwendige Folge. Philosophie wurde sich selbst zum Problem und zunächst begreiflicherweise in der Form der Möglichkeit einer Metaphysik, womit nach dem Frühergesagten implizite Sinn und Möglichkeit der ganzen Vernunftproblematik betroffen war. Was die positiven Wissenschaften anlangt, so standen sie zunächst als unangreifbar da. Doch das Problem einer möglichen Metaphysik umgriff eo ipso auch das der Möglichkeit der Tatsachenwissenschaften, die eben doch in der Untrennbaren Einheit der Philosophie ihren Beziehungssinn hatten, ihren Sinn als Wahrheiten für bloße Gebiete des Seienden. Ist Vernunft und Seiendes zu trennen, wo erkennende Vernunft bestimmt, was Seiendes ist? Die Frage genügt, im voraus die Andeutung verständlich zu machen, daß der gesamte geschichtliche Prozeß eine sehr merkwürdige, erst durch eine Auslegung der verborgenen innersten Motivation in Sicht kommende Gestalt hat: nicht die einer glatten Entwicklung, nicht die eines kontinuierlichen Wachstums bleibender geistiger Er | werbe oder einer aus den zufälligen historischen Situationen zu erklärenden Verwandlung der geistigen Gestalten, der Begriffe, der Theorien, der Systeme. Ein bestimmtes Ideal einer universalen Philosophie und einer dazugehörigen Methode macht den Anfang, sozusagen als Urstiftung der philosophischen Neuzeit und aller ihrer Entwicklungsreihen. Aber anstatt daß sich dieses Ideal in der Tat auswirken konnte, erfährt es eine innere Auflösung. Diese motiviert gegenüber den Versuchen seiner Fortführung und erneuernden Festigung revolutionäre Neugestaltungen, und dabei mehr oder minder radikale. So wird nun eigentlich das Problem des echten Ideals einer universalen Philosophie und ihrer echten Methode zur innersten Triebkraft aller historischen philosophischen Bewegungen. Das sagt aber, daß schließlich alle neuzeitlichen Wissenschaften nach dem Sinn, in dem sie als Zweige der Philosophie begründet wurden, und den sie danach dauernd in sich trugen, in eine eigenartige, immer mehr als rätselhaft empfundene Krisis hineingerieten.
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Es ist eine Krisis, welche das Fachwissenschaftliche in seinen theoretischen und praktischen Erfolgen nicht angreift und doch ihren ganzen Wahrheitssinn durch und durch erschüttert. Es handelt sich hierbei nicht um Angelegenheiten einer speziellen Kulturform, „Wissenschaft“ bzw. „Philosophie“ als einer unter anderen in der europäischen Menschheit. Denn die Urstiftung der neuen Philosophie ist nach dem früher Ausgeführten die Urstiftung des neuzeitlichen europäischen Menschentums, und zwar als eines Menschentums, das gegenüber dem bisherigen, dem mittelalterlichen und antiken, sich radikal erneuern will durch seine neue Philosophie und nur durch sie. Demnach bedeutet die Krisis der Philosophie die Krisis aller neuzeitlichen Wissenschaften als Glieder der philosophischen Universalität, eine zunächst latente, dann aber immer mehr zutage tretende Krisis des europäischen Menschentums selbst, in der gesamten Sinnhaftigkeit seines kulturellen Lebens, in seiner gesamten „Existenz“. Die Skepsis hinsichtlich der Möglichkeit einer Metaphysik, der Zusammenbruch des Glaubens an eine universale Philosophie als Führerin des neuen Menschen besagt eben den Zusammenbruch des Glaubens an die „Vernunft“, so verstanden, wie die Alten die Episteme der Doxa gegenüber setzten. Sie ist es, die allem | vermeintlich Seienden, allen Dingen, Werten, Zwecken letztlich Sinn gibt, nämlich ihre normative Bezogenheit auf das, was seit den Anfängen der Philosophie das Wort Wahrheit – Wahrheit an sich – und korrelativ das Wort Seiendes – ντως ν – bezeichnet. Damit fällt auch der Glaube an eine „absolute“ Vernunft, aus der die Welt ihren Sinn hat, der Glaube an den Sinn der Geschichte, den Sinn des Menschentums, an seine Freiheit, nämlich als Vermöglichkeit des Menschen, seinem individuellen und allgemeinen menschlichen Dasein vernünftigen Sinn zu verschaffen. Verliert der Mensch diesen Glauben, so heißt das nichts anderes als: er verliert den Glauben „an sich selbst“, an das ihm eigene wahre Sein, das er nicht immer schon hat, nicht schon mit der Evidenz des „Ich bin“, sondern nur hat und haben kann in Form des Ringens um seine Wahrheit, darum, sich selbst wahr zu machen. Überall ist wahres Sein ein ideales
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Ziel, eine Aufgabe der Episteme, der „Vernunft“, gegenübergesetzt dem in der Doxa fraglos „selbstverständlichen“, bloß vermeintlichen Sein. Im Grunde kennt jedermann diesen, auf sein wahres und echtes Menschentum bezogenen Unterschied, so wie ihm auch Wahrheit als Ziel, als Aufgabe, schon in der Alltäglichkeit nicht fremd ist: obgleich hier nur in Vereinzelung und Relativität. Aber die Philosophie übersteigt diese Vorgestalt, in der ersten originalen Urstiftung die antike Philosophie, indem sie die überschwengliche Idee einer universalen, auf das All des Seienden bezogenen Erkenntnis erfaßt und sich als ihre Aufgabe setzt. Indessen, eben im Versuch ihrer Erfüllung – und das macht sich schon im Gegeneinander der alten Systeme fühlbar – verwandelt sich immer mehr die naive Selbstverständlichkeit dieser Aufgabe in eine Unverständlichkeit. Immer mehr nimmt die Geschichte der Philosophie, von innen gesehen, den Charakter eines Kampfes ums Dasein an, nämlich als Kampfes der geradehin in ihrer Aufgabe sich auslebenden Philosophie – der Philosophie im naiven Glauben an die Vernunft – mit der sie negierenden oder empiristisch entwertenden Skepsis. Unablässig macht diese die tatsächlich erlebte Welt, die der wirklichen Erfahrung, geltend, als worin von der Vernunft und ihren Ideen nichts zu finden sei. Immer mehr wird die Vernunft selbst und ihr „Seiendes“ rätselhaft, oder wird die Vernunft – als die der seienden Welt von sich aus Sinn | gebende – und von der Gegenseite gesehen – Welt als aus der Vernunft her seiende –, bis schließlich das bewußt zutage gekommene Weltproblem der tiefsten Wesensverbundenheit von Vernunft und Seiendem überhaupt, das Rätsel aller Rätsel, zum eigentlichen Thema werden mußte. Unser Interesse gilt hier nur der philosophischen Neuzeit. Aber sie ist nicht ein bloßes Bruchstück des soeben bezeichneten, des größten historischen Phänomens: des um sein Selbstverständnis ringenden Menschentums (denn in diesem Ausdruck ist alles beschlossen). Vielmehr, als Neustiftung der Philosophie mit einer neuen universalen Aufgabe und zugleich mit dem Sinn einer Renaissance der alten Philosophie, ist sie ineins eine Wiederholung und eine universale Sinnverwandlung. In dieser hält sie sich für berufen, eine neue Zeit anzufangen,
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ihrer Idee der Philosophie und wahren Methode völlig sicher; sicher auch, durch ihren Radikalismus des neuen Anfangens, alle bisherigen Naivitäten und so alle Skepsis überwunden zu haben. Aber unvermerkt mit eigenen Naivitäten behaftet, ist es ihr Schicksal, auf dem Wege einer allmählichen, in neuen Kämpfen motivierten Selbstenthüllung die endgültige Idee der Philosophie, ihr wahres Thema, ihre wahre Methode allererst suchen, allererst die echten Welträtsel entdecken und auf die Bahn der Entscheidung bringen zu müssen. Wir Menschen der Gegenwart, in dieser Entwicklung geworden, finden uns in der größten Gefahr, in der skeptischen Sintflut zu versinken und damit unsere eigene Wahrheit fahren zu lassen. In dieser Not uns besinnend, wandert unser Blick zurück in die Geschichte unseres jetzigen Menschentums. Selbstverständnis und dadurch inneren Halt können wir nur gewinnen durch Aufklärung ihres Einheitsinnes, der ihr von ihrem Ursprung her eingeboren ist mit der neugestifteten, die philosophischen Versuche als Triebkraft bewegenden Aufgabe.
§ 6 Die Geschichte der neuzeitlichen Philosophie als Kampf um den Sinn des Menschen
Bedenken wir die Auswirkung der philosophischen Ideenentwicklung auf die gesamte (nicht selbst philosophisch forschende) Menschheit, so müssen wir sagen: Das innere Verständnis der in aller Widersprüchlichkeit einheitlichen Bewegtheit der neuzeitlichen Philosophie von Descar | tes bis zur Gegenwart ermöglicht allererst ein Verständnis dieser Gegenwart selbst. Die wahren, einzig bedeutungsvollen Kämpfe unserer Zeit sind die Kämpfe zwischen dem schon zusammengebrochenen Menschentum und dem noch bodenständigen, aber um diese Bodenständigkeit bzw. um eine neue ringenden. Die eigentlichen Geisteskämpfe des europäischen Menschentums als solchen spielen sich als Kämpfe der Philosophien ab, nämlich zwischen den skeptischen Philosophien – oder vielmehr Unphilosophien, die nur das Wort, nicht aber die Aufgabe behalten haben – und den wirklichen, noch lebendi-
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gen Philosophien. Deren Lebendigkeit aber besteht darin, daß sie um ihren echten und wahren Sinn ringen und damit um den Sinn eines echten Menschentums. Die latente Vernunft zum Selbstverständnis ihrer Möglichkeiten zu bringen und damit einsichtig zu machen die Möglichkeit einer Metaphysik als einer wahren Möglichkeit – das ist der einzige Weg, um eine Metaphysik bzw. universale Philosophie in den arbeitsvollen Gang der Verwirklichung zu bringen. Damit allein entscheidet sich, ob das dem europäischen Menschentum mit der Geburt der griechischen Philosophie eingeborene Telos, ein Menschentum aus philosophischer Vernunft sein zu wollen und nur als solches sein zu können – in der unendlichen Bewegung von latenter zu offenbarer Vernunft und im unendlichen Bestreben der Selbstnormierung durch diese seine menschheitliche Wahrheit und Echtheit –, ein bloßer historisch-faktischer Wahn ist, ein zufälliger Erwerb einer zufälligen Menschheit inmitten ganz anderer Menschheiten und Geschichtlichkeiten; oder ob nicht vielmehr im griechischen Menschentum erstmalig zum Durchbruch gekommen ist, was als Entelechie im Menschentum als solchem wesensmäßig beschlossen ist. Menschentum überhaupt ist wesensmäßig Menschsein in generativ und sozial verbundenen Menschheiten, und ist der Mensch Vernunftwesen (animal rationale), so ist er es nur, sofern seine ganze Menschheit Vernunftmenschheit ist – latent auf Vernunft ausgerichtet oder offen ausgerichtet auf die zu-sich-selbst gekommene, für-sichselbst offenbar gewordene und nunmehr in Wesensnotwendigkeit das menschheitliche Werden bewußt leitende Entelechie. Philosophie, Wissenschaft wäre demnach die historische Bewegung der Offenbarung der universalen, dem Men | schentum als solchem „eingeborenen“ Vernunft. So wäre es wirklich, wenn die bis heute noch nicht abgeschlossene Bewegung sich als die in der echten und rechten Weise in den Gang reiner Auswirkung gekommene Entelechie erwiesen hätte, oder wenn die Vernunft in der Tat für sich selbst vollbewußt in der ihr wesenseigenen Form offenbar geworden wäre, d. i. offenbar in der Form einer universalen, in konsequenter apodiktischer Einsicht fortwerdenden, in apodiktischer Methode sich durch sich selbst normierenden
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Philosophie. Erst damit wäre entschieden, ob das europäische Menschentum eine absolute Idee in sich trägt und nicht ein bloß empirischer anthropologischer Typus ist wie „China“ oder „Indien“; und wieder, ob das Schauspiel der Europäisierung aller fremden Menschheiten in sich das Walten eines absoluten Sinnes bekundet, zum Sinn der Welt gehörig und nicht zu einem historischen Unsinn derselben. Wir sind jetzt dessen gewiß, daß der Rationalismus des 18. Jahrhunderts, seine Weise, die geforderte Bodenständigkeit des europäischen Menschentums gewinnen zu wollen, eine Naivität war. Ist aber mit diesem naiven und, konsequent durchdacht, sogar widersinnigen Rationalismus der echte Sinn des Rationalismus preiszugeben? Und wie steht es mit der ernstlichen Aufklärung jener Naivität, jenes Widersinns, und wie mit der Rationalität des gepriesenen und uns zugemuteten Irrationalismus? Muß er nicht, wenn wir auf ihn hören sollen, uns als vernünftig erwägender und begründender überzeugen? Ist seine Irrationalität am Ende nicht wiederum eine engherzige und schlechte Rationalität und eine schlimmere als jene des alten Rationalismus? Ist es nicht sogar die der „faulen Vernunft“, welche dem Ringen um eine Klärung der letzten Vorgegebenheiten und der von ihnen aus letztlich und wahrhaft rational vorgezeichneten Ziele und Wege ausweicht? Doch genug daran, ich bin schnell vorausgeeilt, um die unvergleichliche Bedeutung empfindlich zu machen, die einer Aufklärung der tiefsten Motive der Krisis zukommt, in welche die neuzeitliche Philosophie und Wissenschaft schon sehr früh hineingeraten ist, und die sich in gewaltiger Steigerung bis in unsere Gegenwart forterstreckt. |
§ 7 Die Vorhabe der Untersuchungen dieser Schrift
Aber nun wir selbst, wir Philosophen dieser Gegenwart, was können, was müssen Besinnungen der soeben durchgeführten Art für uns bedeuten? Wollten wir hier nur eine akademische Rede hören? Können wir nur einfach wieder zurückkehren zur unterbrochenen Berufsarbeit an unseren „philosophischen Pro-
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blemen“, also zum Fortbau unserer eigenen Philosophie? Können wir das ernstlich bei der sicheren Aussicht, daß die unsere wie die aller gegenwärtigen und vergangenen Mitphilosophen nur ihr flüchtiges Tagesdasein haben wird innerhalb der Flora immer neu aufwachsender und sterbender Philosophien? Eben hierin liegt ja unsere eigene Not, unser aller, die wir nicht Literatenphilosophen sind, sondern, von den echten Philosophen der großen Vergangenheit erzogen, der Wahrheit leben und nur so lebend in unserer eigenen Wahrheit sind und sein wollen. Aber als Philosophen dieser Gegenwart sind wir in einen peinlichen existenziellen Widerspruch hineingeraten. Den Glauben an die Möglichkeit der Philosophie als Aufgabe, also an die Möglichkeit einer universalen Erkenntnis, können wir nicht fahren lassen. In dieser Aufgabe wissen wir uns als ernstliche Philosophen berufen. Und doch, wie den Glauben festhalten, der nur Sinn hat mit Beziehung auf das eine, einzige uns allen gemeinsame Ziel, auf die Philosophie? Wir sind dessen auch schon dem Allgemeinsten nach innegeworden, daß menschliches Philosophieren und seine Ergebnisse im gesamtmenschlichen Dasein nichts weniger als die bloße Bedeutung privater oder sonstwie beschränkter Kulturzwecke hat. Wir sind also – wie könnten wir davon absehen – in unserem Philosophieren Funktionäre der Menschheit. Die ganz persönliche Verantwortung für unser eigenes wahrhaftes Sein als Philosophen in unserer innerpersönlichen Berufenheit trägt zugleich in sich die Verantwortung für das wahre Sein der Menschheit, das nur als Sein auf ein Telos hin ist, und wenn überhaupt, zur Verwirklichung nur kommen kann durch Philosophie – durch uns, wenn wir im Ernste Philosophen sind. Gibt es hier – in diesem existenziellen „Wenn“ – ein Ausweichen? Sofern aber nicht, was sollen wir tun, um | glauben zu können, wir, die wir glauben? Wir, die wir unser bisheriges Philosophieren, das Philosophien, aber nicht Philosophie erhoffen läßt, ernstlich nicht fortsetzen können. Unsere erste historische Besinnung hat uns nicht nur die faktische Gegenwartslage und ihre Not als nüchterne Tatsache klargemacht, sie hat uns auch daran erinnert, daß wir als Philosophen nach der Zielstellung, die das Wort „Philoso-
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phie“ anzeigt, nach Begriffen, Problemen, nach Methoden Erben der Vergangenheit sind. Es ist klar (was könnte hier sonst helfen), daß es eingehender historischer und kritischer Rückbesinnungen bedarf, um vor allen Entscheidungen für ein radikales Selbstverständnis zu sorgen: durch Rückfrage nach dem, was ursprünglich und je als Philosophie gewollt und durch alle historisch mit einander kommunizierenden Philosophen und Philosophien hindurch fortgewollt war. Dies aber unter kritischer Erwägung dessen, was in Zielstellung und Methode diejenige letzte Ursprungsechtheit erweist, welche, einmal erschaut, den Willen apodiktisch bezwingt. Wie das wirklich durchzuführen ist, und was letztlich die unser existenzielles Sein als Philosophen entscheidende Apodiktizität eigentlich meinen soll, ist zunächst unklar. Im weiteren will ich versuchen, die Wege zu führen, die ich selber gegangen bin, deren Durchführbarkeit und deren Bodenfestigkeit ich in Jahrzehnten erprobt habe. Wir gehen also von nun an gemeinsam, gewappnet mit der äußersten skeptischen, aber ja nicht vorweg negativistischen Geisteshaltung. Wir versuchen, durch die Kruste der veräußerlichten „historischen Tatsachen“ der Philosophiegeschichte durchzustoßen, deren inneren Sinn, ihre verborgene Teleologie befragend, aufweisend, erprobend. Allmählich melden sich auf diesem Wege, zunächst wenig beachtet, aber immer dringlicher, Möglichkeiten für völlig neue Blickwendungen, verweisend in neue Dimensionen. Es regen sich nie gefragte Fragen, es zeigen sich nie betretene Arbeitsfelder, nie radikal verstandene und erfaßte Korrelationen. Schließlich nötigen sie, den Gesamtsinn der Philosophie, wie er durch alle historischen Gestalten hindurch der „selbstverständlich“ geltende war, grundwesentlich zu verwandeln. Es erweist sich mit der neuen Aufgabe und ihrem universalen apodiktischen Boden die praktische | Möglichkeit einer neuen Philosophie: durch die Tat. Es zeigt sich aber auch, daß auf diesen neuen Sinn von Philosophie die ganze Philosophie der Vergangenheit, obschon ihr selbst unbewußt, innerlich ausgerichtet war. In dieser Hinsicht wird insbesondere das tragische Versagen der neuzeitlichen Psychologie verständlich und erleuchtet werden; verständlich ihr historisches Dasein
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im Widerspruch: daß sie (in dem ihr historisch zugewachsenen Sinn) den Anspruch erheben mußte, die philosophische Grundwissenschaft zu sein, während sich daraus offenbar widersinnige Konsequenzen, die des sogenannten „Psychologismus“, ergaben. Ich versuche zu führen, nicht zu belehren, nur aufzuweisen, zu beschreiben, was ich sehe. Ich erhebe keinen anderen Anspruch als den, in erster Linie mir selbst gegenüber und demgemäß auch vor Anderen nach bestem Wissen und Gewissen sprechen zu dürfen als jemand, der das Schicksal eines philosophischen Daseins in seinem ganzen Ernste durchlebte. |
II. Die Ursprungsklärung des neuzeitlichen Gegensatzes zwischen physikalistischem Objektivismus und transzendentalem Subjektivismus
§ 8 Der Ursprung der neuen Idee der Universalität der Wissenschaft in der Umgestaltung der Mathematik
Als erstes gilt es jetzt, die wesentliche Verwandlung der Idee, der Aufgabe der universalen Philosophie zu verstehen, welche sich zu Beginn der Neuzeit bei der Übernahme der antiken Idee vollzogen hat. Von Descartes an regiert die neue Idee den gesamten Entwicklungsgang der philosophischen Bewegungen und wird zum inneren Motiv aller ihrer Spannungen. Die Umgestaltung setzt zunächst ein als eine solche hervorstechender Einzelwissenschaften des antiken Erbgutes: der Euklidischen Geometrie und der sonstigen griechischen Mathematik, in weiterer Folge der griechischen Naturwissenschaft. In unseren Augen sind das Stücke, Anfänge unserer entwickelten Wissenschaften. Man darf aber dabei die gewaltige Sinnwandlung nicht übersehen, in der zunächst der Mathematik (als Geometrie und als formalabstrakter Zahl- und Größenlehre) universale Aufgaben gestellt werden, und zwar eines prinzipiell neuen, den Alten fremden Stiles. Diese hatten zwar schon, von der Platonischen Ideenlehre geleitet, die empirischen Zahlen, Maßgrößen, die empirischen Raumfiguren, die Punkte, Linien, Flächen, Körper idealisiert, ineins damit die Sätze und Beweise der Geometrie in ideal-geometrische Sätze und Beweise verwandelt. Noch mehr. Mit der Euklidischen Geometrie war die höchst eindrucksvolle Idee einer auf ein weit- und hochgestecktes ideales Ziel ausgerichteten, systematisch einheitlichen deduktiven Theorie erwachsen, beruhend auf „axiomatischen“ Grundbegriffen | und Grundsätzen, in apodiktischen Schlußfolgerungen fortschreitend – ein Ganzes aus reiner Rationalität, ein in seiner unbedingten Wahrheit einsehbares Ganzes von lauter unbedingten unmittelbar und mittelbar einsichtigen Wahrheiten. Aber die Eukli-
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dische Geometrie und die alte Mathematik überhaupt kennt nur endliche Aufgaben, ein endlich geschlossenes Apriori. Dahin gehört auch das der Aristotelischen Syllogistik als ein allem anderen übergeordnetes Apriori. So weit kommt das Altertum. Niemals aber so weit, die Möglichkeit der unendlichen Aufgabe zu erfassen, die für uns mit dem Begriff des geometrischen Raumes wie selbstverständlich verknüpft ist und mit dem Begriff der Geometrie als ihm zugehörige Wissenschaft. Zum idealen Raum gehört für uns ein universales systematisch einheitliches Apriori, eine unendliche und trotz der Unendlichkeit in sich geschlossen einheitliche systematische Theorie, die, von axiomatischen Begriffen und Sätzen aufsteigend, jede erdenkliche, in den Raum einzuzeichnende Gestalt in deduktiver Eindeutigkeit zu konstruieren gestattet. Im voraus ist, was im geometrischen Raume idealiter „existiert“, in allen seinen Bestimmtheiten eindeutig entschieden. Unser apodiktisches Denken „entdeckt“ nur, nach Begriffen, Sätzen, Schlüssen, Beweisen etappenmäßig ins Unendliche fortschreitend, was im voraus, was an sich schon in Wahrheit ist. Die Konzeption dieser Idee eines rationalen unendlichen Seinsalls mit einer systematisch es beherrschenden rationalen Wissenschaft ist das unerhört Neue. Eine unendliche Welt, hier eine Welt von Idealitäten, ist konzipiert als eine solche, deren Objekte nicht einzelweise unvollkommen und wie zufällig unserer Erkenntnis zugänglich werden, sondern eine rationale, systematisch einheitliche Methode erreicht – im unendlichen Fortschreiten – schließlich jedes Objekt nach seinem vollen An-sich-Sein. So aber nicht nur hinsichtlich des idealen Raumes. Noch viel ferner lag den Alten die Konzeption einer ähnlichen, aber (als durch formalisierende Abstraktion entsprungen) allgemeineren Idee, die einer formalen Mathematik. Erst in den Anfängen der Neuzeit beginnt die eigentliche Eroberung und Entdeckung der unendlichen mathematischen Horizonte. Es er | wachsen Anfänge der Algebra, der Mathematik der Kontinua, der analytischen Geometrie. Mit der dem neuen Menschentum eigentümlichen Kühnheit und Originalität wird von da aus sehr bald das große Ideal einer in diesem neuen Sinne
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rationalen allumfassenden Wissenschaft antizipiert, bzw. die Idee: daß die unendliche Allheit des überhaupt Seienden in sich eine rationale Alleinheit sei, die korrelativ durch eine universale Wissenschaft, und zwar restlos, zu beherrschen sei. Lange ehe diese Idee ausgereift ist, ist sie schon als unklare oder halbklare Vorahnung für die weitere Entwicklung bestimmend. Jedenfalls mit der neuen Mathematik hat es nicht sein Bewenden. Alsbald greift ihr Rationalismus auf die Naturwissenschaft über und schafft für sie die völlig neue Idee der mathematischen Naturwissenschaft: der Galileischen, wie sie längerhin mit Recht genannt wurde. Sobald diese in den Gang einer glückenden Realisierung kommt, verwandelt sich die Idee der Philosophie (als Wissenschaft vom Weltall, vom All des Seienden) überhaupt.
§ 9 Galileis Mathematisierung der Natur
Für den Platonismus hatte das Reale eine mehr oder minder vollkommene Methexis am Idealen. Das gab für die antike Geometrie Möglichkeiten einer primitiven Anwendung auf die Realität. In der Galileischen Mathematisierung der Natur wird nun diese selbst unter der Leitung der neuen Mathematik idealisiert, sie wird – modern ausgedrückt – selbst zu einer mathematischen Mannigfaltigkeit. Was ist der Sinn dieser Mathematisierung der Natur, wie rekonstruieren wir den Gedankengang, der sie motivierte? Die Welt ist vorwissenschaftlich in der alltäglichen sinnlichen Erfahrung subjektiv-relativ gegeben. Jeder von uns hat seine Erscheinungen, und jedem gelten sie als das wirklich Seiende. Dieser Diskrepanz unserer Seinsgeltungen sind wir im Verkehr miteinander längst innegeworden. Wir meinen aber darum nicht, es seien viele Welten. Notwendig glauben wir an die Welt mit denselben uns nur verschieden erscheinenden Dingen. Ha | ben wir nichts weiter als die leere notwendige Idee von an sich objektiv seienden Dingen? Ist nicht in den Erscheinungen selbst ein Gehalt, den wir der wahren Natur zusprechen müssen? Dahin gehört doch – ich be-
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schreibe, ohne selbst Stellung zu nehmen, die das Galileische Denken motivierende „Selbstverständlichkeit“ – alles, was in der Evidenz absoluter Allgemeingültigkeit die reine Geometrie und überhaupt die Mathematik der reinen Raumzeitform hinsichtlich der in ihr idealiter konstruierbaren reinen Gestalten lehrt. Was in dieser „Selbstverständlichkeit“ Galileis lag, und was für ihn an weiteren Selbstverständlichkeiten hinzukam, die Idee einer mathematischen Naturerkenntnis in seinem neuen Sinne zu motivieren, bedarf einer sorgfältigen Auslegung. Wir beachten, daß er, der Naturphilosoph und „Bahnbrecher“ der Physik, noch nicht Physiker im vollen heutigen Sinne war; daß sein Denken sich noch nicht, wie das unserer Mathematiker und mathematischen Physiker, in einer anschauungsfernen Symbolik bewegte, und daß wir unsere, durch ihn und die weitere historische Entwicklung gewordenen „Selbstverständlichkeiten“ ihm nicht einlegen dürfen. a) „Reine Geometrie“
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Überlegen wir zunächst die „reine Geometrie“, die reine Mathematik der raumzeitlichen Gestalten überhaupt, Galilei als alte Tradition vorgegeben, in lebendiger Fortentwicklung begriffen – also dem Allgemeinen nach so, wie sie für uns selbst noch da ist als Wissenschaft von „reinen Idealitäten“, andererseits in ständiger praktischer Anwendung auf die Welt sinnlicher Erfahrung. So alltäglich vertraut ist der Wechsel zwischen apriorischer Theorie und Empirie, daß wir gewöhnlich geneigt sind, Raum und Raumgestalten, über welche die Geometrie spricht, von Raum und Raumgestalten der Erfahrungswirklichkeit nicht zu scheiden, als ob es einerlei wäre. Soll aber die Geometrie als Sinnesfundament der exakten Physik verstanden werden, müssen wir hierin und überhaupt sehr genau sein. Wir werden daher, um Galileis Gedankenbildung aufzuklären, nicht nur das, was ihn bewußt motivierte, rekonstruieren müssen. Vielmehr wird es auch lehr | reich sein, aufzuhellen, was in seinem Leitbild der Mathematik implizite beschlossen war, obschon es ihm bei seiner Interessenrichtung verschlossen
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blieb: als verborgene Sinnesvoraussetzung mußte es natürlich in seine Physik mit eingehen. In der anschaulichen Umwelt erfahren wir in der abstraktiven Blickrichtung auf die bloßen raumzeitlichen Gestalten „Körper“ – nicht geometrisch-ideale Körper, sondern eben die Körper, die wir wirklich erfahren und mit dem Inhalt, der wirklich Erfahrungsinhalt ist. Wie willkürlich wir sie in der Phantasie umdenken mögen: die freien, in gewissem Sinne „idealen“ Möglichkeiten, die wir so gewinnen, sind nichts weniger als die geometrisch-idealen Möglichkeiten, nicht die in den idealen Raum einzuzeichnenden geometrisch „reinen“ Gestalten – die „reinen“ Körper, die „reinen“ Geraden, die „reinen“ Ebenen, die „reinen“ Figuren sonst und die in „reinen“ Figuren verlaufenden Bewegungen und Deformationen. Geometrischer Raum besagt also nicht etwa phantasierter Raum und in Allgemeinheit: Raum einer, wie immer, phantasierbaren (erdenklichen) Welt überhaupt. Die Phantasie kann sinnliche Gestalten nur wieder in sinnliche Gestalten verwandeln. Und dergleichen Gestalten, ob in Wirklichkeit oder Phantasie, sind nur denkbar in Gradualitäten: des mehr oder minder Geraden, Ebenen, Kreisförmigen usw. Die Dinge der anschaulichen Umwelt stehen ja überhaupt und in allen ihren Eigenschaften im Schwanken des bloß Typischen; ihre Identität mit sich selbst, ihr Sich-selbst-Gleichsein und in Gleichheit zeitweilig Dauern ist ein bloß ungefähres, ebenso wie ihr Gleichsein mit anderem. Das greift in alle Veränderungen ein und in ihre möglichen Gleichheiten und Veränderungen. Entsprechendes gilt also auch für die abstrakt gefaßten Gestalten der empirisch anschaulichen Körper und ihrer Beziehungen. Diese Gradualität charakterisiert sich als eine solche größerer oder geringerer Vollkommenheit. Praktisch gibt es wie sonst auch hier ein Vollkommenes schlechthin in dem Sinne, daß das spezielle praktische Interesse dabei eben voll befriedigt ist. Aber im Wechsel der Interessen ist das für das eine als völlig genau Befriedigende es nicht mehr für das andere, wobei allerdings dem normalen technischen Vermögen der Vervollkommnung, dem Vermögen z. B., das Gerade noch gerader, die Ebene noch ebener zu machen, eine Grenze
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des Könnens gesetzt ist. Aber | mit der Menschheit schreitet die Technik fort, wie auch das Interesse für das technisch Feinere; und so schiebt sich das Ideal der Vollkommenheit immer weiter hinaus. Von daher haben wir auch immer schon einen offenen Horizont erdenklicher, immer weiter zu treibender Verbesserung. Ohne von hier aus tiefer in die Wesenszusammenhänge einzugehen (was systematisch nie geschehen und keineswegs leicht ist), werden wir schon verstehen, daß sich von der Vervollkommnungspraxis her, im freien Eindringen in die Horizonte erdenklicher Vervollkommnung im „Immer wieder“, überall Limes-Gestalten vorzeichnen, auf die hin als invariante und nie zu erreichende Pole die jeweilige Vervollkommnungsreihe hinläuft. Für diese idealen Gestalten interessiert und konsequent damit beschäftigt, sie zu bestimmen und aus den schon bestimmten neue zu konstruieren, sind wir „Geometer“. Und ebenso für die weitere Sphäre, die auch die Dimension der Zeit befaßt, sind wir Mathematiker der „reinen“ Gestalten, deren universale Form die selbst mitidealisierte Raumzeitform ist. Anstelle der realen Praxis – sei es also der handelnden oder die empirischen Möglichkeiten bedenkenden, die es mit wirklichen und real-möglichen empirischen Körpern zu tun hat – haben wir jetzt eine ideale Praxis eines „reinen Denkens“, das sich ausschließlich im Reiche reiner Limesgestalten hält. Diese sind durch die historisch längst ausgebildete, in intersubjektiver Vergemeinschaftung zu übende Methode der Idealisierung und Konstruktion zu habituell-verfügbaren Erwerben geworden, mit welchen man immer wieder Neues erarbeiten kann: eine unendliche und doch in sich geschlossene Welt idealer Gegenständlichkeiten als Arbeitsfeld. Wie alle durch menschliche Arbeitsleistung entspringenden Kulturerwerbe bleiben sie objektiv erkennbar und verfügbar, auch ohne daß ihre Sinnbildung stets wieder explizit erneuert werden müßte; sie werden aufgrund sinnlicher Verkörperung, z. B. durch Sprache und Schrift, schlicht apperzeptiv erfaßt und operativ behandelt. In ähnlicher Weise fungieren die sinnlichen „Modelle“, zu welchen insbesondere gehören die während der Arbeit beständig verwendeten Zeichnungen auf dem Papier, für das Lesend-
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Lernen die gedruckten Zeichnungen im Lehrbuch und dergleichen. Es ist ähnlich, wie sonst Kulturobjekte (Zangen, Bohrer usw.) | verstanden, schlicht „gesehen“ werden in ihren spezifischen Kultureigenschaften ohne jedes Wiederanschaulichmachen dessen, was solchen Eigenschaften ihren eigentlichen Sinn gab. In dieser Gestalt altverstandener Erwerbe dienen in der methodischen Praxis der Mathematiker die in den Verkörperungen sozusagen sedimentierten Bedeutungen. Und so ermöglichen sie ein geistiges Hantieren in der geometrischen Welt idealer Gegenständlichkeiten. (Geometrie vertritt uns hier überall die ganze Mathematik der Raumzeitlichkeit.) Aber in dieser mathematischen Praxis erreichen wir, was uns in der empirischen Praxis versagt ist: „Exaktheit“; denn für die idealen Gestalten ergibt sich die Möglichkeit, sie in absoluter Identität zu bestimmen, sie als Substrate absolut identischer und methodisch-eindeutig bestimmbarer Beschaffenheiten zu erkennen. Das aber nicht nur im einzelnen und nach einer allgemein gleichen Methode, die, an beliebig herausgegriffenen sinnlich anschaulichen Gestalten betätigt, die Idealisierung überall ausführen und die ihnen entsprechenden reinen Idealitäten in objektiver und eindeutiger Bestimmtheit originär schaffen könnte. In dieser Hinsicht sind einzelne Gebilde ausgezeichnet wie gerade Strecken, Dreiecke, Kreise. Es ist aber möglich – und das war die Entdeckung, die die Geometrie schuf – , mittels jener vorweg als allgemein verfügbar ausgezeichneten Elementargestalten und nach allgemein mit ihnen zu vollführenden Operationen nicht nur immer wieder andere Gestalten zu konstruieren, die vermöge der erzeugenden Methode intersubjektiv eindeutig bestimmt sind. Denn schließlich eröffnete sich die Möglichkeit, alle überhaupt erdenklichen idealen Gestalten in einer apriorischen, allumfangenden systematischen Methode konstruktiv eindeutig zu erzeugen. Die geometrische Methodik der operativen Bestimmung einiger und schließlich aller idealen Gestalten aus Grundgestalten, als den elementaren Bestimmungsmitteln, weist zurück auf die schon in der vorwissenschaftlich-anschaulichen Umwelt, zuerst ganz primitiv und dann kunstmäßig geübte Methodik des ausmessenden und überhaupt messenden Bestimmens. Dessen
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Abzweckung hat seinen einleuchtenden Ursprung in der Wesens | form dieser Umwelt. Die in ihr sinnlich erfahrbaren und sinnlich-anschaulich erdenklichen Gestalten und die in jeder Allgemeinheitsstufe erdenklichen Typen gehen kontinuierlich ineinander über. In dieser Kontinuität füllen sie die (sinnlich anschauliche) Raumzeitlichkeit als ihre Form aus. Jede Gestalt aus dieser offenen Unendlichkeit, auch wenn sie in der Realität als Faktum anschaulich gegeben ist, ist doch ohne „Objektivität“, sie ist so nicht intersubjektiv für jedermann – für jeden Anderen, der sie nicht zugleich faktisch sieht – bestimmbar, in ihren Bestimmtheiten mitteilbar. Dem dient offenbar die Meßkunst. Es handelt sich in ihr um Mehrfältiges, worunter das eigentliche Messen nur das Schlußstück ist: einerseits darum, für körperliche Gestalten von Flüssen, Bergen, Gebäuden etc., die in der Regel festbestimmender Begriffe und Namen entbehren müssen, solche Begriffe zu schaffen; zunächst für ihre „Formen“ (innerhalb der bildlichen Ähnlichkeit) und dann in ihren Größen und Größenverhältnissen, dazu noch für die Lagebestimmungen durch Messung der Abstände und Winkel bezogen auf bekannte, als unverrückt vorausgesetzte Orte und Richtungen. Die Meßkunst entdeckt praktisch die Möglichkeit, gewisse empirische Grundgestalten, an faktisch allgemein verfügbaren empirisch-starren Körpern konkret festgelegt, als Maße auszuwählen und mittels der zwischen ihnen und anderen Körper-Gestalten bestehenden (bzw. zu entdeckenden) Beziehungen diese anderen Gestalten intersubjektiv und praktisch eindeutig zu bestimmen – zuerst in engeren Sphären (z. B. in der Feldmeßkunst), eben sodann für neue Gestaltsphären. So versteht sich, daß im Gefolge des wach gewordenen Strebens nach einer „philosophischen“, einer das „wahre“, das objektive Sein der Welt bestimmenden Erkenntnis die empirische Meßkunst und ihre empirisch-praktisch objektivierende Funktion, unter Umstellung des praktischen in ein rein theoretisches Interesse, idealisiert wurde und so in das rein geometrische Denkverfahren überging. Die Meßkunst wird also zur Wegbereiterin der schließlich universellen Geometrie und ihrer „Welt“ reiner Limesgestalten. |
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b) Der Grundgedanke der Galileischen Physik: Natur als mathematisches Universum Die relativ entwickelte Geometrie, die für Galilei und schon in einer breiten, nicht nur irdischen, sondern astronomischen Anwendung vorlag, war demnach für ihn bereits traditional vorgegeben als Anleitung für sein das Empirische auf die mathematischen Limesideen beziehendes Denken. Für ihn war natürlich auch als Tradition da die ihrerseits inzwischen selbst schon von der Geometrie mitbestimmte Meßkunst in ihrer Intention auf immer weiter zu steigernde Genauigkeit der Messung und durch sie der objektiven Bestimmung der Gestalten selbst. Hatte die empirische und sehr beschränkte Aufgabenstellung der technischen Praxis ursprünglich die der reinen Geometrie motiviert, so war ja nachher und längst schon auch umgekehrt die Geometrie, als „angewandte“, zum Mittel für die Technik geworden, zu ihrer Leitung in der Konzeption und Durchführung der Aufgabe: eine Messungsmethodik für die objektive Gestaltbestimmung systematisch auszubilden, in ständiger Steigerung als „Approximation“ auf die geometrischen Ideale, die Limesgestalten hin. Das lag für Galilei also vor – freilich ohne daß er, und wohlbegreiflich, das Bedürfnis empfand, in die Art, wie die idealisierende Leistung ursprünglich erwuchs (nämlich wie sie erwuchs auf dem Untergrunde der vorgeometrischen sinnlichen Welt und ihrer praktischen Künste), einzugehen und sich in Fragen zu vertiefen nach dem Ursprung der apodiktischen mathematischen Evidenz. In der Einstellung des Geometers fehlt dafür das Bedürfnis: man hat ja Geometrie studiert, man „versteht“ die geometrischen Begriffe und Sätze, ist vertraut mit den Operationsmethoden als den Weisen, mit bestimmt definierten Gebilden umzugehen, dabei von den Figuren auf dem Papier (den „Modellen“) entsprechenden Gebrauch zu machen. Daß es für die Geometrie als Zweig einer universalen Erkenntnis vom Seienden (einer Philosophie) einmal relevant, ja grundwichtig werden könnte, die geometrische Evidenz, das „Wie“ ihres Ursprungs, zum Problem zu machen, das lag einem Galilei ganz fern. Wie eine Umkehrung der Blick-
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richtung dringlich werden und der „Ursprung“ der Erkenntnis zum Hauptproblem werden | mußte, das wird für uns im Fortgang der geschichtlichen Betrachtungen von Galilei aus alsbald zu einem wesentlichen Interesse werden. Hier sehen wir zu, wie die Geometrie, in derjenigen Naivität apriorischer Evidenz übernommen, die jede normale geometrische Arbeit in Bewegung hält, das Denken Galileis bestimmt und es auf die Idee einer Physik hinleitet, die nunmehr in seiner Lebensarbeit erstmalig entspringt. Also von der praktisch verständlichen Art ausgehend, wie Geometrie von vornherein in einer altüberlieferten Sphäre der sinnlichen Umwelt zu einer eindeutigen Bestimmung verhilft, sagte sich Galilei: Wo immer eine solche Methodik ausgebildet ist, da haben wir damit auch die Relativität der subjektiven Auffassungen überwunden, die nun einmal der empirisch-anschaulichen Welt wesentlich ist. Denn auf diese Weise gewinnen wir eine identische irrelative Wahrheit, von der jedermann, der diese Methode zu verstehen und zu üben vermag, sich überzeugen kann. Hier also erkennen wir ein wahrhaft Seiendes selbst – obschon nur in Form einer vom empirisch Gegebenen aus stetig zu steigernden Approximation an die geometrische Idealgestalt, die als leitender Pol fungiert. Indessen diese ganze reine Mathematik hat es mit den Körpern und der körperlichen Welt in einer bloßen Abstraktion zu tun, nämlich nur mit den abstrakten Gestalten in der Raumzeitlichkeit, und zudem mit diesen nur als rein „idealen“ Limesgestalten. Konkret aber sind uns, zunächst in der empirischen sinnlichen Anschauung, die wirklichen und möglichen empirischen Gestalten bloß als „Formen“ einer „Materie“, einer sinnlichen Fülle gegeben; also mit dem, was sich in den sogenannten „spezifischen“ Sinnesqualitäten1 Farbe, Ton, Geruch und dergleichen, und in eigenen Gradualitäten darstellt. | 1
Es ist eine schlimme Erbschaft der psychologischen Tradition seit Lockes Zeiten, daß beständig den sinnlichen Qualitäten der in der alltäglich anschaulichen Umwelt wirklich erfahrenen Körper – den Farben, den Tastqualitäten, den Gerüchen, den Wärmen, den Schweren usw., die an den Körpern selbst wahrgenommen werden, eben als ihre Eigenschaften –
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Zur Konkretion der sinnlich anschaulichen Körper, ihres Seins in wirklicher und möglicher Erfahrung gehört auch, daß sie in der ihnen eigenwesentlichen Veränderlichkeit gebunden sind. Ihre Veränderungen nach raumzeitlicher Stelle, nach Form- und Füllebeschaffenheiten, sind nicht zufälligbeliebig, sondern in sinnlich-typischen Weisen von einander empirisch abhängig. Solche Bezogenheiten der körperlichen Geschehnisse aufeinander sind selbst Momente der alltäglich erfahrenden Anschauung; sie werden als das erfahren, was den simultan und sukzessiv zusammen seienden Körpern Zusammengehörigkeit gibt, oder als das ihr Sein und Sosein miteinander Verbindende. Vielfach, aber nicht immer, treten uns diese real-kausalen Verbundenheiten nach ihren Verbindungsgliedern in der Erfahrung bestimmt entgegen. Wo das nicht der Fall ist und irgend etwas auffällig Neues geschieht, fragen wir gleichwohl alsbald nach dem Warum und sehen uns in den raumzeitlichen Umständen danach um. Die Dinge der anschaulichen Umwelt (immer genommen so, wie sie anschaulich in der Lebensalltäglichkeit für uns da sind und uns als Wirklichkeiten gelten) haben sozusagen ihre „Gewohnheiten“, sich unter typisch ähnlichen Umständen ähnlich zu verhalten. Nehmen wir die anschauliche Welt im Ganzen in der strömenunterschoben werden die „sinnlichen Daten“, „Empfindungsdaten“, die ungeschieden ebenfalls sinnliche Qualitäten heißen und, im allgemeinen wenigstens, gar nicht von ihnen unterschieden werden. Wo man einen Unterschied fühlt (statt ihn, was höchst notwendig ist, gründlich | in seiner 28 Eigenheit zu beschreiben) spielt – darüber wird noch zu sprechen sein – die grundverkehrte Meinung eine Rolle, daß die „Empfindungsdaten“ die unmittelbaren Gegebenheiten sind. Und sogleich pflegt dann dem ihnen an den Körpern selbst Entsprechenden das Mathematisch-Physikalische unterschoben zu werden, dessen Sinnesquellen zu untersuchen wir eben beschäftigt sind. Wir sprechen hier und überall, getreu die wirkliche Erfahrung zur Aussprache bringend, von Qualitäten, von Eigenschaften der wirklich in diesen Eigenschaften wahrgenommenen Körper. Und wenn wir sie als Füllen von Gestalten bezeichnen, so nehmen wir auch diese Gestalten als „Qualitäten“ der Körper selbst, und auch als sinnliche, nur daß sie als ασ ητ nicht die Bezogenheit auf ihnen allein zugehörige Sinnesorgane haben wie die ασ ητ δια .
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den Jeweiligkeit, in welcher sie für uns schlicht da ist, so hat sie auch als ganze ihre „Gewohnheit“, nämlich sich gewohnheitsmäßig so wie bisher fortzusetzen. So hat unsere empirisch anschauliche Umwelt einen empirischen Gesamtstil. Wie immer wir diese Welt in der Phantasie gewandelt denken oder den künftigen Weltverlauf in seinen Unbekanntheiten uns vorstellig machen „als wie er sein könnte“, in seinen Möglichkeiten: notwendig stellen wir ihn in dem Stil vor, in dem wir die Welt schon haben und bisher | hatten. Dessen können wir in Reflexion und in freier Variation dieser Möglichkeiten ausdrücklich bewußt werden. Wir können so den invarianten allgemeinen Stil, in dem diese anschauliche Welt im Strömen der totalen Erfahrung verharrt, zum Thema machen. Eben damit sehen wir, daß allgemein die Dinge und ihre Geschehnisse nicht beliebig auftreten, verlaufen, sondern durch diesen Stil, durch die invariante Form der anschaulichen Welt „apriori“ gebunden sind; mit anderen Worten, daß durch eine universale kausale Regelung alles in der Welt Zusammen-Seiende eine allgemeine unmittelbare oder mittelbare Zusammengehörigkeit hat, in der die Welt nicht bloß eine Allheit, sondern Alleinheit, ein (obschon unendliches) Ganzes ist. Das ist apriori evident, wie geringes auch von den besonderen kausalen Verbundenheiten wirklich erfahren, wie wenig davon aus früherer Erfahrung bekannt und für künftige Erfahrung vorzeichnend ist. Dieser universale Kausalstil der anschaulichen Umwelt macht in ihr Hypothesen, macht Induktionen, macht Voraussichten hinsichtlich der Unbekanntheiten der Gegenwart, der Vergangenheit und Zukunft möglich. Aber im vorwissenschaftlich erkennenden Leben stecken wir bei alledem im Ungefähren, Typischen. Wie soll eine „Philosophie“, eine wissenschaftliche Erkenntnis von der Welt möglich werden, wenn es bei dem vagen Totalitätsbewußtsein sein Bewenden hätte, in welchem die Welt als Horizont bei allem Wechsel zeitweiliger Interessen und Erkenntnisthemen mitbewußt ist? Allerdings können wir auch, wie vorhin gezeigt, auf dieses Weltganze thematisch reflektieren und dessen Kausalstil in den Griff bekommen. Aber wir gewinnen dabei nur die Evidenz der leeren Allgemeinheit: daß alles erfahrbare Geschehen an jedem Orte und
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zu allen Zeiten kausal bestimmt ist. Wie steht es jedoch mit der jeweilig bestimmten Weltkausalität, als dem jeweilig bestimmten Geflechte von kausalen Verbundenheiten, das alle realen Vorkommnisse aller Zeiten konkret macht? Die Welt „philosophisch“, ernstlich wissenschaftlich erkennen, das kann nur Sinn und Möglichkeit haben, wenn eine Methode zu erfinden ist, die Welt, die Unendlichkeit ihrer Kausalitäten, von dem geringen Bestande des jeweils in direkter Erfahrung und | nur relativ Festzustellenden aus systematisch, gewissermaßen im voraus, zu konstruieren und diese Konstruktion trotz der Unendlichkeit zwingend zu bewähren. Wie ist das denkbar? Aber hier bietet sich die Mathematik uns als Lehrmeisterin an. Hinsichtlich der raumzeitlichen Gestalten hatte sie also schon die Bahn gebrochen, und zwar in doppelter Weise: Fürs Erste, durch ihre Idealisierung der Körperwelt in Hinsicht auf ihr raumzeitlich Gestalthaftes hat sie ideale Objektivitäten geschaffen. Sie hat aus der unbestimmt allgemeinen lebensweltlichen Form Raum und Zeit mit der Mannigfaltigkeit in sie hineinzufingierender empirisch-anschaulicher Gestalten allererst eine objektive Welt im eigentlichen Sinne gemacht; nämlich eine unendliche Totalität von methodisch und ganz allgemein für jedermann eindeutig bestimmbaren idealen Gegenständlichkeiten. Sie hat damit zum ersten Male gezeigt, daß eine Unendlichkeit von subjektiv-relativen und nur in einer vagen Allgemeinvorstellung gedachten Gegenständen in einer a apriori allumfassenden Methode objektiv bestimmbar und als an sich bestimmte wirklich zu denken sei; genauer: als eine an sich nach allen ihren Gegenständen und nach allen Eigenschaften und Relationen derselben bestimmte, im voraus entschiedene. Zu denken sei – sagte ich; nämlich eben dadurch, daß sie ex datis in ihrem objektiv wahren An-sich-Sein konstruierbar ist durch ihre nicht bloß postulierte, sondern wirklich geschaffene, apodiktisch erzeugende Methode. Fürs Zweite: In Konnex mit der Meßkunst tretend und nunmehr sie leitend, hat die Mathematik – damit von der Welt der Idealitäten wieder zur empirisch anschaulichen Welt herabsteigend – gezeigt, daß man universal an den Dingen der anschaulich-wirklichen Welt, und zwar nach der sie als Gestal-
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tenmathematik allein interessierenden Seite (an der alle Dinge notwendig teilhaben), eine objektiv reale Erkenntnis von einer völlig neuen Art, nämlich eine approximativ auf ihre eigenen Idealitäten bezogene, gewinnen kann. Alle Dinge der empirisch anschaulichen Welt haben dem Weltstil gemäß Körperlichkeit, sind „res extensae“, sind in veränderlichen Kollokationen erfahren, die je als Ganze | betrachtet, ihre Gesamtkollokation haben, in ihnen die einzelnen Körper ihre relative Örtlichkeit usw. Vermöge der reinen Mathematik und praktischen Meßkunst kann man für alles dergleichen Extensionale an der Körperwelt eine völlig neuartige induktive Voraussicht schaffen, nämlich man kann von jeweils gegebenen und gemessenen Gestaltvorkommnissen aus unbekannte und direkter Messung nie zugängliche in zwingender Notwendigkeit „berechnen“. So wird die weltentfremdete ideale Geometrie zur „angewandten“ und so in einer gewissen Hinsicht zu einer allgemeinen Methode der Erkenntnis von Realitäten. Aber legt nicht schon diese Art der in einer abstrakt beschränkten Weltseite zu übenden Objektivierung den Gedanken und die vermutende Frage nahe: Muß Ähnliches nicht für die konkrete Welt überhaupt möglich sein? Ist man gar schon vermöge der Rückwendung der Renaissance zur alten Philosophie – wie Galilei – in der sicheren Überzeugung der Möglichkeit einer Philosophie, einer objektive Weltwissenschaft leistenden Episteme, und hatte es sich eben schon gezeigt, daß reine Mathematik angewandt auf Natur das Postulat der Episteme in ihrer Gestaltensphäre vollendet erfülle: mußte da für Galilei nicht auch vorgezeichnet sein die Idee einer in gleicher Weise nach allen anderen Seiten konstruktiv bestimmbaren Natur? Ist das aber anders möglich, als dadurch, daß die Methode der Messung in Approximationen und konstruktiven Bestimmungen hineinreiche in alle realen Eigenschaften und realkausalen Bezogenheiten der anschaulichen Welt, in alles je in Sondererfahrungen Erfahrbare? Aber wie ist dieser allgemeinen Antizipation genugzutun, und wie sollte sie zur durchführbaren Methode einer konkreten Naturerkenntnis werden können?
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Die Schwierigkeit liegt hier darin, daß eben die die raumzeitlichen Gestaltmomente der körperlichen Welt konkret ergänzenden materiellen Füllen – die „spezifischen“ Sinnesqualitäten – in ihren eigenen Gradualitäten nicht direkt so zu behandeln sind wie die Gestalten selbst. Gleichwohl müssen auch diese Qualitäten, muß alles, was Konkretion der sinnlich anschaulichen Welt ausmacht, als Bekundung einer „objektiven“ | Welt gelten. Oder vielmehr in Geltung bleiben. Denn (so ist die die Idee der neuen Physik motivierende Denkweise) durch allen Wandel subjektiver Auffassungen hindurch erstreckt sich ungebrochen die uns alle verbindende Gewißheit von der einen und selben Welt, der an sich seienden Wirklichkeit; alle Momente der erfahrenden Anschauungen bekunden etwas von ihr. Sie wird für unsere objektive Erkenntnis erreichbar, wenn diejenigen Momente, die wie die sinnlichen Qualitäten in der reinen Mathematik der raumzeitlichen Form und ihrer möglichen Sondergestalten wegabstrahiert und nicht selbst, direkt, mathematisierbar sind, es eben doch indirekt werden. c) Das Problem der Mathematisierbarkeit der „Füllen“ Die Frage ist nun, was eine indirekte Mathematisierung meinen soll. Überlegen wir zunächst den tieferen Grund, der eine direkte Mathematisierung (oder ein Analogon einer approximativen Konstruktion) auf Seiten der spezifisch sinnlichen Qualitäten der Körper prinzipiell unmöglich macht. Auch diese Qualitäten treten in Gradualitäten auf, und in gewisser Weise gehört auch zu ihnen, gehört zu allen Gradualitäten Messung – „Schätzung“ der „Größe“ der Kälte und Wärme, der Rauhigkeit und Glätte, der Helligkeit und Dunkelheit usw. Aber es gibt hier keine exakte Messung, keine Steigerung der Exaktheit und der Meßmethoden. Wo wir Heutigen von Messung, von Maßgrößen, Maßmethoden, von Größen schlechthin sprechen, meinen wir in der Regel immer schon auf Idealitäten bezogene „exakte“; wie es uns auch schwer wird, die hier sehr notwendige abstraktive Isolierung der Füllen zu vollziehen:
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nämlich in universaler Gegenabstraktion gegen diejenige, die die universale Gestaltenwelt ergibt, sozusagen versuchsweise die körperliche Welt ausschließlich nach der „Seite“ der unter dem Titel „spezifische Sinnesqualitäten“ stehenden Eigenschaften zu betrachten. Was macht die „Exaktheit“? Offenbar nichts anderes, als was wir oben bloßgelegt haben: empirische Messung in Steigerung der Genauigkeit, aber unter der Leitung einer schon | im voraus durch Idealisation und Konstruktion objektivierten Welt von Idealitäten bzw. gewissen, den jeweiligen Maßskalen zuzuordnenden besonderen Idealgebilden. Und nun können wir mit einem Wort den Kontrast klarmachen. Wir haben nur eine, nicht eine doppelte Universalform der Welt, nur eine und nicht eine zwiefache Geometrie, nämlich eine solche der Gestalten und nicht auch eine zweite der Füllen. So geartet sind die Körper der empirisch-anschaulichen Welt gemäß der apriori ihr zugehörigen Weltstruktur, daß jeder Körper je seine Extension – abstrakt gesprochen – zu eigen hat, daß aber alle diese Extensionen Gestalten sind der einen, totalen, unendlichen Extension der Welt. Als Welt, als universale Konfiguration aller Körper, hat sie also eine alle Formen umfassende Totalform, und diese ist in der analysierten Weise idealisierbar und durch Konstruktion beherrschbar. Zur Weltstruktur gehört nun allerdings auch, daß alle Körper je ihre spezifischen Sinnesqualitäten haben. Aber die rein in diesen fundierten qualitativen Konfigurationen sind keine Analoga der raumzeitlichen Gestalten, sind nicht eingeordnet in eine ihnen eigene Weltform. Die Limesgestalten dieser Qualitäten sind nicht in analogem Sinne idealisierbar, ihre Messungen („Schätzungen“) nicht auf entsprechende Idealitäten einer konstruierbaren, einer schon in Idealität objektivierten Welt zu beziehen. Somit hat hier auch der Begriff der „Approximation“ nicht einen analogen Sinn wie in der mathematisierbaren Gestaltsphäre: den einer objektivierenden Leistung. Was nun die „indirekte“ Mathematisierung derjenigen Weltseite, die an sich selbst keine mathematisierbare Weltform hat, anbelangt, so ist sie nur in dem Sinne denkbar, daß die an den anschaulichen Körpern erfahrbaren spezifisch sinnlichen Qua-
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litäten („Füllen“) mit den wesensmäßig ihnen zugehörigen Gestalten in einer ganz besonderen Weise geregelt verschwistert sind. Fragen wir, was durch die universale Weltform mit ihrer universalen Kausalität apriori vorbestimmt ist, befragen wir also den invarianten allgemeinen Seinsstil, welchen die anschauliche Welt in ihrem unaufhörlichen Wandel innehält, so ist einerseits vorbestimmt | die Raumzeitform, als alle Körper hinsichtlich der Gestalt befassend und was dazu apriori (vor der Idealisierung) gehört; ferner, daß jeweils an realen Körpern faktische Gestalten faktische Füllen und umgekehrt fordern; daß also diese Art allgemeiner Kausalität besteht, die nur abstrakt, aber nicht real trennbare Momente eines Konkretum verbindet. Ferner, total genommen: Es besteht eine universale konkrete Kausalität. In ihr ist notwendig antizipiert, daß die anschauliche Welt nur als Welt im endlos offenen Horizont anschaulich sein kann, also auch die unendliche Mannigfaltigkeit der Sonderkausalitäten nicht selbst gegeben, sondern nur horizonthaft antizipiert sein kann. Wir sind also jedenfalls und apriori dessen gewiß, daß die totale Gestaltseite der Körperwelt nicht nur überhaupt eine durch alle Gestalten hindurchgreifende Seite der Fülle fordert, sondern daß jede Veränderung, ob sie Gestalt- oder Füllemomente betrifft, nach irgendwelchen – unmittelbaren oder mittelbaren, aber gerade sie fordernden – Kausalitäten verläuft. Soweit reicht, wie gesagt, die unbestimmt allgemeine apriorische Antizipation. Damit ist aber nicht gesagt, daß sich der gesamte Wandel der Füllequalitäten in ihren Veränderungen und Unveränderungen derart nach kausalen Regeln abspielt, daß diese ganze abstrakte Weltseite einheitlich abhängig wird von dem, was sich in der Weltseite der Gestalten kausal abspielt. Mit anderen Worten: Es ist nicht apriori einzusehen, daß jede erfahrbare, jede in wirklicher und möglicher Erfahrung erdenkliche Veränderung von spezifischen Qualitäten der anschaulichen Körper auf Vorkommnisse in der abstrakten Weltschicht der Gestalten kausal angewiesen wäre, daß sie sozusagen ihr Gegenbild im Gestaltenreiche hätte, derart, daß die jeweilige Gesamtveränderung der Gesamtfülle ihr kausales Gegenbild in der Gestaltsphäre hätte.
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So hingestellt, könnte dieser Gedanke geradezu abenteuerlich erscheinen. Indessen, nehmen wir nun hinzu die altvertraute und seit Jahrtausenden (in weiten Sphären, obschon keineswegs vollständig) durchgeführte Idealisierung der Raumzeitform mit allen ihren Gestalten, auch mit den diese selbst betreffenden Verände | rungen und Veränderungsgestalten. Darin war beschlossen, wie wir wissen, die Idealisierung der Meßkunst als Kunst nicht bloß zu messen, sondern als Kunst empirisch kausaler Konstruktionen (wobei selbstverständlich, wie in jeder Kunst, auch deduktive Schlüsse mithalfen). Die theoretische Einstellung und Thematisierung der reinen Idealitäten und Konstruktionen führte auf reine Geometrie (darin sei hier aber befaßt die reine Gestalten-Mathematik überhaupt); und später – in der wohl verständlich gewordenen Umkehrung – ergab sich (wie wir uns erinnern) die angewandte Geometrie: die von den Idealitäten und den mit ihnen ideal vollzogenen Konstruktionen geleitete praktische Meßkunst, also in den betreffenden beschränkten Sphären eine Objektivierung der konkret-kausalen Körperwelt. So wie wir uns alles das wieder vergegenwärtigen, verliert der vorhin angesetzte und zunächst fast absonderlich anmutende Gedanke seine Befremdlichkeit und nimmt für uns – vermöge unserer früheren wissenschaftlichen Schulerziehung – geradezu den Charakter der Selbstverständlichkeit an. Was wir im vorwissenschaftlichen Leben als Farben, Töne, Wärme, als Schwere an den Dingen selbst erfahren, kausal als Wärmestrahlung eines Körpers, der die umgebenden Körper warm macht und dergleichen, das zeigt natürlich „physikalisch“ an: Tonschwingungen, Wärmeschwingungen, also reine Vorkommnisse der Gestaltenwelt. Diese universale Indikation wird also heute wie eine fraglose Selbstverständlichkeit behandelt. Gehen wir aber auf Galilei zurück, so konnte für ihn als Schöpfer der Konzeption, die überhaupt erst Physik möglich machte, nicht das, was durch seine Tat erst selbstverständlich wurde, schon selbstverständlich sein. Für ihn selbstverständlich war nur die reine Mathematik und die altübliche Art, Mathematik anzuwenden. Halten wir uns nun rein an die Galileische Motivation, als wie sie für die neuartige Idee der Physik faktisch urstiftend
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war, so müssen wir uns die Befremdlichkeit klarmachen, die in der damaligen Situation in seinem Grundgedanken lag, und demnach fragen, wie er auf diesen Gedanken kommen konnte: daß alles in den spezifischen Sinnesqualitäten sich als real Bekundende seinen mathematischen Index haben müsse in Vorkommnissen der selbstverständlich immer schon idealisiert gedachten Gestaltsphäre, und daß sich von da aus die Möglich | keit einer indirekten Mathematisierung auch in dem vollen Sinne ergeben müsse, nämlich daß dadurch (obschon indirekt und in besonderer induktiver Methode) es möglich sein müsse, alle Vorkommnisse auf Seiten der Fülle ex datis zu konstruieren und damit objektiv zu bestimmen. Die gesamte unendliche Natur als konkretes Universum der Kausalität – das lag in dieser befremdlichen Konzeption – wurde zu einer eigenartig angewandten Mathematik. Doch zunächst beantworten wir die Frage, was an der vorgegebenen und schon in der alten beschränkten Weise mathematisierten Welt zu dem Galileischen Grundgedanken anregen konnte. d) Motivation der Galileischen Naturkonzeption Hier boten sich nun, freilich sehr dürftige, Anlässe zu mannigfaltigen, aber zusammenhangslosen Erfahrungen innerhalb der vorwissenschaftlichen Gesamterfahrung, die so etwas wie indirekte Quantifizierbarkeit gewisser sinnlicher Qualitäten und somit eine gewisse Möglichkeit, sie durch Größen und Maßzahlen zu kennzeichnen, nahelegte. Schon die alten Pythagoräer erregte die Beobachtung der funktionellen Abhängigkeit der Tonhöhe von der Länge der in Schwingungen versetzten Saite. Natürlich waren auch viele andere kausale Zusammenhänge ähnlicher Art allbekannt. Im Grunde liegen in allen konkret-anschaulichen Vorgängen der vertrauten Umwelt leicht herauszuachtende Angewiesenheiten von FülleGeschehnissen auf solche der Gestaltsphäre. Aber es fehlte im allgemeinen ein Motiv dafür, sich analysierend auf die Verflechtungen der kausalen Abhängigkeiten einzustellen. In ihrer vagen Unbestimmtheit konnten sie kein Interesse erregen. An-
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ders, wo sie den Charakter einer Bestimmtheit annahmen, der sie zu bestimmender Induktion geeignet machte; und das führt uns wieder auf Messung der Füllen zurück. Nicht alles auf der Gestaltseite sichtlich sich Mitverändernde war durch die altausgebildeten Maßmethoden schon meßbar. Und zudem war von solchen Erfahrungen der Weg zur universalen Idee und Hypothese, daß alle spezifisch qualitativen Vorkommnisse als Indizes auf bestimmt zugehörige Gestaltkonstellationen und -geschehnisse verweisen, noch weit. Nicht zu weit für Menschen der | Renaissance, die überall zu kühnen Verallgemeinerungen geneigt waren, und bei welchen entsprechend überschwengliche Hypothesen sofort ein empfängliches Publikum fanden. Mathematik als Reich echter objektiver Erkenntnis (und Technik unter ihrer Leitung), das war für Galilei und schon vor ihm im Brennpunkt des den „modernen“ Menschen bewegenden Interesses für eine philosophische Welterkenntnis und eine rationale Praxis. Es muß Maßmethoden geben für alles, was Geometrie, was Gestaltenmathematik in ihrer Idealität und Apriorität umfaßt. Und die ganze konkrete Welt muß sich als mathematisierbar-objektive erweisen, wenn wir jenen einzelnen Erfahrungen nachgehen und alles an ihnen vorausgesetztermaßen der angewandten Geometrie zu Unterstellende wirklich messen, also die entsprechenden Maßmethoden ausbilden. Wenn wir das tun, muß sich die Seite der spezifisch qualitativen Vorkommnisse indirekt mitmathematisieren. In der Auslegung der Galileischen Selbstverständlichkeit einer universalen Anwendbarkeit der reinen Mathematik ist folgendes zu beachten. In jeder Anwendung auf die anschaulich gegebene Natur muß die reine Mathematik ihre Abstraktion von der anschaulichen Fülle fahren lassen, während sie doch das Idealisierte der Gestalten (der Raumgestalten, der Dauer, der Bewegungen, der Deformationen) unberührt läßt. Damit vollzieht sich aber in einer Hinsicht eine Mitidealisierung der zugehörigen sinnlichen Füllen. Die extensive und intensive Unendlichkeit, die mit der Idealisierung der sinnlichen Erscheinungen substruiert war, über alle Vermöglichkeiten wirklicher Anschauung hinaus – die Zerstückbarkeit und Teilbarkeit in infinitum und so alles, was zum mathematischen Kontinuum
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gehört – bedeutet eine Substruktion von Unendlichkeiten für die eo ipso mitsubstruierten Füllequalitäten. Die ganze konkrete Körperwelt wird so mit Unendlichkeiten, nicht nur der Gestalt, sondern auch der Füllen behaftet. Aber von Neuem zu beachten ist nun auch, daß damit noch nicht jene „indirekte Mathematisierbarkeit“ gegeben ist, die die eigentlich Galileische Konzeption einer Physik ausmacht. Soweit wir bisher gekommen sind, ist zunächst nur ein allgemeiner Gedanke gewonnen, präzis ausgedrückt, eine allgemeine Hypothese: daß eine universale Induktivität | in der anschaulichen Welt herrsche, eine sich in jenen alltäglichen Erfahrungen ankündigende, aber eine in ihrer Unendlichkeit verborgene. Freilich, für Galilei war sie nicht als Hypothese verstanden. Eine Physik war für ihn alsbald fast so gewiß wie die bisherige reine und angewandte Mathematik. Sie zeichnet ihm auch gleich den methodischen Gang der Realisierung vor (eine Realisierung, deren Gelingen in unseren Augen notwendig die Bedeutung der Bewährung der Hypothese hat – dieser durchaus nicht selbstverständlichen Hypothese hinsichtlich der unzugänglichen faktischen Struktur der konkreten Welt). Zunächst kam es ihm also darauf an, weiterreichende und immer mehr zu vervollkommnende Methoden zu gewinnen, um alle in der Idealität der reinen Mathematik als ideale Möglichkeiten vorgezeichneten Meßmethoden wirklich auszubilden, über die bisherigen faktisch ausgebildeten hinaus; also z. B. Geschwindigkeiten, Beschleunigungen zu messen. Aber auch die reine Mathematik der Gestalten selbst bedurfte einer reicheren Ausbildung in der konstruktiven Quantifizierung – was späterhin auf die analytische Geometrie hinleitete. Es galt nun durch solche Hilfsmittel die universale Kausalität, oder wie wir sagen können, die eigenartige universale Induktivität der Erfahrungswelt systematisch zu erfassen, die in der Hypothese vorausgesetzt war. Es ist zu beachten, daß mit der neuartigen, konkreten, also doppelseitigen Idealisierung der Welt, die in der galileischen Hypothese lag, auch gegeben war die Selbstverständlichkeit einer universalen exakten Kausalität, die natürlich nicht durch Induktion allererst aus der Nach-
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weisung einzelner Kausalitäten zu gewinnen ist, sondern allen Induktionen besonderer Kausalitäten vorangeht und sie leitet – wie das schon für die konkret-allgemein anschauliche Kausalität gilt, welche die konkret-anschauliche Weltform selbst ausmacht, gegenüber den besonderen erfahrbaren Einzelkausalitäten in der Lebensumwelt. Diese universale idealisierte Kausalität umgreift alle faktischen Gestalten und Füllen in ihrer idealisierten Unendlichkeit. Offenbar müssen, wenn die in der Gestaltsphäre zu vollziehenden Messungen wirklich objektive Bestimmungen leisten sollen, auch die Geschehnisse auf Seiten der Füllen metho | disch in Frage kommen. Es müssen die jeweils voll konkreten Dinge und Geschehnisse, bzw. die Weisen, wie faktische Füllen und Gestalten in Kausalität stehen, in die Methode eingehen. Die Anwendung der Mathematik auf real gegebene Füllen der Gestalt macht schon vermöge der Konkretion kausale Voraussetzungen, die erst zu Bestimmtheit zu bringen sind. Wie da nun wirklich vorzugehen, wie die durchaus innerhalb der anschaulichen Welt zu leistende Arbeit methodisch zu regeln ist; wie in dieser Welt, in die die hypothetische Idealisierung noch unbekannte Unendlichkeiten hineingetragen hat, die faktisch erfaßbaren körperlichen Gegebenheiten nach beiden Seiten zu ihrem kausalen Rechte kommen und wie von ihnen, immerfort nach Maßmethoden, die verborgenen Unendlichkeiten zu erschließen sind; wie sich dabei in zu steigernden Approximationen in der Gestaltensphäre immer vollkommenere Indizierungen für die qualitative Fülle der idealisierten Körper ergeben; wie diese selbst als konkrete nach allen ihren ideal möglichen Geschehnissen in Approximationen bestimmbar werden: das alles ist Sache der entdeckenden Physik gewesen. Mit anderen Worten: es war Sache der leidenschaftlichen Forschungspraxis, und nicht etwa Sache einer ihr vorangehenden systematischen Besinnung auf die prinzipiellen Möglichkeiten, auf die wesensmäßigen Voraussetzungen einer mathematischen Objektivierung, die in der Tat Konkret-Reales im Geflecht universaler konkreter Kausalität soll bestimmen können. Entdeckung, das ist eine Mischung von Instinkt und Methode. Man wird sich allerdings fragen müssen, ob eine solche
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Mischung im strengen Sinne Philosophie, Wissenschaft, ob sie im letzten Sinne und dem einzigen, der uns zu einem Welt- und Selbstverständnis dienen könnte, Welterkenntnis sein kann. Galilei ging als Entdecker geradehin darauf aus, seine Idee zu realisieren, Maßmethoden an den nächstliegenden Gegebenheiten der allgemeinen Erfahrung auszubilden; und die wirkliche Erfahrung zeigte (natürlich in einer nicht radikal aufgeklärten Methodik), was seine hypothetische Antizipation jeweils forderte; er fand wirklich kausale Zusammenhänge, die sich mathematisch aussprechen lassen in „Formeln“. In dem aktuellen messenden Tun an den anschaulichen Erfahrungsgegebenheiten sind es freilich nur empirisch-inexakte Grö | ßen und ihre Zahlen, die gewonnen werden. Aber die Meßkunst ist in sich zugleich Kunst, die „Genauigkeit“ der Messung in Richtung auf eine auf steigende Vervollkommnung immer weiter zu treiben. Sie ist eine Kunst, nicht als fertige Methode, etwas fertig zu machen, sondern zugleich Methode, ihre Methode immer wieder zu verbessern durch Erfindung immer neuer Kunstmittel (z. B. instrumentaler). Vermöge der Bezogenheit der Welt auf die reine Mathematik als ihr Anwendungsfeld gewinnt aber das „Immer wieder“ den mathematischen Sinn des „in infinitum“ und so jede Messung den Sinn einer Approximation auf einen zwar unerreichbaren, aber ideal-identischen Pol, nämlich auf eine bestimmte der mathematischen Idealitäten bzw. der ihnen zugehörigen Zahlgebilde. Die ganze Methode hat von vornherein einen allgemeinen Sinn, wie sehr man es jeweils stets mit Individuell-Faktischem zu tun hat. Zum Beispiel von vornherein hat man nicht den freien Fall dieses Körpers im Auge, sondern das individuell Faktische ist Exempel in der konkreten Gesamttypik der anschaulichen Natur, in deren empirisch vertrauter Invarianz vorweg mitbeschlossen; und das überträgt sich natürlich in die Galileische idealisierend-mathematisierende Einstellung. Die indirekte Mathematisierung der Welt, die sich nun als methodische Objektivierung der anschaulichen Welt abspielt, ergibt allgemeine Zahlformeln, die, einmal gefunden, anwendungsmäßig dazu dienen können, an den darunter zu subsumierenden Einzelfällen die faktische Objektivierung zu vollziehen.
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Offenbar drücken die Formeln allgemeine kausale Zusammenhänge aus, „Naturgesetze“, Gesetze realer Abhängigkeiten in Form von „funktionalen“ Abhängigkeiten von Zahlen. Ihr eigentlicher Sinn liegt also nicht in reinen Zusammenhängen von Zahlen (als ob sie Formeln in rein arithmetischem Sinne wären), sondern in dem, was die Galileische Idee einer universalen Physik mit ihrem, wie zu zeigen war, höchst komplizierten Sinngehalt als eine der wissenschaftlichen Menschheit gestellte Aufgabe vorgezeichnet hat, und was der Prozeß ihrer Erfüllung, in der gelingenden Physik ergibt, als Prozeß der Ausbildung besonderer Methoden und durch sie geprägter mathematischer Formeln und „Theorien“. | e) Der Bewährungscharakter der naturwissenschaftlichen Fundamentalhypothese Nach unserer Bemerkung – die allerdings das bloße Problem der Aufklärung der Galileischen Motivation und der aus ihr entsprungenen Idee und Aufgabe einer Physik überschreitet – ist die Galileische Idee eine Hypothese, und zwar von einer höchst merkwürdigen Art; die aktuelle Naturwissenschaft der Jahrhunderte ihrer Bewährung ist eine Bewährung entsprechend merkwürdiger Art. Merkwürdig: denn die Hypothese bleibt trotz der Bewährung auch weiter und für immer Hypothese; die Bewährung (die für sie einzig erdenkliche) ist ein unendlicher Gang von Bewährungen. Es ist das eigene Wesen der Naturwissenschaft, es ist apriori ihre Seinsweise, ins Unendliche Hypothese und ins Unendliche Bewährung zu sein. Dabei ist die Bewährung nicht nur so wie in allem tätigen Leben der Möglichkeit des Irrtums anheimgegeben und gelegentlich Korrekturen erfordernd. Es gibt hier in jeder Phase der naturwissenschaftlichen Entwicklung eine völlig korrekte Methodik und Theorie, in welcher „Irrtum“ schon als ausgeschaltet gilt. Newton, das Ideal der exakten Naturforscher, sagt „hypotheses non fingo“, und darin ist auch beschlossen, daß er sich nicht verrechnet und methodische Fehler macht. Wie in allem Einzelnen, in allen Begriffen, Sätzen, Methoden, welche eine „Exaktheit“, eine Idealität ausdrücken, so steckt auch in der Total-
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idee einer exakten Wissenschaft, und wie schon in der Idee der reinen Mathematik, so auch in der Totalidee der Physik das „in infinitum“ als ständige Form der eigentümlichen Induktivität, welche zuerst die Geometrie in die geschichtliche Welt gebracht hat. Im unendlichen Progressus korrekter Theorien und einzelner unter dem Titel „jeweilige Naturwissenschaft einer Zeit“ zusammengefaßter haben wir einen Progreß von Hypothesen, die in allem Hypothesen und Bewährungen sind. Im Progressus liegt aufsteigende Vervollkommnung; total genommen für die ganze Naturwissenschaft, daß sie immer mehr zu sich selbst, zu ihrem „endgültigen“ wahren Sein kommt, daß sie eine immer bessere „Vorstellung“ davon gibt, was „wahre Natur“ ist. Aber wahre Natur | liegt im Unendlichen nicht etwa so wie eine reine Gerade, sie ist auch als unendlicher ferner „Pol“ eine Unendlichkeit von Theorien und nur denkbar als Bewährung, also bezogen auf einen unendlichen historischen Prozeß der Approximation. Das mag wohl das philosophische Denken beschäftigen; aber es verweist auf Fragen, die hier noch nicht zu fassen sind und nicht zu dem Kreis derjenigen gehören, welche uns jetzt zunächst beschäftigen müssen: uns gilt es ja, völlige Klarheit zu schaffen hinsichtlich der Idee und Aufgabe einer Physik, die als Galileische ursprungsmäßig die neuzeitliche Philosophie bestimmte, so wie sie in seiner Motivation aussah, auch was in diese aus traditionalen Selbstverständlichkeiten einfloß und daher ungeklärte Sinnesvoraussetzung blieb oder sich hinterher, in vermeinter Selbstverständlichkeit den eigentlichen Sinn verwandelnd, anschloß. In dieser Hinsicht ist es auch nicht erforderlich, konkreter in die ersten Anfänge der Inszenierung der Galileischen Physik und der Ausbildung ihrer Methode einzugehen.
f) Das Problem des naturwissenschaftlichen „Formel“-Sinnes Aber eines ist hier noch für unsere Aufklärung von Wichtigkeit. Die entscheidende Leistung, mit welcher, dem Gesamtsinn der naturwissenschaftlichen Methode gemäß, bestimmte Voraussichten über die Sphäre unmittelbar erfahrender Anschauun-
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gen und der möglichen Erfahrungserkenntnisse der vorwissenschaftlichen Lebenswelt hinaus in systematischer Ordnung ohne weiteres möglich werden, ist die wirkliche Zuordnung der im voraus in unbestimmter Allgemeinheit hypothetisch substruierten, aber in ihrer Bestimmtheit erst aufzuweisenden mathematischen Idealitäten. Hat man sie, und zwar nach ihrem Ursprungssinn, noch lebendig, so genügt eine bloße thematische Blickwendung auf diesen Sinn, um die von den Quantitäten der funktionalen Koordination (kurz gesagt: die von den Formeln) angezeigten Steigerungsreihen der (nunmehr als Approximationen geltenden) Anschauungen zu erfassen, bzw. sie, den Anzeichen folgend, sich lebendig zu vergegenwärtigen. Ebenso hinsichtlich der Koordination selbst, die sich in den funktionalen Formen ausdrückt, und man kann da | nach die zu erwartenden empirischen Regelmäßigkeiten der praktischen Lebenswelt entwerfen. Mit anderen Worten: Ist man einmal bei den Formeln, so besitzt man damit im voraus schon die praktisch erwünschte Voraussicht des in empirischer Gewißheit, in der anschaulichen Welt des konkret wirklichen Lebens, in welcher das Mathematische nur eine spezielle Praxis ist, zu Erwartenden. Die für das Leben entscheidende Leistung ist also die Mathematisierung mit ihren erzielten Formeln. Von dieser Überlegung aus versteht man, daß sich das leidenschaftliche Interesse der Naturforscher sogleich mit der ersten Konzeption und Ausführung der Methode auf dieses entscheidende Grundstück der bezeichneten Gesamtleistung richtete, also auf die Formeln und unter dem Titel „naturwissenschaftliche Methode“, „Methode wahrer Naturerkenntnis“ auf diese kunstmäßige Methode, sie zu gewinnen, sie für jedermann logisch zwingend zu begründen. Und wieder ist es verständlich, daß man dazu verführt würde, in diesen Formeln und ihrem Formelsinn das wahre Sein der Natur selbst zu fassen. Dieser „Formelsinn“ bedarf jetzt, und zwar hinsichtlich der mit der kunstmäßigen Ausbildung und Übung der Methode unvermeidlich sich einstellenden Sinnesveräußerlichung, einer näheren Aufklärung. Die Messungen ergeben Maßzahlen und in allgemeinen Sätzen über funktionale Abhängigkeiten von
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Maßgrößen, anstatt der bestimmten Zahlen, Zahlen im Allgemeinen, und zwar ausgesagt in allgemeinen Sätzen, welche Gesetze funktioneller Abhängigkeiten ausdrücken. Hier ist nun die gewaltige, in gewisser Richtung segensreiche, in anderer verhängnisvolle Auswirkung der algebraischen Bezeichnungen und Denkweisen in Betracht zu ziehen, welche sich in der Neuzeit seit Vieta, also schon vor Galilei, verbreiten. Zunächst bedeutet das eine ungeheuere Erweiterung der Möglichkeiten des in den alten primitiven Formen überlieferten arithmetischen Denkens. Es wird nun zu einem freien systematischen, von aller anschaulichen Wirklichkeit völlig losgelösten apriorischen Denken über Zahlen überhaupt, Zahlverhältnisse, Zahlgesetze. Alsbald wird dasselbe in allen Erweiterungen, in der Geometrie, in der ganzen reinen Mathematik der raumzeitlichen Gestalten angewandt, und diese wer | den nun durchaus in methodischer Absicht algebraisch formalisiert. So erwächst eine „Arithmetisierung der Geometrie“, eine Arithmetisierung des ganzen Reiches reiner Gestalten (der idealen Geraden, Kreise, Dreiecke, Bewegungen, Lageverhältnissen usw.). Sie sind idealiter exakt als meßbar gedacht, nur daß die selbst idealen Maßeinheiten einen raumzeitlichen Größensinn haben. Diese Arithmetisierung der Geometrie führt wie von selbst in gewisser Weise zur Entleerung ihres Sinnes. Die wirklich raumzeitlichen Idealitäten, so wie sie sich unter dem üblichen Titel „reine Anschauungen“ im geometrischen Denken originär darstellen, verwandeln sich sozusagen in pure Zahlgestalten, in algebraische Gebilde. Man läßt im algebraischen Rechnen von selbst die geometrische Bedeutung zurücktreten, ja ganz fallen; man rechnet, sich erst am Schluß erinnernd, daß die Zahlen Größen bedeuten sollten. Man rechnet allerdings nicht wie im gewöhnlichen Zahlenrechnen „mechanisch“, man denkt, man erfindet, man macht evt. große Entdeckungen – aber mit einem unvermerkt verschobenen „symbolischen“ Sinn. Daraus wird später eine vollbewußte methodische Verschiebung – ein methodischer Übergang z. B. von der Geometrie in die reine, als eigene Wissenschaft behandelte Analysis und eine Anwendung der in dieser erzielten Ergebnisse auf die Geometrie. Darauf müssen wir noch in Kürze näher eingehen.
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Dieser in der theoretischen Praxis sich instinktiv-unreflektiert vollziehende Verwandlungsprozeß der Methode beginnt schon im Galileischen Zeitalter und führt in einer unaufhörlichen Bewegung der Fortbildung zu einer höchsten Stufe und zugleich Überhöhung der „Arithmetisierung“: zu einer völlig universalen „Formalisierung“. Dies geschieht eben durch Fortbildung und Erweiterung der algebraischen Zahlen- und Größenlehre zu einer universalen und dabei rein formalen „Analysis“, „Mannigfaltigkeitslehre“, „Logistik“ – Worte, die bald in engerer, bald in weiterer Bedeutung zu verstehen sind, da es leider bis jetzt an einer eindeutigen Bezeichnung für das fehlt, was tatsächlich und in der mathematischen Arbeit praktisch verständlich ein einheitliches mathematisches Feld ist. Leibniz hat zuerst, freilich seiner Zeit weit vorauseilend, die universale in sich geschlossene Idee eines höchsten algebraischen Denkens, | einer „mathesis universalis“, wie er es nannte, erschaut und als Aufgabe der Zukunft erkannt, während sie erst in unserer Zeit einer systematischen Ausgestaltung mindestens nahegekommen ist. Ihrem vollen und ganzen Sinne nach ist sie nichts anderes als eine allseitig durchgeführte (bzw. in ihrer eigenwesentlichen Totalität ins Unendliche durchzuführende) formale Logik, eine Wissenschaft von den in einem reinen Denken, und zwar in leerformaler Allgemeinheit, konstruierbaren Sinngestalten des „Etwas überhaupt“ und auf diesem Grunde von den nach formalen Elementargesetzen der Widerspruchslosigkeit solcher Konstruktionen systematisch als in sich widerspruchslos aufzubauenden „Mannigfaltigkeiten“; zuhöchst Wissenschaft vom Universum der so erdenklichen „Mannigfaltigkeiten“ überhaupt. „Mannigfaltigkeiten“ sind also in sich kompossible Allheiten von Gegenständen überhaupt, die nur in leerformaler Allgemeinheit als „gewisse“, und zwar als durch bestimmte Modalitäten des Etwas überhaupt definierte gedacht sind. Unter ihnen sind die sogenannten „definiten“ Mannigfaltigkeiten ausgezeichnet, deren Definition durch ein „vollständiges Axiomensystem“ den in ihnen beschlossenen formalen Substratgegenständen in allen deduktiven Bestimmungen eine eigenartige Totalität gibt, mit der, wie man sagen kann, die formallogische Idee einer „Welt überhaupt“
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konstruiert wird. Die „Mannigfaltigkeitslehre“ im ausgezeichneten Sinn ist die universale Wissenschaft von den definiten Mannigfaltigkeiten1. g) Die Sinnentleerung der mathematischen Naturwissenschaft in der „Technisierung“ Diese äußerste Erweiterung der selbst schon formalen, aber beschränkten algebraischen Arithmetik hat in ihrer Apriorität sofort in aller „konkret sachhaltigen“ reinen Mathematik: der | Mathematik der „reinen Anschauungen“ und damit auf die mathematisierte Natur ihre Anwendung; aber auch Anwendung auf sich selbst, Anwendung auf die vorgängige algebraische Arithmetik und wieder in der Erweiterung auf alle ihr eigenen formalen Mannigfaltigkeiten; sie ist also in dieser Weise auf sich selbst zurückbezogen. Sie wird dabei, wie schon die Arithmetik, ihre Methodik kunstmäßig ausbildend, von selbst in eine Verwandlung hineingezogen, durch die sie geradezu zu einer Kunst wird. Nämlich zu einer bloßen Kunst, durch eine rechnerische Technik nach technischen Regeln Ergebnisse zu gewinnen, deren wirklicher Wahrheitssinn nur in einem an den Themen selbst und wirklich geübten sachlicheinsichtigen Denken zu gewinnen ist. Bloß jene Denkweisen und Evidenzen sind nun in Aktion, die einer Technik als solcher unentbehrlich sind. Man operiert mit Buchstaben, Verbindungs- und Beziehungszeichen (+, ×, = usw.) und nach Spielregeln ihrer Zusammenordnung, in der Tat im wesentlichen nicht anders wie im Karten- oder Schachspiel. Das ursprüngliche Denken, das diesem technischen Verfahren eigentlich Sinn und den regelrechten Ergebnissen Wahrheit gibt (sei es auch die der formalen mathesis universalis eigentümliche „formale Wahrheit“), ist hier ausgeschaltet. In dieser Art also auch aus1
Genaueres über den Begriff der definiten Mannigfaltigkeit vgl. „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie“, 1913 u. ö., S. 135 ff. – Zur Idee der „mathesis universalis“ cf. „Logische Untersuchungen“, I, 1900, in zweiter Bearbeitung 1913 u. ö.; und vor allem „Formale und transzendentale Logik“, Halle Niemeyer 1930.
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geschaltet in der formalen Mannigfaltigkeitslehre selbst, wie in der vorgängigen algebraischen Zahlen- und Größenlehre, dann in allen sonstigen Anwendungen des technisch Erarbeiteten, ohne Rückkehr in den eigentlichen wissenschaftlichen Sinn; darunter also auch in der Anwendung auf die Geometrie, auf die reine Mathematik der raumzeitlichen Gestalten. An sich ist der Fortgang von sachhaltiger Mathematik zu ihrer formalen Logifizierung, und ist die Verselbständigung der erweiterten formalen Logik als reiner Analysis oder Mannigfaltigkeitslehre etwas durchaus Rechtmäßiges, ja Notwendiges; desgleichen die Technisierung mit dem sich zeitweise ganz Verlieren in ein bloß technisches Denken. Das alles aber kann und muß vollbewußt verstandene und geübte Methode sein. Das ist es aber nur, wenn dafür Sorge getragen ist, daß hierbei gefährliche Sinnverschiebungen vermieden bleiben, und zwar dadurch, daß die ursprüngliche Sinngebung der Methode, aus welcher sie den Sinn einer Lei | stung für die Welterkenntnis hat, immerfort aktuell verfügbar bleibt; ja noch mehr, daß sie von aller unbefragten Traditionalität befreit wird, die schon in der ersten Erfindung der neuen Idee und Methode Momente der Unklarheit in den Sinn einströmen ließ. Natürlich gilt, wie wir ausgeführt haben, das vorwiegende Interesse des entdeckenden Naturforschers den Formeln, den gewonnenen und zu gewinnenden. Je weiter die Physik in der wirklichen Mathematisierung der anschaulichen umweltlich vorgegebenen Natur gekommen ist, über je mehr mathematisch-naturwissenschaftliche Sätze sie schon verfügt, und zugleich je weiter ihr berufenes Instrument, die „mathesis universalis“, schon ausgebildet ist, um so größer ist der Bereich der ihr möglichen deduktiven Schlußfolgerungen auf neue Tatsachen der quantifizierten Natur und damit der Verweisungen auf entsprechend zu leistende Verifizierungen. Diese selbst obliegen dem Experimentalphysiker, wie auch die ganze Arbeit des Aufstieges von der anschaulichen Umwelt und den in ihr zu vollziehenden Experimenten und Messungen zu den idealen Polen hin. Die mathematischen Physiker hingegen, angesiedelt in der arithmetisierten Raum-Zeit-Sphäre, oder ineins damit in der formalisierenden mathesis universalis, behandeln die
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ihnen zugebrachten mathematisch-physikalischen Formeln so wie besondere reine Gebilde der formalen Mathesis, natürlich die in ihnen, als in Funktionalgesetzen der faktischen Natur auftretenden Konstanten, invariant haltend. Sie ziehen, die gesamten „schon erwiesenen oder als Hypothesen in Arbeit stehenden Naturgesetze“ mitberücksichtigend, aufgrund des ganzen ihnen verfügbaren formalen Gesetzessystems dieser Mathesis, die logischen Konsequenzen, deren Ergebnisse die Experimentalisten zu übernehmen haben. Sie leisten aber auch die Ausformung der jeweils verfügbaren logischen Möglichkeiten für neue Hypothesen, die ja mit der Gesamtheit der jeweils als gültig angenommenen verträglich sein müssen. Sie sorgen so für die Bereitstellung der nunmehr allein noch zulässigen Formen von Hypothesen als hypothetischen Möglichkeiten für die Interpretation der hinfort durch Beobachtung und Experiment empirisch festzustellenden Kausalregelungen auf die ihnen zugehörigen idealen Pole, d. i. auf exakte Ge | setze hin. Aber auch die Experimentalphysiker sind ja in ihrer Arbeit beständig auf ideale Pole hin gerichtet, auf Zahlgrößen, auf allgemeine Formeln. Diese stehen also in aller naturwissenschaftlichen Forschung im Zentrum des Interesses. Alle Entdeckungen der alten wie neuen Physik sind Entdeckungen in der, sozusagen der Natur zugeordneten, Formelwelt. Ihr Formelsinn liegt in Idealitäten, während die ganze mühselige Leistung auf sie hin den Charakter des bloßen Weges zum Ziele annimmt. Und hier ist der Einfluß der vorhin charakterisierten Technisierung der formal-mathematischen Denkarbeit in Betracht zu ziehen: die Verwandlung ihres erfahrenden, entdeckenden, konstruktive Theorien evt. in höchster Genialität gestaltenden Denkens in ein Denken mit verwandelten Begriffen, mit „symbolischen“ Begriffen. Damit entleert sich auch das rein geometrische Denken, sowie in dessen Anwendung auf die faktische Natur auch das naturwissenschaftliche Denken. Eine Technisierung ergreift zudem alle der Naturwissenschaft sonst eigenen Methoden. Nicht nur, daß diese hinterher sich „mechanisieren“. Zum Wesen aller Methode gehört die Tendenz, sich in eins mit der Technisierung zu veräußerlichen. So unterliegt also die Naturwissenschaft einer mehrfältigen
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Sinnverwandlung und Sinnüberdeckung. Das ganze Zusammenspiel zwischen Experimentalphysik und mathematischer Physik und die ungeheuere hier immerfort wirklich geleistete Denkarbeit verläuft in einem verwandelten Sinneshorizont. Zwar ist man einigermaßen des Unterschiedes zwischen τχνη und Wissenschaft bewußt, aber die Rückbesinnung auf den eigentlichen Sinn, der durch die kunstmäßige Methode für die Natur gewonnen sein soll, macht zu früh halt. Sie reicht nicht mehr soweit, um auch nur auf den Stand der aus der schöpferischen Galileischen Meditation vorgezeichneten Idee einer Mathematisierung der Natur zurückzuführen, auf das, was also für Galilei und seine Nachfolger mit dieser gewollt war und ihrer ausführenden Arbeit den Sinn gab. h) Die Lebenswelt als vergessenes Sinnesfundament der Naturwissenschaft 49
Aber nun ist als höchst wichtig zu beachten eine schon bei | Galilei sich vollziehende Unterschiebung der mathematisch substruierten Welt der Idealitäten für die einzig wirkliche, die wirklich wahrnehmungsmäßig gegebene, die je erfahrene und erfahrbare Welt – unsere alltägliche Lebenswelt. Diese Unterschiebung hat sich alsbald auf die Nachfolger, auf die Physiker der ganzen nachfolgenden Jahrhunderte vererbt. Galilei war hinsichtlich der reinen Geometrie selbst Erbe. Die ererbte Geometrie und die ererbte Weise, „anschaulichen“ Erdenkens, Erweisens, „anschaulicher“ Konstruktionen war nicht mehr ursprüngliche Geometrie, war selbst schon in dieser „Anschaulichkeit“ sinnentleert. In ihrer Art war auch die antike Geometrie schon τχνη, den Urquellen wirklich unmittelbarer Anschauung und ursprünglich anschaulichen Denkens entfernt, aus welchen Quellen die sogenannte geometrische Anschauung, d. i. die mit Idealitäten operierende, allererst ihren Sinn schöpfte. Der Geometrie der Idealitäten ging voran die praktische Feldmeßkunst, die von Idealitäten nichts wußte. Solche vorgeometrische Leistung war aber für die Geometrie Sinnesfundament, Fundament für die große Erfindung der Idealisierung: darin gleich mitbefaßt die Erfindung der ide-
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alen Welt der Geometrie, bzw. der Methodik objektivierender Bestimmung der Idealitäten durch die „mathematische Existenz“ schaffenden Konstruktionen. Es war ein verhängnisvolles Versäumnis, daß Galilei nicht auf die ursprünglich sinngebende Leistung zurückfragt, welche als Idealisierung an dem Urboden alles theoretischen wie praktischen Lebens – der unmittelbar anschaulichen Welt (und hier speziell an der empirisch anschaulichen Körperwelt) – betätigt, die geometrischen Idealgebilde ergibt. Des näheren hat er nicht überlegt: wie das freie Umphantasieren dieser Welt und ihrer Gestalten erst nur mögliche empirisch-anschauliche und nicht die exakten Gestalten ergibt; welche Motivation und welche neue Leistung die eigentlich erst geometrische Idealisierung erforderte. Für die ererbte geometrische Methode waren ja diese Leistungen nicht mehr lebendig betätigte, geschweige denn reflektiv als innerlich den Sinn der Exaktheit zustandebringende Methoden in das theoretische Bewußtsein erhoben. So konnte es scheinen, daß die Geometrie in einem eigenen unmittelbar evidenten apriorischen „Anschauen“ und damit hantieren | den Denken eine eigenständige absolute Wahrheit schaffe, die als solche – selbstverständlich – ohne weiteres anwendbar sei. Daß diese Selbstverständlichkeit ein Schein war – wie wir, im Auslegen der Galileischen Gedanken selbst mitdenkend, oben in Grundzügen merklich gemacht haben –, daß auch der Sinn der Anwendung der Geometrie seine komplizierten Sinnesquellen hat, blieb für Galilei und die Folgezeit verdeckt. Gleich mit Galilei beginnt also die Unterschiebung der idealisierten Natur für die vorwissenschaftlich anschauliche Natur. So macht denn jede gelegentliche (oder auch „philosophische“) Rückbesinnung von der kunstmäßigen Arbeit auf ihren eigentlichen Sinn stets bei der idealisierten Natur halt, ohne die Besinnungen radikal durchzuführen bis zu dem letztlichen Zweck, dem die neue Naturwissenschaft mit der von ihr unabtrennbaren Geometrie, aus dem vorwissenschaftlichen Leben und seiner Umwelt hervorwachsend, von Anfang an dienen sollte, einem Zwecke, der doch in diesem Leben selbst liegen und auf seine Lebenswelt bezogen sein mußte. Der in dieser Welt lebende Mensch, darunter der naturforschende, konnte
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alle seine praktischen und theoretischen Fragen nur an sie stellen, theoretisch nur sie in ihren offen unendlichen Unbekanntheitshorizonten betreffen. Alle Gesetzeserkenntnis konnte nur Erkenntnis von gesetzlich zu fassenden Voraussichten der Verläufe wirklicher und möglicher Erfahrungsphänomene sein, welche sich ihm mit der Erweiterung der Erfahrung durch systematisch in die unbekannten Horizonte eindringende Beobachtungen und Experimente vorzeichnen und sich in der Weise von Induktionen bewähren. Aus der alltäglichen Induktion wurde so freilich die Induktion nach wissenschaftlicher Methode, aber das ändert nichts an dem wesentlichen Sinn der vorgegebenen Welt als Horizont aller sinnvollen Induktionen. Sie finden wir als Welt aller bekannten und unbekannten Realitäten. Ihr, der Welt der wirklich erfahrenden Anschauung, gehört zu die Raumzeitform mit allen dieser einzuordnenden körperlichen Gestalten, in ihr leben wir selbst gemäß unserer leiblich personalen Seinsweise. Aber hier finden wir nichts von geometrischen Idealitäten, nicht den geometrischen Raum, nicht die mathematische Zeit mit allen ihren Gestalten. Eine wichtige, obschon so triviale Bemerkung. Aber diese Trivialität ist eben durch die exakte Wissenschaft, und schon seit | der antiken Geometrie, verschüttet, eben durch jene Unterschiebung einer methodisch idealisierenden Leistung für das, was unmittelbar, als bei aller Idealisierung vorausgesetzte Wirklichkeit gegeben ist, gegeben in einer in ihrer Art unübertrefflichen Bewährung. Diese wirklich anschauliche, wirklich erfahrene und erfahrbare Welt, in der sich unser ganzes Leben praktisch abspielt, bleibt, als die sie ist, in ihrer eigenen Wesensstruktur, in ihrem eigenen konkreten Kausalstil ungeändert, was immer wir kunstlos oder als Kunst tun. Sie wird also auch nicht dadurch geändert, daß wir eine besondere Kunst, die geometrische und Galileische Kunst erfinden, die da Physik heißt. Was leisten wir durch sie wirklich? Eben eine ins Unendliche erweiterte Voraussicht. Auf Voraussicht, wir können dafür sagen, auf Induktion beruht alles Leben. In primitivster Weise induziert schon die Seinsgewißheit einer jeden schlichten Erfahrung. Die „gesehenen“ Dinge sind immer schon mehr als was wir von ihnen „wirklich und eigentlich“ sehen. Sehen,
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Wahrnehmen ist wesensmäßig ein Selbsthaben ineins mit Vorhaben, Vor-meinen. Alle Praxis mit ihren Vorhaben impliziert Induktionen, nur daß die gewöhnlichen, auch die ausdrücklich formulierten und „bewährten“ induktiven Erkenntnisse (die Voraussichten) „kunstlose“ sind gegenüber den kunstvollen „methodischen“, in der Methode der Galileischen Physik ins Unendliche in ihrer Leistungsfähigkeit zu steigernden Induktionen. In der geometrischen und naturwissenschaftlichen Mathematisierung messen wir so der Lebenswelt – der in unserem konkreten Weltleben uns ständig als wirklich gegebenen Welt – in der offenen Unendlichkeit möglicher Erfahrungen ein wohlpassendes Ideenkleid an, das der sogenannten objektivwissenschaftlichen Wahrheiten, d. i. wir konstruieren in einer (wie wir hoffen) wirklich und bis ins einzelne durchzuführenden und sich ständig bewährenden Methode zunächst bestimmte Zahlen-Indizierungen für die wirklichen und möglichen sinnlichen Füllen der konkret-anschaulichen Gestalten der Lebenswelt, und eben damit gewinnen wir Möglichkeiten einer Voraussicht der konkreten, noch nicht oder nicht mehr als wirklich gegebenen, und zwar der lebensweltlich-anschaulichen Weltgeschehnisse; einer Voraussicht, welche die Leistungen der alltäglichen Voraussicht unendlich übersteigt. | Das Ideenkleid „Mathematik und mathematische Naturwissenschaft“, oder dafür das Kleid der Symbole, der symbolisch-mathematischen Theorien, befaßt alles, was wie den Wissenschaftlern, so den Gebildeten als die „objektiv wirkliche und wahre“ Natur die Lebenswelt vertritt, sie verkleidet. Das Ideenkleid macht es, daß wir für wahres Sein nehmen, was eine Methode ist – dazu da, um die innerhalb des lebensweltlich wirklich Erfahrenen und Erfahrbaren ursprünglich allein möglichen rohen Voraussichten durch „wissenschaftliche“ im Progressus in infinitum zu verbessern: die Ideenverkleidung macht es, daß der eigentliche Sinn der Methode, der Formeln, der „Theorien“ unverständlich blieb und bei der naiven Entstehung der Methode niemals verstanden wurde. So ist auch nie das radikale Problem bewußt geworden, wie eine solche Naivität tatsächlich als lebendige historische Tat-
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sache möglich wurde und immerfort wird, wie eine Methode, die wirklich auf ein Ziel, die systematische Lösung einer unendlichen wissenschaftlichen Aufgabe, ausgerichtet ist und dafür immerfort zweifellos Ergebnisse zeitigt, je erwachsen konnte und dann durch die Jahrhunderte hindurch immerfort nützlich zu fungieren vermag, ohne daß irgend jemand ein wirkliches Verständnis des eigentlichen Sinnes und der inneren Notwendigkeit solcher Leistungen besaß. Es fehlte also und fehlt noch fortgesetzt die wirkliche Evidenz, in welcher der Erkennend-Leistende sich selbst Rechenschaft geben kann nicht nur über das, was er Neues tut und womit er hantiert, sondern auch über alle, durch Sedimentierung bzw. Traditionalisierung verschlossenen Sinnes-Implikationen, also über die beständigen Voraussetzungen seiner Gebilde, Begriffe, Sätze, Theorien. Gleicht die Wissenschaft und ihre Methode nicht einer offenbar sehr Nützliches leistenden und darin verläßlichen Maschine, die jedermann lernen kann, richtig zu handhaben, ohne im mindesten die innere Möglichkeit und Notwendigkeit so gearteter Leistungen zu verstehen? Aber konnte die Geometrie, konnte die Wissenschaft im voraus wie eine Maschine entworfen worden sein aus einem in ähnlichem Sinne vollkommenen – wissenschaftlichen – Verständnis? Führte das nicht auf einen „regressus in infinitum“? Schließlich: Ist es nicht ein Problem, das in eine Reihe rückt | mit dem Problem der Instinkte im gewöhnlichen Sinn? Ist es nicht das Problem der verborgenen Vernunft, die, erst offenbar geworden, sich selbst als Vernunft weiß? Galilei, der Entdecker – oder um seinen Vorarbeitern Gerechtigkeit angedeihen zu lassen –, der vollendende Entdecker der Physik, bzw. der physikalischen Natur, ist zugleich entdekkender und verdeckender Genius. Er entdeckt die mathematische Natur, die methodische Idee, er bricht der Unendlichkeit physikalischer Entdecker und Entdeckungen die Bahn. Er entdeckt gegenüber der universalen Kausalität der anschaulichen Welt (als ihrer invarianten Form) das, was seither ohne weiteres das Kausalgesetz heißt, die „apriorische Form“ der „wahren“ (idealisierten und mathematisierten) Welt, das „Gesetz der exakten Gesetzlichkeit“, wonach jedes Geschehen
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der „Natur“ – der idealisierten – unter exakten Gesetzen stehen muß. Das alles ist Entdeckung-Verdeckung, und wir nehmen das bis heute als schlichte Wahrheit. Es ändert sich ja im Prinzipiellen nichts durch die angeblich philosophisch umstürzende Kritik „des klassischen Kausalgesetzes“ von seiten der neuen Atomphysik. Denn bei allem Neuen verbleibt doch, wie mir scheint, das prinzipiell Wesentliche: die an sich mathematische Natur, die in Formeln gegebene, aus den Formeln erst heraus zu interpretierende. Ich nenne Galilei natürlich ganz im Ernste auch weiterhin an der Spitze der größten Entdecker der Neuzeit, und ebenso bewundere ich natürlich ganz im Ernste die großen Entdecker der klassischen und nachklassischen Physik und deren nichts weniger als bloß mechanische, sondern in der Tat höchst erstaunliche Denkleistung. Diese wird durchaus nicht herabgesetzt durch die gegebene Aufklärung derselben als τχνη und durch die prinzipielle Kritik, welche zeigt, daß der eigentliche, der ursprungsechte Sinn dieser Theorien den Physikern, auch den großen und größten, verborgen blieb und verborgen bleiben mußte. Es handelt sich nicht um einen Sinn, der metaphysisch hineingeheimnißt, hineinspekuliert wird, sondern der in zwingendster Evidenz ihr eigentlicher, ihr allein wirklicher ist gegenüber dem Methoden-Sinn, der seine eigene Verständlichkeit hat im | Operieren mit den Formeln und deren praktischer Anwendung, der Technik. In welcher Weise das bisher Gesagte doch noch einseitig ist und welchen, in neue Dimension führenden Problemhorizonten es nicht genugtut, die nur eine Besinnung über diese Lebenswelt und den Menschen als ihr Subjekt erschließt, kann erst aufgewiesen werden, wenn wir in der Aufklärung der geschichtlichen Entwicklung nach ihren innersten Triebkräften sehr viel weiter fortgeschritten sind.
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i) Verhängnisvolle Mißverständnisse als Folgen der Unklarheit über den Sinn der Mathematisierung
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Mit Galileis mathematisierender Umdeutung der Natur setzen sich auch über die Natur hinausreichende, verkehrte Konsequenzen fest, die von ihr aus so naheliegend waren, daß sie alle weiteren Entwicklungen der Weltbetrachtung bis zum heutigen Tage beherrschen konnten. Ich meine Galileis berühmte Lehre von der bloßen Subjektivität der spezifisch sinnlichen Qualitäten, die bald nachher von Hobbes konsequent gefaßt wurde als Lehre von der Subjektivität der gesamten konkreten Phänomene der sinnlich anschaulichen Natur und Welt überhaupt. Die Phänomene sind nur in den Subjekten; sie sind in ihnen nur als kausale Folgen der in der wahren Natur stattfindenden Vorgänge, die ihrerseits nur in mathematischen Eigenschaften existieren. Ist die anschauliche Welt unseres Lebens bloß subjektiv, so sind die gesamten Wahrheiten des vor- und außerwissenschaftlichen Lebens, welche sein tatsächliches Sein betreffen, entwertet. Nur insofern sind sie nicht bedeutungslos, als sie, obschon falsch, ein hinter dieser Welt möglicher Erfahrung liegendes, ein ihr transzendentes An-sich vage bekunden. Im Anschluß daran bringen wir uns noch eine weitere Konsequenz der neuen Sinnbildung näher: eine aus ihr als „Selbstverständlichkeit“ erwachsene Selbstinterpretation der Physiker, welche bis vor kurzem die allherrschende war: Die Natur ist in ihrem „wahren Sein an sich“ mathematisch. Von diesem An-sich bringt die reine Mathematik der Raumzeitlichkeit eine Gesetzesschicht in apodiktischer Evi | denz, als unbedingt allgemein gültige, zur Erkenntnis: unmittelbar die axiomatischen Elementargesetze der apriorischen Konstruktionen, in unendlichen Mittelbarkeiten die übrigen Gesetze. Hinsichtlich der Raumzeitform der Natur besitzen wir eben das uns (wie es später heißt) „eingeborene“ Vermögen, wahres An-sich-Sein als Sein in mathematischer Idealität (vor aller wirklichen Erfahrung) bestimmt zu erkennen. Implizite ist sie selbst uns also eingeboren. Anders steht es mit der konkreteren universalen Natur-
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gesetzlichkeit, obwohl auch sie durch und durch mathematisch ist. Sie ist „a posteriori“, von den faktischen Erfahrungsgegebenheiten aus induktiv zugänglich. Vermeintlich voll verständlich stehen sich scharf unterschieden gegenüber: apriorische Mathematik der raumzeitlichen Gestalten und induktive, obschon reine Mathematik anwendende Naturwissenschaft. Oder auch: Scharf unterscheidet sich das rein mathematische Verhältnis von Grund und Folge von dem des realen Grundes und der realen Folge, also dem der Naturkausalität. Und doch macht sich allmählich ein unbehagliches Gefühl der Unklarheit über das Verhältnis zwischen der Naturmathematik und der ihr doch zugehörigen Mathematik der Raumzeitform, zwischen dieser „eingeborenen“ und jener nicht eingeborenen Mathematik geltend. Gegenüber der absoluten Erkenntnis, so sagt man sich, die wir dem Gott-Schöpfer zusprechen, hat die der reinen Mathematik nur den einen Mangel, daß sie zwar immerfort eine absolut evidente ist, aber des systematischen Prozesses bedarf, um alles in der Raumzeitform an Gestalten „Existierende“ erkenntnismäßig, also als explizite Mathematik zu realisieren. Dagegen haben wir hinsichtlich des in der Natur konkret Existierenden nichts von der apriorischen Evidenz; die gesamte Naturmathematik über die raumzeitliche Form hinaus müssen wir von Erfahrungstatsachen aus induzieren. Aber ist nicht die Natur an sich durchaus mathematisch, muß nicht auch sie als einheitliches mathematisches System gedacht werden, also wirklich darstellbar sein in einer einheitlichen Naturmathematik: eben jener, die die Naturwissenschaft immer nur sucht, sucht als umgriffen von einem der Form nach „axiomatischen“ Gesetzessystem, dessen Axiomatik immer nur Hypothese ist, also nie wirklich erreich | bar? Warum eigentlich nicht, warum haben wir keine Aussicht, das der Natur eigene Axiomensystem als ein solches echter apodiktisch evidenter Axiome zu entdecken? Weil uns hier faktisch das eingeborene Vermögen fehlt? In der veräußerlichten, mehr oder minder schon technisierten Sinngestalt der Physik und ihrer Methode lag der fragliche Unterschied „ganz klar“ vor: der Unterschied zwischen „reiner“ (apriorischer) und „angewandter“ Mathematik, zwi-
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schen „mathematischer Existenz“ (im Sinne der reinen Mathematik) und Existenz von mathematisch gestaltetem Realem (woran also mathematische Gestalt eine real-eigenschaftliche Komponente ist). Und doch ringt selbst ein so überragender Genius wie Leibniz lange mit dem Problem, die eine und andere Existenz – also universal die Existenz der Raumzeitform als rein geometrischer, und die Existenz der universalen mathematischen Natur mit ihrer faktisch-realen Form – in ihrem echten Sinne zu fassen und beider rechtes Verhältnis zueinander zu verstehen. Welche Rolle diese Unklarheiten für die Kantische Problematik der synthetischen Urteile apriori und für seine Scheidung zwischen den synthetischen Urteilen der reinen Mathematik und denen der Naturwissenschaft spielte, das wird uns später ausführlich beschäftigen müssen. Die Unklarheit verstärkte und verwandelte sich späterhin noch mit der Ausbildung und ständigen methodischen Anwendung der reinen formalen Mathematik. Es vermischte sich „Raum“ und rein formal definierte „Euklidische Mannigfaltigkeit“, wirkliches Axiom (nämlich im altüblichen Sinne des Wortes) als in der Evidenz des rein geometrischen Denkens oder auch des arithmetischen, rein logischen Denkens erfaßte ideale Norm unbedingter Gültigkeit, und uneigentliches „Axiom“ – ein Wort, das in der Mannigfaltigkeitslehre überhaupt nicht Urteile („Sätze“) bezeichnet, sondern Satzformen als Bestandstücke der Definition einer mit innerer Widerspruchslosigkeit formal zu konstruierenden „Mannigfaltigkeit“. k) Grundsätzliche Bedeutung des Ursprungsproblems der mathematischen Naturwissenschaft 57
Auch diese wie alle früher aufgewiesenen Unklarheiten sind | Folgen der Verwandlung ursprünglich lebendiger Sinnbildung bzw. des ursprünglich lebendigen Aufgabenbewußtseins, aus dem Methode wird, und in ihrem jeweiligen besonderen Sinne wird. So ist die gewordene Methode, die fortschreitende Erfüllung der Aufgabe, als Methode Kunst (τχνη), die sich vererbt, aber damit nicht ohne weiteres ihren wirklichen Sinn vererbt.
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Und eben darum kann eine theoretische Aufgabe und Leistung wie die einer Naturwissenschaft (und Weltwissenschaft überhaupt), welche die Unendlichkeit ihrer Thematik nur durch Unendlichkeiten der Methode beherrschen und diese Unendlichkeiten auch nur durch ein sinnentleertes technisches Denken und Tun beherrschen kann, wirklich und ursprünglich sinnhaft nur sein bzw. bleiben, wenn der Wissenschaftler in sich die Fähigkeit ausgebildet hat, nach dem Ursprungssinn aller seiner Sinngebilde und Methoden zurückzufragen: nach dem historischen Urstiftungssinn, vornehmlich nach dem Sinn aller darin unbesehen übernommenen und desgleichen aller späteren Sinneserbschaften. Aber der Mathematiker, der Naturwissenschaftler, günstigenfalls ein höchst genialer Techniker der Methode – der er die Entdeckungen verdankt, die er allein sucht – ist eben normalerweise durchaus nicht befähigt, solche Besinnungen durchzuführen. In seiner wirklichen Forschungs- und Entdeckungssphäre weiß er gar nicht, daß all das, was diese Besinnungen zu klären haben, überhaupt klärungsbedürftig ist, und zwar um des höchsten für eine Philosophie, für eine Wissenschaft maßgeblichen Interesses willen, des der wirklichen Erkenntnis der Welt selbst, der Natur selbst. Und gerade das ist durch eine traditionell gegebene, zur τχνη gewordene Wissenschaft verloren gegangen, soweit es überhaupt bei ihrer Urstiftung bestimmend war. Jeder von einem außermathematischen, außernaturwissenschaftlichen Forscherkreis herkommende Versuch, ihn zu solchen Besinnungen anzuleiten, wird als „Metaphysik“ abgelehnt. Der Fachmann, der diesen Wissenschaften sein Leben gewidmet hat, müsse doch – das scheint ihm so einleuchtend – selbst am besten wissen, was er in seiner Arbeit vorhat und leistet. Die aus historischen Motiven, welche noch zu erhellen sein werden, auch in diesen Forschern erweckten philoso | phischen Bedürfnisse („philosophisch-mathematische“, „philosophisch-naturwissenschaftliche“) werden in ihnen genügender Weise von ihnen selbst erfüllt, allerdings so, daß die ganze Dimension, in welche es hineinzufragen gilt, überhaupt nicht gesehen, also gar nicht befragt wird.
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l) Methodische Charakteristik unserer Auslegung
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Zum Schlusse sei hier noch ein Wort über die Methode gesagt, die wir in den vielverschlungenen Überlegungen dieses Paragraphen befolgt haben, und zwar im Dienste unserer Gesamtabsicht. Die geschichtlichen Besinnungen, in die wir uns einließen, um zu einem in unserer philosophischen Situation so sehr nötigen Selbstverständnis zu kommen, erforderten Klarheit über den Ursprung des neuzeitlichen Geistes und damit – vermöge der nicht hoch genug zu bewertenden Bedeutung der Mathematik und mathematischen Naturwissenschaft – über den Ursprung dieser Wissenschaften. Dasselbe besagt: Klarheit über die Ursprungsmotivation und Gedankenbewegung, welche zur Konzeption ihrer Naturidee führt und von da aus zu der Bewegung ihrer Realisierung in der aktuellen Entwicklung der Naturwissenschaft selbst. Bei Galilei tritt die fragliche Idee sozusagen zum ersten Male als fertige auf; so habe ich an seinen Namen alle Betrachtungen (also die Sachlage in gewisser Weise idealisierend-vereinfachend) angeknüpft, obwohl eine genauere historische Analyse dem, was er in seinen Gedanken den „Vorläufern“ verdankt, genugzutun hätte. (Ähnlich werde ich übrigens und mit guten Gründen weiter verfahren.) Hinsichtlich der Situation, die er vorfand und wie sie ihn motivieren mußte und nach seinen bekannten Aussprüchen motiviert hat, läßt sich einiges wohl rasch feststellen und so der Anfang der ganzen Sinngebung für die Naturwissenschaft verstehen. Aber schon dabei stoßen wir auf die Sinnverschiebungen und Verdeckungen der späteren und spätesten Zeiten. Denn wir, die die Besinnungen Vollziehenden, stehen selbst in deren Bann (und, wie ich das voraussetzen darf, auch meine Leser). In ihnen befangen haben wir zunächst keine Ahnung von diesen Sinnverschiebungen: wir, die wir doch alle so gut zu wissen meinen, was Mathematik und Naturwissenschaft „sind“ und leisten. Denn | wer weiß das heutzutage von der Schule her nicht? Aber schon die erste Erhellung des Ursprungssinnes der neuen Naturwissenschaft und ihres neuartigen methodischen Stils macht etwas von den späteren Sinnverschiebungen fühlbar. Und offenbar beeinflussen,
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zum mindesten erschweren sie auch schon die Motivationsanalyse. Wir stehen also in einer Art Zirkel. Das Verständnis der Anfänge ist voll nur zu gewinnen von der gegebenen Wissenschaft in ihrer heutigen Gestalt aus, in der Rückschau auf ihre Entwicklung. Aber ohne ein Verständnis der Anfänge ist diese Entwicklung als Sinnesentwicklung stumm. Es bleibt uns nichts anderes übrig: wir müssen im „Zickzack“ vor- und zurückgehen; im Wechselspiel muß eins dem andern helfen. Relative Klärung auf der einen Seite bringt einige Erhellung auf der anderen, die nun ihrerseits auf die Gegenseite zurückstrahlt. So müssen wir in der Art von Geschichtsbetrachtung und Geschichtskritik, die im Ausgang von Galilei (und gleich nachher von Descartes) der Zeitfolge entlang gehen muß, doch beständig historische Sprünge machen, die also nicht Abschweifungen, sondern Notwendigkeiten sind. Notwendigkeiten, wenn wir, wie gesagt, diejenige Aufgabe der Selbstbesinnung auf uns nehmen, welche aus der „Zusammenbruchs“-Situation unserer Zeit, mit ihrem „Zusammenbruch der Wissenschaft“ selbst, erwachsen ist. An erster Stelle betrifft diese Aufgabe aber die Besinnung auf den Ursprungssinn der neuen Wissenschaften und allen voran der exakten Naturwissenschaft, da sie, wie wir weiter zu verfolgen haben, von Anfang an und weiterhin in all ihren Sinnverschiebungen und abwegigen Selbstinterpretationen von entscheidender Bedeutung für Werden und Sein der neuzeitlichen positiven Wissenschaften, desgleichen der neuzeitlichen Philosophie – ja des Geistes des neuzeitlichen europäischen Menschentums überhaupt, gewesen ist und noch ist. Zur Methode gehört auch dies: Den Lesern, besonders den naturwissenschaftlichen, wird es empfindlich geworden sein und fast wie ein Dilettantismus erscheinen, daß von der naturwissenschaftlichen Sprechweise keinerlei Gebrauch gemacht worden ist. Sie ist bewußt vermieden worden. Es gehört selbst zu den großen Schwierigkeiten einer Denkweise, die überall die „ursprüng | liche Anschauung“ zur Geltung zu bringen sucht, also die vor- und außerwissenschaftliche Lebenswelt, welche alles aktuelle Leben, auch das wissenschaftliche Denkleben in sich faßt und als Quelle der kunstvollen Sinnbildun-
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gen nährt – , es gehört, sage ich. zu diesen Schwierigkeiten, die naive Sprechweise des Lebens wählen zu müssen, sie aber auch angemessen zu handhaben, wie es für die Evidenz der Nachweisungen erforderlich ist. Daß der rechte Rückgang zur Naivität des Lebens, aber in einer über sie sich erhebenden Reflexion, der einzig mögliche Weg ist, um die in der „Wissenschaftlichkeit“ der traditionellen objektivistischen Philosophie liegende philosophische Naivität zu überwinden, wird sich allmählich und schließlich vollkommen erhellen und wird der schon wiederholt vorgedeuteten neuen Dimension die Tore eröffnen. Beizufügen ist hier noch, daß sinngemäß alle unsere Ausführungen nur in der Relativität der Stelle für das Verständnis hilfreich sein sollen, und daß unsere Äußerung sich regender Bedenken in den beigegebenen Kritiken (die wir als die Gegenwärtigen, die jetzt die Besinnung Durchführenden nicht verschweigen), ihre methodische Funktion darin hat, daß sie Gedanken und Methoden vorbereiten soll, die allmählich in uns als Besinnungsergebnisse zur Gestalt werden und zu unserer Befreiung dienen sollen. Alle Besinnung aus „existenziellen“ Gründen ist natürlich kritisch. Wir werden es aber nicht versäumen, später auch den prinzipiellen Sinn des Ganges unserer Besinnung und der besonderen Art unserer Kritik zu reflektiver Erkenntnisgestaltung zu bringen.
§ 10 Der Ursprung des Dualismus in der herrschenden Vorbildlichkeit der Naturwissenschaft. Die Rationalität der Welt „more geometrico“
Ein Grundstück zu der neuartigen Naturbetrachtung ist noch hervorzuheben. Galilei in seiner Blickrichtung auf die Welt von der Geometrie her und von dem her, was sinnlich erscheint und mathematisierbar ist, abstrahiert von den Subjekten als Personen eines personellen Lebens, von allem in jedem Sinne Geistigen, von allen in der menschlichen Praxis den Dingen zuwachsenden Kultureigenschaften. In dieser Abstraktion resultieren die puren körperlichen Dinge, die aber wie konkrete
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Realitäten ge | nommen und in ihrer Totalität als eine Welt thematisch werden. Man kann wohl sagen, daß erst durch Galilei die Idee einer Natur als einer in sich real abgeschlossenen Körperwelt an den Tag tritt. Ineins mit der zu schnell zur Selbstverständlichkeit gewordenen Mathematisierung ergibt das als Konsequenz eine in sich geschlossene Naturkausalität, in der alles Geschehen eindeutig und im voraus determiniert ist. Offenbar ist damit auch der Dualismus vorbereitet, der alsbald bei Descartes auftritt. Überhaupt müssen wir uns jetzt klarmachen, daß die Auffassung der neuen Idee „Natur“ als einer abgekapselten, einer real und theoretisch in sich geschlossenen Körperwelt, alsbald eine völlige Verwandlung der Idee der Welt überhaupt mit sich führt. Sie zerspaltet sich sozusagen in zwei Welten: Natur und seelische Welt, von der die letztere es freilich durch die Art ihrer Bezogenheit auf die Natur zu keiner selbständigen Weltlichkeit bringt. Die Alten hatten einzelne Untersuchungen und Theorien über Körper, aber keine geschlossene Körperwelt als Thema einer universalen Naturwissenschaft. Sie hatten auch Untersuchungen über die menschliche und tierische Seele, aber eine Psychologie neuzeitlichen Sinnes konnten sie nicht haben – eine Psychologie, die doch erst dadurch, daß sie eine universale Natur und Naturwissenschaft vor sich hatte, eine entsprechende Universalität anstreben konnte, nämlich auf einem ihr zugehörigen, ebenfalls in sich geschlossenen Felde. Die Zerspaltung und Sinnesverwandlung der Welt war die begreifliche Folge der zu Anfang der Neuzeit in der Tat ganz unvermeidlichen Vorbildlichkeit der naturwissenschaftlichen Methode oder, anders gesagt, der naturwissenschaftlichen Rationalität. In der Mathematisierung der Natur, so wie man sie als Idee und Aufgabe verstand, lag, daß die Koexistenz der unendlichen Allheit ihrer Körper in der Raumzeitlichkeit als eine, an sich betrachtet, mathematisch rationale supponiert war; nur daß die Naturwissenschaft als induktive eben nur induktive Zugänge zu den an sich mathematischen Zusammenhängen haben konnte. Jedenfalls hatte sie als eine Mathematisches induzierende und von der reinen Mathematik geleitete Wissenschaft selbst schon die höchste Rationalität. Mußte diese nicht
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zum Vorbild aller echten Erkenntnis werden, mußte, | wenn für sie über die Natur hinaus echte Wissenschaft zustande kommen sollte, diese nicht dem Vorbild der Naturwissenschaft folgen, bzw. noch besser: dem der reinen Mathematik, wofern uns vielleicht noch in anderen Erkenntnissphären das Vermögen apodiktischer Evidenz in Axiomen und Deduktionen „eingeboren“ sein sollte. Kein Wunder, daß wir schon bei Descartes die Idee einer Universalmathematik finden. Natürlich wirkte in dieser Hinsicht mit das Schwergewicht der sofort mit Galilei einsetzenden theoretischen und praktischen Erfolge. Demnach bekommt korrelativ Welt und Philosophie ein völlig neues Gesicht. Die Welt muß an sich eine rationale Welt sein, im neuen Sinne der Rationalität, welcher an der Mathematik, bzw. der mathematisierten Natur abgenommen worden war, und dementsprechend muß die Philosophie, die universale Wissenschaft von der Welt, aufzubauen sein als einheitlich rationale Theorie „more geometrico“.
§ 11 Der Dualismus als Grund für die Unfaßbarkeit der Vernunftprobleme, als Voraussetzung der Spezialisierung der Wissenschaften, als Grundlage der naturalistischen Psychologie
Allerdings wenn, wie das – in der gegebenen historischen Situation – als selbstverständlich gilt, die naturwissenschaftlich rationale Natur eine an sich seiende Körperwelt ist, so mußte die Welt an-sich eine in einem früher unbekannten Sinn eigentümlich gespaltene Welt sein, gespalten in Natur an-sich und in eine davon unterschiedene Seinsart: das psychisch Seiende. Das mußte zunächst und schon mit Rücksicht auf die von der Religion her geltende und keineswegs preisgegebene Idee Gottes bedenkliche Schwierigkeiten hereinbringen. War Gott nicht unentbehrlich als Prinzip der Rationalität? Setzt nicht rationales Sein, und zunächst schon als Natur, um überhaupt denkbar zu sein, rationale Theorie und eine sie leistende Subjektivität voraus; setzt also die Natur und überhaupt die Welt an-sich nicht Gott als die absolut seiende Vernunft vor-
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aus? Ist da nicht das psychische Sein als eine rein für sich seiende Subjektivität im An-sich-Sein bevorzugt? Ob göttliche oder menschliche, es ist doch Subjektivität. Die Abscheidung des Psychischen machte überhaupt, wo Vernunftprobleme empfindlich wurden, in steigendem Maße Schwie | rigkeiten. Freilich erst später werden sie so drängend, daß sie in großen Untersuchungen über den menschlichen Verstand, in „Kritiken der Vernunft“ zum zentralen Thema der Philosophie werden. Aber die Kraft der rationalistischen Motive war noch ungebrochen, und überall ging man voll Vertrauen an die allseitige Durchführung einer rationalistischen Philosophie. Nicht ganz ohne Erfolg an zweifellos wertvollen Erkenntnissen, die auch, wenn sie „noch nicht“ dem Ideal entsprachen, eben als Unterstufen interpretiert werden konnten. Eo ipso war nun jede Etablierung einer Sonderwissenschaft von der Idee einer ihr entsprechenden rationalen Theorie, bzw. eines an sich rationalen Gebietes geleitet. Die Spezialisierung der Philosophie in Fachwissenschaften hat demnach einen tieferen und ausschließlich auf die neuzeitliche Einstellung bezogenen Sinn. Spezialisierungen antiker Forscher konnten keine Fachwissenschaften in unserem Sinne ergeben. Galileis Naturwissenschaft entsprang nicht durch eine Spezialisierung. Anderseits erst die nachkommenden neuen Wissenschaften spezialisierten die durch die neue Naturwissenschaft motivierte Idee einer rationalen Philosophie und hatten von ihr her ihren Schwung des Fortschrittes und der Eroberung neuer Gebiete: rational geschlossener Sonderregionen innerhalb der rationalen Totalität des Universums. Natürlich tritt gleich anfangs, sowie durch Descartes die Idee der rationalen Philosophie und die Scheidung von Natur und Geist proklamiert war, als das Erstgeforderte eine neue Psychologie auf, schon mit Descartes’ Zeitgenossen Hobbes. Sie war sogleich, wie wir es schon angezeigt haben, eine Psychologie von einem der Vorzeit völlig fremden Stil, konkret entworfen als eine psychophysische Anthropologie in rationalistischem Geiste. Man darf sich nicht von der üblichen Kontrastierung von Empirismus und Rationalismus mißleiten lassen. Der Na-
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turalismus eines Hobbes will Physikalismus sein und hat wie aller Physikalismus eben das Vorbild der physikalischen Rationalität.1 | Das gilt auch von den übrigen Wissenschaften der Neuzeit, den biologischen usw. Die dualistische Spaltung, die Folge der physikalischen Naturkonzeption, bewirkt in ihnen die Ausbildung in Form von gespaltenen Disziplinen. Die zunächst einseitig rein auf das Körperliche sich einstellenden, also biophysischen Wissenschaften sind zwar genötigt, vorerst deskriptiv die Konkretionen zu fassen, sie anschaulich zu zergliedern und zu klassifizieren; aber die physikalistische Ansicht von der Natur machte es selbstverständlich, daß eine weiter durchgeführte Physik schließlich alle diese Konkretionen physikalischrational „erklären“ werde. So gilt die Blüte der biophysischdeskriptiven Wissenschaften, zumal vermöge der gelegentlichen Verwertung von physikalischen Erkenntnissen, als Erfolg der naturwissenschaftlichen, immerfort physikalisch interpretierten Methode. Was andererseits das Seelische anlangt, das nach Ausschaltung des in die regional geschlossene Natur hineingehörigen animalischen und zunächst menschlichen Körpers übrig bleibt, so wirkt sich die Vorbildlichkeit der physikalischen Naturauffassung und der naturwissenschaftlichen Methode – schon seit Hobbes – in begreiflicher Weise dahin aus, daß der Seele eine prinzipiell ähnliche Seinsart zugewiesen wird wie der Natur und der Psychologie, ein ähnliches theoretisches Aufsteigen von Deskription zu letzter theoretischer „Erklärung“ wie der Biophysik. Das aber unerachtet der Cartesianischen Lehre von den durch grundverschiedene Attribute geschiedenen körperlichen und seelischen „Substanzen“, Diese Naturalisierung des 1
Wenn ich hier und öfters den Ausdruck „Physikalismus“ gebrauche, so geschieht es ausschließlich in dem allgemeinen, aus dem Gang unserer Untersuchungen selbst verständlichen Sinn, nämlich für philosophische Verirrungen, welche aus Mißdeutungen des wahren Sinnes der neuzeitlichen Physik entspringen. Das Wort weist also hier nicht speziell auf die „physikalistische Bewegung („Wiener Kreis“, „logisierender Empirismus“).
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Psychischen vermittelt sich über John Locke der gesamten Neuzeit bis zum heutigen Tage. Bezeichnend ist Lockes bildliche Rede vom white paper, der tabula rasa, auf der die seelischen Daten kommen und gehen, irgendwie geregelt, so wie in der Natur die körperlichen Vorgänge. Konsequent ausgebildet, bzw. zu Ende gedacht als positivistischer Sensualismus, ist dieser neuartige, physikalistisch orientierte Naturalismus bei Locke noch nicht. Aber rasch wirkt er sich, und in einer für die geschichtlichen Entwicklungen der gesamten Philosophie schicksalsvollen Weise aus. Jedenfalls aber war die neue naturalistische Psychologie von Beginn an nicht ein leeres Versprechen, sondern sie tritt in großen Schriften eindrucksvoll und | mit dem Anspruch der dauernden Begründung einer universalen Wissenschaft auf den Plan. Alle neuen Wissenschaften scheinen, vom gleichen Geiste getragen, zu gelingen, zuoberst auch die Metaphysik. Wo der physikalistische Rationalismus nicht ernstlich durchführbar war, wie eben in der Metaphysik, da half man sich mit unklaren Abschwächungen, unter Verwertung von Abwandlungen scholastischer Begriffe. Zumeist war ja auch der leitende Sinn der neuen Rationalität nicht präzis ausgedacht, so sehr er der Motor der Bewegungen war. Seine präzisierende Explikation war selbst ein Teil der philosophischen Denkbarkeit bis zu Leibniz und Christian Wolff hin. Wie der neue naturalistische Rationalismus eine systematische Philosophie – eine Metaphysik, eine Wissenschaft von den höchsten und letzten Fragen, den Vernunftfragen, aber auch in eins damit den Tatsachenfragen – glaubte „ordine geometrico“ schaffen zu können, dafür haben wir ein klassisches Exempel an Spinozas „Ethica“. Man muß allerdings Spinoza in seinem historischen Sinne recht verstehen. Es ist ein völliges Mißverständnis, wenn man Spinoza nach dem oberflächlich Sichtlichen seiner „geometrischen“ Demonstrationsmethode interpretiert. Anfangend als Cartesianer, ist er zunächst natürlich ganz erfüllt von der Überzeugung, daß nicht nur die Natur, sondern die Totalität des Seins überhaupt ein einheitliches rationales System sein müsse. Das war im voraus selbstverständlich. In dem Totalsystem muß das mathematische System der Natur enthalten
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sein – als Teil eines Systems kann dieses aber nicht selbständig sein. Man kann also die Physik nicht, als wäre sie ein wirklich volles System, den Physikern überlassen und nun anderseits für das psychologische Gegenglied des Dualismus die Ausbildung eines diesem eigenen rationalen Systems psychologischen Fachmännern anheimgeben. In die Einheit des rationalen Totalsystems mußte doch auch als theoretisches Thema Gott, die absolute Substanz, hineingehören. Spinoza steht vor der Aufgabe, das postulierte rationale Totalsystem des Seienden und zunächst die Bedingungen seiner einheitlichen Denkbarkeit zu entdecken und dann es selbst durch wirkliche Konstruktion systematisch zu realisieren. So erst, durch die Tat, ist die wirkliche Denkbarkeit eines ratio | nalen Seinsalls erwiesen. Sie ist eben vorher, trotz der Evidenz, die bei dieser Einstellung in der Vorbildlichkeit der Naturwissenschaft lag, nur ein Postulat, dessen Denkmöglichkeit ja für den Dualismus grundverschiedener „Substanzen“, mit der einen absoluten und eigentlichsten Substanz über sich, durchaus nicht klar lag. Natürlich handelte es sich für Spinoza nur um das systematisch Allgemeine – seine „Ethica“ ist die erste universale Ontologie. Durch sie, meinte er, sei für die aktuelle Naturwissenschaft und für die als Parallele zu ihr ähnlich aufzubauende Psychologie ihr wirklicher Systemsinn zu gewinnen, ohne den beide mit Unverständlichkeit behaftet blieben.
§ 12 Gesamtcharakteristik des neuzeitlichen physikalistischen Rationalismus
Philosophie in ihrem antiken Ursprung wollte „Wissenschaft“ sein, universale Erkenntnis vom Universum des Seienden, nicht vage und relative Alltagserkenntnis – δξα – , sondern rationale Erkenntnis: πιστμη. Aber die wahre Idee der Rationalität und im Zusammenhang damit die wahre Idee der universalen Wissenschaft erreicht die alte Philosophie noch nicht – so war die Überzeugung der Begründer der Neuzeit. Das neue Ideal war erst nach dem Vorbild der neugestalteten Mathematik und Naturwissenschaft möglich. Es erwies seine
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Möglichkeit im begeisternden Tempo der Verwirklichung. Was ist nun die universale Wissenschaft der neuen Idee anderes – ideal vollendet gedacht – als Allwissenheit? Dies ist also für die Philosophen wirklich ein, obschon im Unendlichen liegendes, so doch realisierbares Ziel – nicht für den einzelnen und für die zeitweilige Forschergemeinschaft, aber wohl im unendlichen Progreß der Generationen und ihrer systematischen Forschungen. An sich ist die Welt, so meint man apodiktisch einzusehen, eine rationale systematische Einheit, in welcher alle Einzelheiten bis ins letzte rational determiniert sein müssen. Ihre Systemform (ihre universale Wesensstruktur) ist zu gewinnen, ja im voraus für uns bereit und bekannt, sofern sie jedenfalls eine rein mathematische ist. Es gilt, sie nur in ihrer Besonderheit zu determinieren, was leider nur auf induktivem Wege möglich ist. Das ist der – freilich unend | liche – Weg zur Allwissenheit. Man lebt also in der beglückenden Gewißheit eines von den Nähen in die Fernen, vom mehr oder minder Bekannten zum Unbekannten fortlaufenden Weges, als einer unfehlbaren Methode der Erkenntniserweiterung, in welcher vom All des Seienden wirklich alles in seinem vollen „An-sichSein“ erkannt werden müßte – im unendlichen Progressus. Dazu gehört aber beständig auch ein anderer Progressus: derjenige der Approximation des in der Lebensumwelt sinnlichanschaulich Gegebenen an das mathematisch Ideale, nämlich in der Vervollkommnung der immer nur angenäherten „Subsumtion“ der empirischen Daten unter die ihnen zugehörigen Idealbegriffe, die hierfür auszubildende Methodik, die Verfeinerung der Messungen, die Steigerung der Leistungsfähigkeit ihrer Instrumente usw. Mit der fortwachsenden und immer vollkommeneren Erkenntnismacht über das All erringt der Mensch auch eine immer vollkommenere Herrschaft über seine praktische Umwelt, eine sich im unendlichen Progressus erweiternde. Darin beschlossen ist auch die Herrschaft über die zur realen Umwelt gehörige Menschheit, also auch über sich selbst und die Mitmenschheit, eine immer größere Macht über sein Schicksal, und so eine immer vollere – die für den Menschen überhaupt rational denkbare – „Glückseligkeit“. Denn auch hinsichtlich
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der Werte und Güter kann er das an sich Wahre erkennen. Das alles liegt im Horizont dieses Rationalismus als seine für ihn selbstverständliche Konsequenz. Der Mensch ist so wirklich Ebenbild Gottes. In einem analogen Sinne, wie die Mathematik von unendlich fernen Punkten, Geraden usw. spricht, kann man hier im Gleichnis sagen: Gott ist der „unendlich ferne Mensch“. Der Philosoph hat eben, korrelativ mit der Mathematisierung der Welt und Philosophie, sich selbst und zugleich Gott in gewisser Weise mathematisch idealisiert. Zweifellos bedeutet das neue Ideal der Universalität und Rationalität der Erkenntnis einen gewaltigen Fortschritt dort, wo seine Heimatstätte war: in der Mathematik und Physik. Natürlich vorausgesetzt, daß es gemäß unseren früheren Analysen zu einem rechten Selbstverständnis gebracht wird und von allen Sinnverwandlungen befreit bleibt. Gibt es in der Weltgeschichte einen würdigeren Gegenstand des philosophischen Staunens als | die Entdeckung unendlicher WahrheitsAllheiten, als im unendlichen Progreß rein (als reine Mathematik) oder in Approximationen (als induktive Naturwissenschaft) realisierbarer; und ist, was da wirklich als Werkleistung wurde und fortwuchs, nicht fast ein Wunder? Ein Wunder ist die rein theoretisch-technische Leistung, wenn sie auch in Sinnverwandlung für die Wissenschaft selbst genommen wird. Anders steht es mit der Frage, wieweit die Vorbildlichkeit dieser Wissenschaften gespannt werden durfte, und ob dann nicht die philosophischen Besinnungen überhaupt unzureichend waren, denen die neue Welt- und Weltwissenschaftskonzeption verdankt wurde. Wie wenig das schon hinsichtlich der Natur der Fall war, zeigte sich daran (obschon erst in der neuesten Zeit), daß die Selbstverständlichkeit, alle Naturwissenschaft sei letztlich Physik – die biologischen wie alle konkreten Naturwissenschaften, müßten sich im Fortschritt der Forschungen immer mehr in Physik auflösen erschüttert wurde und so sehr, daß diese Wissenschaften zu methodischen Reformen sich genötigt sahen. Freilich geschah das nicht aufgrund einer prinzipiellen Revision der die neuzeitliche Naturwissenschaft urstiftenden und durch die Methodisierung sich entleerenden Gedanken.
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§13 Die ersten Schwierigkeiten des physikalistischen Naturalismus in der Psychologie: die Unfaßbarkeit der leistenden Subjektivität
Doch sehr viel früher machte sich die Bedenklichkeit der Mathematisierung der Welt, bzw. einer ihr unklar nachgebildeten Rationalisierung – einer Philosophie ordine geometrico – in der neuen naturalistischen Psychologie geltend. Zu ihrem Gebiete gehörten ja auch die rationalen Erkenntnistätigkeiten und Erkenntnisse der Philosophen, der Mathematiker, der Naturforscher usw., in denen die neuen Theorien als ihre Geistesgebilde wurden und als solche, die den letzten Wahrheitssinn der Welt in sich trugen. Das machte solche Schwierigkeiten, daß schon mit Berkeley und Hume eine paradoxe, zwar als Widersinn empfundene, aber nicht recht faßbare Skepsis erwuchs, welche sich zunächst gerade gegen die Muster der Rationalität, gegen Mathematik und Physik, richtete und ihre Grundbegriffe, ja den Sinn ihrer Gebiete (mathematischer | Raum, materielle Natur) als psychologische Fiktionen zu entwerten suchte. Sie ging schon in Hume bis ans Ende, bis zur Entwurzelung des ganzen Ideals der Philosophie, der ganzen Art der Wissenschaftlichkeit der neuen Wissenschaften. Betroffen war, und das ist überaus bedeutsam, nicht nur das neuzeitliche philosophische Ideal, sondern die gesamte Philosophie der Vergangenheit, die ganze Aufgabenstellung einer Philosophie als universaler objektiver Wissenschaft. Eine paradoxe Situation! Höchst erfolgreiche und täglich sich vermehrende Leistungen, mindestens einer großen Reihe neuer Wissenschaften, lagen vor. Der in ihnen Arbeitende oder sie sorgsam Nachverstehende erlebte eine Evidenz, der er – und niemand – sich entziehen konnte. Und doch war diese ganze Leistung, diese Evidenz selbst, in einer gewissen neuen Blickrichtung und von der Psychologie her, in deren Gebiet sich das leistende Tun abspielte, völlig unverständlich geworden. Aber noch mehr. Nicht nur die neuen Wissenschaften und ihre Welt, die rational interpretierte, waren betroffen, sondern auch das alltägliche Weltbewußtsein und Weltleben, die vorwissenschaftliche Welt im alltäglichen Sinne, die Welt, in deren selbstverständlicher Seinsgeltung das
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Tun und Treiben des von der Wissenschaft unberührten Menschen sich vollzieht, und schließlich auch des Wissenschaftlers, und nicht nur, wenn er in die Alltagspraxis zurückkehrt. Die radikalste frühere Skepsis hatte gegen diese Welt nicht ihren Angriff gerichtet, sondern nur ihre Relativität geltend gemacht zwecks Negation der πιστμη und der in ihr philosophisch substruierten Welt an-sich. Darin bestand ihr Agnostizismus. So treten jetzt Welträtsel von einem früher nie geahnten Stil auf den Plan, und sie bedingten eine völlig neue Art des Philosophierens, das „erkenntnistheoretische“, „vernunfttheoretische“, und bald auch systematische Philosophieren von einer völlig neuartigen Zielstellung und Methode. Diese größte aller Revolutionen bezeichnet sich als die Umwendung des wissenschaftlichen Objektivismus, des neuzeitlichen, aber auch desjenigen aller früheren Philosophien der Jahrtausende, in einen transzendentalen Subjektivismus. |
§14 Vordeutende Charakteristik des Objektivismus und Transzendentalismus. Das Ringen dieser beiden Ideen als der Sinn der neuzeitlichen Geistesgeschichte
Das Charakteristische des Objektivismus ist, daß er sich auf dem Boden der durch Erfahrung selbstverständlich vorgegebenen Welt bewegt und nach ihrer „objektiven Wahrheit“ fragt, nach dem für sie unbedingt, für jeden Vernünftigen Gültigen, nach dem, was sie an sich ist. Das universal zu leisten, ist Sache der Episteme, der Ratio bzw. der Philosophie. Damit werde das letztlich Seiende erreicht, hinter das zurückzufragen keinen vernünftigen Sinn mehr hätte. Der Transzendentalismus dagegen sagt: der Seinssinn der vorgegebenen Lebenswelt ist subjektives Gebilde, ist Leistung des erfahrenden, des vorwissenschaftlichen Lebens. In ihm baut sich der Sinn und die Seinsgeltung der Welt auf, und jeweils der Welt, welche dem jeweilig Erfahrenden wirklich gilt. Was die „objektiv wahre“ Welt anlangt, die der Wissenschaft, so ist sie Gebilde höherer Stufe aufgrund des vorwissenschaft-
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lichen Erfahrens und Denkens bzw. seiner Geltungsleistungen. Nur ein radikales Zurückfragen auf die Subjektivität, und zwar auf die letztlich alle Weltgeltung mit ihrem Inhalt und in allen vorwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Weisen zustandebringende Subjektivität, sowie auf das Was und Wie der Vernunftleistungen kann die objektive Wahrheit verständlich machen und den letzten Seinssinn der Welt erreichen. Also nicht das Sein der Welt in seiner fraglosen Selbstverständlichkeit ist das an sich Erste, und nicht die bloße Frage ist zu stellen, was ihr objektiv zugehört; sondern das an sich Erste ist die Subjektivität, und zwar als die das Sein der Welt naiv vorgebende und dann rationalisierende oder, was gleich gilt: objektivierende. Doch hier droht vorweg der Widersinn, da es zunächst als selbstverständlich erscheint, daß diese Subjektivität der Mensch ist, also die psychologische Subjektivität. Der gereifte Transzendentalismus protestiert gegen den psychologischen Idealismus und prätendiert, während er die objektive Wissenschaft als Philosophie bestreitet, eine völlig neuartige Wissenschaftlichkeit als transzendentale auf die Bahn zu bringen. Von einem Subjektivismus dieses transzenden | talen Stiles hatte die vergangene Philosophie auch nicht eine Ahnung. Es fehlte an wirksamen Motiven für eine entsprechende Änderung der Einstellung, obschon eine solche von der antiken Skepsis her, und gerade von ihrem anthropologischen Relativismus aus, denkbar gewesen wäre. Die ganze Geschichte der Philosophie seit Auftreten der „Erkenntnistheorie“ und der ernstlichen Versuche einer Transzendentalphilosophie ist eine Geschichte der gewaltigen Spannungen zwischen objektivistischer und transzendentaler Philosophie, eine Geschichte der beständigen Versuche, den Objektivismus zu erhalten und in neuer Gestalt auszubilden, und andererseits der Versuche des Transzendentalismus, der Schwierigkeiten Herr zu werden, welche die Idee der transzendentalen Subjektivität und die von daher geforderte Methode mit sich führen. Die Aufklärung des Ursprunges dieser inneren Spaltung der philosophischen Entwicklung und die Analyse der letzten Motive dieser radikalsten Verwandlung
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der Idee der Philosophie ist von größter Wichtigkeit. Sie ergibt erst eine Einsicht in die tiefste Sinnhaftigkeit, die das ganze philosophiegeschichtliche Werden der Neuzeit einigt: eine die Philosophengenerationen verbindende Einheit ihrer Willentlichkeit, und in dieser eine Ausgerichtetheit aller einzelsubjektiven und schulmäßigen Bestrebungen. Es ist, wie ich hier versuchen werde zu zeigen, eine Ausgerichtetheit auf eine Endform der Transzendentalphilosophie – als Phänomenologie – in der als aufgehobenes Moment die Endform der Psychologie liegt, die den naturalistischen Sinn der neuzeitlichen Psychologie entwurzelt.
§ 15 Reflexion über die Methode unserer historischen Betrachtungsart
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Die Art der Betrachtungen, die wir durchzuführen haben, und die schon den Stil der vorbereitenden Andeutungen bestimmten, ist nicht diejenige historischer Betrachtungen im gewöhnlichen Sinne. Uns gilt es, die Teleologie in dem geschichtlichen Werden der Philosophie, insonderheit der neuzeitlichen, verständlich zu machen, und in eins damit, uns über uns selbst Klarheit zu verschaffen, als ihre Träger, in unserer persönlichen Willentlichkeit ihre Mitvollzieher. Wir versuchen, die Einheit, die in allen historischen Zielstellungen, im Gegeneinander | und Miteinander ihrer Verwandlungen waltet, herauszuverstehen und in einer beständigen Kritik, die immerfort nur den historischen Gesamtzusammenhang als einen personalen im Auge hat, schließlich die historische Aufgabe zu erschauen, die wir als die einzige uns persönlich eigene anerkennen können. Ein Erschauen nicht von außen her, vom Faktum, und als ob das zeitliche Werden, in dem wir selbst geworden sind, ein bloß äußerliches kausales Nacheinander wäre, sondern von innen her. Wir, die wir nicht nur geistiges Erbe haben, sondern auch durch und durch nichts anders als historisch-geistig Gewordene sind, haben nur so eine wahrhaft uns eigene Aufgabe. Wir gewinnen sie nicht durch die Kritik irgendeines gegenwärtigen oder altüberlieferten Systems, einer wissenschaftlichen
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oder vorwissenschaftlichen „Weltanschauung“ (am Ende gar einer chinesischen), sondern nur aus einem kritischen Verständnis der Gesamteinheit der Geschichte – unserer Geschichte. Denn geistige Einheit hat sie aus der Einheit und Triebkraft der Aufgabe, welche im geschichtlichen Geschehen – im Denken der füreinander und überzeitlich miteinander Philosophierenden – durch Stufen der Unklarheit zur befriedigenden Klarheit kommen will, bis sie sich endlich zur vollkommenen Einsichtigkeit durcharbeitet. Dann steht sie nicht nur als sachlich notwendige da, sondern als uns, den heutigen Philosophen, aufgegebene. Wir sind eben, was wir sind, als Funktionäre der neuzeitlichen philosophischen Menschheit, als Erben und Mitträger der durch sie hindurchgehenden Willensrichtung, und sind das aus einer Urstiftung, die aber zugleich Nachstiftung und Abwanderung der griechischen Urstiftung ist. In dieser liegt der teleologische Anfang, die wahre Geburt des europäischen Geistes überhaupt. Solche Art der Aufklärung der Geschichte in Rückfrage auf die Urstiftung der Ziele, welche die Kette der künftigen Generationen verbinden, sofern sie in ihnen in sedimentierten Formen fortleben, aber immer wieder aufweckbar und in neuer Lebendigkeit kritisierbar sind, solche Art der Rückfrage auf die Weisen, wie fortlebende Ziele immer wieder neuversuchte Erzielungen mit sich führen und immer wieder durch Unbefriedigung die Nötigung, sie zu klären, zu bessern, mehr oder minder radikal umzugestalten – das, sage ich, ist nichts anderes als die echte Selbst | besinnung des Philosophen auf das, worauf er eigentlich hinauswill, was in ihm Wille ist aus dem Willen und als Wille der geistigen Vorväter. Es heißt, die sedimentierte Begrifflichkeit, die als Selbstverständlichkeit der Boden seiner privaten und unhistorischen Arbeit ist, wieder lebendig zu machen in seinem verborgenen geschichtlichen Sinn. Es heißt, in seiner Selbstbesinnung zugleich die Selbstbesinnung der Altvordern weiterführen und so nicht nur die Kette der Denker, ihre Denksozialität, ihre gedankliche Vergemeinschaftung wieder aufwecken und in eine lebendige Gegenwart für uns verwandeln, sondern aufgrund dieser vergegenwärtigten Gesamteinheit eine verantwortliche Kritik üben, eine Kritik
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eigener Art, die ihren Boden in diesen historischen personalen Zwecksetzungen, relativen Erfüllungen und Wechselkritiken hat und nicht in den privaten Selbstverständlichkeiten des gegenwärtigen Philosophen. Selbstdenker sein, autonomer Philosoph im Willen zur Befreiung von allen Vorurteilen, fordert von ihm die Einsicht, daß alle seine Selbstverständlichkeiten Vorurteile sind, daß alle Vorurteile Unklarheiten aus einer traditionalen Sedimentierung sind, und nicht etwa bloß in ihrer Wahrheit unentschiedene Urteile, und daß dieses schon von der großen Aufgabe, der Idee, gilt, die „Philosophie“ heißt. Auf sie sind alle als philosophisch geltenden Urteile zurückbezogen. Eine historische Rückbesinnung der in Rede stehenden Art ist also wirklich eine tiefste Selbstbesinnung auf ein Selbstverständnis dessen hin, worauf man eigentlich hinaus will, als der man ist, als historisches Wesen. Selbstbesinnung dient der Entscheidung, und sie heißt hier natürlich zugleich Fortführung der eigensten Aufgabe, der nunmehr aus jener historischen Selbstbesinnung verstandenen und geklärten Aufgabe, die in der Gegenwart uns gemeinsam aufgegeben ist. Wesensmäßig aber gehört zu jeder Urstiftung eine dem historischen Prozeß aufgegebene Endstiftung. Sie ist vollzogen, wenn die Aufgabe zur vollendeten Klarheit gekommen ist, und damit zu einer apodiktischen Methode, die in jenem Schritte der Erzielung der ständige Durchgang ist für neue Schritte, die den Charakter von absolut gelingenden haben, d. h. von apodiktischen. Die Philosophie als unendliche Aufgabe wäre damit zu ihrem apodiktischen Anfang gekommen, zu ihrem Horizont apo | diktischer Fortführung. (Es wäre natürlich grundverkehrt, dem hier sich anzeigenden prinzipiellsten Sinn des Apodiktischen den üblichen, von der traditionellen Mathematik abgenommenen Sinn unterzuschieben.) Vor einem Mißverständnis aber ist zu warnen. Jeder historische Philosoph vollzieht seine Selbstbesinnungen, führt seine Verhandlungen mit den Philosophen seiner Gegenwart und Vergangenheit. Er spricht sich über all das aus, fixiert in solchen Auseinandersetzungen seinen eigenen Standort, schafft sich so ein Selbstverständnis über sein eigenes Tun, wie denn
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auch seine veröffentlichten Theorien in ihm erwachsen sind in dem Bewußtsein dessen, daß er darauf hinwollte. Aber wenn wir durch historische Forschung noch so genau über solche „Selbstinterpretationen“ (und sei es auch über die einer ganzen Kette von Philosophen) unterrichtet werden, so erfahren wir daraus noch nichts über das, worauf „es“ letztlich in der verborgenen Einheit intentionaler Innerlichkeit, welche allein Einheit der Geschichte ausmacht, in all diesen Philosophen „hinauswollte“. Nur in der Endstiftung offenbart sich das, nur von ihr aus kann sich die einheitliche Ausgerichtetheit aller Philosophien und Philosophen eröffnen, und von ihr aus kann eine Erhellung gewonnen werden, in welcher man die vergangenen Denker versteht, wie sie selbst sich nie hätten verstehen können. Das macht es klar, daß die eigenartige Wahrheit einer solchen „teleologischen Geschichtsbetrachtung“ niemals durch Zitation dokumentarischer „Selbstzeugnisse“ früherer Philosophen entscheidend widerlegt werden kann; denn sie erweist sich allein in der Evidenz einer kritischen Gesamtschau, die hinter den „historischen Tatsachen“ dokumentierter Philosopheme und ihres scheinbaren Gegeneinanders und Nebeneinanders eine sinnhaft-finale Harmonie aufleuchten läßt.
§16 Descartes als Urstifter sowohl der neuzeitlichen Idee des objektivistischen Rationa lismus als auch des ihn sprengenden transzendentalen Motivs
Wir gehen jetzt daran, die Aufklärung des Einheitsinnes der neuzeitlichen philosophischen Bewegungen wirklich durchzu | führen innerhalb deren die besondere Rolle alsbald hervortreten wird, welche der Entwicklung der neuen Psychologie beschieden war. Zu diesem Zwecke müssen wir uns zum urstiftenden Genius der gesamten neuzeitlichen Philosophie zurückwenden: zu Descartes. Nachdem kurz vorher Galilei die Urstiftung der neuen Naturwissenschaft vollzogen hatte, war es Descartes, welcher die neue Idee der universalen Philosophie konzipierte und sogleich in einen systematischen Gang
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brachte: mit dem Sinn des mathematischen, man kann besser sagen, des physikalistischen Rationalismus – eine Philosophie als „Universalmathematik“. Sie kommt auch sofort zu einer gewaltigen Wirkung. Das meint also (nach dem vorhin Ausgeführten) nicht, daß er im voraus diese Idee systematisch voll ausgedacht hätte, geschweige denn, daß seine Zeitgenossen und Nachfahren, von ihr beständig geleitet in den Wissenschaften, sie in explizierter Gestalt vor Augen gehabt hätten. Dazu wäre ja schon jene höhere systematische Ausbildung der reinen Mathematik in der neuen Idee der Universalität nötig gewesen, welche in erster relativer Ausreifung bei Leibniz (als „mathesis universalis“) auftritt und in gereifterer Gestalt als Mathematik der definiten Mannigfaltigkeiten noch jetzt in lebendiger Erforschung ist. Wie überhaupt historische, in großen Entwicklungen sich auswirkende Ideen leben diejenigen der neuen Mathematik, der neuen Naturwissenschaft, der neuen Philosophie im Bewußtsein der Personalitäten, die als ihre Entwicklungsträger fungieren, in sehr verschiedenen noetischen Modi: bald wie Instinkte fortstrebend, ohne jede Fähigkeit dieser Personen, sich über ihr Worauf-Hin Rechenschaft abzulegen, bald als Ergebnisse einer mehr oder minder klaren Rechenschaft, als schlecht und recht ergriffene Ziele, dann eventuell durch erneute Überlegungen sich zu immer präziseren Zielen ausformend. Andererseits haben wir auch Modi ihrer Verflachung, der Verunklärung bei der Übernahme anderwärts schon präzisierter Ideen, die nun andere Weisen der Vagheit annehmen: – wir haben dergleichen schon verstehen gelernt – als entleerte, zu bloßen Wortbegriffen verdunkelte Ideen, evt. in den Versuchen der Auslegung sich mit falschen Interpretationen beschwerend und dergleichen. Sie sind bei all dem noch Triebkräfte in der Entwicklung. So wirken die uns hier interes | sierenden Ideen auch bei allen, die im mathematischen Denken nicht erzogen sind. Das ist wohl zu beachten, wenn man von der durch die ganze Neuzeit, durch alle Wissenschaft und Bildung hindurchwirkenden Macht der neuen Idee der Philosophie spricht, als der erst von Descartes ergriffenen und relativ fest umgriffenen.
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Aber nicht bloß durch die Inauguration dieser Idee war Descartes der Erzvater der Neuzeit. Es ist höchst merkwürdig zugleich, daß er in seinen „Meditationen“ es war, der – und gerade in der Absicht, dem neuen Rationalismus und dann eo ipso Dualismus eine radikale Fundamentierung zu geben – eine Urstiftung von Gedanken vollzog, die in ihrer eigenen historischen Auswirkung (als wie einer verborgenen Teleologie der Geschichte folgend) dazu bestimmt waren, eben diesen Rationalismus durch Enthüllung seines verborgenen Widersinns zu zersprengen: eben jene Gedanken, die diesen Rationalismus als aeterna veritas begründen sollten, tragen einen tief verborgenen Sinn in sich, der, zutage gekommen, ihn völlig entwurzelt.
§ 17 Descartes’ Rückgang zum „ego cogito“. Sinnauslegung der Cartesianischen Epoché
Betrachten wir den Gang der ersten beiden Cartesianischen Meditationen in einer Perspektive, die seine allgemeinen Strukturen hervortreten läßt – den Gang zum ego cogito, dem Ego der cogitationes jeweiliger cogitata. Unser Thema sei also diese beliebte Examensfrage für philosophische Kinder. In Wahrheit liegt in diesen ersten Meditationen eine Tiefe, die so schwer auszuschöpfen ist, daß sogar Descartes es nicht vermochte – so wenig, daß er die große Entdeckung, die er schon in Händen hatte, sich wieder entgleiten ließ. Noch heute und vielleicht erst recht heute müßte, scheint mir, jeder Selbstdenker diese ersten Meditationen mit größter Vertiefung studieren, nicht abgeschreckt durch den Anschein der Primitivität, durch die im voraus bekannte Verwertung der neuen Gedanken für die paradoxen und grundverkehrten Gottesbeweise und sonst durch manche Unklarheiten und Vieldeutigkeiten – und dann auch nicht zu schnell beruhigt durch die eigenen Widerlegungen. Es hat gute Gründe, wenn ich jetzt meinem Versuch | einer sorgsamen Auslegung Raum gebe, welcher nicht wiederholt, was Descartes sagt, sondern herausholt, was in seinem Denken wirklich lag; dann aber scheidet, was ihm selbst be-
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wußt geworden ist, und was gewisse, allerdings sehr natürliche Selbstverständlichkeiten ihm verdeckt bzw. seinen Gedanken unterschoben haben. Es sind nicht bloß Reste scholastischer Traditionen, nicht zufällige Vorurteile seiner Zeit, sondern Selbstverständlichkeiten der Jahrtausende, deren Überwindung überhaupt erst durch eine Abklärung und durch ein Zuendedenken des in seinen Gedanken Originalen möglich werden kann. Philosophische Erkenntnis ist nach Descartes absolut begründete; sie muß auf einem Grunde unmittelbarer und apodiktischer Erkenntnis ruhen, die in ihrer Evidenz jeglichen erdenklichen Zweifel ausschließt. Jeder Schritt mittelbarer Erkenntnis muß eben solche Evidenz erlangen können. Die Überschau über seine bisherigen Überzeugungen, seine erworbenen und übernommenen, zeigte ihm, daß sich überall Zweifel oder Zweifelsmöglichkeiten melden. In dieser Situation ist es für ihn und jeden, der ernstlich Philosoph werden will, unvermeidlich, mit einer Art radikaler skeptischer Epoché anzufangen, die das Universum aller seiner bisherigen Überzeugungen in Frage stellt, vorweg jeden Urteilsgebrauch von denselben verwehrt, jede Stellungnahme zu ihrer Gültigkeit oder Ungültigkeit. Einmal in seinem Leben muß jeder Philosoph so verfahren, und hat er es nicht getan, so muß er, auch wenn er nun schon „seine Philosophie“ hat, so verfahren. Diese ist also vor der Epoché wie ein sonstiges Vorurteil zu behandeln. Diese „Cartesianische Epoché“ ist in der Tat von einem bisher unerhörten Radikalismus, denn sie umfaßt ausdrücklich nicht nur die Geltung aller bisherigen Wissenschaften, selbst die apodiktische Evidenz beanspruchende Mathematik nicht ausgenommen, sondern sogar die Geltung der vor- und außerwissenschaftlichen Lebenswelt, also die stets in fragloser Selbstverständlichkeit vorgegebene Welt der sinnlichen Erfahrung und alles von ihr genährten Denklebens, des unwissenschaftlichen, schließlich auch des wissenschaftlichen. Zum ersten Male wird, können wir sagen, die unterste Stufe aller objektiven Erkenntnis, der Erkenntnisboden aller bisherigen | Wissenschaften, aller Wissenschaften von „der“ Welt, „erkenntniskritisch“ in Frage gestellt: nämlich die Erfahrung
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im gewöhnlichen Sinne, die „sinnliche“ Erfahrung – und korrelativ die Welt selbst: als die in und aus dieser Erfahrung für uns Sinn und Sein habende, so wie sie ständig in fragloser Gewißheit für uns als schlicht vorhandene gilt, mit dem und dem Gehalt an einzelnen Realitäten, und sich nur in Einzelheiten gelegentlich als zweifelhaft oder als nichtiger Schein entwertet. Von da aus aber sind auch mit in Frage gestellt alle die Sinn- und Geltungsleistungen, welche in der Erfahrung fundiert sind. In der Tat liegt hier, wie wir schon erwähnt haben, der historische Anfang einer „Erkenntniskritik“, und zwar als einer radikalen Kritik der objektiven Erkenntnis. Es ist wieder daran zu erinnern, daß der antike Skeptizismus, angefangen von Protagoras und Gorgias, die Episteme, d. i. die wissenschaftliche Erkenntnis des An-sich-Seienden, in Frage stellt und leugnet, daß er aber über einen solchen Agnostizismus nicht hinausgeht, nicht über die Leugnung von rationalen Substruktionen einer „Philosophie“, die mit ihren vermeintlichen Wahrheiten-an-sich ein rationales An-sich annimmt und erreichen zu können glaubt. „Die“ Welt sei rational unerkennbar, über die subjektiv-relativen Erscheinungen könne menschliche Erkenntnis nicht hinausreichen. Von da aus wäre wohl eine Möglichkeit gewesen (wie z. B. vom zweideutigen Satz des Gorgias „Es gibt nichts“), den Radikalismus weiterzutreiben; aber in Wirklichkeit kam es nie dazu. Es fehlte dem negativistisch praktisch-ethisch (politisch) eingestellten Skeptizismus auch in allen späteren Zeiten das originale Cartesianische Motiv: durch die Hölle einer nicht mehr zu übersteigernden quasi-skeptischen Epoché hindurch zum Eingangstor in den Himmel einer absolut rationalen Philosophie vorzudringen und diese selbst systematisch aufzubauen. Aber wie soll das nun diese Epoché leisten? Wie soll durch sie gerade, die doch mit einem Schlage alle Welterkenntnis in allen ihren Gestalten, auch denen der schlichten Welterfahrung, außer Spiel setzt und damit das Sein der Welt aus der Hand verliert, ein Urboden unmittelbarer und apodiktischer Evidenzen noch aufweisbar werden? Die Antwort lautet: setze ich alle Stellungnahmen zu Sein oder Nichtsein der Welt aus, enthalte ich | mich jeder auf die Welt bezüglichen Seinsgeltung,
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so ist mir innerhalb dieser Epoché doch nicht jede Seinsgeltung verwehrt. Ich, das die Epoché vollziehende Ich, bin im gegenständlichen Bereich derselben nicht eingeschlossen, vielmehr – wenn ich sie wirklich radikal und universal vollziehe – prinzipiell ausgeschlossen. Ich bin notwendig als ihr Vollzieher. Eben hierin finde ich gerade den gesuchten apodiktischen Boden, der jeden möglichen Zweifel absolut ausschließt. Wieweit ich den Zweifel auch treiben mag, und versuche ich selbst, mir zu denken, daß alles zweifelhaft oder gar in Wahrheit nicht sei, es ist absolut evident, daß Ich doch wäre, als Zweifelnder, alles Negierender. Ein universaler Zweifel hebt sich selbst auf. Also während der universalen Epoché steht mir die absolut apodiktische Evidenz „Ich bin“ zu Gebote. Aber in derselben Evidenz ist auch sehr Mannigfaltiges beschlossen. Sum cogitans, diese Evidenzaussage lautet konkreter: ego cogito – cogitata qua cogitata. Das befaßt alle cogitationes, die einzelnen und ihre strömende Synthesis zur universalen Einheit einer cogitatio, in denen als cogitatum die Welt und das ihr jeweils von mir Zugedachte für mich Seinsgeltung hatte und hat; nur daß ich jetzt als Philosophierender diese Geltungen nicht mehr in der natürlichen Weise schlicht vollziehen und erkenntnismäßig verwerten darf. In meinem Stande der Epoché über ihnen allen – darf ich sie nicht mehr mitmachen. Also mein gesamtes erfahrendes, denkendes, wertendes und sonstiges Aktleben verbleibt mir, und es läuft ja auch weiter, nur daß das, was mir darin als „die“ Welt, als die für mich seiende und geltende vor Augen stand, zum bloßen „Phänomen“ geworden ist, und zwar hinsichtlich aller ihr zugehörigen Bestimmungen. Sie alle und die Welt selbst haben sich in meine „ideae“ verwandelt, sie sind unabtrennbare Bestände meiner cogitationes, eben als ihre cogitata – in der Epoché. Hier hätten wir also eine absolut apodiktische, in dem Titel Ego mitbeschlossene Seinssphäre, und nicht etwa bloß den einen axiomatischen Satz „ego cogito“ oder „sum cogitans“. Aber noch etwas und etwas besonders Merkwürdiges ist beizufügen. Durch die Epoché bin ich zu derjenigen Seinssphäre vorgedrungen, die prinzipiell allem erdenklichen für mich Seienden und ihren Seinssphären | vorangeht als ihre absolut apo-
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diktische Voraussetzung. Oder was für Descartes gleich gilt: Ich, das Vollzugs-Ich der Epoché, bin das einzig absolut Zweifellose, jede Zweifelsmöglichkeit prinzipiell Ausschließende. Was sonst als apodiktisch auftritt, wie z. B. die mathematischen Axiome, läßt sehr wohl Zweifelsmöglichkeiten offen, also auch die Denkbarkeit der Falschheit – sie wird erst ausgeschlossen und der Anspruch der Apodiktizität gerechtfertigt, wenn eine mittelbare und absolut apodiktische Begründung gelingt, die sie zurückführt auf jene einzig absolute Urevidenz, auf die eben – wenn eine Philosophie möglich werden soll – alle wissenschaftliche Erkenntnis zurückführen muß.
§ 18 Descartes’ Selbstmißdeutung: die psychologistische Verfälschung des durch die Epoché gewonnenen reinen Ego
Hier müssen wir einiges zur Sprache bringen, was wir in der bisherigen Auslegung absichtlich verschwiegen haben. Damit wird eine verborgene Doppeldeutigkeit der Cartesianischen Gedanken zu Tage treten; es zeigen sich zwei Möglichkeiten, diese Gedanken zu fassen, sie auszubilden, wissenschaftliche Aufgaben zu stellen, von denen für Descartes nur die eine die vorweg selbstverständliche war. So ist der Sinn seiner Darstellungen faktisch (als der seine) eindeutig; aber leider stammt diese Eindeutigkeit daher, daß er den originalen Radikalismus seiner Gedanken nicht wirklich durchführt, daß er nicht wirklich alle seine Vormeinungen, nicht wirklich in allem die Welt der Epoché unterwirft („einklammert“), daß er, auf sein Ziel verschossen, gerade das Bedeutsamste nicht herausholt, was er im „Ego“ der Epoché gewonnen hatte, um rein an diesem ein philosophisches αυμζειν zu entfalten. Im Vergleich mit dem, was eine solche Entfaltung, und zwar sehr bald ergeben konnte, war alles, was er an Neuem wirklich zutage bringt – so original und weiterwirkend es ist – in gewissem Sinne oberflächlich und wird zudem durch seine Deutung entwertet. Nämlich über dieses in der Epoché erst entdeckte Ego sich verwundernd, fragt er zwar selbst, was für ein Ich das sei, ob
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etwa das Ich der Mensch, der sinnlich anschauliche Mensch des | gemeinen Lebens sei. Nun schaltet er den Leib aus – wie die sinnliche Welt überhaupt verfällt auch dieser der Epoché – und so bestimmt sich für Descartes das Ego als mens sive animus sive intellectus. Hier aber hätten wir einige Fragen. Bezieht sich die Epoché nicht auf das All meiner (des Philosophierenden) Vorgegebenheiten, also auf die ganze Welt mit allen Menschen, und auf diese nicht nur hinsichtlich ihrer bloßen Körper? Und so auf mich selbst als ganzen Menschen, als der ich mir selbst in der natürlichen Welthabe ständig gelte? Ist hier Descartes nicht schon im voraus beherrscht von der Galileischen Gewißheit einer universalen und absolut puren Körperwelt, mit dem Unterschied des bloß sinnlich Erfahrbaren und dessen, was als Mathematisches Sache eines reinen Denkens ist? Ist ihm nicht schon selbstverständlich, daß die Sinnlichkeit auf ein an-sich Seiendes verweist, nur, daß sie täuschen kann, und daß es einen rationalen Weg geben muß, dies zu entscheiden und das An-sich-Seiende in mathematischer Rationalität zu erkennen? Aber ist das alles nicht ineins durch die Epoché eingeklammert, und zwar selbst als Möglichkeit? Es ist offenbar, daß Descartes im voraus trotz des Radikalismus der Voraussetzungslosigkeit, den er fordert, ein Ziel hat, für welches der Durchbruch zu diesem „Ego“ das Mittel sein soll. Er sieht nicht, daß er diesen Radikalismus schon verlassen hat mit der Überzeugung von der Möglichkeit des Zieles und dieses Mittels. Mit dem bloßen Entschluß zur Epoché, zur radikalen Enthaltung von allen Vorgegebenheiten, allen Vorgeltungen von Weltlichem, ist es nicht getan; die Epoché muß ernstlich vollzogen sein und bleiben, Das Ego ist nicht ein Residuum der Welt, sondern die absolut apodiktische Setzung, die nur durch die Epoché, nur durch die „Einklammerung“ der gesamten Weltgeltung ermöglicht und als einzige ermöglicht wird. Die Seele aber ist das Residuum einer vorgängigen Abstraktion des puren Körpers und nach dieser Abstraktion, mindestens scheinbar, ein Ergänzungsstück dieses Körpers. Aber (wie nicht außer Acht zu lassen ist) diese Abstraktion geschieht nicht in der Epoché, sondern in der Betrachtungsweise des Naturforschers oder
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Psychologen auf dem natürlichen Boden der vorgegebenen, der selbstverständlich seienden Welt. Wir werden noch über diese | Abstraktionen und den Schein ihrer Selbstverständlichkeit zu sprechen haben. Hier ist es genug, darüber klarzuwerden, daß in den fundamentierenden Betrachtungen der Meditationen – denen der Einführung der Epoché und ihres Ego – ein Bruch der Konsequenz eingetreten ist durch die Identifikation dieses Ego mit der reinen Seele. Der ganze Erwerb, die große Entdeckung dieses Ego wird durch eine widersinnige Unterschiebung entwertet: eine reine Seele hat in der Epoché gar keinen Sinn, es sei denn als „Seele“ in der „Klammer“, d. h. als bloßes „Phänomen“, so gut wie der Leib. Man übersehe nicht den neuen Begriff von „Phänomen“, der zum ersten Male mit der Cartesianischen Epoché erwächst. Man sieht, wie schwer eine so unerhörte Einstellungsänderung wie die der radikalen und universalen Epoché innezuhalten und auszuwerten ist. Sofort bricht irgendwo der „natürliche Menschenverstand“ durch, irgend etwas aus der naiven Weltgeltung, und verfälscht das in der Epoché ermöglichte und geforderte neuartige Denken. (Daher auch die naiven Einwendungen fast aller meiner philosophischen Zeitgenossen gegen meinen „Cartesianismus“, bzw. gegen die „phänomenologische Reduktion“, auf die ich mit dieser Darstellung der Cartesianischen Epoché vorbereitet habe.) Diese fast unausrottbare Naivität macht es auch, daß in Jahrhunderten fast niemand an der „Selbstverständlichkeit“ der Möglichkeit von Schlüssen von dem Ego und seinem cogitativen Leben aus auf ein „Draußen“ Anstoß nahm und eigentlich niemand sich die Frage stellte, ob hinsichtlich dieser egologischen Seinssphäre ein „Draußen“ überhaupt einen Sinn haben könne – was allerdings dieses Ego zu einem Paradoxon, zum größten aller Rätsel macht. Aber vielleicht hängt viel, ja für eine Philosophie alles an diesem Rätsel, und vielleicht ist die Erschütterung, die Descartes selbst bei der Entdeckung dieses Ego erfuhr, doch für uns kleinere Geister bedeutsam als Anzeige dafür, daß ein wahrhaft Großes und Größtes sich darin ankündigte, welches durch alle Irrungen und Verirrungen als der „Archimedische Punkt“ jeder echten Philosophie einmal an den Tag kommen mußte.
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Das neue Motiv des Rückgangs auf das Ego, sobald es einmal in die Geschichte eingetreten war, offenbarte seine innere Mäch | tigkeit darin, daß es trotz seiner Verfälschungen und Verdunkelungen ein neues Zeitalter der Philosophie einleitet und ihm ein neues Telos einpflanzt.
§ 19 Descartes’ vordringliches Interesse am Objektivismus als Grund seiner Selbstmißdeutung
In der verhängnisvollen Form einer Unterschiebung des eigenen seelischen Ich für das Ego, der psychologischen Immanenz für die egologische Immanenz, der Evidenz der psychischen „inneren“ oder „Selbstwahrnehmung“ für die egologische Selbstwahrnehmung wirken sich die „Meditationen“ bei Descartes aus und wirken sie historisch fort bis zum heutigen Tage. Er selbst glaubt wirklich, auf dem Wege von Schlüssen auf das dem Eigenseelischen Transzendente den Dualismus der endlichen Substanzen (vermittelt durch den ersten Schluß auf die Transzendenz Gottes) erweisen zu können. Ebenso meint er das für seine widersinnige Einstellung bedeutsame Problem zu lösen, das in abgewandelter Form nachher bei Kant wiederkehrt: wie die in meiner Vernunft erzeugten Vernunftgebilde (meine eigenen „clarae et distinctae perceptiones“) – die der Mathematik und mathematischen Naturwissenschaft – eine objektiv „wahre“, eine metaphysisch transzendente Geltung beanspruchen können. Was die Neuzeit Theorie des Verstandes oder der Vernunft, in einem prägnanten Sinne: Vernunftkritik, transzendentale Problematik nennt, hat seine Sinneswurzel in den Cartesianischen Meditationen. Das Altertum hat dergleichen nicht gekannt, da ihm die Cartesianische Epoché und ihr Ego fremd waren. So beginnt mit Descartes in der Tat ein völlig neuartiges Philosophieren, das seine letzten Begründungen im Subjektiven sucht. Daß Descartes aber im reinen Objektivismus verharrt, trotz dessen subjektiver Begründung, wurde nur dadurch möglich, daß die mens, die zunächst in der Epoché für sich stand und als absoluter Erkenntnisboden für die Begründungen der objektiven Wis-
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senschaften (universal gesprochen, der Philosophie) fungierte, zugleich als rechtmäßiges Thema in derselben, nämlich in der Psychologie, mitbegründet schien. Descartes macht sich nicht klar, daß das Ego, | sein durch die Epoché entweltlichtes Ich, in dessen funktionierenden cogitationes die Welt allen Seinssinn hat, den sie je für ihn haben kann, unmöglich in der Welt als Thema auftreten kann, da alles Weltliche eben aus diesen Funktionen seinen Sinn schöpft, also auch das eigene seelische Sein, das Ich im gewöhnlichen Sinne. Erst recht war ihm natürlich unzugänglich die Erwägung, daß das Ego, so wie es in der Epoché als für sich selbst seiend zur Entdeckung kommt, noch gar nicht „ein“ Ich ist, das andere oder viele Mit-Iche außer sich haben kann. Es blieb ihm verborgen, daß alle solche Unterscheidungen wie Ich und Du, Innen und Außen erst im absoluten Ego sich „konstituieren“. So versteht es sich, warum Descartes in seiner Eiligkeit, den Objektivismus und die exakten Wissenschaften als metaphysisch-absolute Erkenntnis gewährende zu begründen, sich nicht die Aufgabe stellt, das reine Ego – in der Epoché konsequent verbleibend – systematisch zu befragen nach dem, was ihm an Akten, an Vermögen eignet und was es in ihnen als intentionale Leistung zustande bringt. Da er nicht verweilt, kann sich ihm nicht die gewaltige Problematik erschließen: von der Welt als „Phänomen“ im Ego systematisch zurückzufragen, in welchen wirklich aufweisbaren immanenten Leistungen des Ego die Welt ihren Seinssinn erhalten hat. Eine Analytik des Ego als der mens war offenbar für ihn Sache der künftigen objektiven Psychologie.
§ 20 Die „Intentionalität“ bei Descartes
Die fundamentierenden ersten Meditationen waren demnach eigentlich ein Stück Psychologie, von der noch ausdrücklich als ein höchst bedeutsames, aber ganz unentwickelt bleibendes Moment hervorzuheben ist: die Intentionalität, die das Wesen des egologischen Lebens ausmacht. Ein anderes Wort dafür ist „cogitatio“, z. B. das erfahrend, denkend, fühlend, wollend etwas Bewußthaben usw.; denn jede cogitatio hat ihr cogitatum.
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Jede ist im weitesten Sinne | ein Vermeinen, und so gehört zu jeder irgendein Modus der Gewißheit – Gewißheit schlechthin, Vermutung, Für-wahrscheinlich-Halten, Zweifeln usw. In Zusammenhang damit stehen die Unterschiede von Bewährung und Entwährung, bzw. von wahr und falsch. Man sieht schon, daß der Problemtitel der Intentionalität unabtrennbar die Verstandes- oder Vernunftprobleme in sich faßt. Freilich, von einer wirklichen Aufstellung und Behandlung des Themas „Intentionalität“ ist keine Rede. Andererseits ist doch die ganze vermeinte Fundierung der neuen universalen Philosophie vom Ego aus auch zu charakterisieren als eine „Erkenntnistheorie“, d. h. als eine Theorie dafür, wie das Ego in der Intentionalität seiner Vernunft (durch Vernunftakte) objektive Erkenntnis zustande bringt. Das heißt allerdings bei Descartes: das Ego metaphysisch transzendierende Erkenntnis.
§ 21 Descartes als Ausgang der beiden Entwicklungslinien des Rationalismus und Empirismus
Gehen wir nun den von Descartes auslaufenden Entwicklungslinien nach, so führt die eine, die „rationalistische“, über Malebranche, Spinoza, Leibniz durch die Wolffsche Schule bis zu Kant, dem Wendepunkt. In ihr wirkt schwungvoll fort und entfaltet sich in großen Systemen der Geist des neuartigen Rationalismus, so wie er ihm von Descartes eingepflanzt war. Hier herrscht als die Überzeugung, in der Methode des „mos geometricus“ eine absolut gegründete, universale Erkenntnis von der als ein transzendentes „An-sich“ gedachten Welt verwirklichen zu können. Eben gegen diese Überzeugung, gegen eine solche Tragweite der neuen Wissenschaft, als hineinreichend in ein „Transzendentes“, ja schließlich gegen dieses selbst reagiert – obschon ebenfalls von Descartes stark bestimmt – der englische Empirismus. Er ist aber eine Reaktion von ähnlicher Art wie die des antiken Skeptizismus gegen die damaligen Systeme der rationalen Philosophie. Der neue skeptische Empirismus setzt schon mit Hobbes ein. Für uns aber ist von größerem Interesse, vermöge seiner ungeheuren Fortwirkung in der Psycholo-
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gie und Erkenntnistheorie, | Lockes Kritik des Verstandes und seine nächsten Fortführungen in Berkeley und Hume. Diese Entwicklungslinie ist besonders dadurch bedeutsam, daß sie ein wesentliches Stück des historischen Weges ist, auf dem der psychologisch verfälschte Transzendentalismus des Descartes (wenn wir dessen originale Umwendung zum Ego jetzt schon so nennen dürfen) durch Entfaltung seiner Konsequenzen sich zum Bewußtsein seiner Unhaltbarkeit durchzuarbeiten sucht und von da aus zu einem seines wahren Sinnes bewußteren und echteren Transzendentalismus. Das Erste und historisch Wichtigste war hier die Selbstenthüllung des empiristischen Psychologismus (sensualistisch-naturalistischer Prägung) als eines unerträglichen Widersinns.
§ 22 Lockes naturalistisch-erkenntnistheoretische Psychologie
In der empiristischen Entwicklung kommt – wie wir wissen – die durch die Abspaltung der puren Naturwissenschaft als Korrelat geforderte neue Psychologie zur ersten konkreten Ausführung. Diese ist also beschäftigt mit innenpsychologischen Untersuchungen im Felde der nunmehr von der Körperlichkeit abgetrennten Seele sowie mit physiologischen und psychophysischen Erklärungen. Andererseits dient diese Psychologie einer gegenüber der Cartesianischen völlig neuen und sehr differenziert ausgestalteten Erkenntnistheorie. In Lockes großem Werk ist dies von vornherein das eigentliche Absehen. Es gibt sich als einen neuen Versuch, eben das zu leisten, was Descartes’ „Meditationen“ zu leisten vorhatten: eine erkenntnistheoretische Begründung der Objektivität der objektiven Wissenschaften. Die skeptische Haltung dieses Absehens zeigt sich von Anfang an in Fragen wie nach dem Umfang der Tragweite, den Graden der Gewißheit der menschlichen Erkenntnis. Von den Tiefen der Cartesianischen Epoché und der Reduktion auf das Ego verspürt Locke nichts. Er übernimmt einfach das Ego als Seele, die eben in der Evidenz der Selbsterfahrung ihre inneren Zustände, Akte und Vermögen kennenlernt. Nur was innere
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Selbsterfahrung zeigt, nur unsere eigenen „Ideen“ sind unmittelbar evident gegeben. Alles Außenweltliche ist erschlossen. So ist das Erste die innenpsychologische Analyse, rein auf dem | Grunde der inneren Erfahrung – wobei aber ganz naiv von den Erfahrungen anderer Menschen und der Auffassung der Selbsterfahrung als der mir, einem Menschen unter Menschen zugehörigen Gebrauch gemacht, also die objektive Gültigkeit der Schlüsse auf Andere benutzt wird. Wie denn überhaupt die ganze Untersuchung als objektiv-psychologische verläuft, ja sogar auf Physiologisches rekurriert – während doch all diese Objektivität in Frage ist. Das eigentliche Problem Descartes’, das der Transzendenz der egologischen (als innenpsychologische interpretierten) Geltungen, darin aller außenweltlichen Schlußweisen, die Frage wie sie, die doch selbst cogitationes in der abgekapselten Seele sind, ein außerseelisches Sein sollen begründen können – fällt bei Locke fort oder verschiebt sich in das Problem der psychologischen Genesis der realen Geltungserlebnisse und der zugehörigen Vermögen. Daß sinnliche Daten, als der Willkür ihrer Erzeugung entzogen, Affektionen von außen her sind, außenweltliche Körper bekunden, ist ihm kein Problem, sondern eine Selbstverständlichkeit. Besonders verhängnisvoll für die künftige Psychologie und Erkenntnistheorie ist es, daß er von der Cartesianischen ersten Einführung der cogitatio als cogitatio von cogitata – also von der Intentionalität – keinen Gebrauch macht, sie nicht als Thema (ja als das eigentlichste der fundamentierenden Untersuchungen) erkannte. Er ist für die ganze Unterscheidung blind. Die Seele ist ein abgeschlossenes Reales für sich so wie ein Körper; in naivem Naturalismus wird nun die Seele gleichwie ein Raum für sich gefaßt, in seinem berühmteren Gleichnis: wie eine Schreibtafel, auf welcher die seelischen Daten kommen und gehen. Dieser Datensensualismus mit der Lehre vom äußeren und inneren Sinn beherrscht die Psychologie und Erkenntnistheorie der Jahrhunderte und noch bis zum heutigen Tage, trotz der üblichen Bekämpfung des „psychischen Atomismus“ seinen Grundsinn nicht verändernd. Natürlich heißt es, und ganz unvermeidlich, in der Lockeschen Rede:
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Perzeptionen, Wahrnehmungen, Vorstellungen „von“ Dingen, oder „an-etwas“ Glauben, „etwas“ Wollen und dergleichen. Aber daß in den Perzeptionen, in den Bewußtseinserlebnissen selbst das darin Bewußte als solches liegt, daß | die Perzeption in sich selbst Perzeption von etwas, von „diesem Baum“ ist, bleibt unberücksichtigt. Wie soll da das Seelenleben, das ganz und gar Bewußtseinsleben ist, intentionales Leben des Ich, das Gegenständlichkeiten als ihm bewußte hat, mit ihnen erkennend, wertend usw. beschäftigt ist, wie soll es bei einem Übersehen der Intentionalität ernstlich erforscht, wie können da Vernunftprobleme überhaupt angegriffen werden? Und können sie es überhaupt als psychologische? Liegen nicht am Ende hinter den psychologisch-erkenntnistheoretischen Problemen die von Descartes berührten, aber nicht erfaßten Probleme des „Ego“ jener Cartesianischen Epoché? Vielleicht sind das nicht unwichtige Fragen und geben dem selbstdenkenden Leser im voraus eine Richtung. Jedenfalls sind sie eine Vordeutung auf das, was in den weiteren Teilen der Schrift zum ernsten Problem werden bzw. als Weg dienen soll in eine wirklich „vorurteilslos“ durchzuführende Philosophie, eine Philosophie aus radikalster Begründung in Problemstellung, in Methode, in systematisch zu erledigender Arbeit. Von Interesse ist auch, daß die Lockesche Skepsis hinsichtlich des rationalen Wissenschaftsideals und seine Einschränkung der Tragweite der neuen Wissenschaften (die ihr Recht behalten sollen) zu einem neuartigen Agnostizismus führt. Nicht wird, wie in der antiken Skepsis, überhaupt die Möglichkeit der Wissenschaft geleugnet, obschon doch wieder unerkennbare Dinge-an-sich angenommen werden. Unsere menschliche Wissenschaft ist ausschließlich auf unsere Vorstellungen und Begriffsbildungen angewiesen, mittels deren wir zwar Schlüsse machen können ins Transzendente, während wir doch prinzipiell nicht eigentliche Vorstellungen von den Dingen-an-sich selbst gewinnen können, Vorstellungen, die das eigene Wesen derselben adäquat ausdrücken. Adäquate Vorstellungen und Erkenntnisse haben wir nur von unserem eigenen Seelischen.
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§ 23 Berkeley. – David Humes Psychologie als fiktionalistische Erkenntnistheorie: der „Bankrott“ der Philosophie und Wissenschaft
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Die Naivitäten und Inkonsequenzen Lockes führen zu einer raschen Fortbildung seines Empirismus, der zu einem para | doxen Idealismus forttreibt und schließlich in einen vollendeten Widersinn ausläuft. Das Fundament bleibt der Sensualismus und die scheinbare Selbstverständlichkeit, daß der einzige unbezweifelbare Boden aller Erkenntnis die Selbsterfahrung ist und ihr Reich der immanenten Daten. Von da aus reduziert Berkeley die in der natürlichen Erfahrung erscheinenden körperlichen Dinge auf die Komplexe sinnlicher Daten selbst, in denen sie erscheinen. Kein Schluß sei denkbar, durch den von diesen sinnlichen Daten auf anderes geschlossen werden könnte als wieder auf solche Daten. Es könnte nur ein induktiver, d. i. ein aus der Ideenassoziation stammender Schluß sein. Eine an sich seiende Materie, nach Locke ein „je ne sais quoi“, sei eine philosophische Erfindung. Bedeutsam ist auch, daß er dabei die Art der Begriffsbildung der rationalen Naturwissenschaft in eine sensualistische Erkenntniskritik auflöst. In diesen Richtungen geht Hume bis ans Ende. Alle Kategorien der Objektivität, die wissenschaftlichen, in denen das wissenschaftliche, die vorwissenschaftlichen, in denen das Alltagsleben eine objektive, außerseelische Welt denkt, sind Fiktionen. Zunächst die mathematischen Begriffe Zahl, Größe, Kontinuum, geometrische Figur usw. Sie sind, würden wir sagen, methodisch notwendige Idealisationen des anschaulich Gegebenen. Im Sinne Humes aber sind sie Fiktionen, und ebenso in weiterer Folge die ganze vermeintlich apodiktische Mathematik. Der Ursprung dieser Fiktionen ist psychologisch sehr wohl zu erklären (sc. auf dem Boden des immanenten Sensualismus), nämlich aus der immanenten Gesetzlichkeit der Assoziationen und der Relationen zwischen Ideen. Aber auch die Kategorien der vorwissenschaftlichen, der schlicht anschaulichen Welt, die der Körperlichkeit (nämlich die vermeintlich in der unmittelbar erfahrenden Anschauung liegende Identität verharrender Körper), ebenso wie die vermeintlich erfahrene
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Identität der Person, sind nichts als Fiktionen. Wir sagen etwa „der“ Baum dort und unterscheiden von ihm seine wechselnden Erscheinungsweisen. Aber immanent seelisch ist nichts da als diese „Erscheinungsweisen“. Es sind Datenkomplexe und immer wieder andere Datenkomplexe, freilich miteinander durch Assoziation geregelt, „verbunden“, wodurch sich die Täuschung eines erfahrenen Identischen erkläre. Ebenso für die Person: ein identisches „Ich“ ist kein Datum, | sondern ein unaufhörlich wechselnder Haufen von Daten. Die Identität ist eine psychologische Fiktion. Zu den Fiktionen dieser Art gehört auch die Kausalität, die notwendige Folge. Die immanente Erfahrung zeigt nur ein post hoc. Das propter hoc, die Notwendigkeit der Folge, ist eine fiktive Unterschiebung. So verwandelt sich in Humes „Treatise“ die Welt überhaupt, die Natur, das Universum identischer Körper, die Welt der identischen Personen, danach auch die objektive Wissenschaft, die sie in ihrer objektiven Wahrheit erkennt, in Fiktion. Konsequent müssen wir sagen: Vernunft, Erkenntnis, auch die wahrer Werte, reiner Ideale jeder, auch der ethischen Art – das alles ist Fiktion. Es ist also in der Tat ein Bankrott der objektiven Erkenntnis. Hume endet im Grunde in einen Solipsismus. Denn wie sollen Schlüsse von Daten auf Daten die immanente Sphäre überschreiten können? Freilich hat Hume nicht die Frage gestellt, jedenfalls kein Wort darüber gesagt, wie es dann mit der Vernunft steht, der Humes, die diese Theorie als Wahrheit begründet hat, die diese Seelenanalysen durchgeführt, diese Assoziationsgesetze erwiesen hat. Wie „verbinden“ überhaupt Regeln assoziativer Zusammenordnung: Selbst wenn wir von ihnen wüßten, wäre das Wissen nicht selbst wieder ein Datum auf der Tafel? Wie aller Skeptizismus, aller Irrationalismus, hebt auch der Humesche sich selbst auf. So erstaunlich Humes Genie ist, so bedauerlich ist es, daß sich damit nicht ein entsprechend großes philosophisches Ethos paart. Das zeigt sich darin, daß Hume in seiner ganzen Darstellung die widersinnigen Ergebnisse sanft zu umkleiden und ins Harmlose umzudeuten beflissen ist, obschon er (im Schlußkapitel des I. Bandes des
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„Treatise“) immerhin die ungeheure Verlegenheit ausmalt, in die der konsequente theoretische Philosoph gerät. Anstatt den Kampf mit dem Widersinn aufzunehmen, statt die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, auf denen dieser Sensualismus und überhaupt der Psychologismus beruht, zu entlarven, um zu einer einstimmigen Selbstverständigung und einer echten Erkenntnistheorie durchzudringen, bleibt er in der bequemen und sehr eindrucksvollen Rolle des akademischen Skeptizismus. Durch dieses Verhalten ist er zum Vater eines noch immer wirksamen schwächlichen Positivismus geworden, der den philosophischen Abgründen aus | weicht oder sie oberflächlich verdeckt, sich mit den Erfolgen der positiven Wissenschaften und deren psychologistischer Aufklärung beruhigend.
§ 24 Das im Widersinn der Humeschen Skepsis verborgene echte philosophische Motiv der Erschütterung des Objektivismus
Machen wir einen Augenblick halt. Warum bedeutet Humes „Treatise“ (dem gegenüber der „Essay über den menschlichen Verstand“ eine arge Abschwächung ist) ein so großes historisches Ereignis? Was war da geschehen? Der Cartesianische Radikalismus der Voraussetzungslosigkeit, mit dem Zweck, echte wissenschaftliche Erkenntnis auf die letzten Geltungsquellen zurückzuführen und von ihnen aus absolut zu begründen, forderte subjektiv gerichtete Überlegungen, forderte den Rückgang auf das erkennende Ich in seiner Immanenz. Wie wenig man Descartes’ erkenntnistheoretische Gedankenführung billigen mochte, der Notwendigkeit dieser Forderung konnte man sich nicht mehr entziehen. Aber war das Cartesianische Vorgehen zu verbessern, war sein Ziel, den neuen philosophischen Rationalismus absolut zu begründen, nach den skeptischen Angriffen noch erreichbar? Im voraus sprach dafür die ungeheure Wucht der sich überstürzenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Entdeckungen. So waren alle, die sich selbst an diesen Wissenschaften durch Forschung oder Studium beteiligten, vorweg schon dessen gewiß,
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daß ihre Wahrheit, ihre Methode den Stempel der Endgültigkeit und Musterhaftigkeit an sich habe, Und nun bringt der empiristische Skeptizismus das zutage, was schon in der Cartesianischen Fundamentalbetrachtung unentfaltet lag, nämlich, daß die gesamte Welterkenntnis, die vorwissenschaftliche wie die wissenschaftliche, ein ungeheures Rätsel sei. Leicht folgte man Descartes beim Rückgang auf das apodiktische Ego in der Interpretation desselben als Seele, in der Fassung der Urevidenz als Evidenz der „inneren Wahrnehmung“. Was war dann auch einleuchtender als die Art, wie Locke die Realität der abgetrennten Seele und der innerlich in ihr verlaufenden Geschichtlichkeit, der innerseelischen Genesis, durch das „white paper“ illustrierte und diese Realität also naturalisierte? War dann aber der Berke | leysche und Humesche „Idealismus“ zu vermeiden, und schließlich der Skeptizismus mit all seinem Widersinn? Welche Paradoxie! Nichts konnte die eigene Kraft der rasch erwachsenen und in ihren eigenen Leistungen unangreifbaren exakten Wissenschaften, den Glauben an ihre Wahrheit lähmen. Und doch, so wie man in Rechnung zog, daß sie Bewußtseinsleistungen der erkennenden Subjekte sind, verwandelte sich ihre Evidenz und Klarheit in unverständlichen Widersinn. Daß bei Descartes die immanente Sinnlichkeit Weltbilder erzeugt, gab keinen Anstoß; aber bei Berkeley erzeugte diese Sinnlichkeit die Körperwelt selbst, und bei Hume erzeugte die ganze Seele mit ihren „Impressionen“ und „Ideen“, ihren, den physischen analog gedachten zugehörigen Kräften, Assoziationsgesetzen (als Parallele des Gravitationsgesetzes!) die ganze Welt, die Welt selbst, und nicht etwa nur ein Bild – aber freilich dieses Erzeugnis war bloß eine Fiktion, eine innerlich zurechtgemachte und eigentlich ganz vage Vorstellung. Und das gilt für die Welt der rationalen Wissenschaften ebenso wie für die der experientia vaga. War hier trotz des Widersinnes, der an Besonderheiten der Voraussetzungen liegen mochte, nicht eine verborgene unausweichliche Wahrheit fühlbar; zeigte sich hier nicht eine völlig neue Art an, die Objektivität der Welt und ihren ganzen Seinssinn und korrelativ den der objektiven Wissenschaften zu beurteilen, die nicht dessen eigenes Recht, wohl aber ih-
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ren philosophischen, ihren metaphysischen Anspruch angriff: den einer absoluten Wahrheit? Jetzt endlich konnte und mußte man dessen doch innewerden – was in diesen Wissenschaften ganz und gar unberücksichtigt geblieben war – , daß Bewußtseinsleben leistendes Leben ist, ob recht oder schlecht, Seinssinn leistendes; schon als sinnlich anschauliches, und erst recht als wissenschaftliches. Descartes hatte sich nicht darein vertieft, daß, so wie die sinnliche Welt, die des Alltags, cogitatum sinnlicher cogitationes ist, so die wissenschaftliche Welt cogitatum wissenschaftlicher cogitationes, und den Zirkel nicht bemerkt, in dem er stand, wenn er schon im Gottesbeweis die Möglichkeit von das Ego transzendierenden Schlüssen voraussetzte, während doch diese Möglichkeit durch diesen Beweis erst begründet werden sollte. Daß die | ganze Welt selbst ein cogitatum aus der universalen Synthesis der mannigfaltig strömenden cogitationes sein könnte und daß in höherer Stufe die Vernunftleistung der darauf gebauten wissenschaftlichen cogitationes für die wissenschaftliche Welt konstitutiv sein könnte, dieser Gedanke lag ihm ganz fern. Aber war er nun nicht nahegelegt durch Berkeley und Hume – unter der Voraussetzung, daß der Widersinn dieses Empirismus nur in einer gewissen vermeintlichen Selbstverständlichkeit lag, durch welche vorweg die immanente Vernunft ausgetrieben war? Durch das Wiederaufleben und die Radikalisierung des Cartesianischen Fundamentalproblems, durch Berkeley und Hume war, von unserer kritischen Darstellung aus gesehen, der „dogmatische“ Objektivismus aufs Tiefste erschüttert, nicht nur der die Zeitgenossen begeisternde mathematisierende Objektivismus, der eigentlich der Welt selbst ein mathematisch-rationales An-sich zuschrieb (das wir in unseren mehr oder minder vollkommenen Theorien und immer besser sozusagen abbilden), sondern der Objektivismus überhaupt, der die Jahrtausende beherrscht hatte.
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§25 Das „transzendentale“ Motiv im Rationa lismus: Kants Konzeption einer Transzendentalphilosophie
Hume nimmt bekanntlich auch eine besondere Stellung in der Geschichte ein durch die Wendung, die er in der Entwicklung des Kantischen Denkens bewirkt hat. Kant selbst sagt in dem vielzitierten Worte, Hume habe ihn aus seinem dogmatischen Schlummer erweckt und seinen Untersuchungen auf dem Felde der spekulativen Philosophie eine andere Richtung gegeben. War es also die historische Mission Kants, jene Erschütterung des Objektivismus, von der ich eben sprach, zu erfahren und in seiner Transzendentalphilosophie die Lösung der Aufgabe zu unternehmen, der Hume ausgewichen ist? Die Antwort muß verneinend lauten. Es ist ein neuartiger transzendentaler Subjektivismus, der mit Kant einsetzt und sich in den Systemen des Deutschen Idealismus zu neuen Gestalten wandelt. Kant gehört nicht der von Descartes über Locke kontinuierlich sich auswirkenden Entwicklungslinie an, er ist | nicht Fortsetzer Humes. Seine Interpretation der Humeschen Skepsis und die Art, wie er gegen sie reagiert, ist durch die eigene Abkunft von der Wolffschen Schule bedingt. Die „Revolution der Denkart“, die durch Humes Anstoß motiviert wird, ist nicht gegen den Empirismus gerichtet, sondern gegen die Denkart des nachcartesianischen Rationalismus, dessen großer Vollender Leibniz war, und der seine systematisch lehrbuchmäßige Darstellung, seine wirksamste, weithin überzeugendste Gestalt durch Chr. Wolff gewonnen hatte. Was bedeutet zunächst, ganz allgemein gefaßt, der „Dogmatismus“, den Kant entwurzelt? So sehr in der nachcartesianischen Philosophie die „Meditationen“ fortwirken, so hatte sich doch gerade der leidenschaftliche Radikalismus, der sie bewegt, nicht auf Descartes’ Nachfolger übertragen. Schnell bereit war man, anzuerkennen, was Descartes in der Rückfrage nach dem letzten Quell aller Erkenntnis erst begründen wollte und zu begründen so schwer fand – das absolute, metaphysische Recht der objektiven Wissenschaften, total gefaßt: der Philosophie, als der einen objektiven Universalwissenschaft, oder, was gleichkommt, das Recht des erkennenden Ego, seine
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Vernunftgebilde, vermöge der in seiner „mens“ sich abspielenden Evidenzen, als Natur gelten zu lassen mit einem es transzendierenden Sinn. Die neue Konzeption der als Natur abgeschlossenen Körperwelt, die auf sie bezüglichen Naturwissenschaften: die korrelative Konzeption abgeschlossener Seelen und die auf sie bezügliche Aufgabe einer neuen Psychologie, und in rationaler Methode nach dem mathematischen Vorbild – das alles hatte sich durchgesetzt. In jeder Richtung war rationale Philosophie in Arbeit, das Interesse galt den Entdeckungen, den Theorien, der Strenge ihrer Schlüssigkeit, dementsprechend dem Allgemeinen der Methode und deren Vervollkommnung. Da war also viel und auch in wissenschaftlicher Allgemeinheit von Erkenntnis die Rede. Aber diese Erkenntnisreflexion war nicht die transzendentale, sondern eine erkenntnispraktische, also ähnlich derjenigen, die der Handelnde in irgendeiner anderen praktischen Interessensphäre übt und die sich in den allgemeinen Sätzen einer Kunstlehre ausspricht. Es handelte sich danach um das, was wir Logik zu nennen pflegen, obschon in einer traditionellen, sehr engen Begrenzung. | Wir können somit ganz korrekt (den Sinn erweiternd) sagen: um eine Logik als Normenlehre und Kunstlehre in vollster Universalität zwecks der Gewinnung einer rationalen Philosophie. Die thematische Richtung war also eine doppelte: einerseits auf ein systematisches Universum von „logischen Gesetzen“, auf das theoretische Ganze der Wahrheiten, die als Normen für alle Urteile, die sollen objektiv wahr sein können, zu fungieren berufen sind; dazu gehört neben der alten formalen Logik noch die Arithmetik, die gesamte reine analytische Mathematik, also die „mathesis universalis“ Leibnizens, überhaupt alles reine Apriori. Andererseits ging die thematische Richtung auf allgemeine Betrachtungen über die Urteilenden als objektive Wahrheit Erstrebenden: wie sie von jenen Gesetzen normativen Gebrauch zu machen haben, damit die Evidenz, in der ein Urteil als ein objektiv wahres sich bezeugt, eintreten könne; desgleichen über die Weisen und Versuchungen des Mißlingens und dgl. Nun war offenbar in allen im weiteren Sinne „logischen“ Ge-
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setzen, angefangen vom Widerspruchssatz, eo ipso metaphysische Wahrheit beschlossen. Ihre systematisch ausgeführte Theorie hatte von selbst die Bedeutung einer allgemeinen Ontologie. Was hier wissenschaftlich geschah, war das Werk der ausschließlich mit den der erkennenden Seele eingeborenen Begriffen operierenden reinen Vernunft. Daß diese Begriffe, daß die logischen Gesetze, daß reine Vernunftgesetzmäßigkeiten überhaupt eine metaphysisch-objektive Wahrheit haben, war „selbstverständlich“. Gelegentlich berief man sich in Erinnerung an Descartes auch auf Gott als Garanten, wenig bekümmert darum, daß erst die rationale Metaphysik Gottes Existenz zu erweisen hatte. Gegenüber dem Vermögen rein apriorischen Denkens, dem der reinen Vernunft, stand das der Sinnlichkeit, das Vermögen der äußeren und inneren Erfahrung. Das in der äußeren Erfahrung von „außen“ her affizierte Subjekt wird durch sie zwar affizierender Objekte gewiß, aber, um diese in ihrer Wahrheit zu erkennen, bedarf es der reinen Vernunft, d. i. des Systems der Normen, in denen sich diese auslegt, als der „Logik“ für alle wahre Erkenntnis der objektiven Welt. So ist die Auffassung. | Was nun Kant anlangt, der schon von der empirischen Psychologie Einflüsse erfahren hatte, so wurde es ihm durch Hume empfindlich gemacht, daß zwischen den reinen Vernunftwahrheiten und der metaphysischen Objektivität ein Abgrund der Unverständlichkeit übrig blieb, nämlich wie eben diese Vernunftwahrheiten für Dingerkenntnis wirklich aufkommen könnten. Schon die vorbildliche Rationalität der mathematischen Naturwissenschaften verwandelte sich in ein Rätsel. Daß sie ihre tatsächlich ganz unzweifelhafte Rationalität, ihre Methode also, dem normativen Apriori der rein logisch-mathematischen Vernunft verdankte, daß diese in ihren Disziplinen eine unangreifbare reine Rationalität erwies, das stand fest. Naturwissenschaft ist freilich nicht rein rational, sofern sie der äußeren Erfahrung, der Sinnlichkeit bedarf; aber alles, was in ihr rational ist, verdankt sie der reinen Vernunft und deren Normierung; nur durch sie kann es rationalisierte Erfahrung geben. Was andererseits die Sinnlichkeit anbelangt, so
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hatte man allgemein angenommen, daß sie die bloß sinnlichen Empfindungsdaten ergibt, eben als Resultat der Affektion von außen her. Und doch tat man so, als ob die Erfahrungswelt des vorwissenschaftlichen Menschen – die noch nicht von der Mathematik logifizierte – die durch bloße Sinnlichkeit vorgegebene Welt sei. Hume hatte gezeigt, daß wir dieser Welt Kausalität naiv einlegen, in der Anschauung notwendige Folge zu erfassen meinen. Dasselbe gilt von allem, was den Körper der alltäglichen Umwelt zum identischen Ding identischer Eigenschaften, Relationen usw. macht (wie dies Hume in dem Kant unbekannt gebliebenen „Treatise“ in der Tat breit ausgeführt hatte). Daten und Datenkomplexe kommen und gehen, das vermeintlich bloß sinnlich erfahrene Ding ist kein durch diesen Wandel hindurch verharrendes Sinnliches. Der Sensualist erklärt es daher als Fiktion. Er unterschiebt, werden wir sagen, der Wahrnehmung, die uns doch Dinge (die Alltagsdinge) vor Augen stellt, bloße Sinnesdaten. Mit anderen Worten, er übersieht, daß bloße Sinnlichkeit, auf bloße Empfindungsdaten bezogen, für keine Gegenstände der Erfahrung aufkommen kann. Also übersieht er, daß diese Erfahrungsgegenstände auf eine verborgene geistige Leistung verweisen, und das Problem, was das für eine Leistung sein | kann. Vorweg muß sie doch eine solche sein, die die vorwissenschaftliche Erfahrung dazu befähigt macht, durch Logik, Mathematik, mathematische Naturwissenschaft in objektiver Gültigkeit, d. i. in einer für jedermann annehmbaren und bindenden Notwendigkeit erkennbar zu sein. Kant aber sagt sich: Zweifellos erscheinen Dinge, aber nur dadurch, daß die sinnlichen Daten, im Verborgenen schon in gewissen Weisen durch apriorische Formen zusammengenommen, im Wandel logifiziert werden – ohne daß die als Logik, Mathematik offenbar gewordene Vernunft befragt worden und zu einer normativen Funktion gekommen wäre. Ist nun jenes quasi-Logische ein psychologisch Zufälliges, kann, wenn wir es wegdenken, eine Mathematik, eine Logik der Natur überhaupt eine Möglichkeit haben, mit bloßen sinnlichen Daten Objekte zu erkennen?
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So sind, wenn ich recht sehe, die innerlich leitenden Gedanken Kants. Kant unternimmt nun in einem regressiven Verfahren in der Tat zu zeigen: Soll die gemeine Erfahrung wirklich Erfahrung von Naturgegenständen sein, von Gegenständen, die nach Sein und Nichtsein, nach So- und Andersbeschaffensein sollen in objektiver Wahrheit, also wissenschaftlich erkennbar sein können, dann muß die anschaulich erscheinende Welt schon ein Gebilde der Vermögen „reine Anschauung“ und „reine Vernunft“ sein, derselben, die sich in der Mathematik, in der Logik in einem explizierten Denken aussprechen. Mit anderen Worten, die Vernunft hat eine doppelte Weise zu fungieren und sich zu zeigen. Die eine Weise ist ihre systematische Selbstauslegung, Selbstoffenbarung im freien und reinen Mathematisieren, im Tun der reinen mathematischen Wissenschaften. Sie setzt dabei die noch zur Sinnlichkeit gehörige Formung der „reinen Anschauung“ voraus. Beider Vermögen objektives Ergebnis ist die reine Mathematik als Theorie. Die andere Weise ist die der beständig verborgen fungierenden Vernunft, der immerfort sinnliche Daten rationalisierenden und immer schon solche rationalisiert habenden. Ihr objektives Ergebnis ist die sinnlich-anschauliche Gegenstandswelt – die empirische Voraussetzung alles naturwissenschaftlichen Denkens, als des die umweltliche Empirie durch die offenbare mathematische Vernunft bewußt normierenden Denkens. Wie die anschauliche Körperwelt, so ist die naturwissenschaftliche (und damit die wis | senschaftlich zu erkennende dualistische) Welt überhaupt subjektives Gebilde unseres Intellekts, nur, daß das Material der sinnlichen Daten aus einer transzendenten Affektion durch „Dinge an sich“ herstammt. Diese sind der (objektivwissenschaftlichen) Erkenntnis prinzipiell unzugänglich. Denn dieser Theorie gemäß kann menschliche Wissenschaft als eine durch das Zusammenspiel der subjektiven Vermögen „Sinnlichkeit“ und „Vernunft“ (oder, wie Kant hier sagt, „Verstand“) gebundene Leistung nicht den Ursprung, die „Ursache“, der faktischen Mannigfaltigkeiten sinnlicher Daten erklären. Die letzten Voraussetzungen der Möglichkeit und Wirklichkeit objektiver Erkenntnis können nicht objektiv erkennbar sein.
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Hatte die Naturwissenschaft sich als Zweig der Philosophie, der letzten Wissenschaft vom Seienden, ausgegeben und mit ihrer Rationalität geglaubt, über die Subjektivität der Erkenntnisvermögen hinaus das an sich Seiende erkennen zu können, so scheidet sich nun für Kant objektive Wissenschaft, als in der Subjektivität verbleibende Leistung, von seiner philosophischen Theorie, welche als Theorie der in der Subjektivität sich notwendig vollziehenden Leistung und damit als Theorie der Möglichkeit und Tragweite objektiver Erkenntnis die Naivität der vermeinten rationalen Philosophie der Natur als Natur-an-sich enthüllt. Wie diese Kritik für Kant nun doch der Anfang ist einer Philosophie im alten Sinne für das Universum des Seienden, also auch in das rational unerkennbare An-sich hineinreichend – wie er unter den Titeln „Kritik der praktischen Vernunft“ und „Urteilskraft“ nicht nur philosophische Ansprüche einschränkt, sondern Wege in das „wissenschaftlich“ unerkennbare An-sich glaubt eröffnen zu können, ist bekannt. Wir haben hier darauf nicht einzugehen. Was uns jetzt interessiert, ist – in formaler Allgemeinheit gesprochen –, daß Kant in Reaktion gegen den Datenpositivismus Humes – so wie er ihn versteht – eine große, systematisch gebaute, in neuer Art doch wissenschaftliche Philosophie entwirft, in welcher die Cartesianische Wendung zur Bewußtseinssubjektivität sich in Form eines transzendentalen Subjektivismus auswirkt. Wie immer es mit der Wahrheit der Kantischen Philosophie steht, über die wir hier nicht zu urteilen haben, übergehen dürfen | wir nicht, daß Hume, so wie Kant ihn versteht, nicht der wirkliche Hume ist. Kant spricht vom „Humeschen Problem“. Was ist das wirkliche, das Hume selbst bewegende? Wir finden es, wenn wir Humes skeptische Theorie, seine Totalbehauptung zurückverwandeln in sein Problem, es in die Konsequenzen erweiternd, die in der Theorie nicht ganz vollständig ihren Ausdruck finden, obschon es schwer ist, anzunehmen, daß ein Genie der Geistesart Humes die nicht ausdrücklich gezogenen und theoretisch behandelten Konsequenzen nicht gesehen habe. Wenn wir so verfahren, finden wir nichts minderes als das universale Problem:
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Wie ist die naive Selbstverständlichkeit der Weltgewißheit, in der wir leben, und zwar sowohl die Gewißheit der alltäglichen Welt, als die der gelehrten theoretischen Konstruktionen aufgrund dieser alltäglichen Welt, zu einer Verständlichkeit zu bringen? Was ist das, nach Sinn und Geltung: „objektive Welt“, objektiv wahres Sein, auch objektive Wahrheit der Wissenschaft, wenn einmal von Hume her (und hinsichtlich der Natur schon von Berkeley) universal gesehen ist, daß „Welt“ eine in der Subjektivität – und von mir, dem jeweils Philosophierenden aus gesprochen –, eine in meiner Subjektivität entsprungene Geltung ist, mit all ihrem Inhalt, in dem sie jeweils und je für mich gilt? Die Naivität der Rede von „Objektivität“, die die erfahrende, erkennende, die wirklich konkret leistende Subjektivität ganz außer Frage läßt, die Naivität des Wissenschaftlers von der Natur, von der Welt überhaupt, der blind ist dafür, daß alle die Wahrheiten, die er als objektive gewinnt, und die objektive Welt selbst, die in seinen Formeln Substrat ist (sowohl als alltägliche Erfahrungswelt, wie auch als höherstufige begriffliche Erkenntniswelt), sein eigenes, in ihm selbst gewordenes Lebensgebilde ist – ist natürlich nicht mehr möglich, sowie das Leben in den Blickpunkt rückt. Und muß diese Befreiung nicht dem zuteil werden, der sich ernstlich in den „Treatise“ vertieft und nach der Enthüllung der naturalistischen Voraussetzungen Humes der Macht seiner Motivation bewußt wird? Aber wie ist dieser radikalste Subjektivismus, | der die Welt selbst subjektiviert, faßbar? Das Welträtsel im tiefsten und letzten Sinne, das Rätsel einer Welt, deren Sein Sein aus subjektiver Leistung ist, und das in der Evidenz, daß eine andere überhaupt nicht denkbar sein kann, das – und nichts anderes ist Humes Problem. Kant aber, der – wie leicht zu sehen ist – so viele Voraussetzungen in „selbstverständlicher“ Geltung hat, die im Humeschen Sinne in diesem Welträtsel einbegriffen sind, ist zu diesem selbst nie vorgestoßen. Seine Problematik steht eben ganz auf dem Boden des von Descartes über Leibniz zu Wolff verlaufenden Rationalismus.
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In dieser Weise versuchen wir die schwer deutbare Stellung Kants zu seiner historischen Umgebung an dem das Kantische Denken erst leitenden und bestimmenden Problem der rationalen Naturwissenschaft verständlich zu machen. Was uns jetzt besonders interessiert, ist – zunächst in formaler Allgemeinheit gesprochen – , daß in Reaktion gegen den Humeschen Datenpositivismus, welcher in seinem Fiktionalismus die Philosophie als Wissenschaft aufgibt, nun zum ersten Male seit Descartes eine große und systematisch aufgebaute wissenschaftliche Philosophie auftritt, die anzusprechen ist als transzendentaler Subjektivismus.
§ 26 Vorerörterung über den uns leitenden Begriff des „Transzendentalen“
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Ich mochte hier gleich bemerken: das Wort „Transzendentalphilosophie“ ist seit Kant gebräuchlich geworden, und dies auch als allgemeiner Titel für universale Philosophien, deren Begriffe man dann am Typus der Kantischen orientiert. Ich selbst gebrauche das Wort „transzendental“ in einem weitesten Sinne für das – von uns oben ausführlich erörterte – originale Motiv, das durch Descartes in allen neuzeitlichen Philosophien das sinngebende ist und in ihnen allen sozusagen zu sich selbst kommen, die echte und reine Aufgabengestalt und systematische Auswirkung gewinnen will. Es ist das Motiv des Rückfragens nach der letzten Quelle aller Erkenntnisbildungen, des Sichbesinnens des Erkennenden auf sich selbst und sein erkennendes Leben, in welchem alle ihm geltenden wissenschaftlichen Gebilde zwecktätig geschehen, als Erwer | be aufbewahrt und frei verfügbar geworden sind und werden. Radikal sich auswirkend, ist es das Motiv einer rein aus dieser Quelle begründeten, also letztbegründeten Universalphilosophie. Diese Quelle hat den Titel Ich-selbst mit meinem gesamten wirklichen und vermöglichen Erkenntnisleben, schließlich meinem konkreten Leben überhaupt. Die ganze transzendentale Problematik kreist um das Verhältnis dieses meines Ich – des „Ego“ – zu dem, was zunächst selbstverständlich dafür
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gesetzt wird: meiner Seele, und dann wieder um das Verhältnis dieses Ich und meines Bewußtseinslebens zur Welt, deren ich bewußt bin, und deren wahres Sein ich in meinen eigenen Erkenntnisgebilden erkenne. Natürlich ist dieser allgemeinste Begriff des „Transzendentalen“ kein dokumentarisch zu belegender; er ist nicht zu gewinnen durch die immanente Auslegung der einzelnen Systeme und deren Vergleichung. Vielmehr ist er ein durch Vertiefung in die einheitliche Geschichtlichkeit der gesamten philosophischen Neuzeit erworbener Begriff: der Begriff von ihrer, nur so nachweisbaren, in ihr als Entwicklungstriebkraft liegenden, von vager Dynamis zu ihrer Energeia hinstrebenden Aufgabe. Das ist hier nur eine Vordeutung, die durch unsere bisherige geschichtliche Analyse schon einigermaßen vorbereitet ist, während erst die weiteren Darstellungen das Recht unserer Art „teleologischer“ Geschichtsbetrachtung und ihrer methodischen Funktion für einen endgültigen Aufbau einer ihrem eigensten Sinn genügenden Transzendentalphilosophie erweisen sollen. Diese Vordeutung auf einen radikalen transzendentalen Subjektivismus wird natürlich Befremden und Skepsis erwekken. Das ist mir sehr willkommen, falls diese Skepsis nicht vorweg die Entschlossenheit zur Ablehnung besagt, sondern eine freie Zurückhaltung jedes Urteils bedeutet.
§27 Die Philosophie Kants und seiner Nachfahren in der Perspektive unseres Leitbegriffs vom „Transzendentalen“. Die Aufgabe einer kritischen Stellungnahme
Kehren wir wieder zu Kant zurück, so ist sein System sehr wohl auch in dem definierten allgemeinen Sinne als „transzendentalphilosophisch“ zu bezeichnen, obschon es weit davon entfernt ist, eine wirklich radikale Begründung der Philosophie, der | Totalität aller Wissenschaften zu leisten. In die ungeheuren Tiefen der Cartesianischen Fundamentalbetrachtung hat Kant sich nie eingelassen, und er ist auch nie von seiner eigenen Problematik veranlaßt worden, in diesen Tiefen
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letzte Begründungen und Entscheidungen zu suchen. Sollte es mir – wie ich hoffe – in den nachfolgenden Darstellungen gelingen, die Einsicht zu erwecken, daß eine Transzendentalphilosophie um so echter ist, um so mehr ihren Beruf als Philosophie erfüllt, je radikaler sie ist; schließlich, daß sie überhaupt zu ihrem wirklichen und wahren Dasein allererst kommt, zu ihrem wirklichen und wahren Anfang, wenn der Philosoph zu einem klaren Verständnis seiner selbst als der urquellend fungierenden Subjektivität sich durchgerungen hat, so werden wir doch andererseits anerkennen müssen, daß Kants Philosophie auf dem Wege dahin ist; daß sie dem formalallgemeinen Sinn einer Transzendentalphilosophie unserer Definition gemäß ist. Es ist eine Philosophie, die gegenüber dem vorwissenschaftlichen und auch wissenschaftlichen Objektivismus auf die erkennende Subjektivität als Urstätte aller objektiven Sinnbildungen und Seinsgeltungen zurückgeht und es unternimmt, die seiende Welt als Sinn- und Geltungsgebilde zu verstehen und auf diese Weise eine wesentlich neue Art der Wissenschaftlichkeit und der Philosophie auf die Bahn zu bringen. Tatsächlich ist, wenn wir die negativistisch-skeptische Philosophie eines Hume nicht mitrechnen, das Kantische System der erste und in erhebendem wissenschaftlichen Ernste durchgeführte Versuch einer wirklich universalen Transzendentalphilosophie, gemeint als strenger Wissenschaft, eines nun erst entdeckten und allein echten Sinnes strenger Wissenschaftlichkeit. Ähnliches gilt, im voraus gesagt, für die großen Fortbildungen und Umbildungen des Kantischen Transzendentalismus in den großen Systemen des Deutschen Idealismus. Die Grundüberzeugung haben sie ja alle gemein, daß die objektiven Wissenschaften, so sehr sie sich und insbesondere die exakten Wissenschaften vermöge ihrer evidenten theoretischen und praktischen Leistungen als Stätten der einzig wahren Methode und als Schatzkammern letzter Wahrheiten einschätzen, überhaupt noch nicht | ernstlich Wissenschaften, nicht Erkenntnisse aus letzter Begründung, d. i. letzter theoretischer Selbstverantwortung sind – also auch nicht Erkenntnisse dessen sind, was in letzter Wahrheit ist. Das leiste allein eine transzendental-subjektive Methode und, durchgeführt als System, die Transzen-
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dentalphilosophie. Ähnlich wie schon bei Kant ist die Meinung nicht die, daß die Evidenz der positiv-wissenschaftlichen Methode eine Täuschung und ihre Leistungen nur Scheinleistungen seien, sondern daß diese Evidenz selbst ein Problem ist; daß die objektiv-wissenschaftliche Methode auf einem nie befragten, tief verborgenen subjektiven Grunde ruhe, dessen philosophische Erleuchtung erst den wahren Sinn der Leistungen positiver Wissenschaft und korrelativ den wahren Seinssinn der objektiven Welt herausstelle – eben als einen transzendental-subjektiven. Um nun die Stellung Kants und der von ihm ausgehenden Systeme des transzendentalen Idealismus in der teleologischen Sinneinheit der neuzeitlichen Philosophie verstehen zu können, und damit in unserem eigenen Selbstverständnis weiterzukommen, ist es notwendig, uns kritisch den Stil seiner Wissenschaftlichkeit näherzubringen und damit auch den von uns bekämpften Mangel an Radikalismus in seinem Philosophieren zu klären. Bei Kant als einem bedeutsamen Wendepunkt innerhalb der neuzeitlichen Geschichte verweilen wir mit gutem Grunde. Die an ihm zu führende Kritik wird rückstrahlend die gesamte frühere Philosophiegeschichte erhellen, nämlich in Hinsicht auf den allgemeinen Sinn der Wissenschaftlichkeit, den alle früheren Philosophien zu verwirklichen strebten – als den einzigen, der überhaupt in ihrem geistigen Horizont lag und liegen konnte. Eben dadurch wird ein tieferer und der allerwichtigste Begriff von „Objektivismus“ hervortreten (wichtiger noch als jener, den wir früher definieren konnten), und damit auch der eigentlich radikale Sinn des Gegensatzes von Objektivismus und Transzendentalismus. Doch darüber werden die konkreteren kritischen Analysen der Gedankenbildungen der Kantischen Wende und ihre Kontrastierung mit der Cartesianischen Wende in einer Weise unser eigenes Mitdenken in Bewegung setzen, welches uns allmählich wie von selbst vor die letzte Wende | und die letzten Entscheidungen stellt. Wir selbst werden in eine innerliche Verwandlung hineingezogen, in der uns die längst erfühlte und doch stets verborgene Dimension des „Transzendentalen“ wirklich zu Gesicht, zu direkter Erfahrung kommt. Der in sei-
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ner Unendlichkeit eröffnete Erfahrungsboden wird alsbald zum Ackerfeld einer methodischen Arbeitsphilosophie, und zwar in der Evidenz, daß von diesem Boden aus alle erdenklichen philosophischen und wissenschaftlichen Probleme der Vergangenheit zu stellen und zu entscheiden sind. |
III. Die Klärung des transzendentalen Problems und die darauf bezogene Funktion der Psychologie
A. Der Weg in die phänomenologische Transzendentalphilosophie in der Rückfrage von der vorgegebenen Lebenswelt aus § 28 Die unausgesprochene „Voraussetzung“ Kants: die selbstverständlich geltende Lebensumwelt
Kant ist dessen gewiß, daß seine Philosophie den herrschenden Rationalismus zum Umsturz bringe, durch den Nachweis der Unzulänglichkeit der Grundlegungen desselben. Mit Recht hält er diesem das Unterlassen von Fragen vor, die für ihn Grundfragen sein müßten, nämlich daß er sich nie in die subjektive Struktur unseres Weltbewußtseins vor und in der wissenschaftlichen Erkenntnis vertieft und daher nie danach gefragt habe, wie die uns Menschen und uns als Wissenschaftlern ohne weiteres erscheinende Welt dazu komme, a priori erkennbar zu sein; wie also die exakte Naturwissenschaft möglich sei, für die doch die reine Mathematik und ein sonstiges reines Apriori das Instrument aller objektiven, unbedingt und für jeden Vernünftigen (jeden logisch Denkenden) gültigen Erkenntnis sei. Aber Kant seinerseits hat keine Vorstellung davon, daß er in seinem Philosophieren auf unbefragten Voraussetzungen fußt und daß die zweifellos großen Entdeckungen, die in seinen Theorien liegen, nur verhüllt in diesen liegen, also nicht darin fertige Ergebnisse sind, so wie die Theorien selbst nicht | fertige Theorien sind, nicht die Form endgültiger Wissenschaftlichkeit haben. Was er bietet, fordert neue Arbeit und vor allem kritische Analyse. Ein Beispiel einer großen Entdeckung – einer bloßen Vorentdeckung – ist hinsichtlich der Natur der doppelt fungierende Verstand, der in expliziter Selbstbesinnung sich in normativen Gesetzen auslegende, und andererseits der verborgen waltende Verstand, nämlich waltend als konstitu-
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ierender Verstand für die ständig gewordene und beweglich fortwerdende Sinngestalt „anschauliche Umwelt“. Diese Entdeckung konnte nie in der Weise der Kantischen Theorie, als Ergebnis seiner bloß regressiven Methode, wirklich begründet, ja auch nur voll verständlich werden. In der „transzendentalen Deduktion“ der 1. Auflage der „Kritik der reinen Vernunft“ macht Kant einen Anlauf zu einer direkten, zu den ursprünglichen Quellen herabsteigenden Begründung, aber nur, um alsbald wieder abzubrechen, ohne an die von dieser vermeintlich psychologischen Seite zu eröffnenden eigentlichen Probleme der Grundlegung heranzukommen. Wir beginnen unsere Überlegungen mit der Aufweisung, daß die Kantischen Fragestellungen der Vernunftkritik einen unbefragten Boden von Voraussetzungen haben, die den Sinn seiner Fragen mitbestimmen. Wissenschaften, deren Wahrheiten, deren Methoden Kant wirkliche Gültigkeit beimißt, werden zum Problem, und damit die Seinssphären selbst, auf die sie sich beziehen. Sie werden zum Problem aufgrund gewisser, die erkennende Subjektivität mit in Betracht ziehenden Fragen, welche ihre Antwort finden durch Theorien über die transzendentalformende Subjektivität, über transzendentale Leistungen der Sinnlichkeit, des Verstandes usw., zuoberst über Funktionen des Ich der „transzendentalen Apperzeption“. Die rätselhaft gewordene Leistung der mathematischen Naturwissenschaft und der reinen Mathematik (in unserem erweiterten Sinne), als ihrer logischen Methode, sollen durch diese Theorien verständlich geworden sein, aber sie führten auch zu einer revolutionären Umdeutung des eigentlichen Seinssinnes der Natur als Welt möglicher Erfahrung und möglicher Erkenntnis, also korrelativ zur Umdeutung des eigentlichen Wahrheitssinnes der betreffenden Wissenschaften. Natürlich ist vorweg mit den Kantischen Fragestellungen die alltägliche Lebensumwelt als seiende vorausgesetzt, in der wir | alle, auch ich, der jeweils Philosophierende, bewußtseinsmäßig Dasein haben, und nicht minder die Wissenschaften, als Kulturtatsachen in dieser Welt mit ihren Wissenschaftlern und Theorien. Wir sind in ihr Objekte unter Objekten, lebensweltlich gesprochen; nämlich als da und dort seiende, in schlichter
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Erfahrungsgewißheit, vor allen wissenschaftlichen, sei es physiologischen, psychologischen, soziologischen usw. Feststellungen. Wir sind andererseits Subjekte für diese Welt, nämlich als die sie erfahrenden, bedenkenden, bewertenden, zwecktätig auf sie bezogenen Ich-Subjekte, für welche diese Umwelt nur den Seinssinn hat, den ihr unsere Erfahrungen, unsere Gedanken, unsere Wertungen usw. jeweilig gegeben haben, und in den Geltungsmodi (der Seinsgewißheit, der Möglichkeit, ev. des Scheins usw.), die wir als die Geltungssubjekte dabei aktuell vollziehen bzw. als habituelle Erwerbe von früher her besitzen und in uns tragen, als beliebig wieder aktualisierbare Geltungen des und des Inhalts. Das freilich ist in vielfältigem Wandel, während sich dabei doch „die“ Welt als einheitlich seiende, nur sich im Gehalt korrigierende durchhält. Offenbar scheidet sich in Evidenz der inhaltliche Wandel des wahrgenommenen Objektes, als die an ihm selbst wahrgenommene Veränderung oder Bewegung, von dem Wandel der Erscheinungsweisen (z. B. der Perspektiven, der Nah-Fern-Erscheinungen), in dem dergleichen Objektives sich als selbstgegenwärtig darstellt. Wir sehen das am Wechsel der Einstellung. Geradehin auf das Objekt und ihm Eigenes gerichtet, geht der Blick durch die Erscheinungen hindurch auf das in ihrer kontinuierlichen Einigung kontinuierlich Erscheinende – das Objekt, in der Seinsgeltung des Modus „selbst gegenwärtig“. Reflexiv eingestellt, haben wir nicht eines, sondern Mannigfaltiges; der Verlauf der Erscheinungen selbst ist jetzt thematisch, und nicht das, was in ihnen erscheint. Wahrnehmung ist der Urmodus der Anschauung, sie stellt in Uroriginalität, das ist im Modus der Selbstgegenwart dar. Daneben haben wir andere Modi der Anschauung, die in sich selbst bewußtseinsmäßig den Charakter von Abwandlungen dieses „Selbst da“ selbstgegenwärtig haben. Sie sind Vergegenwärtigungen, Abwandlungen der Gegenwärtigung; sie machen bewußt Zeitmodalitäten, z. B. nicht das Selbst-da-Seiende, sondern das Selbst-da-seiend-Gewesene oder das Zu | künftige, das Selbst-da-sein-Werdende. Vergegenwärtigende Anschauungen „wiederholen“ – in gewissen ihnen zugehörigen Modifikationen – alle die Erscheinungsmannigfaltigkeiten, in denen sich Objektives wahrnehmungs-
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mäßig darstellt: wiedererinnernde Anschauung z. B. zeigt das Objekt als Selbst-da-Gewesenes, indem sie die Perspektivierung und sonstige Erscheinungsweisen, aber in erinnerungsmäßigen Modifikationen wiederholt. Sie ist nun bewußt als gewesene Perspektivierung, als gewesener Verlauf subjektiver „Darstellungen von“ in meinen früheren Seinsgeltungen. Hier können wir nun die Rede von Sinnenwelt, Welt sinnlicher Anschauung, sinnlicher Erscheinungswelt in ihrem sehr bedingten Recht aufklären. In allen Bewährungen des natürlichen Interessenlebens, des sich rein in der Lebenswelt haltenden, spielt der Rückgang auf die „sinnlich“ erfahrende Anschauung eine prominente Rolle. Denn alles sich lebensweltlich als konkretes Ding Darstellende hat selbstverständlich eine Körperlichkeit, auch wenn es nicht ein bloßer Körper ist, wie z. B. ein Tier oder ein Kulturobjekt, also auch psychische oder sonstwie geistige Eigenschaften hat. Achten wir nur rein auf das Körperliche der Dinge, so stellt es sich offenbar wahrnehmungsmäßig nur dar im Sehen, im Tasten, im Hören usw., also in visuellen, in taktuellen, akustischen und dgl. Aspekten. Dabei ist selbstverständlich und unweigerlich beteiligt unser im Wahrnehmungsfeld nie fehlender Leib, und zwar mit seinen entsprechenden „Wahrnehmungsorganen“ (Augen, Händen, Ohren usw.). Bewußtseinsmäßig spielen sie hier beständig eine Rolle, und zwar fungieren sie im Sehen, Hören usw. in eins mit der ihnen zugehörigen ichlichen Beweglichkeit, der sogenannten Kinästhese. Alle Kinästhesen, jede ein „Ich bewege“, „Ich tue“, sind miteinander in der universalen Einheit verbunden, wobei kinästhetisches Stillhalten ein Modus des „Ich tue“ ist. Offenbar sind nun die Aspekt-Darstellungen des jeweils in Wahrnehmung erscheinenden Körpers und die Kinästhesen nicht Verläufe nebeneinander, vielmehr spielen beide so zusammen, daß die Aspekte nur den Seinssinn, nur die Geltung als Aspekte des Körpers dadurch haben, daß sie als die von den Kinästhesen, von der kinästhetisch-sinnlichen Gesamtsituation, in jeder ihrer tätigen Abwandlungen der Gesamtkinästhese durch Ins-Spiel-Setzen der | oder jener Sonderkinästhese, kontinuierlich gefordert sind und die Forderung entsprechend erfüllen.
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So ist Sinnlichkeit, das ich-tätige Fungieren des Leibes bzw. der Leibesorgane, zu aller Körpererfahrung grundwesentlich gehörig. Sie verläuft bewußtseinsmäßig nicht als bloßer Verlauf von Körpererscheinungen, als ob diese in sich, durch sich allein und ihre Verschmelzungen, Erscheinungen von Körpern wären. Sondern das sind sie bewußtseinsmäßig nur in eins mit der kinästhetisch fungierenden Leiblichkeit bzw. dem hier in einer eigentümlichen Aktivität und Habitualität fungierenden Ich. Der Leib ist in ganz einziger Weise ständig im Wahrnehmungsfeld, ganz unmittelbar, in einem ganz einzigen Seinssinn, eben in dem, der durch das Wort Organ (hier in seiner Urbedeutung) bezeichnet ist: das, wobei ich als Ich der Affektion und Aktionen in ganz einziger Weise und ganz unmittelbar bin, als worin ich ganz unmittelbar kinästhetisch walte, gegliedert in Sonderorgane, in denen ich in ihnen entsprechenden Sonderkinästhesen walte bzw. vermöglich walten kann. Und dieses Walten, hier aufgewiesen als Fungieren in aller Körperwahrnehmung, das vertraute bewußtseinsmäßig verfügbare Gesamtsystem der Kinästhesen, ist aktualisiert in der jeweiligen kinästhetischen Situation, ist immerzu verbunden mit einer Körpererscheinungssituation, der des Wahrnehmungsfeldes. Der Mannigfaltigkeit von Erscheinungen, in denen ein Körper als je dieser eine und selbe wahrnehmbar ist, entsprechen in eigener Weise die ihm zugehörigen Kinästhesen, in deren Ablaufen-Lassen die entsprechenden mitgeforderten Erscheinungen auftreten müssen, um überhaupt Erscheinungen von diesem Körper, ihn in sich, als diesen in seinen Eigenschaften, darstellende sein zu können. So sind rein wahrnehmungsmäßig Körper und Leib wesentlich unterschieden; Leib nämlich als der einzig wirklich wahrnehmungsmäßige Leib, mein Leib. Wie das Bewußtsein zustande kommt, in dem gleichwohl mein Leib die Seinsgeltung eines Körpers unter anderen gewinnt, wie andererseits gewisse Körper meines Wahrnehmungsfeldes dazu kommen, als Leiber, Leiber „fremder“ Ich-Subjekte zu gelten, das sind nun notwendige Fragen. Wir beschränkten uns in der Reflexion auf das wahrnehmende Bewußtsein von Dingen, auf das eigene Wahrnehmen
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von ihnen, | auf mein Wahrnehmungsfeld. Darin aber kann einzig und allein mein Leib, nie aber ein fremder Leib – in seiner Leiblichkeit – wahrgenommen werden, sondern nur als Körper. In meinem Wahrnehmungsfeld finde ich mich, ichlich waltend in meinen Organen, und so überhaupt in allem, 〈 was 〉 sonst mir ichlich in meinen Ich-Akten und Vermögen zugehört. Da aber die lebensweltlichen Objekte zwar, wenn sie ihr selbsteigenes Sein zeigen, notwendig sich als Körperlichkeit zeigen, aber darum nicht als bloß körperliche, so sind wir bei allen für uns seienden Objekten immer leiblich, aber nicht bloß leiblich dabei; wahrnehmungsmäßig, wenn es Objekte des Wahrnehmungsfeldes sind, 〈 sind 〉 wir also mit im Felde, ebenso, in Modifikation, in jedem anschaulichen Feld, in weiterer Folge auch unanschaulichen, da wir selbstverständlich jedes unanschaulich uns Vorschwebende (nur manchmal dabei zeitweise gehemmt) uns vermöglich „vorstellig machen“ können. „Leiblich“ besagt offenbar nicht bloß „körperlich“, sondern das Wort verweist auf jenes Kinästhetische und in dieser eigenen Weise ichliche Fungieren, und in erster Linie sehend, hörend usw., wozu selbstverständlich noch andere ichliche Modi (z. B. Heben, Tragen, Stoßen und dgl.) gehören. Aber die leibliche Ichlichkeit ist selbstverständlich nicht die einzige, und jede ihrer Weisen ist von jeder anderen nicht abzutrennen; sie bilden bei allem Wandel eine Einheit. So sind wir konkret leiblich, aber nicht nur leiblich, als volle Ich-Subjekte, je als das volle Ich-der-Mensch im Wahrnehmungsfeld usw., und, wie weit immer gefaßt, im Bewußtseinsfeld. Also wie immer Welt als universaler Horizont, als einheitliches Universum der seienden Objekte bewußt ist, wir, je Ich-derMensch und wir miteinander, gehören als miteinander in der Welt Lebende eben zur Welt, die eben in diesem „Miteinanderleben“ unsere, die uns bewußtseinsmäßig seiend-geltende Welt ist. Wir, als im wachen Weltbewußtsein Lebende, sind ständig aktiv auf dem Grunde der passiven Welthabe, wir sind von da her, von im Bewußtseinsfeld vorgegebenen Objekten affiziert, den oder jenen sind wir, unseren Interessen gemäß, zugewendet, mit ihnen in verschiedenen Weisen aktiv beschäftigt; sie sind in unseren Akten „thematische“ Objekte. Beispielsweise
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nenne ich das betrachtende Auslegen der Eigenschaftlichkeit des wahrnehmungsmäßig Erscheinenden; oder unser zusammenfassendes, beziehendes | aktiv identifizierendes und unterscheidendes Tun; oder auch unser aktives Bewerten, unser Entwerfen von Vorhaben, unser handelndes die vorgehabten Wege und Ziele Verwirklichen. Wir sind als Aktsubjekte (Ich-Subjekte) ausgerichtet auf die thematischen Objekte in Modi des primär und sekundär und zudem eventuell noch nebenbei Gerichtet-Seins. Die Akte selbst sind in dieser Beschäftigung mit den Objekten unthematisch. Aber wir vermögen auf uns selbst und unsere jeweilige Aktivität nachkommend zu reflektieren, sie wird nun thematisch-gegenständlich, in einem neuen, seinerseits nun unthematischen, dem lebendig fungierenden Tun. So ist das Weltbewußtsein in einer ständigen Bewegung, immerzu ist Welt in irgendeinem Objektgehalt im Wandel der verschiedenen Weisen (anschaulich, unanschaulich, bestimmt, unbestimmt usw.) bewußt, aber auch im Wandel der Affektion und Aktion, derart, daß immer ein Gesamtbereich der Affektion besteht und die darin affizierenden Objekte bald thematisch, bald unthematisch sind; darunter aber wir selbst, die wir immerzu unweigerlich zum affektiven Bereich gehören, immerzu fungierend als Akt-Subjekte, aber nur gelegentlich thematisch gegenständlich als Gegenstand der Beschäftigung mit uns selbst. Selbstverständlich gilt das nicht nur für mich, das je einzelne Ich, sondern wir im Miteinanderleben haben Welt im Miteinander vorgegeben, als die für uns seiend-geltende, zu der wir im Miteinander auch, zur Welt als Welt für uns alle, als der in diesem Seinssinn vorgegebenen, gehören. Und als im wachen Leben immerzu fungierend, sind wir auch miteinander fungierend, in mannigfachen Weisen des im Miteinander Betrachtens gemeinsam vorgegebener Objekte, miteinander Denkens, miteinander Bewertens, Vorhabens und Handelns. Hierbei also auch derjenige Wandel der Thematik, in der die irgendwie ständig fungierende Wir-Subjektivität thematisch gegenständlich wird, wobei auch die Akte, in denen sie fungiert, thematisch werden, obschon immer mit einem Rest, der
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unthematisch, der sozusagen in Anonymität bleibt, nämlich als die für diese Thematik fungierenden Reflexionen1. | Betrachten wir uns im besonderen als die Wissenschaftler, als die wir hier faktisch uns finden, so entspricht unserer besonderen Seinsweise als Wissenschaftler unser aktuelles Fungieren in der Weise des wissenschaftlichen Denkens, Fragen stellend und theoretisch beantwortend in Beziehung auf Natur oder Geisteswelt, und das ist zunächst nichts anderes als die eine oder andere Seite der im voraus erfahrenen oder sonstwie vorwissenschaftlich und wissenschaftlich bewußten und schon geltenden Lebenswelt. Mitfungierend sind dabei die anderen Wissenschaftler, die, mit uns theoretisch vergemeinschaftet, dieselben Wahrheiten erwerben und haben oder bei der Vergemeinschaftung der vollziehenden Akte mit uns in der Einheit kritischer Verhandlung stehen, in der Absicht auf kritische Einigung. Andererseits können wir für Andere und sie für uns bloße Objekte sein, statt im Miteinander der Einheit des aktuell treibenden gemeinsamen theoretischen Interesses können wir einander betrachtend kennenlernen, von den Denkakten, Akten des Erfahrens wie eventuell von sonstigen Akten derselben als objektiven Tatsachen Kenntnis nehmen, aber „uninteressiert“, ohne Mitvollzug, ohne kritische Zustimmung oder Ablehnung. Natürlich, das sind die selbstverständlichsten Selbstverständlichkeiten. Muß man über dergleichen, und so umständlich, sprechen? Im Leben gewiß nicht. Aber auch nicht als 1
Natürlich schafft alle, also auch diese reflektierende Aktivität ihre habituellen Erwerbe. Betrachtend gewinnen wir habituelle Kenntnis, Bekanntheit mit dem für uns seienden Objekt in seinen vordem unbekannten Beschaffenheiten – und so auch Selbsterkenntnis durch Selbstbetrachtung. Im Selbstbewerten und den auf uns selbst und unsere Mitmenschen bezogenen Vorhaben und Handlungen gewinnen wir ebenso Selbstwerte und auf uns selbst gerichtete Zwecke als unsere habituell verharrenden Geltungen. Aber alle Kenntnis überhaupt, alle Wertgeltungen und Zwecke überhaupt sind als in unserer Aktivität erworbene zugleich verharrende Eigenschaften unserer selbst als Ich-Subjekte, als Personen, in der reflexiven Einstellung vorfindbar als unser eigenes Sein ausmachend.
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Philosoph? Eröffnet sich hier nicht ein Reich, ja ein unendliches Reich immer bereiter und verfügbarer, aber nie befragter Seinsgeltungen, und sind es nicht beständige Voraussetzungen des wissenschaftlichen und zuhöchst des philosophischen Denkens? Aber nicht, als ob es sich darum handeln würde und je könnte, diese Seinsgeltungen in ihrer objektiven Wahrheit auszuwerten. Es gehört zu den allem wissenschaftlichen Denken und allen philosophischen Fragestellungen vorausliegenden Selbstverständlichkeiten, daß die Welt ist, immer im voraus ist, und daß jede Kor | rektur einer Meinung, einer erfahrenden oder sonstigen Meinung, schon seiende Welt voraussetzt, nämlich als einen Horizont von jeweils unzweifelhaft Seiend-Geltendem, und darin irgendeinen Bestand von Bekanntem und zweifellos Gewissem, mit dem das ev. als nichtig Entwertete in Widerspruch trat. Auch objektive Wissenschaft stellt nur Fragen auf dem Boden dieser ständig im voraus, aus dem vorwissenschaftlichen Leben her, seienden Welt. Sie setzt ihr Sein, wie alle Praxis, voraus, stellt sich aber das Ziel, das nach Umfang und Standfestigkeit unvollkommene vorwissenschaftliche Wissen umzusetzen in ein vollkommenes – gemäß einer freilich im Unendlichen liegenden Korrelativ-Idee der an sich fest bestimmt seienden Welt und der sie prädikativ auslegenden, der idealiter wissenschaftlichen Wahrheiten („Wahrheiten an sich“). Dies in systematischem Gang in Vollkommenheitsstufen zu verwirklichen, in einer ein stetiges Fortschreiten ermöglichenden Methode, das ist die Aufgabe. Es gibt für den Menschen in seiner Umwelt vielerlei Weisen der Praxis, darunter diese eigenartige und historisch späte: die theoretische Praxis. Sie hat ihre eigenen berufsmäßigen Methoden, sie ist die Kunst der Theorien, der Auffindung und Sicherung von Wahrheiten eines gewissen neuen, dem vorwissenschaftlichen Leben fremden, idealen Sinnes, des einer gewissen „Endgültigkeit“, Allgültigkeit. Damit haben wir abermals ein Stück der Aufweisung von „Selbstverständlichkeiten“ beigefügt, aber jetzt um klarzumachen, daß sich hinsichtlich aller dieser mannigfaltigen Geltungen-im-voraus, also „Voraussetzungen“ des Philosophierenden
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Seinsfragen einer neuen und alsbald höchst rätselhaften Dimension erheben. Es sind Fragen ebenfalls an die selbstverständlich seiende, immerfort anschaulich vorgegebenen Welt; aber nicht Fragen jener berufsmäßigen Praxis und τχνη, die objektive Wissenschaft heißt, nicht die der Kunst, das Reich der objektiv wissenschaftlichen Wahrheiten über diese Umwelt zu begründen und zu erweitern, sondern Fragen, wie das jeweilige Objekt, das vorwissenschaftlich und dann wissenschaftlich wahre, zu all dem Subjektiven steht, das in den vorausliegenden Selbstverständlichkeiten überall mitspricht. |
§ 29 Die Lebenswelt ist erschließbar als ein Reich „anonym“ gebliebener subjektiver Phänomene
Sowie wir, mit Kant philosophierend, anstatt von seinem Anfang und auf seinen Wegen vorwärts zu schreiten, auf solche Selbstverständlichkeiten zurückfragen (von denen das Kantische Denken wie jedermanns Denken als fraglos bereiten Selbstverständlichkeiten Gebrauch macht), sowie wir ihrer als „Voraussetzungen“ bewußt werden und sie eines eigenen universalen und theoretischen Interesses würdigen, erschließt sich uns mit wachsendem Staunen eine Unendlichkeit von immer neuen Phänomenen einer neuen Dimension, nur ans Licht kommend durch konsequentes Eindringen in die Sinn- und Geltungsimplikationen jener Selbstverständlichkeiten; eine Unendlichkeit, weil sich im fortgesetzten Eindringen zeigt, daß jedes in dieser Sinnentfaltung erreichte und zunächst lebensweltlich als selbstverständlich seiend gegebene Phänomen selbst schon Sinn- und Geltungsimplikationen in sich trägt, deren Auslegung dann wieder auf neue Phänomene führt usw. Es sind durchaus rein subjektive Phänomene, aber nicht etwa bloß Tatsächlichkeiten psychophysischer Verläufe sensueller Daten, sondern geistige Verläufe, welche als solche in Wesensnotwendigkeit die Funktion üben, Sinngestalten zu konstituieren. Das aber tun sie jeweils aus geistigem „Material“, das sich immer wieder in Wesensnotwendigkeit als geistige Gestalt, als konstituiert erweist, so wie alle neu gewordene Gestalt zum
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Material zu werden, also für Gestaltbildung zu fungieren berufen ist. Keine objektive Wissenschaft, keine Psychologie, die doch universale Wissenschaft vom Subjektiven sein wollte, keine Philosophie hat dieses Reich des Subjektiven je thematisch gemacht und somit wirklich entdeckt. Auch nicht die Kantische Philosophie, die doch auf die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit objektiv erfahrbarer und erkennbarer Welt zurückführen wollte. Es ist ein Reich eines ganz und gar in sich abgeschlossenen Subjektiven, in seiner Weise seiend, in allem Erfahren, allem Denken, in allem Leben fungierend, also überall unablösbar dabei, und doch nie ins Auge gefaßt, nie ergriffen und begriffen. Erfüllt die Philosophie ihren Urstiftungssinn als universal und | letztbegründende Wissenschaft, wenn sie dieses Reich in seiner „Anonymität“ beläßt? Kann sie das, kann das irgendeine Wissenschaft, die ein Zweig der Philosophie sein wollte, die also keine Voraussetzungen, keine Grundsphäre von Seiendem unter sich dulden konnte, von der niemand etwas weiß, die niemand wissenschaftlich befragt, deren niemand sich erkennend bemächtigt hatte? Ich nannte die Wissenschaften überhaupt Zweige der Philosophie, wo es doch eine so geläufige Überzeugung ist, daß die objektiven, die positiven Wissenschaften eigenständig sind, selbstgenügsam vermöge ihrer vermeintlich vollbegründenden und darum vorbildlichen Methode. Aber ist es nicht am Ende der teleologische Einheitssinn, der durch alle Systemversuche der gesamten Geschichte der Philosophie hindurchgeht, die Einsicht zum Durchbruch zu bringen, daß Wissenschaft überhaupt nur möglich ist als Universalphilosophie, und diese in allen Wissenschaften doch eine einzige Wissenschaft, nur möglich als eine Totalität aller Erkenntnisse, und lag darin nicht, daß sie alle auf einem einzigen Grunde beruhten, einem allem voran wissenschaftlich zu erforschenden Grunde – und kann das, füge ich bei, ein anderer sein als eben der jener anonymen Subjektivität? Das aber konnte und kann man nur einsehen, wenn man endlich und ganz ernstlich nach dem Selbstverständlichen fragt, das alles Denken, das alle Lebenstätigkeit in allen ihren Zwecken und Leistun-
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gen voraussetzt, und wenn man, konsequent ihren Seins- und Geltungssinn befragend, der unverbrüchlichen Einheit des Sinn- und Geltungszusammenhanges innewird, der durch alle geistigen Leistungen hindurchgeht. Das betrifft zunächst alle geistigen Leistungen, die wir Menschen in der Welt einzelpersonal und als Kulturleistungen üben. Allen solchen Leistungen ist immer schon vorhergegangen eine universale Leistung, die jede menschliche Praxis und jedes vorwissenschaftliche und wissenschaftliche Leben schon voraussetzt und deren geistige Erwerbe sie als ständigen Untergrund haben, in den ihre eigenen einzuströmen berufen sind. Wir werden es verstehen lernen, daß die ständig für uns im strömenden Wandel der Gegebenheitsweisen seiende Welt ein universaler geistiger Erwerb ist, als das geworden und zugleich fortwerdend als Einheit einer geistigen Gestalt, als ein Sinngebilde – als Gebilde einer universalen letztfungierenden Subjektivität. Dabei gehört we | sentlich zu dieser weltkonstituierenden Leistung, daß die Subjektivität sich selbst als menschliche, als Bestand der Welt, objektiviert. Alle objektive Weltbetrachtung ist Betrachtung im „Außen“ und erfaßt nur „Äußerlichkeiten“, Objektivitäten. Die radikale Weltbetrachtung ist systematische und reine Innenbetrachtung der sich selbst im Außen „äußernden“ Subjektivität. Es ist wie in der Einheit eines lebendigen Organismus, den man wohl von außen betrachten und zergliedern, aber verstehen nur kann, wenn man auf seine verborgenen Wurzeln zurückgeht und das in ihnen und von ihnen aufwärts strebende, von innen her gestaltende Leben in allen seinen Leistungen systematisch verfolgt. Doch ist das nur ein Gleichnis, und ist nicht am Ende unser menschliches Sein und das zu ihm gehörige Bewußtseinsleben mit seiner tiefsten Weltproblematik die Stätte, wo alle Probleme von lebendig innerem Sein und äußerlicher Darstellung zum Austrag kommen?
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§ 30 Der Mangel einer anschaulich-aufweisenden Methode als Grund für die mythischen Konstruktionen Kants
Man klagt über die Dunkelheiten der Kantischen Philosophie, über die Unfaßbarkeit der Evidenzen seiner regressiven Methode, seiner transzendental-subjektiven „Vermögen“, „Funktionen“, „Formungen“, über die Schwierigkeit, es zu verstehen, was die transzendentale Subjektivität eigentlich ist, wie ihre Funktion, ihre Leistung zustande kommt, wie dadurch alle objektive Wissenschaft verständlich gemacht sein soll. In der Tat gerät Kant in eine eigene Art mythischer Reden, deren Wortsinn zwar auf Subjektives verweist, aber eine Weise des Subjektiven, die wir uns prinzipiell nicht anschaulich machen können, weder an faktischen Exempeln noch durch echte Analogie. Versuchen wir es mit dem anschaulich einlösbaren Sinn, auf den die Worte verweisen, so stehen wir doch in der menschlich personalen, der seelischen, psychologischen Sphäre. Aber da erinnern wir uns an die Kantische Lehre vom inneren Sinn, wonach alles in der Evidenz der inneren Erfahrung Aufweisbare schon durch eine transzendentale Funktion, die der Zeitigung, geformt sei. Wie aber sollen wir für Begriffe von einem transzendental Subjektiven, von dem her sich die wissenschaftlich wahre Welt als objektive | „Erscheinung“ konstituiert, zu einem klaren Sinn kommen können, wenn der „inneren Wahrnehmung“ nicht noch ein anderer als der psychologische Sinn zu geben ist; wenn es kein wirklich apodiktischer ist, 〈 der 〉 letztlich den Erfahrungsboden gibt (wie den des Cartesianischen ego cogito), und in einer Erfahrung, die nicht Kantische wissenschaftliche Erfahrung ist und nicht die Gewißheit des objektiven Seins im Sinne der Wissenschaft, etwa der Physik, hat, sondern eine wirklich apodiktische Gewißheit ist, als die eines universalen Bodens, der letztlich als der apodiktisch notwendige und letzte Boden aller wissenschaftlichen Objektivität erweisbar ist und sie verständlich macht? Hier muß die Quelle aller letzten Erkenntnisbegriffe sein, hier für wesensallgemeine Einsichten, in denen alle objektive Welt wissenschaftlich verständlich werden und eine in sich absolut ruhende Philosophie zu systematischer Entwicklung kommen kann.
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Vielleicht würde eine tiefere Kritik zeigen, daß Kant, obschon gegen den Empirismus gewendet, doch in seiner Auffassung von der Seele und der Aufgabensphäre einer Psychologie von eben diesem Empirismus abhängig bleibt, daß ihm als Seele die naturalisierte und als Komponente des psychophysischen Menschen in der Zeit der Natur, der Raumzeitlichkeit, gedachte Seele gilt. Da konnte freilich das transzendental Subjektive nicht das Seelische sein. Aber ist etwa die wirklich apodiktische innere Wahrnehmung (die auf das wirklich Apodiktische reduzierte Selbstwahrnehmung) zu identifizieren mit der Selbstwahrnehmung jener naturalisierten Seele, mit der Evidenz von der „Schreibtafel“ und ihren Daten, und gar von ihren Vermögen als den ihr naturartig zugeschriebenen Kräften? Dadurch, daß er die innere Wahrnehmung nach diesem empiristischen, dem psychologischen Sinne versteht und daß er, durch Humes Skepsis gewarnt, jeden Rekurs auf die Psychologie als widersinnige Verkehrung der echten Verstandesproblematik fürchtet, gerät er in seine mythische Begriffsbildung. Er verwehrt seinen Lesern, die Ergebnisse seines regressiven Verfahrens in anschauliche Begriffe umzusetzen und jeden Versuch, einen von ursprünglichen und rein evidenten Anschauungen ausgehenden und in wirklich evidenten Einzelschritten verlaufenden progressiven Aufbau durchzuführen. Seine transzendentalen Begriffe haben daher eine ganz eigentümliche | Unklarheit, welche nämlich aus prinzipiellen Gründen nie in Klarheit umzusetzen ist, nie überzuführen ist in eine direkte evidenzschaffende Sinnbildung. Ganz anders stünde es mit der Klarheit aller Begriffe und Problemstellungen, wenn Kant, nicht als Kind seiner Zeit ganz gebunden durch ihre naturalistische Psychologie (als Nachgestalt der Naturwissenschaft und als ihre Parallele), das Problem der apriorischen Erkenntnis und ihrer methodischen Funktion für eine rationale objektive Erkenntnis wirklich radikal angefaßt hätte. Hierzu bedürfte es einer grundwesentlich anderen regressiven Methode als der auf jenen fraglosen Selbstverständlichkeiten beruhenden Kants, nicht einer mythisch konstruktiv schließenden, sondern einer durchaus anschaulich erschließenden, anschaulich in ihrem Ausgang und
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in all dem, was sie erschließt, mag dabei auch der Begriff der Anschaulichkeit gegenüber dem Kantischen eine wesentliche Erweiterung erfahren müssen; und mag hier Anschauung aus einer neuen Einstellung den gewöhnlichen Sinn überhaupt verlieren: nur den allgemeinen der originalen Selbstdarstellung, nur eben in der neuen Seinssphäre, annehmen. Es muß eben ganz systematisch nach jenen Selbstverständlichkeiten zurückgefragt werden, welche nicht nur für Kant, sondern für alle Philosophen, für alle Wissenschaftler einen verschwiegenen, in seinen tieferen Mittelbarkeiten verschlossenen Grund ihrer Erkenntnisleistungen bilden. Es gilt dann in weiterer Folge eine systematische Erschließung der in diesem Grunde lebendig waltenden und in ihm sedimentierten Intentionalität – m. a. W., es bedarf einer echten, d. i. einer „intentionalen Analyse“ des geistigen Seins in seiner absoluten, letztlichen Eigenheit und des im Geiste und aus dem Geiste Gewordenen, welche sich nicht von der herrschenden Psychologie eine dem Wesen des Geistes fremde reale Analyse einer naturartig gedachten Seele unterschieben läßt1. |
§ 31 Kant und die Unzulänglichkeit der damaligen Psychologie. Die Undurchsichtigkeit des Unterschiedes von transzendentaler Subjektivität und Seele
Um das, was hier konkret gemeint ist, zur greifbaren Verständlichkeit zu bringen, und auf diese Weise die jener ganzen historischen Epoche eigentümlich undurchsichtige Situation zu erhellen, stellen wir eine Überlegung an, die freilich einer sehr späten Sinnerfüllung des geschichtlichen Prozesses zugehört. 1
Doch das lag nicht am Anfang. Das nächste war für Kant, der die alltägliche Welt als Welt des menschlichen Bewußtseins ins Auge gefaßt hatte, der Durchgang durch die Psychologie, aber eine Psychologie, welche die subjektiven Erlebnisse des Weltbewußtseins wirklich, als wie sie erlebnismäßig sich zeigten, zum Wort kommen ließ. Das wäre möglich gewesen, wenn die keimhaften Andeutungen Descartes’ über „cogitata qua cogitata“, statt durch die herrschende Lockesche Philosophie unbeachtet, zum Aufkeimen gebracht worden wären als intentionale Psychologie.
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Der vorgegebene Ausgang aller Erkenntnisrätsel war der der Entwicklung einer neuzeitlichen Philosophie gemäß dem ihr eigentümlichen rationalistischen Wissenschaftsideal (systematisch in ihre Sonderwissenschaften sich ausbreitend). Dieser Schwung der Entwicklung teils offenbar glückender, teils hoffnungsvoll versuchter rationaler Sonderwissenschaften wurde plötzlich gehemmt. Im Ausbau einer dieser Wissenschaften, der Psychologie, stiegen die Rätsel auf, welche die gesamte Philosophie in Frage stellen. Natürlich fand die Psychologie Lockes – die Naturwissenschaft eines Newton vor sich – besonders interessante Themen an dem bloß Subjektiven der Erscheinungen (das seit Galilei verpönt war), und ebenso überhaupt an allem die Rationalität von subjektiver Seite her Schädigenden: an der Unklarheit der Begriffe, an der Vagheit des urteilenden Denkens, an den Vermögen des Verstandes und der Vernunft in allen ihren Gestalten. Es handelte sich doch um Vermögen des Menschen für seelische Leistungen, und gerade solche, die echte Wissenschaft und damit ein echtes praktisches Vernunftleben schaffen sollten. So gehören auch die Fragen des Wesens und der objektiven Gültigkeit rein rationaler Erkenntnis, der logischen und mathematischen, die Eigenart der naturwissenschaftlichen und metaphysischen Erkenntnis mit in diesen Kreis. War das, so allgemein angesehen, nicht wirklich gefordert? Zweifellos war es recht und gut, daß Locke die Wissenschaften als seelische Leistungen nahm (mochte er auch den Blick zu sehr auf das in der Einzelseele Vorgehende richten) und überall die Ursprungsfragen stellte, da doch Leistungen nur aus ihrem leistenden Tun verstanden werden können. Nun geschah das freilich bei Locke in einer Oberflächlichkeit, in einem unmethodischen Durcheinander und nun gar in einem Naturalismus, der ja gerade im Humeschen Fiktionalismus sich auswirkte. | So konnte selbstverständlich Kant nicht ohne weiteres auf die Psychologie Lockes zurückgreifen. Aber war es darum richtig, das Allgemeine der Lockeschen – der psychologischerkenntnistheoretischen – Fragestellung fallenzulassen? Mußte nicht jede von Hume her angeregte Frage zunächst ganz kor-
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rekt als eine psychologische aufgefaßt werden? Wird rationale Wissenschaft, wird der Anspruch der rein apriorischen Wissenschaften auf unbedingte objektive Gültigkeit, also als mögliche und notwendige Methode rationaler Tatsachenwissenschaften, zum Problem, so hätte zunächst überlegt werden müssen (was wir oben betonten), daß Wissenschaft überhaupt menschliche Leistung ist, von Menschen, die sich selbst in der Welt, der Welt der allgemeinen Erfahrung vorfinden, eine unter anderen Arten von praktischen Leistungen, die auf geistige Gebilde einer gewissen, theoretisch genannten Art gerichtet ist. Wie alle Praxis, so bezieht sich auch diese in ihrem eigenen, dem Handelnden selbst bewußten Sinn auf die vorgegebene Erfahrungswelt und ordnet sich ihr zugleich ein. Unverständlichkeiten des Zustandekommens einer geistigen Leistung können also, wird man sagen, nur durch psychologische Aufweisungen geklärt werden und halten sich damit in der vorgegebenen Welt. Wenn dagegen Kant in seiner Fragestellung und regressiven Methode zwar natürlich auch von der vorgegebenen Welt Gebrauch macht, aber dabei eine transzendentale Subjektivität konstruiert, durch deren verborgene transzendentale Funktionen nach unverbrüchlicher Notwendigkeit die Welt der Erfahrung geformt wird, so gerät er in die Schwierigkeit, daß eine besondere Eigenheit der menschlichen Seele (der selbst zur Welt gehörigen und daher mit vorausgesetzten) die Leistung einer diese ganze Welt gestaltenden Formung vollziehen und vollzogen haben soll. Sowie wir diese transzendentale Subjektivität aber von der Seele unterscheiden, geraten wir in ein unverständlich Mythisches.
§ 32 Die Möglichkeit einer verborgenen Wahrheit in Kants Transzendentalphilosophie: das Problem einer „neuen Dimension“. Der Antagonismus zwischen „Flächenleben“ und „Tiefenleben“
Sollte der Kantischen Theorie nun doch eine Wahrheit, eine wirklich einsichtig zu machende Wahrheit einwohnen, wie es in | der Tat der Fall ist, so wäre dies nur dadurch möglich,
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daß die transzendentalen Funktionen, durch welche die fraglichen Unverständlichkeiten einer objektiv gültigen Erkenntnis ihre Erklärungen finden sollten, einer Dimension der lebendigen Geistigkeit angehören, die vermöge sehr natürlicher Hemmungen der Menschheit und selbst den Wissenschaftlern der Jahrtausende verborgen bleiben mußte, während sie doch durch eine ihr angemessene Methode der Erschließung als ein Reich erfahrender und theoretischer Evidenz wissenschaftlich zugänglich gemacht werden kann. Daß diese Dimension in Jahrtausenden verborgen blieb und selbst, wenn sie sich einmal empfindlich machte, nie ein habituelles und konsequentes theoretisches Interesse weckte, kann (und wird) seine Erklärung finden durch die Nachweisung eines eigentümlichen Antagonismus zwischen dem Sicheinlassen in diese Dimension und den Beschäftigungen im Sinne all der Interessen, die das natürlich normale menschliche Weltleben ausmachen. Da es sich dabei um geistige Funktionen handeln soll, die in allem Erfahren und Denken, ja in allen und jeden Betätigungen des menschlichen Weltlebens ihre Leistungen üben, um Funktionen, durch welche die Erfahrungswelt als ständiger Horizont seiender Dinge, Werte, praktischer Vorhaben, Werke usw. für uns überhaupt Sinn und Geltung hat, so würde es wohl begreiflich sein, daß allen objektiven Wissenschaften gerade das Wissen des Prinzipiellsten fehlte: nämlich das Wissen von demjenigen, was den theoretischen Gebilden des objektiven Wissens überhaupt Sinn und Geltung, somit erst die Dignität eines Wissens aus dem letzten Grunde verschaffen könnte. Dieses Schema einer möglichen Aufklärung des Problems der objektiven Wissenschaft erinnert uns an das bekannte Helmholtzsche Bild von den Flächenwesen, die von der Tiefendimension, in der ihre Flächenwelt eine bloße Projektion ist, keine Ahnung haben. Alles, was den Menschen, den Wissenschaftlern wie allen sonst, in ihrem natürlichen Weltleben bewußt werden kann, erfahrend, erkennend, praktisch vorhabend, handelnd, als ein Feld außenweltlicher Gegenstände, als die auf sie bezogenen Zwecke, als Mittel, als Prozesse der Handlung, als Endergebnisse, wie andererseits auch, in der
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Selbstbesinnung, als das dabei fungierende geistige Leben – all das verbleibt in der „Fläche“, | die doch nur, obschon unmerklich, Fläche einer unendlich reicheren Tiefendimension ist. Das aber gilt allgemein, ob es sich um ein im gewöhnlichen Sinn bloß praktisches Leben handelt oder um ein theoretisches, um ein wissenschaftliches Erfahren, Denken, Vorhaben, Handeln bzw. um wissenschaftliche Erfahrungsgegebenheiten, Gedanken, Denkziele, Prämissen, Wahrheitsergebnisse. Das Erklärungsschema läßt allerdings einige sich aufdrängende Fragen offen. Warum konnte die Ausbildung der positiven Wissenschaften rein in der „Fläche“ solange in der Gestalt eines überreichen Gelingens auftreten, warum meldeten sich im Bedürfnis nach vollkommener Durchsichtigkeit der methodischen Leistungen so spät die Unzuträglichkeiten, ja Unverständlichkeiten, an denen sich bei einem noch so genauen Durchkonstruieren der logischen Technik nichts besserte? Warum führten die neueren Versuche einer „intuitionistischen“ Vertiefung, die in der Tat schon die höhere Dimension betrafen, und alle Bemühungen, von daher Klärung zu schaffen, zu keinen einstimmigen, ernstlich zwingenden wissenschaftlichen Ergebnissen? Es ist eben nicht so, daß es sich um eine bloße Blickwendung in eine bisher nur unbeachtete, aber ohne weiteres theoretischer Erfahrung und Erfahrungserkenntnis zugängliche Sphäre handelt. Alles so Erfahrbare ist Gegenstand und Gebiet möglicher positiver Erkenntnis, es liegt in der „Fläche“, in der Welt wirklicher und möglicher Erfahrung, der Erfahrung im natürlichen Wortsinn. Wir werden bald verstehen, welche außerordentlichen – im Wesen der Sachen gründenden – Schwierigkeiten sich dem methodischen Bemühen entgegenstellten, an die Tiefensphäre wirklich heranzukommen, zunächst bis zur Möglichkeit ihrer reinen Selbsterfassung in der ihr eigentümlichen Erfahrungsart; und damit wird deutlich werden, wie groß also der Antagonismus zwischen dem „patenten“ Flächenleben und dem „latenten“ Tiefenleben ist. Allerdings spielt hier auch eine beständige Rolle die Macht historischer Vorurteile, zumal der uns alle von dem Ursprunge der modernen positiven Wissenschaften her beherrschenden. Zum Wesen solcher, schon den kindlichen Seelen eingeschulter
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Vorurteile gehört es ja gerade, in ihrem aktuellen Sichauswirken verborgen zu sein. Der abstrakt allgemeine Wille, vorurteilslos zu sein, ändert an ihnen nichts. | Gleichwohl liegen hier die geringsten Schwierigkeiten gegenüber denjenigen, die im Wesen der neuen Dimension und ihre Beziehung zum altvertrauten Lebensfeld gründen. Nirgends ist der Weg von unklar sich meldenden Bedürfnissen bis zu zielbestimmten Vorhaben, von vagen Fragestellungen bis zu ersten Arbeitsproblemen – mit denen eigentliche, arbeitende Wissenschaft erst anfängt – so weit. Nirgends stellen sich dem Eindringenden so oft aus dem Dunkel auftauchende logische Gespenster entgegen, gestaltet in der altvertrauten, altwirksamen Begrifflichkeit, als paradoxe Antinomien, als logische Widersinnigkeiten. Nirgends ist daher die Verführung so groß, abzugleiten in eine logische Aporetik und Disputation und sich dabei auf seine Wissenschaftlichkeit viel zugute zu tun, während das eigentliche Arbeitssubstrat, die Phänomene selbst, für immer dem Blick entschwunden sind. Das alles wird sich bestätigen, wenn ich nun, die Anknüpfung an Kant verlassend, den Versuch mache, den zum Nachverstehen Willigen einen der Wege zu führen, die ich wirklich gegangen bin, der somit als wirklich begangener sich auch als jederzeit wieder begehbarer Weg darbietet; ja der in jedem Schritte eben diese Evidenz als apodiktische zu erneuern und zu erproben gestattet: die der beliebig wiederholbaren Gangbarkeit, und einer beliebigen Fortführbarkeit in immer wieder bewährbaren Erfahrungen und Erkenntnissen.
§ 33 Das Problem der „Lebenswelt“ als ein Teilproblem im allgemeinen Problem der objektiven Wissenschaft
Mit einer kurzen Vergegenwärtigung früherer Ausführungen sei erinnert an die geltend gemachte Tatsache, daß Wissenschaft eine menschliche Geistesleistung ist, welche historisch und auch für jeden Lernenden den Ausgang von der als seiend allgemeinsam vorgegebenen, der anschaulichen Lebensumwelt voraussetzt, welche aber auch fortwährend in ihrer Übung
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und Fortführung diese Umwelt in ihrer Jeweiligkeit des Sichgebens für den Wissenschaftler voraussetzt. Zum Beispiel für den Physiker ist es die, in der er seine Meßinstrumente sieht, Taktschläge hört, gesehene Grö | ßen schätzt usw., in der er sich zudem selbst mit all seinem Tun und all seinen theoretischen Gedanken enthalten weiß. Wenn Wissenschaft Fragen stellt und beantwortet, so sind es von Anfang an, und so notwendig weiter, Fragen auf dem Boden dieser, an den Bestand dieser vorgegebenen Welt, in der eben ihre wie alle sonstige Lebenspraxis sich hält. In dieser spielt schon Erkenntnis als vorwissenschaftliche Erkenntnis eine beständige Rolle, mit ihren Zielen, die sie in dem Sinne, den sie meint, auch jeweils durchschnittlich für die Ermöglichung praktischen Lebens im ganzen genügend erreicht. Nur, daß eben ein in Griechenland entspringendes neues Menschentum (das philosophische, das wissenschaftliche Menschentum) sich veranlaßt sah, die Zweckidee „Erkenntnis“ und „Wahrheit“ des natürlichen Daseins umzubilden und der neugebildeten Idee „objektiver Wahrheit“ die höhere Dignität, die einer Norm für alle Erkenntnis zuzumessen. Darauf bezogen erwächst schließlich die Idee einer universalen, alle mögliche Erkenntnis in ihrer Unendlichkeit umspannenden Wissenschaft, die kühne Leitidee der Neuzeit. Haben wir uns dies vergegenwärtigt, so fordert offenbar eine explizite Aufklärung der objektiven Geltung und der ganzen Aufgabe der Wissenschaft, daß zunächst zurückgefragt wird auf die vorgegebene Welt. Vorgegeben ist sie uns allen natürlich, als Personen im Horizont unserer Mitmenschheit, also in jedem aktuellen Konnex mit Anderen, als „die“ Welt, die allgemeinsame. So ist sie, wie wir ausführlich dargelegt haben, der ständige Geltungsboden, eine stets bereite Quelle von Selbstverständlichkeiten, die wir, ob als praktische Menschen oder als Wissenschaftler, ohne weiteres in Anspruch nehmen. Soll nun diese vorgegebene Welt zu einem eigenen Thema werden, und natürlich für wissenschaftlich zu verantwortende Feststellungen, so erfordert dies eine besondere Sorgsamkeit der Vorbesinnung. Es ist nicht leicht, darüber zur Klarheit zu kommen, was für eigentümliche wissenschaftliche, also uni-
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versale Aufgaben unter dem Titel Lebenswelt zu stellen sind und inwiefern hier etwas philosophisch Bedeutsames erwachsen soll. Schon die erste Verständigung über ihren eigentümlichen Seinssinn, der zudem bald als engerer, bald als weiterer zu fassen ist, macht Schwierigkeiten. Die Weise, wie wir hier auf die Lebenswelt als ein wissen- | schaftliches Thema kommen, läßt dieses Thema als ein dienendes, als ein partielles im vollen Thema der objektiven Wissenschaft überhaupt erscheinen. Diese ist allgemein, also in allen ihren Sondergestalten (den positiven Einzelwissenschaften) nach der Möglichkeit ihrer objektiven Leistung unverständlich geworden. Wird sie in solcher Hinsicht zum Problem, so müssen wir aus ihrem eigenen Betrieb heraustreten und einen Standort über ihr einnehmen, überschauend in Allgemeinheit ihre Theorien und Ergebnisse im systematischen Zusammenhang der prädikativen Gedanken und Aussagen, andererseits aber auch das von den arbeitenden und miteinander arbeitenden Wissenschaftlern geübte Aktleben, die Abzielungen, das jeweilige Terminieren im Ziele und die terminierende Evidenz. Dabei kommt eben auch in Frage das in verschiedenen allgemeinen Weisen immer wieder erfolgende Zurückgreifen des Wissenschaftlers auf die Lebenswelt mit ihren stets verfügbaren anschaulichen Gegebenheiten, wozu wir gleich mitrechnen können seine ihr jeweils schlicht angepaßten Aussagen, rein deskriptiv in derselben vorwissenschaftlichen Urteilsweise vollzogen, die den okkasionellen Aussagen inmitten des praktischen Alltagslebens eigen ist. So ist das Problem der Lebenswelt bzw. die Art, wie sie für Wissenschaftler fungiert und fungieren muß, nur ein partielles Thema innerhalb des bezeichneten Ganzen der objektiven Wissenschaft. (Nämlich im Dienst ihrer vollen Begründung.) Es ist aber klar, daß, vor der allgemeinen Frage ihrer Funktion für eine evidente Begründung der objektiven Wissenschaften, die Frage nach dem eigenen und ständigen Seinssinn dieser Lebenswelt für die in ihr lebenden Menschen einen guten Sinn hat. Diese haben nicht immer wissenschaftliche Interessen, und selbst Wissenschaftler sind nicht immer in wissenschaftlicher Arbeit; auch gab es, wie die Geschichte lehrt,
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in der Welt nicht immer ein Menschentum, das habituell in längst gestifteten wissenschaftlichen Interessen lebte. Lebenswelt gab es also für die Menschheit immer schon vor der Wissenschaft, wie sie denn ihre Seinsweise auch fortsetzt in der Epoche der Wissenschaft. Also man kann das Problem der Seinsweise der Lebenswelt an und für sich vorlegen, man kann sich ganz auf den Boden dieser schlicht anschaulichen Welt stellen, alle objektiv-wissenschaftlichen Meinungen, Erkenntnisse außer Spiel lassen, um dann all | gemein zu erwägen, was für „wissenschaftliche“, also allgemeingültig zu entscheidende Aufgaben sich hinsichtlich ihrer eigenen Seinsweise erheben. Könnte das nicht ein großes Arbeitsthema abgeben? Eröffnet sich mit dem, was zunächst als ein spezielles wissenschaftstheoretisches Thema auftritt, nicht am Ende schon jene „dritte Dimension“, somit im voraus dazu berufen, das ganze Thema objektive Wissenschaft (wie alle anderen Themen in der „Fläche“) zu verschlingen? Das muß zunächst sonderlich und unglaublich erscheinen, manche Paradoxien werden sich melden, jedoch auch lösen. Allen voran drängt sich hier auf und muß erwogen werden: die richtige Fassung des Wesens der Lebenswelt und die Methode einer ihr angemessenen „wissenschaftlichen“ Behandlung, wo doch „objektive“ Wissenschaftlichkeit außer Frage bleiben soll.
§ 34 Exposition des Problems einer Wissenschaft von der Lebenswelt
a) Differenz von objektiver Wissenschaft und Wissenschaft überhaupt Ist die Lebenswelt als solche nicht das Allerbekannteste, das in allem menschlichen Leben immer schon Selbstverständliche, in ihrer Typik immer schon durch Erfahrung uns vertraut? Sind alle ihre Unbekanntheitshorizonte nicht Horizonte bloß unvollkommener Bekanntheiten, nämlich im voraus bekannt nach ihrer allgemeinsten Typik? Dem vorwissenschaftlichen Leben freilich genügt diese Bekanntheit und ihre Weise, Un-
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bekanntheit in Bekanntheit überzuführen, aufgrund der Erfahrung (der sich in sich bewährenden und Scheine dabei ausscheidenden) und Induktion okkasionelle Erkenntnis zu gewinnen. Sie genügt für eine alltägliche Praxis. Wenn nunmehr ein weiteres geleistet werden kann und soll, eine „wissenschaftliche“ Erkenntnis zustande kommen soll, was kann da anderes in Frage sein als das, was objektive Wissenschaft ohnehin im Auge hat und tut? Ist nicht wissenschaftliche Erkenntnis als solche „objektive“ Erkenntnis – gerichtet auf ein für jedermann in unbedingter Allgemeinheit gültiges Erkenntnissubstrat? Und doch, paradoxerweise, halten wir unsere Behauptung aufrecht und fordern, daß | man sich hier nicht durch die Tradition von Jahrhunderten, in der wir alle erzogen worden sind, den überlieferten Begriff objektiver Wissenschaft dem der Wissenschaft überhaupt unterschieben läßt. Der Titel „Lebenswelt“ ermöglicht und verlangt vielleicht verschiedene, obschon wesensmäßig aufeinander bezogene wissenschaftliche Aufgabenstellungen, und vielleicht gehört eben zur echten und vollen Wissenschaftlichkeit, daß nur alle in eins, aber ihrer wesensmäßigen Fundierungsordnung folgend, behandelt sein dürfen, und nicht etwa die eine, die objektiv-logische, für sich (diese besondere Leistung innerhalb der Lebenswelt), während die anderen wissenschaftlich überhaupt nicht in Arbeit genommen sind; also nie wissenschaftlich gefragt ist nach der Weise, wie die Lebenswelt beständig als Untergrund fungiert, wie ihre mannigfachen vorlogischen Geltungen begründende sind für die logischen, die theoretischen Wahrheiten. Und vielleicht ist die Wissenschaftlichkeit, die diese Lebenswelt als solche und in ihrer Universalität fordert, eine eigentümliche, eine eben nicht objektiv-logische, aber als die letztbegründende nicht die mindere, sondern die dem Werte nach höhere. Aber wie ist nun diese ganz andersartige Wissenschaftlichkeit, der sich bisher immer die objektive unterschoben hat, zu verwirklichen? Die Idee der objektiven Wahrheit ist ihrem ganzen Sinne nach vorweg bestimmt durch den Kontrast zur Idee der Wahrheit des vor- und außerwissenschaftlichen Lebens. Diese hat ihre letzte und tiefste Bewährungsquelle in der im oben bezeichneten Sinne „reinen“ Erfah-
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rung, in allen ihren Modi der Wahrnehmung, der Erinnerung usw. Diese Worte müssen aber wirklich so verstanden werden, wie sie das vorwissenschaftliche Leben selbst versteht, in die man also keine psychophysische, psychologische Interpretation aus der jeweiligen objektiven Wissenschaft hineintragen darf. Und vor allem darf man nicht, um ein Wichtiges gleich vorwegzunehmen, alsbald rekurrieren auf die vermeintlich unmittelbar gegebenen „Empfindungsdaten“, als ob sie das wären, was die rein anschaulichen Gegebenheiten der Lebenswelt unmittelbar charakterisiert. Das wirklich Erste ist die „bloß subjektiv-relative“ Anschauung des vorwissenschaftlichen Weltlebens. Freilich für uns hat das „bloß“ als alte Erbschaft die verächtliche Färbung der δξα . Im vorwissenschaftlichen Leben selbst hat | sie davon natürlich nichts; da ist sie ein Bereich guter Bewährung, von da aus wohlbewährter prädikativer Erkenntnisse und genau so gesicherter Wahrheiten, als wie die ihren Sinn bestimmenden praktischen Vorhaben des Lebens es selbst fordern. Die Verächtlichkeit, mit welcher alles „bloß Subjektiv-Relative“ von dem dem neuzeitlichen Objektivitätsideal folgenden Wissenschaftler behandelt wird, ändert an seiner eigenen Seinsweise nichts, wie es daran nichts ändert, daß es ihm doch selbst gut genug sein muß, wo immer er darauf rekurriert und unvermeidlich rekurrieren muß. b) Die Benützung der subjektiv-relativen Erfahrungen für die objektiven Wissenschaften und die Wissenschaft von ihnen Die Wissenschaften bauen auf der Selbstverständlichkeit der Lebenswelt, indem sie von ihr her das für ihre jeweiligen Zwecke jeweils Nötige sich zunutze machen. Aber die Lebenswelt in dieser Weise benutzen heißt nicht, sie selbst in ihrer eigenen Seinsweise wissenschaftlich erkennen. Zum Beispiel Einstein benützt die Michelsonschen Experimente und ihre Nachprüfungen durch andere Forscher, mit Apparaten, die Kopien der Michelsonschen sind, mit all dem Zugehörigen an Maßstäben, an Konstatierungen von Koinzidenzen usw. Es ist zweifellos, daß alles, was in Funktion tritt, die Personen, die
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Apparatur, der Institutsraum usw., selbst wieder zum Thema im gewöhnlichen Sinne objektiver Fragestellungen werden kann, dem der positiven Wissenschaften. Aber Einstein konnte unmöglich eine theoretische, psychologisch-psychophysische Konstruktion des objektiven Seins des Mr. Michelson benützen, sondern nur den ihm, wie jedermann in der vorwissenschaftlichen Welt, als Gegenstand schlichter Erfahrung zugänglichen Menschen, dessen Dasein in dieser Lebendigkeit und in diesen Aktivitäten und Erzeugnissen in der gemeinsamen Lebenswelt immer schon Voraussetzung ist für alle die Michelsons Experimente betreffenden objektiv-wissenschaftlichen Fragestellungen, Vorhaben, Leistungen Einsteins. Es ist natürlich die eine, allgemeinsame Erfahrungswelt, in der auch Einstein und jeder Forscher sich als Mensch, und auch während all seines forschenden Tuns, weiß. Eben diese Welt und alles in ihr Vorkommende, nach Bedarf für wissenschaftliche und andere Zwecke benützt, hat andererseits für jeden Naturwissenschaftler in sei | ner thematischen Einstellung auf ihre „objektive Wahrheit“ den Stempel „bloß subjektiv-relativ“. Der Kontrast dazu bestimmt, wie wir sagten, den Sinn der „objektiven“ Aufgabenstellung. Dieses „Subjektiv-Relative“ soll „überwunden“ werden; man kann und soll ihm zuordnen ein hypothetisches An-sich-Sein, ein Substrat für logischmathematische „Wahrheiten an sich“, denen man sich in immer neuen und besseren hypothetischen Ansätzen annähern kann, immer durch Erfahrungsbewährung sie rechtfertigend. Das ist die eine Seite. Aber während der Naturwissenschaftler in dieser Art objektiv interessiert und in Tätigkeit ist, fungiert andererseits doch für ihn das Subjektiv-Relative nicht etwa als ein irrelevanter Durchgang, sondern als das für alle objektive Bewährung die theoretisch-logische Seinsgeltung letztlich Begründende, also als Evidenzquelle, Bewährungsquelle. Die gesehenen Maßstäbe, Teilstriche usw. sind benützt als wirklich seiend, und nicht als Illusionen; also das wirklich lebensweltlich Seiende als gültiges ist eine Prämisse.
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c) Ist das Subjektiv-Relative Gegenstand der Psychologie? Die Frage nun nach der Seinsweise dieses Subjektiven bzw. nach der Wissenschaft, die es in seinem Seinsuniversum zu behandeln hat, wird der Naturwissenschaftler normalerweise mit dem Hinweis auf die Psychologie abtun. Aber wieder darf man sich hier nicht das Seiende im Sinne der objektiven Wissenschaft unterschieben lassen, wo das lebensweltlich Seiende in Frage ist. Denn, was von altersher, und jedenfalls seit der Begründung des neuzeitlichen Objektivismus der Welterkenntnis, Psychologie heißt, hat, welche der versuchten historischen Psychologien wir auch nehmen, selbstverständlich den Sinn einer „objektiven“ Wissenschaft vom Subjektiven. Nun werden wir in den späteren Überlegungen das Problem der Ermöglichung einer objektiven Psychologie zum Gegenstand ausführlicher Erörterungen machen müssen. Vorweg aber muß der Kontrast zwischen Objektivität und lebensweltlicher Subjektivität als ein den Grundsinn der objektiven Wissenschaftlichkeit selbst bestimmender scharf erfaßt und gegenüber den großen Versuchungen der Unterschiebung gesichert sein. | d) Die Lebenswelt als Universum prinzipieller Anschaubarkeit – die „objektiv-wahre“ Welt als prinzipiell unanschauliche „logische“ Substruktion Wie immer es mit der Durchführung oder Durchführbarkeit der Idee der objektiven Wissenschaft hinsichtlich der geistigen Welt steht (also nicht nur hinsichtlich der Natur): diese Idee der Objektivität beherrscht die ganze Universitas der positiven Wissenschaften der Neuzeit, und im allgemeinen Sprachgebrauch den Wortsinn „Wissenschaft“. Darin liegt insofern vorweg schon ein Naturalismus, als dieser Begriff abgenommen ist von der Galileischen Naturwissenschaft, so daß die wissenschaftlich „wahre“, die objektive Welt im voraus stets gedacht ist als Natur in einem erweiterten Wortsinn. Der Kontrast zwischen dem Subjektiven der Lebenswelt und der „objektiven“, der „wahren“ Welt liegt nun darin, daß die letztere eine theoretisch-logische Substruktion ist, die eines prinzipiell
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nicht Wahrnehmbaren, prinzipiell in seinem eigenen Selbstsein nicht Erfahrbaren, während das lebensweltlich Subjektive in allem und jedem eben durch seine wirkliche Erfahrbarkeit ausgezeichnet ist1. Die Lebenswelt ist ein Reich ursprünglicher Evidenzen. Das evident Gegebene ist je nachdem in Wahrnehmung als „es selbst“ in unmittelbarer Präsenz Erfahrenes oder in Erinnerung als es selbst Erinnertes; jede sonstige Weise der Anschauung ist ein es selbst Vergegenwärtigen; jede in diese Sphäre gehörige mittelbare Erkenntnis, weit gesprochen: jede Weise der Induktion hat den Sinn einer Induktion von Anschaubarem, eines möglicherweise als es selbst Wahrnehmbaren oder als wahrgenommen-gewesen Erinnerbaren usw. Auf diese Modi der Evidenzen führt alle erdenkliche Bewährung zurück, weil das „es selbst“ (des jeweiligen Modus) in diesen Anschauungen selbst liegt als das intersubjektiv wirklich Erfahrbare und Bewährbare, und keine gedankliche Substruktion ist, während andererseits eine solche, soweit sie überhaupt Wahrheit beansprucht, eben nur durch Rückbe | ziehung auf solche Evidenzen wirkliche Wahrheit haben kann. Es ist freilich selbst eine höchst wichtige Aufgabe der wissenschaftlichen Erschließung der Lebenswelt, das Urrecht dieser Evidenzen zur Geltung zu bringen, und zwar ihre höhere Dignität der Erkenntnisbegründung gegenüber derjenigen der objektiv-logischen Evidenzen. Es muß völlig aufgeklärt, also zur letzten Evidenz gebracht werden, wie alle Evidenz objektiv-logischer Leistungen, in welcher die objektive Theorie (so die mathematische, die naturwissenschaftliche) nach Form und Inhalt begründet ist, ihre verborgenen Begründungsquellen 1
Die Seinsbewährung des Lebens ergibt in Erfahrung terminierend eine volle Überzeugung. Selbst wenn sie induktiv ist, ist die induktive Antizipation die einer möglichen Erfahrbarkeit, die letztlich entscheidet. Induktionen können sich durch Induktionen im Miteinander bewähren. In ihren Antizipationen der Erfahrbarkeit, und da jede direkte Wahrnehmung selbst schon induktive Momente (Antizipation der vom Objekt noch nicht erfahrenen Seiten) einschließt, so ist alles im weiteren Begriff „Erfahrung“ oder „Induktion“ beschlossen.
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in dem letztlich leistenden Leben hat, in welchem ständig die evidente Gegebenheit der Lebenswelt ihren vorwissenschaftlichen Seinssinn hat, gewonnen hat und neu gewinnt. Von der objektiv-logischen Evidenz (der mathematischen „Einsicht“, der naturwissenschaftlichen, der positiv-wissenschaftlichen „Einsicht“, so wie sie der forschend-begründende Mathematiker usw. im Vollzug hat) geht hier der Weg zurück zur Urevidenz, in der die Lebenswelt ständig vorgegeben ist. Wie befremdlich und noch fraglich man das hier schlechthin Ausgesprochene zunächst finden mag, das Allgemeine des Kontrastes der Evidenzstufen ist unverkennbar. Die empiristischen Reden der Naturforscher klingen oft, wenn nicht zumeist, so, als ob die Naturwissenschaften Wissenschaften aufgrund der Erfahrung von der objektiven Natur seien. Aber nicht in diesem Sinne ist es wahr, daß diese Wissenschaften Erfahrungswissenschaften sind, daß sie prinzipiell der Erfahrung folgen, daß alle von Erfahrungen ausgehen, daß alle ihre Induktionen durch Erfahrungen schließlich verifiziert sein müssen, sondern wahr ist es nur in dem anderen Sinne, in welchem Erfahrung eine rein in der Lebenswelt sich abspielende Evidenz ist, und als das die Evidenzquelle der objektiven Feststellungen der Wissenschaften, die ihrerseits nie selbst Erfahrungen von dem Objektiven sind. Das Objektive ist eben als es selbst nie erfahrbar, und so wird es übrigens von den Naturwissenschaftlern selbst überall da angesehen, wo sie es im Gegensatz zu ihren verwirrenden empiristischen Reden sogar als ein metaphysisch Transzendentes interpretieren. Mit der Erfahrbarkeit eines Objektiven steht es nicht anders als mit derjenigen unendlich ferner geometrischer Gebilde, und so überhaupt mit derjenigen aller unendlichen „Ideen“, | z. B. auch mit der Erfahrbarkeit der Unendlichkeit der Anzahlenreihe. Natürlich sind die „Veranschaulichungen“ von Ideen in der Weise von mathematischen oder naturwissenschaftlichen „Modellen“ nicht etwa Anschauungen von dem Objektiven selbst, sondern lebensweltliche Anschauungen, die geeignet sind, die Konzeption der betreffenden objektiven Ideale zu erleichtern. Hier spielen zumeist vielfältige Mittelbarkeiten der Konzeption mit, welche nicht überall so unmittelbar einsetzt
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und in ihrer Art evident werden kann wie die Konzeption der geometrischen Geraden aufgrund der lebensweltlichen Evidenz der geraden Tischkanten und dgl. Es bedarf, wie man sieht, um hier überhaupt die Voraussetzungen für eine reinliche Fragestellung zu gewinnen, großer Umständlichkeiten, nämlich um uns zunächst frei zu machen von den beständigen Unterschiebungen, welche uns alle durch die Schulherrschaft der objektiv-wissenschaftlichen Denkweisen verführen. e) Die objektiven Wissenschaften als subjektive Gebilde – als die einer besonderen, der theoretisch-logischen Praxis, selbst zur vollen Konkretion der Lebenswelt gehörig
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Ist der Kontrast zur Reinheit gebracht, so ist nun ihrer Wesensverbundenheit genugzutun: objektive Theorie in ihrem logischen Sinn (universal gefaßt: die Wissenschaft als Totalität der prädikativen Theorie, des Systems von „logisch“ als „Sätzen an sich“, „Wahrheiten an sich“ gemeinten und in diesem Sinne logisch verbundenen Aussagen) wurzelt, gründet in der Lebenswelt, in den ihr zugehörigen Ursprungsevidenzen. Vermöge dieser Verwurzelung hat die objektive Wissenschaft beständige Sinnbeziehung auf die Welt, in der wir immerzu und in der wir auch als Wissenschaftler und dann auch in der Allgemeinschaft der Mitwissenschaftler leben – also auf die allgemeine Lebenswelt. Dabei ist sie aber als eine Leistung der vorwissenschaftlichen Personen, der einzelnen und sich in den wissenschaftlichen Tätigkeiten vergemeinschaftenden, selbst zur Lebenswelt gehörig. Ihre Theorien, die logischen Gebilde, sind zwar nicht lebensweltliche Dinge wie Steine, Häuser, Bäume. Es sind logische Ganze | und logische Teile aus letzten logischen Elementen. Mit Bolzano zu reden: es sind „Vorstellungen an sich“, „Sätze an sich“, Schlüsse und Beweise „an sich“, ideale Bedeutungseinheiten, deren logische Idealität ihr Telos „Wahrheit an sich“ bestimmt. Aber diese wie jede Idealität ändert nichts daran, daß sie menschliche Gebilde sind, auf menschliche Aktualitäten und Potenzialitäten wesensmäßig bezogen, und so doch zu dieser
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konkreten Einheit der Lebenswelt gehörig, deren Konkretion also weiter reicht als die der „Dinge“. Ebendies gilt, und zwar korrelativ, von den wissenschaftlichen Tätigkeiten, den erfahrenden, den die logischen Gebilde „aufgrund“ der Erfahrung bildenden, in welchen sie in der originären Gestalt und in originären Abwandlungsmodi auftreten, in den einzelnen Wissenschaftlern und in dem Miteinander der Wissenschaftler: als Ursprünglichkeit des gemeinsam verhandelten Satzes, Beweises usw. Wir kommen in eine unbequeme Situation. Haben wir in aller notwendigen Sorgfalt kontrastiert, so haben wir eines und ein anderes: Lebenswelt und objektiv-wissenschaftliche Welt, allerdings in einer Beziehung. Das Wissen von der objektivwissenschaftlichen „gründet“ in der Evidenz der Lebenswelt. Sie ist dem wissenschaftlichen Arbeiter bzw. der Arbeitsgemeinschaft vorgegeben als Boden, aber, auf diesem bauend, ist doch das Gebäude ein neues, ein anderes. Hören wir auf, in unser wissenschaftliches Denken versunken zu sein, werden wir dessen inne, daß wir Wissenschaftler doch Menschen und als das Mitbestände der Lebenswelt sind, der immer für uns seienden, immerzu vorgegebenen, so rückt mit uns die ganze Wissenschaft in die – bloß „subjektiv-relative“ – Lebenswelt ein. Und was wird mit der objektiven Welt selbst? Was mit der Hypothese des An-sich-Seins, zunächst bezogen auf die „Dinge“ der Lebenswelt, die „Objekte“, die „realen“ Körper, die realen Tiere, Pflanzen und auch Menschen, in der lebensweltlichen „Raumzeitlichkeit“ – alle diese Begriffe jetzt nicht von den objektiven Wissenschaften her verstanden, sondern so wie in dem vorwissenschaftlichen Leben? Ist diese Hypothese, die trotz der Idealität der wissenschaftlichen Theorien aktuelle Geltung für die wissenschaftlichen Subjekte hat (die Wissenschaftler als Menschen), nicht eine der praktischen Hypothesen und Vorhaben unter den vielen, die das | Leben der Menschen in ihrer Lebenswelt – der ihnen jederzeit als verfügbar bewußt vorgegebenen – ausmachen, und sind nicht alle Ziele, ob sonstwie in einem außerwissenschaftlichen Sinn „praktische“ oder unter dem Titel „theoretisch“ praktische, eo ipso mit zur Einheit der Lebenswelt gehö-
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rig, wofern wir sie nur in ihrer ganzen und vollen Konkretion nehmen? Andererseits zeigte sich aber auch, daß die Sätze, die Theorien, das ganze Lehrgebäude der objektiven Wissenschaften aus gewissen Aktivitäten gewonnene Gebilde der in ihrer Zusammenarbeit verbundenen Wissenschaftler sind – genauer gesprochen: aus einem fortlaufenden Aufbau von Aktivitäten, deren spätere immer wieder die Ergebnisse der früheren voraussetzen. Und weiter sehen wir, daß alle diese theoretischen Ergebnisse den Charakter von Geltungen für die Lebenswelt haben, als solche ihrem eigenen Bestande sich immerfort zuschlagend und vorweg schon als Horizont möglicher Leistungen der werdenden Wissenschaft ihr zugehörig. Konkrete Lebenswelt also zugleich für die „wissenschaftlich wahre“ Welt der gründende Boden und zugleich in ihrer eigenen universalen Konkretion sie befassend – wie ist das zu verstehen, wie der so paradox sich anmutenden allumspannenden Seinsweise der Lebenswelt systematisch, d. i. in einer angemessenen Wissenschaftlichkeit genugzutun? Wir stellen Fragen, deren klärende Antworten keineswegs auf der Hand liegen. Kontrastierung und unlösliche Einigung ziehen uns in ein Nachdenken hinein, das uns in immer peinlichere Schwierigkeiten verwickelt. Die paradoxen Aufeinanderbezogenheiten von „objektiv wahrer“ und „Lebenswelt“ machen die Seinsweise beider rätselhaft. Also wahre Welt in jedem Sinne, darin auch unser eigenes Sein, wird nach dem Sinn dieses Seins zum Rätsel. In den Versuchen, zur Klarheit zu kommen, werden wir angesichts der auftauchenden Paradoxien mit einem Male der Bodenlosigkeit unseres ganzen bisherigen Philosophierens inne. Wie können wir jetzt wirklich zu Philosophen werden? Der Kraft dieser Motivation können wir uns nicht entziehen, es ist uns unmöglich, hier auszuweichen, durch einen von Kant oder Hegel, von Aristoteles und Thomas sich nährenden Betrieb mit Aporien und Argumentationen. |
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f) Das Problem der Lebenswelt anstatt als Teilproblem vielmehr als philosophisches Universalproblem Natürlich ist das eine neue, und keine mathematische und überhaupt keine im historischen Sinne logische Wissenschaftlichkeit, die für die Lösung der uns jetzt beunruhigenden Rätsel in Frage kommt, keine, die vor sich schon haben könnte eine fertige Mathematik, Logik, Logistik, als schon bereite Norm, da diese ja selbst in dem hier problematischen Sinne objektive Wissenschaften sind und, als im Problem beschlossen, nicht prämissenartig benützte Voraussetzungen sein können. Zunächst, solange man nur kontrastiert, nur für das Gegenüber sorgt, konnte es scheinen, daß man anderes und mehr als objektive Wissenschaft nicht braucht, in derselben Art, wie das alltägliche praktische Leben seine vernünftigen Besinnungen hat, besondere und allgemeine, und dazu keiner Wissenschaft bedarf. Es ist eben so, allvertraute Tatsache, unbedacht hingenommen, statt als Grundtatsache formuliert und als eigenes Denkthema durchdacht zu werden – nämlich, daß es zweierlei Wahrheiten gibt: auf der einen Seite die alltäglich-praktischen Situationswahrheiten, freilich relative, aber, wie wir schon betont haben, genau die, die Praxis jeweils in ihren Vorhaben sucht und braucht. Auf der anderen Seite die wissenschaftlichen Wahrheiten, und deren Begründung führt eben auf Situationswahrheiten zurück, aber in einer Weise, daß die wissenschaftliche Methode ihrem eigenen Sinne nach dadurch nicht leidet, da auch sie gerade diese Wahrheiten gebrauchen will und gebrauchen muß. So könnte es – wenn man sich von der unbedenklichen Naivität des Lebens auch im Übergang von der außerlogischen zur logischen, zur objektiv-wissenschaftlichen Denkpraxis fortziehen läßt – scheinen, daß eine eigene Thematik des Titels „Lebenswelt“ ein intellektualistischer Betrieb sei, entsprungen aus einer dem neuzeitlichen Leben eigenen Sucht, alles zu theoretisieren. Aber demgegenüber ist doch mindestens soviel sichtlich geworden, daß es bei dieser Naivität nicht sein Bewenden haben kann, daß sich hier paradoxe Unverständlichkeiten melden, eine angebliche Überwindung der bloß subjektiven Re-
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lativitäten durch die objektiv-logische Theorie, die doch als theoretische Praxis der Menschen zum bloß Subjektiv-Relativen gehört und zugleich | im Subjektiv-Relativen ihre Prämissen, ihre Evidenzquellen haben muß. Es ist von da aus schon soviel gewiß, daß alle Wahrheits- und Seinsprobleme, alle für sie erdenklichen Methoden, Hypothesen, Ergebnisse – ob für Erfahrungswelten oder metaphysische Überwelten – ihre letzte Klarheit, ihren evidenten Sinn oder die Evidenz ihres Widersinns nur durch diese vermeintliche intellektualistische Hypertrophie gewinnen können. Darunter dann wohl auch alle letzten Fragen rechtmäßigen Sinnes und Widersinnes in dem neuerdings so laut und so sinnbetörend gewordenen Betrieb der „wiedererstandenen Metaphysik“. Durch die letzte Reihe von Betrachtungen ist uns die Größe, die universale und eigenständige Bedeutung des Problems der Lebenswelt in einer vorausschauenden Einsicht verständlich geworden. Demgegenüber erscheint nun das Problem der „objektiv wahren“ Welt bzw. der objektiv-logischen Wissenschaft – wie sehr und mit wie gutem Grunde es sich immer wieder entgegendrängt – als Problem von sekundärem und speziellerem Interesse. Mag die besondere Leistung unserer objektiven Wissenschaft der Neuzeit auch unverstanden sein, daran ist nicht zu rütteln, daß sie eine aus besonderen Aktivitäten entsprungene Geltung für die Lebenswelt und selbst ihrer Konkretion zugehörig ist. Also jedenfalls muß für die Aufklärung dieser wie aller sonstigen Erwerbe menschlicher Aktivität zuerst die konkrete Lebenswelt in Betracht gezogen werden, und zwar in der wirklich konkreten Universalität, in welcher sie aktuell und horizonthaft alle von den Menschen für die Welt ihres gemeinsamen Lebens erworbenen Geltungsauflagen in sich schließt und diese letztlich insgesamt bezogen hat auf einen abstrakt herauszupräparierenden Weltkern: die Welt der schlichten intersubjektiven Erfahrungen. Freilich wie die Lebenswelt zu einem independenten, ganz und gar eigenständigen Thema werden, wie sie wissenschaftliche Aussagen ermöglichen soll, die doch als solche, wenn auch in anderer Weise wie die unserer Wissenschaften, ihre „Objektivität“ haben müssen, eine rein methodisch zuzueignende notwendige Gültigkeit, die
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wir und jedermann – in eben dieser Methode – bewähren können, wissen wir noch nicht. Wir sind hier absolut Anfänger und haben nichts von einer hier zur Normierung berufenen Logik; wir können nichts als uns besinnen, uns in den noch unentfalteten Sinn unserer Aufgabe vertiefen, | als in äußerster Sorgsamkeit für Vorurteilslosigkeit, für ihre Reinerhaltung von fremden Einmengungen sorgen (wofür wir schon einiges Wichtige getan haben); und daraus muß uns, wie in jeder neuartigen Vorhabe, die Methode zuwachsen. Klärung des Aufgabensinnes ist ja Evidenz des Zieles als Zieles, und wesensmäßig gehört zu dieser Evidenz auch die der möglichen „Wege“ dahin. Die Umständlichkeit und Schwierigkeit der Vorbesinnungen, die noch bevorstehen, wird sich von selbst rechtfertigen, nicht nur durch die Größe des Zieles, sondern durch die wesensmäßige Fremdheit und Gefährlichkeit der dabei in Funktion tretenden notwendigen Gedanken. So hat sich für uns das vermeintlich bloße Grundlagenproblem der objektiven Wissenschaften, oder das vermeintliche Teilproblem des universalen Problems der objektiven Wissenschaft, in der Tat (so wie wir es im voraus schon angekündigt hatten) als das eigentliche und universalste Problem erwiesen. Es kann auch so gesagt werden: das Problem tritt zuerst auf als Frage nach dem Verhältnis von objektiv-wissenschaftlichem Denken und Anschauung; auf der einen Seite also von logischem Denken als Denken logischer Gedanken; z. B. physikalisches Denken der physikalischen Theorie oder rein mathematisches Denken, worin Mathematik als Lehrsystem ihre Stätte hat, Mathematik als Theorie. Auf der anderen Seite haben wir Anschauen und Angeschautes lebensweltlich vor der Theorie. Hier entspringt der unausrottbare Schein eines reinen Denkens, das, als reines um Anschauung unbekümmert, schon seine evidente Wahrheit, und sogar Weltwahrheit habe; der Schein, der den Sinn und die Möglichkeit, die „Tragweite“ objektiver Wissenschaft fraglich macht. Dabei hält man sich im Außereinander: Anschauen und Denken, und bestimmt allgemein die Art der „Erkenntnistheorie“ als in korrelativer Doppelseitigkeit durchgeführte Wissenschaftstheorie (Wissenschaft dabei immer gemäß dem einzigen Wissenschaftsbegriff,
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den man hat: objektive Wissenschaft). Sowie aber der leere und vage Titel Anschauung statt ein Geringes und Unterwertiges gegenüber dem höchstwertigen Logischen, in dem man vermeintlich schon die echte Wahrheit hat, zu dem Problem der Lebenswelt geworden ist und die Größe und Schwierigkeit dieser Thematik im ernstlichen Eindringen ins Gewaltige wächst, tritt die große Verwandlung der „Erkenntnistheorie“, der Wissen | schaftstheorie ein, in der schließlich Wissenschaft als Problem und Leistung ihre Eigenständigkeit verliert und zum bloßen Partialproblem wird. Das Gesagte betrifft natürlich mit die Logik, als die apriorische Normenlehre alles „Logischen“ – in dem allherrschenden Sinn Logischen, wonach also die Logik eine Logik der strengen Objektivität, der objektiv-logischen Wahrheiten ist. An die vor der Wissenschaft liegenden Prädikationen und Wahrheiten und an die innerhalb dieser Sphäre der Relativitäten normierende „Logik“, an die Möglichkeit, auch für dieses der Lebenswelt rein deskriptiv sich anpassende Logische nach dem System der es a priori normierenden Prinzipien zu fragen, wird nie gedacht. Ohne weiteres wird die traditionelle objektive Logik als apriorische Norm auch für diese subjektiv-relative Wahrheitssphäre unterschoben.
§ 35 Analytik der transzendentalen Epoché. Das Erste: die Epoché von der objektiven Wissenschaft
Es liegt an der eigentümlichen Natur der uns zugewachsenen Aufgabe, daß die Zugangsmethode zu dem Arbeitsfeld der neuartigen Wissenschaft – mit dessen Erreichung erst Arbeitsprobleme derselben gegeben sind – 〈 sich 〉 in eine Vielheit von Schritten gliedert, deren jeder in neuer Weise den Charakter einer Epoché, einer Enthaltung von natürlich-naiven, und jedenfalls von schon im Vollzug stehenden Geltungen hat. Die erstnotwendige Epoché, also der erste methodische Schritt, ist uns schon durch die bisherige Vorbesinnung in den Gesichtskreis getreten. Es bedarf aber einer ausdrücklichen universalen Formulierung. Offenbar ist allem voran erfordert
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die Epoché hinsichtlich aller objektiven Wissenschaften. Das meint nicht bloß eine Abstraktion von ihnen, etwa in der Art eines fingierenden Umdenkens des gegenwärtigen menschlichen Daseins, als ob darin nichts von Wissenschaft vorkäme. Vielmehr gemeint ist eine Epoché von jedem Mitvollzug der Erkenntnisse der objektiven Wissenschaften, Epoché von jeder kritischen, an ihrer Wahrheit oder Falschheit interessierten Stellungnahme, selbst zu ihrer leitenden Idee einer objektiven Welterkenntnis. Kurzum, wir vollziehen eine Epoché hinsichtlich der ganzen objektiven theoretischen Interessen, der | gesamten Bezweckungen und Handlungen, die uns als objektiven Wissenschaftlern oder auch nur als Wißbegierigen eigen sind. In dieser Epoché aber sind für uns, die sie Übenden, die Wissenschaften und Wissenschaftler nicht verschwunden. Sie sind weiter, was sie früher jedenfalls auch waren: Tatsachen im Einheitszusammenhang der vorgegebenen Lebenswelt; nur daß wir, vermöge der Epoché, nicht als Mitinteressenten, als Mitarbeiter usw. fungieren. Wir stiften in uns nur eben eine besondere habituelle Interessenrichtung, mit einer gewissen berufsartigen Einstellung, zu welcher eine besondere „Berufszeit“ gehört. Wie sonst, so erweist sich auch hier: wenn wir eines unserer habituellen Interessen aktualisieren, somit in unserer Berufstätigkeit (im Arbeitsvollzug) sind, haben wir eine Haltung der Epoché hinsichtlich unserer anderen, aber doch uns eigenen und fortbestehenden Lebensinteressen. Jedes hat „seine Zeit“, und wir sagen im Wechsel dann etwa „nun ist es an der Zeit, zur Sitzung, zur Wahl zu gehen“ und dergleichen. Im speziellen Sinne nennen wir zwar Wissenschaft, Kunst, militärischen Dienst usw. unseren „Beruf“; aber als normale Menschen sind wir beständig (in einem erweiterten Sinne) zugleich in mannigfachen „Berufen“ (Interesseneinstellungen): zugleich Familienvater, Bürger usw. Jeder solche Beruf hat seine Zeit aktualisierender Betätigungen. Hernach ordnet sich auch jenes neugestiftete Berufsinteresse, dessen universales Thema „Lebenswelt“ heißt, den sonstigen Lebensinteressen oder Berufen ein und hat jeweils „seine Zeit“ innerhalb
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der einen personalen Zeit, der Form der sich durchsetzenden Berufszeiten. Allerdings diese Gleichstellung der neuen Wissenschaft mit allen „bürgerlichen“ Berufen, ja selbst schon mit den objektiven Wissenschaften, bedeutet eine Art Bagatellisierung, eine Mißachtung des größten Wertunterschiedes, den es unter Wissenschaften überhaupt geben kann. So verstanden kam es den modernen irrationalistischen Philosophen so recht willkommen zur Kritik. Bei solcher Betrachtungsweise sieht es ja so aus, als ob da wieder einmal ein neues rein theoretisches Interesse, eine neue „Wissenschaft“, in einer neuen berufsmäßigen Technik, etabliert werden soll, entweder betrieben als ein sich sehr ideal gebärdendes intellektualistisches Spiel oder als eine höherstufige intellektuelle Technik im Dienst der positiven Wissenschaften, für sie nützlich, | die wiederum selbst ihren einzigen reellen Wert in Nützlichkeiten des Lebens haben. Gegen Unterschiebungen flüchtiger Leser und Hörer, die schließlich nur hören, was sie hören wollen, ist man machtlos, aber sie sind auch das gleichgültige Massenpublikum des Philosophen. Die Wenigen, für die man spricht, werden einen solchen Verdacht wohl zurückzuhalten verstehen, zumal nach dem, was wir in früheren Vorlesungen schon gesagt haben. Sie werden jedenfalls abwarten, wohin unser Weg sie führt. Es hat gute Gründe, warum ich das Berufsartige auch der Einstellung des „Phänomenologen“ so scharf hervorgehoben habe. Es ist ein Erstes der Beschreibung der hier fraglichen Epoché, daß sie eine habituelle Vollzugsepoché ist, die ihre Zeiten hat, in denen sie sich in Arbeit auswirkt, während andere Zeiten irgendwelchen anderen Arbeits- oder Spielinteressen gewidmet sind; und vor allem, daß die Vollzugsausschaltung an dem in der personalen Subjektivität fortwerdenden und fortgeltenden Interesse – als ihrem habituellen Ausgerichtetsein auf die ihr als ihre Geltungen verbleibenden Ziele – nichts ändert, und eben darum in diesem identischen Sinne in anderer Zeit immer wieder aktualisiert werden kann. In weiterer Folge besagt das aber keineswegs, daß die lebensweltliche Epoché – zu welcher noch weitere bedeutsame Momente gehören, wie wir zeigen werden – für das menschliche Dasein
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praktisch-„existenziell“ nicht mehr bedeutet wie die Berufsepoché des Schusters und daß es im Grunde gleichkommt, ob man Schuster oder Phänomenologe ist, aber auch, ob man Phänomenologe oder positiver Wissenschaftler ist. Vielleicht wird es sich sogar zeigen, daß die totale phänomenologische Einstellung und die ihr zugehörige Epoché zunächst wesensmäßig eine völlige personale Wandlung zu erwirken berufen ist, die zu vergleichen wäre zunächst mit einer religiösen Umkehrung, die aber darüber hinaus die Bedeutung der größten existenziellen Wandlung in sich birgt, die der Menschheit als Menschheit aufgegeben ist.
§ 36 Wie kann die Lebenswelt nach der Epoché von den objektiven Wissenschaften zum Thema einer Wissenschaft werden? Prinzipielle Scheidung zwischen dem objektiv-logischen Apriori und dem Apriori der Lebenswelt
Gilt der „Lebenswelt“ unser ausschließliches Interesse, so müs | sen wir fragen: Ist denn die Lebenswelt als ein universales wissenschaftliches Thema schon freigelegt durch die Epoché gegenüber der objektiven Wissenschaft?1 Haben wir damit 1
Zunächst erinnern wir uns daran, daß, was wir Wissenschaft nennen, innerhalb der ständig uns geltenden Welt als Lebenswelt eine besondere Art von Zwecktätigkeiten und zweckmäßigen Leistungen ist, wie alle menschlichen Berufe im gewöhnlichen Wortsinn, wozu noch die Nicht-Berufsarten, überhaupt nicht Zweckzusammenhänge und Leistungen umspannenden praktischen Intentionen höherer Stufe gehören, die mehr oder minder vereinzelten, zufälligen, mehr oder minder flüchtigen Interessen. Das alles sind, menschlich betrachtet, Besonderheiten menschlichen Lebens und menschlicher Habitualitäten, und das alles liegt im universalen Rahmen der Lebenswelt, in die alle Leistungen einströmen und alle Menschen und leistenden Tätigkeiten und Vermögen immerfort hineingehören. Selbstverständlich erfordert das neue theoretische Interesse an der universalen Lebenswelt selbst in ihrer eigenen Seinsweise eine gewisse Epoché hinsichtlich aller dieser Interessen, an der Verfolgung unserer Zwecke und aller zum Zweckleben immerfort ge-
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schon Themen für wissenschaftlich allgemeingültige Aussagen, Aussagen über wissenschaftlich festzustellende Tatsachen? Wie haben wir die Lebenswelt als ein im voraus feststehendes universales Feld solcher feststellbaren Tatsachen? Sie ist die raumzeitliche Welt der Dinge, so wie wir sie in unserem vor- und außerwissenschaftlichen Leben erfahren und über die erfahrenen hinaus als erfahrbar wissen. Wir haben einen Welthorizont als Horizont möglicher Dingerfahrung. Dinge: das sind Steine, Tiere, Pflanzen, auch Menschen und menschliche Gebilde; aber alles ist da subjektiv-relativ, obschon wir normalerweise in unserer Erfahrung und in dem sozialen Kreis, der mit uns in Lebensgemeinschaft verbunden, zu „sicheren“ Tatsachen kommen, in einigem Umkreis von selbst, d. i. durch keine merkliche Unstimmigkeit gestört, eventuell aber auch, wo es praktisch darauf ankommt, in absichtlichem Erkennen, d. i. mit dem Ziele einer für unsere Zwecke sicheren Wahrheit. Aber wenn wir in einen fremden Verkehrskreis verschlagen werden, zu den Negern am Kongo, zu chinesischen Bauern usw., dann stoßen wir darauf, daß ihre Wahrheiten, die für sie feststehenden allgemein bewährten und zu bewährenden Tatsachen, keineswegs die unseren sind. Stellen wir | aber das Ziel einer für alle Subjekte unbedingt gültigen Wahrheit über die Objekte, ausgehend von dem, worin normale Europäer, normale Hindus, Chinesen usw. bei aller Relativität doch zusammenstimmen – von dem, was doch allgemeinsame lebensweltliche Objekte für sie und für uns, obschon in verschiehörigen Kritik der Wege und der Ziele, Zwecke selbst, ob wir sie faktisch festhalten, ob die Wege als Richtwege eingeschlagen werden sollen usw. In unseren Zwecken, den uns habituell geltenden, lebend, welche auch immer „an der Reihe sind“, leben wir zwar im Horizont der Lebenswelt, und was da geschieht und wird, ist in ihr lebensweltlich Seiendes; aber Darauf-ausgerichtet-sein ist nicht Auf-den-universalen-Horizont-gerichtet-sein und ist nicht, das Bezweckte als Seiendes dieses Horizontes, bzw. der zum Thema gewordenen Lebenswelt, thematisch zu haben. Der Verfolgung aller wissenschaftlichen und sonstigen Interessen uns enthalten, ist also das Erste. Aber Epoché allein macht es nicht: auch alle Zwecksetzung, alles Vorhaben setzt schon Weltliches voraus, womit also Lebenswelt vorgegeben allen Zwecken.
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denen Auffassungen, identifizierbar macht, wie Raumgestalt, Bewegung, sinnliche Qualitäten und dergleichen –, so kommen wir doch auf den Weg objektiver Wissenschaft. Wir machen mit der Zielstellung dieser Objektivität (der einer „Wahrheit an sich“) eine Art von Hypothesen, mit denen die reine Lebenswelt überschritten ist. Dieser „Überschreitung“ haben wir durch die erste Epoché (hinsichtlich der objektiven Wissenschaften) vorgebeugt, und nun sind wir in Verlegenheit, was hier sonst wissenschaftlich als ein-für-allemal und für jedermann Feststellbares in Anspruch genommen werden kann. Doch alsbald verschwindet die Verlegenheit, wenn wir uns darauf besinnen, daß doch diese Lebenswelt in allen ihren Relativitäten ihre allgemeine Struktur hat. Diese allgemeine Struktur, an die alles relativ Seiende gebunden ist, ist nicht selbst relativ. Wir können sie in ihrer Allgemeinheit beachten und mit entsprechender Vorsicht ein für allemal und für jedermann gleich zugänglich feststellen. Die Welt als Lebenswelt hat schon vorwissenschaftlich die „gleichen“ Strukturen, als welche die objektiven Wissenschaften, in eins mit ihrer (durch die Tradition der Jahrhunderte zur Selbstverständlichkeit gewordenen) Substruktion einer „an sich“ seienden, in „Wahrheiten an sich“ bestimmten Welt, als apriorische Strukturen voraussetzen und systematisch in apriorischen Wissenschaften entfalten, in Wissenschaften vom Logos, von den universalen methodischen Normen, an welche jede Erkenntnis der „an sich objektiv“ seienden Welt sich binden muß. Vorwissenschaftlich ist die Welt schon raumzeitliche Welt; freilich ist hinsichtlich dieser Raumzeitlichkeit von idealen mathematischen Punkten, von „reinen“ Geraden, Ebenen, überhaupt von mathematisch infinitesimaler Kontinuität, von der zum Sinn des geometrischen Apriori gehörigen „Exaktheit“ keine Rede. Die lebensweltlich uns wohlvertrauten Körper sind wirkliche Körper, aber nicht Körper im Sinne der Physik. Ebenso steht es mit der Kausalität, mit der raumzeitlichen Unendlichkeit. Das Kategoriale der Lebenswelt | hat die gleichen Namen, aber kümmert sich sozusagen nicht um die theoretischen Idealisierungen und hypothetischen Substruktionen der Geometer und Physiker. Wir wissen schon: die Physiker, Menschen wie
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andere Menschen, lebend im Sich-Wissen in der Lebenswelt, der Welt ihrer menschlichen Interessen, haben unter dem Titel Physik eine besondere Art von Fragen und (in einem weiteren Sinne) von praktischen Vorhaben, auf die lebensweltlichen Dinge gerichtet, und ihre „Theorien“ sind die praktischen Ergebnisse. Wie andere Vorhaben, praktische Interessen und die Verwirklichungen derselben der Lebenswelt zugehören, sie voraussetzen als Boden und sie im Handeln bereichern, so gilt das auch für die Wissenschaft, als menschliche Vorhabe und Praxis. Und dazu gehört, wie gesagt, alles objektive Apriori, in seiner notwendigen Rückbezogenheit auf ein entsprechendes lebensweltliches Apriori. Diese Rückbezogenheit ist die einer Geltungsfundierung. Eine gewisse idealisierende Leistung ist es, welche die höherstufige Sinnbildung und Seinsgeltung des mathematischen und jedes objektiven Apriori zustande bringt, aufgrund des lebensweltlichen Apriori. So müßte zunächst dieses letztere in seiner Eigenheit und Reinheit zum wissenschaftlichen Thema und in weiterer Folge die systematische Aufgabe gestellt werden, wie auf diesem Grunde und in welchen Weisen neuer Sinnbildung das objektive Apriori als eine mittelbare theoretische Leistung zustande kommt. Es bedürfte also einer systematischen Scheidung der universalen Strukturen: universales lebensweltliches Apriori und universales „objektives“ Apriori, und dann auch einer Scheidung der universalen Fragestellungen nach der Weise, wie das „objektive“ in dem „subjektiv-relativen“ Apriori der Lebenswelt gründet oder wie z. B. die mathematische Evidenz ihre Sinn- und Rechtsquelle in der lebensweltlichen Evidenz hat. Diese Überlegung hat für uns, obschon wir unser Problem einer Wissenschaft von der Lebenswelt schon von dem Problem der objektiven Wissenschaft abgelöst haben, ihr besonderes Interesse darin, daß wir, die in der traditionalen objektivistischen Metaphysik von der Schule her Befangenen, zunächst gar keinen Zugang haben zur Idee eines universalen rein lebensweltlichen Apriori. Es bedarf für uns erst einer prinzipiellen Abscheidung desselben von dem sich uns alsbald unterschiebenden objektiven Apriori. Eben diese Abscheidung erwirkt die erste Epoché von | allen objektiven Wissenschaf-
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ten, wenn wir sie auch als die von allen objektiv-apriorischen Wissenschaften verstehen und sie durch die soeben durchgeführten Überlegungen ergänzen. Dieselben bringen uns zudem die fundamentale Einsicht, daß das universale Apriori der objektiv-logischen Stufe – das der mathematischen und aller sonstigen im gewöhnlichen Sinne apriorischen Wissenschaften – in einem an sich früheren universalen Apriori, eben dem der reinen Lebenswelt, gründet. Nur durch Rekurs auf dieses, in einer eigenen apriorischen Wissenschaft zu entfaltende Apriori können unsere apriorischen Wissenschaften, die objektiv-logischen, eine wirklich radikale, eine ernstlich wissenschaftliche Begründung gewinnen, die sie bei dieser Sachlage unbedingt fordern. Wir können dafür auch sagen: die vermeintlich völlig eigenständige Logik, welche die modernen Logistiker – sogar unter dem Titel einer wahrhaft wissenschaftlichen Philosophie – glauben ausbilden zu können, nämlich als die universale apriorische Fundamentalwissenschaft für alle objektiven Wissenschaften, ist nichts anderes als eine Naivität. Ihre Evidenz entbehrt der wissenschaftlichen Begründung aus dem universalen lebensweltlichen Apriori, das sie beständig, in Form wissenschaftlich nie universal formulierter, nie auf wesenswissenschaftliche Allgemeinheit gebrachter Selbstverständlichkeiten, immerzu voraussetzt. Erst wenn einmal diese radikale Grundwissenschaft da ist, kann jene Logik selbst zur Wissenschaft werden. Vorher schwebt sie grundlos in der Luft und ist, wie bisher, so sehr naiv, daß sie nicht einmal der Aufgabe innegeworden ist, welche jeder objektiven Logik, jeder apriorischen Wissenschaft gewöhnlichen Sinnes anhaftet: nämlich zu erforschen, wie sie selbst zu begründen sei, also nicht mehr „logisch“, sondern durch Rückleitung auf das universale vorlogische Apriori, aus dem alles Logische, der Gesamtbau einer objektiven Theorie, nach allen ihren methodologischen Formen, seinen rechtmäßigen Sinn ausweist, durch welchen also alle Logik selbst erst zu normieren ist. Doch überschreitet diese Erkenntnis das uns jetzt bewegende Interesse an der Lebenswelt, für das es, wie gesagt, nur auf die prinzipielle Scheidung zwischen objektiv-logischem
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und lebensweltlichem Apriori ankommt; und zwar zu dem Ende, um nun die große Aufgabe einer reinen Wesenslehre von der Lebenswelt | in den Gang einer radikalen Überlegung bringen zu können.
§ 37 Die formal-allgemeinsten Strukturen der Lebenswelt: Ding und Welt einerseits, Dingbewußtsein andererseits
Wenn wir in freiem Umblicken das Formal-Allgemeine, das an der Lebenswelt in allem Wandel der Relativitäten invariant Verbleibende, aufsuchen, so halten wir uns unwillkürlich an das, was für uns im Leben allein den Sinn der Rede von Welt bestimmt: die Welt ist das All der Dinge, der in der Weltform Raumzeitlichkeit in doppeltem Sinne „örtlich“ (nach Raumstelle, Zeitstelle) verteilten Dinge, der raumzeitlichen „Onta“. Somit läge hier die Aufgabe einer lebensweltlichen Ontologie, verstanden als einer konkret allgemeinen Wesenslehre dieser Onta. Für unser Interesse im jetzigen Zusammenhang genügt es, sie angedeutet zu haben. Statt zu verweilen, ziehen wir es vor, zu einer, wie sich bald zeigt, sehr viel größeren Aufgabe, und zwar sie selbst mitumspannenden, fortzuschreiten. Um uns den Weg zu dieser neuen, ebenfalls die Lebenswelt wesensmäßig betreffenden, aber doch nicht ontologischen Thematik zu bahnen, stellen wir eine allgemeine Betrachtung an, und zwar wir als wach lebende Menschen in der Lebenswelt (also selbstverständlich innerhalb der Epoché von aller Einmengung positiver Wissenschaftlichkeit). Diese allgemeine Betrachtung wird zugleich die Funktion haben, einen wesentlichen Unterschied der möglichen Weisen evident zu machen, in welchen für uns die vorgegebene Welt, das ontische Universum, zum Thema werden kann. Die Lebenswelt ist – in Vergegenwärtigung von wiederholt Gesagtem – für uns, die in ihr wach Lebenden, immer schon da, im voraus für uns seiend, „Boden“ für alle, ob theoretische oder außertheoretische Praxis. Die Welt ist uns, den wachen, den immerzu irgendwie praktisch interessierten Subjekten, nicht gelegentlich einmal, sondern immer und notwendig als Uni-
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versalfeld aller wirklichen und möglichen Praxis, als Horizont vorgegeben. Leben ist ständig In-Weltgewißheit-Leben. Wachleben ist, für die Welt wach sein, beständig und aktuell der Welt und seiner selbst als in der Welt lebend „bewußt“ sein, die Seinsgewißheit der Welt wirklich erleben, wirklich vollziehen. Vorgegeben ist sie dabei in jedem Falle | in der Art, daß jeweils Einzeldinge gegeben sind. Es besteht aber ein grundsätzlicher Unterschied in der Weise des Weltbewußtseins und des Dingbewußtseins, des Objektbewußtseins (in einem weitesten, aber rein lebensweltlichen Sinne), während andererseits eines und das andere eine untrennbare Einheit bilden. Dinge, Objekte (immer rein lebensweltlich verstanden) sind „gegeben“ als für uns jeweils (in irgendwelchen Modi der Seinsgewißheit) geltende, aber prinzipiell nur so, daß sie bewußt sind als Dinge, als Objekte im Welthorizont. Jedes ist etwas, „etwas aus“ der Welt, der uns ständig als Horizont bewußten. Dieser Horizont ist andererseits nur als Horizont für seiende Objekte bewußt und kann ohne sonderbewußte Objekte nicht aktuell sein. Jedes hat seine möglichen Abwandlungsmodi des Geltens, der Modalisierung der Seinsgewißheit. Andererseits ist Welt nicht seiend wie ein Seiendes, wie ein Objekt, sondern seiend in einer Einzigkeit, für die der Plural sinnlos ist. Jeder Plural und aus ihm herausgehobene Singular setzt den Welthorizont voraus. Diese Differenz der Seinsweise eines Objektes in der Welt und der Welt selbst schreibt offenbar beiden die grundverschiedenen korrelativen Bewußtseinsweisen vor.
§ 38 Die zwei möglichen Grundweisen, die Lebenswelt thematisch zu machen: die naiv-natürliche Geradehineinstellung und die Idee einer konsequent reflexiven Einstellung auf das Wie der subjektiven Gegebenheitsweise der Lebenswelt und der lebensweltlichen Objekte
Dieses Allgemeinste des Wachlebens ist aber nun erst der formale Rahmen, in welchem mögliche Unterschiede der Vollzugsweise dieses Lebens möglich sind, sosehr dieses also in jedem Falle Welt vorgegeben und in diesem Horizont sei-
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ende Objekte gegeben hat. Das macht dann jene verschiedenen Weisen, so können wir auch sagen, in welchen wir für die Welt und für die Objekte in der Welt wach sind. Die erste Weise, die natürlich normale, die nicht aus zufälligen, sondern wesensmäßigen Gründen unbedingt vorangehen muß, ist die des geradehin auf jeweils gegebene Objekte hin, also in den Welthorizont Hineinlebens, und das in normaler ungebrochener Beständigkeit, in einer durch alle Akte hindurchgehenden synthetischen Einheitlichkeit. Dieses normale geradehin, auf jeweils gegebene Objekte hin Leben be | sagt: alle unsere Interessen haben ihre Ziele in Objekten. Die vorgegebene Welt ist der Horizont, der alle unsere Ziele, alle unsere Zwecke, flüchtige oder dauernde, strömend-ständig befaßt, wie eben ein intentionales Horizontbewußtsein im voraus implizite „umfaßt“. Wir, die Subjekte, kennen im normalen ungebrochen einheitlichen Leben keine darüber hinaus reichenden Ziele, ja wir haben nicht einmal eine Vorstellung davon, daß es andere geben könnte. Alle unsere theoretischen und praktischen Themen, können wir auch sagen, liegen immer in der normalen Einheitlichkeit des Lebenshorizonts „Welt“. Welt ist das Universalfeld, in das alle unsere Akte, erfahrende, erkennende, handelnde, hineingerichtet sind. Aus ihm her kommen, von den jeweils schon gegebenen Objekten her, alle Affektionen, sich jeweils in Aktionen umsetzend. Es kann aber noch eine ganz andere Art des Wachlebens im Bewußthaben der Welt geben. Es läge in einer die Normalität des Dahinlebens durchbrechenden Wandlung des thematischen Bewußtseins von der Welt. Lenken wir unseren Blick darauf, daß allgemein, daß uns allen die Welt bzw. die Objekte nicht nur überhaupt vorgegeben sind, in einer bloßen Habe als Substrate ihrer Eigenschaften, sondern daß sie (und alles ontisch Vermeinte) in subjektiven Erscheinungsweisen, Gegebenheitsweisen uns bewußt werden, ohne daß wir eigens darauf achten und während wir zum größten Teil überhaupt nichts davon ahnen. Gestalten wir nun dies zu einer neuen universalen Interessenrichtung, etablieren wir ein konsequentes universales Interesse für das Wie der Gegebenheitsweisen und für die Onta selbst, aber nicht geradehin, sondern als Objekte
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in ihrem Wie, eben in der ausschließlichen und ständigen Interessenrichtung darauf, wie im Wandel relativer Geltungen, subjektiver Erscheinungen, Meinungen die einheitliche, universale Geltung Welt, die Welt für uns zustande kommt: wie also das ständige Bewußtsein für uns zustande kommt vom universalen Dasein, vom Universalhorizont realer, wirklich seiender Objekte, deren jedes, selbst wenn es in Sonderheit bewußt ist als schlicht daseiendes, so nur bewußt ist im Wandel seiner relativen Auffassungen, Erscheinungsweisen, Geltungsmodi. Wir merken in dieser totalen Interessenwendung, durchgeführt in einer neuen, durch einen besonderen Willensentschluß gestif | teten Konsequenz, daß uns nicht nur eine Unzahl nie thematisch gewesener Typen von Einzelheiten, sondern von Synthesen, in einer untrennbaren synthetischen Totalität, zuteil werden, ständig hergestellt durch intentional übergreifende Horizontgeltungen, sich wechselseitig beeinflussend in Form von bestätigenden Daseinsbewährungen oder auch entwährenden Durchstreichungen und sonstigen Modalisierungen. Es ist das Eigene der synthetischen Totalität, in der für uns ein vordem völlig Unbekanntes, als Erkenntnisaufgabe nie Erschautes und Ergriffenes zu eigen werden kann: nämlich das universale leistende Leben, in welchem die Welt als die für uns ständig in strömender Jeweiligkeit seiende, die uns ständig „vorgegebene“ zustande kommt; oder auch: in der wir nun erstmalig entdecken, daß und wie Welt als Korrelat einer erforschbaren Universalität synthetisch verbundener Leistungen ihren Seinssinn und ihre Seinsgeltung in der Totalität ihrer ontischen Strukturen gewinnt. Doch wir haben hier nicht in nähere Auslegungen einzugehen, in all das, was hier thematisch werden kann. Für uns hier wesentlich ist der Unterschied der beiderseitigen Thematik, und beiderseits betrachtet als einer universalen Thematik. Das natürliche Leben ist, ob vorwissenschaftlich oder wissenschaftlich, ob theoretisch oder praktisch interessiertes, Leben in einem universalen unthematischen Horizont. Das ist in der Natürlichkeit eben die immerfort als das Seiende vorgegebene Welt. So dahinlebend braucht man nicht das Wort „vorgegeben“, es bedarf keines Hinweises darauf, daß die Welt
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für uns ständig Wirklichkeit ist. Alle natürlichen Fragen, alle theoretischen und praktischen Ziele als Thema, als Seiendes, als Vielleicht-Seiendes, als Wahrscheinliches, als Fragliches, als Wertes, als Vorhabe, als Handlung und Handlungsergebnis usw., betreffen irgend etwas im Welthorizont. Selbst für die Scheine, die Unwirklichkeiten gilt das, da alles in irgendwelchen Seinsmodalitäten Charakterisierte doch wieder auf wirkliches Sein bezogen ist. Welt hat ja vorweg den Sinn: All der „wirklich“ seienden, der nicht bloß vermeinten, zweifelhaften, fraglichen Wirklichkeiten, sondern der wirklichen Wirklichkeiten, die als das ja nur in der ständigen Bewegung der Korrekturen, der Umgeltungen von Geltungen, ihre Wirklichkeit für uns haben – als Antizipation einer idealen Einheit. | Anstatt aber in dieser Weise des „Schlicht-in-die-Welt-Hineinlebens“ zu verbleiben, versuchen wir hier eine universale Interessenwendung, in welcher eben das neue Wort „Vorgegebensein“ der Welt notwendig wird, weil es das Titelwort für diese anders gerichtete und doch wieder universale Thematik der Vorgegebenheitsweisen ist. Nämlich nichts anderes soll uns interessieren als eben jener subjektive Wandel der Gegebenheitsweisen, der Erscheinungsweisen, der einwohnenden Geltungsmodi, welcher, ständig verlaufend, unaufhörlich im Dahinströmen sich synthetisch verbindend, das einheitliche Bewußtsein des schlichten „Seins“ der Welt zustande bringt. Unter den lebensweltlichen Objekten finden wir auch die Menschen, mit all ihrem menschlichen Tun und Treiben, Wirken und Leiden, in ihren jeweiligen sozialen Verbundenheiten gemeinsam im Welthorizont lebend und sich darin wissend. Also auch für all das soll nun in eins die neue universale Interessenwendung durchgeführt werden. Ein einheitliches theoretisches Interesse soll sich ausschließlich richten auf das Universum des Subjektiven, worin die Welt vermöge seiner Universalität synthetisch verbundener Leistungen zu ihrem schlichten Dasein für uns kommt. Im natürlich-normalen Weltleben verläuft beständig dieses mannigfaltige Subjektive, aber es bleibt darin beständig und notwendig verborgen. Wie, in welcher Methode ist es zu enthüllen; kann es als ein in sich geschlossenes Universum einer eigenen theoretisch und konsequent in-
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negehaltenen Forschung erwiesen werden, sich erschließend als die Alleinheit der letztlich fungierend-leistenden Subjektivität, die für das Sein der Welt – der Welt für uns, als unseres natürlichen Lebenshorizontes – aufzukommen hat? Ist das eine rechtmäßige, eine notwendige Aufgabe, so bedeutet ihre Durchführung die Schaffung einer eigenartigen neuen Wissenschaft. Es wäre gegenüber allen bisher entworfenen objektiven Wissenschaften, als Wissenschaften auf dem Boden der Welt, eine Wissenschaft von dem universalen Wie der Vorgegebenheit der Welt, also von dem, was ihr universales Bodensein für jedwede Objektivität ausmacht. Und es bedeutet, darin mitbeschlossen, die Schaffung einer Wissenschaft von den letzten Gründen, aus denen alle objektive Begründung ihre wahre Kraft, die aus ihrer letzten Sinngebung, schöpft. | Unser historisch motivierter Weg von der Interpretation der zwischen Kant und Hume spielenden Problematik hat uns nun zum Postulat der Aufklärung des universalen „Boden-Seins“ der vorgegebenen Welt für alle objektiven Wissenschaften und, wie sich von selbst ergab, für alle objektive Praxis überhaupt geführt: also zum Postulat jener neuartigen universalen Wissenschaft von der Welt vorgebenden Subjektivität. Wir werden jetzt zusehen müssen, wie wir es erfüllen können. Wir bemerken dabei, daß jener nächste Schritt, der anfangs zu helfen schien, jene Epoché, in der wir uns aller objektiven Wissenschaften als Geltungsbodens entheben mußten, keineswegs schon genügt. Im Vollzug dieser Epoché stehen wir offenbar noch weiter auf dem Boden der Welt; sie ist nun reduziert auf die vorwissenschaftlich uns geltende Lebenswelt, nur daß wir keinerlei Wissen, das aus den Wissenschaften herstammt, als Prämisse verwenden und die Wissenschaften nur in der Weise historischer Tatsachen, ohne eigene Stellungnahme zu ihrer Wahrheit, in Rechnung ziehen dürfen. Daran ändert aber auch nichts ein interessiertes Umblicken in der vorwissenschaftlich anschaulichen Welt und ein Achten auf ihre Relativitäten. In gewisser Weise gehört die Beschäftigung mit dergleichen sogar fortlaufend zur objektiven Thematik, nämlich der Historiker, die doch die wechselnden Lebensumwelten der Völker und Zeiten, die sie jeweils behan-
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deln, rekonstruieren müssen. Bei all dem ist die vorgegebene Welt noch in Bodengeltung, und nicht übergeführt in das Universum des rein Subjektiven, als eines eigenen universalen Zusammenhangs, um das es jetzt geht. Das wiederholt sich, wenn wir alle Zeiten und Völker und schließlich die ganze raumzeitliche Welt in der Einheit einer systematischen Umschau thematisch machen, und zwar unter ständigem Achten auf die Relativität der Lebensumwelten der jeweiligen Menschen, Völker, Zeiten in ihrer bloßen Tatsächlichkeit. Es ist klar, daß von dieser Weltumschau in Form einer iterierten Synthesis von relativen raumzeitlichen Lebenswelten dasselbe gilt wie von einer Umschau in einer solchen in Einzelheit. Es wird Glied für Glied, dann in höherer Stufe Umwelt für Umwelt, Zeitlichkeit für Zeitlichkeit betrachtet, jede Sonderanschauung ist eine Seinsgeltung, sei es im Modus | der Wirklichkeit oder der Möglichkeit. Einsetzend setzt sie immer schon andere in objektiver Geltung voraus, setzt sie immer schon für uns, die Betrachter, voraus den allgemeinen Boden der Weltgeltung.
§ 39 Die Eigenart der transzendentalen Epoché als totale Änderung der natürlichen Lebenseinstellung
Wie kann nun das Vorgegebensein der Lebenswelt zu einem eigenen und universalen Thema werden? Offenbar nur durch eine totale Änderung der natürlichen Einstellung, eine Änderung, in der wir nicht mehr wie bisher als Menschen des natürlichen Daseins im ständigen Geltungsvollzug der vorgegebenen Welt leben, vielmehr uns dieses Vollzugs ständig enthalten. Nur so können wir das verwandelte und neuartige Thema „Vorgegebenheit der Welt als solcher“ erreichen: Welt rein und ganz ausschließlich als die und so wie sie in unserem Bewußtseinsleben Sinn und Seinsgeltung hat und in immer neuen Gestalten gewinnt. So nur können wir studieren, was Welt als Bodengeltung natürlichen Lebens, in allen seinen Vorhaben und Gehaben, ist, und korrelativ, was natürliches Leben und seine Subjektivität letztlich ist, d. h. rein als die Subjektivität,
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die da als Geltung vollziehende fungiert. Das die Weltgeltung des natürlichen Weltlebens leistende Leben läßt sich nicht in der Einstellung des natürlichen Weltlebens studieren. Es bedarf also einer totalen Umstellung, einer ganz einzigartigen universalen Epoché.
§ 40 Die Schwierigkeiten des echten Vollzugssinnes der totalen Epoché. Die Verführung, sie als eine schrittweise zu leistende Enthaltung von allen einzelnen Geltungen mißzuverstehen
Die Universalität der Epoché hinsichtlich des gesamten natürlich-normalen Lebens hat in der Tat eine unvergleichliche Eigenart und als das zunächst ihre Fraglichkeiten. Es ist vorweg nicht klar, wie sie auszuführen ist, um für die ihr zugemutete und selbst bei ihrer Allgemeinheit noch klärungsbedürftige methodische Leistung befähigt zu sein. Hier bieten sich, wie wir uns überzeugen werden, verführende Irrwege, d. i. Weisen, die Durch | führung der Epoché zu verstehen, welche sicher nicht zum Ziele führen – wie man im voraus schon evident machen kann. Überlegen wir, um eine Vorstellung zu gewinnen, wie jene totale Umstellung auszuführen ist, nochmals die Weise des natürlich-normalen Lebens: Wir bewegen uns da in einem Strom immer neuer Erfahrungen, Urteile, Wertungen, Entschließungen. In jedem dieser Akte ist das Ich auf Gegenstände seiner Umwelt gerichtet, mit ihnen so oder so beschäftigt. Sie sind das in diesen Akten selbst Bewußte, bald schlechthin als Wirklichkeiten, bald in Wirklichkeitsmodalitäten (z. B. als möglich, zweifelhaft usw.). Keiner dieser Akte und keine der in ihm beschlossenen Geltungen ist isoliert, sie implizieren notwendig in ihren Intentionen einen unendlichen Horizont inaktueller, in strömender Beweglichkeit mitfungierender Geltungen. Die mannigfaltigen Erwerbe des früheren aktiven Lebens sind nicht tote Sedimentierungen, auch der stets mitbewußte, aber momentan irrelevante, völlig unbeachtet bleibende Hintergrund (z. B. des Wahrnehmungsfeldes) fungiert doch nach sei-
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nen impliziten Geltungen mit; obschon momentan nicht aktualisiert, ist all dergleichen in einer ständigen Beweglichkeit von Modi unmittelbarer oder mittelbarer Weckung und von Modi der Affektion auf das Ich, und ev. in aktive Apperzeption übergehend und in den Aktzusammenhang geltungsmäßig eingreifend. So ist das jeweils aktiv Bewußte und korrelativ das aktive Bewußthaben, Darauf-gerichtet-, Damit-beschäftigtSein immerfort umspielt von einer Atmosphäre stummer, verborgener, aber mitfungierender Geltungen, von einem lebendigen Horizont, in den sich das aktuelle Ich auch willkürlich hineinrichten kann, alte Erwerbe reaktivierend, apperzeptive Einfälle bewußt ergreifend, in Anschauungen wandelnd. Also vermöge dieser ständig strömenden Horizonthaftigkeit setzt jede im natürlichen Weltleben schlicht vollzogene Geltung immer schon Geltungen voraus, unmittelbar oder mittelbar zurückreichend in den einen notwendigen Untergrund dunkler, aber gelegentlich verfügbarer, reaktivierbarer Geltungen, alle miteinander und mit den eigentlichen Akten einen einzigen untrennbaren Lebenszusammenhang ausmachend. Diese Überlegung ist für die Klärung der Vollzugsweise der universalen Epoché von Bedeutung. Wir sehen nämlich, daß sie | nicht als eine in Einzelschritten verlaufende Vollzugsenthaltung zum Ziele führen kann. Die Enthaltung vom Vollzug einzelner Geltungen (ähnlich, wie sie in einem kritischen Verhalten aus theoretischen oder praktischen Zumutungen statthat) schafft nur für eine jede einen neuen Geltungsmodus auf dem natürlichen Weltboden; und nicht besser wird es, wenn wir einzelweise, und sei es auch in infinitum, nämlich für alle von nun ab uns je sich anbietenden eigenen und fremden Geltungen, in einem vorgreifenden universalen Entschluß Vollzugsenthaltung üben wollen. Es ist aber anstatt dieser Universalität der Enthaltung in Einzelschritten eine ganz andere Weise der universalen Epoché möglich, nämlich die mit einem Schlage den durch die Gesamtheit des natürlichen Weltlebens und durch das gesamte (ob verborgene oder offene) Geflecht der Geltungen hindurchreichenden Gesamtvollzug außer Aktion setzt, eben den, der als einheitliche „natürliche Einstellung“ das „schlicht“ „gerade-
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hin“ Dahinleben ausmacht. Durch die Vollzugsenthaltung, die diese ganze bisher ungebrochen verlaufene Lebensweise inhibiert, wird eine völlige Umstellung des gesamten Lebens gewonnen, eine durchaus neue Weise des Lebens. Es ist eine Einstellung erreicht über der Geltungsvorgegebenheit der Welt, über der Unendlichkeit des Ineinander der verborgenen Fundierungen ihrer Geltungen immer wieder auf Geltungen, über dem ganzen Strom des Mannigfaltigen, aber synthetisch Vereinheitlichten, worin die Welt Sinngehalt und Seinsgeltung hat und neu gewinnt. Mit anderen Worten, wir haben damit eine Einstellung über dem universalen Bewußtseinsleben (dem einzelsubjektiven und intersubjektiven), worin die Welt für die naiv Dahinlebenden „da“ ist, als fraglos vorhandene, als Universum der Vorhandenheiten, als das Feld aller erworbenen und neu gestifteten Lebensinteressen. Sie alle sind im voraus von der Epoché außer Aktion gesetzt, und somit außer Aktion das ganze natürliche Dahinleben, das auf die Wirklichkeiten „der“ Welt hin gerichtet ist. Selbstverständlich ist – und auch das ist zu beachten – die jetzige, die „transzendentale“ Epoché gemeint als eine habituelle Einstellung, zu der wir uns ein für allemal entschließen. Sie ist also keineswegs ein vorübergehender und in den Wiederholungen zufällig und vereinzelt bleibender Akt. Und wieder gilt alles, was | wir von der früheren Epoché, sie mit Berufseinstellungen vergleichend, gesagt haben: daß sie in der „Berufszeit“ zwar alle sonstigen Interessen „außer Spiel“ setzt, aber ihre Seinsweise als die unsere (bzw. unsere Seinsweise als solche der „Interessenten“) nicht etwa aufgibt, als ob wir sie preisgeben oder auch nur ihre weitere Aufrechterhaltung neu in Erwägung ziehen würden usw. Nicht zu vergessen ist aber auch, was gesagt wurde als Protest gegen eine entwertende Gleichstellung mit anderen Berufen, und von der Möglichkeit der radikalen Änderung des gesamten Menschentums durch diese in dessen philosophische Tiefen hineinreichende Epoché.
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§ 41 Die echte transzendentale Epoché ermöglicht die „transzendentale Reduktion“ – die Entdeckung und Erforschung der transzendentalen Korrelation von Welt und Weltbewußtsein
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Die Epoché vollziehen wir, die neu Philosophierenden, zwar als eine Umstellung aus der nicht zufällig, sondern wesensmäßig vorangehenden Einstellung des natürlichen menschlichen Daseins, also derjenigen Einstellung, welche in seiner gesamten Geschichtlichkeit in Leben und Wissenschaft niemals unterbrochen war. Es ist nun aber notwendig, sich wirklich einsichtig zu machen, daß es nicht bei einer bedeutungslosen habituellen Enthaltung bleibt, sondern daß mit ihr der Blick des Philosophen in der Tat erst völlig frei wird, und vor allem frei von der stärksten und universalsten und dabei verborgensten inneren Bindung, von derjenigen der Vorgegebenheit der Welt. Mit und in dieser Befreiung ist gegeben die Entdeckung der universalen, in sich absolut geschlossenen und absolut eigenständigen Korrelation von Welt selbst und Weltbewußtsein. Gemeint ist auf der letzteren Seite das Bewußtseinsleben der die Weltgeltung leistenden Subjektivität, bzw. der in ihren fortdauernden Erwerben jeweils Welt habenden und auch immer aktiv neu gestaltenden Subjektivität. Und schließlich ergibt sich, als weitest zu fassende: die absolute Korrelation von Seiendem jeder Art und jeden Sinnes einerseits und absoluter Subjektivität andererseits, als der Sinn und Seinsgeltung in dieser weitesten Weise konstituierenden. Es gilt insbesondere und vor allem, zu zeigen, daß sich dem Philosophierenden durch die Epoché eine neue Art des Erfahrens, des | Denkens, des Theoretisierens eröffnet, in der er, über sein natürliches Sein und über die natürliche Welt gestellt, nichts von ihrem Sein und ihren objektiven Wahrheiten verliert, wie überhaupt nichts von den geistigen Erwerben seines Weltlebens und des ganzen historischen Gemeinschaftslebens, nur daß er es sich versagt – als Philosoph, in der Einzigartigkeit seiner Interessenrichtung –, den ganzen natürlichen Vollzug seines Weltlebens fortzuführen, d. i. auf dem Boden der vorhandenen Welt Fragen, Seinsfragen, Wertfragen, praktische Fragen, Fragen für
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Sein oder Nichtsein, Wert-, Nützlich-, Schön-, Gutsein usw. zu stellen. Alle natürlichen Interessen sind ja außer Spiel gesetzt. Aber die Welt, genau so, wie sie früher für mich war und noch ist, als meine, unsere, menschheitliche, in den je subjektiven Weisen geltende, ist nicht verschwunden, nur daß sie während der konsequent durchgeführten Epoché im Blick steht rein als Korrelat der ihr Seinssinn gebenden Subjektivität, aus deren Gelten sie überhaupt „ist“. Das ist aber nun nicht eine „Auffassung“, eine „Interpretation“, die der Welt zuerteilt wird. Jede Auffassung von … , jede Meinung über „die“ Welt hat ihren Boden in der vorgegebenen Welt. Gerade dieses Bodens habe ich mich durch die Epoché enthoben, ich stehe über der Welt, die nun für mich in einem ganz eigenartigen Sinne zum Phänomen geworden ist.
§ 42 Die Aufgabe der konkreten Vorzeichnung von Wegen einer wirklichen Durchführung der transzendentalen Reduktion
Wie ist aber nun die angedeutete, durch die Epoché ermöglichte Leistung – wir nennen sie die „transzendentale Reduktion“ – und wie die damit sich eröffnende wissenschaftliche Aufgabe konkreter verständlich zu machen? Diese Leistung einer Reduktion „der“ Welt auf das transzendentale Phänomen „Welt“ und damit auf ihr Korrelat: die transzendentale Subjektivität, in und aus deren „Bewußtseinsleben“ die schlicht naiv uns geltende Welt, schon vor aller Wissenschaft, ihren ganzen Inhalt und ihre Seinsgeltung gewinnt und immer schon gewonnen hat? Wie konkreter verständlich zu machen, daß die in der Reduktion der Welt mitbeschlossene Reduktion der Menschheit auf das Phänomen „Menschheit“ diese erkennen läßt als eine Selbstob | jektivation der transzendentalen Subjektivität, der allzeit letztlich fungierenden und darum „absoluten“? Wie wird es dank dieser Epoché möglich, diese Subjektivität in ihrem Leisten, in ihrem transzendentalen, in die verborgenen Untergründe hineinreichenden „Bewußtseinsleben“, in den bestimmten Weisen, wie es Welt in sich als Seinssinn „zustande
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bringt“, aufzuzeigen – in Evidenz an den Tag zu bringen, nicht zu erfinden, nicht mythisch zu konstruieren? Ist hier von einer neuen Art der Wissenschaftlichkeit, von einer neuen Art des theoretischen Fragens und die Fragen Entscheidens die Rede, so muß ja auch für diese Fragen der Boden bereit sein. Die natürlichen Weltfragen haben ihren Boden in der vorgegebenen Welt, als derjenigen aktueller und möglicher Erfahrungen. Und so muß auch der Blick, den die Epoché frei macht, ebenfalls ein in seiner Weise erfahrender Blick sein. Die Leistung der totalen Umstellung muß darin bestehen, daß sich die Unendlichkeit wirklicher und möglicher Welterfahrung umwandelt in die Unendlichkeit wirklicher und möglicher „transzendentaler Erfahrung“, in der als Erstes die Welt und ihre natürliche Erfahrung erfahren wird als „Phänomen“. Wie ist aber damit anzufangen, wie weiter zu kommen? Wie sind, zunächst konkret vortastend, erste Ergebnisse zu gewinnen, wenn zunächst auch nur als Material für neue Besinnungen, in welchen die Methode einer systematischen Fortarbeit, aber auch der eigentliche und reine Sinn unserer ganzen Vorhabe und das ganz Eigentümliche dieser neuen Wissenschaftlichkeit zu voller Klarheit kommt? Wie sehr es dessen bedarf, wo wir uns nicht mehr auf dem altvertrauten Welt-Boden bewegen, sondern durch unsere transzendentale Reduktion nur am Eingangstor des nie betretenen Reiches der „Mütter der Erkenntnis“ stehen; wie groß hier die Versuchung zu Selbstmißverständnissen ist und wieviel, ja schließlich das wirkliche Gelingen einer Transzendentalphilosophie, an der selbstbesinnlichen Klarheit bis ins Letzte hängt, werden die weiteren Überlegungen zeigen.
§ 43 Charakteristik eines neuen Weges zur Reduktion in Abhebung gegen den „Cartesianischen Weg“
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Wir wollen hier so vorgehen, daß wir neu anfangend, und rein vom natürlichen Weltleben aus, die Frage nach dem Wie der | Vorgegebenheit der Welt stellen. Die Frage der Vorgegebenheit der Welt verstehen wir zunächst so, wie sie sich
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von der natürlichen Einstellung aus allverständlich darbietet; nämlich als Vorgegebenheit der Welt seiender Dinge im beständigen Wandel relativer Gegebenheitsweisen: die Welt, so wie sie wesensmäßig in allem natürlich verlaufenden Leben für uns immerfort die selbstverständlich seiende ist, seiend in einer unerschöpflichen Fülle immer neuer Selbstverständlichkeiten, die doch ständig dem Wandel subjektiver Erscheinungen und Geltungen unterliegen. So machen wir sie jetzt konsequent thematisch, als Boden aller unserer Interessen, unserer Lebensvorhaben, unter welchen die theoretischen der objektiven Wissenschaften nur eine besondere Gruppe bilden. Aber dies jetzt in keiner Weise bevorzugt, also nicht mehr so, wie sie früher unsere Fragestellungen motivierte. In dieser Art sei jetzt also nicht Welt schlechthin, sondern ausschließlich Welt als im Wandel der Gegebenheitsweisen uns ständig vorgegebene unser Thema. Es eröffnen sich dann neuartige und sich immer wieder erweiternde systematische Aufgabenstellungen innerhalb einer sich zunächst ganz selbstverständlich als unmittelbare Notwendigkeit darbietenden universalen Epoché. In der systematischen Durchführung der so verstandenen Epoché bzw. Reduktion zeigt es sich jedoch, daß sie in all ihren Aufgabenstellungen einer Sinnklärung und Sinnumwandlung bedarf, wenn die neue Wissenschaft wirklich konkret und ohne Widersinn durchführbar sein soll oder, was dasselbe, wenn sie wirklich die Reduktion auf die absolut letzten Gründe leisten und die unvermerkten, sinnwidrigen Einmengungen natürlich naiver Vorgeltungen vermeiden soll. So erreichen wir noch einmal die schon in der bisherigen Darstellung vorweg in Allgemeinheit eingeführte transzendentale Epoché, aber nicht nur bereichert durch die Stücke erarbeiteter bedeutsamer Einsichten des durchgeführten Weges, sondern in einem prinzipiellen Selbstverständnis, das ihnen und der Epoché selbst ihren letzten Sinn und Wert verschafft. Ich bemerke nebenbei, daß der viel kürzere Weg zur transzendentalen Epoché in meinen „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie“, den ich den „Car | tesianischen“ nenne (nämlich als gewonnen gedacht
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durch bloße besinnliche Vertiefung in die Cartesianische Epoché der „Meditationes“ und durch kritische Reinigung derselben von den Vorurteilen und Verirrungen Descartes’) den großen Nachteil hat, daß er zwar wie in einem Sprunge schon zum transzendentalen Ego führt, dieses aber, da jede vorgängige Explikation fehlen muß, in einer scheinbaren Inhaltsleere zur Sicht bringt, in der man zunächst ratlos ist, was damit gewonnen sein soll, und gar, wie von da aus eine neue und für eine Philosophie entscheidende, völlig neuartige Grundwissenschaft gewonnen sein soll. Daher erliegt man auch, wie die Aufnahme meiner „Ideen“ gezeigt hat, allzuleicht, und gleich bei den ersten Anfängen, den ohnehin sehr versucherischen Rückfällen in die naiv-natürliche Einstellung.
§ 44 Die Lebenswelt als Thema eines theoretischen Interesses, das durch eine universale Epoché hinsichtlich der Wirklichkeit der lebensweltlichen Dinge bestimmt ist
Beginnen wir unseren neuen Weg, indem wir der „Lebenswelt“ als dem allgemeinen „Boden“ menschlichen Weltlebens nun ein ausschließliches, konsequent theoretisches Interesse zuwenden, und zwar gerade der Weise, wie ihr diese allgemeine „Boden“- Funktion eignet. Da wir uns in der Weltliteratur vergeblich nach Untersuchungen umsehen, die uns als Vorarbeiten dienen könnten – Untersuchungen, die diese Aufgabe als die einer eigenen Wissenschaft erfaßt hätten (freilich einer sonderbaren Wissenschaft – von der verachteten δξα , die auf einmal die Würde eines Fundamentes für die Wissenschaft, die πιστμη beanspruchen soll) –, so müssen wir selbst völlig neu anfangen. Das geschieht, wie bei allen prinzipiell neuartigen Aufgaben, bei welchen nicht einmal eine Analogie leiten kann, in einer gewissen unvermeidlichen Naivität. Am Anfang ist die Tat. Sie macht die noch unsichere Vorhabe bestimmter und zugleich immer klarer an Stücken gelingender Durchführung. Nachher bedarf es (und das ist das Zweite) der methodischen Reflexion, welche den allgemeinen Sinn und die Reichweite der Erfüllbarkeit eines derartigen Vorhabens
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und des in der Erzielung schon Geleisteten ausdrücklich umgrenzt. Die Lebensumwelt, konkret in ihrer mißachteten Relativität und nach allen ihr wesentlich zugehörigen Weisen der Relativi | tät, wollen wir also betrachten, die Welt, in der wir anschaulich leben, mit ihren Realitäten, aber so, wie sie uns zunächst in der schlichten Erfahrung sich geben, auch in den Weisen, wie diese öfters geltungsmäßig in Schwebe geraten (in die Schwebe zwischen Sein und Schein usw.). Unsere ausschließliche Aufgabe sei, gerade diesen Stil, gerade diesen ganzen bloß subjektiven, scheinbar unfaßbaren „Heraklitischen Fluß“ zu fassen. Also nicht, ob und was die Dinge, die Realitäten der Welt wirklich sind (ihr Wirklichsein und Wirklich-Sosein nach Eigenschaften, Verhältnissen, Verbindungen usw.), auch nicht, was die Welt, in Totalität betrachtet, wirklich ist, was ihr in Allgemeinheit etwa als apriorische Strukturgesetzmäßigkeit oder nach faktischen „Naturgesetzen“ zukomme – nichts dergleichen haben wir als Thema. Wir schließen also alle Erkenntnisse aus, alle Feststellungen von wahrem Sein und prädikativen Wahrheiten dafür, wie sie das handelnde Leben für seine Praxis braucht (die Situationswahrheiten); aber auch alle Wissenschaften, gleichgültig ob echte oder Scheinwissenschaften, mit ihren Erkenntnissen der Welt, wie sie „an sich“, in „objektiver Wahrheit“ ist. Natürlich haben wir in der jetzigen thematischen Sphäre auch keinen Anteil an all den Interessen, die irgendeine menschliche Praxis in Gang bringen, zumal sie vermöge ihrer Bodenständigkeit in der schon seienden Welt immerfort auch an dem Wahrhaftsein oder Nichtsein der Dinge, mit denen sie sich beschäftigt, mit interessiert ist. Darin liegt also eine Art universaler Epoché, die hier nur dazu dient, das Thema der weiteren Untersuchungen auszusondern, von deren möglichen Ergebnissen wir übrigens noch gar keine Vorstellung haben. Die Motivation aus dem Bedürfnis, die evidenten Leistungen der positiven Wissenschaften zu klären, hatte ursprünglich dieses Thema gefordert. Von dieser Motivation haben wir uns schon gelöst. Wie es zu einer eigenständigen Aufgabe werden kann, zu einem Feld von Arbeitsproblemen, bedarf tieferer Besinnungen.
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§ 45 Anfänge einer konkreten Auslegung der Gegebenheiten sinnlicher Anschauung rein als solcher
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Es wird ein Erstes sein müssen, der leeren Allgemeinheit unseres Themas eine Fülle zu geben. Als im angegebenen Sinne jener | Epoché völlig „uninteressierter“ Betrachter der Welt, rein als der subjektiv-relativen Welt (derjenigen, in der unser gesamtes alltägliches Gemeinschaftsleben, Sich-Mühen, Sorgen, Leisten sich abspielt), halten wir nun eine erste naive Umschau, immer darauf aus, nicht ihr Sein und Sosein zu erforschen, sondern, was immer als seiend und soseiend galt und uns fortgilt, unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, wie es subjektiv gilt, in welchem Aussehen usw. Zum Beispiel, da sind die jeweiligen einzelnen Dinge der Erfahrung; ich fasse irgendeines davon ins Auge. Es wahrnehmen, selbst wenn es als völlig unverändert wahrgenommen ist, ist ein sehr Mannigfaltiges; ist: es sehen, es tasten, es riechen, es hören usw., und in jedem habe ich Verschiedenes. Im Sehen Gesehenes ist an und für sich ein Anderes als im Tasten Getastetes. Aber trotzdem sage ich: dasselbe Ding – verschieden seien selbstverständlich nur die Weisen seiner sinnlichen Darstellungen. Halte ich mich rein im Bereich des Sehens, so gibt es neue Unterschiede, die im Verlauf eines jeden normalen Sehens, das doch ein kontinuierlicher Prozeß ist, sehr mannigfaltig auftreten; jede Phase ist selbst schon ein Sehen, aber eigentlich ist in jeder das Gesehene ein Anderes. Ich drücke das etwa so aus: das reine Sehding, das Sichtbare „vom“ Ding, ist zunächst seine Oberfläche, und diese sehe ich im Wandel des Sehens einmal von dieser „Seite“ und einmal von jener, kontinuierlich wahrnehmend in immer wieder anderen Seiten. Aber in ihnen stellt sich für mich in einer kontinuierlichen Synthese die Oberfläche dar, jede ist bewußtseinsmäßig eine Darstellungsweise von ihr. Darin liegt: während sie aktuell gegeben ist, meine ich mehr, als sie bietet. Ich habe ja Seinsgewißheit von diesem Ding, dem alle Seiten zugleich eigen sind, und in dem Modus, wie ich es „am besten“ sehe. Jede Seite gibt mir etwas vom Sehding. Im kontinuierlichen Wandel des Sehens hört eben die gesehene Seite zwar auf, wirklich noch gesehen zu
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sein, aber sie wird „behalten“ und mit den von früher fortbehaltenen „zusammengenommen“, und so „lerne“ ich das Ding „kennen“. Ähnliches wäre breiter auszuführen hinsichtlich der Nähe und Ferne. Bleibe ich im Wahrnehmen stehen, so habe ich doch schon das volle Dingbewußtsein, wie ich denn schon im ersten Erblicken es | als dieses Ding sehe. Sehend „meine“ ich es ständig mit allen Seiten, die mir durchaus nicht, auch nicht in Form von anschaulichen Vorvergegenwärtigungen, gegeben sind. Also die Wahrnehmung hat jeweils „bewußtseinsmäßig“ einen ihrem Gegenstand (dem jeweils in ihr gemeinten) zugehörigen Horizont. Aber genauer überlegt, ist das bisher Aufgewiesene, was ich dem Ding selbst zuschreibe, so z. B. seine gesehene farbige Figur, im Wandel der Nah-Fern-Orientierung, ein abermals sich mannigfaltig Darstellendes – ich spreche jetzt vom Wandel der Perspektiven. Die Perspektiven der Figur und ebenso ihrer Farbe sind verschieden, aber jede ist in dieser neuen Weise eine Darstellung von, von dieser Figur, von dieser Farbe. Ähnliches ist zu studieren in jeder Modalität sinnlichen Wahrnehmens (des tastenden, hörenden usw.) von demselben Ding. Im Wandel spielen sie alle, bald aussetzend, bald einsetzend, und zwar als Darstellungen, ihre Rolle, sie bieten vielgestaltige Mannigfaltigkeiten von Darstellungen, Erscheinungen, deren jede eben als Darstellung von fungiert. In ihrem Verlauf fungieren sie so, daß sie bald eine kontinuierliche, bald eine diskrete Synthesis der Identifizierung oder besser der Einigung bilden. Das geschieht nicht als äußerliche Verschmelzung; sondern, als in jeder Phase „Sinn“ in sich tragende, etwas meinende, verbinden sie sich zu einer fortschreitenden Sinnbereicherung und Sinnfortbildung, in der fortgilt als noch Behaltenes, was nicht mehr erscheint, und in der die einen kontinuierlichen Ablauf antizipierende Vormeinung, die Vorerwartung des „Kommenden“, sich zugleich erfüllt und näher bestimmt. So wird alles aufgenommen in die Einheit der Geltung bzw. in das Eine, das Ding. Hier muß uns dieser rohe Anfang einer Beschreibung genügen.
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§ 46 Das universale Korrelationsapriori
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Sowie man nur anfängt, anstatt ausgerichtet zu sein auf lebensweltliche Dinge, Objekte, sie als das, was sie sind, zu erkennen, vielmehr darauf aus ist, sie nach den Modi ihrer subjektiven Gegebenheitsweisen zu befragen, also nach den Weisen, wie ein Objekt, in unserem Beispiel ein Wahrnehmungsobjekt, als seiendes und soseiendes sich darstellt, kommen wir in ein Reich sich immer mehr verwickelnder und sehr merkwürdiger Aufwei | sungen. Wir merken gemeinhin von all dem Subjektiven der Darstellungsweisen „von“ den Dingen nichts, aber in der Reflexion erkennen wir mit Staunen, daß hier Wesenskorrelationen bestehen, die Bestandstücke eines weiter reichenden, eines universalen Apriori sind. Und wie merkwürdige „Implikationen“ zeigen sich da, und zwar ganz unmittelbar deskriptiv aufweisbare. Es wurde schon oben kurz darauf hingewiesen: unmittelbar bin ich des daseienden Dinges bewußt, während ich doch von Moment zu Moment wechselnd das Erlebnis „Darstellung von“ habe, das aber erst in der Reflexion sichtlich wird mit seinem merkwürdigen „von“. Impliziert ist in der jeweiligen Wahrnehmung des Dinges ein ganzer „Horizont“ nichtaktueller und doch mitfungierender Erscheinungsweisen und Geltungssynthesen. Jede erste Beschreibung ist hier notgedrungen roh, und bald steht man vor den Rätseln dieser Implikation von nichtaktuellen Erscheinungsmannigfaltigkeiten, ohne die wir überhaupt keine Dinge, keine Welt der Erfahrung gegeben hätten. Und bald stehen wir auch vor den Schwierigkeiten einer konkreten Entfaltung dieses Korrelationsapriori. Es kann nur in einer Relativität aufgewiesen werden, in einer Horizontentfaltung, bei der man bald merkt, daß unbeachtete Beschränkungen, manche nicht fühlbar gewordene Horizonte zur Befragung neuer Korrelationen hindrängen, die mit den schon aufgewiesenen untrennbar zusammenhängen. Zum Beispiel unwillkürlich fangen wir eine solche „intentionale Analyse“ der Wahrnehmung an mit der Bevorzugung eines ruhenden und auch qualitativ unverändert gegebenen Dinges. Die Dinge der wahrnehmungsmäßigen Umwelt geben sich so aber nur vor-
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übergehend, es kommt alsbald das intentionale Problem der Bewegung und Veränderung. Aber war dann ein solcher Anfang beim ruhend-unveränderten Ding wirklich nur zufällig, und hat die Bevorzugung der Ruhe nicht selbst ein Motiv im notwendigen Gang solcher Untersuchungen? Oder, von einer anderen, aber wichtigen Seite her betrachtet: unwillkürlich begannen wir mit der intentionalen Analyse der Wahrnehmung (rein als der ihres Wahrgenommenen) und bevorzugten sogar dabei anschaulich gegebene Körper. Sollten sich nicht auch darin Wesensnotwendigkeiten bekunden? Welt ist als zeitliche, raumzeitliche Welt, in der jedes Ding seine körperliche Ausdehnung und Dauer und hinsichtlich dieser wieder seine | Stellung in der universalen Zeit und im Raume hat. So ist sie im Wachbewußtsein immerfort bewußt, so in Geltung als universaler Horizont. Wahrnehmung bezieht sich nur auf Gegenwart. Gemeint ist aber vorweg, daß diese Gegenwart hinter sich eine endlose Vergangenheit und vor sich eine offene Zukunft hat. Man sieht bald, daß man der intentionalen Analyse der Wiedererinnerung bedarf, als der originalen Bewußtseinsweise vom Vergangenen, aber auch, daß eine solche Analyse prinzipiell die der Wahrnehmung voraussetzt, da in der Erinnerung merkwürdigerweise das Wahrgenommenhaben impliziert ist. Betrachten wir Wahrnehmung abstrakt für sich, so finden wir als ihre intentionale Leistung die Präsentation, die Gegenwärtigung, das Objekt gibt sich als „da“, original da und in Präsenz. Aber in dieser Präsenz, als der eines ausgedehnten und dauernden Objektes, liegt eine Kontinuität von Noch-Bewußtem, Verströmtem, in keiner Weise mehr Anschaulichem, eine Kontinuität von „Retentionen“, und in anderer Richtung eine Kontinuität von „Protentionen“. Doch das ist nicht wie die Erinnerung im gewöhnlichen Sinne der anschaulichen „Wiedererinnerung“ ein sozusagen offen für die Objekt- und Weltapperzeption mitspielendes Phänomen, und so treten überhaupt die verschiedenen Modi der Vergegenwärtigung in die universale Thematik ein, die uns hier beschäftigt: nämlich konsequent und ausschließlich die Welt nach dem Wie ihrer Gegebenheitsweisen, ihrer offenen oder implizierten „Intentionalitäten“ zu befragen, von denen wir uns im Aufweisen doch immer wieder
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sagen müssen, daß ohne sie Objekte und Welt nicht für uns da wären; daß jene vielmehr für uns nur mit dem Sinn und dem Seinsmodus sind, in welchem sie ständig aus diesen subjektiven Leistungen entspringen bzw. entsprungen sind.
§ 47 Hinweis auf weitere Forschungsrichtungen: die subjektiven Grundphänomene der Kinästhesen, des Geltungswandels, des Horizontbewußtseins und der Vergemeinschaftung der Erfahrung
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Zunächst wird es aber notwendig sein, den vortastenden Weg in dieses unbekannte Reich subjektiver Phänomene fortzusetzen und einige weitere, begreiflicherweise noch rohe, in manchen | Hinsichten noch unvollkommen bestimmte Aufweisungen zu vollziehen. Bevorzugen wir wieder die Wahrnehmung. Wir hatten bisher den Blick gerichtet auf die Mannigfaltigkeiten der Seitendarstellungen eines und desselben Dinges und auf den Wandel der Nah-Fern-Perspektiven. Wir merken bald, daß diese Darstellungssysteme „von“ zurückbezogen sind auf korrelative Mannigfaltigkeiten von kinästhetischen Verläufen, die den eigentümlichen Charakter des „Ich tue“, „Ich bewege“ haben (wohin auch das „Ich halte still“ gerechnet werden muß). Die Kinästhesen und unterschieden von den sich körperlich darstellenden Leibbewegungen und sind doch eigentümlich mit ihnen eins, gehören dem eigenen Leib in dieser Doppelseitigkeit (innerer Kinästhesen – äußerer körperlichrealer Bewegungen) zu. Fragen wir nach diesem „Zugehören“, so merken wir, daß jeweils „mein Leib“ besondere weitreichende Beschreibungen fordert, daß er seine besonderen Eigentümlichkeiten hat in der Weise, sich in Mannigfaltigkeiten darzustellen. Eine andere außerordentlich wichtige thematische Richtung haben wir aber noch nicht genannt, sie ist bezeichnet durch das Phänomen des Geltungswandels, z. B. des Wandels von Sein in Schein. In der kontinuierlichen Wahrnehmung steht für mich ein Ding da in schlichter Seinsgewißheit der unmittelbaren Präsenz – normalerweise, wie ich hinzufügen muß; näm-
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lich nur dann, wenn ich, meine Kinästhesen spielen lassend, mitverlaufende Darstellungen als mitzugehörige erlebe, erhält sich das Bewußtsein des einen, sich als es selbst mannigfaltig darstellenden Dinges in aktueller Präsenz. Frage ich aber, was diese Zugehörigkeit der Dingdarstellungen zu den wandelnden Kinästhesen in sich schließt, dann erkenne ich, daß hier ein verborgener intentionaler „Wenn-so“-Zusammenhang spielt: in gewissen systematischen Mitfolgen müssen die Darstellungen verlaufen; so sind sie erwartungsmäßig im Gang des Wahrnehmens als eines stimmenden vorgedeutet. Die aktuellen Kinästhesen liegen dabei im System der kinästhetischen Vermöglichkeit, zu dem das System der einstimmig zugehörigen möglichen Folgen in Korrelation steht. Das ist also der intentionale Hintergrund jeder schlichten Seinsgewißheit des präsentierten Dinges. Öfters aber kommt es zum Bruch dieser Einstimmigkeit: Sein verwandelt sich in Schein, oder auch nur in ZweifelhaftSein, bloß | Möglicherweise-Sein, Wahrscheinlich-Sein, Jadoch-nicht-nichtiger-Schein-Sein usw. Der Schein löst sich dann durch „Korrektur“, durch Änderung des Sinnes, in welchem man das Ding wahrgenommen hatte. Es ist leicht einzusehen, daß die Änderung des apperzeptiven Sinnes durch die Änderung des Erwartungshorizontes der als normal (d. i. einstimmig-verlaufend) antizipierten Mannigfaltigkeiten statthat; wie z. B. wenn man einen Menschen sah und dann, ihn anfassend, umdeuten muß in eine (visuell wie ein Mensch sich darstellende) Puppe. Aber nicht nur am einzelnen Ding, und schon in jeder Wahrnehmung, ist in dieser Interessenrichtung unerwartet Vielfältiges zu bemerken. Das Einzelne ist – bewußtseinsmäßig – nichts für sich, Wahrnehmung eines Dinges ist seine Wahrnehmung in einem Wahrnehmungsfeld. Und wie das einzelne Ding in der Wahrnehmung nur Sinn hat durch einen offenen Horizont „möglicher Wahrnehmungen“, sofern das eigentlich Wahrgenommene auf eine systematische Mannigfaltigkeit möglicher ihm einstimmig zugehöriger wahrnehmungsmäßiger Darstellungen „verweist“, so hat das Ding noch einmal einen Horizont: gegenüber dem „Innenhorizont“ einen „Außenhorizont“,
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eben als Ding eines Dingfeldes; und das verweist schließlich auf die ganze „Welt als Wahrnehmungswelt“. Das Ding ist eines in der Gesamtgruppe von simultan wirklich wahrgenommenen Dingen, aber diese Gruppe ist für uns bewußtseinsmäßig nicht die Welt, sondern in ihr stellt sich die Welt dar, sie hat als momentanes Wahrnehmungsfeld für uns immer schon den Charakter eines Ausschnittes „von“ der Welt, vom Universum der Dinge möglicher Wahrnehmungen. Das ist also die jeweils gegenwärtige Welt; sie ist jeweils für mich sich darstellend durch einen Kern „originaler Präsenz“ (womit der kontinuierlich subjektive Charakter des aktuell Wahrgenommenen als solchen bezeichnet ist) sowie durch seine inneren und äußeren Horizontgeltungen. Immerfort ist in unserem, je-meinem wachen Leben Welt in dieser Weise wahrgenommen, immerfort strömt sie dahin in einer Einheit meines wahrnehmenden Bewußtseinslebens, aber in merkwürdiger Weise so, daß zwar im einzelnen ein einstimmiger Ablauf der vorgezeichneten Mannigfaltigkeiten, der das Bewußtsein des schlichten Daseins der betreffenden Dinge ergibt, nicht immer statthat. Die Seinsgewißheit, in der die Vorgewiß | heit liegt, im Fortgang der Wahrnehmung und in einem beliebigen Dirigieren der Kinästhesen die zugehörigen Mannigfaltigkeiten einstimmig zu erfüllendem Ablauf zu bringen, erhält sich oft nicht, und doch erhält sich immerfort eine Einstimmigkeit in der Gesamtwahrnehmung der Welt, und zwar durch eine eigentlich beständig mitfungierende Korrektur. Dahin ist z. B. diejenige zu rechnen, die bei allem NäherAnsehen das von fern Gesehene näher bestimmt und damit zugleich korrigiert. (Zum Beispiel in der Ferne gleichmäßig rot zeigt sich in der Nähe fleckig.) Doch anstatt in der Sphäre unserer eigenen Anschauungen weiter zu forschen, richten wir unsere Aufmerksamkeit darauf, daß wir in unserem kontinuierlich strömenden Weltwahrnehmen nicht isoliert sind, sondern in diesem zugleich mit anderen Menschen Konnex haben. Jeder hat seine Wahrnehmungen, seine Vergegenwärtigungen, seine Einstimmigkeiten, Entwertungen seiner Gewißheiten in bloße Möglichkeiten, Zweifelhaftigkeiten, Fragen, Scheine. Aber im Miteinanderleben kann
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jeder am Leben der Anderen teilhaben. So ist überhaupt die Welt nicht nur seiend für die vereinzelten Menschen, sondern für die Menschengemeinschaft, und zwar schon durch die Vergemeinschaftung des schlicht Wahrnehmungsmäßigen. In dieser Vergemeinschaftung findet beständig auch ein Geltungswandel in wechselseitiger Korrektur statt. Im Wechselverstehen treten meine Erfahrungen und Erfahrungserwerbe mit denen der Anderen in einen ähnlichen Konnex wie die einzelnen Erfahrungsreihen innerhalb meines bzw. des je eigenen Erfahrungslebens; und wieder ist es so, daß sich im großen und ganzen hinsichtlich der Einzelheiten als das Normale die intersubjektive Einstimmigkeit der Geltung herausstellt und somit eine intersubjektive Einheit in der Mannigfaltigkeit der Geltungen und des darin Geltenden; daß fernerhin zwar oft genug intersubjektive Unstimmigkeiten sich zeigen, daß aber dann, sei es stillschweigend und sogar unvermerkt, sei es ausdrücklich, in Wechselverhandlung und Kritik, eine Einigung zustande kommt und zumindest als vermöglich erzielbar für jedermann im voraus gewiß ist. Dieses alles geht so vonstatten, daß im Bewußtsein eines jeden und in dem im Konnex erwachsenen und übergreifenden Gemeinschaftsbewußtsein die eine und selbe Welt, als die | teils schon erfahrene und teils als offener Horizont möglicher Erfahrungen aller, zur ständigen Geltung kommt und kontinuierlich verbleibt: Welt als der universale, allen Menschen gemeinsame Horizont von wirklich seienden Dingen. Jeder als Subjekt möglicher Erfahrungen hat seine Erfahrungen, seine Aspekte, seine Wahrnehmungszusammenhänge, seinen Geltungswandel, seine Korrekturen usw. und jede besondere Verkehrsgruppe wieder ihre Gemeinschaftsaspekte usw. Dabei hat jeder wiederum, genau gesprochen, seine Erfahrungsdinge, nämlich, wenn wir darunter das jeweils ihm Geltende verstehen, das von ihm Gesehene und im Sehen als schlechthin daseiend und soseiend Erfahrene. Aber jeder „weiß“ sich lebend im Horizont seiner Mitmenschen, mit denen er bald in aktuellen, bald in potenziellen Konnex treten kann, so wie sie es (wie er ebenfalls weiß) im aktuellen und potenziellen Miteinander tun können. Er weiß, daß er und seine Genossen im aktuellen Konnex auf dieselben Erfahrungsdinge
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in der Weise bezogen sind, daß jeder von denselben verschiedene Aspekte, verschiedene Seiten, Perspektiven usw. hat, aber je aus demselben Gesamtsystem von Mannigfaltigkeiten, die jeder für sich als dieselben (in der aktuellen Erfahrung vom selben Ding) ständig als Horizont möglicher Erfahrung von diesem Ding bewußt hat. In Richtung auf den Unterschied von „original eigenen“ und dem Anderen „eingefühlten“ Dingen im Wie der Erscheinungsweisen, und gar auf die Möglichkeit von Unstimmigkeiten der eigenen und eingefühlten Auffassungen, verwandelt sich für einen jeden das, was jeder wirklich originaliter als Wahrnehmungsding erfährt, in eine bloße „Vorstellung von“, „Erscheinung von“ dem einen objektiv Seienden. Aus der Synthesis haben sie eben den neuen Sinn „Erscheinung von“, als in welchem sie nunmehr gelten, angenommen. „Das“ Ding selbst ist eigentlich das, was niemand als wirklich gesehenes hat, da es vielmehr immerfort in Bewegung ist, immerfort, und zwar für jedermann, bewußtseinsmäßig Einheit der offen endlosen Mannigfaltigkeit wechselnder eigener und fremder Erfahrungen und Erfahrungsdinge. Die Mitsubjekte dieser Erfahrung sind dabei selbst für mich und einen jeden ein offen endloser Horizont möglicherweise begegnender und dann in aktuellen Konnex mit mir und miteinander tretender Menschen. |
§ 48 Alles Seiende jeden Sinnes und jeder Region als Index eines subjektiven Korrelationssystems
In dieser ausschließlichen Vertiefung in die Mannigfaltigkeiten subjektiver Erscheinungsweisen, in denen uns die Welt vorgegeben ist, leuchtet uns schon jetzt – obschon wir eigentlich nur die Wahrnehmungswelt und darin sogar nur das Körperliche an ihr in Betracht gezogen haben – immer wieder die Einsicht entgegen, daß es sich hier nicht um zufällige Tatsächlichkeiten handle, vielmehr daß kein erdenklicher Mensch, und wie immer wir ihn abgewandelt dächten, eine Welt in anderen Gegebenheitsweisen erfahren könnte als in der von uns allgemein umschriebenen unaufhörlich beweglichen Relativität, als eine
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ihm in seinem Bewußtseinsleben und in Gemeinschaft mit einer Mitmenschheit vorgegebenen Welt. Die naive Selbstverständlichkeit, daß ein jeder die Dinge und die Welt überhaupt so sieht, wie sie für ihn aussehen, verdeckte, wie wir erkennen, einen großen Horizont von merkwürdigen Wahrheiten, die in ihrer Eigenheit und ihrem systematischen Zusammenhang nie in den Gesichtskreis der Philosophie traten. Nie erregte (scil. vor dem ersten Durchbruch der „transzendentalen Phänomenologie“ in den „Logischen Untersuchungen“) die Korrelation von Welt (der Welt, von der wir je sprechen) und subjektiven Gegebenheitsweisen von ihr das philosophische Staunen, trotzdem sie sich schon in der vorsokratischen Philosophie und, aber nur als Motiv skeptischer Argumentation, in der Sophistik vernehmlich meldet. Nie hat diese Korrelation ein eigenes philosophisches Interesse erregt, so daß sie zum Thema einer eigenen Wissenschaftlichkeit geworden wäre. Man blieb in der Selbstverständlichkeit verhaftet, daß jedes Ding für jedermann jeweils verschiedentlich aussieht. Aber sobald wir nur anfangen, das Wie des Aussehens eines Dinges in seinem wirklichen und möglichen Wandel genauer zu verfolgen und konsequent auf die in ihm selbst liegende Korrelation von Aussehen und Aussehendem als solchen zu achten, sowie wir dabei den Wandel auch als Geltungswandel der in den Ich-Subjekten und in ihrer Vergemeinschaftung verlaufenden Intentionalität betrachten, drängt sich uns eine feste, sich immer mehr verzweigende Typik auf, und nicht nur für das Wahrnehmen und nicht nur für Körper und für die er | forschbaren Tiefen der aktuellen Sinnlichkeit, sondern für alles und jedes in der raumzeitlichen Welt beschlossene Seiende und seine subjektiven Gegebenheitsweisen. Alles steht in solcher Korrelation zu seinen ihm zugehörigen und keineswegs bloß sinnlichen Gegebenheitsweisen in einer möglichen Erfahrung, und alles hat seine Geltungsmodi und seine besonderen Weisen der Synthesis. Erfahrung, Evidenz ist nicht eine leere Allgemeinheit, sondern differenziert sich nach den Arten, Gattungen, regionalen Kategorien von Seiendem und auch nach allen raumzeitlichen Modalitäten. Seiendes jeden konkreten oder abstrakten, realen oder idealen Sinnes hat seine Weisen
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der Selbstgegebenheit, auf Seiten des Ich seine Weisen der Intention in Modi der Geltung, und dazugehörig seine Weisen subjektiver Wandlungen derselben in ihren Synthesen der Einstimmigkeit und Unstimmigkeit, einzelsubjektiver und intersubjektiver. Wir sehen auch schon voraus (schon die ersten Proben machen es in Vorläufigkeit evident), daß diese verwirrend vielfältige, sich an jeder Stelle wieder differenzierende Typik der Korrelationen nicht ein bloßes, wenn auch allgemein zu konstatierendes Faktum ist, sondern daß sich im Faktischen eine Wesensnotwendigkeit bekundet, die sich in gehöriger Methode umsetzen läßt in Wesensallgemeinheiten, in ein gewaltiges System neuartiger und höchst erstaunlicher apriorischer Wahrheiten. Wo immer wir zufassen mögen: jedes Seiende, das für mich und jedes erdenkliche Subjekt als in Wirklichkeit seiend in Geltung ist, ist damit korrelativ, und in Wesensnotwendigkeit, Index seiner systematischen Mannigfaltigkeiten. Jedes indiziert eine ideelle Allgemeinheit der wirklichen und möglichen erfahrenden Gegebenheitsweisen, deren jede Erscheinung von diesem einen Seienden ist, und zwar derart, daß jede wirkliche konkrete Erfahrung einen einstimmigen, einen kontinuierlich die erfahrende Intention erfüllenden Verlauf von Gegebenheitsweisen aus dieser totalen Mannigfaltigkeit verwirklicht1. Diese gehört aber selbst als Horizont der gegenüber den | aktuellen Verläufen noch vermöglich zu ver1
Der erste Durchbruch dieses universalen Korrelationsapriori von Erfahrungsgegenstand und Gegebenheitsweisen (während der Ausarbeitung meiner „Logischen Untersuchungen“ ungefähr im Jahre 1898) erschütterte mich so tief, daß seitdem meine gesamte Lebensarbeit von dieser Aufgabe einer systematischen Ausarbeitung dieses Korrelationsapriori beherrscht war. Der weitere Gang der Besinnungen des Textes wird es verständlich machen, wie die Einbeziehung der menschlichen Subjektivität in die Kor170 relationsproblematik notwendig eine radikale Sinnverwandlung | dieser ganzen Problematik erzwingen und schließlich zur phänomenologischen Reduktion auf die absolute transzendentale Subjektivität führen mußte. Der erste, noch sehr klärungsbedürftige Durchbruch der phänomenologischen Reduktion erfolgte einige Jahre nach dem Erscheinen der „Logischen Untersuchungen“ (1900/01); der erste Versuch einer systematischen Einführung in die neue Philosophie in der transzendentalen Re-
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wirklichenden Verläufe mit zu jeder Erfahrung bzw. der in ihr sich answirkenden Intention. Für das jeweilige Subjekt ist diese Intention das cogito, dessen cogitatum nach Was und Wie die (weitest zu verstehenden) Gegebenheitsweisen sind, die ihrerseits in sich als ihre Einheit das eine und selbe Seiende zur „Darstellung“ bringen.
§ 49 Vorläufiger Begriff der transzendentalen Konstitution als „ursprünglicher Sinnbildung“. Die exemplarische Enge der ausgeführten Analysen; Andeutung weiterer Auslegungshorizonte
Wie weit dies alles zu verstehen ist (wobei die Begriffe „Seiendes“, „Gegebenheitsweisen“, „Synthesen“ usw. sich immer wieder relativieren), ist daraus zu ersehen, daß es sich doch um eine vielstufige intentionale Gesamtleistung der jeweiligen Subjektivität handelt, aber nicht der vereinzelten, sondern um das Ganze der im Leisten vergemeinschafteten Intersubjektivität. Stets von neuem zeigt sich, daß, angefangen von dem oberflächlich Sichtlichen, die Erscheinungsweisen der einheitbildenden Mannigfaltigkeiten selbst wieder Einheiten sind tiefer liegender Mannigfaltigkeiten, die sie durch Erscheinungen konstituieren, so daß wir in einen dunklen Horizont zurückgeleitet werden, allerdings auf einen stets durch methodische Rückfrage aufzudeckenden. Alle Stufen und Schichten, durch welche die intentional von Subjekt zu Subjekt übergreifenden Synthesen verflochten sind, bilden eine universale Einheit der duktion erschien 1913 als Bruchstück („Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie“, I. Band). Die zeitgenössische Philosophie der seitherigen Jahrzehnte – auch die der sogenannten phänomenologischen Schulen – zog es vor, in der alten philosophischen Naivität zu verharren. Freilich waren die ersten Durchbrüche einer so radikalen Umwendung, einer totalen Umstellung der ganzen natürlichen Weise des Lebens, schwer zu einer wohlmotivierten Darstellung zu bringen, zumal hier besondere, im weiteren Textgang verständliche Gründe Mißdeutungen durch Rückfälle in die natürliche Einstellung beständig nahelegen.
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Synthesis, durch sie kommt das gegenständliche Universum, die Welt, als die und so wie sie kon | kret lebendig die gegebene ist (und die für alle mögliche Praxis vorgegebene), zustande. Wir sprechen in dieser Hinsicht von der „intersubjektiven Konstitution“ der Welt, darin also befassend das Gesamtsystem der noch so verborgenen Gegebenheitsweisen, aber auch der ichlichen Geltungsmodi; durch sie wird, wenn wir sie systematisch enthüllen, die für uns seiende Welt verständlich gemacht, verständlich als ein Sinngebilde aus den elementaren Intentionalitäten. Deren eigenes Sein ist nichts anderes als Sinnbildung mit Sinnbildung zusammen fungierend, in der Synthesis neuen Sinn „konstituierend“. Und Sinn ist nie anderes als Sinn in Geltungsmodi, also bezogen auf Ich-Subjekte als intendierende und Geltung vollziehende. Intentionalität ist der Titel für das allein wirkliche und echte Erklären, Verständlichmachen. Auf die intentionalen Ursprünge und Einheiten der Sinnbildung zurückführen – das ergibt eine Verständlichkeit, die (was freilich ein Idealfall ist), einmal erreicht, keine sinnvolle Frage übrig ließe. Aber schon jedes ernstliche und echte Zurückgehen von einem „Fertig-Seienden“ auf seine intentionalen Ursprünge ergibt hinsichtlich der schon aufgedeckten Schichten und der Aufklärung des darin Geleisteten ein zwar nur relatives, aber, soweit es reicht, doch ein wirkliches Verständnis. Was wir mehr exemplarisch behandelten, war natürlich nur ein Anfang, zunächst auch nur ein Anfang der Aufklärung der Wahrnehmungswelt – und diese selbst ist ja, voll genommen, nur „Schicht“. Welt ist raumzeitliche Welt, zu deren eigenem Seinssinn als Lebenswelt eine (die „lebendige“, nicht die logisch-mathematische) Raumzeitlichkeit gehört. Die Einstellung auf die Wahrnehmungswelt (das ist offenbar kein zufälliger Anfang) ergibt hinsichtlich der Welt nur den Zeitmodus Gegenwart, der selbst horizonthaft verweist auf die Zeitmodi Vergangenheit und Zukunft. Für die Sinnbildung der Vergangenheit übt vor allem die Wiedererinnerung die intentionale Funktion – wenn wir davon absehen, daß die Wahrnehmung selbst als „strömend-stehende“ Gegenwart nur dadurch konstituiert wird, daß, wie eine tiefere intentionale Analyse enthüllt, das stehende Jetzt einen zweiseitigen, obschon verschie-
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den strukturierten Horizont hat, unter den intentionalen Titeln Kontinuum von Retentionen und Protentionen. Diese ersten Vorgestalten von Zeitigung und Zeit halten sich aber ganz im Verborgenen. In der durch sie fun | dierten Wiedererinnerung haben wir eine Vergangenheit – vergangene Gegenwart – in ursprünglicher Anschaulichkeit gegenständlich. Auch sie ist ein „Seiendes“, sie hat ihre Mannigfaltigkeiten von Gegebenheitsweisen, ihre Weisen, als jeweilig Vergangenes ursprünglich zur Selbstgegebenheit (zur unmittelbaren Evidenz) zu kommen. Ebenso ist die Erwartung, die Vorerinnerung, und wieder mit dem Sinn einer intentionalen Modifikation der Wahrnehmung (daher besagt Zukunft: künftige Gegenwart), die ursprüngliche Sinnbildung, in der der Seinssinn des Künftigen als solchen entspringt – in genauer enthüllbarer tieferer Struktur. Das bezeichnet Anfänge neuer Dimensionen der Zeitigung bzw. der Zeit mit ihrem Zeitinhalt – davon nicht zu sprechen (weil hier nicht aufzuklären), daß alle Konstitution jeder Art und Stufe von Seiendem eine Zeitigung ist, die jedem eigenartigen Sinn von Seiendem im konstitutiven System seine Zeitform erteilt, während erst durch die allumspannende universale Synthesis, in der Welt konstituiert wird, alle diese Zeiten synthetisch zur Einheit einer Zeit kommen. Noch auf eins sei hingewiesen: für die Aufklärung der Leistung intentionaler Synthesen ist bevorzugt die der kontinuierlichen Synthesen (wie z. B. die in der strömend einheitlichen Wahrnehmung beschlossene), als Boden für die höherstufige Aufklärung der diskreten Synthesen. Ich nenne als Beispiel die Identifikation eines Wahrgenommenen mit demselben, das, gemäß der Wiedererinnerung, schon früher da war. Das Wiedererkennen, dessen Auslegung durch kontinuierliche Wiedererinnerung, die entsprechenden tieferen Analysen dieser „Selbstverständlichkeiten“ – all das führt auf schwierige Untersuchungen. Hier wie sonst können wir nur auf das nächst Faßbare eingehen. Doch das Ausgeführte dürfte es verständlich machen, daß, ist man einmal soweit gekommen in der Umstellung der Epoché, das rein Subjektive in seinem eigenen in sich geschlossenen und reinen Zusammenhang als Intentionalität zu sehen, dann als Seinssinn-bildende Funktion zu erkennen, das theo-
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retische Interesse auch rasch anwächst und man von Etappe zu Etappe in ein immer größeres Erstaunen gerät ob der unübersehbaren Fülle von Arbeitsproblemen, die da auftauchen, und von bedeutsamen Entdeckungen, die hier zu machen sind. Freilich wird man bald auch sehr bedrängt werden von außerordent | lichen Schwierigkeiten, die reine Geisteshaltung zu bewahren, sich in der unbekannten Welt, für die alle Begriffe, alle Denkweisen und wissenschaftlichen Methoden auf dem Boden der natürlichen Welt und somit alle logischen der objektiven Wissenschaft nichts helfen können, zurechtzufinden und ein neuartiges und doch wissenschaftliches Denken der hier geforderten, aber in einem ersten Vortasten sich ausbildenden Methode zu verwirklichen. In der Tat eine ganze Welt – wenn wir die ψυχ Heraklits mit dieser Subjektivität gleichsetzen könnten, so gälte für sie zweifellos sein Wort: „Der Seele Grenzen wirst du nie ausfinden, und ob du auch jegliche Straße abschrittest: so tiefen Grund hat sie.“ Jeder erreichte „Grund“ verweist in der Tat wieder auf Gründe, jeder eröffnete Horizont weckt neue Horizonte, und doch ist das unendliche Ganze in seiner Unendlichkeit strömender Bewegung auf Einheit eines Sinnes gerichtet, aber freilich nicht so, als ob wir ihn ohne weiteres ganz erfassen und verstehen könnten; sondern die Weiten und Tiefen dieses gesamten Sinnes in seiner unendlichen Totalität gewinnen, sobald man sich der universalen Form der Sinnbildung einigermaßen bemächtigt hat, axiotische Dimensionen: es eröffnen sich die Probleme der Totalität als die einer universalen Vernunft. Doch dergleichen liegt den Anfängern fern, sie beginnen mit wenig zusammenhängenden Aufweisungen, sehr allmählich lernt man, die wesensmäßige Ordnung der Arbeit zu finden und, was gleiches besagt, den großen Gesichtspunkten genugzutun, die im Gang der Aufweisungen und Beschreibung spät als die allbestimmenden erkannt werden. Sie können hier nur in rohen Andeutungen umzeichnet werden.
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§ 50 Erste Ordnung aller Arbeitsprobleme unter den Titeln: Ego – cogito – cogitatum
Setzt das Interesse für die subjektiv-relative Lebenswelt ein, so fesselt naturgemäß zunächst unseren Blick: Erscheinung und Erscheinendes, und wir halten uns auch zuerst in der Sphäre der Anschaulichkeit, der Modi der Erfahrung. Die unanschaulichen Bewußtseinsweisen und ihre Zurückbezogenheit auf Vermöglichkeiten der Anschauung bleiben außer Betracht. Wir gehen also der Synthesis nach, in welcher die mannigfaltigen Erscheinungen „Seiendes“ als ihren „Gegenstandspol“ in sich tragen: nicht reell, | sondern intentional, als das, wovon sie, jede in ihrer Weise, Erscheinungen sind. Also z. B. das Ding, das in der einstimmigen Synthesis der Einigung als dieses eine, das sich jeweils Seite für Seite zeigt, das sein identisches Sein auslegt in seinen (in verschiedenen Perspektiven sich darstellenden) Eigenschaften. Intentional gesprochen, ist jedes geradehin als „dies da“, als Ding Erfahrene Index für seine in reflexiver Blickrichtung erschaubar (und in ihrer Weise erfahrbar) werdenden Erscheinungsweisen. Vom Ich ist bei den hierbei geübten Betrachtungen nebenbei selbstverständlich auch die Rede, aber es fordert schließlich sein Recht, zu einem eigenen und dann sehr umfassenden Thema zu werden, nämlich als der in seiner Weise identische Vollzieher aller Geltungen, als das intendierende Ich, als das im Wandel der vielstufigen Erscheinungsweisen „durch sie hindurch“ auf den Einheitspol gerichtete, d. h. gerichtet auf das von ihm her erstrebte Ziel (seine Vorhabe), das mehr oder minder deutlich und klar vorgemeinte, seiend-werdend von Phase zu Phase sich erfüllende – seine Intention erfüllend. Zugleich gehört dazu, daß das Ich – als der Ich-Pol – kontinuierlich als behaltend fungiert, derart, daß es, den Gegenstand in seinen Eigenschaften tätig auslegend (in seine besonderen „Ist-heiten“, als worinnen er in Sonderheit ist), das jeweils originaliter Ausgelegte im Fortgang des Wahrnehmens nicht in ein Nichts versinken läßt, sondern, obschon unwahrgenommen, im meinenden Griff behält. Im Ich-Pol ist alles zentriert, auch die Modalisierung der Seinsgewißheiten, das „Durchstreichen“ als Schein, das Eingestelltsein
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auf Entscheidung der Ungewißheiten, der Zweifel usw. Andererseits auf den Ich-Pol hin gehen die Affektionen, mehr oder minder vordringlich ziehen sie das Ich an, motivieren eventuell seine Zuwendung und eine eigentliche Aktivität. Das und ähnliches sind Anzeigen für die besonderen Tiefenanalysen des Ich als Ich-Pol. Demnach haben wir in Cartesianischer Rede drei Titel: Ego – cogitatio – cogitata. Der Ich-Pol (und das ihm eigene seiner Identität), das Subjektive, als Erscheinung in synthetischer Verbundenheit, und die Gegenstandspole, das sind für die Analysen verschiedene Blickrichtungen, und ihnen entsprechen verschiedene Weisen des allgemeinen Titels Intentionalität: Richtung auf Etwas, Erscheinung von Etwas, und Etwas, Ge | genständliches als das, was in seinen Erscheinungen Einheit ist und woraufhin, durch diese hindurch, die Intention des Ich-Pols geht. Obschon diese Titel voneinander unabtrennbar sind, muß man zeitweise je einem nachgehen, und zwar in der umgekehrten Richtung Ordnung haltend, als wie es der Cartesianische Ansatz nahelegt. Das Erste ist die schlicht gegebene Lebenswelt, und zwar vorerst so, wie sie als „normale“, schlicht, bruchlos in purer Seinsgewißheit (also zweifellos) daseiende sich wahrnehmungsmäßig gibt. Mit der Etablierung der neuen Interessenrichtung und somit in ihrer strengen Epoché wird sie ein erster intentionaler Titel, Index, Leitfaden für die Rückfrage nach den Mannigfaltigkeiten der Erscheinungsweisen und ihren intentionalen Strukturen. Eine neue Blickrichtung, in der zweiten Reflexionsstufe, führt auf den Ich-Pol und das seiner Identität Eigene. Hier sei nur, als Wichtigstes, auf das Allgemeinste seiner Form hingewiesen – auf die ihm eigene Zeitigung zu einem dauernden, sich in seinen Zeitmodalitäten konstituierenden Ich: dasselbe Ich, das jetzt aktuell gegenwärtige, ist in jeder Vergangenheit, die die seine ist, in gewisser Weise ein anderes, eben das, was war und so jetzt nicht ist, und doch in der Kontinuität seiner Zeit das eine und selbe, das ist und war und seine Zukunft vor sich hat. Als verzeitlichtes kann es, das aktuell jetzige Ich, auch mit seinem vergangenen und eben nicht mehr jetzigen Ich doch verkehren, mit diesem Zwiesprache halten, Kritik daran üben, wie an Anderen.
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Nun kompliziert sich alles, sobald wir bedenken, daß Subjektivität nur in der Intersubjektivität ist, was sie ist: konstitutiv fungierendes Ich. Das bedeutet für den Gesichtspunkt „Ich“ die neuen Themen der spezifisch Ich und anderes Ich (jedes rein als Ich) angehenden Synthesis, der Ich-Du-Synthesis und ebenso, aber komplizierter, der Wir-Synthesis. In gewisser Weise ist das wieder eine Zeitigung, nämlich die der Simultaneität der Ich-Pole oder, was gleichkommt, der Konstitution des personalen (rein ichlichen) Horizontes, in dem jedes Ich sich weiß. Es ist die universale Sozialität (in diesem Sinne die „Menschheit“), als „Raum“ aller Ich-Subjekte. Aber natürlich betrifft die Synthesis der Intersubjektivität alles mit: die intersubjektiv identische Lebenswelt für alle dient als intentionaler „Index“ für die Erscheinungsmannigfaltigkeiten, die, in intersubjektiver Synthesis verbunden, | es sind, durch die hindurch alle Ich-Subjekte (und nicht etwa jedes bloß durch seine ihm individuell eigenen Mannigfaltigkeiten) auf die gemeinsame Welt und ihre Dinge ausgerichtet sind, als Feld aller im allgemeinen Wir verbundenen Aktivitäten usw.
§ 51 Die Aufgabe einer „Ontologie der Lebenswelt“
In all dem aber waltet – und das macht Wissenschaftlichkeit, Beschreibung, phänomenologisch-transzendentale Wahrheit möglich – eine feste Typik, die, wie schon gesagt, eine methodisch als reines Apriori zu umgreifende Wesenstypik ist. Hier ist es merkwürdig und philosophisch sehr wichtig, daß dies auch den ersten unserer Titel, die durch alle Relativitäten hindurch doch als Einheit konstituierte Lebenswelt, das Universum lebensweltlicher Objekte, betrifft. Sie hätte eigentlich ohne alles transzendentale Interesse, also in der „natürlichen Einstellung“ (transzendentalphilosophisch gesprochen: der naiven vor der Epoché), zum Thema einer eigenen Wissenschaft – einer Ontologie der Lebenswelt rein als Erfahrungswelt (d. i. als der in wirklicher und möglicher erfahrenden Anschauung einheitlich und konsequent einstimmig anschaubaren Welt) werden können. Und wir unsererseits, die wir bisher ständig
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unsere systematischen Besinnungen in der Umstellung der transzendentalen Epoché vollzogen, können ja jederzeit wieder die natürliche Einstellung restituieren und in dieser nach den lebensweltlich invarianten Strukturen fragen. Die Welt des Lebens, die alle praktischen Gebilde (sogar die der objektiven Wissenschaften als Kulturtatsachen, bei Enthaltung von der Teilnahme an ihren Interessen) ohne weiteres in sich aufnimmt, ist freilich in stetem Wandel der Relativitäten auf Subjektivität bezogen. Aber wie immer sie sich wandelt und wie immer sie korrigiert wird, sie hält ihre wesensgesetzliche Typik ein, an der alles Leben und so alle Wissenschaft, deren „Boden“ sie ist, gebunden bleibt. So hat sie auch eine aus reiner Evidenz zu schöpfende Ontologie. Von der Möglichkeit und Bedeutung einer solchen lebensweltlichen Ontologie auf dem natürlichen Boden, also außerhalb des transzendentalen Interessenhorizontes, haben wir schon gesprochen und werden davon in anderem Zusammenhang noch zu | sprechen haben. Wir müssen fest im Auge behalten, daß der dieser „Ontologie“ eigene Sinn einer apriorischen Wissenschaft zu dem der Tradition in schroffem Kontrast steht. Die neuzeitliche Philosophie in ihren objektiven Wissenschaften ist, darüber dürfen wir nie hinwegsehen, geleitet von einem konstruktiven Begriff einer an sich wahren Welt, einer mindestens hinsichtlich der Natur in mathematischer Form substruierten. Ihr Begriff einer apriorischen Wissenschaft, schließlich einer universalen Mathematik (Logik, Logistik), kann daher nicht die Dignität einer wirklichen Evidenz, d. i. einer aus einer direkten Selbstgebung (erfahrenden Anschauung) geschöpften Wesenseinsicht haben, die sie gern für sich in Anspruch nehmen möchte. Kehren wir nach dieser Erinnerung wieder in die transzendentale Einstellung, die Epoché zurück, so verwandelt sich die Lebenswelt in unserem transzendentalphilosophischen Zusammenhang in das bloße transzendentale „Phänomen“. Sie bleibt dabei in ihrem eigenen Wesen, was sie war, erweist sich nun aber sozusagen als bloße „Komponente“ in der konkreten transzendentalen Subjektivität und dementsprechend ihr Apriori als eine „Schichte“ im universalen Apriori der Transzenden-
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talität. Freilich sind solche, aus der natürlichen Weltlichkeit herstammenden Worte wie „Komponente“ und „Schichte“ gefährlich, müssen daher in ihrer notwendigen Sinnverwandlung beachtet werden. Innerhalb der Epoché steht es uns frei, konsequent unseren Blick ausschließlich auf diese Lebenswelt bzw. ihre apriorischen Wesensformen zu richten; andererseits, in entsprechenden Blickwendungen, auf die ihre „Dinge“ bzw. Dingformen konstituierenden Korrelate: auf die Mannigfaltigkeiten von Gegebenheitsweisen und deren korrelative Wesensformen. Dann aber auch auf die in all dem fungierenden Subjekte und Subjektgemeinschaften, nach den ihnen zugehörigen ichlichen Wesensformen. Im Wechsel dieser ineinander fundierten partialen Einstellungen, wobei die auf die lebensweltlichen Phänomene als Ausgang, nämlich als transzendentaler Leitfaden für die höherstufigen Korrelateinstellungen zu dienen hat, verwirklicht sich die universale Forschungsaufgabe der transzendentalen Reduktion. |
§ 52 Das Auftauchen paradoxer Unverständlichkeiten. Die Notwendigkeit neuer radikaler Besinnungen
Die erste Umschau in der reinen Korrelationsproblematik, welche uns die Umstellung vom Leben im natürlichen Interesse an der Welt in die des „uninteressierten“ Betrachters eröffnete, hat, obschon in einer gewissen Naivität und daher Vorläufigkeit, eine Fülle von offenbar sehr befremdlichen Erkenntnissen ergeben, welche bei vollkommener methodischer Sicherung eine radikale Neugestaltung unserer ganzen Weltbetrachtung bedeuten würde. Es bedarf nun in Absicht auf diese Sicherung einer Besinnung hinsichtlich des Bodens letzter Voraussetzungen, in dem diese ganze Problematik wurzelt, aus welchem also ihre theoretischen Entscheidungen letztlich ihren Sinn schöpfen. Da geraten wir aber alsbald in große Schwierigkeiten, in unerwartete und zunächst unlösliche Paradoxien, die unser ganzes Unternehmen in Frage stellen. Und dies trotz der Evidenzen, die sich uns darboten und die wir nicht ohne weiteres preisgeben können. Vielleicht ist es so, daß die neue Rückfrage
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nach dem Boden dieser Erkenntnisse (gegenüber der Rückfrage nach dem Boden der objektiven Erkenntnisse) erst dahin führt, ihren wahren Sinn klarzustellen und dabei entsprechend zu begrenzen. Im Korrelationsthema hatten wir beständig die Welt und die Menschheit, als die in Vergemeinschaftung intentional die Leistung der Weltgeltung zustandebringende Subjektivität. Unsere Epoché (die die jetzige Thematik bestimmende) verschloß uns jedes natürliche Weltleben und seine weltlichen Interessen. Sie gab uns eine Stellung darüber. Jedes Interesse an Sein, Wirklichsein oder Nichtsein der Welt, also jedes auf Welterkenntnis theoretisch ausgerichtete Interesse, aber auch jedes im gewöhnlichen Sinne praktische Interesse, in seiner Gebundenheit an Voraussetzungen seiner Situationswahrheiten, ist uns verwehrt; und nicht nur für uns selbst (die Philosophierenden) eine Betätigung unserer eigenen Interessen, sondern auch jedes Teilnehmen an den Interessen von Mitmenschen, denn auch darin wären wir noch mittelbar an der seienden Wirklichkeit interessiert. Keine objektive Wahrheit, ob in vorwissenschaftlichem oder wissenschaftlichem Sinne, bzw. keine Feststellung für objektives Sein tritt je in unseren Kreis der Wissenschaftlichkeit, ob nun als | Prämisse oder als Folgerung. Hier könnten wir eine erste Schwierigkeit finden. Treiben wir nicht auch Wissenschaft, stellen wir nicht Wahrheiten fest über wahres Sein? Kommen wir nicht auf die gefährliche Bahn der doppelten Wahrheit? Kann es neben der objektiven Wahrheit eine zweite, die subjektive geben? Natürlich lautet die Antwort: eben das ist das befremdliche, aber evidente und durch unsere jetzige Besinnung nur letztzuklärende Ergebnis der Forschung in der Epoché, daß das natürliche objektive Weltleben nur eine besondere Weise des ständig Welt konstituierenden, des transzendentalen Lebens ist, derart, daß die transzendentale Subjektivität, in dieser Weise dahinlebend, der konstituierenden Horizonte nicht bewußt geworden ist und niemals innewerden kann. Sie lebt sozusagen „verschossen“ auf die Einheitspole hin, ohne der wesensmäßig zugehörigen konstituierenden Mannigfaltigkeiten, wozu es eben einer völligen Umstellung und Reflexion bedürfte, innezuwerden. Die objektive Wahrheit gehört ausschließlich in die Einstellung des
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natürlich-menschlichen Weltlebens. Sie erwächst ursprünglich aus dem Bedürfnis der menschlichen Praxis, als Absicht, das schlicht als seiend Gegebene (den in der Seinsgewißheit als verharrend antizipierten Gegenstandspol) gegen die möglichen Modalisierungen der Gewißheit zu sichern. In der Umstellung der Epoché geht nichts verloren, nichts von all den Interessen und Zwecken des Weltlebens, und so auch nichts von den Erkenntniszwecken. Nur, daß für alles seine wesensmäßigen subjektiven Korrelate aufgewiesen werden, wodurch der volle und wahre Seinssinn des objektiven Seins und so aller objektiven Wahrheit herausgestellt wird. Die Philosophie als universale objektive Wissenschaft – und das war alle Philosophie der antiken Tradition –, mit all den objektiven Wissenschaften, ist gar nicht universale Wissenschaft. Sie bringt in ihren Forschungskreis nur die konstituierten Gegenstandspole, sie bleibt blind gegen das sie transzendental konstituierende volle konkrete Sein und Leben. Aber, wie gesagt, das halten wir zwar als Wahrheit fest, es gilt aber erst für sie eine letzte Sinnesklärung durchzuführen. Noch eine zweite Schwierigkeit taucht auf. Die Epoché hinsichtlich aller natürlichen menschlichen Lebensinteressen scheint eine völlige Abwendung von ihnen zu sein (übrigens das sehr ge | wöhnliche Mißverständnis der transzendentalen Epoché). Aber wäre das so gemeint, dann gäbe es keine transzendentale Forschung. Wie könnten wir Wahrnehmung und Wahrgenommenes, Erinnerung und Erinnertes, Objektives und Bewährung von Objektivem jeder Art, darunter Kunst, Wissenschaft, Philosophie zum transzendentalen Thema machen, ohne dergleichen exemplarisch und sogar voll evident zu durchleben? So ist es in der Tat. In gewisser Weise muß also auch der Philosoph in der Epoché das natürliche Leben „natürlich durchleben“, und doch wirkt die Epoché einen gewaltigen Unterschied damit, daß sie die ganze Weise der Thematik verändert und in weiterer Folge das Erkenntnisziel in seinem ganzen Seinssinn umgestaltet. Im schlicht natürlichen Leben terminieren alle Zwecke in „der“ Welt und terminiert alle Erkenntnis in wirklich Seiendem, das die Bewährung sichert. Die Welt, das ist das offene Universum, der Horizont der
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„Termini“, das universale Feld des Seienden, das alle Praxis voraussetzt und in ihren Ergebnissen immer neu bereichert. So ist die Welt das All des selbstverständlich Bewährbaren, aus Abzielung her „da“ und Boden für immer neue Abzielung auf das Seiende: „wirklich“ Seiende. In der Epoché aber gehen wir zurück auf die letzt-abzielende, aus alten Zielungen und Erfüllungen her schon Ergebnisse, schon Welt habende Subjektivität und auf die Weisen, wie sie in ihrer verborgeninneren „Methodik“ Welt hat, „zustande gebracht“ hat, fortgestaltet. Das Interesse des Phänomenologen zielt nicht ab auf die fertige Welt, nicht auf das äußerlich absichtliche Handeln in ihr, das selbst ein „Konstituiertes“ ist. Jede Art Praxis vollzieht der Phänomenologe wirklich oder im Nachverstehen – aber nicht so, daß ihr erfüllendes „Ende“ ihm Ende ist, in dem er terminiert. Vielmehr, indem er eben dieses Endesein als solches, dies auf Ziele im Weltleben Hinleben und in ihnen Terminieren zum eigenen Thema macht, hinsichtlich des darin waltenden Subjektiven, verwandelt sich für ihn der naive Seinssinn der Welt überhaupt in den Sinn „Polsystem einer transzendentalen Subjektivität“, welche Welt und darin Realitäten „hat“, so wie sie eben Pole hat, sie konstituierend. Das ist offenbar etwas Grundverschiedenes gegenüber der in der Welt selbst sich haltenden Verwandlung von „Endzwecken“ zu „Mitteln“, zu Prämissen für neue weltliche Zwecke. | Was hier gesagt ist, setzt voraus, daß man sich unsere Weise, das intentionale Leben als leistendes in der Epoché auszulegen, völlig klargemacht, und daß man also zunächst die Einsicht gewonnen hat, daß schon in der schlichtesten Wahrnehmung, und so in jedem Bewußtsein, in dem man Seiendes schlicht geradehin in Daseinsgeltung hat, ein Abzielen liegt, das sich in der Einstimmigkeit immer neuer Seinsgeltungen (derjenigen der Gegebenheitsweisen desselben) verwirklicht, und in anschaulichen als „es selbst“ verwirklicht. Welche Abwandlungen die Intentionalität, von ihrer ersten Aufweisung an den Weisen aktuellen Gerichtetseins auf Gegenstände an, erfahren mag, sie sind alle Abwandlungsformen von letztlich ichlichen Leistungen.
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Eine dritte Schwierigkeit ist die, daß nicht abzusehen ist, wie in der Epoché der „Heraklitische Fluß“ des konstituierenden Lebens deskriptiv in seiner individuellen Faktizität behandelt werden könnte. Wir sind dabei geleitet von dem in der objektiven Weltwissenschaft üblichen Unterschied zwischen deskriptiven Wissenschaften, die auf Grund der Erfahrung das faktische Dasein beschreiben und klassifizieren und induktive Allgemeinheiten innerhalb der anschaulichen Empirie entwerfen, um es so für jedermann festzustellen, der in derselben Empirie steht – gegenüber den Gesetzeswissenschaften, den Wissenschaften von den unbedingten Allgemeinheiten. Indessen, wie immer es mit diesem objektiven Unterschied stehen mag – eine eigentliche Schwierigkeit ergibt sich für uns nicht, da es unrechtmäßig wäre, von der Objektivität her an die Transzendentalität Forderungen zu stellen. Richtig ist aber, daß es das Analogon einer empirischen Tatsachenwissenschaft, eine „deskriptive“ Wissenschaft vom transzendentalen Sein und Leben, als induktive Wissenschaft aus bloßer Erfahrung und mit dem Sinn einer Feststellung der individuellen transzendentalen Korrelationen, wie sie faktisch auftreten und verschwinden, nicht geben kann. Selbst der einzelne Philosoph in der Epoché kann bei sich selbst nichts von diesem unfaßbar strömenden Leben so festhalten, mit stets gleichem Gehalt wiederholen und seiner Diesheit und seines Soseins so gewiß werden, daß er es in festen Aussagen beschreiben und (sei es auch nur für seine Person) sozusagen dokumentieren könnte. Aber die volle konkrete Faktizität der universalen transzendentalen Subjektivität ist gleichwohl in einem anderen guten | Sinne wissenschaftlich faßbar, eben dadurch, daß wirklich in eidetischer Methode die große Aufgabe gestellt werden kann und muß: die Wesensform der transzendentalen Leistungen in aller Typik von Einzelleistungen und intersubjektiven Leistungen zu erforschen, also die gesamte Wesensform der transzendental leistenden Subjektivität, in allen ihren sozialen Gestalten. Das Faktum ist hier als das seines Wesens und nur durch sein Wesen bestimmbar und in keiner Weise in analogem Sinne wie in der Objektivität durch eine induktive Empirie empirisch zu dokumentieren.
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§ 53 Die Parodoxie der menschlichen Subjektivität: das Subjektsein für die Welt und zugleich Objektsein in der Welt
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Nun erhebt sich aber eine wirklich ernstliche Schwierigkeit, welche unsere ganze Aufgabenstellung und den Sinn ihrer Ergebnisse angreift und beides in der Tat neuzugestalten nötigt. Vermöge unserer jetzigen Methode der Epoché verwandelte sich alles Objektive in Subjektives. Das kann offenbar nicht so gemeint sein, daß durch sie seiende Welt und menschliche Weltvorstellung gegenüber gestellt werden und auf dem Boden der selbstverständlich wirklich seienden Welt nach dem Subjektiven, also nach den seelischen Vorgängen der Menschen gefragt wird, in denen sie Welterfahrung, alltägliche oder wissenschaftliche Meinungen über die Welt gewinnen, ihre jeweiligen sinnlichen und gedanklichen „Weltbilder“. Unsere Wissenschaftlichkeit ist nicht die der Psychologen. Durch die radikale Epoché ist jedes Interesse an Wirklichkeit oder Unwirklichkeit der Welt (in allen Modalitäten, also auch an Möglichkeit, Denkbarkeit sowie an der Entscheidbarkeit von dergleichen) außer Spiel gesetzt. Somit ist auch von keiner wissenschaftlichen Psychologie und ihren Fragestellungen hier die Rede. Für diese ist die Welt, die von ihr als selbstverständlichwirklich vorausgesetzte, der Boden; uns hat die Epoché gerade diesen Boden genommen. Und in der reinen Korrelativeinstellung, die sie schafft, wird die Welt, das Objektive, selbst zu einem besonderen Subjektiven. In dieser Einstellung relativiert sich sogar noch in paradoxer Weise das „Subjektive“, nämlich in folgender Weise. Die Welt (in der Umstellung „transzendentales Phänomen“ genannt) ist von vornherein nur als Korrelat der subjektiven Erscheinungen, Meinungen, | subjektiven Akte und Vermögen genommen, in denen sie ständig ihren wandelbaren Einheitssinn hat und immerfort neu gewinnt. Erfolgt nun die Rückfrage von der Welt (die schon die bloße Seinsweise einer Sinneinheit hat) nach den Wesensformen dieser „Erscheinungen und Meinungen von“ ihr, so gelten diese als ihre „subjektiven Gegebenheitsweisen“. Wenn dann, in einer nochmaligen Reflexion und Rückfrage, die Ich-Pole und all
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ihr spezifisch Ichliches zum Thema der Wesensforschung werden, so heißen nun sie in einem neuen und noch höheren Sinne das Subjektive der Welt, und auch ihrer Erscheinungsweisen. Aber ein allgemeiner Begriff des Subjektiven umfaßt in der Epoché alles, ob Ich-Pol und Universum der Ich-Pole, ob Erscheinungsmannigfaltigkeiten oder Gegenstandspole und Universum der Gegenstandspole. Aber hier gerade liegt die Schwierigkeit. Die universale Intersubjektivität, in die sich alle Objektivität, alles überhaupt Seiende auflöst, kann offenbar doch keine andere sein als die Menschheit, die unleugbar selbst ein Teilbestand der Welt ist. Wie soll ein Teilbestand der Welt, ihre menschliche Subjektivität, die ganze Welt konstituieren, nämlich konstituieren als ihr intentionales Gebilde? – Welt, ein immer schon gewordenes und fortwerdendes Gebilde des universalen Konnexes der intentional leistenden Subjektivität – wobei sie, die im Miteinander leistenden Subjekte, selbst nur Teilgebilde der totalen Leistung sein sollen? Der Subjektbestand der Welt verschlingt sozusagen die gesamte Welt und damit sich selbst. Welch ein Widersinn. Oder ist es doch eine sinnvoll auflösbare, sogar eine notwendige Paradoxie, notwendig entspringend aus der beständigen Spannung zwischen der Macht der Selbstverständlichkeit der natürlichen objektiven Einstellung (der Macht des common sense) und der sich ihr gegenübersetzenden Einstellung des „uninteressierten Betrachters“? Diese letztere ist freilich überaus schwer radikal durchzuführen, da sie beständig von Mißverständnissen bedroht ist. Zudem verfügt der Phänomenologe keineswegs durch den Vollzug der Epoché ohne weiteres über einen Horizont selbstverständlich möglicher neuer Vorhaben; vor ihm breitet sich nicht sogleich ein transzendentales Arbeitsfeld aus, vorgeformt in einer selbstverständlichen Typik. Die Welt ist das einzige Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten. Von vornherein | lebt der Phänomenologe in der Paradoxie, das Selbstverständliche als fraglich, als rätselhaft ansehen zu müssen und hinfort kein anderes wissenschaftliches Thema haben zu können als dieses: die universale Selbstverständlichkeit des Seins der Welt – für ihn das größte aller Rätsel – in
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eine Verständlichkeit zu verwandeln. Die Unauflösbarkeit der vorhin entfalteten Paradoxie würde besagen, daß eine wirklich universale und radikale Epoché überhaupt nicht durchführbar ist, nämlich in Absicht auf eine streng an sie gebundene Wissenschaft. Wäre die Uninteressiertheit und die Epoché bloß diejenige des Psychologen, an welcher, als einer auf dem Boden der Welt sich bewegenden, niemand Anstoß nimmt, dann reduzierte sich, was an unseren Evidenzen wirklich haltbar ist, auf objektiv-psychologische Wesenseinsichten, obschon eines neuen Stiles. Aber können wir uns damit beruhigen, uns mit der bloßen Tatsächlichkeit begnügen, daß die Menschen Subjekte für die Welt sind (der Welt, die bewußtseinsmäßig für sie ihre Welt ist) und zugleich Objekte in dieser Welt? Können wir uns als Wissenschaftler damit beruhigen, daß Gott die Welt und in ihr Menschen geschaffen hat, daß er sie mit Bewußtsein, mit Vernunft begabt hat, d. i. mit der Vermöglichkeit der Erkenntnis, zuhöchst einer wissenschaftlichen? Das mag in der Naivität, die zum Wesen der positiven Religion gehört, zweifellose Wahrheit sein und eine Wahrheit für immer bleiben, auch wenn es bei dieser Naivität für den Philosophen nicht sein Bewenden haben kann. Das Rätsel der Schöpfung wie das Gottes selbst ist ein Wesensbestandteil der positiven Religion. Für den Philosophen aber liegt darin und liegt in dem Miteinander: „Subjektivität in der Welt als Objekt“ und zugleich „ für die Welt Bewußtseinssubjekt“ eine notwendige theoretische Frage, nämlich zu verstehen, wie das möglich ist. Die Epoché, indem sie uns die Einstellung über der mit zur Welt gehörigen Subjekt-Objekt-Korrelation gab und damit die Einstellung auf die transzendentale Subjekt-Objekt-Korrelation, führt uns ja dahin, selbstbesinnlich zu erkennen: daß die Welt, die für uns ist, nach Sosein und Sein unsere Welt ist, ganz und gar aus unserem intentionalen Leben ihren Seinssinn schöpft, in einer aufweisbaren apriorischen Typik von Leistungen – einer aufweisbaren, und nicht argumentativ konstruierten oder in einem mythischen Denken erdachten. | Damit und mit den tiefen Schwierigkeiten, die darin liegen, wird man nicht fertig, wenn man darüber flüchtig hinwegsieht und sich der Mühe der konsequenten Rückfragen und
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Untersuchungen entzieht; oder wenn man aus der Werkstätte vergangener Philosophen, etwa des Aristoteles, des Thomas, Argumente heranholt und nun ein Spiel logischer Argumentationen und Widerlegungen betreibt. In der Epoché ist die Logik und jedes Apriori und jede philosophische Beweisführung altehrwürdigen Stiles kein schweres Geschütz – sondern eine selbst der Epoché unterliegende Naivität, wie alle objektive Wissenschaftlichkeit. Andererseits ist es das Wesenseigentümliche der anfangenden Philosophie dieses phänomenologischtranszendentalen Radikalismus, daß sie, wie vorhin schon gesagt, ungleich der objektiven Philosophie, statt einen Boden von Selbstverständlichkeiten im voraus bereit zu haben, einen Boden ähnlichen (wenn auch anderen) Sinnes prinzipiell ausschließt. Sie muß also zunächst bodenlos anfangen. Aber alsbald gewinnt sie die Möglichkeit, sich aus eigener Kraft selbst einen Boden zu schaffen, nämlich indem sie sich in originaler Selbstbesinnung der in ein Phänomen bzw. ein Universum von Phänomenen verwandelten naiven Welt bemächtigt. Notwendig ist ihr Anfangsgang, ähnlich wie der vorhin in rohen Aufrissen durchgeführte, ein erfahrender und denkender in naiver Evidenz. Sie hat keine geprägte Logik und Methodologie im voraus und kann ihre Methode und selbst den echten Sinn ihrer Leistungen nur durch immer neue Selbstbesinnungen gewinnen. Ihr Schicksal (freilich hinterher wird es als ein Wesensnotwendiges verstehbar) ist ein immer wieder neues Hineingeraten in Paradoxien, die von unbefragt, ja unbemerkt gebliebenen Horizonten herstammen und als mitfungierende sich zunächst in Unverständlichkeiten melden.
§ 54 Die Auflösung der Paradoxie:
a) Wir als Menschen und wir als letztlich fungierendleistende Subjekte Wie verhält es sich nun mit der jetzt in Frage stehenden – der Menschheit als Welt-konstituierenden und doch der Welt selbst eingeordneten Subjektivität? In der Naivität unseres er-
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sten Vorgehens haben wir uns für die immer wieder sich eröffnen | den Horizonte merkwürdiger Entdeckungen interessiert, und zwar in der naturgemäß ersten Blickrichtung auf die Korrelation der ersten Reflexionsstufe: Gegenstandspol – Gegebenheitsweise (Erscheinungsweise in einem weitesten Sinne), zunächst ganz festgehalten. Das Ich kam als Thema der obersten Reflexionsstufe zwar zu Wort, aber bei dem vorsichtigen analytisch-deskriptiven Vorgehen, das die näheren Zusammenhänge natürlich bevorzugt, kam es nicht zu seinem vollen Rechte. Die Tiefen seines Fungierendseins werden eben erst spät empfindlich. Im Zusammenhang damit fehlte das Phänomen des Bedeutungswandels von „Ich“ – so wie ich soeben Ich sage – in „andere Ich“, in „Wir alle“, Wir mit den vielen „Ichen“, worin Ich „ein“ Ich bin. Also fehlte das Problem der Konstitution der Intersubjektivität, als dieses Wir-Alle, von mir aus, ja „in“ mir. Das waren Probleme, welche sich auf dem Wege, in den wir uns hineinziehen und forttreiben ließen, nicht meldeten. Sie werden sich nunmehr die Beachtung erzwingen. Denn die Notwendigkeit, jetzt haltzumachen und in Selbstbesinnung einzutreten, wird uns am schärfsten empfindlich durch die endlich einmal und unvermeidlich auftauchende Frage: Wer sind wir als die Sinn- und Geltungsleistung der universalen Konstitution vollziehenden Subjekte – wir als die in Vergemeinschaftung die Welt als Polsystem, also als intentionales Gebilde des vergemeinschafteten Lebens Konstituierenden? Wir, kann das heißen „wir Menschen“, Menschen in dem natürlich-objektiven Sinn, also Realitäten der Welt? Aber sind diese Realitäten nicht selbst „Phänomene“ und als solche selbst Gegenstandspole und Themen der Rückfrage nach den korrelativen Intentionalitäten, deren Pole sie sind, aus deren Fungieren sie ihren Seinssinn haben und gewonnen haben? Natürlich ist die Frage zu bejahen. In der Tat, wie für alle regionalen Kategorien der Welt, für alle wesensmäßig ontischen Typen können wir wirklich die konstitutive Sinnbildung aufweisen, wenn wir nur weit genug sind in der Methode, entsprechende Fragen zu stellen. Hier sind es Rückfragen von den realen Menschen auf ihre „Gegebenheitsweisen“, ihre Weisen des „Erscheinens“, zunächst des wahrnehmungsmäßigen, d. i.
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im Modus originaler Selbstgebung, der Weisen einstimmiger Bewährung und Korrektur, der Identifizierung im Wiedererkennen als dieselbe menschliche Person: als die von früher uns „persönlich“ bekannte, | dieselbe, von der die Anderen sprechen, die sie selbst kennengelernt haben usw. Es gilt also die Auflösung der Selbstverständlichkeit des „da steht ein Mensch, in diesem gesellschaftlichen Kreise einander wohlbekannter Personen usw.“ in ihre transzendentalen Fraglichkeiten. Sind aber die transzendentalen Subjekte, d. i. die für die Weltkonstitution fungierenden, die Menschen? Die Epoché hat sie doch zu „Phänomenen“ gemacht, so daß der Philosoph in der Epoché weder sich noch die Anderen naiv-geradehin als Menschen in Geltung hat, sondern eben nur als „Phänomene“, als Pole der transzendentalen Rückfragen. Offenbar kommt hier, in der radikalen Konsequenz der Epoché, jedes Ich rein nur als Ich-Pol seiner Akte und Habitualitäten und Vermögen in Betracht, von da aus als „durch“ seine Erscheinungen, seine Gegebenheitsweisen hindurch auf das Erscheinende in Seinsgewißheit gerichtet, auf den jeweiligen Gegenstandspol und seinen Polhorizont: die Welt. Zu all dem gehören dann weitere Rückfragen in allen diesen Reflexionsrichtungen. Konkret ist jedes Ich nicht bloß Ich-Pol, sondern Ich in allen seinen Leistungen und Leistungserwerben, mitgerechnet die als seiend und soseiend geltende Welt. Aber in der Epoché und im reinen Blick auf den fungierenden Ich-Pol und von da auf das konkrete Ganze des Lebens und seiner intentionalen Zwischen- und Endgebilde zeigt sich eo ipso nichts Menschliches, nicht Seele und Seelenleben, nicht reale psychophysische Menschen – all das gehört ins „Phänomen“, in die Welt als konstituierten Pol. b) Ich als Ur-Ich konstituiere meinen Horizont der transzendentalen Anderen als der Mitsubjekte der die Welt konstituierenden transzendentalen Intersubjektivität Gleichwohl können wir nicht befriedigt sein und bleiben noch an der Paradoxie haften. Unser naives Vorgehen war in der Tat nicht ganz korrekt, und zwar durch die Selbstvergessenheit
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unserer selbst, der Philosophierenden, oder deutlicher gesprochen: die Epoché vollziehe ich, und selbst wenn da mehrere sind, und sogar in aktueller Gemeinschaft mit mir die Epoché üben, so sind für mich in meiner Epoché alle anderen Menschen mit ihrem ganzen Aktleben in das Weltphänomen einbezogen, das in meiner Epoché ausschließlich das meine ist. Die Epoché schafft eine ein | zigartige philosophische Einsamkeit, die das methodische Grunderfordernis ist für eine wirklich radikale Philosophie. In dieser Einsamkeit bin ich nicht ein Einzelner, der aus irgendeinem, sei es auch theoretisch gerechtfertigten Eigensinn (oder aus Zufall, etwa als Schiffbrüchiger) sich aussondert aus der Gemeinschaft der Menschheit, der er sich aber auch dann noch zugehörig weiß. Ich bin nicht ein Ich, das immer noch sein Du und sein Wir und seine Allgemeinschaft von Mitsubjekten in natürlicher Geltung hat. Die ganze Menschheit und die ganze Scheidung und Ordnung der Personalpronomina ist in meiner Epoché zum Phänomen geworden, mitsamt dem Vorzug des Ich-Mensch unter anderen Menschen. Das Ich, das ich in der Epoché erreiche, dasselbe, das in der kritischen Umdeutung und Verbesserung der Descartesschen Konzeption das „Ego“ wäre, heißt eigentlich nur durch Äquivokation „Ich“, obschon es eine wesensmäßige Äquivokation ist, da, wenn ich es reflektierend benenne, ich nicht anders sagen kann als: ich bin es, ich der EpochéÜbende, ich, der die Welt, die mir jetzt nach Sein und Sosein geltende Welt, mit allen ihren Menschen, deren ich so völlig gewiß bin, als Phänomen befrage; also ich, der ich über allem natürlichen Dasein, das für mich Sinn hat, stehe und der IchPol bin des jeweils transzendentalen Lebens, worin zunächst Welt rein als Welt für mich Sinn hat: Ich, der ich, in voller Konkretion genommen, all das umfasse. Das besagt nicht, daß unsere früheren schon als transzendentale ausgesprochenen Evidenzen Täuschungen waren und daß es nicht zu rechtfertigen sei, daß trotzdem von einer transzendentalen, die Welt als „Welt für alle“ konstituierenden Intersubjektivität gesprochen werden muß, in der ich wiederum auftrete, aber nun als „ein“ transzendentales Ich unter den Anderen, und dabei „wir alle“ als transzendental-fungierende.
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Aber verkehrt war das Methodische, war das sogleich Hineinspringen in die transzendentale Intersubjektivität und das Überspringen des Ur-Ich, des Ego meiner Epoché, das seine Einzigkeit und persönliche Undeklinierbarkeit nie verlieren kann. Dem widerspricht nur scheinbar, daß es sich – aber durch eine besondere ihm eigene konstitutive Leistung – für sich selbst transzendental deklinierbar macht; daß es also von sich aus und in sich die transzendentale Intersubjektivität konstituiert, der es sich dann zurechnet, als bloß bevorzugtes Glied, nämlich als Ich | der transzendentalen Andern. Das lehrt wirklich die philosophische Selbstauslegung in der Epoché. Sie kann aufweisen, wie das immerfort einzige Ich in seinem originalen in ihm verlaufenden konstituierenden Leben eine erste Gegenstandssphäre, die „primordiale“, konstituiert, wie es von da aus in motivierter Weise eine konstitutive Leistung vollzieht, durch die eine intentionale Modifikation seiner selbst und seiner Primordialität zur Seinsgeltung kommt unter dem Titel „Fremdwahrnehmung“, Wahrnehmung eines Anderen, eines anderen Ich, für sich selbst Ich wie ich selbst. Das wird analogisch verständlich, wenn wir von der transzendentalen Auslegung der Wiedererinnerung her schon verstehen, daß zum Wiedererinnerten, zum Vergangenen (das den Seinssinn einer vergangenen Gegenwart hat), auch ein vergangenes Ich jener Gegenwart gehört, während das wirkliche originale Ich das der aktuellen Präsenz ist, zu der, über das als gegenwärtige Sachsphäre Erscheinende hinaus, auch die Wiedererinnerung als präsentes Erlebnis gehört. Also das aktuelle Ich vollzieht eine Leistung, in der es einen Abwandlungsmodus seiner selbst als seiend (im Modus vergangen) konstituiert. Von hier aus ist zu verfolgen, wie das aktuelle Ich, das strömend ständig gegenwärtige, sich als durch „seine“ Vergangenheiten hindurch dauerndes in Selbstzeitigung konstituiert. Ebenso konstituiert das aktuelle Ich, das schon dauernde der dauernden Primordialsphäre, in sich einen Andern als Andern. Die Selbstzeitigung sozusagen durch Ent-Gegenwärtigung (durch Wiedererinnerung) hat ihre Analogie in meiner Ent-Fremdung (Einfühlung als eine Ent-Gegenwärtigung höherer Stufe – die meiner Urpräsenz in eine bloß vergegenwärtigte Urpräsenz). So kommt
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in mir ein „anderes“ Ich zur Seinsgeltung, als kompräsent, und mit seinen Weisen evidenter Bewährung, offenbar ganz anderen als denen einer „sinnlichen“ Wahrnehmung. Methodisch kann nur vom Ego aus und der Systematik seiner transzendentalen Funktionen und Leistungen die transzendentale Intersubjektivität und ihre transzendentale Vergemeinschaftung aufgewiesen werden, in der von dem fungierenden System der Ich-Pole aus die „Welt für alle“ und für jedes Subjekt als Welt für alle sich konstituiert. Und nur auf diesem Wege, in einer wesensmäßigen Systematik des Fortschreitens, kann auch ein letztes Verständnis dafür gewonnen werden, daß jedes transzenden | tale Ich der Intersubjektivität (als Welt auf dem angegebenen Wege mitkonstituierendes) notwendig als Mensch in der Welt konstituiert sein muß, daß also jeder Mensch ein „transzendentales Ich in sich trägt“; aber nicht als realen Teil oder eine Schichte seiner Seele (was ein Widersinn wäre), sondern insofern er die durch phänomenologische Selbstbesinnung aufweisbare Selbstobjektivation des betreffenden transzendentalen Ich ist. Wohl aber könnte jeder Mensch, der die Epoché vollziehen würde, sein letztes, in all seinem menschlichen Tun fungierendes Ich erkennen. Die Naivität der ersten Epoché hatte, wie wir sogleich sahen, die Folge, daß Ich, das philosophierende „Ego“, indem ich mich als fungierendes Ich, als Ich-Pol transzendentaler Akte und Leistungen erfaßte, in einem Sprunge und unbegründet, also unrechtmäßig, der Menschheit, in der ich mich finde, dieselbe Verwandlung in die fungierende transzendentale Subjektivität zumaß, die ich allein in mir vollzogen hatte. Trotz der methodischen Unrechtmäßigkeit lag darin doch eine Wahrheit. Unter allen Umständen muß aber, aus tiefsten philosophischen Gründen, auf die nicht weiter eingegangen werden kann, und nicht nur aus methodischen, der absoluten Einzigkeit des Ego und seiner zentralen Stellung für alle Konstitution genuggetan werden.
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§ 55 Die prinzipielle Korrektur unseres ersten Ansatzes der Epoché durch Reduktion derselben auf das absolut einzige letztlich fungierende Ego
Demnach bedarf es gegenüber dem ersten Ansatz der Epoché eines zweiten, bzw. einer bewußten Umgestaltung derselben durch Reduktion auf das absolute Ego als das letztlich einzige Funktionszentrum aller Konstitution. Das bestimmt hinfort die ganze Methode der transzendentalen Phänomenologie. Vorweg ist die Welt, die immerfort in Seinsgewißheit und Selbstbewährung vorgegebene und zweifellose. Habe ich sie auch nicht als Boden „vorausgesetzt“, so ist sie für mich, das Ich im cogito, doch aus ständiger Selbstbewährung in Geltung, mit allem, was sie für mich ist, im einzelnen bald objektiv rechtmäßig, bald nicht, auch mit allen Wissenschaften, Künsten, mit allen sozialen, personalen Gestalten und Institutionen, soweit es eben die Welt ist, die mir die wirkliche ist. Einen stärkeren Realismus kann es | also nicht geben, wenn dieses Wort nicht mehr besagt als: „ich bin dessen gewiß, ein Mensch zu sein, der in dieser Welt lebt usw., und ich zweifle daran nicht im mindesten“. Aber es ist eben das große Problem, diese „Selbstverständlichkeit“ zu verstehen. Die Methode erfordert nun, daß das Ego von seinem konkreten Weltphänomen aus systematisch zurückfragt und dabei sich selbst, das transzendentale Ego, in seiner Konkretion, in der Systematik seiner konstitutiven Schichten und seiner unsagbar verschlungenen Geltungsfundierungen kennenlernt. Das Ego ist im Einsatz der Epoché apodiktisch gegeben, aber als „stumme Konkretion“ gegeben. Sie muß zur Auslegung, zur Aussprache gebracht werden, und zwar in systematischer, vom Weltphänomen aus zurückfragender intentionaler „Analyse“. In diesem systematischen Vorgehen gewinnt man zunächst die Korrelation der Welt und der transzendentalen, in der Menschheit objektivierten Subjektivität. Aber dann drängen sich neue Fragen, diese Menschheit betreffend, auf: sind auch die Wahnsinnigen Objektivationen der für die Leistung der Weltkonstitution fraglichen Subjekte? Ferner die Kinder, selbst diejenigen, die schon einiges Weltbewußtsein haben? Sie lernen doch erst von den sie erziehen-
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den reifen und normalen Menschen, die Welt im vollen Sinne der Welt für Alle, also die Kulturwelt, kennen. Und wie steht es mit den Tieren? Es erwachsen die Probleme der intentionalen Modifikationen, in denen allen diesen Bewußtseinssubjekten, die für die Welt in unserem bisherigen (und für immer fundamentalen) Sinne nicht mitfungierende sind – d. h. für die Welt, die aus „Vernunft“ Wahrheit hat – , ihre Weise der Transzendentalität zugemessen werden kann und muß, eben als „Analogien“ von uns. Der Sinn dieser Analogie wird dann selbst ein transzendentales Problem darstellen. Das greift natürlich über in das Reich der transzendentalen Probleme, die schließlich alle Lebewesen umfassen, soweit sie, noch so indirekt, aber doch bewährbar, so etwas wie „Leben“, auch Gemeinschaftsleben im geistigen Sinne, haben. Dabei treten auch auf, in verschiedenen Stufen, zuerst für den Menschen und schließlich universal, die Probleme der Generativität, die Probleme der transzendentalen Geschichtlichkeit, der transzendentalen Rückfragen von den Wesensformen menschlichen Daseins in Gesellschaftlichkeit, in Personalitäten | höherer Ordnung, auf ihre transzendentale und somit absolute Bedeutung; ferner die Probleme der Geburt und des Todes und der transzendentalen Konstitution ihres Sinnes als Weltvorkommnisse, wie auch das Problem der Geschlechter. Was schließlich das jetzt so viel verhandelte Problem des „Unbewußten“ anlangt – traumloser Schlaf, Ohnmacht und was sonst in gleicher oder 〈 ähnlicher 〉 Art unter diesen Titel gerechnet sein mag – , so handelt es sich jedenfalls dabei um Vorkommnisse der vorgegebenen Welt, und so fallen sie selbstverständlich unter die transzendentale Problematik der Konstitution, sowie eben auch Geburt und Tod. Als Seiendes in der allgemeinsamen Welt hat dergleichen seine Weisen der Seinsbewährung, der „Selbstgebung“, die eben eine besondere ist, aber für Seiendes solcher Besonderheit eben die ursprünglich Seinssinn schaffende. Und demgemäß sind in der absolut universalen Epoché für Seiendes solcher wie jeder anderen Sinnhaftigkeit die dafür angemessenen konstitutiven Fragen zu stellen. Nach all dem ist es klar, daß es kein erdenkliches sinnvolles Problem der bisherigen Philosophie und kein erdenkliches
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Seinsproblem überhaupt gibt, das nicht die transzendentale Phänomenologie auf ihrem Wege einmal erreichen müßte. Darunter auch die Probleme, die sie selbst in höherer Reflexion dem Phänomenologen stellt: die Probleme der phänomenologischen Sprache, Wahrheit, Vernunft, und nicht nur die betreffenden Probleme der in der natürlichen Weltlichkeit konstituierten Sprache, Wahrheit, Wissenschaft, Vernunft, in allen Gestalten. Demnach versteht man auch den Sinn der Forderung einer Apodiktizität des Ego und aller auf diesem transzendentalen Grunde gewonnenen transzendentalen Erkenntnisse. Beim Ego angelangt, wird man dessen inne, daß man in einer Evidenzsphäre steht, hinter die zurückfragen zu wollen ein Unsinn ist. Dagegen war jede übliche Berufung auf Evidenz, sofern damit eine weitere Rückfrage abgeschnitten sein sollte, theoretisch nicht besser als eine Berufung auf ein Orakel, in dem ein Gott sich offenbart. Alle natürlichen Evidenzen, die aller objektiven Wissenschaften (die der formalen Logik und Mathematik nicht ausgenommen), gehören in das Reich der „Selbstverständlichkeiten“, die in Wahrheit ihren Hintergrund der Unverständlichkeit haben. Jede Evidenz ist ein Problemtitel, nur nicht die phäno | menologische Evidenz, nachdem sie sich selbst reflektiv geklärt und als letzte erwiesen hat. Es ist natürlich ein lächerliches, obschon leider gewöhnliches Mißverständnis, die transzendentale Phänomenologie als „Cartesianismus“ bekämpfen zu wollen, als ob ihr „ego cogito“ eine Prämisse oder Prämissensphäre wäre, um aus ihr die übrigen Erkenntnisse (wobei man naiverweise nur von objektiven spricht) in absoluter „Sicherung“ zu deduzieren. Es gilt nicht, Objektivität zu sichern, sondern sie zu verstehen. Man muß endlich einsehen, daß keine noch so exakte objektive Wissenschaft irgend etwas ernstlich erklärt oder je erklären kann. Deduzieren ist nicht Erklären. Voraussagen oder objektive Aufbauformen physikalischer oder chemischer Körper erkennen und danach voraussagen – das alles erklärt nichts, sondern bedarf der Erklärung. Das einzig wirkliche Erklären ist: transzendental verständlich machen. Alles Objektive steht unter der Forderung der Verständlichkeit. Naturwissenschaftliches Wissen von der
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Natur gibt also von der Natur keine wirklich erklärende, keine letztliche Erkenntnis, weil sie überhaupt nicht Natur in dem absoluten Zusammenhang, in dem ihr wirkliches und eigentliches Sein seinen Seinssinn enthüllt, erforscht, also an dieses Sein thematisch nie herankommt. Die Größe ihrer schöpferischen Genies und deren Leistungen ist dadurch nicht im geringsten herabgesetzt, so wie das Sein der objektiven Welt in der natürlichen Einstellung und diese selbst nichts verloren haben dadurch, daß sie in die absolute Seinssphäre s. z. s. zurückverstanden werden, in der sie letztlich und wahrhaft sind. Freilich bedeutungslos kann die Erkenntnis der konstitutiven „inneren“ Methode, in der alle objektiv-wissenschaftliche Methode Sinn und Möglichkeit erhält, für den Naturforscher und jeden objektiven Wissenschaftler nicht sein. Handelt es sich doch um eine radikalste und tiefste Selbstbesinnung der leistenden Subjektivität, und wie sollte sie nicht dienen, um die naiv-gewöhnliche Leistung vor Mißverständnissen zu bewahren, wie sie z. B. am Einfluß naturalistischer Erkenntnistheorie und an der Vergötzung einer sich selbst nicht verstehenden Logik reichlich zu beobachten sind. |
B. Der Weg in die phänomenologische Transzendentalphilosophie von der Psychologie aus § 56 Charakteristik der philosophischen Entwicklung nach Kant unter dem Gesichtspunkt des Kampfes zwischen physikalistischem Objektivismus und dem immer wieder sich meldenden „transzendentalen Motiv“
Die Philosophie kommt auf ihren Entwicklungswegen in theoretische Situationen folgenschwerer Entscheidungen, in denen sich die Philosophen neu besinnen, den ganzen Zwecksinn ihres Vorhabens in Frage stellen, eventuell neu bestimmen und sich danach zu einer radikalen Änderung der Methode entschließen müssen. Die Urheber der theoretischen Gedanken, welche diese Situationen schaffen, haben in der Geschichte der Philosophie eine ganz ausgezeichnete Stellung: sie sind die Re-
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präsentanten der von ihnen her, von ihren neuen universalen Zielstellungen, vorgeformt in ihren entworfenen Theorien, mit einem Einheitssinn ausgestatteten Entwicklungen. Jeder große Philosoph wirkt fort, in allen weiteren historischen Zeiten, er beeinflußt. Aber nicht jeder bringt ein Motiv, welches einer historischen Zeitreihe Einheit und eventuell Abschluß eines Entwicklungssinnes gibt, ein Motiv, welches sich als Triebkraft auswirkt und eine Aufgabe stellt, die erfüllt werden muß und mit der Erfüllung die historische Entwicklungszeit zu Ende bringt. Für die Philosophie der Neuzeit sind uns als Repräsentanten bedeutsam geworden: Descartes, der gegenüber den ganzen vorgängigen Philosophien eine Wende bezeichnet, Hume (gerechterweise wäre eigentlich Berkeley mit zu nennen) und – von Hume erweckt – Kant, seinerseits die Entwicklungslinie der deutschen Transzendentalphilosophien bestimmend. (Man sieht übrigens in dieser Aneinanderreihung, daß nicht die Schöpfer der größten, geistesmächtigsten Systeme als solche in Frage kommen, da wohl niemand Hume und Berkeley in dieser Hinsicht Kant oder unter den Späteren Hegel gleichstellen wird.) Wir haben nun in der ersten Vortragsreihe eine tiefere Analyse der die ganze neuzeitliche Entwicklung fortbestimmenden Motive des Cartesianischen Philosophierens durchgeführt, einerseits der in seinen ersten „Meditationen“ sich meldenden und andererseits der mit ihnen in innerem Kontrast stehenden Mo | tive: der physikalistischen (oder mathematisierenden) Idee der Philosophie, der gemäß die Welt in ihrer vollen Konkretion ein objektiv wahres Sein in der Gestalt des ordo geometricus in sich trage und, damit verflochten (was hier besonders hervorzuheben ist), in dem ihr zugeschriebenen metaphysischen „An-sich“ eine dualistische Welt von Körpern und Geistern sei. Das charakterisierte die Philosophie des objektivistischen Rationalismus im Zeitalter der Aufklärung. Wir haben dann die Analyse der Hume-Kantischen Situation versucht und sie schließlich nur dadurch erleuchten können, daß wir in ihre Voraussetzungen eindrangen, von da zu eigenen, der Zeit selbst fremden Fragestellungen kamen und in systematischem Fortdenken uns in einem vorläufigen Entwurf den Stil einer
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wirklich wissenschaftlichen Transzendentalphilosophie klarmachten; einer „wirklich wissenschaftlichen“, nämlich von unten aufwärts in evidenten Einzelschritten arbeitenden und so in der Tat letztlich begründeten und begründenden. Es wurde versucht, dabei völlig einsichtig zu machen, daß nur eine solche Philosophie und in solcher Rückfrage bis auf den letztdenkbaren Grund im transzendentalen Ego den Sinn erfüllen kann, der der Philosophie von ihrer Urstiftung her eingeboren ist. Somit bezeichnet die transzendentale Philosophie in ihren ersten unreifen Gestalten bei den Engländern und bei Kant, sowenig diese ernstliche wissenschaftliche Begründungen leisteten, und sosehr sogar Hume sich auf einen schwächlichen akademischen Skeptizismus zurückzog, im ganzen genommen nicht einen Abweg und überhaupt nicht „einen“ von möglichen Wegen, sondern den einzigen Zukunftsweg, den die Entwicklung der Philosophie unbedingt einschlagen mußte, um zu der methodischen Erfüllungsgestalt durchzudringen, in der sie allein wirklich wissenschaftlich sein, im wirklichen Selbstverständnis ihres Aufgabensinnes, im Geiste der Endgültigkeit arbeitende Philosophie sein konnte, arbeitend in einer apodiktischen Evidenz ihres Bodens, ihrer Ziele, ihrer Methode. Diese Erfüllungsgestalt konnte in die historische Wirklichkeit nur eintreten als Erfolg radikalster Selbstbesinnungen, in Form eines ersten Anfangens, eines ersten Gewinnens der geklärten Aufgabe, des apodiktischen Bodens und der Zugangsmethode zu ihm, eines ersten Beginnes, einer wirklich handanlegenden, die Sachen selbst befragenden Arbeit. Das ist nun als phänomenologische | Transzendentalphilosophie (aber ausschließlich des hier vorgezeichneten Sinnes) wirklich lebendiger Anfang geworden. Hinfort ist, ich darf wagen, es zu sagen: für immer nicht nur der neuzeitliche physikalistische Naturalismus, sondern jede objektivistische Philosophie, ob der Vorzeit oder der nachkommenden Zeiten, als „transzendentale Naivität“ gekennzeichnet. Indessen damit ist unsere Aufgabe nicht erfüllt. Wir selbst und die Gedanken, die wir notwendig bilden mußten, um die Gedanken der Vorzeit zu einer echten Resonanz zu bringen, in welcher nämlich ihre Ausgerichtetheit als Keimgestalten auf
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eine Endgestalt evident wurde, wir selbst, sage ich, gehören doch mit in dieselbe Einheit der Geschichtlichkeit. Wir haben also auch noch die Aufgabe, die Entwicklungen der Philosophie bis zu uns selbst hin und unsere Gegenwartssituation sinnhaft auszulegen. Eben darauf aber deutet, wie wir bald verstehen werden, die Nennung der Psychologie im Titel dieser Vorträge hin. Die Vollendung unserer Aufgabe erfordert nicht ein näheres Eingehen auf die mannigfaltigen Philosophien und Sonderströmungen der Folgezeit. Nur einer allgemeinen Charakteristik bedarf es, und zwar von dem gewonnenen Verständnis der vorangegangenen Geschichtlichkeit aus. Der philosophische Objektivismus der neuzeitlichen Prägung mit seiner physikalistischen Tendenz und dem psychophysischen Dualismus stirbt nicht aus, d. h. man fühlt sich auf dieser Seite im „dogmatischen Schlummer“ ganz wohl. Auf der anderen Seite sind die aus ihm Geweckten zunächst ganz vorwiegend durch Kant geweckt. Hier entspringt also der Strom der deutschen, aus Kants Transzendentalphilosophie hervorgegangenen transzendentalen Idealismen. In ihnen erhält sich, ja erneuert sich in besonderer Kraft der große Schwung, welcher früher von Descartes ab die objektivistische Philosophie beseelt hatte, in der neuen Gestalt transzendentaler Weltbetrachtung. Freilich war auch ihm nicht Dauer beschieden, trotz des überwältigenden Eindrucks, den das Hegelsche System zeitweise machte, der ihm eine Allherrschaft für immer zu versprechen schien. Die reißend anschwellend zur Wirksamkeit kommende Reaktion nahm bald den Sinn einer Reaktion gegen jedwede Transzendentalphilosophie dieses Stiles an, und obschon dieser nicht ganz abstarb, so büßten doch die weiteren Versuche | solchen Philosophierens ihre ursprüngliche Kraft und Entwicklungslebendigkeit ein. Was den Schwung der objektivistischen Philosophie anlangt, so erhielt er sich in gewisser Weise weiter als Schwung der Entwicklung der positiven Wissenschaften. Aber näher besehen, war das nichts weniger als ein philosophischer Schwung. Ich erinnere an die Sinnverwandlung, welche diese Wissenschaften in eins mit ihrer Ausbildung als Fachwissenschaften erfahren hatten und durch welche sie schließlich ganz den großen
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in ihnen früher lebendigen Sinn von Zweigen der Philosophie verloren. Wir haben davon schon gesprochen, aber hier ist es zur Aufklärung der im 19. Jahrhundert entstandenen Situation sehr wichtig, darauf etwas ausführlicher einzugehen. Aus Wissenschaften jenes allein echten Sinnes waren unvermerkt merkwürdige neuartige Künste geworden, einzureihen den sonstigen Künsten höheren und niederen Ranges, wie den schönen Künsten, der Baukunst, aber auch wie den Künsten der niederen Stufen. Sie waren lehr- und lernbar geworden in ihren Instituten, ihren Seminarien, Modellsammlungen, Museen. Man konnte darin Geschick, Talent, auch Genie erweisen – z. B. in der Kunst, neue Formeln, neue exakte Theorien zu erfinden, um den Verlauf der Naturerscheinungen vorauszusagen, um Induktionen von einer Tragweite zu machen, die in früheren Zeiten undenkbar gewesen wäre. Oder auch in der Kunst, historische Dokumente zu interpretieren, Sprachen grammatisch zu analysieren, historische Zusammenhänge zu konstruieren usw. Es gibt da überall große, bahnbrechende Genies, die die höchste Bewunderung der Mitmenschheit gewinnen und sie reichlich verdienen. Aber Kunst ist nicht Wissenschaft, deren Ursprung und nie preiszugebende Intention es ist, durch Klärung der letzten Sinnesquellen ein Wissen dessen zu gewinnen, was wirklich und dann in seinem letzten Sinne verstanden ist. Nur ein anderer Ausdruck dafür ist radikal voraussetzungslose und letztbegründete Wissenschaft oder Philosophie. Allerdings hat diese theoretische Kunst das Eigene, daß sie, aus der Philosophie geworden (obschon einer unvollkommenen Philosophie), einen von ihr her allen kunstgerechten Erzeugnissen zugehörigen, aber verschlossenen Sinn hat, den man nicht aus der bloßen methodischen Technik und ihrer Geschichte erfragen, sondern den nur der wirkliche Philosoph wecken, und in seinen echten Tiefen nur | der Transzendentalphilosoph entfalten kann. So ist in der theoretischen Kunst wirklich eine wissenschaftliche Erkenntnis, aber eine schwer zugängliche, verschlossen. Darüber haben wir schon in unseren systematischen Erörterungen gesprochen und gezeigt, was dazu nötig ist, um eine Erkenntnis aus ihren letzten Gründen zu gewinnen, und daß
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dergleichen nur im universalen Zusammenhang, nie aber als naive „Spezialwissenschaft“ zu gewinnen ist, oder gar im Vorurteil des neuzeitlichen Objektivismus. Die viel beklagte Spezialisierung ist an sich kein Mangel, da sie innerhalb der universalen Philosophie eine Notwendigkeit ist, wie auch in jeder Spezialdisziplin die Ausbildung einer kunstmäßigen Methode notwendig ist. Wohl aber ist verhängnisvoll die Abschnürung der theoretischen Kunst von der Philosophie. Indessen, scheiden auch die bloßen Fachgelehrten aus, so gab es unter und neben ihnen doch fortgesetzt Philosophen, die die positiven Wissenschaften weiter als Zweige der Philosophie behandelten, und so blieb es bei dem Satz, daß die objektivistische Philosophie nach Hume und Kant nicht ausstirbt. Nebenher läuft die Entwicklungslinie der Transzendentalphilosophien, und nicht nur der von Kant sich ableitenden. Denn hinzu kommt auch eine Reihe von Transzendentalphilosophen, welche ihre Motivation einer Fortwirkung oder, wie in Deutschland, einer neu einsetzenden Wirkung Humes verdanken. Von England nenne ich besonders J. St. Mill, der in der Zeit der großen Reaktion gegen die Systemphilosophien des Deutschen Idealismus in Deutschland selbst starken Einfluß ausübt. Aber in Deutschland erwachsen sehr viel ernstlicher gemeinte Versuche einer wesentlich vom englischen Empirismus her bestimmten Transzendentalphilosophie (Schuppe, Avenarius), die indessen mit ihrem vermeintlichen Radikalismus den echten, der allein helfen kann, bei weitem nicht erreichen. Die Erneuerung der positivistischen Empirismen verschwistert sich unvermerkt mit den durch die immer größere Vordringlichkeit der transzendentalen Motive geforderten Renaissancen älterer und insbesondere transzendentaler Philosophien. Im Rückgang auf sie und in kritischer, von positivistischen Motiven vorbestimmter Umbildung hofft man wieder zu einer eigenen Philosophie zu kommen. Wie Hume und Berkeley, so lebt auch Kant wieder auf – ein vielfarbiger Kant, durch die | Mannigfaltigkeiten der versuchten Interpretationen und die Umbildungen des Neukantianismus. Auch empiristisch wird Kant umgedeutet, wie denn die historischen Traditionen in Verflechtungen sich mischen und eine quasi-philosophische Atmosphäre für alle
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Wissenschaftler schaffen, eine Atmosphäre einer allgemein vielberedeten und durchaus nicht tiefen und selbstgedachten „Erkenntnistheorie“. Neben Kant haben zumal alle übrigen Idealisten ihre Renaissance gehabt, selbst ein Neufriesianismus hat als Schule auftreten können. Überall beobachten wir, wie dabei die Verwirrung, wenn wir das rapide Anschwellen der internationalen bürgerlichen Bildung, Gelehrsamkeit, Literatur im 19. Jahrhundert in Rechnung ziehen, unerträglich wurde. Immer mehr verbreitet sich eine skeptische Stimmung, welche die philosophische Energie selbst derjenigen, welche an der Idee einer wissenschaftlichen Philosophie festhielten, innerlich lähmte. Geschichte der Philosophie unterschiebt sich der Philosophie, oder Philosophie wird zur persönlichen Weltanschauung, und schließlich möchte man sogar aus der Not eine Tugend machen: Philosophie könne eine andere Funktion in der Menschheit überhaupt nicht üben, denn als Summe persönlicher Bildung ein der Individualität entsprechendes Weltbild zu entwerfen. Obwohl die Preisgabe der echten, wenn auch nie zur radikalen Klärung gebrachten Idee der Philosophie keineswegs durchdringt, so hat doch die kaum mehr zu übersehende Vielfältigkeit der Philosophien die Folge, daß sie sich nicht mehr in wissenschaftliche Richtungen gliedert, die, miteinander ernstlich zusammenarbeitend, miteinander wissenschaftlich verhandelnd in Kritik und Gegenkritik, doch die gemeinsame Idee der einen Wissenschaft in die Bahn der Verwirklichung leiten, wie etwa die Richtungen der modernen Biologie oder Mathematik und Physik, sondern sie kontrastieren sich nach einer sozusagen ästhetischen Stilgemeinschaft, analog den „Richtungen“ und „Strömungen“ in den schönen Künsten. Ja, ist es in der Versplitterung der Philosophien und ihrer Literatur überhaupt noch möglich, sie im Sinne von Werken einer Wissenschaft ernstlich zu studieren, kritisch auszuwerten und eine Einheit der Arbeit aufrechtzuerhalten? Sie wirken, aber muß man nicht aufrichtig sagen, sie wirken als Impressionen, sie „regen an“, sie bewegen das Gemüt wie Dichtungen, sie wecken „Ahnungen“ – aber tun das nicht | ähnlich (bald in einem edleren, aber auch leider zu oft in einem anderen Stil) die
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mannigfaltigen literarischen Tageserzeugnisse? Wir mögen den Philosophen edelste Absichten zuerkennen, wir mögen selbst erfüllt sein von einer festen Überzeugung 〈 vom 〉 teleologischen Sinn der Geschichte, auch ihren Gebilden eine Bedeutung zuerkennen – aber ist es diejenige, die historisch der Philosophie anvertraut, aufgegeben war, ist nicht vielmehr ein anderes, ein Höchstes und Notwendigstes preisgegeben, wenn man sich auf ein solches Philosophieren zurückzieht? Schon das, was wir in Kritik und Evidenzaufweisung behandelt haben, gibt uns das Recht, diese Frage zu stellen, nicht als eine Frage romantischer Stimmungen, da wir gerade alle Romantik zu verantwortlicher Arbeit zurückführen wollen, sondern als eine Frage des wissenschaftlichen Gewissens, das uns aufruft in universaler und radikaler Besinnung, die – in höchster Selbstverantwortung vollzogen – selbst zu wirklicher und höchster Wahrheit werden muß. Was die tatsächliche Lage für die existenzielle Not des europäischen Menschentums bedeuten mußte, welches sich – das war doch das Ergebnis der Renaissance und bestimmte den Gesamtsinn der Neuzeit – die universale Wissenschaft als das Organ schaffen wollte, um sich eine neue Bodenständigkeit zu geben und sich zu einem Menschentum aus reiner Vernunft umzugestalten, braucht nach dem in der ersten Vortragsreihe Ausgeführten kaum gesagt zu werden. Aber was uns hier obliegt, ist, das offensichtliche Versagen der großen Intention auf die allmähliche Verwirklichung der Idee einer „philosophia perennis“, einer wahren und echten Universalwissenschaft aus letzter Begründung, verständlich zu machen. Zugleich damit haben wir die Kühnheit zu rechtfertigen, mit der wir – wie schon aus den systematisch-kritischen Darstellungen vorauszusehen ist – es noch wagen können (jetzt und dieser Zeit), der künftigen Entwicklung einer als Wissenschaft gemeinten Philosophie eine günstige Prognose zu stellen. Der Rationalismus des Zeitalters der Aufklärung ist nicht mehr in Frage, ihren großen Philosophen und denen der Vergangenheit überhaupt können wir nicht mehr folgen. Aber ihre Intention darf – auf ihren allgemeinsten Sinn hin angesehen – nie in uns absterben. Denn von neuem betone ich: wahre und echte Philosophie
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bzw. Wissenschaft und wahrer | und echter Rationalismus ist einerlei. Diesen gegenüber dem mit verborgenem Widersinn behafteten Rationalismus der Aufklärungsperiode zu realisieren, bleibt unsere eigene Aufgabe, wenn wir uns nicht Spezialwissenschaft und zur Kunst, τχνη herabgesunkene Wissenschaft oder die modischen Entartungen der Philosophie in irrationalistische Betriebsamkeiten unterschieben lassen für die unverlierbare Idee der Philosophie als der letztbegründenden und universalen Wissenschaft.
§ 57 Die verhängnisvolle Trennung von Transzendentalphilosophie und Psychologie
Gehen wir auf die Zeiten zurück, in welchen der neuzeitliche Mensch und Philosoph noch an sich und eine Philosophie glaubte und, in der transzendentalen Motivation stehend, um eine neue Philosophie rang in dem verantwortlichen Ernst einer inneren absoluten Berufung, den wir durch jedes Wort des echten Philosophen hindurchspüren. Dieser Ernst ist auch nach dem sogenannten Zusammenbruch der Hegelschen Philosophie, in welcher die von Kant bestimmte Entwicklungslinie kulminierte, in den gegen sie reagierenden Philosophien eine Zeitlang (wenn auch in seiner Urkraft geschwächt) erhalten geblieben. Warum aber kam es durch alle Brüche hindurch nicht zu einer Einheit der transzendentalphilosophischen Entwicklung? Warum führte Selbstkritik und Wechselkritik bei den noch von dem alten Geiste Beseelten nicht zu einem SichIntegrieren von zwingenden Erkenntnisleistungen in die Einheit eines von Generation zu Generation fortwachsenden, nur durch stets erneute Kritik, Korrektur, methodische Verfeinerung zu vervollkommnenden Erkenntnisbaus? Dazu ist vorerst allgemein folgendes zu bemerken: ein absolut neuartiges Vorgehen, wie das einer transzendentalen Wissenschaft, dem jede Leitung in der Analogie fehlen mußte, konnte zunächst nur in einer Art instinktiver Antizipation vorschweben. Ein dunkles Ungenügen an der bisherigen Begründungsart der gesamten Wissenschaft entlädt sich in neuen Problemstellungen
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und in Theorien, welche eine gewisse Evidenz des Gelingens ihrer Lösung trotz mancher zunächst unmerklichen oder sozusagen übertönten Schwierigkeiten mit sich führen. Diese erste Evidenz kann immer noch übergenug an tiefer liegenden Unklarheiten, zumal in Form unbefragter, vermeintlich ganz selbst | verständlicher Voraussetzungen, in sich bergen. Doch solche erste Theorien helfen historisch weiter, die Unklarheiten werden empfindlicher, und die vermeinten Selbstverständlichkeiten werden befragt, die Theorien daraufhin kritisiert, und das schafft den Antrieb zu neuen Versuchen. Dazu kommt, daß hier aus Wesensgründen (die aus unseren systematischen Darstellungen ohne weiteres einleuchten) eine Transzendentalphilosophie nie die unmerkliche Verwandlung in eine bloße τχνη erfahren kann, und damit in eine Entleerung, durch welche das kunstmäßig Gewordene nur noch einen verborgenen, in seinen vollen Tiefen ja erst transzendental zu enthüllenden Sinn beschließt. Demnach verstehen wir, daß die Geschichte der Transzendentalphilosophie zunächst eine Geschichte immer neuer Versuche sein mußte, die Transzendentalphilosophie überhaupt erst an ihren Anfang zu bringen, und vor allem zu einem klaren und rechten Selbstverständnis dessen, was sie eigentlich wollen kann und muß. Ihr Ursprung ist eine „Kopernikanische Drehung“, nämlich eine prinzipielle Abwendung von der Begründungsart der naiv-objektivistischen Wissenschaft. In ihrer Urgestalt, als Keim tritt sie, wie wir wissen, in den ersten der Cartesianischen Meditationen auf, als Versuch einer absolut subjektivistischen Begründung der Philosophie vom apodiktischen Ego aus, aber unklar, vieldeutig und sogleich schon ihren echten Sinn verkehrend. Die neue Etappe, die Reaktion Berkeleys und Humes gegen die philosophische Naivität der mathematisch-naturwissenschaftlichen Exaktheit, führte noch nicht zum echten Sinn der geforderten Kopernikanischen Drehung, und wieder nicht der neue Anfang Kants, eine systematische Transzendentalphilosophie in streng wissenschaftlichem Geiste für immer zu begründen. Einen wirklichen Anfang, gewonnen durch eine radikale Ablösung von allen wissenschaftlichen und vorwissenschaftlichen Traditionen, hat Kant nicht erreicht. Er dringt nicht durch zu der absoluten,
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alles Seiende nach Sinn und Geltung konstituierenden Subjektivität und der Methode, sie in ihrer Apodiktizität zu erreichen, zu befragen und apodiktisch auszulegen. Notwendig war von da ab die Geschichte dieser Philosophie ein fortgesetztes Ringen eben um den klaren und echten Sinn der durchzuführenden transzendentalen Umwendung und Arbeitsmethode, anders ausgedrückt: um die echte „transzen | dentale Reduktion“. Die Gefahr der eindrucksvollen und doch unklaren Evidenzen oder, wenn man will, des Durchleuchtens der reinen Evidenzen in Form vager Antizipationen während des Arbeitens mit Fragestellungen auf ungeklärtem Boden (dem der „Selbstverständlichkeiten“) haben uns schon unsere kritischen Reflexionen über Kant deutlich gemacht, und damit 〈 ist 〉 auch schon verständlich 〈 geworden 〉 sein Abgedrängt-Werden in eine mythische Begriffsbildung und in eine Metaphysik des gefährlichen, jeder echten Wissenschaft feindlichen Sinnes. Alle transzendentalen Begriffe Kants, die des Ich der transzendentalen Apperzeption, der verschiedenen transzendentalen Vermögen, der des „Dinges an sich“ (des den Körpern wie Seelen zugrundeliegenden), sind konstruktive Begriffe, die einer letzten Klärung prinzipiell widerstehen. Das gilt erst recht von den späteren idealistischen Systemen. Hier lag der Grund für die in der Tat notwendigen Reaktionen gegen diese Systeme, gegen die ganze Art ihres Philosophierens. Gewiß konnte man sich bei williger Vertiefung in solch ein System der Kraft und Wucht der Gedankenbildungen nicht ganz versagen. Und doch erregte ihre letzte Unverständlichkeit bei allen, die an den großen und neuen Wissenschaften sich gebildet hatten, tiefe Unbefriedigung. Mochten auch diese Wissenschaften gemäß unserer Aufklärung und Rede eine bloß „technische“ Evidenz bieten und mochte die Transzendentalphilosophie niemals zu einer solchen τχνη werden können, so ist doch auch sie eine geistige Leistung, die in jedem Schritt klar und verständlich sein, die Evidenz des getanen Schrittes und seines Bodens haben muß, und hierin (so formal genommen) gilt für sie dasselbe wie für jede kunstmäßig geübte und technisch evidente Wissenschaft, etwa die Mathematik. Hier hilft es nichts, wenn man die Unverständlichkeit der transzendentalen Konstruktionen erklä-
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ren wollte durch eine im selben Geiste entworfene konstruktive Theorie der Notwendigkeit solcher Unverständlichkeiten; und wiederum nichts, wenn man suggerieren wollte, daß der überschwengliche Tiefsinn der transzendentalen Theorien entsprechende Schwierigkeiten des Verständnisses mit sich führe, die zu überwinden man allzu bequem sei. Soviel ist richtig, daß eine Transzendentalphilosophie überhaupt und in Wesensnotwendigkeit dem Verständnis des natürlichen Menschen – dem „common sense“ – außerordentliche | Schwierigkeiten bereiten muß, also uns allen, da wir unvermeidlich vom natürlichen Boden zur transzendentalen Region emporsteigen müssen. Die völlige Umkehrung der natürlichen Lebenshaltung, also in eine „unnatürliche“, stellt die denkbar größten Anforderungen an die philosophische Entschlossenheit und Konsequenz. Der natürliche Menschenverstand und der in ihm verhaftete Objektivismus wird jede Transzendentalphilosophie als Verstiegenheit, ihre Weisheit als unnütze Torheit empfinden, oder er wird sie als eine Psychologie interpretieren, die sich durchaus einbilden will, keine Psychologie zu sein. Kein wirklich für Philosophie Empfänglicher ist je durch Schwierigkeiten abgeschreckt worden. Aber der neuzeitliche Mensch, als der Mensch aus der Prägung der Wissenschaft, verlangt eine Einsichtigkeit, die, wie das Bild vom Sehen richtig andeutet, eine Evidenz des „Sehens“ der Ziele und Wege, und auf dem Wege in jedem Schritte, verlangt. Mag der Weg noch so lang sein und bedürfte es, wie in der Mathematik, vieler Jahre mühevollen Studiums – das schreckt nicht den, dem Mathematik Lebensinteresse ist. Die großen Transzendentalphilosophien genügten nicht dem wissenschaftlichen Bedürfnis nach solcher Evidenz, und darum wurden ihre Denkweisen verlassen. Kehren wir zu unserem Thema zurück, so werden wir danach, ohne mißverstanden zu werden, sagen dürfen: Hatte die zutagegetretene Unverständlichkeit der rationalistischen Aufklärungsphilosophie als „objektiver“ Wissenschaft die Reaktion der Transzendentalphilosophie hervorgerufen, so mußte die Reaktion gegen die Unverständlichkeit der versuchten Transzendentalphilosophien über sie hinausführen.
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Aber nun stehen wir vor der Frage: Wie ist es zu verstehen, daß ein solcher Stil sich in der Entwicklung der neuzeitlichen, vom Willen der Wissenschaft beseelten Philosophie in großen Philosophen und ihren Philosophien überhaupt ausbilden und fortpflanzen konnte? Diese Philosophen waren keineswegs so etwas wie Begriffsdichter. Es fehlte ihnen durchaus nicht das ernstliche Wollen, Philosophie als letztbegründende Wissenschaft zu schaffen, wie sehr man den Sinn letzter Begründung auch verwandeln mochte. (Man denke z. B. an die nachdrücklichen Erklärungen Fichtes in den Entwürfen seiner Wissenschaftslehre oder an die Hegels in der „Vorrede“ seiner „Phänomenologie des | Geistes“.) Wie kommt es, daß sie an ihren Stil mythischer Begriffsbildungen und einer Weltinterpretation in dunklen metaphysischen Antizipationen gebunden blieben und nicht zu einer wissenschaftlich strengen Begrifflichkeit und Methode durchdringen konnten und jeder Nachfolger der Kantischen Reihe von neuem eine Philosophie dieses Stils konzipierte? Im eigenen Sinn der Transzendentalphilosophie lag es, daß sie aus Reflexionen auf die Bewußtseinssubjektivität entsprang, in welcher die Welt, die wissenschaftliche wie die alltäglich-anschauliche, zur Erkenntnis, zu ihrer Seinsgeltung für uns kommt, und daß sie sich dadurch genötigt sah, eine rein geistige Weltbetrachtung auszubilden. Hatte sie es aber mit Geistigem zu tun, warum wandte sie sich nicht an die so eifrig seit Jahrhunderten betriebene Psychologie? Oder, wenn diese ihr nicht genügte, warum bildete sie nicht eine bessere Psychologie aus? Natürlich wird man antworten, der empirische Mensch, das psychophysische Wesen, gehört selbst zur konstituierten Welt nach Leib wie nach Seele. Also die menschliche Subjektivität ist nicht die transzendentale und die psychologischen Erkenntnistheorien eines Locke und seiner Nachfolger waren immerfort sich erneuernde Mahnungen vor dem „Psychologismus“, also vor jeder Verwertung der Psychologie zu transzendentalen Zwecken. Aber dafür hatte die Transzendentalphilosophie beständig ihr Kreuz der Unverständlichkeit zu tragen. Unvermeidlich blieb die Differenz zwischen der empirischen und der transzendentalen Subjektivität, und doch auch unvermeidlich, aber auch unverständlich, ihre Identität.
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Ich selbst als transzendentales Ich „konstituiere“ die Welt und bin zugleich als Seele menschliches Ich in der Welt. Der Verstand, der der Welt sein Gesetz vorschreibt, ist mein transzendentaler Verstand, und dieser formt mich selbst nach diesen Gesetzen, er, der doch mein, des Philosophen, seelisches Vermögen ist. Das sich selbst setzende Ich, von dem Fichte spricht, kann es ein anderes sein als das Fichtes? Wenn dies keine wirkliche Absurdität sein soll, sondern eine auflösbare Paradoxie, wie könnte eine andere Methode uns zur Klarheit verhelfen als die der Befragung unserer inneren Erfahrung und einer in ihrem Rahmen erfolgenden Analyse? Wenn von einem transzendentalen „Bewußtsein überhaupt“ gesprochen wird, wenn nicht Ich, als dies individuell-einzelne, Träger des | Natur-konstituierenden Verstandes sein kann, muß ich nicht fragen, wie ich über mein individuelles Selbstbewußtsein hinaus ein allgemeines, ein transzendental-intersubjektives haben kann? Das Bewußtsein der Intersubjektivität muß also zum transzendentalen Problem werden; aber es ist wieder nicht abzusehen, wie es das werden kann, es sei denn durch ein Mich-selbst-Befragen, und das wieder in innerer Erfahrung, nämlich nach den Bewußtseinsweisen, in denen ich Andere und eine Mitmenschheit überhaupt gewinne und habe, und wie es zu verstehen ist, daß ich in mir zwischen mir und Anderen unterscheiden und ihnen den Sinn „Meinesgleichen“ geben kann. Kann da die Psychologie gleichgültig sein, müßte sie nicht von all dem handeln? Die gleichen oder ähnliche Fragen richten sich wie an Kant an alle seine Nachfolger, die sich so sehr in dunkle Metaphysik oder „Mythik“ verlieren. Man sollte doch meinen, daß wir nur nach Erarbeitung eines wissenschaftlichen Begriffs von unserer menschlichen Vernunft und von menschlichen bzw. menschheitlichen Leistungen, also nur von einer echten Psychologie her, einen wissenschaftlichen Begriff selbst von einer absoluten Vernunft und ihren Leistungen gewinnen können. Die erste Antwort auf diese Fragen lautet, daß die Transzendentalphilosophie (auch die jedes anderen versuchten Stiles), abgesehen von der Sorge vor dem Psychologismus, Grund genug hatte, bei der Psychologie keinen Rat zu erhoffen. Das lag an der Psychologie selbst und an dem schicksalsvollen Irrweg,
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der ihr durch die Besonderheit der neuzeitlichen Idee einer objektivistischen universalen Wissenschaft more geometrico und darin des psychophysischen Dualismus aufgenötigt worden war. Ich will im weiteren zu zeigen versuchen (so paradox diese These hier erscheinen muß), daß gerade dieser Sinn-verfälschende Bann, der auf der Psychologie lag und der sie bis heute verhinderte, ihre eigentümliche Aufgabe zu erfassen, die Hauptschuld daran trägt, daß die Transzendentalphilosophie aus ihrer peinlichen Situation keinen Ausweg fand und darum in ihren der Schöpfung aus ursprünglicher Evidenz ganz und gar entbehrenden Begriffen und Konstruktionen steckenblieb, mit denen sie ihre an sich wertvollen empirischen Beobachtungen interpretierte. Hätte die Psychologie nicht versagt, so hätte sie eine notwendig vermittelnde Arbeit geleistet für eine konkret-handanlegende, von | allen Paradoxien befreite Transzendentalphilosophie. Die Psychologie versagte aber, weil sie schon bei ihrer Urstiftung als neuartige Psychologie neben der neuen Naturwissenschaft es unterließ, nach dem ihr als Universalwissenschaft vom psychischen Sein wesensmäßig allein echten Aufgabensinn zu fragen. Vielmehr ließ sie sich ihre Aufgabe und Methode von der Vorbildlichkeit der Naturwissenschaft her, bzw. von der Leitidee der neuzeitlichen Philosophie als objektiver und dabei konkreter Universalwissenschaft stellen – eine allerdings in der gegebenen historischen Motivation scheinbar ganz selbstverständliche Aufgabe. So fern lag in dieser Hinsicht jeder Zweifel, daß er überhaupt erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem philosophischen Denkmotiv wurde. Darum ist die Geschichte der Psychologie eigentlich nur eine Geschichte der Krisen. Und darum konnte die Psychologie auch der Entwicklung einer echten Transzendentalphilosophie nicht helfen, denn das war erst möglich nach einer radikalen Reform, in welcher ihr die wesenseigene Aufgabe und Methode aus tiefster Selbstbesinnung klar gestellt wurde. Das aber darum, weil die konsequente und reine Durchführung dieser Aufgabe von selbst und mit Notwendigkeit zu einer Wissenschaft von der transzendentalen Subjektivität und so zu ihrer Verwandlung in eine universale Transzendentalphilosophie führen mußte.
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§ 58 Verschwisterung und Verschiedenheit von Psychologie und Transzendentalphilosophie. Die Psychologie als das Feld der Entscheidungen
Dies alles wird verständlich werden, wenn wir zur Erhellung des schwierigen, ja paradoxen Verhältnisses von Psychologie und Transzendentalphilosophie von unseren systematischen Betrachtungen Gebrauch machen, durch welche wir uns den Sinn und die Methode einer radikalen und echten Transzendentalphilosophie klarmachten. Zweifellos ist uns schon geworden, daß eine wissenschaftliche Psychologie der neuzeitlichen Prägung – welche der vielen Entwürfe derselben seit Hobbes und Locke wir auch in Betracht ziehen – sich nie an den theoretischen Leistungen beteiligen, nie irgendwelche Prämissen für sie beistellen kann, welche die Transzendentalphilosophie als Aufgabe | hat. Die der neuzeitlichen Psychologie gestellte und von ihr übernommene Aufgabe war es, Wissenschaft zu sein von den psychophysischen Realitäten, von den Menschen und Tieren als einheitlichen, aber in zwei reale Schichten gegliederten Wesen. Hier bewegt sich alles theoretische Denken auf dem Boden der selbstverständlich vorgegebenen Erfahrungswelt, der Welt des natürlichen Lebens, und das theoretische Interesse ist nur spezialiter gerichtet auf die eine der realen Seiten, auf die Seelen, während die andere als schon von den exakten Naturwissenschaften nach ihrem objektiv-wahren An-sich-Sein erkannte bzw. noch weiter zu erkennende gemeint ist. Für den Transzendentalphilosophen ist aber die gesamte reale Objektivität, die wissenschaftliche Objektivität aller wirklichen und möglichen Wissenschaften, aber auch die vorwissenschaftliche der Lebenswelt mit ihren „Situationswahrheiten“ und der Relativität ihrer seienden Objekte, nun zum Problem, zum Rätsel aller Rätsel geworden. Das Rätsel ist gerade die Selbstverständlichkeit, in der für uns beständig und vorwissenschaftlich „Welt“ ist, als Titel für eine Unendlichkeit von allen objektiven Wissenschaften unentbehrlichen Selbstverständlichkeiten. Indem ich, der Philosophierende, in reiner Konsequenz auf mich reflektiere als das im Wandel der Erfahrungen und daraus entsprungener Meinungen beständig
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fungierende Ich, als das in ihnen Welt bewußthabende und mit ihr bewußt beschäftigte, werde ich, allseitig und konsequent nach Was und Wie der Gegebenheitsweisen und Geltungsmodi und der Weise der Ich-Zentrierung fragend, dessen inne, daß dieses Bewußtseinsleben durch und durch intentional leistendes Leben ist, in welchem die Lebenswelt mit allen ihren wechselnden Vorstellungsgehalten Sinn und Geltung teils neu gewinnt, teils immer schon gewonnen hat. Konstituierte Leistung in diesem Sinne ist alle reale, mundane Objektivität, auch die der Menschen und Tiere, also auch die der „Seelen“. Demnach gehört seelisches Sein, gehört auch objektive Geistigkeit jeder Art (wie menschliche Gemeinschaften, Kulturen) und desgleichen die Psychologie selbst zu den transzendentalen Problemen. Solche Probleme auf naiv-objektivem Boden und in der Methode der objektiven Wissenschaften behandeln zu wollen, wäre ein widersinniger Zirkel. | Gleichwohl sind Psychologie und Transzendentalphilosophie in eigentümlicher und untrennbarer Weise miteinander verschwistert – nämlich vermöge der für uns nicht mehr rätselhaften, sondern aufgeklärten Verschwisterung der Verschiedenheit und Identität von psychologischem (also menschlichem, in der raum-zeitlichen Welt verweltlichtem) und transzendentalem Ich, Ichleben und Leisten. Nach unseren Aufklärungen ist hier aus dem letzten Selbstverständnis zu sagen: in meinem naiven Selbstbewußtsein als Mensch, der sich in der Welt lebend weiß und für den Welt das All des für ihn Geltend-Seienden ist, bin ich für die ungeheuere transzendentale Problemdimension blind. Sie ist in einer verschlossenen Anonymität. Ich bin zwar in Wahrheit transzendentales Ego, aber dessen nicht bewußt, ich bin in einer besonderen Einstellung, der natürlichen, den Gegenstandspolen ganz hingegeben, ganz gebunden an die ausschließlich auf sie gerichteten Interessen und Aufgaben. Ich kann aber die transzendentale Umstellung – in welcher sich die transzendentale Universalität erschließt – vollziehen und verstehe dann die einseitig verschlossene natürliche Einstellung als eine besondere transzendentale, als die einer gewissen habituellen Einseitigkeit des gesamten Interessenlebens. Ich habe nun als neuen Interessenhorizont das ganze konstituie-
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rende Leben und Leisten in allen Korrelationen – ein neues unendliches Wissenschaftsgebiet –, wenn ich mich in die gehörige systematische Arbeit einlasse. In der Umstellung haben wir ausschließlich transzendentale Aufgaben; alle natürlichen Gegebenheiten und Leistungen gewinnen transzendentalen Sinn, und im transzendentalen Horizont stellen sie überhaupt neuartige transzendentale Aufgaben. So werde ich als Mensch und menschliche Seele zuerst Thema der Psychophysik und Psychologie; aber dann in höherer und neuer Dimension transzendentales Thema. Ich werde ja alsbald dessen inne, daß alle Meinungen, die ich von mir selbst habe, aus Selbstapperzeptionen stammen, aus Erfahrungen und Urteilen, die ich – reflexiv auf mich selbst gerichtet – gewonnen und mit anderen Apperzeptionen von meinem Sein, die ich im Konnex mit anderen Subjekten von diesen übernommen, synthetisch verbunden habe. Meine immer neuen Selbstapperzeptionen sind also fortgesetzt Erwerbe meiner Leistungen in der Einheit meiner Selbstobjektivierung, darin fortlaufend zu habituellen Erwerben geworden | bzw. dazu immer wieder werdend. Diese Gesamtleistung, deren letzter Ich-Pol ich selbst als „Ego“ bin, kann ich transzendental befragen und ihrem intentionalen Sinn- und Geltungsaufbau nachgehen. Hingegen als Psychologe stelle ich mir die Aufgabe, mich, das schon weltliche, mit dem jeweiligen realen Sinn objektivierte, sozusagen mundanisierte Ich – konkret die Seele – zu erkennen, eben in der Weise objektiver, natürlich mundaner (im weitesten Sinn) Erkenntnis, mich als Menschen unter den Dingen, den anderen Menschen, den Tieren usw. Wir verstehen also, daß in der Tat eine unlösliche innere Verschwisterung zwischen Psychologie und Transzendentalphilosophie gegeben ist. Nun ist aber von da aus auch vorauszusehen, daß ein Weg zu einer Transzendentalphilosophie über eine konkret ausgeführte Psychologie sich müsse führen lassen. Im voraus kann man sich doch sagen: vollziehe ich selbst die transzendentale Einstellung als eine Weise, mich über alle Weltapperzeptionen und meine menschlichen Selbstapperzeptionen zu erheben, und rein in der Absicht, die transzendentale Leistung, aus und in der ich Welt „habe“, zu studieren, so muß ich doch auch
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diese Leistung hinterher in einer psychologischen Innenanalyse wiederfinden, obschon dann in eine Apperzeption wieder eingegangen, also apperzipiert als Realseelisches, real bezogen auf den realen Leib1. Umgekehrt: eine radikale psychologische Entfaltung meines apperzipierenden Lebens und der darin jeweils erscheinenden Welt im Wie des jeweiligen Erscheinens (also des menschlichen „Weltbildes“) – das müßte doch im Übergang in die transzendentale Einstellung sofort transzendentale Bedeutung gewinnen, sowie ich nun in höherer Stufe stets auch für die objektive Apperzeption sinngebende Leistung in Rechnung ziehe, aus welcher das Weltvorstellen den Sinn von Realseiendem, von Menschlich-Seelischem hat, von meinem und anderer Menschen psychischem Leben, dem Leben, worin jedermann seine Weltvorstellungen | hat, sich als in der Welt seiend, in ihr vorstellend, in ihr nach Zwecken handelnd findet. Diese uns so naheliegende, obschon noch einer tieferen Begründung bedürftige Überlegung konnte allerdings vor der transzendentalen Reduktion nicht zugänglich sein; aber war die Verschwisterung von Psychologie und Transzendentalphilosophie nicht bei aller Unklarheit immerfort stark empfindlich? Und sie war ja in der Tat ein die Entwicklung ständig mitbestimmendes Motiv. Danach muß es zunächst verwunderlich erscheinen, daß die Transzendentalphilosophie seit Kant so gar keinen reellen Nutzen von der Psychologie zog, die doch seit Lockes Zeiten Psychologie auf dem Grunde der inneren Erfahrung sein wollte. Im Gegenteil, jede leiseste Beimengung von Psychologie sah jede nicht empiristisch-skeptisch abirrende Transzendentalphilosophie schon wie einen Verrat an 1
Lerne ich aufklären, von mir als Ego aus verstehen, wie andere Menschen für sich selbst Menschen nur sind und Welt als ständig für sie seiende in Geltung haben, als in welcher sie mit Anderen und mit mir leben, wie auch sie letztlich transzendentale Subjekte sind, in Leistungen der Welt- und Selbstobjektivierung, so wird man abermals sich doch sagen: Was meine transzendentale Aufklärung hinsichtlich der transzendentalen Selbstobjektivationen der Anderen ergibt, muß ich doch ihrem menschlichen, ihrem psychologisch einzuschätzenden Sein zurechnen.
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ihrem wahren Vorhaben an und stand in beständigem Kampfe gegen den Psychologismus, einem Kampfe, der die Wirkung haben wollte und hatte, daß der Philosoph sich um die objektive Psychologie gar nicht kümmern dürfe. Gewiß, erkenntnistheoretische Probleme psychologisch behandeln zu wollen, blieb auch nach Hume und Kant eine große Versuchung für alle, die aus ihrem dogmatischen Schlummer nicht zu erwecken waren. Hume blieb weiter, trotz Kant, unverstanden, gerade das systematische Grundwerk seines Skeptizismus, der „Treatise“, wurde wenig studiert; der englische Empirismus, d. h. die psychologistische Erkenntnistheorie Lockeschen Stiles, pflanzte sich, und sogar in üppiger Vegetation, weiter fort. So mußte allerdings die Transzendentalphilosophie mit ihren völlig neuen Fragestellungen immer auch gegen diesen Psychologismus ankämpfen. Aber darum handelt es sich in unserer jetzigen Frage nicht mehr, denn sie richtet sich nicht an die philosophischen Naturalisten, sondern an die wirklichen Transzendentalphilosophen, darunter an die Schöpfer der großen Systeme selbst. Warum kümmerten sie sich überhaupt nicht um die Psychologie, auch nicht um die analytische Psychologie aus innerer Erfahrung? Die schon angezeigte Antwort, die weitere Ausführungen und Begründungen fordert, lautet: die Psychologie hat seit Locke in allen ihren Gestalten, auch wenn sie analytische Psychologie aus „innerer Erfahrung“ sein wollte, ihre eigentümliche Aufgabe verfehlt. | Die ganze neuzeitliche Philosophie, im ursprünglichen Sinne als universale, letztbegründete Wissenschaft, ist nach unserer Schilderung, mindestens seit Kant und Hume, ein einziges Ringen zwischen zwei Wissenschaftsideen: der Idee einer objektivistischen Philosophie auf dem Boden der vorgegebenen Welt und derjenigen einer Philosophie auf dem Boden der absoluten, transzendentalen Subjektivität – letztere als ein historisch völlig Neuartiges und Befremdliches, mit Berkeley, Hume und Kant durchbrechend. An diesem großen Entwicklungsprozeß ist beständig die Psychologie und, wie wir sehen, in verschiedenen Funktionen beteiligt, ja sie ist das wahre Feld der Entscheidungen. Das ist sie, weil sie eben doch, wenn auch in einer anderen Einstel-
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lung und damit Aufgabenstellung, die universale Subjektivität, die in ihren Wirklichkeiten und Möglichkeiten nur eine ist, als Thema hat.
§ 59 Analyse der Umstellung aus der psychologischen Einstellung in die transzendentale. Die Psychologie „vor“ und „nach“ der phänomenologischen Reduktion. (Das Problem des „Einströmens“)
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Wir nehmen hier wieder den Gedanken auf, den wir vorhin als einen für uns schon transzendental-philosophisch eingestellten antizipierten und als der uns vorweg die Idee eines möglichen Weges von der Psychologie zur Transzendentalphilosophie nahelegt. In der Psychologie bringt es die natürlich-naive Einstellung mit sich, daß die menschlichen Selbstobjektivationen der transzendentalen Intersubjektivität, die wesensnotwendig zum Bestande der für mich und für uns als vorgegeben konstituierten Welt gehören, unweigerlich einen Horizont von transzendental fungierenden Intentionalitäten haben, der durch keine, auch keine psychologisch-wissenschaftliche Reflexion erschließbar ist. „Ich, dieser Mensch“ und ebenso „andere Menschen“ – das bezeichnet je eine Selbstapperzeption und Fremdapperzeption, die mit all dem ihr zugehörigen Psychischen ein transzendentaler Erwerb, ein in seiner Jeweiligkeit strömend sich wandelnder Erwerb ist, aus den in der Naivität verschlossenen transzendentalen Funktionen. Auf die transzendentale Geschichtlichkeit, aus der letztlich die Sinnes- und Geltungsleistung dieser | Apperzeptionen herstammt, kann nur im Bruch der Naivität, in der Methode der transzendentalen Reduktion zurückgefragt werden. In der ungebrochenen Naivität, in der alle Psychologie, alle Geisteswissenschaft, alle Menschengeschichte sich hält, bin ich, der Psychologe, wie jedermann im ständigen schlichten Vollzug der Selbstapperzeptionen und Fremdapperzeptionen. Ich kann dabei zwar auf mich, auf mein und Anderer Seelenleben, auf meine und Anderer wechselnde Apperzeptionen thematisch reflektieren, ich kann mich auch zurückerinnern, kann als Geisteswissenschaftler
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Geschichte sozusagen als Gemeinschaftserinnerung in thematischen Gang bringen, in theoretischem Interesse beobachtend Selbstwahrnehmungen und Selbsterinnerungen vollziehen und durch das Medium der Einfühlung fremde Selbstapperzeptionen verwerten. Ich kann nach meiner und Anderer Entwicklung fragen, der Geschichte sozusagen der Gemeinschaftserinnerung thematisch nachgehen, aber alle solche Reflexion hält sich in der transzendentalen Naivität, sie ist Vollzug der transzendental sozusagen fertigen Weltapperzeption, wobei das transzendentale Korrelat: die (aktuell und sedimentiert) fungierende Intentionalität, welche die universale Apperzeption ist, und für die jeweiligen besonderen Apperzeptionen die konstituierende, ihnen den Seinssinn von „psychischen Erlebnissen dieser und jener Menschen“ gebend, völlig verschlossen bleibt. In der naiven Einstellung des Weltlebens gibt es eben nur Weltliches: die konstituierten, jedoch nicht als das verstandenen Gegenstandspole. Die Psychologie ist so wie jede objektive Wissenschaft gebunden an den Bereich des vorwissenschaftlich Vorgegebenen, also an das, was in der allgemeinen Sprache nennbar, aussagbar, beschreibbar ist; in unserem Falle an das in der Sprache unserer Sprachgemeinschaft (weitest gefaßt: der europäischen) ausdrückbare Psychische. Denn die Lebenswelt – die „Welt für uns alle“ – ist identisch mit der allgemein zu beredenden. Jede neue Apperzeption führt durch apperzeptive Übertragung wesensmäßig zu einer neuen umweltlichen Typisierung, und im Verkehr zu einer Nennung, welche alsbald in die allgemeine Sprache einströmt. So ist Welt immer schon die empirisch allgemein (intersubjektiv) auslegbare und zugleich sprachlich auslegbare Welt. Mit dem Bruch der Naivität durch die transzendentalphäno | menologische Umstellung tritt aber nun eine bedeutsame Wandlung ein, bedeutsam für die Psychologie selbst. Als Phänomenologe kann ich zwar jederzeit in die natürliche Einstellung, in den schlichten Vollzug meiner theoretischen oder sonstigen Lebensinteressen zurückgehen; ich kann wieder wie sonst als Familienvater, als Bürger, als Beamter, als „guter Europäer“ usw. in Aktion sein, eben als Mensch in meiner Menschheit, in meiner Welt. Wie sonst – und doch nicht ganz
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wie sonst. Denn die alte Naivität kann ich nie mehr erlangen, ich kann sie nur verstehen. Meine transzendentalen Einsichten und Bezweckungen sind dann nur inaktuell geworden, sie sind aber weiter meine eigenen. Aber noch mehr: die früher naive Selbstobjektivation als empirisches menschliches Ich meines Seelenlebens ist in eine neue Bewegung geraten. Alle die neuartigen, an die phänomenologische Reduktion ausschließlich gebundenen Apperzeptionen, mit der neuartigen Sprache (neuartig, obschon ich die Volkssprache, wie es unvermeidlich ist, aber auch unter unvermeidlicher Sinnverwandlung verwende) – alles dieses früher völlig Verschlossene und Unsagbare strömt jetzt in die Selbstobjektivation ein, in mein Seelenleben, und wird als dessen neu freigelegter intentionaler Hintergrund konstitutiver Leistungen apperzipiert. Ich weiß es ja von meinen phänomenologischen Studien, daß ich, das naiv gewesene Ich, nichts anderes war als das transzendentale in dem Modus naiver Verschlossenheit, ich weiß, daß zu mir, dem als Menschen wieder schlicht apperzipierten Ich, unabtrennbar eine konstituierende Gegenseite gehört und damit erst meine volle Konkretion herstellt; ich weiß von dieser ganzen Dimension ins Endlose reichender, miteinander durchgängig verwobener transzendentaler Funktionen. Wie vordem das Seelische, so ist nun auch dieses neu Eingeströmte konkret in der Welt durch den körperlichen Leib, den wesensmäßig immer mitkonstituierten, lokalisiert; Ich-Mensch mit der mir nun zugemessenen transzendentalen Dimension bin irgendwo im Raume und irgendwann in der Weltzeit. Jede neue transzendentale Entdeckung bereichert also im Rückgang in die natürliche Einstellung mein und (apperzeptiv ohne weiteres) eines jeden Seelenleben. |
§ 60 Der Grund des Versagens der Psychologie: die dualistischen und physikalistischen Voraussetzungen
Diese wichtige Ergänzung unserer systematischen Ausführungen klärt den wesentlichen Unterschied des wesensmäßig beschränkten thematischen Horizontes, über den eine Psycholo-
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gie auf dem Boden der naiven Welthabe (also jede Psychologie der Vergangenheit bis zur transzendentalen Phänomenologie) prinzipiell nicht hinausdenken kann – von einem plus ultra konnte sie nicht einmal eine Ahnung haben – und auf der anderen Seite des neuen thematischen Horizontes, den eine Psychologie allererst durch das Einströmen des Transzendentalen in das seelische Sein und Leben von der transzendentalen Phänomenologie her, also nur durch Überwindung der Naivität, erhält. Damit ist die Verschwisterung der Psychologie und der Transzendentalphilosophie in neuer Weise erleuchtet und verstanden, es ist uns zugleich ein neuer Leitfaden für das Verständnis des Versagens der Psychologie in ihrer ganzen neuzeitlichen Geschichte an die Hand gegeben, über all das hinaus, was wir in unseren früheren systematischen Betrachtungen an beurteilenden Motiven gewonnen haben. Die Psychologie mußte versagen, weil sie ihre Aufgabe, die der Erforschung der konkret vollen Subjektivität, nur durch eine radikale, ganz vorurteilsfreie Besinnung erreichen konnte, die dann notwendig die transzendental-subjektiven Dimensionen erschließen mußte. Dazu bedurfte es offenbar ähnlicher Betrachtungen und Analysen in der vorgegebenen Welt, wie wir sie in einer früheren, an Kant anknüpfenden Vorlesung durchgeführt haben. War in dieser unser Blick zunächst von den Körpern in ihren lebensweltlichen Vorgegebenheitsweisen geleitet, so wäre in den hier erforderlichen Analysen der Ausgang zu nehmen von den Weisen, wie Seelen in der Lebenswelt vorgegeben sind. Ein ursprünglich besinnliches Fragen richtet sich jetzt darauf: was und wie Seelen – zunächst menschliche Seelen – in der Welt, der Lebenswelt, sind, also wie sie körperliche Leiber „beseelen“, wie sie in der Raumzeitlichkeit lokalisiert sind, wie eine jede seelisch ,,lebt“, indem sie „Bewußtsein“ hat von der Welt, in der sie lebt und bewußt ist, zu leben; wie eine jede „ihren“ Körper nicht | bloß überhaupt als einen besonderen Körper, sondern in einer ganz eigenartigen Weise als „Leib“ erfährt, als ein System seiner „Organe“, die sie ichlich (in ihrem Walten) bewegt, wie sie dadurch in die ihr bewußte Umwelt „eingreift“ als „ich stoße“, „ich schiebe“, „ich hebe“ dies und
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jenes usw. Die Seele „ist“ freilich „in“ der Welt, aber besagt das, daß sie in der Weise es ist wie der Körper und daß, wenn Menschen mit Leib und Seele in der Welt als reale erfahren sind, diese Realität der Menschen sowohl wie die ihrer Leiber und Seelen einen gleichen oder auch nur ähnlichen Sinn habe und haben könne wie die der bloßen Körper? Wie sehr der menschliche Leib auch zu den Körpern zählt, er ist doch „Leib“ – „mein Körper“, den ich „bewege“, in dem und durch den ich „walte“, den ich „beseele“. Ohne dergleichen bald recht weit Führendes gründlich und wirklich vorurteilslos zu erwägen, hat man gar nicht das Eigenwesentliche einer Seele als solcher (das Wort ganz unmetaphysisch verstanden, vielmehr rein im Sinne der ursprünglichsten lebensweltlichen Gegebenheit des Psychischen) in den Griff bekommen, und somit auch nicht das echte letzte Substrat für eine Wissenschaft von den „Seelen“. Statt dessen begann die Psychologie mit einem ganz und gar nicht ursprünglich geschöpften Begriff von Seele, sondern mit einem aus dem Cartesianischen Dualismus herstammenden Begriff, der durch eine schon vorangegangene konstruktive Idee einer körperlichen Natur und einer mathematischen Naturwissenschaft an die Hand gegeben war. So wurde die Psychologie vorweg mit der Aufgabe einer Parallelwissenschaft belastet und mit der Auffassung: die Seele – ihr Thema – sei Reales eines gleichen Sinnes wie die körperliche Natur, das Thema der Naturwissenschaft. Solange dieses Vorurteil der Jahrhunderte nicht in seinem Widersinn enthüllt wird, solange wird es keine Psychologie geben, welche Wissenschaft vom wirklich Seelischen ist, eben dem, das von der Lebenswelt her ursprünglich Sinn hat, an den die Psychologie – ähnlich wie jede objektive Wissenschaft – unweigerlich gebunden ist. Kein Wunder also, daß ihr jene stetige fortschreitende Entwicklung versagt blieb, die ihr bewundertes Vorbild, die Naturwissenschaft, zeigte, und daß kein erfinderischer Geist, keine methodische Kunst ihr Hineingeraten in immer neue Krisen hindern konnte. So erlebten wir eben erst eine Krisis der Psychologie, die noch vor | wenigen Jahren als internationale Institutspsychologie von der erhebenden Gewißheit erfüllt war, sich nun endlich der Naturwissenschaft gleichstellen zu können. Nicht als ob ihre Arbeit
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fruchtlos gewesen wäre. In wissenschaftlicher Objektivität waren mannigfaltige merkwürdige auf menschliches Seelenleben bezügliche Tatsachen entdeckt worden. Aber war das darum schon ernstlich eine Psychologie, eine Wissenschaft, in der man über das eigene Wesen des Geistes etwas erfuhr – ich betone von neuem: nicht über ein mystisch „metaphysisches“ Wesen, sondern über das eigene In-sich- und Für-sich-Sein, das doch durch die sogenannte „innere“ oder „Selbstwahrnehmung“ dem forschend-reflektierenden Ich zugänglich ist?
§ 61 Die Psychologie in der Spannung zwischen (objektivistisch-philosophischer) Wissenschaftsidee und empirischem Verfahren: die Unvereinbarkeit der beiden Richtungen psychologischer Forschung (der psychophysischen und der „Psychologie aus innerer Erfahrung“)
Jede wissenschaftliche Empirie hat ihr ursprüngliches Recht und auch ihre Würde. Aber für sich betrachtet, ist nicht jede schon Wissenschaft im ursprünglichsten und unverlierbaren Sinne, dessen erster Name Philosophie war; und damit auch nicht in dem Sinne der Neustiftung einer Philosophie oder Wissenschaft seit der Renaissance. Nicht alle wissenschaftliche Empirie ist als Teilfunktion solcher Wissenschaft entstanden. Doch nur, wenn sie diesem Sinne genugtut, kann sie wirklich eine wissenschaftliche heißen. Von Wissenschaft schlechthin ist aber nur da zu sprechen, wo innerhalb des unzerstückbaren Ganzen der universalen Philosophie eine Verzweigung der universalen Aufgabe eine in sich einheitliche Sonderwissenschaft erwachsen läßt, in deren Sonderaufgabe als Zweig die universale Aufgabe sich in ursprünglich lebendiger Gründung der Systematik auswirkt. Nicht jede beliebig für sich zu betreibende Empirie ist in diesem Sinne schon eine Wissenschaft, so viel praktischen Nutzen sie bringen und so viel bewährte methodische Kunst in ihr herrschen mag. Das betrifft nun die Psychologie insofern, als sie historisch, im ständigen Trieb, ihre Bestimmung als philosophische, also echte Wissenschaft zu er-
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füllen, in Unklarheiten ihres rechtmäßigen Sinnes verfangen bleibt und schließlich den Versuchungen | zur Ausbildung einer streng methodischen psychophysischen oder besser psychophysikalischen Empirie unterliegt und nun in der bewährten Zuverlässigkeit ihrer Methoden auch schon ihren Sinn als Wissenschaft erfüllt zu haben glaubt. Das aber und vor allem an ihr – als „der Stätte der Entscheidungen“ für eine richtige Gestaltung einer Philosophie überhaupt – in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken und in seiner ganzen Motivation und Tragweite klarzulegen, ist gegenüber der fachmännischen Psychologie der Gegenwart unsere, der Philosophen, Sache. In dieser Richtung des ursprünglichen Absehens auf eine, sagen wir: „philosophische“ Wissenschaftlichkeit lagen immer wieder und schon bald nach den Cartesianischen Anfängen einsetzende Motive der Unbefriedigung. Hier waren empfindliche Spannungen zwischen der seit Descartes historisch überkommenen Aufgabe, einerseits Seelen methodisch ganz so wie Körper und mit Körpern verbunden als raumzeitliche Realitäten zu behandeln – also die gesamte Lebenswelt als „Natur“ in erweitertem Sinne physikalistisch erforschen zu wollen – und andererseits der Aufgabe, Seelen in ihrem In-sich- und Für-sich-Sein auf dem Wege der „inneren Erfahrung“ zu erforschen – der primordialen inneren Erfahrung des Psychologen von seinem selbsteigenen Subjektiven – bzw. in intentionaler Mittelbarkeit auf dem Wege der ebenfalls nach innen gerichteten „Einfühlung“ (sc. nach dem Innern der thematischen anderen Personen). Beide Aufgaben schienen selbstverständlich methodisch und sachlich verbunden und wollten doch nicht zusammenstimmen. Die Neuzeit hatte sich von Anfang an den Dualismus der Substanzen und den Parallelismus der Methoden des mos geometricus, man kann auch sagen: das methodische Ideal des Physikalismus vorgezeichnet; wie vage und wie abgeblaßt es in der Übertragung wurde und wie wenig es auch nur zu ernstlichen Anfängen einer expliziten Durchführung kam, es war doch für die Grundauffassung des Menschen als psychophysische Realität und für alle Weisen, Psychologie ins Werk zu setzen, maßgebend, eine methodische Erkenntnis des Psychischen zustande zu bringen. Vorweg war also die Welt
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„naturalistisch“ gesehen, als doppelschichtige Welt realer Tatsachen, durch Kausalgesetzlichkeiten geregelt; demnach auch die Seelen als reale Annexe an ihren exakt-naturwissenschaftlich gedachten körperlichen Leibern, zwar von einer an | deren Struktur als die Körper, nicht res extensae, aber doch real in einem gleichen Sinne wie diese und in dieser Verbundenheit eben auch in gleichem Sinne nach „Kausalgesetzen“ zu erforschen: also in Theorien prinzipiell derselben Art wie die der vorbildlichen und zugleich fundierenden Physik.
§ 62 Vorerörterung des Widersinns der prinzipiellen Gleichstellung von Seelen und Körpern als Realitäten: Hinweis auf die prinzipielle Differenz der Zeitlichkeit, der Kausalität, der Individuation bei Naturding und Seele
Diese prinzipielle Gleichstellung von Körper und Seele in der naturalistischen Methode setzt offenbar voraus die ursprünglichere prinzipielle Gleichstellung derselben in ihrer vorwissenschaftlichen, in ihrer lebensweltlichen Erfahrungsgegebenheit. Körper und Seele bezeichneten danach zwei reale Schichten in dieser Erfahrungswelt, in ihr ähnlich gleichsinnig reell und real verbunden wie zwei Stücke eines Körpers; also konkret eines außer dem anderen, von ihm gesondert, nur geregelt verbunden. Aber schon diese formale Gleichstellung ist widersinnig; das ist wider das Eigenwesentliche der Körper und Seelen, wie 〈 es 〉 in der lebensweltlichen Erfahrung wirklich gegeben ist, für alle wissenschaftlichen Begriffe echten Sinn bestimmend. Heben wir zunächst einige der Naturwissenschaft und Psychologie gemeinsame und vermeintlich da und dort gleichsinnige Begriffe heraus, erproben wir diese Gleichsinnigkeit an dem, was die wirkliche Erfahrung vor den theoretischen Auflagen, die Sache der exakten Verwissenschaftlichung sind, als ganz ursprünglich sinnbestimmende zeigt, also an dem in schlichter lebensweltlicher Erfahrung als physisch und psychisch Gegebenen. Es gilt jetzt zu tun, was nie beiderseits ernstlich und nie radikal und in Konsequenz geschehen ist: von den wissen-
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schaftlichen Grundbegriffen zurückzugehen auf die Gehalte der „reinen Erfahrung“, radikal alle Präsumtionen exakter Wissenschaft, alle ihr eigentümlichen gedanklichen Auflagen beiseitezutun – also die Welt zu betrachten, als ob diese Wissenschaften noch nicht da wären, eben als Lebenswelt, so wie sie im Leben bei aller Relativität einheitliches | Dasein durchhält, sich in ihm geltungsmäßig ständig vorzeichnet. Reduzieren wir zunächst die Raumzeitlichkeit (Zeitlichkeit als Simultaneität und Sukzessivität) auf die dieser puren Lebenswelt, der im vorwissenschaftlichen Sinn realen. So gefaßt ist sie die Universalform der realen Welt, in der und durch die alles lebensweltlich Reale formbestimmt ist. Aber haben die Seelen im eigentlichen Sinne Raumzeitlichkeit, Inexistenz in dieser Form, so wie Körper? Daß das seelische Sein an und für sich keine räumliche Extension und Örtlichkeit hat, ist immer beachtet worden. Aber ist die Weltzeit (die Form der Sukzessivität) von der Räumlichkeit zu trennen, ist sie als volle Raumzeit nicht die eigenwesentliche Form der bloßen Körper, an welcher die Seelen nur indirekt Anteil haben? Ohne radikale Scheidung zwischen Lebenswelt und wissenschaftlich gedachter Welt war diese Leugnung der Räumlichkeit des Psychischen offenbar an dem wirklichen Erfahrungsgehalt orientiert. Wesensmäßig sind alle Objekte der Welt „verkörpert“, und eben darum haben alle an der Raumzeit der Körper „Anteil“; nach ihrem Nichtkörperlichen also „indirekt“. Das betrifft geistige Objekte jeder Art, zunächst die Seelen, aber auch geistige Objekte jeder anderen Art (wie Kunstwerke, wie technische Gebilde usw.). Nach dem, was ihnen die geistige Bedeutung gibt, sind sie durch die Weise, wie sie Körperlichkeit „haben“, „ver-körpert“. Sie sind in uneigentlicher Weise hier und dort und mitausgedehnt mit ihren Körpern. Ebenso indirekt haben sie auch ihr Gewesensein und künftiges Sein in der Raumzeit der Körper. Die Verkörperung der Seelen erfährt jedermann in ursprünglicher Weise nur an sich. Was Leiblichkeit eigenwesentlich ausmacht, erfahre ich nur an meinem Leib, nämlich an meinem ständig – und einzig in diesem Körper – unmittelbar Walten. Nur er ist ursprünglich sinnhaft mir gegeben als „Organ“, und als gegliedert in Teilorgane; ein jedes seiner
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Leibesglieder hat das Eigene, daß ich in ihm in Sonderheit unmittelbar walten kann: mit den Augen sehend, tastend mit den Fingern usw., also walten kann für ein jeweiliges Wahrnehmen, wie es eben in diesen Weisen liegt. Offenbar nur dadurch habe ich Wahrnehmungen und in weiterer Folge sonstige Erfahrungen von Objekten der Welt. Alles sonstige Walten und überhaupt alle Ichbezogenheit auf Welt ist dadurch vermittelt. Durch körperliches „Walten“ in Form von Stoßen, He | ben, Widerstehen und dergleichen wirke ich als Ich in die Ferne, primär auf das Körperliche der Weltobjekte. Nur mein waltendes Ichsein erfahre ich wirklich als es selbst, eigenwesentlich, und jedermann nur das seine. Alles solche Walten verläuft in Modis der „Bewegung“, aber nicht ist das „ich bewege“ des Waltens (ich bewege tastend, stoßend die Hände) an ihm selbst eine räumliche, eine körperliche Bewegung, die als solche jeder Andere wahrnehmen könnte. Mein Körper, im besonderen etwa der Körperteil „Hand“, bewegt sich im Raume; das waltende Tun der „Kinästhese“, das in eins mit der körperlichen Bewegung verkörpert ist, liegt nicht selbst im Raume als eine räumliche Bewegung, sondern ist darin nur indirekt mitlokalisiert. Nur von meinem original erfahrenen Walten her, als der einzig originalen Erfahrung der Leiblichkeit als solcher, kann ich einen anderen Körper als Leib, worin ein anderes Ich waltend sich verkörpert, verstehen, also abermals vermittelt, jedoch 〈 in 〉 einer Vermittlung von ganz anderer Art als jener sie fundierenden der uneigentlichen Lokalisation. Nur so sind für mich andere Ich-Subjekte „ihren“ Körpern fest zugehörig und sind da und dort in der Raumzeit lokalisiert, also uneigentlich dieser Form der Körper inexistent, während sie selbst und so die Seelen überhaupt, rein eigenwesentlich betrachtet, in ihr gar keine Existenz haben. In weiterer Folge hat aber auch – wenn wir uns an die ursprünglich Seinssinn begründende Lebenswelt halten – die Kausalität einen prinzipiell ganz anderen Sinn, ob von Naturkausalität die Rede ist oder von „Kausalität“ zwischen Seelischem und Seelischem und Körperlichem und Seelischem. Ein Körper ist, was er ist, als dieser bestimmt ein in seinem eigenen Wesen raumzeitlich lokalisiertes Substrat „kausaler“
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Eigenschaften1. | Nimmt man also die Kausalität weg, so verliert der Körper seinen Seinssinn als Körper, seine Identifizierbarkeit und Unterscheidbarkeit als physische Individualität. Das Ich aber ist „dieses“ und hat Individualität in sich und aus sich selbst, es hat nicht Individualität aus Kausalität. Freilich, durch die körperliche Leiblichkeit kann es in seiner Stellung im körperlichen Raume, die es als uneigentliche seinem körperlichen Leib verdankt, für jeden Anderen und damit für jedermann unterscheidbar werden. Aber die Unterscheidbarkeit und Identifizierbarkeit für jedermann in der Raumzeitlichkeit mit all den psychophysischen Bedingtheiten, die dabei ins Spiel treten, geben ihm nicht den mindesten Beitrag zu seinem Sein als ens per se. Als das hat es vorweg in sich seine Einzigkeit. Für es sind Raum und Zeit keine Prinzipien der Individuation, es kennt keine Naturkausalität, die ihrem Sinn nach von Raumzeitlichkeit unabtrennbar ist; sein Wirken ist ichliches Walten, und das geschieht unmittelbar durch seine Kinästhesen als Walten in seinem Leib, und erst mittelbar (da dieser auch Körper ist) auf andere Körper. 1
Das sagt lebensweltlich nichts anderes, als daß ein Körper als solcher vorweg mit seinem Erfahrungssinn explizierbar in seinen eigenwesentlichen Eigenschaften schon mit sich führt das, in seinem So-sein unter jeweiligen „Umständen“ zu sein. Zunächst: es gehört zur allgemeinsten Struktur der Lebenswelt, daß er sozusagen seine Gewohnheiten des Seins im So-sein hat, daß er in einem bekannten oder, wenn er uns „neu“ ist, von einem kennenzulernenden Typus ist, in dem die explikablen Eigenschaften typische Zusammengehörigkeit haben. Aber zur lebensweltlichen Formtypik gehört auch, daß Körper ihr typisches Miteinander haben, in Koexistenz (allem voran in einem jeweiligen Wahrnehmungsfeld) und in Sukzession – also eine beständige universale raum-zeitliche Typik. In dieser liegt es, daß jeder jeweils erfahrene Körper nicht nur überhaupt mit anderen Körpern notwendig zusammen da ist, sondern als typisch dieser unter typisch ihm zugehörigen, in einer typischen Form der Zusammengehörigkeit, welche in einer Sukzessionstypik verläuft. Demnach „ist“ jeder, 222 so wie er ist, unter „Umständen“; die Änderung von Eigenschaf | ten des einen verweist auf eigenschaftliche Änderungen im anderen – das aber so roh und relativ genommen, wie es selbst eigenwesentlich zur Lebenswelt gehört; von „exakter“ Kausalität, die auf idealisierende Substruktionen der Wissenschaft verweist, ist keine Rede.
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§ 63 Fragwürdigkeit der Begriffe „äußere“ und „innere Erfahrung“. Warum gehört die Erfahrung vom lebensweltlichen Körperding, als Erfahrung von etwas „bloß Subjektivem“, nicht bislang in das Thema der Psychologie?
Die prinzipielle Verkehrtheit, Menschen und Tiere ernstlich als Doppelrealitäten ansehen zu wollen, als Verband von je zwei verschiedenartigen, in ihrem Realitätssinn gleichzustellenden Realitäten, und danach die Seelen ebenfalls in der körperwissenschaftlichen Methode erforschen zu wollen, also naturkausal, raumzeitlich seiend wie Körper – ergab die vermeinte Selbstverständlichkeit einer der Naturwissenschaft analog zu gestaltenden Methode. Beides bedingte als begreifliche Folge den falschen Parallelismus „innerer“ und „äußerer“ Erfahrung. Beide Begriffe blieben nach Sinn und Funktion (ihrer wissenschaftlichen Funktion für Physik, Psychologie, Psychophysik) unklar. Beiderseits sind die Erfahrungen als in theoretischer Funktion | vollzogen gedacht: Naturwissenschaft soll auf äußerer, Psychologie auf innerer Erfahrung beruhen; in der ersteren sei die physische Natur, in der letzteren das psychische, das seelische Sein gegeben. Danach wird psychologische Erfahrung zu einem äquivalenten Ausdruck für innere Erfahrung. Genauer gesprochen: wirklich erfahren ist die vor aller Philosophie und Theorie schlicht seiende Welt, seiende Dinge, Stein, Tiere, Menschen. Erfahren ist dies im natürlichen Dahinleben als schlicht wahrnehmungsmäßiges „Da“ (als schlicht seiende, seinsgewisse Gegenwart) oder ebenso schlicht als erinnerungsmäßiges „Dagewesen“ usw. Schon zu diesem natürlichen Leben gehört mögliche und gelegentlich notwendige schlichte Reflexion. In den Blick tritt dann die Relativität, und es verwandelt sich das jeweilig als schlicht-daseiend Geltende in der Jeweiligkeit seiner Gegebenheitsweisen im Leben selbst in eine „bloß subjektive Erscheinung“; und zwar heißt sie Erscheinung für das im Blick auf den Wandel solcher „Erscheinungen“ sich – aber selbst wieder in Relativität – herauskorrigierende Eine, als das „Seiende selbst“. Und ebenso hinsichtlich der anderen
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Erfahrungsmodalitäten, bzw. ihrer korrelativen Zeitmodalitäten. Bringen wir uns dieses in anderem Zusammenhang schon sorgsam Durchdachte hier zu erneuter lebendiger Klarheit, so ergibt sich doch die Frage: warum figuriert nicht die ganze strömende Lebenswelt sogleich mit dem Beginnen einer Psychologie als „Psychisches“, und zwar als das erst-zugängliche Psychische, als erstes Feld der Auslegung in Typen unmittelbar gegebener psychischer Phänomene? Und korrelativ: warum heißt die Erfahrung, welche diese Lebenswelt wirklich als Erfahrung zur Gegebenheit bringt und darin – speziell im Urmodus Wahrnehmung – die bloßen körperlichen Dinge präsentiert, nicht psychologische Erfahrung, sondern in einem angeblichen Kontrast zur psychologischen Erfahrung „äußere Erfahrung“? Natürlich ergibt es Unterschiede in der Weise der lebensweltlichen Erfahrung, ob man Steine, Flüsse, Berge erfährt oder ob man reflektierend sein Erfahren davon erfährt und sonstiges ichliches Tun, eigenes oder auch fremdes, wie das Walten im Leibe z. B. Das mag ein für die Psychologie bedeutsamer Unterschied sein und zu schwierigen Problemen führen, aber ändert das etwas daran, daß alles Lebensweltliche offenbar ein „Subjektives“ ist? Kann | Psychologie als universale Wissenschaft ein anderes Thema haben als das gesamte Subjektive? Lehrt nicht eine tiefere – nicht naturalistisch verblendete – Besinnung, daß alles Subjektive einer unzerstückbaren Totalität angehört?
§ 64 Der Cartesianische Dualismus als Grund der Parallelisierung. – Vom Schema: beschreibende und erklärende Wissenschaft, ist nur das Formal-Allgemeinste berechtigt
Im Sinne der Galileischen Naturwissenschaft ist die mathematisch-physikalische Natur die objektiv-wahre; diese soll es sein, die sich in den bloß subjektiven Erscheinungen bekundet. Danach ist es klar, und wir haben früher schon darauf hingewiesen, daß die Natur der exakten Naturwissenschaft nicht die wirklich erfahrene Natur ist, die der Lebenswelt. Es ist
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eine aus Idealisierung entsprungene, der wirklich angeschauten Natur hypothetisch substituierte Idee. Die Denkmethode der Idealisierung ist das Fundament für die gesamte naturwissenschaftliche (rein körperwissenschaftliche) Methode der Erfindung von „exakten“ Theorien und Formeln, sowie für deren Rückverwertung innerhalb der in der Welt wirklicher Erfahrung sich bewegenden Praxis. Hierin liegt also die Antwort – die im jetzigen Gedankengang zureichende – auf die gestellte Frage: wie es kommt, daß die lebensweltliche Natur, dieses bloß Subjektive der „äußeren Erfahrung“, in der traditionellen Psychologie nicht zur psychologischen Erfahrung gerechnet, sondern diese der äußeren Erfahrung gegenübergestellt wird. Der Cartesianische Dualismus fordert die Parallelisierung von mens und corpus und die Durchführung der in ihr implizierten Naturalisierung des psychischen Seins, somit auch die Parallelisierung der geforderten Methodik. Freilich lag es an der Art der Übernahme der fertigen Geometrie der Alten, daß die ihren Sinn durchaus bestimmende Idealisierung fast vergessen, daß sie auf psychischer Seite als eine in Ursprünglichkeit und in einer dem Psychischen angemessenen Weise wirklich ausgeführte Leistung nicht gefordert, bzw. nicht vermißt wurde. Allerdings hätte sich dann zeigen müssen, daß sie auf dieser Seite in der Tat nichts zu suchen hat, da hier | von dergleichen wie Perspektivierung und Kinästhesen, von einer Messung oder einem Analogen der Messung keine Rede sein konnte. Das Vorurteil der gleichen Methode erzeugte die Erwartung, daß man – sie in entsprechender Abwandlung durchführend – ohne tiefere subjektiv-methodische Erwägungen zu einer festen Theoretisierung und einer methodischen Technik kommen würde. Aber es war eine vergebliche Hoffnung. Psychologie wurde nie exakt, die Parallelisierung war nicht wirklich durchführbar, und – wie wir verstehen – aus Wesensgründen. Denn das können wir hier schon sagen – wie viel auch noch für die sehr notwendige allseitige und letztliche Klarheit zu tun wäre, um auch zu verstehen, warum jede der Gestalten, in welchen die neuzeitliche dualistische und psychophysiologische (oder psychophysikalische) Psychologie doch in länge-
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ren Perioden den Anschein einer zielgerechten methodischen Durchführung haben und die Überzeugung eines fortgesetzten Gelingens als wirklich quellenmäßige Wissenschaft vom Psychischen sich erhalten konnte – oder auch: zu verstehen, warum die durchaus legitime und ganz unentbehrliche psychophysische Empirie nicht für den Weg und die Ausführung einer echten, dem Eigenwesen des Psychischen selbst genugtuenden Psychologie gelten konnte. Im voraus können wir jedenfalls schon aus einsichtigen Gründen sagen: Das Seelische, rein eigenwesentlich betrachtet, hat keine Natur, hat kein denkbares An-sich im naturalen Sinne, kein raumzeitlich kausales, kein idealisierbares und mathematisierbares An-sich, keine Gesetze nach Art der Naturgesetze; es gibt dort keine Theorien von einer gleichen Rückbezogenheit auf die anschauliche Lebenswelt, keine Beobachtungen und Experimente einer ähnlichen Funktion für eine Theoretisierung wie hinsichtlich der Naturwissenschaft – trotz aller Selbstmißverständnisse der empirisch-experimentellen Psychologie. Da aber die prinzipielle Einsicht fehlte, erhält sich die historische Erbschaft des Dualismus mit der Naturalisierung des Seelischen in Kraft, aber in einer vagen Unklarheit, die nicht einmal das Bedürfnis nach einer ursprungsechten Durchführung des Dualismus der exakten Wissenschaften beiderseits, die sein Sinn forderte, aufkommen ließ. So blieb auch das Schema deskriptive und theoretisch erklärende Wissenschaft wie selbstver | ständlich in Bereitschaft – wir finden es hinsichtlich der Psychologie in scharfer Betonung bei Brentano und Dilthey wieder –, wie überhaupt im 19. Jahrhundert, in der Zeit der leidenschaftlichen Bemühungen, nun endlich eine streng wissenschaftliche Psychologie zustande zu bringen, die sich neben der Naturwissenschaft sehen lassen könnte. Wir wollen aber damit keineswegs sagen, daß der Begriff einer reinen Deskription und einer deskriptiven Wissenschaft und in weiterer Folge sogar der Unterschied von beschreibender und erklärender Methode in der Psychologie überhaupt keine Anwendung finden dürfe; ebensowenig als wir leugnen, daß pure Körpererfahrung und Erfahrung von Seelischem, von Geistigem zu unterscheiden sei. Für uns gilt
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es, kritisch das naturalistische oder genauer das physikalistische Vorurteil der gesamten neuzeitlichen Psychologie bis in seine letzten Wurzeln durchsichtig zu machen, und zwar einerseits hinsichtlich der nie geklärten die Deskriptionen leitenden Erfahrungsbegriffe und andererseits 〈 hinsichtlich 〉 der Art der parallelisierenden und gleichartigen Interpretation des Kontrastes von beschreibenden und erklärenden Disziplinen. Es wurde uns schon klar, daß eine „exakte“ Psychologie als Analogie zur Physik (also der dualistische Parallelismus der Realitäten, Methoden, Wissenschaften) ein Widersinn ist. Danach kann es auch nicht mehr eine beschreibende Psychologie geben, die das Analogon einer beschreibenden Naturwissenschaft wäre. In keiner Weise, auch nicht im Schema: Beschreibung und Erklärung, kann sich eine Seelenwissenschaft nach der Naturwissenschaft richten, sich methodisch von ihr Rat holen. Sie kann sich nur richten nach ihrem Thema, sobald sie es selbst in seiner Eigenwesentlichkeit zur Klarheit gebracht hat. Nur das Formal-Allgemeinste bleibt übrig, daß man eben nicht mit entleerten Wortbegriffen operiere, sich nicht im Vagen bewege, sondern aus Klarheit, aus wirklich selbstgebender Anschauung oder, was dasselbe, aus Evidenz schöpfe, also hier aus der ursprünglichen lebensweltlichen Erfahrung bzw. dem Eigenwesentlichen des Psychischen, und nur aus ihm. Daraus ergibt sich, wie überall, ein anwendbarer und unentbehrlicher Sinn von Deskription und deskriptiver Wissenschaft sowie, in höherer Stufe, von „Erklärung“ und erklärender Wissenschaft. Erklärung, als höherstufige Leistung, besagt dann nichts anderes als eine Methode, welche den deskriptiven Bereich, | einen durch wirklich erfahrende Anschauung realisierbaren, überschreitet. Das geschieht auf Grund der „deskriptiven“ Erkenntnis, und als wissenschaftliche Methode in einem einsichtigen, in den deskriptiven Gegebenheiten sich zuletzt verifizierenden Verfahren. In diesem formal-allgemeinen Sinne gibt es für alle Wissenschaften die notwendige Fundamentalstufe der Deskription und die erhöhte Stufe der Erklärung. Das darf aber nur als formale Parallele genommen werden und muß in jeder Wissenschaft aus eigenwesentlichen Quellen seine Sinnerfüllung finden, und es darf der Begriff der letzten Verifika-
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tion nicht vorweg gleichwie in der Physik dadurch verfälscht werden, daß man als letztverifizierende Sätze irgendwelche der spezifisch physikalischen (das ist der mathematisch idealisierten) Sphäre annimmt.
§ 65 Die Prüfung des Rechtes eines empirisch begründeten Dualismus durch Einleben in das faktische Verfahren der Psychologen und Physiologen
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Wenn also Deskription so verstanden wird, so muß sie den Anfang der einzig ursprungsechten, einzig möglichen Psychologie charakterisieren. Aber es zeigt sich bald, daß Klarheit, echte Evidenz, wie überhaupt so besonders hier nicht billig zu erkaufen ist. Vor allem, wie schon angedeutet worden ist, sind die prinzipiellen Gründe gegen den Dualismus, gegen die schon den rein lebensweltlichen Erfahrungssinn verfälschende Zweischichtigkeit, gegen die vermeintlich im innersten Realitätssinn gleichartige (lebensweltliche) Realität von physischem und psychischem Sein, gegen eine Gleichartigkeit der Zeitlichkeit und Individualität zu philosophisch, zu prinzipiell orientiert, als daß sie auf den Psychologen und Wissenschaftler unserer Zeit überhaupt nachhaltigen Eindruck machen könnten, und selbst auf den „Philosophen“. Man ist der prinzipiellen Argumentationen müde, die doch zu keiner Einigung führen, da hört man von vornherein nur mit halbem Ohr zu und vertraut lieber der Kraft der in den großen Erfahrungswissenschaften vollbrachten und unzweifelhaften Leistungen, ihren wirklichen Methoden, ihrer wirklichen Arbeit der Erfahrung, natürlich der je ihrem Gebiet eigentüm | lichen, die Physiker der physikalischen, die Biologen der biologischen, die Geisteswissenschaftler der geisteswissenschaftlichen Erfahrung. Gewiß heißen sie mit Recht Erfahrungswissenschaften. Halten wir uns nicht an die Reflexionen, in denen sie sich über ihre Methode und Arbeit aussprechen – also philosophieren (wie etwa an die üblichen akademischen Gelegenheitsreden), sondern an die wirkliche Methode und Arbeit selbst, so ist es gewiß, daß sie darin zuletzt beständig auf Erfahrung rekurrieren. Versetzen
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wir uns aber in diese Erfahrung, so zeigt – wird man uns einwenden – sie doch sogleich selbst hinsichtlich des Körperlichen und Geistigen, daß die verkehrte dualistische Interpretation in den vermeintlichen Erfahrungssinn mit aufgenommen ist, und berechtigt den Forscher, dem eigentlich rein empirisch begründeten Dualismus genugzutun und mit innerer und äußerer Erfahrung, mit Zeitlichkeit, Realität und Kausalität so zu operieren, wie sie es tun; mag der Philosoph noch so eindringlich von prinzipiellem Widersinn sprechen, er kommt nicht auf gegen die Macht der Tradition. Nun sind wir selbst freilich weit entfernt davon, unsere Einwände preiszugeben, und zwar gerade darum, weil sie sich scharf unterscheiden von allem Argumentieren mit historisch überkommenen und nicht nach ihrem Ursprungssinn neu befragten Begriffen und weil sie eben selbst aus ursprünglichsten Quellen geschöpft waren, wie jede Nachprüfung unserer Darstellung überzeugen muß. Indessen, damit ist das Verfahren der arbeitenden Erfahrungswissenschaften, ist der Sinn und die Grenze ihres Rechtes nicht explizit klargestellt, und im besonderen hinsichtlich der Psychologie, unserem jetzigen Thema, nicht klargestellt ihr immerzu psychophysiologisches Verfahren – sein Recht und doch wieder seine Versuchungen, und das in allen primitiven methodischen Formen der älteren Zeiten wie auch in den höchstentwickelten, seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es ist nicht klar herausgestellt die Notwendigkeit der Scheidung von Körpererfahrung und Geisteserfahrung, und wieder das von da im voraus geltend gemachte Recht, auch die Körpererfahrung, so wie sie auch für den Psychologen beständig Bedeutung hat, ins Psychische hineinzunehmen, also seine Universalität zu einer allumspannenden zu machen. Das verwickelt freilich in paradoxe Schwierigkeiten. Aber Schwierigkeiten, welche eine gute, erfolgreich leistende Arbeit beiseite | schieben kann, können nicht von einer universalen Philosophie beiseitegeschoben werden, sondern müssen überwunden werden, sofern die Philosophie eben dazu da ist, alle Scheuklappen der Praxis und im besonderen der wissenschaftlichen Praxis abzutun und das wahre und eigentliche, das volle Absehen wieder zu wecken, ja zu retten, was Wissenschaft (und hier die Psychologie) als den
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ihr eingeborenen Sinn verwirklichen sollte. Somit ist es uns nicht erspart, auf den allgemeinsten Boden zurückzufragen, auf dem der Psychologie wie jeder objektiven Wissenschaft ihre möglichen Aufgaben erwachsen, eben auf den Boden der allgemeinen Erfahrung, auf dem die Erfahrungswissenschaften arbeiten, auf den sie sich also berufen, wenn sie – alle „Metaphysik“ ablehnend – nur den unverletzlichen Forderungen der Erfahrung zu folgen beanspruchen.
§ 66 Die Welt der allgemeinen Erfahrung; ihre regionale Typik und die in ihr möglichen Universalabstraktionen: „Natur“ als Korrelat einer universalen Abstraktion, Problem der „ergänzenden Abstraktion“
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Wir beginnen mit einer allgemeinen Überlegung, in der wir nur früher Gesagtes, aber vertiefend, wiederholen, um aus ursprünglich lebendiger Klarheit hier über die aufgeworfenen Fragen Entscheidendes sagen zu können. Wir wissen schon, daß alle theoretische Leistung objektiver Wissenschaft auf dem Boden der vorgegebenen Welt – der Lebenswelt – statthat, daß sie vorwissenschaftliches Erkennen voraussetzt, dessen zweckmäßige Umgestaltung. Die schlichte Erfahrung, in welcher die Lebenswelt gegeben ist, ist letzte Grundlage aller objektiven Erkenntnis. Korrelativ gesprochen: diese Welt selbst, als die (ursprünglich) rein aus Erfahrung vorwissenschaftlich für uns seiende, gibt in ihrer invarianten Wesenstypik im voraus alle möglichen wissenschaftlichen Themen an die Hand. Es kommt hier zunächst das Allgemeinste in Betracht: daß das Universum vorgegeben ist als ein Universum von „Dingen“. In diesem weitesten Sinn ist „Ding“ ein Ausdruck für letztlich Seiendes, letzte Eigenschaften, Relationen, Verbindungen „Habendes“ (als worin sein Sein sich auslegt), während es selbst nicht mehr in dieser Weise „Gehabtes“, sondern eben das Letzt„Habende“ ist – kurz gesagt (aber ganz unmetaphysisch) letz- | tes Substrat. Dinge haben je ihre konkrete Typik, sich ausprägend in den „Hauptworten“ einer jeweiligen Sprache. Alle
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Sondertypik wird aber übergriffen von der allerallgemeinsten, der „regionalen“ Typik. Im Leben ist sie das in seiner ständigen faktischen Allgemeinheit die Praxis Bestimmende, als wesensnotwendig tritt sie erst hervor in einer Methode theoretischer Wesensforschung. Ich nenne hier Unterschiede wie: lebendige und leblose Dinge; im Kreise der lebendigen die animalischen, d. i. nicht bloß triebhaft, sondern ständig auch in Ich-Akten lebenden, gegenüber den bloß triebhaft lebenden (wie den Pflanzen). Unter den animalischen Dingen sind ausgezeichnet die Menschen, und so sehr, daß erst von ihnen her die bloßen Tiere als ihre Abwandlungen Seinssinn haben. Unter den leblosen Dingen heben sich ab die humanisierten, vom Menschen her Bedeutung (z. B. Kultursinn) habenden Dinge, in abgewandelter Weise ferner die entsprechenden in ähnlicher Weise auf tierisches Dasein sinnhaft verweisenden Dinge, gegenüber den in diesem Sinne bedeutungslosen. Es ist klar, daß solche allgemeinsten Scheidungen und Gruppierungen von der Lebenswelt her, als der Welt ursprünglicher Erfahrung, für die Scheidungen wissenschaftlicher Gebiete bestimmend sind wie auch bestimmend sind vermöge des inneren Zusammenhanges und Übergreifens der Regionen für die inneren Zusammenhänge der Wissenschaften. Andererseits bestimmen auch universale, alle Konkretionen umspannende Abstraktionen zugleich mit Themen für mögliche Wissenschaften. Erst die Neuzeit ist diesen letzteren Weg gegangen, und gerade er kommt für uns hier in Frage. Die Naturwissenschaft der Neuzeit hat, als Physik sich etablierend, ihre Wurzel in der konsequenten Abstraktion, in der sie an der Lebenswelt nur Körperlichkeit sehen will. Jedes „Ding“ „hat“ Körperlichkeit, obschon es, wie ein Mensch oder ein Kunstwerk, nicht bloß körperlich ist, sondern nur, wie alles Reale, „verkörpert“. Die Welt reduziert sich in solcher mit universaler Konsequenz durchgeführten Abstraktion auf die abstrakt-universale Natur, das Thema der puren Naturwissenschaft. Hier allein hat zunächst die geometrische Idealisierung, dann alle weitere mathematisierende Theoretisierung ihren möglichen Sinn geschöpft. Sie beruht auf der Evidenz der „äußeren Erfahrung“, die in Wahrheit also eine abstraktive ist. Aber sie hat innerhalb der Abstrak | tion ihre Wesensformen
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der Auslegung, ihre Relativitäten, ihre Weisen, Idealisierungen zu motivieren usw. Wie steht es nun mit den menschlichen Seelen? Konkret erfahren sind Menschen. Erst nach der Abstraktion ihrer Körperlichkeit – innerhalb der universalen Abstraktion, welche die Welt auf eine Welt abstrakter Körper reduziert – entspringt die nun so selbstverständlich sich bietende Frage nach der „Gegenseite“, also der ergänzenden Abstraktion. Nachdem nunmehr die körperliche „Seite“ mit zur allgemeinen Aufgabe der Naturwissenschaft gehört und dort ihre theoretisch idealisierende Behandlung gefunden hat, ist die Aufgabe der Psychologie charakterisiert als die „ergänzende“: eben die seelische Seite einer entsprechenden theoretischen Behandlung zu unterziehen, und in einer entsprechenden Universalität. Ist damit, fast möchte es so scheinen, in einwandfreier Weise, nämlich wirklich auf dem bloßen Grund der lebensweltlichen Erfahrung und ohne jede metaphysische Ingerenz, die dualistische Wissenschaft vom Menschen begründet und der Psychologie ihr ursprünglicher Sinn zugewiesen? So vorerst für das Reich der Menschen, dann offenbar in gleicher Weise für das Tierreich. In weiterer Folge wäre damit – so scheint es – auch das Vorgehen der Wissenschaften von der sozialen und der versachlichten Geistigkeit (der Geisteswissenschaften) im voraus geordnet. Wie die korrelative Abstraktion lehrt, ist der Mensch doch (und so jedes animalisch Reale) ein doppelschichtiges Reales, als das gegeben in rein lebensweltlicher, in reiner Erfahrung, also ist erfordert für die regionale Wissenschaft vom Menschen selbstverständlich zunächst das, was man mitunter im Kontrast zur Sozialpsychologie Individualpsychologie nennt. Die Menschen, konkret in der Raumzeitlichkeit der Welt, haben ihre abstrakt abgehobenen Seelen an den Körpern verteilt, die in der rein naturalen Körperbetrachtung ein ganzheitlich in sich zu betrachtendes Universum bilden. Die Seelen selbst sind vermöge der Verkörperung ein Außereinander, also sie bilden nicht in ihrer eigenen abstrakten Schicht ein paralleles ganzheitliches Universum. Psychologie kann also nur Wissenschaft von dem Allgemeinen einzelner Seelen sein – das ergibt sich aus der Art, wie diese in ihrer Eigenwesentlichkeit durch den
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psychophysischen Zusammenhang, durch ihre Miteinordnung in die allgemeine Natur bestimmt | sind. Diese Individualpsychologie muß dann die Grundlage für eine Soziologie sein, und ebenso für eine Wissenschaft von der versachlichten Geistigkeit (der Sach-Kultur), die ja in ihrem eigenen Sinn auf den Menschen als Person, also auf Seelenleben verweist. Alles das ist auch analogisch – soweit eben die Analogie reicht – auf Tiere, tierische Gesellschaft, Umwelt in spezifisch tierischer Bedeutung zu übertragen. Ist mit dieser auf den Boden der lebensweltlichen Empirie, also der hier letztlich zu befragenden Evidenzquelle, zurückgeleiteten Überlegung der traditionelle Dualismus von Körperlichkeit und seelischer Geistigkeit, bzw. die dualistische Verbundenheit von Physiologie als Wissenschaft von der menschlichen (und auch tierischen) Körperlichkeit und andererseits von Psychologie als der Wissenschaft von der „seelischen Seite“ des Menschen, nicht gerechtfertigt? Ja mehr als das, ist er gegenüber der rationalistischen Tradition von Descartes her, der auch in den Empirismus hineinwirkte, nicht sogar verbessert, nämlich von aller metaphysischen Substruktion dadurch befreit, daß er nichts weiter sein will als getreuer Ausdruck dessen, was die Erfahrung selbst lehrt? Freilich so ganz ist das, in der Weise wie die „Erfahrung“ von den Psychologen und den Physiologen und den Physikern verstanden wird, nicht der Fall, und wir haben ihren für die Arbeit maßgeblichen Sinn gegenüber einer sehr gewöhnlichen Selbstinterpretation verbessert. Ein metaphysischer Rest liegt darin, daß die Naturwissenschaftler die Natur für konkret halten und die Abstraktion übersehen, in der ihre Natur zum wissenschaftlichen Thema gestaltet worden ist. Dadurch haftet auch den Seelen etwas von einer eigenen Substanzialität an, obschon eine unselbständige, da, wie die Erfahrung lehre, Seelisches nur in Verbindung mit Körpern in der Welt vorkommen könne. Aber ehe wir weitere und jetzt wichtige Fragen stellen konnten, mußten wir diesen Schritt tun. Wir mußten zunächst der Empirie zu ihrem Selbstverständnis verhelfen, wir mußten, was ihr anonymes Leisten war, durch Reflexion sichtlich machen, nämlich die beschriebene „Abstraktion“. Damit sind wir also der Empirie
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getreuer als die Psychologen und die Naturwissenschaftler; es fällt der letzte Rest der Cartesianischen Zweisubstanzentheorie, sofern eben Abstrakta nicht „Substanzen“ sind. |
§ 67 Dualismus der erfahrungsbegründeten Abstraktionen. Die geschichtliche Fortwirkung des empiristischen Ansatzes (von Hobbes bis Wundt). Kritik des Datenempirismus
Aber nun ist hier zu fragen, was vom Dualismus, was von der mit der Abstraktion zu einem neuen Recht gekommenen „Schichtung“ im Menschen und derjenigen der Wissenschaften wirklich sinnhaft ist und verbleibt. Wir haben absichtlich von unserer ersten Kritik dieses Dualismus, von unserem Hinweis auf die prinzipiell sekundäre Art der raumzeitlichen Lokalisation und Individuation des seelischen Seins, keinen Gebrauch gemacht, wir haben uns ganz in den psychophysisch-dualistischen Empirismus der Wissenschaftler einleben wollen, um im universalen Zusammenhang der totalen Erfahrungswelt als Urboden die Entscheidungen zu fällen. Neben neuen, für das Verständnis der echten Aufgabe der Psychologie, wie sich zeigen wird, grundwesentlichen Einsichten werden wir auch jene alten, oben genannten wiederfinden. Knüpfen wir an die besprochene Abstraktion an, die nur zu bald ihre verborgenen Schwierigkeiten enthüllen wird. Nehmen wir sie ganz schlicht und natürlich als unterschiedene Blick- und Interessenrichtung auf Grund der konkreten Erfahrung vom Menschen. Selbstverständlich können wir auf seine bloße Körperlichkeit hinachten und für sie konsequent einseitig interessiert sein, und ebenso wieder auf die Gegenseite, rein für sein Seelisches. Damit scheint auch der Unterschied von „äußerer“ und „innerer“ Erfahrung (und zunächst Wahrnehmung) ohne weiteres klar, in einem unverbrüchlichen Recht, wie auch die Scheidung des Menschen selbst in zwei reale Seiten oder Schichten. Auf die Frage, was der psychischen Seite zugehört und was dann davon Gegebenheit rein der inneren Wahrnehmung ist, wird man in gewohnter Weise
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antworten: es ist eine Person, Substrat personaler Eigenschaften, ursprünglicher oder erworbener psychischer Dispositionen (Vermögen, Gewohnheiten). Das aber weise zurück auf ein strömendes „Bewußtseinsleben“, einen zeitlichen Verlauf, in dem zunächst besonders der Zug der Ich-Akte hervortrete, aber auf einem Untergrunde passiver Zuständlichkeiten. Dieser Strom „psychischer Erlebnisse“ sei es, der in jener abstraktiven Einstellung auf Seelisches erfahren werde. Direkt und eigentlich wahrgenommen (und, wie man sogar meint, | in einer besonderen apodiktischen Evidenz) werde die Präsenzsphäre psychischer Erlebnisse eines Menschen nur von ihm selbst, als seine „innere Wahrnehmung“; diejenige der Anderen nur in der mittelbaren Erfahrungsweise der „Einfühlung“. So mindestens, wenn man nicht, wie es früher allgemein üblich war, diese Erfahrungsweise in einen Schluß umdeutet. Indessen all das ist keineswegs so einfach und selbstverständlich, wie es ohne nähere Überlegungen seit Jahrhunderten hingenommen wurde. Eine Psychologie aus der parallelen Abstraktion auf dem Grunde einer zur äußeren Wahrnehmung parallelen „inneren Wahrnehmung“ und der sonstigen psychologischen Erfahrung ist ernstlich in Frage zu stellen, ja so gefaßt prinzipiell eine Unmöglichkeit. Das betrifft offenbar jeden rein auf die erfahrende Anschauung sich berufenden Dualismus der zwei realen Seiten oder Schichten sowie der Wissenschaften vom Menschen. Historisch kommt für uns in Betracht die empiristische Psychologie und der in ihr seit den Zeiten eines Hobbes und Locke herrschend gewordene Sensualismus, der bis in unsere Tage hinein die Psychologie verdorben hat. Vermeintlich auf Grund der Erfahrung ist in dieser ersten Gestalt des Naturalismus die Seele als eine eigene reale Sphäre von psychischen Daten, für sich in der abgeschlossenen Einheit eines Bewußtseinsraumes, abgelöst. Die naive Gleichstellung dieser Gegebenheiten der psychologischen Datenerfahrung mit denen der Körpererfahrung führt zu einer Verdinglichung derselben; der beständige Blick auf die vorbildliche Naturwissenschaft verführt zur Fassung derselben als seelische Atome oder Atomkomplexe und zur Parallelisierung der Aufgaben beiderseits. Die seelischen
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Vermögen oder, wie man später zu sagen liebt, die psychischen Dispositionen werden zu Analoga der physischen Kräfte, zu Titeln für bloß kausale Eigenschaften der Seele, sei es der ihr eigenwesentlich zugehörigen, sei es der aus der kausalen Verbindung mit dem Leib entsprungenen – jedenfalls in einer beiderseits gleichartigen Fassung von Realität und Kausalität. Freilich sogleich in Berkeley und Hume künden sich die rätselhaften Schwierigkeiten einer solchen Seeleninterpretation an und drängen zu einem immanenten Idealismus, der das eine Glied der „Parallele“ aufzehrt. Aber bis ins 19. Jahrhundert ändert das an der tatsächlichen Arbeitsweise der vermeintlich der Erfahrung folgenden Psychologie und | Physiologie nichts. Der „idealistische“ Naturalismus der immanenten Philosophie jener Nachfolger Lockes ließ sich leicht in die dualistische Psychologie übertragen. Die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten, die der Humesche Fiktionalismus so fühlbar machte, überwand man – eben durch „Erkenntnistheorie“. Es waren ansprechende, aber leider dem echten Radikalismus ausweichende Reflexionen, dazu da, das, was man im natürlichen Bestreben, der Evidenz der Erfahrung zu folgen, ohnehin tut, nachträglich zu rechtfertigen. So erhält der sich vermehrende Erwerb an offenbar wertvollen empirischen Tatsachen den Anschein eines philosophisch zu verstehenden Sinnes. Ein Musterstück solcher der Wissenschaft nachfolgenden erkenntnistheoretisch-metaphysischen Interpretationen haben wir an den Reflexionen Wundts und seiner Schule, mit der Lehre von den „zwei Gesichtspunkten“, der theoretischen Auswertung der einen allgemeinen Erfahrung in einer doppelten „Abstraktion“. Scheinbar ist sie auf dem Wege, alle traditionale Metaphysik zu überwinden und zu einem Selbstverständnis der Psychologie und Naturwissenschaft zu führen, aber in Wahrheit wird nur der empirische dualistische Naturalismus umgedeutet in einen monistischen Naturalismus mit zwei parallelen Gesichtern – also eine Abwandlung des spinozistischen Parallelismus. Im übrigen verbleibt es in dieser Wundtschen wie in den anderen Weisen der Rechtfertigung der im empirischen Dualismus gebundenen Psychologie bei der naturalistischen Dateninterpretation des Bewußtseins nach der Lockeschen Überlie-
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ferung, was aber nicht hinderte, von Vorstellung, Wille, von Wert und Zwecksetzung als Bewußtseinsgegebenheiten zu sprechen, ohne radikal die Frage zu stellen, wie aus solchen Daten und ihrer psychischen Kausalität diejenige Vernunftaktivität verstanden werden soll, welche die Voraussetzung aller psychologischen Theorien, als ihrer Leistungen, ist, während sie doch in diesen Theorien selbst unter den Ergebnissen als ein Ergebnis auftreten soll.
§ 68 Die Aufgabe einer reinen Auslegung des Bewußtseins als solchen: die universale Problematik der Intentionalität. (Brentanos Reformversuch der Psychologie)
Das erste ist hier, die Naivität zu überwinden, welche das Bewußtseinsleben, in welchem und durch welches Welt für uns ist, | was sie ist – als Universum wirklicher und möglicher Erfahrung –, zu einer realen Eigenschaft des Menschen macht, real im gleichen Sinne wie seine Körperlichkeit; also nach dem Schema: in der Welt haben wir Dinge verschiedener Besonderheiten, darunter auch solche, die, was außer ihnen ist, erfahren, vernünftig erkennen usw. Oder, was gleich kommt, das erste ist, und zwar zunächst in der unmittelbaren reflexiven Selbsterfahrung, das Bewußtseinsleben ganz vorurteilslos als das zu nehmen, als was es sich da als es selbst ganz unmittelbar gibt. Da findet man in unmittelbarer Gegebenheit nichts weniger als Farbendaten, Tondaten und sonstige „Empfindungs“-daten oder Gefühlsdaten, Willensdaten usw., also nichts von dem, was in der traditionellen Psychologie wie selbstverständlich als das von vornherein unmittelbar Gegebene auftritt. Sondern man findet, wie schon Descartes (natürlich von seinen sonstigen Absichten sehen wir ab), das cogito, die Intentionalität in den wie alles umweltlich Wirkliche sprachlich ausgeprägten, vertrauten Gestalten: das „Ich sehe einen Baum, der grün ist; ich höre das Rauschen seiner Blätter, ich rieche seine Blüten“ usw.; oder „Ich erinnere mich an meine Schulzeit“, „Ich bin betrübt über die Erkrankung des Freundes“ usw. Nichts anderes finden wir da als „Bewußtsein von …“ – Bewußtsein in
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einem weitesten, in seiner ganzen Weite und seinen Modi erst zu erforschenden Sinne. Hier ist der Ort, des außerordentlichen Verdienstes zu gedenken, das sich Brentano dadurch erworben hat, daß er in seinem Reformversuch der Psychologie mit einer Untersuchung der eigentümlichen Charaktere des Psychischen (in Kontrastierung mit dem Physischen) begann und als einen der Charaktere die Intentionalität aufwies; also die Wissenschaft von den „psychischen Phänomenen“ hat es überall mit Bewußtseinserlebnissen zu tun. Leider blieb er aber im Wesentlichsten in den Vorurteilen der naturalistischen Tradition befangen, die noch nicht überwunden sind, wenn die seelischen Daten statt als sensuelle (sei es auch des äußeren und des inneren „Sinnes“) als Daten der merkwürdigen Art der Intentionalität gefaßt werden, wenn also m. a. W. der Dualismus, die psychophysische Kausalität in Geltung bleibt. Hierher gehört auch seine Idee einer deskriptiven Psychologie als Parallele deskriptiver Naturwissen | schaft, wie das parallele Vorgehen zeigt – mit der Stellung der Aufgabe der Klassifizierung und deskriptiven Analyse der psychischen Phänomene ganz im Sinne der altüberlieferten Interpretation des Verhältnisses deskriptiver und erklärender Naturwissenschaften. All das wäre nicht möglich gewesen, wenn Brentano zum wahren Sinn der Aufgabe durchgedrungen wäre, Bewußtseinsleben als intentionales zu erforschen, und zwar zunächst, da die Begründung der Psychologie als objektiver Wissenschaft in Frage war, auf dem Boden der vorgegebenen Welt. So hat er denn nur formell eine Psychologie der Intentionalität als Aufgabe gestellt, aber für sie selbst gar keinen Angriffspunkt gehabt. Dasselbe gilt von seiner ganzen Schule, die denn auch wie er selbst konsequent dabei blieb, das entscheidend Neue meiner „Logischen Untersuchungen“ (obschon sich in denselben seine Forderung einer Psychologie der intentionalen Phänomene auswirkte) nicht gelten zu lassen. Ihr Neues liegt keineswegs in den bloß ontologischen Untersuchungen, die einseitig, gegen den innersten Sinn des Werkes gewirkt haben, sondern in den subjektiv gerichteten Untersuchungen (vornehmlich der V. und VI. des II. Bandes von 1901), in denen zum ersten Male die cogitata qua cogitata als We-
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sensmomente jedes Bewußtseinserlebnisses, so wie es in echter innerer Erfahrung gegeben ist, zu ihrem Rechte kommen und nun sofort die ganze Methode der intentionalen Analyse beherrschen. So wird dort zuerst die „Evidenz“ (dieser starre logische Götze) zum Problem gemacht, von der Bevorzugung der wissenschaftlichen Evidenz befreit und zur allgemeinen originalen Selbstgebung erweitert. Es wird die echte intentionale Synthesis entdeckt an der Synthesis mehrerer Akte zu einem Akte, wonach in einzigartiger Verbindungsweise aus Sinn und anderem Sinn nicht bloß ein Ganzes, ein Verband wird, dessen Teile Sinne sind, sondern ein einziger Sinn, in welchem sie selbst, aber sinnhaft, beschlossen sind. Dabei meldet sich auch schon die Korrelationsproblematik, und so liegen in diesem Werke in der Tat die ersten, freilich sehr unvollkommenen Anfänge der „Phänomenologie“. |
§ 69 Die psychologische Grundmethode der „phänomenologisch-psychologischen Reduktion“. (Erste Charakteristik: 1. das intentionale Bezogensein und die Epoché; 2. Stufen der deskriptiven Psychologie; 3. Etablierung des „uninteressierten Zuschauers“)
Doch diese Kritik der Datenpsychologie und auch der Psychologie, welche in der Weise Brentanos die Intentionalität in Rechnung zieht, bedarf nun der systematischen Rechtfertigung. Betrachten wir die früher dargelegte Selbstverständlichkeit der vermeintlichen schlichten Erfahrungsbegründung des Dualismus, der parallelen Abstraktionen, der Scheidung von äußerer und innerer Erfahrung als der je der Naturwissenschaft und der Psychologie zugeordneten abstraktiven Erfahrungsarten etwas näher. Richten wir im besonderen unser Augenmerk auf die „innere“, die seelische Erfahrung, dann ist es nicht so, als ob wir in der schlichten Erfahrung eines Menschen, von aller Natur abstrahierend, nun schon ohne weiteres sein rein-seelisches Leben als eine ihm reell eigene Schicht intentionaler Erlebnisse fänden, also wirklich ein schlichtes Gegenstück der Abstraktion, die als Thema seine pure Kör-
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perlichkeit ergibt, erhielten. In der schlichten Welterfahrung finden wir Menschen intentional bezogen auf irgendwelche Dinge, Tiere, Häuser, Felder usw., d. h. als bewußtseinsmäßig von diesen affiziert, aktiv auf sie hinsehend, überhaupt wahrnehmend, aktiv sich ihrer erinnernd, über sie nachdenkend, planend, handelnd. Abstrahieren wir als Psychologen an einem Menschen von seinem körperlichen Leib (als zum naturwissenschaftlichen Thema gehörig), so ändert das nichts an diesen intentionalen Bezogenheiten auf weltlich Reales. Der Mensch, der sie vollzieht, ist dabei der Wirklichkeit der realen Dinge, mit denen er sich beschäftigt, gewiß, und auch der Psychologe, der jeweils einen Menschen im Thema hat und nachversteht, was dieser Mensch wahrnimmt, was er denkt, behandelt usw., hat hinsichtlich der betreffenden Dinge seine Gewißheiten. Hier ist wohl zu beachten: die schlicht natürlich erfahrenen und zur Aussprache kommenden Intentionalitäten einer Person (diese schon unter Abstraktion von der Leiblichkeit erfaßt) haben den Sinn realer Beziehungen zwischen der Person und anderen Realitäten. Diese Realitäten sind natürlich nicht Bestandstücke des | eigenen psychischen Wesens der Person, die sich auf die betreffenden Realitäten bezieht, während wir doch ihr Wahrnehmen, Denken, Werten usw. ihrem eigenen Wesen zuschreiben müssen. Um also das reine und eigentliche Thema der geforderten „deskriptiven Psychologie“ zu gewinnen, bedarf es einer vollbewußt geübten Methode, die ich – in diesem Zusammenhange als Methode der Psychologie – die phänomenologisch-psychologische Reduktion nenne. (Wie sie zur transzendentalen Reduktion steht, das lassen wir noch offen.) Als Psychologe stehe ich naiv auf dem Boden der anschaulich vorgegebenen Welt. In ihr verteilt sind die Dinge, die Menschen und Tiere mit ihren Seelen. Nun will ich exemplarisch und dann in Allgemeinheit das Konkret-Eigenwesentliche eines Menschen rein in seinem geistigen, seelischen Sein auslegen. Zu diesem Eigenwesentlichen der Seele gehören alle Intentionalitäten, beispielsweise die Erlebnisse des Typus „Wahrnehmen“, genau als die und wie sie die als Exempel dienende Person vollzieht, und ständig so, daß nichts mit hinein-
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genommen ist, was das Eigenwesen der Person, der „Seele“ überschreitet. Im Wahrnehmen ist sie sich des Wahrgenommenen bewußt. Aber ob nun das Wahrnehmen den Modus eines betrachtend-auslegenden Aktes hat oder den des passiv Bewußthabens des unbeachteten Hintergrundes des gerade Beachteten, es ist klar: wie es mit dem Sein oder Nichtsein des Wahrgenommenen steht, ob die wahrnehmende Person sich darüber täuscht, und auch, ob ich, der Psychologe, mich darin täusche, der ich im Nachverstehen ohne weiteres den Mitglauben an das Wahrgenommene vollziehe – das muß für mich als Psychologen außer Frage bleiben. Davon darf in die psychologische Deskription der Wahrnehmung nichts eingehen. Ob Sein oder Schein, es ändert nichts daran, daß das betreffende Subjekt in der Tat z. B. eine Wahrnehmung vollzieht, in der Tat das Bewußtsein hat: „da dieser Baum“, daß es dabei diejenige schlichte Gewißheit vollzieht, die zum Wesen des Wahrnehmens gehört, eben die des schlichten Daseins. Also alle wirklich unmittelbar deskriptiven Aussagen über Personen, über Ich-Subjekte, so wie sie schlicht erfahrungsmäßig gegeben sind, überschreiten notwendig das rein Eigenwesentliche dieser Subjekte. Nur durch die eigentümliche Methode der Epoché können wir es rein gewinnen. Sie ist eine Geltungsepoché, wir enthalten uns | im Falle der Wahrnehmung des Mitvollzugs der Geltung, die die wahrnehmende Person vollzieht. Das steht in unserer Freiheit. Eine Geltung kann man nicht ohne weiteres und willkürlich modalisieren, Gewißheit nicht in Zweifel, in Negation verwandeln, ebenso Gefallen in Mißfallen, Liebe in Haß, Begehren in Verabscheuen. Aber jeder Geltung kann man sich ohne weiteres enthalten, das ist, sie zu welchen Zwecken immer außer Vollzug setzen. Dazu ist aber weiteres zu überlegen. Jeder Akt ist für die Aktperson ein Gewißsein oder eine Modalität des Gewißseins (Zweifelhaftsein, Vermutlichsein, Nichtigsein) mit einem jeweiligen Inhalt. Zugleich aber hat auch dieses Gewißsein oder, wie wir auch sagen, In-Geltung-Haben wesentliche Unterschiedenheiten, z. B. Seinsgewißheit unterschieden von Wertgewißheit, wieder beides von praktischer Gewißheit (etwa der einer Vorhabe), und jede hat ihre Modalitäten. Zudem haben wir Verschiedenhei-
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ten der Aktgeltungen durch Implikation anderer Akte und der diesen eigenen implizierten Geltungen, z. B. durch das jeden Akt umgebende Horizontbewußtsein. Sehen wir davon ab, daß schon im Begriff des „Horizont“Bewußtseins, daß in der Horizontintentionalität sehr verschiedene Modi einer im gewöhnlichen engeren Wortsinn „unbewußten“ und doch auf weisbar mitlebendigen und sogar in verschiedenen Weisen mitfungierenden Intentionalität beschlossen sind, die ihre eigenen Geltungsmodalitäten haben und eigene Weisen, sie zu wandeln. Es gibt darüber hinaus immer noch, wie bei genauerer Analyse nachzuweisen ist, „unbewußte“ Intentionalitäten. Dahin würden ja die von der neueren „Tiefenpsychologie“ (mit deren Theorien wir uns darum nicht identifizieren) erschlossenen verdrängten Affekte der Liebe, der Demütigung, der „ressentiments“ und die davon unbewußt motivierten Verhaltungsweisen gehören usw. Auch sie haben ihre Geltungsmodi (Seinsgewißheiten, Wertgewißheiten, voluntären Gewißheiten und deren modale Abwandlungen), und so kommt für sie alle im voraus in Betracht, was wir uns am Beispiel der Wahrnehmung klargemacht haben. In Absicht auf eine reine Psychologie darf der Psychologe selbst niemals die wie immer verschiedenartigen Geltungen der sein Thema bildenden Personen mitgelten lassen, er darf überhaupt während seiner Forschung zu ihnen keine eigene Stellung nehmen und haben; und das universal und im voraus | hinsichtlich aller in ihnen noch unbekannten und in den Tiefen ihres Lebens für ihn noch verborgenen Intentionalitäten, natürlich auch unangesehen, ob sie für die Person selbst im besonderen Sinn bewußte oder unbewußte sind. Das umfaßt alle Habitualitäten, alle Interessen, zeitweilig dauernde oder das ganze Leben beherrschende. Im voraus, ein für allemal, enthält sich der Psychologe in seinem Berufsleben und dessen Berufszeiten eines jeden „Mitinteressiertseins“ an den Interessen seiner thematischen Personen. Sowie er dagegen verstieße, fiele er aus seinem Thema. Alsbald würden aus den Intentionalitäten, in denen Personen (rein seelisch) in sich selbst und für sich selbst sind, was sie sind, würden aus dem ihnen eigenen immanenten „Sich-Beziehen“ und Bezogensein reale Bezogenheiten wer-
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den, zwischen diesen Personen und irgendwelchen ihnen äußeren Gegenständen der Welt, in deren reale Bezogenheiten sie verflochten sind. Die deskriptive Psychologie hat aber ihr spezifisches Thema am rein Eigenwesentlichen der Personen als solcher, als Subjekten eines in sich ausschließlich intentionalen Lebens, das insbesondere als Einzelseele als ein eigener rein intentionaler Zusammenhang zu betrachten ist. Aber jede Seele steht auch in der Vergemeinschaftung mit anderen als intentional verbundenen, d. i. also in einem rein intentionalen, innerlich eigenwesentlich geschlossenen Zusammenhang, dem der Intersubjektivität. Das wird uns noch beschäftigen. Aber was uns hier als überaus merkwürdig entgegentritt, ist diese doppelte Weise der Subjekte, thematisch werden zu können; in doppelter Einstellung, so verschieden sie sind, doch wesensmäßig entsprechende Eigenschaften zu zeigen: einerseits ein rein innerliches Sich-Beziehen der Personen auf die ihnen bewußten, ihnen intentional geltenden Dinge innerhalb der ihnen intentional geltenden Welt. Andererseits das reale In-BeziehungSein der Personen als Realitäten in der realen Welt zu den Dingen dieser Welt. Die rein deskriptive Psychologie thematisiert die Personen in der reinen Inneneinstellung der Epoché, und das ergibt ihr Thema: Seele. Wir nehmen dabei den Begriff einer deskriptiven Psychologie natürlich ebenso weit wie den anderer deskriptiver Wissenschaften, die sich ja nicht an die bloßen Gegebenheiten der direkten Anschauung binden, sondern auch ihre Schlüsse machen auf solches, was durch keine wirklich erfahrende Anschauung als wirk | lich seiend realisierbar ist, nur daß es in analogisch abgewandelten Anschauungen repräsentierbar sein muß. So sind Geologie und Paläontologie „deskriptive Wissenschaften“, obschon sie in klimatische Perioden der Erde hineinreichen, in denen die analogischen Anschauungen der induzierten Lebewesen prinzipiell nicht für mögliche Erfahrung repräsentieren können. Ähnliches gilt natürlich für eine deskriptive Psychologie. Auch sie hat ihr Reich mannigfacher sehr mittelbar zu erschließender psychischer Phänomene. Voran geht aber das unmittelbar Erfahrbare. Sie gewinnt aber – sagten wir – ihr
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Thema überhaupt nur dank einer universalen Geltungsepoché. Ihre ersten Angriffspunkte hat sie wohl in den sich in der natürlichen Einstellung abhebenden realen Intentionalitäten, den Verhaltungsweisen der Menschen in Tun und Lassen. Und so faßt sie zunächst an ihnen durch Enthaltung von der Mitgeltung ein „Innerliches“. Aber damit wird sie noch nicht zur wirklich deskriptiven Psychologie; sie erreicht damit noch nicht ihr reines und in sich geschlossenes Arbeitsfeld, nicht eine „reine Seele“, nicht das in sich geschlossene Universum der reinen Seelen in seiner eigenwesentlichen und durchaus intentionalen Abgeschlossenheit. Dazu bedarf es, und zwar im voraus, einer universalen Epoché des Psychologen. „Mit einem Schlage“ muß er die Totalität aller Mitgeltungen außer Vollzug setzen an den Geltungen, welche explizit oder implizit die thematischen Personen vollziehen; und das sind alle Personen überhaupt. Denn die Psychologie soll ja die universale Wissenschaft von den Seelen sein, die Parallele zu der universalen Wissenschaft von den Körpern, und so wie diese im voraus Wissenschaft ist in einer universalen „Epoché“, in einer habituellen und im voraus gestifteten Berufseinstellung, abstraktiv nur das Körperliche in seinen eigenwesentlichen Zusammenhängen erforschen zu wollen, so die Psychologie. Danach fordert auch sie ihre habituelle „abstraktive“ Einstellung. Ihre Epoché betrifft alle Seelen, also auch die eigene des Psychologen selbst: darin liegt Enthaltung vom Mitvollzug seiner eigenen in Beziehung auf Reales der objektiven Welt in der Weise des natürlich-alltäglichen Lebens geübten Geltungen – als Psychologe. Der Psychologe etabliert in sich selbst den „uninteressierten Zuschauer“ und Erforscher seiner selbst wie aller Anderen, und das ein für allemal, das heißt für alle „Berufszeiten“ der psycholo | gischen Arbeit. Die Epoché muß aber wirklich universal und darin radikal durchgeführt sein. Sie darf nicht etwa gemeint sein als eine kritische, ob der Selbstkritik oder Fremdkritik, ob einer theoretischen, ob einer praktischen Kritik dienende Epoché. Sie darf auch nicht in einer allgemein philosophischen Absicht gemeint sein als eine universale Kritik der Erfahrung, der Erkenntnismöglichkeit von Wahrheiten an sich für eine objektiv seiende Welt; und natürlich auch nicht gemeint sein als eine
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skeptisch-agnostizistische Epoché. In all dem liegen Stellungnahmen. Der Psychologe aber darf als solcher innerhalb seiner Forschung, wie wir wiederholen, keine Stellung nehmen und haben, nicht zustimmend, nicht ablehnend, 〈 sich 〉 nicht in problematischer Schwebe haltend usw., als ob er hinsichtlich der Geltungen der ihm thematischen Personen mitzureden hätte. Solange er diese Haltung nicht als eine ernstliche und bewußt gestiftete erworben hat, hat er nicht sein wirkliches Thema erreicht, und sowie er sie durchbricht, hat er es schon verloren. Nur in dieser Haltung hat er die wesensmäßig einheitliche, in sich absolut abgeschlossene „Innen“-Welt der Subjekte und hat er die universale Gesamteinheit des intentionalen Lebens als seinen Arbeitshorizont: in Uroriginalität sein eigenes Leben, aber von da aus die Mitlebenden und ihr Leben, wobei eines jeden Leben mit seiner eigenen Intentionalität in das Leben eines jeden Anderen intentional hineinreicht und alle in verschiedenen näheren und ferneren Weisen in einem Miteinander des Lebens verflochten sind. Dem Psychologen, mitten darin, aber in seiner Einstellung des „uninteressierten Betrachters“, ist jedes intentionale Leben, wie es jedes Subjekt und jede besondere Subjektgemeinschaft selbst lebt, die Aktvollzüge, wahrnehmendes und sonstwie erfahrendes Tun, die wechselnden Seinsmeinungen, Willensmeinungen usw., thematisch zugänglich. So hat er überhaupt als sein nächstes und fundamentalstes Thema das reine Aktleben der Personen, also vorerst das Bewußtseinsleben im engeren Sinne. Es ist sozusagen die ihm zunächst sichtlich werdende Oberflächenseite dieser Geisteswelt, und erst allmählich erschließen sich die intentionalen Tiefen, andererseits auch erst in der vortastenden Erfahrungsarbeit die Methode und der systematische Zusammenhang der Sachen. Freilich bedurfte es der ganzen langen Geschichte der Philosophie und ihrer Wissenschaften, bis das Bewußtsein der | Notwendigkeit dieser radikalen Umstellung und die Entschlossenheit, sie in bewußter Konsequenz innezuhalten, motiviert sein konnte, und dazu die Einsicht, daß nur durch eine solche deskriptive Psychologie eine Psychologie überhaupt ihren eigentümlichen Wissenschaftssinn erfüllen und dem rechtmäßigen Sinn der psychophysischen Thematik
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in einer angemessenen Begrenzung ihres eigenen rechtmäßigen Sinnes genugtun kann.
§ 70 Die Schwierigkeiten der psychologischen Abstraktion“. (Paradoxie des „intentionalen Gegenstandes“, das intentionale Urphänomen des „Sinnes“)
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Nicht so einfach wie die Naturwissenschaft in einer schlicht zu vollziehenden universalen Abstraktion von allem Geistigen kann die Psychologie durch eine schlicht vollzogene Gegenabstraktion von allem bloß Körperlichen ihr Thema erreichen. Der Weg zu ihrem Selbstverständnis ist auch nach der als notwendig erkannten phänomenologischen Epoché durch außerordentliche Schwierigkeiten, ja durch befremdliche Paradoxien gehemmt, die der Reihe nach geklärt und überwunden werden müssen. Das soll uns nunmehr beschäftigen. An der Spitze steht die paradoxe Schwierigkeit der intentionalen Gegenstände als solcher. Wir knüpfen an die Frage an: was ist aus all den im „Bewußtsein“ der Subjekte in verschiedenen Geltungsmodi bewußten Gegenständen geworden, die vor der Epoché als real seiende (oder möglicherweise seiende oder auch nicht-seiende) gesetzt waren, wenn nun in der Epoché des Psychologen die Stellungnahme zu jeder solchen Setzung inhibiert sein soll? Wir antworten: gerade die Epoché macht den Blick frei nicht nur für die im rein intentionalen Leben verlaufenden Intentionen (die „intentionalen Erlebnisse“), sondern auch für das, was sie in sich selbst, in ihrem eigenen Was-Gehalt jeweils als ihren Gegenstand in Geltung setzen und in welcher Weise sie das tun: in welchen Geltungsmodalitäten bzw. Seinsmodalitäten, in welchen subjektiven Zeitmodalitäten, wahrnehmungsmäßig präsent, erinnerungsmäßig vergangen, d. i. präsent gewesen, usw.; mit welchem Sinngehalt, welchem Gegenstandstypus usw. Intention und intentionale Gegenständlichkeit als solche, und dann aber diese im „Wie ihrer Gegebenheitsweisen“, wird zunächst in der | Aktsphäre ein überreiches Thema. Es treibt bald genug fort zur vorsichtigen Erweiterung der korrelativen Begriffe und Probleme.
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Somit ist der Satz meiner „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie“, der, aus dem Zusammenhang der dortigen Darstellung der phänomenologischen Epoché gerissen, Anstoß erregen konnte, völlig korrekt: Von einem Baum schlechthin kann ausgesagt werden, er verbrenne, ein wahrgenommener Baum „als solcher“ kann nicht verbrennen; nämlich von ihm das aussagen, ist widersinnig; denn dann mutet man einer Komponente einer reinen Wahrnehmung, die nur als eigenwesentliches Moment eines Ich-Subjekts denkbar ist, zu, etwas zu tun, was nur für einen Körper aus Holz Sinn haben kann: zu verbrennen. Der Psychologe, solange er sich in reiner Deskription hält, hat als einzige Gegenstände-schlechthin die Ich-Subjekte und was „in“ diesen Ich-Subjekten selbst (aber dann nur durch jene Epoché) als ihr immanent Eigenes erfahrbar ist, um dann Thema für weitere wissenschaftliche Arbeit zu werden. Aber da findet er überall nicht nur Intentionen, sondern korrelativ in ihnen enthalten, in einer wesensmäßigen und völlig eigenartigen Weise des „Enthaltenseins“, die „intentionalen Gegenstände“. Sie sind nicht reelle Teile der Intention, sondern in ihr Gemeintes, ihr jeweiliger Sinn, und dies in Modalitäten, die nur für dergleichen wie „Sinn“ eben Sinn haben. Über Gemeintes von Meinungen, Bewußtes von Bewußtseinserlebnissen, Intendiertes von Intentionen – lauter Worte, die unvermeidlich in einer extrem erweiterten Bedeutung in einer phänomenologischen Psychologie gebraucht werden müssen – darf nicht bloß geredet werden, vielmehr muß das methodisch zum psychologischen Arbeitsthema werden. Das eine ist die Art der Datenpsychologie. Selbst Hume (und wie konnte er es vermeiden) sagt Impressionen von, Perzeptionen von Bäumen, Steinen usw., und so bis heute die Psychologie. Eben damit, mit der Blindheit für das intentionale Darinnensein, Etwas-im-Sinn-Haben, wie es auch umgekehrt in der Sprache heißt, verschloß sie sich die Möglichkeit wirklich intentionaler Analyse und, in der Gegenrichtung, der Thematik intentionaler Synthesis – das besagt nichts minderes als das gesamte Thema der eigenwesentlich-, also deskriptiv-psychologischen Forschung. Im außerpsychologischen Leben ist es ein Gewöhnliches, bald | auf personales
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Tun und Leiden, bald auf dessen „Sinn“ (auf das, was man „im Sinn hat“) eingestellt zu sein; und auch in der Sphäre der Wissenschaften haben wir in gewissen Interessenbeschränkungen die Thematik der Sinnauslegung, wie z. B. in der Philologie, in ihrer beständigen Reflexion und Rückfrage nach dem, was der die Worte Gebrauchende in seiner Rede im Auge hatte, welches seine erfahrende, seine gedankliche, seine praktische etc. Meinung war, was er im Sinn hatte. Aber nur wenn man mit einer universalen Konsequenz nichts anderes sehen will, nichts anderes in all seinen subjektiven Modi und in der universalen Konkretion des sinngebenden und sinnhabenden Lebens und seiner allumspannenden Synthesis aller Sinngebungen und Sinne verfolgen will, hat man rein psychologische Probleme, nie aber isoliert. Mit anderen Worten, nur derjenige, der in der universalen Epoché lebt und durch sie den universalen Horizont des reinen „Innenlebens“, des intentionalen Lebens als sinn- und geltungsleistenden hat, hat auch die wirkliche und echte und, wie ich betone, die absolut in sich geschlossene Problematik der Intentionalität – die der reinen Psychologie, die dann allen mit Psychischem beschäftigten Wissenschaften (den psychophysischen, biologischen) zugehört. Der Psychologe hat sie von seiner Originalsphäre aus, die aber nie für ihn isolierbar ist. Mit der Einfühlung seiner originalen Bewußtseinssphäre und mit dem von ihr her Stammenden, als einem in ihr nie fehlenden Bestand, hat er auch schon, wie wenig er zunächst darauf achten mag, einen universalen intersubjektiven Horizont. Natürlich konnte die Epoché als eine ausdrückliche methodische Grundforderung nur eine Sache nachkommender Reflexion dessen sein, der schon in einer gewissen Naivität und aus einer historischen Situation her in die Epoché sozusagen hineingezogen worden ist und schon ein Stück dieser neuen „Innenwelt“, gewissermaßen ein Nahfeld aus ihr, mit einem dunkel vorgezeichneten Fernhorizont, sich zu eigen gemacht hatte. So ist er erst vier Jahre nach Abschluß der „Logischen Untersuchungen“ zum ausdrücklichen, und selbst dann noch unvollkommenen Selbstbewußtsein ihrer Methode gekommen. Aber damit erstanden auch die außerordentlich schwierigen
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Probleme, die sich auf sie selbst, auf Epoché und Reduktion und ihr eigenes | phänomenologisches Verständnis und ihre außerordentliche philosophische Bedeutung bezogen. Ehe ich hier zur Behandlung dieser Schwierigkeiten und damit zur vollen Sinnentfaltung der psychologischen Epoché und Reduktion übergehe, sei noch ausdrücklich auf den nach der ganzen bisherigen Darstellung selbstverständlichen Unterschied im Gebrauch dieser beiden Worte eingegangen. In der reinen, d. i. im wahren Sinne deskriptiven Psychologie ist die Epoché das Mittel, um die Subjekte, die im natürlichen Weltleben als in intentional-realen Beziehungen zu weltlich realen Gegenständen stehend erfahren werden und sich selbst erfahren, in ihrer eigenwesentlichen Reinheit erfahrbar und thematisierbar zu machen. So werden sie für den absolut uninteressierten psychologischen Betrachter zu „Phänomenen“ in einem eigentümlich neuen Sinn – und diese Umstellung heißt hier phänomenologisch-psychologische Reduktion.
§ 71 Die Gefahr des Mißverstehens der „Universalität“ der phänomenologisch-psychologischen Epoché. Die entscheidende Bedeutsamkeit des richtigen Verständnisses
Wir gehen nun daran, einige grundwesentliche Punkte zu besprechen, um dadurch von verschiedenen Seiten den tieferen Sinn der Epoché und Reduktion und in weiterer Folge der reinen Psychologie selbst zutage zu bringen. In der Tat hat sie Tiefen und drängt sie zu Paradoxien, auf welche ein Psychologe, der kein anderes Absehen hat als auf eine objektive Wissenschaft von den Seelen, nicht gefaßt sein konnte. Unsere Darstellung wird ihn vielleicht doch veranlassen, seine Bewußtseinspsychologie auf ihren naturalistischen Sensualismus hin nachzuprüfen und anzuerkennen, daß eine wirkliche Psychologie einer universalen Epoché bedürfe. Zwar wird er zunächst wohl meinen, ohne sie ausdrücklich als Methode zu proklamieren, habe er sie stillschweigend schon geübt und in der Einstellung auf das Immanent-Eigene der Personen die ih-
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nen äußerlichen Realitäten in ihrem wahren Sein oder Nichtsein ausgeschaltet unter dem Titel von Beschreibungen in der inneren Wahrnehmung, inneren Erfahrung bzw. Einfühlung. Er wird aber vielleicht zugestehen, daß diese natürlich-naive Art, sich auf das „Innensein“ der Menschen zu richten, die ja auch dem vorwissenschaftlichen Leben | keineswegs fremd ist, nicht ausreiche und daß erst durch die bewußte Methode der universalen Epoché das reine In-sich- und Für-sich-Sein eines Subjekts in seiner vollen Konkretion zum thematischen Feld werden kann. Erst wenn ich, so muß er sehen und sich sagen, alles Außerpsychische, die im psychischen Leben geltende Welt ausgeschaltet habe und das rein psychische Universum eine geschlossene Welt für mich ist, wird es mir evident, oder wird die Evidenz zwingend, daß im Eigenwesen des Psychischen selbst beschlossen ist, daß es gegenstandmeinend ist etc. Universal habe ich dann strömende mannigfaltige Intentionalität und darin strömend-geltende Welt als solche: aber nicht so, daß dabei irgend etwas Nicht-Psychisches als Welt wirklich gesetzt ist. Vielleicht wird er auch noch zustimmen, wenn wir hier noch beifügen, daß es die psychophysiologische Einstellung war, das prävalierende Absehen auf Entdeckungen psychophysischer Kausalitäten oder Konditionalitäten, welche bislang den Psychologen die Empfindungsdaten bevorzugen ließ und ihn nicht nach ihrem deskriptiven Ort im intentionalen Zusammenhang und nach ihrem erst von dorther sich bestimmenden Sinn fragen ließ. Also da läge, mag er schließlich gestehen, in der Tat ein Wichtiges: die Thematik der Intentionalität, und zwar als ein korrelativer Titel. Und in der Tat ist dies im Sinne unserer ganzen Darstellung der Hauptpunkt, dessen man sich erst ganz versichern muß, um überhaupt anfangen zu können. Erst durch die universale Epoché sieht man als ein eigenes thematisches Feld, was reines Ichleben eigentlich ist: als ein intentionales Leben, in dessen Intentionalität Affiziertsein von den in diesem intentionalen Leben erscheinend geltenden intentionalen Gegenständen, auf sie in mannigfachen Weisen Gerichtetsein, mit ihnen Beschäftigtsein. Alle „Womit“ dieser Beschäftigung gehören selbst zur reinen Immanenz und müssen in ihren rein subjektiven Modi deskriptiv er-
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faßt werden, in ihren Implikationen mit allen darin liegenden intentionalen Mittelbarkeiten. Aber die Denkgewohnheiten einer jahrhundertelangen Tradition sind nicht so leicht zu überwinden und machen sich noch geltend, auch wenn man ihnen ausdrücklich entsagt. Der Psychologe wird innerlich doch dabei bleiben, daß diese ganze deskriptive Psychologie eine unselbständige Disziplin sei, die die körperwissenschaftliche Naturwissenschaft voraussetzt, und zu | gleich eine Vorstufe sei für eine psychophysiologisch, ev. psychophysikalisch erklärende Naturwissenschaft. Und wenn ihr selbst ein eigenständiges Dasein als rein deskriptive Psychologie zuzubilligen sei, so fordere sie jedenfalls eine „erklärende“ Psychologie neben sich (wie dies ja noch Brentanos und Diltheys Standpunkt am Ende des vorigen Jahrhunderts war). Der Anfänger (und jeder Instituts-Psychologe ist seiner Erziehung nach hier Anfänger) wird zunächst meinen, daß es sich hinsichtlich der reinen Psychologie nur um einen beschränkten Aufgabenkomplex handle, um eine nützliche, aber sekundäre Hilfsdisziplin. Zum Teil gründet diese Meinung in der Notwendigkeit, anfangen zu müssen mit den Verhaltungsweisen der Menschen, und in der Überlegung, daß diese als reale Relationen der Reduktion auf das dabei Innerseelische bedürfen. So erscheint es als selbstverständlich, daß eine notwendige universale Reduktion im voraus eben die Bedeutung des Entschlusses habe, immerfort einzelweise alle in der Welterfahrung vorkommenden Verhaltungsweisen der Menschen zu reduzieren und so das schon in der allgemeinen Sprache sich ausprägende Psychische, menschliches Tun und Leiden, grob gesagt: das Psychische der Aktsphäre in seiner empirischen Typik, in deren Sinn die psychophysische Kausalität immer mitspricht, ev. unter Beihilfe des Experimentes wissenschaftlich zu beschreiben. Das aber mit dem Zwecke, dann weiter ganz nach naturwissenschaftlicher Art zu induktiven Schlüssen befähigt zu werden und dadurch in das dunkle Reich des Unbewußten einzudringen, unter Bildung von neuen Begriffen, die Analoga und Modifikationen der eigentlich erfahrbaren Akte ausdrücken. So auf der psychischen Seite. In Rücksicht auf die Gegenseite der Physis erwachsen die mit dem rein Psychologischen ver-
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flochtenen psychophysischen Probleme. Ist daran irgend etwas zu bestreiten? Wird man irgendwie schwankend werden, wenn wir dazu bemerken, daß unter dem Titel „Verhaltungsweisen“ schließlich doch einzubegreifen sind alle Vorstellungen, Wahrnehmungen, Erinnerungen, Erwartungen, aber auch alle Einfühlungen, ferner alle Assoziationen, auch die in der Tat deskriptiv zu verfolgenden Abwandlungen der Akte in ihre Verdunkelungen, Sedimentierungen, auch alle Instinkte und Triebe, von den „Horizonten“ ganz zu schweigen – ? Jedenfalls, universale Reduktion wird bei aller Willentlich- | keit zu immanenter Deskription als Universalität der Einzelreduktion verstanden werden. Und dazu ein weiterhin sehr Wichtiges. Der Weg des Psychologen ist der von der Außenbetrachtung zur Innenbetrachtung; also vom Außereinander der Menschen und Tiere zur Betrachtung ihres inneren Seins und Lebens. Das Nächstliegende ist also, sich die Ausführung der universalen Reduktion – eben um der psychologischen Universalität den parallelen Sinn zur naturwissenschaftlichen Weltuniversalität zu geben – in der Weise zu denken, daß sie bei allen je durch Erfahrung und Induktion zugänglichen Einzelsubjekten einzelweise zu üben sei, und zwar bei jedem dann hinsichtlich der einzelnen Erlebnisse. Wie könnte es auch anders möglich sein? Die Menschen sind außer einander, sind getrennte Realitäten, also ihre seelischen Innerlichkeiten sind auch getrennt. Innenpsychologie kann also nur Individualpsychologie, Psychologie der Einzelseelen sein, und alles übrige ist Sache der psychophysischen Forschung, ebenso für das Tierreich und schließlich für die ganze Reihe organischer Wesen, wenn Gründe dafür sprechen, daß jedes organische Wesen überhaupt seine psychische Seite hat. Das alles scheint geradezu selbstverständlich. Somit wird man es zum Teil als eine gewaltige Übertreibung, zum Teil als eine Verkehrtheit aufnehmen, wenn ich im voraus sage: die rechtverstandene Epoché in ihrer rechtverstandenen Universalität verändert total alle Vorstellungen, die man sich je von der Aufgabe der Psychologie machen konnte, und enthüllt alles, was soeben als Selbstverständlichkeit hingestellt wurde, als eine Naivität, die notwendig und für immer unmöglich wird, sowie die Epoché
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und Reduktion wirklich, und zwar in ihrem vollen Sinne, verstanden und ausgeführt wird. Die phänomenologische Psychologie erschließt sich ihrem Sinne nach in verschiedenen Stufen, weil die phänomenologische Reduktion selbst – und das liegt in ihrem Wesen – ihren Sinn, ihre inneren notwendigen Forderungen, ihre Tragweite nur in Stufen erschließen konnte. Jede erforderte neue Reflexionen, neue Besinnungen, die ihrerseits nur möglich waren durch das Selbstverständnis und die geübte Leistung der anderen Stufen. Wie ich es auch auszudrücken pflegte, die phänomenologische Reduktion bedurfte, um ihren Totalhorizont zu gewinnen, einer „Phänomenologie der phänomenologischen Reduktion“. Aber | schon für die erste Stufe, auf der man noch auf Einzelsubjekte eingestellt ist und die Leistung der psychophysischen bzw. der biologischen Wissenschaft im Stande der offenen Frage halten muß, gilt es, daß man ihren Sinn erst mühsam sich erarbeiten muß und nicht so ohne weiteres schon von den behavioristischen Reduktionen her hat, mit denen man notwendig angefangen hat1. Mit dieser ersten Reduktion hat man noch nicht das Eigenwesentliche der Seele erreicht. Und so kann man sagen: die echte phänomenologisch-psychologische Epoché ist eine dem ganzen natürlichen Leben, aber auch dem Psychologen der Vergangenheit völlig fremde, künstliche Einstellung. Daher fehlte es für das Eigenwesentliche der Ich-Subjekte, für ihr Seelisches überhaupt an dem der wissenschaftlichen Deskription notwendigen Erfahrungsfeld und an der erst aus Wiederholung entspringenden Bekanntheitstypik. „Innere Wahrnehmung“ im Sinne der echten Psychologie und psychologische Erfahrung überhaupt, verstanden als die von den Seelen nach ihrem eigenen reinen Sein, ist so wenig ein Unmittelbares und Alltägliches und schon durch eine schlichte „Epoché“ des ersten Anfanges zu Gewinnendes, daß sie vor der Einführung 1
Ich sehe hier natürlich von den Übertreibungen der Behavioristen ab, welche überhaupt nur mit der Außenseite der Verhaltungen operieren, als ob damit das Verhalten nicht seinen Sinn verlieren würde, eben den ihm die Einfühlung, das Verständnis des „Ausdrucks“ gibt.
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der eigentümlichen Methode der phänomenologischen Epoché überhaupt nicht möglich war. Demnach mußte der phänomenologisch sich Einstellende erst sehen lernen, Übung gewinnen und in der Übung zunächst eine rohe und schwankende, dann immer bestimmtere Begrifflichkeit von seinem und Anderer Eigenwesentlichen erwerben. Eine wahre Unendlichkeit von deskriptiven Phänomenen wird dadurch erst allmählich sichtlich, und zwar in der stärksten und unbedingtesten aller Evidenzen, in der Evidenz dieser allein echten „inneren Erfahrung“. Das sieht freilich wie eine arge Übertreibung aus, aber nur für den von der Tradition gebundenen Anfänger, der, mit den Erfahrungen der Außen-Einstellung (der natürlichen anthropologischen Subjekt-Objekt-Einstellung, der psycho-mundanen) anhebend, zunächst meint, es handle sich um eine selbstverständ | liche bloße „Reinigung“ von der Behaftung mit realen Voraussetzungen, während der seelische Erfahrungsgehalt wesentlich schon bekannt und volkssprachlich ja ausdrückbar sei. Aber das ist ein Grundirrtum. Wäre das richtig, so brauchte man ja nur den aus der allgemeinen Erfahrung gewonnen Erfahrungsbegriff des Menschen als denkendes, fühlendes, handelndes, als Lust und Leid erlebendes Subjekt und dergleichen analytisch auszulegen; aber das ist sozusagen nur die Außenseite, die Oberfläche des Psychischen, das, was sich davon außenweltlich objektiviert hat. Es ist ähnlich wie beim Kind, das von den Dingen wohl als Dingen Erfahrungen hat, aber noch keine Ahnung von inneren Strukturen, die ja in seinen Dingapperzeptionen noch ganz fehlen. So fehlen dem Psychologen, der nicht im phänomenologischen Sinne, den die wahre Epoché ermöglicht, gelernt hat, das Oberflächliche als solches zu verstehen und nach seinen ungeheuren Tiefendimensionen zu befragen, alle eigentlich psychologischen Apperzeptionen und so alle Möglichkeiten, eigentlich psychologische Fragen zu stellen, als die Arbeitsfragen, die schon einen vorgezeichneten Sinneshorizont haben müssen. Also die angebliche „Reinigung“ oder, wie man öfters sagt: die „Klärung der psychologischen Begriffe“ macht das Psychische nur dann überhaupt erst zugänglich, bringt sein eigenes
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Sein überhaupt erst in Sicht und alles, was darin „liegt“, wenn man von den veräußerlichten Intentionalitäten in die inneren, sie intentional konstituierenden eindringt. Da lernt man überhaupt erst verstehen, was psychologische Analyse, und umgekehrt, was psychologische Synthesis eigentlich besagt und welche Abgründe des Sinnes sie von dem trennen, was man von den Wissenschaften der Außeneinstellung her unter Analysis und Synthesis verstehen konnte. Jene erste Epoché ist freilich der notwendige Anfang für eine rein seelische Erfahrung. Aber nun gilt es, bei dem rein Seelischen umschauend-eindringend zu verweilen und sich seiner Eigenwesentlichkeit in eigensinniger Konsequenz zu bemächtigen. Hätte der Empirismus seinem Namen mehr Ehre gemacht durch eine solche 〈 Bindung an reine Erfahrung 〉, dann hätte er die phänomenologische Reduktion nicht verfehlen können, und niemals hätten dann seine Beschreibungen ihn zu Daten und Datenkomplexen geführt, und die Geisteswelt in ihrer Eigenheit und un | endlichen Totalität wäre nicht verschlossen geblieben. Ist es nicht paradox, daß keine Psychologie der Tradition und bis heute auch nur eine wirkliche Auslegung der Wahrnehmung, auch nur des Sondertypus Körperwahrnehmung, oder der Erinnerung, der Erwartung, der „Einfühlung“ oder einer sonstigen Weise der Vergegenwärtigung geben konnte; ferner auch nicht eine intentionale Wesensdeskription des Urteils und ebenso eines sonstigen Klassentypus von Akten, auch nicht eine intentionale Aufklärung der Synthesen der Einstimmigkeit und Unstimmigkeit (in ihren verschiedenen Modalisierungen); daß man von den vielfältigen und schwierigen Arbeitsproblemen keine Ahnung hatte, die jeder dieser Titel in sich birgt? Man hatte nicht das Erfahrungsfeld, hatte sich nicht erarbeitet die spezielle psychologische Tatsachensphäre, das Feld der zu leistenden Beschreibungen; man stand gar nicht in wirklich psychologischer Erfahrung, die das Psychische zunächst unanalysiert vorgibt und durch seinen inneren und äußeren Erfahrungshorizont das intentional Aufzuweisende unbestimmt vorzeichnet. Was nützte also die zeitweise so oft und so nachdrücklich erhobene Forderung einer deskriptiven Psychologie, solange man nicht die Notwen-
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digkeit der universalen Epoché und Reduktion erkannt hatte, durch die man überhaupt erst Substrate der Deskriptionen und intentionalen Analysen und damit ein Arbeitsfeld zu gewinnen vermag? Ich kann nicht anders als leugnen, daß die bisherige Psychologie den Boden einer eigentlichen Psychologie wirklich betreten hat. Erst wenn eine solche Psychologie da ist, wird es möglich sein, die mannigfachen und zweifellos sehr wertvollen Tatsachen der Psychophysik und der an sie angelehnten Psychologie nach ihrem wirklichen psychologischen Gehalt auszuwerten und sich klarzumachen, was wirklich auf beiden Seiten die Beziehungsglieder der empirischen Regelungen sind. So groß ist die Macht der Vorurteile, daß nun schon jahrzehntelang die transzendentale Epoché und Reduktion in verschiedenen Stufen der Entwicklung zur Darstellung gekommen ist, ohne daß mehr erreicht worden ist als sinnverkehrende Übertragungen der ersten Ergebnisse der echten intentionalen Deskription in die alte Psychologie. Wie ernstlich das Wort von der Sinnverkehrung für solche Übertragungen zu nehmen ist, wer | den unsere weiteren Überlegungen zeigen, die – wie ich hoffe – als aus der letztgereiften Selbstbesinnung stammend, eine entsprechend tiefere Durchsichtigkeit und Klarheit ermöglichen. Zudem wird sich die Schwierigkeit beheben, die einem solchen „discours de la méthode“, wie er hier entworfen ist, dadurch anhaftet, daß die jahrzehntelangen konkreten Untersuchungen, die dahinter stehen, nicht als konkrete Unterlagen mitwirken können, zumal selbst die veröffentlichten Schriften erst von einem wirklichen, freilich immer sehr schwierigen Verständnis der Reduktion her eine echte Wirkung üben können. Warum das hier gesagt ist, obschon dort die Reduktion als transzendentalphilosophische eingeführt ist, das wird aus unserem weiteren Gange sehr bald klarwerden. Es ist jetzt unsere nächste Aufgabe, und eine für die Aufklärung des echten Sinnes der Epoché sehr dringliche, zur Evidenz zu bringen, daß jene Selbstverständlichkeiten der nächstliegenden Interpretation der Universalität, in welcher die Epoché vollzogen werden muß, in Wahrheit Selbstmißverständnisse sind. Es ist grundverkehrt, gemäß dem Ausgang von den Verhaltungsweisen der Menschen zur realen Umwelt, von
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ihrer einzelweisen Reduktion auf das Psychische, dann überhaupt zu meinen, daß universale Reduktion in der Einstellung bestehe, universal alle vorkommenden einzelnen Intentionalitäten reduktiv zu reinigen und sich dann mit diesen Einzelheiten zu beschäftigen. Gewiß, in meinem Selbstbewußtsein auf mich reflektierend, finde ich 〈 mich 〉 als in der Welt so lebend, daß ich von einzelnen Dingen affiziert bin, mit einzelnen beschäftigt bin, und so ergibt die Reduktion immerfort einzelne Vorstellungen, einzelne Gefühle, einzelne Akte. Aber ich darf da nicht, wie die Psychologie der „Daten auf einer Bewußtseinstafel“, das übersehen, daß diese „Tafel“ von sich selbst als Tafel Bewußtsein hat, in der Welt ist und Welt bewußt hat: ich habe immerfort bewußt einzelne Dinge der Welt, als die mich interessieren, bewegen, stören usw., aber ich habe dabei immerfort das Bewußtsein der Welt selbst, als in der ich selbst bin, obschon sie nicht wie ein Ding da ist, mich wie Dinge affizierend oder in einem ähnlichen Sinne Gegenstand der Beschäftigungen. Wäre Welt nicht als Welt bewußt, auch ohne daß sie gegenständlich sein könnte wie ein Objekt, wie könnte ich reflexiv Welt über | schauen und Welterkenntnis ins Spiel setzen, mich damit über das schlichte Geradehin-Leben, das immerzu auf Dinge geht, erhebend? Wie habe ich, wie haben wir alle ständig Weltbewußtsein? Jedes Ding, das wir erfahren, mit dem wir wie immer zu tun haben – und wir selbst, wenn wir auf uns reflektieren –, gibt sich selbst, wir mögen darauf achten oder nicht, als Ding in der Welt, als Ding im jeweiligen Wahrnehmungsfeld, dieses aber als bloßer wahrnehmungsmäßiger Ausschnitt aus der Welt. Wir können darauf achten und in diesen ständigen Welthorizont hineinfragen und tun es ja beständig. Die psychologische Reduktion hat also in eins das Bewußtsein vom Einzelding und seinen Welthorizont zu reduzieren, und so ist alle Reduktion welt-universal. Das ist ein Apriori für die Psychologie; kein Psychologe ist denkbar, der nicht, nach Psychologischem fragend, schon sein Weltbewußtsein hätte, bzw. in Wachbetätigungen mit Objekten wäre, die notwendig ihren Welthorizont mit sich führen, und 〈 der 〉, Andere vorstellend, sie anders vorstellen könnte
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denn ebenso wie sich selbst, als Menschen im Weltbewußtsein, das zugleich Selbstbewußtsein ist: Bewußtsein seiner selbst als in der Welt seiend. Das, und vielleicht noch manches ähnlicher Art, gehört also zum Anfangen, zur ersten Etablierung einer Psychologie, was zu übersehen ebenso verkehrt wäre, wie wenn der Physiker, der eine Körperlehre anfängt, übersehen würde, daß zum Wesen eines Körpers das Extensionale gehört. Aber freilich, was in der Begründung einer physikalischen Methode glatt vonstatten ging: die apriorischen Strukturen beachten, sich von ihnen leiten lassen, ja sie als ein eigenes wissenschaftliches Normensystem, als Mathematik, zum methodischen Fundament zu machen – das hatte, wenn eine Psychologie werden sollte, trotz aller scheinbaren Analogie mit der Physik außerordentliche und absonderliche Schwierigkeiten. Was in der physikalischen Methode ein relativ Leichtes ist, die universale Abstraktion der Natur vollziehen und sich ihrer in Idealisierung mathematisch bemächtigen, das verwickelt hier, wo die Gegenabstraktion einsetzen soll, Welt- und Selbstbewußtsein zum universalen Thema werden soll, aus tiefsten Gründen in schwierige methodische Vorbesinnungen. | Die Psychologie, die universale Wissenschaft von den reinen Seelen überhaupt – darin besteht ihre Abstraktion –, bedarf der Epoché, und sie muß für alle Seelen im voraus deren Weltbewußtsein reduzieren, jedes in seiner Jeweiligkeit, in seinen jeweiligen Beständen und Modalitäten. Dahin gehört eines jeden Selbstapperzeption mit dem Sinn der Geltungen, den Habitualitäten, den Interessen, den Gesinnungen usw., die jeder sich selbst jeweils zuspricht, den jeweiligen Erfahrungen, Urteilen, die er jeweils vollzieht usw., jeder in der Weise, wie er sich selbst erscheint, vermeint ist, aber auch zugleich vermeint ist als in der Welt seiend; 〈 all das 〉 ist zu reduzieren. Wir dürfen aber nicht die Frage unterlassen: Wie hat jeder des näheren Weltbewußtsein, während er Selbstapperzeptionen hat als dieser Mensch? Da sehen wir alsbald wieder als ein Apriori, daß Selbstbewußtsein und Fremdbewußtsein untrennbar ist; es ist undenkbar, und nicht etwa ein bloßes Faktum, daß ich Mensch wäre in einer Welt, ohne daß ich ein Mensch
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wäre. In meinem Wahrnehmungsfeld braucht niemand zu sein, aber Mitmenschen sind notwendig als wirkliche und bekannte und als offener Horizont möglicherweise begegnender. Ich bin faktisch in einer mitmenschlichen Gegenwart und einem menschheitlichen offenen Horizont, ich weiß mich faktisch in einem generativen Zusammenhang, im Einheitsstrom einer Geschichtlichkeit, in der diese Gegenwart die menschheitliche und die ihr bewußte Welt historische Gegenwart einer historischen Vergangenheit und einer historischen Zukunft ist. Das 〈 Weltbewußtsein 〉 kann ich freilich fiktiv und in Freiheit umgestalten, aber diese Form der Generativität und Geschichtlichkeit ist unzerbrechlich, ebenso wie die zu mir als EinzelIch gehörige Form meiner originalen Wahrnehmungsgegenwart als Gegenwart einer erinnerungsmäßigen Vergangenheit und einer voraussichtlichen Zukunft. Freilich, wieweit dieses Apriori inhaltlich reicht, wie es in strengen und festen Gesetzen zu formulieren ist, sozusagen als eine Ontologie des Welt- und Selbstbewußtseins, das ist eine große und offene Frage; aber jedenfalls eine Frage, die den Sinn der universalen Epoché angeht und das betrifft, was in ihr als reduziertes Phänomen der Innenpsychologie zu gewinnen ist, also als psychologisches Thema von Anfang an ins Auge zu fassen ist. Doch wir müssen hier noch genauer sein. Der Psychologe | wird natürlich die Epoché und Reduktion von sich aus und zuerst bei sich selbst vollziehen müssen; von seiner originalen Selbsterfahrung und dem ihm original eigenen Weltbewußtsein muß er ausgehen: die Selbstapperzeption seiner selbst als Menschen, dem er jeweils alles das zubilligt, was er ihm zubilligt – dieser gute Mensch zu sein oder dieser Sünder und mit all dem sonst, was er vermeintlich ist –, das alles verliert, indem er zum uninteressierten Betrachter seiner selbst wird, alle mitwirkende Geltung, während sie selbst mit allem Gelten und Geltenden als solchen zum Phänomen wird, so daß nicht das mindeste verloren gehen kann. Nur von all dem hat er ein originales Bewußtsein, das er reduziert als Erstes hat; darin sein Weltbewußtsein in der strömenden Jeweiligkeit und in seiner Geschichtlichkeit, mit allem, was er der Welt nach Raumzeitlichkeit und Inhalt zumeint. Durch die Reduktion wird diese Welt – und eine an-
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dere als die ihm geltende hat er nicht (eine andere hätte für ihn überhaupt keinen Sinn) – für ihn zum bloßen Phänomen. Wie in der Selbsterfahrung muß er aber auch in der Fremderfahrung, und im voraus in jeder möglichen Fremderfahrung, die Epoché durchgeführt haben; alle Menschen werden zu reinen Seelen, zu Ich-Subjekten von Selbst- und Weltapperzeptionen, die rein nach der Korrelation von Gelten und Geltendem thematisch werden dürfen. Aber nun überlegen wir uns, daß jeder in seinem Verkehr mit Anderen in seinem Weltbewußtsein zugleich das Bewußtsein von Fremden in der Jeweiligkeit dieses Fremden hat, daß in wunderbarer Weise seine Intentionalität in die des Anderen hineinreicht und umgekehrt, daß dabei eigene und fremde Seinsgeltung sich in Modi der Einstimmigkeit und Unstimmigkeit verbinden, daß immer und notwendig durch wechselseitige Korrektur schließlich einstimmiges Bewußtsein von derselben gemeinsamen Welt mit denselben Dingen zur Geltung kommt, denselben, die der Eine so auffaßt, der Andere anders. Eines jeden Weltbewußtsein ist vorweg schon Bewußtsein, und zwar im Modus der Seinsgewißheit, einer und derselben Welt für alle, für alle Bekannten und Unbekannten, für alle möglicherweise begegnenden Subjekte, die alle im voraus selbst Subjekte in der Welt sein müssen; ich von mir und jeder Andere von sich aus hat seine orientierte Welt, Welt, die Andere vor | aussetzt als sie selbst je von sich aus Andere habend, die selbst wieder Andere haben, und so in Mittelbarkeiten des intentionalen Konnexes vorausgesetzt sind als Subjekte für eine gemeinsame Weltapperzeption, während jeder seine eigene in seiner Selbstapperzeption hat. Und das in einem unaufhörlich strömenden Wandel, der stets auch Wandel wechselseitiger Korrektur ist. M. a. W., jeder von uns hat seine Lebenswelt, gemeint als die Welt für Alle. Jeder hat sie mit dem Sinn einer Poleinheit von subjektiv-relativ vermeinten Welten, die im Wandel der Korrektur sich in bloße Erscheinungen der Welt, der Lebenswelt für Alle, verwandeln, der immerfort sich durchhaltenden intentionalen Einheit, selbst ein Universum von Einzelheiten, von Dingen. Das ist die Welt, eine andere hat für uns überhaupt keinen Sinn; und in der Epoché wird sie zum Phänomen, und was
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nun verbleibt, ist nicht eine Vielheit von getrennten Seelen, jede auf ihre reine Innerlichkeit reduziert, sondern: so wie es eine einzige universale Natur gibt als einen in sich geschlossenen Einheitszusammenhang, so gibt es nur einen einzigen seelischen Zusammenhang, einen allheitlichen Zusammenhang aller Seelen, alle nicht äußerlich, sondern innerlich, nämlich durch das intentionale Ineinander der Vergemeinschaftung ihres Lebens, einig. Jede Seele, auf ihre reine Innerlichkeit reduziert, hat ihr Für-sich- und In-sich-Sein, hat ihr original eigenes Leben. Und doch, zu ihr gehört es, in original eigener Weise jeweiliges Weltbewußtsein zu haben, und zwar dadurch, daß sie Einfühlungserfahrungen hat, erfahrendes Bewußtsein von Anderen als Welthabenden, und dieselbe Welt habenden, d. i. in je eigenen Apperzeptionen apperzipierend. Wie jedes Ich-Subjekt ein originales Wahrnehmungsfeld hat, in einem freitätig zu eröffnenden Horizont, der zu immer neuen, immer wieder bestimmt-unbestimmt vorgezeichneten Wahrnehmungsfeldern führt, so hat ein jedes seinen Einfühlungshorizont, den seiner Mitsubjektivität, zu eröffnen durch direkten und indirekten Verkehr, mit der Verkettung der Anderen, je für einander Andere, die immer wieder Andere haben können usw. Das sagt aber, jeder hat orientierte Welt so, daß er einen Kern relativ originaler Gegebenheiten hat, und zwar als Kern eines Horizontes, der ein Titel für eine komplizierte und bei aller Unbestimmtheit doch mitgeltende und antizipierende Intentionalität | ist. Das sagt aber zugleich, daß in der lebendig strömenden Intentionalität, in der das Leben eines Ich-Subjektes besteht, in der Weise der Einfühlung und des Einfühlungshorizontes jedes andere Ich im voraus schon intentional impliziert ist. In der wirklich sich selbst verstehenden universalen Epoché zeigt es sich, daß es für die Seelen in ihrer Eigenwesentlichkeit überhaupt keine Trennung des Außereinander gibt. Was in der natürlich-mundanen Einstellung des Weltlebens vor der Epoché ein Außereinander ist, durch Lokalisation der Seelen an den Leibern, das verwandelt sich in der Epoché in ein reines intentionales Ineinander. Damit verwandelt sich die Welt, die schlicht seiende, und in ihr die seiende Natur, in das allgemeinschaftliche Phänomen „Welt“,
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„Welt für alle wirklichen und möglichen Subjekte“, von denen keines sich der intentionalen Implikation entziehen kann, der gemäß es in den Horizont eines jeden Subjekts vorweg hineingehört. So sehen wir mit Überraschung, wie ich denke, daß sich in der reinen Auswirkung der Idee einer deskriptiven Psychologie, die das Eigenwesentliche der Seelen zu Wort kommen lassen will, notwendig der Umschlag der phänomenologischpsychologischen Epoché und Reduktion in die transzendentale vollzieht; und wir sehen, daß wir hier nichts anderes getan haben und tun konnten als die Betrachtungen in Grundzügen zu wiederholen, die wir früher in ganz anderem Interesse – nicht in dem einer Psychologie als positiver Wissenschaft, sondern in dem einer universalen und dann transzendentalen Philosophie – durchführen mußten. Aber damit wiederholt sich denn auch die Notwendigkeit, die Korrektur an dieser nächstliegenden Weise der Epoché und Reduktion durchgeführt zu denken. Objektive Wissenschaftlichkeit auch in der Psychologie anstrebend, betrachten wir die Menschen eben wie sonstige Dinge in der Welt, auch für sie bedeutet Objektivität die Ausschaltung alles bloß Subjektiven, also auch unserer selbst als der fungierenden Subjektivität, in deren Fungieren der Seinssinn Welt überhaupt erwächst. Ich als Psychologe lasse es mir also gefallen, daß ich, und selbst in solchen auf intentionale Konstruktion der Welt schon gerichteten Überlegungen, Andere durch die Erfahrungsweise der Einfühlung als daseiende Wirklichkeiten habe, mit denen ich mich bloß verge | meinschaftet weiß. Aber wenn ich an mir und meinem Weltbewußtsein die reduzierende Epoché übe, sind damit auch die anderen Menschen – wie die Welt überhaupt – der Epoché verfallen, also für mich nur intentionale Phänomene. Somit führt die radikale und vollkommene Reduktion auf das absolut einzige Ego des sich damit zunächst absolut vereinsamenden reinen Psychologen, der als das nicht mehr die Selbstgeltung als Mensch hat und als in der Welt real Seiendes gilt, sondern das reine Subjekt ist seiner durch die radikale Reduktion universalen und reinen Intentionalität mit allen ihren intentionalen Implikationen. Dies ist das apodik-
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tische Ego, apodiktisch seiend in seinen in ihm selbst apodiktisch beschlossenen und aufzuschließenden Intentionalitäten. Und wenn in diesen – und dabei wesensmäßig – das Mitsein anderer Subjekte, aber als implizierter anderer Egos, somit die Urscheidung Ich und Anderer nachzuweisen ist, so ist das eine der Hauptaufgaben der reinen intentionalen Psychologie, auf dem Wege fortschreitender Reduktion der Weltgeltung die subjektive und reine Funktion verständlich zu machen, durch die Welt als die „Welt für uns alle“ von mir, dem Ego aus, Welt für alle ist, und mit dem jeweiligen Inhalt. Die leere Allgemeinheit der Epoché klärt noch nichts auf, sondern ist nur das Eingangstor, mit dessen Durchschreiten die neue Welt der reinen Subjektivität entdeckt werden kann. Die wirkliche Entdeckung ist Sache der konkreten, höchst diffizilen und differenzierten Arbeit. Ein Hauptergebnis muß nun noch mit einem Wort betont werden. Unsere Betrachtungen erwiesen, daß die Epoché nicht nur nicht in der Einzelreduktion innerhalb der einzelnen Seelen verfehlt wäre, sondern daß sie auch als Einzelreduktion von Seele zu Seele fortlaufend verfehlt wäre. Alle Seelen bilden eine einzige durch die Phänomenologie systematisch zu entfaltende Einheit der Intentionalität in wechselseitiger Implikation der Lebensströme der einzelnen Subjekte; was in der naiven Positivität oder Objektivität ein Außereinander ist, ist von Innen gesehen ein intentionales Ineinander. |
§ 72 Das Verhältnis der transzendentalen Psychologie zur transzendentalen Phänomenologie als der eigentliche Zugang zur reinen Selbsterkenntnis. Endgültige Beseitigung des objektivistischen Ideals bei der Wissenschaft von der Seele
Das überraschende Ergebnis unserer Untersuchung kann auch, wie es scheint, so ausgesprochen werden: eine reine Psychologie als positive Wissenschaft, eine Psychologie, die die in der Welt lebenden Menschen als reale Tatsachen in der Welt universal erforschen will, so wie andere positive Wissenschaften,
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Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, gibt es nicht. Es gibt nur eine transzendentale Psychologie, die identisch ist mit der transzendentalen Philosophie. In welchem Sinn das zu korrigieren ist, müssen wir jetzt überlegen. Es wäre natürlich verkehrt zu sagen, es könne keine Psychologie als Wissenschaft auf dem Boden der vorgegebenen Welt, also schlechthin von Menschen (und dann Tieren) in der Welt geben. Gewiß ist, daß keine Psychologie in diesem Sinne möglich ist, ohne nach dem rein Eigenwesentlichen des seelischen Seins zu fragen, und ebenso gewiß ist, daß dies nicht sozusagen gratis zu haben ist, als etwas, worauf man nur hinzusehen braucht und das schon da ist, wenn auch unbeachtet. Alles, was so da ist, gehört zur Welt als dem, der es so sieht, Apperzipierten und fällt mit in den Bereich des zu Reduzierenden. Wenn aber die universale Epoché, die alles Weltbewußt-Haben umgreifende, nötig ist, verliert der Psychologe während dieser Epoché den Boden der objektiven Welt. Also reine Psychologie in sich selbst ist identisch mit Transzendentalphilosophie als Wissenschaft von der transzendentalen Subjektivität. Daran also ist nicht zu rütteln. Aber nun erinnern wir uns, was wir vorweg über die phänomenologische Reduktion als eine Umstellung von der natürlichen weltlichen Einstellung aus erkannt haben. Aus der Umstellung können wir wieder in die natürliche Einstellung zurückkehren, die reine Psychologie hat, sagten wir im voraus, wie jede Wissenschaft und jeder Lebensberuf ihre Berufszeit und die Epoché ihrer Berufszeit. In der Zeit, in der ich transzendentaler oder reiner Phänomenologe bin, bin ich ausschließlich im transzendentalen Selbstbewußtsein und bin ausschließlich als transzendentales Ego nach allem darin intentional Implizierten mein Thema. Hier gibt es nichts von Ob | jektivität schlechthin, hier gibt es Objektivität, Dinge, Welt und Weltwissenschaften (also alle positiven Wissenschaften und Philosophien inbegriffen) nur als meine, des transzendentalen Ego Phänomene. Alle Seinsgeltungen, die ich vollziehen darf und vollziehen will als transzendentaler Forscher, beziehen sich auf mich selbst, aber eben damit auch auf die unter meinen originalen Intentionalitäten auftretenden wirklichen und möglichen „Einfühlungen“, Fremdwahrnehmungen. 〈 Die Anderen 〉 werden vermöge der
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Reduktion aus für mich seienden Menschen zu für mich seienden Alter-Ego, mit dem Seinssinn von intentionalen Implikaten meines originalen intentionalen Lebens. Es gilt dann auch umgekehrt: ich bin in ihnen mit all meinem originalen Leben, und sie ebenso alle ineinander, impliziert. Was ich da wissenschaftlich sage, sage ich von mir und zu mir, aber damit paradoxerweise auch zu allen Anderen, als in mir und ineinander transzendental implizierten. Reine Psychologie kennt eben nichts anderes als Subjektives, und darin ein Objektives als Seiendes hineinlassen, ist sie schon preisgeben. Die unendliche psychologische Forschung als transzendental reine betrifft dieses intentionale Ineinander der Subjekte und ihres transzendentalen Lebens und vollzieht sich notwendig in der um mich herum orientierten Gestalt. Nur so, daß ich in der egologischen Selbstbesinnung meine originale Sphäre (die der „Primordialität“) umgrenze und in ihrem Geflecht intentionale Synthesen und Implikationen in ihren Stufen der intentionalen Modifikation enthülle; während ich alle meine Einfühlungen in methodischer Weise, in einer Art Epoché in der Epoché, außer Geltung setze und sie nur als meine Erlebnisse behalte, gewinne ich die Wesensstrukturen eines originalen Lebens. Setze ich die Einfühlung (nach ihren intentionalen Geltungskorrelaten im „Mitvollzug“) in Geltung, so werden sie zu Wesensstrukturen jedes für mich erdenklichen Alter-Ego, und es treten dann hervor die Probleme der durch die Einfühlung hergestellten Allgemeinschaft und ihrer wesensmäßigen Sonderformen – eben dieselben, die in der natürlichen Weltbetrachtung als objektivierte auftreten, nämlich als Familie, Volk, Völkergemeinschaft, und von da aus als Wesensstrukturen der menschlichen Geschichtlichkeit; hier aber reduziert, ergeben sie die Wesensstrukturen der absoluten Geschichtlichkeit, nämlich | diejenigen einer transzendentalen Subjektgemeinschaft, und als einer solchen, die, in diesen allgemeinsten wie gesonderten apriorischen Formen intentional vergemeinschaftet lebend, in sich Welt als intentionales Geltungskorrelat hat und immerfort weiter schafft, in immer neuen Formen und Stufen einer Kulturwelt. Das systematisch in Gang gebracht, in den strengsten aller erdenklichen Metho-
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den, eben denen der sich auf sich selbst apodiktisch besinnenden und apodiktisch auslegenden transzendentalen Subjektivität, ist eben Transzendentalphilosophie; und so ist reine Psychologie nichts und kann nichts anderes sein als dasselbe, was vorweg in philosophischer Absicht als absolut begründete Philosophie gesucht war und nur als phänomenologische Transzendentalphilosophie sich erfüllen kann. Ich als reiner Psychologe oder Transzendentalphilosoph habe damit aber nicht aufgehört, Mensch zu sein, ebensowenig als das mindeste im wirklichen Sein der Welt und aller Menschen und sonstigen Wesen der Welt sich geändert hat. Und ich habe auch nicht aufgehört, dieses besondere weltliche Interesse zu haben, das den Titel hat: universale Wissenschaft von den Menschen in Hinsicht auf ihr seelisches Sein, ihr einzelseelisches und soziales; ich kehre also wieder zurück in die natürliche Einstellung, unter Berufswechsel: als Psychologe auf dem Weltboden meine Arbeit aufnehmend. Gerade als Psychologe war ich gezwungen, zur Ausbildung einer reinen Psychologie mich zu entschließen. Also es handelt sich offenbar um ähnliches, wie 〈 daß 〉 das Interesse der Naturforscher die Ausbildung einer reinen Mathematik fordert und auch gefordert hätte, wenn diese nicht schon früher als Auswirkung eines eigenen theoretischen Interesses geworden wäre. In der Tat, für eine echte Psychologie und für die Exaktheit, welche die ihr eigenwesentliche ist, spielt die Transzendentalphilosophie die Rolle der apriorischen Wissenschaft, auf die sie in allen ihren wirklich psychologischen Erkenntnissen zu rekurrieren, deren apriorische Strukturbegriffe sie für ihre weltliche Empirie zu verwerten hat. Allerdings, ein ungeheurer Unterschied zeigt sich in dieser Aufweisung der echten Parallele zwischen Psychologie und Naturwissenschaft, ja zwischen Psychologie und jeder positiven Wissenschaft überhaupt. Der Psychologe, das rein Seelische suchend, in der absolut unausweichlichen Nötigung, alle realen Mitgeltungen außer Spiel zu setzen, vollzieht | Epoché, und sie dann, und wieder unvermeidlich, in schwierigen Besinnungen methodisch durchführend, befreit er sich von der Naivität, welche allem Weltleben und allen objektiven Weltwissenschaften unbewußt anhaftet. In der unter-wissenschaft-
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lichen Alltäglichkeit des natürlichen Lebens glaubt jedermann, Selbsterkenntnis und Menschenerkenntnis zu haben, er mag noch so bescheiden die Vollkommenheit dieser Erkenntnis einschätzen, gewiß, daß er oft irrt, aber er weiß, daß diese Erkenntnis zu bessern ist, und jedermann glaubt in ähnlicher Weise Welterkenntnis, mindestens die seiner näheren Umgebung zu haben. Die positive Wissenschaft sagt, das wäre Naivität, wahre Welterkenntnis schaffe sie in ihren wissenschaftlichen Methoden. Der Psychologe will nichts als das Gleiche wie die anderen positiven Wissenschaften, denen ihr Absehen schon geglückt ist, er sucht nichts als eine Methode positiver Wissenschaftlichkeit, die alltägliche Selbsterkenntnis und Menschenerkenntnis zu übergehen. Indem er aber sich gezwungen sieht, die Methode der phänomenologischen Reduktion auszubilden, macht er die Entdeckung, daß eigentlich niemand wirklich in seiner Selbsterkenntnis an sein wahres und wirkliches Selbst, das ihm selbst eigene Sein als Ich-Subjekt und als Subjekt all seiner Welterkenntnis und weltlichen Leistungen, heranreiche, daß dieses vielmehr erst durch die Reduktion sich zeige und daß die reine Psychologie nichts als der unendlich mühselige Weg echter und reiner Selbsterkenntnis sei; darin aber beschlossen Menschenerkenntnis, als Erkenntnis ihres ichlichen oder seelischen wahren Seins und Lebens, und in weiterer Folge nicht minder Welterkenntnis; dann das wahre Sein der Welt, das alle positive Wissenschaft, und sei sie noch so erfolgreich, prinzipiell nie erreichen kann. Was sie Welterkenntnis nennt, das ist Erkenntnis der Dinge der Welt, ihrer Gattungen und Arten, ihrer Verbindungen und Trennungen, ihrer Veränderungen und Unveränderungen, ihrer Gesetze verharrenden Seins im Veränderungswandel, ihrer allumfassenden Struktur, Formen und deren Gesetzmäßigkeit, an die alles Sein von Dingen gebunden ist. Aber alle ihre Erkenntnisse, alle ihre Fragen und Antworten, alle ihre Hypothesen und Bewährungen stehen oder bewegen sich auf dem Grunde der vorgegebenen Welt; die Welt ist die beständige Voraussetzung, nur was sie ist, was ihr im Gang der Induktionen vom Bekannten ins Unbekannte zu | kommt, ist die Frage. Die Welt, das ist nicht eine Hypothese in dem Sinn, wie für positive Wis-
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senschaft allein Hypothesen Sinn haben, etwa als Hypothesen über die Struktur der Milchstraßensysteme – alle Hypothesen der Positivität sind eben Hypothesen auf dem Grund der „Hypothese“ Welt, für die in gleichem Sinn positiv wissenschaftlich eine Begründung zu suchen ein Widersinn wäre. In der Tat, erst von der transzendentalen Psychologie oder Philosophie her können wir sehen und verstehen, was hier fehlt, als Befragung der „Hypothese“ Welt, was das ist und was es fordert, sie in Frage zu stellen. Völlig außerthematisch, gewissermaßen vergessen, sind wir alle als die fungierenden Subjekte, in und aus deren Fungieren Welt für uns ist, außer Geltung mit dem in uns Sinn gewinnenden und Sinn gebenden Jeweiligkeitsgehalt. Man darf nicht sagen, in Form der empiristischen Erkenntnistheorie seit Locke ist die fungierende Subjektivität längst entdeckt worden. Denn entweder es war Psychologie der Positivität und sprach von Menschen als den fungierenden Subjekten, dann setzte sie den Boden der Welt voraus und bewegte sich im Zirkel; oder sie stellte diesen Boden wirklich in Frage, wie Hume, der darin so viel radikaler war als Kant, dann stürzte sie uns in einen paradoxen Solipsismus und Skeptizismus, und jedenfalls in eine grauenvolle Unverständlichkeit des Seins der Welt. Der Grund ist uns evident geworden. Das Problem der Bodengeltung der Welt als Welt, die ist, was sie ist, aus wirklicher und möglicher Erkenntnis, aus wirklicher und möglicher fungierender Subjektivität, überhaupt hatte sich gemeldet. Aber gewaltige Schwierigkeiten waren zu überwinden, um die Methode der Epoché und Reduktion nicht nur zu beginnen, sondern zu ihrem vollen Selbstverständnis zu bringen und damit allererst die absolut fungierende Subjektivität zu entdecken, nicht als die menschliche, sondern als die in der menschlichen, oder zunächst in der menschlichen, sich selbst objektivierende. Es ist, wie wir dabei erkennen, eine Naivität, anthropologisch weltlich bei der Subjekt-Objekt-Korrelation stehenzubleiben und die phänomenologischen Aufweisungen meiner ersten Schriften als die dieser Korrelation zu mißdeuten. Das heißt blind sein gerade für die großen Probleme dieser Paradoxie, daß der Mensch, und in Vergemeinschaftung die Mensch-
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heit, Subjek | tivität für die Welt ist und zugleich in ihr objektiv weltlich sein soll. Die Welt, die für uns ist, ist die in unserem menschlichen Leben Sinn habende und immer neuen Sinn für uns gewinnende, Sinn und auch Geltung. Das ist wahr, und auch wahr, daß der Erkenntnis nach für uns Menschen unser eigenes Sein dem Sein der Welt vorangeht, aber darum nicht der Wirklichkeit des Seins nach. Aber die transzendentale Korrelation zwischen Welt im transzendentalen Leben konstituierender Subjektivität und der Welt selbst, als sich in der Lebensgemeinschaft der transzendentalen Intersubjektivität als Polidee ständig vorzeichnende und bewährende Welt, ist nicht die in der Welt selbst verlaufende und rätselhafte Korrelation. In der Konkretion der transzendentalen Intersubjektivität, in ihrer universalen Lebensverbundenheit liegt der Pol, bzw. das System der Einzelpole, das Welt heißt, genau so beschlossen als intentionale Gegenständlichkeit, wie in irgendeiner Intention die ihre, von ihrer relativen Konkretion schlechthin untrennbar. Alle bisherigen Diskussionen über Idealismus und Realismus sind noch nicht bis zu dem Bewußtsein des echten Problems vorgedrungen, das hinter allen Erkenntnistheorien gesucht aber unentdeckt liegt, geschweige denn, daß sie die transzendentale Reduktion in ihrem schwierigen Sinn des Eingangstores in die echte Selbst- und Welterkenntnis aufgefaßt hätten. Doch man wird jetzt noch an uns die Frage stellen, wie eigentlich reine Psychologie, welche mit der transzendentalen Subjektivität den Weltboden verlassen hat, dem Psychologen in seiner positiven Arbeit auf eben diesem Boden dienen kann. Ihn interessiert nicht die transzendentale, sondern die in der Welt seiende Innerlichkeit, ihn interessieren die in der Welt vorkommenden Menschen und menschlichen Gemeinschaften, und wenn er vom Seelenleben spricht und den Eigenschaften einer Person und ähnliche Fragen für die Gemeinschaften stellt oder stellen würde, so meint er nur real in der Welt Vorkommendes, er meint das in den realen Menschen sich Abspielende und in ihrem menschlichen Selbstbewußtsein durch vorurteilslose Selbsterfahrung und hinsichtlich Anderer durch Fremderfahrung Erfahrbare. Dazu genügt die erste Stufe der
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Epoché und Reduktion, die wir noch nicht als die eigentlich transzendentale oder als das erste in einer höheren Selbstbesinnung anerkannten. Die Menschen sind in | ihrem menschlichen Tun und Lassen auf ihnen selbst geltende Realitäten bezogen, der Psychologe darf, was sie für real halten, nicht mitgelten lassen usw. Und hat dann nicht doch für die Welt, mag sie transzendental bedeuten was immer, der psychophysische oder psychophysiologische Dualismus sein Erfahrungsrecht, und eine Aufgabenstellung der Psychologie des Menschen und der Tiere nach Analogie der naturwissenschaftlichen? Die alten Versuchungen kehren wieder, hier ist vor allem, abgesehen von den prinzipiellen Einwänden, mit denen wir in Sachen der Lokalisation und Kausalität begonnen haben, zu sagen, daß erst 〈 durch 〉 die absolute Vorurteilslosigkeit, die durch den unübersteiglichen Radikalismus der vollen transzendentalen Epoché gewonnen wird, eine wirkliche Befreiung von den traditionellen Versuchungen möglich wird, und das sagt, daß man dann erst, im Besitz der Totalität des Subjektiven, worin der Mensch, die intentional-innerlich verbundenen Menschengemeinschaften und die Welt, in der sie leben, selbst intentional gegenständlich beschlossen sind, das zu sehen und systematisch zu erforschen befähigt wird, was wir als Wie der Gegebenheitsweisen bezeichneten. Eben damit erst konnte man entdecken, daß jede weltliche Gegebenheit Gegebenheit ist im Wie eines Horizontes, daß in Horizonten weitere Horizonte impliziert sind und schließlich jedwedes als weltlich Gegebene den Welthorizont mit sich führt und nur dadurch als weltlich bewußt wird. W. James war, soviel ich weiß, der einzige, der unter dem Titel fringes auf das Horizontphänomen aufmerksam wurde, aber wie konnte er es ohne das phänomenologisch gewonnene Verständnis der intentionalen Gegenständlichkeit und der Implikationen befragen? Geschieht das aber, wird das Weltbewußtsein von seiner Anonymität befreit, so vollzieht sich schon der Einbruch ins Transzendentale. Ist das aber geschehen und das transzendentale Arbeitsfeld als das der totalen und universalen Subjektivität erreicht, dann ergibt sich im Rückgang in die natürliche, obschon jetzt nicht mehr naive Einstellung das Merkwürdige, daß die Seelen der
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Menschen mit dem Fortschritt der phänomenologischen Forschung in eine merkwürdige Bewegung ihres eigenen seelischen Gehaltes geraten. Denn jede neue transzendentale Erkenntnis verwandelt sich in Wesensnotwendigkeit zu einer Bereicherung des Gehaltes der menschlichen Seele. Ich bin ja | als transzendentales Ich dasselbe, das in der Weltlichkeit menschliches Ich ist. Was in der Menschlichkeit mir verdeckt war, enthülle ich in transzendentaler Forschung. Sie ist selbst ein weltgeschichtlicher Prozeß, sofern sie die Geschichte der Konstitution der Welt selbst nicht nur um eine neue Wissenschaft bereichert, sondern den Inhalt der Welt in allem und jedem bereichert; alles Weltliche hat seine transzendentalen Korrelate, es sind mit jeder neuen Enthüllung für den Menschenforscher, den Psychologen, neue Bestimmungen des Menschen in der Welt. Keine positive Psychologie, die nicht über die schon im Werk stehende transzendentale Psychologie verfügt, kann je solche Bestimmungen des Menschen und der Welt entdecken. Das alles ist evident, und doch paradox für uns alle, die wir in den alten Denkgewohnheiten der Jahrhunderte und zum Teil der Jahrtausende erzogen sind. Es zeigt in neuer Weise den abgrundtiefen Unterschied zwischen der Mathematik, zwischen jeder apriorischen Wissenschaft von der Welt und der Phänomenologie als apriorischer Psychologie, das ist als Wesenslehre der transzendentalen Subjektivität. Das Apriori der Natur „geht dem Sein der Welt voran“, aber nicht so, daß die Erkenntnisfortschritte im mathematischen Apriori das Sein der Natur selbst beeinflussen könnten. Die Natur ist an sich, die sie ist, und ist an sich mathematisch, wieviel wir von Mathematik wissen oder nicht wissen, es ist alles im voraus entschieden als reine Mathematik und als Natur selbst. So nach der herrschenden und die Naturwissenschaft der Jahrhunderte leitenden Hypothese. Aber für die Welt als Welt, die auch geistige Wesen enthält, ist das Vorwegsein Widersinn, da ist ein Laplacescher Geist undenkbar. Die Idee einer Ontologie der Welt, die Idee einer objektiven universalen Wissenschaft von der Welt, die hinter sich ein universales Apriori hätte, welchem gemäß jede mögliche faktische Welt more geometrico erkennbar wäre – diese noch Leibniz verführende Idee – ist
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ein nonsens. Für das Reich der Seelen gibt es prinzipiell eine solche Ontologie nicht, gibt es keine Wissenschaft vom Typus des physikalistisch-mathematischen Ideals, obschon seelisches Sein in transzendentaler Universalität und völlig systematisch erforschbar ist, und in prinzipieller Wesensallgemeinheit in Form einer apriorischen Wissenschaft. Die Phänomenologie befreit uns vom alten objektivistischen Ideal des | wissenschaftlichen Systems, der theoretischen Form der mathematischen Naturwissenschaft, und befreit uns danach von der Idee einer Ontologie der Seele, die ein Analogon sein könnte der Physik. Nur die Blindheit für das Transzendentale, wie es allein durch phänomenologische Reduktion erfahrbar und erkennbar ist, macht das Wiederaufleben des Physikalismus in unserer Zeit möglich – in der abgewandelten Form des logizistischen Mathematizismus, dieser Preisgabe der uns von der Geschichte gestellten Aufgabe einer Philosophie aus letzter Einsicht und aus einer absoluten Universalität, in der es keine ungefragten Fragen, keine unverstandenen Selbstverständlichkeiten geben darf. Den Physikalismus Philosophie nennen, das heißt nur, eine Äquivokation als Realisierung von unseren Erkenntnisverlegenheiten ausgeben, in denen wir seit Hume stehen. Die Natur kann man als definite Mannigfaltigkeit denken und diese Idee hypothetisch zugrunde legen. Aber sofern die Welt Erkenntniswelt ist, Bewußtseinswelt, Welt mit Menschen, ist für sie eine solche Idee in einem unübersteiglichen Ausmaß widersinnig. 〈 § 73 Schlußwort: 〉 Die Philosophie als menschheitliche Selbstbesinnung, Selbstverwirklichung der Vernunft1
Die Aufgabe, die sich der Philosoph stellt, sein Lebensziel als Philosoph: universale Wissenschaft von der Welt, universales, endgültiges Wissen, Universum der Wahrheiten an sich von 1
[Der Text dieses Paragraphen wurde von Walter Biemel, dem Herausgeber des Bandes VI der Husserliana, hier eingefügt; er stammt aus dem Ms. K III 6, Bl. 150 –156. Die ursprüngliche Fassung endet mit § 72.]
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der Welt, der Welt an sich. Wie steht es mit diesem Ziel und seiner Erreichbarkeit? Kann ich mit einer Wahrheit – einer endgültigen Wahrheit anfangen? Eine endgültige, eine Wahrheit, in der ich über ein an sich Seiendes, der Endgültigkeit zweifellos gewiß, etwas aussagen kann? Habe ich schon solche „unmittelbar evidenten“ Wahrheiten, so könnte ich mittelbar neue vielleicht ableiten. Aber wo habe ich sie? Ist mir irgend ein Seiendes an sich durch unmittelbare Erfahrung so zweifellos gewiß, daß ich danach mit deskriptiven Begriffen, unmittelbar der Erfahrung, dem Erfahrungsinhalt sich anpassenden, unmittelbare Wahrheiten an sich aussprechen könnte? Aber wie steht es mit aller | und jeder Erfahrung von Weltlichem, von dem, was ich unmittelbar als raumzeitlich seiend gewiß habe? Es ist gewiß, aber diese Gewißheit kann sich modalisieren, es kann zweifelhaft werden, sich im Fortgang der Erfahrung in Schein auflösen: keine unmittelbare Erfahrungsaussage gibt mir ein Seiendes, als was es an sich ist, sondern ein in Gewißheit Vermeintes, das im Wandel meines erfahrenden Lebens sich bewähren muß. Aber die bloße Bewährung, die in der Einstimmigkeit der wirklichen Erfahrung liegt, bewahrt nicht vor der Möglichkeit des Scheins. Erfahrend, überhaupt als Ich lebend (denkend, wertend, handelnd), bin ich notwendig Ich, das sein Du, sein Wir und Ihr hat, das Ich der personalen Pronomina. Und ebenso notwendig bin ich und sind wir in ichlicher Gemeinschaft Korrelate all dessen, was wir als weltlich Seiendes ansprechen, was wir im Ansprechen, im Benennen und Bereden, im erkennenden Begründen immer schon voraussetzen, als gemeinsam Erfahrbares, als welches in Gemeinschaft des Bewußtseinslebens, als eines nicht individuell isolierbaren, sondern innerlich vergemeinschafteten, für uns da ist, wirklich ist, für uns gilt. Aber immerzu gleich so, daß Welt unsere gemeinsame ist, notwendig in Seinsgeltung; jedoch im einzelnen kann ich mit meinen Anderen so ähnlich in Widerspruch kommen, in Zweifel und in Seinsnegation geraten, wie mit mir selbst. Wie und wo habe ich nun an sich endgültig Seiendes? Die Erfahrung, die Gemeinschaftserfahrung und wechselseitige Korrektur sowenig wie die eigene personale Erfahrung und Selbstkorrektur, än-
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dert nichts an der Relativität der Erfahrung, sie ist auch als Gemeinschaftserfahrung relativ, und so sind alle deskriptiven Aussagen notwendig relativ, und alle erdenklichen Schlüsse, deduktive oder induktive, relativ. Wie kann Denken anderes leisten als relative Wahrheiten? Der Mensch des alltäglichen Lebens ist doch nicht vernunftlos, er ist denkendes Wesen, er hat das κα λου gegenüber dem Tier, er hat daher Sprache, Beschreibung, er schließt, er stellt Wahrheitsfragen, er bewährt, argumentiert und entscheidet sich vernünftig – aber hat für ihn die ganze Idee „Wahrheit an sich“ einen Sinn? Ist das, und korrelativ an sich Seiendes, nicht eine philosophische Erfindung? Aber doch nicht eine Fiktion, nicht eine entbehrliche und bedeutungslose Erfindung, sondern eine solche, welche den Menschen auf eine neue Stufe erhebt, bzw. | zu erheben berufen ist in einer neuen Historizität menschheitlichen Lebens, deren Entelechie diese neue Idee ist und die ihr zugeordnete philosophische oder wissenschaftliche Praxis, die Methodik eines neuartigen wissenschaftlichen Denkens. Das An-sich besagt ebensoviel wie objektiv, wenigstens so, wie in den exakten Wissenschaften das Objektive dem bloß Subjektiven gegenübergestellt wird, letzteres als das, was Objektives nur indizieren soll oder worin Objektives nur erscheinen soll. Es ist bloß Phänomen von Objektivem, und aus den Phänomenen das Objektive herauszuerkennen und in objektiven Begriffen und Wahrheiten zu bestimmen, das ist die Aufgabe. Aber niemals ist der Sinn dieser Aufgabenstellung und ihrer Voraussetzungen, also die aller Methode, ernstlich überlegt und selbst in wissenschaftlicher Art, in der einer letzten Verantwortlichkeit, erforscht worden; so 〈 wenig 〉, daß man nicht einmal sich klargemacht hat, daß der Sinn der naturwissenschaftlichen Objektivität bzw. der naturwissenschaftlichen Aufgabe und Methode ein grundwesentlich anderer ist als der der geisteswissenschaftlichen. Das gilt sowohl für die sogenannten konkreten Geisteswissenschaften als für die Psychologie. Man hat der Psychologie die gleiche Objektivität zugemutet wie der Physik, und eben damit ist eine Psychologie im vollen und eigentlichen Sinn ganz unmöglich gewesen; denn für die Seele,
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für die Subjektivität als individuelle, als Einzelperson und Einzelleben, ebenso wie als gesellschaftlich geschichtliche, als soziale im weitesten Sinne, ist eine Objektivität nach Art der naturwissenschaftlichen geradezu ein Widersinn. Das ist der letzte Sinn des Vorwurfs, den man der Philosophie aller Zeiten machen muß – mit Ausnahme der freilich die Methode verfehlenden Philosophie des Idealismus –, daß sie den naturalistischen Objektivismus nicht überwinden konnte, der von Anfang an eine sehr natürliche Versuchung war und immerfort blieb. Wie gesagt, erst der Idealismus in allen seinen Formen versucht der Subjektivität als Subjektivität habhaft zu werden und dem gerecht zu werden, daß Welt nie anders dem Subjekt und Subjektgemeinschaften gegeben ist denn als die ihr mit jeweiligem Erfahrungsinhalt subjektiv relativ geltende, und als eine Welt, die in der Subjektivität und von ihr her immer neue Sinnverwandlungen annimmt, und daß auch die apodiktisch verharrende | Überzeugung einer und derselben Welt als sich in wechselnder Weise subjektiv darstellender eine rein in der Subjektivität motivierte ist, deren Sinn Welt selbst, wirklich seiende Welt, die Subjektivität, die ihn zustande bringt, nie überschreitet. Aber der Idealismus war immer zu schnell mit seinen Theorien und konnte sich zumeist nicht von geheimen objektivistischen Voraussetzungen freimachen, oder er übersprang als spekulativer die Aufgabe, die aktuelle Subjektivität, als aktuelle phänomenale Welt in Anschaulichkeit in Geltung habende, konkret und analytisch zu befragen – was recht verstanden nichts anderes ist, als phänomenologische Reduktion vollziehen und transzendentale Phänomenologie ins Spiel setzen. So erklärt sich übrigens, warum ich die von mir ausgebildete Phänomenologie transzendentale nenne und von der transzendentalen Subjektivität in ihr spreche. Denn wenn Kant dem alten Wort durch seine Vernunftkritik einen neuen Sinn gibt, so kann man sich bald davon überzeugen, daß, genau besehen, der ganz andere Idealismus Berkeleys und Humes, und jeder Idealismus überhaupt, das gleiche thematische Feld hat und nur verschieden gewendete Fragen in demselben stellt. Vernunft ist das Spezifische des Menschen, als in personalen Aktivitäten und Habitualitäten lebenden Wesens. Dieses Le-
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ben ist als personales ein ständiges Werden in einer ständigen Intentionalität der Entwicklung. Das in diesem Leben Werdende ist die Person selbst. Ihr Sein ist immerfort Werden, und das gilt bei der Korrelation von einzelpersonalem und gemeinschaftspersonalem Sein für beides, für den Menschen und die einheitlichen Menschheiten. Menschlich personales Leben verläuft in Stufen der Selbstbesinnung und Selbstverantwortung, von vereinzelten, gelegentlichen Akten dieser Form bis zur Stufe universaler Selbstbesinnung und Selbstverantwortung, und bis zur Bewußtseinserfassung der Idee der Autonomie, der Idee einer Willensentschiedenheit, sein gesamtes personales Leben zur synthetischen Einheit eines Lebens in universaler Selbstverantwortlichkeit zu gestalten; korrelativ, sich selbst zum wahren Ich, zum freien, autonomen zu gestalten, das die ihm eingeborene Vernunft, das Streben, sich selbst treu zu sein, als Vernunft-Ich mit sich identisch bleiben zu können, zu verwirklichen 〈 sucht 〉 ; das aber in un | trennbarer Korrelation für Einzelpersonen und Gemeinschaften, vermöge ihrer inneren unmittelbaren und mittelbaren Verbundenheit in allen Interessen – verbunden in Einstimmigkeit und Widerstreit – und in der Notwendigkeit, die einzelpersonale Vernunft nur als gemeinschaftspersonale, wie umgekehrt, zu immer vollkommenerer Verwirklichung kommen zu lassen. Die universal apodiktisch begründete und begründende Wissenschaft entspringt nun als die notwendig höchste Menschheitsfunktion, wie ich sagte, nämlich die der Ermöglichung ihrer Entwicklung zu einer personalen und zu einer allumspannenden menschheitlichen Autonomie – die Idee, die die Lebenstriebkraft der höchsten Menschheitsstufe ausmacht. So ist Philosophie nichts anderes als 〈 Rationalismus 〉, durch und durch, aber nach den verschiedenen Stufen der Bewegung von Intention und Erfüllung in sich unterschiedener Rationalismus, die ratio in der ständigen Bewegung der Selbsterhellung, angefangen von dem ersten Einbruch der Philosophie in die Menschheit, deren eingeborene Vernunft vordem noch ganz im Stande der Verschlossenheit, der nächtlichen Dunkelheit war.
Dritter Teil
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Die griechische Philosophie in ihrem Anfangsstadium bezeichnet das Bild des Morgenrots, die erste Erhellung durch erste erkennende Konzeption des „Seienden“ als Universum, als Welt von Seiendem, und bald folgend, in subjektiver Blickrichtung, die korrelative Entdeckung des altbekannten Menschen als Subjekt der Welt, als dieses Subjekt aber Mensch in der Menschheit, der auf das Seinsall und sich selbst in seiner Vernunft bezogen ist. Die Geschichte der Philosophie ist in der äußerlich historischen Gelehrsamkeit, bei ihrer Blickrichtung auf die in der Welt seienden Menschen und auf die Philosophien als theoretische Gebilde (Satzsysteme), eine Kulturgestalt unter anderen, und in ihrer äußerlichen verblichenen Werdensfolge (die sie – lucus a non lucendo – Entwicklung nennt) ein in der Welt, in deren Raumzeitlichkeit verlaufender kausaler Prozeß. Aber von innen gesehen ist es ein Ringen der in geistiger Gemeinschaft lebenden und fortlebenden Philosophengenerationen – der Träger dieser Geistesentwicklung – , im ständigen Ringen der „erwachten“ Vernunft, zu sich selbst, zu ihrem Selbstverständnis zu kommen, zu einer konkret sich selbst – und zwar | als seiende Welt, als in ihrer ganzen universalen Wahrheit seiende Welt – verstehenden Vernunft. Philosophie, Wissenschaft in allen ihren Gestalten ist rational, das ist eine Tautologie. Sie ist aber in allen auf dem Wege zu einer höheren Rationalität, sie ist Rationalität, die, ihre unzulängliche Relativität immer wieder entdeckend, fortgetrieben wird im Mühen, im Erringenwollen der wahren und vollen Rationalität. Schließlich aber entdeckt sie, daß diese eine im Unendlichen liegende Idee und im Faktum notwendig auf dem Wege ist; aber auch, daß es hier eine Endgestalt gibt, die zugleich Anfangsgestalt einer neuartigen Unendlichkeit und Relativität ist; dies aber in einem Doppelsinn von Entdeckung, der historisch zweierlei Epochen von Anfang und Fortgang bezeichnet. Fürs erste diejenige, in welcher die Forderung der Apodiktizität entdeckt – erstmalig aufleuchtend in den Willen aufgenommen wird, von einer historisch vereinzelten Philosophenpersönlichkeit: das ist Descartes, als Initiator der historischen Epoche der Neuzeit. Die Entdeckung versinkt zeit-
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weise, verfällt in Mißdeutung, sie ist auch in der Mißdeutung relativ fruchtbar, sich auswirkend in den Wissenschaften des Rationalismus, in seinen apriorischen und empirischen. Das Bewußtsein der Unzulänglichkeit dieser Philosophie erweckt Reaktion, abgesehen von der sensualistischen und schließlich skeptischen (Hume) die Kantische und die nachfolgende Transzendentalphilosophie – in der doch das transzendentale Urmotiv, das aus der Forderung der Apodiktizität entsprungene, nicht wach wird. Das Auf und Ab der historischen Bewegungen, wieder erstarkender empiristischer Sensualismus und Skeptizismus, wieder erstarkender Rationalismus älterer Wissenschaftlichkeit, Deutscher Idealismus und Reaktion gegen ihn – das alles in eins charakterisiert die erste Epoche – die der gesamten „Neuzeit“. Die zweite ist der erneute Anfang, als Wiederaufnahme der Cartesianischen Entdeckung, der Grundforderung der Apodiktizität, und in ihm erwachsen durch die geänderte historische Situation (wozu die ganzen schicksalsvollen Entwicklungen und Philosophien der ersten Epoche gehören) Kräfte der Motivation, ein radikales Durchdenken des echten und unverlierbaren Sinnes der Apodiktizität (Apodiktizität als Grundproblem), die Aufweisung der wahren Methode einer apodiktisch gegründeten und | apodiktisch fortschreitenden Philosophie darin die Entdeckung des radikalen Kontrastes dessen, was gewöhnlich apodiktische Erkenntnis heißt, mit dem, was in transzendentalem Verstande den Urboden und die Urmethode aller Philosophie vorzeichnet. Eben damit beginnt eine Philosophie des tiefsten und universalsten Selbstverstandes des philosophierenden Ego als Trägers der zu sich selbst kommenden absoluten Vernunft, desselben als in seinem apodiktischen Für-sich-selbst-Sein seine Mitsubjekte und alle möglichen Mitphilosophen implizierend, die Entdeckung der absoluten Intersubjektivität (objektiviert in der Welt als Allmenschheit) als derjenigen, in welcher Vernunft in Verdunkelung, in Erhellung, in der Bewegung des taghellen Selbstverständnisses in unendlichem Progreß ist; die Entdeckung der notwendigen konkreten Seinsweise der absoluten (der im letzten Sinn transzendentalen) Subjektivität in einem tran-
Dritter Teil
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szendentalen Leben der ständigen „Weltkonstitution“, und damit korrelativ die neue Entdeckung der „seienden Welt“, deren Seinssinn als transzendental konstituierter für das, was auf den früheren Stufen Welt und Weltwahrheit, Welterkenntnis hieß, einen neuen Sinn ergibt; eben darin aber auch dem menschlichen Dasein, seinem Dasein in der raumzeitlich vorgegebenen Welt als Selbstobjektivierung der transzendentalen Subjektivität und ihres Seins, ihres konstituierenden Lebens, in weiterer Folge das letzte Selbstverständnis des Menschen als für sein eigenes menschliches Sein verantwortlichen, sein Selbstverständnis als Sein im Berufensein zu einem Leben in der Apodiktizität – nicht nur abstrakt und in gemeinem Sinne apodiktische Wissenschaft treibend – sondern eine ihr gesamtes konkretes Sein in apodiktischer Freiheit zu einer apodiktischen, zu einer in allem tätigen Leben ihrer Vernunft – in der sie Menschheit ist –, verwirklichende; wie gesagt, sich als vernünftig verstehende, verstehend, daß sie vernünftig ist im Vernünftigseinwollen, daß dies eine Unendlichkeit des Lebens und Strebens auf Vernunft hin bedeutet, daß Vernunft gerade das besagt, worauf der Mensch als Mensch in seinem Innersten hinauswill, was ihn allein befriedigen, „selig“ machen kann, daß Vernunft keine Unterscheidung in „theoretische“, „praktische“ und „ästhetische“ und was immer zuläßt, daß Menschsein ein Teleologischsein und Sein-Sollen ist und | diese Teleologie in allem und jedem ichlichen Tun und Vorhaben waltet, daß sie in allem durch Selbstverständnis das apodiktische Telos erkennen kann und daß dies Erkennen des letzten Selbstverständnisses keine andere Gestalt hat als Selbstverständnis nach apriorischen Prinzipien, als Selbstverständnis in Form der Philosophie.
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Namenregister
Seitenangaben beziehen sich auf die Paginierung des Bandes VI der Husserliana, die in Form von Marginalien neben dem Text angegeben wird. Kursive Seitenzahlen verweisen auf Anmerkungen. Aristoteles 134, 185 Avenarius, R. 198 Berkeley, G. 68, 86, 88 f., 91 ff., 99, 194, 198, 202, 212, 234, 272 Bolzano, B. 133 Brentano, F. 226, 235 f., 238, 249 Descartes, R. (Cartesius) 6, 12, 18, 59, 61 ff., 74 ff., 80 ff., 91 ff., 100, 103, 117, 118, 156, 158, 174, 188, 194, 196, 202, 216, 218, 224, 232, 236, 274 Dilthey, W. 226, 249 Einstein, A. 2, 128 Fichte, J. G. 204 f. Galilei, G. 20 ff., 60 ff., 75, 81, 119, 130, 224 Gorgias 78 Hegel, G. W. F. 134, 194, 196, 201, 204 f. Helmholtz, H. von 121 Heraklit 173 Hobbes, Th. 54, 63 f., 85, 207, 233 f. Hume, D. 9, 68 f., 86, 88 ff., 96, 98 ff., 102, 117, 119 f., 145, 150, 194 f., 198, 202, 211 f., 234 f., 265, 269, 272, 274
James, W. 267 Kant, I. 9, 56, 83, 85, 93 f., 96 ff., 105 f., 114, 116 ff., 118, 123, 134, 150, 194 ff., 198 f., 201 ff., 205 f., 211 f., 215, 265, 272, 274 Laplace, P. S. 268 Leibniz, G. W. 44, 56, 65, 75, 85, 94 f., 100, 268 Locke, J. 27, 64, 86 ff., 91, 93, 118, 119 f., 205, 207, 211, 234 f., 265 Malebranche, N. 85 Michelson, A. A. 128 Mill, J. St. 198 Newton, I. 2, 41 Planck, M. 2 Protagoras 78 Pytagoras 36 Schuppe, W. 198 Spinoza, B. 65, 85 Thomas von Aquin 134, 185 Vieta, Fr. 43 Wiener Kreis 63 Wolff., Chr. 65, 85, 94, 100 Wundt, W. 233, 235
Sachregister
Seitenangaben beziehen sich auf die Paginierung des Bandes VI der Husserliana, die in Form von Marginalien neben dem Text angegeben wird. Kursive Seitenzahlen verweisen auf Anmerkungen.
Abhängigkeit, kausale 36 absolut 73, 79, 85, 117, 263 Abstraktion 27, 37, 60, 81 f., 138, 230, 232 ff., 238, 244, 255 f. – universale 231 Abwandlungsmodus 189 – des Geltens 146 Affektion 87, 109, 111, 147, 152, 174 Agnostizismus 69, 78, 88 Akt 84, 86, 110 ff., 146, 152 f., 183, 187, 239 f., 249, 253 f., 272 – erfahrender 147 – erkennender 147 – handelnder 147 – transzendentaler 190 Aktgeltung 240 Aktion 111, 147, 153 Aktivität 111 – personale 272 – reflektierende 111 Aktleben 79, 125, 187, 243 Aktperson 240 Aktsphäre 249 Aktsubjekt 111 Aktualität, menschliche 133 aktuell 47, 112, 136, 145 f., 167, 175, 213 – gegeben 160 Aktvollzug 243 Aktzusammenhang 152 All des Seienden 20, 67, 209
Alleinheit 29, 45 Allgemeines 21 Allgemeingültigkeit 21 Allgemeinheit 4 – ideelle 169 – induktive 181 – leere 29, 169 – unbedingte 181 Allgemeinheitsstufe 25 Allgemeinschaft 188 Allgemeinvorstellung 30 Allgültigkeit 113 Allheit 29, 61 – kompossible 45 Allmenschheit 275 Alltäglichkeit 11 Alltagspraxis 69 Alter ego 262 Altertum 19 Analyse 86, 103, 106, 174, 194, 205, 215, 240 – deskriptive 237 – geschichtliche (historische) 58, 101 – intentionale 118, 162 f., 171, 191, 253 – psychologische 252 Analysis 44, 46, 252 Analytik des Ego 84 analytisch 186, 272 Anderer 25, 87, 112, 124, 166, 187 ff., 206, 210, 221 f., 234, 243,
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Sachregister
251, 255, 257 f., 260, 262, 266, 270 – transzendentaler 189 Anfang 8, 18, 58 f., 102, 158, 196, 202, 227, 251 f. – apodiktischer 73 – der Philosophie 11 – historischer 78 – teleologischer 72 Anfangen 12, 195, 255 Anfänger 136, 251 Anonymität 115, 209, 267 Anschaulichkeit 118, 172 f., 272 Anschauung 28, 37, 42, 49, 96, 107 f., 118, 130, 132, 137, 152, 173, 176, 234, 241 f. – erfahrende 32, 177, 227, 241 – evidente 117 – Modus der 107 – reine 44, 97 – selbstgebende 226 – sinnliche 27 – ursprüngliche 60 an sich 30, 62, 70, 177, 269 f. – objektiv seiend 21 – seiend 21, 32, 142 – Seiendes 78 An-sich 93, 98, 195, 225, 271 – rationales 78 – transzendentes 54, 85 Ansichsein (An-sich-sein) 19, 30, 55, 62, 67, 208 – Hypothese des 133 – hypothetisches 129 Anthropologie, psychophysische 63 Antizipation 31, 130, 148, 203 – apriorische 34 – hypothetische 39 – induktive 130 – metaphysische 205
apodiktisch 6, 16, 56, 66, 73, 80, 191, 202, 263, 271, 273, 275 Apodiktizität 16, 80, 202, 274 – des Ego 192 Apperzeption 209, 213 f., 258 – aktive 152 – objektive 210 – universale 213 apperzeptiv 23 Approximation 26 f., 31, 33, 39 f., 42, 67 f. – unendlicher historischer Prozeß der 42 approximativ 30 a priori 29 f., 33 f., 41, 105, 138 Apriori 19, 95 f., 105, 144, 177, 185, 256 – der Natur 268 – lebensweltliches 143 f. – objektives 143 – objektiv-logisches 144 – reines 176 – subjektiv-relatives 143 – universales 162, 177, 268 – universales lebensweltliches 144 – vorlogisches 144 Apriorität 37 Arbeit 140, 195, 199 f., 228, 260 – der Erfahrung 227 Arbeitsfeld – der neuartigen Wissenschaft 138 – transzendentales 183, 267 Arbeitsphilosophie 104 Arithmetik 95 – algebraische 45 f. Arithmetisierung 44 Assoziation 249 Auffassung 155 – relative 147 Aufklärung – der Geschichte 72
Sachregister – (der vorgegebenen Welt) 14, 150 – transzendentale 210 – Zeitalter der 195, 200 Aufklärungsperiode 201 Aufklärungsphilosophie 204 aufweisen 16 f Aufweisung 113, 173 Ausdruck 251 Aussage – deskriptive 270 – okkasionelle 125 Ausschaltung 64 Außenhorizont 165 außer Aktion setzen 153 – Funktion setzen 242 – Geltung setzen 260, 262 – Spiel setzen 154 f. – Vollzug setzen 242 Autonomie, menschheitliche 273 Bedeutung, transzendentale 210 Bedeutungseinheit, ideale 133 Bedeutungswandel von Ich 186 Begriff 10, 19, 41, 228 – deskriptiver 269 – objektiver 271 – symbolischer 48 Begrifflichkeit, sedimentierte 73 Begründung 144, 200 – apodiktische 80 – letzte 103 – radikale 101 – radikalste 88 Begründungsquelle 131 Beschreibung 140, 173, 176, 226, 253, 270 Besinnung 4, 15, 39, 50, 54, 60, 159, 176, 178, 224, 250, 264 – auf den Ursprungssinn der neuen Wissenschaft 59 – geschichtliche 58
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– historische 16 – philosophische 68 – radikale 200 – universale 200 – wissenschaftliche 135 Betrachter, uninteressierter 178, 183, 243, 257 Bewährung 38, 41 f., 51, 85, 128, 130, 180, 186, 189, 264, 270 Bewährungsquelle 129 Bewegung, historische 274 Bewußthaben 239 – aktives 152 – der Welt 147 Bewußtsein 109, 147, 149, 166, 181, 184, 215, 235 f., 239, 243 f., 254 f. – thematisches 147 – theoretisches 49 – überhaupt, transzendentales 205 – von 147, 236 – von Anderen 258 Bewußtseinserlebnis 87, 236 f., 245 Bewußtseinsfeld 110 Bewußtseinsgegebenheit 235 Bewußtseinsleben 88, 92, 101, 116, 151, 154 ff., 165, 168, 208, 235 ff., 243 – strömendes 233 – universales 153 Bewußtseinsleistung 92 Bewußtseinsobjekt 184 Bewußtseinspsychologie 247 Bewußtseinssphäre 246 Bewußtseinssubjekt 191 Bewußtseinssubjektivität 98, 205 Bewußtseinsweise 146, 173, 206 Bewußtseinswelt 269 Beziehung – intentional-reale 247
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Sachregister
– reale 238 Blickwendung 16, 122 – thematische 42 Boden 70, 73, 104, 124 f., 133 f., 143, 145, 155, 157, 172, 178, 180, 182, 185, 190, 203, 208, 212, 215, 229, 253 – aller Erkenntnis 89 – apodiktischer 79, 195 – der natürlichen Welt 173 – der vorgegebenen Welt 156, 229, 237, 261 – der Welt 149 f., 184, 265 – der Weltgeltung 151 – letzter Voraussetzungen 178 – menschlichen Weltlebens 158 – naiv-objektiver 208 – natürlicher 81, 176, 204 – universaler 117 – universaler apodiktischer 16 – von Selbstverständlichkeiten 185 Bodengeltung 150 – der Welt 265 – natürlichen Lebens 151 Cartesianismus 82, 193 cogitatio 76, 79, 84, 87, 92 f., 174 cogitatum 76, 79, 84, 87, 92, 170, 174, 237 cogito 170, 190, 236 Dahinleben 147, 153 – natürliches 153, 223 Darstellung 161 – sinnliche 160 Darstellungsweise 160, 162 Dasein 11, 220, 239 – faktisches 181 – geistiges 4 – menschliches (gesamtmensch-
liches) 3 f., 11, 15, 138, 140, 275 – natürliches 188 – philosophisches 17 – politisches 6 – soziales 6 – universales 147 Daten 90, 96 – immanente 89 – sinnliche 27, 87, 89, 97 f. Datum 89 Denkakt 112 Denken 30, 44, 48, 56, 115, 122, 270 – anschauliches 49 – apodiktisches 19 – apriorisches 43, 95 – logisches 137 – naturwissenschaftliches 48 – objektiv-wissenschaftliches 137 – philosophisches 112 – rein logisches 56 – reines 45, 81 – sachlich-einsichtiges 46 – technisches 46 – ursprüngliches 46 – vorwissenschaftliches 70 Denkleben 77 Denkpraxis 135 Deskription 64, 227, 245, 251, 253 – psychologische 239 – reine 226 – Sinn von 226 deskriptiv 64, 125, 138, 162, 181, 186, 248 Ding 11, 96, 146, 160 ff., 165, 210, 229, 236, 238 f., 241, 254 f., 262 Ding-an-sich 88 Dingapperzeption 252 Dingbewußtsein 146, 160 Dingerfahrung 141 Dingfeld 165
Sachregister Dogmatismus 94 Doxa (δξα) 10 f., 127, 158 Dualismus 61, 66, 76, 83, 225, 227, 232 ff., 238 – Cartesianischer 216, 224 – der Substanzen 218 – psychophysiologischer 267 – psychophysischer 196, 206 Ego 8, 80 ff., 85 f., 88, 92, 101, 174, 189 ff., 210, 260 – absolut einziges 260 – absolutes 84 – als Seele 86 – anderes (fremdes) 260 – apodiktisches 91, 202, 260 – der (meiner) Epoché 80, 188 – für sich selbst seiend 84 – reines 84 – transzendentales 158, 191, 195, 209, 261 f. ego cogito 76, 79 Eigenwesen des Psychischen 248 eigenwesentlich 220 f., 222, 225, 241 Eigenwesentliches 219, 239, 242, 251, 261 – der (einer) Seele 216, 239, 251, 259 – der Ich-Subjekte 251 – der Person 241 – eines Menschen 239 Eigenwesentlichkeit 226, 231, 252, 259 Einfühlung 189, 213, 218, 234, 246 f., 249, 251, 253, 259, 262 Einfühlungserfahrung 258 Einfühlungshorizont 258 f. Einheit 175 – alles Seins 7 – der Geschichte 74
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– der Lebenswelt 134 – der Synthesis, universale 170 – einer geistigen Gestalt 115 – eines Lebens, synthetische 272 – eines Sinnes 173 – ideale 148 – intentionale 258 – inentionaler Innerlichkeit 74 – meiner Selbstobjektivierung 209 Einheitlichkeit, synthetische 146 Einheitspol 179 Einheitssinn 12 – teleologischer 115 Einheitszusammenhang 258 Einklammerung 81 Einsamkeit, philosophische 188 Einsicht – apodiktische 14 – transzendentale 214 Einsichtigkeit 72 Einstellung 107, 118, 153 f., 241, 251, 254, 261, 267 – abstraktive 242 – Änderung der 71 – des natürlichen Weltlebens 151 – habituelle 153 – naive (naiv-natürliche) 158, 213 – natürliche (natürlich-mundane) 151, 153, 157, 176, 183, 193, 209, 214, 242, 259, 261, 263 – reflexive 112 – thematische 128 – theoretische 35 – totale phänomenologische 140 transzendentale 177, 209 f. Einstellungsänderung 82 Einstimmigkeit 164, 166, 169, 181, 270, 273 – intersubjektive 166 – Modi der 257 Einzel-Ich 256
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Sachregister
Einzelreduktion 250, 260 Einzelseele 241 Einzigkeit 222 – des Ego, absolute 190 Empfindungsdatum 27, 28, 96, 127, 236, 248 Empirie (Erfahrung) 21, 181 f. Empirismus 63, 88, 93 f., 117, 232 f., 252 – englischer 85, 211 – skeptischer 85 Endstiftung 73 f. Ent-Fremdung 189 Entelechie 13 f., 271 Entgegenwärtigung 189 Enthaltung 138, 154, 242 – radikale 81 – vom Vollzug einzelner Geltungen 153 Enthüllung 76 Entwährung 85 Entwicklung, transzendentalphilosophische 201 Episteme 10 f., 31, 66, 70, 158 Epoché (ποχ) 78 ff., 84, 138 ff., 145, 150, 153 ff., 160, 172, 175 ff., 185, 187, 189 ff., 241, 243 f., 246 f., 250, 254, 256 ff., 264 – absolut universale 192 – Cartesianische 77, 82 f., 86, 88, 158 – des Psychologen 242, 244 – erste 142 f. – lebensweltliche 140 – Methode der (universalen) 182, 248 – phänomenologisch-psychologische 251 – phänomenologische 244 f. – quasi-skeptische 78 – radikale 82, 182, 184
– radikale skeptische 77 – reduzierende 260 – Sinn der 254 – skeptisch-agnostizistische 243 – skeptische 77 – transzendentale 153, 157, 176, 180 – und Reduktion 247, 250, 257, 259, 265 f. – und Reduktion, phänomenologisch-psychologische 259 – und Reduktion, transzendentale 253, 259 – und Reduktion, universale 253 – universale 79, 151 ff., 157, 159, 184, 246 ff., 256, 259, 261 – wahre 252 Epoche der Neuzeit 274 Erbe 72 – der Vergangenheit 16 – geistiges 72 Erbgut, antikes 18 Erbschaft, historische 225 Erfahrbarkeit 130, 130, 132 Erfahren 122 – vorwissenschaftliches 70 Erfahrung 11, 28 f., 28, 34, 36 f., 39, 50, 70, 78, 81, 95, 97, 107, 122, 126 f., 152, 156, 160, 166 f., 169 f., 208 f., 219 f., 223, 228 f., 232 f., 236, 242, 252, 256, 269 f. – alltägliche 20, 38 – äußere 222 ff., 230, 238 – der Leiblichkeit 221 – direkte 29, 104 – immanente 90 – innere 87, 205 f., 211, 222 f., 237 f., 251 – intersubjektive 136 – Kritik der 243 – lebensweltliche 219, 223, 226, 231
Sachregister – Modus der 173 – natürliche 156 – personale 270 – primordiale innere 218 – psychologische 223, 234 – rationalisierte 96 – rein seelische 252 – reine 219, 231 – Relativität der 270 – schlichte 128, 159, 229, 238 – seelische 238 – sinnliche 20 – transzendentale 156 – unmittelbare 269 – verwissenschaftliche 97 Erfahrungsarbeit 243 Erfahrungsbewährung 129 Erfahrungsboden 104, 117 Erfahrungserkenntnis 42, 122 Erfahrungserwerb 166 Erfahrungsfeld 253 Erfahrungsgegebenheit 39, 55, 219 – wissenschaftliche 122 Erfahrungsgegenstand 96, 169 Erfahrungsgewißheit 107 Erfahrungshorizont 253 Erfahrungsinhalt 22, 269, 271 Erfahrungsmodalität 223 Erfahrungsphänomen 50 Erfahrungsreihe 166 Erfahrungswelt 38, 96, 99, 120 f., 128, 136, 208, 219, 233 Erfahrungswissenschaft 131, 228 Erfüllung 273 Erhellung 59, 74, 273 Erinnerung 127, 130, 249, 253 Erkennen, vorwissenschaftliches 229 Erkenntnis 7, 61, 90, 103, 125, 180, 193, 198, 205, 210, 264 ff. – absolute 55
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– apodiktische 275 – induktiv bewährte 51 – menschliche 78, 86 – metaphysisch-absolute 84 – mittelbare 130 – objektiv reale 30 – objektive 32, 77, 85, 90, 98, 229 – okkasionelle 126 – philosophische 77 – positive 122 – prädikative 128 – rationale 66, 119 – transzendentale 192, 267 – universale 15, 26, 85 – unmittelbare u. apodiktische 77 – vorwissenschaftliche 124 – wissenschaftliche 80, 126 Erkenntnisbegründung 131 Erkenntnisboden 77 – absoluter 83 Erkenntnisgebilde 101 Erkenntniskritik 78, 89 Erkenntnisleben 101 Erkenntnisreflexion – erkenntnispraktische 94 – transzendentale 94 Erkenntnissphäre 62 Erkenntnissubstrat 126 Erkenntnistheorie 71, 85 ff., 90, 137, 199, 235, 266 – empiristische 265 – naturalistische 193 – psychologistische 211 Erkenntniswelt 269 Erklären 171, 193 Erklärung 64, 226 f. Erlebnis 162, 239, 259, 262 – intentionales 238, 244 – psychisches 213, 234 Erschauen / erschauen 72 Erscheinen 210
302
Sachregister
Erscheinung 20 f., 78, 107, 109, 119, 161, 167, 169, 173 ff., 187, 223, 258 – subjektive 147, 157, 182, 224 Erscheinungsmannigfaltigkeit 108, 162, 175 Erscheinungsweise 89, 107, 147, 149, 162, 167, 170, 174 f., 183, 186 Erscheinungswelt, sinnliche 108 Erste, das (Erstes) 5, 127, 140, 156, 175, 257 Erstes, an sich 70 Erwartung 249, 253 Erwartungshorizont 165 Erwerb 13, 24, 100, 152, 154 – geistiger 10, 115, 155 – habitueller 107, 111, 209 – transzendentaler 212 Etwas 174 – überhaupt 45 Etwas-im-Sinn-haben 245 Europäisierung 14 evident 2, 29, 79, 132, 145, 152, 180, 248 Evidenz 2, 11, 21, 45, 52 f., 60, 66, 69, 74, 77, 91 f., 94 f., 107, 121, 125, 131, 136 f., 144, 156, 169, 172, 176 ff., 192 f., 201, 203 f., 226, 230, 251, 254 – apodiktische 26, 54, 62, 77, 79, 123, 195, 234 – apriorische 55 – der Erfahrung 235 – der Lebenswelt (lebensweltliche) 132 f., 143 – mathematische 26 – Modus der 130 – naive 185 – ursprüngliche 130, 206 – wissenschaftliche 237 Evidenzaufweisung 200
Evidenzsphäre 192 Evidenzstufe 131 Ewigkeit 6 Existenz – der Raumzeitform 56 – Gottes 95 – mathematische 56 Faktisches 40 Faktizität 181 – der universalen transzendentalen Subjektivität 181 Faktum 25, 72, 169, 182, 256, 274 Feld – anschauliches 110 – der Lebensinteressen 153 – thematisches 248 Feldmeßkunst 49 Fiktion 89 f., 92, 270 – psychologische 69, 90 Fiktionalismus, Humescher 119, 235 Formalisierung, universale 44 Formel 39, 43, 47, 53 Formelsinn 43, 48 Forschung, historische 74 Forschungspraxis 39 Fragliches 148 Fremdapperzeption 212 f. Fremdbewußtsein 256 Fremderfahrung 257, 266 Fremdkritik 243 Fremdwahrnehmung 189, 262 Fülle 28, 33, 36, 38 f. – anschauliche 37 – materielle 31 – sinnliche 27 Fundamentalbetrachtung, Cartesianische 91, 102 Fundamentalwissenschaft, apriorische 144
Sachregister Fundierung 85 – der Geltungen 153 Fundierungsordnung 127 Fungieren 109, 125, 139, 186, 265 – aktuelles 112 fungierend 111, 114, 187, 190 Funktion 84, 116, 121 – des Ich 106 – intentionale 171 – objektivierende 25 – transzendentale 116, 120 f., 189, 212, 214 Funktionäre der (neuzeitlichen philosophischen) Menschheit 15, 72 Für-sich-sein 217 f. Für-sich-selbst-sein 275 Ganzes 29, 237 – der Wahrheiten 95 Gesamtzusammenhang, historischer 72 Gebilde – geistiges 120 – intentionales 126 183, 186 – logisches 133 – menschliches 141 – subjektives 70 – wissenschaftliches 100 Gedanke 60 – logischer 137 Gegebenes 27, 67, 89, 130, 179, 219, 236 Gegebenheit 28, 241, 258, 267 – anschauliche 125 – deskriptive 227 Gegebenheitsweise 115, 147, 163, 168 ff., 177, 181, 183, 186 f., 208, 223, 244, 267 – relative 157 – subjektive 161
303
– Wandel der 149, 157 Gegenstand 30, 111, 152, 161, 174, 181, 244, 247, 254 – der Erfahrung 96 – intentionaler 244 f., 248 – überhaupt 45 Gegenständlichkeit 88 – ideale 30 – intentionale 244, 266 f. Gegenstandspol 174, 179, 186 f., 209 – konstituierter 213 Gegenstandstypus 244 Gegenstandswelt 97 Gegenwart 13, 15, 29, 163, 171 – historische 256 – lebendige 73 – mitmenschliche 256 Gegenwärtigung 163 Gegenwartslage 16 Gegenwartssituation 196 Geist 63 – europäischer 72 – Laplace’scher 268 Geisteserfahrung 228 Geisteshaltung, skeptische 16 Geisteswelt 112, 243, 252 Geisteswissenschaft 2, 4, 213, 231, 261, 271 Geistiges 226, 228, 244 Geistigkeit 208, 231 f. Geltung 32, 79, 99, 108, 112, 134, 136, 138, 140, 148, 152 f., 157, 163, 166 f., 169, 174, 188, 190, 202, 208, 240, 242 ff., 257, 262, 265 f., 272 – aktualisierbare 107 – aktuelle 133 – egologische 87 – Einheit der 161 – Geflecht der 153
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Sachregister
– implizierte 240 – implizite 152 – inaktuelle 152 – mitfungierende 152 – objektiv wahre (objektive) 83, 124, 151 – vorlogische 127 Geltungsaufbau 210 Geltungsboden 124, 150 Geltungsepoché 239, 242 Geltungserlebnis 87 Geltungsfundierung 143, 191 Geltungsgebilde 102 Geltungsimplikation 114 Geltungskorrelat, intentionales 262 f. Geltungsleistung 70, 78, 186, 212 Geltungsmodalität 240, 244 Geltungsmodus 107, 147, 149, 153, 169, 171, 208, 240, 244 Geltungsquelle 91 Geltungssinn 115 Geltungssynthese 162 Geltungsvollzug 151 Geltungsvorgegebenheit der Welt 153 Geltungswandel 164, 166 ff. Geltungszusammenhang, Einheit des 115 Gemeinschaft 168, 188, 208, 266, 277 – ichliche 270 – menschliche 266 Gemeinschaftsbewußtsein 166 Gemeinschaftserfahrung 270 Gemeinschaftsleben 160, 191 – historisches 155 Gemeintes 245 Genesis 91 – innerseelische 91 – psychologische 87
Geometrie 21, 26 f., 33, 37, 43 f., 49 f., 52, 60 – angewandte 31, 35, 37 – antike 49, 51 – ideale 31 – reine 21, 26, 35 Geradehin-leben 255 Gesamtschau, kritische 74 Gesamtstil, empirischer 28 Gesamttypik der anschaulichen Natur 40 Geschehen, geschichtliches 4, 72 Geschichte 4, 7, 72, 82, 93, 125, 213, 269 – der Konstitution der Welt 268 – der Philosophie 11, 71, 115, 194, 199, 243, 273 – der Transzendentalphilosophie 202 – Einheit der 74 – Gesamtheit der 72 – neuzeitliche 10, 2153 – Sinn der 200 – Teleologie der 76 – unseres jetzigen Menschentums 12 Geschichtlichkeit 4, 13, 91, 101, 154, 196, 256, 262 – transzendentale 191, 212 Geschichtsbetrachtung 59 – teleologische 74, 101 Geschichtskritik 59 Gesellschaftlichkeit 191 Gesetz 43 – exaktes 47, 53 Gesetzeserkenntnis 50 Gesetzeswissenschaft 181 Gesetzmäßigkeit 264 Gesinnung 256 Gestalt 24 ff., 28, 30 f., 33 f., 37 ff., 49 f.
Sachregister – abstrakte 27 – anschauliche 24 – empirische 27 – ideale 23 f. – raumzeitliche 22, 33, 43, 46, 55 – reine 22 f., 44 – sinnlich erfahrbare 22, 25 Gestaltbildung 114 Gestaltenmathematik 30, 35, 37 Gestaltensphäre 39 Gestalten weit 32, 35 Gestaltkonstellation 36 Gestaltmoment 31 Gestaltsphäre 35 f., 38 Gewißheit 31, 67, 78, 85 f., 166, 239, 240, 270 – apodiktische 117 – Modus der 85 Glaube 11, 15 Gott 5, 62, 67, 95, 184 Gott-Schöpfer 55 Gottesbeweis 76 Gottesproblem 7 Grund 173 – letzter (absolut letzter) 157, 198 Grundwissenschaft 17, 144, 158 Gültigkeit 136 – objektive 97, 119 f. Habitualität 109, 141, 187, 241, 256, 272 habituell 23, 112, 125, 139 ff., 154, 209, 242 Haltung 243 Handeln 122 Handlung 148 Hineinleben (in die Welt) 146, 149 Hintergrund – intentionaler 164, 214 historisch 10, 16 f., 23, 71 f., 83, 86, 202, 228, 234, 274
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Historizität menschheitlichen Lebens 271 Horizont 23, 50 f., 73, 110, 121, 124, 126, 134, 141, 145 ff., 152, 161 ff., 165, 167 ff., 173, 180, 246, 249, 256, 258 f., 267 – der Lebenswelt 141 – intersubjektiver 246 – konstituierender 179 – lebendiger 152 – möglicher Erfahrung 167 – offener 34, 167 – thematischer 215 – transzendentaler 209 – unendlicher mathematischer 19 – unthematischer 148 Horizontbewußtsein 147, 240 – intentionales 147 Horizontentfaltung 162 Horizontgeltung 165 Horizonthaftigkeit, strömende 152 Horizontintentionalität 240 Horizontphänomen 267 Hypothese 29, 36 ff., 41, 47, 55, 136, 142, 264 f. – praktische 133 Ich 79 f., 84, 88, 91, 109 ff., 152, 169, 174, 186 ff., 214, 221 f., 260, 270, 272 – aktuell jetziges (aktuelles) 152, 175, 189 – anderes 186, 189, 221, 259 – apperzipiertes 214 – der personalen Pronomina 270 – entweltlichtes 84 – fungierendes 109, 175, 190, 208 – identisches 89 – intendierendes 174 – konstituierendes 175
306
Sachregister
– meines 101 – menschliches 205, 214, 268 – mundanisiertes 210 – originales 189 – seelisches 83 – selbst 101, 189 – sich selbst setzendes 205 – transzendentales 188, 190, 205, 209, 268 Ich-Akt 110, 233 Ichbezogenheit 220 Ich-Du-Synthesis 175 Ichleben 209 – reines 248 ichlich 110, 216 ichliches Fungieren 110 ichlicher Modus 110 Ichliches 183 Ichlichkeit 110 Ich-Mensch 214 Ich-Pol 174 f., 183, 187 ff., 190, 210 Ichsein, waltendes 221 Ich-Subjekt 107, 110 f., 112, 168, 171, 176, 239, 245, 257 ff. – anderes 221 – fremdes 109 Ich-Zentrierung 208 Ideal 4, 8 ff., 63, 66, 90, 132 – der Philosophie und der Methode 8 – der Universalität und Rationalität der Erkenntnis 67 – der Vollkommenheit 23 – einer universalen Philosophie 10 – einer Wissenschaft 20 – geometrisches 26 – mathematisches 67 – objektivistisches 268 Ideales 20 Idealisation 33, 89
Idealisierung 23 f., 30, 34, 49, 51, 143, 224, 231, 255 – der Meßkunst 35 – der sinnlichen Erscheinungen 37 – der Welt 38 – geometrische 49, 230 – hypothetische 39 Idealismus 89, 266, 272 – Deutscher 274 – immanenter 234 – psychologischer 70 – transzendentaler 103, 196 Idealität 21, 24, 32 f., 35, 37 f., 41, 48 f., 133 – mathematische 40, 42 – raumzeitliche 44 Idee 11, 19 f., 36, 132, 271, 274 – absolute 14 – antike 18 – der Autonomie 272 – der einen Wissenschaft 199 – der Mathematik 19, 75 – der mathematischen Naturwissenschaft (der, einer Physik) 20, 27, 35 – der neuen Physik 32 – der objektiven Wissenschaft 130 – der Philosophie 6 ff., 12, 18, 20, 63, 71, 73, 75 f., 199, 201 – der Rationalität 66 – der transzendentalen Subjektivität 71 – der universalen Wissenschaft 66 – der Universalität 75 – der Welt 61 – einer Erkenntnis 11 – einer mathematischen Naturerkenntnis 21 – einer Mathematisierung der Natur 48
Sachregister – einer Natur 31, 61 – einer objektiven universalen Wissenschaft von der Welt 268 – einer objektiven Welterkenntnis 138 – einer objektivistischen Philosophie 206, 212 – einer philosophia perennis 200 – einer Philosophie auf dem Boden der absoluten, transzendentalen Subjektivität 212 – einer Universalmathematik 62 – einer Welt überhaupt 45 – einer Willensentschiedenheit 272 – eines universalen rein lebensweltlichen Apriori 143 – entleerte 75 – Gottes 62 – historische 75 – leere 21 – objektiver Wahrheit 124, 127 – und Ideale 7 – Vernunft 7 – „Wahrheit an sich“ 270 Ideenkleid 51 f. Ideenlehre 18 Identifizierung 161, 186 Identität 22, 24, 90 immanent 89, 245 Immanent-Eigenes 247 Immanenz 91 – egologische 83 – psychologische 83 – reine 248 Implikat, intentionales 262 Implikation 162, 240, 248, 267 – intentionale 259 f., 262 – wechselseitige 260 inaktuell 214 Individualität 222, 227
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Individualpsychologie 232, 250 Individuation 233 Induktion 36, 38, 50, 126, 130 f., 197, 264 Induktivität 41 – universale 37 f. In-Geltung-Haben 240 inhibieren 153, 244 Innenanalyse, psychologische 210 Innenhorizont 165 Innenpsychologie 250 Innerlichkeit, seelische 250 In-sich-sein 217 f. In-sich- und Für-sich-Sein eines Subjekts 248 Intention 152, 169 f., 174 f., 244 f., 266, 273 – praktische 141 intentional 148, 170, 174, 178, 183, 238, 241, 243, 253 – (vergemeinschaftet) 263 Intentionalität 84 f., 87 f., 168, 171 f., 174, 181, 236, 242 f., 238 f., 241, 246, 248, 254, 257, 259 f., 272 – antizipierende 258 – Einheit der 260 – fungierende 212 f. – implizierte 163 – konstituierende 252 – korrelative 186 – meine originale 262 – mitfungierende 240 – sedimentierte 118 – unbewußte 240 Interesse 23, 27, 29, 43, 47 f., 57, 94, 110, 140, 141, 143, 147, 159, 182, 241, 256, 273 – an der Lebenswelt 144 – an Sein 178 – natürliches 155 – philosophisches 168
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Sachregister
– praktisches 22, 25, 143, 178 – theoretisches 25, 112, 114, 121, 138 f., 149, 158, 172, 208, 213, 263 – transzendentales 176 – universales 147 – weltliches 178, 263 Interessenhorizont 209 – transzendentaler 176 Interessenrichtung, habituelle 139 Interessensphäre 94 Interessenwendung 147 intersubjektiv 24 f. Intersubjektivität 170, 175, 190, 206, 241 – absolute 275 – konstituierende 188 – transzendentale 188 f., 212, 266 – universale 183 Invarianz 40 Irrationalismus 1, 14, 90 Irrationalität 14 Jeweiligkeit, strömende 28, 148 Kategorie – der Lebenswelt 142 – regionale 169, 186 Kausalgesetz 53 Kausalgesetzlichkeit 218 Kausalität 29, 34, 38 f., 90, 96, 142, 221 f., 222, 228, 234, 267 – idealisierte 38 – psychische 235 – psychophysische 236, 248 f. – universale 33, 38 f., 53 Kausalstil 29, 51 Kinästhese 108 f., 164, 166, 221 f., 225 Kinästhetisches 110 Klarheit 42, 58, 71 ff., 92, 118, 137, 226 f., 229, 254
Konkretion 31, 64, 133 f., 136, 188, 191, 195, 230, 248, 266 – des sinngebenden und sinnhabenden Lebens 246 – volle 214 Konkret-Reales 39 Konkretum 34 konstituieren(d) 154, 180, 206 konstituiert 114, 117, 179, 189 f. Konstitution 172, 175, 190, 192 – intersubjektive 171 – transzendentale 192 – universale 186 konstitutiv 93, 175, 193 Konstruktion 23, 30, 33, 35, 49 – approximative 32 – apriorische 55 – intentionale 259 – kausale 35 Kontinuität 25, 175 – (von Nochbewußtem) 163 Kontinuum – mathematisches 37 – von Retentionen und Protentionen 171 Körper 109 f., 142, 231 – empirisch-starrer 25 Körpererfahrung 228, 234 Körperlichkeit 110, 230, 232, 236 Körperwelt 61 f., 81, 94 Korrelat 148, 155, 177 – subjektives 179 – transzendentales 268 Korrelation 16, 164, 168 f., 186, 191, 209, 266, 272 f. – transzendentale 181, 266 – von Gelten und Geltendem 257 – von Seiendem und Sinn 154 – von Welt selbst und Weltbewußtsein 154 Korrelationsapriori 162, 169
Sachregister Korrelationsproblematik 178, 237 Korrelationsthema 178 Krisis 10, 14, 216 – der Philosophie 10 – der Psychologie 216 – des europäischen Menschentums 10 – unserer Kultur 3 – unserer Wissenschaften 1 Kritik 3, 6, 60, 72 f., 199 f. – radikale 78 Kultur 208 Kultureigenschaft 24, 60 Kulturleistung 115 Kulturobjekt 23, 108 Kulturtatsache 107, 176 Kulturwelt 191, 263 Kunst 197, 199, 201 – methodische 216 f. – theoretische 197 f. Kunstwerk 230 Leben 29, 41, 43, 49 f., 60, 81, 99, 114 ff., 122, 134, 145, 147, 152 ff., 157, 176, 178 f., 210, 214, 219, 230, 238, 243, 250, 259, 264, 266, 272 – aktives 152 – aktuelles 60 – alltägliches 135, 242 – cogitatives 82 – der Anderen 166 – egologisches 84 – eigenes 258 – erfahrendes 270 – erkennendes 100 – fungierendes geistiges 121 – in der Apodiktizität 275 – intentionales (rein intentionales) 88, 181, 184, 241, 243 f., 246, 248, 262 – intentional leistendes 208
309
– konkret wirkliches (konkretes) 43, 101 – konstituierendes 181, 189, 209, 275 – leistendes 92, 131, 151, 181 – menschlich personales (menschlisches) 126, 272 – natürliches 148, 151, 180, 208, 223, 251, 264 – natürlich-normales 152 – neuzeitliches 135 – originales 262 – psychisches 248 – strömendes 181 – theoretisches 49 27 f., 76, 78, 84 ff., 126, 142, 166, 172 f., 177, 184 f., 188 – transzendentales (transzendental reines) 179, 181, 188, 262, 266, 275 – vor- und außerwissenschaftliches 35, 50, 54, 70, 113, 126 f., 133, 141, 247 – waches 111, 165 Lebensalltäglichkeit 28 Lebensgemeinschaft 266 Lebenshorizont 147, 149 Lebensinteresse 139, 179, 214 Lebenspraxis 124 Lebensstrom 260 Lebensumwelt 38, 67, 106, 123, 150, 158 Lebensverbundenheit 266 Lebenswelt 50 ff., 108, 112, 124 ff., 130 ff., 136 ff., 141 ff., 150, 158, 171, 173, 175, 177, 208, 213, 215 f., 218 ff., 222, 224 f., 229 f., 258 – allgemeine 132 – alltägliche 49 – Gegebenheiten der 127 – konkrete 134, 136
310
Sachregister
– konstituierte 176 – praktische 43 – raumzeitliche 150 – Seinsweise der 125 – strömende 223 – vor- und außerwissenschaftliche 42, 60, 77 – vorgegebene 139 – Wesen der 126 lebensweltliche Epoché 140 – Evidenz 132, 143 – Raumzeitlichkeit 133 Lebensweltliches 223 – Apriori 143 f. lebensweltlich Reales 220 – Seiendes 129, 141 – Subjektives 130 Lebenszusammenhang 152 Leib 82, 108 f., 164, 205, 210, 214 ff., 218, 222 f., 234, 238, 259 – fremder 110 – mein 109 f. Leibbewegung 164 Leiblichkeit 109 f., 220, 222 Leisten 209 – anonymes 232 Leistung 49, 51, 70, 96, 98, 116, 120 f., 132, 141, 148 f., 155, 178, 183, 187, 189 f., 206, 209, 224 – der Weltkonstitution (weltkonstituierende) 116, 191 – geistige 115, 120 – ichliche 181 – immanente 84 – intentionale (intentionaler Synthesen) 84, 163, 172 – intersubjektive 182 – konstituierte 208 – konstitutive 188 f., 214 – methodische 122 – objektivierende 33
– praktische 120 – seelische 119 – sinngebende 49, 210 – subjektive 163 – theoretische 229 – transzendentale 106, 189, 210 – universale 115 – verborgene geistige 96 Leistungserwerb 187 Leitfaden 175, 215 – transzendentaler 177 Leitidee der neuzeitlichen Philosophie 207 Limesgestalt 23, 25 ff., 33 Limes-Idee 26 Literatenphilosoph 15 Logifizierung 46 Logik 97, 135 f., 138, 144, 185 – als Normenlehre und Kunstlehre 95 – formale 45 f., 95 Logistik 44, 135 Mannigfaltigkeit 30, 34, 45, 170 – antizipierte 109, 165 – definite 45, 269 – der Geltungen 166 – Euklidische 56 – korrelative 164 – mathematische 20 – subjektiver Erscheinungsweisen 168 Mannigfaltigkeitslehre 44, 46, 56 Mathematik 20 ff., 30, 37, 39, 58, 66 f., 77, 83, 97, 135, 203, 268 – alte (griechische) 18 f. – angewandte 36, 38, 56 – apodiktische 89 – apriorische 56 – der definiten Mannigfaltigkeiten 75
Sachregister – formale 56 – reine (reine analytische) 1 f., 31, 35, 38, 40 f., 43, 45, 54 ff., 61 f., 68, 95, 97, 105, 263, 268 – traditionelle 74 – universale 177 Mathematisierbarkeit, indirekte 37 Mathematisierung 43, 47, 61, 67 f. – der Natur 20 – direkte 32 – indirekte 32 f., 36, 40 Mathematizismus 269 mathesis universalis 45, 47, 75, 95 Meinen 174 Meinesgleichen 206 Meinung 113, 125, 147, 155, 182, 208, 245 Mensch 4, 7, 10, 13, 50, 54, 67, 69, 80 f., 87, 110, 115, 128, 133, 136, 141, 149, 166, 182, 184, 187, 190 f., 205, 208 ff., 214, 230 ff., 234, 236, 238 f., 249, 252, 255 f., 262 f., 266 f., 273 – anderer 210 – neuzeitlicher 204 Menschenerkenntnis 264 Menschengemeinschaft 166, 267 Menschengeschichte 213 Menschentum 4, 8, 11 ff., 20, 125, 154 – antikes (griechisches) 5, 13 – aus reiner Vernunft 200 – europäisches 5, 10, 13 f., 59, 200 – philosophisches, wissenschaftliches 124 Menschheit 6, 8, 12 f., 23, 67, 140, 175, 178, 183, 185, 188, 190 f., 199, 214, 265, 273, 275 – europäische 10 – fremde 14
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– sozial verbundene 13 – wissenschaftliche 40 Menschheitsfunktion 273 Menschlichkeit 268 Messung 31, 225 Meßkunst 25 f., 30 f., 40 – praktische 35 Metaphysik 6 ff., 13, 57, 65, 136, 203, 206, 229, 235 – rationale 95 – traditionale objektivistische 143 metaphysisch 7 Methode 7 f., 10, 12, 19, 24, 29, 31, 39 ff., 43, 48, 52 f., 57 f., 60, 88, 94, 113, 121, 135 ff., 149, 156, 173, 185, 190 f., 193 ff., 202, 205, 207, 224 ff., 243, 246, 264, 271, 274 – apodiktisch erzeugende 30 – apodiktische 14, 73 – beschreibende und erklärende 226 – der Epoché 239 – der Erkenntniserweiterung 67 – der Idealisierung 23 – der intentionalen Analyse 237 – der (phänomenologischen) Epoché (der phänomenologischen Reduktion) 251, 264 – der transzendentalen Reduktion 213 – eidetische (der Wesensforschung) 182, 230 – erzeugende 24 – geometrische 49 – induktive 36 – naturalistische 219 – naturwissenschaftliche 42, 61, 64 – neue (der positiven Wissenschaften) 8 – rationale 94
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Sachregister
– regressive 106, 116, 118, 120 – theoretischer Wesensforschung 230 – transzendental-subjektive 103 Methodik 41 Methodisierung 68 Miteinander 111, 167, 183 – des Lebens 243 Miteinanderleben 166 mitfungierend 112, 185, 191 mitgeltend 258 Mitgeltung 242 – reale 263 Mitglaube 239 Mitidealisierung 37 mitkonstituierend 190 Mitmensch (Mitsubjekt) 167, 178, 188, 256, 272 Mitmenschheit 67, 124, 168, 206 Mitsubjektivität 258 Mittelbarkeit, intentionale 248 Mitvollzug 262 Modalisierung 148, 253 – der Gewißheit 179 – der Seinsgewißheit 146, 174 Modalität 161, 240, 245, 256 – raumzeitliche 169 Modifikation 108, 110 – intentionale 172, 189, 191, 262 Modus – der Seinsgewißheit 146 – der Vergegenwärtigung 163 – noetischer 75 Möglichkeit 28 f., 107, 151, 166, 21 – der (einer) Philosophie 15, 17, 31 – ideale 22, 38 Moment 28, 32, 34 Motiv 36, 101, 211, 215 – historisches 57 – rationalistisches 63 – transzendentales 198
Motivation 9, 42, 49, 134, 159, 274 – Galileische 35, 41 – historische 207 – transzendentale 201 Motivationsanalyse 59 Mystizismus 1 Mythos 5 Nachstiftung 72 Nachverstehen 239 naiv 11, 60, 70, 82 Naivität 12, 14, 52, 82, 98, 144, 158, 178, 184 f., 190, 214, 235, 246, 250, 264 f. – apriorischer Evidenz 27 – des Lebens 60, 135 – philosophische 60 – transzendentale 196, 213 – Überwindung der 215 Natur 21, 31, 36 f., 47 f., 50, 52 ff., 56, 61 ff., 68, 94, 112, 130, 193, 216, 218, 232, 238, 259, 269 – abstrakt-universale 230 – an-sich 55, 62 – der exakten Naturwissenschaften 53, 224 – idealisierte 50 – lebensweltliche 224 – mathematisch-physikalische 224 – mathematisierte 46, 62 – physikalische 53 – physische 223 – rationale 62 – universale 258 – vorwissenschaftlich-anschauliche 50 – wahre 41 Naturalisierung 224 – des Psychischen 64 – des Seelischen 225 Naturalismus 63, 130, 196, 234 f.
Sachregister – naiver 87 Naturauffassung, physikalische 64 – konkrete 31 Naturerkenntnis, konkrete 31 Naturgesetz 40, 47, 225 Naturgesetzlichkeit, universale 55 Naturidee 58 Naturkausalität 55, 61, 222 Naturkonzeption, physikalische 64 Naturwissenschaft 20, 50, 55, 57 ff., 62, 66, 131, 207, 216, 223, 230 f., 234 f., 238, 244, 248 f., 261, 263 – beschreibende (deskriptive) 226, 237 – erklärende 237 – exakte 1 f., 105, 208 – griechische 18 – induktive 68 – mathematische 83, 97, 269 – universale 61 – Wesen der 41 Neukantianismus 199 Neustiftung der Philosophie 12 Neuzeit 53, 64, 66, 71, 76, 83, 124, 130, 136, 200, 218, 230, 274 – philosophische 101 Nichtsein 155 – der Welt 178 Norm 4, 95, 135 – apriorische 138 – methodische 142 Normenlehre, apriorische 138 Notwendigkeit 4, 31, 97 Objekt 19, 110, 146 f., 220, 254 – affizierendes 111 – lebensweltliches 110, 142, 149 – thematisches 110 f.
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Objektbewußtsein 146 objektiv 30, 36 – wahr 95 Objektives 131, 182, 193, 262, 271 Objektivierung 31, 35, 39 f. Objektivismus 69 f., 83 f., 93, 102 f., 204 – dogmatischer 93 – naturalistischer 271 – neuzeitlicher 129, 198 – philosophischer 196 – überhaupt 93 Objektivität 5, 87, 99, 116, 142, 183, 193, 259 f., 262 – der objektiven Wissenschaften 86 – ideale 30 – metaphysische 96 – mundane 208 – reale 208 – wissenschaftliche 208, 217 Objektivitätsideal 128 Offenbarung (der universalen, dem Menschentum als solchen eingeborenen Vernunft) 13 Onta 147 Ontologie 176 f. – allgemeine 95 – der Lebenswelt (lebensweltliche) 145, 176 – der Seele 269 – der Welt 268 – des Welt- und Selbstbewußtseins 256 ontologisch 145 Operation 24 Ordnung des Seins 7 ordo geometricus 195 original 163, 246, 258 originär 24, 44
314
Sachregister
paradox 228, 244, 253, 268 Paradoxie 92, 134, 178, 183 ff., 187, 207, 244, 247, 265 Paradoxon 82 passiv 239 Person 60, 232 f., 238 ff., 241, 266, 272 – thematische 242 f. Personalität 191 Perspektive 167, 174 – Wandel der 161 Perspektivierung 108, 108 Perzeption 88 Phänomen 54, 79, 82, 114, 123, 156, 163, 185 ff., 247, 257 f., 260, 262, 271 – deskriptives 251 – historisches 12 – intentionales 237 – lebensweltliches 177 – psychisches 223, 236 f., 242 – reduziertes 256 – subjektives 163 – transzendentales 155, 177, 182 – „Welt“ 259 Phänomenologie 71, 260, 268 – Anfänge der 237 – transzendentale 168, 190, 192 f., 214, 272 Phantasie 22, 28 Philosoph 15 f., 67 f., 72 ff., 77, 90, 102 Philosophem 74 philosophia perennis 7 Philosophie 1 f., 7 ff., 11, 13, 15 f., 39, 57, 59, 62 ff., 66 f., 70 f., 73, 83, 88, 94, 100 ff., 114, 119, 168, 170, 179, 192, 194, 196, 200, 204, 217 f., 263, 265, 269, 271, 273 ff. – alte (antike, griechische) 11 ff., 31, 273
– anfangende 185 – der Neuzeit 194 – der Vergangenheit 17, 69 – des Idealismus 271 – echte 82 – neue 6, 85 – neuzeitliche 12, 42, 100, 103, 119, 177, 212 – objektive 185 – objektivistische 60, 71, 196 ff. – radikale 188 – rationale 78, 94 f. – rationalistische 63 – sterbende 15 – systematische 65, 69 – theoretische 5 f. – transzendentale 71, 195, 259 – universale 6, 8, 10, 85, 100, 198, 217, 229 – Unwissenschaftlichkeit der 2 – vergangene 71 – wissenschaftliche 98, 199 – Zweige der 10 Philosophiegeschichte 103 Philosophieren 16 – menschliches 15 – neue Art des 69 – völlig neuartiges 83 Physik 21 f., 35, 38, 41 f., 47 f., 51, 53, 64, 67 f., 226, 230, 255, 271 Physikalismus 63, 269 Platonische Ideenlehre 18 Platonismus 20 Pol 180, 186 Positivismus 5, 7, 90 positivistisch 6 Potentialität 133 Prädikation 138 Präsentation 163 Präsenz 163 f. – aktuelle 189
Sachregister – originale 165 Praxis 23 f., 43, 51, 113, 120, 135, 143, 159, 170, 179 f., 224, 229 f. – alltägliche 126 – außertheoretische 145 – empirische 24 – ideale 23 – menschliche 60, 115 – methodische 24 – objektive 150 – rationale 37 – technische 26 – theoretische 44, 135, 145 – wissenschaftliche 229, 271 primordial 189 Primordialität 189, 262 Primordialsphäre 189 Problematik, transzendentale 83 Probleme der Vernunft 7 Protention 163 Psychisches 218, 220, 223, 226, 228, 236, 249, 252 f. – Eigenwesen des 225 Psychologie 1 ff., 61, 63 f., 66, 69, 71, 75, 83 ff., 86 f., 94, 114, 117 ff., 129, 182, 196, 204 ff., 207 ff., 210, 210 ff., 215 ff., 218, 223 ff., 229, 231, 233 ff., 237 f., 242, 244 f., 247, 250, 253 ff., 259, 261, 271 – analytische 211 – apriorische 268 – der Intentionalität 237 – der Positivität 265 – der Tradition 253 – deskriptive (beschreibende) 226, 239, 241 f., 244, 247 f., 253, 259 – dualistische 235 – empiristische 96 – erklärende 249 – historische 129 – intentionale 118, 260
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– naturalistische 64, 68 – neuzeitliche 17 – phänomenologische 245, 250 – positive 268 – rein deskriptive (reine) 240, 246 f., 249, 261 ff., 264 – traditionelle 224, 236 – transzendentale 261, 265, 268 Psychologismus 17, 90, 205 f., 211 – empiristischer 86 Qualität 32 – sinnliche 27, 32, 54 – spezifische 34 Quantifizierbarkeit 36 Quantifizierung 38 Quelle – aller Erkenntnisbildungen 100 f. – ursprünglichste 228 radikal 50, 72, 79, 101 f., 144, 243 Radikalisierung 93 Radikalismus 12, 77 f., 80, 94, 103, 198, 235 – Cartesianischer 91 – (der vollen transzendentalen Epoché) 267 – der Voraussetzungslosigkeit 81 – phänomenologisch-transzendentaler 185 Ratio 70 rational 14 Rationalisierung 68 Rationalismus 14, 63, 67, 75 f., 85, 100, 105, 200 f., 273 f. – nachcartesianischer 94 – naturalistischer 65 – objektivistischer 195 – physikalistischer 65 Rationalität 14, 19, 61 f., 96, 119, 274
316
Sachregister
– (der mathematischen Naturwissenschaften) 96 – mathematische 81 – naturwissenschaftliche 61 – physikalische 63 – reine 96 Rätsel 82, 91, 96, 134 f., 184 – aller Rätsel 12, 208 – der psychologischen Thematik und Methode 3 – der Schöpfung 184 – der Subjektivität 3 – einer Welt 100 Raum 163, 214 – geometrischer 19, 22 – idealer 19, 22 – phantasierter 22 – und Zeit 30 Raumfigur 18 Raumgestalt 21 Raumzeit 220 f. Raumzeitform 23, 34, 50, 55 – Idealisierung der 34 raumzeitlich 28, 32, 270 Raumzeitlichkeit 25, 27, 54, 61, 117, 142, 145, 171, 215, 220, 222, 231, 257, 273 – lebensweltliche 133 Raum-Zeit-Sphäre 47 real 29, 61, 210, 216, 219, 267 – kausal 28, 31 – seiend 244 Reales 20, 216, 230 f., 238, 242 – (lebensweltlich) 220 Realisierung 38 Realismus 190, 266 Realität 20, 25, 50, 78, 91, 159, 180, 186, 208, 222, 226 ff., 234, 238 f., 250, 267 – äußerliche 247 – der Menschen 216
– konkrete 60 – psychophysische 208, 218 – raumzeitliche 218 Reduktion 157, 246, 254 f., 257, 260, 262, 264 – (auf das absolute Ego) 190 – (auf das Psychische) 254 – bevavioristische 251 – (der Menschheit auf das Phänomen „Menschheit«) 155 – (Phänomenologie der phänomenologischen) 250 – phänomenologische 82, 170, 214, 252, 261, 268, 272 – phänomenologisch-psychologische 239, 247 – psychologische 255 – radikale 260 – transzendentale 155 f., 170, 177, 203, 211, 239, 266 – transzendentalphilosophische 254 – universale 249 f., 254 reell 173, 219 reflektieren 29, 213, 208 reflektiv 49, 60, 107, 174, 209, 254 Reflexion – kritische 203 – methodische 158 – schlichte 223 Reflexionsstufe 175, 186 Regel, kausale 34 Region 230 – transzendentale 204 Relation 30, 229 Relativismus, anthropologistischer 71 Relativität 11, 60, 69, 138, 142, 145, 150, 158, 162, 168, 176, 219, 223, 231, 274 – der Lebensumwelten 150
Sachregister – subjektive 135 Religion, positive 184 Renaissance 200 Residuum der Welt 81 Retention 163 Rückbesinnung 50 – historische 16, 73 – kritische 16 Sach-Kultur 232 Satz 19, 41 – allgemeiner 43 – ideal-geometrischer 18 Satzform 56 Schein 50, 107, 148, 164 ff., 174, 239, 270 Schicht 171 – konstitutive 191 Schicksal 67 Schrift 23 sedimentiert 72, 118, 213 Sedimentierung 52, 249 – tote 152 – traditionale 73 Seele 61, 64, 81, 86, 91, 94 f., 101, 117, 120, 187, 190, 205, 209 f., 215 f., 218 ff., 231, 241, 256, 258 ff., 267, 271 – reine 82, 257 Seelenleben 88, 187, 214, 217, 232, 266 – mein 214 – mein und Anderer 213 Seelisches 64, 214, 216, 225 f., 233, 251 – eigenes 88 – rein 263 Sehen (sehen) 51, 160, 167, 204 seiend 62, 106, 110, 114, 133, 157, 160, 166, 169, 179, 187, 189, 210, 211, 223, 242, 259
317
– in der Welt 255 f. Seiendes 9, 11 f., 20, 26, 29, 70, 79, 98, 115, 129, 146, 148, 169 f., 172 f., 180 f., 183, 192, 202, 229, 262, 269 f. – als Universum 273 – an sich 81, 270 – Gebiete des 9 – lebensweltlich 129, 141 – objektiv 167 – psychisches 62 – real 260 – relativ 142 – selbst 27, 223 – weltlich 270 Seiend-Geltendes 113 Sein 78, 113, 155, 160, 164, 188, 221, 229, 239, 275 – als ens per se 222 – als Ich-Subjekt 264 – an sich, wahres 54 – aus subjektiver Leistung 100 – der Menschheit 15 – der Natur 43, 268 – der neuzeitlichen positiven Wissenschaften 59 – der objektiven Welt 193 – der Welt 70, 78, 149, 263 f., 266, 268 – eigenes (seelisches) 84, 266 – eigenes wahrhaftes 15 – existenzielles 16 – geistiges 239 – in mathematischer Idealität 55 – inneres 250 – konkretes 179 – künftiges 220 – meines 209 – menschliches 116 – natürliches 155 – objektives 25, 178 f.
318
Sachregister
– objektiv wahres 99, 195 – oder Nichtsein der Welt 78 – physisches und psychisches 227 – psychisches 62 – rationales 62 – seelisches (wahres) 208, 214, 220, 223, 233, 239, 261, 263 f., 268 – transzendentales 181 – und Nichtsein 97 – unser eigenes 112, 134 – vermeintliches 11 – von Dingen 264 – wahres 11, 52, 159, 179 – wirkliches (wahrhaftes) 148 Seinsall 19 Seinsbewährung 192 – des Lebens 130 Seinsfragen 155 Seinsgeltung 20, 69 f., 79, 107, 109, 112, 143, 148, 150 f., 153 ff., 181, 189, 205, 257, 262, 270 Seinsgewißheit 51, 107, 160, 165, 175, 179, 187, 190, 240 – der Welt 145 – Modus der 257 – schlichte 164 Seinsmeinung 243 Seinsmodalität 148, 244 Seinsmodus 163 Seinsnegation 270 Seinsproblem 7, 136 Seinssinn 92, 107 ff., 111, 115, 124 f., 131, 148, 156, 172, 179 f., 184, 186, 192 f., 213, 221, 262, 275 – der Natur 106 – der objektiven Welt 103 – der vorgegebenen Lebenswelt 70 – der Welt (Welt) 70, 259 – naiver 180 Seinssinnfunktion 172
Seinssphäre 79, 106, 118 – absolute 193 – egologische 82 Seinsstil 33 Seinsweise 112, 126, 154 – der absoluten Subjektivität 275 – der Lebenswelt 128, 134 – der Welt selbst 146 – des Subjektiven 129 – eines Objektes 146 – personale 50 selbst 81, 131 – gegenwärtig 107 Selbst 107 f., 264 Selbstapperzeption 209 f., 212 f., 256 ff. – fremde 213 Selbstauslegung 59, 73, 97, 189 Selbstbesinnung 74, 106, 121, 185 f., 195, 207, 254, 266, 272 – der leistenden Subjektivität 193 – des Philosophen 73 – egologische 262 – historische 73 – phänomenologische 190 Selbstbetrachtung 112 Selbstbewahrung 190 Selbstbewerten 112 Selbstbewußtsein 254 ff. – individuelles 206 – menschliches 266 – naives 209 – transzendentales 261 Selbstdenker 73, 76 Selbstenthüllung 12 Selbsterfahrung 87, 89, 266 – Evidenz der 86 – innere 86 – originale 257 – reflexive 236 Selbsterfassung 122
Sachregister Selbsterhellung 273 Selbsterkenntnis 112, 264 Selbstgebung 177, 186, 192, 237 Selbstgegebenheit 169, 172 Selbstgegenwart 107 Selbsthaben 51 Selbstkorrektur 270 Selbstkritik 201, 243 Selbstnormierung 13 Selbstobjektivation 190 – der transzendentalen Subjektivität 156 – menschliche 212 – naive 214 Selbstobjektivierung 209, 210, 275 Selbstoffenbarung 97 Selbstsein 130 Selbstverantwortlichkeit, universale 272 Selbstverantwortung 200, 272 – theoretische 103 Selbstverstand 275 Selbstverständigung 90 Selbstverständliches 184 Selbstverständlichkeit 183, 192, 208, 254, 269 – des Seins der Welt 184 – natürliche 77 – traditionale 42 Selbstverständnis 9, 13, 39, 58, 67, 73 f., 103, 157, 195, 202, 209, 265, 273, 276 – radikales 16 Selbstwahrnehmung 117, 213, 217 – egologische 83 Selbstzeitigung 189 Sensualismus 89 f., 234, 247, 274 – positivistischer 64 setzen 153 ff. Setzung 244 – apodiktische 81
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Sichbesinnen (des Erkennens) 100 Sinn 4, 7, 10 f., 13, 15, 17, 24, 29, 40, 42, 46, 48, 50, 57, 68, 70, 76, 78, 84, 101, 113, 117, 120, 134, 136 f., 144, 148, 151, 154, 163, 171 f., 188, 202, 208, 219, 228 ff., 237, 245 f., 248, 258, 265, 266 – absoluter 14 – abstrakter 169 – apperzeptiver 165 – der Geltungen 256 – der Geschichte 11 – der Leistungen positiver Wissenschaft 103 – der Mathematisierung der Natur 20 – der Methode 52 – der naturwissenschaftlichen Objektivität 271 – der neuen Rationalität 65 – der Theorien 53 – der Welt 14 – der Wissenschaftlichkeit 103 – des Apodiktischen 74 – des Menschentums 11 – des Rationalismus 14 – geschichtlicher 73 – konkreter 169 – letzter Begründung 204 – transzendentaler 209 VI 46 – und Geltung 121 – von Philosophie 8 Sinnaufbau 210 Sinnauslegung 246 Sinnbereicherung 161 Sinnbildung 23, 54, 60, 118, 143, 171, 173 – Einheit der 171 – konstitutive 186 – lebendige 57 – ursprüngliche 172
320
Sachregister
Sinneinheit 183 – teleologische 103 Sinnentfaltung 114 Sinnenwelt 108 Sinnerfüllung 227 – des geschichtlichen Prozesses 119 Sinnesdaten 96 Sinnesentwicklung 59 Sinneserbschaften 57 Sinnesfundament 21, 49 Sinneshorizont 48, 252 Sinnes-Implikation 52 Sinnesklärung 179 Sinnesleistung 212 Sinnesquelle 197 50 Sinnesveräußerlichung 43 Sinnesverwandlung der Welt 61 Sinnesvoraussetzung 22, 42 Sinnfortbildung 161 Sinngebilde 57, 102, 115, 171 Sinngebung 149 Sinngehalt 153, 244 Sinngestalt (der Physik) 56 Sinnhaftigkeit 71 Sinnimplikation 114 Sinnklärung 157 Sinnleistung 78 Sinnlichkeit 81, 92, 95 f., 106, 109, 169 Sinnüberdeckung 48 Sinnumwandlung 157 Sinnverschiebung 46, 58 f. Sinnverwandlung 12, 48, 67 f., 177, 197, 271 – radikale 169 Sinnwandlung 18 Sinnzusammenhang, Einheit des 115 Situation 58 – historische 62, 246
– kinästhetische 109 – paradoxe 69 – philosophische 58 Situationswahrheit 135, 159, 178, 208 Skepsis 1, 11 f., 68 f., 101 – antike 71, 88 – Humesche 94 Skeptizismus 78, 90, 92, 195, 211, 265, 274 – akademischer 90 – antiker 78, 85 – empiristischer 91 Solipsismus 90, 265 soseiend 160, 187 Sosein 160, 188 sozial 13 Sozialität, universale 175 Sozialpsychologie 231 Soziologie 232 Sphäre, immanente 90 Sprache 23, 192, 213 f., 230, 270 – phänomenologische 192 Sprachgemeinschaft 213 Stellungnahme 138, 243 f. Stil 29 – methodischer 59 Strom – des Mannigfaltigen 153 – psychischer Erlebnisse 233 Struktur 172, 176 – apriorische 142 – der konkreten Welt 38 – der Lebenswelt 221 – intentionale 175 – universale 143 – unseres Bewußtseins 105 Strukturbegriff, apriorischer 263 Strukturgesetzmäßigkeit, apriorische 159 Subjekt 4, 60, 107, 147, 169 f., 239,
Sachregister 241, 243 f., 252, 257,ff., 264, 271, 273 – anderes 209 – fungierendes 265 – für die Welt 184 – Innen-Welt des 243 – reines 260 – transzendentales 187, 210 Subjektgemeinschaft 177, 243, 271 – transzendentale 263 subjektiv 160 – relativ 20, 30, 133, 138, 141, 258 – Relatives 128 f., 135 f. Subjektives 83, 113 f., 129, 149, 174, 180, 182 f., 218, 223 f., 262, 267, 271 – lebensweltlich 130 – rein 172 – transzendental 116 f. Subjektivismus 70 – radikalster 99 – transzendentaler 69, 93, 98, 100 f. Subjektivität 70, 98 f., 151, 156, 170, 175 f., 178, 180, 184 f., 215, 265, 271 f. – absolute 154 – absolut transzendentale 170 – aktuelle 272 – anonyme 115 – empirische 205 – erkennende 102, 106 – fungierende 259, 265 – fungierend-leistende 149 – konkrete transzendentale 177 – konstituierende 202, 266 – lebensweltliche 129 – leistende 62, 154, 183 – meine 99 – menschliche 116, 169, 183, 205
321
– psychologische 70 – Rätsel der 3 – reine 260 – Seinssinn gebende 155 – transzendentale (transzendental reine) 116, 120, 155, 179, 181, 190 f., 205, 207, 261, 263, 266, 272, 275 – transzendental leistende 182 – universale 212, 267 – universale letztfungierende 115 – urquellend fungierende 102 – vorgebende 150 Subjekt-Objekt-Korrelation 184, 265 Substraktion, idealisierende 222 – metaphysische 232 Substrat 24, 99, 129, 216, 230 – der (kausalen) Eigenschaften 147, 221 Substratgegenstand, formaler 45 – hypothetische 143 – theoretisch-logische 130 Symbol 52 Symbolik 21 Synthesis 148, 167, 169 ff., 173, 175, 246, 252 – der Einstimmigkeit 253 – diskrete 161, 172 – einstimmige 174 – intentionale 237, 245, 262 – intersubjektive 175 – iterierte 150 – kontinuierliche 160 f., 172 – psychologische 252 – strömende 79 – universale 93, 172 System 10 – idealistisches 203 Systemphilosophie 8
322
Sachregister
Tatsache – historische 16, 52, 74, 150 – reale 261 Tatsachenwissenschaft 9, 120, 181 Techné 201 ff. Technik 23, 26, 37, 54 – intellektuelle 139 – methodische 197, 225 – rechnerische 46 Technisierung 46, 48 Teil 237 – reeller 245 Teleologie 5, 16, 71, 276 – der Geschichte 76 teleologisch 200 Telos 13, 15, 83, 133 – apodiktisches 276 Thema 12, 29, 83 f., 87, 124, 128, 136, 141, 145, 147 f., 151, 159, 168, 180, 184, 212, 228 f., 232, 238 f., 241 ff., 245, 255, 261 – der Wesensforschung 183 – partielles und volles 125 – transzendentales 209 Thematik – psychophysische 244 – universale 148, 163 thematisch 29, 61, 111, 114, 148, 241 Theoretisierung, mathematisierende 230 Theorie 10, 41, 68, 74, 131 f., 137, 202 – apriorische 21 – der Vernunft 83 – des Verstandes 83 – objektiv-logische 135 – objektive 144 – rationale 62 f. – transzendentale 203 Tiefenpsychologie 240
Tod 192 Totalität 30, 61, 173 – aller Wissenschaften 102 – der ontischen Strukturen 148 – des Seienden 6 – des Universums 63 – synthetische 148 Totalitätsbewußtsein 29 Tradition 5, 21, 26, 127, 142, 177, 228, 248, 251 – antike 179 – naturalistische 236 – rationalistische 232 traditional (traditionell) 26, 57 Traditionalisierung 52 Traditionalität 47 transzendent 83 transzendental 100 f., 106, 156, 193, 202, 210, 212, 267, 274 – deklinierbar 188 – konstituierend 179 – konstituiert 275 – verständlich machen 193 transzendental-fungierend 188 Transzendentales 101, 104, 215, 267, 269 Transzendentalismus 70 f., 86, 103 Transzendentalität 177, 181, 191 Transzendentalphilosophie 71, 100 ff., 156, 195, 198, 202 ff., 212, 215, 261, 263 f., 274 – phänomenologische 196, 263 – universale 102 transzendentalphilosophisch 101, 177 Transzendentes 83, 85, 88 – metaphysisches 131 Transzendenz 87 – Gottes 83 Tun, ichliches 276 Typik 126, 126, 168, 176, 182 f.
Sachregister – der Korrelationen 169 – von Leistungen 184 – empirische 249 – konkrete 230 – raum-zeitliche 221 – regionale 230 – wesensgesetzliche 176 Typisches 29 Typisierung 213 Typus 221 – von Einzelheiten 148 – anthropologischer 14 Übertragung, apperzeptive 213 Umgeltung von Geltung 148 Umstände 221 – raumzeitliche 28 Umstellung, transzendentale 209 Umwelt 22, 25, 27, 29, 36, 50, 107, 113, 123, 150, 152, 162, 216, 232, 254 – alltägliche 96 – anschauliche 24, 28, 47 – menschliche und außermenschliche 4 – praktische 67 – reale 67 Umwendung, transzendentale 202 Unbewußtes 192, 249 Unendlichkeit 19, 30, 37 ff., 57 – der Anzahlreihe 132 – des Lebens 275 – extensive und intensive 37 – neuartige 274 – offene 25, 51 – wirklicher und möglicher Welterfahrung 156 Universalhorizont 147 Universalität 61, 95, 136 – der Enthaltung 153 – absolute 269
323
– philosophische 10 – psychologische 250 – transzendentale 209, 268 – wirklicher und möglicher Welterfahrung 156 Universalphilosophie 101, 115 Universalwissenschaft 200, 207 Universum 110 – der Kausalität 36 – der Vorhandenheiten 153 – des Seienden 66, 98 – des Subjektiven 149 f. – gegenständliches 170 – lebensweltlicher Objekte 176 – offenes 180 – ontisches 145 – von Dingen 229 – von logischen Gesetzen 95 – von Phänomenen 185 Unsterblichkeit 7 Unstimmigkeit 169 Ur-Ich 188 Urboden unmittelbarer und apodiktischer Evidenz 78 Urevidenz 80, 91, 131 Urmethode aller Philosophie 275 Urmodus – Wahrnehmung 223 Uroriginalität des eigenen Lebens 243 Urpräsenz 189 Ursprung 12, 26, 71 – antiker 66 – der Erkenntnis 26 – des neuzeitlichen Geistes 58 – intentionaler 171 Ursprungsechheit 16 Ursprungsevidenz 132 Ursprungsfrage 119 Ursprungsmotivation 58 Ursprungssinn 42, 57, 59, 228
324
Sachregister
Urstätte aller objektiven Sinnbildungen und Seinsgeltungen 102 urstiftend 35, 68 Urstiftung 10 f., 73, 76, 195, 207 – der neuen Naturwissenschaft 75 – der philosophischen Neuzeit 10 – griechische 72 Urstiftungssinn 114 – historischer 57 Urteil 95, 152, 209, 256 Variation, freie 29 Verallgemeinerung 37 Verantwortlichkeit 271 Verantwortung 15 Verdinglichung 234 Vergangenheit 163, 171 f., 175 – historische 256 Vergegenwärtigung 107, 166, 253 Vergemeinschaftung 73, 112, 178, 186, 241 – intersubjektive 23 – transzendentale 189 Verifikation 227 vermeint 258 Vermeintes (gegenständlicher Sinn) 85, 270 vermöglich 101 Vermöglichkeit 37, 173 – der Erkenntnis 184 – des Menschen 11 – kinästhetische 164 Vernunft 4 f., 7, 9, 11 f., 14, 53, 62, 83, 90, 97, 119, 184, 191, 272 f., 275 – absolute 206, 275 – eingeborene 272 – einzelpersonale 273 – freie 6 – fungierende 97 – gemeinschaftspersonale 273
– in der Geschichte 7 – latente 13 – menschliche 206 – offenbare 13 – phänomenologische 192 – philosophische 13 – praktische 7 – rein logisch-mathematische 96 – reine 95 – universale 173 – verborgene (verborgen fungierende) 53, 97 – verstehende 274 Vernunft-Ich 272 Vernunftakt 85 Vernunftaktivität 235 Vernunftgebilde 83, 94 Vernunftgesetzmäßigkeit 95 Vernunftkritik 83, 272 Vernunftleben, praktisches 119 Vernunftleistung 70, 93 Vernunftmenschheit 13 Vernunftproblematik 6, 9, 62, 85, 88 Vernunftwahrheiten 96 Vernunftwesen 7, 13 Verstand 63, 106, 119, 205 f. – konstituierender 106 – transzendentaler 205 Verstandesprobleme 85 verständlich machen (transzendental) 193 Vervollkommnung 23, 40 Vollkommenheit 22 Vollkommenheitsstufe 113 Vollzugs-Ich der Epoché 80 Vollzugsenthaltung 153 Voraussetzung 264 – apodiktische 80 Voraussetzungslosigkeit 91 Voraussicht 29, 31, 42 f., 50 ff.
Sachregister – induktive 31 Vorerinnerung 172 Vorerwartung 161 Vorgegebenes 213 Vorgegebenheit 14, 81 – der Welt 149, 154, 157 Vorgegebenheitsweise 149 Vorgegebensein der Lebenswelt 151 Vorgeltung 81, 157 Vorgewißheit 165 Vormeinung 80 – antizipierte 161 Vorstellung 88, 167, 249, 254 – adäquate 88 Vorurteil 73, 77, 226, 253 Vorurteilslosigkeit 267 – absolute 5 Vorvergegenwärtigung 161 vorwissenschaftlich 20, 24, 29, 36, 50, 208 Wachbewußtsein 163 Wachleben 147 Wahres 67 Wahrheit 5 f., 11, 13, 15, 19, 46, 53, 73, 92, 95, 112, 130 f., 135, 137 f., 141, 150, 184, 200, 243, 271 – absolute 50, 92 – an sich 78, 129, 142 – an sich, Universum der 269 – apriorische 169 – der Wissenschaft 99 – doppelte 179 – eigene 12 – endgültige 269 – formale 46 – irrelative 27 – letzte 102 – metaphysisch-objektive 95 – metaphysische 95
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– objektiv-wissenschaftliche 138 – objektive 4, 70, 90, 95, 97, 155, 178 f. – phänomenologisch-transzendentale 176 – phänomenologische 192 – prädikative 159 – relative 270 – subjektive 179 – theoretische 127 – wissenschaftliche 113, 135 Wahrheitsproblem 136 Wahrheitssinn 10, 45, 106 – der Welt 68 Wahrnehmung 107, 127, 130, 161, 163 f., 165 f., 171, 220, 239 f., 245, 249, 253 – apodiktische 117 – äußere 234 – innere 117, 217, 233 f., 247, 251 Wahrnehmungsfeld 108 ff., 152, 165, 255 f., 258 Walten 109, 216, 220 f., 223 – ichliches 222 Wandlung – existenzielle 140 – personale 140 Wechselkritik 201 Wechselverstehen 166 Welt 4 f., 7, 11 f., 20, 22, 25, 29, 32 f., 40, 50 f., 60 ff., 66 f., 70, 78 ff., 85, 90, 93, 101 f., 105, 107, 110 ff., 115 f., 120, 124, 136, 141, 142 f., 145 ff., 151, 155 ff., 159, 163, 165 ff., 170 ff., 178, 180, 182 ff., 188, 190 f., 195, 205, 208 f., 211, 214, 216, 220, 223, 229, 231, 235 f., 248, 254 ff., 270, 272, 275 – allgemeinsame 192 – alltägliche 99, 118
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Sachregister
– als Horizont 29, 50 – als Phänomen 84 – an sich 69, 269 – anschauliche 27 f., 30 f., 33, 38 ff., 43, 49, 53 f., 89, 125, 150 – der Erfahrung 162 – der Idealitäten 49 – des Lebens 176 – dualistische 98 – erfahrbare 49 – erlebte 11 – erscheinende 97 – für alle 189, 191, 260 – geistige 4, 130 – gemeinsame 176, 257 – geschichtliche 41 – idealer Gegenständlichkeiten 23 – konkrete 31, 37 – konstituierte 205, 212 – möglicher Erfahrung 106 – naive 185 – natürliche 155 – objektiv seiende (objektiv wahre) 136, 243 – objektiv-wissenschaftliche 133 – objektive 30, 32, 99, 117, 130, 242 – objektivierte 33 – Objektivität der 92 – orientierte 258 – phänomenale 272 – physische 4 – rational interpretierte 69 – rationale 62 – raum-zeitliche (räumlich-zeitliche) 150, 162, 169, 171 – reale (realer Tatsachen) 218, 220, 241 – seelische 61 – seiende 81, 113, 272, 274 – Sein der 149
– Seinssinn der 84 – selbst 79, 92 f., 100, 254 – Sinn der 14 – sinnliche (sinnlicher Erfahrung) 21, 26, 77, 81, 92 – sprachlich auslegbare 213 – strömend-geltende 248 – subjektiv-relative 160 – überhaupt 99 – unendliche 19 – ursprünglicher Erfahrung 230 – von Idealitäten 19, 30, 33, 49 – von Seiendem 273 – vorgegebene 81, 96, 113, 124, 145, 148, 150, 192, 212, 215, 239, 264 – vorwissenschaftliche 69, 128 – wahre 134, 177 – wirkliche 30 – wissenschaftlich gedachte 220 – wissenschaftlich wahre 116 – wissenschaftliche 93 Welt-bewußt-haben 261 Welt-Boden 153, 156, 266 Weltall 20 Weltanschauung 3, 72, 199 Weltapperzeption 163, 210, 258 Weltbetrachtung 5 – natürliche 262 – radikale 116 – transzendentale 196 Weltbewußtsein 69, 110 f., 118, 146, 191, 255 ff., 260, 267 Weltbild 199 Welterfahrung 78, 182, 238, 249 Welterkenntnis 39, 47, 78, 91, 255, 264, 275 Weltform 33, 38, 145 – konkret-anschauliche 38 Weltganzes 29 Weltgeltung 81 f., 151, 154, 178, 260
Sachregister Weltgeschichte 67 Weltgewißheit 99, 145 Welthabe 215 – natürliche 81 – passive 110 Welthorizont 141, 146, 148 f., 255, 267 Weltkausalität 29 Weltkern 136 Weltkonstitution 187, 275 Weltkonzeption 68 Weltleben 51, 69, 149, 155, 179 f., 213, 259, 264 – menschliches 121, 179 – natürliches 121, 152 f., 156, 178 f., 247 Weltliches 81, 84, 268 Weltlichkeit 177, 192, 268 Weltobjekte 221 Weltobjektivierung 210 Weltphänomen 187, 191 Weltproblematik 116 Welträtsel 100 Weltstil 30 Weltstruktur 33 Weltuniversalität 250 Weltverständnis 39 Weltvorstellung 182, 210 Weltwahrheit 137, 275 Weltwissenschaft 31, 57, 181, 262, 264 Weltwissenschaftskonzeption 68 Weltzeit 214, 220 Wende, Cartesianische 103 – letzte 103 Werden der neuzeitlichen positiven Wissenschaft 59 Wert 7, 11, 67, 90 Wertfragen 155 Wertgeltung 112 Wertgewißheit 240
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Wertung 7, 152 Wesen 182 – des egologischen Lebens 84 – historisches 73 Wesensallgemeinheit 169 Wesensdeskription (Wesensbeschreibung), intentionale (des Urteils) 253 Wesenseinsicht 177 Wesensform 183 – der Auslegung 231 – der transzendentalen Leistungen 182 – ichliche 177 – korrelative 177 – menschlichen Daseins 191 Wesensgrund 225 Wesenskorrelation 162 – der Onta 145 – der transzendentalen Subjektivität 268 – von der Lebenswelt 144 Wesensnotwendigkeit 13, 114, 162, 169, 203, 267 Wesensstruktur – der absoluten Geschichtlichkeit 262 – eines originalen Lebens 262 – universale 66 Wesenstypik 176, 229 f. Wesenszusammenhang 23 Widerspruch, existenzieller 15 Wiedererinnerung 163, 171 f., 189 Willensentschluß 147 Willensmeinung 243 Wir 186, 188 Wir-Alle 186 Wir-Subjektivität 111 Wir-Synthesis 175 wirklich 30, 49, 70, 167 Wirklich-Sosein 159
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Sachregister
Wirklichkeit 22, 32, 51, 148, 151 f., 178, 212, 238, 259 – der Welt 153 Wirklichkeitsmodalität 152 Wirklichsein 159, 178 Wissenschaft 3 ff., 13, 18 f., 39, 52, 57, 65, 76, 78, 103, 107, 123, 130, 138, 141, 144, 154, 176, 200, 217 f., 229, 274 – apodiktische 275 – apriorische 142, 144, 177, 263, 268 – beschreibende (deskriptive) 181, 225 f., 241 f. – biophysische 64 – der Neuzeit 64 – echte 62, 119, 203 – erklärende 226 – exakte 41, 84, 102, 225 – letztbegründende (von den letzten Gründen) 115, 149, 201, 204, 212 – letztbegründete 197 – mathematische 3 – naiv-objektivistische 202 – neuartige universale 150 – neue 69, 88, 139 – neuzeitliche 10 – objektiv-logische 136 – objektive 70, 83, 90, 92, 102, 114, 121, 125, 132, 134 f., 137, 142, 149 f., 179, 192 f., 173, 213, 229 – positive 1 ff., 5, 8 f., 115, 122, 128, 139, 197 f., 261, 263 ff. – positivistischer Begriff der 6 – rationale 19, 120 – rein apriorische 120 – strenge 102 – transzendentale 201 – universale 20, 62, 65, 115, 179, 200 f., 212
– von der Welt, voraussetzungslose (universale) 197, 269 Wissenschaftlichkeit 1 ff., 69, 102, 127, 135, 156, 168, 176, 178, 182, 259, 264 – objektive 185 – transzendentale 70 Wissenschaftsideal 88, 119 Wissenschaftsidee 5 Wissenschaftstheorie 137 f. Zahl 18 Zeit 23, 171 f. – der Natur 117 – mathematische 50 – universale 163 Zeiten, alle 29 Zeitform 172 Zeitigung 116, 171 f., 175 Zeitinhalt 172 Zeitlichkeit 6, 150, 227 f. Zeitmodalität 107, 175, 223, 244 Zeitmodus 171 Zickzack (der Geschichtsbetrachtung) 59 Ziel 11, 15, 75, 81 – ideales 11 Zukunft 29, 163, 171 f., 175 – historische 256 Zusammenhang – generativer 256 – intentionaler 248 Zuschauer, uninteressierter 242 Zuständlichkeit, passive 233 Zweck 11, 112 Zweifel 77, 79, 85, 174, 240, 270 Zweifelhaftigkeit 166 Zweifelsmöglichkeit 77 Zweisubstanzentheorie, Cartesianische 232