Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung: Steuerautonomie der Länder ohne Reform? [1 ed.] 9783428526963, 9783428126965

Ist nach der gegenwärtigen Finanzverfassung ein Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern im Bereich der Landessteuern

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German Pages 255 Year 2008

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Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung: Steuerautonomie der Länder ohne Reform? [1 ed.]
 9783428526963, 9783428126965

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Schriften zum Steuerrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Joachim Lang und Prof. Dr. Jens Peter Meincke

Band 99

Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung Steuerautonomie der Länder ohne Reform?

Von

Anja Korte

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ANJA KORTE

Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung

Schriften zum Steuer recht Herausgegeben von Prof. Dr. Joachim Lang und Prof. Dr. Jens Peter Meincke

Band 99

Die konkurrierende Steuergesetzgebung des Bundes im Bereich der Finanzverfassung Steuerautonomie der Länder ohne Reform?

Von

Anja Korte

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Wintersemester 2006/2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-12696-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit lag im Wintersemester 2006/2007 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation vor. Für die leicht aktualisierte Druckfassung konnte Rechtsprechung und Literatur bis November 2007 erfasst werden. Die Finanzverfassung des Grundgesetzes stand seit je her im Zentrum von Reformdiskussionen, ist sie nicht nur Grundlage für die Verteilung des Finanzaufkommens, sondern ebenso für die Verwirklichung von Eigenstaatlichkeit bei gleichzeitigem solidarischen Miteinander. Diese einander widerstreitenden Interessen von Bund und Ländern, sowie der Länder untereinander spiegeln sich auch in der Debatte über die Steuergesetzgebungskompetenzen wider. Grundlage aller Überlegungen zu einer Reform der Finanzverfassung sollte der bestehende Handlungsspielraum der „Akteure“ nach der derzeitigen Verfassungslage sein. Gerade die anstehende zweite Stufe der Föderalismusreform veranlasst zu einem Nachdenken über die bereits heute denkbare Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen auf Bund und Länder. Mein besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Johanna Hey, die das spannende und hoch aktuelle Thema angeregt und mich zu dieser Arbeit ermutigt hat. Herrn Prof. Dr. Joachim Lang danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens und die Aufnahme in die „Schriften zum Steuerrecht“. Für Letzteres bedanke ich mich auch bei Herrn Prof. Dr. Jens Peter Meincke. Darüber hinaus möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich bei Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Karsten Schmidt zu bedanken, der mich während meiner Zeit an seinem Lehrstuhl in Bonn persönlich gefördert und wissenschaftlich arbeiten eindrucksvoll gelehrt hat. Akademische Unabhängigkeit lässt sich unbeschwert bei finanzieller Freiheit genießen, womit dem Freundeskreis der Juristischen Fakultät Düsseldorf e. V. für die Förderung meiner Arbeit durch ein Promotionsstipendium mein Dank gebührt. Mein freundschaftlicher Dank richtet sich an Frau Dr. Mira Pohlenz für stete Diskussionsbereitschaft, sowie an Frau Verena Schmidt-Bleker für die leidvolle Korrekturarbeit. Ohne die unermüdliche und vorbehaltlose Unterstützung meiner Eltern und meines Ehemannes, die mich auch in schwierigen Phasen in meinen Zielen bestärkt haben, wäre diese Arbeit nicht entstanden. Dafür danke ich ihnen von Herzen. Bonn, im November 2007

Anja Korte

Inhaltsverzeichnis Einführung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Kapitel Die historische Entwicklung der Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

17

A. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 18 19

B. Die Weimarer Reichsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

C. Die Verfassung während der Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

D. Das Grundgesetz von 1949 bis zur Finanzverfassungsreform von 1969 . . . . . . I. Der Weg zur Finanzverfassung im Grundgesetz 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Inhalt der Finanzverfassung von 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Gesetzgebungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ertragshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Reformen der Finanzverfassung bis 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 25 27 28 29 30

E. Das heutige Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Gesetzgebungshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ertragshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 32 35

F.

Reformdiskussionen – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

G. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

2. Kapitel Die konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG A. Der Begriff der ,übrigen Steuern‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verhältnis von Art. 105 Abs. 2 GG zu Art. 70 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Reichweite der Steuergesetzgebungskompetenz – Verhältnis zu Art. 106 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Steuererfindungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrenzungswirkung des Art. 106 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42 42 42 45 46 47

8

Inhaltsverzeichnis 3. Eigene Bestimmung der Reichweite der Steuergesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung des Art. 105 GG und des Art. 106 GG . . . . . . . . . . . . . . b) Ertragsverteilung von neuartigen Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 50 53

B. Erste Kompetenzeinschränkung des Art. 105 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „In Wahrheit ausschließliche Gesetzgebungskompetenz“ des Bundes? . . .

56 57 57

C. Zweite Kompetenzeinschränkung des Art. 105 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Art. 72 Abs. 2 GG 1949 – „Bedürfnisklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die alte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . 3. Die Ansichten im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 72 Abs. 2 GG – „Erforderlichkeitsklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Weg zur neuen „Erforderlichkeitsklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reaktionen auf die neue „Erforderlichkeitsklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . .

59 60 60 61 62 63 65 65 69

D. Die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die ,Altenpflege-Entscheidung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Justitiabilität der „Erforderlichkeitsklausel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . . . . . 4. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . 5. Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erster Prüfungsschritt: Eröffnung der Gesetzgebungskompetenz . . b) Zweiter Prüfungsschritt: Reichweite der Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gesetzgeberische Prognosen und verfassungsgerichtliche Kontrolle . . II. Die ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die ,Studiengebühren-Entscheidung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitere Judikatur zu Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde . . . . . . . . . . . . 2. Urteil zum Ladenschlussgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschluss zur Lotteriesteuerpflicht von Oddset-Wetten . . . . . . . . . . . . . 4. Beschluss zum Beitragssicherungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bewertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 72 73 75 77 78 80 80 81 84 85 88 91 92 93 94 95 96

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung für Art. 105 Abs. 2 GG . . 98 I. Gleiche Steuerbelastung im Bundesgebiet contra Steuerwettbewerb . . . . . 99 II. Rechtssicherheit und Freizügigkeit im Bundesgebiet contra Steuerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Inhaltsverzeichnis 1. Rechtssicherheit gewährleistende Bundesregelungen . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Ansatz von Würtenberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz vor Doppelbesteuerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gleichartigkeitsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhütung von Normenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit . . . . . . . . dd) Konsequenz für die Gesetzgebungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . c) Verlässlichkeit der Steuerrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freizügigkeit gewährleistende Bundesregelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktionsfähigkeit der Gesamtwirtschaft contra Steuerwettbewerb . . . . . . 1. Konkretisierung durch Würtenberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswirkung eines Steuerwettbewerbs auf die Kriterien der Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F.

9 102 103 104 104 106 107 108 108 109 111 112 112 114

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

3. Kapitel Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

119

A. Eine Bestandsaufnahme zum Steuerwettbewerb in Deutschland und Europa . . I. Steuerwettbewerb auf kommunaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Steuerwettbewerb auf europäischer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Indirekte Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Direkte Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120 121 121 124 124 124 126

B. Die Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Steuerliche Belastungsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abwanderungen in Länder mit niedriger Erbschaftsteuerbelastung c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . . . . . a) Doppelbesteuerungsgefahr innerhalb Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . b) Doppelbesteuerungsgefahr bei Auslandssachverhalten . . . . . . . . . . . c) Gefährdung des ungehinderten, länderübergreifenden Rechtsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128 128 129 129 130 130 134 134 134 136 138

10

Inhaltsverzeichnis d) Gesamtstaatliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . a) Kosten innerstaatlicher Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerbefolgungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesamtstaatliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder . . . . . . . . . . a) Erste Alternative: Bestimmung der steuerpflichtigen Vorgänge und der persönlichen Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nach Bundesländern differenzierte Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bundeseinheitliche Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Konflikt mit der ersten Zielvorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Alternative: Gesetz zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Doppelbesteuerungsverbot in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lösungsmöglichkeit nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritte Alternative: Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage . . d) Gleiche Eignung der Regelungsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Erste und zweite Regelungsalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dritte Regelungsalternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder? . . . . . . f) Gestaltungsprivileg des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Die Vermögensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . . . . . a) Doppelbesteuerungsgefahr innerhalb und außerhalb Deutschlands b) Gefährdung des ungehinderten, länderübergreifenden Rechtsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesamtstaatliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . a) Auswirkungen der Vermögensteuer auf die Wirtschaft . . . . . . . . . . . b) Kosten innerstaatlicher Doppelbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Steuerbefolgungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

139 139 139 139 140 142 142 142 142 143 144 144 145 145 146 146 147 148 149 149 149 151 152 153 153 153 154 154 156 156 156 157 157 157 157 158 158

Inhaltsverzeichnis

11

d) Gesamtstaatliches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159 159 160 160 160 162

D. Die Kraftfahrzeugsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eingeschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgedehnte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162 163 163 165 165 166 166 166 166 167

E. Die Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeine Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . . . . . 3. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 167 169 169 170 172 173

F.

174 174 175 176

Die I. II. III.

Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

4. Kapitel Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz A. Der Länderfinanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Systematik des Länderfinanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bedeutung für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ertragszuordnung der landesgesetzlichen Landessteuern – Art. 107 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Länderfinanzausgleich im engeren Sinne – Art. 107 Abs. 2 GG . . . . .

179 179 180 182 182 183

12

Inhaltsverzeichnis a) Finanzkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 aa) Begriff der ,Finanzkraft‘ im heutigen Länderfinanzausgleich . . 183 bb) Begriff der ,Finanzkraft‘ im kommunalen Finanzausgleich . . . 186 cc) Folgerungen für die Einbeziehung landesgesetzlicher Landessteuern in den Länderfinanzausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 b) Angemessener Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Untergrenze des Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Obergrenze des Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 c) Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

B. Der allgemeine und besondere Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I. Bindungswirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG . . 194 II. Bindungswirkung des besonderen Gleichheitssatzes, Art. 33 Abs. 1 GG . . 195 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 C. Das Recht der Freizügigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 I. Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 II. Bedeutung für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . 197 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 D. Das Prinzip der Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Inhalt des Bundestreueprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Rechtsfolgen des Bundestreueprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 III. Bedeutung für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Fortgeltung von Bundessteuergesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Freigabekompetenz des Bundes contra Öffnungsanspruch der Länder . . . 208 III. Änderungskompetenz des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Die ,Kampfhunde-Entscheidung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 b) Urteil zum Ladenschlussgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 c) Die ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 d) Die ,Studiengebühren-Entscheidung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 e) Folgerungen aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Bedeutung für das Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 IV. Aufhebung von Landessteuern mit Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 V. Nichtanwendung von verfassungswidrigen Steuergesetzen . . . . . . . . . . . . . 219 VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Inhaltsverzeichnis F.

13

Rückübertragungsmöglichkeit, Art. 72 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

Schlussbetrachtung

229

A. Gewonnene Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 B. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

„Voranzustellen ist der alte Satz, daß reale Autonomie eines Gemeinwesens auch und vor allem Finanzautonomie ist.“1

Einführung und Zielsetzung In der meist kontrovers geführten Debatte um eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung in Deutschland wird seit mehr als dreißig Jahren unter dem Stichwort „Konkurrenzföderalismus“2 oder „Wettbewerbsföderalismus“3 wiederholt auch eine Stärkung der Länderkompetenzen im Bereich der Steuergesetzgebung und damit mehr Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern gefordert. Im Zuge der ersten Stufe der Föderalismusreform4 hat diese Diskussion im Zusammenhang mit einer angestrebten Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen neue Aktualität gewonnnen. Die Auseinandersetzung über einen Steuerwettbewerb auf der Landesebene geht häufig mit mehr oder weniger umfassenden Reformvorschlägen für die Finanzverfassung einher, durch die insbesondere die Gesetzgebungsbefugnisse der Länder mehr betont werden sollen. Im Rahmen dieser Arbeit soll indes untersucht werden, ob den Ländern nicht bereits nach derzeitiger Verfassungslage Gesetzgebungskompetenzen und damit Gestaltungsmöglichkeiten auf dem Gebiet des Steuerrechts zustehen, die ihnen eine größere Eigenständigkeit in der Finanzpolitik gegenüber dem Bund ermöglichen. Dazu soll anhand von ausgewählten Steuern, deren Ertrag den Ländern oder den Gemeinden zusteht, festgelegt werden, ob und inwieweit die Länder eigene Steuergesetze erlassen können. Ein wettbewerbsorientiertes Steuersystem auf Landesebene erscheint noch allzu fremd, da in der Vergangenheit alle derzeit gültigen Steuergesetze für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik durch den Bund erlassen wurden. Daher verwundert es auch nicht, dass teilweise erhebliche Bedenken gegen eine Wettbewerbssituation im finanzpolitisch brisanten Bereich des Steuerrechts geäußert werden5. Auf kommunaler Ebene ist ein Wettbewerb um einen attraktiven Wirtschaftsstandort durch die Bestimmung der Höhe des Hebesatzes bei der Gewerbesteuer dagegen hinlänglich bekannt. Ausgangspunkt der Überlegungen ist Art. 105 Abs. 2 GG, der die Steuergesetzgebungskompetenz6 im Rahmen der Finanzverfassung von Bund und Län1

Eingangszitat nach Eichenberger, S. 35. Klatt, APuZ Bd. 31 (1982), S. 3 ff. 3 Schuppert, Staatswissenschaften und Staatspraxis 4 (1993), S. 31. 4 Der Bundestag hat dem nur leicht veränderten Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (BT-Drs. 16/813) am 30. Juni 2006 mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zugestimmt (BR-Drs. 462/06). Eine Woche später am 7. Juli 2006 folgte die Zustimmung des Bundesrates (BR-PlProt. 824, S. 222D). Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (BGBl. I 2006, S. 2034 ff.) trat am 1. September 2006 in Kraft. 5 Vgl. an dieser Stelle nur Korioth, S. 165 ff. m.w. N. 2

16

Einführung und Zielsetzung

dern beinhaltet. Nach dieser Vorschrift hat der Bund über die „übrigen Steuern“ die konkurrierende Gesetzgebung. Jedoch unterliegt er dabei zwei alternativ zueinander stehender Beschränkungen. Er kann von seiner Gesetzgebungskompetenz nur dann Gebrauch machen, wenn ihm entweder das Aufkommen der Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Im Verlauf der Arbeit wird es besonders einer eingehenden Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der zweiten Beschränkung durch Art. 72 Abs. 2 GG bedürfen. Diese Konzentration auf Art. 72 Abs. 2 GG findet ihre Grundlage in der Neufassung der Vorschrift im Rahmen der Verfassungsreform von 19947. Zwar wurden die unbestimmten Tatbestandsmerkmale bereits ausführlich in der Literatur diskutiert8 und zuletzt sogar durch das Bundesverfassungsgericht einer ersten Auslegung zugeführt9, im Bereich der Finanzverfassung wurden die neueren Anforderungen bislang nur rudimentär behandelt. Ob und wie sich die neu gefasste Norm konkret auf die Steuergesetzgebungskompetenz auswirkt, bleibt häufig offen10. Vereinzelt wird auf die Kommentierungen zu Art. 72 Abs. 2 GG verwiesen11, und teilweise findet sich die Feststellung, dass die Neufassung zu keiner wesentlichen Änderung des Kompetenzverhältnisses zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Finanzverfassung geführt habe12. Diese Einschätzung wird im Rahmen der Untersuchung ebenso zu überprüfen sein, wie die Auswirkungen, die sich aus der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG für die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 GG ergeben. 6 Nach Waldhoff, S. 38 Fn. 2 müsste genau genommen von „Zuständigkeitsverteilungsnormen zur Aufteilung der Steuergesetzgebungskompetenz“ gesprochen werden. Aus Vereinfachungsgründen sollen die Vorschriften jedoch im Fortgang der Bearbeitung als Vorschriften zur „Steuergesetzgebungskompetenz“ bezeichnet werden. Für die Stabilität der bundesstaatlichen Verfassung wird den Kompetenznormen unter den Vorschriften der Finanzverfassung eine exponierte Stellung bescheinigt, da Bund und Länder die festgelegten Kompetenzen strikt einzuhalten haben und nicht selbst über sie verfügen dürfen (BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (139); v. 04.03.1975, 2 BvF 1/72, BVerfGE 39, 96 (109); v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (301); v. 28.03.2002, 2 BvG 1/01 u. a., BVerfGE 105, 185 (194); siehe auch Selmer, AöR 101 (1976), S. 240 f.). 7 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBl. I 1994, S. 3146). 8 Vgl. an dieser Stelle nur Würtenberger, S. 69 ff. und 171 ff. m.w. N. 9 Grundlegend: BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 ff. (Altenpflegegesetz); im Anschluss daran BVerfG v. 27.07.2004, 2 BvF 2/02, BVerfGE 111, 226 ff. („Juniorprofessur“); v. 26.01.2005, 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 ff. (Studiengebühren). 10 Nach Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 11 bleibt die Auswirkung der Neuregelung der Art. 72 Abs. 2, 93 Abs. 1 Nr. 2a GG abzuwarten; ebenso Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 68. 11 Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 11. 12 Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 35.

1. Kapitel

Die historische Entwicklung der Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen Das erste Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die historische Entwicklung der Kompetenzverteilung zwischen dem Gesamtstaat (Reich bzw. Bund) und seinen Gliedstaaten (Bundesstaaten bzw. Länder) durch die Finanzverfassungen. Die Zusammenstellung konzentriert sich auf die Vorschriften, die die Steuergesetzgebungskompetenz und die davon nicht zu trennende Ertragshoheit regeln. Die Darstellung beginnt mit der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 187113 und skizziert anschließend die weitere Entwicklung bis heute. Dabei wird sich zeigen, wie sich die Finanzverfassung in der Praxis von einer stark föderalistisch zu einer zentralistisch geprägten Ausgestaltung gewandelt hat, obwohl der Wortlaut der verschiedenen Verfassungsnormen dies nicht unbedingt nahe legt.

A. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871 Das Deutsche Reich (1871–1918) wurde nach den Beitritten von Baden, Hessen, Bayern und Württemberg zum Norddeutschen Bund (1866–1870) und der Kaiserproklamation am 18. Januar 1871 gegründet14. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 187115, häufig auch Bismarck’sche Verfassung genannt, übernahm dabei weitgehend die Regelungen der Verfassung des Norddeutschen Bundes16 unter Berücksichtigung der geänderten staatsrechtlichen Verhältnisse17. Wegen dieser weitgehenden Regelungsidentität gelten die weiteren Ausführungen allein der Verfassung des Deutschen Reiches. 13 Zur nie in Kraft getretenen „Paulskirchverfassung“ aus der Zeit des Deutschen Bundes (1815–1866) Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 1; Waldhoff, S. 41. Eine Darstellung der Regelungen des 1833 gegründeten Deutschen Zollvereins findet sich bei Pagenkopf, S. 80 ff. 14 Eine ausführliche Beschreibung der Gründungszeit ist bei Pagenkopf, S. 85 f. nachzulesen. 15 Gesetz betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.04.1871, RGBl. 1871, S. 63 ff. 16 Zu den Regelungen der Verfassung des Norddeutschen Bundes eingehend Pagenkopf, S. 83 ff. 17 Vgl. Gerloff, S. 51.

18

1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

I. Verfassungstheorie Die Reichsverfassung (RV) sprach dem Reich nach dem Wortlaut des Verfassungstextes umfangreiche Kompetenzen bei der Steuer- und Zollgesetzgebung zu. So lautete Art. 4 Nr. 2 RV18: Der Beaufsichtigung Seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten: 2. die Zoll- und Handelsgesetzgebung und die für die Zwecke des Reichs zu verwendenden Steuern;

Für den Bereich der Steuern hatte das Reich nach dieser Vorschrift in Verbindung mit Art. 2 Satz 1 RV, nach dem die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgingen19, eine umfassende konkurrierende Gesetzgebungskompetenz. Eine Beschränkung auf bestimmte Steuerarten oder Steuerquellen bestand nicht; vielmehr konnte das Reich jede erforderliche, insbesondere auch direkte Steuer einführen, die seinen Zwecken diente20. Art. 35 RV normierte darüber hinaus eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für das Zollwesen und die Besteuerung von Salz, Tabak, Branntwein, Bier, Zucker und Sirup (Verbrauchsteuern)21: (1) Das Reich ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen, über die Besteuerung des im Bundesgebiet gewonnenen Salzes und Tabacks, bereiteten Branntweins und Bieres und aus Rüben oder anderen inländischen Erzeugnissen dargestellten Zuckers und Syrups, über den gegenseitigen Schutz der in den einzelnen Bundesstaaten erhobenen Verbrauchsabgaben gegen Hinterziehungen, sowie über die Maßregeln, welche in den Zollausschüssen zur Sicherung der gemeinsamen Zollgrenze erforderlich sind. (2) 1In Bayern, Württemberg und Baden bleibt die Besteuerung des inländischen Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten. 2Die Bundesstaaten werden jedoch ihr Bestreben darauf richten, die Uebereinstimmung der Gesetzgebung über die Besteuerung auch dieser Gegenstände herbeizuführen.

Mit der Gesetzgebungskompetenz verknüpft war die Zuweisung der Steuererträge (Ertragshoheit)22. Diese Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen 18

Hervorhebungen durch den Verfasser. Art. 2 Satz 1 RV lautete: „Innerhalb dieses Bundesgebietes übt das Reich das Recht der Gesetzgebung nach Maßgabe des Inhalts dieser Verfassung und mit der Wirkung aus, daß die Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen.“ 20 Laband, Direkte Reichssteuern, S. 11: „Hiernach ist es unbestritten und jedem Zweifel entzogen, daß Artikel 4, Ziffer 2, die Zuständigkeit des Reichs zur Einführung von Reichssteuern in keiner Richtung beschränkt, sondern indirekte und direkte Steuern aller Art und Formen für die Zwecke des Reichs gestattet.“ Ebenso Jellinek, S. 141; Korioth, S. 311. 21 Hervorhebung durch den Verfasser. 22 Für das Zollwesen und die in Art. 35 RV geregelten Steuern wies Art. 38 Abs. 1 RV dem Reich die Ertragshoheit ausdrücklich zu. Art. 38 Abs. 1 lautete: „Der Ertrag der Zölle und der anderen in Artikel 35 bezeichneten Abgaben, letzterer soweit sie der Reichsgesetzgebung unterliegen, fließt in die Reichskasse.“ Darüber hinaus sollte das 19

A. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871

19

und die damit korrespondierende Ertragshoheit ließen nach dem Wortlaut der Verfassung eine umfangreiche finanzielle Ausstattung des Reichs erwarten.

II. Verfassungswirklichkeit Bei einer derart zentralistisch geprägten Ausgestaltung der Finanzverfassung erstaunt es, dass das Reich immer wieder als „Kostgänger der Einzelstaaten“ bezeichnet wurde23. Dieser Aussage liegt die zu den theoretischen Vorstellungen der damaligen Verfassungsgeber diametral verlaufende tatsächliche Entwicklung der Staatspraxis im Deutschen Reich zu Grunde. Die Bundesstaaten verwehrten dem Reich zunächst die unter die konkurrierende Gesetzgebung des Art. 4 Nr. 2 RV fallende Einführung direkter Reichssteuern24, um eine Machtverschiebung zu Gunsten des Reichs zu verhindern. Der Gesichtspunkt des Steuerwettbewerbs spielte dabei keine Rolle. Um ihre Interessen durchzusetzen, machten die Bundesstaaten ihre Einflussmöglichkeiten im Bundesrat durch vehementen Widerstand geltend. Für den Erlass eines Reichsgesetzes waren nach der Verfassung des Deutschen Reichs sowohl im Reichstag als auch im Bundesrat Mehrheitsbeschlüsse erforderlich25. Auf Grund dieser Blockadepolitik der Bundesstaaten verblieben dem Reich lediglich die Einnahmen aus den Zöllen und Verbrauchsteuern (Art. 35 RV), die zur Deckung der Ausgaben des Reichs nicht genügten. Um den Finanzbedarf des Reichs trotzdem zu decken, gelangte daher eine als Provisorium in die Verfassung aufgenommene Finanzierungsmöglichkeit, die so genannten Matrikularbeiträge, überraschend zu zentraler Bedeutung. Art. 70 RV sah für die Finanzierung von gemeinschaftlichen Aufgaben (etwa Außenpolitik und Militär) des Reichs folgendes vor26: 1

Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Aufgaben dienen zunächst die etwaigen Ueberschüsse der Vorjahre, sowie die aus den Zöllen, den gemeinschaftlichen Verbrauchssteuern und aus dem Post- und Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. 2Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, so lange Reichssteuern nicht eingeführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden. Reich für mögliche (direkte) Reichssteuern nach Art. 4 Nr. 2 RV i.V. m. Art. 70 RV durch Gesetz selbst die Ertragshoheit regeln können. Hierzu auch Korioth, S. 313; Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 135; Wendt in: HdbSt IV, § 104 Rn. 7. 23 Diese verkürzte Charakterisierung der damaligen Finanzsituation geht auf eine Äußerung Bismarcks vom 02.05.1879 zurück; dazu Kittel, S. 5 f.; Korioth, S. 316. 24 Wendt in: HdbSt IV, § 104 Rn. 7; Waldhoff, S. 42. 25 Art. 5 Abs. 1 RV: „Die Reichsgesetzgebung wird ausgeübt durch den Bundesrath und den Reichstag. Die Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen ist zu einem Reichsgesetze erforderlich und ausreichend.“ 26 Hervorhebungen durch den Verfasser.

20

1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

Diese Matrikularbeiträge stellten in der Verfassungswirklichkeit die tragende Säule für die Finanzausstattung des Reichs dar, und bedingten eine finanzielle Abhängigkeit der Reichsfinanzwirtschaft von den Bundesstaaten. Selbst als es dem Reich 1879 durch den Übergang zur Schutzzollpolitik gelang, seine Einnahmen erheblich zu steigern, so dass das System der Matrikularbeiträge eigentlich hätte hinfällig werden können, wurde das Fördersystem auf Verlangen der Bundesstaaten durch die so genannte „Franckenstein’sche Klausel“27 weiter perpetuiert. Die Bundesstaaten befürchteten durch eine finanzielle Unabhängigkeit des Reichs eine Machtverschiebung zu ihren Lasten. Deshalb waren die Bundesstaaten nunmehr durch einfachgesetzliche Regelung28 an den Einnahmen des Reichs aus den Zöllen und der Tabaksteuer in der Weise beteiligt, dass den einzelnen Bundesstaaten derjenige (Steuer-)Ertrag, der die Grenze von 130 Millionen Mark29 überschritt, nach dem Verteilungsschlüssel, mit welchem sie zu den Matrikularbeiträgen herangezogen wurden, zu überweisen war30. Später wurde diese Klausel auf die Reichsstempel- und die Branntweinabgabe ausgedehnt. Die Bundesstaaten konnten im Gegenzug die auf sie entfallenen Matrikularbeiträge teilweise mit den Überweisungen des Reichs verrechnen. Damit verblieben die Einnahmen, ungeachtet der Ertragshoheit des Reichs nach Art. 38 Abs. 1 RV, faktisch nur bis zu einer bestimmten Höhe beim Reich; der Rest musste an die Bundesstaaten abgeführt werden31. Das Reich war – wie wohl durch die Bundesstaaten beabsichtigt – auch nach der Finanzreform durch eine künstlich geschaffene Knappheit seiner finanziellen Ressourcen weiter abhängig von den Matrikularbeiträgen der Bundesstaaten32. Dieser, den eindeutigen Vorgaben der Verfassung in Art. 70 RV widersprechende Zustand, wurde schließlich durch eine Verfassungsänderung im Jahre 1904 legitimiert33. Art. 70 Satz 2 RV wurde dahingehend geändert, dass die

27 Benannt nach dem bayrischen Zentrumspolitiker Georg Freiherr von und zu Franckenstein, der die Klausel 1879 im Rahmen der Finanzreform durchgesetzt hatte. 28 § 8 des Gesetzes, betreffend den Zolltarif des Deutschen Zollgebiets und den Ertrag der Zölle und der Tabacksteuer vom 15.07.1879, RGBl. 1879, S. 207 (211). 29 Siehe zur Festlegung der Grenze von 130 Millionen Mark die Berechnung bei Kittel, S. 8 f. 30 Dazu Kittel, S. 8; Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 405; Korioth, S. 317 f.; Pagenkopf, S. 93 f. 31 Im Reichsetat wurden die gesamten Erträge aus den Zöllen, der Tabaksteuer, der Stempel- und Branntweinabgaben als Einnahmen verbucht und die Überweisungen an die Bundesstaaten im Ausgabeetat verzeichnet. Hierin sahen Teile der damaligen Lehre (vgl. nur Kittel, S. 15 ff.) keinen Verfassungsbruch, da die formalen Vorgaben der Reichsverfassung damit eingehalten worden seien. A. A. zu Recht Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 405. 32 Pagenkopf, S. 94; Henneke, Rn. 70. 33 § 2 des Gesetzes, betreffend Änderungen im Finanzwesen des Reichs vom 14.05. 1904, RGBl. 1904, 169 f.

B. Die Weimarer Reichsverfassung

21

Passage „so lange Reichssteuern nicht eingeführt sind“ ersatzlos gestrichen und die Beteiligung der Bundesstaaten an dem Reichssteueraufkommen in einem neuen Satz 3 erwähnt wurde34. Damit war die Abhängigkeit des Reichs von den Bundesstaaten auch verfassungsrechtlich verankert. Durch die kostspielige Rüstungspolitik35 des Reichs verschärfte sich die Finanzkrise. Dies führte zwar 1906 zur Einführung einer ersten bedeutenden direkten Steuer, der Erbschaftsteuer36, jedoch reichten die neuen Einnahmen37 nicht zur Deckung der hohen Reichsausgaben38. Spätestens durch den Ersten Weltkrieg wurde die Entwicklung eines Reichssteuersystems endgültig verhindert.

B. Die Weimarer Reichsverfassung Der Zusammenbruch des Kaiserreichs und die Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs, insbesondere die Lasten des Versailler Vertrags für Wirtschaft und Finanzen, bedingten in der gesamten Verfassung der Weimarer Republik vom

Art. 70 RV lautete nunmehr: „(1) 1Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunächst die aus den Zöllen und gemeinsamen Steuern, aus dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen sowie aus den übrigen Verwaltungszweigen fließenden gemeinschaftlichen Einnahmen. 2Insoweit die Ausgaben durch die Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche in Höhe des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden. 3Insoweit diese Beiträge in den Überweisungen keine Deckung finden, sind sie den Bundesstaaten am Jahresschluß in dem Maße zu erstatten, als die übrigen ordentlichen Einnahmen des Reichs dessen Bedarf übersteigen. (2) Etwaige Überschüsse aus den Vorjahren dienen, insoweit durch das Gesetz über den Reichshaushalts-Etat nicht ein anderes bestimmt wird, zur Deckung gemeinschaftlicher außerordentlicher Ausgaben.“ (Hervorhebung durch den Verfasser) 35 Nach Pagenkopf, S. 88 betrugen die Kosten für militärische Zwecke zwischen 75 v. H. bis 90 v. H. der Gesamtausgaben des Reichs. 36 Die Erbschaftsteuer wurde in der finanzwissenschaftlichen Literatur zunächst als „indirekte oder verkehrsteuerähnliche Steuer“ bezeichnet, um sie im Bundesrat durchzusetzen. Jedoch überzeugte dies schon damals nicht. So spottete der Abgeordnete David am 02.12.1907 im Reichstag: „Der Tod ist kein Vorgang des wirtschaftlichen Verkehrs, und die Wegnahme eines Teils des nachgelassenen Vermögens seitens des Fiskus ist keine Besteuerung des Verkehrs.“, abgedruckt bei Laband, Direkte Reichssteuern, S. 15 Fn. 1 m.w. N. 37 Nach Wendt in: HdbSt IV, § 104 Rn. 7 wurden weitere direkte Steuern eingeführt, namentlich die Zuwachssteuer (1911), der Wehrbeitrag und die Besitzsteuer (1913), die Kriegssteuer (1916) und die außerordentliche Kriegsabgabe (1918). 38 Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, S. 407, der 1909 noch auf eine dauerhafte Herstellung der Ordnung in der Finanzwirtschaft des Reichs hoffte. Aber auch er setzte hierzu bereits voraus, dass sich die Ausgaben des Reichs in Zukunft nicht erhöhen dürften, ohne dass Einnahmen zur Deckung vorhanden wären oder neu geschaffen würden. 34

22

1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

11. August 1919 (WRV)39 eine erhebliche Stärkung des Reichs gegenüber seiner Stellung in der Verfassung des Deutschen Reichs von 187140. Die Regelungen der Finanzverfassung brachten dem Reich umfassende Kompetenzen für den Bereich der Steuergesetzgebung und Steuervereinnahmung ein. Anders als im Deutschen Reich entsprach die Verfassungstheorie nunmehr aber auch den tatsächlichen Gegebenheiten. Die weitgehende Zentralisierung im Bereich der Finanzverfassung kam für die Gesetzgebung durch die Art. 6, 8 und 11 WRV zum Ausdruck. So regelte Art. 6 Nr. 6 WRV die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Reichs für das Zollwesen41: Das Reich hat die ausschließliche Gesetzgebung über: 6. das Zollwesen, sowie die Einheit des Zoll- und Handelsgebiets und die Freizügigkeit des Warenverkehrs;

Auf dem Gebiet des Steuerwesens stand dem Reich in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 WRV42 die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für alle erdenklichen Steuern zu. Diese umfassende Gesetzgebungskompetenz folgte aus Art. 8 WRV, der sowohl den Kompetenztitel für das Reich, als auch die Kompetenzausübungsregelung enthielt: 1

Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden. 2Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen.

Aus dieser Vorschrift folgte, dass auch der Ertrag der Reichssteuern in die Reichskasse fließen musste; anderenfalls wäre die Kompetenz der Länder wieder aufgelebt43. Somit normierte Art. 8 WRV nicht nur die Gesetzgebungshoheit des Reichs, sondern auch die Ertragshoheit über alle Steuern, die das Reich für sich in Anspruch nehmen wollte. Eine für den weiteren Verlauf dieser Arbeit interessante Regelung beinhaltete Art. 11 WRV, durch den dem Reich erstmals Gesetzgebungskompetenzen im Bereich der Abgaben eingeräumt wurden, die durch die Länder selbständig erlassen werden konnten (Landesabgaben). Dort hieß es44: Das Reich kann im Wege der Gesetzgebung Grundsätze über die Zulässigkeit und Erhebungsart von Landesabgaben aufstellen, soweit sie erforderlich sind, um 39

RGBl. 1919, S. 1383 ff. Ausführlich hierzu Pagenkopf, S. 108 f. 41 Hervorhebungen durch den Verfasser. 42 Art. 12 Abs. 1 WRV: „1Solange und soweit das Reich von seinem Gesetzgebungsrechte keinen Gebrauch macht, behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung. 2Dies gilt nicht für die ausschließliche Gesetzgebung des Reichs.“ 43 Pagenkopf, S. 111. 44 Hervorhebung durch den Verfasser. 40

B. Die Weimarer Reichsverfassung

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1. Schädigung der Einnahmen oder Handelsbeziehungen des Reichs, 2. Doppelbesteuerung, 3. übermäßige oder verkehrshindernde Belastung öffentlicher Verkehrswege und Einrichtungen mit Gebühren, 4. steuerliche Benachteiligungen eingeführter Waren gegenüber den eigenen Erzeugnissen zwischen den einzelnen Ländern oder Landesteilen oder 5. Ausfuhrprämien auszuschließen oder wichtige Gesellschaftsinteressen zu wahren.

Demnach stand dem Reich eine so genannte „Grundsatzgesetzgebung“ zu, um übergeordnete, gesamtstaatliche Interessen einheitlich zu regeln und um wirtschaftliche Nachteile für das Reich zu vermeiden. Darunter war zu verstehen, dass das Reich in diesem Bereich allgemeine Leitlinien erlassen durfte, die einer näheren Ausführung und Ausgestaltung durch die Länder unter Berücksichtigung der landesspezifischen Besonderheiten bedurften45. Es oblag jedoch dem Reich sich, nach pflichtgemäßem Ermessen, auf die Festlegung allgemeiner Grundsätze zu beschränken46. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung dieser besonderen Gesetzgebungsbefugnis des Reichs war damals umstritten47. Diese verfassungsrechtlich normierte „Eingriffsbefugnis“ des Reichs in den Kompetenzbereich der Länder bei der Steuergesetzgebung hat in etwas abgewandelter Form bis in unsere heutige Finanzverfassung in Form der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes überlebt (Art. 105 Abs. 2 GG). Das bis heute bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem heutigen Bund und den Ländern bildet ein zentrales Thema dieser Untersuchung. Die Verfassungslage in der Weimarer Republik schaffte die Voraussetzungen für die Entwicklung eines umfassenden Reichssteuersystems in den Jahren 1919/1920, in dem noch heute bekannte Steuern, wie die Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Kapitalertragsteuer und Erbschaftsteuer, eingeführt wurden48. Darüber hinaus wurden die Verkehr- und Verbrauchsteuern deutlich ausgebaut. In der weiteren Entwicklung verschob sich das Gewicht im Finanzsystem immer mehr zu Lasten der Länder. Die in Art. 8 WRV vorgesehene konkurrierende Steuergesetzgebungskompetenz des Reichs wurde zunächst durch den Erlass des Landessteuergesetzes vom 30. März 192049 und ab 1923 durch § 2 des 45

So Anschütz, Art. 10, 11 Nr. 1. Popitz, S. 159 f. wies darauf hin, dass „die Grenzen im Grunde nur willensmäßig zu ziehen sind.“ 47 Zum Meinungsstand Anschütz, Art. 10, 11 Nr. 1, der eine gerichtliche Überprüfung ablehnte. 48 Zur gesamten sog. „Erzbergerschen Finanzreform“, benannt nach dem damals amtierenden Reichsfinanzminister Matthias Erzberger, vgl. Korioth, S. 385; Küssner, S. 28 f.; Pagenkopf, S. 113 f. 49 RGBl. I 1920, S. 402. 46

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

Finanzausgleichsgesetzes (FAG)50 faktisch zu einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz für Reichssteuern erweitert51. Hiernach war es den Ländern verboten, den Reichssteuern gleichartige Steuern selbst zu erheben. Darüber hinaus konnten nach §§ 3 und 4 FAG, die sich auf Art. 11 WRV stützten52, Landes- und Gemeindesteuern durch das Reich aufgehoben werden, wenn sie im Widerspruch mit den Reichsfinanzen standen. Damit waren die Länder in der Praxis nahezu ohne eigene Steuergesetzgebungskompetenzen und dadurch ohne eigene Ertragshoheiten ausgestattet53. Ein Steuerwettbewerb zwischen den Ländern wurde damit fast unmöglich gemacht. Um nunmehr den Finanzbedarf der Länder zu decken, wurden diese erstmals an dem Aufkommen einiger Steuern, wie beispielsweise der Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz-, Erbschaftund Kraftfahrzeugsteuer, beteiligt54. Die Verhältnisse unter der Weimarer Reichsverfassung standen damit im genauen Gegensatz zu der Entwicklung im Deutschen Reich. Das Reich konnte seine Macht bei der Steuergesetzgebung so weit ausdehnen, wie es dazu aus finanziellen, wirtschaftlichen oder auch nur politischen Gründen eine Notwendigkeit sah55. Die Länder können daher auf Grund dieser finanziellen Abhängigkeit vom Reich zutreffend als „Kostgänger des Reichs“ bezeichnet werden56.

C. Die Verfassung während der Zeit des Nationalsozialismus Zwar galt die Weimarer Reichsverfassung während der Zeit des Nationalsozialismus im so genannten „Dritten Reich“ (1933–1945) formell weiter, wurde jedoch in der Praxis durch Adolf Hitler außer Kraft gesetzt. Spätestens das „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“ vom 30. Januar 193457 beendete die Staatlichkeit der Länder58. Der Bundesstaat der Weimarer Republik war damit 50 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden (Finanzausgleichsgesetz) vom 23. Juni 1923, RGBl. I 1923, S. 494. 51 § 2 FAG 1923 besagte: „Die Inanspruchnahme von Steuern für das Reich schließt die Erhebung gleichartiger Steuern durch die Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) aus, wenn nicht reichsgesetzlich ein anderes vorgeschrieben ist. . . .“ 52 Korioth, S. 384 Fn. 435. 53 Zu den Landessteuern zählten nur noch die Realsteuern (Gewerbe- und Grundsteuer) nach § 8 Landessteuergesetz, die Hauszinssteuer und einige Verkehrsteuern (Stempelsteuer und Wandergewerbesteuer). 54 Korioth, S. 385 ff.; Pagenkopf, S. 114 ff. 55 Dies erkannte bereits Popitz (1929), S. 160. 56 So Küssner, S. 29; Wendt in: HdbSt IV, § 104 Rn. 14; Henneke, Rn. 80; Heun in: Dreier, Vorb. zu Art. 104a–115 Rn. 6; Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a– 115 Rn. 143. 57 RGBl. I 1934, S. 75; zuvor bereits: Vorläufiges Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31.03.1933, RGBl. I 1933, S. 153 f.; Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 07.04.1933, RGBl. I 1933, S. 173.

D. Grundgesetz von 1949 bis zur Finanzverfassungsreform von 1969

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zu einem Einheitsstaat umgestaltet. Nach und nach wurden auch alle durch Landesrecht geregelten Steuern durch reichsrechtliche Vorschriften ersetzt. Mit den Gesetzen zur Regelung der Realsteuern vom 1. Dezember 193659 wurden den Ländern ihre letzten Kompetenzen im Bereich der Steuergesetzgebung entzogen60. An einen Steuerwettbewerb war nicht mehr zu denken.

D. Das Grundgesetz von 1949 bis zur Finanzverfassungsreform von 1969 Nach dem Zweiten Weltkrieg einigten sich im Juni 1948 die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten, die Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung für die drei Westzonen zu genehmigen61. Deren Auftrag war es, eine demokratische Verfassung mit einem föderativen Staatsaufbau zu erarbeiten. Der daraufhin gebildete Parlamentarische Rat wurde bei seiner Arbeit durch die drei Militärgouverneure der Westzonen intensiv beobachtet. Diese waren nach den jüngsten Erfahrungen im so genannten „Dritten Reich“ bestrebt, die verfassungsrechtliche Position des Bundes zu begrenzen und drängten deshalb auf eine dezentrale Ausrichtung der Verfassung. Grundlage für die Arbeit des Parlamentarischen Rates bildete der von einem Sachverständigenausschuss in Herrenchiemsee (sog. Herrenchiemseer Verfassungskonvent) erarbeitete Verfassungsentwurf.

I. Der Weg zur Finanzverfassung im Grundgesetz 1949 Der Verfassungsentwurf von Herrenchiemsee beinhaltete in Art. 38 des Entwurfs (HChE) für die Finanzverfassung eine länderfreundliche Aufteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen und eine daran anknüpfende Verteilung der Steuererträge und der Verwaltung. Die Alternativvorschläge des Art. 38 HChE variierten hauptsächlich bei der Aufteilung einiger Verbrauch- und Verkehrsteuern zwischen Bund und Ländern62. Nach Art. 122 Abs. 2 Vorschlag a HChE, 58 Durch Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes wurden die Hoheitsrechte der Länder auf das Reich übertragen. Vgl. auch Pagenkopf, S. 132; Henneke, Rn. 81. 59 Im Einzelnen: Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen, RGBl. I 1936, S. 961 ff.; Gewerbesteuergesetz, RGBl. I 1936, S. 979 ff.; Grundsteuergesetz, RGBl. I 1936, S. 986 ff. 60 Die Entwicklung der Finanzverfassung im Dritten Reich lässt sich detailliert bei Pagenkopf, S. 131 ff. nach verfolgen. 61 Dazu Renzsch, S. 54. 62 Art. 38 HChE schlug vor: „Der Bund hat auf dem Gebiet des Finanzwesens die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle; die Vorranggesetzgebung über Vorschlag a: 1. die Verbrauchsteuern, die Steuern vom Einkommen und Vermögen und die Steuern vom Umsatz und Verkehr. Bei den Steuern vom Einkommen und Vermögen ist die

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

sollte den Ländern außerdem ein Zuschlagsrecht zur Einkommensteuer zustehen63. Der Parlamentarische Rat lehnte die Vorschläge des Verfassungskonvents jedoch als zu föderalistisch ab. Dem lag die einhellige Vorstellung zu Grunde, dass durch die neue Finanzverfassung nicht die deutsche Rechts- und Wirtschaftseinheit gefährdet werden dürfe64. Umstritten waren insbesondere die Regelungen bei der Einkommensteuer über Zuschlagsrechte der Länder und das Recht auf ländereigene Festlegung von Freigrenzen und Hebesätzen65. Für die endgültige Entscheidungsfindung war die von Sachverständigen und einflussreichen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, insbesondere des Abgeordneten Dr. Hermann Höpker-Aschoff (FDP)66, als unumstößlich betrachtete Prämisse maßgebend, im gesamten Bundesstaat einheitliche Belastungen mit Steuern zu gewährleisten67. Dies hatte eine zentralistisch geprägte Ausgestaltung der Steuergesetzgebungskompetenzen und im Gegenzug die weit reichende Verdrängung der Länder aus diesem Bereich zur Folge. Nach dem die alliierten Militärgouverneure auf eine deutliche Beschränkung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes drängten68, musste die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes dahingehend beschränkt werden, dass eine Ausübung durch den Bund nur dann möglich sein solle, wenn das Aufkommen der Steuern zur Deckung seiner Ausgaben benötigt werde69. Um jedoch eine zu uneinheitliche Steuergesetzgebung im Bundesgebiet zu vermeiden, verständigte man sich Bestimmung der Steuer- und Hebesätze und die Freigrenzen innerhalb eines bundesrechtlich festgesetzten Rahmens den Ländern zu überlassen. . . . Vorschlag b: 1. die Verbrauchsteuern mit Ausnahme der Biersteuer, die Steuern vom Einkommen und Vermögen, die Steuern vom Umsatz und Verkehr mit Ausnahme der Erbschaftund Schenkungsteuer, der Grunderwerbsteuer und der Wertzuwachssteuer. Bei den Steuern vom Einkommen und Vermögen ist die Bestimmung der Steuer- und Hebesätze und die Freigrenzen innerhalb eines bundesrechtlich festgesetzten Rahmens den Ländern zu überlassen. . . .“ Zitiert nach v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 750 f.; Hervorhebung durch den Verfasser. 63 Art. 122 Abs. 2 Vorschlag a HChE: „Die Länder dürfen innerhalb der Grenzen der bundesgesetzlichen Steuersätze Zuschläge zu den Einkommensteuern erheben.“ 64 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 749 und 752 f. 65 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 752 f.; siehe auch: Stern, Staatsrecht II, § 46 II 2, S. 1113. 66 Zu seinem Einfluss auf den Entstehungsprozess siehe die Nachweis bei Waldhoff, VVDStRL 66 (2007), S. 234. 67 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 752 f.; Höpker-Aschoff, AöR 75 (1949), S. 317; dazu: Waldhoff, S. 45. 68 Alliiertes Memorandum vom 02.03.1949, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Akten und Protokolle, Bd. 8, S. 131 ff. (Deutsche Fassung). 69 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 759. Zu den einzelnen Verhandlungsschritten des Parlamentarischen Rates mit den Alliierten vgl. die Darstellung bei Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 193–198.

D. Grundgesetz von 1949 bis zur Finanzverfassungsreform von 1969

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schließlich darauf, dass der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz auch dann Gebrauch machen dürfe, wenn die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 erfüllt seien, insbesondere wenn ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung zur Herstellung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit bestehe70. Darüber hinaus sollte der Kompetenzverlust der Länder bei der Steuergesetzgebung durch Einflussmöglichkeiten im Gesetzgebungsverfahren kompensiert werden, indem die Länder den Steuergesetzen des Bundes, deren Erträge den Ländern ganz oder zum Teil zufließen, im Bundesrat zustimmen sollten. Dies führte zur Einführung des bis heute unverändert gebliebenen Art. 105 Abs. 3 GG. Für die von der Steuergesetzgebungshoheit bewusst getrennte Steuerertragshoheit wurde weitestgehend ein Trennsystem empfohlen, wonach die Erträge der einzelnen Steuern entweder dem Bund oder den Ländern zustanden. Die Entkopplung der Ertragshoheit von der Gesetzgebungshoheit wird von Mußgnug als der eigentliche „Geniestreich des Parlamentarischen Rates“71 eingestuft, der sich nach Ansicht Waldhoffs jedoch zum „bundesstaatlichen Kuckucksei“72 entwickelt hat. Am 23. Mai 1949 trat schließlich das Grundgesetz in Kraft73. Die Finanzverfassung war letztlich das Ergebnis eines „harten Kampfes“ zwischen den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates und den Militärgouverneuren74.

II. Der Inhalt der Finanzverfassung von 1949 Die Finanzverfassung von 1949 entsprach dem Modell eines „föderativen oder separativen Bundesstaates“75, in dem eine strikte Aufgabentrennung herrschte und die Finanzquellen nach dem Trennsystem verteilt wurden. Die Finanzverfassung unterschied damals, wie heute, zwischen der Gesetzgebungshoheit (Art. 105 GG) und der Ertragshoheit (Art. 106 GG). Die übrigen Vorschriften der Finanzverfassung befassten sich mit dem Finanzausgleich (Art. 107 GG) und den Verwaltungskompetenzen (Art. 108 GG).

70 v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 761; Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 4. 71 JZ 1992, S. 194. 72 VVDStRL 66 (2007), S. 243. 73 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, BGBl. I 1949, S. 1. 74 Höpker-Aschoff, AöR 75 (1949), S. 331. Die Auseinandersetzungen betrafen nicht nur den Bereich der Gesetzgebungskompetenzen, sondern auch die Verteilung der Steuererträge und insbesondere die Ausgestaltung der Finanzverwaltung als Bundes- oder Landesverwaltung, hierzu v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. Bd. 1 (1951), S. 762 ff.; Höpker-Aschoff, AöR 75 (1949), S. 321 ff. und 328 ff. 75 So der Begriff nach Henke/Schuppert, S. 30.

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

1. Die Gesetzgebungshoheit Ergebnis der langwierigen Verhandlungen war für den Bereich der Gesetzgebungshoheit Art. 105 GG 1949. Dieser hatte folgenden Wortlaut76: (1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole. (2) Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung über 1. die Verbrauch- und Verkehrsteuern mit Ausnahme der Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis, insbesondere der Grunderwerbsteuer, der Wertzuwachssteuer und der Feuerschutzsteuer, 2. die Steuern vom Einkommen, Vermögen, von Erbschaften und Schenkungen, 3. die Realsteuern mit Ausnahme der Festsetzung der Hebesätze, wenn er die Steuern ganz oder zum Teil zur Deckung der Bundesausgaben in Anspruch nimmt oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 vorliegen. (3) Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

Danach standen dem Bund, neben der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz für Zölle und Finanzmonopole, weit reichende Kompetenzen im Bereich der Steuergesetzgebung zu. Zwar war seine Gesetzgebungskompetenz dadurch begrenzt, dass ihm das Aufkommen der zu regelnden Steuer ganz oder teilweise zur Deckung von Bundesausgaben zustehen oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG 194977 erfüllt sein mussten. Aber insbesondere die Kompetenzausübungsregelung des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 entfaltete nach der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Vorschrift keine begrenzende Wirkung. In seinen ersten Urteilen zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949 legte das Gericht bereits dar, dass die Frage, ob ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung bestehe, eine Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers sei, „die ihrer Natur nach nicht justitiabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sei“78. 76

Hervorhebungen durch den Verfasser. Art. 72 Abs. 2 GG 1949 besagte: „Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil: 1. eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann oder 2. die Regelung einer Angelegenheit durch ein Landesgesetz die Interessen anderer Länder oder die Gesamtheit beeinträchtigen könnte oder 3. die Herstellung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet über das Gebiet eines Landes hinaus sie erfordert.“ 78 Im Ansatz bereits BVerfG v. 30.04.1952, 1 BvR 14, 25, 167/52, BVerfGE 1, 264 (272 f.); eindeutig dann BVerfG v. 22.04.1953, 1 BvL 18/52, BVerfGE 2, 213 (224); 77

D. Grundgesetz von 1949 bis zur Finanzverfassungsreform von 1969

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Machte der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch, waren die Länder von dem Erlass eigener Steuergesetze ausgeschlossen. Dies folgte damals wie heute aus der allgemeinen Vorschrift zur konkurrierenden Gesetzgebung des Art. 72 Abs. 1 GG. Der Bund schöpfte in der Folgezeit seine Steuergesetzgebungskompetenz umfassend aus79. Den Ländern verblieb praktisch kein Raum für eine eigene Steuergesetzgebung, mit Ausnahme der Möglichkeit für bestimmte Verbrauch- und Verkehrsteuern, die ihre Wirkung örtlich begrenzt entfalteten (beispielsweise die Grunderwerbsteuer), Gesetze zu erlassen, sowie die Hebesätze der Realsteuern, namentlich der Grund- und Gewerbesteuer, festzulegen. Ein Steuerwettbewerb zwischen den Ländern konnte und sollte sich unter diesen Verfassungsvoraussetzungen nicht entwickeln80. Jedoch bildeten die in Art. 105 GG 1949 genannten Steuern, nach der nicht unbestrittenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts81, keinen abschließenden Steuerkatalog, so dass die Länder auf Grund ihrer allgemeinen Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 70 GG82 Steuern erfinden konnten, die nicht in Art. 105 GG 1949 ausdrücklich der ausschließlichen oder konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugewiesen waren. 2. Die Ertragshoheit Bei der Verteilung der Steuererträge wurde überwiegend ein striktes Trennsystem in Art. 106 Abs. 1 und 2 GG 1949 normiert83. Damit gab es eine klare Zuordnung der Steuererträge auf Bund und Länder.

nähere Ausführungen zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den kritischen Stimmen in der Literatur folgen im zweiten Kapitel, S. 62 ff. 79 So die Einschätzung der Kommission für die Finanzreform, Tz. 303. 80 Dies begrüßte Klein, S. 169 und 193 f., mit der Begründung, durch gleiche Lasten „möglichst weitgehende Wettbewerbsgleichheit für gleiche wirtschaftliche Startbedingungen“ zu schaffen und die „Einheitlichkeit des Wirtschaftsraums“ nicht zu stören. 81 Vgl. BVerfG v. 10.05.1962, 1 BvL 31/58, BVerfGE 14, 76 (91); v. 07.05.1963, 2 BvL 8, 10/61, BVerfGE 16, (77 ff.); a. A. etwa Höpker-Aschoff, AöR 75 (1949), S. 321. 82 Der Wortlaut des Art. 70 GG ist bis heute unverändert geblieben. 83 Art. 106 Abs. 1 und 2 GG 1949: „(1) Die Zölle, der Ertrag der Monopole, die Verbrauchsteuern mit Ausnahme der Biersteuer, die Beförderungsteuer, die Umsatzsteuer und einmaligen Zwecken dienenden Vermögensabgaben fließen dem Bunde zu. (2) Die Biersteuer, die Verkehrsteuern mit Ausnahme der Beförderungsteuer und der Umsatzsteuer, die Einkommen- und Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die Realsteuern und die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis fließen den Ländern und nach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemeinden (Gemeindeverbänden) zu.“

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

III. Die Reformen der Finanzverfassung bis 1969 Da der Finanzausgleich in Art. 107 GG 1949 nur provisorisch geregelt war und unter dem Gebot der endgültigen Festlegung der Ausgleichsregelungen bis zum 31. Dezember 1952 stand, musste zeitnah eine Änderung der Finanzverfassung erreicht werden. Diese erfolgte nach zweimaliger Fristverlängerung84 durch das Finanzverfassungsgesetz vom 23. Dezember 195585. Hierbei wurde erstmals der horizontale Finanzausgleich zwischen leistungsfähigen und leistungsschwachen Bundesländern in der Verfassung festgeschrieben (Art. 107 Abs. 2 GG 195586). Die Gelegenheit der Verfassungsänderung wurde gleichzeitig genutzt, um für den Bereich der Verteilung der Steuererträge eine Neuerung, das so genannte Verbundsystem, einzuführen. Nunmehr standen nach Art. 106 Abs. 3 GG 1955 die Erträge aus der Einkommen- und der Körperschaftsteuer Bund und Ländern gemeinsam zu87. Für die übrigen Steuern wurde das Trennsystem beibehalten. Die Gemeinden und Gemeindeverbände erhielten erstmals 1956 die Ertragshoheit für die Realsteuern (Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG 1956)88. Diese Änderungen, insbesondere die Regelungen zur Verteilung des Steueraufkommens auf Bund und Länder im Verhältnis zu den jeweiligen Ausgabelasten, überzeugten in der Praxis nicht89. Deswegen setzte die Bundesregierung 1964 eine Sachverständigenkommission für eine Finanzreform ein, die die 84 Artikel 1 des Gesetzes zur Änderung des Artikels 107 des Grundgesetzes vom 20.04.1953 (BGBl. I 1953, S. 130) und Artikel 1 des zweiten Gesetzes zur Änderung des Artikels 107 des Grundgesetzes vom 25.12.1954 (BGBl. I 1954, S. 517). 85 Gesetz zur Änderung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz), BGBl. I 1955, S. 817. 86 Art. 107 Abs. 2 GG 1955: „Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, ist ein angemessener finanzieller Ausgleich zwischen leistungsfähigen und leistungsschwachen Ländern sicherzustellen; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden (Gemeindeverbände) zu berücksichtigen. Dieses Gesetz bestimmt, daß aus Beiträgen leistungsfähiger Länder (Ausgleichsbeiträgen) leistungsschwachen Ländern Ausgleichszuweisungen gewährt werden; in dem Gesetz sind die Voraussetzungen für die Ausgleichsansprüche und die Ausgleichsverbindlichkeiten sowie die Maßstäbe für die Höhe der Ausgleichsleistungen zu bestimmen. Das Gesetz kann auch bestimmen, daß der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs (Ergänzungszuweisungen) gewährt.“ 87 Art. 106 Abs. 3 GG 1955: „Vom Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer stehen bis 31. März 1958 33 1/3 vom Hundert dem Bund und 66 2/3 vom Hundert den Ländern, ab 1. April 1958 35 vom Hundert dem Bund und 65 vom Hundert den Ländern zu.“; hierzu Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a– 115 Rn. 205. 88 Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Artikels 106 des Grundgesetzes vom 24.12.1956, BGBl. I 1956, S. 1077. 89 Zu den Entwicklungen zwischen 1955 und 1969 Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 207–210; die politische Diskussion ist bei Renzsch, S. 209 ff. ausführlich wiedergegeben.

D. Grundgesetz von 1949 bis zur Finanzverfassungsreform von 1969

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Grundlagen für die Finanzreform im Jahre 1969 legte. Die Kommission gelangte 1966 in ihrem Gutachten, dem so genannten „Troeger-Gutachten“90, hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenzen zu der Auffassung, dass zur Sicherung des einheitlichen Wirtschaftsstandortes die Steuergesetzgebung Aufgabe der zentralstaatlichen Ebene sein müsse91. Dies entsprach der in den 60er Jahren vorherrschenden Überzeugung eines unitarisch geprägten Bundesstaates92. Nach Einschätzung der Sachverständigenkommission wurden in der Bevölkerung die Gleichmäßigkeit der sozialen Leistungen und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im gesamten Bundesstaat höher angesiedelt, als die Betonung der regionalen Vielfalt93. Erklärte Ziele der Reform waren daher, die Beschränkung der Bundesgesetzgebungskompetenz auf bestimmte Steuerarten aufzuheben, die durch den Begriff des „örtlichen bedingtem Wirkungskreises“ umstrittenen Abgrenzungen im Bereich der Verbrauch- und Verkehrsteuern zu beseitigen und die bis dahin umstrittene Zuständigkeit des Bundes für das allgemeine Steuerrecht eindeutig festzulegen94. Hierzu sollte für die konkurrierende Bundesgesetzgebungskompetenz eine Art Generalklausel geschaffen werden. Durch das Finanzreformgesetz vom 12. Mai 196995 wurden dem entsprechend neben der Klärung der strittigen Auslegungsfragen die empfohlenen Änderungen bei der Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen, mit dem Ergebnis einer Stärkung der Bundeskompetenzen, vorgenommen. Hierzu wurde Art. 105 Abs. 2 GG geändert und auf Verlangen der Länder ein neuer Absatz 2a96 eingeführt. Außerdem erfuhren auch die Vorschriften zur Ertragsverteilung (Art. 106 GG) und zum Finanzausgleich (Art. 107 GG) erneut Veränderungen. Damit verwirklichte sich im Bereich der Finanzverfassung der Gedanke des kooperativen Föderalismus97, der bereits durch das „Troeger-Gutachten“ als „ein

90 Benannt nach dem früheren Bundesbankvizepräsidenten Heinrich Troeger, damals Vorsitzender der Sachverständigenkommission. 91 Kommission für die Finanzreform, Gutachten für die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1966, Tz. 303 ff. 92 Henke/Schuppert, S. 30. 93 Kommission für die Finanzreform, Gutachten für die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1966, Tz. 74; ebenso die Einschätzung von Henke/ Schuppert, S. 30 f. 94 Vgl. Kommission für die Finanzreform, Tz. 303 ff.; Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Finanzreformgesetzes, BT-Drs. 5/2861, S. 32 Tz. 127 ff. und S. 52 f. Tz. 305 ff. und 362. 95 Einundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz), BGBl. I 1969, S. 359. 96 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des Absatzes 2a ausführlich Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 7 ff. 97 Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Finanzreformgesetzes, BTDrs. 5/2861, S. 11 Tz. 9 f.

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

ausgewogenes System der Zusammenordnung und Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern und unter den Ländern“ beschrieben wurde98.

E. Das heutige Grundgesetz Die Finanzverfassung im heutigen Grundgesetz bestimmt zu Beginn in Art. 104a GG99 und Art. 104b GG100 die Verteilung der Ausgabenlast auf Bund und Länder. Nach Art. 104a Abs. 1 GG wird eine strenge Trennung nach den jeweiligen Aufgaben verfolgt, so dass Bund und Länder die Ausgaben tragen, die sich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben (soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt). Diese klare Trennung wird jedoch im Grundgesetz an mehreren Stellen durchbrochen und führt damit zu einem der zentralen Kritikpunkte an der heutigen Finanzverfassung101. Unverändert geblieben ist die Unterscheidung zwischen der Gesetzgebungshoheit und der Ertragshoheit. Der Finanzausgleich ist weiterhin in Art. 107 GG normiert102 und die Regelungen zu den Verwaltungskompetenzen befinden sich in Art. 108 GG.

I. Die Gesetzgebungshoheit Die Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich der Zölle, Finanzmonopole und Steuern ist in Art. 105 GG geregelt, der nach der Finanzreform von 1969 lediglich 2006 im Zuge der ersten Stufe der Föderalismusreform durch den Satz 2 des Absatzes 2a ergänzt wurde103. Unter Berücksichtigung dieser Änderung hat Art. 105 GG in seiner heutigen Fassung folgenden Wortlaut: (1) Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über die Zölle und Finanzmonopole. (2) Der Bund hat die konkurrierende Gesetzgebung über die übrigen Steuern, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 vorliegen. (2a) Die Länder haben die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Sie haben die Befugnis zur Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer.

98

Kommission für die Finanzreform, Tz. 76. Eingeführt durch das Finanzreformgesetz von 1969, siehe Fn. 95. 100 Eingeführt durch das Föderalismusreformgesetz von 2006, BGBl. I 2006, S. 2036 f. 101 Vgl. dazu in diesem Kapitel Seite 36 ff. 102 Zum Inhalt des Länderfinanzausgleichs siehe im vierten Kapitel Seite 180 ff. 103 BGBl. I 2006, S. 2037; siehe zum Gesetzgebungsverfahren Fn. 4. 99

E. Das heutige Grundgesetz

33

(3) Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.

Danach steht dem Bund für die Zölle und die Finanzmonopole, wie bereits vor der Finanzreform von 1969, das ausschließliche Gesetzgebungsrecht zu (Art. 105 Abs. 1 GG). Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund nunmehr über die „übrigen Steuern“ die konkurrierende Gesetzgebung. Eine nähere Bestimmung des Kompetenztitels „übrige Steuern“ findet sich im Grundgesetz nicht. Deshalb ist die Auslegung dieses Merkmals auch Gegenstand heftiger Diskussionen in der Literatur, auf die im zweiten Kapitel der Arbeit näher eingegangen werden soll104. Jedoch unterliegt das Gesetzgebungsrecht des Bundes zwei alternativ zueinander stehenden Beschränkungen105. Der Bund kann von seiner Gesetzgebungskompetenz nur dann Gebrauch machen, wenn ihm entweder das Aufkommen der Steuern ganz oder zum Teil zusteht oder die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen. Der Wortlaut des Art. 72 Abs. 2 GG hat durch die Verfassungsreform von 1994, welche am 15. November 1994 in Kraft trat106, eine umfangreiche Änderung107 und im Zuge der ersten Stufe der Föderalismusreform 2006 nochmals eine Modifizierung erfahren108. Bis zur Verfassungsreform von 1994 beinhaltete Art. 72 Abs. 2 GG die so genannte „Bedürfnisklausel“109. Nunmehr heißt es: Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25, und 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht110, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtsoder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.

Welche Auswirkungen diese neue „Erforderlichkeitsklausel“ auf die Steuergesetzgebungskompetenz des Art. 105 Abs. 2 GG und einen möglichen Steuerwettbewerb nach sich zieht, wird ein zentrales Element der weiteren Untersuchung werden. Deshalb sei an dieser Stelle lediglich auf den Wortlaut der Norm hingewiesen. 104

Siehe hierzu im zweiten Kapitel Seite 42 ff. Zu den Beschränkungen der konkurrierenden Gesetzgebung in der Fassung des Grundgesetzes von 1949 siehe die Ausführungen auf Seite 28 f. 106 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 (BGBl. I 1994, S. 3146). 107 Auf die Entstehungsgeschichte des Art. 72 Abs. 2 GG wird im zweiten Kapitel näher eingegangen (Seite 65 ff.). 108 Vgl. Fn. 110. 109 Siehe zum Wortlaut der „Bedürfnisklausel“ (Art. 72 Abs. 2 GG 1949) Fn. 77. 110 Bis zur ersten Stufe der Föderalismusreform 2006 hieß es: „Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht . . .“. Die Formulierung „diesem Bereich“ bezog sich auf die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 1 GG. 105

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

Den Ländern verblieb bislang nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG das ausschließliche Gesetzgebungsrecht über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, welche jedoch nicht mit Steuern des Bundes gleichartig sein dürfen. Hieraus haben sich inzwischen zahlreiche neue Abgrenzungsprobleme ergeben, die jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit sein werden111. Die Länder haben ihre Gesetzgebungskompetenzen in der Praxis weitgehend den Gemeinden übertragen112, in dem sie die Gemeinden in ihren Landesverfassungen113 und Kommunalabgabengesetzen114 ermächtigt haben, eigene Steuern, im verfassungsrechtlichen Rahmen des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG115, einzuführen. Darüber hinaus sind die Steuern der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV der ausschließlichen Gesetzgebung der Länder vorbehalten. Damit gab es für die Länder in der bisherigen Praxis nahezu keinen Spielraum, eigene steuerrechtliche Gestaltungen durchzuführen116. Künftig könnte sich jedoch die Lage der Länder durch die in Satz 2 des Art. 105 Abs. 2a GG neu eingeräumte Steuersatzautonomie bei der Grunderwerbsteuer leicht verbessern117. Inwieweit die Länder von dem neuen Recht Gebrauch machen, bleibt abzuwarten. Die bis dato bestehende steuerpolitische Bedeutungslosigkeit der Länder bildet daher noch immer einen weiteren Kritikpunkt an der heutigen Finanzverfassung118. Den Gemeinden ist nach Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG das Recht119 einzuräumen, die Hebesätze der Grund- und Gewerbesteuer eigenständig im Rahmen der Gesetze festzusetzen. Durch die Festlegung der Gewerbesteuerhebesätze konkretisiert sich die in Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG als Teil der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden geforderte Grundlage der finanziellen Eigenverantwortung, in Form einer mit Hebesatzrecht ausgestatteten wirtschaftsbezogenen Steuerquelle.

111 Hierzu die umfassende Untersuchung von Küssner, S. 271 ff.; auch Vogel/Walter, BK, Art. 105 Rn. 121a ff. 112 Birk in: AK, Art. 105 Rn. 16. 113 Vgl. beispielsweise für Nordrhein-Westfalen Art. 79 LVerf NW. 114 Vgl. beispielsweise für Nordrhein-Westfalen § 1 Kommunalabgabengesetz NW. 115 So Holzkämper, S. 38; Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 126a; vgl. aber auch Grawert, FG von Unruh, S. 604. 116 Vgl. zur Lage der Landesgesetzgeber am Beispiel Bayerns Kremer, FS Klein, S. 577 ff., der die Regelungskompetenz des bayrischen Steuergesetzgebers 1991/1992 auf 0,02 v. H. vom Gesamtsteueraufkommen in Bayern beziffert (ebd., S. 595). 117 Henneke bezeichnet diese Neuerung als ein „bescheidenes Resultat“ (in: Föderalismusreform in Deutschland, S. 32). 118 Vgl. hierzu Seite 36 ff. 119 Der Rechtsanspruch der Gemeinden richtet sich von Verfassungswegen gegen den jeweiligen Bundes- oder Landesgesetzgeber; vgl. Hidien, in BK, Art. 106 (102. Lfg.) Rn. 1084.

E. Das heutige Grundgesetz

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II. Die Ertragshoheit Durch Art. 106 GG werden das Aufkommen der Steuern und Finanzmonopole auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt. Gesetzestechnisch weist die Vorschrift die Erträge den Hoheitsträgern gesondert durch eine Aufzählung der einzelnen Steuerarten zu. Die Verteilung der Erträge erfolgt weitgehend nach dem Trennsystem (Art. 106 Abs. 1, 2 und 6 GG), welches jedoch für die so genannten Gemeinschaftssteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer) durchbrochen wird (Art. 106 Abs. 3, 4, 5 und 5a GG). Die Erträge dieser Steuern werden Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam nach einer quotenmäßigen Aufteilung zugeteilt (Verbundsystem). Demnach unterliegen der alleinigen Ertragshoheit der Länder nach Art. 106 Abs. 2 GG folgende Steuern, die auch als Landessteuern120 bezeichnet werden: Das Aufkommen folgender Steuern steht den Ländern zu: 1. die Vermögensteuer, 2. die Erbschaftsteuer, 3. die Kraftfahrzeugsteuer, 4. die Verkehrsteuern, soweit sie nicht nach Absatz 1 dem Bund oder nach Absatz 3 Bund und Ländern gemeinsam zustehen, 5. die Biersteuer, 6. die Abgaben von Spielbanken.

In Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG wird den Gemeinden das Aufkommen der Grund- und Gewerbesteuer121, sowie das Aufkommen der örtlichen Verbrauchund Aufwandsteuern gesondert zugewiesen. Für den Bund verbleiben damit nach Art. 106 Abs. 1 GG der Ertrag der Finanzmonopole und das Aufkommen der Zölle, Verbrauchsteuern (soweit sie nicht nach Absatz 2 den Ländern, nach Absatz 3 Bund und Ländern gemeinsam oder nach Absatz 6 den Gemeinden zustehen), Straßengüterverkehrsteuer, Kapitalverkehrsteuer, Versicherungsteuer, Wechselsteuer, einmaligen Vermögensabgaben, Ausgleichsabgaben, Ergänzungsabgaben zur Einkommen- und Körperschaftsteuer und Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft. Die übrigen Absätze der Vorschrift regeln das System der Finanzzuweisungen an die Gemeinden durch die Länder122 (Ab-

120

Gebräuchlich ist auch der Begriff „Landesertragsteuern“. Nach Art. 106 Abs. 6 Satz 4 bis 6 GG werden Bund und Länder jedoch durch die Gewerbesteuerumlage am Aufkommen der Gewerbesteuer mittelbar beteiligt. Zur näheren Berechnung siehe § 6 des Gemeindefinanzreformgesetzes 2001 und die Verordnungen zur Festsetzung der Erhöhungszahl für die Gewerbesteuerumlage in den Jahren 2004, 2005 und 2006 (zuletzt BGBl. I 2005, S. 2905). 122 Vgl. hierzu ausführlich Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1998; Hidien in: BK, Art. 106 (102. Lfg.) Rn. 1129–1145. 121

36

1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

satz 7123) beziehungsweise durch den Bund (Absatz 8124). Dabei werden die genauen Verteilungsmodalitäten für die Landesfinanzzuweisungen dem jeweilig zuständigen Landesgesetzgeber125 überlassen126.

F. Reformdiskussionen – Ein Überblick Durch die unterschiedlichen Interessen des Bundes und der Länder, aber auch der Länder untereinander kamen nach der Finanzreform von 1969 erneut Reformvorschläge auf127. Nach der Ausgestaltung der Finanzverfassung entsprechend eines kooperativen Föderalismusverständnisses, wendet sich die Überzeugung allmählich hin zu einem wettbewerbsgeprägten Föderalismus128. Kam die von 1973 bis 1976 beratende Enquête-Kommission Verfassungsreform noch in ihrem Schlussbericht zu dem Ergebnis, dass am derzeitigen System der Finanzverfassung grundsätzlich festzuhalten sei129, empfahl der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage in seinem Jahresgutachten 1990/1991 die Steuerautonomie der Länder zu stärken und die „einnahmennivellierende Wirkung des Finanzausgleichs tendenziell zurückzuführen“130. Dies entsprach dem bereits 1982 von Hartmut Klatt entwickelten Ansatz eines Konkurrenzföderalismus131. 123 Satz 1 der Vorschrift regelt obligatorisch die Beteiligung der Gemeinden nach einem zu bestimmenden Hundertsatz am Länderanteil der Gemeinschaftssteuern. Die in Satz 2 der Vorschrift enthaltene Beteiligung der Gemeinden am Aufkommen der Landessteuern ist hingegen fakultativer Natur. 124 Hierdurch gewährt der Bund den Gemeinden einen angemessenen Ausgleich für etwaige Sonderbelastungen. 125 Die Kommunen fallen auf Grund ihrer staatsorganisatorischen Eingliederung bei den Ländern in deren ausschließliche Organisationshoheit, vgl. BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a., BVerfGE 86, 148 (215 f.). 126 Für Nordrhein-Westfalen bestimmt näheres das Gesetz zur Regelung der Zuweisungen des Landes Nordrhein-Westfalen an die Gemeinden und Gemeindeverbände in den Haushaltsjahren 2004 und 2005 (Gemeindefinanzierungsgesetz – GFG 2004/ 2005) vom 03.02.2004, GVBl. NRW, S. 42, zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des GFG 2004/2005 vom 01.03.2005, GVBl. NRW, S. 62. 127 Vgl. nur die bereits 1974 unterbreiteten Empfehlungen von Hinnendahl, S. 191 ff.; weitere Nachweise bei Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 264. 128 So auch die Einschätzung bei Henke/Schuppert, S. 32. 129 Schlussbericht vom 09.12.1976, BT-Drs. 7/5924, S. 196 Tz. 1.4, zur Steuerautonomie der Länder S. 205 Tz. 3.5; vgl. auch Länderkommission Verfassungsreform in BT-Drs. 7/5924, S. 7 f. 130 Jahresgutachten 1990/1991 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage BT-Drs. 11/8472, S. 210 ff. Tz. 433 und 438–444; in diese Richtung auch der Beschluss der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vom 24.09.1991 „Reform der Finanzverfassung“, abgedruckt in niedersächsische LT-Drs. 12/2797 Anlage 4, S. 22 ff. 131 Klatt, APuZ Bd. 31 (1982), S. 21 ff. Nach eingehender Analyse der damaligen Situation der bundesstaatlichen Ordnung plädierte Klatt für eine restriktive Wahrneh-

F. Reformdiskussionen – Ein Überblick

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Eine vermeintliche Chance zur Neuordnung bot sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Rahmen einer umfangreichen Reform der Verfassung im Jahre 1994132. Durch die auf Grund Art. 5 des Einigungsvertrags eingesetzte Gemeinsame Verfassungskommission von Bund und Ländern133 erfolgte jedoch keine Reform der Finanzverfassung, da „zu den Fragen der Finanzverfassung noch keine hinlängliche Entscheidungsreife“ bestand134. Insbesondere der herrschende Zeitdruck und die komplexen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten bei diesem Thema ließen damals keine angemessene Behandlung der relevanten Fragen zu135. So wurde der Finanzausgleich auf der Grundlage des geltenden Finanzverfassungsrechts und des Finanzausgleichgesetzes durch das „Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms“136 den neuen Gegebenheiten einfachrechtlich angepasst. Daher sind die Forderungen nach einer Reform der Finanzverfassung bis heute nicht verstummt137. Durch die erste Stufe der Föderalismusreform haben die Bestrebungen nach einer Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an neuer Dynamik gewonnen138. Im Mittelpunkt der älteren, mung der Rechte und Instrumente im bestehenden Kooperationssystem, so dass eine Verfassungsänderung nicht notwendig sei. Siehe auch ders., APuZ Bd. 28 (1986), S. 9 ff. 132 Vgl. zu den Entwicklungen der finanzrechtlichen Beziehungen zwischen Bund und Länder im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 222 ff. 133 Der Bundestag beschloss am 28.11.1991 mit Zustimmung des Bundesrats vom 29.11.1991 die Einsetzung einer Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Dr. 12/ 1590, 12/1670 und BR-Drs. 741/91. Vgl. zu den Ergebnissen der Verfassungskommission den Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission BT-Drs. 12/6000; ferner Rohn/Sannwald, ZRP 1994, S. 65 ff.; Scholz, ZG 1994, S. 1 ff.; zur Reform der Gesetzgebungskompetenzen Sannwald, ZG 1994, S. 134 ff. 134 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 114. 135 So die Einschätzung der Verfassungskommission vgl. Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S. 114; dieser zustimmend Isensee, NJW 1993, S. 2586; Scholz, ZG 1994, S. 17; deutlich Korioth, S. 415. 136 Gesetz vom 23.06.1993, BGBl. 1993 I, S. 933 (944), vgl. Abschnitt 3: Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands. 137 Vgl. nur das Positionspapier der Bertelsmann-Stiftung, Kommission Verfassungspolitik & Regierungsfähigkeit: „Entflechtung 2005. Zehn Vorschläge zur Optimierung der Regierungsfähigkeit im deutschen Föderalismus“, 2000, abgedruckt in: Hrbek/ Eppler (Hrsg.), S. 86–107; aus der Literatur etwa Henneke, Rn. 1036–1076; ders. DÖV 1996, S. 713; Kirchhof, F., Gutachten für den 61. Deutschen Juristentag, 1996; Heun, DVBl 1996, S. 1023 ff.; Kruis, DÖV 2003, S. 10; Milbradt, ZG 1996, S. 33; Waldhoff, S. 99–105; ders. ZG 2000, S. 193; Wieland, FS Selmer, S. 973 ff.; FischerMenshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 104a–109 Rn. 11a und Art. 105 Rn. 3. 138 Vgl. nur die lebhafte Diskussion im Bundesrat vom 7. Juli 2006 zur Abstimmung über die Föderalismusreform, in der wiederholt auf die Reformbedürftigkeit der Finanzverfassung hingewiesen wurde, Plenarprotokoll 824, S. 203D ff.

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

aber auch der gegenwärtigen Diskussion steht die Frage nach einer Stärkung der finanzverfassungsrechtlichen Position der Länder. Ein wesentlicher Kritikpunkt an der derzeitigen Konzeption ist die durch den kooperativen Föderalismus hervorgerufene Verwischung der Aufgaben- und dem folgend der Ausgabenverantwortlichkeit zwischen Bund und Ländern139. Daher sollen die Aufgaben und Ausgabenlasten angemessen auf Bund und Länder verteilt werden. Insbesondere wird eine Entflechtung der Finanzierungsverantwortlichkeiten im Bereich der Geldleistungsgesetze (Art. 104a Abs. 3 und 4 GG) und der Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91a GG und Art. 91b GG) vorgeschlagen140, um eine größere Transparenz zu schaffen141. Darüber hinaus soll die Eigenverantwortlichkeit der Länder durch mehr Autonomie bei der Steuergesetzgebung erreicht werden142. Nach den Vorstellungen der Kritiker träten dadurch auf Länderebene die Zusammenhänge zwischen den Leistungen der öffentlichen Träger einerseits und den steuerlichen Belastungen der Bürger andererseits klarer hervor und könnten im Rahmen des politischen Wettstreits verwendet werden143. Bei einer derart ausgestalteten Finanzautonomie144 der Länder werde es den Wählern ermöglicht, den Verantwortungszusammenhang zwischen ihrer politischen Entscheidung und den steuerpolitischen Maßnahmen der Landesregierung und Landesparlamente zu erkennen145. Idealerweise könnten die Landesregierungen Erfolge im Bereich der Finanzwirtschaft direkt durch Steuersenkungen an ihre Bürger weitergeben. Bei Misserfolgen könnten die Wähler dagegen ihre Unzufriedenheit bei der nächsten Wahl unmittelbar zum Ausdruck bringen. Auch würde sich die Entscheidung der Wähler für einen umfangreichen Katalog staatlicher Leistungen in einer entspre139 Vgl. nur Wendt in: Pommerehne/Ress, S. 28; Häde, S. 136 f.; Milbradt, ZG 1996, S. 33; Heun, DVBl 1996, S. 1023 ff. m.w. N. 140 Henneke, Rn. 1043 ff.; Wendt in: Stern, Deutsche Wiedervereinigung, S. 232; ders. in: Pommerehne/Ress, S. 23 ff. 141 Mit der ersten Stufe der Föderalismusreform wurden 2006 bereits die Voraussetzungen für Finanzhilfen des Bundes an die Länder zur Abwehrung einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums verschärft (neu eingeführter Art. 104b GG). 142 Hierzu Positionspapier der Bertelsmann-Stiftung, Kommission Verfassungspolitik & Regierungsfähigkeit: „Entflechtung 2005. Zehn Vorschläge zur Optimierung der Regierungsfähigkeit im deutschen Föderalismus“, 2000, abgedruckt in: Hrbek/Eppler (Hrsg.), S. 103 ff.; Hendler, DÖV 1993, S. 292 ff.; Henneke, Rn. 1057 ff.; ders. DÖV 1996, S. 723; Kruis, DÖV 2003, S. 15 f.; Waldhoff, S. 99 ff.; ders. ZG 2000, S. 202 ff.; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 3; Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104–115 Rn. 77; bereits Hinnendahl, S. 176 ff. und 195 f. und auch Wendt in: Stern, Deutsche Wiedervereinigung, S. 232. 143 Waldhoff, S. 99 m.w. N. 144 Zur Verwendung der Terminologie siehe Waldhoff, S. 98 f. 145 Hendler, DÖV 1993, S. 298 f.; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 3; Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 77.

G. Bewertung

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chend höheren Steuerbelastung widerspiegeln. Jedenfalls würden die Transparenz und der Wettbewerb in der staatlichen Finanzwirtschaft gestärkt146. Der Grundtenor dieser Reformvorschläge tritt damit klar hervor: Mehr Wettbewerb zwischen den einzelnen Bundesländern zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit. Zu diesem „eindeutigen Entwicklungstrend“147 gibt es jedoch auch mahnende Stimmen, die bei den derzeitigen Finanzkraftunterschieden zwischen den Ländern in einer verstärkten Konkurrenz nicht das „Allheilmittel“ für die derzeitigen Probleme des Finanzausgleichs sehen148. Auf politischer Ebene besteht zumindest weitgehend Einigkeit, eine Reform der Finanzbeziehungen von Bund, Ländern und Gemeinden anzugehen. Wie weit der Reformkonsens in den konkreten Verhandlungen reichen wird, bleibt abzuwarten149. Jedenfalls hat der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Reinhart während der Debatte um die erste Stufe der Föderalismusreform unter Hinweis auf Max Weber richtig erkannt, dass für eine Neuordnung der Finanzbeziehungen „ein beharrliches Bohren dicker Bretter mit Augenmaß und Leidenschaft zugleich nötig sein“ wird150.

G. Bewertung Aus der historischen Entwicklung der Finanzverfassungen ist zu erkennen, dass sich in ihnen das jeweils herrschende Bundesstaatsverständnis widerspiegelt. So wandelte sich im Laufe der Zeit die Überzeugung von einem sehr stark föderalistisch geprägten Staatsaufbau im Deutschen Reich, über einen zentralistisch ausgestalteten Staat in der Weimarer Republik, zu einem gemäßigten Föderalismus in der Bundesrepublik. Aber selbst während der Zeit des Bestehens der Bundesrepublik haben sich die Strömungen von einem kompetitiven zu ei146

Waldhoff, S. 100. Vgl. hierzu Henke/Schuppert, S. 32, 40 ff., die den Föderalismus als dynamisches System ansehen. Dies zeige sich bei der Interpretation von Verfassungsnormen, die „vom Wortlaut her offen und neutral“ seien. Diese Bestimmungen seien „offen für sich ändernde Entwicklungsströme des Föderalismus“. Eine solche Bestimmung sei beispielsweise die der Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2 GG 1949). 148 Carl, S. 193 ff.; Korioth, S. 165 ff. und S. 438 ff.; Bull, DÖV 1999, S. 269 ff.; prägnant dazu die Aussage bei Jörg, S. 301 „Wettbewerb setzt Wettbewerbsfähigkeit voraus“. 149 Nach dem Scheitern der Föderalismusreform am 16. Dezember 2004 zog Kemmler in: Hrbek/Eppler (Hrsg.), S. 68 ff. eine ernüchternde Zwischenbilanz. Sie stellte für das Reformziel einer Stärkung der Befugnisse der Länder im Bereich der Steuergesetzgebung und Steuerverteilung fest, dass sich die Ministerpräsidenten der Länder gegen die Einführung von Steuerautonomie der Länder aussprachen, im Gegensatz zur Haltung der Landesparlamente, des Bundestags und der Bundesregierung. 150 BR-PlProt. 824, S. 222C. 147

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1. Kap.: Kompetenzverteilung in den Finanzverfassungen

nem kooperativen Föderalismus verändert151 und streben nun wieder zurück zu einer stärkeren Betonung der Eigenstaatlichkeit der Länder152. Häufig waren für die jeweiligen verfassungssystematischen Überzeugungen wirtschaftliche Belange maßgebend. Diese Richtungsentscheidungen für eine bestimmte Verfassungsordnung beeinflussten auch die Vorschriften zur Steuergesetzgebungskompetenz, insbesondere deren Interpretation in der Staatspraxis. Neben den unterschiedlichen Ansätzen zur Bundesstaatsorganisation bestimmten in der Vergangenheit die (welt)geschichtlichen Ereignisse massiv die Vorschriften der Finanzverfassungen. So begünstigten die finanziellen Folgelasten des Ersten Weltkriegs in der Weimarer Republik den Ruf nach einer umfassenden Finanzausstattung des Reichs zu Lasten der Finanzautonomie der Länder. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren insbesondere die Militärgouverneure bestrebt, die Finanzmacht des Bundes zu begrenzen, ganz im Gegensatz zu den von der Sorge um die Einheit des Wirtschaftsgebiets geprägten Vorstellungen des Parlamentarischen Rates. Aus diesem Konflikt, der beinahe die Entstehung des gesamten Grundgesetzes verhindert hätte, folgte letztlich die für den Bereich der Steuergesetzgebungskompetenz als Kompromisslösung zu qualifizierende Vorschrift des Art. 105 GG 1949. Um die gegensätzlichen Entwicklungen in den Finanzverfassungen zu verstehen, muss aber auch berücksichtigt werden, dass durch die Verteilung der Finanzhoheit153 auf Gesamtstaat und Gliedstaaten maßgeblich das politische Machtverhältnis untereinander bestimmt wird. Insbesondere die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen und der Finanzmittel entscheidet darüber, ob die Hoheitsträger die ihnen zugewiesenen Aufgaben selbständig, mit eigenem Entscheidungsspielraum wahrnehmen können154. Daher bezeichnet das Bundesverfassungsgericht die finanzverfassungsrechtlichen Normen auch als „tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung“155. Daraus lässt sich erklären, dass 151 Plastisch beschrieb Klatt, APuZ Bd. 28 (1986), S. 8 diese Entwicklung mit den Worten: „Der Bundesstaat der Verfassungsväter mit seinen klaren Abgrenzungen in Form einer ,Schichttorte‘ hat dem kooperativen Föderalismus in Form eines ,Marmorkuchens‘ Platz gemacht.“ 152 Zu diesem Befund Henke/Schuppert, S. 34 ff.; Schuppert, Staatswissenschaften und Staatspraxis 4 (1993), S. 30 f.; vgl. auch Bauer, DÖV 2002, S. 841 f. 153 Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 76 definieren Finanzhoheit, im Sinne einer aufgabenadäquaten, finanzverfassungsrechtlich abgesicherten Finanzausstattung der betreffenden Gebietskörperschaft. Stern, Staatsrecht II, § 46 I Nr. 1 S. 1089 verweist darauf, dass teilweise auch nur die Gesetzgebungshoheit als Finanzhoheit verstanden wird (ebd., Fn. 3 m.w. N.). 154 Vgl. Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 1. 155 Ständige Rechtsprechung: BVerfG v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (300); v. 08.06.1988, 2 BvL 9/85 u. a., BVerfGE 78, 249 (266); v. 28.03.2002, 2 BvG 1/01 u. a., BVerfGE 105, 185 (194). Im Kern ist es nach dieser Rechtsprechung die Aufgabe der Finanzverfassung, eine Finanzordnung sicherzustellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag der Volkswirtschaft sachgerecht beteiligt, so dass Bund und Länder im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen so ausgestat-

G. Bewertung

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unitarische und föderalistische Bestrebungen im Rahmen der Finanzverfassung in einem steten Spannungsverhältnis zueinander stehen. Diese muss daher einen Mittelweg aufzeigen, der die Eigenstaatlichkeit der Länder respektiert, aber auch das solidarische Miteinander beachtet. Gerade die Eigenstaatlichkeit der Länder bedarf einer gewissen Steuerautonomie, die aber im Laufe der Entwicklung immer weiter zu Gunsten der Interessen des Gesamtstaates zurückgedrängt wurde. Seit der starken Zentralisierung in der Weimarer Republik konnte sich kein bedeutender Steuerwettbewerb mehr zwischen den Ländern entwickeln. Ob dies in dem derzeitigen Maße noch mit der Konzeption der Finanzverfassung in Einklang steht, soll auch die weitere Untersuchung zeigen. Rückblickend kann als Ergebnis festgehalten werden, dass die Finanzverfassung, insbesondere die Kompetenzverteilungsvorschriften, eine tragende Säule in einer föderativen Staatsordnung bildet, die je nach Ausgestaltung für Stabilität und Ausgleich, aber auch für erhebliche Störungen im gemeinschaftlichen, bundesstaatlichen Zusammenwirken sorgen kann156. Sie kann jedoch weder strukturelle Schwächen der bundesstaatlichen Ordnung noch Probleme der Wirtschaftspolitik kompensieren157.

tet werden, dass sie die zur Wahrung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben leisten können. 156 Vgl. auch Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 1 und 4. 157 In diese Richtung auch Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 40.

2. Kapitel

Die konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG In diesem Kapitel konzentriert sich die Untersuchung auf die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG, indem die Kompetenzvoraussetzungen im Einzelnen näher erläutert werden (A. bis C.). Dazu wird insbesondere die jüngste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG dargestellt und analysiert (D.), sowie deren Bedeutung für Art. 105 Abs. 2 GG im Hinblick auf einen möglichen Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern untersucht (E.).

A. Der Begriff der ,übrigen Steuern‘ Art. 105 Abs. 2 GG weist dem Bund unter den im ersten Kapitel genannten Beschränkungen die konkurrierende Gesetzgebung für die ,übrigen Steuern‘ zu. Aus dieser unbestimmten Formulierung des Kompetenztitels ergeben sich in zweierlei Hinsicht Abgrenzungsfragen: Zum einen ist das Verhältnis der Vorschrift zu dem allgemeinen Gesetzgebungsrecht der Länder aus Art. 70 GG zu klären (I.). Zum anderen ist die Reichweite des Steuergesetzgebungsrechts des Bundes und, soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht, der Länder zu ermitteln. Dieses könnte durch Art. 106 GG eine gegenständliche Beschränkung auf die in dieser Norm genannten Steuerarten erfahren (II.).

I. Verhältnis von Art. 105 Abs. 2 GG zu Art. 70 GG Eine Untersuchung über die Abgrenzung von Steuergesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern muss im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Grundregeln der föderativen Staatsorganisation gesehen werden. Das Grundgesetz weist in Art. 30 GG die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben den Ländern zu158. Ausnahmen von diesem Grundsatz bedürfen einer ausdrücklichen Regelung im Grundgesetz. Dem158 Näher zur Funktion und Struktur dieser Kompetenzzuordnungsregel März in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 30 Rn. 9 ff. m.w. N.

A. Der Begriff der ,übrigen Steuern‘

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entsprechend konkretisiert Art. 70 GG dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis für den Bereich der Gesetzgebung. Will der Bund ein Gesetz erlassen, benötigt er demnach einen verfassungsrechtlichen Kompetenztitel, die sich in den Vorschriften zur ausschließlichen und konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 71, 72, 73, 74, 105 GG) finden. Für die Steuergesetzgebung folgt daraus, dass grundsätzlich den Ländern das Recht zur Gesetzgebung zusteht, jedoch Art. 105 GG als Ausnahmevorschrift zu Art. 70 GG für das Sachgebiet der „Zölle, Finanzmonopole und Steuern“ dem Bund einen umfangreichen Kompetenztitel zuweist. Danach sind die Länder auf Grund der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Sachbereich der Zölle und Finanzmonopole gänzlich von ihrem Gesetzgebungsrecht ausgeschlossen; für die der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes zugewiesenen ,übrigen Steuern‘ nur, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht durch Gesetz Gebrauch macht. Um beurteilen zu können, ob die Länder durch diese Regelung durch den Bund aus der Gesetzgebung für das materielle Steuerrecht umfassend verdrängt werden können, vorausgesetzt die weiteren Voraussetzungen des Art. 105 Abs. 2 GG sind erfüllt, ist eine Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,übrige Steuern‘ erforderlich. Ausgehend von dem Wortlaut und der Systematik muss auch der Wille des Gesetzgebers und der Sinn und Zweck der Vorschrift berücksichtigt werden. Schon die Wortwahl „übrige“ Steuern legt eine Auffangfunktion der Vorschrift nahe, die in Form einer Generalklausel alle weiteren erdenklichen Steuern von der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz erfasst haben will. Neben diesem allumfassenden Charakter der Formulierung muss sich der Begriff „übrige“ denknotwendig auf bereits zuvor erwähnte Steuern beziehen. Hier muss in systematischer Hinsicht die Stellung des Absatzes 2 im Gefüge der Norm betrachtet werden, um Rückschlüsse auf den Inhalt des Tatbestandsmerkmals zu ziehen. In Absatz 1 des Art. 105 GG ist wörtlich von „Steuern“ keine Rede, jedoch fallen die dort erwähnten Zölle unter den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff, da sie „sich nicht wesensmäßig von gewissen Steuern“159 unterscheiden. In ständiger Rechtsprechung definiert das Bundesverfassungsgericht, ausgehend von der Begriffsbestimmung nach § 1 Abs. 1 Reichsabgabenordnung, seit 1977 § 3 Abs. 1 Abgabenordnung, Steuern als Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; dabei kann die Einnahmeerzielung Nebenzweck sein160. Nicht zu

159 BVerfG v. 29.10.1958, 2 BvL 19/56, BVerfGE 8, 260 (269). Ebd. qualifiziert das Gericht Zölle formal als „Abgaben, die nach Maßgabe des Zolltarifs von der Warenbewegung über die Zollgrenzen erhoben werden.“ Zum Zollbegriff auch Wendt in: HdbSt IV, § 107 Rn. 24 m.w. N.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

den Steuern zählen hingegen die Finanzmonopole161. Danach umfasst der Begriff „übrige“ Steuern unter systematischen Gesichtspunkten alle weiteren, nicht in Absatz 1 erwähnten Steuerarten; also alle Steuern, die keine Zölle sind. Auch die in Art. 105 Abs. 2a GG erwähnten örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern sind unter den Begriff der ,übrigen Steuern‘ zu subsumieren und würden der vorrangigen Gesetzgebungshoheit des Bundes unterfallen, wäre nicht in Absatz 2a eine „Teilrückverweisung“162 der Gesetzgebungskompetenz an die Länder erfolgt. Eine Sonderstellung nimmt die ausschließliche Länderzuständigkeit für die Kirchensteuern nach Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV ein. Sie fällt aus dem System des Art. 105 GG heraus und kann daher zu Recht als lex specialis angesehen werden163. Nach dem Wortlaut und der Systematik des Art. 105 GG ist somit davon auszugehen, dass alle Steuern, die weder Zölle, noch örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern (oder Kirchensteuern) sind, vorbehaltlich des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen des Art. 105 Abs. 2 GG, in den Zuständigkeitsbereich des Bundes fallen. Dieses durch die wörtliche und systematische Auslegung gefundene Ergebnis wird auch durch eine historische Bestimmung des Begriffs nach dem Willen des Gesetzgebers gestützt. Der Bundesgesetzgeber wollte durch die Finanzverfassungsreform von 1969164 erreichen, dass dem Bund „für alle Steuern, für die er nicht die ausschließliche Gesetzgebung hat, die konkurrierende Gesetzgebung“ zusteht165. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf die in Art. 105 Abs. 2 GG 1949 benannten Steuerkategorien beschränkt hatte und den Ländern ein aus Art. 70 GG begründetes allgemeines Steuererfindungsrecht zugesprochen hatte166, war es erklärtes Ziel der Finanzverfassungsreform, diese Beschränkung der Bundesgesetzgebungskompetenz durch eine umfassende Zuständigkeit des Bundes für alle Steuern zu beseitigen167. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Kompetenznorm. Art. 105 GG eröffnet dem Staat zur Deckung seines allgemeinen Finanzbedarfs die Möglich160 Stellvertretend BVerfG v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (299) m.w. N.; kritisch zu der Herleitung der Begriffsbestimmung aus der (Reichs-)Abgabenordnung Knies, S. 43 ff.; Stern, Staatsrecht II, § 46 I Nr. 4 S. 1097 ff. 161 Finanzmonopole können als Recht des Staates, Wirtschaftsgüter zur Erzielung von Einnahmen unter Ausschluss Dritter herzustellen, zu beziehen und zu vertreiben, definiert werden. Sie weisen heutzutage, abgesehen vom Branntweinmonopol, keine praktische Bedeutung mehr auf. Dazu Stern, Staatsrecht II, § 46 II Nr. 3b S. 1115 f.; siehe auch Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 105 Rn. 36 ff. 162 Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 61. 163 So Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 62b. 164 Zur Finanzverfassungsreform von 1969 siehe ausführlich Seite 30 ff. 165 BT-Drs. 5/2861, S. 32 Tz. 128. 166 Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 81. 167 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses zu BT-Drs. 5/3605, S. 7.

A. Der Begriff der ,übrigen Steuern‘

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keit der Steuererhebung. Zugleich versagt die Finanzverfassung, als „eine in sich geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung“168, zur Finanzierung der allgemeinen staatlichen Aufgaben in Bund, Ländern und Gemeinden Einnahmen durch nichtsteuerliche Abgaben zu erschließen169. Daher weist Art. 105 GG zur Sicherung der bundesstaatlichen Ordnung für den Bereich der Steuergesetzgebung einen abschließenden Charakter auf170. Außerdem kommt der Verteilung der Steuergesetzgebungskompetenzen, wie bereits bei der historischen Entwicklung der Finanzverfassung im ersten Kapitel festgestellt, ein bedeutender machtpolitischer Faktor zu, der aus Gründen der Funktionsfähigkeit des Bundesstaates eine klare Kompetenzzuweisung erfordert. Diesem trägt Art. 105 GG Rechnung, in dem er, um alle Zweifel zu beseitigen, durch eine umfassende Formulierung die Kompetenz für die gesamte Steuergesetzgebung erschöpfend ausgestaltet. Damit bleibt auf dem Gebiet des materiellen Steuerrechts für Art. 70 GG kein Anwendungsbereich171. Die Kompetenz zur Steuergesetzgebung ergibt sich allein aus Art. 105 GG172.

II. Reichweite der Steuergesetzgebungskompetenz – Verhältnis zu Art. 106 GG Der abschließende Charakter des Art. 105 GG für die Steuergesetzgebung lässt allerdings die Frage offen, ob Art. 106 GG die Steuergesetzgebungskom168

BVerfG v. 06.11.1984, 2 BvL 19/83 u. a., BVerfGE 67, 256 (288). Prinzip des Steuerstaates, hierzu BVerfG v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (298 f.); v. 06.11.1984, 2 BvL 19/83 u. a., BVerfGE 67, 256 (286 ff.); v. 08.06.1988, 2 BvL 9/85 u. a., BVerfGE 78, 249 (266 f.); auch Vogel, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 30 Rn. 69 ff. 170 BVerfG v. 06.11.1984, 2 BvL 19, 20/83 u. a., BVerfGE 67, 256 (286): „Die Regelung des X. Abschnitts des Grundgesetzes muß aus zwingenden bundesstaatlichen Gründen als eine für Bund und Länder abschließende Regelung verstanden werden.“ (Hervorhebung entspricht dem Original). Das Gericht hatte zwar die Frage zu entscheiden, ob der Bund oder die Länder zur Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs rückzahlbare Abgaben einführen dürften, jedoch traf das Gericht insoweit allgemein gültige Aussagen zur bundesstaatlichen Finanzordnung. Sie zeichne sich durch die detaillierte Verteilung der Ertragshoheit und des Finanzaufkommens auf die Hoheitsträger aus und dürfe sich nicht einseitig zugunsten der Länder verändern (ebd., S. 285). 171 Ebenso Küssner, S. 55 f.; Stern, Staatsrecht II, § 46 II Nr. 1 S. 1111; FischerMenshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 4; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 24; Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 62. 172 Umstritten ist dieses Ergebnis für die Steuern, die neben der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs zur Erfüllung von öffentlichen Aufgaben außerfiskalischen Zwecken dienen. Für diese Steuern mit Lenkungswirkung wird diskutiert, ob sich die Gesetzgebungskompetenz ausschließlich oder neben Art. 105 GG aus den Kompetenznormen für die jeweilige Sachgesetzgebung (Art. 73, 74, 74a GG) ergeben muss. Hierzu stellvertretend Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 68a–68q m.w. N. 169

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

petenz gegenständlich begrenzt. Denkbar wäre nach dem offenen Wortlaut des Art. 105 Abs. 2 GG, dass dem Bund und subsidiär auch den Ländern ein allgemeines, unbegrenztes Steuererfindungsrecht zusteht. Die Steuergesetzgebungskompetenz könnte jedoch auch auf die in Art. 106 GG aufgezählten Steuerarten beschränkt sein. Dazu müsste die dortige Enumeration von Steuerarten als ein abschließender Katalog anzusehen sein, in dessen Kategorien neuartige Steuern eingeordnet werden müssten, um verfassungsrechtlich zulässig zu sein. Diesen Auslegungsalternativen liegt die grundsätzliche Frage zum Verhältnis der Steuergesetzgebungskompetenz des Art. 105 Abs. 2 GG und der Steuerertragshoheit des Art. 106 GG zu Grunde. Wird der Wertungsschwerpunkt bei Art. 105 GG gesehen, gelangt man zu einem allgemeinen Steuererfindungsrecht, woraus folgend sich die Frage nach der Ertragshoheit stellt. Gewichtet man hingegen die Bedeutung des Art. 106 GG stärker, wird der Steuergesetzgeber auf die in Art. 106 GG normierten Steuerarten begrenzt. In der wissenschaftlichen Diskussion wird die Reichweite der Gesetzgebungskompetenz häufig im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von so genannten „Umweltabgaben“ oder „Ökosteuern“ problematisiert173. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage bislang noch nicht entschieden. 1. Steuererfindungsrecht In der Literatur finden sich gewichtige Stimmen, die die Ansicht vertreten, dem Bund und subsidiär den Ländern stehe das Recht zu, Steuern zu erfinden, die nicht unter die in Art. 106 GG genannten Steuerarten zu subsumieren seien174. Sie begründen ihre Auffassung damit, dass das Steuersystem durch die Aufzählung der Steuerarten in Art. 106 GG nicht auf diese verfassungsrechtlich verbindlich festgelegt worden sei. Vielmehr spiegle die Enumeration in Art. 106 GG das zur Zeit der Finanzverfassungsreform 1969 bestehende Steuersystem wider, mit dem Ziel, die daraus fließenden Steuererträge auf Bund, Länder und Gemeinden ausgewogen zu verteilen. Aus der Systematik und der Entstehungsgeschichte ergäben sich für die Einführung neuer Steuern keinerlei Anhalts173 Aus der zahlreichen Literatur zu diesem Thema vgl. Balmes, Verfassungsmäßigkeit und rechtliche Systematisierung von Umweltsteuern, 1997; Herdegen/Schön, Ökologische Steuerreform, Verfassungsrecht und Verkehrsgewerbe, 2000; Jenzen, Energiesteuern im nationalen und internationalen Recht, 1998; Rodi, Umweltsteuern, 1993; Hey, StuW 1998, S. 32 ff.; Köck, JZ 1991, S. 692 ff.; Osterloh, NVwZ 1991, S. 823 ff.; Söhn, FS Stern, S. 587 ff.; Zitzelsberger, BB 1995, S. 1769 ff. 174 Häde, S. 161 ff.; Hendler, S. 296 f.; Selmer, S. 152 ff.; Tipke, StrO III, S. 1090 ff.; ders. BB 1994, S. 439 f.; Wieland, S. 290 ff.; Osterloh, NVwZ 1991, S. 828 f.; Söhn, FS Stern, S. 599 ff.; Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 105 Rn. 5 und Art. 106 Rn. 7; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 106 Rn. 14 f.; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 47; Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 33; Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 29; bereits Sasse, AöR 85 (1960), S. 423 ff.

A. Der Begriff der ,übrigen Steuern‘

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punkte für eine Sperrfunktion der Norm175. Art. 106 GG komme lediglich eine Sekundärfunktion zur Verteilung der Steuermittel zu, die auf Grund der nach Art. 105 GG erlassenen Steuergesetze aufkommen176. Eine Beschränkung der umfassenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 GG lasse sich daraus nicht ableiten. In einem zweiten Schritt muss sich diese Ansicht mit der Ertragsverteilung für neuartige Steuern auseinandersetzen. Als äußerste Schranke des Steuererfindungsrechts wird überwiegend die Funktionsfähigkeit des Steuerverteilungssystems anerkannt177. Diese sei erst dann nicht mehr gewährleistet, wenn das Ausmaß der neuen Steuerverteilung nicht mehr durch die Neufestsetzung der Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer gemäß Art. 106 Abs. 3 und 4 GG Rechnung getragen werden könne. Bis zu dieser Grenze divergieren die Lösungsansätze zur Steuerverteilung allerdings erheblich. Teilweise wird vertreten, dass die Ertragshoheit für neu erfundene Steuern als immanenter Bestandteil oder Annex der Gesetzgebungskompetenz bei demjenigen liege, der sie erfunden habe178, jedoch könne der Bund auch die Erträge einer neuartigen Bundessteuer den Ländern überlassen179. Wieland greift auf die allgemeine Vorschrift des Art. 30 GG zurück und weist den Ländern die Ertragshoheit zu180. Schließlich wird für die Verteilung der Steuererträge eine Ergänzung des Art. 106 GG vorausgesetzt, da die Ertragshoheit verfassungsrechtlich zu normieren sei und dies nicht durch ein einfaches Gesetz geschehen könne181. 2. Begrenzungswirkung des Art. 106 GG Der überwiegende Teil im Schrifttum ist hingegen in verschiedenen Abstufungen der Auffassung, Art. 106 GG gebe einen abschließenden Katalog von 175

Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 106 Rn. 14a. So insbesondere Tipke, StrO III, S. 1092; ders. BB 1994, S. 442. 177 Arndt, Rechtsfragen einer deutschen CO -/Energiesteuer entwickelt am Beispiel 2 des DIW-Vorschlags, 1995; Osterloh, NVwZ 1991, S. 828 f.; Söhn, FS Stern, S. 601; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 17; Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 33; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 33; Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 30. 178 Osterloh, NVwZ 1991, S. 828 f.; Selmer, S. 154 f.; Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 30; in diesem Sinne wohl auch Söhn, FS Stern, S. 601. 179 So Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 106 Rn. 14a; dem folgend Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 106 Rn. 6. 180 Wieland, S. 290 ff.; ebenso später Häde, S. 164 f. und 167. 181 Nach Tipke, StrO III, S. 1095 und ders. BB 1994, S. 442 f. ist der Verfassungsgesetzgeber verpflichtet die nachträgliche Lücke in Art. 106 GG in einer Weise zu schließen, die das Steuerverteilungssystem stabil hält; dem folgend Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Strack, Art. 105 Rn. 34. Abweichend Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 5, der eine vorherige oder zumindest gleichzeitige Ergänzung des Art. 106 GG mit dem Gesetz zur Einführung der neuen Steuer für erforderlich hält. 176

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

Steuerarten vor182, der die verfassungsmäßige Grenze für die Einführung neuartiger Steuern bilde183. Begründet wird diese Ansicht damit, dass die in Art. 106 GG verbindlich festgelegte, detaillierte Verteilung der Ertragshoheit nicht durch die Schaffung neuer Steuerarten unterlaufen werden dürfe. Besonders betont wird hierbei, dass Kern der heutigen Finanzverfassung die Trennung der Ertragshoheit von der Gesetzgebungshoheit sei. Dies unterscheide die derzeitige Finanzverfassung von den Vorgängerverfassungen und müsse entsprechend gewichtet werden. Daher sei Art. 106 GG als die zentrale Norm anzusehen, die die Steuererträge erschöpfend verteile184. Hierdurch werde die Machtbalance zwischen den Hoheitsträgern gewährleistet und dürfe nicht zur Disposition des Steuergesetzgebers gestellt werden185. Kopple man bei neuartigen Steuern hingegen die Ertragshoheit mit der Gesetzgebungshoheit, würde dies bei der derzeitigen Dominanz des Bundes bei der Steuergesetzgebung eine einseitige Änderungsmöglichkeit der Ertragsverteilung zu seinen Gunsten ergeben. Andererseits würde eine Verteilung der Erträge in Anwendung des Art. 30 GG zu einer Verschiebung der Finanzausstattung zu Gunsten der Länder führen186. Art. 106 GG komme darüber hinaus eine Schutzfunktion gegenüber den Bürgern vor der Auferlegung nicht durch die Befugnisnorm gedeckter, neuer Steuern zu187. Somit sei das Steuersystem insoweit „verfassungsrechtlich festgelegt“, als neuartige Steuern nur in den durch Art. 106 GG vorgegebenen Grenzen erfunden werden dürften188. Nur im Wege einer Verfassungsänderung dürfe der Gesetzgeber Steuern einführen, die sich nicht in die Vorschrift einordnen ließen189. 182 Ausgehend von Wacke, S. 64, nach dem der Bestand der herkömmlichen Steuern durch die Finanzverfassung verbindlich festgeschrieben ist; Vogel, HdbSt IV, § 87 Rn. 55 ff., der die Steuerbezeichnungen in Art. 106 GG nur als Verweisung auf bestimmte Steuertypen verstanden wissen will (sog. Typentheorie); vgl. auch Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 105 Rn. 45; Waldhoff, S. 186. 183 Grundlegend Wacke, S. 64; Vogel, HdbSt IV, § 87 Rn. 32; aber auch Balmes, S. 139 ff.; Friauf, FG BVerfG, S. 317; Holzkämper, S. 39 f.; Jenzen, S. 152 ff.; Klein, S. 171 f.; Köck, JZ 1991, S. 696; Kube, S. 15 f.; Küssner, S. 63 f.; Schwarz, ZKF 1996, S. 52; Stern, Staatsrecht II, § 46 II Nr. b S. 118 ff.; Waldhoff, S. 86; Birk in: AK, Art. 105 Rn. 21; Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 105 Rn. 45; Hidien in: BK, Art. 106 (102. Lfg.) Rn. 1358 ff.; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 105 Rn. 25 und Art. 106 Rn. 2; Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 45; Vogel/Walter, in: BK, Art. 105 Rn. 66; einschränkend Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 105 Rn. 46 und Art. 106 Rn. 20, der in Art. 106 GG nur für den Bund eine Beschränkung des Steuererfindungsrechts sieht, nicht hingegen für die Länder. 184 Friauf, FG BVerfG, S. 317; Kube, S. 115 f.; Stern, Staatsrecht II, § 46 II Nr. 4b S. 1119. 185 Waldhoff, S. 186. 186 Birk in: AK, Art. 105 Rn. 21. 187 Friauf, FG BVerfG, S. 302; Köck, JZ 1991, S. 696; Küssner, S. 63; Birk in: AK, Art. 106 Rn. 6. 188 Vogel, HdbSt IV, § 87 Rn. 32. 189 Ossenbühl/Di Fabio, StuW 1988, S. 352; Kube, S. 116; Vogel, HdbSt IV, § 87 Rn. 32.

A. Der Begriff der ,übrigen Steuern‘

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3. Eigene Bestimmung der Reichweite der Steuergesetzgebungskompetenz Auch wenn teilweise angeführt wird, dass sich die unterschiedlichen Positionen zum Steuererfindungsrecht in der Literatur angenähert haben190 und viele neue Steuern unter die inhaltlich weit gefassten Steuerarten des Art. 106 GG einzuordnen sein werden, insbesondere in die Gruppe der Verkehrsteuern oder der Verbrauchsteuern191, so zeigen die gegensätzlichen Auffassungen doch die unterschiedliche Gewichtung der Bedeutung der Steuergesetzgebungsund Steuerertragshoheit im System der Finanzverfassung. Der Wortlaut des Art. 105 Abs. 2 GG ist in Bezug auf die Reichweite des Gesetzgebungsrechts nicht eindeutig. Daher muss zur Auslegung der Wille des Gesetzgebers, die Systematik und der Sinn und Zweck der Art. 105 GG und Art. 106 GG betrachtet werden. Die Vertreter der Ansicht, die ein allgemeines Steuererfindungsrecht verneinen, knüpfen an den systematischen Aufbau des Art. 105 Abs. 2 GG an. Die Vorschrift verleiht dem Bund grundsätzlich das Recht zur Steuergesetzgebung, schränkt es sodann aber auf die Steuern ein, deren Aufkommen ihm ganz oder teilweise zustehen (oder soweit die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG vorliegen). Welches Aufkommen ihm zusteht, regeln die Absätze 1 und 3 des Art. 106 GG. Zu Recht kann in der Formulierung des Art. 105 Abs. 2 GG eine Verweisung auf Teile des Art. 106 GG gesehen werden, die beide Normen miteinander verknüpft. Jedoch dienen die beiden Einschränkungen der Gesetzgebungskompetenz in Art. 105 Abs. 2 GG der Abgrenzung der Bund-Länder-Zuständigkeit für den Bereich der Steuergesetzgebung. Sollten die Voraussetzungen der Einschränkungen – mit denen sich diese Untersuchung im Folgenden noch eingehend auseinandersetzen wird192 – nicht vorliegen, ist der Bund nicht regelungsbefugt. Vielmehr kommt die subsidiäre Steuergesetzgebungskompetenz der Länder zum Zuge (Art. 72 Abs. 1 GG) und zwar für die ,übrigen Steuern‘193. Gerade hieraus einen Rückschluss auf die Auslegung des Begriffs ,übrige Steuern‘ zu suchen, überzeugt in systematischer Hinsicht nicht. Aus der Stellung des Art. 105 Abs. 2 GG in der Finanzverfassung lassen sich daher keine Einschränkungen eines Steuererfindungsrechts entnehmen. 190 So Waldhoff, S. 185, der dem Streit deswegen in der Praxis keine große Relevanz mehr zugesteht. 191 Das Bundesverfassungsgericht qualifizierte zuletzt in seinem Urteil vom 20.04. 2004, BVerfGE 110, 274 (295 f.) die Stromsteuer als Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG; kritisch hierzu Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 6 und 33. 192 Siehe in diesem Kapitel Seite 56 ff. und 59 ff. 193 Für die Steuern im Sinne des Absatzes 1, namentlich die Zölle, sind die Länder schon vom Grundsatz her nicht zur Gesetzgebung berechtigt, sondern können nach der Systematik der ausschließlichen Gesetzgebung allenfalls durch den Bund dazu ermächtigt werden (Art. 71 GG).

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

a) Auslegung des Art. 105 GG und des Art. 106 GG Nach dem erklärten Willen des Reformgesetzgebers von 1969 sollte die Neufassung des Art. 105 GG eine Stärkung der Bundeskompetenzen bewirken, indem die Regelungskompetenz nicht mehr auf bestimmte Steuerarten beschränkt sein sollte194. Das Steuererfindungsrecht der Länder blieb für Steuern, die der Bund nicht regeln würde, ausdrücklich aufrecht erhalten195. Eine Beschränkung des nunmehr auch dem Bund zugebilligten Steuererfindungsrechts auf den Katalog des Art. 106 GG wurde nicht erwogen196. Jedoch wird von den Vertretern, die eine Beschränkung des Steuererfindungsrechts befürworten, angeführt, dass die Finanzreform auch bezweckte, „für die Aufteilung der Steuern ein möglichst dauerhaftes und überschaubar gestaltetes System zu schaffen, das eine Anpassung an sich ändernden Mittelbedarf der einzelnen Ebenen gewährleistet und so angelegt ist, daß unnötige Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern vermieden werden“197. Dazu sollte das Verteilungssystem des Art. 106 GG möglichst ein Gleichgewicht zwischen dem Verhältnis Steuerbedarf und Steuereinnahmen bei Bund und Ländern erhalten198. Aus der angestrebten Dauerhaftigkeit des Steuerverteilungssystems kann jedoch nicht gefolgert werden, dass der Reformgesetzgeber damit die Einführung neuer Steuern verhindern wollte. Vielmehr sollte für Bund, Länder und Gemeinden eine gewisse Zuverlässigkeit des Verteilungssystems und eine daraus folgende Planungssicherheit für die Finanzausstattung der Hoheitsträger geschaffen werden. Denn gerade die Regelungen zur Ertragsverteilung und dem sekundären Finanzausgleich waren in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand zahlreicher Änderungen im Rahmen von Reformvorhaben199, die die Bildung von Vertrauen in das System erschwert hatten. Daher war es Ziel der Neufassung des Art. 106 GG, die damals existierenden Steuerarten gerecht und ausgewogen auf die Hoheitsträger zu verteilen, sowie flexible Anpassungsmechanismen zu normieren, die ohne Verfassungsänderung auf wechselnde Finanzbedürfnisse und sich verändernde Verteilungsmassen reagieren können. Hierzu wurde die Umsatzsteuer in den Steuerverbund mit einbezogen (Art. 106 Abs. 3 GG). Art. 106 Abs. 4 GG gewährleistet seitdem, dass die Umsatzsteuerverteilung beweglich an eine wesentlich 194 BT-Drs. 5/2861, S. 32 Tz. 128: „Diese Änderung beruht auf der Erwägung, daß es sachlich nicht begründet ist, die Gesetzgebung des Bundes auf bestimmte Steuerkategorien zu beschränken.“ 195 BT-Drs. 5/2861, S. 33 Tz. 131. 196 Bericht des Rechtsausschusses zu BT-Drs. 5/3605, S. 6 f.: „Es erscheint aber notwendig, dass der Bund grundsätzlich für alle Steuern das konkurrierende Gesetzgebungsrecht besitzt.“ 197 BT-Drs. 5/2861, S. 12 Tz. 12 Nr. 4. 198 Vgl. BT-Drs. 5/2861, S. 33 Tz. 134. 199 Vgl. nur die Reformen seit Inkrafttreten des Grundgesetzes im ersten Kapitel Seite 30 ff.

A. Der Begriff der ,übrigen Steuern‘

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andere Entwicklung des Verhältnisses zwischen Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder angepasst werden kann. Dies wurde als ein „wesentlicher Fortschritt auf dem Wege zur Befriedung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern“ angesehen200. Aus der Zielsetzung der Finanzreform folgt, dass damals nur bekannte Steuerarten, wenn auch sehr weit gefasst, in das Verteilungssystem mit einbezogen werden konnten. Die Schaffung eines Auffangtatbestands für noch unbekannte Steuern verbot sich aus Gründen der Ausgewogenheit und Überschaubarkeit des Verteilungssystems, da der Aufkommensumfang etwaiger neuartiger Steuern nicht vorhersehbar war. Damit lässt sich aus dem Willen des Gesetzgebers keine Beschränkung des Steuererfindungsrechts des Bundes und der Länder auf den Steuerartenkatalog des Art. 106 GG entnehmen201. Dieses Ergebnis wird durch die teleologische Interpretation der Art. 105 GG und Art. 106 GG gestützt202. Wie oben bei der Beurteilung des Verhältnisses zu Art. 70 GG erwähnt, kommt in Art. 105 GG das Prinzip des Steuerstaates bei der Einnahmenbeschaffung besonders deutlich zum Ausdruck203. Daran anknüpfend dient Art. 106 GG dazu, den bei der Gesetzgebung dominierenden Bund, aber auch die Länder und Gemeinden durch eine ausreichende Finanzausstattung in die Lage zu versetzen, ihre staatlichen Aufgaben im Bundesstaat zu erfüllen. Dies muss durch eine aufgabenorientierte und lastengerechte Ertragszuweisung der zur Verfügung stehenden Steuereinnahmen, also durch ein ausgewogenes Steuerverteilungssystem geschehen204. Sinn und Zweck des Art. 106 GG ist es letztlich, die Funktionsfähigkeit des Steuerverteilungssystems zu gewährleisten und zu sichern. Dieses für die bundesstaatliche Ordnung hohe Gut war den Verfassungsgebern so wichtig, dass sie es mit Verfassungsrang ausstatteten und nicht, wie zu Zeiten der Weimarer Republik, dem einfachen Gesetzgeber überließen. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Steuerarten des Art. 106 GG keiner Veränderung zugänglich sind. Soweit die Stabilität des Steuerverteilungssystems nicht gefährdet wird, dürfen die in Art. 106 GG genannten Steuer200

BT-Drs. 5/2861, S. 33 Tz. 135. Ebenso Küssner, S. 57 ff. 202 Das Bundesverfassungsgericht stellt zur Ermittlung des objektivierten Willens des Gesetzgebers auf den Wortlaut der Gesetzesbestimmung und den Sinnzusammenhang ab. Die subjektiven Vorstellungen des Gesetzgebers erlangen für die Auslegung nur insofern an Bedeutung, als sie die Richtigkeit der ermittelten Auslegung bestätigen oder Zweifel beheben, die auf dem anderen Auslegungswege allein nicht ausgeräumt werden können, BVerfG v. 21.05.1952, 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 (312); im Anschluss BVerfG v. 15.12.1959, 1 BvL 10/55, BVerfGE 10, 234 (244); v. 16.12. 1981, 1 BvR 898/79 u. a., BVerfGE 59, 128 (153); dagegen Looschelders/Roth, S. 195 f. „der Rechtsanwender läuft daher (vielleicht durchaus unbewußt) stets Gefahr, sein eigenes Rechts- und Wertempfinden umzusetzen und die eigentlich maßgebenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers zu überspielen.“ 203 Siehe hierzu Seite 44. 204 BVerfG v. 10.12.1980, 2 BvF 3/77, BVerfGE 55, 274 (300 f.). 201

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

arten im Rahmen ihrer Art205 umgestaltet oder sogar aufgehoben werden206. Im Laufe der Zeit wurden etwa das Kapitalverkehrsteuergesetz, damit die Börsenumsatzsteuer und Gesellschaftsteuer, und das Wechselsteuergesetz abgeschafft207, eine Straßengüterverkehrsteuer und einmalige Vermögens- und Lastenausgleichsabgaben gibt es derzeit nicht208 und die Vermögensteuer wird nicht mehr erhoben209. Eine Bestandsgarantie folgt aus oben genannten Gründen allenfalls für die das Verteilungssystem sichernde Umsatzsteuer210. Jedoch muss bei allen Veränderungen die Funktionsfähigkeit des Steuerverteilungssystems gewährleistet bleiben. Der für das Steuerverteilungssystem im Gesamtgefüge der Finanzverfassung bedeutende Sicherungszweck des Art. 106 GG darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass hierdurch lediglich die Steuererträge auf die Hoheitsträger verbindlich verteilt werden. Eine Verteilung kann erst erfolgen, wenn Steuererträge überhaupt vorhanden sind. Ob die Bürger zu einer bestimmten Steuer herangezogen werden und wie viele Erträge sie einbringt, bestimmt der Steuergesetzgeber durch einfaches Gesetz, in dem er Steuersubjekt, Steuerobjekt, Bemessungsgrundlage und Steuersatz festlegt. Welche Körperschaft das Steuergesetz erlassen darf, leitet sich aus Art. 105 GG ab. Damit kommt Art. 106 GG gegenüber der Gesetzgebungskompetenz eine nachrangige Funktion über das „Wie“ der endgültigen Verteilung der vereinnahmten Steuern zu211. Gleichzeitig wird hierdurch der Steuergläubiger bestimmt212. Richtig ist 205 Zur Bestimmung der einzelnen Steuertypen siehe nur Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 99 ff. und 111 ff. 206 So Häde, S. 161 ff.; Korioth, S. 428 f.; Kube, S. 116; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 17 und Art. 106 Rn. 13; Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 105 Rn. 46; Hidien in: BK, Art. 106 (102. Lfg.) Rn. 1380; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 33; Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 5; Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 50; Vogel, HdbSt IV, § 87 Rn. 31. 207 Nach Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 7. 208 Nach Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 6. 209 Vgl. hierzu im vierten Kapitel Seite 219 f. 210 Insbesondere die flexiblen Ausgleichsregelungen des Art. 106 Abs. 3 und 4 GG setzen die Existenz der Umsatzsteuer voraus. Ebenso Häde, S. 162; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 17; Jachmann in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 105 Rn. 33; Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 53; Vogel, HdbSt, § 87 Rn. 31. 211 Zu Recht bezeichnet Tipke, StrO III, S. 1092 und ders. BB 1994, S. 442 diese Aufgabe des Art. 106 GG in der Finanzverfassung als Sekundärfunktion, auch wenn die Verteilungsfunktion in der Finanz- und Steuerpolitik eher im Zentrum des Interesses steht. Vgl. deshalb auch Hidien in: BK, Art. 106 (100. Lfg.) Rn. 604. 212 Ausführlich Drüen in: Tipke/Kruse, § 43 Rn. 10 ff.; aber auch Birk, Rn. 232; Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 5 und 40. Nicht gefolgt werden kann den Vertretern der Ansicht, die die Steuergläubigerschaft nach der Verwaltungskompetenz (Art. 108 GG) bestimmen wollen (Korioth, S. 276 f.; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 106 Rn. 9 und Art. 108 Rn. 5; Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 106 Rn. 4, Hidien in: BK, Art. 106 (97. Lfg.) Rn. 97). – Steuergläubiger ist diejenige Körperschaft, die den Steueranspruch innehat, also die Steuer für sich fordern kann. Soweit die Länder Bundessteuergesetze vollziehen, deren Steueraufkommen

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daher, dass Erträge neuartiger, nicht unter die Steuerkategorien des Art. 106 GG zu subsumierender Steuern nicht durch den einfachen Gesetzgeber zugewiesen werden dürfen oder entsprechend der Gesetzgebungskompetenz der steuergesetzgebenden Körperschaft zufließen. Denn die Verfassungsgeber haben diese, für die finanzielle Ausstattung der Hoheitsträger bedeutende Entscheidung bewusst auf die Verfassungsebene gehoben. Eine Beschränkung des Steuererfindungsrechts des Bundes und subsidiär der Länder folgt daraus aber nicht. Somit bleibt als Zwischenergebnis der Auslegung festzuhalten, dass Bund und Ländern ein allgemeines Steuererfindungsrecht zusteht. Begrenzungen können sich allein aus dem verfassungsrechtlichen Steuerbegriff213 und bestimmten Verfassungsprinzipien214 ergeben. b) Ertragsverteilung von neuartigen Steuern Nunmehr muss die Frage beantwortet werden, wem die Erträge neuartiger Steuern zustehen, die nicht in die bestehenden Steuerkategorien des Art. 106 GG eingeordnet werden können. Einen Auffangtatbestand für neu erfundene Steuern enthält Art. 106 GG nicht. Daher muss Ausgangspunkt der Überlegung die systematische Stellung des Art. 106 GG in der Verfassung sein, insbesondere im Verhältnis zu Art. 30 GG. Abweichend vom System des Grundgesetzes, nach dem grundsätzlich die Länder für die Ausübung staatlicher Befugnisse zuständig sind (Art. 30 GG)215, wird durch Art. 106 GG das Aufkommen bestimmter Steuern nicht nur dem Bund und den Gemeinden ausdrücklich, sondern in Absatz 2 der Vorschrift auch den Ländern zugewiesen. Hierbei handelt es sich nicht um eine „Teilrückverweisung“ der Kompetenz an die Länder, wie Art. 105 Abs. 2a GG es für die Gesetzgebungskompetenz vorsieht. Dem Bund wird in Art. 106 Abs. 1 GG, im Gegensatz zu Art. 105 Abs. 2 GG, nicht durch ganz oder teilweise dem Bund zustehen, handeln sie im Auftrag des Bundes im Sinne des Art. 85 GG (Art. 108 Abs. 3 GG). Aber auch im umgekehrten Fall, der Verwaltungshoheit des Bundes für eine Landessteuer, etwa der Biersteuer, ist der Bund lediglich zur Abwicklung des Steueranspruchs für die Länder ermächtigt (vgl. etwa die Befugnisse nach §§ 224, 227 AO). Steuergläubiger ist und bleibt die Körperschaft, deren Haushalt der Steuerertrag letztlich zusteht. Dies lässt sich allein der Kompetenzvorschrift des Art. 106 GG entnehmen. Das Ergebnis findet auch in der Abgabenordnung seine Bestätigung. Nur ausnahmsweise gilt danach die steuerverwaltende Körperschaft, für Fälle der Aufrechnung (§ 226 Abs. 4 AO) oder der Vollstreckung (§ 252 AO), neben der Körperschaft, der die Steuererträge zustehen, als Steuergläubigerin. In diesem Sinne ausdrücklich auch BFH v. 25.04.1989, VII R 105/87, BFHE 157, 8 (12 f.). 213 Dieser soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter problematisiert werden, da die später zu untersuchenden Landessteuern unzweifelhaft unter den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff fallen. Vgl. jedoch die Nachweise in Fn. 160. 214 Hierzu Stern, Staatsrecht II, § 46 I Nr. 5c S. 1107 ff.; Tipke, StrO I, S. 417 ff.; ders. BB 1994, S. 439 ff.; Waldhoff, S. 309 ff. 215 Vgl. etwa die Regelungstechnik des Grundgesetzes über die Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder in den Art. 83 bis 85 GG.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

eine Generalklausel die Ertragshoheit für alle Steuern zugewiesen, sondern lediglich für eine begrenzte Anzahl von Steuerarten. Diese besondere Gesetzestechnik, also die nach Körperschaften getrennte Zuteilung der Steuererträge, muss zu dem Schluss führen, dass hierdurch eine abschließende Ertragsverteilung für alle Steuern normiert wurde, um die Anwendung des Art. 30 GG für diesen Bereich auszuschließen216. Hätte der Verfassungsgeber den Anwendungsbereich des Art. 30 GG neben Art. 106 GG aufrechterhalten wollen217, hätte es der expliziten Aufzählung der den Länder zugewiesenen Steuerarten in Art. 106 Abs. 2 GG nicht bedurft218. Daraus folgt, dass die Vorschrift des Art. 106 GG eine abschließende und erschöpfende Regelung zur Steuerverteilung darstellt und Art. 30 GG für die Frage der Ertragsverteilung keine Lösung bietet. Da wegen des bedeutenden Sicherungszwecks des Art. 106 GG für die Stabilität des Steuerverteilungssystems auch nicht eine einfachgesetzliche Zuweisung der Erträge erfolgen kann, muss sich die Ertragszuteilung zwingend aus der Verfassung selbst, also aus Art. 106 GG, ergeben. Dies macht nach dem heutigen System, in der Tat, eine Verfassungsänderung für die Einführung einer neuartigen 216 Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 33 Fn. 258; ebenso Vogel/ Walter in: BK, Art. 105 Rn. 66, jedoch mit dem Ergebnis der Begrenzung der Steuergesetzgebungskompetenz auf die in Art. 106 GG genannten Steuern. 217 So Häde, S. 164 f. und Wieland, S. 290 f. 218 Dies zeigt auch ein Vergleich mit der früheren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Steuererfindungsrecht der Länder in Bezug auf Art. 105 GG 1949. In seinem Beschluss vom 07.05.1963 – 2 BvL 8, 10/61 – BVerfGE 16, 64 (79) führte es aus: „Sämtliche Bestimmungen gehen davon aus, daß dem Bund auf dem Gebiet der Gesetzgebung nur zugewiesene Kompetenzen zustehen, während im übrigen die Länder die Rechtsetzungsbefugnis wahrnehmen. Wenn daher Art. 105 GG [1949] entgegen der Vorschrift des Art. 70 Abs. 1 GG den Ländern neben der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis nur die Kompetenz zur Gesetzgebung über die Verbrauch- und Verkehrsteuern mit örtlich bedingten Wirkungskreis als eigenen Befugnis hätte belassen wollen, so müßte dies der Vorschrift eindeutig entnommen werden können. (. . .) Im Übrigen schweigt der Artikel über die Gesetzgebungsbefugnis der Länder.“ – Danach beinhaltete Art. 105 Abs. 2 GG 1949 lediglich eine Teilzuweisung bestimmter Steuern an den Bund, die jedoch das Sachgebiet der Steuern nicht erschöpfte. Darüber hinaus blieb das allgemeine Gesetzgebungsrecht der Länder für den Sachbereich der Steuern aus Art. 70 GG bestehen (hierzu Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 59). Art. 106 Abs. 2 GG kann im Umkehrschluss entnommen werden, dass den Ländern abschließend die Ertragshoheit für die dort genannten Steuern überlassen werden soll. Denn Art. 106 GG schweigt, im Gegensatz zu Art. 105 GG 1949, nicht über die (Ertrags-)Hoheit der Länder. – Nicht gefolgt werden kann daher Wieland, S. 291, der die Entstehung des Art. 106 Abs. 2 GG mit der zwingend erforderlichen, expliziten Zuweisung der Vermögensteuer, der Biersteuer und der Spielbankabgabe an die Länder begründet, um die Ertragshoheit insoweit zweifelsfrei zu regeln. Einen Rückschluss auf die Anwendbarkeit von Art. 30 GG lasse sich daraus jedoch nicht ziehen. Dem ist entgegenzuhalten, hätte der Gesetzgeber Art. 30 GG neben Art. 106 GG anwenden wollen, hätte er die problematischen Landessteuern als Ausnahmetatbestand bei den Bundessteuern, entsprechend der Systematik des Art. 105 GG 1949, erwähnen können. Diese Systematik hat er jedoch nicht gewählt. Der Anwendungsbereich des Art. 30 GG ist somit in Bezug auf die Steuerertragshoheit ausgeschlossen.

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Steuer nur zum Zwecke der Ertragsverteilung notwendig219. Hält man sich jedoch die Bedeutung eines ausgewogenen Steuerverteilungssystems für die bundesstaatliche Ordnung und die Finanzausstattung der Hoheitsträger vor Augen, erscheint eine derart hohe Hürde, die eine (politisch) nicht leicht zu beschaffende Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat (Art. 79 Abs. 2 GG) erfordert, durchaus angemessen. Hierdurch wird verhindert, dass der Bund oder die Länder einseitig ihre Finanzausstattung erweitern. Im Rahmen der erforderlichen Verfassungsänderung muss das bundesstaatliche Ertragsgleichgewicht zwischen Bund und Ländern gewährleistet bleiben220. Geschieht die erforderliche Verfassungsänderung vor und zumindest gleichzeitig mit der Einführung der neuen Steuer, kann diese ohne aus Art. 105 GG oder Art. 106 GG herrührende verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden. Sollte jedoch eine Verfassungsänderung spätestens bis zum Inkrafttreten des neuen Steuergesetzes, etwa aus politischen Gründen, nicht erfolgt sein, darf diese Steuer solange nicht erhoben werden, als keine Ergänzung der Ertragshoheit im Grundgesetz erfolgt. Insoweit würde es an einem Steueranspruch fehlen. Ein solcher setzt denknotwendig einen Steuergläubiger und einen Steuerschuldner voraus. Gerade ersterer bestimmt sich durch Art. 106 GG, so dass bei fehlender Verfassungsänderung kein Steuergläubiger existieren würde221. Würde die Steuer trotzdem erhoben, könnte der belastete Steuerbürger den Steuerbescheid im Wege einer finanzgerichtlichen Klage und subsidiär einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht anfechten, da aus dem angewandten Steuergesetz wegen eines Verstoßes gegen Art. 106 GG kein Steueranspruch des Bundes oder eines Landes hergeleitet werden könnte. Damit wäre er in seinem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG), zu dem auch die wirtschaftliche Freiheit zählt, verletzt222. 219 Daher plädiert etwa Tipke, BB 1994, S. 443 dafür, „die Aufteilung und Zuteilung des Steueraufkommens dem einfachen Gesetzgeber zu überlassen“. Nach seinem Kenntnisstand gebe es außer Deutschland kein Land in der Europäischen Union, das die Verteilung des Steueraufkommens zur Verfassungsangelegenheit gemacht habe. – Ob eine einfachgesetzliche Steuerzuteilung erstrebenswert ist, darf indes bezweifelt werden. Inhaltlich zu Recht rügte das Bundesverfassungsgericht in seinem umstrittenen Urteil vom 11.11.1999, 2 BvF 2/98 u. a., BVerfGE 101, 158 (217 ff.) die Praxis des Gesetzgebers bei der Festlegung des Finanzausgleichs. 220 Kube, S. 116; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 34. 221 Vgl. hierzu die Nachweise in Fn. 212. 222 Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.12.1965, 1 BvR 413, 416/60, BVerfGE 19, 206 (215 f.) umfasst die Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit auch den Anspruch, „nicht durch staatlichen Zwang mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist“. Der Bürger dürfe „nur auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören“. – Formell verfassungsgemäß ist ein Gesetz, wenn es unter Beachtung der Kompetenzvorschriften, dem Gesetzgebungsverfahren und den Form- und Bekanntgabevorschriften zustande gekommen ist. Auch das förmliche Recht, insbeson-

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

Ob sich aus Art. 106 GG allerdings eine Pflicht für den Verfassungsgesetzgeber zur Verfassungsergänzung ergibt223, darf bezweifelt werden224. Dieser kann durch eine Zuständigkeitsverteilungsnorm nicht gezwungen werden, verfassungsändernde Mehrheiten zu bilden und den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen. Resultat einer fehlenden Verfassungsänderung wäre, dass das neue Steuergesetz mangels eines daraus herzuleitenden Steueranspruchs nicht zur Anwendung gelangen könnte und die Steuer aus oben genannten Gründen nicht erhoben werden dürfte. Dieses als unbefriedigend erscheinende Ergebnis ist die Konsequenz aus der derzeitigen Verfassungslage, die bewusst und gewollt zwischen Gesetzgebungshoheit und Ertragshoheit trennt. Hierdurch werden jedoch tief greifende Steuerreformen nicht verhindert, sondern erfordern für die Verteilungsebene lediglich einen breiten Konsens bei den politischen Entscheidungsträgern.

B. Erste Kompetenzeinschränkung des Art. 105 Abs. 2 GG Die Inanspruchnahme der umfassenden Steuergesetzgebungskompetenz des Bundes wird durch mehrere Voraussetzungen beschränkt. Nur wenn diese erfüllt sind, darf der Bund, muss aber nicht, von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen. Wie im Rahmen der systematischen Auslegung des Art. 105 Abs. 2 GG gesehen, stellt die erste Einschränkung eine Verknüpfung zu Art. 106 GG her, da der Bund Gesetze nur für die Steuern erlassen darf, deren Aufkommen ihm ganz oder teilweise zustehen.

dere die Kompetenzvorschriften, bezweckt mittelbar den Schutz der Bürger. Das gilt nicht nur für das rechtsstaatliche, sondern auch für das bundesstaatliche Organisationsrecht (so Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 28). Ein Steuergesetz, für welches kein Steuergläubiger in Art. 106 GG bestimmt ist und die Ertragszuständigkeit ungeklärt bleibt, verstößt gegen eine zwingende Organisationsnorm des (Finanz-)Verfassungsrechts. Ebenso wie ein verfassungswidriges Gesetzgebungsverfahren den Schutzbereich des Bürgers berührt, trifft dieser Fehler nicht nur das Bund-LänderVerhältnis. A. A. Waldhoff, S. 39 und 310 f., nach dessen Ansicht nur die Vorschrift zur Steuergesetzgebungskompetenz grundrechtliche Relevanz erlangt. Nicht so eindeutig Stern, Staatsrecht II, § 46 I Nr. 1 S. 1090, nach dem die Steuergesetzgebungskompetenz nur „in weit stärkerem Maße“ das Verhältnis zum Bürger betreffe, als die Ertragskompetenz. 223 So Tipke, StrO III, S. 1095; ders., BB 1994, S. 442 f.; dem folgend Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 34. 224 Insoweit kann Vogel, JZ 1993, S. 1125; ders. FS Tipke, S. 102 und Häde, S. 166 zugestimmt werden.

B. Erste Kompetenzeinschränkung

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I. Anwendungsbereich Durch die Verweisung auf Art. 106 Abs. 1 und 3 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung über die dort genannten Steuern. Finanzpolitisch bedeutend sind hier insbesondere die Gemeinschaftssteuern, namentlich die Einkommensteuer, die Körperschaftsteuer und die Umsatzsteuer.

II. „In Wahrheit ausschließliche Gesetzgebungskompetenz“ des Bundes? Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bezeichnete Fischer-Menshausen in Bezug auf die erste Einschränkung als „in Wahrheit [. . .] einen Fall der ausschließlichen Bundeszuständigkeit“225. Dieser Aussage liegt folgender Gedankengang zu Grunde: Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Dieser Grundsatz gilt auch für den Bereich der Steuergesetzgebung. Somit wäre es nach diesem Grundsatz denkbar, dass der Bund seine Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf eine Steuer, deren Aufkommen ihm nach Art. 106 Abs. 1 oder 3 GG zumindest teilweise zustünde, nicht erschöpft und so die Länder zur Gesetzgebung befugt wären. Die Länder könnten in diesem Fall eine Steuer einführen, deren Ertrag jedoch ganz oder zum Teil in die Bundeskasse flösse. Diese Vorstellung von möglicherweise unterschiedlichen Landessteuergesetzen mit Bundesertrag wird nicht nur von Fischer-Menshausen, sondern von großen Teilen der Literatur im Ergebnis für „widersinnig“226 oder „schlechterdings unzulässig“227 gehalten228. Dem entsprechend wird in unterschiedlicher Weise eine Korrektur der Verfassungsvorgaben vorgenommen. Auch zur Lösung dieses Problems sind die Vorgaben der Finanzverfassung zu respektieren, die bereits in dem Wortlaut des Art. 105 GG klar zum Ausdruck kommen. Art. 105 Abs. 2 GG spricht von „konkurrierender“ Gesetzgebung. Eine „in Wahrheit“ ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Steuern mit zumindest teilweisem Bundesertrag durch eine Korrektur des Art. 105 Abs. 2 GG herzuleiten229, verstößt gegen diesen eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Die grammatikalische Interpretation eines Gesetzesbegriffs hat 225

Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 19. Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 34. 227 Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 77. 228 Vgl. auch Hendler, DÖV 1993, S. 294; Küssner, S. 50; Mußgnug, FS Klein, S. 655 ff.; Waldhoff, S. 50; Birk in: AK, Art. 105 Rn. 6 und 14; Maunz in: Maunz/ Dürig, Art. 105 Rn. 41; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 105 Rn. 24 f. 229 So Küssner, S. 50; Waldhoff, S. 50; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 19; Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 77; Mußgnug, FS 226

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

sich zunächst am Wortverständnis des historischen Gesetzgebers zu orientieren230. Der Begriff „konkurrierende“ Gesetzgebung bezeichnet das Zusammentreffen von Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder, bei dem der Bund gegenüber den Ländern das Vorrecht hat, das betreffende Sachgebiet zu regeln231. Es ist nicht anzunehmen, dass die Verfassungsgeber von 1949 und die Reformgesetzgeber von 1969 sich der Bedeutung dieses Begriffs nicht bewusst waren, wo sie doch in der Verfassung selbst eine Legaldefinition in Art. 72 Abs. 1 GG normierten. Zwar kann aus der historischen Entwicklung erklärt werden, dass aus Rücksicht auf die Bestrebungen der Militärgouverneure, die Position des Bundes nicht allzu stark werden zu lassen, bei der ursprünglichen Fassung des Art. 105 Abs. 2 GG nicht von einer ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes gesprochen werden durfte, eine solche aber wohl beabsichtigt war232. Dieses Argument ist jedoch spätestens seit der Finanzverfassungsreform von 1969, bei der das Ausgangsproblem bekannt war233, aber insoweit keine andere Gesetzesformulierung gewählt wurde, nicht mehr stichhaltig. So verbleibt das durch eine teleologische Interpretation gefundene Argument der Verfechter einer ausschließlichen Bundeskompetenz, die Funktionsfähigkeit des Finanzausgleichssystems wahren zu müssen234. Es obliegt jedoch gerade dem Bund beliebige Landessteuern mit Bundesertrag zu vermeiden, indem er seine Gesetzgebungskompetenz ausübt, sei es auch nur im negativen Sinne durch Aufhebung eines Steuergesetzes mit ausdrücklicher Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber235. Drohenden Störungen des Finanzausgleichssystems kann der Bund durch Ausübung seiner Kompetenzen entgegenwirken. Zu Recht weist Häde darauf hin, dass auch für die der konkurrierenden Gesetzgebung unterfallenden Sachbereiche des Art. 74 GG niemand ernsthaft eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes erwägt236. Auch hier dürften verschiedene landesgesetzliche Regelungen, gedacht sei nur an den Klein, S. 655 ff. bezeichnet die Formulierung des Art. 105 Abs. 2 GG als „Redaktionsversehen“ (ebd., S. 657). 230 Hierzu ausführlich Looschelders/Roth, S. 138 f. 231 Ursprünglich wollten die Verfassungsgeber die „konkurrierende Gesetzgebung“ als „Vorranggesetzgebung“ bezeichnen (siehe Fn. 62), die den Inhalt des Begriffs nochmals verdeutlicht. Jedoch zog der zentralistisch anmutende Begriff „Vorranggesetzgebung“ den Argwohn der Alliierten auf sich, so dass die Formulierung mit Rücksicht auf die Militärgouverneure aufgegeben wurde; siehe dazu das Protokoll der deutsch-alliierten Besprechung vom 10.03.1949, abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat 1948–1949, Akten und Protokolle, Bd. 8, S. 187 ff. 232 So Meyer, DÖV 1969, S. 262; Mußgnug, FS Klein, S. 657. 233 Siehe aus der damaligen Literatur Piduch, S. 22 ff. und Wacke, S. 27, der die ganze Regelung für „merkwürdig“ hielt. 234 Hierzu ausführlich Küssner, S. 49; Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 77. 235 Zur Sperrwirkung von aufgehobenen Bundessteuergesetzen für den Landesgesetzgeber ausführlich im vierten Kapitel, Seite 218 ff. 236 Häde, S. 169.

C. Zweite Kompetenzeinschränkung

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Bereich des Strafrechts (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) oder des Straßenverkehrs (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG), zu unpraktikablen Ergebnissen führen. In der Praxis vertraut man jedoch der Weitsicht des Bundes und überlässt es seiner Entscheidung, inwieweit er landesgesetzliche Regelungen zulassen will. Dies muss konsequenterweise auch für den Bereich der Bundes- oder Gemeinschaftssteuern gelten. Praktisch wird der Bund durch eine umfassende eigene Gesetzgebung die Länder äußerst selten zum Zuge kommen lassen, sei es auch nur dadurch, dass er durch Bundesgesetz erklärt, eine Erhebung einer bestimmten Steuer sei nicht erwünscht. Soweit dagegen vorgeschlagen wird, die Ertragshoheit des Bundes auf bundesgesetzlich geregelte Steuern zu beschränken und anderenfalls das Aufkommen den Ländern zu überlassen237, widerspricht dies den Vorgaben der Verfassung, die Ertragsverteilung auf Verfassungsebene zu bestimmen (Art. 106 GG) und sie nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers zu stellen. Gerade hierdurch wird das Ertragsverteilungssystem des Art. 106 GG gesichert, wie bereits im Rahmen der Diskussion um ein Steuererfindungsrecht herausgearbeitet wurde238. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Landessteuergesetze für Bundes- oder Gemeinschaftssteuern verfassungsrechtlich zulässig sind239, in der legislativen Realität aber wohl kaum erlassen werden.

C. Zweite Kompetenzeinschränkung des Art. 105 Abs. 2 GG Der Bund kann von seiner Steuergesetzgebungskompetenz ebenso Gebrauch machen, wenn die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt sind. Art. 72 Abs. 2 GG stellt damit eine zur ersten Kompetenzeinschränkung240 alternative Schranke für die Inanspruchnahme der Bundeskompetenz dar. Die Verweisung auf Art. 72 Abs. 2 GG diente bis zur Föderalismusreform 2006 lediglich der Klarstellung, da bereits durch die Qualifizierung der Steuergesetzgebungskompetenz als konkurrierend der Bezug zu Art. 72 Abs. 1 bis 3 GG 1994 herge237 Birk in: AK, Art. 105 Rn. 6 und 14; Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 34; Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 105 Rn. 41; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 105 Rn. 24 f.; zur Klarstellung schlägt Hendler, DÖV 1993, S. 294 eine Verfassungsänderung vor. 238 Siehe hierzu in diesem Kapitel Seite 49 ff. 239 So auch Häde, S. 167 ff.; Selmer, S. 155 f.; Bultmann, DStZ 1996, S. 764; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 47; Sieckmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 14 und 20; siehe auch Stern, Staatsrecht II, § 46 II Nr. 3 S. 1114 und Nr. 4 S. 1116, der lediglich von einer „faktisch“ ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes ausgeht, diese jedoch „rechtslogisch“ nicht für zwingend hält; in dieselbe Richtung wohl auch Meyer, DÖV 1996, S. 262. 240 Vgl. hierzu in diesem Kapitel Seite 56 ff.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

stellt war241. Nach der Neuformulierung des Art. 72 Abs. 2 GG 2006 enthält dieser nunmehr eine ausdrückliche Bezugnahme auf bestimmte Nummern des Kompetenzkatalogs des Art. 74 GG. Nur in den dort genannten Sachbereichen bedarf der Bund für die Inanspruchnahme seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz in Zukunft der strengen Voraussetzungen der „Erforderlichkeitsklausel“. Für die übrigen Rechtsmaterien unterliegt er keinerlei Beschränkungen, worin eine Verfahrenserleichterung, aber besonders eine beträchtliche Kompetenzerweiterung für den Bund gesehen werden kann. Nach der Bestimmung des Anwendungsbereichs der zweiten Kompetenzeinschränkung des Art. 105 Abs. 2 GG (I.) erfolgt zunächst ein kurzer Rückblick auf die Anforderungen an die Tatbestandsmerkmale der Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG von 1949 (II.), anschließend wird der Weg zur Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG von 1994 beschrieben und die mit der Verfassungsänderung verfolgten Ziele dargelegt (III.).

I. Anwendungsbereich Folgt man der Ansicht, dass die Gesetzgebungskompetenz für alle Steuern, auch für die, deren Aufkommen dem Bund ganz oder teilweise zustehen, eine konkurrierende ist242, dann findet die zweite Kompetenzeinschränkung grundsätzlich bei allen Steuergesetzgebungsverfahren Anwendung. Jedoch wird der Bundesgesetzgeber bei Steuern, deren Aufkommen ihm ganz oder teilweise zusteht, nicht freiwillig eine aufwendige Begründung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG suchen, ist sein Kompetenzbereich doch bereits durch Erfüllung der durch die erste Einschränkung gestellten Anforderungen eröffnet. Somit sind die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nur im Zusammenhang mit der Gesetzgebung für die Landessteuern nach Art. 106 Abs. 2 und die den Gemeinden zustehenden Realsteuern nach Art. 106 Abs. 6 GG von praktischer Bedeutung.

II. Art. 72 Abs. 2 GG 1949 – „Bedürfnisklausel“ Bis zum Inkrafttreten der Verfassungsreform am 15. November 1994243 galt Art. 72 Abs. 2 GG für den Bereich der Steuergesetzgebung in seiner alten Fassung von 1949. Die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungs241 Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 105 Rn. 40; Vogel/Walter in: BK Art. 105 Rn. 56. Da die Verfassungsgeber jedoch auf Druck der alliierten Militärgouverneure neben Art. 72 Abs. 2 GG eine weitere Kompetenzeinschränkung normieren mussten, sollte durch die Verweisung verdeutlicht werden, dass alternativ zu der alliierten Kompetenzbeschränkung die allgemeinen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebung gelten. 242 Vgl. hierzu in diesem Kapitel Seite 57 ff.

C. Zweite Kompetenzeinschränkung

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gerichts begünstigte massiv die heutzutage dominierende Stellung des Bundes bei der Steuergesetzgebung. Deshalb sollen an dieser Stelle die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 skizziert und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit den kritischen Stimmen in der Literatur kurz dargestellt werden. Außerdem dient die Darstellung dazu, später die Unterschiede zur Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG zu verdeutlichen und mögliche Konsequenzen für die zukünftige Steuergesetzgebung herzuleiten. 1. Voraussetzungen Nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG 1949 stand dem Bund das Gesetzgebungsrecht für den Sachbereich Steuern zu, wenn und soweit ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung bestand, so genannte „Bedürfnisklausel“244. Wann ein solches Bedürfnis vorlag, wurde durch die Nummern 1 bis 3 des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 näher konkretisiert. Erlangten die Nummern 1 und 2 in der Gesetzgebungspraxis kaum an Bedeutung245, wurde zumeist die dritte Alternative zur Begründung des Bedürfnisses nach einer bundesgesetzlichen Regelung herangezogen. Danach lag ein Bedürfnis vor, wenn „die Herstellung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, insbesondere die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet über das Gebiet eines Landes hinaus“ eine bundeseinheitliche Regelung erforderte. Historisch betrachtet wurden diese Einschränkungen der Gesetzgebungskompetenz des Bundes während der abschließenden Verhandlung des Parlamentarischen Rates mit den alliierten Militärgouverneuren nur notgedrungen hingenommen, um die Entstehung des Grundgesetzes nicht zu gefährden. Sie sollten jedoch in der nachfolgenden Praxis möglichst weit reichend egalisiert und der ursprünglichen Fassung des Herrenchiemseer Verfassungsentwurfs246 angenähert werden247. Insbesondere die Klausel „Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung“ und die bewusst vagen Formulierungen der dritten Alternative des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 erfolgten in der Hoffnung, damit die Begrenzung der Macht-

243 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994, BGBl. I 1994, S. 3146 ff. 244 Zum genauen Wortlaut des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 siehe Fn. 77. 245 Wegen der geringen praktischen Bedeutung wird im Rahmen dieser Arbeit auf diese beiden Alternativen nicht näher eingegangen. Siehe zum Wortlaut Fn. 77, zu ihrer Auslegung Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 72 Rn. 21 f. und Gruson, S. 34 ff. 246 Art. 12 HChE lautete: „Im Bereich der Vorranggesetzgebung des Bundes behalten die Länder das Recht der Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch macht. Der Bund soll nur das regeln, was einheitlich geregelt werden muß.“ zitiert nach Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 12. 247 Ausführlich hierzu Neumeyer, FS Kriele, S. 544 ff.; Oeter in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 72 Rn. 15 ff. jeweils mit zahlreichen Nachweisen.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

position des Bundes bei der Gesetzgebung zu entschärfen und eine Überprüfung der Voraussetzungen durch das Verfassungsgericht auszuschließen248. 2. Die alte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die weite Fassung der Nummer 3 wurde durch das Bundesverfassungsgericht nochmals ausgedehnt, in dem es eine „dynamisch (schaffend) wirkende Bundesgesetzgebung“249 für zulässig erachtete. „Wahrung“ der Rechts- oder Wirtschaftseinheit wurde nicht nur als ein „Bewahren“, sondern als ein aktives Hinstreben zur Vereinheitlichung verstanden250. Im Übrigen entsprach das Bundesverfassungsgericht den Hoffnungen der Mitglieder des Parlamentarischen Rates nach einer Entschärfung der „ungeliebten“ Bedürfnisklausel251, so dass die restriktive Rechtsprechung des Gerichts heutzutage auch als Resultat der ablehnenden Haltung des Parlamentarischen Rates gegen die besatzungsbedingt aufgezwungene Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 angesehen wird252. Bereits 1953 legte das Verfassungsgericht in einem Beschluss dar253, dass die Frage, ob ein Bedürfnis nach einer bundesgesetzlichen Regelung bestehe, eine Frage pflichtgemäßen Ermessens des Bundesgesetzgebers sei, „die ihrer Natur nach nicht justitiabel und daher der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen sei“254. Die Ermessensfreiheit des Gesetzgebers werde, so das Verfassungsgericht, durch die in den Nummern 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen lediglich eingeengt, jedoch ändere dies nichts an der Rechtsnatur der Bedürfnisklausel255. Deshalb könne das Gericht lediglich überprüfen, ob der Gesetzgeber sein Ermessen missbraucht habe256. In seinem Urteil vom 29. November 1961257 änderte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung dahingehend, dass die Begriffe 248 So Neumeyer, FS Kriele, S. 551 f.; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 30. 249 von Münch in: v. Münch, 2. Aufl. 1983, Art. 72 Rn. 23. 250 BVerfG v. 29.11.1961, 1 BvR 758/57, BVerfGE 13, 230 (233 f.). 251 Dies verwundert nicht, da erster Präsident des Bundesverfassungsgerichts Dr. Hermann Höpker-Aschoff war, ehemals prominentes Mitglied des Parlamentarischen Rates. 252 So Gruson, S. 27 f.; Calliess, DÖV 1997, S. 895; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 72 Rn. 28. 253 BVerfG v. 22.04.1953, 1 BvL 18/52, BVerfGE 2, 213 (224); im Ansatz bereits BVerfG v. 30.04.1952, 1 BvR 14, 25, 167/52, BVerfGE 1, 264 (272 f.). 254 Im Anschluss an die Leitentscheidung von 1953 BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (127); v. 30.05.1972, 2 BvL 41/71, BVerfGE 33, 224 (229). 255 BVerfG v. 22.04.1953, 1 BvL 18/52, BVerfGE 2, 213 (224); v. 15.12.1959, 1 BvL 10/55, BVerfGE 10, 234 (245). 256 BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (127). 257 1 BvR 758/57, BVerfGE 13, 230 (233 f.).

C. Zweite Kompetenzeinschränkung

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„Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit“ und „Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ als Rechtsbegriffe qualifiziert wurden. Sie seien aber so unbestimmt, dass die Konkretisierung darüber entscheide, ob zu ihrer Erreichung ein Bundesgesetz erforderlich sei. Eine eindeutige Wendung des Gerichts zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe lag hierin jedoch nicht, denn in derselben Entscheidung stellte das Gericht wenig später fest, dass der Bundesgesetzgeber in dem zu entscheidenden Fall sein Ermessen nach der Sachlage nicht überschritten habe. Damit wurden beide Rechtsinstitute auf ein und dieselbe Bedürfnisprüfung angewandt258. Die Prüfung des Gerichts beschränkte sich in der Folgezeit allerdings darauf, ob der Bundesgesetzgeber die unbestimmten Rechtsbegriffe zutreffend ausgelegt und sich in dem dadurch bezeichneten Rahmen gehalten habe259. Für die Überprüfung der Begriffe wies das Gericht darauf hin, dass durch den Bundesgesetzgeber eine „politische Vorentscheidung“ getroffen worden sei, „die das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zu respektieren“ habe260. Hieraus folgte eine eher floskelhafte Bedürfnisprüfung, die, so weit ersichtlich, nie zu einer Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes wegen Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 2 GG geführt hatte. 3. Die Ansichten im Schrifttum Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes war die Frage nach der Rechtsnatur der „Bedürfnisklausel“ in der Lehre lebhaft umstritten261. Mit seinem Beschluss aus dem Jahr 1953 hatte das Bundesverfassungsgericht die Frage dahingehend entschieden, dass es sich bei der Bedürfnisprüfung um eine Ermessensentscheidung handele. Die spätere Kurskorrektur hin zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe kombiniert mit einer Ermessensprüfung legte jedoch im Schrifttum die Interpretation nahe, dass das Gericht bei den Tatbestandsmerkmalen ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit‘ und ,Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse‘ tatsächlich unbestimmte Rechtsbegriffe mit einem weiten Beurteilungsspielraum262 annahm, die der gerichtlichen Nachprüfung fast vollständig entzogen waren263. Eine so verstandene Interpretation der Rechtspre258

Ebenso BVerfG v. 15.07.1969, 2 BvF 1/64, BVerfGE 26, 338 (382 f.). In diese Richtung später auch BVerfG v. 04.03.1975, 2 BvF 1/72, BVerfGE 39, 96 (114 f.); v. 09.10.1984, 2 BvL 10/82, BVerfGE 67, 299 (327); v. 08.06.1988, 2 BvL 9/85 u. a., BVerfGE 78, 249 (270). 260 Erstmals BVerfG v. 29.11.1961, 1 BvR 758/57, BVerfGE 13, 230 (233); im Anschluss BVerfG v. 15.07.1969, 2 BvF 1/64, BVerfGE 26, 338 (382); v. 09.10.1984, 2 BvL 10/82, BVerfGE 67, 299 (327); v. 08.06.1988, 2 BvL 9/85 u. a., BVerfGE 78, 249 (270). 261 Vgl. zu den damaligen Stimmen die Zusammenstellung bei Achterberg, DVBl 1967, S. 213 f. m.w. N. 262 Gruson, S. 99 ff. bezeichnet diesen auch als Beurteilungsermessen. 263 So mit ausführlicher Begründung Neumeyer, S. 123 ff. 259

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

chung erscheint rechtsdogmatisch logisch, da nicht anzunehmen ist, dass das Gericht die Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen auf der Tatbestandsebene und Ermessensentscheidungen auf der Rechtsfolgenebene verkannt hatte. Auch in der Literatur wurde überwiegend die Ansicht vertreten, dass es sich bei der Bedürfnisprüfung um die Anwendung von unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum handele264. Allerdings war der Umfang der gerichtlichen Nachprüfung umstritten265. Von den Kritikern in der Literatur, die sich mit der Rechtsprechung eingehend auseinandersetzen und konkrete Vorschläge für eine von der Rechtsprechung abweichende Bedürfnisprüfung unterbreiteten, konnte in letzter Konsequenz nicht der Nachweis geführt werden, dass die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene (sehr geringe) Kontrolldichte der Norm, in Anbetracht des anerkannten Beurteilungsspielraums, zu gering sei266. Bei der gerichtlichen Überprüfbarkeit der unbestimmten Rechtsbegriffe beschränkte sich Scholz auf eine „funktionale Evidenzkontrolle“, wobei das Gesetz nur bei „offenkundiger Fehlsamkeit“ der gesetzgeberischen Entscheidung gegenüber den Maßstäben des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 für verfassungswidrig zu erklären sei267. Achterberg sprach bei der Überprüfbarkeit von unbestimmten Rechtsbegriffen von einem „Element des ,Schätzens‘ und ,Wägens‘ [. . .], bei dem Maßstäbe [. . .] weithin fehlen.“268 Damit blieb den Kritikern, den tatsächlichen Zustand bei der Verteilung der Gesetzgebungskompetenz zu beklagen. Die Maßstäbe des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 liefen bedingt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts praktisch leer und wirkten entgegen ihrer Zwecksetzung nicht pro-föderalistisch, sondern im Gegenteil als Motor der Unitarisierung269. Letztlich falle jedes sachgerechte Bundesgesetz unter die Ziffer 3 des Art. 72 Abs. 2 GG 1949, sobald aus ihm hervorgehe, dass es eine einheitliche rechtliche Regelung über den Gesetzesgegenstand bringe270. Vielmehr als die dogmatischen Ungereimtheiten der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts begünstigte damit die praktische Handhabung des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 durch den Bund, der keine strenge gerichtliche Kon264 Achterberg, DVBl 1967, S. 218 ff.; Calliess, DÖV 1997, S. 894; Gruson, S. 99 ff.; Neumeyer, S. 124. 265 Für eine gerichtliche Nachprüfung: Achterberg, DVBl 1967, S. 220; Calliess, DÖV 1997, S. 894; Scholz, FG BVerfG, S. 263 f.; Knorr, S. 83 ff. Einschränkend: Gruson, S. 105 f., der dem Gesetzgeber ein weites Beurteilungsermessen auf der Ebene der Subsumtion und der Tatsachenfeststellung einräumte. Dagegen: Neumeyer, S. 128. 266 So das Ergebnis von Neumeyer, S. 123 ff. 267 FG BVerfG, S. 263 f. 268 DVBl 1969, S. 220. 269 Bethge, BayVBl 1985, S. 258 f.; Scholz, FG BVerfG, S. 260; Stettner in: Dreier, Art. 72 Rn. 15 f. 270 Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 72 Rn. 23.

C. Zweite Kompetenzeinschränkung

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trolle zu fürchten hatte, eine Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG 1949. Dieser schwerfällige Reformprozess bis zur heute gültigen Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG soll im folgenden Abschnitt kurz nachgezeichnet werden.

III. Art. 72 Abs. 2 GG – „Erforderlichkeitsklausel“ Die neue „Erforderlichkeitsklausel“ des Art. 72 Abs. 2 GG wird als „Herzstück“ der Verfassungsreform von 1994 angesehen271. Seit dem Inkrafttreten der Grundgesetzänderung gilt, auch für die konkurrierende Steuergesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG, dass dem Bund das Recht zur Gesetzgebung zusteht, „wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.“ 1. Der Weg zur neuen „Erforderlichkeitsklausel“ Die neue „Erforderlichkeitsklausel“ des Art. 72 Abs. 2 GG ist das Ergebnis eines langen und schwierigen Reformprozesses seit den frühen 70er Jahren272. Den entscheidenden Impuls zum Gelingen der Reform brachte letztlich die deutsche Wiedervereinigung durch Art. 5 des Einigungsvertrags273. Auf Grund der unterschiedlichen Interessenlagen des Bundes, insbesondere der Bundesregierung, und der Länder spiegelt die Neufassung jedoch nur einen Minimalkonsens zwischen den Entscheidungsträgern wider. Der Mut zu einer wirklich durchgreifenden Stärkung der Länderkompetenzen fehlte274.

271

So Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 86 m.w. N. Ausführlich hierzu Neumeyer, S. 131 ff.; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 37–48. 273 Dieser nannte als einen der Schwerpunkte einer Verfassungsänderung „die Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes [. . .] in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990“, abgedruckt in BGBl. II 1990, S. 889 (891). 274 Dies zeigt sich etwa darin, dass es die vom Parlamentarischen Rat als Aufweichung der durch die alliierten Militärgouverneure sehr eng vorgegebenen Kriterien der Nummern 1 und 2 gefundene Formulierung der Nummer 3 ist, die es in etwas abgewandelter Form in die neue „Erforderlichkeitsklausel“ geschafft hat (ebenso Neumeyer, S. 156 f.; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 87). Begründet wurde dies damit, dass die Nummern 1 und 2 der alten Fassung durch die Neufassung entbehrlich geworden seien (BT-Drs. 7/5924, S. 131 Tz. 5.3.1.). Diese Einschätzung folgte wohl der praktischen Bedeutungslosigkeit der Kriterien, die aber sicherlich auch dadurch begründet war, dass die wesentlich strengeren Voraussetzungen der Nummern 1 und 2 schwerer durch den Bund zu erfüllen gewesen waren, als die schwammigen Vorgaben der dritten Alternative. 272

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

Ausgangspunkt des Reformprozesses waren die Beratungen der durch den Bundestag 1970 eingesetzten Enquête-Kommission Verfassungsreform275, die an die Kritikpunkte bezüglich der Formulierung des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 und der praktischen Handhabung anknüpfte. In ihrem Schlussbericht vom 9. Dezember 1976276 empfahl sie, die „Bedürfnisklausel“ neu zu fassen. Durch die Neufassung des Absatzes 2 und der Einführung eines dritten Absatzes sollten die vorgeschlagenen Tatbestandsmerkmale in Zukunft als unbestimmte, jedoch voll überprüfbare Rechtsbegriffe qualifiziert werden277. Dem Bundesverfassungsgericht sprach die Kommission ausdrücklich eine Prüfungspflicht hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der vorgeschlagenen Absätze 2 und 3, insbesondere auch am Maßstab der „Erforderlichkeit“, zu, falls der Bundesrat oder ein Land dies beantragen würde (vorgeschlagener Absatz 5)278. Diese Vorschläge der Enquête-Kommission bezweckten, den Bund von den zahlreichen Detailregelungen zu entlasten und ihm die Kapazität für die eigentlichen Grundsatz- und Richtlinienentscheidungen zu verschaffen279. Ausdrücklich hervorgehoben wurde im Kommissionsbericht, dass der Geltungsbereich der Neufassung des Art. 72 GG auch für die Gesetzgebung über die Landes- und Kommunalsteuern gelten sollte. Die Kommission sah dabei die Regelung der Einzelheiten der Besteuerung als „leitende Gesichtspunkte“ an, die auch weiterhin eine bundeseinheitliche Gesetzgebung gerechtfertigt hätten280. Nach dem Willen der Enquête-Kommission sollte sich damit für den Bereich der Steuergesetzgebung 275 Zu den Reformvorschlägen der Enquête-Kommission für den Bereich der Finanzverfassung siehe im ersten Kapitel Seite 36 f. 276 BT-Drs. 7/5924, S. 123 ff. 277 Nach der neuen Regelung des Absatzes 2 sollten die Voraussetzungen der in der Praxis kaum relevanten Nummern 1 und 2 ersatzlos wegfallen. Die Nummer 3 sollte neu formuliert und um ein weiteres Merkmal ergänzt werden. Außerdem wurde vorgeschlagen, die Bundesgesetzgebung auf diejenigen Regelungen zu beschränken, die erforderlich sind, um die Ziele des Absatzes 2 zu erreichen (vorgeschlagener Absatz 3). Dies lief auf eine Annäherung zur Rahmengesetzgebung hinaus, die nach den Vorstellungen der Kommission mit der ursprünglichen konkurrierenden Gesetzgebung zu einem gemeinsamen Zuständigkeitskatalog zusammengefasst werden sollte; dazu BTDrs. 7/5924, S. 130 Tz. 5 lit. a. 278 Die Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts war bei den Beratungen in der Enquête-Kommission heftig umstritten. Diskutiert wurde, ob die Kontrolle der Bedingungen des Art. 72 nicht besser dem Bundesrat als politischem Organ überlassen werden sollte, hierzu BT-Drs. 7/5924, S. 132 f. und das Sondervotum von Stern, BTDrs. 7/5924, S. 138 f. 279 Vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 131. 280 Dies sollte insbesondere für alle wirtschaftsrelevanten Steuernormen gelten, da eine unterschiedliche Regelung zu Wettbewerbsverzerrungen führen und die Wirtschaftseinheit gefährden könnte. Gewisse Verluste an Rechtseinheit in gewissen Randbereichen, etwa der Besteuerung von privatem Grundbesitz oder privaten Kunstsammlungen, konnten nicht ausgeschlossen werden und wurden im Interesse der Stärkung des bundesstaatlichen Systems hingenommen. Vgl. BT-Drs. 7/5924, S. 131 Tz. 5.3. und 5.3.2. und S. 201 Tz. 3.2.

C. Zweite Kompetenzeinschränkung

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keine gravierende Änderung ergeben. Auf die Vorschläge der Enquête-Kommission sollte zwar später immer wieder zurückgegriffen werden, sie brachten jedoch selbst keine Verfassungsreform. Nach fünfzehnjährigem Stillstand der Reformdebatte erhielt sie, wie eingangs erwähnt, durch die Wiedervereinigung Deutschlands neuen Auftrieb. Die Ministerpräsidenten der Länder legten am 5. Juli 1990281 einen „Eckpunkte“-Beschluss vor, der schon durch die ausdrückliche Bezugnahme im Einigungsvertrag viel Beachtung fand. Inhaltlich nahm er wörtlich die Vorschläge der ,Enquête-Kommission Verfassungsreform‘ hinsichtlich der Änderung von Art. 72 GG wieder auf. Im Frühjahr 1991 setzte der Bundesrat die Kommission Verfassungsreform ein. Auch sie wollte die Landesgesetzgeber im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung stärken. Die stark länderfreundlich geprägten Vorschläge der Kommission beinhalteten in ihrem abschließenden Bericht vom 14. Mai 1992282 neben der Neufassung der „Bedürfnisklausel“ höhere Hürden für den Eintritt der Sperrwirkung einer bundesgesetzlichen Regelung für den Landesgesetzgeber. Einer gerichtlichen Kontrolle der Voraussetzungen durch das Bundesverfassungsgericht zog die Kommission eine politische Kontrolle durch den Bundesrat vor283. Im Herbst 1991 setzten schließlich Bundestag und Bundesrat zur Erfüllung des Auftrags aus Art. 5 des Einigungsvertrags die Gemeinsame Verfassungskommission ein284. Sie empfahl in ihrem Bericht vom 5. November 1993285, ebenfalls in Anlehnung an die Vorschläge der EnquêteKommission, eine Neuformulierung des Absatzes 2 mit nur einem einheitlichen Tatbestand286. Darüber hinaus befürwortete die Gemeinsame Verfassungskommission die Kontrolle der Vorschrift durch das Bundesverfassungsgericht, in dem sie die Schaffung einer neuer Verfahrensart im Katalog des Art. 93 Abs. 1 GG, die auch den Landtagen als Antragsteller zugänglich sein sollte, anregten287. Für bundesgesetzliche Regelungen, für die eine Erforderlichkeit im Sinne des vorgeschlagenen Absatzes 2 nicht mehr bestünde, sollte der Bundesgesetzgeber bestimmen können, die Regelung durch Landesrecht ersetzen zu 281

Abgedruckt in ZParl 21 (1990), S. 461 f. Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92 S. 10 ff. 283 Erreicht werden sollte diese dadurch, dass der Bundesgesetzgeber mit Zustimmung des Bundesrates die ,Erforderlichkeit‘ im Sinne des vorgeschlagenen Absatzes 2 gesondert feststellen musste. 284 Zur Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission in Bezug auf Art. 72 Abs. 2 GG siehe im Einzelnen Schmalenbach, S. 86 ff. 285 BT-Drs. 12/6000, S. 30 ff. 286 Vorgeschlagen wurde folgende Formulierung des Absatzes 2: „Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht.“ BTDrs. 12/6000, S. 31. 287 BT-Drs. 12/6000, S. 36. 282

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

dürfen (vorgeschlagener Absatz 3). Damit bildeten die Vorschläge der Gemeinsamen Verfassungskommission den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Bund und Ländern, in dem sie sich auf die Empfehlungen der Enquête-Kommission zurück besannen und die sehr länderfreundlichen Vorschläge der ,Kommission Verfassungsreform‘ des Bundesrates zurückwiesen288. Im sich anschließenden Gesetzgebungsverfahren brachten sowohl der Bundesrat289, als auch die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP gemeinsam aus der Mitte des Bundestages290 jeweils eine Gesetzesinitiative ein. Die Bundesregierung lehnte beide Gesetzesentwürfe, die wörtlich mit den Formulierungen der ,Gemeinsamen Verfassungskommission‘ übereinstimmten, in ihrer Stellungnahme als „insgesamt unausgewogen“ ab und bescheinigte ihnen, „zu erheblichen Rechtsunsicherheiten und praktischen Schwierigkeiten“ zu führen291. Insbesondere stelle der Entwurf zu Art. 72 Abs. 2 GG „erhebliche Gefahren für die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ dar. Zwar stimmte sie im Grundsatz der Justitiabilität der Vorschrift zu, forderte aber, dass dem Bund ein angemessener Gestaltungsspielraum belassen werden müsse und die Kompetenzabgrenzungen hinreichend klar konturiert und berechenbar sein müssten, um das Verfassungsgericht nicht zu einer politischen Entscheidung zu nötigen292. Ähnlich ablehnend äußerte sich auch der Rechtsausschuss des Bundestages293. Beeinflusst durch diese kritischen Stellungnahmen lehnte der Bundestag die vorgeschlagenen Änderungen zu Art. 72 GG und Art. 93 Abs. 1 GG ab294. Dieses Ergebnis war für die Länder nicht tragbar, die daraufhin durch den Bundesrat den Vermittlungsausschuss anriefen295. Die Vorschläge der ,Gemeinsamen Verfassungskommission‘ zu Art. 72 GG stellten das „absolute Minimum“ für die Verteilungen von Gesetzgebungszuständigkeiten dar und waren für die Länder ebenso wenig verzichtbar, wie die Überprüfung der Voraussetzungen des neuen Art. 72 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht. Den Forderungen des Bundesrates weitgehend folgend, beinhaltete der Vermittlungsvorschlag wieder die von der ,Gemeinsamen Verfassungskommission‘ empfohlene Fassung des Art. 72 288 Vgl. etwa die Stellungnahme der Gemeinsamen Verfassungskommission zur „politischen“ Lösung der Bedürfnisfrage BT-Drs. 12/6000, S. 33. 289 BR-Drs. 886/93; zur Begründung des Gesetzentwurfs ebd., S. 6 f. 290 Interfraktioneller Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und FDP, BT-Drs. 12/6633 vom 20.01.1994; zur Begründung S. 8 f. 291 Stellungnahme der Bundesregierung zur Vorlage des Gesetzesentwurfs des Bundesrates an den Bundestag, BT-Drs. 12/7109 vom 17.03.1994, Anlage 2 S. 14 f. 292 BT-Drs. 12/7109 vom 17.03.1994, Anlage 2 S. 14 Tz. 4.3. 293 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses abgedruckt in BT-Drs. 12/8165 vom 28.06.1994, siehe S. 25. 294 Gesetzesbeschlüsse des Bundestags vom 30.06.1994, abgedruckt in BR-Drs. 743/94 und 744/94. 295 Beschluss des Bundesrates vom 26.08.1994, BR-Drs. 742/94.

C. Zweite Kompetenzeinschränkung

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GG, abgesehen von dem Austausch des Merkmals ,Rechtseinheit‘ gegen ,Rechts- oder Wirtschaftseinheit‘ im Absatz 2 der Vorschrift296. Auch eine Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht wurde durch Ergänzung des Art. 93 Abs. 1 GG wieder in den Vorschlag aufgenommen297. Diesen Empfehlungen des Vermittlungsausschusses stimmten der Bundestag am 6. September 1994 und der Bundesrat am 23. September 1994 mit den jeweils notwendigen Zweidrittelmehrheiten zu. Das auf diesem Wege zustande gekommene „42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes“298 wurde am 3. November 1994 verkündet299. Am 15. November 1994 trat es nach einem langen und mühevollen Schöpfungsprozess in Kraft. Hiermit sollte nun das erklärte Ziel erreicht sein, den Ländern mehr Kompetenzen zu verleihen, die Voraussetzungen zu „konzentrieren, verschärfen und präzisieren“300 und die als unzureichend empfundene Justitiabilität der „Bedürfnisklausel“ durch das Bundesverfassungsgericht zu verbessern301. 2. Reaktionen auf die neue „Erforderlichkeitsklausel“ Bereits der Entwurf der ,Gemeinsamen Verfassungskommission‘ stand in der Kritik, der Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit im Bundesstaat Vorschub zu leisten und dadurch wichtige Standards zu gefährden302. Als Einfallstor für eine drohende Rechtszersplitterung wurde das neue Tatbestandsmerkmal der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ angesehen, da es keinen objektivierbaren Maßstab gäbe, nachdem sich bestimmen ließe, wann die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gleichwertig, aber gerade nicht einheitlich seien303. Die Kritiker bemängelten, dass die mit der Neuformulierung der ersten Zielvorgabe verfolgte Absicht, die innerstaatliche Vielfalt und die föderative Wettbewerbsfähigkeit zu fördern304, für die konkrete Auslegung des Merkmals nicht viel helfe305. 296 Die auf Wunsch der SPD-Fraktion erfolgte Einbeziehung des Begriffs der ,Wirtschaftseinheit‘ in die Regelung erfolgte mit dem Ziel, die Regelungskompetenz des Bundes für den Bereich der beruflichen Bildung zu sichern, BT-Drs. 12/8165, S. 31 f. 297 Siehe BR-Drs. 834/94. 298 BGBl. I 1994, S. 3146 ff. 299 Die Ausfertigung erfolgte zuvor am 27. Oktober 1994. 300 BT-Drs. 12/7109, S. 9. 301 Aus den Begründungen der Gesetzesinitiativen des Bundesrates (BR-Drs. 886/ 93, S. 16 f.) und der CDU/CSU-, SPD- und FDP-Fraktionen (BT-Drs. 12/6633, S. 8). 302 Degenhart, ZfA 1993, S. 419 ff.; Sannwald, DÖV 1994, S. 632 ff.; ders. ZG 1994, S. 139; Rohn/Sannwald, ZRP 1994, S. 68 Fn. 50. Gefahren wurden beispielsweise für den Bereich des Umwelt- und Arbeitsschutzes, der Berufsausbildung oder des Gewerberechts gesehen. 303 Sannwald, DÖV 1994, S. 633; ders. ZG 1994, S. 139; Rohn/Sannwald, ZRP 1994, S. 68 Fn. 50. 304 So Scholz ZG 1994, S. 12.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

Hingegen wurde die Wirkungsweise des Tatbestandmerkmals der ,Rechtseinheit‘ als kompetenzbegründend für den Bund eingestuft, wobei dem Kriterium des „gesamtstaatlichen Interesses“ nur geringe Bedeutung beigemessen wur-de306. Damit wurden die Vorschläge von den Kritikern als Gefahr für das bundesstaatliche Verfassungsgefüge gesehen307. Sannwald kritisierte, dass bei den Änderungsvorschlägen zu Art. 72 Abs. 2 GG die Auswirkungen auf die Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG nicht hinreichend bedacht wurden308. Möglicherweise könnte der Bund eine Steuerrechtszersplitterung nicht mehr verhindern oder bei einem verstärkten Steuerwettbewerb zu Gunsten finanzschwacher Länder nicht steuernd eingreifen. Die nachfolgende Kritik an der Gesetz gewordenen Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG richtet sich zuvörderst gegen die weiterhin bestehende Unbestimmtheit der darin enthaltenen Rechtsbegriffe309. Es wird bezweifelt, ob die Wortlautänderung die als ungenau angesehene alte Fassung inhaltlich derart präzisiert hat, dass sie einer vollen gerichtlichen Prüfung zugänglich ist310. Im Allgemeinen wird jedoch die Justitiabilität der neuen Vorschrift bejaht311, dem Bundesgesetzgeber aber bei der Prognoseentscheidung im Rahmen der „Erfor305

Sannwald, ZG 1994, S. 139. In diesem Sinne Sannwald, DÖV 1994, S. 633; ders. ZG 1994, S. 140; anders aber Scholz ZG 1994, S. 12, nach dem das Merkmal einem „bundesrechtlich-übergewichtigen Automatismus“ entgegenwirken soll und daher eine „gesamtstaatliche Legitimation“ nötig sei, um den Zuständigkeitsbereich des Bundes zu eröffnen. 307 Vgl. den Ansatz von Degenhart, ZfA 1993, S. 419 ff. Berücksichtige man, dass sich die Grundrechte des Bürgers vermehrt in überregionalen Sachverhalten verwirklichen, etwa im Bereich der Wirtschaft, Wissenschaft und Meinungsbildung, haben Bund und Länder für diese Sachverhalte eine gesamtstaatliche Grundrechtsverantwortung. Jedoch sei die Verwirklichung von Grundrechten für den Bürger bei einer Vielzahl von landesrechtlichen Regelungen wesentlich erschwert. Die notwendige Konsequenz aus der gesamtstaatlichen Grundrechtsverantwortung sei es daher, durch eine einheitliche Gesetzgebung die Grundrechte zu gewährleisten. 308 DÖV 1994, S. 634; ders. ZG 1994, S. 140, hier aber ohne nähere Ausführung. 309 So Waldhoff, S. 91 ff.; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 72 Rn. 36 a. E.; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 86 ff.; anschaulich Pestalozza, JZ 1998, S. 1044: „. . . den einen Wortnebel durch einen anderen zu ersetzen, erklärt nichts“. 310 Verneinend: Pestalozza, JZ 1998, S. 1044; Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S. 231; Stehr, S. 127 ff.; Degenhart in: Sachs, Art. 72 Rn. 11; Neumeyer, FS Kriele, S. 565 ff.; ders. S. 170 f. will Art. 72 Abs. 2 GG weiterhin entsprechend den Grundsätzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 29.11.1961 (BVerfGE 13, 230 (233 f.)) auslegen, siehe zu diesem Urteil Seite 62 f. 311 Gerade der alte Satzteil „soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil“, aus dem die Rechtsprechung die Injustitiabilität maßgeblich hergeleitet hatte, sei durch die objektive Formulierung „erforderlich macht“ ersetzt worden, so dass der Wortlaut der Neufassung die Distanzierung zur praktizierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehr als deutlich hervor treten lasse; so etwa die Begründung von Kenntner, S. 151. 306

C. Zweite Kompetenzeinschränkung

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derlichkeit“ eine mehr oder weniger große Einschätzungsprärogative eingeräumt312. Allerdings erfährt die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG nicht nur Kritik, sondern wird auch als Chance für eine Stärkung des föderalen Elements im Bundesstaat begriffen313. Einen für die Untersuchung interessanten Schwerpunkt der Diskussionen bildet die Frage, ob das Merkmal der „Erforderlichkeit“ auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinausläuft. Dies wird in der Literatur teilweise bejaht. Zwar sei das Verhältnismäßigkeitsprinzip aus der Grundrechtsdogmatik entwickelt worden, um bei Eingriffen in individuell schützende Grundrechte Individual- und Allgemeinheitsinteressen in einen angemessen Ausgleich zu bringen, jedoch könne der Grundgedankte des Verhältnismäßigkeitsprinzips auch im Bund-Länder-Verhältnis, in dem es um die objektive Kompetenzordnung geht, zu nutze gemacht werden314. Dazu werden zwei Begründungsansätze vertreten: Zum einen wird von einigen Befürwortern die Prüfung unmittelbar aus dem Wortlaut „erforderlich“ hergeleitet, der Teil des hergebrachten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei315. Eine Maßnahme wäre danach erforderlich, wenn das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel nicht auf eine andere, weniger belastende Weise ebenso gut erreicht werden kann316. Als zweite Variante wird zur Begründung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung das, aus dem Europarecht bekannte, Subsidiaritätsprinzip (Art. 3b Abs. 2 EG) herangezogen317. In seinem so genannten ,Maastricht-Urteil‘ definierte das Bundesverfassungsgericht das Subsidiaritätsprinzip als eine Begrenzung der vertraglich eingeräumten Handlungsbefugnisse der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedstaaten. Erst wenn das Tätigwerden der Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene nicht zur Erreichung der gesetzten Ziel ausreicht, darf der Gemeinschaftsgesetzgeber von seiner Handlungsbefugnis Gebrauch machen, wenn „die Ziele in Anbetracht des Umfangs 312 Vgl. Calliess, DÖV 1997, S. 897 ff.; Jarass, NVwZ 2000, S. 1092 f. (enger noch zuvor ders,. NVwZ 1996, S. 1042); Kenntner, S. 174 ff.; Kröger/Moos, BayVBl 1997, S. 713; Schmehl DÖV 1996, S. 727 f.; Sommermann, Jura 1995, S. 395; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 72 Rn. 24 ff.; Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 72 Rn. 41; Stettner in: Dreier, 1. Aufl. 1998, Art. 72 Rn. 17. 313 Vgl. Kenntner, S. 179 f.; Kröger/Moss, BayVBl 1997, S. 705 ff.; Sommermann Jura 1995, S. 399. 314 So Calliess, DÖV 1997, S. 895 ff.; Kröger/Moos, BayVBl 1997, S. 709 ff.; Müller, S. 60 f.; Stettner in: Dreier, Art. 72 Rn. 18; siehe aber Schmehl, DÖV 1996, S. 726 f., der eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne ablehnt, die Erforderlichkeit vielmehr als „geeignet und notwendig“ definiert; kritisch auch Degenhart in: Sachs, Art. 72 Rn. 10; Knorr, S. 149 ff.; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 72 Rn. 28; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 107 ff.; Stehr, S. 69 ff. 315 In diesem Sinne Müller, S. 60 f.; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 72 Rn. 10; Stettner in: Dreier, Art. 72 Rn. 18. 316 Ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Grundrechtsprüfung stellvertretend BVerfG v. 01.08.1978, BVerfGE 49, 24 (58) m.w. N. 317 So Calliess, DÖV 1997, S. 895 ff.; Kröger/Moos, BayVBl 1997, S. 709 ff.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

und der Wirkungen der Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene zu erreichen sind“318.

D. Die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG Um Anhaltspunkte für die Voraussetzungen zur Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenz des Bundes in Bezug auf die Landessteuern zu gewinnen, folgt eine umfassende Darstellung und Analyse der grundlegenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG. Im Jahre 2002, etwa acht Jahre nach dem Inkrafttreten des neu gefassten Art. 72 Abs. 2 GG, musste sich das Bundesverfassungsgericht erstmals mit der reformierten Vorschrift intensiv auseinandersetzen319. In seinem ersten Urteil zu Art. 72 Abs. 2 GG, das als Leitentscheidung für dessen Auslegung zu sehen ist, legte es den Grundstein für den Umgang mit der neuen „Erforderlichkeitsklausel“. Konsequent wandte das Gericht seine neu entwickelten, engen Prüfungsmaßstäbe in den folgenden Entscheidungen an, so dass es erstmals in seiner Geschichte Bundesgesetze wegen Verstoßes gegen Art. 72 Abs. 2 GG für nichtig erklärte. Als Reaktion auf die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde bereits von einer neuen „Bissigkeit“320 der Norm gesprochen. Jedoch bleiben dogmatische Ungereimtheiten, die im Folgenden noch aufzuzeigen sind, deren Lösung die Zielsetzung dieser Untersuchung allerdings überschreitet. Das Schrifttum begrüßte überwiegend die neuen Entscheidungen des Verfassungsgerichts321, bezweifelte aber zugleich, dass durch die recht abstrakte Interpretation der Tatbestandsmerkmale die Entscheidungen als Anleitung für den künftigen Bundesgesetzgeber dienen könnten322.

I. Die ,Altenpflege-Entscheidung‘ Anlass zur ersten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG gab ein Normenkontrollantrag der Bayrischen Staatsregierung. Gegenstand des Verfahrens war das Gesetz über die Berufe der Altenpflege 318

BVerfG v. 12.10.1993, 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155 (210 f.). Bis dahin war die Vorschrift zu einem „Dornröschenschlaf“ verurteilt, so anschaulich Backert, BayVBl 2006, S. 130. 320 Kenntner, NVwZ 2003, S. 823. 321 Vgl. Depenheuer, ZG 2003, S. 177 ff.; ders. ZG 2005, S. 83 ff.; Jochum, NJW 2003, S. 29 f.; Kenntner, NVwZ 2003, S. 821 ff.; ders. DVBl 2003, S. 259 ff.; Krausnick, DÖV 2005, S. 902 ff.; Waldhoff JuS 2005, S. 395 f.; im Ergebnis auch Calliess, EuGRZ 2003, S. 190 ff.; Stettner, JZ 2005, S. 619 ff. 322 Brenner, JuS 2003, S. 853 f.; in diese Richtung auch Hain/Uecker, Jura 2006, S. 52. 319

D. Die neue Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG

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(AltPflG) sowie zur Änderung des Krankenpflegegesetzes vom 17. November 2000323. Die Antragstellerin machte geltend, dass Art. 1 des Gesetzes wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Bundes mit Art. 70 GG, hilfsweise mit Art. 72 Abs. 2 GG, unvereinbar sei. Nachdem das Verfassungsgericht in seinem Urteil vom 24. Oktober 2002324, im Folgenden ,Altenpflege-Entscheidung‘ genannt, die Regelungen zur Berufsausbildung des Altenpflegers als Zulassungsregelungen zu „anderen Heilberufen“ und damit in den Sachbereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG eingeordnet hatte325, prüfte es ausführlich die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Regelungen des Altenpflegegesetzes über die Berufsausbildung des Altenpflegers zur Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse nach Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich sind und wies insoweit die Anträge zurück326. 1. Justitiabilität der „Erforderlichkeitsklausel“ Gleich zu Beginn der Prüfung stellte das Bundesverfassungsgericht in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ fest, dass hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG ein von verfassungsgerichtlicher Kontrolle freier gesetzgeberischer Beurteilungsspielraum nicht bestehe327. Diese Aussage beinhaltet eine unmissverständliche Abkehr des Gerichts von seiner alten Rechtsprechung, die es aus der Stellung der neuen Norm im System des Grundgesetzes, dem Normsinn und dem Willen des Verfassungsgebers überzeugend ableitete. Die Entstehungsgeschichte zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949 zog es als Auslegungshilfe für die Neufassung nicht heran328. Das Bundesverfassungsgericht betonte in seiner Be323

BGBl. I 2000, S. 1513 ff. 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 ff.; vgl. dazu die Stellungnahmen in der Literatur: Backert, BayVBl 2006, S. 129 ff.; Brenner, JuS 2003, S. 852 ff.; Calliess, EuGRZ 2003, S. 181 ff.; Depenheuer, ZG 2003, S. 177 ff.; Faßbender, JZ 2003, S. 332 ff.; Hanebeck, ZParl 2003, S. 745 ff.; Jochum, NJW 2003, S. 28 ff.; Kenntner, NVwZ 2003, S. 821 ff.; ders. DVBl 2003, S. 259 ff.; Lechleitner, Jura 2004, S. 746 ff.; Pechstein/Weber, Jura 2003, S. 82 ff.; Sachs, JuS 2003, S. 394 ff.; Stelkens, GewArch 2003, S. 187 ff.; Waldhoff, Föderalismusreform in Deutschland, S. 61 ff.; Winkler, JA 2003, S. 284 ff.; Würtenberger, S. 74 ff.; zuvor bereits Hense BayVBl 2001, S. 353 ff. 325 Die Regelungen zur Berufsausbildung des Altenpflegehelfers konnten dagegen nicht auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gestützt werden, da der Beruf des Altenpflegehelfers kein „anderer Heilberuf“ im Sinne dieser Vorschrift ist. 326 Die Regelungen zur Berufsausbildung des Altenpflegehelfers hielt das Bundesverfassungsgericht hingegen mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes (siehe Fn. 325) für mit Art. 70, 74 Abs. 1 GG unvereinbar und erklärte sie für nichtig. 327 BVerfGE 106, 62 (135). 328 Dies begrüßt ausdrücklich Kenntner, DVBl 2003, S. 260; kritisch Neumeyer, S. 151 f.; ders., FS Kriele, S. 560 in Bezug auf die Verhandlungen der ,Gemeinsamen Verfassungskommission‘. 324

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

gründung besonders, dass in der Grundgesetzänderung eine klare Anweisung des verfassungsändernden Gesetzgebers an das Gericht zu sehen sei, seine frühere Rechtsprechung zu ändern. Eine Abweichung von dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers wegen grundlegend veränderter Bedingungen komme nicht in Betracht, da die Vorschrift des Art. 72 Abs. 2 GG erst seit kurzer Zeit in Kraft sei. Den Kritikern in der Literatur, die nach wie vor dem Bundesgesetzgeber einen gewissen Beurteilungsspielraum im Rahmen des Art. 72 Abs. 2 GG zugestehen wollten329, erteilte das Gericht damit eine deutliche Absage. Zur weiteren Begründung führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass die beabsichtigte Distanz zur früheren Rechtsprechung schon im Wortlaut der Norm zum Ausdruck komme, in dem der Gesetzgeber den als Anknüpfungspunkt für seine restriktive Rechtsprechung gewählten Satzteil „soweit ein Bedürfnis nach bundesgesetzlicher Regelung besteht, weil“ durch das neue Erforderlichkeitsmerkmal ersetzt habe. Außerdem sei das Ziel der Norm, die Länder vor einer weiteren Auszehrung ihrer Gesetzgebungskompetenzen zu schützen, nur durch eine gerichtliche Kontrolle der Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes wirkungsvoll zu erreichen. Die gegenteilige Auffassung würde dazu führen, dass das in den Katalog des Art. 93 Abs. 1 GG neu eingefügte, eigenständige gerichtliche Verfahren zur Überprüfung der Kriterien des Art. 72 Abs. 2 GG leer liefe. Damit stützte sich das Gericht zu Recht entscheidend auf die Methode der genetischen Auslegung, die es in seiner bisherigen Rechtsprechung allenfalls subsidiär zur Stützung der durch die Auslegung am Sinn und Zweck der Norm oder am Wortlaut gefundenen Ergebnisse herangezogen hatte330. Die Gründe für den Wandel bei der Auslegungsmethodik von Verfassungsnormen sind in den besonderen Umständen der Verfassungsänderung zu finden. Aus den Gesetzesmaterialien zu Art. 72 Abs. 2 GG tritt ausdrücklich der Wille des Gesetzgebers hervor, mit der Verfassungsänderung eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949 zur Stärkung der Länderkompetenzen bewirken zu wollen331. Dieser „klaren Anweisung“ wollte und konnte sich auch das Bundesverfassungsgericht nicht mehr entziehen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Grundsatz der Justitiabilität der neuen Erforderlichkeitsklausel in aller Deutlichkeit festgestellt hatte, musste es sich mit der wesentlich schwierigeren Frage der Reichweite der gerichtlichen Nachprüfung auseinandersetzen. Methodisch qualifizierte das Gericht die Tatbestandsmerkmale des Art. 72 Abs. 2 GG ausdrücklich als unbestimmte Rechtsbegriffe, die, im Gegensatz zu Ermessensentscheidungen, aus sich heraus keine Grenzen der gerichtlichen Überprüfung aufweisen. Die Reichweite der gerichtli329 330 331

Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 310. Vgl. zu dieser Rechtsprechung Fn. 202. Vgl. dazu in diesem Kapitel Seite 65 ff.

D. Die neue Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG

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chen Nachprüfung sei aber abhängig, so das Gericht, von der Konkretisierungsfähigkeit der Tatbestandsmerkmale und der Weite eines dem Bundesgesetzgeber einzuräumenden Einschätzungsspielraums bei der Ermittlung von Tatsachen, sowie beim Prognostizieren tatsächlicher Entwicklungen. Zur Entwicklung eines verlässlichen, die Balance zwischen Bund und Ländern wahrenden Kontrollmaßstabs konkretisierte das Bundesverfassungsgericht in der ,Altenpflege-Entscheidung‘ erstmals die als legitime Ziele einer zulässigen Bundesgesetzgebung qualifizierten Rechtsgüter der ,gleichwertigen Lebensverhältnisse‘ und der ,Rechts- und Wirtschaftseinheit‘, sowie das Erforderlichkeitskriterium selbst. 2. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Nach einem Hinweis auf die textliche Änderung von den ,einheitlichen‘ hin zu den ,gleichwertigen‘ Lebensverhältnissen, in der das Gericht eine Betonung des föderativen Gedankens im Bundesstaat, der Raum für regionale Besonderheiten der einzelnen Länder bietet und nicht auf nivellierende Vereinheitlichung angelegt ist, sah332, grenzte es zunächst negativ aus: „Das Erfordernis der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ ist nicht schon dann erfüllt, wenn es nur um das Inkraftsetzen bundeseinheitlicher Regelungen geht.“ Auch eine schlichte Verbesserung der Lebensverhältnisse reiche für ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers nicht aus333. Positiv definierte es sodann: „Das bundesstaatliche Rechtsgut der gleichwertigen Lebensverhältnisse ist vielmehr erst dann bedroht und der Bundesgesetzgeber erst dann zum Eingreifen ermächtigt, wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet“334. Damit verlangte das Bundesverfassungsgericht substanzielle Beeinträchtigungen der bundesstaatlichen Ordnung. Erst wenn in den einzelnen Bundesländern besondere, tatsächliche Umstände in den Lebensverhältnissen aufgetreten oder zumindest erkennbar sind, die ein deutliches Sozialgefälle bedeuten, durch welches etwa spürbare Wanderbewegungen oder Störungen im friedlichen Zusammenleben drohen335, darf der Bundesgesetzgeber regelnd eingreifen. Geset332

BVerfGE 106, 62 (143). Dies ergebe sich in systematischer Hinsicht aus einem Vergleich mit Art. 91a Abs. 1 GG, nach dem der Bund zur Erfüllung von Aufgaben der Länder mitwirke, wenn seine Mitwirkung zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist. Hätte der Gesetzeber bei der Kompetenznorm des Art. 72 Abs. 2 GG inhaltlich das Gleiche gemeint, hätte er auch die entsprechende Formulierung gewählt. Außerdem würde eine so verstandene Interpretation dem als Beschränkung der Gesetzgebungskompetenz fungierenden Tatbestandsmerkmal die Wirkung nehmen, da Verbesserungen der Lebensverhältnisse immer möglich und wünschenswert seien (BVerfGE 106, 62 (144)). 334 BVerfGE 106, 62 (144). 333

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zesvielfalt in den Bundesländern ist gerade Ausdruck der Bundesstaatlichkeit, soweit sie nicht die Fundamente des Bund-Länder-Verhältnisses gefährden. Dem Bundesgesetzgeber erteilte das Bundesverfassungsgericht für zukünftige Gesetzgebungsvorhaben eine klare Handlungsanweisung, will er sich zur Begründung der Inanspruchnahme seiner Gesetzgebungskompetenz auf das Vorliegen der ersten Zielvorgabe berufen. Das erforderliche Tatsachenmaterial, um die Entwicklung der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik beurteilen zu können, müsse der Bundesgesetzgeber sorgfältig ermitteln. Erst wenn dieses eine fundierte Einschätzung der gegenwärtigen Situation und der künftigen Entwicklungen zulasse, könne das Bundesgesetz auf dieses Ziel gestützt werden336. Damit legte das Bundesverfassungsgericht dem Bundesgesetzgeber eine qualifizierte Begründungs- und Darlegungslast auf. Die Hürden sind für den Bundesgesetzgeber nicht nur bei der Darlegung und Materialbeschaffung hoch angelegt, sondern auch die restriktive Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals lässt vermuten, dass sich seine Anwendung auf seltene Ausnahmefälle reduzieren wird337. Damit verfolgte das Bundesverfassungsgericht strikt seine eingangs erwähnte Interpretation zum neuen Begriff der ,gleichwertigen‘ Lebensverhältnisse. Durch die Textveränderung werde, so das Gericht, die durch Art. 72 Abs. 2 GG 1949 kompetenziell legitimierte Vereinheitlichung im Bundesgebiet durch den Bundesgesetzgeber deutlich zurückgenommen338. In Bezug auf die Altenpflege entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in einem Bundesland im Vergleich zu anderen Bundesländern erst dann verfehlt werde, wenn die ausgebildeten Al335

So auch Depenheuer, ZG 2003, S. 183; Waldhoff, JuS 2005, S. 395. BVerfGE 106, 62 (144). 337 Ebenso Brenner, JuS 2003, S. 853; Depenheuer, ZG 2003, S. 183; Waldhoff, Föderalismusreform in Deutschland, S. 63. 338 BVerfGE 106, 62 (144) m.w. N.; kritisch Stettner, JZ 2005, S. 621; ders. in: Dreier, Art. 72 Rn. 21 Fn. 65, der in der alten Formulierung der ,einheitlichen Lebensverhältnisse‘ eine stärkere Beschränkung des Bundesgesetzgebers sieht, als in der Neufassung (zustimmend Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 15 Fn. 19). Dabei verkennt Stettner jedoch, dass es sich bei dem Tatbestandsmerkmal um Zielvorgaben handelt, zu dessen Verwirklichung der Bundesgesetzgeber tätig werden darf, wenn dies erforderlich ist. Mit der Qualität des Kriteriums als Zielvorgabe erklärt sich aber, dass zum Erreichen des Ziels ,einheitlicher‘ Lebensverhältnisse weiter reichende Regelungen von Nöten sind, als für die Herstellung lediglich ,gleichwertiger‘ Lebensverhältnisse. Mit anderen Worten genügt es, wenn mit dem zu beurteilenden Gesetz ein Beitrag zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet geleistet wird (Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung ist dieser Beitrag dann auf seine Geeignetheit und Erforderlichkeit im engeren Sinne zur Zielerreichung zu prüfen, vgl. hierzu Seite 80 ff.). Der Zeitpunkt an dem ,gleichwertige‘ Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik anzunehmen sind, ist jedoch früher erfüllt, als der Zustand ,einheitlicher‘ Lebensverhältnisse, falls es letzteren überhaupt geben kann. Vgl. auch Calliess, EuGRZ 2003, S. 188. 336

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tenpfleger oder die Pflegebedürftigen auf Grund der Mängel in der bisherigen landesgesetzlichen Regelung in diesem Land deutlich schlechter gestellt seien339. Das Bundesverfassungsgericht konnte allerdings solche Feststellungen mangels fundierter Tatsachen weder im Gesetzgebungsverfahren noch im Normenkontrollverfahren erkennen und sah daher die erste Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG als nicht erfüllt an. 3. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse Anknüpfend an die Interpretation der ersten Zielvorgabe betonte das Bundesverfassungsgericht auch bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der ,Wahrung der Rechtseinheit‘, dass unterschiedliche Rechtslagen für die Bürger notwendige Folge des bundesstaatlichen Aufbaus seien340. Deswegen reiche eine allein bezweckte Rechtsvereinheitlichung für die Inanspruchnahme der Bundesgesetzgebungskompetenz nicht aus. Ein derart formales Verständnis des Begriffs ,Rechtseinheit‘ würde die föderale Kompetenzverteilung geradezu ins Gegenteil verkehren, da bundesgesetzliche Regelungen stets, landesgesetzliche Regelungen aber nur in Ausnahmefällen ,Rechtseinheit‘ bedeuten würden341. Vielmehr führte das Bundesverfassungsgericht aus: „Eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene erfüllt die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erst dann, wenn sie eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann.“342 Das Bundesverfassungsgericht sieht das Rechtsgut der Rechtseinheit erst dann bedroht, wenn die „Erhaltung einer funktionsfähigen Rechtsgemeinschaft“ durch die Unterschiedlichkeit des Gesetzesrechts oder die fehlende Regelung einer Materie gefährdet ist. Exemplarisch erläuterte es seine Auslegung an Hand auftretender Probleme durch unterschiedliche landesrechtliche Regelungen auf dem Gebiet des Personenstandsrechts oder Unterschiede im Gerichtsverfassungs- oder im Verfahrensrecht. Außerdem können in den Rechtsgebieten der konkurrierenden Gesetzgebung bundesgesetzliche Regelungen bei einer Bedrohung der Rechtssicherheit und der Freizügigkeit im Bundesstaat erforderlich werden. Somit bleibt das Gericht seiner Interpretationslinie treu, in dem es nochmals hervorhebt, dass Gesetzesvielfalt in einer föderativen Staatsordnung nicht nur hingenommen werden muss, sondern Grundelement eines Bundesstaates ist. Die Grenze der zumutbaren Rechtsvielfalt ist erst bei einer nicht hinnehmbaren „Rechtszersplitterung“ erreicht. Das Gericht räumte dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zur Beseitigung dieses Zustandes aber nur dann ein, wenn das vereinheitlichende Gesetz nicht nur im Interesse des Bun339 340 341 342

BVerfGE 106, 62 (153 f.). BVerfGE 106, 62 (145). In diesem Sinne auch Depenheuer, ZG 2003, S. 184. BVerfGE 106, 62 (145).

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des, sondern auch im Interesse der Länder erfolgt. Zu diesem Auslegungsergebnis kam bereits Scholz343, der hierzu den Passus ,im gesamtstaatlichen Interesse‘ heranzog. Das Bundesverfassungsgericht erwähnte diesen Tatbestandsteil im Zusammenhang mit der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ zwar nicht ausdrücklich, legte den Begriff ,Rechtseinheit‘ aber teleologisch unter einem ,gesamtstaatlichen‘ Blickwinkel aus344. Dem Ergebnis des Bundesverfassungsgerichts ist zuzustimmen, dogmatisch wäre jedoch der Anknüpfungspunkt beim ,gesamtstaatlichen Interesse‘ zu suchen gewesen345. Das Altenpflegegesetz diente nach Ansicht des Bundesverfassungsgericht nicht dem Ziel der ,Wahrung der Rechtseinheit‘, da die angestrebte Rechtsvereinheitlichung nicht deshalb erfolgte, weil die Rechtswirkungen der landesgesetzlichen Ausbildungsregelungen selbst und unmittelbar bundesstaatlichen Interessen entgegenstanden346. 4. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse Von besonderer Bedeutung für die weitere Untersuchung ist das Merkmal der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘, da sich aus Steuergesetzen regelmäßig Auswirkungen auf das wirtschaftliche Gefüge der Bundesrepublik ergeben347. Aber gerade an dieser Stelle erscheint die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts, im Vergleich zu den engen Vorgaben für die ersten beiden Ziele, weniger restriktiv. Vielmehr ließ das Gericht bei der Konkretisierung erheblichen Spielraum für weitere Auslegungen, so dass bereits von einer „Öffnungsklausel“348 oder einem „Blankoscheck“349 für den Bundesgesetzgeber gesprochen wurde. Zur Definition führte das Bundesverfassungsgericht aus: „Die Wahrung der Wirtschaftseinheit steht dann im gesamtstaatlichen, also im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern, wenn Landesregelungen 343

ZG 1994, S. 12. Dazu Sachs, JuS 2003, S. 397. 345 Bereits eine grammatische Interpretation des Art. 72 Abs. 2 GG zeigt, dass sich der Tatbestandsteil ,gesamtstaatliches Interesse‘ sowohl auf die Wahrung der Wirtschaftseinheit als auch auf die Rechtseinheit bezieht. Denn im Normtext heißt es: ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘. Um eine Wiederholung des Wortteils ,Einheit‘ zu vermeiden, wurde zwischen beiden Rechtsgütern durch Verwendung des Bindestrichs eine Verknüpfung hergestellt. Diese hat zur Folge, dass sich sowohl das vorangehende Wort ,Wahrung‘ als auch der nachfolgende Teil ,im gesamtstaatlichen Interesse‘ auf beide Rechtsgüter bezieht. Die vom Bundesverfassungsgericht gefundene teleologische Auslegung unterstreicht dieses Ergebnis nur nochmals. 346 BVerfGE 106, 62 (156). 347 Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 47. 348 Hanebeck, ZParl 2003, S. 750. 349 Depenheuer, ZG 2003, S. 185 in Bezug auf den Bereich der beruflichen Ausbildung. 344

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oder das Untätigbleiben der Länder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich bringen.“350 Damit zielt das dritte Kriterium des Art. 72 Abs. 2 GG auf „die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche Regelung“ ab. Dies sei, so das Gericht, mehr als die bloße Schaffung von Rechtseinheit, denn es gehe insoweit um wirtschaftspolitisch bedrohliche oder unzumutbare Auswirkungen einer Rechtsvielfalt oder mangelnder länderrechtlicher Regelung. Unterschiedliche Landesgesetze könnten beispielsweise „Schranken oder Hindernisse für den wirtschaftlichen Verkehr errichten“ oder die Verteilung des personellen und sachlichen Potentials verzerren. Eine weitere Konkretisierung lässt die ,Altenpflege-Entscheidung‘ allerdings vermissen. Da im Bereich der Steuergesetzgebung keine Berührungspunkte mit Berufsausbildungsregelungen gegeben sind, soll auf die ausführliche Subsumtion des Bundesverfassungsgericht unter das Tatbestandsmerkmal der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘351 nur kurz eingegangen werden. Ziel des Altenpflegegesetzes war es, so das Gericht, dem Beruf des Altenpflegers mehr Attraktivität zu verleihen, so dass mehr Nachwuchs im Bereich der Altenpflege gewonnen werden kann. Durch eine bundesweit auf hohem fachlichem Niveau erfolgte Ausbildung, sollte die Mobilität der Fachkräfte verbessert und damit das personelle Potential auf das gesamte Bundesgebiet gleichmäßig verteilt werden. Diese Gesetzesziele reichten dem Bundesverfassungsgericht aus, um die Wirtschaftseinheit im Interesse von Bund und Ländern gewahrt zu sehen, so dass es auf etwaige drohende Störungen der Wirtschaftseinheit nicht mehr ankam. Wo allerdings in den landesrechtlichen Ausbildungsregelungen „erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft“ zu sehen waren, erklärte die ,Altenpflege-Entscheidung‘ nicht. Dies war nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts aber auch nicht notwendig, da es sich bei den zu beurteilenden Vorschriften des Altenpflegegesetzes um Regelungen der Berufsausbildung handelte. Um gerade solche Fälle bundeseinheitlich regeln zu können, war im Zuge des Vermittlungsverfahrens der Begriff der ,Wirtschaftseinheit‘ in die Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG aufgenommen worden352. Dieser gesetzgeberische Wille stellte für das Gericht das entscheidende Argument dar, das Altenpflegegesetz unter dem Aspekt der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ zu rechtfertigen. Gemessen an den in Bezug auf die ,Wirtschaftseinheit‘ selbst aufgestellten Prüfungsmaßstab, vermag die Argumentation des Gerichts aber nicht ganz zu überzeugen353.

350 351 352 353

BVerfGE 106, 62 (147). Dazu BVerfGE 106, 62 (156 ff.). Vgl. dazu Fn. 296. Kritisch auch Brenner, JuS 2003, S. 854.

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5. Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung Das Kriterium der Erforderlichkeit ist das elementare Tatbestandsmerkmal des Art. 72 Abs. 2 GG, bringt es doch sprachlich die Distanzierung von der „Bedürfnisklausel“ am klarsten zum Ausdruck. Das Bundesverfassungsgericht teilte die Erforderlichkeitsprüfung nach dem Wortlaut des Art. 72 Abs. 2 GG in zwei Schritte auf354. Demnach muss in einem ersten Prüfungsschritt entschieden werden, ob für den Bund überhaupt die Gesetzgebungskompetenz für den zu regelnden Sachbereich eröffnet ist („wenn . . . erforderlich“). Wird dies bejaht, muss in einem zweiten Schritt die Reichweite der Kompetenz herausgearbeitet werden („soweit . . . erforderlich“)355. Nochmals betonte das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang entsprechend des Grundtenors der gesamten Entscheidung, dass die föderale Verfassungssystematik darauf angelegt sei, den Ländern „eigenständige Kompetenzräume für partikular differenzierte Regelungen zu eröffnen“356. a) Erster Prüfungsschritt: Eröffnung der Gesetzgebungskompetenz Für die Beantwortung der Frage, ob eine bundesgesetzliche Regelung zur Erreichung der Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich ist, muss das streitgegenständliche Bundesgesetz in dieser Hinsicht auf seine Tauglichkeit untersucht werden. Das Bundesverfassungsgericht stellte dazu nicht allein auf das verfolgte Gesetzesziel ab, da dieses durch den Bundesgesetzgeber selbst definiert wird, sondern auf die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes, soweit diese erkennbar und vorab abschätzbar sind357. Das Gericht folgte damit der Ansicht von Scholz, der bereits während der Geltungszeit des Art. 72 Abs. 2 GG 1949 ein Gesetz nur dann für kompetenzgerecht einstufte, wenn es sich nach „Zweck und Wirkung im Rahmen der verfassungsrechtlichen Gesetzge-

354

Siehe BVerfGE 106, 62 (149). Anders Streppel, S. 53 ff., der der Prüfung des Art. 72 Abs. 2 GG nur die konkrete Regelung zu Grunde legt, so dass sich die Frage nach einer abstrakten Regelungsbedürftigkeit der Sachmaterie durch den Bundesgesetzgeber erübrigt. Die Erforderlichkeit unterscheidet sich nach Streppel durch zwei Aspekte. Unter dem Aspekt der Subsidiarität der bundesgesetzlichen Regelung wird danach gefragt, ob die Länder nicht in ausreichender Weise auf die Verwirklichung der Ziele des Art. 72 Abs. 2 GG hinwirken können. In Anlehnung an das Übermaßverbot wird auf die Handlungsalternativen abgestellt, die dem Bund zur Verfügung stehen und die die Länderzuständigkeiten, bei gleicher Effektivität im Hinblick auf die Erreichung der Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG, weniger stark belasten. Im Ergebnis dürfte Streppel nicht zu abweichenden Ergebnissen gelangen, da das Bundesverfassungsgericht auch das konkret erlassene Bundesgesetz überprüft. Dies kritisiert auch das Sondervotum zur ,Juniorprofessur-Entscheidung‘, BVerfGE 111, 226 (274 ff.) (dazu Seite 85 ff.). 356 BVerfGE 106, 62 (150) m.w. N. 357 BVerfGE 106, 62 (148 f.). 355

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bungsermächtigung“ hält358. Da bei der Abschätzung künftiger, gesetzesbedingter Entwicklungen methodische Unsicherheiten nicht auszuschließen sind, könne, so das Gericht, vom Gesetzgeber kein Tauglichkeitsoptimum verlangt werden. Vielmehr reiche es aus, wenn mit Hilfe des Gesetzes der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Damit zog das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle die aus der Verhältnismäßigkeitsprüfung bekannten Grundsätze zur Prüfung der Eignung des Mittels heran359. Zwar bezeichnete es den ersten Prüfungsschritt zunächst noch als Tauglichkeitsprüfung, stellte jedoch im weiteren Verlauf der Entscheidung fest: „Auch die bislang absehbare Wirkung des Bundesgesetzes ist, anders als die der Länderregelungen, geeignet, die Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse zu wahren.“360 b) Zweiter Prüfungsschritt: Reichweite der Gesetzgebungskompetenz Wird die erste Frage bejaht, muss im zweiten Prüfungsschritt die Reichweite der Gesetzgebungskompetenz des Bundes herausgearbeitet werden. Auch das Regelungsausmaß muss sich am Erforderlichkeitskriterium des Art. 72 Abs. 2 GG messen lassen. Das Bundesverfassungsgericht behalf sich bei der Bestimmung des Regelungsumfangs ebenfalls mit aus der Verhältnismäßigkeitsprüfung bekannten Formulierungen. Grundsätzlich sei landesrechtlichen Regelungen bei gleicher Eignung zur Erfüllung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Zielvorgabe der Vorrang vor einem Bundesgesetz einzuräumen. Dies folge aus den Vorgaben des Grundgesetzes nach Art. 30 GG und Art. 70 GG. Erst wenn die Landesregelungen die Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG nicht oder nicht hinlänglich erreichen können, sei eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich. Damit verweise das Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit den Bund auf den „geringstmöglichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder“361. Jedoch diene Art. 72 Abs. 2 GG nicht dazu, bundeseinheitliche Bundesgesetzgebung von bundesweit koordinierter Landesgesetzgebung abzugrenzen362. Diese Ausführungen bedeuten für das Kompetenzgefüge zwischen Bund und Ländern, 358 Zur funktionalen Qualifikation von Rechtssätzen im Bereich der Handhabung und Auslegung von Gesetzgebungskompetenzen Scholz, FG BVerfG, S. 261 f. 359 So auch Sachs, JuS 2003, S. 398; Stettner, JZ 2005, S. 621 f.; stellvertretend zur ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Geeignetheit Beschluss v. 20.06.1984, 1 BvR 1494/78, BVerfGE 67, 157 (173): „Das Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg geförderte werden kann.“ Hingegen lehnte im Vorfeld der ,Altenpflege-Entscheidung‘ Stehr, S. 71 eine Geeignetheitsprüfung ausdrücklich ab. 360 BVerfGE 106, 62 (160), Hervorhebung durch den Verfasser. 361 BVerfGE 106, 62 (149); kritisch hierzu Calliess, EuGRZ 2003, S. 193 f. 362 BVerfGE 106, 62 (150). Im Hinblick auf die Rechtssicherheit ergänzte das Bundesverfassungsgericht, dass jedes der sechzehn Länder nach Inkrafttreten des bundeseinheitlichen Landesgesetzes aus dem gefundenen Konsens wieder ausscheren könnte.

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dass solange landesrechtliche Regelungen zum Schutz der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Rechtsgüter ausreichen, eine Bundesgesetzgebungskompetenz nicht bestehe. An die Länder gerichtet folgt daraus, dass rein theoretische Gesetzgebungsmöglichkeiten nicht zur Vermeidung eines Bundesgesetzes ausreichen, vielmehr müssen zum Beurteilungszeitpunkt die Länder dem Bundesgesetzgeber durch eigene Gesetze zuvorgekommen sein363. Diesen Grundsatz des „geringstmöglichen Eingriffs“ schränkte das Bundesverfassungsgericht aber sogleich wieder ein. Aus einem Gesetzeskonzept, welches die Hürde des Art. 74 Abs. 1 GG genommen habe und zum Schutze der Rechtsgüter des Art. 72 Abs. 2 GG nach Ziel und Wirkung erforderlich sei, dürfen nur dann einzelne Regelungen als zu regelungsintensiv herausgenommen werden, wenn dadurch nicht die gesamte Wirkung des Gesetzes gefährdet werde. Dies folge daraus, dass dem Gesetzgeber eine Prärogative in Bezug auf Konzept und Ausgestaltung des Gesetzes zustehe. Damit relativierte das Gericht seine Maßstäbe in Bezug auf die Regelungsdichte deutlich. Das Bundesverfassungsgericht bediente sich bei der Bestimmung des Erforderlichkeitskriteriums sowohl auf der ersten, als auch auf der zweiten Prüfungsstufe bewährter Abgrenzungskriterien, um die „Eingriffe“ des Bundes in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen der Länder zu beurteilen. Aus der Gesetzesformulierung „wenn und soweit . . . erforderlich“ leitet es zum einen eine Geeignetheitsprüfung und zum anderen eine Erforderlichkeitsprüfung ab, die auf die Besonderheiten des Bund-Länder-Verhältnisses angepasst wurden. Jedoch ist auf Grund dieser Rechtsprechungsentwicklung nicht davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht in Zukunft die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit auf die bundesstaatliche Kompetenzordnung übertragen will364. Das Bundesverfassungsgericht lehnt eine Übertragung des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf das Staatsorganisationsrecht ausdrücklich ab, da das Bund-LänderVerhältnis nicht mit dem Staat-Bürger-Verhältnis vergleichbar sei365. Jedoch 363 Konkret in Bezug auf das Altenpflegegesetz BVerfGE 106, 62 (161); allgemein Streppel, S. 65 ff. 364 Zu den Ansätzen in der Literatur, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Verhältnis des Bundes zu den Ländern angewendet wissen wollen, siehe Seite 70. 365 BVerfG v. 22.05.1990, 2 BvG 1/88, BVerfGE 81, 310 (338): „Neben der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten gibt es keine Verfassungsgrundsätze, aus denen Schranken für die Kompetenzausübung in dem von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung bestimmten Bund-Länder-Verhältnis gewonnen werden könnten. Aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen sind im kompetenzrechtlichen Bund-Länder-Verhältnis nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; ihm kommt eine die individuelle Rechts- und Freiheitsspähre verteidigende Funktion zu. Das damit verbundene Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff kann weder speziell auf die von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Land bestimmte Sachkompetenz des Landes noch allgemein auf Kompetenzabgrenzungen übertragen werden.“

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hatte es bereits zuvor in seinem ,Rastede-Beschluss‘ vom 23. November 1988366 für den Schutz der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG einen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angenäherten, neuen dogmatischen Ansatz gefunden, nach dem der Gesetzgeber im so genannten Randbereich das Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft bei der Ausgestaltung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zu berücksichtigen habe. Im Rahmen der ,Altenpflege-Entscheidung‘ drängte sich dem Bundesverfassungsgericht die Geeignetheitsprüfung des Bundesgesetzes denknotwendig auf, da nur ein Gesetz, welches zumindest tauglich, mit anderen Worten geeignet ist, die Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zu erreichen, auch daraufhin überprüft werden kann, ob es hierfür das relativ mildeste Mittel darstellt. Eine darüber hinaus gehende Prüfung der Angemessenheit des Bundesgesetzes (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne), in Bezug auf Gewicht und Bedeutung des Gesetzgebungsrechts der Länder, hätte ein Mehr als die bloße Erforderlichkeit des Gesetzes bedeutet. Diese inhaltliche Ausweitung ist jedoch vom Wortsinn des Tatbestandsmerkmals nicht mehr gedeckt367. Festzuhalten bleibt, dass sich das Bundesverfassungsgericht Teilbereiche der grundrechtsdogmatischen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Abgrenzung von Kompetenzausübungsrechten zu nutze gemacht hat, die es bislang für das Bund-Länder-Verhältnis ausdrücklich ausgeschlossen hatte368. Bei der praktischen Umsetzung der entwickelten Maßstäbe stellte das Bundesverfassungsgericht lediglich fest, dass in Bezug auf die Ausbildung zum Beruf des Altenpflegers das Gesetzeskonzept des Bundes auch den konkreten Regelungsumfang trägt369. Konkrete Ausführungen dazu, dass das Reformgesetz das relativ mildeste Mittel ist, die Attraktivität der Ausbildung zu stärken und den Fachkräfteanteil in der Altenpflege zu erhöhen, sind bedauerlicherweise nicht zu erkennen. Damit verstärkt sich der Verdacht, dass das Gericht im Ergebnis die Erforderlichkeitsprüfung auf den ersten Prüfungsschritt reduzieren will und lediglich nach der Geeignetheit des konkreten Gesetzes, gemessen an seiner tatsächlichen Auswirkung, und nicht nach gleich geeigneten, die Landes366

2 BvR 1619, 1623/83, BVerfGE 79, 127 (153 f.). Ebenso im Vorfeld der ,Altenpflege-Entscheidung‘ Schmehl, DÖV 1996, S. 726; im Ergebnis auch Stehr, S. 69 ff.; a. A. Calliess, EuGRZ 2003, S. 193 f., der im Rahmen der Angemessenheit eine Abwägung zwischen dem Gewinn einer bundesgesetzlichen Regelung und dem Verlust der landesrechtlichen Kompetenz vornehmen will. In diesem Sinne auch Stettner, JZ 2005, S. 622; ders. in: Dreier, Art. 72 Rn. 19. 368 So noch BVerfG v. 06.11.1984, 2 BvL 19/83 u. a., BVerfGE 67, 256 (289) „Auch für die Argumentationsfigur des „milderen Mittels“ bietet die Kompetenzordnung des Grundgesetzes keine Grundlage. Ein milderes Mittel ist dort denkbar, wo der Staat in die Rechtsspähre der Bürger eingreift, nicht jedoch bei der Anwendung der Kompetenzordnung und -verteilung zwischen Bund und Ländern, wo es um feste und eindeutige Grenzziehungen geht.“ Vgl. zu den eine Verhältnismäßigkeitsprüfung befürwortenden Stimmen in der Literatur Seite 71 f. 369 BVerfGE 106, 62 (162 f.). 367

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zuständigkeit weniger belastenden Regelungen fragt370. Diese Handhabung deutete sich bereits nach den theoretischen Ausführungen an und fand in der Subsumtion seine erste Bestätigung. 6. Gesetzgeberische Prognosen und verfassungsgerichtliche Kontrolle Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Tatbestandsmerkmale des Art. 72 Abs. 2 GG im Einzelnen konkretisiert hatte, stellte es klar, dass, soweit der Gesetzgeber zur Begründung des Vorliegens der Voraussetzungen der Feststellung gegenwärtiger oder vergangener Tatsachen bedarf, die gerichtliche Kontrolle in Bezug auf Richtigkeit und Vollständigkeit des vom Gesetzgeber herangezogenen Tatsachenmaterials keinerlei Beschränkungen unterliege. Jedoch hänge die Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes dann davon ab, ob das Gesetz auf einer fehlerhaften Tatsachenfeststellung des Gesetzgebers beruht und nicht andere, zutreffende Erwägungen zu seiner Begründung herangezogen werden können371. Bei der Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale des Art. 72 Abs. 2 GG seien zum Teil prognostische Entscheidungen des Gesetzgebers nötig, etwa zur Beantwortung der Frage, ob sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik zukünftig ohne bundesgesetzliche Regelung sozialstaatsbedrohlich auseinander entwickeln werden, oder zur Beurteilung der Gesetzeswirkungen im Rahmen der Geeignetheitsprüfung. Auch bei derartigen Prognoseentscheidungen sei eine umfassende gerichtliche Überprüfung der als Grundlage dienenden Tatsachenfeststellungen möglich. Allerdings habe der Gesetzgeber, so das Bundesverfassungsgericht, bei der Abschätzung in der Zukunft liegender Umstände einen gewissen Prognosespielraum, es sei denn über die Gesetzesauswirkung liegen empirische Daten oder verlässliche Erfahrungssätze vor. Ist dies nicht der Fall, müsse dem Gesetzgeber innerhalb bestimmter Grenzen zugestanden werden, dass das bei der Abschätzung zukünftiger Entwicklungen innewohnende Risiko von Fehlprognosen nicht per se zu einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führe. Die Reichweite des Prognosespielraums müsse im jeweiligen Einzelfall im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ermittelt werden372. Die Billigung von Fehlprognosen durch das Bundesverfassungsgericht darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die Prognosegrundlagen einer intensiven, unbeschränkten Prüfung unterziehen will. Zu prüfen sei dabei, ob der Prognose des Bundesgesetzgebers Sachverhaltsannahmen zu Grunde liegen, die durch diesen sorgfältig und vollständig ermittelt worden sind oder sich im Rahmen 370

Ähnlich auch Depenheuer, ZG 2003, S. 186. BVerfGE 106, 62 (150). 372 BVerfGE 106, 62 (150 ff.). Bei der Beurteilung des Prognosespielraums seien Umstände wie Zeitnot oder unzureichende Beratungen nicht einzubeziehen. 371

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der gerichtlichen Prüfung bestätigen lassen. Außerdem müsse sich die Prognose methodisch auf ein angemessenes Prognoseverfahren stützen lassen, und dieses konsequent im Sinne der ,Verlässlichkeit‘ der Prognose verfolgen. Bei der Kontrolle des Prognoseergebnisses selbst sei darauf abzustellen, ob die tragenden Gesichtspunkte der Prognose mit hinreichender Deutlichkeit offen gelegt worden sind oder dies im Rahmen des Verfahrens noch möglich ist. Außerdem dürften keine sachfremden Erwägungen in die Prognose eingeflossen sein373. Für die zukünftige verfassungsgerichtliche Kontrolle der Prognoseentscheidungen bedeuten die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts, dass eine Prognose des Bundesgesetzgebers, welche die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erfüllt, bei der sich jedoch die tatsächliche Lage anders als vorhergesehen entwickelt, nicht der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung entgegengehalten werden kann374. Ein Prognosespielraum verbleibt dem Gesetzgeber dort, wo zukünftige, ungewisse Entwicklungen abgeschätzt werden müssen375. Ob diese Vorgaben zur Behandlung von gesetzgeberischen Prognoseentscheidungen sich tatsächlich zu einer „eigenständigen Rechtsfigur mit spezifischer Fehlerquellenlehre“376 entwickeln, bleibt den weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG vorbehalten. Für den Bundesgesetzgeber haben diese neuen Grundsätze eine erhöhte Begründungs- und Darlegungslast in Bezug auf das zu Grunde zu legende Tatsachenmaterial und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen zur Folge377. Nur bei einer fundierten Begründung der Erforderlichkeit im Hinblick auf die Zielvorgaben, gestützt auf vollständig ermittelte Tatsachen, kann eine verfassungsgerichtliche Kontrolle erfolgen. Zweifel gehen nach der objektiven Beweislast zu Lasten des Bundesgesetzgebers378.

II. Die ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ Nicht ganz zwei Jahre nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG wendeten sich die Regierungen der Länder Thüringen, Bayern und Sachsen in einem gemeinsamen Normenkontrollantrag erfolgreich gegen das Fünfte Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften vom 16. Februar 2002379. Kern des Änderungsge373

BVerfGE 106, 62 (152 f.). Dazu Streppel, S. 97 ff. 375 Zu Recht weist Backert, BayVBl 2006, S. 130 darauf hin, dass dies keine „Wiedereinführung eines Beurteilungsspielraums durch die Hintertür“ bedeutet. 376 So Jochum, NJW 2003, S. 29. 377 Ebenso Waldhoff, Föderalismusreform in Deutschland, S. 66 ff. 378 Im Ergebnis auch Streppel, S. 99 ff. 379 BGBl. I 2002, S. 693 ff. 374

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setzes war die Einführung der Juniorprofessur (§§ 44 bis 48 Hochschulrahmengesetz), die begabten Nachwuchswissenschaftlern an Stelle der Habilitation eine neue Qualifizierungsmöglichkeit für die Berufung in ein Professorenamt eröffnen sollte. Der Regelungsbereich unterfiel der Rahmengesetzgebung des Bundes nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 1a GG a. F. Insoweit war die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes ebenfalls nur dann eröffnet, wenn die Voraussetzungen des Art. 72 GG erfüllt waren (Art. 75 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz GG a. F.). Das Bundesverfassungsgericht befand mit Urteil vom 27. Juli 2004380, allerdings nicht einstimmig381, dass es für die Regelungen über die Juniorprofessur an der von Art. 72 Abs. 2 GG verlangten Erforderlichkeit bundeseinheitlicher Gesetzgebung fehlte. Insbesondere der Zielvorgabe der Wahrung der Wirtschaftseinheit wurde das Gesetz nicht gerecht. Die Kompetenz des Bundes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes konnte auch nicht auf Art. 125a Abs. 2 GG gestützt werden382. Die ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ knüpfte an die eher noch rechtstheoretischen Vorgaben aus der ,Altenpflege-Entscheidung‘ an und gab ihnen nunmehr auch praktische Schärfe, in dem es die Zuständigkeit des Bundes zur Gesetzgebung ablehnte. Zu den Zielvorgaben der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ und der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ brachte die Entscheidung keine neuen Erkenntnisse. Die eher großzügig geratene Definition der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ schränkte das Gericht etwas ein, als dass sachlich nicht optimale Regelungen der Länder nicht bereits die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums und damit die Wirtschaftseinheit gefährdeten383. Zum ersten Mal bekam der Bundesgesetzgeber deutlich zu spüren, wie ernst es dem Bundesverfassungsgericht mit der Pflicht zur substantiierten Begründung und Darlegung der Vorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG war. In Bezug auf alle Zielvorgaben wies das Gericht den Gesetzgeber mangels hinreichender Darlegung der Vorgaben in seine Schranken384. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts war es Ziel des Hochschulreformgesetzes, die Konkurrenzfähigkeit des Wissenschaftsstandorts Deutschland zu verbessern und dazu die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses

380 2 BvF 2/02, BVerfGE 111, 226 ff. (,Juniorprofessur-Entscheidung‘); vgl. dazu die Stellungnahmen in der Literatur: Batt, ZParl 2004, S. 753 ff.; Degenhart, RdJB 2005, S. 117 ff.; Janz, JuS 2004, S. 852 ff.; Krausnick, DÖV 2005, S. 902 ff.; Lechleitner, Jura 2004, S. 746 ff.; Sachs, EWiR 2004, S. 1087 f.; Würtenberger, S. 87 ff. 381 Sondervotum der Richterinnen Osterloh und Lübbe-Wolff, sowie des Richters Gerhardt, BVerfGE 111, 274 ff. 382 Vgl. näher zur Änderungskompetenz nach Art. 125a Abs. 2 GG im vierten Kapitel Seite 211 ff. 383 BVerfGE 111, 226 (254). 384 Näher BVerfGE 111, 226 (265 f.).

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neu zu ordnen385, in der Erwartung auch international wettbewerbsfähig zu bleiben. Zu Recht stellte das Bundesverfassungsgericht zunächst in Bezug auf die ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ klar, dass zur Erfüllung der Zielvorgabe Auswirkungen des zu beurteilenden Bundesgesetzes auf den Wissenschaftsstandort Deutschland alleine nicht ausreichen, vielmehr das Gesetz Auswirkungen auf die Wirtschaft haben müsse. Bei dem vorliegenden Hochschulrahmengesetz seien wirtschaftliche Aspekte allenfalls mittelbar tangiert, im Vordergrund stehe die Funktionsfähigkeit des Hochschulsystems. Ob diese Gesetzeswirkung für die ,Wahrung der Wirtschaftseinheit, ausreicht, ließ das Gericht jedoch im Unklaren. Dementsprechend verwischten die in der ,Altenpflege-Entscheidung‘ entwickelten Maßstäbe bezüglich der getrennten Prüfung der Zielvorgabe einerseits und der zweistufigen Erforderlichkeit andererseits, geschweige denn, dass ein Prognosespielraum des Gesetzgebers bestimmt wurde. Das Gericht prüfte, ob durch die bundesweite Einführung der Juniorprofessur „nur auf diese Weise“ die Wirtschaftseinheit gewahrt werden kann. Indem es eigene Möglichkeiten zur Behebung der Mängel bei der Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses vorschlug, etwa durch eine Reform der Habilitation oder alternativer Zugangsmöglichkeiten, lehnte es die bundeseinheitliche Einführung der Juniorprofessur zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ ab. Unklar bleibt bei dieser Prüfung, ob das Gericht damit die Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Neuregelung der Hochschullehrerqualifikation zur Erreichung der Zielvorgabe verneinte oder ob es die eigentliche Erforderlichkeitsprüfung, also die Frage nach dem „geringstmöglichen Eingriff“ in das Gesetzgebungsrecht der Länder, vornahm. Der Grund für die Unklarheit könnte darin zu finden sein, dass das Gericht selbst nicht deutlich zwischen Geeignetheit und Erforderlichkeit zu unterscheiden beabsichtigt386. Die Frage des Gerichts nach der optimalen Lösung zielt auf die Geeignetheit des Gesetzes ab. Dies kann auch den weiteren Ausführungen des Gerichts entnommen werden, da es eine bundesgesetzliche Zugangsregelung generell für nicht tauglich hält, die gewünschten Reformziele im Hochschulbereich zu erreichen387 oder zumindest hinreichend zu fördern. Vielmehr habe der Bundesgesetzgeber, so das Gericht, keine durchgreifenden Argumente dafür geliefert, „dass durch divergierende Zulassungsregelungen in den einzelnen Ländern ein Missstand zu erwarten ist, dem allein auf Grund bundeseinheitlicher Vorschriften begegnet werden kann.“ An dieser Stelle setzte auch die Kritik der Senatsminderheit an. Nicht die kon385

BVerfGE 111, 226 (266). Vgl. dazu bereits die Ausführungen zur ,Altenpflege-Entscheidung‘ Seite 81 ff. 387 BVerfGE 111, 226 (267 f.): „Vielmehr haben die vom Senat geladenen Sachverständigen die Frage, ob die Reformziele ohne bundeseinheitliche Regelung verwirklicht werden könnten, im Wesentlichen bejaht. Die angestrebte Stärkung der deutschen Hochschulen im internationalen Wettbewerb sei nicht durch das bundeseinheitliche Festschreiben der Juniorprofessur als ,Königsweg‘ zu erreichen.“ 386

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krete gesetzliche Ausgestaltung einer Regelungsmaterie, sondern die allgemeine Regelungsbefugnis des Bundes, sei Gegenstand der Kompetenzabgrenzung. Der konkrete Inhalt eines Gesetzes spiele nur bei Gesetzen, die in Grundrechte eingreifen, als Teil der materiell-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Rolle. Die Senatsmehrheit verlagere unzulässigerweise die materiellrechtliche Erforderlichkeitsprüfung auf die Kompetenzebene388. Der Senatsminderheit ist insoweit beizupflichten, dass die Ausführungen im Urteil zu Missverständnissen führen können. Insbesondere die Überlegungen zum Lösungsoptimum werfen die zuvor angesprochenen Fragen auf. Jedoch stellte die Senatsmehrheit letztendlich zu Recht darauf ab, ob eine bundesgesetzliche Zugangsregelung zur Zielerreichung erforderlich ist389. Dies wurde aber von den Sachverständigen verneint, die gerade der Ansicht waren, dass die bundeseinheitliche Vorgabe eines einzigen Qualifikationswegs den erforderlichen Spielraum der Universitäten verenge und der ausdifferenzierten Fächerkultur nicht gerecht werde390. Erst im zweiten Prüfungsschritt hätte dann die Regelungstiefe überprüft werden müssen („soweit . . . erforderlich“), also ob das bundesgesetzliche Festschreiben einer neuen Zugangsvoraussetzung, gewählt in der Form der Juniorprofessur, den geringstmöglichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder darstellt. Insoweit hätte das Bundesverfassungsgericht auch den Inhalt der Vorschrift überprüfen dürfen391 und hätte damit noch nicht die materiell-rechtliche Prüfung vorweggenommen392. Die Judikatur zu Art. 72 Abs. 2 GG hat sich durch die ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ sicherlich vertieft und an Kraft gewonnen, ob sie jedoch eine Konkretisierung erfahren hat393, darf bezweifelt werden.

III. Die ,Studiengebühren-Entscheidung‘ Kurze Zeit nach der Entscheidung zur Juniorprofessur war die Hochschulrahmengesetzgebung des Bundes erneut Gegenstand eines Normenkontrollantrags, dieses Mal der Landesregierungen Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Antragsteller hielten im Sechsten Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 8. August 2002394 unter anderem die Regelungen zur Gebührenfreiheit des Erststudiums und zur 388 Sondervotum, BVerfGE 111, 226 (278 f.); vgl. hierzu auch Krausnick, DÖV 2005, S. 905 f. 389 Vgl. Fn. 387; zustimmend auch Lechleitner, Jura 2004, S. 750. 390 BVerfGE 111, 226 (267). 391 So auch Degenhart, RdJB 2005, S. 125. 392 Materiell-rechtlich wäre beispielsweise ein Eingriff in das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG, zu prüfen gewesen. 393 So Batt, ZParl 2004, S. 758. 394 BGBl. I 2002, S. 3138 f.

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Verpflichtung zur Bildung von Studierendenschaften (Art. 1 Nr. 3 und 4) mit dem Grundgesetz für unvereinbar. In seinem Urteil vom 26. Januar 2005395 folgte das Bundesverfassungsgericht insoweit dem Antrag der Landesregierungen. Die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 GG a. F. in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG sei nicht gegeben und eine Befugnis aus Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG lasse sich nicht ableiten396. Das Bundesverfassungsgericht wendete in der ,Studiengebühren-Entscheidung‘ die in der ,Altenpflege-Entscheidung‘ entwickelten Maßstäbe zur ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ auf den Fall der Gebührenfreiheit von Erststudiengängen in aller Schärfe an und verlieh dem Kriterium deutlichere Konturen. Das Gericht betonte, Ziel der bundesgesetzlichen Regelung zur Gebührenfreiheit von Erststudiengängen sei es gewesen, Rechtssicherheit zu schaffen und die Studienneigung, insbesondere bildungsferner Bevölkerungsschichten, positiv im gesamten Bundesgebiet zu fördern397. Diese sozialstaatlich motivierte und bildungspolitisch gewünschte Zielsetzung sei für das erste Kriterium des Art. 72 Abs. 2 GG unerheblich. Vielmehr komme es darauf an, ob sich durch die Erhebung von Studiengebühren unzumutbare Benachteiligungen der Einwohner dieser Länder absehen ließen398. Da dies nicht der Fall war, verneinte das Bundesverfassungsgericht die Zielerreichung ,gleichwertiger Lebensverhältnisse‘. Zur Begründung führte es im Einzelnen aus399: Der Bundesgesetzgeber gehe selbst davon aus, dass die Studierenden gewillt und in der Lage sind, auf die Erhebung von Studiengebühren durch die Wahl ihres Studienortes zu reagieren. Diese Wahl hänge aber von mehreren Faktoren ab, die sich nicht allein auf finanzielle Motive reduzieren ließen. Im Verhältnis zu den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten an den Studienorten fallen Studiengebühren in Höhe von 500 Euro je Semester nicht entscheidend ins Gewicht. Außerdem sei es die Pflicht derjenigen Länder, die Studiengebühren einführen wollen, sozialverträgliche Lösungen zu finden, um auch einkommensschwachen Bevölkerungskreisen ein Hochschulstudium zu ermöglichen. Die bloße Möglichkeit, dass einzelne Studierende überdurchschnittlich finanziell belastet würden, reiche nach derzeitigem Kenntnisstand nicht für ein bundesweites Studiengebührenverbot aus. Soweit sich der Bundesgesetzgeber zur Begründung seines Gesetzes auf Kapazitätsprobleme und Verschlechterung der Studienbedingungen stützte, trat das Bundesverfassungsgericht ihm entgegen, dass diese Entwicklun395 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 ff.; vgl. dazu die Stellungnahmen in der Literatur: Hain/Uecker, Jura 2006, S. 48 ff.; Kramer/Mai, WissR 2005, S. 313 ff.; Sporleder-Geb/Stüber, RdJB 2005, S. 395 ff.; Stettner, JZ 2005, S. 619 ff.; Waldhoff, JuS 2005, S. 391 ff.; Würtenberger, S. 93 ff. 396 Vgl. näher zu Art. 125a Abs. 2 GG im vierten Kapitel Seite 211 ff. 397 BVerfGE 112, 226 (244). 398 BVerfGE 112, 226 (244 f.). 399 BVerfGE 112, 226 (245 ff.).

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gen nicht ausreichend belegt seien. Insbesondere könne auch die Attraktivität der Hochschulen durch die Erhebung von Studiengebühren verbessert werden, da diese bei den Universitäten zur eigenen Verfügung verbleiben sollten. Selbst unterstellt, Wanderbewegungen zeichneten sich im erheblichen Maße ab, gebe es keine Hinweise, dass die dadurch entstehenden Belastungen der Studierenden und Hochschulen über die bereits in der bundesstaatlichen Ordnung angelegten unterschiedlichen Lebensverhältnisse hinausgingen. Materien, wie die der Hochschulbildung, seien durch hohe Mobilität der betroffenen Personenkreise gekennzeichnet. Werden durch die Landesgesetzgebung erhebliche Wanderbewegungen ausgelöst, sei es Aufgabe der betroffenen Länder, die daraus resultierenden Nachteile in eigener Verantwortung zu bewältigen. Eine Grenze für die Gesetzgebungspraxis der Länder stelle jedoch die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme dar. Ein bundesgesetzliches Eingreifen wäre erst dann zulässig, wenn die Länder den Einbußen in den Lebensverhältnissen nicht durch eigenständige Maßnahmen oder nur durch abgestimmte Regelungen mit anderen Bundesländern begegnen könnten. Wanderbewegungen könnten die Länder jedoch eigenständig entgegentreten, etwa unter zur Hilfenahme von Zulassungsbeschränkungen. Aufkommender Wettbewerb zwischen den Bundesländern, der aus politischer Sicht zur Einführung von Studiengebühren zwingen könnte, stelle für die ,gleichwertigen Lebensverhältnisse‘ keine Gefahr dar und rechtfertige unter diesem Aspekt kein bundesgesetzliches Eingreifen400. Auch zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ hielt das Bundesverfassungsgericht das Reformgesetz nicht für gerechtfertigt. Durch die landesgesetzliche Erhebung von Studiengebühren zeichneten sich keine konkreten Entwicklungen ab, die auf eine Gefährdung der Gesamtwirtschaft hindeuteten. Unterschiedliche Ausbildungs- und Zulassungsvoraussetzungen könnten zwar im Wirtschaftsgebiet Deutschlands störende Grenzen aufrichten, zu strukturellen Defiziten in einigen Region führen oder das Ausbildungsniveau und damit den gesamten Beruf beeinträchtigen, jedoch bestünden durch die Erhebung von Studiengebühren nicht nur Risiken für die Studierenden, sondern auch Chancen auf eine verbesserte Qualität der Hochschulen, die die Ausbildungssituation positiv beeinflussen könnte. Dies habe der Bundesgesetzgeber bei Erlass des Reformgesetzes jedoch verkannt401. Schließlich komme die Regelung auch nicht zur ,Wahrung der Rechtseinheit‘ in Betracht, da keine unzumutbare Rechtszersplitterung bei unterschiedlichen Gebührenregelungen zu erwarten sei. Negative Folgen der Er-

400 Auch die Regelungen zur Verpflichtung zur Bildung von Studierendenschaften seien nicht für die ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ erforderlich, da keine das bundesstaatliche Sozialgefüge bedrohende Gefahrenlage ersichtlich sei. Zur ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit‘ komme die Regelung ohnehin nicht in Betracht (BVerfG, ebd., S. 251 ff.). 401 BVerfGE 112, 226 (249 f.).

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hebung von Studiengebühren auf das Unterhaltsrecht oder die Ausbildungsförderung, stellten lediglich Probleme der Rechtsanwendung dar402. Fällt die Überprüfung der zweiten und dritten Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG relativ knapp aus, muss die Entscheidung jedoch als ein wichtiger Schritt bei der Konkretisierung der ersten Zielvorgabe angesehen werden. Die umfangreichen Ausführungen des Bundesverfassungsgericht zu diesem Kriterium unterstreichen die bei der Analyse der ,Altenpflege-Entscheidung‘ getroffene Einschätzung, dass die durch dieses Tatbestandsmerkmal gezogene Grenze für den Bundesgesetzgeber in Zukunft nur schwer zu überwinden sein wird. Erinnert sei an dieser Stelle an die Maßgabe, dass sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben müssen oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet. Gemessen an diesen Vorgaben geht das Bundesverfassungsgericht zu Recht davon aus, dass die partikulare Erhebung von Studiengebühren diesen Zustand nicht herbeiführen wird403. Fast beiläufig weist das Bundesverfassungsgericht auf einen interessanten ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz hin, nämlich die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, der im Einzelfall der Wahrnehmung der Gesetzgebungsbefugnisse Schranken setzen kann. Bleiben die Auswirkungen eines Landesgesetzes nicht regional auf dieses begrenzt, so muss der Landesgesetzgeber Rücksicht auf die Interessen des Bundes, aber auch der anderen Länder nehmen404. Auf diese auch als Gebot der „Bundestreue“ oder des „bundesfreundlichen Verhaltens“ bezeichnete Verpflichtung, wird im Rahmen des vierten Kapitels noch zurückzukommen sein405. Auf die Erforderlichkeit des Hochschulreformgesetzes brauchte die Entscheidung (leider) nicht näher einzugehen, so dass die dogmatischen Unsicherheiten aus den vorangegangenen Urteilen bis auf weiteres unbeantwortet bleiben406.

IV. Weitere Judikatur zu Art. 72 Abs. 2 GG Die nachfolgenden Entscheidungen zeigen den Umgang der Gerichte mit den Vorgaben aus der ,Altenpflege-Entscheidung‘ in der Rechtsprechungspraxis. Das Bundesverfassungsgericht musste sich in zwei weiteren Urteilen (1. und 2.) und einem Beschluss (4.) mit den Vorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG auseinandersetzen. Aber auch den Bundesfinanzhof hat inzwischen diese Frage erreicht (3.). 402

BVerfGE 112, 226 (250). Kritisch hingegen Kramer/Mai, WissR 2005, S. 318, die dem Bundesverfassungsgericht einseitige Länderfreundlichkeit vorwerfen. 404 Dazu grundlegend BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (140 ff.). 405 Siehe dort Seite 199 ff. 406 Hierzu die Ausführungen von Stettner, JZ 2005, S. 621 f. 403

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1. Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde Bereits mit dem Urteil vom 16. März 2004407 unterstrich das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zum Altenpflegegesetz, brachte jedoch inhaltlich keine wesentlichen neuen Aspekte. Mit § 143 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) wollte der Bundesgesetzgeber das Züchten von Kampfhunden und das Handeltreiben mit solchen Tieren unter Strafe stellen, soweit dadurch gegen landesgesetzliche Vorschriften verstoßen werde. Gegen diese Strafvorschrift und weitere Regelungen aus dem „Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde“408 wurde Verfassungsbeschwerde erhoben, die neben der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG rügte. Das Bundesverfassungsgericht war der Ansicht, dass die auf dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 beruhende Strafnorm des § 143 Abs. 1 StGB nicht die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erfülle. Es führte zunächst aus, aus der Begründung des Gesetzentwurfs gehe nicht hervor, welche der drei Zielsetzungen durch die Gesetzesergänzung erreicht werden solle. Einer eigenen Bestimmung der Zielvorgabe bedurfte das Bundesverfassungsgericht nicht, da es der Ansicht war, das Gesetz sei jedenfalls zur Erreichung keines der Ziele des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich. Durch die Strafnorm sei kein bundeseinheitliches Recht gesetzt worden, da die tatbestandlichen Voraussetzungen vom jeweiligen Landesrecht abhängig seien, welches in der Praxis erheblich divergiere. Art. 72 Abs. 2 GG setze jedoch voraus, dass diese Voraussetzungen im Wesentlichen übereinstimmen409. Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes konnte auch nicht auf Art. 125a Abs. 2 GG gestützt werden410. Das Bundesverfassungsgericht verlangte in seinem Urteil eine weitgehend rechtsvereinheitlichende Wirkung durch die bundesgesetzliche Regelung411. Hiermit betonte es eine der konkurrierenden Gesetzgebung innewohnende Selbstverständlichkeit. Ein Bundesgesetz, welches die bereits bestehende Uneinheitlichkeit noch verstärkt, kann die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG offensichtlich nicht erfüllen412.

407 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141 ff. (,Kampfhunde-Entscheidung‘); vgl. dazu die Stellungnahmen in der Literatur: Möstl, Jura 2005, S. 48 ff.; Pestalozza, NJW 2004, S. 1840 ff.; Würtenberger, S. 82 ff. 408 Vom 12.04.2001, BGBl. I 2001, S. 530 ff. 409 BVerfGE 110, 141 (175 ff.). 410 Vgl. näher zu Art. 125a Abs. 2 GG im vierten Kapitel Seite 211 ff. 411 Einen Verstoß des Bundesgesetzgebers gegen Art. 3 Abs. 1 GG erkennt hierin Boysen, S. 206 ff. 412 Ungeklärt bleibt die Reichweite des Kompetenztitels des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (Strafrecht), hierzu Möstl, Jura 2005, S. 54 f.; Pestalozza, NJW 2004, S. 1843 f.

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2. Urteil zum Ladenschlussgesetz Die Rechtsprechungslinie aus der ,Kampfhunde-Entscheidung‘ führte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Ladenschlussgesetz (LadSchlG) vom 9. Juni 2004413 weiter fort. Gegenstand des Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde gegen die gesetzlichen Ladenöffnungszeiten gemäß §§ 3 Abs. 1, 10 Abs. 1 LadSchlG. Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerde mangels Begründetheit zurück. Im Rahmen der Prüfung der Berufsfreiheit musste das Gericht überprüfen, ob die Vorschriften des Ladenschlussgesetzes den Anforderungen an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügten. Bei der Überprüfung der Gesetzgebungskompetenz verneinte das Gericht zunächst die Erforderlichkeit einer auf den Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nrn. 11 und 12 GG basierenden bundesgesetzlichen Ladenschlussregelung für die ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ oder der ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit‘. Zunächst schloss das Gericht die Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz schon wegen fehlender Darlegung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG durch den Bundesgesetzgeber in der Gesetzesnovellierung von 1996 aus. Darüber hinaus fehlte es dem Ladenschlussgesetz von 1996 auch an einer ausreichenden Rechtsvereinheitlichung im Bundesgebiet. Der Bundesgesetzgeber habe durch die Normierung zahlreicher Ermächtigungen an die Bundesländer, Ausnahmen von den Ladenöffnungszeiten zu schaffen, selbst zum Ausdruck gebracht, dass er einheitliche Regelungen im gesamten Bundesgebiet nicht für notwendig erachte. Diese Ausnahmen seien durch die Novellierung 2003 sogar noch ausgeweitet worden414. Zu Art. 72 Abs. 2 GG brachte das Urteil zum Ladenschlussgesetz somit keine weiterführenden Erkenntnisse. Maßgebliche Bedeutung erlangte das Urteil allerdings bei der Auslegung des Art. 125a Abs. 2 GG. Auf die Befugnis des Bundes, bestehendes Bundesrecht in gewissen Grenzen abzuändern, soll im vierten Kapitel dieser Arbeit näher eingegangen werden415. An dieser Stelle daher nur so viel vorweg: Das Bundesverfassungsgericht bejahte die Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers zur Änderung des Ladenschlussgesetzes gemäß Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG416.

413 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 ff.; vgl. die Stellungnahmen in der Literatur: Lindner, NJW 2005, S. 399 ff.; Poschmann, NVwZ 2004, S. 1318 ff.; Würtenberger, S. 85 ff. 414 BVerfGE 111, 10 (28 ff.). 415 Vgl. dort Seite 211 ff. 416 BVerfGE 111, 10 (29 ff.).

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3. Beschluss zur Lotteriesteuerpflicht von Oddset-Wetten Besondere Beachtung muss dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 22. März 2005417 zur Lotteriesteuerpflicht von Oddset-Wetten geschenkt werden. In einem Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung mehrerer Lotteriesteuerbescheide hatte der Bundesfinanzhof keine ernstlichen Zweifel an der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit der Ergänzung des Rennwett- und Lotteriegesetzes (RennwLottG) in der Änderungsfassung vom 17. Mai 2000418. Hintergrund für die Anpassung des RennwLottG war, dass Oddset-Wetten nicht vom Besteuerungstatbestand des bislang geltenden RennwLottG erfasst waren419 und daher der Umsatzbesteuerung unterlagen420. Um diese Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte zu beenden421, erfolgte die umstrittene Gesetzesergänzung. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs konnte sich der Bund für die Ergänzung des Gesetzes um den Tatbestand der Besteuerung von Oddset-Wetten auf den Kompetenztitel des Art. 105 Abs. 2 GG berufen. Bei der Lotteriesteuer handele es sich um eine Verkehrsteuer im Sinne des Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG, deren Aufkommen den Ländern zustehe, so dass für die Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz durch den Bund die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG eröffnet sein mussten. Der Bundesfinanzhof ließ bei summarischer Prüfung der Begründungserfordernisse des Art. 72 Abs. 2 GG die Darlegung des Bundesgesetzgebers genügen, die Anpassung des RennwLottG an neue Wettformen sei sowohl aus steuersystematischen Gründen, als auch aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung dringend erforderlich. Diese Einschätzung des Gesetzgebers beruhe auf den sachbereichsspezifischen Gegebenheiten und lasse keine fehlerhafte Tatsachenfeststellung erkennen422. Der summarischen Prüfung des Bundesfinanzhofs ist nicht zu entnehmen, für welches der Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG es das ergänzte RennwLottG erforderlich hielt. Die Begründung hätte der Bundesfinanzhof über die ,Wah417

II B 14/04, BFH/NV 2005, 1379 ff. Gesetz zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes, BGBl. I 2000, S. 715 f. 419 Hierzu das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 19.06.1996, II R 29/95, BFH/NV 1997, 68 (69 f.), der entschieden hatte, das die veranstalteten Sportwetten keine Lotterie im Sinne des § 17 RennwLottG a. F. darstellten. 420 Nach § 4 Nr. 9b Umsatzsteuergesetz sind die Umsätze von der Umsatzsteuer befreit, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen. 421 Die Bemessungsgrundlagen und Steuersätze divergieren bei der Umsatzsteuer und der Lotteriesteuer, so dass nach derzeitiger Rechtslage verschieden hohe Steuerbelastungen für gleich gelagerte Sachverhalte entstünden. Außerdem kommt es im Rahmen der Umsatzbesteuerung von Oddset-Wetten bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage zu bislang ungelösten Problemen. 422 BFH/NV 2005, 1379 (1382). 418

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rung der Rechtseinheit‘ suchen müssen. Der Bund hätte danach die Gesetzgebungskompetenz nur, wenn Gründe der Rechtssicherheit im Sinne von Verlässlichkeit in das Besteuerungssystem ein Eingreifen in das grundsätzlich bestehende Gesetzgebungsrecht der Länder in Bezug auf die Rennwett- und Lotteriesteuer rechtfertigen würden. Durch die Gesetzgebung der Länder war jedoch bislang keine unübersichtliche Rechtslage für die Anbieter von Oddset-Wetten entstanden. Auch zeichnete sich eine solche nicht in irgendeiner Weise ab. Vielmehr wollte der Bundesgesetzgeber die Besteuerung der Oddset-Wetten mit Umsatzsteuer vermeiden, da es insoweit zu ungelösten Auslegungsfragen bei der Bestimmung der Bemessungsgrundlage gekommen war. Daher war es auch Ziel der Gesetzesergänzung, im Interesse der Steuerpflichtigen den steuersystematischen Unsicherheiten entgegenzuwirken. Rein steuersystematische Aspekte oder Vollzugsschwierigkeiten bestehender Besteuerungstatbestände reichen jedoch im Rahmen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht für die Begründung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus. Vielmehr muss sich die Rechtsunsicherheit aus den divergierenden Landesregelungen ergeben, woran es im Fall der Besteuerung von Oddset-Wetten gerade fehlte. Somit ist die neue Regelung des RennwLottG zur ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ nicht erforderlich und stellt einen formellen Verstoß gegen die Verfassung dar423. 4. Beschluss zum Beitragssicherungsgesetz Mit Beschluss vom 13. September 2005424 befand das Bundesverfassungsgericht über einen Normenkontrollantrag der Landesregierungen Baden-Württemberg und des Saarlandes, der sich gegen das Beitragssicherungsgesetz vom 23. Dezember 2002425 richtete. Die Antragsteller hielten das Gesetz sowohl in formeller Hinsicht aus Art. 84 Abs. 1 GG als auch in materieller Hinsicht aus Art. 12 Abs. 1 GG für verfassungswidrig. Dieser Ansicht folgte das Gericht nicht. Zunächst überprüfte es die Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Das auf den Kompetenztiteln des Art. 74 Abs. 1 Nrn. 12, 19 und 19a GG beruhende Gesetz, war nach Ansicht des Gerichts zur Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich. Offen ließ es, ob sich der Gesetzgeber zum Erlass des Gesetzes auf Art. 72 Abs. 2 GG oder Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG berufen konnte. Jedenfalls gebiete die es ,Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit‘, das System der gesetzlichen Krankenversicherung für ganz Deutschland einheitlich zu regeln. Zwar seien bundeseinheitliche Krankenversi423 Auch nach Art. 125a Abs. 2 GG stand dem Bundesgesetzgeber keine Änderungskompetenz zu. Näher dazu im vierten Kapitel Seite 217 f. 424 2 BvF 2/03, DVBl 2005, S. 1503 ff. 425 Gesetz zur Sicherung der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung, BGBl. I 2002, S. 4637 ff.

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cherungsbeiträge nicht erforderlich426, etwas anderes gelte jedoch für die Berechnungsmethode. Die Grundlage auf der die Berechnung fuße, nämlich die Reglementierung der Kosten für Waren und Dienstleistungen im Gesundheitswesen, bedürfe einer einheitlichen Regelung durch den Bundesgesetzgeber, um eine Versorgung der Versicherten auf gleichmäßig hohem Niveau gewährleisten zu können. Unterschiedliche landesrechtliche Reglementierungsvorschriften würden zu einem Wettbewerb zwischen den Bundesländern führen. Märkte mit stark reglementierten Preisen würden von wirtschaftlich starken Versicherungsanbietern gemieden. Dort könnten sich nur solche Anbieter halten, die Abstriche bei der Qualität ihrer Leistungen hinnähmen427. Das Bundesverfassungsgericht hielt das Beitragssicherungsgesetz auch im Übrigen für formell und materiell verfassungsgemäß. Die Bedeutung dieser Entscheidung für die weitere Untersuchung liegt darin, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Beurteilung der Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Beitragsregelung zwischen der Beitragssatzhöhe und der den Beiträgen zu Grunde liegenden Berechnungsmethode unterschied. Mit dieser Trennung begrenzte das Bundesverfassungsgericht erstmals die Reichweite eines Bundesgesetzes auf ein Regelungsminimum („soweit . . . erforderlich“). Nur soweit die Grundversorgung der gesetzlich Krankenversicherten im Bundesgebiet nicht mehr gewährleistet erscheint, darf der Bundesgesetzgeber eingreifen. Ob diese Argumentationslinie auch für den Bereich des Steuerrechts nutzbar gemacht werden kann, muss sich im Verlauf der weiteren Bearbeitung zeigen.

V. Bewertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG kann inzwischen durchaus als gefestigt bezeichnet werden. Sowohl der Erste als auch der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts legen die in der ,Altenpflege-Entscheidung‘ grundlegend entwickelten Maßstäbe ihrer Beurteilung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu Grunde. Damit ist die jahrzehntelang gewünschte verfassungsgerichtliche Überprüfung der Inanspruchnahme der konkurrierenden Gesetzgebung durch den Bund Realität geworden. Diese Rechtsprechungsentwicklung und die Konstanz in der Auslegung der Tatbestandsmerkmale sind uneingeschränkt zu begrüßen, jedoch darf in der Euphorie nicht übersehen werden, dass in der Gesetzgebungspraxis noch erhebliche Unsicherheiten bei der Anwendung des Art. 72 Abs. 2 GG bestehen. Die Prüfungskriterien, insbesondere das der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit im ge426 Dies zeige sich an den unterschiedlich hohen Krankenversicherungsbeiträgen im Bundesgebiet. 427 DVBl 2005, S. 1503 (1504).

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samtstaatlichen Interesse‘, lassen beträchtlichen Interpretationsspielraum zu. Daher ist es unerlässlich, dass die Tatbestandsmerkmale des Art. 72 Abs. 2 GG in der Zukunft weiter entwickelt und konkretisiert werden. Ein Interpretationsstillstand wäre nach derzeitiger Rechtsprechungslage verfrüht. Der Herausforderung einer weiterführenden Konkretisierung hat sich in überzeugender Weise Würtenberger in seiner eingehenden Untersuchung zu Art. 72 Abs. 2 GG gestellt428, auf die später zurückzukommen sein wird. Die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts derzeit bestehenden Unwägbarkeiten sind für den Gesetzgeber aber sicherlich nicht so groß, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb durch mangelnde Handlungsfähigkeit der Entscheidungsträger wirklich in Gefahr geriete429. Jedoch ist festzustellen, dass der Erlass eines in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung fallenden Bundesgesetzes mehr denn je mit dem Risiko einer verfassungsgerichtlichen Nichtigkeitserklärung behaftet ist. Man mag dies als „Vehikel für die Durchsetzung politischer Anliegen“430 bezeichnen, allerdings verifiziert sich darin nur die mit der Verfassungsänderung von 1994 angestrebte Zielsetzung, die Kompetenzausübung durch den Bund für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gerichtlich zu kontrollieren und so den Ländern einen stärkeren Schutz vor unzulässigen Eingriffen in ihr Gesetzgebungsrecht zu bieten431. Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Gesetzgebungspraxis auf Bundesebene ist, dass der Bund in der Zukunft die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz genauer prüfen und diese dann detaillierter und schlüssiger begründen muss432. Je gewissenhafter der Bundesgesetzgeber seiner neuen Aufgabe nachkommt, desto weniger Zurechtweisungen wird er durch das Bundesverfassungsgericht befürchten müssen. Wie ernst das Bundesverfassungsgericht seine neu entwickelten Maßstäbe nimmt, musste der Bund schon leidvoll erfahren. Dies sollte ihm eine ausreichende Warnung sein. Unbegründet erscheint die Kritik, das Bundesverfassungsgericht habe in seinen Urteilen seine Kontrollbefugnisse überdehnt433. Bei den Kriterien des Art. 72 Abs. 2 GG geht es nicht um das Verhältnis des Gesetzgebers zum Verfassungsgericht, sondern um die Abgrenzung der Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes von denen der Länder434. Im Bereich der Zuordnung und Ausübung staatlicher Kompetenzen kann das Verhältnis der staatlichen Ebenen zueinander nur durch eine intensive und umfangreiche gerichtliche Kontrolle befriedigend 428

Art. 72 II GG: Eine berechenbare Kompetenzausübungsregel?, 2005, S. 109 ff. So auch Würtenberger, S. 106 f. 430 Sondervotum zur ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ BVerfGE 111, 274 (279). 431 Dazu auch Batt, ZParl 2004, S. 759 f. 432 Im Ergebnis auch Waldhoff, Föderalismusreform in Deutschland, S. 66. 433 In diesem Sinne das Sondervotum zur ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ BVerfGE 111, 274 (277 ff.); ebenso Hain/Uecker, Jura 2006, S. 52 f. 434 Degenhart, RdJB 2005, S. 125 f. 429

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

beurteilt werden. Hiermit knüpft das Bundesverfassungsgericht an seine in der ,Rastede-Entscheidung‘ entwickelten Grundsätze für das Verhältnis Land-Gemeinde an435. und überträgt sie sinngemäß auf die Bund-Länder-Beziehung. Dabei sind dem Gesetzgeber gerichtlich nicht kontrollierbare Einschätzungsspielräume nur dort zuzugestehen, wo sie unumgänglich sind, da gewährte Freiräume auf der einen Seite immer zu Lasten der anderen Seite genutzt werden können. Dass hierdurch zunächst die jahrzehntelang gewohnte, da durch die Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949 gebilligte, Gestaltungsfreiheit des Bundesgesetzgebers erheblich beschnitten wurde, mag unbequem sein, erscheint aber notwendig. In den Mittelpunkt der Auslegung rückt nun die Grundkonzeption der Verfassung gemäß Art. 30 und 70 GG, nach der grundsätzlich den Ländern das Gesetzgebungsrecht zusteht. Zu deren Schutz hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht den Spielraum des Bundes eng und seine eigene Prüfungskompetenz weit ausgelegt436. Für die föderale Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bedeutet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehr Möglichkeiten für „partikular differenzierte Lösungen“437. Den Ländern wird die Chance geboten, die Lebensverhältnisse ihrer Bürger selbst zu gestalten. Ob dies in Zukunft tatsächlich geschieht, bleibt abzuwarten. Jedenfalls hat sich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inzwischen bestätigt, was der Vorsitzende des Zweiten Senats, Winfried Hassemer, nach der Verkündung des Urteils zur Juniorprofessur andeutete, dass sich das Gericht mit diesem Urteil „an der allgemeinen Föderalismusdebatte beteiligen“ werde438.

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung für Art. 105 Abs. 2 GG Durch die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Art. 72 Abs. 2 GG tritt nach langer Vernachlässigung nun deutlich in den Vordergrund, dass die Verfassung für alle Sachgebiete, die der konkurrierenden Gesetzgebung unterfallen, grundsätzlich regionale Vielfalt billigt, also unterschiedliche gesetzliche Regelungen in den einzelnen Bundesländern. Diese Verfassungsentscheidung gilt damit auch für das Steuerrecht. Nach der restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949 und der anschließenden, ausufernden Gesetzgebungspraxis des Bundes war dieser Grundsatz für die Sachbereiche der konkurrierenden Gesetzgebung schon fast in Vergessenheit geraten. Die verfas435 Zu diesen Grundsätzen BVerfG v. 23.11.1988, 2 BvR 1619, 1628/83, BVerfGE 79, 127 (154 f.). 436 Ebenso im Ergebnis Krausnick, DÖV 2005, S. 906 f. 437 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (150). 438 Zitiert nach Batt, ZParl 2004, S. 760 Fn. 34.

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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sungsrechtliche Leitlinie kann daher nicht oft genug betont werden, um sie als wiederentdeckte Ausgangsbasis zu festigen. Für den Bereich des Steuerrechts, so scheint es, hat sich dieser Grundsatz noch nicht durchgesetzt439. Schnell wird darauf verwiesen, dass im ganzen Bundesgebiet geltendes Steuerrecht zur ,Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ immer unerlässlich sei440. Dies ist indes nach der neuen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mehr als zweifelhaft.

I. Gleiche Steuerbelastung im Bundesgebiet contra Steuerwettbewerb Zur Begründung der bundeseinheitlichen Steuergesetzgebung wurde in der Vergangenheit vielfach auf das Erfordernis441 gleicher Steuerbelastung im gesamten Bundesgebiet verwiesen442. Gestützt wurde diese Argumentation zum einen auf die Formulierung in Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG 1949, die von einem Bedürfnis bundesgesetzlicher Regelung zur ,Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse‘ ausging, und zum anderen auf Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG, der von der Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse als einer von mehreren Maßstäben für die Festsetzung der Bundes- und Länderanteile am Umsatzsteueraufkommen durch ein einfaches Gesetz spricht443. Ausgehend von diesen Textstellen in der Verfassung hat sich das Postulat der einheitlichen Lebensverhältnisse im Bundesgebiet entwickelt. Zur weiteren verfassungsrechtlichen Begründung dieser Annahme werden das auf Einheitlichkeit angelegte Sozialstaatsprinzip, die vereinheitlichend wirkenden Grundrechte des Grundgesetzes und die heutige Form der Demokratie durch bundesweit organisierte Parteien herangezogen444. Daneben wird auf nicht näher belegte Erwartungshaltungen in der Bevölkerung Bezug genommen, um eine Unitarisierung der Steuergesetzgebung zu rechtfertigen. Insbesondere im „Troeger-Gutachten“445 griff man zur Begrün439 Heun, FS Starck, S. 246 f. verweist auf systematische Ungereimtheiten im Verhältnis Art. 72 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 2 GG. 440 Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 35; Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 16; vgl. auch Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 21, der jedoch die Erforderlichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung am Beispiel der Vermögensteuer bezweifelt. 441 Waldhoff, S. 83 ff. bezeichnet es auch als Dogma. 442 So noch der Bundesfinanzhof in seinem oben dargestellten Beschluss zur Ergänzung des RennwLottG BFH v. 22.03.2005, II B 14/04, BFH/NV 2005, 1379 (1382).; Haller, Staat und Politische Ökonomie heute, S. 210 f.; vgl. auch Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 105 Rn. 1. 443 Abweichend Brockmeyer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 105 Rn. 1, der zur Begründung die ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ und die Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen heranzieht. 444 Vgl. zu den verschiedenen Begründungsansätzen Waldhoff, S. 84 ff. m.w. N.; siehe auch Kommission für die Finanzreform, Gutachten für die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1966, Tz. 74.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

dung des kooperativen Föderalismus darauf zurück, dass „man in der Öffentlichkeit die Erfüllung neuer wichtiger Aufgaben in erster Linie vom Bund“ erwarte. Ebenso werde die Bundesregierung kritisiert, wenn sie wichtige Staatsaufgaben nicht rasch erledige, auch wenn sie in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen. Das auf diese Weise begründete Erfordernis gleicher Steuerbelastungen im Bundesgebiet ließ, abgesehen von den in der Verfassung ausdrücklich normierten Durchbrechungen für den Bereich der Verbrauch- und Aufwandsteuern nach Art. 105 Abs. 2a GG und den kommunalen Realsteuern nach Art. 106 Abs. 6 GG, keinen Raum für regional differenzierte Steuergesetzgebung. Jedoch ließen schon die hergebrachten Argumentationslinien berechtige Zweifel aufkommen, ob der Forderung nach ,einheitlichen Lebensverhältnissen‘ mehr als eine bloße Verfassungsvoraussetzung entnommen werden kann446. Bereits Lerche stellte 1973 pointiert fest447: „Es ist nicht unangemessen zu konstatieren, daß die Formel ,Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse‘ schon eine Art magischen Glanz angenommen hat. Nicht wenige Probleme bleiben auf diese Weise verdeckt. Der Trend wird als Faktum genommen, dem sich die Rechtswelt zu fügen habe.“ Diese verfassungsrechtliche Einordnung des Postulats gilt erst Recht nach der Verfassungsänderung, da durch die textliche Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG ein bedeutender Anknüpfungspunkt in der Verfassung selbst weggefallen ist. Nunmehr gilt es ,gleichwertige Lebensverhältnisse‘ herzustellen. Dem entsprechend erkannte das Bundesverfassungsgericht an, dass der Begriff der ,Gleichwertigkeit‘ mehr dem föderalistischen Gedanken und den regionalen Besonderheiten der Länder entspricht, als die auf nivellierende Vereinheitlichung angelegte alte Begriffswahl448. Damit hat nicht nur das Postulat einheitlicher Lebensverhältnisse, sondern auch der hochgehaltene Grundsatz gleicher Steuerbelastung im Bundesgebiet entscheidend an Kraft, wenn nicht sogar ganz an Substanz verloren. Ein Steuerwettbewerb für Landessteuern und eine damit möglicherweise einhergehende Belastungsungleichheit im Bundesgebiet können danach nicht mehr generell ausgeschlossen werden. Dem Wettbewerbsgedanken steht das Bundesverfassungsgericht auch in seiner ,Studiengebühren-Entscheidung‘ offen gegenüber. Bei dem Kampf der Länder um die besten Studenten und Wissenschaftler, lässt es auch das Mittel der Erhebung von Studiengebühren zu, da damit die Chance eröffnet wird, die 445 Kommission für die Finanzreform, Gutachten für die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1966, Tz. 74. 446 Zu dieser verfassungsdogmatischen Einordnung ausführlich Waldhoff, S. 86 ff.; ders., Föderalismusreform in Deutschland, S. 63 f. und Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 81 ff; ablehnend zur Qualifikation als Verfassungsgebot auch Boysen, S. 119 ff. und Oeter, S. 532 ff.; zur Interpretationselastizität des Begriffs der ,einheitlichen Lebensverhältnisse‘ im Sinne einer notwendigen Grenze föderaler Vielfalt siehe Henke/Schuppert, S. 40 ff. 447 FS für Berber, S. 299. 448 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (143).

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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Hochschulen besser auszustatten. Ein eventuell entstehender Wettbewerb, der zur Erhebung von Studiengebühren zwingen könnte, sei nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kein Grund, der ein bundesgesetzliches Eingreifen erforderlich mache449. Diese pro-föderalistischen und wettbewerbsfreundlichen Tendenzen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sprechen dafür, dass ein durch Landesgesetzgebung hervorgerufener Steuerwettbewerb allein nicht ausreicht, um eine bundesgesetzliche Steuerregelung zu rechtfertigen. Vielmehr muss durch den Steuerwettbewerb eine Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern festzustellen sein, die das bundesstaatliche Sozialgefüge erheblich gefährdet. Ob solche gravierenden Entwicklungen möglich sind, kann nur durch eine Untersuchung der einzelnen Steuerarten beurteilt werden450. In die Betrachtung muss insbesondere der Aspekt erheblicher Abwanderbewegungen von Hoch- in Niedrigsteuerländer einbezogen werden.

II. Rechtssicherheit und Freizügigkeit im Bundesgebiet contra Steuerwettbewerb Vereinheitlichende Wirkung zeigte in der Vergangenheit auch das Kriterium der ,Herstellung der Rechtseinheit‘ in Art. 72 Abs. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht konkretisierte nun die Tatbestandsvoraussetzung der ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ in zweierlei Richtungen: Zum einen sind von der ,Rechtseinheit‘ Rechtsgebiete erfasst, die für die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung elementar sind451. Darunter fallen die vom Bundesverfassungsgericht genannten Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Verfahrensrechts (ZPO, StPO, VwGO, FGO). Diese Argumentation des Bundesverfassungsgerichts findet seine Stütze in der historischen Entwicklung der Rechtseinheit in Deutschland. Die Reichsjustizgesetze aus dem Jahre 1877452 dienten der nationalen Einung453. Aber auch heute gilt eine bundesweit einheitlich organisierte Gerichtsbarkeit noch gesellschaftlich als Grundvoraussetzung für ein friedvolles Zusammenleben in Deutschland. Bundeseinheitliche Rechtsetzung in diesem Bereich ist notwendig, um das Vertrauen der Bürger in das Rechtssystem der Bundesrepublik zu gewährleisten. Zum anderen zählen zum Rechtsgut der Rechtseinheit Gesetzesmaterien, die Rechtssicherheit und 449

BVerfG v. 26.01.2005, 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 (248). Hierzu die Ausführungen im dritten Kapitel Seite 119 ff. 451 Diese Säulen der Rechtsordnung bezeichnet Würtenberger als „justitielle Regelungen“, S. 204 f. 452 U.a. das Gerichtsverfassungsgesetz vom 27.01.1877, RGBl. 1877, S. 41 ff.; die Zivilprozessordnung vom 30.01.1877, RGBl. 1877, S. 83 ff.; die Strafprozessordnung vom 01.02.1877, RGBl. 1877, S. 253 ff. 453 Dazu näher Würtenberger, S. 205. 450

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

damit Freizügigkeit im Bundesgebiet herbeiführen454. Zu diesem Bereich führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass einheitliche Rechtsregeln erforderlich werden können, wenn sich unmittelbar aus der bestehenden Rechtslage durch unterschiedliche Behandlung desselben Lebenssachverhalts Rechtsunsicherheiten und damit unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr ergeben455. Eine genauere Bestimmung der Begriffe Rechtssicherheit und Freizügigkeit lässt sich den Urteilen des Bundesverfassungsgericht zu Art. 72 Abs. 2 GG nicht entnehmen, so dass an dieser Stelle eine Interpretation vorgenommen werden muss, um im weiteren Verlauf der Arbeit beurteilen zu können, ob bundesgesetzliche Steuerregelungen der Rechtssicherheit oder der Freizügigkeit und damit der ,Rechtseinheit‘ dienen können. 1. Rechtssicherheit gewährleistende Bundesregelungen Das Gebot der Rechtssicherheit ist wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG456. Es verlangt zum einen hinreichende Bestimmtheit und Rechtsklarheit für den Normadressaten, der den Norminhalt selbst aus der gesetzlichen Regelung erkennen können muss. Darüber hinaus muss die Rechtsordnung für den Bürger auch insgesamt übersichtlich sein. Zum anderen erfordert das Gebot der Rechtssicherheit in zeitlicher Hinsicht Schutz des Vertrauens des Bürgers in die Beständigkeit der Rechtsordnung durch Kontinuität im legislativen Handeln. Dieses Vertrauen wird besonders bei rückwirkenden Rechtsänderungen tangiert457. Beständige staatliche Regelungen schützen außerdem die Staatsorgane, die mit ihrem Handeln auf rechtsbeständige Gesetze bauen können458. Das zentrale Element für die Gewährleistung von Rechtssicherheit ist die Verlässlichkeit des Rechts für die Organe des Staates und für den Bürger, der sein Handeln und seine Dispositionen anhand des geltenden Rechts ausrichten muss. Legt man diesen Kern der weiteren Interpretation zu Grunde, ist die Rechtssicherheit durch unterschiedliche landesrechtliche Regelungen dann bedroht, wenn für die Normadressaten auf dem geregelten Rechtsgebiet eine derart unübersichtliche Lage entstanden ist, die ihnen keine zuverlässige Grundlage für ihr Handeln mehr bietet. Aber auch bei einheitlichen Landesregelungen im gesamten Bundesgebiet sieht das Bundesverfassungsgericht in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ die Rechtssicherheit bedroht, in dem einzelne Landesgesetzgeber aus dem gefundenen Konsens nach dem In454

Vgl. in diesem Kapitel Seite 77 f. BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (146). 456 Ständige Rechtsprechung seit BVerfG v. 01.07.1953, 1 BvL 23/51, BVerfGE 2, 380 (403); aus der Literatur nur Schmidt-Aßmann, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 81. 457 Zum Vertrauensschutz Maurer, HdbSt III, § 60. 458 Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 131. 455

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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krafttreten der Regelungen wieder ausscheren können459. Bei diesem Interpretationsansatz bleibt die Frage offen, wann (Steuer-)Regelungen des Bundes der Rechtssicherheit dienen. Allgemein zu Art. 72 Abs. 2 GG hat Würtenberger eine Einordnung vorgenommen, die auf Art. 105 Abs. 2 GG übertragen werden soll. Aber auch spezifisch steuerrechtliche Ansätze, wie ein allgemeines Verbot der Doppelbesteuerung oder die Verlässlichkeit der Steuerrechtsordnung, erscheinen brauchbar, um eine Einteilung in Rechtssicherheit wahrende und andere Regelungen vornehmen zu können. a) Der Ansatz von Würtenberger Zur konkreten Unterscheidung zwischen Rechtssicherheit wahrenden und anderen Vorschriften differenziert Würtenberger zum einen zwischen normativrezeptiven und faktisch-deskriptiven Kompetenznormen460. Zum anderen dürfe der Bundesgesetzgeber dann tätig werden, wenn eine Regelungsmaterie für das staatlich-gesellschaftliche Gesamtdasein von fundamentaler Relevanz ist, also wenn ohne ein solches Bundesgesetz ein Miteinanderleben in Deutschland nicht möglich erscheint461. Bezeichnet eine Kompetenznorm ihren Gegenstand normativ-rezeptiv, indem durch die Norm ein vorgefundener Normbereich in das Grundgesetz aufgenommen geworden sei462, bestehe aus Gründen der Rechtssicherheit eine Vermutung für eine bundesgesetzliche Regelung der Materie. Dies gelte jedenfalls für traditionelle Rechtsgebiete, wie dem bürgerlichen Recht. Etwas anderes könne sich für dynamische, entwicklungsoffene Rechtsgebiete ergeben463. Hier könne die Vermutung zu Gunsten des Bundesgesetzgebers widerlegt werden, da in diesen Bereichen die Verlässlichkeit und das Vertrauen eine relativ geringe Rolle spielen. Handelt es sich hingegen um eine faktisch-deskriptive Kompetenznorm464 stehe einer landesgesetzlichen Regelung zumindest nicht das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ entgegen. Wendet man die Vorschläge Würtenbergers auf Art. 105 Abs. 2 GG an, erscheint die derzeitige Vorschrift, im Vergleich zu der Ursprungsfassung von 459

BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (150). Würtenberger, S. 211 ff.; ebenso Degenhart in: Sachs, Art. 70 Rn. 44 ff. 461 Hierzu zählt Würtenberger, S. 210 etwa das Personenstandswesen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 2 GG), das Sachgebiet „Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG), sowie die Verkehrsregeln im Straßenverkehr (Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG). 462 Als Beispiele nennt Würtenberger, S. 211 Fn. 888 das bürgerliche Recht und Strafrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG), sowie das Arbeitsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG); weitere Beispiele bei Degenhart in: Sachs, Art. 70 Rn. 45. 463 Exemplarisch führt Würtenberger, S. 210 das Sozialversicherungsrecht an. 464 Nach Degenhart in: Sachs, Art. 70 Rn. 45 sind dies etwa Art. 74 Abs. 1 Nr. 9 GG (Kriegsschäden und Wiedergutmachung) oder Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG (Abfallbeseitigung, Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung). 460

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

1949, weniger als normativ-rezeptive, sondern eher als faktisch-deskriptive Kompetenznorm. In der Ausgangsfassung von 1949 waren hergebrachte Steuerarten, wie die Einkommensteuer, die Vermögensteuer und die Erbschaft- und Schenkungsteuer, explizit erwähnt465, im Gegensatz zur heutigen Formulierung. Selbst unterstellt Art. 105 Abs. 2 GG sei als eine normativ-rezeptive Kompetenzbestimmung zu begreifen, kann das materielle Steuerrecht durchaus als „entwicklungsoffen“ angesehen werden, muss es sich doch regelmäßig den Veränderungen im wirtschaftlichen und sozialen Zusammenleben anpassen, sowie gesellschaftlich gewünschte Verhaltensweisen fördern, unerwünschte Formen dagegen belasten. Dies spricht damit gegen die Vermutung, das materielle Steuerrecht, bezogen auf die Landessteuern, zur Wahrung der Rechtssicherheit bundeseinheitlich regeln zu müssen. b) Schutz vor Doppelbesteuerungen Für bundesgesetzliche Landessteuerregelungen zur Wahrung der Rechtssicherheit könnte ein Verbot von Mehrfachbesteuerungen desselben Sachverhalts durch eine gleichartige beziehungsweise eine gleiche Landessteuer sprechen. Dem Schutz der Steuerbürger vor einer doppelten Steuerbelastung verschiedener Hoheitsträger bedurfte es bislang nur im Spannungsfeld zwischen Bundesund Landesgesetzgeber. Die Gefahr einer doppelten Besteuerung durch verschiedene Landessteuergesetzgeber bestand bislang nicht, da den Ländern über örtlich begrenzt wirkende Verbrauch- und Aufwandsteuern (Art. 105 Abs. 2a GG) hinaus, faktisch keine Gesetzgebungskompetenzen zukamen466. Daher ist zu untersuchen, ob auch auf Landesebene der Verfassung ein Doppelbesteuerungsverbot entnommen werden kann, zu dessen Schutz der Bundessteuergesetzgeber regelnd tätig werden dürfte. aa) Gleichartigkeitsverbot In Bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis leitet das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aus Art. 72 Abs. 1 GG das Gleichartigkeitsverbot ab467, welches historisch auf die Weimarer Republik zurückzuführen ist468. Nach Art. 72 Abs. 1 GG sind die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung zur Rechtsetzung nur solange und soweit befugt, als der Bund von 465

Zum Inhalt von Art. 105 Abs. 2 GG 1949 im ersten Kapitel Seite 28 f. So auch Waldhoff, S. 201. 467 Grundlegend: BVerfG v. 04.02.1958, 2 BvL 31/56 u. a., BVerfGE 7, 244 (258 f.); kritisch zu dieser Herleitung Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 91 ff. 468 Das Gleichartigkeitsverbot war einfach gesetzlich in § 2 Abs. 1 Finanzausgleichsgesetz v. 23.06.1923, RGBl. I 1923, S. 494 (zum Wortlaut siehe Fn. 51) normiert, welches als Ausprägung des Art. 12 Abs. 2 WRV galt. 466

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Dieser allgemeine Gesetzgebungsvorrang des Bundes gegenüber den Ländern bedeutet für das Gebiet des Steuerrechts gemäß Art. 105 Abs. 2 GG, dass ein Lebenssachverhalt, an den der Bundesgesetzgeber eine Steuer knüpft, durch den Landesgesetzgeber jedenfalls nicht mehr mit einer gleichartigen Steuer belegt werden kann469. In Bezug auf die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern ergibt es sich sogar unmittelbar aus der Verfassung, Art. 105 Abs. 2a GG470. Das Gleichartigkeitsverbot dient einem doppelten Zweck: einerseits wirkt es einer Entwertung der dem Bund zustehenden Steuerquellen entgegen, indem es eine Ausschöpfung dieser Quellen durch die Länder verhindert, andererseits schützt es den Bürger vor übermäßigen und unkoordinierten Mehrfachbelastungen desselben Steuerobjektes durch den Bundes- und Landesgesetzgeber471. In dem Gleichartigkeitsverbot kommt somit die „Begrenzungs- und Schutzfunktion der bundesstaatlichen Finanzverfassung“472 zum Ausdruck473. Dem Gesetzgeber sind danach bei der Auferlegung von Abgaben Grenzen gesetzt. Zur im Einzelfall schwierigen Bestimmung der Gleichartigkeit einer Steuer hat sich im Laufe der Zeit ein Katalog von Vergleichskriterien herausgebildet, der hier nicht weiter vertieft werden soll474. Festzuhalten bleibt, dass die Finanzverfassung den Steuerbürger 469

BVerfG v. 04.02.1958, 2 BvL 31/56 u. a., BVerfGE 7, 244 (258 f.). Zum Gleichartigkeitsverbot allgemein und zu den inhaltlichen Unterschieden bei Art. 105 Abs. 2a GG ausführlich Küssner, Die Abgrenzung der Kompetenzen des Bundes und der Länder im Bereich der Steuergesetzgebung, sowie der Begriff der Gleichartigkeit von Steuern, Berlin 1992; siehe auch Bultmann, DStZ 1996, S. 760 ff. 471 So Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 35; Bultmann, DStZ 1996, S. 760; Heun in: Dreier, Art. 105 Rn. 36; Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 22; Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 36. 472 Die Rechtsprechung hat diese Funktion aus der Konzeption der Finanzverfassung entwickelt, die durch differenzierte und ausbalancierte Regelungen eine geschlossene Rahmen- und Verfahrensordnung bilde. Durch diese Formenklarheit und die daraus resultierende Formenbindung entfalte sie für den Bürger eine Schutzwirkung und stelle für den politischen Prozess einen festen Rahmen dar, dessen Grenzen der einfache Gesetzgeber nicht überschreiten dürfe; BVerfG v. 06.11.1984, 2 BvL 20/83 u. a., BVerfGE 67, 256 (288 f.); v. 07.11.1995, 2 BvR 413/88 u. a., BVerfGE 93, 319 (342); v. 28.03.2002, 2 BvG 1/01 u. a., BVerfGE 105, 185 (193); v. 17.07.2003, 2 BvL 1/99 u. a., BVerfGE 108, 186 (214 f.). Zur Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung eingehend Jahndorf, S. 26 ff. 473 So auch Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 22. 474 Das Bundesverfassungsgericht zieht zur Beurteilung in ständiger Rechtsprechung einen Vergleich der steuerbegründenden Tatbestände heran. Dabei prüft es, ob die Steuern in Bezug auf den Steuergegenstand, den Besteuerungsmaßstab, die Art der Erhebung und die wirtschaftlichen Auswirkungen übereinstimmen. Außerdem stellt es darauf ab, ob die beiden Steuern „dieselbe Quelle der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausschöpfen“ (vgl. etwa BVerfG v. 04.02.1958, 2 BvL 31, 33/56, BVerfGE 7, 244 (260 ff.); v. 30.10.1961, 1 BvR 833/59, BVerfGE 13, 181 (193 f.); v. 04.06.1975, 2 BvR 824/74, BVerfGE 40, 56 (62 f.); v. 12.10.1978, 2 BvR 154/74, BVerfGE 49, 343 (355); v. 06.12.1983, 2 BvR 1275/79, BVerfGE 65, 325 (351 f.); v. 07.05.1998, 2 BvR 1991, 2004/95, BVerfGE 98, 106 (124 f.)). Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Kriterien findet sich beispielsweise bei Bultmann, DStZ 1996, S. 762 ff.; 470

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

vor mehrfachen Belastungen derselben Steuerquelle durch verschiedene Steuergesetzgeber schützt. Auf diesen Schutz darf der Bürger vertrauen, so dass für ihn insoweit Rechtssicherheit besteht. Sollten die Länder nunmehr nach der Änderung des Art. 72 Abs. 2 GG zur Ausübung ihrer Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der Landessteuern vermehrt berechtigt sein, erscheint eine Doppelbesteuerung, bei divergierenden landesgesetzlichen Regelungen, etwa für die Vermögensteuer und die Erbschaftsteuer durchaus möglich, da diese Steuern an überregionale Besteuertatbestände anknüpfen. Ganz allgemein gesagt, tritt das Phänomen der Doppelbesteuerung immer dann auf, wenn eine Besteuerung durch verschiedene Hoheitsträger bei Identität des Steuersubjekts, des Steuerobjekts und des Besteuerungszeitraums mit einer gleichartigen Steuer erfolgt475. Ob der „Begrenzungs- und Schutzfunktion“ der Finanzverfassung für den Bereich der überschneidenden Steuergesetzgebung durch die Bundesländer ein allgemeiner Grundsatz des Verbots der Doppelbesteuerung entnommen werden kann, ist zweifelhaft. An dieser Stelle führt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Gleichartigkeitsverbot nicht weiter. Zwar bedürfen die Bürger auch in Bezug auf mehrere Landesgesetzgeber des Schutzes vor übermäßigen und unkoordinierten Mehrfachbelastungen, ebenso liegt es im Interesse der Länder, wenn die ihnen zustehenden Steuerquellen nicht durch andere Länder ausgeschöpft werden, jedoch regelt die bundesstaatliche Finanzverfassung nicht das Verhältnis der Länder als Steuergesetzgeber untereinander. Somit muss für ein Doppelbesteuerungsverbot auf andere Verfassungsgrundsätze zurückgegriffen werden. bb) Verhütung von Normenkollisionen Vogel und Walter setzen das Problem der Gleichartigkeit von Steuergesetzen der Länder und des Bundes mit der allgemeinen Frage der Normenkonkurrenz oder Normenkollision in Zusammenhang476. Diese trete überall dort auf, wo „Rechtsfolgen verschiedener Normen bei der Anwendung auf dieselbe Person und/oder auf denselben Sachverhalt und/oder auf dieselbe Sache voneinander abzugrenzen oder miteinander zu vereinbaren sind.“ Exemplarisch nennen sie aus anderen Rechtsgebieten das Verhältnis Normen deutschen Rechts zum allgemeinen Völkerrecht (Art. 25 GG), die zivilrechtliche Lehre von der Anspruchskonkurrenz, etwa im Schadensersatzrecht, oder die strafrechtliche Konkurrenzlehre (§§ 52, 53 StGB).

Küssner, S. 108 ff. und S. 271 ff.; Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 35 ff.; vgl. auch Vogel/ Walter in: BK, Art. 105 Rn. 94 ff. 475 Schaumburg, § 12 Rn. 12.3 für den internationalen Bereich. 476 BK, Art. 105 Rn. 90 ff.

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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Bei Kompetenzüberschneidungen im Bundesstaat477 entnehmen Kloepfer und Bröcker der ursprünglichen Aufgabe des Rechtsstaatsprinzips, „zur Disziplinierung der Staatsgewalt im Interesse des dieser Gewalt unterworfenen Bürgers“478, eine allgemeine Begrenzungsfunktion der Befugnisse der Kompetenzträger479. Das rechtsstaatliche Prinzip verpflichtet sowohl den Bund als auch die Länder bei der Ausübung ihrer Befugnisse, den Bürger nicht dem willkürlichen, doppelten staatlichen Zugriff verschiedener, in Konkurrenz zueinander stehender Kompetenzträger auszusetzen480. Überträgt man diese beiden Ansätze auf das Verhältnis der Landesgesetzgeber untereinander, so lässt sich daraus ableiten, dass es bei einer Kollision von gleichartigen Landesrechtsätzen entsprechender Schutzmechanismen bedarf, um Rechtssicherheit für die Normadressaten zu schaffen. Bieten die hergebrachten Kollisionsregeln481 keinen ausreichenden Schutz, muss durch den Landesgesetzgeber oder, wenn erforderlich, durch den Bundesgesetzgeber eine entsprechende Kollisionsverhütungsregelung getroffen werden. Aus der rechtsstaatlichen Begrenzungsfunktion der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung folgt somit, dass der Gesetzgeber zum Schutze des Bürgers vor unkoordinierten Doppelbelastungen verpflichtet ist, Normenkollisionen und damit für den Bereich des Steuerrechts innerstaatliche Doppelbesteuerungen zu vermeiden. cc) Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Für das Steuerrecht wird das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Ergebnis zur Vermeidung von Normenkollisionen durch das Leistungsfähigkeitsprinzip gestützt. Das Prinzip der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit ist im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verankert482 und als Grundlage jeder Besteuerung weitgehend anerkannt483. Dieses steuerrechtliche Fundamentalprinzip drückt die Fähigkeit einer Person oder eines Unternehmens aus, Steuern aus dem gespeicherten Einkommen beziehungsweise Ge477

Allgemein zu diesem Thema Brohm, S. 525 ff. Kunig, S. 243. 479 Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 9. 480 Ebenso Henneke, ZG 1998, S. 293. 481 Dazu ausführlich Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, S. 10 f. m.w. N. 482 Allgemeine Meinung in der Literatur, stellvertretend Tipke, StrO I, S. 323 ff. und 479 ff.; Lang in: Tipke/Lang, § 4 Rn. 81 ff.; aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs siehe nur BFH v. 26.03.1991, IX R 162/85, BFHE 164, 327 (339); jüngst BFH v. 26.01.2006, III R 51/05, BStBl. II 2006, 515 (517). 483 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 6, 55 (67 f.); zuletzt BVerfG v. 16.03. 2005, 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268 (279 f.); vgl. auch eingehend Tipke, StrO I, S. 323 ff. und 479 ff.; Lang in: Tipke/Lang, § 4 Rn. 81 ff.; Schaumburg, § 14 Rn. 14.7 ff. mit Nachweisen zu abweichenden Ansichten (ebd., Fn. 22). 478

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

winn, entsprechend der Höhe des disponiblen Teils zahlen zu können484. Darin kommt zum Ausdruck, dass die objektive Leistungsfähigkeit, die durch die Erfassung des Besteuerungsgegenstandes bestimmt wird, in subjektiver Hinsicht eine Korrektur erfahren muss. Die subjektive Leistungsfähigkeit wird beispielsweise durch zusätzliche ausländische Steuern auf das Einkommen oder Vermögen zwangsweise gemindert. Um dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bei Auslandssachverhalten gerecht zu werden, muss daher auf internationaler Ebene in der Regel der Wohnsitzstaat Maßnahmen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung treffen485. Das daraus für das internationale Steuerrecht entwickelte Gebot zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung kann als eine allgemeine Rechtspflicht aber auch auf den innerstaatlichen Bereich übertragen werden. Denn auch durch die Belastung des Besteuerungsgegenstands mit einer Steuer eines anderen Bundeslandes wäre die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zwangsläufig gemindert. Eine doppelte Belastung widerspräche daher der gleichmäßigen Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. dd) Konsequenz für die Gesetzgebungskompetenz Festzuhalten bleibt als Ergebnis, dass sich dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz ein allgemeines, verfassungsrechtliches Verbot von doppelter Besteuerung desselben Sachverhalts durch gleiche Landessteuern entnehmen lässt. Könnten die Länder den Schutz vor Mehrfachbelastungen nicht hinreichend gewährleisten, wäre die Rechtssicherheit erheblich betroffen, so dass in diesem Fall ein Bundessteuergesetz der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ dienen dürfte. Ob die Länder eigenständig für ausreichende Rechtssicherheit sorgen können, wird gegebenenfalls bei den einzelnen Steuerarten näher zu untersuchen sein486. c) Verlässlichkeit der Steuerrechtsordnung Da das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ein zentrales Inhaltskriterium der Rechtssicherheit ist487, könnte der Bund regelungsbefugt sein, wenn die bundesgesetzliche Steuerregelung im Gegensatz zu einem Landesgesetz zu einem spürbaren Vertrauensgewinn bei den Normadressaten führt. 484

So die Definition nach Tipke, StrO I, S. 481. Schaumburg, § 14 Rn. 14.10; Tipke, StrO I, S. 522 ff. Esser, IFSt-Schrift Nr. 422 (2005), S. 59 sieht hierin die verfassungsrechtliche Grenze für die Bevorzugung bestimmter Einkünfte im internationalen Steuerwettbewerb. 486 Vgl. hierzu das dritte Kapitel ab Seite 119. 487 Siehe zuvor Seite 102. 485

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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Das deutsche Steuerrecht zeichnet sich bereits heute durch eine hohe Komplexität aus. Zahlreiche legale Steuerschlupflöcher bringen dem Steuerrecht in der Gesellschaft kein hohes Ansehen ein. Aus Angst, eine Steuervergünstigung zu übersehen, aber auch um die richtigen Dispositionen für die Zukunft zu treffen, werden vom Arbeitnehmer bis hin zum international tätigen Konzern Steuerexperten zu Rate gezogen. Von einem hohen Vertrauen in die Verlässlichkeit der derzeitigen Steuerrechtsordnung kann schon heute keine Rede sein. Sollten in Zukunft im Bereich der Landessteuern auf die Steuerpflichtigen im extremsten Fall sechzehn, inhaltlich divergierende Steuergesetze zukommen, die ihrerseits, beispielsweise durch verschiedene Bemessungsgrundlagen, unterschiedliche Möglichkeiten zur legalen Steuerreduzierung bieten, könnte das Vertrauen der Normadressaten in die Verlässlichkeit der Steuerrechtsordnung weiter sinken. Jedoch wird die Rechtssicherheit hierdurch allein nicht elementar bedroht sein. Ein weiterer Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit der Steuerrechtsordnung könnte daher allenfalls als ein zusätzliches Argument für eine bundesgesetzliche Regelungsbefugnis herangezogen werden. 2. Freizügigkeit gewährleistende Bundesregelungen Der Begriff der Freizügigkeit im Bundesgebiet ist aus Art. 11 Abs. 1 GG bekannt. In diesem Zusammenhang definiert das Bundesverfassungsgericht Freizügigkeit als das Recht, „an jedem Ort des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen“488. Geschützt ist damit die Freiheit der Fortbewegung zwecks Ortswechsels. Ob das Bundesverfassungsgericht bei der Abgrenzung von Gesetzgebungskompetenzen den Begriff der Freizügigkeit auch in diesem Sinne verwenden wollte, muss in Anbetracht der Auslegung der Zielvorgaben der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ und der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ bezweifelt werden. Die Verwendung des Begriffs der Freizügigkeit diente dem Bundesverfassungsgericht zur Konkretisierung der Zielvorgabe der ,Rechtseinheit‘. In seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ stellte es zunächst ganz allgemein auf die Funktionsfähigkeit der Rechtsgemeinschaft und der Rechtsordnung ab489. Hieraus lässt sich entnehmen, dass es dem Gericht bei der Auslegung der zweiten Zielvorgabe auf die rechtlichen Beziehungen ankam, im Gegensatz zur ersten Zielvorgabe, die auf das Sozialgefüge abzielen soll. Diesen Ansatz führte das Bundesverfassungsgericht sodann bei der näheren Bestimmung der Freizügigkeit weiter fort, indem es nicht den Ortswechsel der Normadressaten heranzog, sondern allein den „länderübergreifenden Rechtsverkehr“ in den Mittelpunkt der

488 489

BVerfG v. 06.06.1989, 1 BvR 921/85, BVerfGE 80, 137 (150) m.w. N. Vgl. BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (145).

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

Betrachtung stellte490. Regelungen, die die Wahl des Wohnsitzes und damit die Mobilität der Betroffenen beeinflussen, wollte das Bundesverfassungsgericht bei der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ geprüft wissen491. Danach haben Wanderbewegungen erst dann einen schädlichen Charakter, wenn sie zu einer Störung des Sozialgefüges führen, die über die bundesstaatimmanenten sozialen Unterschiede hinausgehen. Mit seiner Formulierung zur Freizügigkeit lehnte es sich nur in Teilen an die Untersuchung zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949 von Gruson492 an. Dieser unterschied bei der Interpretation des Begriffs der ,Rechtseinheit‘ zwischen dem „persönlichen Verkehr der Bundesbürger“, also dem Wechsel des Wohnsitzes, und dem „Rechts- und Wirtschaftsverkehr“, der sich jeweils ungehindert und unbeschwert über die Landesgrenzen im Bundesgebiet abspielen sollte493. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Unterscheidung aus systematischen Gründen bewusst nicht übernommen, sondern sich allein auf den zweiten Teil der Definition konzentriert. Den freien, länderübergreifenden Wirtschaftsverkehr sah es hingegen als Teil des Merkmals der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘, wobei es in diesem Bereich zu erheblichen Überschneidungen mit der ,Rechtseinheit‘ kommen kann494. Dass der vom Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung von Art. 72 Abs. 2 GG verwandte Begriff der Freizügigkeit nicht deckungsgleich mit dem Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG ist, ist in Bezug auf die beiden anderen Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG systematisch konsequent und richtig. Die Interpretation bietet die Möglichkeit einer inhaltlichen Abgrenzung der drei Zielvorgaben voneinander. Dieser Ansatz sollte daher bei der weiteren Auslegung der Vorschrift stringent weiter verfolgt werden. Für den Ansatz des Bundesverfassungsgerichts spricht zudem die unterschiedliche verfassungsrechtliche Funktion von Art. 11 GG und Art. 72 Abs. 2 GG. Die Freizügigkeit im Rahmen von Art. 72 Abs. 2 GG begründet kein Recht eines Individuums gegenüber dem Staat, sondern dient als Inhaltskriterium einer Grenzziehung zwischen dem Recht der Länder und dem Recht des Bundes, ihre Gesetzgebungskompetenzen auszuüben. Für eine Kompetenzausübungsregelung dürfen jedoch andere Maßstäbe, als für ein freiheitsschützendes Grundrecht gelten. Für den Landesgesetzgeber kann das Grundrecht der Freizügigkeit im Bundesgebiet allenfalls in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG Relevanz beanspruchen495. Voraussetzung für die

490

Hervorhebung durch den Verfasser. So wohl BVerfG v. 27.07.2004, 2 BvF 2/02, BVerfGE 111, 226 (265). 492 Die Bedürfniskompetenz, Berlin 1967. 493 Gruson, S. 53 f. 494 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (146). 495 Vgl. zu Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Grenze für einen Steuerwettbewerb im vierten Kapitel Seite 193 ff. 491

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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Eröffnung des Schutzbereiches ist aber, dass dem Bundesland die Gesetzgebungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG überhaupt zusteht. Erst dann kann gefragt werden, ob einzelne Adressaten des Landesgesetzes in ihrer Freizügigkeit beeinträchtigt sind496. Damit ist auch Würtenberger zu widersprechen, der unter Freizügigkeit den „freien Zug der Bevölkerung oder der wirtschaftlichen Unternehmen“ versteht und diese erst bedroht sieht, wenn eine nicht unerhebliche Anzahl der jeweiligen Normadressaten abgehalten oder veranlasst wird, die Ländergrenzen dauerhaft zu überschreiten497. Die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts spricht somit dafür, unter Freizügigkeit die Freiheit zu verstehen, bei Bedarf Rechtsbeziehungen einzugehen oder aufzulösen. Diese Freiheit müsste durch die unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen und die dadurch hervorgerufene Rechtsunsicherheit in nicht hinnehmbarer Weise gefährdet sein, um eine bundesgesetzliche Regelung zu rechtfertigen498. Eine in diesem Sinne verstandene Interpretation der Freizügigkeit in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ bedeutet für die zukünftige Steuergesetzgebung der Länder, dass es bei Besteuerungstatbeständen, die an länderübergreifende Rechtsgeschäfte, etwa private Veräußerungsgeschäfte oder Schenkungen von Vermögensgegenständen, anknüpfen, einer besonderen Prüfung von möglichen Behinderungen für den Rechtsverkehr bedarf. 3. Ergebnis Weder das zur näheren Bestimmung der ,Rechtseinheit‘ vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Inhaltskriterium der Rechtssicherheit noch das der Freizügigkeit steht einem Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern grundsätzlich entgegen. Zeichnet sich jedoch eine Mehrfachbelastung der Steuerbürger mit der gleichen Landessteuer verschiedener Bundesländer innerhalb Deutschlands ab, oder wird der länderübergreifende Rechtsverkehr durch die divergierenden Landessteuergesetze erheblich behindert, könnte ein Steuergesetz des Bundes der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ dienen. Um dies im konkre496

Hierzu im vierten Kapitel Seite 196 f. Würtenberger, S. 205 ff. Zu den so genannten „mobilen Gesetzgebungskompetenzen“ zählt er auch Teile des Steuerrechts, beispielsweise die Erbschaft- und Schenkungsteuer (ebd., S. 270 f.); ebenso im Ergebnis Huber, Komm-Drs. 0031, S. 16; ders. in: Föderalismuskommission, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung vom 11.03. 2004, S. 116. 498 Backert befürwortet beispielsweise ein bundesgesetzliches Einschreiten, wenn für den Bereich des bürgerlichen Rechts zur Regelung des länderübergreifenden Rechtsverkehrs ein interlokales Privatrecht erforderlich wäre (BayVBl 2006, S. 132). 497

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

ten Fall beurteilen zu können, werden im dritten Kapitel die steuerwettbewerbsbedingten Auswirkungen bei den einzelnen Steuerarten näher untersucht.

III. Funktionsfähigkeit der Gesamtwirtschaft contra Steuerwettbewerb Ebenso wie das Merkmal der ,Herstellung der Rechtseinheit‘ wirkte in der Vergangenheit das Kriterium der ,Herstellung der Wirtschaftseinheit‘ für den Bereich der Steuergesetzgebung stark unitarisierend. Die eher allgemein gehaltenen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Tatbestandsmerkmal der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ geben wenig konkrete Anhaltspunkte für eine Anwendung der Voraussetzungen auf Art. 105 Abs. 2 GG. Da es sich bei den Vorschriften des Altenpflegegesetzes um Regelungen der Berufsausbildung handelte, die nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers jedenfalls von dem Merkmal der ,Wirtschaftseinheit‘ erfasst sein sollten, musste das Bundesverfassungsgericht seine Vorgaben nicht näher konkretisieren. Unklar blieb daher, wann unterschiedliche Landesregelungen oder das Fehlen solcher Regelungen, die sich nicht auf die Berufsausbildung beziehen, „erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft“499 mit sich bringen und damit die „Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik“500 bedrohen. Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, zog das Bundesverfassungsgericht bei der Interpretation des Begriffs ,Wirtschaftseinheit‘ die Ausführungen von Gruson zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949 heran. Nach diesem muss sich eine bundesgesetzliche Regelung „messbar und spürbar“ zu Gunsten der Gesamtwirtschaft auswirken, um die Bundesgesetzgebungskompetenz ausüben zu dürfen501. Ob dies der Fall ist, müsse für jede Gesetzesmaterie gesondert beurteilt und auch bewiesen werden. Aber auch diese Interpretation ist wenig fassbar. 1. Konkretisierung durch Würtenberger Die Ansatzpunkte des Bundesverfassungsgerichts und Grusons hat in jüngster Zeit Würtenberger in überzeugender Weise weiterentwickelt502. Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zur ,Wahrung der Wirtschafseinheit‘ sieht er inhaltlich in der Nähe zur ,Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts‘ des Art. 104b Abs. 1 Nr. 1 GG503. Daher konkretisiert er zunächst den 499 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (147), Hervorhebung durch den Verfasser. 500 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (146). 501 Gruson, S. 56 ff. 502 Ausführlich Würtenberger, S. 213 ff.

E. Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung

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Begriff des ,gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts‘ mit Hilfe der einfachgesetzlichen Vorgabe des § 1 Satz 2 des Stabilitätsgesetzes (StabG). Als Teilziele der Wirtschaftspolitik des Bundes und der Länder werden dort die Stabilität des Preisniveaus, ein hoher Beschäftigungsgrad, außenwirtschaftliches Gleichgewicht, stetiges und ansteigendes Wirtschaftswachstum genannt504. Zur verfassungsrechtlichen Auslegung zieht er darüber hinaus Erkenntnisse aus der Wirtschaftswissenschaft heran. Die Konkretisierung des ,gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts‘ durch die Kriterien des so genannten „magischen Vierecks“ dient ihm dazu, auch die Zielvorgabe der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ mit einem konkreten Inhalt zu füllen. Würtenberger gelangt zu dem Ergebnis, dass die Gesetzgebungskompetenz des Bundes über Berufsausbildungsregelungen hinaus nur dann eröffnet ist, wenn eine besonders gravierende Gefährdungslage für die Gesamtwirtschaft besteht, die beispielsweise bei erheblichen Wettbewerbsnachteilen für den Wirtschaftsstandort Deutschland oder bei der Gefährdung einzelner Teilziele des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben ist. Exemplarisch nennt er Regelungen der Arbeitszeit, der Arbeitsplatzförderung oder der Preisbindung, die ein Tätigwerden des Bundes rechtfertigen. Hingegen gelte dies nicht für Vorschriften, die die Produktionsbedingungen, die Ladenöffnungszeiten oder die Genehmigung lokaler Gewerbe beträfen. Damit reduziert er die Anwendung der dritten Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG neben der Materie der Berufsausbildung auf wenige begründete Ausnahmefälle. Die auf die vier Faktoren der Wirtschaftspolitik konzentrierte Interpretation Würtenbergers gerät schnell in den Verdacht, das Merkmal der ,Wirtschaftseinheit‘ zu stark wirtschaftswissenschaftlich ausgelegt zu haben. Aber gerade hierin liegt die Überzeugungskraft der Ausführungen, denen insoweit zuzustimmen ist. Nicht nur, dass Würtenberger die restriktive Interpretationslinie des Bundesverfassungsgerichts konsequent fortführt und er damit dem Kriterium der ,Wirtschaftseinheit‘ in seiner Funktion als „zusätzliche Schranke für die Ausübung der Bundeskompetenz“505 gerecht wird, überzeugt, sondern es gelingt ihm auch, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts „mit Leben zu füllen“. Das Bundesverfassungsgericht selbst grenzte das Anwendungsgebiet der dritten Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG auf „wirtschaftspolitisch bedrohliche und unzumutbare Auswirkungen einer Rechtsvielfalt oder mangelnder länderrechtlicher Regelung“506 ein. Dem folgend setzt der Interpretationsansatz Würtenbergers zu Recht bei den Faktoren an, die als Indikatoren für die Entwick503 Neu eingefügt 2006 durch die erste Stufe der Föderalismusreform, BGBl. I 2006, S. 2036 (bis dahin: Art. 104a Abs. 4 Satz 1 GG). 504 Zum Inhalt der einzelnen Teilziele („magisches Viereck“) Stern/Münch/Hansmeyer, S. 120 ff.; Möller, S. 81 ff. 505 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (135). 506 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (146), Hervorhebung durch den Verfasser.

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

lung der Gesamtwirtschaft der Bundesrepublik gelten507. Diese Vorgaben sind § 1 Satz 2 StabG zu entnehmen. Die Kriterien des so genannten „magischen Vierecks“ sind aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht zwar Kritik ausgesetzt508, gelten aber als einfachgesetzlich normierte Zielvorgaben weiter fort. Eine Rechtsvielfalt in den Bundesländern kann somit nur dann als erheblicher Nachteil für die Gesamtwirtschaft angesehen werden, wenn die Pluralität eine Beschränkung des freien Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital zur Folge hat, wodurch eine ungünstige Veränderung zumindest eines der vier Faktoren des „magischen Vierecks“ deutlich erkennbar und nachweisbar ist. Kommt es hingegen durch landesrechtliche Regelungen in einzelnen Bundesländern zu negativen Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung oder zu Abwanderungen von Unternehmen, die gesamtwirtschaftlich betrachtet keines der vier Ziele der Wirtschaftspolitik ungünstig beeinflussen, ist ein bundesgesetzliches Eingreifen an der Zielvorgabe der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ zu überprüfen. Nachteilige Folgen für die Rechtsordnung in der Bundesrepublik Deutschland ohne Auswirkungen auf die Wirtschaftsfaktoren sind am Kriterium der ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ zu messen. 2. Auswirkung eines Steuerwettbewerbs auf die Kriterien der Wirtschaftspolitik Für einen durch unterschiedliche landesrechtliche Regelungen hervorgerufenen Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern bedeutet dies, dass die dritte Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG dem nicht grundsätzlich entgegensteht. Ein wettbewerbsbedingtes Absinken der Steuerbelastung für Unternehmen in Deutschland wirkt sich auf die genannten Wirtschaftsfaktoren eher positiv aus. Denn eine geringere Steuerbelastung führt zu weniger Kosten bei den Unternehmen, die ihrerseits höhere Gewinne erzielen können. Somit würden niedrige Steuerkosten günstige Effekte für den Faktor Wirtschaftswachstum und eventuell auch für den Beschäftigungsgrad hervorrufen. Eine Gefährdung einer der vier Teilziele wird dadurch nicht bedingt. Ein Steuerwettbewerb könnte jedoch so extreme Ausmaße annehmen, dass hierdurch ein Steuerdumping zwischen den Ländern entsteht509. Ein solch ruinöser Steuerwettbewerb wirkt sich negativ auf die Haushaltslage insbesondere der finanzschwachen Länder aus, die in die Gefahr geraten könnten, nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Erfüllung ihrer staatlichen Aufgaben zur Verfügung zu haben. Dies ist sicherlich, 507

Vgl. Möller, S. 77 ff.; Stern/Münch/Hansemeyer, S. 117 ff. Vgl. Cassel/Thieme, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, S. 315 ff. 509 Zu den Nachteilen eines Steuerwettbewerbs am Beispiel der Europäischen Union Hey, FS Solms, S. 36. 508

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auch im Hinblick auf den Länderfinanzausgleich, nicht erstrebenswert. Jedoch ruft ein Steuerdumping nicht unmittelbar nachteilige Wirkungen auf die vier Indikatoren für die Lage der Gesamtwirtschaft hervor. Allenfalls könnten finanzschwache Länder ihre staatlichen Investitionen einschränken, was mitteloder langfristig zu weniger Beschäftigung und Wachstum in der Region führen könnte, andererseits könnten aber auch die steuerentlasteten Unternehmen vermehrt Investitionen tätigen. Schon hieraus folgt, dass die mittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen nicht hinreichend konkret absehbar sind. Das Tatbestandsmerkmal der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ ist daher nach dem hier vertretenen Verständnis durch einen extremen Steuerwettbewerb nach unten nicht tangiert, so dass sich der Bund zur Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz insoweit nicht auf dieses Merkmal beziehen kann. Dies bedeutet aber noch nicht, dass einem Steuerdumping Tür und Tor geöffnet sind. In einem Bundesstaat, wie der Bundesrepublik, darf der Bund weder bewusst gegen die Länderinteressen agieren, noch die Länder gegen den Bund oder gegen andere Länder. Diese Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme folgt aus dem ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz der Bundestreue. Als Teil des Bundesstaates müssen sich auch die Länder bei ihren Entscheidungen der „Rücksicht auf das Gesamtwohl“510 unterordnen. Denn der Bestand eines Bundesstaates ist davon abhängig, dass im Verhältnis von Bund und Ländern zueinander die Ausübung von formal bestehenden Kompetenzen durch gegenseitige Rücksichtnahme bestimmt ist511. Inwieweit sich hieraus für die Länder Beschränkungen für die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz für Landessteuern ableiten lassen, wird im vierten Kapitel bei den Grenzen für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene näher zu untersuchen sein512. Eine Rechtsvielfalt bei der Steuergesetzgebung kann neben einem Wettbewerb nach unten höhere Steuerbefolgungskosten für die Betroffenen hervorrufen513, die sich im extremsten Fall auf sechzehn divergierende Regelungen, beispielsweise zur Gewerbesteuer oder Erbschaftsteuer, einstellen müssten. Diese mit der Steuerentrichtung zusammenhängenden Transaktionskosten514 können für national tätige Unternehmen durchaus eine gravierende Belastung darstellen. Nachteilige Folgen für das Wirtschaftswachstum erscheinen nicht ausgeschlossen, so dass die erhöhte Kostenlast ein bundesgesetzliches Einschreiten zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ erforderlich machen könnte. Bei welchen Landessteuerarten sich dieses Problem stellt und wie diesem zu begegnen ist, 510

BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (141). BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (141 f.). 512 Vgl. dort Seite 199 f. 513 Hierzu Hey, FS Solms, S. 36. 514 Zu weiteren Steuerwirkungen Grossekettler, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, S. 594 ff. 511

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

wird ebenfalls Gegenstand des dritten Kapitels sein515. Im Gegenzug zu den erhöhten Steuerbefolgungskosten bieten nebeneinander existierende Steuerregelungen auch immer die Möglichkeit von Steuerarbitrage. Ob hiervon jedoch solche Vorteile für die Gesamtwirtschaft ausgehen, die die Kostenbelastung kompensieren, kann kaum vorhergesagt werden. Schließlich könnte sich eine durch die Pluralität der steuerrechtlichen Regelungen hervorgerufene doppelte Besteuerung von länderübergreifenden Sachverhalten nachteilig auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Hierin ist voraussichtlich die größte Gefahr von divergierenden Landessteuergesetzen zu sehen. Negative Folge wäre nicht nur eine drohende höhere Steuerbelastung für die Unternehmen, sondern die Unternehmen könnten dies zum Anlass nehmen, ihren Sitz ins Ausland zu verlagern, wo sie nicht der Gefahr einer mehrfachen Steuerbelastung ausgesetzt sind. Eine Prognose im Hinblick auf das Ausmaß der Abwanderung und die Folgen für die Gesamtwirtschaft in Deutschland ist derzeit kaum möglich.

F. Zusammenfassung Art. 105 Abs. 2 GG wirft sowohl in seiner Funktion als Kompetenztitel für das materielle Steuerrecht, als auch in seiner Eigenschaft als Kompetenzausübungsregelung zahlreiche Probleme auf. Erst durch eine Auslegung der Tatbestandsmerkmale nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, der Stellung der Norm im Gesamtgefüge der Verfassung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift sind Begriffe wie ,übrige Steuern‘ mit Inhalt zu füllen. Danach ist Art. 105 Abs. 2 GG als Kompetenztitel auf dem Gebiet des materiellen Steuerrechts allumfassend, so dass neuartige Steuern durch den Bund, aber auch durch die Länder erfunden werden können. Voraussetzung für eine verfassungsrechtlich zulässige Erhebung dieser Steuern ist jedoch eine Ergänzung des Art. 106 GG, da es ansonsten an einem Steuergläubiger fehlt. Gerade durch diese Trennung der Ertragshoheit nach Art. 106 GG von der Steuergesetzgebungshoheit treten wiederholt Auslegungsschwierigkeiten auf. Ausgangspunkt einer Auslegung muss immer der Verfassungswortlaut selbst und die Verfassungssystematik sein. In diesem Sinne kann die erste Kompetenzeinschränkung des Art. 105 Abs. 2 GG nicht als ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Bundes- und Gemeinschaftssteuern angesehen werden, da die Steuergesetzgebung ausdrücklich als konkurrierende Gesetzgebung ausgestaltet ist. Für die der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Materien weist die Verfassung grundsätzlich den Ländern die Gesetzgebungskompetenz zu, Art. 72 Abs. 1 GG. Diese Verfassungsentscheidung darf nicht durch eine teleologische Interpretation konterkariert werden. 515

Dazu ab Seite 119.

F. Zusammenfassung

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Die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Steuern, deren Aufkommen ihm nicht ganz oder teilweise zustehen, hängt von den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG ab. Die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG hat viele Zweifel an dieser zweiten Kompetenzeinschränkung des Art. 105 Abs. 2 GG beseitigt und einen Teil der Kritiker verstummen lassen, jedoch lässt sie auch noch einige bedeutende Fragen offen. Die weiterhin bestehende Unbestimmtheit der Voraussetzungen wird in der Gesetzgebungspraxis zu Unsicherheiten führen. Aufgabe der rechtswissenschaftlichen Diskussion ist es nun, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Sinne weiter zu interpretieren. Die Auseinandersetzung mit den Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG hat bereits gezeigt, dass bei einer weiteren Auslegung erhebliche Schwierigkeiten auftreten. Für einen möglichen Steuerwettbewerb auf Landesebene kann zunächst allgemein festgehalten werden: Die drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG stehen einer divergierenden Steuergesetzgebung der Länder für die Landessteuern nicht generell entgegen. Der Bundesgesetzgeber kann seine Kompetenz nicht mit dem Argument der gleichmäßigen Steuerbelastung im gesamten Bundesgebiet unter dem Gesichtspunkt der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ an sich ziehen. Durch die textliche Veränderung von den ,einheitlichen‘ zu den ,gleichwertigen Lebensverhältnissen‘ hat sich auch ein inhaltlicher Wandel vollzogen, der den Gedanken der regionalen Vielfalt in den Vordergrund stellt. Trotz der erlaubten Uneinheitlichkeit der Lebensbedingungen ist bei der weiteren Untersuchung der Aspekt von Wanderbewegungen von Hoch- in Niedrigsteuerländer bei den einschlägigen Steuerarten zu begutachten. Das Merkmal der ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ schließt einen Steuerwettbewerb auf Landesebene nur dann aus, wenn Doppelbesteuerungen durch gleiche Landessteuern bei länderübergreifenden Sachverhalten drohen und die Bundesländer nicht selbst hinreichend in der Lage sind, Schutz vor Mehrfachbelastungen zu gewährleisten. Aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 3 Abs. 1 GG folgt ein allgemeines Doppelbesteuerungsverbot. Hinzu kommt, dass bei Lücken in den Landessteuersystemen, die Steuerarbitrage begünstigen, das Vertrauen der Bürger in die Verlässlichkeit der Steuerrechtsordnung weiter sinkt. Schließlich stellt auch das Kriterium der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ kein absolutes Hindernis für einen bundeslandweiten Steuerwettbewerb dar. Die Faktoren der Wirtschaftspolitik könnten durch einen vermehrten Wettbewerb sogar positiv beeinflusst werden. Im Einzelnen sind aber auch hier wettbewerbsbedingte Phänomene, wie die Gefahr von Mehrbelastungen durch erhöhte Steuerbefolgungskosten und Doppelbesteuerungen, näher bei den betroffenen Steuerarten zu untersuchen. Hingegen muss das Problem eines unfairen oder ruinösen Steuerwettbewerbs außerhalb von Art. 72

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2. Kap.: Konkurrierende Steuergesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG

Abs. 2 GG gelöst werden. Hierzu kann möglicherweise der Grundsatz der Bundestreue herangezogen werden. Abstrakt ist damit die Möglichkeit für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene nach der derzeitigen Verfassungslage durchaus gegeben. Ob in der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG tatsächlich eine so beträchtliche Kompetenzerweiterung für die Länder zu sehen ist, dass bundesgesetzliche Regelungen für die Vermögensteuer, die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die Kraftfahrzeugsteuer und die kommunalen Realsteuern überhaupt nicht mehr erforderlich sind516, lässt sich nicht im Ganzen, sondern nur steuerartspezifisch beantworten.

516

So Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 30.

3. Kapitel

Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene Dieses Kapitel befasst sich mit den rechtlichen Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Länderebene nach dem geltenden Grundgesetz. Dazu werden einzelne Steuerarten, für die eine Landessteuergesetzgebungskompetenz in Frage kommt, namentlich die Erbschaftsteuer, die Vermögensteuer, die Kraftfahrzeugsteuer, die Gewerbesteuer und die Grunderwerbsteuer, in Bezug auf die drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG und die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung untersucht (B.–F.). Um eine Aussage über die grundsätzliche Verteilung der Gesetzgebungsbefugnisse nach der Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG treffen zu können, muss in diesem Kapitel eine der derzeitigen Gesetzeslage widersprechende Ausgangssituation zu Grunde gelegt werden. Vorausgesetzt wird nachfolgend, dass für die zu untersuchenden Landessteuern ausschließlich verschiedene Landessteuergesetze existieren. Darauf aufbauend ist zu fragen, ob und wenn ja, inwieweit der Bundesgesetzgeber nach Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG befugt wäre, bundesgesetzliche Regelungen für diese Landessteuern zu erlassen517. Eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Gesetzeslage bei den Landessteuern soll erst nach Klärung der theoretischen Gesetzgebungsmöglichkeiten von Bund und Ländern erfolgen. Sowohl die Frage nach Änderungsmöglichkeiten bestehender Steuergesetze durch den Bundesgesetzgeber (Art. 125a GG), als auch das Problem, unter welchen Voraussetzungen etwaige Änderungen an den Vorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zu messen sind, sollen Gegenstand des vierten Kapitels sein. Auf internationaler und europäischer Ebene ist ein Wettbewerb der Steuersysteme kein neues Phänomen. Auch innerhalb Deutschlands ist der Konkurrenzkampf der Gemeinden bei den kommunalen Realsteuern immer wieder Gegen517 Die Untersuchung wird dort an ihre Grenzen stoßen, wo umfangreiche Feststellungen im tatsächlichen Bereich notwendig sind. Das Bundesverfassungsgericht selbst bediente sich zur Bestimmung der Gesetzeswirkungen, etwa des Altenpflegegesetzes, mehrerer Sachverständiger. Daher werden im Rahmen dieser Arbeit die rechtlichen Möglichkeiten einer Landessteuergesetzgebung aufgezeigt, berücksichtigend, dass veränderte tatsächliche Entwicklungen zu anderen Ergebnissen führen können.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

stand der aktuellen Diskussionen. Einleitend sollen an Hand der Erfahrungen im Bereich der kommunalen Realsteuern und der Situation in der Europäischen Union die möglichen Auswirkungen eines Steuerwettbewerbs518 und die Reaktionen der Wettbewerber aufgezeigt werden (A.).

A. Eine Bestandsaufnahme zum Steuerwettbewerb in Deutschland und Europa Mehr ländereigene Steuergesetzgebungskompetenzen hätten unweigerlich bislang noch nicht existenten (Steuer-)Wettbewerb zwischen den Bundesländern zur Folge. Der mehr in den Wirtschafts- als in den Rechtswissenschaften beheimatet Begriff des „Wettbewerbs“ bezeichnet eine Marktform, in der unabhängig voneinander planende Wirtschaftseinheiten rivalisieren519. Jede Aktion eines Wettbewerbers, die ihm einen Vorteil am Markt verschafft, zwingt die anderen Wettbewerber zu einer Reaktion, um den verlorenen Marktanteil zurückzugewinnen520. Dabei werden dem Wettbewerb als Marktform beachtliche Effekte bescheinigt, wie die Förderung von Wohlstand und Fortschritt, gesteigerte Effektivität und Effizienz, Vorbeugung gegen Unzuverlässigkeiten und Schutz der Freiheit für alle521. Vollzieht sich der Wettbewerb im Bereich des Steuerrechts auf Staatsebene, rivalisieren also verschiedene Hoheitsträger auf nationaler oder internationaler Ebene miteinander. Er wird sich umso intensiver gestalten, je mehr wirtschaftliche Investitionen mit den konkurrierenden Steuerarten mobilisiert werden können. Damit ist bereits die Zielrichtung eines jeden Steuerwettbewerbs vorgegeben. Zielgröße ist, je nach Ebene, das nationale oder internationale mobile Kapital522. Als Steuerungsmittel werden steuerpolitische Maßnahmen eingesetzt, um die Einnahmeseite entsprechend zu beeinflussen. Somit kann Steuerwettbewerb, als Wettbewerb der Staaten um Kapital mit den Mitteln des Steuerrechts, definiert werden523. Diese vereinfacht dargestellten Wettbewerbsgrundsätze bedeuten übertragen auf einen föderal aufgebauten Staat, dass im überschaubaren Bereich des Bundeslandes innovative steuerrechtliche Lösungsansätze entwickelt und angewendet werden können (Entdeckungs- und Anreizfunktion des Wettbewerbs)524, die bei Bewährung als Vorbild für den Ge518 Dazu allgemein Gerken/Märkt/Schick, S. 155 ff.; zum internationalen Steuerwettbewerb Esser, Nr. 422 (2004). 519 Kruber in: Handbuch zur ökonomischen Bildung, S. 294. 520 Kruber in: Handbuch zur ökonomischen Bildung, S. 295. 521 Bull, DÖV 1999, S. 269. Bull weist aber auch darauf hin, dass diejenigen, denen der Wettbewerb nicht derartig zugute kommt, der Unterstützung durch die Gemeinschaft bedürfen. 522 Gerken/Märkt/Schick, S. 4 zum internationalen Wettbewerb. 523 Gerken/Märkt/Schick, S. 5. 524 Allgemein Bull, DÖV 1999, S. 269 f.; Engels, S. 47 f. jeweils m.w. N.

A. Bestandsaufnahme zum Steuerwettbewerb in Deutschland und Europa

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samtstaat dienen können. Durch diesen Anreiz, überzeugende Konzepte zu entwickeln und dabei selbst an Attraktivität zu gewinnen, können die Bundesländer im Idealfall zu Impulsgebern für die Erneuerungskraft des ganzen Staates werden525. Hingegen lassen sich in der steuerwettbewerbspolitischen Realität im Gegensatz zu den genannten ökonomischen Optimalvorstellungen aus verschiedenen, noch näher darzustellenden Gründen sowohl auf innerstaatlicher als auch auf europäischer Ebene eher Harmonisierungs- und Reglementierungstendenzen erkennen.

I. Steuerwettbewerb auf kommunaler Ebene 1. Gewerbesteuer Auf kommunaler Ebene ist ein Wettbewerb um einen attraktiven Wirtschaftsstandort durch die Bestimmung der Höhe des Hebesatzes bei der Gewerbesteuer hinlänglich bekannt. Das Hebesatzrecht der Gemeinden ist erst seit 1997 in Art. 28 Abs. 2 Satz 3, 2. Halbsatz GG verfassungsrechtlich normiert526. Danach wird den Gemeinden eine mit Hebesatzrecht ausgestattete, wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle garantiert. Den Gemeinden steht damit von Verfassungswegen, derzeit mit der Gewerbesteuer, ein Instrument des Steuerwettbewerbs zur Verfügung. Das unbeschränkte Hebesatzrecht führte in der Vergangenheit dazu, dass sich einige Gemeinden zu regelrechten „Gewerbesteueroasen“ entwickelten, indem sie ihre Hebesätze rapide absenkten. In Ortschaften, wie Norderfriedrichskoog, wo der Gewerbesteuerhebesatz Null von Hundert betrug527, siedelten sich plötzlich Anbieter von Finanzdienstleistungen und andere Verwaltungs- und Holdinggesellschaften an, die keine besonderen Ansprüche an die Infrastruktur stellten528. Die radikale Standortpolitik einiger Gemeinden veranlasste den Bundesgesetzgeber, die Gemeinden mit Wirkung zum 1. Januar 2004529 zur Erhebung einer Gewerbesteuer mit einem Mindesthebesatz von 200 von Hundert zu verpflichten (§§ 1 und 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG). Neben dem Ziel, „Steueroasen“ zu vermeiden, dienen die Regelungen dazu, „gravierende regionale Verwerfun525

Vgl. auch Engels, S. 48. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 28 und 106) vom 20.10.1997, BGBl. I 1997, S. 2470. Grund für die Änderung des Art. 28 GG war die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer mit Art. 4 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl. I 1997, S. 2590 ff.). 527 Die landwirtschaftlich geprägte Gemeinde, die etwa 50 Einwohner zählt, konnte den Verzicht auf Kommunalsteuern durch Einnahmen aus der Eindeichung und niedrigen Ausgaben ermöglichen. 528 Zu diesem Phänomen Hey, FS Solms, S. 41; Otting, DB 2004, S. 1224. 529 Gesetz zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23.12.2003 (BGBl. I 2003, S. 2922). 526

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

gen bei der Besteuerung“ vorzubeugen und „annähernd gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ herzustellen530. Darüber hinaus wurde zur Begründung der Entscheidung auch die angespannte finanzielle Situation der Kommunen herangezogen, da in den Gemeinden, aus denen die Unternehmen ihren Sitz wegverlegt hatten, erhebliche Gewerbesteuerausfälle zu verzeichnen waren531. Durch die Gewerbesteuerumlage (Art. 106 Abs. 6 Sätze 4 bis 6 GG) waren auch der Bund und die Länder von den Steuerausfällen mittelbar betroffen, so dass auch diese ein nicht unerhebliches eigenes Interesse an einem hohen Gewerbesteueraufkommen hatten. Für die Gemeinden hat sich durch die Neuregelungen der Gestaltungsspielraum in Hinblick auf eine eigene, steuerbezogene Standortpolitik jedenfalls verengt. Eine Klärung der Frage durch das Bundesverfassungsgericht, ob der Bundesgesetzgeber hierdurch gegen die verfassungsrechtlich garantierte kommunale Finanzautonomie (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) verstoßen hat, steht noch aus532. Bereits vor der Einführung des Mindesthebesatzes gab es gesetzliche Regelungen, die der Gefahr von Steuerdumping entgegenwirkten. Um Einnahmeausfälle durch niedrige Gewerbesteuerhebesätze nicht über den kommunalen Finanzausgleich zu Lasten anderer Kommunen kompensieren zu können, werden in den Gemeindefinanzierungsgesetzen der Länder bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen fiktive Gewerbesteuerhebesätze zu Grunde gelegt533. Hierdurch entsteht für die meisten Gemeinden ein indirekter Zwang, ihre Hebesätze entsprechend anzupassen, wollen sie nicht Gefahr laufen, dass ihre Finanzkraft im kommunalen Finanzausgleich höher eingestuft wird, als es der tatsächlichen Finanzsituation entspricht534. Danach ergab sich in der Vergangenheit die Möglichkeit einer Niedrighebesatzpolitik allenfalls für solche Ge530 Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 08.09.2003, BT-Drs. 15/1517, S. 17 und 19. 531 Vgl. den Bericht des Finanzausschusses vom 20.02.2003, BT-Drs. 15/481, S. 16. 532 Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 25.01.2005 – 2 BvR 2185/04, BVerfGE 112, 216 (222 f.) – in einem Verfahren einstweiliger Anordnung die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des obligatorischen Mindesthebesatzes nicht beantwortet, sondern die Entscheidung dem Hauptsacheverfahren überlassen. Vgl. zu dieser Frage Hidien in: BK, Art. 106 (102. Lfg.) Rn. 1084, der einen einheitlichen Mindeststeuersatz für verfassungsrechtlich zulässig hält, soweit den Gemeinden der Steuerertrag zustehe und deren Hebesatzrecht unberührt bleibe. Jedoch seien die Schranken-Schranken für die konkrete Ausgestaltung von Untergrenzen unklar. Eine Verfassungswidrigkeit bejahen Hey, FS Solms, S. 41 f.; Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 37; Otting, DB 2004, S. 1223 ff.; ebenso bereits Walz/Süß, DStR 2003, S. 1637 ff. (zum Steuervergünstigungsabbaugesetz [BGBl. I 2003, S. 662 f.]); eine Unvereinbarkeit mit der Verfassung verneinen dagegen Hofmeister in: Blümich, 82. EGL April 2004, § 1 GewStG Rn. 16; Selmer/Hummel, NVwZ 2006, S. 20 f. 533 Für Nordrhein-Westfalen gilt ein fiktiver Hebesatz von 403 Punkten, § 10 Abs. 2 Nr. 1 Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) 2004/2005. 534 Otting, DB 2004, S. 1224 hält daher die Regelung des § 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG für diejenigen Gemeinden, die auf die Schlüsselzuweisung im Rahmen des

A. Bestandsaufnahme zum Steuerwettbewerb in Deutschland und Europa

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meinden, die auf Grund ihrer guten finanziellen Ausstattung durch andere Einnahmen auf die Schlüsselzuweisungen des kommunalen Finanzausgleichs nicht angewiesen waren535. Der Steuerwettbewerb, der sich im Bereich der Gewerbesteuer auf Grund der bundeseinheitlichen Bemessungsgrundlage allein über die Hebesätze vollzieht, hat zur Folge, dass die Wettbewerbsbedingungen für die Gemeinden transparent sind und es zu keinen Wettbewerbsverzerrungen kommt. In dieser Ausprägung kann sich der Wettbewerb um das Kapital voll entfalten. Dazu zählt grundsätzlich auch das Absenken der Hebesätze, soweit eine Gemeinde auf die Einnahmen aus der Gewerbesteuer nicht angewiesen ist. Die erheblichen Hebesatzunterschiede werden vorrangig durch tatsächliche Unterschiede in ländlichen und städtischen Regionen beeinflusst536. Hingegen sind bei vergleichbar strukturierten Gemeinden mit entsprechendem Finanzbedarf die Differenzen nicht gravierend, sondern vielmehr Ausdruck des Wettbewerbs. Hierin zeigte sich bei dem Hebesatzwettbewerb ein auch aus dem internationalen Steuerwettbewerb bekanntes Phänomen537. Nur kleine Gemeinden beziehungsweise Staaten, die wenig finanzielle Verpflichtungen haben, können sich sehr niedrige Steuersätze leisten. Daher blieben auch die Gemeinden, die einen Hebesatz von weniger als 200 von Hundert veranschlagten, eine Ausnahme538. Hinzu kommt, dass durch eine radikale Steuer(satz)politik hauptsächlich das mobile Kapital angezogen wird. Hierzu zählen vornehmlich Immobiliengesellschaften, Finanzdienstleister und Beteiligungsgesellschaften. Hingegen verbleibt das produzierende Gewerbe dort, wo es eine komplexe Infrastruktur vorfindet, was in ländlichen Regionen meist nicht der Fall ist. Ob die Entwicklung in der Vergangenheit die bundesweite Einführung eines obligatorischen Mindesthebesatzes erforderte, ist angesichts der Ausnahmeerscheinung von Gewerbesteueroasen und deren finanziellen Folgen daher zumindest fraglich539.

kommunalen Finanzausgleichs angewiesen sind, weder für geeignet noch für erforderlich. 535 Ebenso Otting, DB 2004, S. 1224. 536 So lag in Nordrhein-Westfalen 2002 der niedrigste Hebesatz in Raesfeld bei 300 von Hundert und der höchste in Bottrop bei 490 von Hundert (Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW). 537 Vgl. für den internationalen Steuerwettbewerb Esser, IFSt-Schrift Nr. 422 (2005), S. 61. 538 Lediglich 32 von bundesweit 13.252 Gemeinden legten 2002 der Besteuerung einen Gewerbesteuerhebesatz von unter 200 von Hundert zu Grunde (Quelle: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW). 539 Dazu Hey, FS Solms, S. 41 f., die ein Einschreiten des Bundesgesetzgebers zur Beseitigung schädlicher Auswirkungen des Wettbewerbs mit guten Gründen nicht für gerechtfertigt hält.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

2. Grundsteuer Neben der Gewerbesteuer können die Kommunen auch die Höhe der Grundsteuerhebesätze eigenständig festlegen (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG). Jedoch ist die lediglich regional wirkende Grundsteuer nicht geeignet, entscheidende Standortpolitik zu betreiben, da der Grundbesitz nicht von einer Gemeinde in die andere verlagert werden kann540.

II. Steuerwettbewerb auf europäischer Ebene Auf europäischer Ebene ist zwischen der Wettbewerbssituation bei den indirekten und den direkten Steuern zu unterscheiden541. Ziel der Europäischen Gemeinschaft542 ist es, einen europäischen Binnenmarkt543 zu verwirklichen, Art. 14 Abs. 1 EG. Zur Erreichung dieses Ziels streben die Mitgliedstaaten, jedenfalls im Bereich der indirekten Steuern, eine weitgehende Harmonisierung der verschiedenen Steuersysteme an, um Wettbewerbsnachteile und Diskriminierungen grenzüberschreitender Investitionen zu vermeiden. Jedoch besteht unter den Mitgliedern Uneinigkeit, welche Harmonisierungsschritte hierfür im Einzelnen erforderlich sind. Denn im Gegensatz zu den im Bundesstaat organisierten Bundesländern haben in der Europäischen Union der Souveränitätsgrundsatz und besonders das Subsidiaritätsprinzip große Bedeutung. 1. Indirekte Steuern Die Harmonisierung der indirekten Steuern wurde in der Europäischen Union maßgeblich durch Art. 93 EG bestimmt und am 17. Mai 1977 durch die „Sechste EG-Richtlinie“544 mit detaillierten Regelungen über Steuerbarkeit, 540

Im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs gelten auch für die Grundsteuer fiktive Hebesätze. Diese betragen in NRW derzeit 192 Punkte für die Grundsteuer A und 381 Punkte für die Grundsteuer B, § 10 Abs. 2 Nr. 2 und 3 GFG 2004/2005. 541 Zum Steuerwettbewerb in der Europäischen Union allgemein Monatsbericht 9.2004 des Bundesministeriums der Finanzen, S. 35 ff. 542 Die Europäische Gemeinschaft ist nach Art. 1 des Vertrags über die Europäische Union (EU) Teil der Europäischen Union, in der der Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) als Rechtsgrundlage weiter gilt (Art. 5 EU). Aus Vereinfachungsgründen soll im Folgenden von „Europäischer Union“ gesprochen werden, in der Kenntnis, dass diese mehr als nur die Europäische Gemeinschaft umfasst. 543 Nach Art. 14 Abs. 2 EG ist darunter ein Raum ohne Binnengrenzen zu verstehen, in dem der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital gewährleistet ist. 544 Sechste Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG), ABl. Nr. L 145, S. 1–40.

A. Bestandsaufnahme zum Steuerwettbewerb in Deutschland und Europa

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Steuerbefreiungen, Bemessungsgrundlagen und Vorsteuerabzug bei der Mehrwertsteuer zu einem großen Teil realisiert545. Am 28. November 2006 wurde die „Sechste EG-Richtlinie“ durch die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie546, die zum 1. Januar 2007 in Kraft trat, abgelöst. Jedoch enthält die MehrwertsteuerSystemrichtlinie ebenso wie bereits die „Sechste EG-Richtlinie“ noch zahlreiche Übergangsregelungen, Ausnahmen und Sonderregelungen, die bis heute nicht durch endgültige Vorschriften ersetzt wurden. Hinzu kommen in den einzelnen Mitgliedstaaten erhebliche Mängel bei der Umsetzung der Richtlinienbestimmungen in nationales Recht. Dies führt dazu, dass die nationalen Umsatzsteuerregelungen teilweise gravierend voneinander abweichen. Bei den Steuersätzen ist seit dem 1. Januar 1993 eine Annäherung zu verzeichnen. Im Zusammenhang mit dem Wegfall der Steuerkontrollen an den Binnengrenzen und zur Vermeidung daraus resultierender Wettbewerbsverzerrungen gilt seit dem in den Mitgliedstaaten ein einheitlicher Normalsatz von mindestens 15 von Hundert der Bemessungsgrundlage547. Daneben ist den Mitgliedstaaten erlaubt, ein bis zwei ermäßigte Steuersätze von mindestens 5 von Hundert auf Lieferungen von bestimmten Gegenständen und Dienstleistungen anzuwenden548. Trotz der Angleichung besteht bei der Festlegung der Umsatzsteuersätze weiterhin ein großer Spielraum. Ebenso ist im administrativen Bereich, etwa bei der Rechnungsstellung, den Umsatzsteuererklärungen oder dem Vorsteuervergütungsverfahren, eine Harmonisierung noch in weiter Ferne549. Durch die noch immer bestehenden Unterschiede in den Umsatzsteuerrechtssystemen der Mitgliedstaaten kommt es zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen, die dem Ziel eines funktionierenden Binnenmarktes entgegenwirken. Betroffen sind insbesondere mittelständische, europaweit tätige Unternehmen, die über keine eigenen Steuerrechtsabteilungen verfügen. Für sie sind die Unterschiede bei den Umsatzsteuerregelungen, den verschiedenen Steuersätzen und die bürokratischen Anforderungen nur schwer zu bewältigen. Das einstimmige Entscheidungsverfahren in der Europäischen Union und die geringe Bereitschaft in den Mitgliedstaaten, Reformen im Bereich der Mehrwertsteuer voranzutreiben, etwa zur Einführung des Ursprungslandprinzips, haben inzwischen dazu 545

Zu den einzelnen Harmonisierungsschritten siehe Panning, S. 10 ff. Richtlinie des Rates der Europäischen Union vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (2006/112/EG), ABl. EU Nr. L 347. 547 Art. 97 Abs. 1 MwSt-Systemrichtlinie, vormals Richtlinie des Rates vom 19.10.1992 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG (Annäherung der Mehrwertsteuersätze) (92/77/ EWG), ABl. EG 1992 Nr. L 316, S. 1. 548 Art. 98, 99 MwSt-Systemrichtlinie. Darüber hinaus gilt eine Ausnahmeregelung für Mitgliedstaaten, die bisher Minimal- und Nullsätze anwandten. Diese dürfen bis zu einer endgültigen Regelung beibehalten werden, Art. 110 Abs. 1 MwSt-Systemrichtlinie. 549 Näher zu diesem Befund Panning, S. 34 ff. 546

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

geführt, dass sich die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt verfestigt haben. Der Harmonisierungsauftrag aus Art. 93 EG in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 EG ist somit noch lange nicht vollendet550. 2. Direkte Steuern Auch bei den direkten Steuern, insbesondere in Bezug auf die Unternehmensbesteuerung, kreist die aktuelle Diskussion um die Frage, wie viel Steuerwettbewerb für das Funktionieren des Binnenmarktes förderlich ist551. Für die direkten Steuern findet sich keine, Art. 93 EG entsprechende Vorschrift in den Vertragswerken der Europäischen Union. Art. 94, 95 Abs. 2 EG regeln die Angleichung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten. Diese Vorschriften dienen daher überwiegend als Anknüpfungspunkt für Harmonisierungsvorschläge der direkten Steuern552. Für den wirtschaftlich bedeutenden Bereich der Unternehmensbesteuerung sind bislang nur wenige Erfolge zu verzeichnen. Hier sind die Mutter-Tochter-Richtlinie553, die Fusionsrichtlinie554, das Schiedsabkommen555, sowie die Zins- und Lizenzrichtlinie 556 zu erwähnen557. Darüber hinaus fehlt es bislang an einer Harmonisierung. Die weiten Spielräume nutzen einige Mitgliedstaaten zu einer auf starke Anreizwirkungen für die Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen ausgerichteten Unternehmenssteuerpolitik. Insbesondere Hochsteuerländer, wie Deutschland, setzt dieser eu550 Vorschläge zur weiteren Harmonisierung finden sich bei Panning, S. 65 ff. m.w. N. 551 Hierzu die Mitteilungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 23.10.2001, KOM (2001), 582 endg.; v. 24.11.2003, KOM (2003), 726 endg. S. 5 f.; siehe auch Hey, S. 67 ff.; dies. in: Tipke/Lang, § 18 Rn. 500 ff. jeweils m.w. N. 552 Zu den möglichen Rechtsgrundlagen für ein Tätigwerden der Europäischen Union vgl. mit zahlreichen Nachweisen Hey, S. 80 ff., die für den Abbau steuerlicher Hindernisse grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit eine Richtlinienkompetenz der Europäischen Kommission nach Art. 94, 95 EG für möglich hält, für eine Vollharmonisierung hingegen derzeit keine Rechtsgrundlage sieht (ebd., S. 108 f.). 553 Richtlinie des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (90/435/EWG), ABl. EG 1990 Nr. L 225, S. 6; überarbeitet durch Richtlinie des Rates vom 22.12.2003 (2003/123/EG), ABl. EG 2004 Nr. L 7, S. 41. 554 Richtlinie des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen (90/434/EWG), ABl. EG 1990 Nr. L 225, S. 1; überarbeitet durch Richtlinie des Rates vom 17.02.2005 (2005/19/EG), ABl. EG 2005 Nr. L 58, S. 19. 555 Übereinkommen vom 23.07.1990 über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (90/436/ EWG), ABl. EG Nr. L 225, S. 10. 556 Richtlinie des Rates vom 03.06.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten (2003/49/EG), ABl. EG 2003 Nr. L 157, S. 49. 557 Zum Inhalt der Richtlinien Hey in: Tipke/Lang, § 18 Rn. 510 ff. m.w. N.

A. Bestandsaufnahme zum Steuerwettbewerb in Deutschland und Europa

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ropäische Steuerwettbewerb nach unten unter erheblichen Handlungszwang, um die in ihrem Staatsgebiet ansässigen Unternehmen vor Wettbewerbsnachteilen zu schützen und Abwanderungen entgegenzuwirken. Ein Ausweg wird in den Hochsteuerländern daher teilweise in den Gedanken eines Binnenmarktes zuwiderlaufenden Abwehrmaßnahmen558, aber auch in weiteren Harmonisierungsbestrebungen gesucht. Der Bundesrat hat der Europäischen Union in seiner Stellungnahme zum „Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs“ vom 28. November 1997 für den Bereich der Unternehmensbesteuerung einen dringenden Harmonisierungsbedarf bescheinigt, da der derzeitige Steuerwettlauf schädliche Folgen für Stabilität und Wachstum, sowie für Beschäftigung und Steuergerechtigkeit habe559. Für eine weitere Harmonisierung hat sich die Europäische Kommission zum Ziel gesetzt, eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) in der Europäischen Union zu schaffen560. Inzwischen sind die Arbeiten auf diesem Gebiet schon erheblich vorangeschritten, so dass die Kommission beabsichtigt 2008 einen entsprechenden Gesetzgebungsvorschlag zu unterbreiten561. Ob dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden kann, hängt entscheidend davon ab, ob sich die Mitgliedstaaten auf ein Zurechnungssystem562 verständigen können, nach dem die einheitliche Bemessungsgrundlage auf die beteiligten Mitgliedstaaten aufgeteilt werden kann563. Bereits zum 1. Dezember 1997 hat der zunehmende Wettbewerb bei der Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union zur Verständigung auf einen lediglich politisch verpflichtenden Verhaltenskodexes gegen schädlichen Steuerwettbewerb geführt564. Der Steuerwettbewerb zwischen den Unternehmenssteuerrechtssystemen der Mitgliedstaaten verknüpft mit den Bestrebungen auch international wettbe558 Als solche gilt in Deutschland etwa die Hinzurechnungsbesteuerung im Außensteuerrecht. 559 Beschluss des Bundesrates, BR-Drs. 814/97. 560 Mitteilungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 23.10.2001, KOM (2001), 582 endg. S. 17 ff.; v. 24.11.2003, KOM (2003), 726 endg. S. 18 ff.; v. 05.04.2006, KOM (2006), 157 endg. und jüngst v. 02.05.2007, KOM (2007), 223 endg. 561 Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 02.05.2007, KOM (2007), 223 endg. S. 8. Zum Stand der Arbeitsgruppe „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ siehe die bereits detaillierte Arbeitsunterlage vom 26. Juli 2007 CCCTB/WP057. 562 Dazu die Mitteilungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 24.11.2003, KOM (2003), 726 endg. S. 24 ff. und v. 23.12.2005, KOM (2005), 702 endg. S. 9 ff., weitere Nachweise hierzu bei Hey in: Tipke/Lang, § 18 Rn. 515 f. 563 Vgl. zu den noch offenen Punkten die Arbeitsunterlage der Arbeitsgruppe „Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage“ vom 26. Juli 2007 CCCTB/WP057, S. 44. 564 Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, ABl. EG Nr. C 2/2 Anhang 1; näher dazu im vierten Kapitel Seite 203 ff.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

werbsfähig zu bleiben, hat bislang zu einer leichten Annäherung der Steuersätze in der Europäischen Union geführt, wobei die Bemessungsgrundlagen in der Regel verbreitert wurden565. Auch Deutschland ist dieser Entwicklung gefolgt und hat zum 1. Januar 2008 seinen Körperschaftsteuersatz von 25 von Hundert auf 15 von Hundert bei einer gleichzeitigen Verbreiterung der Bemessungsgrundlage abgesenkt566. Darüber hinaus hat der Wettbewerb gezielte Steuervergünstigungen für ausländische Unternehmen hervorgebracht567, die jeweils an Art. 87 EG zu messen sind. Die Körperschaftsteuersysteme selbst haben sich jedoch wettbewerbsbedingt nicht einander angenähert568. Auf Grund der Systemunterschiede bei den direkten Unternehmenssteuern in der Europäischen Union bestehen daher noch immer große Hemmnisse für grenzüberschreitend tätige Wirtschaftsunternehmen, die dem Ziel des Binnenmarktes zuwiderlaufen569.

B. Die Erbschaftsteuer I. Allgemeine Charakterisierung Durch Beschluss vom 7. November 2006570 hat das Bundesverfassungsgericht die derzeit gültige Erbschaftsbesteuerung mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, da es gegen den Grundsatz der Besteuerungsgleichheit verstößt571. Bis zum 31. Dezember 2008 ist der Gesetzgeber nunmehr aufgerufen, eine Neuregelung zu treffen. Die Bedeutung der Erbschaftsteuer am deutschen Gesamtsteueraufkommen fällt, trotz stetiger Einnahmesteigerungen, verhältnismäßig gering aus572. Nach dem deutschen Modell der Erbschaftsbesteuerung als 565 So der Befund von Hey, S. 105 ff.; Gerken/Merkt/Schick, S. 168 f. Allgemein zu diesem Phänomen im internationalen Steuerwettbewerb Esser, IFSt-Schrift Nr. 422 (2005), S. 57 f. 566 Vgl. das Unternehmensteuerrefomgesetz 2008 vom 14.08.2007, BGBl. I 2007, S. 1912 ff. 567 Vgl. die Maßnahmen mit schädlichen Merkmalen im Bericht der Arbeitsgruppe „Verhaltenskodex“ (Unternehmensbesteuerung) vom 01.12.1997, S. 180 ff. Anlage C. 568 Hey, S. 106 f. führt als Beleg den noch immer hohen Grad an Doppelbelastungen mangels eines einheitlichen Entlastungssystems an, sowie die Diskriminierung grenzüberschreitender Investitionen und ausländischer Investoren. 569 Dazu auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen vom März 2007 „Einheitliche Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer in der Europäischen Union“, S. 3 ff. 570 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 ff. 571 Mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar hielt das Gericht die Belastungsunterschiede auf Grund unterschiedlicher Bewertungsmethoden für Betriebs-, Grund- und sonstiges Vermögen. 572 Im Jahr 2005 betrug das Aufkommen der Erbschaftsteuer 4.097 Mio. Euro, was einem Anteil von etwa 0,9% am Gesamtsteueraufkommen entspricht (Quelle: Bundes-

B. Die Erbschaftsteuer

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Erbanfallsteuer573, knüpft der Besteuerungstatbestand grundsätzlich an alle Vermögensübergänge von einem Rechtssubjekt zu einem anderen an, welche durch einen Erbfall oder eine Schenkung unter Lebenden veranlasst sind574. Durch eine Landesgesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG könnte sich bei einer verschiedenartigen Gestaltung der persönlichen Steuerpflicht, der Bemessungsgrundlage, etwaiger persönlicher und sachlicher Befreiungstatbestände und vor allem der Steuersätze eine Konkurrenz um überwiegend mobiles privates, aber auch unternehmerisches Kapital sowohl auf nationaler, als auch auf internationaler Ebene entwickeln. Der weiteren Untersuchung wird die theoretische Annahme vorausgesetzt, dass alle sechzehn Bundesländer ihre Gesetzgebungskompetenz in Bezug auf die Erbschaftsteuer ausgeübt haben oder dies in Zukunft wollen, so dass unterschiedliche Erbschaftsteuerregelungen im Bundesgebiet bestehen575.

II. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG Zunächst ist eine bundesgesetzliche Erbschaft- und Schenkungsteuerregelung im Hinblick auf die drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zu prüfen. Nur wenn sie entweder der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ oder der ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ dient, kann ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers in das Gesetzgebungsrecht der Länder vorbehaltlich der Erforderlichkeit der Regelung gerechtfertigt sein. 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Eine bundesgesetzliche Regelung müsste einer drohenden oder verzeichneten Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse der Normadressaten im Bundesgebiet entgegenwirken, um der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zu dienen576. Erst wenn die äußeren Lebensbedingungen in den Bundesministerium der Finanzen „Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 2002–2005, www.bundesfinanzministerium.de). 573 Als weiteres Modell der Erbschaftsbesteuerung ist die Nachlasssteuer zu nennen, wie sie beispielsweise in Großbritannien erhoben wird, vgl. zu den Modellen Timm, FinArch 42 (1984), S. 553 ff.; Tipke, StrO II, S. 873 f. 574 Darüber hinaus stellen nach dem derzeitigen Erbschaftsteuergesetz Zweckzuwendungen und das auf Familienstiftungen oder Familienvereine übergegangene Vermögen (alle 30 Jahre nach Vermögensübergang) steuerpflichtige Vorgänge dar. 575 Nach Tipke, StrO II, S. 877 wäre eine gänzliche Abschaffung der Erbschaft- und Schenkungsteuer nach dem derzeitigen Steuersystem in Deutschland nicht zu erwarten, da ansonsten eine Lücke im System der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit entstehen würde. Die „Einheit der Steuerrechtsordnung“ verlangt jedoch eine über eine einzelne Steuer hinausgehende Gesamtsystemgerechtigkeit. 576 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (153).

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ländern, wie die wirtschaftliche oder sicherheitspolitische Situation der Menschen, die Umweltbedingungen oder die staatliche Infrastruktur577, in für das soziale Zusammenleben bedrohlicher Weise auseinanderklafften, wäre der Kompetenzbereich des Bundes zur Gesetzgebung eröffnet. a) Steuerliche Belastungsgleichheit Eine Verfehlung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse läge im Bundesgebiet erst dann vor, wenn die Landesregelungen eine deutliche Schlechterstellung der Steuerpflichtigen in dem einen Bundesland gegenüber dem anderen Bundesland bewirken würden578. Dies wäre bereits dann der Fall, wenn die Steuerpflichtigen in einem Bundesland deutlich höher mit Erbschaft- und Schenkungsteuer belastet wären, als in einem anderen Bundesland. Eine solche Ungleichbehandlung führte zu keinem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da im Rahmen des föderalen Staatsaufbaus als Vergleichsmaßstab die Steuerpflichtigen innerhalb desselben Bundeslandes heranzuziehen wären, vorausgesetzt die Gesetzgebungskompetenz läge bei den Ländern579. Daneben hat das Argument der Belastungsgleichheit im gesamten Bundesgebiet, wie bereits im zweiten Kapitel dargelegt580, nach der textlichen Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber der Ursprungsfassung an Überzeugungskraft verloren. ,Gleichwertige Lebensverhältnisse‘ können auch, voraussichtlich sogar besser, bei ungleichen Steuerbelastungen in den Bundesländern hergestellt werden. Außerdem könnten mit dieser Argumentation die Länder ihre Steuergesetzgebungskompetenz praktisch nie ausüben. Für den Sachbereich des Steuerrechts billigt die Verfassung jedoch vom Grundsatz her ebenso eine regional differenzierte Vielfalt an Landesgesetzen, wie für die anderen der konkurrierenden Gesetzgebung unterfallenden Materien. Damit kann die Belastungsungleichheit allein nicht als Grund für eine bundesgesetzliche Erbschaft- und Schenkungsteuerregelung herangezogen werden. b) Abwanderungen in Länder mit niedriger Erbschaftsteuerbelastung Jedoch könnte ein gravierendes Belastungsgefälle in den Bundesländern Wanderbewegungen potentieller Steuerpflichtiger in Niedrigerbschaftsteuerlän577 So die Definition nach Lechleitner, Jura 2004, S. 748; siehe auch Würtenberger, S. 180. 578 Bezogen auf die Situation der Altenpfleger und Pflegebedürftigen BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (153 f.). 579 Näher zum allgemeinen und besonderen Gleichheitssatz als Beschränkung der Landesgesetzgebungskompetenz im vierten Kapitel ab S. 193 f. 580 Vgl. dort Seite 99 ff.

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der hervorrufen. Hier stellt sich die Frage, wann solche Abwanderungen gerade Ausdruck eines funktionierenden Steuerwettbewerbs um das mobile Kapital sind und wann sie ein korrekturbedürftiges Ausmaß annehmen. Aus ökonomischer Sicht sind Eingriffe in den Wettbewerb kaum vertretbar, da sie zu erheblichen Leistungsreduzierungen und zu Störungen im Anreiz- und Entdeckungsverfahren führen können581. Ein Wettbewerb der Steuersysteme führe nach ihrer Auffassung dazu, dass Steuern gesenkt und sich weitgehend einander angepasste, attraktive Steuersysteme für das begehrte mobile Kapital entwickeln würden582. Diese auf den Grundsätzen der Marktwirtschaft basierenden Ansätze sind auf einen Bundesstaat sicherlich nur bedingt übertragbar, da sich die Bundesländer nicht nur als unabhängige Konkurrenten gegenüberstehen, sondern Teil eines Gemeinwesens, nämlich des Bundesstaates, sind, demgegenüber sie Rechte, aber auch Pflichten haben583. Deswegen müssen bundesgesetzliche Eingriffe in das Gesetzgebungsrecht der Länder zulässig sein, wenn der Bundesstaat selbst konkret gefährdet ist. Angenommen, durch unterschiedliche Landesregelungen setzte eine Bevölkerungsflucht ein584, die die Existenz des betroffenen Bundeslandes und damit den Bundesstaat bedrohen würde, dann wäre in diesem Extremfall ein Eingreifen des Bundes zulässig, da in einem Bundesstaat ein „Anbieter“ nicht einfach den „Markt“ verlassen kann, abgesehen von der eher theoretischen Möglichkeit, in ihrer Existenz bedrohte Bundesländer mit anderen Ländern zusammenzulegen. Wegen des wohl mehr der Theorie angehörenden existenzbedrohenden Szenarios kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers jedoch bereits in einem Vorstadium praktisch relevant werden. Das Gericht hat hierfür in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ hohe Hürden aufgestellt. Erst bei einer konkreten Gefahrenlage für das Sozialgefüge in der Bundesrepublik, ist der Bundesgesetzgeber grundsätzlich zum Eingreifen berechtigt585. Ansatzpunkt ist damit das Zusammenleben in einem sozial funktionsfähigen Bundesstaat.

581 Zu den verschiedenen ökonomischen Analysen des Föderalismus Thöni, S. 35 ff.; siehe auch Gerken/Merkt/Schick, S. 151 ff. 582 Vgl. Gerken/Merkt/Schick, S. 155 ff. 583 Bei der Nichterfüllung bestimmter Bundespflichten kann die Bundesregierung das Land sogar im Wege des Bundeszwangs zur Pflichterfüllung zwingen, Art. 37 GG. Zu den Bundespflichten zählen beispielsweise die Vollzugspflicht von Bundesgesetzen, die Pflicht zur Beachtung der Grundsätze des Art. 28 GG, sowie die Pflicht zur Bundestreue; dazu Dampitz in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 37 Rn. 15; Gubelt in: v. Münch/Kunig, Art. 37 Rn. 6. 584 Diese Annahme ist eher theoretischer Natur, da, die derzeitige Ausgestaltung der Erbschaftsteuer unterstellt, nur ein kleiner Teil der Steuerpflichtigen abwandern würde. Die Mehrzahl in der Bevölkerung wäre auf Grund der Freibeträge ohnehin nicht mit Erbschaftsteuer belastet. 585 Zu den weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts vgl. zweites Kapitel Seite 75 f.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

Angenommen in einem Bundesland existierte ein Erbschaft- und Schenkungsteuersatz von Null von Hundert. Dem Ruf, das eigene Vermögen ohne steuerliche Lasten den Erben zu vermachen, könnten potentielle Erblasser mit großen Vermögenswerten folgen. Vorausgesetzt die persönliche Steuerpflicht knüpfte, dem derzeitigen Erbschaftsteuergesetz entsprechend, an den Wohnsitz586 oder gewöhnlichen Aufenthalt587, des Erblassers an, könnten vermögende Erblasser ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt entsprechend verlegen588. Eine empirische Erhebung, wie viel Prozent des betroffenen Personenkreises von dieser Möglichkeit Gebrauch machen würden, existiert – soweit ersichtlich – bislang nicht. Die Bundesländer könnten deshalb zunächst abwarten, welches Ausmaß die Wanderbewegungen wirklich annehmen. Denn gerade im privaten Bereich spielen für die Wahl des Wohnortes steuerliche Überlegungen eher eine sekundäre Rolle. Im Vordergrund steht vielmehr die Entfernung zum Arbeitsplatz oder die Nähe zu Familie und dem bekannten sozialen Umfeld. Sollten die Wanderbewegungen jedoch so erheblich ausfallen, dass sie nachteilige Folgen für das betroffene Bundesland bedingen, wäre es zunächst Aufgabe des betroffenen Landes entsprechende Gegenmaßnahmen zu treffen. Auch könnten die Bundesländer mit hohen Erbschaftsteuerbelastungen schon vorbeugend tätig werden, um einer sich abzeichnenden Umgehung ihrer Steuerpflicht zu begegnen. Das Bundesverfassungsgericht hat es in seiner ,StudiengebührenEntscheidung‘ grundsätzlich den Bundesländern überlassen, in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob sie als nachteilig eingeschätzte Entwicklungen hinnehmen oder entgegenwirken wollen. Erst wenn die Einbußen in den Lebensverhältnissen nicht durch eigenständige Maßnahmen des betroffenen Landes oder nur durch koordiniertes Handeln aller Länder bewältigt werden können, ist der Bund berechtigt, korrigierend einzugreifen589. Diese Situation ist nicht ersichtlich. Die benachteiligten Bundesländer könnten den Bestrebungen der Niedrigerbschaftsteuerländer entgegentreten, in dem sie eine § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) entsprechende Regelung in ihren Erb-

586 Nach der Legaldefinition des § 8 Abgabenordnung (AO) hat jemand seinen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. 587 § 9 Satz 1 AO definiert den gewöhnlichen Aufenthalt als Ort, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. 588 Auf diese Gefahr weist auch Huber im Rahmen der Föderalismuskommission von Bundestag und Bundesrat hin. Siehe in Komm-Drs. 0031, S. 16; ders. anschaulich in Föderalismuskommission, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung vom 11.03.2004, S. 116 „. . . Soll es wirklich so sein, dass der Wohnort oder das Altersheim nach dem Steuersatz ausgewählt wird und man den Angehörigen kurz über die Landesgrenze verbringt, damit die Erbschaftsteuer nicht ein unerwünschtes Niveau erreicht? . . . Für die Schenkungsteuer gilt Ähnliches . . .“ 589 Vgl. BVerfGE v. 26.01.2005, 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 (248).

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schaftsteuergesetzen normieren. Danach tritt die Steuerpflicht in Deutschland auch dann ein, wenn nur der Erwerber ein Inländer ist, also seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat. Überträgt man diese Konzeption der derzeitigen Erbschaftsbesteuerung auf das Verhältnis der Bundesländer, müsste der Erwerber ebenfalls seinen Wohnsitz in das Niedrigerbschaftsteuerland verlagern, um der Besteuerung im anderen Bundesland zu entgehen. Hierdurch würde den Abwanderungsbestrebungen bedeutend entgegengewirkt werden. Die Gestaltungsmöglichkeit der Wohnsitzverlagerung wäre im Falle einer Schenkung unter Lebenden ebenso unattraktiv. Denn nur für diesen einen Erwerbsvorgang müsste sowohl der Wohnsitz des Schenkers590 als auch der Wohnsitz des Erwerbers591 in das entsprechende Niedrigsteuerland verlegt werden. Trotzdem wird es Vermögenssituationen geben, wo sich ein entsprechender Gestaltungsaufwand in steuerlicher Hinsicht auszahlen würde. Die Zahl der Fälle und der damit verbundene Steuerausfall dürften jedoch nicht derart hoch ausfallen, dass diese Verlagerungen zu einer sozial bedenklichen Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse der Bevölkerung in den Bundesländern führen würden. Denn anders als bei den „großen“ Bundessteuern, wie der Einkommen- oder Umsatzsteuer, ist von der Erbschaft- und Schenkungsteuer eine wesentlich geringere Anzahl von Steuerpflichtigen betroffen592. Der Grund dafür liegt beim Besteuerungstatbestand, der an einen konkreten, in der Regel nicht sehr häufig auftretenden Erwerbsvorgang und nicht an periodisch wiederkehrende Einkommensmehrungen oder Erwerbsgeschäfte des täglichen Lebens anknüpft. Will ein Bundesland selbst den Fällen begegnen, in denen sowohl der Erblasser/Schenker, als auch der Erwerber ihren Wohnsitz593 verlagern, könnte es in sein Erbschaftsteuergesetz aufnehmen, dass die Steuerpflicht in seinem Land selbst dann eintritt, wenn sich der Erblasser beziehungsweise Schenker und der Erwerber in einem anderen Bundesland nicht länger als beispielsweise fünf Jahre dauernd aufgehalten haben594. Zu beachten ist bei derartigen landesgesetzlichen Regelungen, dass es zur Verletzung der interterritorialen Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG kommen könnte. Auf diese Frage wird daher im 590 Ist der Schenker eine Körperschaft, Personenvereinigung und Vermögensmasse tritt an die Stelle des Wohnsitzes die Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder der Sitz (§ 11 AO), welcher verlagert werden müsste. 591 Für den Erwerber gelten die Ausführen in Fn. 590 entsprechend. 592 Die Bedeutung der Erbschaftsteuer zeigt sich bereits an dem vergleichsweise niedrigen Steueraufkommen, Gebel in: Troll/Gebel/Jülicher, Einführung Rn. 11 f. 593 Beziehungsweise gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz beziehungsweise Geschäftsleitung. 594 Dies entspricht der derzeitigen Regelung zur erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht, § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b ErbStG; dazu Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, § 2 Rn. 21 ff.; Kapp/Ebeling, § 2 Rn. 10.

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vierten Kapitel zurückzukommen sein595. Sollten außerdem Doppelbesteuerungsprobleme auftreten, etwa weil der Erblasser/Schenker und der Erwerber in den letzten fünf Jahren vor dem Erwerbsvorgang mehrfach das Bundesland gewechselt haben und in allen Bundesländern nun eine Steuerpflicht entsteht, müssten die Bundesländer untereinander Regelungen treffen, wodurch eine Doppelbelastung vermieden werden kann596. c) Zwischenergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, dass durch verschiedene Erbschaft- und Schenkungsteuerregelungen in den Bundesländern das soziale Zusammenleben im Bundesstaat nicht gefährdet wäre. Soweit ersichtlich würden etwaige Wanderbewegungen nicht zu sozialen Zerrüttungen in der Bevölkerung führen. Soweit einige Bundesländer durch die Abwanderungen Nachteile erleiden, hätten sie eigene Möglichkeiten diesen Entwicklungen entgegenzusteuern. Damit diente eine bundesgesetzliche Erbschaft- und Schenkungsteuerregelung jedenfalls nicht der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘. 2. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse Der Bundesgesetzgeber könnte seine Regelungsbefugnis jedoch möglicherweise auf die zweite Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG stützen. Um der ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ zu dienen, müsste eine bundesgesetzliche Erbschaft- und Schenkungsteuerregelung Rechtssicherheit und/oder Freizügigkeit im Bundesgebiet gewährleisten. a) Doppelbesteuerungsgefahr innerhalb Deutschlands Bereits im zweiten Kapitel wurde herausgearbeitet, dass die Rechtssicherheit dann betroffen ist, wenn die Länder den Schutz vor innerstaatlichen Doppelbesteuerungen nicht sicherstellen könnten597. Dadurch entstünde für die Normadressaten eine derart unübersichtliche Lage, die ihnen keine zuverlässige Grundlage für ihr Handeln mehr bieten würde. Ähnlich wie im völkerrechtlichen Verhältnis zwischen verschiedenen Staaten kann es bei der parallelen Zuständigkeit der Länder für dieselbe Steuerart zu Kollisionen und damit zu Doppelbesteuerungen kommen598. Das Problem der Doppelbesteuerung könnte sich

595

Siehe im vierten Kapitel Seite 193 ff. Dazu näher Seite 134 ff. 597 Dazu allgemein zweites Kapitel Seite 104 f. 598 Allgemein zur Kollisionsbegründung im Bereich der Subjektsteuern auf internationaler Ebene Schaumburg, § 2 Rn. 2.5 und § 13. 596

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im Bereich der landesgesetzlichen Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung je nach Ausgestaltung der Landesgesetze in drei Konstellationen stellen: Vorausgesetzt eine § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsprechende Regelung findet Eingang in die jeweiligen Landesgesetze, drohte eine Mehrfachbelastung des Erbanfalls, wenn Erblasser/Schenker und Erwerber in verschiedenen Bundesländern ansässig sind599. In diesem Fall träte in beiden Länder die Steuerpflicht für das gesamte, vom Erwerbsvorgang erfasste Vermögen ein. Darüber hinaus kann es, wie bereits zuvor beschrieben600, bei den zur Abwehr von Steuerflucht ergriffenen Maßnahmen der Länder zu Überschneidungen kommen601. Schließlich drohte die Gefahr, Vermögensgegenstände doppelt steuerlich zu erfassen, soweit die Länder in ihren Erbschaftsteuergesetzen eine beschränkte Steuerpflicht normieren würden602. Je weniger die Bundesländer die Bürger vor drohenden übermäßigen und unkoordinierten Mehrfachbelastungen desselben Sachverhalts sicher zu schützen vermögen, desto mehr wird das Vertrauen der Normadressaten in die Steuerrechtsordnung gestört und damit die Rechtssicherheit tangiert sein. Wie bereits im zweiten Kapitel herausgearbeitet603 muss nach dem Rechtsstaatsprinzip eine Normenkollision auf Landesebene innerhalb des Bundesstaates vermieden werden. Eine Lösung des Konflikts könnten flächendeckende, innerstaatliche Doppelbesteuerungsabkommen bieten. Jedes Bundesland müsste mit den fünfzehn anderen Bundesländern in Form eines Staatsvertrags eine Vereinbarung treffen, auf welchem Wege die Doppelbesteuerung vermieden werden kann604. Dazu stünden zwei im internationalen Bereich angewandte und bewährte Methoden zur Verfügung605: 599 Um einer Steuerflucht von Hoch- in Niedrigerbschaftsteuerländer zu vermeiden, werden entsprechende Vorschriften mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest in die Gesetze der Bundesländer aufgenommen werden, die eine hohe Steuerbelastung anstreben, vgl. dazu in diesem Kapitel Seite 129 ff. 600 Siehe zur innerstaatlichen erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht Fn. 594. 601 Vgl. zur Doppelbesteuerungsproblematik bei der Kollision von der deutschen erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht mit der Wohnsitzbesteuerung eines ausländischen Staates Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, § 2 Rn. 25. 602 Die Steuerpflicht träte in diesen Fälle für die in dem betreffenden Bundesland belegenen Vermögensgegenstände auch dann ein, wenn dort weder der Erblasser/ Schenker noch der Erwerber ansässig wären (vgl. derzeit § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG für den internationalen Bereich). 603 Siehe dort Seite 106 f. 604 Um eine lückenlose Abdeckung zu erreichen, wären in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt 120 innerstaatliche Doppelbesteuerungsabkommen notwendig. Die Abkommen könnten allerdings nach einem einheitlichen Muster erfolgen, soweit zwischen den Ländern ein Konsens herbeizuführen wäre. 605 Daneben kann eine Doppelbesteuerung auch durch die Abzugs-, Pauschalierungs- oder Erlassmethode vermieden werden, dazu Schaumburg, § 14 Rn. 14.32 ff.

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• Nach der so genannten Freistellungsmethode wird das Vermögen, welches in einem anderen (Bundes-)Land belegen ist, von der eigenen Besteuerung freigestellt. Hierbei handelt es sich um eine sachliche Steuerbefreiung606. Diese Methode wird auf internationaler Ebene vorrangig im Rahmen von Doppelbesteuerungsabkommen angewandt, da sie vom Grunde her dem Welteinkommensprinzip entgegenläuft und daher nur auf Grund besonderer bilateraler Vereinbarungen Geltung erlangen soll607. • Die so genannte Anrechungsmethode lässt die uneingeschränkte Besteuerungskompetenz der Staaten beziehungsweise auf innerstaatlicher Ebene der Bundesländer unberührt, vermeidet eine Doppelbesteuerung jedoch durch Anrechnung der Erbschaft- oder Schenkungsteuer des anderen (Bundes-)Landes auf die eigene Steuer608. Da diese Methode grundsätzlich mit dem Welteinkommensprinzip vereinbar ist, wird sie in der internationalen Praxis häufig durch einseitige Maßnahmen des nationalen Rechts angewandt609. Gelänge es den Bundesländern untereinander im Wege der Selbstkoordination auf Dauer ein lückenloses Netz an Doppelbesteuerungsverträgen abzuschließen, wäre die Gefahr einer Mehrfachbelastung desselben Sachverhalts in verschiedenen Ländern als gering einzustufen. Folge dieses Lösungswegs wäre allerdings eine hohe Anzahl von Verträgen, die zusätzlich zu den möglicherweise sechzehn verschiedenen Landesgesetzen durch die Steuerpflichtigen zu berücksichtigen wären610. Zudem fehlte es für die Normadressaten an einer Garantie für die Beständigkeit der Vereinbarungen611. Von einer Vertrauen schaffenden Dispositionsgrundlage, kann für die Normadressaten bei einer derartigen Rechtszersplitterung kaum ausgegangen werden, so dass das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ trotzdem tangiert wäre. b) Doppelbesteuerungsgefahr bei Auslandssachverhalten Die Gefahr einer Mehrfachbelastung desselben Sachverhalts drohte bei landesgesetzlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerregelungen nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch auf internationaler Ebene. Im Vergleich zu einem 606 So die überwiegende Auffassung im internationalen Steuerrecht vgl. BVerfG v. 10.03.1971, 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272 (281 f.); Schaumburg, § 14 Rn. 14.21. 607 Dazu näher Schaumburg, § 14 Rn. 14.17 ff. 608 Dazu näher Meincke, ErbStG, § 2 Rn. 18. 609 Siehe beispielsweise § 21 ErbStG, der jedoch die anrechenbare ausländische Steuer auf die Höhe der anteiligen Inlandssteuer beschränkt. Kritisch zu dieser beschränkten Anrechnung allgemein Schaumburg, § 14 Rn. 14.27 m.w. N. 610 Einen solchen Zustand bezeichnet Mußgnug, FS Klein, S. 652 als „Alptraum“. 611 Auch das Bundesverfassungsgericht sah hierin in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ eine Gefahr für die Rechtssicherheit, BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (150). Vgl. auch Lechleitner, Jura 2004, S. 750.

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Bundeserbschaftsteuergesetz ist dieses Phänomen jedoch keine spezifische Ausprägung der Landesgesetzgebungskompetenz. Um dem Problem der internationalen Doppelbesteuerung zu entgehen, könnten die Bundesländer in ihren jeweiligen Landeserbschaftsteuergesetzen einseitig eine § 21 ErbStG entsprechende Vorschrift aufnehmen, nach der die ausländische Steuer612 auf die jeweilige Landeserbschaftsteuer unter bestimmten Voraussetzungen anrechenbar wäre. Fraglich ist jedoch, ob die Länder auch eigenständig Doppelbesteuerungsverträge mit ausländischen Staaten abschließen könnten oder ob dazu nur der Bund befugt wäre. Doppelbesteuerungsabkommen stellen völkerrechtliche Verträge zwischen Staaten dar613. Die Befugnis zum Abschluss solcher Verträge richtet sich nach den Vorgaben der Verfassung. Art. 32 GG regelt die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, wonach die Pflege auswärtiger Beziehungen grundsätzlich Sache des Bundes ist (Absatz 1). Für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen oder die Beziehungen des Bundes regeln, konkretisiert Art. 59 Abs. 2 GG die Vorschrift des Art. 32 GG durch Mitwirkungsrechte der Legislativen614. Beinhaltet der Vertrag hingegen eine Sachmaterie, die der Gesetzgebung der Bundesländer unterliegt615, können die Länder selbst616, allerdings mit Zustimmung der Bundesregierung, einen völkerrechtlichen Vertrag abschließen, Art. 32 Abs. 3 GG617. Damit wären die Länder berechtigt, für Steuern, die der Landesgesetzgebungskompetenz unterfallen, eigenständig Doppelbesteuerungsabkommen mit auswärtigen Staaten zu vereinbaren. Bereits bestehende Vereinbarungen des Bundes mit auswärtigen Staaten618 verlören jedoch nicht an Geltung, da die Rechte der Länder beim Abschluss 612 Auch wenn sie nicht vom Staat selbst, sondern von einem seiner Untergliederungen erhoben wurde, so beispielsweise die kantonale Erbschaftsteuer in der Schweiz oder die Erbschaftsteuer der Bundesstaaten in den USA, dazu Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, § 21 Rn. 17. 613 Allgemeine Meinung; stellvertretend Waldhoff, IStR 2002, S. 693; Wassermeyer in: Debatin/Wassermeyer, Vor Art. 1 MA Rn. 9. 614 Dazu in Bezug auf Doppelbesteuerungsabkommen Waldhoff, IStR 2002, S. 693 f.; allgemein Bernhardt, HdbSt VII, § 174 Rn. 17 f.; Rojahn in: v. Münch/Kunig, Art. 59 Rn. 32 ff. 615 Bei der Gesetzgebung der Länder kann es sich sowohl um eine ausschließliche Landesgesetzgebungskompetenz als auch um eine konkurrierende, aber nicht wahrgenommene Bundeskompetenz handeln. 616 In Nordrhein-Westfalens vertritt der Ministerpräsident das Bundesland nach außen, Art. 57 Satz 2 LVerf NRW in Verbindung mit einem Beschluss der Landesregierung vom 03.02.1960, nach dem die Landesregierung ihre Vertretungsbefugnis auf den Ministerpräsidenten des Landes übertragen hat (GV NW 1960, S. 13, SGV NW 1100). 617 Bernhardt, HdbSt VII, § 174 Rn. 19 f.; Kempen in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 32 Abs. 3 Rn. 81 ff.; Rojahn in: v. Münch/Kunig, Art. 32 Rn. 32 ff.

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dieser Verträge über den Bundesrat bei Erlass des Zustimmungsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 GG gewahrt wurden. Im Ergebnis ist nicht zu erwarten, dass die Rechtslage im internationalen Steuerrecht durch eine Erbschaftsteuergesetzgebung der Länder für die Normadressaten unübersichtlicher wird, als bei einer Bundesgesetzgebung. Das Recht der Länder, eigene Doppelbesteuerungsabkommen abzuschließen, lässt die bestehenden Vereinbarungen unberührt. Außerdem besteht auch weiterhin die Möglichkeit, dass der Bund im Verhältnis zu auswärtigen Staaten auf diesem Gebiet tätig wird619. Die Rechtssicherheit und damit auch das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ dürften somit im Hinblick auf eine internationale Doppelbesteuerungsgefahr nicht betroffen sein. c) Gefährdung des ungehinderten, länderübergreifenden Rechtsverkehrs Die Rechtsunsicherheiten, die vor allem die verschachtelten innerstaatlichen Doppelbesteuerungsabkommen, aber wohl auch die divergierenden Regelungen in den einzelnen Bundesländer hervorrufen würden, könnten in Bezug auf Schenkungen unter Lebenden zu einer Beeinträchtigung des ungehinderten, länderübergreifenden Rechtsverkehrs in Deutschland führen. Da bei einer Schenkung der Schenker mit dem Beschenkten ein zivilrechtliches Rechtsgeschäft eingeht (§§ 516 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches), wird die Dispositionsfreiheit der Vertragsparteien in den sicherlich nicht seltenen Fällen beeinträchtigt, in denen die Parteien in verschiedenen Bundesländern ansässig sind oder, soweit eine beschränkte Steuerpflicht gilt, das Vermögen in mehreren Bundesländern belegen ist. Die komplizierten und teilweise auch bürokratischen Verfahren zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung, sei es durch Freistellung der im anderen Bundesland belegenen Vermögensgegenstände von der Besteuerung oder durch Anrechnung der anderen Schenkungsteuer, würden dazu führen, dass die Vertragsparteien die schenkungsteuerlichen Auswirkungen selbst kaum überblicken können. Diese Verunsicherung und der damit einhergehende Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit der Erbschaftsteuerrechtsordnung könnten sich durchaus zu einer Bedrohung für die Freizügigkeit entwickeln. Dadurch würde das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ ebenso gefährdet, wie durch die Gefahr einer innerstaatlichen Doppelbesteuerung.

618 Im Erbschaftsteuerrecht bestehen derzeit Doppelbesteuerungsabkommen lediglich mit Griechenland, Österreich, Schweden, der Schweiz, den Vereinigten Staaten von Amerika und Israel. 619 Allgemein Bernhardt, HdbSt VII, § 174 Rn. 17 ff.; siehe auch das Lindauer Abkommen vom 14.11.1957 (abgedruckt in: BT-Drs. 7/5924, S. 236).

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d) Gesamtstaatliches Interesse Allein die Gefährdung des Rechtsguts der ,Rechtseinheit‘ ist nicht ausreichend, um die Voraussetzungen der zweiten Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG zu erfüllen. Zusätzlich muss ein ,gesamtstaatliches Interesse‘ an der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein solches gegeben, wenn die Rechtszersplitterung im Interesse des Bundes und der Länder nicht hingenommen werden kann620. Von einem Interesse des Bundes an einer bundeseinheitlichen Rechtsordnung ist grundsätzlich auszugehen, da es seiner Gesamtverantwortung für den Bundesstaat entspricht, auf Einheit im Bundesstaat hinzuwirken621. Die Bundesländer hingegen haben ein eigenes Interesse an Finanzautonomie, da sie dadurch über zusätzliche (politische) Gestaltungskraft verfügen. Jedoch wird es kaum in ihrem Sinne sein, dazu ihren Bürgern und Steuerzahlern im Extremfall 120 innerstaatliche Doppelbesteuerungsabkommen zuzumuten und damit gerade den Vertrauensverlust herbeizuführen, den sie durch eine eigenständige Finanzpolitik gewinnen wollen. Daher ist davon auszugehen, dass eine bundesgesetzliche Erbschaft- und Schenkungsteuerregelung im ,gesamtstaatlichen Interesse‘ zur ,Wahrung der Rechtseinheit‘ liegt. e) Zwischenergebnis Auf Grund drohender innerstaatlicher Doppelbesteuerung und möglicher Gefährdung des länderübergreifenden Rechtsverkehrs dürfte der Bundesgesetzgeber zur ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ in das Gesetzgebungsrecht der Länder eingreifen, vorausgesetzt die Regelungen sind erforderlich622. 3. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der Bundesgesetzgeber eigene Erbschaftsteuerregelungen auch zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘, der dritten Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG, erlassen dürfte. a) Kosten innerstaatlicher Doppelbesteuerung Gerade Unternehmen, deren Betriebsvermögen in mehreren Bundesländern belegen ist, wären bei divergierenden landesgesetzlichen Erbschaft- und Schen620 621 622

BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (145). Dazu näher Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 62 ff. Zur Erforderlichkeitsprüfung ab Seite 142 ff.

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kungsteuerregelungen der Gefahr innerstaatlicher Doppelbesteuerung ausgesetzt623. Vergleichbar zum internationalen Bereich würde bei innerstaatlicher Doppelbesteuerung der nationale Wirtschaftsverkehr durch Behinderung der Freizügigkeit von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit beeinträchtigt624. Soweit die Doppelbesteuerung nicht auf Grund entsprechender flächendeckender Abkommen zwischen den Bundesländern oder unilateraler Vorschriften in ihren Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzen egalisiert werden könnte, bedeutete die steuerliche Mehrbelastung eine Schwächung der Wettbewerbssituation der Unternehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Unternehmen die Mehrlasten nicht auf die Abnehmer überwälzen könnten. Nachteilige Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland auf Grund geringerer unternehmerischer Investitionen oder vermindertem Absatz wären die Konsequenzen. Auch könnten einige Unternehmen die Situation zum Anlass nehmen, ihren Sitz ins Ausland zu verlagern, wo sie nicht der Gefahr einer mehrfachen Steuerbelastung ausgesetzt wären625. Zwar könnten die einzelnen Länder bundesweit lückenlose Doppelbesteuerungsvereinbarungen treffen, jedoch garantiert eine solche Lösung nicht die Dauerhaftigkeit des Konsenses. Somit würde die aus der Rechtsvielfalt resultierende Rechtsunsicherheit auch in wirtschaftlicher Hinsicht für die Betroffenen eine unzumutbare Folge darstellen, so dass die dritte Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG eingreift626. b) Steuerbefolgungskosten Eine Rechtsvielfalt bei der Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzgebung wird für die Betroffenen höhere Steuerbefolgungskosten hervorrufen. Insbesondere national tätige Unternehmen, deren Gesellschafter im gesamten Bundesgebiet verstreut sind, müssten bei Nachfolgeregelungen einen erhöhten Steuerberatungsaufwand betreiben, um sich unter Umständen auf sechzehn unterschiedliche Landesregelungen, aber besonders entsprechende Doppelbesteuerungsabkommen der Länder einstellen zu können. Gerade letztere würden die Rechtslage verkomplizieren, da flächendeckende Vereinbarungen nach einem einheitlichen Muster nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Gerade aus Gründen der Sicherung des eigenen Steueraufkommens erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Länder eine Abwehrgesetzgebung gegenüber flächendeckenden Länderabkommen bevorzugen würden627. Damit wären die 623

Ausführlich bereits in diesem Kapitel Seite 134 ff. Zu den Auswirkungen internationaler Doppelbesteuerung Schaumburg, § 14 Rn. 14.12. 625 Ohne entsprechende empirische Erhebungen ist der Umfang der Abwanderungen jedoch kaum zu prognostizieren. 626 Ebenso Hey, FS Solms, S. 39. 624

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steigenden Steuerbefolgungskosten auf die unübersichtliche Rechtslage zurückzuführen, die aus zahlreichen, voraussichtlich uneinheitlichen und lückenhaften Länderabkommen und korrespondierender Abwehrgesetzgebung resultiert. Hiervon könnte ein hemmendes Signal für das Investitionsverhalten der Unternehmer ausgehen, welches sich nachteilig auf das Wirtschaftswachstum auswirken könnte, soweit eine Überwälzung der Kosten auf die Abnehmer nicht möglich ist. Eine Rechtsvereinheitlichung im Bereich des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts könnte diese Kosten senken und damit mittelbar einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft in Deutschland ausüben. Das Argument der Kosten- und Aufwandsverringerung für die Normadressaten überzeugt in einem Bundesstaat jedoch nur bedingt. Denn schon der föderale Staatsaufbau selbst beinhaltet für die Bürger denknotwendig sowohl auf dem Gebiet der ausschließlichen Landes- als auch der konkurrierenden Gesetzgebung die Zulässigkeit von unterschiedlichen Rechtslagen in den Gliedstaaten628. Das gilt selbst dann, wenn eine zentrale Aufgabenerledigung im Einzelfall wirtschaftlicher wäre. Dies ist der Preis für die vom Grundgesetz vorgesehene dezentrale Aufgabenbewältigung629, die sich durch Bürgernähe und Berücksichtigung regionaler Besonderheiten auszeichnet630. Aus diesem Grund verlangt das Bundesverfassungsgericht zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ auch mehr, als die bloße Schaffung von ,Rechtseinheit‘, denn ,Wirtschaftseinheit‘ lässt sich typischerweise über die Vereinheitlichung von Rechtslagen erreichen631. Die Auswirkungen der Rechtsvielfalt müssten vielmehr wirtschaftspolitisch bedrohlich sein. Erst dann ist die Grenze des Zumutbaren überschritten und der Bundesgesetzgeber darf zum Wohle aller eingreifen. Zu beachten ist bei der Beurteilung, dass durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer keine jährlich wiederkehrenden Befolgungskosten verursacht werden, so dass der wirtschaftliche Verkehr durch landesgesetzliche Regelungen unmittelbar weder beschränkt noch gehindert würde632. Die allenfalls mittelbar auftretenden Nachteile durch einen punktuell erhöhten Beratungsbedarf reichten voraussichtlich nicht aus, um die „Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums“ Deutschlands ernstlich zu bedrohen. Darüber hinaus ist, die bereits erwähnte, bei nebeneinan627 Zu diesem Problem auf internationaler Ebene Esser, IFSt-Schrift Nr. 427 (2005), S. 20 und 24. Gerade mit Steueroasen-Ländern bestünden keine oder nur sehr eingeschränkte Doppelbesteuerungsabkommen. 628 Vgl. nur Engels, S. 54 f.; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 60. 629 Dies gilt sowohl im Verhältnis Bund und Länder, als auch im Verhältnis Länder und Kommunen, vgl. dazu die so genannte ,Rastede-Entscheidung‘ des Bundesverfassungsgerichts vom 23.11.1988, 2 BvR 1619/83 u. a., BVerfGE 79, 127 (153). 630 Zur dezentralen Selbstbestimmung im Bundesstaat vgl. Kruis, DÖV 2003, S. 14 f. 631 So BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (146 f.) 632 Vgl. hingegen in diesem Kapitel die Ausführungen zur Vermögensteuer Seite 158 f.

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der existierenden Steuerregelungen gegebene Möglichkeit von Steuerarbitrage, wodurch höhere Steuerbefolgungskosten kompensiert werden könnten, angemessen zu gewichten633. Die durch verschiedene landesgesetzliche Regelungen verursachten Steuerbefolgungskosten rechtfertigen ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers zum Schutze des Rechtsguts der ,Wirtschaftseinheit‘ somit nicht. c) Gesamtstaatliches Interesse Da innerstaatliche Doppelbesteuerungen für die betroffenen Unternehmen zu Mehrlasten führen würden, drohten erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft. Damit ist von einem gesamtstaatlichen Interesse an einer Vermeidung der Doppelbesteuerung auszugehen. d) Zwischenergebnis Allein die drohenden Mehrlasten für Unternehmer auf Grund innerstaatlicher Doppelbesteuerung würden ein Bundeserbschaftsteuergesetz zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ rechtfertigen, vorausgesetzt die Regelungen sind erforderlich.

III. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG Im Sinne der durch das Bundesverfassungsgericht entwickelten zweistufigen Erforderlichkeitsprüfung634 ist zunächst die Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Erbschaftsteuerregelung zur ,Wahrung der Rechts- und der Wirtschaftseinheit‘ zu untersuchen (1.) und daran anschließend der geringstmögliche Eingriff des Bundes in das Gesetzgebungsrecht der Länder herauszuarbeiten (2.). 1. Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Regelung Die Zulässigkeit eines Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes des Bundes hängt davon ab, ob eine bundesgesetzliche Regelung das Erreichen der zweiten und/oder der dritten Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG zumindest fördern würde. Dazu sind die tatsächlichen Auswirkungen des Bundesgesetzes – soweit dies möglich ist – vorab abzuschätzen und zu beurteilen635. 633 Zur Wechselwirkung auf internationaler Ebene von Steuerbefolgungskosten durch Abwehrgesetzgebung und notwendige gesetzgeberische Gegenreaktionen auf steuerliche Gestaltungen internationaler Geschäftsbeziehungen Esser, IFSt-Schrift Nr. 427 (2005), S. 24. 634 Dazu ausführlich im zweiten Kapitel Seite 80 ff.

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Ein Blick auf die derzeitige Rechtslage bei der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung genügt, um festzustellen, dass mit einer bundesgesetzlichen Regelung, die bundeseinheitlich sowohl die persönliche Steuerpflicht, die Bemessungsgrundlage, die sachlichen und persönlichen Steuerbefreiungstatbestände, sowie den Steuersatz bestimmt, weder eine Gefahr für innerstaatliche Doppelbesteuerungssachverhalte besteht, noch der länderübergreifende Rechtsverkehr in Bezug auf Schenkungen behindert wird. Im Verhältnis zu ausländischen Staaten wird die ausländische Erbschaftsteuer auf die deutsche Steuer angerechnet, soweit sie dieser entspricht und kein Doppelbesteuerungsabkommen eingreift. Gerade in Bezug auf den Aspekt der Rechtssicherheit hat daher ein umfassendes Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz des Bundes erhebliche Vorteile gegenüber landesgesetzlichen Bestimmungen. Von der Geeignetheit eines entsprechenden Bundesgesetzes ist daher auszugehen, so dass die Gesetzgebungskompetenz für den Bund für den Sachbereich der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung dem Grunde nach eröffnet ist. 2. Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder Im zweiten Schritt der Erforderlichkeitsprüfung636 ist die wesentlich schwierigere Frage nach der Reichweite der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zu beantworten. Der Bund wird durch das Erforderlichkeitskriterium des Art. 72 Abs. 2 GG auf den geringstmöglichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder verwiesen637. Bei der Beurteilung der zulässigen Regelungsintensität ist daher zu prüfen, ob partielle Regelungen der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung durch den Bund im Vergleich zu einem umfassenden Bundeserbschaftsteuergesetz gleich geeignet zur ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit‘ sind, also dem innerstaatlichen Doppelbesteuerungskonflikt entgegenwirken und damit auch die Freizügigkeit des Rechtsverkehrs gewährleisten, jedoch den geringeren Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder bedeuten. Eine das Gesetzgebungsrecht der Länder schonendere Möglichkeit könnte eine auf die Vermeidung von innerstaatlichen Doppelbesteuerungskonflikten konzentrierte bundesgesetzliche Regelung darstellen, durch welche die Gefahr von Mehrfachbelastungen egalisiert und die Steuerbefolgungskosten deutlich reduziert werden würden. Zunächst sind die verschiedenen Gestaltungsalternativen des Bundesgesetzgebers zu untersuchen [a) bis c)]. Sodann ist zu prüfen, ob die Teilregelungen im Vergleich zu einem umfassenden Erbschaftsteuergesetz 635 Zur Beurteilung der tatsächlichen Auswirkungen des Bundesgesetzes im Rahmen von Art. 72 Abs. 2 GG BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (148 f.). 636 Zu der Aufteilung der Erforderlichkeitsprüfung in zwei Schritte näher im zweiten Kapitel Seite 80 ff. 637 Siehe dazu die Ausführungen im zweiten Kapitel Seite 81 f.

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gleich geeignet zur ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ sind [d)]. a) Erste Alternative: Bestimmung der steuerpflichtigen Vorgänge und der persönlichen Steuerpflicht Um innerstaatliche Doppelbesteuerungskonflikte zu vermeiden, könnte der Bundesgesetzgeber die steuerpflichtigen Vorgänge und die persönliche Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht bundesweit einheitlich regeln, den Ländern jedoch die Festlegung der Bemessungsgrundlage und der Steuersätze belassen. aa) Nach Bundesländern differenzierte Lösung Das Bundesgesetz könnte durch Festlegung des Eintritts der persönlichen Steuerpflicht für Vorgänge im Sinne des § 1 Abs. 1 ErbStG allein nach der Ansässigkeit des inländischen Erblassers/Schenkers bundeslandspezifisch differenzieren. Die Steuerpflicht träte in dem Bundesland ein, in dem der Erblasser/ Schenker ansässig wäre638. Sollte der Erblasser/Schenker kein Inländer sein, richtete sich die Steuerpflicht ausnahmsweise nach der Ansässigkeit des Erwerbers639. Eine doppelte Besteuerung desselben Erwerbsvorgangs könnte jedoch noch immer bei Personen mit verschiedenen Wohnsitzen in mehreren Bundesländern eintreten. In diesen Fällen könnte sich die Steuerpflicht nach dem überwiegenden Aufenthalt des Erblassers/Schenkers richten640. Durch eine bundesweit einheitliche Festlegung der persönlichen Steuerpflicht könnte eine innerstaatliche Doppelbesteuerungsgefahr wirksam vermieden werden. Mit einer solchen Ausgestaltung der persönlichen Steuerpflicht wären indes möglichen Abwanderbewegungen potentieller Erblasser oder Schenker von Hoch- in Niedrigerbschaftsteuerländer keine rechtlichen Grenzen gesetzt. Länder mit hohen Steuerbelastungen könnten massiv unter Druck geraten, ihre Steuersätze zu senken, auch wenn dies finanz- und haushaltspolitisch nicht vertretbar erschiene. Diese Folge wäre jedoch hinzunehmen, da die Angleichung der Steuerbelastungen gerade der gewünschte Effekt eines Wettbewerbs ist641.

638 Bei natürlichen Personen richtet sich die Ansässigkeit nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthaltsort. Bei Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen tritt an diese Stelle der Sitz oder die Geschäftsleitung. 639 Siehe Fn. 638. 640 Dies entspräche § 19 Abs. 1 Satz 2 AO. Beispielsweise ist bei einem verheirateten Steuerpflichtigen, der nicht dauernd von seinem Ehegatten getrennt lebt, der Wohnsitz maßgebend, an dem sich die Familie überwiegend aufhält. 641 Allgemein Gerken/Merkt/Schick, S. 155 ff., die im Steuerwettbewerb vor allem einen Steuersenkungswettbewerb sehen (ebd., S. 156), und nachrangig einen Wettbewerb der Steuersysteme (ebd., S. 157 f.); Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 30.

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Bundesländer mit hohen Erbschaftsteuerbelastungen hätten allerdings die nachteiligen Auswirkungen der Abwanderungen zu tragen, ohne selbst Gegenmaßnahmen, etwa in Form der Normierung einer beschränkten Steuerpflicht, ergreifen zu dürfen, da für diesen Regelungsbereich der Bund das Gesetzgebungsrecht ausüben würde. bb) Bundeseinheitliche Lösung Eine weitere Regelungsmöglichkeit bestünde darin, die Steuerpflicht für oben genannte Vorgänge entsprechend des derzeitigen § 2 Abs. 1 ErbStG, also nicht nach Bundesländern differenziert auszugestalten. Die Erbschaft- beziehungsweise Schenkungsteuerpflicht träte allgemein in Deutschland und nicht in einem bestimmten Bundesland ein. Erst für die weitere Festsetzung, Erhebung und Vereinnahmung in den Landeshaushalt wäre das Bundesland nach den Vorschriften seines Landeserbschaftsteuergesetzes zuständig, in dem der inländische Erblasser/Schenker ansässig ist642. Nur wenn dieser als Steuerausländer zu qualifizieren wäre, würde die Ansässigkeit des Erwerbers die Zuständigkeitsverteilung zwischen den Bundesländern bestimmen643. Allerdings würde auch eine derartige Ausgestaltung der persönlichen Steuerpflicht Abwanderungen in Niedrigerbschaftsteuerländer begünstigen, ohne dass die betroffenen Länder eigenständig Gegenmaßnahmen durch Wegzugstatbestände ergreifen könnten. Die Gefahr einer innerstaatlichen Doppelbesteuerung bestünde hingegen auch bei dieser Konzeption der persönlichen Steuerpflicht nicht mehr. cc) Konflikt mit der ersten Zielvorgabe Damit würden beide vorgestellten Bundesregelungen zur persönlichen Steuerpflicht die ,Rechtseinheit‘ fördern, da eine doppelte steuerliche Erfassung desselben Sachverhalts vermieden würde, zugleich aber möglichen Wanderbewegungen nicht entgegenwirken. Wie im Zusammenhang mit der Prüfung der ersten Zielvorgabe festgestellt644, wären die Länder durch eine eigene Erbschaftsteuergesetzgebung durchaus in der Lage, gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen, in dem sie übermäßigen Wanderbewegungen durch entsprechende Regelungen Einhalt gebieten. Allerdings reicht es für den Bund zur Ausübung seiner Gesetzgebungskompetenz aus, wenn das Bundesgesetz eine der drei Zielvorgaben fördert und ansonsten erforderlich ist, dass Art. 72 Abs. 2 642 §§ 19 Abs. 1 und 20 AO könnten entsprechend angewandt werden. Bei mehrfachem Wohnsitz richtet sich die Festsetzungs- und Erhebungszuständigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 AO; dazu Fn. 640. 643 Diese Regelung entspräche der Vorschrift des § 35 ErbStG zur heutigen örtlichen Zuständigkeit. 644 Vgl. dazu in diesem Kapitel Seite 129 ff.

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GG drei alternative, gleichwertig nebeneinander stehende Zielvorgaben beinhaltet645. Bei seiner Gesetzgebung steht dem Bundesgesetzgeber insoweit ein Gestaltungsspielraum zu. Er darf beispielsweise die ,Rechtseinheit‘ fördern und dabei gleichzeitig ungleichwertige Lebensverhältnisse hinnehmen oder sogar verstärken646. Art. 72 Abs. 2 GG stellt lediglich eine Kompetenzbestimmung dar und begründet weder einen an den Bund gerichteten Verfassungsauftrag, auf die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse hinzuwirken, noch eine Staatszielbestimmung647. Der Nachteil für die Länder, Wanderbewegungen nicht selbst begegnen zu können, wäre somit zu Gunsten der Vermeidung von innerstaatlicher Doppelbesteuerung und damit letztlich zur ,Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ hinzunehmen. b) Zweite Alternative: Gesetz zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerung Eine weitere Möglichkeit, innerstaatliche Doppelbesteuerungskonflikte auszuschalten, bestünde darin, ein entsprechendes „Bundesdoppelbesteuerungsgesetz“ zu erlassen. aa) Doppelbesteuerungsverbot in der Schweiz An dieser Stelle lohnt ein kurzer Blick auf die Steuerrechtsordnung in der Schweiz. Im Gegensatz zu den Bundesländern in Deutschland haben die Kantone in der Schweiz weit reichende Steuergesetzgebungskompetenzen648, insbesondere für den Bereich der direkten Steuern649. Um eine Doppelbesteuerung innerhalb des Bundesstaates zu vermeiden, enthält die Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999650 (BV) in Art. 127 Abs. 3 BV (bis 1999: Art. 46 Abs. 2 BV) ein Doppelbesteuerungsverbot651. Da645 Im Ergebnis ebenso Lechleitner, Jura 2004, S. 748; siehe auch Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 72 Rn. 41a. 646 Ähnlich Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 100. 647 So auch Engels, S. 91 ff.; Waldhoff, S. 87 ff., der in dem Postulat der einheitlichen Lebensverhältnisse lediglich eine Verfassungsvoraussetzung sieht; vgl. auch Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 97; Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 85 ff. 648 Vgl. hierzu die rechtsvergleichende Untersuchungen von Jörg, Finanzverfassung und Föderalismus in Deutschland und in der Schweiz, Baden-Baden 1998, sowie von Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland – Schweiz, München 1997. 649 Vgl. Art. 128, 130 bis 134 der schweizerischen Bundesverfassung. Eine Aufzählung der kantonalen direkten und indirekten Steuern findet sich bei Waldhoff, S. 67. 650 Bundesblatt 1999, S. 7922 ff.

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nach ist die Bundesgesetzgebung angehalten, gegen interkantonale Doppelbesteuerung die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Die Verfassungsnorm gewährt nicht nur dem Bund die Gesetzgebungskompetenz, sondern gleichzeitig dem Steuerbürger ein verfassungsmäßiges subjektives Recht, bei dessen Verletzung die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Art. 189 Abs. 1 lit. a BV652). Da die Bundesgesetzgebung den Verfassungsauftrag bislang nicht ausgefüllt hat, ist durch die hundertjährige Rechtsprechung des Bundesgerichts ein ausgewogenes System von Kollisionsnormen entstanden, welches als Rechtsquelle zur Vermeidung der interkantonalen Doppelbesteuerung anerkannt ist653. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass es in der Schweiz trotz aller Kollisionsnormen starke Bestrebungen gibt, eine Harmonisierung für den Bereich der direkten Steuern herbeizuführen. Den Steuerpflichtigen ist die Unübersichtlichkeit der kantonalen und zusätzlich der gemeindlichen Steuerordnungen immer schwieriger zu vermitteln, so dass dem Bundesgesetzgeber ein entsprechender Harmonisierungsauftrag verfassungsrechtlich erteilt wurde654. Ausdrücklich von einer Harmonisierung ausgenommen sind dabei die Steuertarife, Steuersätze und Steuerfreibeträge (Art. 129 Abs. 2 Satz 2 BV). bb) Lösungsmöglichkeit nach deutschem Recht Das schweizerische Konzept kann zumindest als Anstoß für einen Lösungsansatz bei der Vermeidung von Doppelbesteuerungskonflikten innerhalb Deutschlands herangezogen werden. Nach dem Grundgesetz ist der Bund auch ohne ausdrückliche Normierung eines Doppelbesteuerungsverbots in der Verfassung befugt, ein Gesetz zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zu erlassen, welches auf alle innerstaatlichen, länderübergreifenden Sachverhalte Anwendung findet, bei denen eine Mehrfachbelastung desselben Sachverhalts mit Erbschaft- oder Schenkungsteuer drohen würde. Regelungen zur Lösung von Doppelbesteuerungskonflikten sind vom Kompetenztitel des Art. 105 Abs. 2 GG mit umfasst, da sie dem materiellen Steuerrecht zuzuordnen sind. So stellt beispielsweise die vorwiegend bei bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen angewandte Freistellungsmethode eine sachliche Steuerbefreiung dar655. Lediglich der verfahrensrechtlich-organisatorische Bereich des Steuerrechts unterfällt nicht Art. 105 Abs. 2 GG, sondern muss auf Art. 108 Abs. 5 GG gestützt wer651 Zu Art. 46 Abs. 2 BV a. F. näher Jörg, S. 119 f.; Waldhoff, S. 201 f. jeweils m.w. N. 652 Vormals Art. 113 Abs. 1 Nr. 3 BV. 653 Jörg, S. 119 f. m.w. N. 654 Zu den Harmonisierungstendenzen in der Schweiz seit 1977 siehe Jörg, S. 122 ff.; Waldhoff, S. 74 ff.; vgl. zum Verfassungsauftrag seit 1999: Art. 129 BV. 655 BVerfG v. 10.03.1971, 2 BvL 3/68, BVerfGE 30, 272 (281 f.); Schaumburg, § 14 Rn. 14.21 m.w. N.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

den656. Methodisch erscheint die Freistellungsmethode vorzugswürdig657, da hierdurch bürokratische und unübersichtliche Anrechnungsverfahren vermieden werden. Um im gesamtstaatlichen Interesse der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ zu dienen, könnte der Bund somit nach seinem Ermessen von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch machen658. Bei einem Bundesgesetz zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerungskonflikte bliebe den Ländern das Recht erhalten, den gesamten Steuertatbestand, also Steuersubjekt, Steuerobjekt und den Steuersatz, eigenständig zu bestimmen, ohne dass die Steuerbürger drohenden Mehrfachbelastungen desselben Erwerbsvorgangs ausgesetzt wären659. c) Dritte Alternative: Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage Schließlich erscheint eine bundesgesetzlich für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik festgelegte einheitliche Bemessungsgrundlage als eine näher zu betrachtende Möglichkeit, um innerstaatliche Doppelbesteuerungen zu vermeiden. Bei einem Bundesgesetz, welches die Bemessungsgrundlage für die Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung bundeseinheitlich festlegen würde, verbliebe den Ländern das Recht, das Steuersubjekt und die Höhe der Steuersätze zu normieren. Mit der Bestimmung des konkreten Steuerobjektes würde der Bund nicht nur die Entscheidung über den der Besteuerung unterliegenden Erwerb, sondern auch über die sachlichen und persönlichen Steuerbefreiungen treffen. Nach dem derzeitigen Konzept der Erbschaft- und Schenkungsteuer ergibt sich die Bemessungsgrundlage aus der Bereicherung des Erwerbers (Wert des Vermögensanfalls, bei Erwerb von Todes wegen abzüglich der Nachlassverbindlichkeiten), abzüglich der sachlichen und persönlichen Steuerbefreiungen660. Es ist anzunehmen, dass ein Bundesgesetz die über Jahre in der Praxis bewährte Bemessungsgrundlage übernehmen würde. 656 Dazu ausführlich Seer in: BK, Art. 108 (92. Lfg.) Rn. 132 ff.; aber auch Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 105 Rn. 25; Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 1 und Art. 108 Rn. 31; Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 14. 657 Näher zu den verschiedenen Methoden im zweiten Kapitel Seite 106 f. 658 Die verfassungsrechtliche Möglichkeit für den Gesamtstaat, in das Gesetzgebungsrecht der Länder im Bereich der Steuergesetzgebung zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen einzugreifen, ist in der Geschichte der deutschen Finanzverfassungen kein Novum. Bereits die Weimarer Verfassung normierte in Art. 11 Nr. 2 WRV eine entsprechende Befugnis des Reichs. Näher dazu im ersten Kapitel Seite 22 f. 659 Ein Blick auf die Europäische Union verdeutlicht, dass auch dort der Vermeidung (internationaler) Doppelbesteuerung ein hoher Stellenwert beigemessen wird. So wird auf Gemeinschaftsebene erwägt, ein EU-Musterabkommen zu erarbeiten oder ein multilaterales Doppelbesteuerungsabkommen zwischen allen EU-Mitgliedsstaaten zu schließen, soweit das Ziel einer Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage für Unternehmensteuern nicht erreicht ist; Mitteilungen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 24.11.2003, KOM (2003), 726 endg. Tz. 3.5.

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d) Gleiche Eignung der Regelungsalternativen Fraglich ist, ob die zuvor erörterten Teilregelungen im Vergleich zu einem umfassenden Erbschaftsteuergesetz gleich geeignet zur ,Wahrung der Rechtsund Wirtschaftseinheit‘ sind. aa) Erste und zweite Regelungsalternative Sowohl die Variante zur Regelung der persönlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht, als auch das Gesetz zur Vermeidung der Doppelbesteuerung wirken der Gefahr durch Mehrfachbelastungen effektiv entgegen. Da auch die Freizügigkeit des Rechtsverkehrs bei Schenkungen vorrangig durch doppelte steuerliche Erfassungen desselben Sachverhalts beeinträchtigt werden würde661, wäre auch diese Gefahr durch die beiden Regelungsalternativen weitgehend minimiert. Hinzutritt ein weiterer positiver Nebeneffekt: Nicht nur steuerliche Mehrfachbelastungen werden durch beide Regelungsalternativen vermieden, sondern auch die Steuerbefolgungskosten, die für sich genommen zwar nicht ausreichen, um das Rechtsgut der ,Wirtschaftseinheit‘ zu beeinträchtigen, aber doch spürbare Nachteile für die Unternehmen bedeuten662, würden durch die gewonnene Übersichtlichkeit der Rechtsmaterie reduziert. Damit sind die beiden ersten Regelungsalternativen zur Vermeidung der innerstaatlichen Doppelbesteuerung im Vergleich zu einem umfassenden Bundeserbschaftsteuergesetz gleich geeignet, um den mit verschiedenen landesgesetzlichen Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzen einhergehenden Vertrauensverlust in die Verlässlichkeit der Erbschaftsteuerrechtsordnung herzustellen und Mehrbelastungen für die betroffenen Unternehmen zu vermeiden. bb) Dritte Regelungsalternative Fraglich ist, ob auch die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage gleich geeignet zu einem umfassenden Bundeserbschaftsteuergesetz wäre. Bei unterschiedlichen landesrechtlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerregelungen resultieren die Rechtsunsicherheit und die Mehrlasten der Normadressaten aus der Gefahr einer innerstaatlichen Doppelbesteuerung desselben Sachverhalts; erst danach ist die unübersichtliche Rechtslage auf Grund der divergierenden Landesgesetze selbst zu nennen663. Gleiches gilt für eine Behinderung des länderübergreifenden Rechtsverkehrs664. 660 661 662 663

Derzeit §§ 10, 5, 13, 13a, 16, 17, 18 ErbStG. Dazu im dritten Kapitel Seite 138. Vgl. in diesem Kapitel Seite 140. Dazu näher in diesem Kapitel Seite 129 ff.

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Eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage würde beim Steuerwettbewerb der Länder für mehr Fairness und bezogen auf die Steuerpflichtigen für mehr Transparenz sorgen. Die Höhe der Steuerbelastung ließe sich an Hand des Steuersatzes ablesen und ein Vergleich mit anderen Bundesländern wäre ohne komplizierte Berechnungen möglich. Die Vereinfachung hätte durchaus einen positiven Einfluss auf die Vertrauensbildung der Normadressaten in Bezug auf die Verlässlichkeit der Erbschaftsteuerrechtsordnung. Auch Steuerbefolgungskosten ließen sich auf diese Weise reduzieren. In erster Linie zielt eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage jedoch auf die Schaffung eines fairen Steuerwettbewerbs ab. Dies zeigt ein Blick auf die Entwicklungen in der Europäischen Union: Hintergrund für die Schaffung einer europaeinheitlichen Bemessungsgrundlage für grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit in der Europäischen Union ist der Abbau von Hindernissen im Binnenmarkt665. Insbesondere die Abwehrgesetzgebung der Mitgliedstaaten zur Missbrauchsbekämpfung, die zu unfairem Steuerwettbewerb führt, wird in der Europäischen Union als eines der großen Hemmnisse für europaweit tätige Unternehmen angesehen666. Die Bestrebungen der Europäischen Union667 sind daher ausdrücklich zu begrüßen. Faire Rahmenbedingungen, etwa in Form von einheitlichen, konsolidierten Bemessungsgrundlagen, sind für einen Steuerwettbewerb wünschenswert und sogar wettbewerbsfördernd. Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG stellt ein fairer Steuerwettbewerb jedoch keine Zielvorgabe dar, die zum Eingreifen des Bundesgesetzgebers berechtigt. ,Rechtseinheit‘ in Gestalt höherer Rechtssicherheit oder ungehinderter Freizügigkeit des Rechtsverkehrs beziehungsweise ,Wirtschaftseinheit‘ lassen sich auf diese Weise nicht erzeugen668. Diese Rechtsgüter wären, wie zuvor festgestellt, durch innerstaatliche Doppelbesteuerungen betroffen. Um die Gefahr von derartigen Mehrfachbelastungen zu minimieren, wäre eine bundesgesetzlich einheitlich festgelegte Bemessungsgrundlage aber gerade nicht geeignet, da sie nicht auf den Umfang der Steuerpflicht Einfluss nimmt. Diesem Problem kann nur durch die oben dargestellten 664

Hierzu in diesem Kapitel Seite 138 f. Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 23.10.2001, KOM (2001), 582 endg., S. 11 f.; v. 24.11.2003, KOM (2003), 726 endg., S. 4 f.; ebenso Hey in: Tipke/Lang, § 18 Rn. 515; allgemein zur Harmonisierung der Bemessungsgrundlage in der Europäischen Union Scherer, S. 283 ff. 666 Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften v. 23.10.2001, KOM (2001), 582 endg., S. 11 f.; v. 24.11.2003, KOM (2003), 726 endg., S. 11 f. Tz. 3.5.; siehe auch Scherer, S. 273 ff. 667 Dazu ausführlicher in diesem Kapitel Seite 126 ff. 668 Anders Hey, FS Solms, S. 39; dies., VVDStRL 66 (2007), S. 311, die eine bundeseinheitliche Bemessungsgrundlage für alle Steuern, die typischerweise an bundesweite Sachverhalte anknüpfen, somit auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer, für notwendig hält. 665

B. Die Erbschaftsteuer

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Regelungen zur persönlichen Steuerpflicht oder besser noch durch ein Doppelbesteuerungsgesetz des Bundes begegnet werden. Diese Maßnahmen wären tauglich, um Mehrfachbelastungen von Unternehmen zu vermeiden und damit ,Rechtseinheit‘ und ,Wirtschaftseinheit‘ zu gewährleisten. Bedienten sich einige Länder im Steuerwettbewerb unfairer Praktiken, könnte sich eine Beschränkung für die Länder aus dem Gebot der Bundestreue669, nicht jedoch aus Art. 72 Abs. 2 GG ergeben. Damit verbleibt für eine Rechtfertigung einer vereinheitlichten Bemessungsgrundlage durch Bundesgesetz das Argument der Vertrauensbildung in die Rechtsmaterie der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Aber auch wenn das Vertrauen der Normadressaten in die Verlässlichkeit der Erbschaftsteuerrechtsordnung umso intensiver ausfallen sollte, je transparenter die Rechtsordnung auf diesem Gebiet ist, kann dies nur als zusätzliches Argument für die Begründung einer Bundesgesetzgebungskompetenz dienen. Allein rechtfertigt dieser Aspekt keine bundesgesetzliche Regelung einer Rechtsmaterie670. Hinzu kommt, dass Grund für die beschriebene Verunsicherung der Normadressaten bei einer Landeserbschaftsteuergesetzgebung vorrangig die drohende Mehrfachbelastung desselben Sachverhalts mit Erbschaftsteuer verschiedener Bundesländer ist. Da dieser Gefahr durch eine Bestimmung der Bemessungsgrundlage durch den Bund nicht entgegengewirkt werden kann, reicht der zusätzliche Vertrauensgewinn durch eine bundeseinheitliche Bemessungsgrundlage nicht aus, um eine entsprechende Regelung des Bundes zu rechtfertigen. Eine bundesgesetzliche Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage wäre somit weder zur ,Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ noch zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ geeignet. e) Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder? Da die beiden ersten Regelungsalternativen den Landesgesetzgebern im Gegensatz zu einem vollständigen Bundeserbschaftsteuergesetz überhaupt eigene Gestaltungsalternativen ermöglichen, stellen sie gegenüber einer Vollregelung der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung den geringeren Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder dar. Die Bundeskompetenz ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Länder untereinander etwa Doppelbesteuerungsabkommen nach einheitlichem Muster abschließen oder sich auf eine einheitliche persönliche Steuerpflicht einigen

669 Gleiches gilt, wenn der Steuerwettbewerb zwischen den Ländern ein ruinöses Ausmaß annähme. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen des Steuerwettbewerbs auf Landesebene siehe im vierten Kapitel Seite 199 ff. 670 Vgl. dazu im zweiten Kapitel Seite 108 f.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

könnten671. Abgesehen davon, dass ein Konsens unter den Ländern nur mit einem hohen Aufwand erreicht werden könnte, erscheint ein solcher auch nicht sehr wahrscheinlich. Zur Sicherung des eigenen Steueraufkommens würden gerade Bundesländer in denen die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Steuerpflicht nicht gegeben, jedoch große Teile des immobilen Vermögens des Erblassers/Schenkers belegen wären, etwa Grundvermögen oder Produktionsstätten, an der (beschränkten) Besteuerung dieser Gegenstände ein erhebliches Interesse haben. Dieses Phänomen ist bereits auf internationaler Ebene bekannt. So existieren in Ländern, die eine extrem niedrige Steuerbelastung aufweisen, häufig keine oder nur eingeschränkte Doppelbesteuerungsabkommen672. In Bezug auf Art. 72 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ betont, dass die Vorschrift nicht „bundeseinheitliche Bundes- von bundeseinheitlicher Ländergesetzgebung“ abgrenzen, sondern auf die regionalen Belange abgestimmte Gesetzesvielfalt in den Bundesländern ermöglichen will673. Hinzukommt, dass bei einheitlichen Landesregelungen jeder der sechzehn Landesgesetzgeber wieder aus dem mühsam gefundenen Konsens ausscheren kann, so dass das Maß an Rechtssicherheit wesentlich geringer wäre als bei einem Bundesgesetz. f) Gestaltungsprivileg des Bundes Zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerungen stünden dem Bundesgesetzgeber somit zwei Konzepte zur Kollisionsvermeidung zur Verfügung. Das Bundesverfassungsgericht räumte dem Bundesgesetzgeber in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ „eine Prärogative für Konzept und Ausgestaltung“ der Bundesgesetze ein, soweit Landesgesetze die Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG nicht oder nicht hinlänglich erreichen674. Eine Präzisierung dieses Sonderrechts des Bundes nimmt das Gericht nur dahingehend vor, dass einem Gesamtkonzept nicht einzelne Regelungen als zu regelungsintensiv entnommen werden dürfen, wenn ohne sie die Gesetzeswirkung vereitelt werden würde675. Allgemein kann aus der Aussage des Bundesverfassungsgerichts jedoch abgeleitet werden, dass dem Bundesgesetzgeber die inhaltliche Gestaltung seines Gesetzes obliegt, soweit seine Kompetenz reicht. Unter mehreren gleich geeigneten und ähnlich regelungsintensiven Möglichkeiten hat der Bundesgesetzgeber das freie Wahlrecht. 671 Auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kann allein eine bundesweit koordinierte Ländergesetzgebung den Bund nicht aus seinem Kompetenzbereich verdrängen; dazu näher im zweiten Kapitel Seite 81. 672 Dazu Esser, IFSt-Schrift Nr. 427 (2005), S. 20. 673 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (150). 674 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (149). 675 Dazu näher im zweiten Kapitel Seite 81 ff.

C. Die Vermögensteuer

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Bei einem Bundesgesetz, welches lediglich den innerstaatlichen Doppelbesteuerungskonflikt löst, verblieben den Bundesländern zwar mehr legislative Gestaltungsmöglichkeiten als bei einer bundesgesetzlichen Bestimmung der steuerpflichtigen Vorgänge und der persönlichen Erbschaft- und Schenkungsteuerpflicht, jedoch müsste dem Bundesgesetzgeber insoweit das Recht zugestanden werden, zwischen den beiden Alternativen zu wählen, da die Regelungsintensität beider Konzepte nicht gravierend von einander abweicht.

IV. Ergebnis Für die Rechtsmaterie der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung könnten die Länder gemäß Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG ihr Gesetzgebungsrecht jedenfalls in Bezug auf das konkrete Steuerobjekt und den Steuertarif ausüben. Zur ,Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit‘ wäre der Bund nur in Bezug auf eine Regelung zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerung im gesamtstaatlichen Interesse befugt, soweit Mehrfachbelastungen durch die Landesgesetze drohten. Diese kann durch ein gesondertes Doppelbesteuerungsgesetz oder durch bundesgesetzliche Vorgaben der erbschaft- und schenkungsteuerpflichtigen Vorgänge und der persönlichen Steuerpflicht geschehen. Macht der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch, obliegt ihm die Auswahl der Konzeption. Vorzugswürdig erscheint allerdings ein Bundesgesetz, welches innerstaatliche Kollisionen der Landeserbschaftsteuernormen vermeidet, da auf diese Weise den Ländern größtmögliche Gestaltungsspielräume verbleiben, und sie insbesondere möglichen Wanderbewegungen von Hoch- in Niedrigsteuerländer effektiv durch eigene Vorschriften entgegenwirken könnten. Darüber hinaus fehlt es jedoch an einer Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung, da die Länder mindestens ebenso gut im Stande sind, die Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zu erreichen. Das Ziel, mit einer bundesgesetzlich vereinheitlichten Bemessungsgrundlage das Fundament für einen fair ausgestalteten Steuerwettbewerb, der zweifellos zu begrüßen wäre, zu legen, begründet kein Recht des Bundes seine Gesetzgebungskompetenz für eine entsprechende Regelung in Anspruch zu nehmen.

C. Die Vermögensteuer I. Allgemeine Charakterisierung Die Vermögensteuer knüpft bei der Besteuerung an das Vermögen als Ganzes an, so dass sich die Bemessungsgrundlage nach dem Wert des Gesamtvermögens richtet. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

1995676 wird die Vermögensteuer für Veranlagungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 1996677 nicht mehr erhoben, da sie in der Ausgestaltung des derzeitigen Vermögensteuergesetzes (VStG) gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Besteuerungsgleichheit verstößt678. Das Gesamtaufkommen der Vermögensteuer679 wurde zu wesentlichen Teilen durch die Belastung des Unternehmensvermögens erzielt680. Aus diesem Grund könnte sich durch eine Landesgesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG innerhalb Deutschlands vorrangig ein Wettbewerb um mobiles unternehmerisches Kapital ergeben. Daneben würde aber auch privates Kapital ins Auge gefasst. Der folgenden Untersuchung wird wiederum die theoretische Annahme zu Grunde gelegt, dass alle sechzehn Bundesländer ihre Gesetzgebungskompetenz entsprechend dem Grundsatz der Belastungsgleichheit ausgeübt haben oder dies in Zukunft wollen, so dass bundesweit unterschiedliche Vermögensteuerregelungen bestehen.

II. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG Die Prüfung einer bundesgesetzlichen Vermögensteuerregelung hat zunächst mit den drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zu beginnen. Die Darstellung konzentriert sich auf die Besonderheiten bei der Vermögensteuer und verweist bei inhaltlichen Übereinstimmungen auf die Ausführungen zur Erbschaft- und Schenkungsteuer, um Wiederholungen zu vermeiden. 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Wie bereits im Rahmen der Untersuchung der Erbschaft- und Schenkungsteuer herausgearbeitet, reichen unterschiedliche Steuerbelastungen in den Bundesländern allein nicht aus, um bundesgesetzliche Regelungen für die Landessteuern zu rechtfertigen681. 676

2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 ff. Klarstellend BVerfG v. 30.03.1998, 1 BvR 1831/97, NJW 1998, 1854; zuvor bereits Arndt/Jenzen, NJW 1997, S. 1680 ff. mit weiteren Nachweisen zu der damals kontroversen Diskussion. 678 Mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar hielt das Gericht die Belastungsunterschiede bei einheitswertgebundenem Vermögen (insbesondere das Grundvermögen) und nicht einheitswertgebundenem Vermögen (insbesondere Kapitalvermögen), BVerfGE 93, 121 (142 ff.). 679 Das Aufkommen der Vermögensteuer betrug im Jahr 1996 4.620 Mio. Euro, das entsprach einem Anteil am Gesamtsteueraufkommen von etwa 1,1% (Quelle: Bundesministerium der Finanzen „Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 1994–1997“, www.bundesfinanzministerium.de). 680 So BVerfG v. 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (135); Albers, FS Kolms, S. 251; Tipke, StrO II, 1. Aufl. 1993, S. 800. 677

C. Die Vermögensteuer

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Da Anknüpfungspunkt für die Vermögensteuerpflicht der Wohnsitz682 beziehungsweise Ort der Geschäftsleitung683 des Steuerpflichtigen wäre, könnten durch erhebliche Belastungsgefälle in den einzelnen Bundesländern Wanderbewegungen ausgelöst werden. Insbesondere das mobile unternehmerische, aber auch das mobile private Kapital könnte dem Ruf niedriger Steuersätze oder sogar der Vermögensteuerfreiheit folgen. Da es sich bei der Vermögensteuer um eine periodisch wiederkehrende Steuerbelastung für das Gesamtvermögen handelt, dürften voraussichtlich mehr Steuerpflichtige entsprechende Gestaltungen erwägen, obwohl der Wohnsitz beziehungsweise die Geschäftsleitung dauerhaft in das andere Bundesland verlegte werden müssten684. Um solchen Tendenzen vorzubeugen oder entgegenzuwirken, könnten insbesondere die Länder mit hohen Steuerbelastungen neben der unbeschränkten eine beschränkte Steuerpflicht entsprechend § 2 VStG für das in ihrem Gebiet belegene Vermögen normieren. Somit wäre eine Besteuerung des immobilen Kapitals, insbesondere des Grundvermögens, sichergestellt. Ob darüber hinaus in den Hochvermögensteuerbundesländern eine Art Wegzugsbesteuerung notwendig wird, kann ohne entsprechende empirische Erhebungen kaum vorhergesehen werden. Die Wanderungen dürften allerdings wegen der Dauerhaftigkeit des Wegzugs kein extremes Ausmaß annehmen, da für die Wahl des Lebens- beziehungsweise Firmenstandorts nicht allein steuerliche Erwägungen, sondern eine Vielzahl von Faktoren ausschlaggebend sind, die je nach Person individuell zu gewichten sind685. Im Vordergrund steht bei natürlichen Personen die Nähe zum Arbeitsplatz und zur Familie. Bei den Unternehmen ist vor allem einer guten Infrastruktur für Produktion und Absatz starkes Gewicht bei der Entscheidung beizumessen. Die trotz alldem erfolgenden Abwanderungen müssten als Ausdruck des Steuerwettbewerbs angesehen werden. Eine Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern, die das Sozialgefüge ernstlich beeinträchtigen würde, ist jedoch nicht zu erwarten. Eine bundesgesetzliche Vermögensteuerregelung diente somit nicht der ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘. 681

Näher dazu in diesem Kapitel Seite 129 f. Besteht bei natürlichen Personen kein Wohnsitz im Inland, wird auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt. 683 Besteht bei Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen kein inländischer Ort der Geschäftsleitung, ist auf den Sitz abzustellen. 684 Im Gegensatz zur Vermögensteuer reichte bei der Erbschaft- oder Schenkungsteuer eine vorübergehende Verlegung aus. Falls in dem Wegzugsbundesland eine erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht bestünde, müsste allerdings ein Zeitraum von beispielsweise fünf Jahren in dem anderen Bundesland verbracht werden. 685 Zum geringen Einfluss von Studiengebühren auf die Wahl des Studienortes BVerfG v. 26.01.2005, 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 (245). 682

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

2. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse a) Doppelbesteuerungsgefahr innerhalb und außerhalb Deutschlands Auch im Bereich der Vermögensbesteuerung wird sich bei verschiedenen landesgesetzlichen Regelungen das Problem der innerstaatlichen Doppelbesteuerung stellen, wodurch die Rechtssicherheit und damit das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ erheblich gefährdet werden könnten686. Die Gefahr, denselben Sachverhalt mehrfach mit Vermögensteuer zu belasten, bestünde immer dann, wenn ein Steuerpflichtiger in mehreren Bundesländern einen Wohnsitz begründet hätte. Überschneidungen könnte es ebenso bei der gesetzlichen Normierung unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht in den Bundesländern geben. Selbst wenn es den Bundesländern gelänge, bundesweit flächendeckende Doppelbesteuerungsabkommen zu vereinbaren, wäre das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ durch die unübersichtliche Anzahl an Verträgen und die fehlende Bestandsgarantie der Vereinbarungen betroffen687. Wie bereits im Zusammenhang mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer erwähnt, ist der Doppelbesteuerungskonflikt bei Auslandssachverhalten kein spezifisches Problem der Ländergesetzgebung. Daher gilt auch bei der Vermögensteuer, dass im Bereich des internationalen Steuerrechts durch eine Gesetzgebung der Länder für die Normadressaten keine unübersichtlichere Rechtslage entstünde als bei einer Bundesgesetzgebung. Zwar bestünde für die Länder die Möglichkeit, eigene Doppelbesteuerungsabkommen mit ausländischen Staaten zu schließen (Art. 32 Abs. 3 GG), jedoch blieben bestehende Vereinbarungen unberührt und auch der Bund könnte weiterhin entsprechend tätig werden (Art. 32 Abs. 1 und 2 GG)688. Die Rechtssicherheit und damit auch das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ dürften somit im Hinblick auf eine internationale Doppelbesteuerungsgefahr nicht betroffen sein. b) Gefährdung des ungehinderten, länderübergreifenden Rechtsverkehrs Da Besteuerungsgegenstand der Vermögensteuer der Vermögensbestand ist, wird der Rechtsverkehr durch eine Steuerbelastung nicht beeinträchtigt. Eine Gefahr für die Freizügigkeit besteht auf Grund verschiedener Landesregelungen daher nicht.

686

Allgemein dazu im zweiten Kapitel Seite 104 ff. Vgl. die Ausführungen zur Erbschaft- und Schenkungsteuer, die entsprechend für die Vermögensteuer gelten, Seite 134 ff. 688 Die Ausführungen zur Erbschaft- und Schenkungsteuer gelten entsprechend, siehe Seite 136 ff. 687

C. Die Vermögensteuer

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c) Gesamtstaatliches Interesse An der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ hätten sowohl der Bund als auch die Länder ein eigenes Interesse. Insbesondere die Länder wären daran interessiert, dass die Vermeidung von innerstaatlicher Doppelbesteuerung durch die Länder selbst nicht auf Grund der Unübersichtlichkeit der Rechtslage zu einem Vertrauensverlust bei ihren Steuerbürgern führt689. d) Zwischenergebnis Ebenso wie bei der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung durch die Länder wäre das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ durch unterschiedliche Gesetzeslagen bei der Vermögensbesteuerung in den Bundesländern, die zu Doppelbesteuerungskonflikten innerhalb Deutschlands führen würden, betroffen. Die Freizügigkeit des Rechtsverkehrs wird hingegen auch bei divergierenden Landesregelungen hinreichend gewährleistet. 3. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse a) Auswirkungen der Vermögensteuer auf die Wirtschaft Anders als die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist die Vermögensteuer, soweit sie Kapitalgesellschaften betrifft, eine jährlich wiederkehrende Unternehmensteuer690. Dadurch werden insbesondere kapitalintensiv tätige Unternehmen gegenüber arbeitsintensiv Tätigen stark belastet. Bei Personengesellschaften erfolgt die steuerliche Belastung mittelbar auf Gesellschafterebene. Die Kosten, die die auf das Betriebsvermögen unmittelbar oder mittelbar erhobene Vermögensteuer verursacht, werden die Unternehmen versuchen, auf die Abnehmer der Leistungen durch höhere Preise umzuwälzen691. Soweit dies nicht möglich ist und der Gewinn geschmälert würde, könnte dies nachteilige Folgen für die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und damit für das wirtschaftliche Wachstum nach sich ziehen692. Diese wirtschaftlich negativen Wirkungen stellen allerdings ein Problem der Vermögensteuer an sich dar, und erfahren durch eine Gesetzgebung der Bundesländer keine Änderung, soweit diese die Vermögensteuer überhaupt erheben würden. Allerdings tritt damit hervor, dass die

689

Vgl. näher Seite 139. Zur Rechtfertigung der Vermögensteuer als Unternehmensteuer Tipke, StrO II, S. 943 ff. 691 Dazu Albers, FS Kolms, S. 252. 692 So auch Albers, FS Kolms, S. 251. 690

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

Vermögensteuer deutlich stärkere wirtschaftslenkende Effekte aufweist als etwa die Erbschaft- und Schenkungsteuer693. Die negative Signalwirkung, die von einer Vermögensteuer auf Betriebsvermögen ausgeht, würde bei einer Gesetzgebung durch die Bundesländer auf Grund der Wettbewerbssituation innerhalb Deutschlands voraussichtlich dazu führen, dass die Steuer vielfach gar nicht, oder nicht auf das Vermögen juristischer Personen erhoben würde694. b) Kosten innerstaatlicher Doppelbesteuerung Auch die Gefahr, innerhalb Deutschlands einer Doppelbesteuerung desselben Sachverhalts ausgesetzt zu sein, hätte für die Unternehmenstätigkeit in Deutschland negative Signalwirkung. Soweit die Länder die Vermögensteuer erheben und auch auf das Betriebsvermögen ausdehnen sollten, entstünden für den Wirtschaftsverkehr im Bundesgebiet durch die auf Grund der Doppelbesteuerung entstehenden Mehrlasten erhebliche Beeinträchtigungen695. Hierdurch wäre die dritte Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG betroffen. c) Steuerbefolgungskosten Erheblich stärker als bei der an einzelne Erwerbsvorgänge anknüpfenden Erbschaft- und Schenkungsteuer würden divergierende Landesgesetze, aber insbesondere die zahlreichen korrespondierenden Doppelbesteuerungsabkommen der Länder, bei der jährlich wiederkehrenden Vermögensteuer zu erhöhten Steuerbefolgungskosten führen. Soweit diese Kosten nicht auf die Abnehmer der Leistungen umgewälzt werden könnten, entstünden voraussichtlich negative Folgen für das Investitionsverhalten der Unternehmer, welches sich wiederum nachteilig auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland auswirken könnte. Wie bereits bei der Erbschaftsteuer herausgearbeitet, müssten die Auswirkungen der rechtlichen Pluralität wirtschaftspolitisch bedrohlich sein, um die Zielvorgabe der ,Wirtschaftseinheit‘ zu tangieren, da erst in diesem Stadium die Grenze des Zumutbaren überschritten ist. Dass diese, anders als bei der Erb-

693 Daher erstaunt es, dass Huber in Komm-Drs. 0031, S. 16 die Vermögensteuer nicht zu den das Wirtschaftsleben prägenden Steuerarten zählt. 694 International existiert die Vermögensteuer bereits in vielen Ländern nicht. Andere Länder unterwerfen juristische Personen nicht der Besteuerung. Tipke, StrO II, S. 943 nennt als Beispiele Dänemark, die Niederlande, Spanien und Irland. Mit guten Gründen jedoch kritisch zur Diskriminierung von privatem Vermögen Schön, StbJb. 1998/1999, S. 62 ff. 695 Ausführlich dazu in diesem Kapitel die Darstellung zur Erbschaft- und Schenkungsteuer Seite 139.

C. Die Vermögensteuer

159

schaftsteuer696, bei der Vermögensteuer überschritten wäre, soll exemplarisch an Hand eines fiktiven Unternehmens verdeutlicht werden, welches in seiner Bilanz zahlreiches, bundesweit verstreutes Immobilienvermögen aufweist. Jährlich müsste dieses Unternehmen in seinem „Sitz-Bundesland“ nach dessen Steuervorschriften eine Vermögensteuererklärung erstellen, in der der Wert seines gesamten Vermögens ausgewiesen ist. Zusätzlich müsste es für alle anderen Bundesländer gesondert prüfen, ob eine beschränkte Steuerpflicht, für dort belegenes Vermögen besteht. Ist dies der Fall, erfolgt nun die eigentlich aufwendige und damit kostenintensive Prüfung, ob dieses Bundesland mit dem „Sitz-Bundesland“ ein Doppelbesteuerungsabkommen geschlossen hat, und welche der Methoden zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung eingreift. Danach entscheidet sich, ob das Unternehmen eine weitere Vermögensteuererklärung zu erstellen hat, etwa wenn kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht oder die Anrechnungsmethode vereinbart wurde, oder ob es seiner Pflicht mit der Abgabe der einen Vermögensteuererklärung genügt hat, wenn etwa im Doppelbesteuerungsabkommen die Freistellungsmethode gewählt wurde. Dass diese sich jährlich wiederholende Prozedur zu einer nicht hinnehmbaren Kostenlast führen würde, muss nicht näher erläutert werden. Diese kann den Normadressaten nicht zugemutet und muss daher als wirtschaftspolitisch bedrohlich eingestuft werden. Dieses Beispiel verdeutlicht aber auch, dass die für die Gesamtwirtschaft Deutschlands nachteiligen Steuerbefolgungskosten in erster Linie auf die Anstrengungen der Länder, etwaige vermögensteuerliche Mehrfachbelastungen innerhalb Deutschlands durch entsprechende Abkommen zu vermeiden, zurückzuführen sind, so dass der drohende innerstaatliche Doppelbesteuerungskonflikt auch in Bezug auf die Steuerbefolgungskosten die zentrale Gefahr für das Rechtsgut der ,Wirtschaftseinheit‘ darstellt. Eine Rechtsvereinheitlichung in diesem Bereich könnte voraussichtlich Abhilfe schaffen. d) Gesamtstaatliches Interesse Ebenso wie bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist von einem Interesse des Bundes und der Länder an der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ auszugehen, da durch die Mehrlasten beträchtliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft drohten. e) Zwischenergebnis Ein Vermögensteuergesetz des Bundes wäre auf Grund der doppelbesteuerungsbedingten Mehrlasten für Unternehmer zur ,Wahrung der Wirtschaftsein696

Vgl. dazu die Ausführungen in diesem Kapitel Seite 140 f.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

heit im gesamtstaatlichen Interesse‘ zu rechtfertigen, vorausgesetzt die Regelungen sind erforderlich.

III. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG 1. Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Regelung Geeignet wäre ein Vermögensteuergesetz des Bundes im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG, wenn es zumindest das Erreichen der zweiten und/oder der dritten Zielvorgabe fördern würde. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen dabei erneut die tatsächlichen Auswirkungen des Bundesgesetzes, soweit dies möglich ist. Das derzeit gültige Vermögensteuergesetz, dass jedoch seit 1997 wegen der teilweisen Verfassungswidrigkeit nicht mehr angewandt wird697, stellte während der Dauer seiner Anwendung durch die Regelung der Steuerpflicht, der Bemessungsgrundlage, der Steuerbefreiungstatbestände und des Steuersatzes sicher, dass ein innerstaatlicher Doppelbesteuerungskonflikt nicht entstehen konnte. Bei Sachverhalten mit Auslandsvermögen wurde eine Mehrfachbelastung entweder durch Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Vermögensteuer (§ 11 VStG) oder durch Steuerermäßigungen für das Auslandsvermögen (§ 12 VStG) vermieden. Damit gewährleistet ein umfassendes Vermögensteuergesetz des Bundes Rechtssicherheit für die Normadressaten, so dass es geeignet wäre, die Rechtsund Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet zu wahren. 2. Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder Zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerung stünden dem Bundesgesetzgeber – wie bereits im Rahmen der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung herausgearbeitet – zwei Alternativen zur Verfügung. Zum einen könnte er Mehrfachbelastungen durch Vermögensteuer durch eine bundesweit einheitliche Regelung der Vermögensteuerpflicht begegnen. Dazu könnte er bestimmen, dass innerhalb Deutschlands lediglich die unbeschränkte Steuerpflicht gilt. Bundesland differenziert ausgestaltet wäre eine Person in dem Bundesland vermögensteuerpflichtig, in dem sie ansässig ist698. Der Bundesgesetzgeber könnte jedoch auch eine bundeseinheitliche Lösung wählen. Danach träte die Vermögensteuerpflicht nicht in einem bestimmten Bundesland, sondern allgemein in Deutschland ein. Für die weitere Festsetzung, Erhebung und Ver697

Vgl. Fn. 678. Bei natürlichen Personen richtet sich die Ansässigkeit nach dem Wohnsitz (§ 8 AO) oder dem gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO), bei juristischen Personen nach der Geschäftsleitung (§ 10 AO) oder dem Sitz (§ 11 AO). 698

C. Die Vermögensteuer

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einnahmung in den Landeshaushalt wäre dann das Bundesland nach den Vorschriften seines Landesvermögensteuergesetzes zuständig, wo der Steuerpflichtige ansässig ist699. Insoweit würden sich Überschneidungen zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht vermeiden lassen, so dass keine Gefahr einer doppelten Besteuerung bestünde. Dies würde allerdings nicht für die Fälle gelten, in denen der Steuerpflichtige mehrere Wohnsitze begründet hätte. Als Lösung böte sich eine an § 19 Abs. 1 Satz 2 AO angelehnte Regelung der Landeszuständigkeit an, so dass dasjenige Bundesland berechtigt wäre, die Vermögensteuer zu erheben und zu vereinnahmen, in dem der Wohnsitz des Steuerpflichtigen belegen ist, an dem sich dieser überwiegend aufhält. Problematisch bei dieser Regelungsalternative ist, dass die Länder selbst Wanderbewegungen von Hoch- in Niedrigvermögensteuerländer nicht durch entsprechende Gegenmaßnahmen, etwa der Normierung einer beschränkten Steuerpflicht, entgegenwirken könnten, da der Bund in Bezug auf die Steuerpflicht abschließend die Gesetzgebungskompetenz ausüben würde. Zum anderen könnte der Bundesgesetzgeber von seinem Recht Gebrauch machen, gemäß Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG ein Gesetz zur Vermeidung der innerstaatlichen Doppelbesteuerung zu erlassen700. Methodisch sollte die Freistellung von im anderen Bundesland belegenen Vermögen bevorzugt werden, da hierdurch bürokratische und unökonomische Anrechnungsverfahren vermieden werden701. Beide Alternativen würden nicht nur Mehrfachbelastungen entgegenwirken, sondern auch die Steuerbefolgungskosten hinreichend zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ senken, da auch diese auf den drohenden innerstaatlichen Doppelbesteuerungskonflikt zurückzuführen wären702. Zwischen den beiden Alternativen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung innerhalb Deutschlands hätte der Bundesgesetzgeber ein Wahlrecht, da beide Möglichkeiten im Verhältnis zu einem umfassenden Bundesvermögensteuergesetz gleich geeignet zur Zielerreichung der ,Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit‘ wären und für das Gesetzgebungsrecht der Länder einen vergleichbaren Eingriff bedeuten würden703. Eine Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage wäre hingegen nicht geeignet, doppelte steuerliche Erfassungen desselben Sachverhalts entgegenzuwirken. Zwar würde eine solche Bestimmung die Grundlage für einen fair ausgestalte-

699 §§ 19 Abs. 1 und 20 AO könnten entsprechend angewandt werden. Bei mehrfachen Wohnsitz richtet sich die Festsetzungs- und Erhebungszuständigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 AO; dazu Fn. 640. 700 Ausführlich zur Herleitung und Begründung dieses Ergebnisses zuvor in diesem Kapitel ab Seite 146. 701 Näher zu den verschiedenen Methoden im zweiten Kapitel Seite 106 f. 702 Vgl. dazu in diesem Kapitel Seite 158. 703 Vgl. näher in diesem Kapitel Seite 149 und 151.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

ten Steuerwettbewerb bieten, allerdings erfüllt diese Auswirkung keines der drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG704.

IV. Ergebnis Obwohl von der Vermögensteuer deutlich mehr wirtschaftsbeeinflussende Wirkungen ausgehen als von der Erbschaft- und Schenkungsteuer zeigt sich hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Ergebnis kein Unterschied. Auch bei der Vermögensteuer stellt für die bestehende Rechts- und Wirtschaftseinheit der mögliche innerstaatliche Doppelbesteuerungskonflikt, der sich aus divergierenden Landesregelungen ergeben könnte, die zentrale Gefahr dar. Gelingt es dem Bund, diese zu eliminieren, ist der Rechts- und Wirtschaftseinheit im Interesse von Bund und Ländern hinreichend gedient705. Den Ländern verbliebe somit auch für die Materie der Vermögensbesteuerung das Recht, die Bemessungsgrundlage, die Steuerbefreiungen und den Steuersatz zu bestimmen. Entscheidet sich der Bundesgesetzgeber für ein Doppelbesteuerungsgesetz, könnten die Länder außerdem Bestimmungen zur Steuerpflicht treffen und dadurch in erster Linie steuerlich motivierten Abwanderungen in Niedrigvermögensteuerländer, beispielsweise durch eine beschränkte Steuerpflicht, entgegenwirken.

D. Die Kraftfahrzeugsteuer Vom Aufkommen her ist die Kraftfahrzeugsteuer heute unter den Landessteuern die bedeutendste Steuer706. Anknüpfungspunkt der Besteuerung ist nach der derzeitigen Konzeption das Halten von inländischen oder ausländischen Fahrzeugen zum Verkehr auf öffentlichen Straßen, bei ausländischen Fahrzeugen, nur solange sie sich im Inland befinden707. Darüber hinaus wird auch die widerrechtliche Benutzung eines Fahrzeugs der Besteuerung unterworfen708. Ebenso wie bei den vorangegangenen Steuern, wird für die weitere Untersuchung von der theoretischen Situation ausgegangen, dass alle sechzehn Bundesländer ihre Gesetzgebungskompetenz ausgeübt haben oder dies in Zukunft wol704

Dazu in diesem Kapitel Seite 149 ff. Von einem „juristischen Problem“ und einem „Störfaktor für die Wirtschaft“ kann dann nicht mehr die Rede sein, so aber Mußgnug, FS Klein, S. 652. 706 Im Jahr 2005 betrug das Aufkommen der Kraftfahrzeugsteuer 8.673 Mio. Euro (Quelle: Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 2002–2005; www.bundesfinanzministerium.de). 707 § 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes [KraftStG]. 708 § 1 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG. Außerdem unterliegt die Zuteilung von OldtimerKennzeichen und unter gewissen Voraussetzungen von roten Kennzeichen der Besteuerung, § 1 Abs. 1 Nr. 4 KraftStG. 705

D. Die Kraftfahrzeugsteuer

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len, so dass bundesweit unterschiedliche Kraftfahrzeugsteuerregelungen bestehen.

I. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Vorausgesetzt die Bundesländer knüpfen zur Kraftfahrzeugbesteuerung weiterhin grundsätzlich an das Halten eines inländischen Kraftfahrzeugs an, so ist dazu auf das verkehrsrechtliche Recht zur Benutzung des Fahrzeugs abzustellen709. Bei zulassungspflichtigen Fahrzeugen wird dieses durch das Innehaben der Zulassung bestimmt710. Überträgt man dieses Konzept auf die Landesebene wären alle in einem Bundesland zugelassenen Kraftfahrzeuge grundsätzlich in diesem Land steuerpflichtig. Wo ein Fahrzeug zugelassen werden muss, richtet sich nach § 23 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO). Danach hat der Verfügungsberechtigte ein amtliches Kennzeichen bei der Zulassungsbehörde zu beantragen, in deren Bezirk das Fahrzeug seinen regelmäßigen Standort hat (§ 23 Abs. 1 Satz 1 StVZO). Dies ist der Ort, an dem das Fahrzeug ruht, um in den Verkehr gebracht zu werden711. Maßgebend sind die objektiven Verhältnisse, etwa wo das Fahrzeug abgestellt, gewartet und repariert wird, und nicht die subjektiven Vorstellungen des Verfügungsberechtigten712. Bei privat genutzten Kraftfahrzeugen wird der regelmäßige Standort überwiegend dem Wohnsitz des Halters entsprechen713. Bei unternehmerischen Fahrzeugen kommen hingegen neben dem Ort der Geschäftsleitung beispielsweise auch der Standort des Fuhrparks oder der Ort einer Betriebsstätte in Betracht714. Wird der regelmäßige Standort für mehr als drei Monate in einen anderen Zulassungsbezirk verlegt, so ist die Zuteilung eines neuen Kennzeichens zu beantragen (§ 27 Abs. 2 StVZO)715.

709

Strodthoff, § 1 Rn. 26. Strodthoff, § 1 Rn. 26. 711 VG Schleswig-Holstein v. 08.06.1977, 3 A 61/77, NJW 1978, 341 m.w. N.; dazu Bouska, VD 1978, S. 115 ff. 712 BVerwG v. 18.06.1981, 7 B 137/81, VRS 62 (1982), 235 (236). 713 Nach Bouska, VD 1978, S. 123 ist der Wohnsitz als starkes Indiz für den regelmäßigen Standort zu werten; ebenso Klewe, VD 1979, S. 253; Wirsing, VD 1980, S. 11; Hentschel, § 23 StVZO Rn. 16. 714 Zum Problem der Bestimmung des regelmäßigen Standorts bei juristischen Personen Klewe, VD 1979, S. 253 f. 715 Vorübergehende Standortverlegungen sind unschädlich, auch wenn sie länger als drei Monate andauern, beispielsweise bei einer längerfristigen Vermietung. Selbst eine fünfjährige Vermietung war in dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 09.12.1983 (Az. 7 C 101/81, VRS 66 (1984), 315 (216)) entschiedenen Fall unschädlich, da von vornherein beabsichtigt war, das Fahrzeug nur für eine bestimmte Zeit an 710

164

3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

Diese verkehrsrechtlichen Regelungen lassen erahnen, dass die Kraftfahrzeughalter bei steuerlichen Anreizen versuchen werden, den regelmäßigen Standort ihres Fahrzeugs in Bundesländer mit einer niedrigen Steuerbelastung zu verlegen. Insbesondere für Fahrzeugvermietungen, Spediteure oder Unternehmen mit großen Fuhrparks könnten sich solche Überlegungen finanziell auszahlen. Somit könnten sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatpersonen entsprechende Standortverlagerungen eintreten716. Sollten diese so erheblich ausfallen, dass daraus nachteilige Folgen für die Lebensverhältnisse in dem betroffenen Bundesland folgten, wäre es nach der ,Studiengebühren-Entscheidung‘ des Bundesverfassungsgerichts Aufgabe des benachteiligten Landes geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen oder sogar schon vorbeugend tätig zu werden717. Die Länder könnten etwa, § 1 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG entsprechend, bereits das Halten von in anderen Bundesländern zugelassenen Fahrzeugen in ihrem Land der Kraftfahrzeugsteuer unterwerfen, soweit sie sich im Gebiet ihres Bundeslandes befinden. Durch eine solche Regelung würde zwar die Besteuerung im eigenen Bundesland sichergestellt, jedoch wäre der gleichmäßige Vollzug dieser Normen auf Grund der hohen Mobilität der Kraftfahrzeughalter innerhalb Deutschlands kaum zu gewährleisten. Auch aus diesem Grund bestehen auf internationaler Ebene mit einer Vielzahl von Staaten Doppelbesteuerungsabkommen, die einen vorübergehenden Aufenthalt des Fahrzeugs im Inland von der Steuer befreien718. Für den innerstaatlichen Bereich wären jedoch derartige Abkommen zwischen den Bundesländern ungeeignet, den gleichmäßigen Vollzug der Regelungen sicherzustellen. Innerstaatliche Landesgrenzen werden in Deutschland auf Grund Art. 11 Abs. 1 GG nicht überwacht, so dass eine lückenlose Erfassung der Fahrzeugbewegungen unmöglich erscheint. Eine Besteuerung in anderen Bundesländern zugelassener Kraftfahrzeuge wäre allein auf die Angaben der Steuerpflichtigen ohne geeignete Kontrollmöglichkeiten seitens der Finanzbehörde angewiesen. Ist jedoch der gleichmäßige Vollzug eines Steuergesetzes nicht sichergestellt, bestehen dagegen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hatte bei einem vergleichbaren strukturellen Erhebungsmangel einen Verstoß gegen die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gleichheit im Belastungserfolg gesehen719. Eine Steuerbelastung, die nahezu einen anderen Standort zu verbringen und danach an den Ausgangsstandort zurückzukehren. 716 Keine Abwanderungen befürchtet hingegen Würtenberger, S. 270, der jedoch eine Erklärung dafür vermissen lässt. 717 Vgl. BVerfG v. 26.01.2005, 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 (248). 718 Näher zu den einzelnen Regelungen auf internationaler Ebene Strodthoff, Einführung Rn. 51 ff. und Anhang 15 m.w. N. 719 So BVerfG v. 09.03.2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 (112 ff.) (Besteuerung von privaten Wertpapierveräußerungen); zuvor bereits BVerfG v. 27.06.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (268 ff.) (Besteuerung von Kapitalvermögen), in dessen

D. Die Kraftfahrzeugsteuer

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allein auf die Erklärungsbereitschaft der Steuerpflichtigen beruhe, treffe nicht mehr alle und verfehle die steuerliche Lastengleichheit 720. Deshalb müsse die Steuerehrlichkeit durch hinreichende Kontrollmöglichkeiten abgestützt werden. Da eine effektive Durchsetzung des Steueranspruchs mangels geeigneter Maßnahmen nicht gewährleistet wäre, wären § 1 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG entsprechende Landesnormen verfassungswidrig, so dass wettbewerbsbedingte Wanderbewegungen durch die Bundesländer hingenommen werden müssten. Soweit ohne empirische Erhebungen überhaupt eine Prognose gewagt werden kann, dürften die Verlagerungen voraussichtlich nicht so gravierend ausfallen, dass es zu sozialen Verwerfungen zwischen den Bundesländern kommt. Wenn jedoch die Unterschiede in den Lebensverhältnissen ein solches Ausmaß annähmen, dass sich das bundesstaatliche Sozialgefüge bedrohlich auseinander entwickelt, dann wäre der Bundesgesetzgeber zum Eingreifen in das Gesetzgebungsrecht der Länder befugt, da die ländereigenen Möglichkeiten nicht ausreichten, um gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen. Eine solche Situation dürfte jedoch die Ausnahme sein. 2. Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse a) Eingeschränkte Steuerpflicht Solange die Bundesländer ihre Kraftfahrzeugsteuerpflicht auf in ihrem Land zugelassene Fahrzeuge beschränken, bestehen für die Rechtsgüter der ,Rechtseinheit‘ und der ,Wirtschaftseinheit‘ keine Gefahren721, da es zu innerstaatlichen Doppelbesteuerungskonflikten nicht kommen kann. Weder das Vertrauen der Fahrzeughalter in die Kraftfahrzeugsteuerordnung, noch die Freizügigkeit des länderübergreifenden Rechtsverkehrs wären durch divergierende Landesgesetze beeinträchtigt. Unterschiedliche Steuerbelastungen mit Kraftfahrzeugsteuern in den Bundesländern würden auch nicht das Wirtschaftswachstum in Deutschland nachhaltig dämpfen. Der Aufwand bei der Steuerbefolgung dürfte keine erheblich höheren Kosten verursachen als bei einer bundesgesetzlichen Regelung, da sich der Halter des Fahrzeugs mit dem Recht auseinanderzusetzen hat, das im Bundesland der Zulassung gilt.

Urteil eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG trotz bestehendem strukturellen Erhebungsmangel noch abgelehnt wurde, da die Rechtslage für eine Übergangszeit von den Beschwerdeführern hingenommen werden musste (ebd., S. 275 ff.). 720 BVerfG v. 27.06.1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (273). 721 Im Ergebnis ebenso Huber, Komm-Drs. 0031, S. 16.

166

3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

b) Ausgedehnte Steuerpflicht Sollten die Bundesländer allerdings § 1 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG entsprechende Regelungen in ihre Gesetze aufnehmen, um innerstaatlichen Verlagerungen des regelmäßigen Fahrzeugstandortes zu begegnen, bestünden selbst bei Doppelbesteuerungsabkommen der Länder auf Grund des strukturellen Erhebungsmangels nicht nur verfassungsrechtliche Bedenken, sondern auch eine erhebliche Gefahr für die Rechtssicherheit im Bundesgebiet. Da auch Unternehmen als Fahrzeughalter mit der Kraftfahrzeugsteuer belastet werden, würde sich ein Vollzugsdefizit auch nachteilig auf die Gesamtwirtschaft in Deutschland auswirken. Dies würde ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers zur ,Wahrung der Rechtsund Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse‘ rechtfertigen.

II. Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG Vorausgesetzt, die Länder machten von ihrem Gesetzgebungsrecht im Sinne der ausgedehnten Steuerpflicht Gebrauch, müsste ein Bundesgesetz zum Erreichen der drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich sein. 1. Geeignetheit einer bundesgesetzlichen Regelung Wie die derzeitigen Regelungen beweisen, wäre ein umfassendes Kraftfahrzeugsteuergesetz des Bundes geeignet, um die ,Rechts- und Wirtschaftseinheit‘ im Bundesgebiet zu gewährleisten. 2. Geringster Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder Fraglich ist, ob zur ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ und zur ,Wahrung der Rechtseinheit‘ auch Teilregelungen gleich geeignet wären. In Betracht käme eine bundesgesetzlich, einheitliche Bestimmung des Steuergegenstandes im Sinne des derzeitigen § 1 KraftStG. Zuständig für die Festsetzung, Erhebung und Vereinnahmung der Kraftfahrzeugsteuer wäre für den Regelfall des Haltens eines inländischen Fahrzeugs das Finanzamt, in dessen Bezirk die Zulassungsbehörde ihren Sitz hat722. Hierdurch würden sowohl innerstaatliche Doppelbesteuerungen als auch strukturelle Erhebungsmängel bei der Durchsetzung des Steueranspruchs vermieden, so dass eine solche Bundesregelung tauglich wäre, die Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zu wahren. 722 Derzeit ist die örtliche Zuständigkeit entsprechend in § 1 der Kraftfahrzeugsteuerdurchführungsverordnung (KraftStDV) geregelt.

E. Die Gewerbesteuer

167

Hingegen wäre ein Doppelbesteuerungsgesetz des Bundes, welches nur eine zeitlich beschränkte Freistellung von der Steuerpflicht im Bundesland des Aufenthalts vorsähe, grundsätzlich nicht geeignet, die Rechtsanwendungsgleichheit zu gewährleisten, da eine Erfassung des Standortes von Fahrzeugen im Inland nicht kontrollierbar wäre. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Bundesgesetzgeber bundesweit eine § 1 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG entsprechende Besteuerung für Inlandssachverhalte verbieten würde. Kollidierendes Landesrecht wäre insoweit nichtig (Art. 31 GG). Aus rechtssystematischen Gründen ist jedoch eine Bestimmung des Steuergegenstandes durch den Bund vorzugswürdig, da auf diese Weise, die Existenz einander widersprechender Regelungen vermieden würde. Gegenüber einer Vollregelung der Kraftfahrzeugbesteuerung stellt die bundesgesetzliche Festlegung des Steuergegenstandes den geringeren Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder dar, da diesen das Recht verbliebe, über Steuerbefreiungen, die Bemessungsgrundlage und den Steuersatz zu bestimmen.

III. Ergebnis Die Befugnis des Bundesgesetzgebers, in das Gesetzgebungsrecht der Länder in Bezug auf die Besteuerung von Kraftfahrzeugen einzugreifen, hängt davon ab, wie die Länder ihren Steuergegenstand ausgestalten. Beschränken sie sich neben den ausländischen und widerrechtlich benutzten Fahrzeugen auf inländische Fahrzeuge, die in ihrem Bundesland von den dort ansässigen Behörden zugelassen wurden, darf der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nicht ausüben. Dehnen sie dagegen den Steuergegenstand auch auf inländische Fahrzeuge aus, die in anderen Bundesländern zugelassen wurden und sich nur in ihrem Gebiet befinden, ist der Bund berechtigt seine Gesetzgebungskompetenz auszuüben, jedoch beschränkt auf die Festlegung des Steuergegenstandes. Anders als bei der Erbschaft- und Vermögensteuer reicht ein Doppelbesteuerungsgesetz des Bundes nicht aus, da der gleichmäßige Vollzug der Landesgesetze auf Grund der hohen Mobilität der Kraftfahrzeuge trotzdem nicht sichergestellt wäre.

E. Die Gewerbesteuer I. Allgemeine Charakterisierung Die Gewerbesteuer ist keine der „klassischen“ Landessteuern, da ihr Aufkommen nach Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG den Gemeinden zusteht, Bund und Länder lediglich über die Gewerbesteuerumlage am Aufkommen beteiligt werden723. 723

Allgemein zur Ertragshoheit im ersten Kapitel Seite 35 f.

168

3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

Für die Gemeinden stellt sie die bedeutendste steuerliche Einnahmequelle dar724. Auf Grund des Hebesatzrechts der Gemeinden (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG) hat sich in der Vergangenheit zwischen ihnen ein lebhafter Steuerwettbewerb entwickelt. Bereits eingangs dieses Kapitels wurden die steuerwettbewerbsbedingten Auswirkungen und Reaktionen des Bundesgesetzgebers aufgezeigt725. Damit existiert bereits auf kommunaler Ebene ein Wettbewerb um mobiles unternehmerisches Kapital. Dieser könnte sich durch eine Landesgesetzgebung in Bezug auf die Bestimmung der Steuerpflicht und insbesondere durch eine Ausgestaltung der Bemessungsgrundlage verschärfen. Da es sich bei der Gewerbesteuer vom Grundsatz her um eine Real- oder Objektsteuer handelt726, ist Gegenstand der Besteuerung der im Inland betriebene, stehende Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Die persönlichen Verhältnisse des Betriebsinhabers spielen keine Rolle. Ein Gewerbebetrieb wird im Inland betrieben, wenn eine inländische Betriebsstätte (§ 12 AO) unterhalten wird. Als Rechtfertigung wird bislang, historisch bedingt, das so genannte Äquivalenzprinzip herangezogen727, welches jedoch im übrigen Steuerrecht heutzutage keine Bedeutung mehr hat. Grundgedanke des Äquivalenzprinzips ist, dass die Gewerbebetriebe einen Beitrag an die Gemeinden für die durch sie unmittelbar oder mittelbar verursachten Lasten entrichten sollen. Ob das heute eher im Gebührenrecht beheimatete Äquivalenzprinzip noch für eine pauschale Rechtfertigung der Gewerbesteuer ausreicht, muss aus Gleichheitsgesichtspunkten bezweifelt werden728. Allerdings erklärt sich aus dem Rechtfertigungsan-

724 Das Aufkommen der Gewerbesteuer betrug im Jahr 2004 28.373 Mio. Euro. Das entspricht einem Anteil von 72% der gesamten Gemeindesteuern und 6,4% des Gesamtsteueraufkommens. Damit ist sie auch für den Gesamtstaat nach der Einkommensteuer, der Umsatzsteuer und der Mineralölsteuer eine der wichtigsten Einnahmequellen (Quelle: Bundesministerium der Finanzen „Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 2002–2005“, www.bundesfinanzministerium.de). 725 Vgl. in diesem Kapitel Seite 121 ff. 726 Zu den Entwicklungstendenzen der Gewerbesteuer von einer reinen Objektsteuer hin zu einer Objekt-Ertragssteuer Montag in: Tipke/Lang, § 12 Rn. 1 m.w. N., der die jetzige Ausgestaltung der Gewerbesteuer nicht mehr mit dem Gleichheitssatz für vereinbar hält. Vgl. auch den Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 21.04.2004, 4 K 317/91, FR 2004, 907 (909 f.); dazu Hey, FR 2004, S. 876 ff.; Ergänzungsbeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 14.05.2005, 4 K 317/91, FR 2005, 690. 727 So bereits Gewerbesteuergesetz 1936 (RStBl. 1937, S. 693, 696) als Argument für die Rechtfertigung der Lohnsumme als Besteuerungsgrundlage; Entwurf eines zweiten Steuerreformgesetzes, BT-Drs. 6/3418 Anlage 1, S. 51. 728 Das Bundesverfassungsgericht hat bislang die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer bejaht, vgl. nur BVerfG v. 13.05.1969, 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1 (7 ff.); v. 25.10.1977, 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224 (236 ff.) jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. Siehe zum neusten Vorlagebeschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts die Nachweise in Fn. 726; aber auch Tipke, StrO II, S. 1139 ff. m.w. N.

E. Die Gewerbesteuer

169

satz, dass nur die inländischen Teile des Gewerbebetriebs der Besteuerung unterworfen werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz, § 9 Nr. 3 GewStG). Auch bei der Untersuchung der Gewerbesteuer wird die theoretische Annahme zu Grunde gelegt, dass alle sechzehn Bundesländer ihre Gesetzgebungskompetenz mit Ausnahme der Hebesätze, deren Festsetzung nach derzeitiger Verfassungslage den Gemeinden verbleiben muss (Art. 28 Abs. 3 Satz 3 GG), ausgeübt haben oder dies in Zukunft wollen, so dass bundesweit unterschiedliche Gewerbesteuerregelungen bestehen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Länder an der derzeitigen Konzeption der Gewerbesteuer trotz berechtigter verfassungsrechtlicher Bedenken festhalten. Die zur Diskussion stehenden Reformmodelle sollen im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden729.

II. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG Zu Beginn der Untersuchung sind wiederum die drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG zu prüfen. Auch bei der Gewerbesteuer soll sich die Darstellung, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die steuerartspezifischen Besonderheiten konzentrieren. 1. Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Der bisher existierende Wettbewerb der Gemeinden in Bezug auf die Höhe der Gewerbesteuerhebesätze hat bereits zu Verlagerungen von Betriebsstätten in Gemeinden mit niedrigen Gewerbesteuerbelastungen geführt730. Durch eine landesgesetzliche Ausgestaltung der Bemessungsgrundlagen könnte sich dieser Wettbewerb zwar in gewissen Bereichen verstärken, da beispielsweise bestimmte, im Land ansässige Geschäftszweige bei der Zusammensetzung der Bemessungsgrundlage begünstigt werden könnten. Jedoch hat selbst die radikale Standortpolitik einiger Gemeinden mit Null von Hundert Hebesätzen nur bei einem relativ kleinen Anteil von Gewerben zu Wanderbewegungen geführt. Insbesondere Gewerbezweige mit größeren Produktionsstätten oder einer hohen Anzahl von Beschäftigten, konnten und können auch in Zukunft ihr eher immobiles Kapital nicht ohne großen Aufwand verlegen. Soweit diese Unternehmen einzelne Teilbereiche verlagern, entsteht lediglich ein Zurechnungsproblem731, da die auf die Betriebsstätten entfallenen Gewinne gesondert bestimmt werden müssen. Der zusätzlich über die Gestaltung der Bemessungsgrundlage folgende Wettbewerb, dürfte somit nicht zu mehr Betriebsstättenverlagerungen führen, als 729 Eine Übersicht zu den Reformvorschlägen findet sich bei Tipke, StrO II, S. 1160 f. 730 Hierzu in diesem Kapitel Seite 121 f. 731 Ebenso Hey, FS Solms, S. 41.

170

3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

die Gewerbesteueroasen der Vergangenheit es taten. Eine Auseinanderentwicklung der Lebensverhältnisse in den Bundesländern, die das Sozialgefüge in Deutschland gefährden würde, war bereits damals nicht zu verzeichnen732. Ausschlaggebender Grund für ein bundesgesetzliches Eingreifen in die Praxis der Gemeinden, war vielmehr die Sicherung des eigenen Steueraufkommens. Denn bei wettbewerbsbedingt sinkendem Gewerbesteueraufkommen hätten auch der Bund und die Länder über die Gewerbesteuerumlage geringere Einnahmen hinnehmen müssen. Darüber hinaus waren die Steueroasen auch den „Opfern“ der offensiven Gewerbesteuerpolitik, bei denen es zu empfindlichen Einnahmeeinbußen im kommunalen Haushalt kam, ein Dorn im Auge. Die Zielvorgabe der ,gleichwertigen Lebensverhältnisse‘ wäre somit durch landesgesetzliche Gewerbesteuerregelungen nicht gefährdet. 2. Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse Fraglich ist, ob das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ durch divergierende Gewerbesteuergesetze der Länder betroffen wäre. Anders als bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer und der Vermögensteuer, kommt es bei der Gewerbesteuer nur in Ausnahmefällen zu Doppelbesteuerungskonflikten733. Grund dafür ist, wie eingangs erwähnt, das zur Rechtfertigung der Gewerbebesteuerung noch immer herangezogene Äquivalenzprinzip. Nur soweit der Gewerbebetrieb bei inländischen Gemeinden zu Lasten führt, soll er als Ausgleich der Besteuerung unterworfen werden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG „. . . soweit er im Inland betrieben wird.“). Lasten, die er außerhalb Deutschlands verursacht, spielen keine Rolle734. Daher kommt es allenfalls bei grenzüberschreitenden Betriebsstätten zu seltenen Doppelbesteuerungsproblemen. Legt man den weiteren Überlegungen zu Grunde, dass die Länder an dem Konzept der derzeitigen Gewerbesteuer vom Grundsatz her festhalten, würde sich die Steuerpflicht nur auf Gewerbebetriebe beziehen, soweit ihre Betriebsstätten im jeweiligen Bundesland belegen sind. Eine innerstaatliche Doppelbesteuerung drohte, wenn eine Betriebsstätte mehreren Bundesländern zuzurechnen wäre. Bereits im heutigen Gewerbesteuergesetz findet sich das Problem mehrgemeindlicher Betriebsstätten, §§ 28 Abs. 1 Satz 2, 30 GewStG. 732

Im Ergebnis auch Hey, FS Solms, S. 41. Siehe zum Problem innerstaatlicher Doppelbesteuerung im Zusammenhang mit der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ für die Erbschaftsteuer Seite 134 f. und für die Vermögensteuer Seite 156 f. 734 Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen wird deswegen um den Teil des Gewerbeertrags, der auf eine ausländische Betriebsstätte entfällt, gekürzt, § 9 Nr. 3 GewStG. 733

E. Die Gewerbesteuer

171

Im Gegensatz zur landesgesetzlich geregelten Erbschaftsteuer und Vermögensteuer735 bedürfte es bei der Gewerbesteuer nicht einer unübersichtlichen Vielzahl von Landesdoppelbesteuerungsabkommen, um Mehrfachbelastungen innerhalb Deutschlands zu vermeiden. Allenfalls für die Ausnahmefälle der Landesgrenzen überschreitenden Betriebsstätten müssten die betroffenen Bundesländer entsprechende Doppelbesteuerungsregelungen treffen. Zu denken wäre hier beispielsweise an eine § 30 GewStG entsprechende Regelung, nach der der Steuermessbetrag nach der Lage der örtlichen Verhältnisse und der Lasten auf die betroffenen Bundesländer zu zerlegen wäre. Hiermit ließe sich jedoch keine massive Beeinträchtigung der Rechtssicherheit begründen. Für Rechtsunsicherheit könnten damit die sechzehn Landesgesetze selbst sorgen. Diese könnten bei unterschiedlicher Bestimmung der Bemessungsgrundlage dazu führen, dass Unternehmen mit bundesweit verstreuten Betriebsstätten, beispielsweise ein Unternehmen mit zahlreichen Verkaufsfilialen736, neben der Zerlegung des Steuermessbetrags auf die verschiedenen Gemeinden737, nunmehr auch mögliche Unterschiede bei der Ermittlung des Messbetrags zu berücksichtigen hätten. Dies würde bei den Unternehmen sicherlich zu Mehrarbeit führen, erhebliche Rechtsunsicherheiten entstünden für die Betroffenen aber nicht. Bereits das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ betont, dass Rechtsvielfalt auf den Gebieten der konkurrierenden Gesetzgebung grundsätzlich zulässig ist. Denn unterschiedliche Rechtslagen seien gerade Folge des bundesstaatlichen Aufbaus738. Die Uneinheitlichkeit alleine ist kein hinreichendes Argument, um ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers zu rechtfertigen, da ansonsten Landesgesetze die Rechtseinheit immer gefährden würden. Aus diesem Grund wurde bei der Erbschaftsteuer und der Vermögensteuer gerade auf die, aus der unübersichtlichen Anzahl von Doppelbesteuerungsabkommen der Länder, drohende Rechtszersplitterung abgestellt. Auch die Freizügigkeit des Rechtsverkehrs würde durch unterschiedliche Landesgewerbesteuergesetze nicht beeinträchtigt, da Besteuerungsgegenstand der Gewerbebetrieb als Objekt und kein rechtsgeschäftlicher Vorgang ist. Somit wäre das Rechtsgut der ,Rechtseinheit‘ nicht betroffen, soweit die Bundesländer eigene, von einander abweichende Gewerbesteuergesetze erlassen würden. 735

Siehe zur Erbschaftsteuer Seite 134 ff. und zur Vermögensteuer Seite 154. Jede Verkaufsfiliale ist als Betriebsstätte anzusehen, § 12 Satz 2 Nr. 6 AO. 737 Bestehen in verschiedenen Gemeinden Betriebsstätten oder erstreckt sich eine Betriebsstätte über mehrere Gemeinden, sind alle Gemeinden hebeberechtigt. Um dem Äquivalenzprinzip gerecht zu werden, wird nach dem derzeitigen Gewerbesteuergesetz die für den gesamten Gewerbebetrieb festgelegte Bemessungsgrundlage, der aus dem Gewerbeertrag und der Steuermesszahl ermittelte Steuermessbetrag, im Gewerbesteuerzerlegungsverfahren auf die einzelnen Gemeinden aufgeteilt (§§ 28 bis 34 GewStG). 738 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (145). 736

172

3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

3. Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse Durch das Hebesatzrecht der Gemeinden bestehen für die Gewerbebetriebe bereits heute schon erhebliche Belastungsunterschiede im Bundesgebiet. Als „klassische“ Unternehmenssteuer kann der Gesetzgeber über die Gewerbesteuer unmittelbaren Einfluss auf die Wirtschaft nehmen. Deswegen könnte insbesondere die dritte Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG durch eine unterschiedliche Ländergesetzgebung gefährdet sein. Wie bereits zu den Erbschaftsteuer- und Vermögensteuerregelungen der Länder herausgearbeitet, ist das Rechtsgut der ,Wirtschaftseinheit‘ hauptsächlich durch die drohenden Mehrbelastungen auf Grund des innerstaatlichen Doppelbesteuerungskonflikts betroffen739. Selbst die erhöhten Steuerbefolgungskosten resultieren in erster Linie aus dem Aufwand, den die Beachtung der zahlreichen Landesdoppelbesteuerungsabkommen mit sich brächte740. Bei der Gewerbesteuer kommt es hingegen, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, bei der Steuerpflicht nicht zu Überschneidungen, die eine doppelte steuerliche Erfassung desselben Sachverhalts mit sich brächte741. Negative Auswirkungen für das Wirtschaftswachstum in Deutschland sind insoweit ausgeschlossen. Allenfalls die sechzehn verschiedenen Landesgewerbesteuergesetze könnten die ,Wirtschaftseinheit‘ gefährden. Vorausgesetzt alle sechzehn Bundesländer bestimmten die Bemessungsgrundlage, regionalpolitisch bedingt, durch unterschiedliche Hinzurechnungen und Kürzungen, dann müsste ein überregionales Unternehmen mit bundesweit verstreuten Betriebsstätten seinen Gewinn, als wahrscheinliche Ausgangsgröße für die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, auf die Betriebsstätten in den einzelnen Bundesländern aufteilen und die landesspezifischen Hinzurechnungen und Kürzungen anteilig vornehmen. Sodann müsste möglicherweise eine Zerlegung der jeweiligen Bemessungsgrundlage auf die einzelnen Betriebsstätten nach dem Lohnsummenverhältnis erfolgen, was jedoch auch bei einem einheitlichen Bundesgewerbesteuergesetz von Nöten wäre und somit keinen Mehraufwand bedeuten würde742. Daher würden die durch eine Aufsplitterung der Bemessungsgrundlage auf die Bundesländer entstehenden Kosten voraussichtlich nicht so beträchtlich ins Gewicht fallen, da bereits das betriebswirtschaftliche Rechnungswesen für interne Kontrollvorgänge Gewinnzuordnungen für jede Betriebsstätte bedingt. Die verbleibenden Mehrkosten hätten, soweit dies beurteilt 739 Siehe zum Problem innerstaatlicher Doppelbesteuerung im Zusammenhang mit der ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ für die Erbschaftsteuer Seite 139 f. und für die Vermögensteuer Seite 158 f. 740 Dazu in diesem Kapitel Seite 158 f. 741 Siehe zuvor Seite 170 f. 742 Das Zerlegungsverfahren ist derzeit in den §§ 28 bis 34 GewStG geregelt.

E. Die Gewerbesteuer

173

werden kann, keine dauerhaft nachteilige Auswirkungen auf das Investitionsverhalten der Unternehmen und damit auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Insbesondere sind mit einem Steuerwettbewerb immer die Möglichkeiten, die Steuerlast zu reduzieren, verbunden, sei es durch Verlagerung von Betriebsstätten oder durch wettbewerbsbedingt unternehmensfreundlichere Ausgestaltungen der Bemessungsgrundlage. Somit drohten für die Gesamtwirtschaft keine erheblichen Nachteile, so dass der Bundesgesetzgeber in das Gesetzgebungsrecht der Länder auch nicht zur ,Wahrung der Wirtschaftseinheit‘ eingreifen dürfte743.

III. Ergebnis Das Hebesatzrecht der Gemeinden führt dazu, dass die Steuerbelastung mit Gewerbesteuer im Bundesgebiet bereits heute erheblich variiert. Selbst durch extreme Hebesatzsenkungen haben sich in der Vergangenheit die Lebensverhältnisse in Deutschland nicht bedrohlich auseinander entwickelt744. Landesgesetzlich bestimmte Bemessungsgrundlagen würden im Vergleich zu einem Bundesgewerbesteuergesetz wegen des Hebesatzrechts der Gemeinden die Belastungsunterschiede nicht verstärken. Eine Gefahr für die ,Wirtschaftseinheit‘ ist somit nicht zu erkennen. Auch die Steuerbefolgungskosten könnten das Wirtschaftswachstum nicht nachhaltig dämpfen, da ein unzumutbarer Anstieg nicht zu erwarten ist. Mangels innerstaatlicher Doppelbesteuerungskonflikte greift für ein Tätigwerden des Bundesgesetzgebers auch die Zielvorgabe der ,Wahrung der Rechtseinheit‘ nicht ein. Somit wären die Länder bei der Gestaltung der Gewerbebesteuerung völlig frei, mit Ausnahme der Festlegung der Hebesätze, die den Gemeinden obliegt. Das Gesetzgebungsrecht der Länder könnte eine Auseinanderentwicklung der Bemessungsgrundlagen mit sich bringen, da insbesondere über die Hinzurechnungen und Kürzungen des Gewinns regionale Besonderheiten berücksichtigt werden könnten. Diese Entwicklung wäre in der Geschichte der Gewerbesteuer keine Neuerung. Erst der Nationalsozialismus hatte mit den Gesetzen zur Regelung der Realsteuern vom 1. Dezember 1936745 zu einer Vereinheitlichung der bis dahin dem Gesetzgebungsrecht der Länder unterliegenden Gewerbesteuer geführt746. Bis dahin wichen die landesrechtlichen Gewerbesteuerregelungen erheblich von einander ab. Übereinstimmungen bestanden im Grundsatz beim Be743 Anders im Ergebnis Huber, Komm-Drs. 0031, S. 16, mit der pauschalen Begründung, dass die Gewerbesteuer an Vorgänge im Wirtschaftsleben anknüpft und damit die Wirtschaftseinheit im Bundesgebiet prägt. 744 Die verfassungsrechtlich fragwürdige bundesgesetzliche Vorgabe eines obligatorischen Mindesthebesatzes von 200 von Hundert sollte vielmehr wettbewerbsbedingt sinkenden Gewerbesteuereinnahmen entgegenwirken. 745 Vgl. Fn. 59.

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

steuerungsgegenstand, dem stehenden Gewerbe, und der Steuergrundlage, dem im Anschluss an den nach den Vorschriften des Einkommensteuerrechts berechneten Gewinn zu ermittelnden Gewerbeertrag. Aber besonders im Bereich des Steuertarifs und der Freigrenzen waren erhebliche Gestaltungsunterschiede zu verzeichnen747. Die auf Grund landesspezifischer Besonderheiten zu erwartende Uneinheitlichkeit wäre jedoch als Ausdruck des Bundesstaates zu akzeptieren.

F. Die Grunderwerbsteuer I. Allgemeine Charakterisierung Als besondere Verkehrsteuer steht das Aufkommen der Grunderwerbsteuer den Ländern nach Art. 106 Abs. 2 Nr. 4 GG zu. Das Aufkommen der Grunderwerbsteuer entspricht in den letzten Jahren etwa dem der Erbschaftsteuer, so dass die Bedeutung der Grunderwerbsteuer am Gesamtsteueraufkommen ebenso gering ausfällt748. Die Grunderwerbsteuer unterwirft Erwerbsvorgänge, die sich auf inländische Grundstücke beziehen, der Besteuerung, so dass sie unabhängig davon, ob auf der Verkäufer- oder Erwerberseite ein Unternehmen oder eine Privatperson steht, in der Regel alle Grundstücksumsätze in Deutschland belastet. Aus diesem Grund wird sie auch als Sonderumsatzsteuer bezeichnet749. Mit der ersten Stufe der Föderalismusreform erhielten die Länder ab dem 1. September 2006 das Recht, den Steuersatz bei der Grunderwerbsteuer selbst zu bestimmen, Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG. Damit dürfen sie, müssen aber nicht, von dem derzeit bundesweit geltenden Steuersatz von 3,5 von Hundert (§ 11 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes) nach oben oder unten abweichen750. Aus der Kompetenzvorschrift selbst resultieren für die Länder insoweit 746 Zur Entwicklung der Verteilung der Gesetzgebungskompetenz in der Zeit des Weimarer Republik und des Nationalsozialismus siehe im ersten Kapitel Seite 21 ff. und 24. 747 Vgl. die Begründung zum Gewerbesteuergesetz v. 19.06.1937, RStBl. 1937, S. 93. 748 Im Jahr 2005 betrug das Aufkommen der Grunderwerbsteuer 4.791 Mio. Euro, das entspricht einem Anteil von etwa 1% am Gesamtsteueraufkommen (Quelle: Bundesministerium der Finanzen „Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 2002–2005, www.bundesfinanzministerium.de). Zum Aufkommen der Erbschaftsteuer siehe Fn. 572. 749 So etwa Fischer in: Boruttau, Vorb. Rn. 109; Tipke, StrO II, S. 1017. Auch der Gesetzgeber nimmt eine Gleichartigkeit von Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer an, da er in § 4 Nr. 9a Umsatzsteuergesetz „die Umsätze, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen“ von der Besteuerung frei stellt. 750 § 11 Abs. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes gilt nach Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort, solange es nicht durch Landesrecht ersetzt wird, Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG. Einer Freigabe der Gesetzesmaterie durch den Bundesgesetzgeber bedarf es insoweit nicht. Vgl. dazu auch BT-Drs. 16/813, S. 20.

F. Die Grunderwerbsteuer

175

keine Beschränkungen751, so dass auch ein Steuersatz von Null von Hundert denkbar wäre. Unterschiede in Bezug auf die Höhe der Grunderwerbsteuersätze sind somit schon heute denkbar752. Es bleibt die Frage zu klären, ob auch die Bestimmung der steuerpflichtigen Erwerbsvorgänge und der Bemessungsgrundlagen landesgesetzlich unterschiedlich geregelt werden könnte.

II. Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG Anknüpfungspunkt der Besteuerung ist das immobile Kapital in Form von Grundvermögen. Aus diesem Grund eignet sich die Grunderwerbsteuer nur in geringem Maße für einen Steuerwettbewerb753, da die Steuerpflichtigen dem Ruf niedriger Steuersätze nicht durch Verlagerung des Besteuerungsgegenstandes folgen können. Hauptkritikpunkt der Gegner einer landeseigenen Grunderwerbsteuergesetzgebung ist daher auch die Zersplitterung des Rechts in sechzehn von einander abweichenden Regelungen754. Dem muss entgegengehalten werden, dass sich die Normadressaten auf Grund der regional begrenzten Wirkung der Grunderwerbsteuer lediglich auf das Grunderwerbsteuerrecht des Landes einstellen müssten, in dem das fragliche Grundstück belegen ist. In der Regel entsteht für die Steuerpflichtigen kein länderübergreifender Sachverhalt. Für den Ausnahmefall, dass ein Grundstück über zwei oder mehrere Landesgrenzen hinweg verläuft, könnte eine Aufteilung der jeweiligen landesrechtlichen Bemessungsgrundlage im Verhältnis der Grundstücksteile zur Gesamtgrundstücksfläche erfolgen. Eine Gefahr innerstaatlicher Doppelbesteuerung wäre insoweit nicht zu verzeichnen755. Nicht jeder Besteuerungstatbestand, der an einen Vorgang im Rechtsverkehr anknüpft, muss allein aus diesem Grund bundesweit einheitlich geregelt werden. Erst wenn ein besonderer länderübergreifender Bezug besteht, ist ein verstärktes Augenmerk auf den Schutz des reibungslosen Rechtsverkehrs zu legen. Somit wären die Rechtssicherheit und die Freizügigkeit des länderübergreifenden Rechtsverkehrs hinreichend gewährleistet. Die ,Wirtschaftseinheit‘ wäre ebenfalls nicht gefährdet, da die entstehenden Steuerbefolgungskosten wegen der Überschaubarkeit der Rechtsmaterie das Wirtschaftswachstum in Deutschland nicht hemmen würden. 751 Zu möglichen Grenzen durch das Grundgesetz außerhalb der Kompetenznormen siehe das vierte Kapitel Seite 179 ff. 752 Den eher „experimentellen Charakter“ der Steuersatzautonomie hebt Schwarz in: Starck, Föderalismusreform, Rn. 386 hervor, da die Grunderwerbsteuer fiskalisch nur eine geringe Rolle spielt. 753 Ebenso Hey, FS Solms, S. 38. 754 So etwa Huber, Komm-Drs. 0031, S. 16, der bei divergierenden Grunderwerbsteuergesetzen der Länder eine Gefahr für die Rechtseinheit im Bundesgebiet sieht, da die Grunderwerbsteuer an Vorgänge im Rechtsverkehr anknüpft. 755 Im Ergebnis auch Hey, FS Solms, S. 38.

176

3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

Damit wäre keine der drei Zielvorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG betroffen, so dass ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers in das Gesetzgebungsrecht der Länder nicht zu rechtfertigen wäre.

III. Ergebnis Folge einer eigenständigen Kompetenzausübung durch die Länder könnten verschiedene Grunderwerbsteuergesetze in den Bundesländern sein, die in Bezug auf die steuerpflichtigen Erwerbsvorgänge, Bemessungsgrundlagen und Steuersätze von einander abweichen würden. Noch bis 1983 bestanden auf Grund der Gesetzgebungskompetenz der Länder für Verkehrsteuern mit örtlich begrenzten Wirkungskreis nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 1, 2. Halbsatz GG 1949 in den Bundesländern divergierende Grunderwerbsteuerregelungen756. Insbesondere im Bereich der Steuervergünstigungen und Steuerbefreiungen enthielten sie, bedingt durch den damals einheitlichen Steuersatz von 7 von Hundert, dessen Senkung nach Kriegsende nicht möglich erschien, erhebliche Unterschiede757. Ob erneut eine derartige Entwicklung auf der Landesebene erfolgen würde, ist nach heutigem Kenntnisstand kaum prognostizierbar. Landesspezifische Unterschiede im Grunderwerbsteuerrecht wären jedoch im Sinne einer föderalen Staatsorganisation ein begrüßenswerter Fortschritt.

G. Zusammenfassung Die theoretischen Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Länderebene wären nach dem geltenden Grundgesetz für die untersuchten Steuerarten zwar nicht uneingeschränkt, aber doch sehr weit reichend gegeben. Betrachtet man die jüngsten Äußerungen zu möglichen Gesetzgebungsbefugnissen der Länder in Bezug auf die Landessteuern758, konnten diese im Ergebnis teilweise bestätigt, in weiten Teilen musste ihnen jedoch widersprochen werden. Zumeist liegt der „Teufel im Detail“, so dass erst bei einer eingehenden Betrachtung der 756 Zu dieser Rechtslage Fischer in: Boruttau, Vorb. Rn. 41 ff.; Pahlke in: Pahlke/ Franz, Einleitung Rn. 3. Das Grunderwerbsteuerrecht in der Form des Gesetzes vom 29.03.1940 (RGBl. I 1940, S. 585 ff.) galt nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes gemäß Art. 123 GG als Landesrecht fort. 757 Hinzu kamen nach Inkrafttreten der Finanzreform von 1969 zum 01.01.1970 bundesgesetzliche Befreiungstatbestände, da der Bund nunmehr die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 105 Abs. 2 GG besaß. Vgl. zum damaligen Zustand den Grunderwerbsteuerbericht im Auftrag der Bundesregierung, abgedruckt BT-Drs. 8/ 2555, insbesondere S. 5. Siehe auch Forst, DStZ 1983, S. 78; Sigloch, NJW 1983, S. 1817; Fischer in: Boruttau, Vorb. Rn. 38 ff. 758 Insbesondere Hey, FS Solms, S. 38 f.; Huber, Komm.-Drs. 0031, S. 16; ders. in der Föderalismuskommission, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung vom 11.03. 2004, S. 116 f.; Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 30; Würtenberger, S. 270 f.

G. Zusammenfassung

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theoretischen steuerartspezifischen Regelungsmöglichkeiten, die Probleme hervortraten. Als Ergebnis ist aber festzuhalten, dass Art. 72 Abs. 2 GG einem Steuerwettbewerb zwischen den Bundesländern grundsätzlich nicht entgegenstünde. Aus einer divergierenden Steuergesetzgebung der Länder würden voraussichtlich in einigen Bereichen sowohl in der Verwaltung, als auch bei den betroffenen Normadressaten mehr Bürokratie und damit Kosten folgen. Diese Nachteile wären zu Gunsten der Gestaltungsmöglichkeiten, die den Ländern durch eine eigene Steuerpolitik eröffnet würden, zu akzeptieren, zumal sich die Kostenfolgen vom derzeitigen Standpunkt aus kaum abschätzen lassen. Bereits Klatt hat in seinem Entwurf eines Konkurrenzföderalismus in Deutschland betont, dass zwar jede föderale Ordnung politische und ökonomische Kosten zur Folge hat, aber sich dafür durch größere Steuerungs- und Konfliktlösungsfähigkeit auf Grund stärkerer demokratischer Legitimation auszeichnet759. Dies gilt vor allem, weil die Länder es selbst zu verantworten hätten, wenn sie durch komplizierte Normgebung eine Bürokratisierung und Verkomplizierung des Steuerrechts begünstigen würden. Daneben bestehen bei der Einschätzung steuerlich motivierter Wanderbewegungen von Hoch- in Niedrigsteuerländer erhebliche Unsicherheiten. Die Bereitschaft zur Standortverlagerung hängt voraussichtlich stark vom Kreis der Steuerpflichtigen ab. Bei Privatpersonen stehen die steuerlichen Aspekte bei der Wohnsitzbegründung nicht an erster Stelle. Vielmehr spielen dort Faktoren wie Familiennähe und die Entfernung zum Arbeitsplatz eine entscheidende Rolle. Stärker steuerlich orientiert sind hingegen die auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Unternehmen. Jedoch müssen auch sie die am Ort vorzufindende Infrastruktur, regionale Absatzmärkte und mögliche Produktionsstätten bei ihrer Standortwahl berücksichtigen, so dass Verlagerungen nicht in allen Geschäftsbereichen ohne Probleme von Statten gingen. Daher ist zu bezweifeln, dass die steuerlich motivierten Abwanderungen so gravierend ausfallen, wie von vielen Kritikern befürchtet760. Die Frage, ob deshalb bereits vorbeugend rigorose Abwehrmaßnahmen der Länder erforderlich wären, ist zu verneinen. Hauptsächlich würden erst diese zu den aufgezeigten Problemen, insbesondere zu innerstaatlicher Doppelbesteuerung, etwa bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer, der Vermögensteuer und der Kraftfahrzeugsteuer, führen. Sollte ein derartiger Konflikt innerhalb der Bundesrepublik tatsächlich drohen, wäre daher auch der Bundesgesetzgeber im Interesse von Bund und Ländern berechtigt nach Art. 72 Abs. 2 GG zur 759

Klatt, APuZ Bd. 31 (1982), S. 22. Nach Homburg in Föderalismuskommission, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung vom 11.03.2004, S. 119 ließen sich erhebliche Wohnsitzverlagerungen innerhalb der Schweiz empirisch nicht nachweisen. 760

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3. Kap.: Möglichkeiten eines Steuerwettbewerbs auf Landesebene

,Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit‘ in das Gesetzgebungsrecht der Länder, vorzugsweise durch ein geeignetes Doppelbesteuerungsgesetz, einzugreifen. Lediglich bei der Kraftfahrzeugsteuer ließen sich die nachteiligen Folgen nur durch eine bundesgesetzliche Bestimmung des Steuergegenstandes lösen, da ansonsten eine Ungleichheit im Belastungserfolg gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen würde. Bei der regional wirkenden Gewerbesteuer hätten die Länder bei der Gesetzgebung hingegen, mit Ausnahme der Festlegung der Gewerbesteuerhebesätze, die den Gemeinden obliegt, vollständige Gestaltungsfreiheit. Gleiches gilt für die Grunderwerbsteuer, wobei ihnen das Steuersatzrecht unmittelbar aus Art. 105 Abs. 2 Satz 2 GG zusteht und es insoweit keines Rückgriffs auf Art. 72 Abs. 2 GG bedarf.

4. Kapitel

Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz Ein Steuerwettbewerb auf Landesebene nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG wird auf Grund der föderalen Staatsordnung in Deutschland nicht schrankenlos erfolgen können. Grenzen für die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit der Länder könnten sich aus anderen Normen des Grundgesetzes oder aus Verfassungsprinzipien ergeben. Insbesondere der Länderfinanzausgleich, das Gleichheitspostulat, das Recht der Freizügigkeit und das ungeschriebene Prinzip der Bundestreue sollen in diesem Kapitel im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Auf letzteres wurde bereits an geeigneter Stelle im Zusammenhang mit einem möglichen Steuerdumping oder mit unfairen Wettbewerbspraktiken hingewiesen. Darüber hinaus müssen in diesem Rahmen die im vorangegangenen Kapitel herausgearbeiteten, jedoch von einer theoretischen Situation ausgehenden Ergebnisse daraufhin untersucht werden, inwieweit das aktuell bestehende Bundessteuerrecht der Gestaltungsfreiheit der Länder Grenzen setzt. Dazu sind die Anwendungsgebiete und Voraussetzungen des Art. 125a Abs. 2 GG und des Art. 72 Abs. 4 GG herauszuarbeiten und Schlussfolgerungen für die Steuergesetzgebungsmöglichkeiten der Länder zu ziehen.

A. Der Länderfinanzausgleich Das Zusammenleben in einem Bundesstaat verbindet die Mitglieder zu einer Solidargemeinschaft, in der alle verpflichtet sind, füreinander einzustehen761. Dies gilt auch für die Länder untereinander, unabhängig von ihrer Eigenstaatlichkeit762. Gerade der Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG verleiht dem föderalen Solidargrundsatz besonderen Ausdruck, indem finanzkräftige Bundesländer verpflichtet sind, leistungsschwächere Länder in bestimmtem Umfang finanziell zu unterstützen. Die bundesstaatliche Pflicht zu Hilfeleistungen könnte jedoch einen Steuerwettbewerb auf Landesebene egali-

761

BVerfG v. 20.02.1952, 1 BvF 2/51, BVerfGE 1, 117 (131). BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (386); v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a., BVerfGE 86, 148 (214 f.); siehe auch Lintner, S. 116 f. 762

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

sieren, wenn Bundesländer mit niedrigen Steuereinnahmen auf sekundärer Ebene einen Ausgleich über den Länderfinanzausgleich erreichen könnten. Auf der anderen Seite könnten leistungsstarke Bundesländer ihre steuerlichen Einnahmen nicht für die Verbesserung ihrer öffentlichen Leistungen einsetzen, wenn die Gelder ab einer bestimmten Höhe vollumfänglich dem Finanzausgleich zur Verfügung gestellt werden müssten. Der Anreiz, höhere Einnahmen zu erzielen, bliebe aus763. Darüber hinaus könnte der Länderfinanzausgleich zu eklatanten Fehlanreizen führen, wenn etwa bei leistungsschwachen Ländern durch erhöhte Steuerbelastungen mühsam erzielte Mehreinnahmen wegen der Kürzung der Ausgleichszahlungen vollständig abgeschöpft würden764. Auf der anderen Seite hätten leistungsstarke Bundesländer die Möglichkeit, ihre Steuern zu senken, um mobiles Kapital anzulocken, und müssten als Nebeneffekt geringere Ausgleichszahlungen an andere Länder leisten. Verbliebe den Ländern weder der Erfolg noch der Misserfolg ihrer Steuerpolitik, würde letztlich ein Wettbewerb verhindert.

I. Systematik des Länderfinanzausgleichs Unter dem Begriff des Finanzausgleichs765 versteht man in der rechtswissenschaftlichen Dogmatik die Entscheidung über eine sachgemäße Verteilung der Einnahmen auf die verschiedenen staatlichen Ebenen und eine in gewissen Grenzen zu erfolgende Umverteilung der Erträge innerhalb der einzelnen Ebenen766. Der im Rahmen dieser Untersuchung vorrangig interessierende Länderfinanzausgleich im engeren Sinne767 (Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG) betrifft die 763 Zu den Folgen der weit reichenden Finanzkraftnivellierung in Deutschland Oeter, S. 520 f. 764 Aus finanzwissenschaftlicher Sicht Homburg, in: Föderalismuskommission, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung vom 11.03.2004, S. 116, der für einen Systemwechsel im Länderfinanzausgleich plädiert und die Finanzkraft eines Bundeslandes am Pro-Kopf-Einkommen messen will. Allgemein zu den Anreizwirkungen des Finanzausgleichs ders., FinArch n. F. 51 (1994), S. 312 ff. 765 Vgl. aus den zahlreichen Bearbeitungen zum gesamten System des Finanzausgleichs die Untersuchungen von Carl, Bund-Länder-Finanzausgleich im Verfassungsstaat, 1994; Häde, Finanzausgleich, 1996; Helbig, Der steuerverfassungsrechtliche Halbteilungsgrundsatz, 2002; Hidien, Der bundesstaatliche Finanzausgleich in Deutschland, 1999; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997; Lintner, Die verfassungsrechtlichen Grenzen des horizontalen Länderfinanzausgleichs nach Art. 107 Abs. 2 GG, 2004; sowie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 ff.; v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a., BVerfGE 86, 148 ff.; v. 11.11.1999, 2 BvF 2/98 u. a., BVerfGE 101, 158 ff.; v. 19.10.2006, 2 BvF 3/03, BVerfGE 116, 327 (380); zur Finanzverfassung von 1949 BVerfG v. 20.02.1952, 1 BvF 2/51, BVerfGE 1, 117 ff. 766 BVerfG v. 20.02.1952, 1 BvF 2/51, BVerfGE 1, 117 (119); Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 107 Rn. 10.

A. Der Länderfinanzausgleich

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Umverteilung von Steuererträgen auf (horizontaler) Länderebene. Dabei sind „Unterschiede der Finanzkraft der Länder, die durch die primäre Verteilung des Steueraufkommens nicht aufgehoben, sondern möglicherweise offenbar werden, aber gleichwohl im Hinblick auf die bundesstaatliche Solidargemeinschaft als unangemessen gelten müssen, in gewissen Umfang, wenn auch nicht voll auszugleichen“768. Somit kommt der Länderfinanzausgleich im engeren Sinne erst auf sekundärer Ebene zum Zuge, nachdem die Landessteuererträge auf die einzelnen Bundesländer verteilt wurden. Diese vorrangige (primäre) Ertragszuweisung richtet sich grundsätzlich nach Art. 107 Abs. 1 GG769. Danach werden die (bundesgesetzlichen) Landessteuern und der Länderanteil an der Einkommenund Körperschaftsteuer nach dem örtlichen Aufkommen und der Länderanteil an der Umsatzsteuer nach der Einwohnerzahl770 den einzelnen Ländern zugewiesen771. Der (sekundäre) Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 GG bestimmt sich nach der Finanzkraft der einzelnen Länder. Bei unterschiedlicher Finanzkraft ist ein angemessener Ausgleich zwischen den Ländern zu suchen. Diese unbestimmten Verfassungsbegriffe bedürfen einer Konkretisierung durch den Bundesgesetzgeber, dem dabei ein gewisser Entscheidungsspielraum zukommt772. Der umstrittenen Forderung des Bundesverfassungsgerichts, langfristige Maßstäbe für die Voraussetzungen der Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten festzulegen773, ist der Gesetzgeber durch die §§ 6 bis 9

767

Begrifflichkeit nach Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 107 Rn. 24. BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (387); v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a., BVerfGE 86, 148 (214 f.); v. 19.10.2006, 2 BvF 3/03, BVerfGE 116, 327 (380). 769 Ausführlich dazu Hidien, Die horizontale Steuerverteilung gem. Art. 107 Absatz 1 des Grundgesetzes, 1997. Zur ausnahmsweise direkten Steuerertragszuordnung auf die einzelnen Länder bei landesgesetzlichen Landessteuern siehe sogleich Seite 182. 770 Zu der Möglichkeit von Ergänzungsanteilen an der Umsatzsteuer (Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG) siehe Henneke, Rn. 742 ff. 771 Hierzu Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 11–18. 772 BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (399); Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 29; Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 107 Rn. 91 und 125. 773 BVerfG v. 11.11.1999, 2 BvF 2/98 u. a., BVerfGE 101, 158 (217 ff.), dort heißt es: „. . . Deshalb muss dieses maßstabgebende Gesetz in zeitlichen Abstand vor seiner konkreten Anwendung im Finanzausgleichsgesetz beschlossen und sodann in Kontinuitätsverpflichtungen gebunden werden, die seine Maßstäbe und Indikatoren gegen aktuelle Finanzierungsinteressen, Besitzstände und Privilegien abschirmen. (. . .) Die Regelung des Finanzausgleichs darf nicht dem freien Spiel der politischen Kräfte überlassen bleiben. . . .“. Kritisch hierzu: Bull/Mehde, DÖV 2000, S. 309; Christmann, DÖV 2000, S. 323 f.; Linck, DÖV 2000, S. 328 f.; Rupp, JZ 2000, S. 270 f.; Wieland DVBl 2000, S. 1312 ff.; hingegen zustimmend: Degenhart, ZG 2000, S. 79 ff.; Huber in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 107 Rn. 50 ff. 768

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

des Maßstäbegesetzes (MaßstG)774 nachgekommen. Diese werden durch die §§ 4 bis 10 des Finanzausgleichsgesetzes (FAG)775 weiter ausgestaltet776. Damit zeigt sich im Länderfinanzausgleich das dem Bundesstaatsprinzip innewohnende Spannungsverhältnis zwischen der Eigenverantwortlichkeit der Länder und der solidargemeinschaftlichen Fürsorge für das Bestehen der anderen Bundesländer777.

II. Bedeutung für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene 1. Ertragszuordnung der landesgesetzlichen Landessteuern – Art. 107 Abs. 1 GG Nach dem Wortlaut verteilt Art. 107 Abs. 1 GG die Landessteuern nach dem örtlichen Aufkommen auf die Bundesländer. Jedoch gilt dies nur für bundesgesetzlich geregelte Landessteuern778. Soweit die Länder hingegen Steuern auf Grund eigener Steuergesetzgebungskompetenz erheben würden, steht ihnen der Steuerertrag unmittelbar zu, ohne dass es einer Verteilungsregelung des Grundgesetzes bedürfte779. Dieser Automatismus780 ergibt sich aus der Systematik der Finanzverfassung. Eine horizontale Steuerverteilung ist nur dort notwendig, wo mehreren Hoheitsträgern einer Ebene das Aufkommen einer durch nur einen Hoheitsträger erhobenen Steuer gemeinsam zugewiesen wird. Dies ist bei bundesgesetzlichen Landessteuern der Fall. Werden diese Steuern jedoch von den 774 Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz) vom 09.09. 2001, BGBl. I 2001, S. 2302. Kritisch zu den Regelungen des Maßstäbegesetzes, die teilweise wörtlich die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts wiedergeben, Henneke, Jura 2001, S. 74 f.; Hidien in: Recht der Kommunalfinanzen, § 26 Rn. 43; Kämmerer JuS 2003, S. 215 f.; Korioth, ZG 2002, S. 346 ff. 775 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz) vom 20.12.2001, BGBl. I 2001, S. 3955; geändert durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl. I 2003, S. 2954 (Art. 30). Dazu Korioth, ZG 2002, S. 350 ff. 776 Zur Rechtsquellensystematik von Verfassung, Maßstäbe- und Finanzausgleichgesetz eingehend Waldhoff, ZG 2000, S. 207 ff. Aber auch Degenhart, ZG 2000, S. 84 ff.; Linck, DÖV 2000, S. 326 ff. 777 BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (398). 778 Hidien, Horizontale Steuerverteilung, S. 24; ders. in: BK, Art. 106 (100. Lfg.) Rn. 678; Häde, S. 208 f.; Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 12; Heun in: Dreier, Art. 107 Rn. 14. 779 Zu Unrecht geht Mußgnug, FS Klein, S. 652 Fn. 4 davon aus, dass Art. 107 Abs. 1 GG auf landesgesetzliche Landessteuern Anwendung findet. 780 Bei landesgesetzlichen Landessteuern spricht Hidien von einer „automatischen Verteilung oder Steuerausschüttung“ im Gegensatz zur „systematischen Verteilung nach Art. 107 Abs. 1 S. 1 GG“ (Horizontale Steuerverteilung, S. 25 Fn. 68).

A. Der Länderfinanzausgleich

183

Ländern selbst auf Grund eigener Gesetze erhoben, sind ihnen die Erträge damit auch abschließend zugeordnet781. Eine Kopplung von Gesetzgebungskompetenz der Länder und Ertragszuordnung sieht die Verfassung auch im Bereich der landesgesetzlichen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern vor, soweit in einem Bundesland keine Gemeinden existieren (Art. 106 Abs. 6 Satz 3 GG „. . . steht das Aufkommen . . . dem Land zu.“)782. Für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene besagt diese Systematik der Finanzverfassung, dass die Bundesländer unmittelbar die Steuererträge erhalten, die sie auf Grund ihrer landesgesetzlichen Steuerregelungen erzielen. Ein Doppelbesteuerungsgesetz des Bundes zur Vermeidung innerstaatlicher Mehrfachbelastungen783 würde die Qualifikation der Steuern als landesgesetzliche Landessteuern nicht beeinflussen, da die Bundesländer selbst die Kernbereiche der jeweiligen Steuerart, namentlich die Steuerpflicht, den Steuergegenstand und den Steuertarif, bestimmen könnten784. Damit würde von Art. 107 Abs. 1 GG keine wettbewerbsstörende Wirkung ausgehen. 2. Länderfinanzausgleich im engeren Sinne – Art. 107 Abs. 2 GG Auf sekundärer Ebene könnten die landesgesetzlichen Landessteuern im Gegensatz zu Art. 107 Abs. 1 GG lediglich als Rechengröße für die Bestimmung der ,Finanzkraft‘ der Bundesländer berücksichtigt werden. Um beurteilen zu können, welche Auswirkungen eine Einbeziehung dieser Steuern für den Länderfinanzausgleich mit sich bringt, müssen die unbestimmten Verfassungsbegriffe ,Finanzkraft‘ und ,angemessener Ausgleich‘ näher an Hand der Vorgaben des Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetzes und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert werden. a) Finanzkraft aa) Begriff der ,Finanzkraft‘ im heutigen Länderfinanzausgleich Nach der derzeitigen Vorschrift des Maßstäbegesetzes bemisst sich die ,Finanzkraft‘ nach den Einnahmen von Ländern, Gemeinden und Gemeindever781 Heun in: Dreier, Art. 107 Rn. 14. Dies bedeutet nicht, dass bei neuartigen Landessteuern, die Länder automatisch die Ertragshoheit besäßen. Hierfür ist eine Ergänzung des Art. 106 GG erforderlich, da dieser die Steuererträge abschließend auf Bund, Länder und Gemeinden (vertikal) aufteilt. Vgl. dazu im zweiten Kapitel Seite 49 ff. 782 Überzeugend hierzu Hidien, S. 25 m.w. N. 783 Siehe dazu die Ausführungen zu den einzelnen Steuerarten im dritten Kapitel. 784 Gleiches gilt, wenn der Bund durch die Bestimmung der persönlichen Steuerpflicht eine innerstaatliche Doppelbesteuerung vermeidet. Die verbleibenden Regelungsmöglichkeiten der Länder reichen aus, um die die Steuer als Landessteuer zu qualifizieren.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

bänden, soweit sie ausgleichsrelevant sind, § 7 Abs. 1 MaßstG785. Danach wird die ,Finanzkraft‘ zwar nicht allein auf die Steuerkraft reduziert, jedoch stellt diese nach dem Finanzausgleichsgesetz den Hauptindikator dar786. Die Steuerkraft bemisst sich grundsätzlich nach dem tatsächlichen Aufkommen aller Steuern von Ländern und Gemeinden, §§ 7 und 8 FAG787. Diese gesetzlichen Regelungen spiegeln den vom Bundesverfassungsgericht in seinen prägenden Entscheidungen zum Finanzausgleich entwickelten Inhalt zum Begriff der ,Finanzkraft‘ wider788. Um dem unterschiedlichen Ausgleichsbedarf der Länder auf Grund divergierender Besiedlungsstrukturen in Stadt- und Flächenstaaten gerecht zu werden, wird der Bedarf im Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl berechnet, § 9 Abs. 1 FAG789. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zur weiteren Berechnung der ,Finanzkraft‘ grundsätzlich der Ansatz des tatsächlich vorhandenen Finanzaufkommens maßgebend790. Beruhen die Einnahmen hingegen auf Quellen, über deren Nutzung dem Land oder der Gemeinde eine autonome Entscheidung zukommt, können die Einnahmen auch nach einem rechtlich erreich785 Nicht ausgleichsrelevant sind Einnahmen, deren Volumen unerheblich ist, die in allen Ländern verhältnismäßig gleich anfallen, die als Entgelte oder entgeltähnliche Abgaben Leistungen eines Landes oder seiner Gemeinde ausgleichen oder bei denen der Ermittlungsaufwand zur Ausgleichswirkung unverhältnismäßig ist; vgl. dazu BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (400); v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (216); v. 11.11.1999, 2 BvF 2/98, BVerfGE 101, 158 (223). 786 Zur Zulässigkeit dieses Ansatzes BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (399 f.); vgl. auch Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 107 Rn. 48; Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 77. 787 Bei den Ländern tritt die bergrechtliche Förderabgabe hinzu. Zur Notwendigkeit der Einbeziehung in die Berechnung der Finanzkraft der Länder siehe das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (410 ff.). 788 Zum Begriff der ,Finanzkraft‘ BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (399 ff.); v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (216 ff.); v. 11.11.1999, 2 BvF 2/98, BVerfGE 101, 158 (223 ff.). 789 Eine fiktive Erhöhung der Einwohnerzahl erfolgt für die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg und in Bezug auf die kommunalen Steuereinnahmen zusätzlich für Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, § 9 Abs. 2 und 3 FAG. Vgl. zur Zulässigkeit einer Einwohnerveredelung bei den Stadtstaaten BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83, BVerfGE 72, 330 (413 ff.); dieser Entscheidung folgend BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88, BVerfGE 86, 148 (238 ff.), jedoch hielt es eine besondere Gewichtung der Einwohnerzahl des Saarlandes für unzulässig, da die schwierige finanzielle Situation des Saarlandes nicht durch die Stadtstaatlichkeit geprägt, sondern durch wirtschaftliche Folgeprobleme der Kohleförderung und der Stahlindustrie bedingt sei. Zum Auftrag an den Bundesgesetzgeber, die Einwohnergewichtung nach der Einbeziehung der neuen Bundesländer in den Länderfinanzausgleich zu überprüfen siehe BVerfG v. 11.11.1999, 2 BvF 2/98, BVerfGE 101, 158 (230 f.) und Carl, S. 86 f. m.w. N. Kritisch zur neuen und alten Einwohnerveredelung Kämmerer, JuS 2003, S. 216. 790 BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (217).

A. Der Länderfinanzausgleich

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baren Aufkommen, mit anderen Worten nach einem Soll-Aufkommen bemessen werden791. Dem Gesetzgeber kommt zur näheren Bestimmung eine Abgrenzungs- und Gestaltungsbefugnis zu. Dabei kann er festlegen, inwieweit andere am Länderfinanzausgleich beteiligte Länder die Folgen der autonomen Entscheidung eines Landes zur Ausschöpfung einer Steuerquelle mitzutragen haben. Auf Grund dieser Offenheit des Begriffs der ,Finanzkraft‘ hielt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 27. Mai 1992 einen bundeseinheitlich normierten Hebesatz bei der Gewerbesteuer von 250 von Hundert nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 FAG a. F. für verfassungsrechtlich zulässig792. Als Begründung führte es an, dass die Gemeinden autonom über die Höhe des Hebesatzes entscheiden könnten, was wie eine eigene Entscheidung der Länder zu werten sei. Ein fiktiver Hebesatz trage dazu bei, dass einem Land die Steuererträge einer verantwortlichen Steuerpolitik selbst verbleiben würden, während Länder, die unterhalb des fiktiven Hebesatzes liegen, den Fehlbetrag als ,Finanzkraft‘ zugerechnet bekämen793. Entsprechend dieser Rechtsprechung nehmen die kommunalen Steuereinnahmen bei der Berechnung der Steuerkraft nach dem derzeitigen Finanzausgleichsgesetz eine Sonderrolle ein. Die Grund- und Gewerbesteuereinnahmen werden nicht nach ihrem tatsächlichen Aufkommen, sondern nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 FAG einheitlich gemäß einer näher zu berechnenden Steuerkraftzahl angesetzt794. Ganz ausgenommen von der Berechnung werden die von den Kommunen auf Grund eigener Entscheidung erhobenen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern795. 791 Ausdrücklich zum Länderfinanzausgleich: BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (217); als obiter dictum in Bezug auf die Ergänzungszuweisungen des Bundes zuvor BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (405); vgl. auch Kirchhof, P., S. 5 und 41 ff.; Mußgnug, JuS 1986, S. 879; Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 107 Rn. 50. 792 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (229). 793 BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (230). 794 Die auf diese Weise ermittelten Gewerbe- und Grundsteuereinnahmen werden sodann jeweils auf 64 von Hundert herabgesetzt (§ 8 Abs. 3 FAG), da sie als Objektsteuern einen spezifischen Bezug zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft aufweisen. Zur Zulässigkeit eines hälftigen Ansatzes BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (221 und 231 ff.); einschränkend jedoch BVerfG v. 11.11.1999, 2 BvF 2/98, BVerfGE 101, 158 (230); vgl. auch Wendt, HdbSt IV, § 104 Rn. 77. Kritisch zu § 8 Abs. 3 FAG Korioth, ZG 2002, S. 350 Fn. 44 und Kämmerer, JuS 2003, S. 216. Letzterer erblickt in der Vorschrift des FAG einen Widerspruch zu § 7 Abs. 1 MaßstG und sieht den Abschlag „als das bloße Ergebnis eines Verhandlungskompromisses“ an. 795 Zur Begründung verwies das Bundesverfassungsgericht darauf, dass diese Kommunalsteuern dem Volumen nach nicht als ausgleichsrelevant anzusehen sind, so BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a.; BVerfGE 86, 148 (225). Dem ist nicht zu widersprechen, hinzuzufügen ist noch, dass gerade in der Erhebung örtlicher Verbrauch- und Aufwandsteuern die kommunale Eigenverantwortung für die Steuerpolitik deutlich zum Ausdruck kommt, die sich nicht zu Lasten anderer Kommunen auswirken darf (so auch Henneke, DÖV 1994, S. 8 zum kommunalen Finanzausgleich). Ebenso war es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Konzessionsabgabe

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Im Rahmen der ersten Stufe der Föderalismusreform 2006 ist den Ländern für die Grunderwerbsteuer ein eigenes Steuersatzrecht eingeräumt worden (Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG). Dem entsprechend werden die Steuereinnahmen der Länder aus der Grunderwerbsteuer in Zukunft ebenfalls nach einer Steuerkraftzahl angesetzt, § 7 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FAG 2006796. bb) Begriff der ,Finanzkraft‘ im kommunalen Finanzausgleich Desgleichen wird im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen des Landes an seine Gemeinden im Wesentlichen auf die Steuereinnahmen der Gebietskörperschaft als Ausdruck der ,Finanzkraft‘ abgestellt797. Auch auf kommunaler Ebene dient der Finanzausgleich dazu, den nicht durch eigene Einnahmen gedeckten Finanzbedarf der Selbstverwaltungskörperschaften auszugleichen798. Der Gemeindeanteil an der Einkommen- und Umsatzsteuer wird zur Ermittlung der Steuerkraft vollständig mit dem Ist-Aufkommen einberechnet799. Da die Höhe des Realsteueraufkommens von autonom festgelegten Hebesätzen der Gemeinden abhängt, wird bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit insoweit die potentielle Steuerkraft durch (landeseinheitliche) fiktive Hebesätze zu Grunde gelegt800. Die Nivellierungssätze beugen einer Gestaltung der Hebesätze zu Lasten anderer Gemeinden vor801 und berücksichtigen die kommunale Finanzautonomie802. Außerdem wird diese Regelung dem interkommunalen Gleichbehandlungsgebot gerecht, da der übergemeindliche Finanzausgleich von der Willensentscheidung der Gemeinden abgekoppelt wird. Damit ist für die Steuerkraft einer Gemeinde nicht der Versorgungsunternehmen nicht in die Berechnung der kommunalen Einnahmen mit einbezogen wurde (BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a., BVerfGE 86, 148 (225 ff.)). 796 Art. 17 des Föderalismusreform-Begleitgesetzes, BGBl. I 2006, S. 2106. 797 Ausgenommen von den gemeindlichen Steuereinnahmen sind lediglich die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, über deren Erhebung die Kommunen eigenverantwortlich entscheiden. Dazu Henneke, DÖV 1994, S. 8. 798 Vgl. für Nordrhein-Westfalen: VerfGH NW v. 06.07.1993, VerfGH 9/92 u. a., NWVBl 1993, 381 (382); v. 09.07.1998, VerfGH 16/96 u. a., NWVBl 1998, 390 (391 f.); allgemein Henneke in: Recht der Kommunalfinanzen, § 25 Rn. 5 ff. 799 Für Nordrhein-Westfalen § 10 Abs. 2 Nr. 4 und 5 GFG NW 2004/2005. 800 In Nordrhein-Westfalen liegen die landeseinheitlichen fiktiven Nivellierungssätze bei der Gewerbesteuer derzeit bei 403; bei der Grundsteuer A bei 192 und der Grundsteuer B bei 381, § 10 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 GFG NW 2004/2005. Zur Verfassungsmäßigkeit der fiktiven Hebesätze VerfGH NW v. 06.07.1993, VerfGH 9/92 u. a., NWVBl 1993, 381 (384); bestätigt durch VerfGH NW v. 09.07.1998, VerfGH 16/96 u. a., NWVBl 1998, 390 (396 f.) und v. 01.12.1998, VerfGH 5/97, DÖV 1999, 300 (302). Vgl. auch Henneke in: Recht der Kommunalfinanzen, § 25 Rn. 33 ff. 801 Kritisch hierzu aus finanzwissenschaftlicher Sicht Wohltmann, ZKF 2001, S. 104 ff. m.w. N. 802 Zustimmend Henneke, S. 9.

A. Der Länderfinanzausgleich

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ausschlaggebend, was sie tatsächlich an Steuern einnimmt, sondern welches Aufkommen sie theoretisch erzielen könnte. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass eine Anhebung oder Absenkung der Hebesätze die Höhe der Schlüsselzuweisungen nicht beeinflusst803. Jedoch begünstigen hohe fiktive Hebesätze in der Regel größere Gemeinden und kreisfreie Städte804, da sie sich auf Grund guter Rahmenbedingungen für die Wirtschaft überdurchschnittliche Hebesätze leisten können. Die dadurch entstehenden „freien Spitzen“ finden im kommunalen Finanzausgleich keine Berücksichtigung, sondern kommen diesen Kommunen unmittelbar zugute805. Somit ist Sinn und Zweck der fiktiven Hebesätze auch, Anreize für die Gemeinden zur Ausschöpfung ihrer Steuerkraft zu schaffen806. Im Einzelfall kann es für eine Gemeinde allerdings günstiger sein, den Hebesatz nicht über den fiktiven Nivellierungssatz anzuheben, da die Einbußen durch die wegfallenden Schlüsselzuweisungen stärker ins Gewicht fallen würden, als die steuerlichen Mehreinnahmen. cc) Folgerungen für die Einbeziehung landesgesetzlicher Landessteuern in den Länderfinanzausgleich Es ist zu konstatieren, dass landesgesetzliche Landessteuern zur Bestimmung der Finanzkraft eines Bundeslandes in die Berechnung einzubeziehen wären, soweit sie ausgleichsrelevant sind. Von der Ausgleichsrelevanz ist auszugehen, da das jeweilige Volumen der im dritten Kapitel untersuchten Landessteuern die Erheblichkeitsgrenze übersteigen dürfte. Eine Ausklammerung dieser Steuern aus dem Länderfinanzausgleich wäre nicht mit Art. 107 Abs. 2 Satz 1 zu vereinbaren807. Da die Länder nach den im dritten Kapitel gefundenen Ergebnissen ganz oder weit überwiegend autonom über die Ausschöpfung der Steuerquelle entscheiden könnten, spiegelte das Ist-Aufkommen nicht die Finanzkraft der Länder in geeigneter Weise wider. Vielmehr müssten überdurchschnittliche Erträge den Ländern verbleiben, hingegen dürften Ertragsausfälle auf Grund einer Scho803

Inhester, S. 172 f. Zu den Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit Inhester, S. 173 ff. 805 Zu weiteren, mit zunehmender Gemeindegröße sich verstärkenden verdeckten Verteilungseffekten zu Gunsten größerer Kommunen Wohltmann, ZKF 2001, S. 104 ff. 806 Ein auf bestimmte Gemeinden ausgehender Druck, ihre Hebesätze zu erhöhen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht hinzunehmen, jedenfalls solange die fiktiven Nivellierungssätze nicht die Durchschnittswerte der tatsächlichen Hebesätze übersteigen, VerfGH NW v. 09.07.1998, VerfGH 16/96 u. a., NWVBl 1998, 390 (396). 807 In seinem Urteil vom 24.06.1986 – 2 BvF 1/83 – beurteilte das Bundesverfassungsgericht die Einnahmen der Grunderwerbsteuer, der Feuerschutzsteuer und der Spielbankabgabe als ausgleichsrelevant und hielt die damalige Vorschrift des Finanzausgleichsgesetzes (§ 7 Abs. 1 FAG 1983) für unvereinbar mit Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG (BVerfGE 72, 330 (409)). 804

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

nung der Bürger mit Steuerlasten nicht auf andere Länder übergewälzt werden808. Die Ertragskraft eines Landes wäre deswegen nur durch den Ansatz fiktiver Nivellierungsgrößen dokumentiert809. Als Vergleichsgröße diente insoweit die potentielle Finanzkraft, also das erreichbare Finanzaufkommen etwa bei einer durchschnittlichen Ausschöpfung der Einnahmequellen810. Damit würde dem Prinzip der Finanzautonomie der Bundesländer Rechnung getragen und die Bürger würden vor überhöhten Abgabenlasten bewahrt, in dem der fiktive Vergleichswert nicht an der maximalen Obergrenze der Belastbarkeit orientiert ist811. Dieser Lösungsansatz entspräche dem Ziel des Länderfinanzausgleichs nach Art. 107 Abs. 2 GG, bei strukturbedingten Nachteilen die (finanzielle) Eigenständigkeit der Länder zu sichern, damit sie ihre verfassungsmäßigen Aufgaben wahrnehmen können, nicht jedoch durch eigene finanzpolitische Anstrengungen erworbene Vorteile vollständig abzuschöpfen. Im Ergebnis hat auch der verfassungsändernde Gesetzgeber diesen Weg im Rahmen der ersten Stufe der Föderalismusreform 2006 in Bezug auf das Steuersatzrecht der Länder bei der Grunderwerbsteuer beschritten, mit der Begründung, die finanziellen Folgen einer Änderung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer eines Landes nicht über das bundesstaatliche Finanzausgleichssystem auf andere Länder abwälzen zu können812. Anders als im kommunalen Finanzausgleich hat der Bundesgesetzgeber insoweit keinen zahlenmäßig festgelegten fiktiven Steuersatz vorgegeben, sondern entsprechend § 8 Abs. 2 FAG eine Berechnung der Steuerkraftzahl nach dem Verhältnis der Gesamteinnahmen zu den zu Grunde liegenden länderweisen Steuerbemessungsgrundlagen bevorzugt, § 7 Abs. 1 Satz 3 FAG 2006. Hierdurch hat er starre Größen vermieden und sich mehr an dem sich ändernden jeweiligen durchschnittlichen Steueraufkommen orientiert.

808

Zu Recht daher Kirchhof, P., S. 41 ff. Für zwingend notwendig halten dies auch Heun, Der Staat 31 (1992), S. 227; Hey, VVDStRL 66 (2007), S. 316; Kirchhof, P., S. 42; Mußgnug, JuS 1986, S. 879; Heun in: Dreier, Art. 107 Rn. 27; Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 107 Rn. 50; siehe auch Carl, S. 53; Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 107 Rn. 21; Henneke, Rn. 757. 810 Ob bei den zu ermittelnden Durchschnittswerten zwischen Stadtstaaten und Flächenstaaten oder zwischen alten und neuen Bundesländern zu differenzieren wäre, kann erst an Hand entsprechender statistischer Daten beurteilt werden. 811 Im Ergebnis ebenso Kirchhof, P., S. 42. Zum vergleichbaren Lösungsansatz im kommunalen Finanzausgleich Inhester, S. 175 f. Auf kommunaler Ebene hat der Verfassungsgerichtshof Nordrhein-Westfalen die Höhe der fiktiven Hebesätze soweit für zulässig erachtet, wie sie sich an den gewichteten Durchschnittswerten orientieren (VerfGH v. 09.07.1998, VerfGH 16/96 u. a., NWVBl 1998, 390 (396 f.)). 812 Begründung zu Art. 17 des Föderalismusreform-Begleitgesetzes, BT-Drs. 16/ 814, S. 23. 809

A. Der Länderfinanzausgleich

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b) Angemessener Ausgleich Bei dem Versuch, der verfassungsrechtlichen Forderung nach einem ,angemessenen Ausgleich‘ zwischen den Finanzkraftunterschieden der Bundesländer nachzukommen, treffen die Grundsätze von Länderautonomie und Solidarität gegenüber den anderen Mitgliedern im Bundesstaat am deutlichsten aufeinander. Bei der Bestimmung des Ausgleichsniveaus gesteht das Bundesverfassungsgericht daher dem Bundesgesetzgeber innerhalb bestimmter Grenzen einen gewissen Gestaltungsspielraum zu813. aa) Untergrenze des Ausgleichs Indem die Verfassung einen angemessenen Ausgleich zwischen den Ländern voraussetzt, gibt sie immanent vor, dass den ausgleichsberechtigten Ländern ein Mindeststandard an öffentlichen Leistungen ermöglicht werden muss. Hierin ist die untere Grenze des Ausgleichsniveaus zu sehen, der es den Ländern gestattet, ihre hoheitlichen Aufgaben verantwortungsvoll wahrzunehmen. Das Ziel, in allen Ländern eine Mindestausstattung beim öffentlichen Leistungsangebot zu gewährleisten, lässt sich außerdem der Verfassungsvoraussetzung814 von einheitlichen beziehungsweise gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesstaat entnehmen815, der zwar kein normativer Gehalt innerhalb der Verfassung zukommt816, jedoch innerhalb der Finanzverfassung durch die explizite Erwähnung im Rahmen der vertikalen Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern (Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG) einen beachtenswerten Ausdruck für die Auslegung des Art. 107 Abs. 2 GG findet. Die Anpassung der Lebensverhältnisse durch ein bundesweit einheitliches (Mindest-)Versorgungsniveau kann daher als eine der Leitlinien im Finanzverteilungssystem des Grundgesetzes gesehen werden. Mehr als die Forderung nach einer Mindestausstattung ist dem jedoch nicht zu entnehmen817. Maßstab der Grundversorgung bilden vielmehr das öffentliche Leistungsangebot und nicht die allgemeinen Lebensverhältnisse818. Auch das aus Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitete Sozialstaatsprinzip führt zu keinem anderen Ergebnis, da bereits das Postulat, einheitliche/gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen, als eine Spezialausformung des Verfassungsgrundsatzes angesehen werden kann819. 813 Dazu BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (399); siehe auch Helbig, S. 232. 814 Verfassungsdogmatische Einordnung nach Waldhoff, S. 86 ff. 815 Kirchhof, P., S. 17 und Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 107 Rn. 54; diese Schlussfolgerung halten Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 88 nicht für verfassungsrechtlich zwingend. 816 Dazu Vogel/Waldhoff in: BK, Vorbem. z. Art. 104a–115 Rn. 84 ff. 817 Ebenso Häde, S. 236 f.; Henke/Schuppert, S. 45; vgl. aber auch Engels, S. 91 ff. 818 So Kirchhof, P., S. 17 f. und 23.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Ebenso geht das Bundesverfassungsgericht lediglich von einer den Aufgaben der Länder entsprechenden hinreichenden Annäherung der Finanzkraft aus, ohne die Unterschiede vollständig auszugleichen820. Die unverzichtbare Leistungsfähigkeit in einer konkreten Zahl zu bemessen, fällt allerdings schwer. Der Bundesgesetzgeber hatte sich bis zum Inkrafttreten des neuen Finanzausgleichgesetzes zum 1. Januar 2005 auf eine Untergrenze von 95% der durchschnittlichen Finanzkraft festgelegt und damit im Rahmen seines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums gehandelt821. Derzeit richtet sich die Bemessung der Ausgleichszuweisungen nach einer in § 10 FAG näher bestimmten Berechnungsformel822. bb) Obergrenze des Ausgleichs Der angemessene Ausgleich darf allerdings nicht dazu führen, dass die ausgleichsverpflichteten Länder in ihrer Leistungsfähigkeit entscheidend geschwächt werden823. Dies würde dem Bundesstaatsprinzip entgegenlaufen, nach dem zur Eigenstaatlichkeit der Bundesländer auch die Möglichkeit gehört, finanzielle Entscheidungen unbeeinflusst zu treffen. Würde den ausgleichsverpflichteten Ländern jeglicher Anreiz genommen, ihre Ertragsquellen weitestgehend auszuschöpfen, wären sie bei ihren Finanzdispositionen stark beeinträchtigt824. Daher müssen den überdurchschnittlich leistungsfähigen Ländern in bestimmtem Umfang Finanzmittel zur Verfügung bleiben, die die Früchte ihrer eigenen, erfolgreichen Finanzpolitik sind. Dementsprechend kann dem bündischen Prinzip ebenso wenig die Verpflichtung zur Nivellierung der Finanzkraft der Länder entnommen werden825. Bereits hierdurch wäre das Solidarverhältnis 819

Häde, S. 237 m.w. N. BVerfG v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88, BVerfGE 86, 148 (215). Aus den Ansätzen in der Literatur, die Untergrenze des Länderfinanzausgleichs normativ festzulegen, vgl. nur Kirchhof, P., S. 59 f. m.w. N. 821 Nach Kirchhof, P., S. 59 f. werden Prozentsätze zwischen 85 und 97 der durchschnittlichen Leistungskraft in der wissenschaftlichen Diskussion vertreten. 822 Danach dürfte das Ausgleichsniveau über 95% der durchschnittlichen Leistungskraft liegen. Vgl. dazu die Veröffentlichung des Bundesministeriums der Finanzen für den „Finanzausgleich der Länder in der Zeit vom 01.01.2005–31.12.2005“ (www. bundesfinanzministerium.de). 823 Vgl. BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (398); v. 19.10. 2006, 2 BvF 3/03, BVerfGE 116, 327 (380). 824 Auf die wichtige Bedeutung der finanziellen Entschließungsfreiheit weisen zu Recht Kirchhof, P., S. 60 f.; Vogel/Kirchhof in: BK, Art. 107 Rn. 51 f. hin. Vgl. auch Häde, S. 239 f. Zu den Folgen der weitgehenden Finanzkraftnivellierung in Deutschland Oeter, S. 520 f. 825 Das Bundesverfassungsgericht leitete dieses Nivellierungsverbot bereits in seinen ersten Urteilen zum Finanzausgleich aus der Finanzautonomie der Länder her BVerfG v. 20.02.1952, 1 BvF 2/51, BVerfGE 1, 117 (131 f.), daran anknüpfend BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (398); v. 19.10.2006, 2 820

A. Der Länderfinanzausgleich

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überspannt, desto mehr, wenn es durch die Ausgleichsleistungen zu einer Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge der Länder käme826. Daher sind auch im Rahmen des Länderfinanzausgleichs die Individualität und die Pluralität der Länder zu berücksichtigen827. Der Bundesgesetzgeber hat diese vorrangig vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze nunmehr in § 9 MaßstG normiert. Eine zahlenmäßige Festlegung der Belastungsobergrenze wird in der Literatur ebenso wie bei der Bestimmung des Mindestbedarfs nur äußerst zurückhaltend vorgenommen828. c) Schlussfolgerung Um durch den Länderfinanzausgleich im engeren Sinne, der trotz des allseits beschworenen Nivellierungsverbots tatsächlich zu einer weitgehenden Einebnung der Finanzkraft der Bundesländer führt829, einen Steuerwettbewerb auf Landesebene nicht ad absurdum zu führen, muss bei der Bemessung der Finanzkraft das potentielle Finanzaufkommen zu Grunde gelegt werden. Als Maßstab können beispielsweise die durchschnittlich erreichbaren Erträge herangezogen werden. Aber auch Werte unterhalb des möglichen Durchschnittsaufkommens wären zulässig. Hierdurch könnte der finanzpolitische Spielraum der Länder und der Standortwettbewerb gefördert werden. Die auf diese Weise zu ermöglichenden freien Spitzen verblieben den Ländern als „Manövriermasse“ zur eigenen Verfügung, da sie nicht in die Berechnung der Ausgleichszuweisungen einbezogen würden. Fehlanreize würden bei den Finanzentscheidungen der Länder weitestgehend vermieden, indem finanzschwache Länder angehalten wären, ihre Steueranspannung auf das normierte Länderniveau anzuheben, wollten sie nicht Gefahr laufen, Steuerkraft angerechnet zu bekommen, über die sie tatsächlich nicht verfügten. Leistungsstarke Länder wären hingegen motiviert, ihre Steuerquellen weitestgehend auszuschöpfen, um den Bürgern ein breites Angebot an öffentlichen Leistungen bieten zu können. Bevorzugen die Wähler allerdings möglichst wenig öffentliche Angebote, könnten sie die Steuerbelastungen BvF 3/03, BVerfGE 116, 327 (380); aus dem Schrifttum nur Vogel, HdbSt IV, § 87 Rn. 36. 826 So erstmals BVerfG v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (418 f.); dem folgend v. 27.05.1992, 2 BvF 1/88 u. a., BVerfGE 86, 148 (250); v. 19.10.2006, 2 BvF 3/03, BVerfGE 116, 327 (380); aus der Literatur nur Huber in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 107 Rn. 133 ff. 827 Erst jüngst hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. Oktober 2006 betont, dass Ziel des Länderfinanzausgleichs „nicht die finanzielle Gleichheit der Länder“ ist, 2 BvF 3/03, BVerfGE 116, 327 (380). 828 Vgl. Kirchhof, P., S. 60 f.; Vogel/Waldhoff in: BK, Art. 104a–115 Rn. 79 f. m.w. N. Als Obergrenze, den steuerverfassungsrechtlichen Halbteilungsgrundsatz heranzuziehen, lehnt Helbig, S. 231 ff. überzeugend ab. 829 Ebenso Heun, Der Staat 31 (1992), S. 224.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

unterdurchschnittlich absenken und gleichzeitig an Attraktivität für mobiles Kapital gewinnen. Trotz der fiktiven Nivellierungsgrößen für die landesgesetzlichen Landessteuern erfüllte ein derart gestalteter Länderfinanzausgleich die verfassungsrechtliche Forderung nach einem angemessenen Ausgleich der Finanzkraftunterschiede, da ausgehend von der normierten Vergleichsgröße ein die Eigenstaatlichkeit gewährleistender Ausgleich den bedürftigen Ländern zugestanden wird830. Um die gefundenen Vorschläge in die Praxis umzusetzen, wäre eine Änderung des derzeitigen Finanzausgleichsgesetzes mit Zustimmung des Bundesrates in Bezug auf die Ermittlung der Finanzkraft notwendig (§ 7 FAG). Die Einnahmen der landesgesetzlichen Landessteuern müssten mit einer näher zu bestimmenden Steuerkraftzahl angesetzt werden. Die Regelungen der Bemessung der Ausgleichszahlungen (§ 10 FAG) könnten unverändert bestehen bleiben. Das Grundgesetz bietet nach Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG genügend Spielraum für eine Einbeziehung von landesgesetzlichen Landessteuern in den Finanzausgleich. Insbesondere die Offenheit des Begriffs der ,Finanzkraft‘ lässt den Ansatz der potentiellen Leistungsfähigkeit für die Steuern, die der autonomen Entscheidung der Länder unterliegen, zu831.

III. Ergebnis Im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs wird die Kombination aus potentieller Steuerkraft und angemessenem Ausgleich seit vielen Jahren praktiziert. Bereits vor Einführung eines Mindesthebesatzes bei der Gewerbesteuer wurde Steuerwettbewerb durch die fiktiven Gewerbesteuerhebesätze gemildert, nicht jedoch gänzlich aufgehoben, wie das prominente Beispiel Norderfriedrichskoog beweist832. In der Regel wird eine Kommune bei der Festlegung ihrer Hebesätze nicht nur die Mehr- oder Mindereinnahmen durch die Veränderung des Hebesatzes berücksichtigen, sondern auch den Einfluss auf die Abschöpfungsquote, also die Änderung der überkommunalen Zuweisungen. Damit stellen normierte Hebesätze im kommunalen Bereich ein wirksames Mittel dar, um Steuerdumping vorzubeugen833. 830 Ob über die „freien Spitzen“ hinaus die Finanzautonomie der Länder durch ein Absenken des Ausgleichsniveaus gestärkt werden soll, ist letztlich eine politische Entscheidung. Aus finanzverfassungsrechtlicher Sicht ist dies auch bei eigenen Steuergesetzgebungskompetenzen der Bundesländer nicht zwingend; vgl. dazu auch Hey, VVDStRL 66 (2007), S. 316. 831 Ebenso Heun, Der Staat 31 (1992), S. 227 mit Fn. 125. 832 Zu dem Phänomen der Gewerbesteueroasen siehe im dritten Kapitel Seite 121 ff. 833 Ebenso Hey, FS Solms, S. 42.

B. Der allgemeine und besondere Gleichheitssatz

193

Gleichzeitig kann das Bundesland den interkommunalen Steuerwettbewerb durch den Finanzausgleich effektiv beeinflussen. Liegen die in den Gemeindefinanzgesetzen normierten Nivellierungshebesätze unterhalb des Landesdurchschnitts wird hierdurch die Wettbewerbsposition der Kommunen und damit auch des Landes selbst gestärkt. Grund dafür ist der Spielraum für die Gemeinden, niedrige Hebesätze festzulegen, ohne Nachteile im interkommunalen Finanzausgleich zu erleiden834. Andererseits werden auf diese Weise kommunale Finanzkraftunterschiede gefördert. Somit muss das Land einen verfassungsrechtlich zulässigen Mittelweg finden zwischen einer Angleichung der Finanzkraft der Kommunen durch ein hohes Ausgleichsniveau und wirtschaftsfördernder Standortpolitik durch niedrige fiktive Hebesätze835. Übertragen auf den Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG bedeuten diese Feststellungen, dass die Länder bei dem Erlass ihrer Steuergesetze die finanziellen Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich in ihrer Kalkulation berücksichtigen werden. Zugleich ist dem Bundesgesetzgeber über das Finanzausgleichsgesetz ein Instrument in die Hand gegeben, durch welches er mittelbaren Einfluss auf die Steuerpolitik der Länder nehmen kann. Insbesondere der Gefahr eines ruinösen Steuerwettbewerbs durch Absenkung der Steuersätze kann er durch eine entsprechend hohe Festschreibung der erreichbaren Landessteueraufkommen entgegenwirken. Auf der anderen Seite bietet dieses Werkzeug dem Gesetzgeber die Möglichkeit, aktiv Standortpolitik für die gesamte Bundesrepublik zu betreiben, in dem er die potentielle Steuerkraft unterdurchschnittlich ansetzt. Der Länderfinanzausgleich würde die Wirkungen des Steuerwettbewerbs sicherlich teilweise abschwächen, ihn aber nicht vollständig einebnen. Letztlich entscheidet der Bundesgesetzgeber im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes, wie viel Finanzautonomie er den Ländern effektiv zugestehen will. Um größtmögliche Gestaltungsspielräume zu erhalten, können die Länder über ihr Mitwirkungsrecht im Bundesrat versuchen, auf die Ausgestaltung des Gesetzes Einfluss zu nehmen.

B. Der allgemeine und besondere Gleichheitssatz Insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz wird regelmäßig gegen unliebsame Gesetzesvielfalt in Deutschland ins Feld geführt836. Ob durch diesen Grundsatz in einem Bundesstaat kompetenzgemäße, jedoch in der Sache diver-

834

Dazu Enß/Schwager, S. 11 ff. am Beispiel Niedersachsens. Zum Einfluss der Bundesländer auf den interkommunalen Wettbewerb durch den kommunalen Finanzausgleich siehe Lucke, FinArch n. F. 51 (1994), S. 212 ff. 836 So der Befund von Boysen, S. 100 f. m.w. N. 835

194

4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

gierende Landesgesetze übergreifend unitarisiert werden können, erscheint zweifelhaft und soll daher einer näheren Prüfung unterzogen werden.

I. Bindungswirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, bindet nach Art. 1 Abs. 3 GG auch den Gesetzgeber837, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln838. Dieser Grundsatz legt den Schluss nahe, dem Landesgesetzgeber bei der kompetenzgemäßen Erfüllung seiner Aufgabe eine bundesweit einheitliche Gesetzgebung vorzuschreiben, um Ungleichbehandlungen der Bürger über die Landesgrenze hinaus zu begegnen. Dem ist jedoch vehement zu widersprechen. Eine derart verstandene Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG widerspräche dem Bundesstaatsprinzip, das zur Wahrung regionaler Besonderheiten denknotwendig unterschiedliche Rechtsordnungen in den Bundesländern voraussetzt839. Auf Grund der föderalistischen Struktur der Bundesrepublik gilt der eingangs dargestellte Grundsatz für den Landesgesetzgeber daher grundsätzlich nur innerhalb des Geltungsbereichs seiner Landesverfassung840. Diese Aussage hat das Bundesverfassungsgericht auch in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ nochmals bekräftigt und damit den gleichheitssatzorientierten Unitarisierungsbestrebungen eine klare Absage erteilt841. Konsequenz des föderal beschränkten Anwendungsbereichs des Art. 3 Abs. 1 GG ist, dass der Landesgesetzgeber in der Regel nicht gehindert ist, innerhalb seines Kompetenzbereichs von der Gesetzgebung anderer Länder divergierende Vorschriften zu erlassen. Dies gilt auch dann, wenn die Einwohner der Bundesländer dadurch unterschiedlich belastet oder begünstigt werden. Die partikuläre Anwendbarkeit des allgemeinen Gleichheitssatzes ist die Konsequenz aus der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes, die für die Materien der Landeszuständigkeit gerade Vielfalt im Bundesgebiet und damit Ungleichbehandlungen zulassen842. Würde der allgemeine Gleichheitssatz einheitliche Rechtsordnun837 Seit BVerfG v. 23.10.1951, 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14 (52) ständige Rechtsprechung. 838 Ständige Rechtsprechung, erstmals BVerfG v. 17.12.1953, 1 BvR 147, BVerfGE 3, 58 (135). 839 Vgl. ausführlich Boysen, S. 102. 840 Grundlegend BVerfG v. 25.02.1960, 1 BvR 239/52, BVerfGE 10, 354 (371); nachfolgend stellvertretend BVerfG v. 07.11.1995, 2 BvR 413/88 u. a., BVerfGE 93, 319 (351); vgl. zum Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG im Bundesstaat Boysen, S. 102 ff. m.w. N.; überzeugend auch Engels, S. 79 ff. 841 BVerfG v. 24.10.2002, 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (145): „Unterschiedliche Rechtslagen für die Bürger sind notwendige Folge des bundesstaatlichen Aufbaus. Das Grundgesetz lässt unterschiedliche rechtliche Ordnungen in den Gliedstaaten zu und begrenzt insoweit auch eine Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG.“

B. Der allgemeine und besondere Gleichheitssatz

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gen in allen Bundesländern gebieten, widerspräche dies dem bundesstaatlichen Staatsaufbau. Diese Grundsätze hat das Bundesverfassungsgericht in seinem „numerus clausus“-Urteil vom 18. Juli 1972, zumindest scheinbar, eingeschränkt. Greift ein Lebenssachverhalt, der in die Regelungszuständigkeit des Landesgesetzgebers fällt, über die Landesgrenzen hinaus, so dass er „für alle Staatsbürger der Bundesrepublik in allen Bundesländern gleichermaßen gewährleistete Rechtspositionen berührt“, kann eine Bevorzugung der Einwohner eines Landes zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung führen843. In seinem Urteil hielt das Bundesverfassungsgericht das Recht zur freien Wahl der Ausbildungsstätte nach Art. 12 Abs. 1 GG durch die so genannte „Landeskinder-Vergünstigung“ im bayrischen Zulassungsgesetz für verletzt. Damit griff das Gericht bei seiner Prüfung auf eine grundrechtlich gewährleistete Rechtsposition zurück, die allen Deutschen im gesamten Bundesgebiet den gleichen Rechtsanspruch einräumt. Folglich ging es dem Bundesverfassungsgericht vorrangig um die Gewährleistung der Freiheitsrechte und nicht um die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf die Teilrechtsordnungen der Bundesländer844. Die Entscheidung fügt sich somit letztlich in die eingangs erwähnte Rechtsprechungslinie zur kompetenzbereichsbeschränkten Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 GG ein. Eine bundesweite Unitarisierung der in die Zuständigkeit der Länder fallenden Sachmaterien auf Grund divergierender Landesgesetze kann aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht abgeleitet werden.

II. Bindungswirkung des besonderen Gleichheitssatzes, Art. 33 Abs. 1 GG Gleiches gilt im Ergebnis für den besonderen Gleichheitssatz des Art. 33 Abs. 1 GG. Danach soll jeder Deutsche in jedem Land die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten haben. Trotz der Konkretisierungsbedürftigkeit dieser Pflichten kann zu ihnen jedenfalls die Verpflichtung, Steuern zu leisten, gezählt werden845. Aber auch innerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 33 Abs. 1 GG gilt der Gedanke der föderal bedingten Kompetenzverteilung, nach dem die Länder innerhalb ihrer Zuständigkeit ihren Bürgern von anderen Ländern abweichende Pflichten auferlegen dürfen. Lediglich innerhalb ihres Kom-

842

Engels, S. 80 f. BVerfG v. 18.07.1972, 1 BvL 32/70 u. a., BVerfGE 33, 303 (352). 844 Ebenso Boysen, S. 174 und Engels, S. 5 f., die den Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht nicht die spezielleren Gleichheitssätze nach Art. 3 Abs. 3 GG und Art. 33 Abs. 1 GG prüfte, als wichtiges Indiz für die eigentlich freiheitsrechtliche Beurteilung des Falles sehen. 845 Zu den verschiedenen Definitionsansätzen Engels, S. 173 ff. 843

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

petenzbereichs sind sie an Art. 33 Abs. 1 GG gebunden, so dass Begünstigungen oder Benachteiligungen Landesfremder rechtfertigungsbedürftig sind846.

III. Ergebnis Außerhalb eines Bundeslandes bestehende Steuerregelungen anderer Länder können keinen Gleichheitsverstoß begründen, auch wenn sie erhebliche Abweichungen beinhalten. Unterschiede in den Steuersätzen oder der Zusammensetzung der Bemessungsgrundlage wären nicht zu beanstanden, soweit sie für alle im Bundesland ansässigen Steuerpflichtigen gelten würden847. Für die Beurteilung einer Ungleichbehandlung zulässige Vergleichsgruppen können lediglich innerhalb der Landeszuständigkeit gebildet werden. Rechtfertigungsbedürftig wären demnach beispielsweise Regelungen, die Landesfremde gegenüber Einheimischen steuerlich begünstigen würden, um mobiles Kapital anzulocken. Hier würde ein und derselbe Landesgesetzgeber Differenzierungen nach der Landesangehörigkeit vornehmen, deren Zulässigkeit etwa an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen wäre. Dem entsprechend konnte das Bundesverfassungsgericht, im umgekehrten Fall einer steuerrechtlichen Begünstigung von Einheimischen bei der Zweitwohnungssteuer der Stadt Überlingen, keinen sachlich rechtfertigenden Grund für die Bevorzugung feststellen, so dass es einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu Recht bejahte848. Insoweit hat der Landesgesetzgeber den Gleichheitssatz zu beachten. Eine Beschränkung für den Steuerwettbewerb auf Landesebene folgt daraus hingegen nicht.

C. Das Recht der Freizügigkeit Zum Schutz der Freiheitsgrundrechte im Bundesstaat wird im Schrifttum teilweise auf die gemeinsame Verantwortung der Länder zum Grundrechtsschutz hingewiesen und bei Bedarf eine länderübergreifende Koordination der Gesetzgebung gefordert849. Auch das Bundesverfassungsgericht entschied in seinem „Apotheken-Urteil“ aus dem Jahr 1958, dass sich „der Gesetzgeber in Bund und Ländern als Einheit behandeln lassen“ muss, soweit es um die Gewährleistung der Freiheitsgrundrechte geht850. Zu prüfen ist daher, ob durch disparitäre 846

Näher die eingehende Begründung bei Engels, S. 87 ff. Zur verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit der von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlichen Entscheidung über die Erhebung der Lohnsummensteuer und der Höhe der Gewerbesteuerhebesätze BVerfG v. 21.12.1966, 1 BvR 33/64, BVerfGE 21, 54 (68 f.). 848 BVerfG v. 22.11.1983, 2 BvL 25/81, BVerfGE 65, 325 (354 ff.). 849 Eingehend Engels, S. 114 ff. m.w. N.; hingegen kritisch Boysen, S. 179 ff. 850 BVerfG v. 11.06.1958, 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (443); fortführend BVerfG v. 18.07.1972, 1 BvL 32/70 u. a., BVerfGE 33, 303 (352 ff.). 847

C. Das Recht der Freizügigkeit

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steuerrechtliche Regelungen in den Bundesländern das allen Deutschen zustehende Recht auf Freizügigkeit im Bundesgebiet nach Art. 11 Abs. 1 GG verletzt sein kann.

I. Eingriff in den Schutzbereich Die Freiheit, sich fortzubewegen, um einen Ortswechsel zur Begründung, Aufhebung oder Verlagerung des Aufenthalts oder des Wohnsitzes vorzunehmen851, ist betroffen, wenn das freie Ziehen behindert oder beeinträchtigt wird852. Auf Grund der strengen Beschränkungsmöglichkeiten nach Art. 11 Abs. 2 GG wird in der Literatur teilweise ein unmittelbarer Eingriff in das Recht der Freizügigkeit gefordert853, anderen genügen hingegen auch mittelbare Behinderungen der freien Ansiedlung im ganzen Bundesgebiet854. Das Bundesverfassungsgericht lässt für einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff staatliche Maßnahmen ausreichen, die nur faktisch eine beeinträchtigende Wirkung entfalten855. Daher sollte bei der Überprüfung von landesrechtlichen Steuergesetzen der weite Eingriffsbegriff des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde gelegt werden, um eine verfassungsrechtliche Absicherung der Regelungen zu erreichen.

II. Bedeutung für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene Insbesondere bei der Erbschaft- und Vermögensteuer knüpft der Besteuerungstatbestand an länderübergreifende Lebenssachverhalte, in Gestalt der in den einzelnen Bundesländern belegenen Vermögensgegenstände, an. Damit ist die Gesetzeswirkung nicht nur auf das gesetzgebende Bundesland beschränkt, sondern greift auch auf Steuerquellen anderer Länder zurück856. Die Ausübung des Grundrechts der Freizügigkeit ist durch divergierende Steuergesetze in den Bundesländern und daraus resultierende unterschiedlich hohe Steuerbelastungen nicht verletzt857. Auch wenn die unterschiedlichen Steuerrechtsregelungen Grund oder Hemmnis des Zu- oder Wegzugs sind, sind die Grundrechtsinhaber 851 Ebenso ist durch Art. 11 Abs. 1 GG die negative Freizügigkeit geschützt, also das Recht, einen Ortswechsel nicht vorzunehmen. 852 BVerfG v. 06.06.1989, 1 BvR 921/85, BVerfGE 80, 137 (150) m.w. N. 853 Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 11 Rn. 19; Krüger/Pagenkopf in: Sachs, Art. 11 Rn. 20. 854 So Pernice in: Dreier, Art. 11 Rn. 22; Gusy in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 11 Rn. 49. 855 BVerfG v. 17.03.2004, 2 BvR 1266/00, BVerfGE 110, 177 (191) m.w. N. 856 Zur daraus resultierenden innerstaatlichen Doppelbesteuerungsproblematik siehe das dritte Kapitel. 857 Ebenso Gusy in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 11 Rn. 49; Kunig in: v. Münch/ Kunig, Art. 11 Rn. 20; aus diesem Grund prüfte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 6. Dezember 1983 – 2 BvR 1275/79 – zur Zweitwohnungssteuer

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

nicht gehindert, ihren Wohnsitz oder Aufenthalt innerhalb Deutschlands frei zu wählen858. Das Besteuerungsrecht im Zuzugsbundesland ist lediglich Nebenfolge der Wohnsitzbegründung und erfolgt nicht wegen des Zuzugs859. Einer gesonderten Betrachtung bedürfen jedoch etwaige landesgesetzliche Vorschriften, die eine Wegzugsbesteuerung zur Folge haben und damit faktisch die Ausübung des Freizügigkeitsrechts stark einschränken860. Diese Möglichkeit wurde beispielsweise im dritten Kapitel bei der Erbschaftsteuer als Gegenmaßnahme zu extremen Abwanderungsbewegungen erwogen861. Ziel der zeitlichen Ausweitung der unbeschränkten Steuerpflicht ist es, den Grundrechtsinhaber an den Ort seines Wohnsitzes zu binden, um einen Verlust von Steuersubstrat zu verhindern. Daher drohen dem Grundrechtsinhaber, als Schenker, oder dem Erwerber beziehungsweise Erben im Schenkungs- oder Erbfalle beträchtliche wirtschaftliche Nachteile in Gestalt von innerstaatlichen Doppelbesteuerungen. In dieser gesetzgeberischen Gestaltung der Länder muss eine zielgerichtete und unzumutbare Beeinträchtigung der Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG gesehen werden862. Von einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nach Art. 11 Abs. 2 GG ist in diesen Fällen nicht auszugehen, da bei den betroffenen Grundrechtsinhabern weder die Lebensgrundlage nicht gesichert wäre, noch eine andere der in Art. 11 Abs. 2 GG enumerativ erwähnten Gefahren bestünde. Die Sicherung von Steuersubstrat reicht hierfür nicht aus. Existieren jedoch Regelungen, die in solchen Fällen eine innerstaatliche Doppelbesteuerung bundesweit vermeiden, etwa in Form eines Doppelbesteuerungsgesetzes des Bundes, gelangt man zu einem konträren Ergebnis. Eine finanzielle Benachteiligung des Grundrechtsinhabers entfällt, so dass die Freiheit des Ortswechsels ungehindert gewährleistet wäre863. Ein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 GG wäre insoweit nicht zu verzeichnen.

der Stadt Überlingen nur Art. 3 GG und nicht Art. 11 GG (BVerfGE 65, 325 (354 ff.)); weitere Nachweise bei Krüger/Pagenkopf in: Sachs, Art. 11 Rn. 21. 858 Vgl. BFH v. 11.07.1961, I 162/59 S, BFHE 73, 387 (393) zur damaligen Erhebung einer erhöhten Gewerbesteuer auf gewerbliche Zweigstellen. 859 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Ansiedlungsleistungen, die anlässlich eines Anzugs erhoben werden BVerwG v. 14.05.1969, IV C 98/66, Buchholz 406.11 § 186 BBauG Nr. 2, S. 4. 860 Dazu allgemein Boysen, S. 211 f. 861 Dazu im dritten Kapitel Seite 133. 862 Vergleichbar zum Wohnungszuweisungsgesetz 1996 für Aus- und Übersiedler BVerfG v. 17.03.2004, 2 BvR 1266/00, BVerfGE 110, 177 (191 f.); vgl. auch Koops/ Völker, DStR 1998, S. 1457. 863 Dies entspricht dem Ergebnis auf europäischer Ebene im Verhältnis der derzeitigen erweiterten unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht zum Recht der Freizügigkeit (Art. 18 EG), dazu Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher, § 2 Rn. 21a.

D. Das Prinzip der Bundestreue

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III. Ergebnis Soweit und solange innerstaatlicher Doppelbesteuerung bundesweit vorgebeugt wird, steht Art. 11 Abs. 1 GG einem Steuerwettbewerb auf Landesebene nicht entgegen. Lediglich steuerliche Regelungen, die an den Wegzug nachteilige Rechtsfolgen knüpfen, könnten die Freizügigkeit im Bundesgebiet verletzen, wenn dadurch gezielte Mehrfachbelastungen für die Grundrechtsinhaber entstünden. Damit erscheint innerhalb Deutschlands eine Wegzugsbesteuerung als überflüssig, da entweder der gewünschte Belastungseffekt durch Vorschriften zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung egalisiert werden würde oder anderenfalls ein Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 GG drohte.

D. Das Prinzip der Bundestreue Im Zusammenhang mit einem Steuerwettbewerb wird wiederholt auf die Gefahr eines „race to the bottom“ verwiesen864. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die Hoheitsträger wettbewerbsbedingt ihre Steuerbelastungen bis in ein ruinöses Ausmaß hinein absenken, um beim Werben um mobiles Kapital zu bestehen. Ob diese Gefahr bei einem Steuerwettbewerb auf Landesebene entstehen kann, muss in Frage gestellt werden. Wie zuvor herausgearbeitet bietet bereits der Länderfinanzausgleich im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes die Möglichkeit, Steuerdumping durch normierte Nivellierungsgrößen bei den landesgesetzlich geregelten Steuern effektiv vorzubeugen865. Zusätzlich könnte innerhalb Deutschlands, im Gegensatz zur internationalen Ebene, der föderale Staatsaufbau einer Steuersenkungsspirale entgegenwirken. Im Bundesstaat haben die Länder nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts „die verfassungsrechtliche Pflicht, dem Wesen des sie verbindenden verfassungsrechtlichen „Bündnisses“ entsprechend zusammenzuwirken und zu einer Festigung und zur Wahrung der wohlverstandenen Belange des Bundes und der Glieder beizutragen“866.

I. Inhalt des Bundestreueprinzips Die Kompetenzordnung des Grundgesetzes teilt die Zuständigkeiten für die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtsprechung im Verhältnis von Bund und Ländern abschließend auf. Die Ausübung der Bund und Ländern nach der Verfassung zugewiesenen Kompetenzen ist durch sie ohne weiteres zulässig. 864 Zu den Gefahren im internationalen Steuerwettbewerb Hey, S. 104 f.; Esser, IFSt-Schrift Nr. 422 (2004), S. 16 ff. Esser stellt jedoch fest, dass weniger Ökonomen aus Föderalstaaten, in denen bereits ein Steuerwettbewerb auf der Ebene der Gliedstaaten möglich ist, vor einem „race to the bottom“ warnen, (ebd., S. 17). 865 Dazu in diesem Kapitel Seite 183 ff. 866 BVerfG v. 26.03.1957, 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (361) m.w. N.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Trotz der klaren Kompetenzzuordnung gibt es jedoch immer wieder Fälle, in denen eine kompetenzgemäße Betätigung auf der einen Ebene nachteilige Auswirkungen für den anderen Kompetenzträger mit sich bringt867. Zwar sind diese Wechselwirkungen in einem Bundesstaat grundsätzlich zu akzeptieren, allerdings ist die Grenze des Vertretbaren erreicht, wenn die Kompetenzverteilungsregeln der Verfassung zu unauflöslichen „Blockaden im bestehenden bundesstaatlichen System“868 führen würden. Hier bestimmt das ungeschriebene Verfassungsprinzip der Bundestreue nach allgemeiner Meinung durch wechselseitige Verpflichtungen der Rücksichtnahme die Art und Weise des Umgangs miteinander869. Es kommt somit dann zum Tragen, wenn es um einen Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen dem Recht zur Ausübung einer dem Bund oder dem Land zustehenden Kompetenz und der mit ihrem Handeln verknüpften föderalen Pflicht zur Rücksichtnahme auf die schützenswerten Interessen der anderen Mitglieder des Bundesstaates geht870. Dabei findet das Prinzip der Bundestreue nicht nur auf das Verhalten des Bundes gegenüber den Ländern und der Länder gegenüber dem Bund Anwendung, sondern auch auf das Verhältnis der Länder untereinander871, da die Länder im Bundesstaat als gleichrangige Teile in einer Art Partnerschaftsverhältnis sowohl zueinander als auch zum Bund stehen872. Obwohl in der Verfassung nicht ausdrücklich normiert, hat sich der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens873 zum festen Bestandteil der föderalen Ordnung entwickelt874. Über die Rechtsgrundlage besteht jedoch keine Einigkeit. Stellt das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zur Begründung der Bundestreue auf das bündische Prinzip875 und damit zu Recht auf das 867

So Jestaedt, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 73 m.w. N. Jestaedt, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 73. 869 Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. 61. Aus den zahlreichen Veröffentlichungen zum Prinzip der Bundestreue siehe Bayer, Die Bundestreue (1961); Bauer, Die Bundestreue (1992); Hesse, Der unitarische Bundesstaat (1962), S. 6 ff.; Isensee, HdbSt IV, § 98 Rn. 151 ff.; Jestaedt, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 73 ff.; Bleckmann, JZ 1991, S. 900 ff.; siehe auch Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht (1998), S. 480 ff. 870 Bayer, S. 62. 871 BVerfG v. 15.11.1971, 2 BvF 1/70, BVerfGE 32, 199 (218). 872 So die Begründung von Bayer, S. 59; allgemein zum Rangverhältnis zwischen dem Bund und den Ländern Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. 57 ff. 873 Synonym gebraucht für das Prinzip der Bundestreue, dazu Hesse, S. 6 Fn. 31 m.w. N. 874 Bauer in: Dreier, Art. 20 (Bundesstaat), Rn. 38; Bleckmann, JZ 1991, S. 900 ff.; Faller, FS Maunz, S. 53 ff.; Isensee, HdbSt IV, § 98 Rn. 152 f. Kritisch hingegen Hesse, S. 7 ff.: „Bei näherem Zusehen zeigt sich indessen, daß dieser ungeschriebene Verfassungsgrundsatz der geschriebenen Verfassung und den gesicherten Rechtsgrundsätzen ohne Notwendigkeit hinzugefügt wird.“ 875 Ausgehend von BVerfG v. 21.05.1952, 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299 (315), seit dem ständige Rechtsprechung stellvertretend BVerfG v. 26.03.1957, 2 BvG 1/55, 868

D. Das Prinzip der Bundestreue

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Bundesstaatsprinzip ab876, erwägen andere Autoren in der Literatur eine Herleitung aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben877 oder aus Art. 72 Abs. 2 GG878. Die dogmatische Begründung des Verfassungsprinzips soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden. Inhaltlich herrscht in dem für diese Untersuchung maßgebendem Teilbereich ein weitgehender Konsens. Eines der Hauptanwendungsgebiete der Bundestreue879 ist die Ausübung der Gesetzgebungskompetenz durch Bund und Länder, sowohl im Bereich der ausschließlichen als auch der konkurrierenden Gesetzgebung880. Bereits Bayer unterschied in seiner 1961 veröffentlichten Untersuchung einerseits zwischen der Frage, „ob“ der Bund oder das Land von seinem jeweiligen Gesetzgebungsrecht überhaupt Gebrauch machen darf und andererseits zwischen den Fällen, in denen das „wie“, also die inhaltliche Ausgestaltung der Gesetzgebungsbefugnis, in Frage steht881. Diese Unterscheidung basiert auf dem Gedanken, dass die Bundestreue keine eigenständige Kompetenz begründet, sondern die Existenz einer solchen voraussetzt882. In Rechtsprechung und Literatur ist diese Grundvoraussetzung, jedenfalls in Bezug auf die Gesetzgebung, allgemein anerkannt883. Der akzessorische Charakter reduziert den Anwendungsbereich der Bundestreue daher auf die Ebene der Kompetenzausübung, wo sie unter bestimmten Voraussetzungen als Schranke wirkt884. Als Generalklausel885 ist die Bundestreue auf BVerfGE 6, 309 (361); v. 28.02.1961, 2 BvG 1, 2/60, BVerfGE 12, 205 (254); v. 26.07.1972, 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9 (20); v. 08.02.1977, 1 BvF u. a., BVerfGE 43, 291 (348). 876 Dieses Ergebnis begrüßt Herzog in: Maunz/Dürig, Art. 20 Rn. 63; siehe auch Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Abs. 1 Rn. 37; Jestaedt, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 73. 877 Bauer, S. 245 ff.; ders. in: Dreier, Art. 20 (Bundesstaat) Rn. 39; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 68. 878 Bleckmann, JZ 1991, S. 901 ff. zu Art. 72 Abs. 2 GG 1949. 879 Zu weiteren Anwendungsbereichen Bauer, S. 327 ff. 880 Die Anwendung für das Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung betont ausdrücklich Bayer, S. 109 f., in dem er feststellt: „Das Prinzip der Bundestreue ist seinem Wesen nach unteilbar, und wenn die Spruchpraxis zu diesem Prinzip ausschließlich eine einzige Gesetzgebungsart berücksichtigen konnte, vermittelt sie ein unvollkommenes Bild.“ Vgl. auch Stettner in: Dreier, Art. 70 Rn. 36. 881 Bayer, S. 62, 100 und 105; ebenso später Bauer, S. 328. 882 Bayer, S. 63. 883 Aus der Rechtsprechung: BVerfG v. 26.07.1972, 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9 (44); v. 22.05.1990, 2 BvG 1/88, BVerfGE 81, 310 (337); aus der Literatur: Faller, FS Maunz, S. 61 f.; Isensee, HdbSt IV, § 98 Rn. 156 f.; Jestaedt, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 75; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 69; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 20 Abs. 1 Rn. 37; Stettner in: Dreier, Art. 70 Rn. 35. Bauer will eine strenge akzessorische Ausgestaltung der Bundestreue auf bestehende konkrete Rechtsverhältnisse in dieser Allgemeinheit nicht gelten lassen. In beschränkten Umfang übernehme der Grundsatz selbständig pflichtenbegründende Funktion (S. 335 ff.) 884 BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (140); v. 28.02.1961, 2 BvG 1, 2/60, BVerfGE 12, 205 (254); v. 26.07.1972, 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Konkretisierung angewiesen. Das Bundesverfassungsgericht fordert für die Wirkung als Ausübungsschranke eine „missbräuchliche Interessenwahrnehmung“ des Bundes oder des Landes886. Diese noch recht allgemeine Aussage des Gerichts konkretisierte Bauer dahingehend, dass „die Ausübung eines Rechts unzulässig sein kann, wenn der Rechtsinhaber keine berechtigten Interessen verfolgt oder überwiegend Belange des bzw. der anderen Beteiligten entgegenstehen und die Rechtsausübung zu einer gravierenden Störung der bundesstaatlichen Ordnung führen würde“887. Einen auf ein „föderatives Missbrauchsverbot“ reduzierten Anwendungsbereich fordert Boysen unter Hinweis auf die Eigenstaatlichkeit der Länder und das Demokratieprinzip888. Für den Bereich der Gesetzgebung lässt sich festhalten, dass die Rechtspflicht zum bundesfreundlichen Verhalten die bestehende Gesetzgebungskompetenz der Länder im Einzelfall beschränken kann, wenn dadurch die Funktionsfähigkeit der bundesstaatlichen Ordnung unmittelbar gefährdet ist. Insbesondere bei landesgesetzlichen Regelungen, deren Auswirkungen nicht auf den Raum eines Landes beschränkt sind, bedarf es einer besonderen Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Bundesländer889.

II. Rechtsfolgen des Bundestreueprinzips Kommt das Prinzip der Bundestreue zur Anwendung, ergeben sich für den jeweiligen Kompetenzträger je nach Verhalten unterschiedliche Handlungs- und Unterlassungspflichten890. Wie bereits angedeutet, ist eine der wichtigsten Pflichten für die Länder, Rücksicht auf die Interessen der anderen Länder und des Bundes zu nehmen. Dabei sind insbesondere die finanziellen Auswirkungen eines Gesetzes für die finanzschwächeren Länder zu berücksichtigen, um das

(21); v. 07.11.2002, 2 BvR 1053/98, BVerfGE 106, 225 (243); Isensee, HdbSt IV, § 98 Rn. 157; Jestaedt, HdbSt II, 3. Aufl. 2004, § 29 Rn. 75; Sachs in: Sachs, Art. 20 Rn. 70; Stettner in: Dreier, Art. 70 Rn. 35. 885 Kritisch äußerte sich hierzu in jüngster Zeit Boysen, S. 227 unter Bezugnahme auf Oeter, S. 482 f. und Hesse, S. 7 ff. Bei der Bundestreue handele es sich um einen „Blankettbegriff“, über den verfassungspolitische Vorstellungen von Rechtsprechung und Lehre Eingang in das Recht finden. 886 BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (140); v. 24.07.1962, 2 BvF 4/61 u. a., BVerfGE 14, 197 (215); v. 19.10.1982, 2 BvF 1/81, BVerfGE 61, 149 (205); v. 22.05.1990, 2 BvG 1/88, BVerfGE 81, 310 (337). 887 Bauer, S. 357. 888 Boysen, S. 228 ff. 889 BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (140); v. 26.03.1957, 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309 (361); v. 30.01.1973, 2 BvH 1/72, BVerfGE 34, 216 (232). 890 Eine Zusammenstellung aller Handlungs- und Unterlassungspflichten findet sich bei Isensee, HdbSt IV, § 98 Rn. 158 f. jeweils mit weiteren Nachweisen.

D. Das Prinzip der Bundestreue

203

Gesamtgefüge der öffentlichen Haushalte nicht zu gefährden891. Folge der besonderen Rücksichtnahme ist das Verbot, seine Kompetenzen missbräuchlich gegen andere Kompetenzträger einzusetzen892. Ein Landesgesetz, welches unter Verstoß gegen diese Pflichten erlassen wurde, ist verfassungswidrig. Somit ergeben sich aus den genannten Pflichten bereits bei der Ausübung der Kompetenzen Beschränkungen. In der Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts wurde ein Verstoß gegen das Gebot bundesfreundlichen Verhaltens, soweit ersichtlich, nur in wenigen Fällen bejaht893. Das Gericht selbst begründet die seltene Anwendung damit, dass mit dem Gebot der Bundestreue nicht nur Bagatellen verhindert werden sollen894. Die äußerste Zurückhaltung des Gerichts, welches sich auf eine Evidenzkontrolle beschränkt895, hängt aber auch mit der Entwicklungsoffenheit des Prinzips zusammen, welches eine gewisse Unsicherheit bei der Anwendung mit sich bringt. Daher ist die restriktive Handhabung des Prinzips der Bundestreue sehr zu begrüßen896. Gerade das Bund-Länder-Verhältnis ist durch zahlreiche Vorschriften im Grundgesetz weit reichend kodifiziert. Zur Beschränkung der bundesstaatlichen Vielfalt sollte nur in seltenen Ausnahmefällen auf das ungeschriebene Verfassungsprinzip zurückgegriffen werden, in der die bestehenden Kompetenzverteilungsregeln zu einem unlösbaren Konflikt führen, der wie eine „Zeitbombe“ auf das gesamte bundesstaatliche System wirkt897.

III. Bedeutung für einen Steuerwettbewerb auf Landesebene Überträgt man die allgemeinen Grundsätze der Bundestreue auf den Sachbereich der Steuergesetzgebung, so wird deutlich, dass ein Land bei der Ausübung der ihm zustehenden Kompetenzen nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG Rücksicht auf die finanziellen Belange und andere schüt891 Im Ansatz BVerfG v. 10.12.1953, 2 BvQ 1, 2/53, BVerfGE 3, 52 (57); ausdrücklich dann BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (140); v. 28.02.1961, 2 BvG 1, 2/60, BVerfGE 12, 205 (254); v. 15.11.1971, 2 BvF 1/70, BVerfGE 32, 199 (218 f.) mit abw. Meinung der Richter Geller, Rupp und Wand (ebd., S. 238 ff.). 892 BVerfG v. 08.02.1977, 1 BvF 1/76 u. a., BVerfGE 43, 291 (348). 893 Siehe die Entscheidungsformeln in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 30.07.1958, 2 BvG 1/58, BVerfGE 8, 122 (124, 138 ff.) und vom 28.02.1961, 2 BvG 1, 2/60, BVerfGE 12, 205 (207, 255 ff.). 894 BVerfG v. 26.07.1972, 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9 (45). 895 So BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (140 f.). 896 Ebenso Bauer, S. 374 ff. 897 Massive Bedenken gegen eine über ein Missbrauchsverbot hinausgehende Anwendung der Bundestreue äußert Boysen, S. 228 ff.; für einen bewussteren Umgang plädiert Oeter, S. 485 jeweils m.w. N.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

zenswerte Interessen der übrigen Bundesländer nehmen muss. Dabei ist besonnenes Handeln nicht nur unter Berücksichtigung der einzelnen Haushalte der Länder gefordert, sondern im Hinblick auf das gesamte Haushaltsgefüge der Bundesrepublik. Allerdings wäre Folge eines Verstoßes eines Landes gegen den Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens lediglich eine Beschränkung der Kompetenzausübung, und falls die gesetzliche Regelung bereits existent wäre, ihre Unwirksamkeit. Auf Grund des akzessorischen Charakters des Verfassungsgrundsatzes könnte hingegen keine Kompetenzverschiebung, hin zu einer Eingriffsbefugnis des Bundes in das Gesetzgebungsrecht der Länder, begründet werden, da die Zuständigkeiten zur Gesetzgebung abschließend durch Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG verteilt werden. Konkrete Handlungspflichten der Länder, etwa in Form einer Verständigung auf einheitliche Bemessungsgrundlagen, könnten ebenfalls nicht aus dem Prinzip der Bundestreue abgeleitet werden, da aus ihr keine Pflicht zur Koordination der Gesetzgebung unter den Ländern folgt898. An die Voraussetzungen für ein Eingreifen der Bundestreue in die durch die verfassungsrechtliche Ordnung zugewiesenen Kompetenzen sind hohe Anforderungen zu stellen. Damit nicht in jedem Bagatellfall die Kompetenzausübung nahe zu beliebig einschränkt wird, ist ein grober Missbrauch der Gesetzgebungsbefugnisse durch den jeweiligen Kompetenzträger erforderlich899. Wann ein solcher gegeben ist, kann nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden. Im Bereich der Steuergesetzgebung könnte dies bei grob unfairen Regelungen oder bei einem rücksichtslosen, ruinösen Steuerwettbewerb der Fall sein. Zur konkreten Beurteilung, wann steuerliche Regelungen auf Landesebene ein schädigendes Ausmaß im Einzelfall annähmen und damit die Grenzen der Gesetzgebungsbefugnis erreicht wären, könnte auf europäische und internationale Initiativen zur Bekämpfung schädlichen Steuerwettbewerbs zurückgegriffen werden. In der Europäischen Union wurde Ende 1997 für den Bereich der Unternehmensbesteuerung ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs beschlossen900. Danach sind steuerliche Maßnahmen als schädlich einzustufen, wenn sie zum einen für eine Unternehmenstätigkeit zweckmäßig sind, um die Standortwahl entscheidend zu beeinflussen (Kriterium A), und zum anderen, wenn sie „gemessen an den üblicherweise in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Besteuerungsniveaus eine deutlich niedrigere Effektiv-

898 Im Ergebnis auch Bauer, S. 349 f.; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 20 Abs. 1 Rn. 42. 899 Siehe Stettner in: Dreier, Art. 70 Rn. 35. 900 Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung vom 01.12.1997, ABl. EG 1998 C Nr. 2/2 ff. Anlage 1; dazu die Stellungnahme des Bundesrates vom 28.11. 1997 abgedr. in BR-Drs. 814/97.

D. Das Prinzip der Bundestreue

205

besteuerung, einschließlich einer Nullbesteuerung, bewirken“ (Kriterium B)901. Bei der Bestimmung des Steuerniveaus des jeweiligen Staates sind der Nominalsteuersatz, die Besteuerungsgrundlage und gegebenenfalls andere beeinflussende Faktoren heranzuziehen. Für eine Einstufung als schädliche Maßnahme müssen zusätzliche Kriterien hinzukommen, etwa dass die „Vorteile ausschließlich Gebietsfremden oder für Transaktionen mit Gebietsfremden gewährt werden“ oder dass „es den Maßnahmen an Transparenz mangelt, einschließlich der Fälle einer laxeren und undurchsichtigeren Handhabung der Rechtsvorschriften auf Verwaltungsebene“902. Niedrige Steuersätze an sich stellen demzufolge noch keine schädlichen Maßnahmen dar903. Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat 1998 einen Versuch unternommen, schädlichen Steuerwettbewerb auf internationaler Ebene zu definieren904. Dabei unterscheidet die OECD zwischen Steueroasen und schädlichen Steuerpräferenzen905. Hauptindiz für das Vorliegen einer Steueroase ist ein Steuersatz von Null von Hundert oder das Vorhandensein eines lediglich nominalen Steuersatzes. Hinzutreten müssen Informationsdefizite und fehlende Transparenz906. Schädliche Steuerpräferenzen sind hingegen Steuervergünstigungen, die anders als die Regelbesteuerung eine niedrige effektive Steuer bedingen907. Dieses Kriterium reicht für eine Beurteilung allein jedoch nicht aus. Auch diesbezüglich müssen weitere Hauptkriterien hinzukommen. Vorausgesetzt wird eine Abschottung von der inländischen Wirtschaft, mangelnde Transparenz und fehlender Informationsaustausch mit anderen Staaten908. 901 Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung vom 01.12.1997, ABl. EG 1998 C Nr. 2/3. 902 Eine Übersicht der Maßnahmen, die von der Europäischen Union als schädlich eingestuft wurden, ist in dem Bericht der Arbeitsgruppe „Verhaltenskodex“ unter Leitung der damaligen Staatssekretärin im Britischen Schatzamt Primarolo (ebd., S. 180 ff., Anlage C) zu entnehmen; dem Rat (ECOFIN) vorgelegt am 29.11.1999, veröffentlicht nach Zustimmung des Rates vom 28.02.2000; zu dem Bericht Esser, IFSt-Schrift Nr. 427 (2005) S. 58 f. 903 So auch Monatsbericht 9.2004 des Bundesministeriums der Finanzen, S. 37. 904 „Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue“. Ausführlich zur Initiative der OECD Esser, IFSt-Schrift Nr. 427, S. 37 ff.; siehe auch Monatsbericht 9.2004 des Bundesministeriums der Finanzen, S. 50 ff. 905 Vgl. OECD „Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue“ (1998), S. 22 ff. 906 Zu den Berichten der OECD aus den Jahren 2000 und 2001 Esser, IFSt-Schrift Nr. 427, S. 38 ff. Danach handelt es sich bei den als Steueroasen qualifizierten Staaten meist um „Zwergstaaten oder -territorien“, die für die Industriestaaten als Produktionsstätte keine Konkurrenz darstellen. Vorrangig werden extrem mobile Einkunftsquellen in diese Bereiche verlegt. 907 OECD „Harmful Tax Competition: An Emerging Global Issue“ (1998), S. 25 ff.; Esser, IFSt-Schrift Nr. 427, S. 37 und 42 ff. 908 Näher Esser, IFSt-Schrift Nr. 427, S. 42 ff.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Abgeleitet aus den Vorgaben der Europäischen Union und der OECD könnte innerhalb Deutschlands anhand folgender Kriterien eine steuerliche Landesregelung als „schädlich“ identifiziert werden. Dazu müsste eine massive Gefährdung des bundesstaatlichen Systems, insbesondere eine Bedrohung der steuerlichen Finanzierungsfähigkeit eines Bundeslandes oder eine Gefahr für das Finanzgefüge des Bundes vorliegen und • die effektive steuerliche Belastung auf Grund der Regelung deutlich unter dem sonstigen Besteuerungsniveau im Bundesland liegen909 und/oder • die Regelung ausschließlich noch nicht im Bundesland ansässige Normadressaten begünstigen und/oder • es hinsichtlich der Regelung an Transparenz und an Kontrollmöglichkeiten fehlen. Niedrige Steuersätze allein wären damit in den Bundesländern zulässig, wenn keines der soeben genannten Kriterien zusätzlich verwirklicht wäre. Erst wenn ein Land seine effektive Steuerbelastung bei den oben untersuchten Landessteuern derart weit absenken würde, dass die anderen Länder sich gezwungen sähen, ebenfalls ihre Belastungen zu reduzieren, um im Konkurrenzkampf um das mobile Kapital mitwirken zu können, und es dadurch bei einigen Ländern zu (existenz-)bedrohlichen, finanziellen Schwierigkeiten kommen würde, bestünde eine Gefahr für den Bundesstaat. Gleiches gilt, wenn ein Bundesland beispielsweise gezielt umfangreiche Steuervergünstigungen ausschließlich an Steuerpflichtige aus anderen Bundesländern gewähren würde, unter der Voraussetzung, dass diese ihren Standort in das Bundesland verlagern910. Solche oder ähnliche Steuervergünstigungen, die zu einem grob unfairen Steuerwettbewerb führen würden, widersprächen der Zielrichtung der bundesstaatlichen Ordnung. Die Länder haben sich auch in ihrer Gesetzgebung der Bewahrung des Gesamtwohls unterzuordnen911. Sie dürfen nicht egoistisch ihre Interessen auf Kosten der anderen Bundesländer verfolgen, sondern müssen Rücksicht auf das gesamte Haushaltsgefüge in Deutschland nehmen. Im Bundesstaat sind sie gerade verpflichtet, zur Wahrung der föderalen Ziele zusammenzuwirken, was jedoch keine inhaltliche Vereinheitlichung der Landesgesetze bedeutet.

909 Das effektive Steuerniveau berechnet sich nach dem nominalen Steuersatz und der Bemessungsgrundlage. 910 Zur Beschränkung derartiger Regelungen durch den Gleichheitssatz in diesem Kapitel Seite 196. 911 So bereits BVerfG v. 01.12.1954, 2 BvG 1/54, BVerfGE 4, 115 (141).

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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IV. Ergebnis Mit dem ungeschriebenen Verfassungsprinzip der Bundestreue steht gegen innerstaatliche Risiken eines extremen Steuerwettbewerbs für die bundesstaatliche Ordnung ein wirksames Instrument zur Verfügung. Im Gegensatz zur internationalen Ebene folgen aus dem Verfassungsgebot konkrete, durchsetzbare Verhaltenspflichten für die Länder bei der Gesetzgebung und nicht nur unverbindliche, auf Selbstverpflichtung angewiesene Vorgaben. Verletzt ein Bundesland die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der anderen Mitglieder können diese ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG anstreben. In der Praxis wird dieses ohnehin nur für Ausnahmesituationen entwickelte Instrumentarium voraussichtlich höchst selten zum Einsatz kommen, da selbst auf internationaler Ebene ein ruinöser Steuerwettbewerb empirisch nicht belegbar ist912. Häufig ist die Warnung vor unfairen Praktiken und ruinösen Auswirkungen von Steuerwettbewerb mit der Sorge vor dem Verlust politischer Einflussnahme auf die steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten verbunden913. Darüber hinaus würde der Länderfinanzausgleich bereits radikalen Steuersenkungsvorhaben der Länder vorbeugen, soweit er fiktive Steuererträge bei der Berechnung der Finanzkraft zu Grunde legt914.

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG Nachfolgend wird die aktuell bestehende Gesetzessituation im Steuerrecht in Bezug auf die Gesetzgebungsmöglichkeiten der Bundesländer beleuchtet. Für alle im dritten Kapitel untersuchten Landessteuern existieren derzeit Steuergesetze des Bundes. Hierdurch könnte die Gestaltungsfreiheit der Länder in der Gesetzgebungspraxis massiv eingeschränkt sein. Im Zusammenhang mit der Reform des Art. 72 Abs. 2 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber 1994 mit Art. 125a Abs. 2 GG und Art. 72 Abs. 3 GG 1994 (seit dem 1. September 2006: Art. 72 Abs. 4 GG915) zwei neue Vorschriften geschaffen, die die Kollisionsfälle von altem, damals kompetenzgemäßem und daher immer noch bestehendem Bundesrecht und den neu gewonnenen Landesgesetzgebungskompetenzen lösen sollen. Zunächst soll Art. 125a Abs. 2 GG untersucht werden916.

912

Monatsbericht 9.2004 des Bundesministeriums der Finanzen, S. 37. Hierzu Monatsbericht 9.2004 des Bundesministeriums der Finanzen, S. 37, wo es heißt: „Weitgehend unstrittig ist auch, dass internationaler Steuerwettbewerb die (Um-)Verteilungsspielräume staatlicher Politik einengt.“ 914 Siehe dazu in diesem Kapitel Seite 183 ff. 915 BGBl. I 2006, S. 2034. 916 Zu Art. 72 Abs. 4 GG später in diesem Kapitel (Seite 226 f.). 913

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

I. Fortgeltung von Bundessteuergesetzen Bundessteuerrecht, welches unter der alten „Bedürfnisklausel“ nach Art. 72 Abs. 2 GG 1949 erlassen wurde, gilt nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG weiter fort917. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist, dass es sich bei dem Gesetz um Bundesrecht handelt, welches auf Grund der alten „Bedürfnisklausel“ zulässigerweise erlassen wurde, jedoch den heutigen Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht mehr gerecht wird918. Da die Sachmaterie des Steuerrechts der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegt und Art. 72 Abs. 2 GG 1949 im Gesetzgebungsverfahren aller der im dritten Kapitel untersuchten Landessteuern zu berücksichtigen war, gilt Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG insoweit unmittelbar für die in diesem Bereich bestehenden Bundessteuergesetze. Demzufolge behalten sie auch nach der Verfassungsreform von 1994 uneingeschränkt ihre Geltungskraft als Bundesrecht919 und schließen die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG auf Grund der Vorrangwirkung von ihrem Gesetzgebungsrecht aus920. Zwar steht dem Bundesgesetzgeber nach Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG eine Freigabekompetenz zu, solange er davon jedoch keinen Gebrauch macht, können und dürfen die Bundesländer die durch die neue „Erforderlichkeitsklausel“ des Art. 72 Abs. 2 GG gewonnenen Gesetzgebungsspielräume nicht nutzen.

II. Freigabekompetenz des Bundes contra Öffnungsanspruch der Länder Die in Satz 2 von Art. 125a Abs. 2 GG normierte Freigabekompetenz des Bundes stellt im bundesstaatlichen Kompetenzgefüge ein Novum dar921. Durch ein obligatorisches Öffnungsgesetz des Bundes, welches nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, werden die Länder nicht ermächtigt, sondern lediglich wieder berechtigt, legislativ tätig zu werden. Rechtstechnisch hebt das Gesetz

917 Der Begriff „Fortgeltung“ wirft in rechtstheoretischer Hinsicht Fragen auf. Mögliche Antworten mit weiterführenden Nachweisen gibt Lindner, NJW 2005, S. 399 Fn. 7 wieder. 918 Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 14. 919 Allgemein BVerfG v. 09.06.2004, 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (29); Lindner, NJW 2005, S. 400; Uhle, DÖV 2006, S. 377; Degenhart in: Sachs, Art. 125a Rn. 7; Kirn in: v. Münch/Kunig, Art. 125a Rn. 4; Scholz in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 38. Lfg. 2001, Rn. 11; Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 39; Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 18. 920 Allgemein Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 39; Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 18. 921 Die Vorschrift hält Degenhart in: Sachs, Art. 125a Rn. 9 für verfassungspolitisch verfehlt.

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG auf922. Den Ländern ist es danach anheim gestellt, von ihrem wieder gewonnenen Gesetzgebungsrecht Gebrauch zu machen und das bestehende Bundesrecht zu ersetzen. Aus diesem Grund darf das Öffnungsgesetz des Bundes keine Gesetzgebungsverpflichtung enthalten923. Selbst nach der Freigabe einer Regelungsmaterie an die Länder ist das bestehende Recht weiterhin als Bundesrecht zu qualifizieren, solange die Länder nicht eigene Regelungen geschaffen haben924. Die Entscheidung des Bundes „ob“ er die Sachmaterie in die Regelungsbefugnis der Länder zurückgibt, steht in seinem freien Ermessen925, da der Wortlaut des Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG ausdrücklich besagt: „Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, . . .926“. Dies entspricht dem Konzept des Art. 72 Abs. 4 GG927. Gleiches gilt für den Umfang der Freigabe. Der Bund kann in dem Freigabegesetz festlegen, dass die Länder lediglich in einem Teilbereich der bislang durch ihn geregelten Gesetzesmaterie befugt sind, eigene Normen zu erlassen928. Danach könnte er beispielsweise landeseigene Steuersätze zulassen929. Fraglich ist, ob der Bund unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet sein kann, den Ländern die Ersetzungsbefugnis zu erteilen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Ladenschlussgesetz vom 9. Juni 2004 eine Er922

Ebenso Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 22. Zur besseren Verdeutlichung sollte daher auch nicht von einer Ermächtigung der Länder zum Tätigwerden gesprochen werden (so aber BVerfG v. 09.06.2004, 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (29); dem folgend Begründung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Grundgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 16/813, S. 20), sondern von einer Berechtigung, da die Länder bei der Inanspruchnahme der Gesetzgebungskompetenz nach dem Wortlaut der Vorschrift frei sind („Durch Bundesgesetz kann bestimmt werden, daß es durch Landesrecht ersetzt werden kann.“ [Hervorhebung durch den Verfasser]). Ebenso Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 22 und 28. 924 So Degenhart in: Sachs, Art. 125a Rn. 7; Scholz in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 38. Lfg. 2001, Rn. 12; Stettner in: Dreier, Art. 125a Rn. 5; Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 44; Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 26; a. A. Kirn in: v. Münch/Kunig, Art. 125a Rn. 4, nach dem das Recht nach der Freigabe die Qualität als Bundesrecht verliert und als übereinstimmendes Landesrecht besteht. 925 BVerfG v. 09.06.2004, 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (30); dem folgend: Lindner, NJW 2005, S. 400; Degenhart in: Sachs, Art. 125a Rn. 7; Uhle in: Maunz/ Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 45; ders., DÖV 2006, S. 377; Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 23 und 26. 926 Hervorhebung durch den Verfasser. 927 Dazu später in diesem Kapitel Seite 226. 928 BVerfG v. 09.06.2004, 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (30); Uhle in: Maunz/ Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 45; ders., DÖV 2006, S. 377; Wolff in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 125a Abs. 2 Rn. 23 und 26. 929 Die durch die erste Stufe der Föderalismusreform 2006 normierte Steuersatzautonomie der Länder bei der Grunderwerbsteuer hätte somit auch durch ein einfaches Öffnungsgesetz des Bundes nach Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG erreicht werden können, ohne eine Ergänzung des Art. 105 Abs. 2a GG vorzunehmen. 923

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

messensreduzierung grundsätzlich für möglich gehalten930. Zur Begründung zog es den Grundsatz bundes- und länderfreundlichen Verhaltens heran931. Voraussetzung sei neben dem Fehlen der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG, dass reine Modifikationen der Regelung nicht mehr ausreichten932 und der Bund selbst eine Neukonzeption für erforderlich halte933. Bereits bei der Ausübung der Steuergesetzgebungskompetenz wurde das Prinzip der Bundestreue als Grenze der Gesetzgebungsfreiheit der Länder bemüht. Aber auch der Bundesgesetzgeber hat bei der Wahrnehmung seiner Gesetzgebungskompetenzen auf die schützenswerten Interessen der Länder Rücksicht zu nehmen934. Insbesondere darf er die ihm von der Verfassung zugewiesenen Kompetenzen nicht zu Lasten der Länder missbrauchen, hier in Form der pflichtwidrigen Unterlassung des Freigabegesetzes. Die berechtigten Interessen der Länder hat der Bund daher in seine Ermessenserwägungen einzubeziehen935. Ist für den Bund erkennbar, dass die Länder in dem fraglichen Sachbereich einen begründeten Regelungsbedarf sehen, den sie etwa durch eigene ausgearbeitete Gesetzesvorschläge kundtun, darf der Bund nur dann auf ein Öffnungsgesetz verzichten, wenn er für seine ablehnende Entscheidung einen sachlichen Grund vorbringen kann936. Ohne einen solchen Grund muss der Bund ein entsprechendes Freigabegesetz erlassen937. Ob für eine abschlägige Entscheidung allein eine divergierende Einschätzung der Erneuerungsbedürftigkeit des Gesetzes ohne weitere Begründung ausreicht, muss bezweifelt werden938. Zu einfach könnte sich der Bundesgesetzgeber auf eine „Blockadeposi930 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (31); zustimmend: Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 45; ders., DÖV 2006, S. 377. 931 Würtenberger, S. 220 f. leitet hieraus eine Schutzpflicht des Bundes ab, die mit dem Untermaßverbot im Staat-Bürger-Verhältnis zu vergleichen sei. 932 Zur Änderungskompetenz des Bundes in diesem Kapitel Seite 211 ff. 933 Dieser Ansicht hat sich inzwischen auch der Bundesgesetzgeber angeschlossen, siehe BT-Drs. 16/813, S. 21. 934 Allgemein zum Inhalt des Bundestreueprinzips in diesem Kapitel Seite 199 ff. 935 Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 118. 936 Gramm AöR 124 (1999), S. 232. Zu eng dagegen die Ansicht des Bundesgesetzgebers, der erst bei „positiver Kenntnis“ von der fehlenden Erforderlichkeit, etwa durch eine entsprechende Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts, eine Freigabepflicht annimmt, BT-Drs. 16/813, S. 21. 937 Ebenso Kirn in: v. Münch/Kunig, Art. 125a Rn. 5 und die Nachweise in Fn. 935 und 936. Im Ergebnis wohl ähnlich Scholz in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 38. Lfg. 2001, Rn. 14, der die Grenze für das Freigabeermessen des Bundesgesetzgebers aus dem Willkürverbot ableitet. – Da im Bund-Länder-Verhältnis der allgemeine Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht anwendbar ist, sollte der Begründungsansatz jedoch über das Prinzip der Bundestreue erfolgen. A. A. Degenhart in: Sachs, Art. 125a Rn. 8, nach dem aus der Verfassung keine bundesgesetzgeberische Rückübertragungspflicht folgen kann. 938 Zu Recht bezweifelt Lindner, NJW 2005, S. 401 f., dass sich die vom Bundesverfassungsgericht angenommene Situation, in der der Bund selbst eine Neukonzep-

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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tion“ zurückziehen, so dass eine Versteinerung des Rechts drohte. Vielmehr bedarf es einer nachvollziehbaren und einschlägigen Begründung der von der Beurteilung der Länder abweichenden Einschätzung. Den mittelbar aus dem Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens abgeleiteten Öffnungsanspruch könnten die Länder vor dem Bundesverfassungsgericht im Wege des Bund-LänderStreits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG geltend machen.

III. Änderungskompetenz des Bundes Nicht ausdrücklich in Art. 125a Abs. 2 GG geregelt ist eine Änderungskompetenz für den Bundesgesetzgeber. Es stellt sich jedoch die Frage, ob, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen der Bund für nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG fortgeltendes Bundesrecht befugt ist, Änderungen vorzunehmen, obwohl die Anforderungen der „Erforderlichkeitsklausel“ für diese Maßnahmen nicht erfüllt werden. Würde dem Bundesgesetzgeber zugestanden, vorhandene Steuergesetze umfassend zu reformieren, liefe dies auf eine Aushöhlung des Art. 105 Abs. 2 GG hinaus939. Das Bundesverfassungsgericht musste sich mit dieser Frage bereits mehrfach auseinandersetzen. Um aus dieser Rechtsprechung Erkenntnisse für den Umgang mit bestehendem Bundessteuerrecht zu erhalten, erfolgt eine Darstellung und Analyse der vom Gericht entwickelten Ansätze in Bezug auf Art. 125a Abs. 2 GG940. 1. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts a) Die ,Kampfhunde-Entscheidung‘ Erstmals setzte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde kurz mit Art. 125a Abs. 2 GG auseinander941. Bei der Strafnorm des § 143 Abs. 1 StGB handele es sich „inhaltlich um eine erstmals geschaffene bundesgesetzliche Neuregelung“942. Diese sei jedenfalls an den Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zu messen. An dieser Beurteilung ändere die Tatsache nichts, dass das Strafgesetzbuch nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG als Bundesrecht fort gelte. tion für erforderlich hält, sich aber zur Freigabe weigert, in der politischen Praxis nicht einstellen wird. – Poschmann, NVwZ 2004, S. 1321 erwägt eine Freigabeverpflichtung, wenn „ein Land im Bundesrat eine Gesetzesinitiative i. S. von Art. 125a II GG einbringt und dabei konkrete und nachvollziehbare Vorschläge für eine eigenständige Regelung darlegt.“ 939 Hierzu Sommermann, Jura 1995, S. 396. 940 Im Hinblick auf Art. 72 Abs. 2 GG wurden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bereits im zweiten Kapitel untersucht; vgl. dort Seite 72 ff. 941 Dazu auch im zweiten Kapitel Seite 92 f. 942 BVerfG v. 16.03.2004, 1 BvR 1778/01, BVerfGE 110, 141 (175).

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Hiermit deutete das Gericht bereits den später im Urteil zum Ladenschlussgesetz entwickelten Identitätsgrundsatz an. Ist die zu beurteilende neue Norm ihrem Inhalt nach als eine Neuerung zu begreifen, hat der Bundesgesetzgeber bei der Ausübung seiner Kompetenz die Schranke des Art. 72 Abs. 2 GG zu beachten. Abzugrenzen sind danach die Fälle, die lediglich zu einer inhaltlichen Modifikation der Gesetzesregelungen führen. b) Urteil zum Ladenschlussgesetz In seinem Urteil zum Ladenschlussgesetz943 unterschied das Bundesverfassungsgericht erstmals ausdrücklich zwischen der Änderungskompetenz des Bundes nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG und der unter dem Freigabevorbehalt des Bundes stehenden Befugnis der Länder zur grundlegenden Neukonzeption eines Gesetzes. Hierzu führte es aus: „Die Änderungskompetenz des Bundes ist, sofern die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht gegeben sind, eng auszulegen und an die Beibehaltung der wesentlichen Elemente der in dem fortgeltenden Bundesgesetz enthaltenen Regelungen geknüpft. Diese darf vom Bundesgesetzgeber modifiziert werden. Zu einer grundlegenden Neukonzeption wären dagegen nur die Länder befugt, allerdings erst nach einer Freigabe durch Bundesgesetz.“944 Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG enthalte keinen weiteren Kompetenztitel für den Bund, sondern stelle im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung lediglich eine Ausnahme von den strengen Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG für bestehende Bundesregelungen dar945. Dieses Ergebnis stützte das Gericht auf den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers. Dieser habe keinen Stillstand im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung oder gar eine Versteinerung der Rechtslage gewollt. Vielmehr sei der Bund weiterhin zur Modifikation von Einzelheiten im bestehenden Gesetz befugt. Mit diesem Urteil stellt sich die Frage, wie eine Neukonzeption der zu regelnden Materie von einer Modifikation der bestehenden Vorschriften zu unterscheiden ist. Beim Ladenschlussgesetz hielt das Gericht die Verringerung von Ladenschlusszeiten und die Ausweitung von Ausnahmetatbeständen lediglich für Umgestaltungen des Gesetzes, da davon das Ziel des Gesetzes und die Zielverwirklichung unberührt blieben. Somit gestand das Gericht dem Bund die Änderungskompetenz nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG zu.

943

Hierzu auch im zweiten Kapitel Seite 93 f. BVerfG v. 09.06.2004, 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (31). 945 Kritisch zu diesem Ausnahmeverhältnis Lindner, NJW 2005, S. 400, der dies nach dem Wortlaut des Art. 125a Abs. 2 GG nicht für zwingend hält. Allenfalls eine stillschweigende Derogation des Art. 72 Abs. 2 GG sei durch Art. 125a Abs. 2 GG anzunehmen. 944

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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c) Die ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ Die im Urteil zum Ladenschlussgesetz entwickelten Grundsätze des Ersten Senats nahm auch der Zweite Senat in seiner ,Juniorprofessur-Entscheidung‘ auf946. Die Regelungen über die Juniorprofessur qualifizierte das Gericht als grundlegende Neukonzeption der Personalstruktur im Hochschulwesen, da durch die radikale Umgestaltung des Qualifikationswegs zur Professur eine neue Personalkategorie im Wissenschaftsbereich geschaffen wurde947. Die Änderungen konnten somit nicht auf Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG gestützt werden. d) Die ,Studiengebühren-Entscheidung‘ Auch die Regelung über die Gebührenfreiheit des Erststudiums im Sechsten Änderungsgesetz des Hochschulrahmengesetzes948 stellte nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine Neukonzeption dar, die nach Art. 72 Abs. 2 GG zu beurteilen sei949. Der Bund habe vollständig neue Regelungen eingeführt, die seine Rahmengesetzgebung in sachlicher Hinsicht erweitert haben. Gleiches gelte für die Vorschriften zur obligatorischen Bildung von Studierendenschaften950. Auch insoweit bestanden bei der vorhergegangenen Gesetzeslage keine detaillierten Vorgaben an die Länder. Damit erweiterte der Bund seinen Zugriff in die Regelungsbefugnisse der Länder. Dieser Eingriff ging über die Änderungskompetenz nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG hinaus. e) Folgerungen aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Grundlegende Kritik haben die zur Änderungskompetenz entwickelten Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts durch Poschmann erfahren951. Eine „Kompetenz kraft Fortsetzungszusammenhang“ sei weder aus dem Wortlaut der Norm noch aus dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers ableitbar. Art. 125a Abs. 2 GG eröffne dem Bund lediglich eine Gesetzgebungskompetenz und zwar die der Freigabe der Materie zur Ersetzung durch die Länder. Jede Novellierung sei daher am strengen Maßstab der „Erforderlichkeitsklausel“ zu messen952. Darüber hinaus führe die neue Kompetenzgestaltung zu erheb946

Vgl. zu dieser Entscheidung auch Seite 85 ff. BVerfG v. 27.07.2004, 2 BvF 2/02, BVerfGE 111, 226 (269 f.). 948 Vgl. zur ,Studiengebühren-Entscheidung‘ auch Seite 88 ff. 949 BVerfG v. 26.01.2005, 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 (250). 950 BVerfG v. 26.01.2005, 2 BvF 1/03, BVerfGE 112, 226 (252 f.). 951 NVwZ 2004, S. 1320 f. 952 Insoweit schränkt Poschmann jedoch seine Aussage dahingehend ein, dass „rein rechtstechnisch motivierte Änderungen oder Anpassungen ohne eigenen Neuregelungs947

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

lichen Rechtsunsicherheiten, da eine Abgrenzung zwischen Änderungen unter Beibehaltung des bisherigen Regelungskonzeptes und möglicherweise punktuellen Neuerungen im Einzelfall schwierig sei. In dieser Radikalität kann der Ansicht Poschmanns nicht gefolgt werden. Der Wortlaut des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG enthält zur Änderungsbefugnis des Bundes keine, also auch keine gegenteilige Aussage. Da den Gesetzesmaterialien eine Begründung für den Gesinnungswandel der Mitglieder des Vermittlungsausschusses hin zu einem Öffnungsvorbehalt des Bundes nicht zu entnehmen ist953, kann allenfalls vermutet werden, dass Hintergrund der Normierung Befürchtungen waren, durch eine generelle Öffnung des Altrechts für die Länder könnte eine unübersichtliche Rechtslage aus Bundes- und Landesrecht entstehen954. Danach wäre die jetzige Regelung des Art. 125a Abs. 2 GG in erster Linie durch den Gedanken der Kontinuitätswahrung und der Rechtssicherheit955 geprägt956. Dieser Befund spricht eher für als gegen eine Änderungskompetenz des Bundes. Gleiches gilt für die im Laufe der Beratungen erfolgte Reduzierung einer Aufhebungs- und Ergänzungsbefugnis der Länder auf eine Ersetzungsbefugnis, von der punktuelle Gesetzesänderungen nicht erfasst sein sollen957. In systematischer Hinsicht kann Art. 125a Abs. 2 GG lediglich für das Freigabegesetz des Bundes einen Kompetenztitel darstellen. Anderenfalls würde das

und politischen Gestaltungswillen des Bundes“ einer gesonderten Erörterung bedürften (ebd., S. 1321 Fn. 33). 953 Vgl. BT-Drs. 12/8423, S. 6. Bis zu den Beratungen im Vermittlungsausschuss sollte den Ländern eine Ersetzungsbefugnis ohne vorherige Freigabe durch den Bund zukommen, so noch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drs. 12/ 8165, S. 12. 954 Hierfür spricht auch, dass in den Vorschlägen der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bund und Ländern ursprünglich eine bedingungsfreie Aufhebungsund Änderungsbefugnis der Länder vorgesehen war (BT-Drs. 12/6000, S. 31 und 36), an dessen Stelle jedoch im Rahmen der weiteren Verhandlungen die restriktivere Ersetzungsbefugnis trat (Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drs. 12/8165, S. 15 und 30); vgl. Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 7; ders., DÖV 2006, S. 374 f. 955 Auch Rybak/Hofmann, NVwZ 1995, S. 235 sahen den Aspekt der Rechtssicherheit als maßgebendes Handlungsmotiv des Gesetzgebers an; ebenso später Kirn in: v. Münch/Kunig, Art. 125a Rn. 1; Stettner in: Dreier, Art. 125a Rn. 1 und 5; Scholz in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 38. Lfg. 2001, Rn. 3. 956 Gesetzessystematisch lehnte sich die gefundene Formulierung des Art. 125a Abs. 2 GG an Art. 72 Abs. 4 GG an. Bereits zu letzterer Vorschrift hatte die Gemeinsame Verfassungskommission von Bund und Ländern aus Gründen der „Rechtssicherheit und Konfliktvermeidung“ entgegen einem Vorschlag der Länderseite, einer vorbehaltlosen Ergänzungs- und Ersetzungsbefugnis, eine „deutlich abgeschwächte Form der Rückholklausel“ empfohlen, die dem Bund die Bestimmung überließ, Bundesrecht durch Landesrecht zu ersetzen, BT-Drs. 12/6000, S. 34. 957 Ausführlich zur Entstehungsgeschichte und weiteren Interpretation Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 4 ff.; ders., DÖV 2006, S. 374 ff. Vgl. auch die Nachweise in Fn. 954.

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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gesamte Kompetenzverteilungssystem des Grundgesetzes aufgeweicht958. Der Kompetenztitel für eine Gesetzesmodifikation muss zwingend den Art. 74, 74a und 105 Abs. 2 GG entnommen werden. Insoweit kommt Art. 125a Abs. 2 GG nur eine Ausnahmefunktion von den übrigen Vorschriften zum Gesetzgebungsverfahren, namentlich von Art. 72 Abs. 2 GG, zu. Vorausgesetzt im bestehenden Bundesrecht soll unter dem Aspekt der Gewährleistung einer verlässlichen Rechtsordnung für die Normadressaten eine gewisse Kontinuität gewahrt werden, wäre bei einer Anwendung der strengen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG bei jeder Gesetzesänderung zu befürchten, dass dieses Ziel konterkariert würde. Eine solche Auslegung des Art. 125a Abs. 2 GG hätte zur Folge, dass nicht mehr zeitgemäße Bundesgesetze, deren Freigabe der Bund verweigerte, nach und nach derogiert werden würden. Im Extremfall könnte sich für die Länder automatisch ein Gesetzgebungsspielraum eröffnen, sollten die Bundesgesetze nicht mehr eine erschöpfende Regelung im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG darstellen959. Diese Entwicklungsmöglichkeit liefe jedoch dem Sinn und Zweck des Art. 125a Abs. 2 GG entgegen, wonach die Steuerung, welche Materien den Ländern zur Verfügung gestellt werden, gerade dem Bund durch ein Öffnungsgesetz obliegen sollte960. Mag man diese Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers auch bedauern961, so muss in der Praxis nunmehr eine Balance zwischen der Verfassungsvorgabe vom weiter bestehenden Bundesrecht und der Stärkung der Länderkompetenzen durch Art. 72 Abs. 2 GG gefunden werden. Grundsätzlich muss das Recht elastisch bleiben, um sich den Änderung der Zeit anpassen zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat daher die richtigen Lösungsansätze für den Konflikt, trotz ihrer unzweifelhaft vorhandenen Schwächen bei der Abgrenzung zwischen bloßen Gesetzesänderungen und Neukonzeption, gefunden, eröffnen sie doch dem Bund die Möglichkeit zu inhaltlich begrenzten Modifikationen und den Ländern die Option auf grundlegende Neuerungen962. Wird außerdem noch der Anspruch der Länder auf Freigabe durch eine konsequente Anwendung des Grundsatzes des bundes- und länderfreundlichen Verhaltens gestärkt, erscheint der eingeschlagene Weg als gangbar.

958

Insoweit ist Poschmann zuzustimmen (NVwZ 2004, S. 1320 f.). So der Ansatz von Lindner, NJW 2005, S. 401. 960 In diesem Sinne auch Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 40 und 42. 961 Die Zielsetzung des Art. 125a Abs. 2 GG ist nicht unbedingt zu begrüßen, erscheint sie doch als Rückschritt gegenüber der Courage des Gesetzgebers in Bezug auf die verschärften Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG. Vordergründig konnte auf diese Art und Weise eine Stärkung der Länderkompetenzen propagiert werden, um sie still und leise ohne Begründung durch die „Hintertür“ erheblich zu begrenzen. 962 Zustimmend auch Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 40 ff.; ders., DÖV 2006, S. 377 f. 959

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Zusammenfassend ist den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als Ergebnis zu entnehmen, dass der Bund Umgestaltungen vornehmen darf, soweit durch die Änderungen die Grundkonzeption des Gesetzes, also dessen Identität, nicht geändert wird963. Als Maßstab sind die Zielsetzung des Gesetzes und die Methode der Zielverwirklichung heranzuziehen. Führen die Modifikationen lediglich zu Abrundungen der bestehenden Vorschriften oder berühren sie das Regelungskonzept selbst nicht, kann sich der Bund auf seine beschränkte Novellierungskompetenz nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG berufen. Dehnt er hingegen den Regelungsbereich in sachlicher Hinsicht aus, in dem er zusätzlich in das Gesetzgebungsrecht der Länder eingreift, ist von einer Neukonzeption auszugehen. Durch einen Vergleich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Änderung von zustimmungsbedürftigen Bundesgesetzen hat Würtenberger diese Ansätze überzeugend weiter konkretisiert. Eine Neukonzeption sei dann anzunehmen, wenn sie dem Gesetz einen „entgegengesetzten Sinn“ gebe oder, der praktisch relevantere Fall, einen „Eingriff in das föderale Gefüge, d.h. in den Bereich der Länder“, erheblich intensiviere, in dem es den bundesrechtlichen Sperrbereich erweitere. Hierzu müsse die neue Norm letztlich einen „neuen Regelungsgegenstand in dem einheitlichen Regelungswerk“ betreffen964. Insbesondere bei erstmaliger Einführung von inhaltlich neuen Vorschriften, in einem zuvor noch nicht gesetzlich geregelten Sachbereich, läuft der Bund somit Gefahr, ohne Gesetzgebungskompetenz zu handeln, wenn die strengen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllt sind. 2. Bedeutung für das Steuerrecht Aus den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen zur Änderungskompetenz des Bundes folgt, dass die Länder jedenfalls für grundlegende Neukonzeptionen der Landessteuern zuständig sind, vorausgesetzt der Bund hat sie durch ein entsprechendes Öffnungsgesetz dazu berechtigt. Sollte dies nicht der Fall sein, ist ein Anspruch der Länder auf Freigabe der Regelungsmaterie zu prüfen. Insbesondere wenn der Bund selbst eine fundamentale Veränderung des bestehenden Gesetzes erwägt, hat er auf die Interessen der Länder an einer in eigener Zuständigkeit geplanten Neuregelung entsprechend Rücksicht zu nehmen. Unterlässt er in diesen Situationen eine Öffnung der Gesetzgebungskompetenz zu Gunsten der Länder ohne sachlichen Grund, können diese ihren Anspruch vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen.

963 In der Literatur wird diese Vorgabe deshalb auch als „Identitätsgrundsatz“ bezeichnet, so etwa Hey, FS Solms, S. 40. 964 Würtenberger, S. 259 ff. m.w. N. Vgl. auch Kirn in: v. Münch/Kunig, Art. 125a Rn. 5; Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 43.

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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Sowohl bei der Änderung des Gewerbesteuergesetzes zum 1. Januar 2004965, als auch bei der Ergänzung des Rennwett- und Lotteriesteuergesetzes966 mussten sich die Gerichte mit den Kompetenzgrundlagen auseinandersetzen967. Bereits bei der Einführung eines obligatorischen Mindesthebesatzes von 200 von Hundert bei der Gewerbesteuer (§§ 1 und 16 Abs. 4 Satz 2 GewStG) konnte der Bund seine Gesetzgebungskompetenz nach der hier gefundenen Auslegung des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG aus dieser Vorschrift in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 GG ableiten968. Mit der Vorgabe eines Mindesthebesatzes wurde das Gewerbesteuergesetz nicht in seiner Zielrichtung grundlegend umgestaltet. Zwar enthielt das Gesetz bis dahin keinerlei Vorgaben zur konkreten Hebesatzhöhe, sah jedoch generelle Bestimmungen zur Festlegung des Hebesatzes vor (§ 16 Abs. 1 bis 5 GewStG). Der Bundesgesetzgeber hat diese gesetzlichen Vorschriften lediglich ergänzt, nicht hingegen in sachlicher Hinsicht ausdehnt, so dass die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG nicht maßgeblich erweitert wurde. Anders würde sich der Fall gestalten, wenn der Bund beispielsweise die Bemessungsgrundlage erheblich auf kapitalorientierte Faktoren ausweiten oder neben dem Gewerbebetrieb auch die Freiberuflerpraxis zur Steuer heranziehen wollte. Hier wären die Neuregelungen an der „Erforderlichkeitsklausel“ zu messen, da hierdurch die identitätsgebende Qualität der derzeitigen Gewerbesteuer beachtlich verändert würde. Der neue Regelungsgegenstand bedeutete einen erheblichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder. Nach dem im dritten Kapitel gefundenen Ergebnis dürften die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG allerdings kaum zu erfüllen sein969. Anders als bei der Gewerbesteuer verhielt es sich mit der Änderung des Rennwett- und Lotteriesteuergesetzes970. Hier konnte sich der Bundesgesetzgeber nicht auf Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG berufen, obwohl die Norm analog auch auf vorkonstitutionelle Gesetze anzuwenden ist, die nach Art. 125 GG als Bundesrecht fortgelten971. Grund für die Nicht-Anwendbarkeit ist, dass der Bund mit der Einführung eines neuen Besteuerungstatbestandes sein Besteuerungsrecht in sachlicher Hinsicht auf ein weiteres Objekt ausgedehnt hat, wel965

Siehe Fn. 529. Hierzu Fn. 418. 967 Die Frage der formellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23.12.2003 hat das Bundesverfassungsgericht noch zu klären, vgl. den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 25.01.2005, 2 BvR 2185/04, BVerfGE 112, 216 ff. Davon zu unterscheiden ist die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit des Mindesthebesatzes in materieller Hinsicht, hierzu die Nachweise in Fn. 532. 968 Ebenso Hey, FS Solms, S. 41. 969 Vgl. dort die Untersuchung zur Gewerbesteuer Seite 167 ff. 970 Zu dem Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 22.05.2005 siehe auch Seite 94 f. 971 Kirn in: v. Münch/Kunig, Art. 125 Rn. 8. 966

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

ches vorher nicht der Rennwett- und Lotteriebesteuerung unterlag. Die Steuerpflicht von Oddset-Wetten stellt im Konzept des Gesetzes ein Novum dar, da sie sich nunmehr auf eine Wettart erstreckt, welche weder den Rennwetten noch den Lotterien oder Ausspielungen zuzuordnen ist972. Ziel des Gesetzes war es jedoch, gerade diese Spielformen und nicht allgemein das Glücksspiel der Besteuerung zu unterwerfen. Deshalb hat der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss zu Recht die strengen Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG geprüft, diese jedoch letztlich zu unrecht bejaht973. Es bleibt somit abzuwarten, inwieweit der Bund bereit ist, Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Steuerrechts an die Länder freizugeben. Auf der anderen Seite sind aber auch die Länder aufgerufen, ihr Recht einzufordern und sei es auf dem gerichtlichen Wege, soweit ihnen an eigenen Zuständigkeiten gelegen ist. Bei allen geplanten Änderungen im Bereich der Landessteuern bedarf es in Zukunft zumindest eines kritischen Blicks auf den begrenzten Umfang der Novellierungskompetenz des Bundes.

IV. Aufhebung von Landessteuern mit Sperrwirkung Eine Gestaltungsvariante neben der Modifikation von Bundessteuergesetzen könnte auch deren gänzliche Abschaffung sein. Insbesondere die Kraftfahrzeugsteuer steht wiederholt im Zusammenhang mit einer erheblichen Aufwertung der Mineralölsteuer im Mittelpunkt der Debatte974. Daher ist zu klären, ob der Bund Gesetze über Landessteuern durch ein einfaches Gesetz aufheben und darin klarstellen kann, dass diese Steuer gänzlich abgeschafft, nicht aber einer Neuregelung durch die Länder freigegeben werden soll, so genannte Sperrgesetze oder Null-Regelungen. Grundsätzlich wird dies in der Literatur überwiegend als negativer Ausfluss der Gesetzgebungskompetenz bejaht975, vereinzelt aber auch kritisiert976. Hintergrund der Diskussion ist die Frage, ob Art. 106 Abs. 2 GG für die Länder eine Art Bestandsgarantie für die Erträge aus den dort genannten Steuerarten enthält. Dieser Problemkreis wurde bereits im zweiten Kapitel bei der Ausle972

Hierzu BFH v. 19.06.1996, II R 29/95, BFH/NV 1997, 68 (69 f.). Dazu bereits im zweiten Kapitel Seite 94 f. 974 Siehe nur Tipke, StrO II, S. 1099 f. mit Vorschlägen für eine Neuausrichtung in diesem Bereich. 975 So Häde, S. 161 ff.; Korioth, S. 428 f.; Kube, S. 116; Fischer-Menshausen in: v. Münch/Kunig, 3. Aufl. 1996, Art. 105 Rn. 17 und Art. 106 Rn. 13; Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 105 Rn. 46; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 33; Lang in: Tipke/Lang, § 3 Rn. 5; Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 50; Vogel, HdbSt, § 87 Rn. 31. Allgemein zu Art. 72 GG Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 72 Rn. 2. 976 Kritik bei Mußgnug, FS Klein, 660 f. 973

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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gung des Tatbestandsmerkmals der ,übrigen Steuern‘ ausführlich erörtert, so dass an dieser Stelle nur nochmals hervorgehoben werden soll, dass Art. 106 GG allenfalls für die das Verteilungssystem sichernde Umsatzsteuer eine Bestandsgarantie entnommen werden kann977. Soweit die Stabilität des Steuerverteilungssystems gewährleistet ist, darf der Bund grundsätzlich auch Landessteuern aufheben, ohne den Ländern die Möglichkeit zu einer eigenen Regelung zu eröffnen. Dieser Grundsatz gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Sperrgesetz die Vorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG erfüllt. Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG bietet dem Bund insoweit keine Hilfe. Die vollständige Aufhebung einer Landessteuer beutet immer eine grundlegende Neuausrichtung. Der mit der Steuer verfolgte Lenkungszweck, etwa die Belastung des Haltens von (emissionsreichen) Kraftfahrzeugen unabhängig von der Häufigkeit der Benutzung978, wird bewusst aufgegeben, um durch das Sperrgesetz gerade den entgegengesetzten Zweck zu verfolgen. Diese Kehrtwende ist von der beschränkten Novellierungskompetenz des Bundes nicht mehr umfasst979. Zumindest für die im dritten Kapitel untersuchten Landessteuern erscheint die Erforderlichkeit eines Sperrgesetzes zur ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ oder zur ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit‘ kaum möglich. Ein Bedarf zu bundesweit einheitlichen Regelungen wurde allenfalls partiell zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerungen angenommen980. Die Konzeption und die Entscheidung „ob“ die Steuer überhaupt erhoben wird, obliegt jedoch den Ländern. Da die Gefahr von Mehrfachbelastungen bei einem Aufhebungsgesetz erst gar nicht entstehen kann, wäre der Bund nach Art. 72 Abs. 2 GG nicht befugt, ein Sperrgesetz für die untersuchten Landessteuern zu erlassen.

V. Nichtanwendung von verfassungswidrigen Steuergesetzen Zuletzt soll im Zusammenhang mit Art. 125a Abs. 2 GG die Sondersituation bei der Vermögensteuer behandelt werden, als ein Fall von bestehendem, jedoch nicht mehr angewendetem, da materiell verfassungswidrigem Bundessteuerrecht.

977

Vgl. im zweiten Kapitel Seite 50 ff. Bei Einführung der Kraftfahrzeugsteuer 1906 war sie als Luxusaufwandsteuer konzipiert. Inzwischen wird sie vermehrt unter ökologischen Gesichtspunkten gerechtfertigt, dazu Tipke, StrO II, S. 1099. 979 Ebenso Hey, FS Solms, S. 40. 980 Vgl. dazu die Untersuchungen zur Erbschaft-, Vermögen- und Kraftfahrzeugsteuer im dritten Kapitel, ab Seite 128. 978

220

4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Der Bundesgesetzgeber hat das Vermögensteuergesetz nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995981 weder aufgehoben982 noch neu geregelt. Vielmehr ist er auf Grund mangelnder Konsensfähigkeit der damaligen politischen Entscheidungsträger schlichtweg untätig geblieben983. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Beschluss eine zentrale Norm des Vermögensteuergesetzes984, aber auch nur diese, mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt985. In Folge dessen darf die Steuer für Veranlagungszeitpunkte nach dem 31. Dezember 1996986, bis zu diesem Zeitpunkt hätte eine Neuregelung erfolgen müssen, nicht mehr erhoben werden. Aus der Unvereinbarkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts in Verbindung mit der bewussten Untätigkeit des Bundesgesetzgebers folgerte Schüppen, dass der Bund für die Vermögensteuer seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nicht mehr erschöpfend nach Art. 72 Abs. 1 GG ausgefüllt habe, da es an einer rechtlichen Gestaltung der Materie durch den Bund mangele987. Die Konsequenz sei, das Aufleben der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder in diesem Bereich. Dieser Ansatz wurde in der Literatur wenig beachtet. Lediglich Arndt und Jenzen wiesen darauf hin, dem Verhalten des Bundes sei nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass eine Abschaffung der Vermögensteuer erreicht werden sollte988. Eine Lösung der Frage, ob die Vorgehensweise des Bundesgesetzgebers zulässig und damit weiterhin eine eigene Landesgesetzgebung im Bereich der Vermögensteuer ausgeschlossen ist, kann nur durch eine nähere Betrachtung des Art. 72 Abs. 1 GG gelingen. Danach tritt für die Gesetzgebung der Länder eine Sperrwirkung ein, „solange und soweit der Bund von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat“. Die Formulierung der Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass hierfür ein wirksames Bundesgesetz erforderlich ist, welches eine abschließende Regelung der Materie darstellt989. Wann eine Materie durch den 981

2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 ff. So noch der Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. vom 11.06.1996, BT-Drs. 13/4839. 983 Seer in: Tipke/Lang, 17. Aufl. 2002, § 13 Rn. 71. 984 § 10 Nr. 1 VStG legte den Steuersatz für natürliche Personen einheitlich auf 1 von Hundert vom steuerpflichtigen Vermögen fest, soweit darin kein land- und forstwirtschaftliches Vermögen, Betriebsvermögen oder Wirtschaftsgüter nach § 110 Abs. 1 Nr. 3 des Bewertungsgesetzes enthalten waren. Insoweit galt ein Steuersatz von 0,5 von Hundert. 985 BVerfG v. 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (142 ff.). 986 Klarstellend BVerfG v. 30.03.1998, 1 BvR 1831/97, NJW 1998, 1854; zuvor bereits Arndt/Jenzen, NJW 1997, S. 1680 ff. mit weiteren Nachweisen zu der damals kontroversen Diskussion. 987 Schüppen, DStR 1997, S. 226 f. 988 Arndt/Jenzen, NJW 1997 S. 1679 Fn. 14; im Ergebnis später ebenso Siekmann in: Sachs, Art 105 Rn. 27; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 52. 989 Ebenso Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 72 Rn. 7 und 14; Oeter in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 72 Rn. 64 und 65 ff.; Stettner in: Dreier, Art. 72 Rn. 26 und 28 ff. 982

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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Gesetzgeber erschöpfend geregelt ist, kann im Einzelfall schwierig sein990. Nimmt der Bund jedoch eine Steuerquelle für sich in Anspruch, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass für landeseigene Gesetzeslösungen kein Raum mehr besteht991. Damit ist jedoch noch nicht die Frage geklärt, ob auch verfassungswidriges Bundesrecht die Länder in dem betroffenen Sachbereich von der Gesetzgebung ausschließt. Bereits 1958 entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem so genannten „Apotheken-Urteil“, dass vom Gericht für nichtig erklärtes Bundesrecht keine Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG mehr entfalten könne992. Dies ist nur konsequent, da ein für nichtig erklärtes Gesetz mit Wirkung ex tunc ungültig wird993. Durch ein annulliertes Gesetz ist der Bundesgesetzgeber letztlich nicht regelnd tätig geworden, so dass er von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch im Sinne des Art 72 Abs. 1 GG gemacht hat. Davon zu unterscheiden sind die Fälle, in denen das Bundesgesetz lediglich von den Ländern oder von einigen Gerichten für verfassungswidrig gehalten wird, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung jedoch noch nicht vorliegt. In seinem Urteil vom 27. Oktober 1998 zum bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz lehnte das Bundesverfassungsgericht in einem derartigen Fall im Rahmen der Überprüfung der Gesetzgebungskompetenz der Länder eine Inzidentprüfung der Bundesregelung auf seine Verfassungsmäßigkeit ab994. Dazu führte es aus, dass die Verfassungswidrigkeit des Bundesgesetzes nur auf dem dafür vorgesehenen gerichtlichen Weg festgestellt werden könne, etwa in einem (abstrakten oder konkreten) Normenkontrollverfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG oder Art. 100 GG. Dies gebiete sowohl die Abgrenzung und Balance zwischen den einzelnen Verfahrensarten, als auch die Rechtssicherheit. Anderenfalls könnte ein Land mit der bloßen Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Bundesnorm diese durch eigene Regelungen ersetzen. Die Ablehnung der Inzidentprüfung gelte selbst dann, wenn die Unvereinbarkeit der Bundesnorm mit dem 990 Zu Abgrenzungskriterien und ausgewählten Einzelfällen nur Degenhart in: Sachs, Art. 72 Rn. 20 ff. m.w. N. 991 So auch Brockmeyer in. Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 105 Rn. 13; Jachmann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 105 Rn. 52; Maunz in: Maunz/Dürig, Art. 72 Rn. 14. 992 BVerfG v. 11.06.1958, 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377 (387). 993 Ausführlich zur Wirkung einer Nichtigkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts Graßhof in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 78 Rn. 11 ff. 994 1 BvR 2306/96 u. a., BVerfGE 98, 265 (318 f.). Die Begründung des Gerichts ist der Vernichtbarkeitslehre bei verfassungswidrigen Gesetzen stark angenähert, ohne sie ausdrücklich anzuerkennen; dazu Gärditz, DÖV 2001, S. 543 ff. Dieses Ergebnis hatte sich bereits in seinem Beschluss vom 28.11.1973, 2 BvL 42/71, BVerfGE 36, 193 (211 f.) angedeutet. Dort hieß es, es sei Sache des Bundesgesetzgebers auf Grund seiner Zuständigkeit erforderliche Änderungen vorzunehmen, um die bestehenden Mängel, sei es auf Grund Missachtung der grundrechtlichen Garantien oder durch Verstöße gegen andere Verfassungsgrundsätze, zu beheben.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Grundgesetz offensichtlich sei995. Dem Urteil lässt sich entnehmen, dass das Gericht eine strenge Trennung der verschiedenen Verfahrensarten für unerlässlich hält. Jedoch kann es nicht ohne weiteres auf die Sachlage bei der Vermögensteuer übertragen werden. Wie zu Beginn dieses Abschnittes bereits dargestellt, ist die Gleichheitswidrigkeit einer zentralen Norm des Vermögensteuergesetzes in einem konkreten Normenkontrollverfahren festgestellt worden, wobei das Gericht in seinem Beschluss lediglich die Unvereinbarkeit der Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG, allerdings nicht deren Nichtigkeit ausgesprochen hat996. Um beurteilen zu können, ob die unterschiedlichen Tenorierungsalternativen des Gerichts Auswirkung auf die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG haben, soll die Unvereinbarkeitserklärung in ihrer Wirkungsweise kurz erläutert werden. Die Unvereinbarkeitserklärung, die in §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG997 zumindest andeutungsweise Erwähnung findet, ist als das „Produkt höchstrichterlicher Rechtsfortbildung“998 anzusehen. Insbesondere bei Gleichheitsverstößen, bei denen der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes hat, erfreut sich dieser Ausspruch großer Beliebtheit999. Als Grund für die Entwicklung der Tenorierungspraxis wird daher das Bedürfnis, dem Gesetzgeber weitestgehende Gestaltungsmöglichkeiten zu belas995 BVerfG v. 27.10.1998, 1 BvR 2306/96 u. a., BVerfGE 98, 265 (320 f.); siehe dazu aber die abweichende Meinung des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Papier und der Richterinnen Graßhof und Haas (ebd., S. 352 ff.). In der Literatur hat das Urteil zuletzt durch Boysen starke Kritik erfahren. Verfassungswidriges Recht sei nichtig und lasse daher Landesrecht unberührt, unabhängig davon, ob es für nichtig erklärt wurde. Eine Abhängigkeit von prozessualen Zufälligkeiten diene nicht der Rechtssicherheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung (ebd., S. 254 f.); vgl. auch Gärditz, DÖV 2001, S. 539 ff.; Degenhart in: Sachs, Art. 72 Rn. 26a und Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Rn. 64 m.w. N. 996 BVerfG v. 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 98, 121 (121 f.). Dazu führte das Gericht erläuternd aus: „Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt zu einer bloßen Unvereinbarkeitserklärung, weil die Gleichheitswidrigkeit nicht zu bestimmten Folgerungen zwingt, der Gesetzgeber vielmehr mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beiseitigen.“ (ebd., S. 148). 997 In der derzeitigen Fassung seit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 21.12.1970, BGBl. I 1970, S. 1765 ff. 998 So die Qualifizierung bei Arndt/Jenzen, NJW 1997, S. 1679 und Seer, NJW 1996, S. 285. 999 Soweit ersichtlich findet sich nach dem Inkrafttreten der §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG die erste Unvereinbarkeitserklärung in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1970 (Beschluss v. 11.05.1970, BVerfGE 28, 227 (242 f.)). Insbesondere in seinen Entscheidungen zum Finanzausgleichsgesetz (Urteile v. 24.06.1986, 2 BvF 1/83 u. a., BVerfGE 72, 330 (421 f.) und v. 27.03.1992, 2 BvF 1/88, BVerfGE 86, 148 (279)), zum Existenzminimum (Beschluss v. 25.09.1992, 2 BvL 5/91 u. a., BVerfGE 87, 153 (177 ff.)) und dem Kohlepfennig (Beschluss v. 11.10.1994, 2 BvR 633/86, BVerfGE 91, 186 (207)) führte es die Tenorierungspraxis weiter fort. Aber auch außerhalb des Abgabenrechts finden sich entsprechende Entscheidungen, siehe nur das Urteil zum Gesetz über die Universität Hamburg vom 18.07.1972, 1 BvL 32/70 u. a., BVerfGE 33, 303 (304 f.).

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

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sen, angeführt1000. Wird eine Norm mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt, hat dies in materieller Hinsicht bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber eine Anwendungssperre ex tunc zur Folge bei formellem Fortbestand der Vorschrift. Der Gesetzgeber wäre damit verpflichtet, für den gesamten von der Unvereinbarkeitserklärung umfassten Zeitraum, damit auch für alle noch nicht bestands- oder rechtskräftigen Entscheidungen, die auf der verfassungswidrigen Regelung beruhen, eine verfassungskonforme Vorschrift zu erlassen1001. Insbesondere im Abgabenrecht hätte diese Verpflichtung massive Auswirkungen auf die Finanzlage und Haushaltsplanung von Bund und Ländern, die nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kaum zu verantworten wären1002. Diesem Problem versucht das Gericht daher durch flexible Anwendbarkeitsregelungen zu begegnen1003. So erklärt es etwa das streitgegenständliche Gesetz oder die Norm für zurückliegende Zeiträume weiterhin und sogar für einen Übergangszeitraum in der Zukunft für anwendbar1004, mit dem Ziel, finanzielle Folgen abzumildern und Rechtssicherheit für die Normadressaten und Verwaltungen zu schaffen1005. In der Regel folgt der Gesetzgeber der gerichtlichen Aufforderung nach einer Neuregelung. Lässt der Gesetzgeber hingegen die Frist untätig verstreichen sind die eintretenden Folgen durchweg unklar. Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu diesem Problem bislang nicht eindeutig geäußert. Als mögliche Konsequenz wäre die Nichtigkeit, aber auch schlicht die weitere Unanwendbarkeit der verfassungswidrigen Norm bei formellem Fortbestand denkbar1006. Auf den Eintritt der sperrenden Wirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG hat diese ungelöste Frage keine Auswirkung. Fest steht, dass auch bei einer Unvereinbarkeitserklärung die streitgegenständliche Norm oder sogar das gesamte Gesetz

1000 Aus der Rechtsprechung siehe stellvertretend: BVerfG v. 25.09.1992, 2 BvL 5/ 91 u. a., BVerfGE 87, 153 (178); v. 22.06.1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 98, 121 (148); aus der Literatur: Graßhof in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 78 Rn. 57; Lechner/ Zuck, § 78 Rn. 8 jeweils mit weiteren Nachweisen. 1001 Seer, NJW 1996, S. 287. 1002 Dazu insbesondere BVerfG v. 25.09.1992, 2 BvL 5/91 u. a., BVerfGE 87, 153 (178 f.). 1003 Kritisch zu dieser Tenorierungspraxis Seer, NJW 1996, S. 289 f., der insbesondere den subjektiven Rechtschutz gefährdet sieht. 1004 So etwa jüngst im Erbschaftsteuer-Beschluss vom 07.11.2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 ff. Näher zu dieser Tenorierungspraxis Graßhof in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 78 Rn. 66 ff. 1005 Arndt/Jenzen, NJW 1997, S. 1680. 1006 Zum Diskussionsstand in der Literatur Graßhof in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 78 Rn. 71. In Bezug auf die Vermögensteuer wird vertreten, dass sie nach dem Ablauf der Übergangsfrist formell weiter fort besteht, während es auf materieller Ebene zu einer Anwendungssperre für Gerichte und Verwaltungsbehörden gekommen ist, so Arndt/Jenzen, NJW 1997, S. 1679 f.; Seer in: Tipke/Lang, 17. Aufl. 2002, § 13 Rn. 71.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

für verfassungswidrig erklärt wird. Das Verfassungsgericht selbst verneinte in seinem oben genannten Urteil vom 27. Oktober 1998 die Sperrwirkung eines Gesetzes, wenn dieses für verfassungswidrig erklärt wurde1007. Bezieht man den Hintergrund der Tenorierungspraxis in die Auslegung des Art. 72 Abs. 1 GG mit ein, folgt, dass selbst ein noch formell bestehendes, jedoch insgesamt für verfassungswidrig erklärtes Gesetz spätestens nach Ablauf des gewährten Übergangszeitraums keine sperrende Wirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG mehr entfalten kann. Weder die Rechtssicherheit noch die Abgrenzung der verschiedenen Verfahrensarten vor dem Bundesverfassungsgericht werden durch das gefundene Ergebnis gefährdet, da das Bundesgesetz in einem eigenständigen Verfahren, für die Gesetzgeber von Bund und Länder und die Normadressaten klar ersichtlich, für verfassungswidrig erklärt wurde. Für eine Sperrwirkung, die divergierendes Bundes- und Landesrecht zu verhindern bezweckt, besteht in diesem Fall kein Bedarf mehr. Ist hingegen lediglich eine und sei es auch eine zentrale Norm des Gesetzes wegen eines Verfassungsverstoßes unanwendbar, würde ein partielles Aufleben der Gesetzgebungskompetenz der Länder zu diffusen Rechtslagen in Bund und Ländern führen. Häufig wird die Behebung der Verfassungswidrigkeit nicht nur die Änderung der einen Vorschrift, sondern eine grundlegend neue Gesetzeskonzeption erfordern. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ist daher in diesen Fällen davon auszugehen, dass ein Gesetz solange seine Sperrwirkung entfaltet, wie es nicht insgesamt für verfassungswidrig (oder nichtig) erklärt wurde. Für die Vermögensteuer bedeutet dieses Ergebnis, dass die Länder weiterhin von einer eigenständigen Regelung der Vermögensteuer ausgeschlossen sind1008. Da sich der Bundesgesetzgeber zulässigerweise für den Fortbestand des nur in Teilen verfassungswidrigen und damit überwiegend wirksamen Vermögensteuergesetzes entschieden hat, nimmt er die Steuerquelle noch immer erschöpfend in Anspruch, auch wenn die Vermögensteuer nicht mehr erhoben werden darf. Erst wenn die Verfassungswidrigkeit oder Nichtigkeit des gesamten Gesetzes gerichtlich festgestellt wäre, könnten die Länder eigene Regelungen treffen. Die Konsequenz ist, dass für landeseigene Vermögensteuervorschriften ein Öffnungsgesetz des Bundes nach Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG Voraussetzung ist, welches derzeit nicht ersichtlich ist. Jedoch sind auch dem Bundesgesetzgeber in der momentanen Situation die Hände gebunden, da eine Neuregelung nicht von der Änderungskompetenz nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG gedeckt ist, aber auch die Vorgaben des Art. 72 Abs. 2 GG nicht erfüllt sind1009. Bei dieser Sachlage könnten die Länder einen Anspruch auf Freigabe der Gesetzgebungskompetenz gegen den Bund geltend 1007

1 BvR 2306/96 u. a., BVerfGE 98, 265 (319). Ebenso Arndt/Jenzen, NJW 1997, S. 1679 Fn. 14; Jachmann in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Art. 105 Rn. 52; Siekmann in: Sachs, Art. 105 Rn. 27; Vogel/Walter in: BK, Art. 105 Rn. 115. 1008

E. Bestehendes Bundessteuerrecht, Art. 125a Abs. 2 GG

machen, darf zur sich der Öffnung

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wenn sie aus finanz- oder haushaltspolitischer Sicht begründeten BeErhebung der Vermögensteuer sähen. Ohne sachlichen Grund dürfte Bund auf Grund des Grundsatzes länderfreundlichen Verhaltens einer nicht verweigern.

Das durch die nicht gerade begrüßenswerte Verhaltensweise des Bundes erzwungene Resultat stellt sicherlich einen „Grenzfall“1010 im Bereich des Art. 72 Abs. 1 GG dar, folgt aber aus der Abgrenzungsfunktion der Vorschrift im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Auch das Bundesverfassungsgericht sollte angesichts dieser Rechtslage seine Tenorierungspraxis überdenken und die Folgen der Überschreitung der Fristsetzung aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in Zukunft eindeutig regeln1011.

VI. Ergebnis Die aktuelle Gesetzessituation für die im dritten Kapitel untersuchten Landessteuern schränkt die Länder derzeit in ihrem Aktionsradius erheblich ein. Die bestehenden Bundessteuergesetze für die Erbschaft-, die Kraftfahrzeug-, die Gewerbe- und die Grunderwerbsteuer bestehen nach Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG weiter fort. Sogar das in Teilen verfassungswidrige Vermögensteuergesetz entfaltet weiterhin Sperrwirkung für die Länder. Die Freigabe der Gesetzgebung liegt dem Grunde und Umfang nach in den Händen des Bundes, Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG. In seine Ermessensentscheidung hat er indes auch die berechtigten Interessen der Länder an einer eigenen Gesetzgebung einzubeziehen. Soweit der Bund von der Öffnungsmöglichkeit absieht, hat er selbst lediglich eine begrenzte Novellierungskompetenz, die ihn nicht zu grundlegenden Neuerungen befugt. Auch die gänzliche Aufhebung eines der Landessteuergesetze wäre von seiner Änderungskompetenz nicht umfasst, da dadurch eine konzeptionelle Neuausrichtung für die Steuerart stattfinden würde. Sehen die Länder für eine der untersuchten Steuerarten einen umfassenden begründeten Regelungsbedarf, verbleibt ihnen, ihr Normierungsverlangen dem Bund gegenüber anzuzeigen, etwa in Form eines eigenen Gesetzesvorschlags. Lehnt dieser eine Freigabe ohne sachlichen Grund ab, kann darin ein Verstoß gegen das Gebot länderfreundlichen Verhaltens gesehen werden, so dass die Länder ihrerseits ihren Öffnungsanspruch vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen können. Darüber hinaus sind ihnen nach der derzeitigen Verfassungslage die Hände gebunden.

1009 Siehe dazu die Untersuchung zum Steuerwettbewerb bei der Vermögensteuer im dritten Kapitel Seite 153 ff. 1010 So Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 105 Rn. 50. 1011 Dies fordert auch Graßhof in: Umbach/Clemens/Dollinger, § 78 Rn. 71.

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

F. Rückübertragungsmöglichkeit, Art. 72 Abs. 4 GG Art. 72 Abs. 4 GG betrifft die Fälle, in denen ein Bundesgesetz bereits kompetenzgemäß nach der neuen „Erforderlichkeitsklausel“ erlassen wurde, auf Grund einer Änderung der Umstände eine Erforderlichkeit inzwischen nicht mehr besteht1012. Auch insoweit sind die Länder von einem Öffnungsgesetz des Bundes abhängig, welches im Ermessen des Bundes liegt1013. Ohne die Freigabe der Regelungsmaterie durch den Bund, besteht das Bundesgesetz und damit die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG fort1014. Die Vorschrift gilt auch für den Sachbereich des Steuerrechts1015, da Art. 105 Abs. 2 GG ausdrücklich auf Art 72 Abs. 2 GG und damit indirekt auch auf Art. 72 Abs. 4 GG Bezug nimmt1016. Da die heute geltenden Bundesgesetze der im dritten Kapitel behandelten Landessteuern noch sämtlich während der Geltungszeit der alten „Bedürfnisklausel“ erlassen wurden, findet Art. 72 Abs. 4 GG in diesem Bereich derzeit keine Anwendung. Deshalb soll an dieser Stelle ein Verweis auf die Ausführungen zur Freigabe- und Änderungskompetenz des Bundes nach Art. 125a Abs. 2 GG genügen1017, da dieser von der Grundkonzeption dem Art. 72 Abs. 4 GG entspricht.

G. Zusammenfassung Die auf Grund des neuen Art. 72 Abs. 2 GG gewonnenen Freiheiten im Bereich der Steuergesetzgebung bestehen für die Länder nicht grenzenlos. Der Grund für die Beschränkung der Rechtsetzungsautonomie ist zum einen in der Einbindung der Länder in das bundesstaatliche Gefüge Deutschlands und zum anderen in der restriktiven Übergangsvorschrift des Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG zu suchen. Hingegen wirken sowohl der allgemeine, als auch der besondere Gleichheitssatz nach Art. 33 Abs. 1 GG auf Grund ihres beschränkten Anwendungsbereichs auf Bundesland interne Vergleichsgruppen nicht übergliedstaat1012 Zu Abgrenzungsfällen des Art. 72 Abs. 4 GG zu Art. 125a Abs. 2 GG siehe Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 3 Rn. 115, und Uhle in: Maunz/Dürig, Art. 125a, 46. Lfg. 2006, Rn. 36; ders., DÖV 2006, S. 376 f. 1013 Degenhart in: Sachs, Art. 72 Rn. 33; Kunig in: v. Münch/Kunig, Art. 72 Rn. 32 ff.; Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 3 Rn. 116 ff.; Pieroth in: Jarass/Pieroth, Art. 72 Rn. 16; Sannwald in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 72 Rn. 81 ff.; Stettner in: Dreier, Art. 72 Rn. 32. 1014 Oeter in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 72 Abs. 3 Rn. 114 mit Nachweisen zur herrschenden Meinung vor Einführung des Art. 72 Abs. 3 GG 1994. 1015 So ausdrücklich auch Heintzen in: v. Münch/Kunig, Art. 105 Rn. 48. 1016 Zur ehemals nur deklaratorischen Funktion der Verweisung auf Art. 72 Abs. 2 GG siehe im zweiten Kapitel Seite 59 f. 1017 Dazu in diesem Kapitel ab Seite 208 ff.

G. Zusammenfassung

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lich wettbewerbsbeschränkend. Gleiches gilt im Ergebnis für das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG). Soweit Maßnahmen zur Vermeidung von innerstaatlichen Doppelbesteuerungen getroffen werden, entfaltet es in Bezug auf einen Steuerwettbewerb auf Landesebene keine determinierende Funktion. Verfassungsrechtlich verpflichtet die föderale Struktur Deutschlands die Länder, solidarisch für einander einzustehen und auf die Interessen der anderen Länder in gewissem Maße Rücksicht zu nehmen. Diese wechselseitige Einstandspflicht folgt nicht nur aus dem ungeschriebenen Verfassungsprinzip der Bundestreue, sondern kommt besonders im Länderfinanzausgleich prägnant zum Ausdruck1018. Hierdurch unterscheidet sich die Situation der Bundesländer als Wettbewerber um mobiles Kapital stark von der am freien Markt, so dass die dort geltenden ökonomischen Regeln nur bedingt auf den Föderalismus übertragbar sind. In einem Bundesstaat fehlen gerade die wirtschaftlichen Regelungsmechanismen für Erfolg und Niederlage, da die Gliedstaaten weder expandieren, noch den „Markt“ verlassen können, sieht man einmal von der Möglichkeit einer Neugliederung der Bundesländer nach Art. 29 GG ab. Daher werden finanziell leistungsschwache Länder auch in Zukunft bei größerer Steuerautonomie an den Erfolgen finanzwirtschaftlich besonders effektiv agierender Länder über den Länderfinanzausgleich partizipieren. Der Bund hat, mit Zustimmung der Länder im Bundesrat, indirekt die Möglichkeit durch das Finanzausgleichsgesetz die Landessteuern auf ein bundesweit einheitliches Niveau zu reglementieren, indem er das potentielle Finanzaufkommen, etwa in Gestalt durchschnittlich erreichbarer Steuererträge, als Berechnungsgröße der ,Finanzkraft‘ zu Grunde legt. Dadurch können einem Steuerwettbewerb auf Landesebene faktisch Grenzen gesetzt werden. Bei der Festlegung der Soll-Erträge ist zu beachten, je niedriger die fiktive Nivellierungsgröße für die jeweilige Steuerart angesetzt wird, desto größer ist die steuerpolitische Gestaltungsfreiheit für die Bundesländer, da die erwirtschafteten freien Spitzen den Ländern zur eigenen Verfügung verblieben, etwa zur Verbesserung des Angebots an öffentlichen Leistungen. Wettbewerbsfördernd wirkten sich somit stark unterdurchschnittliche Ertragsvorgaben aus, umgekehrt ebneten weit überdurchschnittliche Berechnungsgrößen einen Wettbewerb weitestgehend ein.

1018 Den Solidargedanken zog auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 24.06.1986, 2 BvF 1/83, BVerfGE 72, 330 (386 f.) als Grundlage des Länderfinanzausgleichs heran: „In dieser Bestimmung [Art. 107 Abs. 2 GG] verwirklicht sich also ein bündisches Prinzip des Einstehens füreinander, das nicht nur im Verhältnis von Bund und Ländern, sondern auch im Verhältnis der Länder untereinander gilt. Dieses Prinzip verpflichtet die Länder ungeachtet ihrer Eigenstaatlichkeit und finanziellen Selbständigkeit zu gewissen Hilfeleistungen an andere, finanziell leistungsschwache Länder. In diesem sie rechtfertigenden Grund ist zugleich auch die Grenze dieser Hilfeleistungspflicht angelegt.“

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4. Kap.: Grenzen für einen Steuerwettbewerb durch das Grundgesetz

Sollte der Bundesgesetzgeber einen niedrigen Ansatz wählen, könnte Extremfällen eines unfairen oder gar ruinösen Steuerwettbewerbs, die Gefahren für die bundesstaatliche Ordnung bedingten, durch das ungeschriebene Verfassungsprinzip der Bundestreue begegnet werden. Auf Grund des Gesamtgefüges der Verfassung dürfte damit das wettbewerbsbedingte Risiko einer sich unaufhaltsam abwärts drehenden Steuerspirale als gering einzustufen sein. Bezogen auf die aktuell bestehende Gesetzeslage bei den Landessteuern wirkt sich, mehr als der Länderfinanzausgleich, die Übergangsvorschrift zur „Erforderlichkeitsklausel“ wettbewerbsderogierend aus. Der verfassungsändernde Gesetzgeber von 1994 hatte letztlich, so scheint es in Anbetracht von Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG, Respekt vor der eigenen Courage, so dass er das viel beschworene Ziel, die Länderkompetenzen durch eine Konzentration, Verschärfung und Präzisierung der Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG zu stärken1019, fast unbemerkt relativiert hat1020. Durch den erst im Rahmen des Vermittlungsverfahrens normierten Freigabevorbehalt liegt es nunmehr im Entscheidungsbereich des Bundes, den Ländern eigene Kompetenzen zuzugestehen. Diese Wahl des Gesetzgebers führte konsequent zu der nicht unumstrittenen Auslegung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zum Ladenschlussgesetz vom 9. Juni 2004, dem Bund in beschränktem Maße eine Änderungskompetenz für die fortbestehenden Bundesgesetze einzuräumen, um nicht auf Grund politischer Ränkespiele einen Rechtsstillstand zu provozieren. Gerade die Rechtsmaterie lebt von der Weiterentwicklung, sei es durch Veränderungen der tatsächlichen Gegebenheiten oder durch neue konzeptionelle Ansätze. Letztere sind zu Recht nicht mehr von der Novellierungsbefugnis des Bundes umfasst. Entschließt sich der Bund, erst einmal die Regelungsmaterie der Landessteuern für die Bundesländer zu öffnen oder ist er durch den Grundsatz der Bundestreue zu einer Freigabe verpflichtet, so könnten die Bundesländer in den im dritten Kapitel für die jeweilige Steuerart herausgearbeiteten Bereichen umfangreich gestaltend tätig werden. Das Grundgesetz beließe ihnen ausreichend Spielraum, der nicht auf der Ebene des einfachen Rechts durch das Finanzausgleichsgesetz übermäßig beschränkt werden sollte, so dass sich ein gesunder Steuerwettbewerb entfalten könnte.

1019 BT-Drs. 12/7109, S. 9; ausführlich zur Entstehungsgeschichte der „Erforderlichkeitsklausel“ im zweiten Kapitel Seite 65 ff. 1020 Selbst in der Literatur wird diese Wirkung im Zusammenhang mit Art. 72 Abs. 2 GG nahe zu ausgeblendet. Hervorzuheben sind aber Rybak/Hofmann, die Art. 125a Abs. 2 GG nach Wortlaut und Zielsetzung als „Besitzstandsklausel“ qualifizierten (NVwZ 1995, S. 235).

Schlussbetrachtung Abschließend sollen die im Laufe der Untersuchung gewonnenen Gesamtergebnisse zusammengestellt werden. In Anbetracht der voraussichtlich schwierigen Verhandlungen bei der bevorstehenden zweiten Stufe der Föderalismusreform ist der gegebene Gesetzgebungsspielraum der Länder in den Mittelpunkt zu stellen, um die bereits heute bestehenden Möglichkeiten im Bereich der Steuergesetzgebung zu verdeutlichen.

A. Gewonnene Erkenntnisse Resümierend ist festzuhalten, dass ein Steuerwettbewerb bei den untersuchten Landessteuern zwischen den Bundesländern bereits nach der heutigen Finanzverfassung, vorbehaltlich einer Freigabe der Materie an die Länder, denkbar ist. Ihnen stehen in weiten Teilen der Regelungsmaterie eigene Gesetzgebungskompetenzen nach Art. 105 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 72 Abs. 2 GG zu, ohne dass es einer Reform bedürfte. Der Grund dafür ist bei der neuen „Erforderlichkeitsklausel“ zu finden. Im Gegensatz zur alten „Bedürfnisklausel“, die als Motor der Unitarisierung galt, stärkt der gegenwärtige Art. 72 Abs. 2 GG tatsächlich, wie vom verfassungsändernden Gesetzgeber 1994 beabsichtigt, die Kompetenzen der Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung. Die föderale Ausrichtung der Vorschrift kommt bereits in ihrem leicht modifizierten Wortlaut zum Ausdruck, nach dem in der ersten Zielvorgabe statt einheitlicher lediglich noch gleichwertige Lebensverhältnisse herzustellen sind. Dieser Weg sollte sich daher in der Interpretation der Tatbestandsvoraussetzungen konsequent fortsetzen. Einen grundlegenden Schritt in die richtige Richtung hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner ,Altenpflege-Entscheidung‘ aus dem Jahre 2002 vollzogen. Es hat das Kernelement jedes Föderalismus, die regionale Pluralität in der Einheit des Staates, auch im Bereich der Gesetzgebung hervorgehoben. Die Zurückbesinnung auf das bundesstaatliche Fundament ist sehr zu begrüßen, da in der Vergangenheit das kooperative Element des Föderalismus, welches in dosiertem Maße sicherlich auch in Zukunft zu verfolgen ist, weit überstrapaziert wurde. Der föderale Ansatz des Bundesverfassungsgerichts muss daher auch zukünftig stetig weiterentwickelt werden. Wie im zweiten Kapitel herausgearbeitet bestehen bei Art. 72 Abs. 2 GG in Teilen noch beträchtliche Auslegungsfragen, die durch Literatur und Rechtsprechung zu schließen sind. Insbesondere die Merkmale der ,Rechts- und Wirtschaftseinheit‘ bedürfen schärferer Konturen. Mit dem Ziel, die Vorschrift auf die Materie des Steuer-

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Schlussbetrachtung

rechts anzuwenden, konnten Lücken aufgedeckt und Interpretationsansätze gefunden werden. Die die Länderautonomie begünstigende Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG wird bestärkt durch die Justitiabilität der Vorschrift, flankiert von einem neuen bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG, welche nunmehr auch durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt wird. Die konkrete Anwendung des Art. 72 Abs. 2 GG auf den Sachbereich der einzelnen Landessteuern ergibt in theoretischer Hinsicht erhebliche Freiheiten für die Länder in der Steuergesetzgebung, etwa bei der Festlegung der Bemessungsgrundlagen, der Steuertarife und gegebenenfalls der Steuerpflicht. Vorrangig bei drohenden innerstaatlichen Doppelbesteuerungen wäre der Bund ausnahmsweise befugt, regelnd einzugreifen. Dies zeigt sich sowohl bei der Erbschaft- als auch bei der Vermögensteuer und unter bestimmten Voraussetzungen bei der Kraftfahrzeugsteuer. Aber auch in diesen Fällen ist seine Gesetzgebungskompetenz auf Kollisionsverhütungen, vorzugsweise durch ein Doppelbesteuerungsgesetz, beschränkt, um den geringstmöglichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder vorzunehmen. An dieser Stelle zeigt sich deutlich die grundlegende Verschärfung des Art. 72 Abs. 2 GG. Die zweistufige Erforderlichkeitsprüfung verlangt nicht nur ein geeignetes Bundesgesetz, sondern auch unter gleich geeigneten Regelungsmöglichkeiten, die Alternative mit der geringsten Beeinträchtigung der Rechtsetzungsbefugnis der Länder. Hingegen stehen den Ländern im Bereich der Gewerbe- und Grunderwerbsteuer gemessen an Art. 72 Abs. 2 GG alle gesetzgeberischen Freiheiten zu. Divergierende Steuergesetze wären somit das Resultat der neuen Länderstärkung durch die Verfassungsreform von 1994. Allerdings haben sich außerhalb von Art. 72 Abs. 2 GG gewisse Schranken gezeigt, die die Gesetzgebungskompetenz der Länder rechtlich oder faktisch begrenzen. Die stärkste rechtliche Grenze hat der verfassungsändernde Gesetzgeber von 1994 selbst in Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG normiert. Danach stehen die durch Art. 72 Abs. 2 GG gewonnen Freiheiten unter einem Öffnungsvorbehalt des Bundes, soweit nicht der Grundsatz länderfreundlichen Verhaltens den Bund zu einer Freigabe der Regelungsmaterie an die Länder zwingt. Eine solche Verpflichtung des Bundes sollten die Länder daher stets überprüfen, ist ihnen an mehr Steuerautonomie gelegen. Macht der Bund von der Öffnungsmöglichkeit keinen Gebrauch, kann er die bestehenden Bundes(steuer)gesetze in beschränktem Umfang ändern. Die Novellierungskompetenz des Bundes stößt dort an ihre Grenzen, wo sie der geänderten Norm einen konträren Sinn verleiht oder den Regelungsgegenstand des Gesetzes erweitert. Derartige Neukonzeptionen bedürfen, wenn die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG nicht gegeben sind, der Regelung durch den Landesgesetzgeber. Daher sind umfangreiche Veränderun-

A. Gewonnene Erkenntnisse

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gen bestehender Landessteuergesetze des Bundes, gedacht sei etwa an die Reformüberlegungen bei der Gewerbesteuer oder der Erbschaftsteuer, immer an Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG zu messen. Muss der Bund erst die Anforderungen des Art. 72 Abs. 2 GG für eine Gesetzesänderung in diesem Bereich erfüllen, dürfte es ihm aus den im dritten Kapitel herausgearbeiteten Gründen schwer fallen, die Erforderlichkeit einer bundesgesetzlichen Regelung zur ,Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse‘ oder zur ,Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit‘ zu begründen. Faktisch regulativ wirkte sich in gewissem Ausmaß der Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2 GG auf einen Steuerwettbewerb aus, würde ihn aber nicht vollständig einebnen. Über das Finanzausgleichsgesetz wäre dem Bund weiterhin ein starkes Instrument der aktiven bundesweiten Standortpolitik an die Hand gegeben. Die gegenseitige Beeinflussung von Steuerpolitik der Hoheitsträger und vorgegebenen einheitlichen Berechnungsgrößen im Ausgleichssystem belegen die Erfahrungen des kommunalen Finanzausgleichs mit normierten Gewerbe- und Grundsteuerhebesätzen. Bei der Entscheidung einer Hebesatzänderung berücksichtigen die Gemeinden nicht nur die dadurch unmittelbar entstehenden Mehr- oder Mindereinnahmen, sondern auch die Auswirkungen auf die überkommunalen Zuweisungen. Die Beispiele der ehemaligen Gewerbesteuer-Oasen zeigen hier aber, dass sich ein Wettbewerb trotz der finanziellen Einbußen, die durch niedrigere Ausgleichszuweisungen noch verstärkt wurden, entwickeln kann. Eine Festlegung des durchschnittlich erreichbaren Ländersteueraufkommens bei der Berechnung der Finanzkraft der Bundesländer würde sich im Länderfinanzausgleich vergleichbar auswirken. Den Ländern verblieb auf diese Weise ein hinreichender Spielraum für eine individuelle Steuerpolitik, indem überdurchschnittliche Steuereinnahmen ihnen zur eigenen Verfügung verblieben. Diese Lösung hat der Gesetzgeber im Rahmen der ersten Stufe der Föderalismusreform in etwas abgewandelter Form bereits für die Grunderwerbsteuer, für die die Bundesländer nunmehr den Steuersatz selbständig bestimmen dürfen, verfolgt. Hingegen kann sowohl aus dem allgemeinen als auch aus dem besonderen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 1 GG) keine länderübergreifende Wettbewerbsbeschränkung entnommen werden, da in einem föderalen Staatsaufbau, dem gesetzliche Vielfalt immanent ist, Vergleichsgruppen nur innerhalb eines Gliedstaates gebildet werden dürfen. Lediglich nicht erstrebenswerte Abschottungsregelungen der Länder, wie die einer Wegzugsbesteuerung, könnten in Konflikt mit dem Grundrecht der Freizügigkeit im Bundesgebiet nach Art. 11 Abs. 1 GG geraten, soweit keine Vorschriften zur Vermeidung einer innerstaatlichen Doppelbesteuerung existierten.

232

Schlussbetrachtung

B. Ausblick Im Gegensatz zu anderen Bundesstaaten, wo Finanzautonomie der Gliedstaaten zum Selbstverständnis und zur eigenen Identität gehört1021, sehen sich verstärkte Länderkompetenzen in Deutschland schnell dem Vorwurf der Kleinstaaterei ausgesetzt1022. Dabei wird verkannt, dass die Rechtsordnung eines Bundesstaates gerade durch gesetzliche Vielfalt in Bezug auf bestimmte Regelungsmaterien, als Ausdruck der Eigenstaatlichkeit der Gliedstaaten, gekennzeichnet ist1023. Die rechtliche Pluralität zu bekämpfen, auch unter dem Vorwand einheitliche Lebensverhältnisse im Bundesgebiet herzustellen, widerspräche nicht nur der föderalen Grundkonzeption der Verfassung, sondern würde auch die Chance einer regionalen Standortpolitik vereiteln. An dieser Stelle bedarf es in Deutschland in einigen Bereichen sicherlich noch eines Umdenkens. Die kontroversen Diskussionen zeigen aber auch, dass in keinem anderen Teil der Verfassung die häufig gegenläufigen bundesstaatlichen Interessen so vehement aufeinanderprallen, wie in der Finanzverfassung. Dieses föderale Spannungsverhältnis von Zusammenwirken und Wettbewerb angemessen auszugleichen, stellt einen gewaltigen Balanceakt dar, der nur durch Konzessionen aller Beteiligten zu bewältigen ist1024. Mit Neugier wird daher die zweite Stufe der Föderalismusreform erwartet1025. Hier wird sich zeigen, wie ernst es der Politik mit einem föderativen Wettbewerb wirklich ist, sobald sich Neuordnungen im Bund-Länder-Verhältnis auch auf die Verteilung der Finanzmittel auswirken1026. An dieser Stelle könnte der Konsens ein jähes Ende finden. Die seit dem 1. September 2006 geltende Steuersatzautonomie bei der Grunderwerbsteuer ist indes ein erster zaghafter Schritt in diese Richtung, wobei die Folgen eines Wettbewerbs, wie steuerbedingte Ab- und Zuwanderungen, wegen des immobilen Besteuerungsgegenstandes ausbleiben werden. Daher war das Risiko der Maßnahme für den verfassungsändernden Gesetzgeber gut zu überblicken. Für 1021 Zur Steuerautonomie der Kantone in der Schweiz Jörg, S. 51 ff.; für die USA Häde, ZfZ 1994, S. 228 ff.; Kenyon/Kincaid in: Pommerehne/Ress, S. 34 ff.; Kramer in: Grundzüge des US-amerikanischen Steuerrechts, S. 38 ff. 1022 Siehe FAZ vom 16.12.2005, S. 1 „Die Länder haben Vorbehalte gegen eine neue Finanzverfassung“ und vom 08.07.2006, S. 1 f. „Die Föderalismusreform unter Dach und Fach“. 1023 Im Ergebnis auch Waldhoff, Föderalismusreform in Deutschland, S. 78 ff. 1024 In diesem Sinne bereits Klatt, APuZ Bd. 31 (1982), S. 21: „Föderalismus [. . .] ist als [. . .] ein Gleichgewicht zwischen Elementen der Kooperation und Koordination einerseits, der Konkurrenz und des Wettbewerbs anderseits zu verstehen.“ 1025 Hinter der Frage, ob sie Realität wird, steht angesichts der Äußerungen der politischen Entscheidungsträger im Zusammenhang mit den Verhandlungen zur ersten Stufe der Reform zumindest ein großes Fragezeichen. Siehe die Nachweise in Fn. 1022. 1026 Die politische Bereitschaft ist in der Praxis der maßgebende Faktor für den viel zitierten „Wettbewerbsföderalismus“, so auch Bauer, DÖV 2002, S. 845 m.w. N.

B. Ausblick

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derartige „Reformen“ bedarf es allerdings keiner aufwendigen Grundgesetzänderung, da sie auf leichterem Wege über ein Öffnungsgesetz des Bundes nach Art. 125a Abs. 2 Satz 2 GG, welches noch nicht einmal der Zustimmung im Bundesrat bedürfte, zu erreichen wären. Für die Länder bietet bereits heute Art. 72 Abs. 2 GG die Chance, mehr Autonomie im Bereich der Steuerrechtsetzung zu erlangen. Ist diese von den Ländern tatsächlich gewollt, sollten sie ihre Möglichkeiten im Bundesrat durch gut begründete Gesetzesanträge zur Freigabe der Landessteuern suchen oder, falls der Bund durch seine Verweigerungshaltung das Gebot länderfreundlichen Verhaltens grob missachtet, ihre Interessen vor dem Bundesverfassungsgericht geltend machen. Durch eine eigenständige Steuergesetzgebung über die im dritten Kapitel untersuchten Landessteuern würde wegen des begrenzten Steueraufkommens zwar noch kein vollständiger Verantwortungszusammenhang zwischen den politischen Entscheidungen der Landesregierungen und den finanziellen Auswirkungen derselben hergestellt, jedoch könnten deutlichere landestypische Akzente gesetzt oder verstärkt werden. Der Profilgewinn für die Länder ginge dabei über die Materie des Steuerrechts hinaus. So könnten sie beispielsweise die im Rahmen der ersten Stufe der Föderalismusreform in Bereich des Umweltrechts neu gewonnenen Kompetenzen1027 durch eine, ihrer Umweltpolitik entsprechenden, Steuergesetzgebung abrunden. Geeignet erscheint insoweit die Kraftfahrzeugsteuer oder auch die Gewerbesteuer, wo gewisse Umweltkomponenten in die Gestaltung der Bemessungsgrundlage oder des Steuersatzes aufgenommen werden könnten. Das von Kritikern einer verstärkten Betonung der Länderkompetenzen vorgebrachte Argument der Rechtszersplitterung ist für die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Landessteuern nicht überzeugend. Unterschiedliche landesrechtliche Regelungen würden lediglich einen überschaubaren Teil des Steuerrechts betreffen, da insbesondere die fiskalisch bedeutenden Gemeinschaftssteuern weiterhin im Einflussbereich des Bundes blieben. Darüber hinaus könnte ein Bundesgesetz zur Vermeidung innerstaatlicher Doppelbesteuerungen, falls nach den gesetzlichen Gestaltungen der Länder notwendig, für ausreichende Rechtssicherheit sorgen. Aus Wettbewerbssicht wäre sicherlich die Verständigung der Länder auf einheitliche Bemessungsgrundlagen bei den Landessteuern wünschenswert. Dies würde im Steuerwettbewerb für Transparenz, Kostenreduzierung und gleichzeitig für mehr Fairness sorgen. Nicht ohne Grund wird auf europäischer Ebene seit vielen Jahren versucht, eine Harmonisierung der indirekten und direkten Steuern zwischen den Mitgliedsstaaten herbeizuführen, um insbesondere Hemmnisse für europaweit tätige Unternehmen abzubauen. Ebenso wie in der Europäischen Union könnte aber auch im nationalen Bereich 1027 Siehe dazu den 2006 neu eingefügten Art. 72 Abs. 3 GG, BGBl. I 2006, S. 2034.

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Schlussbetrachtung

nur auf eine freiwillige Selbstverständigung der Länder gesetzt werden, da eine zwangsweise Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlagen über Art. 72 Abs. 2 GG nicht legitimiert werden könnte. Wie im dritten Kapitel dargelegt, wäre eine bundesgesetzlich vorgegebene Bemessungsgrundlage weder zur Wahrung der Rechts-, noch der Wirtschaftseinheit geeignet. Zudem erscheint es auch politisch unglücklich, die Verantwortung auf zwei Gesetzgeber aufzuteilen und diese damit zu vernebeln1028. Die mit einem verstärkten Steuerwettbewerb auf Landesebene verbundenen Vorteile sollen jedoch nicht über dessen mögliche negative Folgen hinwegtäuschen. So zeigen die Erfahrungen aus dem Bereich des internationalen Steuerwettbewerbs, dass der Konkurrenzkampf um mobiles Kapital häufig als Gegenreaktion eine Erhöhung der Steuern auf immobilen Besteuerungsgegenständen zur Folge hat. Der Grund für eine solche Entwicklung liegt auf der Hand. Die im Rahmen des Steuerwettbewerbs gewährten Mindereinnahmen müssen in der Regel auf anderem Wege durch entsprechende Mehreinnahmen kompensiert werden1029. Übertragen auf einen verstärkten Landessteuerwettbewerb folgt daraus, dass beispielsweise die Steuern auf Grundvermögen, namentlich die Grunderwerbsteuer oder auf kommunaler Ebene die hier nicht näher untersuchte Grundsteuer, angehoben werden könnten, während die Belastung etwa bei der Erb- oder Vermögensteuer relativ gering ausfallen könnte. Auch könnten leistungsschwächere Bundesländer wettbewerbsbedingt unter Zugzwang geraten, ihre Steuerbelastung entsprechend denen der anderen Länder nach unten anzupassen, wodurch sich ihre schlechte Haushaltslage sogar noch verstärken könnte. Andererseits handelt es sich bei den zur Diskussion stehenden Landessteuern, um Steuerarten mit einem, an den Erträgen der Gemeinschaftssteuern gemessen, verhältnismäßig geringem Steueraufkommen1030. Daher erscheinen die finanziellen Auswirkungen für die Länder nicht unkalkulierbar. Mehr Finanzautonomie, wie sie nach dem Grundgesetz möglich wäre, bedeutete für die Bundesländer durch größere Verantwortung eine Stärkung der Eigenstaatlichkeit und böte die Chance, durch geschickte und maßvolle Standortpolitik das Ansehen der Landesregierungen und Landesparlamente bei den Wählern aufzuwerten. Wie die geringen Wahlbeteiligungen bei Landtagswahlen

1028

Ebenso Schwarz in: Strack, Föderalismusreform, S. 401. Zu den Kompensationsmöglichkeiten auf internationaler Ebene Gerken/Märkt/ Schick, S. 167. 1030 Für konkretes Zahlenmaterial siehe Bundesministerium für Finanzen „Kassenmäßige Steuereinnahmen nach Steuerarten in den Kalenderjahren 2002–2005“ (www. bundesfinanzministerium.de). Danach verzeichnet lediglich die Gewerbesteuer ein deutlich höheres Aufkommen. Allerdings herrscht auf kommunaler Ebene bereits ein Steuerwettbewerb, so dass sich insoweit kaum Veränderungen ergäben. 1029

B. Ausblick

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alarmierend vor Augen führen1031, fällt das Interesse der Bürger an der Politik „ihres“ Landes relativ gering aus. Föderalismus wird in der Bevölkerung mehr oder weniger als lästiges und besonders kostenintensives Vehikel des deutschen Staatsaufbaus angesehen1032. Aber wie soll ein (Glied-)Staat ohne Autonomie im steuerpolitischen Bereich auch an Prestige und Profil gewinnen? Schon der Handlungsspielraum der Kommunen bei der Gewerbe- und Grundsteuer lässt erkennen, dass hierdurch den Wählern besser der Verantwortungszusammenhang zwischen politischen Entscheidungen und der Haushaltslage aufgezeigt werden kann. Dieser Akzeptanzgewinn sollte daher auch von den Kritikern verstärkter Länderkompetenzen als Vorteil gesehen werden. Auf Grund der gegenseitigen Beeinflussung von Finanzverfassung und Bundesstaatsverständnis könnte der deutsche Föderalismus durch einen gemäßigten Steuerwettbewerb auf der Ebene der Bundesländer insgesamt mehr Dynamik erhalten, bis hin zu vermehrter Leistungsfähigkeit des gesamten Staates.

1031 Bei den Landtagswahlen 2006 lag die Wahlbeteiligung in Baden-Württemberg bei 53,4% und in Sachsen-Anhalt sogar nur bei 44,4% (Quellen: www.statistik.badenwuerttemberg.de und www.stala.sachsen-anhalt.de/wahlen). 1032 Vgl. auch die Einschätzung von Engels, S. 13.

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Sachverzeichnis Altenpflege-Entscheidung 73, 229 Änderungskompetenz 211, 213, 216 Anrechnungsmethode 136 Anwendbarkeitsregelung 223 Apotheken-Urteil 221 Ausgleich 189, 190, 192 Bedürfnisklausel 28, 33, 60, 208, 226 Beitragssicherungsgesetz 95 Bemessungsgrundlage 148, 149, 161 Bismarck’sche Verfassung siehe Deutsches Reich Bundesdoppelbesteuerungsgesetz 146, 161, 167, 178 bundesfreundliches Verhalten siehe Bundestreue Bundesstaatsprinzip 182, 190, 201 Bundestreue 91, 115, 199, 210, 228 Deutsches Reich 17 direkte Steuern 126 Doppelbesteuerung 140 – innerstaatlich 104, 116, 134, 146, 156, 158, 160, 170, 177, 198, 230, 233 – interkantonal 146 – international 136, 156 Doppelbesteuerungsabkommen 135, 137, 140, 151, 164, 166 Doppelbesteuerungsverbot 108, 146 Durchschnittsaufkommen 191 Eigenstaatlichkeit 41, 179, 190, 232, 234 Eigenverantwortlichkeit 39 Eingriff, geringster 81, 143, 160, 166 Enquête-Kommission Verfassungsreform 36, 66

Erbschaftsteuer 128 Erforderlichkeit 80, 87, 96, 142, 160 Erforderlichkeitsklausel 33, 65, 208, 226 Ertragshoheit 29, 35, 45, 47 Finanzausgleich, kommunaler 122, 186 Finanzausgleichsgesetz 182, 184, 188, 190, 192, 227, 231 Finanzautonomie 122, 186, 188, 232, 234 Finanzkraft 122, 181, 183, 186, 187, 227 Finanzkraftreihenfolge 191 Finanzkraftunterschied 189 Finanzreform 31, 58 Föderalismusreform 32, 33, 37, 59, 174, 186, 188, 231, 232 Fortgeltung 208 Franckenstein’sche Klausel 20 Freigabekompetenz 208 Freistellungsmethode 136, 148, 161 Freizügigkeit 77, 109, 138, 156, 197 Geeignetheit 81, 142, 149, 160, 166 gemeinsame Verfassungskommission 37, 67 gesamtstaatliches Interesse 139, 142, 157, 159 Gesamtwirtschaft, Nachteile 79, 112 Gesetzgebungshoheit 28, 32, 42 Gewerbesteuer 121, 167, 217 Gleichartigkeitsverbot 104 Gleichheitssatz – allgemeiner 107, 164, 194 – besonderer 195 Grunderwerbsteuer 174, 232 Grundsatzgesetzgebung 23 Grundsteuer 124

Sachverzeichnis

253

Harmonisierung, europäische Ebene 124, 233 Hebesatzrecht 121 Herrenchiemsee, Verfassungsentwurf 25

Normenkollision 106, 147 Normenkonkurrenz siehe Normenkollision Null-Regelung 218

indirekte Steuern 124 Ist-Aufkommen 186, 187

Oddset-Wetten siehe Lotteriesteuer OECD 205 Öffnungsgesetz 208, 216, 224, 226

Juniorprofessur-Entscheidung 86, 213 Justitiabilität 73 Kampfhunde-Entscheidung 92, 211 Kompetenzausübungsregelung 22, 28, 110, 116 Kompetenztitel 22, 42, 43, 116, 147, 212, 215 Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage 127 Kraftfahrzeugsteuer 162 Ladenschlussgesetz 93, 209, 212 Länderfinanzausgleich 179, 187, 227, 231 Länderfreundliches Verhalten 210, 225, 233 Landessteuern 35, 182, 187 Lebensverhältnisse – Einheitlichkeit 61, 99 – Gleichwertigkeit 75, 89, 100, 117, 129, 154, 163, 169 Leistungsfähigkeitsprinzip 107 Lotteriesteuer 94, 217 Maßstäbegesetz 182, 184, 191 Matrikularbeiträge 20 Mehrwertsteuer siehe Umsatzsteuer Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie 125 Mindesthebesatz 121, 217 Nationalsozialismus 24 Neukonzeption 212, 215, 216 Nichtanwendung 219 Nivellierungsgröße 188, 192, 227

Parlamentarischer Rat 26 Prognoseentscheidung 84 Rechtseinheit 77, 90, 95, 101, 117, 134, 156, 165, 170 Rechtssicherheit 77, 102, 134, 156, 214, 223, 224 Rechtszersplitterung 77, 90, 171, 175 Sachverständigenrat 36 Schweiz 146 Soll-Aufkommen 185, 227 Sperrgesetz 218 Sperrwirkung 209, 218, 220, 224, 226 Stabilitätsgesetz 113 Steuerbefolgungskosten 115, 140, 158 Steuerdumping 115, 122 Steuererfindungsrecht 46, 49 Steuergesetzgebungskompetenz – ausschließlich 57 – Beschränkung 56, 179 – konkurrierend 42, 57, 220 – Reichweite 49, 81, 143 Steuerkraft 184, 186 Steuerkraftzahl 188, 192 Steueroase 121, 205 Steuerverteilungssystem 47, 50, 59, 219 Steuerwettbewerb 15, 99, 101, 112, 114, 120, 121, 124, 127, 150, 168, 179, 183, 191, 203 Studiengebühren-Entscheidung 88, 213 Trennsystem 27, 29, 35 Troeger-Gutachten 31, 99

254

Sachverzeichnis

übrige Steuern 42 Umsatzsteuer 47, 50, 125 Unvereinbarkeitserklärung 220, 222 Verantwortungszusammenhang 38, 233, 235 Verbundsystem 35 Verhaltenskodex 127, 204 Verhältnismäßigkeitsprüfung 71, 81, 82 Vermögensteuer 153, 220

Wanderbewegung 130, 155, 161, 177, 198 Weimarer Reichsverfassung 21 Wirtschaftseinheit 78, 86, 90, 95, 96, 112, 117, 139, 158, 165, 172 Würtenberger 103, 112, 216 Zölle 28, 33, 43