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German Pages 595 Year 2015
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 330
Die Konkretisierung des Missbrauchsverbots der SE zum Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer
Von
Oliver H. Ramcke
Duncker & Humblot · Berlin
OLIVER H. RAMCKE
Die Konkretisierung des Missbrauchsverbots der SE zum Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn
Band 330
Die Konkretisierung des Missbrauchsverbots der SE zum Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer
Von
Oliver H. Ramcke
Duncker & Humblot · Berlin
Die Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.
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© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-14610-9 (Print) ISBN 978-3-428-54610-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-84610-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommertrimester 2014 von der Bucerius Law School – Hochschule für Rechtswissenschaft – als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im Dezember 2013 abgeschlossen. Mit der mündlichen Prüfung am 8. Oktober 2014 wurde das Promotionsverfahren abgeschlossen. Besonders danken möchte ich meinem Doktorvater, Professor Dr. Matthias Jacobs, für seine nachhaltige Förderung. Er hat bereits im Studium meine Begeisterung für das Arbeitsrecht geweckt. Mit dieser Arbeit hat er mich dazu ermuntert, meinen Blick auch auf die Schnittstellen zum Gesellschaftsund Europarecht zu richten. Meinen Horizont erweitert haben auch dank seiner Anregungen die Teilnahmen an Doktorandenprogrammen wie der internationalen ATLAS Agora und insbesondere dem europarechtlichen Programm PEPP, das mich in vielerlei Hinsicht inspiriert hat. Außerdem danke ich Professor Dr. Heinz Josef Willemsen für die trotz des Umfangs der Arbeit zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern danke ich für die freundliche Aufnahme in die Reihe „Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht“. Der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung danke ich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Mein Dank gilt ferner den Stiftern Annegret und Claus G. Budelmann und dem Institut für Unternehmens- und Kapitalmarktrecht an der Bucerius Law School für die Auszeichnung des Werks mit dem Christian Wilde Preis (1. Preis) 2014. Des Weiteren danke ich dem Hamburger Verein für Arbeitsrecht e. V., der die Arbeit mit dem Dissertationspreis 2014 bedacht hat. Ein großer Dank gilt Melanie Buhk als Teamplayerin bereits im studentischen Moot-Court-Projekt, für die legendären Telko- und Kaffeerunden und nicht zuletzt für die gründliche Durchsicht des Manuskripts. Meinem Bruder Thomas Ramcke danke ich für seinen Humor und sein „let it be“. Von ganzem Herzen danke ich meinem größten Schatz, Ina Riewert! Ihre einzigartige Liebe und Zuneigung sind mir Ansporn und gaben mir die Kraft zur Vollendung des Werks. Kuss! Zutiefst danken möchte ich nicht zuletzt meinen Eltern, Mouna und Hubert Ramcke. Sie haben mich bei allen meinen Vorhaben stets bedingungslos unterstützt und mir Mut, Zuversicht und Vertrauen für meinen Weg geschenkt. La vie est belle et je tiens à vous rassurer: Je m’en réjouis! Hamburg, im Mai 2015
Oliver H. Ramcke
Inhaltsübersicht § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Untersuchungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Teil 1
Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“ 37
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL . . . . . 37 A. Weitreichender Standard deutscher Unternehmensmitbestimmung . . . . 38 B. Punktuelle Unionsregelungen über die Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . 39 C. Bereitstellung der SE-Verhandlungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 D. SE-Beteiligungsmodell als Gesichtspunkt bei der Rechtsformwahl . . . 53 Teil 2
Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL 59
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 A. Dogmatische Einordnung des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 B. Methodik der Normkonkretisierung zur Ausfüllung des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 C. Ausfüllung des Art. 11 SE-RL mittels Normkonkretisierung . . . . . . . . 96 Teil 3
Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL durch mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze 215
§ 4 Stand der Umsetzungen des Art. 11 SE-RL in den Mitgliedstaaten . . 216 § 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland in §§ 43, 45 SEBG . . . 218 A. Allgemeines Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . 219
4 Inhaltsübersicht B. Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG . . . . 280 C. Strafbarkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 § 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL in weiteren Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 A. Ziel und Nutzen einer rechtsvergleichenden Untersuchung mitglied staatlicher Vorschriften zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . 315 B. Systematischer Vergleich mitgliedstaatlicher Regelungskonzepte anhand ausgewählter Umsetzungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 § 7 Schlussfolgerungenaus dem Vergleich mit Konkretisierungen in anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . 328 A. Lückenfüllung des § 43 SEBG mittels rechtsvergleichender Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 B. Vereinbarkeit von §§ 43, 45 SEBG mit Art. 11 SE-RL (de lege lata) . 334 C. Vorschlag für eine einheitliche Konkretisierung des Art. 11 SE-RL (de lege ferenda) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Teil 4
Konkretisierung des „Missbrauchs der SE“ durch Fallgruppen-Bildung 356
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE . . . . . . . . 356 A. Kein Missbrauch durch Unanwendbarkeit einzelstaatlicher Rechts vorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaften nationaler Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 B. Missbrauch durch Regelungen in der SE-Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 C. Missbrauch durch Maßnahmen bezüglich des Verhandlungsverfahrens . 378 D. Missbrauch durch Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung . . . . . . 393 E. Missbrauch im Hinblick auf die gesetzliche Auffangregelung . . . . . . . 428 F. Missbrauch bei Maßnahmen zur inneren Organisation des SE-Unternehmensorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 § 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE . . . . . . . . . . 454 A. Veränderungen auf Betriebsebene einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 B. Veränderungen auf Unternehmensebene einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Teil 5
Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung 531
§ 10 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 A. Thesen zu Teil 2 (Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
Inhaltsübersicht5 B. Thesen zu Teil 3 (Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL durch mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 C. Thesen zu Teil 4 (Konkretisierung des „Missbrauchs einer SE“ durch Fallgruppen-Bildung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Anhang: Mitgliedstaatliche Regelungen zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL . 559 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 A. Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 B. Untersuchungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 C. Untersuchungsgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Teil 1
Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“ 37
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL . . . . . 37 A. Weitreichender Standard deutscher Unternehmensmitbestimmung . . . . 38 B. Punktuelle Unionsregelungen über die Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . 39 I. Europäisches Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 II. Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat (EBR) . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Richtlinie zur Arbeitnehmer-Unterrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IV. Weitere Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 C. Bereitstellung der SE-Verhandlungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Bedenken einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ . . . . . . . . . . . . . 44 II. Verhandlungsmodell als Kompromisslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 III. Grundzüge des SE-Verhandlungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 IV. Export des SE-Modells zur Arbeitnehmerbeteiligung . . . . . . . . . . . 49 1. Europäische Genossenschaft (SCE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Grenzüberschreitende Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Europäische Privatgesellschaft (SPE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 D. SE-Beteiligungsmodell als Gesichtspunkt bei der Rechtsformwahl . . . 53 Teil 2
Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL 59
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 A. Dogmatische Einordnung des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 I. Doppelter Rechtscharakter des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Formeller Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . 62 2. Materiell ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel 65 II. Ergebnis zur dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL . . . . . . 67
8 Inhaltsverzeichnis B. Methodik der Normkonkretisierung zur Ausfüllung des Art. 11 SE-RL 67 I. Träger der Konkretisierungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Konkretisierungszuständigkeiten im Europarecht . . . . . . . . . . . . 69 2. Konkretisierungskompetenz für sekundärrechtliche Generalklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3. Konkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . 73 a) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Trennung der Rechtsgrundlagen aus politischen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Motive für die Einführung der Missbrauchsklausel . . . . 78 cc) Ergebnis zur historischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . 80 c) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 aa) Regelungszusammenhang zwischen SE-VO und SE-RL 80 bb) Einheitliche Konkretisierungskompetenz für SE-VO und SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 cc) Ergebnis zur systematischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . 82 d) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 aa) Art. 308 EG (jetzt Art. 352 AEUV) als Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Erwägungsgründe der SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 cc) Erwägungsgründe der SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 dd) Ergebnis zur teleologischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . 85 4. Ergebnis zur Konkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL . . 86 II. Methodische Vorgehensweise bei der Konkretisierung des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Sicherstellung eines formellen Konkretisierungsverfahrens . . . 87 a) Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH . . . . . . . . . . . . . . 87 b) Maßgeblichkeit der EuGH-Rechtsprechung für die Mitglied staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 c) Ergebnis zum formellen Konkretisierungsverfahren . . . . . . . 90 2. Instrumente zur und Prozess der Gewinnung materieller Konkretisierungsmaßstäbe für Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . 91 a) Schritt 1: Normkonkretisierung des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . 92 aa) Normauslegung anhand unionsrechtlicher Auslegungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 bb) Insbesondere: Ausfüllung des „Missbrauchs“-Begriffs mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten . . . . 93 b) Schritt 2: Entwicklung eines Prüfungsmaßstabs hinsichtlich des „Missbrauchs einer SE“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 c) Schritt 3: Systematisierung von Fallgruppen des „Missbrauchs einer SE“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 d) Ergebnis zu den materiellen Konkretisierungsinstrumenten . 96
Inhaltsverzeichnis9 C. Ausfüllung des Art. 11 SE-RL mittels Normkonkretisierung . . . . . . . . 96 I. Schutzobjekt: Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . 97 1. Begriff der „Arbeitnehmerbeteiligungsrechte“ . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Bestandschutzprinzip: Schutz der in beteiligten Gesellschaften bestehenden Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Beteiligungsrechte bei der SE-Primärgründung . . . . . . . . . . . . . 101 a) Primärgründung durch Verschmelzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Beteiligungsrechte in den „beteiligten Gesellschaften“ . 102 bb) Beteiligungsrechte in Tochtergesellschaften von beteiligten Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Primärgründung als Holding-SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Beteiligungsrechte in den „beteiligten Gesellschaften“ . 104 bb) Beteiligungsrechte in Tochtergesellschaften der „beteiligten Gesellschaften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Primärgründung als Tochter-SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Beteiligungsrechte in den „beteiligten Gesellschaften“ . 105 bb) Beteiligungsrechte in der künftigen Tochter-SE . . . . . . 106 d) Primärgründung durch Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Beteiligungsrechte in der „beteiligten Gesellschaft“ . . . 107 bb) Beteiligungsrechte in „betroffenen Tochtergesellschaften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 e) Ergebnis zum Begriff der „Beteiligungsrechte“ bei SE-Primärgründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4. Beteiligungsrechte nach Primärgründung einer SE . . . . . . . . . . 109 a) Beteiligungsrechte von in der gegründeten SE verbleibenden Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Beteiligungsrechte von nach der SE-Gründung einzustellenden Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Beteiligungsrechte von aus der SE ausscheidenden Arbeit nehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5. Beteiligungsrechte bei der SE-Sekundärgründung . . . . . . . . . . . 112 II. Tatbestandlicher Erfolg: Entziehen oder Vorenthalten . . . . . . . . . . 116 1. Entziehen, Art. 11 Var. 1 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Wortlaut des Begriffs „Entziehen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Historischer Vergleich mit ursprünglichem Begriff der „Wegnahme“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Systematischer Vergleich mit der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Teleologische Auslegung anhand des „Vorher-NachherPrinzips“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 e) Ergebnis zur Konkretisierung des Merkmals „Entziehen“ . . 123 2. Vorenthalten, Art. 11 Var. 2 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Wortlaut des Begriffs „Vorenthalten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
10 Inhaltsverzeichnis b) Systematischer Vergleich mit der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) Teleologische Auslegung anhand des „Vorher-NachherPrinzips“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 d) Ergebnis zur Konkretisierung des Merkmals „Vorenthalten“ . 127 III. Tatbestandliches Verhalten: Missbrauch einer SE . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Vorgaben durch ein allgemeines Missbrauchsverbot im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Unterschiedliche Anwendungsbereiche in der EuGH-Recht sprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 aa) Normumgehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Normerschleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe des EuGH . . . . . . . . . . . 133 aa) Objektiv-subjektiver Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) „Missbräuchliche Praxis“ der Erschleichung von Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (2) „Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“ zur Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Beschränkungen des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 bb) Erleichterter Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (1) „Missbräuchliche Praxis“ der Umgehung von Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 (2) „Missbräuchliche Praxis“ auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 c) Folgen für die Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs in Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 aa) Verhältnis zwischen dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz und den ausdrücklich im Sekundärrecht geregelten Missbrauchsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F. (jetzt Art. 15 RL 2009 / 133 / EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 (a) Leur-Bloem-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (b) Kofoed-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (c) Ergebnis zur Rechtsprechung zu Art. 11 RL 90 / 434 / EWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (d) Verhältnis von Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F. und dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 (2) Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 2988 / 95 . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (3) Art. 35 RL 2004 / 38 / EG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 (4) Art. 13 RL 77 / 388 / EWG a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 (5) Ergebnis zum Verhältnis zwischen dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot und im Sekundärrecht kodifizierten Missbrauchsverboten . . 149
Inhaltsverzeichnis11 bb) Verhältnis zwischen Art. 11 SE-RL und dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot . . . . . . . . . . . 149 2. Konkretisierungsargumente für den Begriff „Missbrauch einer SE“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 a) Wortlaut-Konkretisierungsargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Überschrift des Art. 11 SE-RL: „Verfahrensmissbrauch“ 151 bb) Objektiv zweckwidrige Verhaltensweise . . . . . . . . . . . . . 152 cc) Abgrenzung zum objektiven Erfolg des Entziehens oder Vorenthaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 dd) Subjektiv zweckwidrige Verhaltensweise . . . . . . . . . . . . 153 ee) Ergebnis zu den Wortlaut-Konkretisierungsargumenten . 155 b) Historische Konkretisierungsargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) Systematische Konkretisierungsargumente . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Regelungsort in „Teil III Sonstige Bestimmungen“ der SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 bb) Abgrenzung zur „Nichteinhaltung der Richtlinie“ . . . . . 160 cc) Abgrenzung zur „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 dd) Abgestuftes Schutzkonzept der SE-RL . . . . . . . . . . . . . . 163 ee) Ergebnis zu den systematischen Konkretisierungs argumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 d) Teleologische Konkretisierungsargumente . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Förderung der Ziele der Union im sozialen Bereich . . . 167 bb) Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO . . . . . . . . . . 169 cc) Gewährleistung grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 dd) Erhaltung unternehmerischer Beteiligungsrechte . . . . . . 175 ee) Sicherung erworbener Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . 176 (1) Vorher-Nachher-Prinzip bei der Neugründung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (2) Vorher-Nachher-Prinzip bei strukturellen Veränderungen einer bereits gegründeten SE . . . . . . . . . . . . 178 (a) Literaturauffassungen zur Abgrenzung von Art. 11 SE-RL und „strukturellen Veränderungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 (aa) Einheitliche Betrachtung von Art. 11 SE-RL und ErwG 18 S. 3 SE-RL . . . . . . . 180 (bb) „Strukturelle Veränderungen“ als Unterfall des „Missbrauchs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (cc) Bezug zur SE-Gründung als Unter scheidungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (dd) Wechselseitige Ausschließlichkeit von „Missbrauch“ und „strukturellen Veränderungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181
12 Inhaltsverzeichnis (b) Stellungnahme: Unterschiede in zeitlicher und sachlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 ff) Vorrang autonomer Beteiligungsvereinbarungen . . . . . . 185 gg) „Angemessenes Verhältnis“ zwischen Verringerung und Erhaltung von Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 hh) Mindeststandard an Beteiligung mittels gesetzlicher Auffangregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 ii) Ergebnis zu den teleologischen Konkretisierungsargumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Prüfungsmaßstab für den „Missbrauch einer SE“ . . . . . . . . . . . 192 a) Vorschlag Sagans für eine Begrenzung auf „rein künstliche Gestaltungen“ und Umgehungen nationaler Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Vorschlag für einen objektiv-subjektiven Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Objektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (1) Maßnahme der Arbeitgeberseite . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (2) Zweckwidrigkeit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . 195 (a) Zwecke der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 (b) Zwecke der SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (c) Feststellung der Zweckwidrigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 (aa) Umgehung von Beteiligungsrechte schützenden Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 (bb) Erschleichung einer Flexibilisierung von Beteiligungsrechten . . . . . . . . . . . . . . 200 (3) Kausalität zwischen tatbestandsmäßigem Verhalten und Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (4) Weitere Prüfungsstufe der Rechtfertigung? . . . . . . . 201 (a) Literaturauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (aa) Keine Rechtfertigungsmöglichkeit . . . . . . 202 (bb) Rechtfertigung aus „wirtschaftlichen“ oder „sachlichen“ Gründen . . . . . . . . . . . . 202 (b) Stellungnahme: Keine Rechtfertigungsprüfung . 204 bb) Subjektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (1) Grundsätzliche Erforderlichkeit eines subjektiven Elements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 (2) Anforderungen an den Grad des subjektiven Elements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (a) Literaturauffassungen: Von „Bewusstsein“ bis „Absicht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 (b) Stellungnahme: Direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) . . . . . . . . . . . . 209 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Inhaltsverzeichnis13 IV. Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten: „Geeignete Maßnahmen im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ . . . . 211 1. Geeignetheit der Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Beachtung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Teil 3
Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL durch mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze 215
§ 4 Stand der Umsetzungen des Art. 11 SE-RL in den Mitgliedstaaten . . 216 § 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland in §§ 43, 45 SEBG . . . 218 A. Allgemeines Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . 219 I. Dogmatische Einordnung des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Mitgliedstaatliche Generalklausel zur judikativen Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 2. Literaturauffassungen zum „Normgehalt“ des Missbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Ergebnis: Eigenständige Funktion des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . 223 a) Schranke der Parteiautonomie bei vereinbarter Beteiligung (§§ 21 ff. SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Verbot der Umgehung der Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 c) Hinweis-, Klarstellungs- und Warnfunktion . . . . . . . . . . . . . 226 II. Reichweite des Regelungsbereichs des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . 226 1. Räumlicher Geltungsbereich des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . 227 2. Zeitlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . 227 3. Persönlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . 230 4. Sachlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . 233 5. Ergebnis zum Regelungsbereich des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . 234 III. Tatbestand des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Schutzobjekt: Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern . . . . . . . . 235 a) Begriff der „Arbeitnehmer“ (§ 2 Abs. 1 SEBG) . . . . . . . . . . 235 b) Begriff der „Beteiligungsrechte“ (§ 2 Abs. 9 SEBG) . . . . . . 236 aa) Unterrichtung (§ 2 Abs. 10 SEBG), Anhörung (§ 2 Abs. 11 SEBG) und Mitbestimmung (§ 2 Abs. 12 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 bb) Beteiligungsrechte im Bereich der „sonstigen Beteiligung“ (§ 2 Abs. 9 S. 1 Var. 4 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . 237 cc) Wahrnehmung von Beteiligungsrechten in Konzern unternehmen der SE (§ 2 Abs. 9 S. 2 SEBG) . . . . . . . . 238 2. Tatbestandlicher Erfolg: Entziehen oder Vorenthalten . . . . . . . . 240 a) Abgrenzung zur „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ . . 241 aa) § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
14 Inhaltsverzeichnis bb) § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 (1) § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG als legislative NegativKonkretisierung des Art. 11 SE-RL? . . . . . . . . . . . . 243 (2) Literaturauffassungen zur Europarechtskonformität des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (3) Stellungnahme: Konkretisierung von Art. 11 SE-RL . 245 cc) Ergebnis zur Abgrenzung zu § 15 Abs. 4 SEBG . . . . . . 246 b) Abgrenzung zur „Eignung zur Minderung von Beteiligungs rechten“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 3. Tatbestandliches Verhalten: Missbrauch einer SE . . . . . . . . . . . 248 IV. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . 249 1. „Verbot“ des Missbrauchs einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Strafbewehrung in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Weitere Rechtsfolgen i. V. m. allgemeinen Vorschriften . . . . . . . 249 4. Gesellschaftsrechtliche Rechtsfolgen für die SE-Gesellschaft . . 251 a) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG als Grund für die Nichtig erklärung der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Verschmelzungsgründung: Art. 30 S. 1 SE-VO . . . . . . . 252 bb) Andere Gründungsformen: § 275 Abs. 1 AktG . . . . . . . 253 cc) Zwischenergebnis: Kein Nichtigerklärungsgrund . . . . . . 253 b) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG als Grund für die Auflösung der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 aa) Auflösungsgrund des Art. 30 S. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . 254 bb) Auflösungsgrund des § 262 Abs. 2 AktG i. V. m. § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 cc) Kein selbständiger Auflösungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . 255 dd) Zwischenergebnis: Kein Auflösungsgrund . . . . . . . . . . . 256 c) Ergebnis zu den gesellschaftsrechtlichen Rechtsfolgen . . . . 256 5. Registerrechtliche Rechtsfolgen für die SE-Gesellschaft . . . . . . 257 a) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG kein Löschungsgrund . . . . . 257 b) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG als Nichteintragungsgrund . 258 aa) Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen durch das Registergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 bb) Aussetzung des Eintragungsverfahrens durch das Registergericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 cc) Ergebnis: Missbrauch als Nichteintragungsgrund . . . . . 260 c) Ergebnis zu den registerrechtlichen Rechtsfolgen . . . . . . . . . 261 6. Zivilrechtliche Rechtsfolgen im Hinblick auf die Beteiligungs rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) § 43 S. 1 SEBG als „gesetzliches Verbot“ i. S. v. § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Inhaltsverzeichnis15 bb) Beteiligungsvereinbarung als „Rechtsgeschäft“ i. S. v. § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 cc) Verstoß der Beteiligungsvereinbarung gegen § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 dd) Vereinbarkeit der Rechtsfolge der Nichtigkeit mit dem Normzweck des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (1) Denkbare Folgen bei Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 (a) Wiederaufnahme des Verhandlungsverfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG analog . . . . . . . . . . . . . 265 (b) Beteiligung kraft Gesetzes gem. §§ 22, 34 ff. SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 (c) Zwischenergebnis: Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22, 34 ff. SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (2) Auslegung des § 43 S. 1 SEBG im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Rechtsfolge der Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung mit dem Zweck der Verbotsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 (a) Systematische Auslegung: Strafrechtliche Sanktion des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . . . . 270 (b) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 ee) Ergebnis zur Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 b) Insbesondere: Rechtsfolgen bei Umgehung der Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) . . 272 aa) Unmittelbare Anwendbarkeit des § 134 BGB? . . . . . . . 272 bb) Analoge Anwendbarkeit des § 134 BGB? . . . . . . . . . . . 273 cc) Ergebnis zu den Rechtsfolgen bei Umgehung der Beteiligung kraft Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 c) Schadensersatzansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Ersatzfähiger Schaden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (1) Umgehung von § 15 Abs. 3 SEBG . . . . . . . . . . . . . 275 (2) Umgehung von § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG . . . . . . 276 bb) Ergebnis zu Schadensersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . 276 d) Selbständiger Unterlassungsanspruch aus § 43 S. 1 SEBG . . 276 e) Verhältnis des § 43 S. 1 SEBG zum Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 f) Verhältnis des § 43 S. 1 SEBG zur Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 B. Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG . . . . 280 I. Dogmatische Einordnung des § 43 S. 2 SEBG: Verknüpfung von Art. 11 SE-RL und ErwG 18 S. 3 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . 281 II. Konkretisierung des § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG . . . . . . . 284
16 Inhaltsverzeichnis 1. Tatbestand des § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 a) Stattfinden struktureller Änderungen ohne Durchführung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Merkmal der „strukturellen Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 (1) Auslegung des Begriffs in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG . 285 (a) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (b) Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 (aa) Erstreckung der Grundsätze auf strukturelle Änderungen (§ 1 Abs. 4 SEBG) . . . . 288 (bb) Änderungen der Arbeitnehmerzahl als aliud zu strukturellen Änderungen (§ 5 Abs. 4, § 25 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . 289 (cc) Privatautonome Bestimmung von Fällen der Wiederaufnahme (§ 21 Abs. 4 S. 1, Abs. 6 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 (dd) Strafvorschrift des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (ee) Regelbeispiele für „wesentliche Struktur änderungen“ in § 37 EBRG . . . . . . . . . . . 292 (d) Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 (2) Konkretisierungsvorschläge in der Literatur hinsichtlich „struktureller Änderungen“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (a) Argumente für eine restriktive Auslegung . . . . 297 (b) Argumente für eine weite Auslegung . . . . . . . . 299 (3) Stellungnahme: Konkretisierung des Begriffs „struktureller Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG . 301 bb) Ausbleiben einer ordnungsgemäßen Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG . . . . . . . . . . . 303 cc) Zeitpunkt des „Stattfindens“ struktureller Änderungen . 303 b) Zeitlicher Zusammenhang zwischen SE-Gründung und dem Stattfinden struktureller Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 c) Tatbestandlicher Erfolg: Vorenthalten oder Entziehen von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 d) Kausalität zwischen stattgefundenen strukturellen Änderungen und tatbestandlichem Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . 306 2. Rechtsfolge des § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 a) Gesetzliche Rechtsvermutung des Missbrauchs einer SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 b) Widerlegbarkeit der Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Ergebnis zur Konkretisierung des § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . 309
Inhaltsverzeichnis17 C. Strafbarkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 I. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 2. Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. Rechtswidrigkeit und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 III. Strafantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 § 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL in weiteren Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 A. Ziel und Nutzen einer rechtsvergleichenden Untersuchung mitglied staatlicher Vorschriften zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . 315 B. Systematischer Vergleich mitgliedstaatlicher Regelungskonzepte anhand ausgewählter Umsetzungsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 I. Regelungskonzepte zum „Missbrauch einer SE“ . . . . . . . . . . . . . . 317 1. Typ A1: Verbot des Missbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 2. Typ A2: Andere Missbrauchsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 3. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 4. Ergänzende Strafnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 II. Regelungskonzepte zu „strukturellen Veränderungen einer SE“ . . 321 1. Dogmatische Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen „strukturellen Änderungen einer SE“ und „Missbrauch einer SE“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 a) Typ B1 – Rechtsfolge der Änderung: Neuverhandlungen . . 322 b) Typ B2 – Weitergehende Rechtsfolge der Änderung: SE-Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Inhaltliche Bestimmung „(struktureller)(Ver-)Änderungen der SE“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 a) Typ C1: Keine legislative Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . 324 b) Typ C2: Katalogtatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 c) Typ C3: Bestimmung des Vergleichsmaßstabs . . . . . . . . . . . 326 3. Rechtfertigung struktureller Änderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 III. Regelungskonzepte zum Verfahren bei einem „Missbrauch einer SE“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 § 7 Schlussfolgerungen aus dem Vergleich mit Konkretisierungen in anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . 328 A. Lückenfüllung des § 43 SEBG mittels rechtsvergleichender Auslegung . 329 I. Zeitlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . 329 II. Prüfungsmaßstab des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 1. Objektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 2. Subjektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 III. Rechtfertigungsmöglichkeit bei Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG . . 331 IV. Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 V. „Strukturelle Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . 333
18 Inhaltsverzeichnis B. Vereinbarkeit von §§ 43, 45 SEBG mit Art. 11 SE-RL (de lege lata) . 334 I. Vereinbarkeit des § 43 S. 1 SEBG mit Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . 334 1. Missbrauchsverbot als „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 2. Mitgliedstaatliche Generalklausel als Maßnahme „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Grundsätzliche Anforderungen an mitgliedstaatliche Umsetzungen von Richtlinien-Generalklauseln . . . . . . . . . . . 335 aa) Vorgaben der Richtlinie hinsichtlich der Konkretisierungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 bb) Unionsrechtlicher Grundsatz der Rechtssicherheit . . . . . 338 b) Ordnungsgemäße Umsetzung mit der Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 aa) Keine Vorgabe des Art. 11 SE-RL für die Konkreti sierungsart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 bb) Vereinbarkeit mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 II. Vereinbarkeit des § 43 S. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . 341 III. Unvereinbarkeit des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL . 342 1. Strafnorm als „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL . . . 342 2. Vereinbarkeit der Strafnorm mit „gemeinschaftlichen Rechts vorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 a) Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 aa) Literaturauffassungen zur Bestimmtheit des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 bb) Stellungnahme: Hinreichende Bestimmtheit durch Konkretisierung des § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 bb) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 cc) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 dd) Ergebnis: Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 3. Ergebnis: Verstoß gegen „gemeinschaftliche Rechtsvorschriften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 C. Vorschlag für eine einheitliche Konkretisierung des Art. 11 SE-RL (de lege ferenda) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
Inhaltsverzeichnis19 Teil 4
Konkretisierung des „Missbrauchs der SE“ durch Fallgruppen-Bildung 356
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE . . . . . . . . 356 A. Kein Missbrauch durch Unanwendbarkeit einzelstaatlicher Rechts vorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaften nationaler Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 I. Kein Missbrauch durch Wegfall von Beteiligungsrechten in den beteiligten Gesellschaften nach nationalem Recht infolge Anwendung der SE-Gesetzgebung auf die SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 II. Kein Missbrauch durch Beibehaltung des status quo ohne Betei ligungsrechte in den beteiligten Gesellschaften auch in der SE . . 358 III. Kein Missbrauch durch Beibehaltung des status quo des bisherigen Niveaus an Beteiligungsrechten in den beteiligten Gesellschaften auch in der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 IV. Kein Missbrauch durch Wegfall von Konzern-Beteiligungsrechten (§ 5 Abs. 1 MitbestG) in den beteiligten Gesellschaften infolge Anwendung der SE-Gesetzgebung auf die SE . . . . . . . . . . 363 B. Missbrauch durch Regelungen in der SE-Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 I. Kein Missbrauch durch „forum shopping“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 II. Missbrauch im Zusammenhang mit der Wahlfreiheit zwischen dualistischer und monistischer Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . 367 1. Kein Missbrauch durch Wechsel der Organisationsstruktur bei SE-Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Missbrauch durch Auslagerung der Mitbestimmung aus dem SE-Verwaltungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 III. Kein Missbrauch durch quantitative Verringerung der Gesamtzahl der Mitglieder des mitbestimmten SE-Unternehmensorgans . . . . . 370 IV. Kein Missbrauch durch qualitative Einschränkung von Mit bestimmungsrechten in der Satzung aufgrund Art. 39 Abs. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 C. Missbrauch durch Maßnahmen bezüglich des Verhandlungsverfahrens . 378 I. Kein Missbrauch durch Gründung einer Vorrats-SE ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens . . . . . . . . . 379 1. Überwiegende Literaturauffassung: Kein Missbrauch durch Gründung als Vorrats-SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 2. Rechtsprechung: Unterscheidung nach dem Vorhandensein von Arbeitnehmern in den Gründungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . 382 3. Stellungnahme: Kein Missbrauch allein durch Gründung als Vorrats-SE mit weniger als zehn Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . 384 II. Missbrauch durch SE-Gründung mit Arbeitnehmern in nur einem Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 1. Literaturvorschläge für eine teleologische Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
20 Inhaltsverzeichnis 2. Stellungnahme: Unterscheidung zwischen mitbestimmungslosen und mitbestimmten Gründungsgesellschaften . . . . . . . . . . 388 a) Kein Missbrauch bei mitbestimmungslosen Gründungs gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 b) Missbrauch bei mitbestimmter Gründungsgesellschaft . . . . . 389 III. Kein Missbrauch durch Umgehung der §§ 4 ff. SEBG mittels Umwandlung einer plc. in eine SE nach vorheriger grenzüber schreitender Einbringung von Betriebsvermögen einer mitbestimmten AG in die plc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 D. Missbrauch durch Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung . . . . . . 393 I. Umgehung von Beteiligungsrechte schützenden Normen . . . . . . . 394 1. Missbrauch durch Umgehung der Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 a) Keine Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . 397 b) Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 2. Missbrauch durch Umgehung des besonderen Schutzes nach § 15 Abs. 5 SEBG bei der Umwandlungsgründung . . . . 402 a) Kein Missbrauch durch Wahl der Gründungsvariante der Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) statt der Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 b) Holding-SE-Gründung durch Konzerntöchter und anschließende Verschmelzung der Konzernmutter auf die Holding-SE statt Umwandlung der Konzernmutter in eine SE („Verdeckte Umwandlung“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 aa) Kein Missbrauch zulasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der Tochter-Gesellschaften als beteiligte Gesellschaften der Holding-SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 bb) Missbrauch zulasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der bisherigen Mutter-AG bei der Verschmelzung auf die Holding-SE . . . . . . . . . . . . . . . 407 3. Kein Missbrauch durch Begrenzung der Mitbestimmung auf nicht-geschäftsführende Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 II. Erschleichung einer Flexibilisierung von Beteiligungsrechten . . . . 413 1. Missbrauch bei der Verteilung der Arbeitnehmersitze im SE-Unternehmensorgan auf die SE-Belegschaften in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 2. Kein Missbrauch durch Ausschluss der Entsendung externer Gewerkschaftsvertreter in das SE-Unternehmensorgan . . . . . . . 418 3. Kein Missbrauch durch Wechsel vom Repräsentations- zum Kooptationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 a) Umwandlung mit Wechsel von einer zur anderen Mit bestimmungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 b) Verschmelzung mit Festlegung einer bestimmten Mit bestimmungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
Inhaltsverzeichnis21 4. Kein Missbrauch durch Vereinbarung einer Einschränkung des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 E. Missbrauch im Hinblick auf die gesetzliche Auffangregelung . . . . . . . 428 I. Missbrauch durch Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 1. Kurzfristige Absenkung der Arbeitnehmerzahl in der beteiligten Gesellschaft mit anschließender Anhebung der Arbeit nehmerzahl in der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 2. „Verdeckte Umwandlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 II. Missbrauch durch Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 1. SE-Gründung mit ausschließlich mitbestimmungslosen Grün dungsgesellschaften und anschließender Verschmelzung mit bestimmter Gesellschaften auf die mitbestimmungslose SE . . . 436 2. Umgehung der Schwellenwerte für das Eingreifen der Mit bestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG . . . . 439 III. Missbrauch durch Umgehung des § 35 Abs. 1 SEBG hinsichtlich des Umfangs der Mitbestimmung kraft Gesetzes bei der Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 F. Missbrauch bei Maßnahmen zur inneren Organisation des SE-Unter nehmensorgans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 I. Besetzung von Ausschüssen ohne Arbeitnehmervertreter . . . . . . . . 447 II. Übertragung von Befugnissen auf Ausschüsse ohne Arbeitnehmer vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 § 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE . . . . . . . . . . 454 A. Veränderungen auf Betriebsebene einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 I. Anstieg der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben einer SE . . . . . . . 454 1. Neueinstellungen in der SE durch Begründung neuer Arbeits verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 454 aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . 455 bb) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 459 2. Betriebs(teil)erwerb der SE mit Betriebsübergang (§ 613 a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 462 aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . 462 (1) Keine einheitliche Literaturauffassung zur Frage einer „strukturellen Änderung“ bei Betriebsübergang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 (2) Stellungnahme: Keine „strukturelle Änderung“ bei Betriebsübergang (§ 613a BGB) . . . . . . . . . . . . 463
22 Inhaltsverzeichnis bb) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 (1) Keine einheitliche Literaturauffassung zur Frage einer „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Betriebsübergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 (2) Stellungnahme: Keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Betriebsübergang (§ 613 a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung bei Betriebsübergang (§ 613 a BGB) . . . . . 466 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 466 aa) Vereinzelte Annahme eines Missbrauchs durch Betriebsübergang auf die SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 bb) Stellungnahme zu § 43 S. 1 SEBG: Missbrauch bei mehrfachem Betriebsübergang (§ 613a BGB) . . . . . . . . 467 II. Absenkung der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben einer SE . . . . 471 1. Beendigung von Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 aa) Literaturauffassungen zur Anwendbarkeit des § 18 Abs. 3 SEBG bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen 472 bb) Stellungnahme: Keine Anwendbarkeit des § 18 Abs. 3 SEBG bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen . . . . . . 473 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 474 2. Betriebs(teil)veräußerung mit Betriebsübergang (§ 613 a BGB) 475 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 475 aa) Keine direkte Anwendung von § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. 475 bb) Keine analoge Anwendung von § 18 Abs. 3 SEBG . . . 476 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung bei Betriebs(teil)veräußerung mit Betriebs übergang (§ 613 a BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 b) Grundsätzlich kein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . 477 c) Ausnahmsweise Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG bei Betriebsübergang auf sekundäre mitbestimmungsfreie SE-Tochter (Art. 3 Abs. 2 SE-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 III. Betriebliche Umstrukturierungen durch Verlegung oder Zusammenschluss von Betrieben der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 1. Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . 479 a) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . 479 b) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 c) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung bei betrieblichen Umstrukturierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 2. Kein Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . 481 B. Veränderungen auf Unternehmensebene einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
Inhaltsverzeichnis23 I. Veränderungen in der Satzung einer SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 1. Grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE . . . . . . . . . . . . . . 481 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 482 aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) bei grenzüberschreitender Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . 482 (1) Literaturauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 (2) Analogie zu ErwG 21 S. 4, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 (3) Ergebnis: „Strukturelle Änderung“ bei grenzüber schreitender Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 bb) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) bei grenzüberschreitender Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 (1) Literaturauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 (2) Art. 8 Abs. 2 S. 2 lit. c) SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . 486 (3) Ergebnis: Keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei grenzüberschreitender Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 489 aa) Überwiegende Verneinung eines Missbrauchs bei Sitzverlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 bb) Stellungnahme zur Sitzverlegung: Kein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 2. Wechsel der Organisationsstruktur einer SE . . . . . . . . . . . . . . . 490 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 491 aa) „Strukturelle Änderung“ bei Wechsel der Organisa tionsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 (1) Uneinigkeit in der Literatur hinsichtlich des Vorliegens einer „strukturellen Änderung“ bei Wechsel der Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . 491 (2) Stellungnahme: „Strukturelle Änderung“ bei Wechsel der Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . 492 bb) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Wechsel der Organisationsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 (1) Uneinigkeit in der Literatur zur Frage einer „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ durch einen Wechsel der Organisationsstruktur. . . . 493 (2) Stellungnahme: Keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Wechsel der Organisa tionsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 496
24 Inhaltsverzeichnis II. Veränderungen in den Beteiligungsverhältnissen einer SE . . . . . . 497 1. Beteiligungserwerb durch die SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 498 aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . 499 bb) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 503 2. Beteiligungsveräußerung durch die SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 504 aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . 505 bb) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 506 III. Gesellschaftsrechtliche Veränderungen der SE . . . . . . . . . . . . . . . . 506 1. Veränderungen mit einer SE als aufnehmende Rechtsträgerin . 506 a) Verschmelzung einer AG auf eine SE durch Aufnahme . . . . 507 b) Spaltung einer AG auf eine SE als übernehmende Rechtsträgerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 2. Veränderungen einer mitbestimmten SE mit einer mitbestimmungslosen Gesellschaft nationaler Rechtsform als aufnehmende Rechtsträgerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 a) Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mit bestimmungslose Gesellschaft nationaler Rechtsform (Art. 66 Abs. 1 S. 1 SE-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 aa) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . 512 bb) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . 513 b) Sonstige Umstrukturierungen einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose Gesellschaft nationaler Rechtsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 3. „Wirtschaftliche Neugründung“ einer Vorrats-SE . . . . . . . . . . . 518 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . 519 aa) Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 (1) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . 519 (2) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 bb) Analogie zu §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG . . . . . . . . . . 522 (1) Begründung der Analogie zur „Verhinderung eines Missbrauchs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
Inhaltsverzeichnis25 (2) Teilweise Ablehnung der Analogie mangels Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 (3) Stellungnahme: Nachholung nur unter den Voraus setzungen von § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . 524 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . 526 aa) „Entziehen“ von Beteiligungsrechten (§ 43 S. 1 Var. 1 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 bb) „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten (§ 43 S. 1 Var. 2 SEBG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 cc) Denkbare Fallgestaltungen bei „wirtschaftlicher Neugründung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 (1) SE-Gründung durch arbeitnehmerlose Gesellschaften und anschließende Beschäftigung von Arbeitnehmern in der Holding- / Tochter-SE . . . . . . 528 (2) Verzögerte Einstellung von Arbeitnehmern . . . . . . . 529 c) Ergebnis zur „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 Teil 5
Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung 531
§ 10 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 A. Thesen zu Teil 2 (Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 I. Zur Dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . 531 II. Zur Methodik der Normkonkretisierung zur Ausfüllung des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 III. Zur Ausfüllung des Art. 11 SE-RL mittels Normkonkretisierung . 532 B. Thesen zu Teil 3 (Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL durch mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 I. Zur Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland in §§ 43, 45 SEBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 II. Zum Rechtsvergleich der Umsetzungen des Art. 11 SE-RL . . . . . . 543 III. Zu den Schlussfolgerungen aus den mitgliedstaatlichen Konkre tisierungen des Art. 11 SE-RL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 C. Thesen zu Teil 4 (Konkretisierung des „Missbrauchs einer SE“ durch Fallgruppen-Bildung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 I. Zum Missbrauch bei Gründung der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 II. Zum Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung der SE . . . . 554 Anhang: Mitgliedstaatliche Regelungen zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL . 559 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586
§ 1 Einleitung Noch vor ihrer Einführung ist sie als „Flaggschiff des Europäischen Gesellschaftsrechts“1 betitelt worden: die Societas Europaea (SE), auch „Europäische (Aktien-) Gesellschaft“2 genannt. Nach ihrer Bereitstellung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)3 durch Inkrafttreten der SE-VO4 und der SE-RL5 am 8. Oktober 2004 etabliert6 sich die SE entgegen7 anfänglicher Skepsis8 zunehmend als originär europäische,9 grenzüberschreitende10 Rechts1 Hopt
ZIP 1998, 96, 99. zur Terminologie Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1000, wonach die SE in den Entwürfen als „Europäische Aktiengesellschaft“ bezeichnet wurde, während die lateinische Bezeichnung „Societas Europaea“ sich korrekterweise nur mit „Europäischer Gesellschaft“ übersetzen lasse, was jedoch nichts daran ändere, dass die SE in ErwG 13 SE-VO – und i.Ü. auch in Art. 1 Abs. 1 SE-VO sowie Art. 1 Abs. 1 SE-RL – ausdrücklich als Aktiengesellschaft bezeichnet wird. 3 Dazu zählen neben den EU-Mitgliedstaaten auch Island, Liechtenstein und Norwegen. Mitgliedstaaten sind daher im Folgenden solche der EU und des EWR (vgl. auch Art. 6 SE-RL, § 3 Abs. 2 SEBG). 4 Verordnung (EG) Nr. 2157 / 2001 des Rates vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO), ABl. Nr. L 294, S. 1. 5 Richtlinie 2001 / 86 / EG des Rates vom 8.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. Nr. L 294, S. 22. 6 Kiem ZHR 173 (2009), 156, 157; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 2; vgl. die Übersicht über bereits gegründete SEs unter www. worker-participation.eu / European-Company. 7 Vgl. Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 337 („keinesfalls als ‚praxisuntaugliche Fehlkonstruktion‘ erwiesen“), Fn 75 („Wirklich fehlgeschlagen ist die SE-Gründung bislang nur im Falle der Zoll Pool Hafen Hamburg SE“); Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 87; Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 14 („Feuertaufe in der Unternehmenspraxis bestanden“); Hinrichs / Plitt NZA 2010, 204. 8 Nach Brandes ZIP 2008, 2193 galt die SE nach weit verbreiteter Ansicht als „Totgeburt“; vgl. auch Manz in: Schwarze, Wirtschaftsverfassungsrechtliche Garantien 2001, S. 141 („praxisuntaugliche Fehlkonstruktion“). 9 Rehberg ZGR 2005, 859, 864; Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1001. 10 Teichmann ZGR 2002, 383, 385, 387 („Supranationale Kapitalgesellschaft“); Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 326 („scheinbare Supranationalität“; „Sie ist, auch wenn sie erhebliche Anleihen am jeweiligen nationalen Recht zu machen hat, 2 Vgl.
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form.11 Zunächst bedienten sich Großunternehmen mit bekannten Namen wie MAN, Allianz, Fresenius, Porsche und BASF in Deutschland,12 SCOR in Frankreich, Elcoteq in Luxemburg und Strabag13 in Österreich der „Europa AG“. Mittlerweile erweist sich diese Rechtsform auch als Option für kleine und mittelständische Unternehmen14 sowie für familiengeführte15 Betriebe. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist ein für die SE „zentrales Thema“16. Unter Mitbestimmung wird allgemein eine Integration der Arbeitnehmer in die Organisationsverfassung der Gesellschaft verstanden.17 Für die bisher bereits vorhandenen nationalen Rechtsformen wie die AG oder die GmbH wird im deutschen Recht zwischen betrieblicher und unternehmerischer Mitbestimmung unterschieden.18 Die betriebliche Mitbestimmung richtet sich nach dem BetrVG und regelt die Wahrnehmung von Rechten der Arbeitnehmer insbesondere auf Information, Anhörung und Beratung sowie Veto- und Initiativrechte im Betrieb mittels eines Betriebsrats.19 Unter unternehmerischer Mitbestimmung ist die Mitwirkung der Arbeitnehmer an der Unternehmensführung über die Wahrnehmung von Rechten im Aufsichtsrat zu verstehen, die für die deutschen Rechtsformen wie die AG oder die GmbH unter anderem im MitbestG und im DrittelbetG geregelt ist.20 Für die SE wurde mit der SE-RL der Oberbegriff der eine grenzüberschreitende europäische Gesellschaftsform.“); Reichert / Brandes ZGR 2003, 767 („[…] steht fest, dass die SE nur um den Preis des Verzichts auf eine wirklich supranationale Gesellschaftsform mit einheitlichem Erscheinungsbild das Licht der Welt erblickt hat.“). 11 Für aktuelle Zahlen zu den inzwischen über 2.000 eingetragenen SE-Gesellschaften vgl. den Factsheet des European Trade Union Institute (ETUI) zur European Company Database (ECDB), abrufbar unter: http: / / de.worker-participation. eu / Europa-AG-SE / SE-COMPANIES / Facts-and-Figures. 12 Vgl. Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 322; v. Rosen in FS Hopt 2010, S. 1245, 1246; vgl. auch Nagel ZIP 2011, 2047, wonach die SE insbesondere von deutschen Unternehmen zunehmend als Rechtsform genutzt wird. 13 Dazu Wagner EWS 2005, 545, 546. 14 Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2008, 721, 726; Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999 ff.; Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 87; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 322; v. Rosen in FS Hopt 2010, S. 1245, 1248; vgl. auch Blanquet ZGR 2002, 20, 52. 15 So etwa der Schuhhändler Deichmann, der seit 1.1.2010 als Deichmann SE firmiert; vgl. Pressemitteilung der Deichmann SE v. 10.2.2010, abrufbar unter: http: / / www.deichmann.de / site / de / presse_unternehmen_1806.php. 16 Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 331. 17 Teichmann AG 2008, 797, 799. 18 Vgl. Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743. 19 Vgl. ErfK / Koch § 1 BetrVG Rn 2. 20 Vgl. ErfK / Oetker MitbestG Einl. Rn 1.
§ 1 Einleitung29
„Arbeitnehmerbeteiligung“ eingeführt, worunter einerseits grenzüberschreitende betriebliche Anhörungs- und Unterrichtungsrechte der Arbeitnehmer, andererseits unternehmerische Mitbestimmungsrechte zusammengefasst werden.21
A. Untersuchungsgegenstand Oft ist behauptet22 oder jedenfalls die Frage23 aufgeworfen worden, ob und inwieweit die Rechtsform der SE es Unternehmen ermöglichen kann, eine Verringerung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer zu erreichen. Ziel der Dissertation ist es, die bisher unklare24 Reichweite des Verbots des „Missbrauchs einer SE“ zum Schutz der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in Art. 11 SE-RL – im deutschen Recht umgesetzt in § 43 SEBG – zu konkretisieren. Die dieser Untersuchung zugrundeliegende Fragestellung betrifft das Spannungsverhältnis25 zwischen Gestaltungsfreiheit von Beteiligungsrechten in der SE einerseits und Bestandschutz von in den Gründungsunternehmen der SE bereits existierenden Beteiligungsrechten andererseits, welches in der die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE regelnden SE-RL angelegt ist.26 Das mit der SE-RL bereitgestellte Verhandlungsverfahren über die Arbeitnehmerbeteiligung räumt Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Gestaltungsfreiheit ein, die Mitbestimmung im Grundsatz privatautonom zu regeln.27 21 Ringe
Diss. 2006, S. 150; Ringe NZG 2006, 931. etwa Keller / Werner WSI-Mitt. 2009, 416, 421 f. („SE als Vehikel zur Einschränkung bzw. zum Einfrieren von Mitbestimmung“); Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743; vgl. auch Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209 („Nutzung einer SE als Vehikel für die Steuerung des Mitbestimmungsniveaus“). 23 Vgl. Storm The SE 2006, S. 3, 18: „Can employee participation be avoided?“; vgl. auch die von Keller / Werner WSI-Mitt. 2007, 604, 610 aufgeworfene Frage: „Wird die SE möglicherweise genutzt, Arbeitnehmerbeteiligung einzufrieren oder gar einzuschränken?“. 24 Vgl. Joost in: Oetker / Preis, EAS B 8200 Rn 250: „Die Tragweite dieser Bestimmung [des § 43 SEBG in Ausführung von Art. 11 SE-RL; Einfügung durch Verf.] ist reichlich unklar.“; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 1054: „[…] hat das SEBG ein allgemeines Missbrauchsverbot in das SEBG aufgenommen, dessen Konkretisierung jedoch erhebliche Schwierigkeiten bereitet.“; Schmid Diss. 2010, S. 186: „Unklar ist die Reichweite des Missbrauchstatbestands, weil der Missbrauchsbegriff in § 43 S. 1 SEBG, der dem Wortlaut von Art. 11 SE-RL entspricht, unzureichend konkretisiert ist.“. 25 So auch Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 769. 26 Vgl. kritisch Rehberg ZGR 2005, 859, 872; Kisker RdA 2006, 206, 207; Koch Diss. 2010, S. 201. 27 Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 768; Kisker RdA 2006, 206, 207. 22 Zuletzt
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Sie können die Mitbestimmung ausformen, indem sie im Zuge eines besonderen Verhandlungsverfahrens eine gemeinsam ausgehandelte Beteiligungsvereinbarung abschließen.28 Damit sollen flexible, an der spezifischen Unternehmensstruktur ausgerichtete Lösungen ermöglicht werden.29 Begrenzt wird die Gestaltungsmacht durch das Konzept des Bestandschutzes. Der europäische Richtliniengeber sieht die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen als „fundamentalen Grundsatz“ an und erklärt dies zum „Ziel“30 der die Arbeitnehmerbeteiligung regelnden SE-RL. Sofern und soweit es Mitbestimmungsrechte in einer oder in mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften gibt, sollen diese durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben.31 Für eine Gestaltung der Beteiligungsrechte im Vereinbarungswege sollen daher als Ausgangspunkt die vor der Gründung der SE bestehenden Rechte der Arbeitnehmer dienen („VorherNachher-Prinzip“).32 Im Schrifttum ist am Konzept der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE kritisiert worden, dass die darin verankerten Eckpunkte der Gestaltungsfreiheit einerseits und des Bestandschutzes andererseits, wenn überhaupt, nur schwer zu harmonisieren seien.33 Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Regelungszielen komme in den zahlreichen zur Sicherung des Bestandschutzes vorgesehenen Einschränkungen der Verhandlungsfreiheit zum Ausdruck.34 Zudem liege eine Störung des Verhandlungsgleichgewichts vor, indem beim Scheitern der Verhandlungen eine gesetzliche Auffangregelung die Übertragung des höchsten bisher vorhandenen Mitbestimmungsniveaus auf die SE anordne.35 Vor diesem Hintergrund sei das Spannungsverhältnis zwischen Gestaltungsfreiheit und Bestandschutz durch den 28 Vgl.
ErwG 7 Hs. 2 SE-RL. RdA 2006, 206, 207; Röder / Rolf in FS Löwisch 2007, S. 249, 266; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 331. 30 ErwG 18 S. 1 SE-RL. 31 ErwG 7 Hs. 1 SE-RL. 32 Vgl. ErwG 18 S. 2 SE-RL. 33 Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 768 (Der bereits allgemein vorgegebene Schwierigkeitsgrad werde dadurch „potenziert“); vgl. auch Kisker RdA 2006, 206, 207, wonach die SE-RL mit der Gestaltungsfreiheit und dem Bestandschutz „zwei gegenläufige Ziele“ verfolge. 34 Vgl. Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 768 („Der Bestandsschutz findet in den Vorgaben bzw. Hürden für eine Verhandlungslösung Ausdruck.“); Kisker RdA 2006, 206, 207 nennt etwa das Erfordernis einer Zweidrittel-Mehrheit im besonderen Verhandlungsgremium bei Beschlüssen, die zu einer Minderung an Beteiligungsrechten führen, sowie den gänzlichen Ausschluss einer Minderung bei der Gründungsvariante der Umwandlung. 35 Kisker RdA 2006, 206, 207. 29 Kisker
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nationalen Gesetzgeber „in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen und das Zusammenspiel der gegenläufigen Kräfte zu harmonisieren“36. Der nationale Gesetzgeber wurde aufgefordert, einen Mechanismus zu entwickeln, der zum einen gewährleiste, dass der status quo der Arbeitnehmerbeteiligung an Unternehmensentscheidungen gesichert sei, zum anderen aber auch die Gestaltungsfreiheit der Parteien bei der Entwicklung einer individuellen Lösung der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE nicht über Gebühr eingeschränkt werde.37 Vor Einführung der SE lagen über fast vier Jahrzehnte hinweg andauernde schwierige politische Verhandlungen.38 Streitpunkt war stets die Ausgestaltung der auf sie anzuwendenden Arbeitnehmerbeteiligung.39 Die euro päische Vielfalt an Mitbestimmungsmodellen und -traditionen verhinderte zunächst eine Einigung über eine gemeinsame europäische Rechtsform.40 Verlangsamt wurde der Einführungsprozess vor allem durch Bedenken, insbesondere aus Deutschland, dass Unternehmen die Rechtsform der SE dazu nutzen könnten, dem hohen Grad an Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer, wie er vor allem in Deutschland Tradition hat, zu entgehen: Befürchtet wurde eine „Flucht aus der Mitbestimmung“41. Mit diesem Makel behaftet stand die Einführung der SE bisweilen in Frage.42 Dennoch gelang ein „historischer, allerdings völlig unerwarteter Durchbruch“43 auf dem Gipfel des Europäischen Rats von Nizza Ende des Jahres 2000. Hier konnte ein politischer Kompromiss für die Arbeitnehmerbeteiligung gefunden werden.44 Im Jahre 2001 wurde die rechtliche Basis für das gesellschaftsrechtliche SE-Statut sowie für die Arbeitnehmerbeteiligung gelegt. Rechtsgrundlage für das Gesellschaftsrecht der SE ist die – in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbare – SE-VO. Rechtsgrundlage für die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE ist die SE-RL, welche die Bundes36 Reichert / Brandes
ZGR 2003, 767, 768. ZGR 2003, 767, 769. 38 Zur historischen Entwicklung ausführlich: Mävers Diss. 2002. 39 Vgl. auch für das Zustandekommen der Regelungen zur grenzüberschreitenden Verschmelzung Henssler in FS Westermann 2008, S. 1019, 1035; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205. 40 Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 1. 41 Siehe nur Hopt ZGR 1992, 265, 278. 42 Die Verordnungsvorschläge der Kommission vom 30.6.1970, 10.4.1975, 25.8.1989 und 16.5.1991 scheiterten; ausführlich dazu Mävers Diss. 2002, S. 184 f., 272; Güntzel Diss. 2006, S. 65; Steinberg Diss. 2005, S. 44 f.; Taschner / Bodenschatz in: Jannott / Frodermann Kap 1 Rn 15 ff. 43 Wenz in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 1 Rn 4. 44 Hopt EuZW 2002, 1; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205. 37 Reichert / Brandes
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republik Deutschland mit dem am 29. Dezember 2004 in Kraft getretenen SE-Beteiligungsgesetz (SEBG)45 in nationales Recht umgesetzt hat. Der europäische Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten in Art. 11 SERL aufgegeben, „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen [zu treffen], um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.“
In Umsetzung der Vorgabe des Art. 11 SE-RL hat der deutsche Gesetzgeber ein eigenständiges Missbrauchsverbot in § 43 S. 1 SEBG erlassen: „Eine SE darf nicht dazu missbraucht werden, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“.
Zudem ordnet § 18 Abs. 3 SEBG die Wiederaufnahme der Verhandlungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Falle struktureller Änderungen der SE an. Mit § 18 Abs. 3 SEBG verknüpft ist die Regelung des § 43 S. 2 SEBG: „Missbrauch wird vermutet, wenn ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden.“
Zusätzlich stellt § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG den Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG unter Strafe. Die vorgenannten Vorschriften stellen sowohl die Rechtswissenschaft als auch den praktischen Rechtsanwender in vielerlei Hinsicht vor Probleme.46 45 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft v. 22.12.2004, BGBl. I S. 3675, 3686. 46 Vgl. Joost in: Oetker / Preis, EAS B 8200 Rn 250: „Die Tragweite dieser Bestimmung [des § 43 SEBG in Ausführung von Art. 11 SE-RL; Einfügung durch Verf.] ist reichlich unklar.“; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 1054: „[…] hat das SEBG ein allgemeines Missbrauchsverbot in das SEBG aufgenommen, dessen Konkretisierung jedoch erhebliche Schwierigkeiten bereitet.“; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 54: „Zu den besonders problematischen Vorschriften des SEBG gehört das Verbot, eine SE zu missbrauchen, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.“; Schmid Diss. 2010, S. 186: „Unklar ist die Reichweite des Missbrauchstatbestands, weil der Missbrauchsbegriff in § 43 S. 1 SEBG, der dem Wortlaut von Art. 11 SE-RL entspricht, unzureichend konkretisiert ist.“; Koch Diss. 2010, S. 201: „Der Anwendungsbereich des im SEBG normierten Missbrauchsverbots ist allerdings äußerst unklar. […] Dies ist insofern problematisch für die handelnden Personen, da keine gesicherte Prognose darüber abgegeben werden kann, wie die Gerichte einen Streitfall später entscheiden werden.“; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2: „Dieses Missbrauchsverbot ist offen formuliert und führt daher zu großen Auslegungsschwierigkeiten.“.
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Rieble spricht gar davon, dass „die dunkle Vorschrift des § 18 Abs. 3 SEBG von dem noch dunkleren Missbrauchsverbot des § 43 SEBG“47 flankiert werde. Die genannten Regelungen mit ihren unbestimmten Rechtsbegriffen wie „Missbrauch“ oder „strukturelle Änderung“ in Kombination mit der Vermutungsregel des § 43 S. 2 SEBG haben daher erhebliche Rechtsunsicherheiten ausgelöst.48 Das Schrifttum konnte in diesem Bereich bisher nur ansatzweise Klärungsversuche unternehmen.49 Die SE beginnt als noch sehr junge Rechtsform gerade erst ihren Siegeszug in der europäischen Rechtsformenlandschaft und steckt nach Reichert immer noch in ihren „Kinder schuhen“50. Dementsprechend gibt es bislang – soweit ersichtlich – weder EuGH-Rechtsprechung allgemein zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE51 noch speziell – auch nicht durch deutsche Gerichte –52 zum Missbrauch einer SE.53 Deutsche Gerichte haben sich im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE überwiegend lediglich mit der handelsregisterrechtlichen Eintragung und der Frage einer Nachholung des Arbeitnehmerbeteiligungsverfahrens bei zunächst arbeitnehmerlosen „Vorratsgesellschaften“ in der Rechtsform einer SE beschäftigt.54
47 Rieble
BB 2006, 2018, 2022. Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 197; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 1; Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 647; Joost FS Richardi 2007, S. 573, 574; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 253; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244 (für § 18 Abs. 3 SEBG); Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1702; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 334. 49 Vgl. Habersack Der Konzern 2006, 105, 109; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 50 Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 325. 51 Gegenstand des EuGH Urt. v. 20.6.2013 – C-635 / 11 ist ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande wegen nicht ordnungsgemäßer Umsetzung der Verschmelzungs-RL 2005 / 56 / EG (zur Verschmelzungs-RL noch unter § 2 C. IV. 2.); vgl. auch Nagel AuR 2007, 329, 331, wonach lediglich EuGH-Entscheidungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in den Europäischen Betriebsräten ergangen seien. 52 Vgl. für die im Zusammenhang mit dem Missbrauch einer SE stehende Regelung des § 18 Abs. 3 SEBG: Nagel ZIP 2011, 2047, wonach zur Auslegung dieser Norm zwar noch kein Fall die deutschen Gerichte erreicht habe, es aber zu erwarten sei, dass Streitigkeiten auftreten werden. 53 Schmid Diss. 2010, S. 186. 54 Zuletzt etwa OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.3.2009 – I-3 Wx 248 / 08, ZIP 2009, 918; vgl. Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 844; ferner hat das LG Nürnberg-Erlangen entschieden, dass eine SE-Beteiligungsvereinbarung Regelungen über die Größe des SE-Aufsichtsorgans abweichend von der Satzung regeln kann (Beschl. v. 8.2.2010 – 1 HK O 8471 / 09, BB 2010, S. 1113 mit Anm. Teichmann; dazu Forst AG 2010, 350). 48 Vgl.
34
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B. Untersuchungsziel Vor diesem Hintergrund ist Ziel dieser Dissertation, die Vorschriften zum Missbrauch einer SE in Gestalt des Art. 11 SE-RL und der Regelungen zu dessen mitgliedstaatlicher Umsetzung zu konkretisieren. Nach Müller-Graff zählt die Konkretisierung von Generalklauseln „zu den herausforderndsten Aufgaben rechtswissenschaftlicher Arbeit“55. Eine besondere Herausforderung besteht bei der SE bereits rechtstechnisch in der Verquickung europäischen und nationalen Rechts. Wie Casper zutreffend festgestellt hat, existiert eine „vielfache und weitgehende Verzahnung von europäischem und nationalem Recht“ und damit verbunden eine „normative Gemengelage“56. Auf europäischer Ebene regelt die SE-VO die gesellschaftsrechtlichen und die SERL die arbeitnehmerbeteiligungsrechtlichen Grundlagen. Während die SEVO auf die Bereitstellung einer einheitlichen Rechtsform als Reaktion auf die wirtschaftlichen Verflechtungen in Europa gerichtet ist,57 zielt die SE-RL auf den sozialen Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer.58 Das Erfordernis der Umsetzung der SE-RL in das Recht jedes einzelnen Mitgliedstaates hat zu einer Vielfalt an unterschiedlichen Detailregelungen und damit zu einer Vielzahl an unterschiedlichen SE-Beteiligungssystemen geführt.59 Gerade im Hinblick auf einen Missbrauch einer SE zulasten von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten ist fraglich, was einerseits europarechtlich, andererseits von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unter diesem unbestimmten Rechtsbegriff zu verstehen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist deshalb eine Herausforderung, da die allgemein zivilrechtliche Figur des (Rechts-) Missbrauchs einigen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen – etwa derjenigen des Vereinigten Königreichs –60 völlig fremd ist, hingegen in langer Tradi55 Müller-Graff
Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 131, 134. Casper in FS Ulmer 2003, S. 51, 52 m. w. N. 57 Vgl. ErwG 4, 6 SE-VO. 58 Vgl. nur ErwG 3, 10, 18 SE-RL. 59 Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 196; Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 768 („kaum auszumessende Vielgestaltigkeit der SE“); Oetker BB-Special 1 / 2005, 2, 3; Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 249; Keller / Werner WSI-Mitt. 2007, 604, 611; Wißmann in FS Wiedemann 2002, S. 685, 687 („Dem Betrachter kommt der Euro in den Sinn, dessen gemünzte Form gemeinschaftsweit dieselbe Vorderseite hat, aber in jedem Land eine andere Rückseite. Die SE ist die Steigerung: Hier sind gewissermaßen beide Seiten der Medaille in den Mitgliedstaaten unterschiedlich, nämlich sowohl die gesellschaftsrechtliche Struktur als auch das System der Arbeitnehmerbeteiligung.“); Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1005; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 324 („Im Ergebnis gibt es daher ebensoviele, in der Einzelausgestaltung variierende Formen der Europäischen Aktiengesellschaft wie Mitgliedstaaten, in denen SE-VO und SE-RL gelten, d. h. gegenwärtig 30.“). 60 Fleischer JZ 2003, 865, 871. 56 Vgl.
§ 1 Einleitung35
tion zu einem festen Bestandteil kontinentaleuropäischer Rechtssysteme gereift ist.61 Jedoch lassen sich, wie Rehberg62 zutreffend festgestellt hat, im nationalen Recht entwickelte Maßstäbe zur Arbeitnehmermitbestimmung nicht ohne Weiteres auf die europarechtlich determinierte Arbeitnehmerbeteiligung in der SE übertragen. Vielmehr bedarf es der Ausarbeitung eigenständiger Maßstäbe zur Konkretisierung der Vorschriften über den „Missbrauch einer SE“.
C. Untersuchungsgang Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert. Teil 1 gibt eine Einführung in die Problematik des Missbrauchs einer SE. Nach diesen einleitenden Ausführungen befasst sich Teil 2 mit der Konkretisierung der Grenze des Missbrauchs einer SE in Art. 11 SE-RL. Dabei wird nach einer dogmatischen Einordnung der Richtlinienbestimmung im Hinblick auf die Konkretisierungsaufgabe zunächst in methodischer Hinsicht geklärt, wer institutioneller Träger der formellen Konkretisierungskompetenz ist und welche materiellen Konkretisierungsinstrumente bei der Ausfüllung des Art. 11 SE-RL anzuwenden sind. Unter Anwendung dieser methodischen Grundlagen werden anschließend die einzelnen Merkmale des Art. 11 SE-RL durch Auslegung konkretisiert. Ziel ist die Herausarbeitung von Konkretisierungsargumenten für den Begriff des „Missbrauchs einer SE“, um daraus einen Prüfungsmaßstab für Art. 11 SE-RL entwickeln zu können. In Teil 3 werden die Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL durch die mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetze untersucht. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Vorschriften: § 43 S. 1 SEBG, § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG sowie § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG. Anschließend werden Konkretisierungen in Umsetzungsgesetzen ausgewählter weiterer Mitgliedstaaten vergleichend herangezogen. Aus dem Vergleich der weiteren Umsetzungsgesetze werden Folgerungen in Bezug auf die Vereinbarkeit der deutschen Umset61 Fleischer JZ 2003, 865, 871 („ ‚Le droit cesse où l’abus commence‘, lautet eine berühmte Formel des französischen Privatrechtlers Planiol, die längst zum Zitatenschatz der Zivilrechtswissenschaft gehört. Sie hat nicht nur in der Spruchpraxis unseres Nachbarlandes tiefe Spuren hinterlassen, sondern ist auch hierzulande aufgenommen und vielfach variiert worden. Ebenso elegant wie ausdeutungsbedürftig, steht sie sinnbildlich für eine wirkungsmächtige Figur, die aus dem Repertoire moderner Rechtsanwendung nicht mehr hinwegzudenken ist: den Rechtsmissbrauch.“); Gordley in: De la Feria / Vogenauer, S. 33 ff. 62 Rehberg ZGR 2005, 859, 871: Es sei keineswegs auszuschließen, dass ein Verhalten auf Ebene der SE-RL als missbräuchlich anzusehen ist, nach deutschem Arbeitsrecht hingegen noch toleriert würde.
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§ 1 Einleitung
zungsgesetzgebung mit Art. 11 SE-RL abgeleitet sowie konkrete Vorschläge für eine Reform unterbreitet. Auf Grundlage der in Teil 3 gewonnenen dogmatischen Erkenntnisse wird der Missbrauch einer SE in Teil 4 durch systematisierende FallgruppenBildung anhand praktischer Beispielsfälle konkretisiert. Teil 5 fasst die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung in Thesen zusammen.
Teil 1
Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“ In Teil 1 der Untersuchung wird zur Einführung in die Problematik des Missbrauchs einer SE im Folgenden der Hintergrund des durch die SE-RL eingeleiteten Prozesses der Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung erläutert.
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL Der SE-RL ist es ein Anliegen, „dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt“1. Die von der SE-RL befürchtete „Gefahr der Beseitigung oder der Einschränkung der bestehenden Mitbestimmungssysteme und -praktiken“2 wurzelt im Wesentlichen in zwei Gründen. Zum einen setzt die deutsche Unternehmensmitbestimmung einen hohen Standard und nimmt damit europaweit eine Sonderstellung ein (dazu unter A.). Zum anderen ist die SE-RL, die eine zunehmende Europäisierung3 der Arbeitnehmerbeteiligung abbildet (dazu unter B.), im Vergleich zur deutschen Mitbestimmung auf mehr Flexibilität gerichtet, weil sie im Kern auf einer Verhandlungslösung aufbaut (dazu unter C.).4 Dabei ist die verhandelte Mitbestimmung nach der SE-RL für Unternehmen ein derart wichtiger Gesichtspunkt, dass dieser Aspekt bei der Wahl der SE als Rechtsform häufig als ausschlaggebend erachtet wird (dazu unter D.).5 1 ErwG 3
SE-RL. SE-RL. 3 Eingehend dazu Kraft Diss. 2005; Eine „Europäisierung des Internationalen Gesellschaftsrechts“ vorhersagend Rehberg EuLF 2004, 1, 8; Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723; vgl. auch Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, wonach die „Internationalisierung der deutschen Mitbestimmung […] zunächst und in erster Linie als eine Europäisierung zu diskutieren“ sei. 4 Vgl. Jannott / Frodermann in: Jannott / Frodermann Einl Rn 22 ff.; Röder / Rolf in FS Löwisch 2007, S. 249, 266; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 331. 2 ErwG 10
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
A. Weitreichender Standard deutscher Unternehmensmitbestimmung Das deutsche Mitbestimmungssystem räumt den Arbeitnehmern so weitreichende Beteiligungsrechte auf Unternehmensebene ein wie keine andere Rechtsordnung.6 Deutschland wird deshalb nicht nur innerhalb Europas, sondern auch international eine „singuläre Stellung“7 in der Unternehmensmitbestimmung zugeschrieben. Das lässt sich in quantitativer Hinsicht anhand der zahlenmäßigen Besetzung des Aufsichtsrats nach deutschem Recht verdeutlichen.8 Der Aufsichtsrat in Unternehmen in der Rechtsform etwa einer AG oder einer mitbestimmten GmbH ist bereits ab Überschreiten des Schwellenwerts von 500 Arbeitnehmern zu einem Drittel9 mit Arbeitnehmervertretern – bei mehr als 2.000 Arbeitnehmern sogar paritätisch, d. h. je zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern und Anteilseignervertretern – zu besetzen.10 Dabei wird die nach dem sogenannten Mitbestimmungsurteil11 des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich gebotene Letztentscheidungsbefugnis der Anteilseigner durch das sog. Zweitstimmenrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden12 sichergestellt, der wiederum mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder13 und somit nicht gegen den Willen der Anteilseigner gewählt wird. Darüber hinaus sieht das deutsche Mitbestimmungsrecht bei der Besetzung des Aufsichtsrats vor, dass sich ab sechs Arbeitnehmervertretern unter diesen zwingend Gewerkschaftsvertreter befinden müssen.14 Demgegenüber besteht in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union überhaupt keine zwingende Mitbestimmung im Sinne einer direkten oder indirekten Beteiligung an Entscheidungen in Unternehmen des privaten Sektors,15 5
5 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246; nach Keller / Werner WSI-Mitt. 2007, 604, 611, könnten Gründe für die SE-Gründung aus deutscher Sicht auch darin bestehen, „mit Formen der Arbeitnehmerbeteiligung zu experimentieren“. 6 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724; vgl. für einen überblicksartigen Vergleich der Mitbestimmungssysteme Schwark AG 2004, 173 ff. 7 Schwark AG 2004, 173 f.; Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724. 8 Vgl. Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724. 9 §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 DrittelbetG. 10 §§ 1 Abs. 1, 7 MitbestG. 11 BVerfG Urt. v. 1.3.1979 – 1 BvR 532 / 77 u. a., BVerfGE 50, 290 ff. 12 § 29 Abs. 2 S. 1 MitbestG. 13 § 27 Abs. 2 MitbestG. 14 § 7 Abs. 2, 3 MitbestG; vgl. Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724. 15 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724; Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, 11 Fn 8, nennt als Beispiel Polen, das eine Mitbestimmung nur in ehemals staatlichen, mittlerweile privatisierten Staatsbetrieben kennt. Ferner weisen Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, 11 Fn 9, und Urbain-Parléani in: Baums / Ulmer, Unternehmens-Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Recht der EU-
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL 39
allenfalls nur eine Drittelbeteiligung.16 Auch in qualitativer Hinsicht gilt Deutschland als „Vorreiter“17 in der Unternehmensmitbestimmung, da den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat die gleichen Rechte und Pflichten zustehen wie den Anteilseignervertretern.18
B. Punktuelle Unionsregelungen über die Arbeitnehmerbeteiligung Der Einfluss des europäischen Rechts auf das Recht der EU-Mitgliedstaaten erfasst nunmehr auch den Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung.19 Huke / Prinz sehen durch die europäische Rechtsentwicklung in Form der EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit und der Einführung der SE-RL, der entsprechenden Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung in der Societas Cooperativa Europaea (Europäische Genossenschaft, SCE)20 sowie der Richtlinie über grenzüberschreitende Verschmelzungen (Verschmelzungs-RL)21 die „Nachteile des deutschen Sonderweges und die damit verbundenen Inkompatibilitäten bei grenzüberschreitenden Sachverhalten“22 offenbart. Aus den genannten Regelungen ergebe sich zwar eine positive Einstellung Europas zur Unternehmensmitbestimmung.23 Dennoch gebe es derzeit und auch zukünftig keine einheitliche europäische Unternehmensmitbestimmung.24 Europarechtliche Regelungen zur ArbeitnehmerbeteiliMitgliedstaaten, ZHR-Beiheft 72, 2004, S. 47, für Frankreich auf die aufgrund der deutlich gezogenen Interessengrenzen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber zurückhaltende Einstellung der französischen Arbeitnehmer gegenüber der Mitbestimmung hin. 16 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724; das Beispiel der skandinavischen Länder anführend Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, 11. 17 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724. 18 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724. 19 Zur Europäisierung der Mitbestimmung vgl. etwa Kraft Diss. 2005; Kisker RdA 2006, 206; Röder / Rolf in FS Löwisch 2007, S. 249; Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10. 20 Richtlinie 2003 / 72 / EG des Rates vom 22.7.2003 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. Nr. L 207, S. 25. 21 Richtlinie 2005 / 56 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 310, S. 1. 22 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 724. 23 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 726. 24 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 732; vgl. auch Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, 11, wonach europäische Regelungen zur unternehmerischen Mitbestimmung fehlten.
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
gung finden sich im europäischen Primärrecht (dazu sogleich unter I.) sowie in sekundärrechtlichen Richtlinien (dazu unter II.–IV.). I. Europäisches Primärrecht Nach Art. 153 Abs. 1 AEUV25 unterstützt und ergänzt die EU die Tätigkeit der Mitgliedstaaten zur Verwirklichung der Ziele des Art. 151 AEUV (u. a. Förderung der Beschäftigung, Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, sozialer Dialog) auf den Gebieten der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer26 sowie bei der Vertretung und kollektiven Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung27. Zudem gewährt Art. 27 EU-Grundrechtecharta28 den Arbeitnehmern zwar das Recht auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen als soziales Grundrecht, umfasst jedoch keine Mitbestimmungsrechte im Sinne aktiver Beteiligung der Arbeitnehmer an Entscheidungsprozessen im Unternehmensorgan.29 II. Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat (EBR) Mit dem Europäischen Betriebsrat (EBR) wurde im Jahr 1994 zum ersten Mal eine eigenständige Institution des kollektiven Arbeitsrechts auf euro päischer Ebene geschaffen und zugleich ein Verhandlungsverfahren für die betriebliche Arbeitnehmerbeteiligung eingeführt.30 Grundlage hierfür ist die Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat (EBR-RL)31, die in Deutsch25 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. C 115 vom 9.5.2008, S. 47. 26 Art. 153 Abs. 1 lit. e) AEUV. 27 Art. 153 Abs. 1 lit. f) AEUV mit Ausnahme des Arbeitsentgelts, des Koalitions-, Streik- sowie des Aussperrungsrechts (Art. 153 Abs. 5 AEUV). 28 Mit dem am 1.12.2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon hat die Charta über die Grundrechte der Europäischen Union vom 7.12.2000 in der am 12.12.2007 in Straßburg angepassten Fassung (ABl. Nr. C 303, S. 1) gemäß Art. 6 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) Rechtsverbindlichkeit erlangt. Die Charta der Grundrechte und die Verträge sind nunmehr rechtlich gleichrangig. 29 Vgl. Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 727. 30 Lunk / Hinrichs NZA 2007, 773, 775; Blanke AuR 2009, 242. 31 Richtlinie 94 / 45 / EG des Rates vom 22.9.1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen, ABl. Nr. L 254, S. 64; inzwischen neu gefasst als Richtlinie 2009 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6.5.2009, ABl. Nr. L 122, S. 28.
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL 41
land mit dem Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG)32 umgesetzt worden ist. Die EBR-RL stand Pate für die von der SE-RL vorgesehenen Verhandlungen über eine Vereinbarung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE.33 Die EBR-RL betrifft mit den Rechten auf Unterrichtung und Anhörung34 jedoch nur den Bereich der betrieblichen Mitbestimmung und lässt die unternehmerische Mitbestimmung unberührt.35 Die zentrale Leitung eines unionsweit tätigen Unternehmens sowie ein die Arbeitnehmer vertretendes besonderes Verhandlungsgremium können kraft Vereinbarung nach Art. 6 EBR-RL, § 18 EBRG einen für grenzüberschreitende Angelegenheiten zuständigen EBR oder ein anderes Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung errichten.36 Die EBR-RL und das EBRG setzen Mindeststandards für den Inhalt dieser Vereinbarung und regeln für den Fall des Scheiterns einer Vereinbarung die Errichtung eines EBR kraft Gesetzes.37 Die Funktionen des EBR nimmt bei der SE der SE-Betriebsrat wahr. Um eine Verdopplung von Beteiligungsrechten zu vermeiden,38 sind die EBRRL und das EBRG gemäß Art. 13 Abs. 1 SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 2 SEBG auf die SE grundsätzlich nicht anzuwenden.39 Bereits errichtete EBR bestehen daher mit Eintragung der SE grundsätzlich nicht fort.40 Die Rechte des SE-Betriebsrats werden gegenüber denen des EBR als Verbesserungen für die Arbeitnehmer angesehen.41 Dieser Effekt wird auf eine weitgehende Institutionalisierung des Dialogs mit der Unternehmensleitung, die Statuierung bestimmter Initiativrechte sowie die Einführung eines Auswertungssys32 Europäische Betriebsräte-Gesetz (EBRG) vom 28.10.1996 (BGBl. I S. 1548); zur begrenzten Rechtsprechung zum EBRG vgl. die Nachweise bei Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 797 Rn 20. 33 Kisker RdA 2006, 206, wonach der Erfolg der EBR-RL den Anstoß für eine Einigung über das SE-Statut gab; Wißmann in FS Wiedemann 2002, S. 685, 696; Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, der die EBR-RL als „Keimzelle“ des europäischen Verhandlungsverfahrens bezeichnet; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 356. 34 Vgl. die in Art. 1 Abs. 1 EBR-RL formulierte Zielsetzung der Richtlinie. 35 Ebenso Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10. 36 Vgl. Art. 1 Abs. 2 EBR-RL, § 1 EBRG. 37 Vgl. Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 726 f. 38 Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1700 f. 39 Näher Jacobs in: MüKo-AktG § 47 SEBG Rn 4. 40 Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1700 f.; ausnahmsweise bleibt der EBR gemäß Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 SEBG bestehen, wenn das besondere Verhandlungsgremium einen Beschluss nach § 16 SEBG über die Nichtaufnahme oder den Abbruch der Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite über eine Mitbestimmungsvereinbarung gefasst hat. 41 Keller / Werner WSI-Mitt. 2009, 416, 420.
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
tems der Zusammenarbeit von Unternehmen und SE-Betriebsrat zurückgeführt.42 Mit der Reform der EBR-RL im Jahr 2009 hat der Europäische Gesetzgeber Änderungen im Hinblick auf Neuverhandlungen über die Beteiligung durch einen EBR bei wesentlichen Änderungen an der Struktur der Unternehmen, deren Arbeitnehmer der EBR vertritt, vorgenommen.43 Zum einen sieht Art. 6 Abs. 2 lit. g) EBR-RL nunmehr vor, dass die Beteiligungsvereinbarung auch Fälle, in denen eine Neuverhandlung erfolgen soll, „gegebenenfalls auch bei Änderungen der Struktur des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe“ bestimmt. Darüber hinaus fordert Art. 13 EBR-RL für den Fall, dass sich „die Struktur des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe wesentlich“ ändert und entsprechende Bestimmungen in den geltenden Vereinbarungen fehlen oder Konflikte zwischen Vereinbarungen bestehen, Neuverhandlungen. Diese werden auf Initiative der zentralen Leitung oder auf Antrag der Arbeitnehmerseite aufgenommen.44 Demgegenüber geht die SE-RL nur in ErwG 18 S. 3 SE-RL auf „strukturelle Veränderungen einer bereits bestehenden SE“ ein, ohne im normativen Teil der SE-RL weitergehende Regelungen zu treffen.45 III. Richtlinie zur Arbeitnehmer-Unterrichtung Ein ausdrücklicher Mindeststandard an Beteiligungsrechten mit europaweiter Geltung existiert mit der Arbeitnehmer-Unterrichtungs-Richtlinie46 (ArbN-Unterrichtungs-RL) lediglich in Form eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer.47 Damit soll für Unternehmen ab 50 Arbeitnehmern und für Betriebe ab 20 Arbeitnehmern ein Mindeststandard für die Unterrichtung und Anhörung der betrieblichen Interessenvertretungen gesetzt werden.48 Nach Art. 9 Abs. 2 der ArbN-UnKeller / Werner WSI-Mitt. 2009, 416, 420. dazu Riesenhuber in FS Hopt 2010, S. 1225, 1240 f.; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 356 f.; noch zum Entwurf Thüsing / Forst NZA 2009, 408. 44 Vgl. Riesenhuber in FS Hopt 2010, S. 1225, 1241. 45 Dazu noch unter § 3 C. III. 2. d) ee) (2). 46 Richtlinie 2002 / 14 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft, ABl. Nr. L 80, S. 29. 47 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 726. 48 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 726; Blanke AuR 2009, 242, 243; vgl. für den Zusammenhang zur EBR-Richtlinie auch Blanquet ZGR 2002, 20, 61. 42 Vgl. 43 Vgl.
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL 43
terrichtungs-RL lässt diese die EBR-RL ebenso wie andere im einzelstaatlichen Recht vorgesehene Unterrichtungs-, Anhörungs- und Mitbestimmungsrechte unberührt.49 IV. Weitere Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer Darüber hinaus existieren Arbeitnehmerrechte begrenzt auf die betriebliche Mitbestimmung in besonderen Einzelfällen.50 Dazu zählt die Einbindung der Betriebsräte bei Massenentlassungen51 sowie bei Betriebsübergängen52.
C. Bereitstellung der SE-Verhandlungslösung Die vorstehend beschriebenen punktuellen Regelungen auf Unionsebene betreffen ausnahmslos die Rechte der Arbeitnehmer im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung, ohne einen Standard für die unternehmerische Mitbestimmung zu setzen.53 Eine Europäisierung der unternehmerischen Mitbestimmung ist mit der SE-RL über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE, der SCE-RL über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SCE sowie mit Art. 16 Verschmelzungs-RL über die Arbeitnehmerbeteiligung bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen eingeleitet worden. Damit wurde erstmals auch der bislang den Mitgliedstaaten selbst überlassene Bereich der unternehmerischen Mitbestimmung angetastet. Die SE-RL zielt auf den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite,54 die sowohl betriebliche als auch unternehmerische Beteiligungsrechte der SE-Arbeitnehmer regelt.55 Die Beteiligungsvereinbarung wird zwischen den Unternehmensleitungen der SE-Gründungsgesellschaften und einem die Arbeitnehmerseite repräsentierenden besonderen Verhandlungsgremium (bVG) ausgehandelt.56 Mit der Verhandlungslösung 49 Zum Umsetzungsbedarf der ArbN-Unterrichtungs-RL in Deutschland: Blanke AuR 2009, 242, 243, Fn 13 m. w. N. 50 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 727 („punktuelle Vorgänge auf betrieblicher Ebene“). 51 Richtlinie 98 / 59 / EG des Rates vom 20.7.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen, ABl. Nr. L 225, S. 16. 52 Richtlinie 2001 / 23 / EG des Rates vom 12.3.2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen, ABl. Nr. L 82, S. 16. 53 Ebenso Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 726. 54 Vgl. Art. 1 Abs. 2 SE-RL. 55 Vgl. Art. 4 Abs. 2 SE-RL. 56 Vgl. Art. 4 Abs. 1 SE-RL.
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
wird kein europäischer Mitbestimmungsstandard für Gesellschaften mit nationaler Rechtsform wie der AG oder der GmbH statuiert. Jedoch begründen die Vorschriften ein europäisches Beteiligungsmodell für die SE als originär europäische Gesellschaftsform, welches die SCE-RL für die SCE und Art. 16 Verschmelzungs-RL für aus grenzüberschreitenden Verschmelzungen hervorgehende Gesellschaften nationaler Rechtsform weiterentwickelt haben.57 I. Bedenken einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ Der Einführungsprozess der SE wurde vor allem durch Bedenken aus Deutschland mit einem traditionell hohen Mitbestimmungsstandard verzögert.58 Insbesondere hierzulande wurde befürchtet, dass der Europäische Gesetzgeber zu einer „Flucht aus der Mitbestimmung“59 verhelfen könnte, indem er Unternehmen ermöglicht, eine SE ohne Mitbestimmung deutscher Intensität als Vehikel dazu zu nutzen, dem hohen Grad deutscher Arbeitnehmerbeteiligungsrechte zu entgehen.60 Habe man sich bislang der AG oder der GmbH bedient und ließen sich die unternehmerischen Zwecke nun ebenso gut in der Rechtsform einer SE mit schwächerer oder fehlender Mitbestimmung erreichen, könne dies dazu verleiten, das Unternehmen als 57 Huke / Prinz in FS Leinemann 2006, S. 723, 726 ff., 732; zum Grundkonzept des europäischen Mitbestimmungsrechts vgl. Henssler ZHR 173 (2009) 222, 224 ff., der sechs „tragende Säulen“ ausmacht. 58 Vgl. Kisker RdA 2006, 206; Leca EBLR 2007, 403 f. 59 Siehe nur Hopt ZGR 1992, 265, 278; Höland Mitbestimmung 1997, S. 55 („Aushöhlung der Mitbestimmungsordnung“); kritisch: M. Heinze ZGR 2002, 66, 69 f.; ferner Kisker RdA 2006, 206; Bachmann ZeuP 2008, 32, 46 („Zur ‚Flucht aus der Mitbestimmung‘ geben die meisten anderen Rechtsordnungen von vornherein keine Veranlassung.“), 52 („Der Flucht aus der Mitbestimmung beugt der gefundene Kompromiss in der Mitbestimmungslösung vor, der die Eintragung der SE ausschließt, solange keine verbindliche Mitbestimmungslösung in Kraft ist (vgl. Art. 12 Abs. 2–4 SE-VO).“; Keller / Werner WSI-Mitt. 2009, 416, 422 („Gleichwohl sollte der Begriff ‚Mitbestimmungsflucht‘ mit Vorsicht verwendet werden, da [striktere nationale Formen der Mitbestimmung] in diesen Unternehmen vormals gar nicht eingeführt waren. Folglich wäre ‚präventive Mitbestimmungsflucht‘ ein angemessenerer Begriff.“), 423 (Die SE biete solchen Unternehmen, die striktere nationale Formen von Mitbestimmung vermeiden wollten, eine „legale, vergleichsweise einfach zu handhabende Exit-Option“); Kiem ZHR 173 (2009), 156, 158 („eleganter Weg aus der deutschen Mitbestimmung“); Henssler in FS K. Schmidt 2009, S. 601 („[…] eignet sich die SE aufgrund der zahlreichen gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz eines zuvor in den Gründungsgesellschaften geltenden Mitbestimmungsregimes nicht als Instrument zu einer gezielten Flucht aus der Unternehmensmitbestimmung.“); anders Kafsack in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 9.4.2010, S. 12. („Aushebelung der Mitbestimmung“). 60 Vgl. Leca EBLR 2007, 403.
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL 45
SE umzuorganisieren, um der sonst geltenden Mitbestimmung auszuweichen (sog. „Delaware-Effekt“61).62 Als besonders gefährlich eingestuft wurde der für nach deutschem Recht gegründete Gesellschaften dadurch frei erscheinende Weg, mittels der Gründungsvariante der Umwandlung eines Unternehmens in eine SE die Arbeitnehmermitbestimmung abzuschütteln.63 Als problematisch erachtet wurde auch die Möglichkeit, dass eine SE durch ein ausländisches Unternehmen mit begrenzter oder fehlender Mitbestimmung gegründet werden könnte und die Arbeitnehmer von später auf die dann mitbestimmungslose SE übertragenen mitbestimmten Unternehmen ihre Mitbestimmungsrechte verlieren könnten.64 Gegen die Auferlegung eines bestimmten Mitbestimmungssystems wandten sich Staaten mit schwach ausgeprägter oder überhaupt keiner Mitbestimmung wie das Vereinigte Königreich65 und Irland,66 die sich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt sahen.67 II. Verhandlungsmodell als Kompromisslösung Ein politischer Kompromiss gelang auf dem Gipfel des Europäischen Rats von Nizza Ende des Jahres 2000.68 Mit dem Vorrang einer Verhandlungslö61 Benannt nach dem US-Bundesstaat Delaware, in dem etwa 50 % der börsengehandelten US-Unternehmen ansässig sind und der im Wettbewerb um das liberalste US-amerikanische Unternehmensrecht gewann, vgl. Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 23; Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Vorbem SE-RL Rn 16; Nagel AuR 2001, 406, 407; Ebke JZ 2003, 927, 930; Kraushaar BB 2003, 1614; Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 776; Götz Der Konzern 2004, 449, 455 („Ob dieser Wettbewerb in Europa einen ‚Delaware-Effekt‘ […] zur Folge haben wird, erscheint […] nicht ausgemacht.“); Kübler in FS Zuleeg 2005, S. 559, 560; Ringe Diss. 2006, S. 149; Kisker RdA 2006, 206; Leca EBLR 2007, 403, 407, 438; Wißmann in FS Wiedemann 2002, S. 685, 686 („aus dem bisher für sie maßgeblichen Mitbestimmungssystem ‚auszuwandern‘ “). 62 Wißmann in FS Wiedemann 2002, S. 685, 686. 63 Ringe Diss. 2006, S. 149. 64 Leca EBLR 2007, 403, 429 f. 65 Vgl. für das Beispiel des Vereinigten Königreichs: Kisker RdA 2006, 206; Leca EBLR 2007, 404. 66 Vgl. für das Beispiel Irlands: Leca EBLR 2007, 404. 67 Leca EBLR 2007, 403 f. 68 Wenz in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 1 Rn 4 („historischer, allerdings völlig unerwarteter Durchbruch“); Herfs-Röttgen NZA 2001, 424 („Sensation“); Kleinsorge RdA 2002, 343 („Beilegung des ‚dreißigjährigen Kriegs um die Europäische Aktiengesellschaft‘ “); M. Heinze ZGR 2002, 66, 77; Hirte NZG 2002, 1, 2 („Wunder von Nizza“); Reichert / Brandes ZGR 2003, 767 („Auf dem EU-Gipfel von Nizza wurde im Dezember 2000 der Durchbruch erzielt – oder ist es nur ein scheinbarer Durchbruch?“); Habersack ZHR 171 (2007), 613, 614 („gordischer Knoten
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sung (Art. 3 ff. SE-RL) über die Arbeitnehmerbeteiligung wurde ein Ausweg aus der „politischen Sackgasse“69 gefunden. Der Verzicht auf ein einheitliches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE zugunsten einer vorrangig im Vereinbarungswege zu gestaltenden Beteiligung schaffte einen von Oetker als „Königsweg“70 titulierten Ausgleich zwischen den innerhalb der Mitgliedstaaten unterschiedlich stark ausgeprägten Mitbestimmungsordnungen.71 Um den Bedenken einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ Rechnung zu tragen,72 sieht Art. 11 SE-RL vor, dass die Mitgliedstaaten im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen treffen, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. III. Grundzüge des SE-Verhandlungsmodells Kern73 der Arbeitnehmermitbestimmung in der SE ist die auf den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung74 zielende Verhandlungslösung.75 Das Verfahren der verhandelten Arbeitnehmerbeteiligung habe, so Teichmann, inzwischen auch seine „Feuertaufe in der Unternehmenspraxis“76 bestanden. Nach dem Vorrang der Verhandlungslösung sollen die Modalitäten der Arbeitnehmerbeteiligung in jeder einzelnen SE nach dem Grundsatz zerschlagen“); Wißmann in FS Wiedemann 2002, S. 685, 687; Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, 11; Teichmann BB 2010, 1113, 1114. 69 Teichmann AG 2008, 797, 800. 70 Oetker BB-Special 1 / 2005, 2. 71 Vgl. ErwG 5 SE-RL: „Angesichts der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Beschlussfassung in Gesellschaften ist es nicht ratsam, ein auf die SE anwendbares einheitliches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorzusehen.“; vgl. auch M. Heinze ZGR 2002, 66, 78; Oetker BB-Special 1 / 2005, 2; nach Kisker RdA 2006, 206 gilt dieser Strategiewechsel als Erfolgsgeheimnis für das Zustandekommen der SE; Teichmann AG 2008, 797, 801; Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, 11: Arbeitnehmer und Unternehmensleitung erhielten so die Gelegenheit, für ihr grenzüberschreitendes Unternehmen ein maßgeschneidertes Mitbestimmungsmodell auszuhandeln; hingegen konstatiert Schwark AG 2004, 173, 176, dass SE-VO und SE-RL die deutsche Mitbestimmung zementierten. 72 Mävers Diss. 2002, S. 351; Leca EBLR 2007, 403, 429 f. 73 Aufgrund der vielfältigen Literatur allgemein zur SE-Beteiligung wird hier nur auf Grundzüge des SE-Verhandlungsmodells eingegangen. 74 Vgl. zur Terminologie („Mitbestimmungsvereinbarung“ oder „SE-Beteiligungsvereinbarung“) Teichmann AG 2008, 797, 804. 75 Vgl. Teichmann AG 2008, 797 („Verhandlungslösung bildet den Dreh- und Angelpunkt der […] SE-Richtlinie“). 76 Teichmann ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 10, 14.
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL 47
der Verhandlungsautonomie und Gestaltungsfreiheit primär im Wege freier Verhandlungen in einer Beteiligungsvereinbarung geregelt werden.77 Dabei ist nur die Regelung der betrieblichen Mitbestimmung in Form der Unterrichtung und Anhörung zwingendes Element der Beteiligungsvereinbarung.78 Hingegen ist nach dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 lit. g) SE-RL, § 21 Abs. 3 S. 1 SEBG („für den Fall, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Mitbestimmung treffen“) die unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan – abgesehen vom Fall der Umwandlung – nur fakultativer79 Bestandteil der Beteiligungsvereinbarung.80 Die Beteiligungsvereinbarung wird zwischen den Leitungen der Gründungsgesellschaften für die Arbeitgeberseite und dem bVG für die Arbeitnehmerseite ausgehandelt und abgeschlossen.81 Nach der SE-VO können nur Gesellschaften – nicht jedoch natürliche Personen – eine SE gründen.82 Die primäre83 Gründung einer SE vollzieht sich in einer von vier Gründungsformen, die in einem abschließenden Katalog aufgezählt sind: durch Verschmelzung84, durch Gründung einer Holding-SE85, durch Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE86 oder durch 77 Art. 3–6 SE-RL; zum Vorrang der Beteiligungsvereinbarung vgl. Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 16; Kisker RdA 2006, 206; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 331. 78 Oetker ZIP 2006, 1113, 1114 m. w. N. 79 Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 36. 80 Oetker ZIP 2006, 1113, 1114 m. w. N. 81 Vgl. Art. 4 Abs. 1 SE-RL; zu Bildung und Verfahren des bVG siehe Jacobs in ZIP 2009, Beil. zu Heft 38, 18. 82 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.3.2009 – I-3 Wx 248 / 08, ZIP 2009, 918, 919; Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 842; ausführlich zu den Möglichkeiten der SE-Gründung Blanquet ZGR 2002, 20, 44 ff.; für eine Systematisierung der Gründungsmöglichkeiten vgl. Scheifele Diss. 2004, S. 14 ff. 83 Daneben besteht die Möglichkeit der Sekundärgründung, indem eine bereits existierende SE selbst eine Tochtergesellschaft in Form einer SE gründet, vgl. Art. 3 Abs. 2 SE-VO; zu Beteiligungsrechten bei der SE-Sekundärgründung noch unter § 3 C. I. 5. 84 Verschmelzung mehrerer Aktiengesellschaften, vgl. Art. 2 Abs. 1 SE-VO, entweder durch Aufnahme (aufnehmende AG existiert weiter als SE und aufgenommene AG geht unter – „merger by acquisition“) oder durch Neugründung (beide AGs gehen in der neu geschaffenen SE auf – „merger by the formation of a new company“), vgl. Grambow Der Konzern 2009, 97, 98; nach Kiem ZHR 173 (2009), 156, 160, dürften die Fälle der Gründung durch Verschmelzung aufgrund der Umsetzung der Verschmelzungs-RL nunmehr abnehmen. 85 Durch Aktiengesellschaften und Gesellschaften mbH, vgl. Art. 2 Abs. 2 SEVO. 86 Durch Gesellschaften i. S. d. Art. 48 Abs. 2 EGV oder juristische Personen des öffentlichen oder privaten Rechts, vgl. Art. 2 Abs. 3 SE-VO.
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
formwechselnde Umwandlung87. Dabei bedarf es eines je nach Gründungsart unterschiedlich ausgestalteten mehrstaatlichen Bezugs.88 Bei der Verschmelzung von Aktiengesellschaften etwa müssen mindestens zwei von ihnen dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen.89 Diese Anforderung gilt auch für die Gründung einer Holding-SE90 oder Tochter-SE91, wobei bei diesen Varianten alternativ eine seit mindestens zwei Jahren bestehende Tochtergesellschaft, die dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegt, oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat ausreicht. Bei der Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE muss diese seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft haben.92 Grundsätzlich kann die Gründung einer SE ohne Durchführung des Verhandlungsverfahrens nicht in das Handelsregister eingetragen werden.93 Kommt nach Ablauf der Verhandlungsfrist von grundsätzlich sechs Monaten94 eine Beteiligungsvereinbarung nicht zustande, greifen unter bestimmten Voraussetzungen gesetzliche Auffangregelungen zur betrieblichen und unternehmerischen Mitbestimmung.95 Die betriebliche Mitbestimmung erfolgt in diesem Fall auf Grundlage der Einsetzung eines SE-Betriebsrats kraft Gesetzes.96 Dessen Rechte auf Unterrichtung und Anhörung beziehen sich auf die Struktur der SE, ihre wirtschaftliche und finanzielle Situation, 87 Einer Aktiengesellschaft Art. 2 Abs. 4 SE-VO; vgl. Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1003; nach Kiem ZHR 173 (2009), 156, 160, ist die formwechselnde Umwandlung die „mit Abstand wichtigste Gründungsform“. 88 Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1004; Keller / Werner WSI-Mitt. 2007, 604, 605; Wißmann in FS Wiedemann 2002, S. 685, 688 („Beschränkter Zugang zur SE“). 89 Art. 2 Abs. 1 SE-VO. 90 Art. 2 Abs. 2 SE-VO. 91 Art. 2 Abs. 3 SE-VO; nach Kiem ZHR 173 (2009), 156, 160, sind die Fälle sowohl der Gründung einer Holding-SE als auch, allerdings mit Abstrichen, der Tochter-SE nicht praxisrelevant geworden; a. A. für die Tochter-SE-Gründung Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2008, 721, 729. 92 Art. 2 Abs. 4 SE-VO. 93 Art. 12 Abs. 2 SE-VO. 94 § 20 Abs. 1 SEBG; jedoch können die Parteien gem. § 20 Abs. 2 SEBG einvernehmlich beschließen, die Verhandlungen bis zu insgesamt einem Jahr ab der Einsetzung des besonderen Verhandlungsgremiums fortzusetzen. 95 Vgl. § 1 Abs. 2 S. 2 SEBG; die Mitgliedstaaten können jedoch gemäß Art. 7 Abs. 3 SE-RL („Spanien-Klausel“ / „Opting-Out-Klausel“) vorsehen, dass die gesetzliche Auffangregelung im Fall der durch Verschmelzung gegründeten SE keine Anwendung findet, vgl. zum Zustandekommen dieser Vorschrift M. Heinze ZGR 2002, 66, 77, 89; vgl. ferner Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 206; Leca EBLR 2007, 403, 411. 96 Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) SE-RL.
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die voraussichtliche Entwicklung der Geschäfts-, Produktions- und Absatzlage, auf die Beschäftigungslage und deren voraussichtliche Entwicklung, auf die Investitionen, auf grundlegende Änderungen der Organisation, auf die Einführung neuer Arbeits- oder Fertigungsverfahren, auf Verlagerungen der Produktion, auf Fusionen, Verkleinerungen oder (Teil-)Schließungen von Unternehmen oder Betrieben sowie auf Massenentlassungen.97 Sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Regelungen über die unternehmerische Mitbestimmung kraft Gesetzes98 erfüllt, ist das von den na tionalen Mitbestimmungssystemen der Gründungsgesellschaften – gemessen am Anteil der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsrat – quantitativ höchste Niveau auf die SE anzuwenden.99 Im Ergebnis setzt sich damit bei der gesetzlichen Auffangregelung das Mitbestimmungsrecht des Staates eines Gründungsunternehmens mit dem höchsten quantitativen Standard durch. Das bVG kann – außer in dem Fall, dass bei einer durch Umwandlung gegründeten SE den Arbeitnehmern der umzuwandelnden Gesellschaft bislang bereits Mitbestimmungsrechte zustehen100 – das Verhandlungsverfahren gemäß Art. 3 Abs. 6 SE-RL, § 16 Abs. 1 SEBG mit Zweidrittel-Mehrheit abbrechen oder gar nicht erst aufnehmen.101 In diesem Fall sind gemäß Art. 3 Abs. 6 S. 2 SE-RL, § 16 Abs. 2 SEBG auch nicht die gesetzlichen Auffangregelungen anzuwenden, sondern die SE bleibt mitbestimmungslos.102 IV. Export des SE-Modells zur Arbeitnehmerbeteiligung Das bei der SE eingeführte Verhandlungsmodell über die Arbeitnehmerbeteiligung hat der europäische Gesetzgeber als Vorbild103 genommen und unter zum Teil erheblichen Veränderungen inzwischen auf weitere Bereiche des europäischen Gesellschaftsrechts ausgedehnt.104 Die Dimension der Problematik des Missbrauchs einer SE beschränkt sich somit nicht nur auf 97 M. Heinze ZGR 2002, 66, 89 f.; vgl. Teil 2 lit. b) Anhang SE-RL, § 28 Abs. 1, 2 SEBG. 98 Art. 7 Abs. 2 SE-RL. 99 Vgl. Teil 3 lit. b) Anhang SE-RL, § 35 SEBG. 100 Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 2 SE-RL, § 16 Abs. 3 SEBG. 101 Nach Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1206, sei dies in der Praxis jedoch selten. 102 Kisker RdA 2006, 206, 207; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1206. 103 Kisker RdA 2006, 206. 104 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europäischen Union – Aktionsplan v. 21.5.2003, KOM (2003) 284 endg., S. 24; vgl. Kisker RdA 2006, 206; vgl. auch Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795 f.
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
die Rechtsform der SE, sondern betrifft auch die Bereiche, auf die das SEModell zur verhandelten Arbeitnehmerbeteiligung ausgeweitet wurde. Dazu zählen die Arbeitnehmerbeteiligung in der SCE (dazu sogleich unter 1.) sowie die Arbeitnehmerbeteiligung bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften105 (dazu unter 2.). Darüber hinaus sollte die für kleine und mittelständische Unternehmen geplante, inzwischen aber gescheiterte Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea, SPE) ebenfalls um eine das Verhandlungsmodell beinhaltende Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung ergänzt werden (dazu unter 3.). 1. Europäische Genossenschaft (SCE) Die SCE ist ein Zusammenschluss mehrerer natürlicher und / oder juristischer Personen zu einer Körperschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Hauptzweck in der Bedarfsdeckung ihrer Mitglieder und / oder in der Förderung ihrer wirtschaftlichen und / oder sozialen Tätigkeiten liegt.106 Der SCE wird aufgrund des größeren wirtschaftlichen Stellenwerts und der Vorreiterstellung der SE eine geringere praktische Bedeutung zugeschrieben.107 Bestimmungen zur Arbeitnehmermitbestimmung in der SCE enthält die SCE-RL, welche der deutsche Gesetzgeber mit dem SCE-Beteiligungsgesetz108 umgesetzt hat. Das Konzept der unternehmerischen Mitbestimmung bei der SCE gleicht weitestgehend demjenigen bei der SE.109 Entsprechend findet sich in Art. 13 SCE-RL eine mit Art. 11 SE-RL wortgleiche Regelung über den „Missbrauch einer SCE“.110 2. Grenzüberschreitende Verschmelzung Zunächst war eine grenzüberschreitende Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten nach den nationalen Gesetzen der Mitgliedstaaten trotz eines erheblichen praktischen Bedürfnisses nicht oder nur unter Einschränkungen und Rechtsunsicherheiten durchführbar.111 Mit der Einführung der SE wurde die grenzüberschreitende Ver105 Ege / Grzimek / Schwarzfischer
DB 2011, 1205. Abs. 3, 5 SCE-VO; vgl. auch Kisker RdA 2006, 206, 208. 107 Kisker RdA 2006, 206, 208. 108 Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer Europäischen Genossenschaft (SCEBG) v. 14.8.2006, BGBl. I S. 1911, 1917; zur Mitbestimmung in der SCE überblicksartig Kisker RdA 2006, 206, 208 f.; ferner Habersack ZHR 171 (2007), 613. 109 Kisker RdA 2006, 206, 212. 110 Kisker RdA 2006, 206, 208; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 3. 111 Kisker RdA 2006, 206, 209. 106 Art. 1
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schmelzung von ausländischen Gesellschaften auf eine SE ermöglicht.112 Ferner besteht nunmehr nach der Verschmelzungs-RL die Option der grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften auch auf Gesellschaften nationaler Rechtsform.113 Die Arbeitnehmerbeteiligung ist in Art. 16 Verschmelzungs-RL geregelt, in Deutschland umgesetzt durch das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG).114 Nach Art. 16 Abs. 1 Verschmelzungs-RL, § 4 MgVG gilt grundsätzlich das nationale Mitbestimmungsrecht am Sitz der aus der Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft. Etwas anderes gilt, wenn die Voraussetzungen von Art. 16 Abs. 2 VerschmelzungsRL (vgl. auch § 5 MgVG) erfüllt sind.115 In diesem Fall verweist Art. 16 Abs. 3 Verschmelzungs-RL für den Bereich der unternehmerischen Mitbestimmung auf Vorschriften der SE-RL (vgl. auch §§ 6 ff. MgVG).116 Das Verhandlungsverfahren bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung ist somit an dasjenige bei der SE-Gründung angelehnt,117 jedoch bestehen zum Teil gravierende Unterschiede.118 Auffällig ist insbesondere, dass ein Verweis in Art. 16 Abs. 3 lit. g) Verschmelzungs-RL auf das Missbrauchsverbot 112 Lunk / Hinrichs NZA 2007, 773 Fn 1; vgl. auch Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 324, Fn 23, wonach „die Ermöglichung oder zumindest Erleichterung“ der Fusion der deutschen Allianz AG mit ihrer italienischen Tochter RAS im Jahr 2006 vor Inkrafttreten der Verschmelzungs-RL der überwiegende Grund für die Allianz für die Wahl der SE war. 113 Vgl. Hinrichs / Plitt NZA 2010, 204, Fn 3, mit dem Beispiel der Verschmelzung der E.M. TV Sport Management GmbH auf die maltesische Venture Holding United Ltd. 114 Zur Mitbestimmung bei grenzüberschreitender Verschmelzung Kisker RdA 2006, 206, 209 ff.; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 636 ff.; Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 579; Grambow Der Konzern 2009, 97, 100 f. 115 Nach Art. 16 Abs. 2 Verschmelzungs-RL oder § 5 MgVG müssen dazu entweder in den sechs Monaten vor Veröffentlichung des Verschmelzungsplans in mindestens einer verschmelzungsbeteiligten Gesellschaft durchschnittlich mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sein und es muss ein System der unternehmerischen Mitbestimmung bestanden haben oder das Sitzrecht der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft sieht nicht mindestens den gleichen Umfang an Mitbestimmung vor wie in den jeweiligen verschmelzungsbeteiligten Gesellschaften oder das Sitzrecht gewährt Arbeitnehmern ausländischer Betrieben der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft nicht die gleichen Mitbestimmungsrechte wie den Arbeitnehmern inländischer Betriebe. 116 Vgl. die deutsche Umsetzung in § 5 MgVG, der auf die Vorschriften über die Mitbestimmung kraft Vereinbarung (§ 22 MgVG) oder kraft Gesetzes (§§ 23 ff. MgVG) verweist. 117 Röder / Rolf in FS Löwisch 2007, S. 249, 251; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 253. 118 Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden ausführlich Kisker RdA 2006, 206, 209 ff.; Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699 ff.
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nach Art. 11 SE-RL fehlt.119 Ein entsprechender Missbrauchstatbestand findet sich auch nicht an anderer Stelle in der Verschmelzungs-RL, ebenso wenig wie in den diese umsetzenden §§ 122a ff. UmwG120 und im MgVG.121 Statt einer Missbrauchsklausel sieht Art. 16 Abs. 7 Verschmelzungs-RL eine eigenständige Sonderregelung vor.122 Bei sich an eine grenzüberschreitende Verschmelzung anschließenden innerstaatlichen Verschmelzungen bleibt gemäß Art. 16 Abs. 7 Verschmelzungs-RL und § 30 S. 2 MgVG der bisherige Mitbestimmungsumfang während der Dauer von drei Jahren ab Eintragung der innerstaatlichen Verschmelzung erhalten.123 Mithin ordnen Art. 16 Abs. 7 Verschmelzungs-RL und § 30 S. 2 MgVG bei nachfolgenden innerstaatlichen Verschmelzungen eine befristete Fortgeltung der bisherigen Mitbestimmungsregelungen an.124 Daraus folgt, dass – abgesehen von innerstaatlichen Verschmelzungen – alle anderen nachträglichen Änderungen bei der aus der grenzüberschreitenden Verschmelzung hervorgehenden Gesellschaft für die Mitbestimmung folgenlos bleiben und keine Neuverhandlungspflicht besteht.125 Damit hat der Gesetzgeber das MgVG, verglichen mit der auslegungsbedürftigen Norm des § 18 Abs. 3 SEBG, deutlich rechtssicherer ausgestaltet.126
119 So Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 3; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 254; nach Kisker RdA 2006, 206, 210 ist das Fehlen eines Verweises auf Art. 11 SE-RL nicht zu erklären: Da die in den ErwG Nr. 3, 10, 19 SE-RL enthaltenen Wertungen entsprechend bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung Berücksichtigung fänden, wäre auch eine Übertragung des Missbrauchsverbots „folgerichtig“ gewesen. 120 Eingeführt mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes vom 19.4.2007. 121 Vgl. Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 3; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 91; Kisker RdA 2006, 206, 210; Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1703. 122 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 3. 123 Vgl. Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 3; als „formellen Schutz der Beteiligungsrechte“ im Gegensatz zum materiellen Schutz“ der SE-RL bezeichnet von Koch Diss. 2010, S. 202 f.; zur Vereinbarkeit des § 30 S. 2 MgVG mit Art. 16 Abs. 7 Verschmelzungs-RL vgl. Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1703, Fn 44. 124 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 3. 125 Vgl. Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2263; Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1703; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 254. 126 Vgl. Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1702.
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3. Europäische Privatgesellschaft (SPE) Angestoßen durch einen Verordnungs-Vorschlag der EU-Kommission von 2008127 wurde über die Einführung einer Europäischen Privatgesellschaft (SPE) diskutiert.128 Umstritten war auch dabei die Arbeitnehmerbeteiligung.129 Nach Art. 35 des Kompromissvorschlags der ungarischen Ratspräsidentschaft130 sollte grundsätzlich das Mitbestimmungsrecht des Sitzstaats der SPE zur Anwendung kommen und unter bestimmten Umständen – bei mehr als 500 Arbeitnehmern oder bei einem Sitzwechsel – ein Verhandlungsverfahren nach dem Vorbild der SE greifen. Ausweislich des Arbeitsprogramms der Kommission für 2014 sind die Gespräche im EU-Ministerrat seit 2011 nicht vorangekommen. Da wegen der erforderlichen Einstimmigkeit im Rat keine Einigung in dieser Frage zu erwarten sei, hat die EUKommission ihren SPE-Vorschlag Ende 2013 zurückgezogen.131
D. SE-Beteiligungsmodell als Gesichtspunkt bei der Rechtsformwahl Das Konzept der Arbeitnehmerbeteiligung ist für Unternehmen offenbar ein Gesichtspunkt von herausragender Bedeutung bei der Wahl der SE als Rechtsform.132 Dabei ist mehrfach eine Divergenz zwischen den in der Öffentlichkeit angegebenen Beweggründen und den tatsächlichen Veranlassungen für die Wahl der SE festgestellt worden, abgesehen von dem vorherr127 Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft v. 25.6.2008, KOM(2008) 396 endgültig. 128 Dazu Hommelhoff ZEuP 2011, 7; Sick / Thannisch, AuR 2011, 155 („Damoklesschwert für die Mitbestimmung?“); Hommelhoff AuR 2011, 202 („kein Instrument zur Umgehung der Mitbestimmung“); Sick / Thannisch, AuR 2011, 246, wonach die SPE nach den derzeitigen Regelungsvorschlägen starke Anreize zur Umgehung oder Vermeidung der Arbeitnehmerbeteiligung biete. 129 Vgl. Ziffer I. 6. der Mitteilung über einen Kompromissvorschlag der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft vom 23.5.2011, 2008 / 0130 (CNS), S. 2. 130 Kompromissvorschlag der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft vom 23.5.2011, 2008 / 0130 (CNS). 131 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Arbeitsprogramm der Kommission 2014, 22.10.2013, COM (2013) 739 final, Anhang IV, S. 28. 132 So Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2009, 845; vgl. auch bereits Wagner EWS 2005, 545, 546 f.; Schmidt in: Bayer, Going European 2007, S. 51, 74 ff. Fn 82; Bachmann ZeuP 2008, 32, 46, Habersack ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 1 ff.; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 247; vgl. auch v. Rosen in FS Hopt 2010, S. 1245, 1249 ff.; Henssler in FS K. Schmidt 2009, S. 601.
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schenden Motiv des modernen Images einer „european corporate identity“133 eines international aufgestellten Unternehmens.134 Die EU-Kommission selbst geht in ihrer Außendarstellung davon aus, dass Unternehmen sich für diese Rechtsform entscheiden, weil sie ihr europäisches Image verbessere und die Möglichkeit zur Sitzverlegung sowie zu einer effizienteren Umstrukturierung auf grenzüberschreitender Basis gebe.135 Durch die Gründung einer „europäischen Marke“ sollen nationale Vorbehalte beim grenzüberschreitenden Zusammenschluss relativiert und die Entwicklung einer europäischen Unternehmenskultur erleichtert werden.136 Auffällig ist, dass der Aspekt der Mitbestimmung in offiziellen Verlautbarungen von Unternehmen praktisch unerwähnt bleibt,137 während in empirischen Befragungen von Unternehmen der Gesichtspunkt der Gestaltung der Mitbestimmung der dritthäufigste Grund für die Rechtswahl der SE genannt werde.138 Die durch die SE-RL 133 Kallmeyer AG 2003, 197, 200; Wenz AG 2003, 185, 188; Wagner EWS 2005, 545, 546; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277; Bachmann ZeuP 2008, 32, 46; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 326, 332; v. Rosen in FS Hopt 2010, S. 1245, 1258; Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 87; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 2. 134 Bachmann ZeuP 2008, 32, 47; Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1008; v. Rosen in FS Hopt 2010, S. 1245, 1250; vgl. auch Nagel ZIP 2011, 2047, der die Vermutung anstellt, dass die SE-Gründungen weniger von europäischen Idealen als von handfesten Interessen geleitet seien, etwa auch dem Interesse, den bestehenden Mitbestimmungszustand einzufrieren. 135 Bericht der Kommission über die Anwendung der SE-VO v. 17.11.2010, KOM (2010) 676 endgültig, S. 3 f.; Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, Mitteilung der Kommission v. 12.12.2012, COM (2012) 740 final, S. 1. 136 Kallmeyer AG 2003, 197, 200; Bachmann ZeuP 2008, 32, 46; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 326 f. („Fusion unter Gleichen“); für die Nutzung der SE als Vehikel für Unternehmen aus Drittstaaten neben Wenz AG 2003, 185, 192 f. auch mit Beispielen aus der Praxis Schmidt in: Bayer, Going European 2007, S. 51, 71. 137 Vgl. etwa die Präambel der Beteiligungsvereinbarung der BASF SE v. 15.11.2007, S. 4: „Mit der Umwandlung in einer SE leistet das Unternehmen einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Integration Europas und unterstreicht damit seine Vorreiterrolle in der europäischen Chemieindustrie. Die SE fördert die internationale Ausrichtung der BASF und bietet die Chance für eine europaweite Beteiligung aller Arbeitnehmer, deren Vertretungen und ihrer Gewerkschaften. Mit dieser Vereinbarung, den Unternehmensleitlinien der BASF und der Unterstützung des UN Global Compact durch die BASF zeigen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertreter ihre Verantwortung für ein sozial gestaltetes Europa. […].“ (abrufbar unter: http: / / www.basf.com / group / corporate / de / function / conversions: / publish / content / in vestor-relations / corporate-governance / images / Beteiligungsvereinbarung_BASF_SE. pdf). 138 So Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2009, 845, 847; vgl. auch bereits Teichmann AG 2008, 797, 798; ferner Habersack ZIP 2009, Beil. zu Heft 48, S. 2; nach
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vorgesehene Vereinbarungslösung bietet Unternehmen eine flexible Option, die Mitbestimmung auf ihre jeweiligen Verhältnisse abgestimmt „maß zu schneidern“139, anstatt dem starren System etwa der gesetzlich zwingenden Mitbestimmung nach deutschem Recht (DrittelbetG, MitbestG) unterworfen zu sein.140 Dieses Motiv rangiert noch vor der Möglichkeit der identitätswahrenden grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE nahezu gleichauf mit der Wahlmöglichkeit zwischen monistischer (mit einem Verwaltungsrat) und dualistischer Leitungsstruktur (mit einem Leitungs- und einem Aufsichtsorgan) der SE.141 Auch wenn Unternehmen vor den Verhandlungen mit den Arbeitnehmern kaum offen äußern werden, die Mitbestimmung verringern oder vermeiden zu wollen,142 wird der hohe Stellenwert des Mitbestimmungsaspekts für Unternehmen durch tatsächlich aufgetretene Entwicklungen in dieser Hinsicht verdeutlicht. So verkleinerten große deutsche Unternehmen ihren Aufsichtsrat im Zuge der SE-Gründung:143 Die Allianz SE sowie die BASF SE haben ihre vormals aus jeweils 20 Mitgliedern bestehenden AGAufsichtsräte auf SE-Aufsichtsorgane mit jeweils nunmehr nur noch 12 Mitgliedern verkleinert.144 Mit der Umwandlung in die SE behielt Fresenius sein zwölfköpfiges Aufsichtsorgan bei, obwohl die Fresenius AG durch die steigende Arbeitnehmerzahl aufgrund einer Unternehmensakquisition in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MitbestG mit 20 Mitgliedern hineingewachsen wäre.145 Bei der Hager SE wurde die Mitbestimmung sogar ganz abgeschafft.146 Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass eine Reihe deutHohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 2 seien SE-Umwandlungen zu beobachten, „bei denen die Vermeidung oder Einfrierung der Unternehmensmitbestimmung wenn nicht Zweck, so doch willkommene Nebenwirkung gewesen sein dürfte“. 139 Teichmann AG 2008, 797, 798; v. Rosen in FS Hopt 2010, S. 1245, 1251. 140 Kiem ZHR 171 (2007), 713. 141 Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2009, 845, 847; vgl. zu diesen Aspekten Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 327 ff. 142 Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2009, 845, 847; vgl. auch Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209: „Die Komplexität einer SE-Gründung […] und die obligatorischen Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern, einschließlich der damit verbundenen (internen und externen) Öffentlichkeitswirkung, bleibt aber eine Hürde auf dem Weg zur Nutzung einer SE als Vehikel für die Steuerung des Mitbestimmungsniveaus.“. 143 Daher ermögliche die SE auch paritätisch mitbestimmten Unternehmen eine Modifikation der Mitbestimmung, so Rieble NJW 2006, 2214, 2217. 144 Habersack ZHR 171 (2007), 613, 632 Fn 75; Brandes ZIP 2008, 2193; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 78 Fn 12, 81 Fn 16. 145 Habersack ZHR 171 (2007), 613, 632 Fn 75; Seibt in: Willemsen / Hohenstatt / Schweibert / Seibt Kap F Rn 175; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333. 146 Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2009, 845, 848.
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
scher SE-Gesellschaften keine unternehmerische Mitbestimmung aufweist, obwohl sie die Schwellenwerte der deutschen Mitbestimmungsgesetze von 500147 oder 2.000148 Arbeitnehmern überschritten haben.149 Ferner ist das SE-Mitbestimmungskonzept nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen, von einer starken Mitbestimmungstradition geprägten Staaten, ein Beweggrund für die Rechtsformwahl der SE, denn dort sind durchschnittlich acht Mal mehr SE-Gesellschaften eingetragen als in Ländern mit schwächerer oder gar keiner Mitbestimmung.150 Rund die Hälfte aller unternehmerisch tätigen und über mindestens fünf Arbeitnehmer verfügenden SE-Gesellschaften entfallen allein auf Deutschland.151 Einen Zusammenhang zwischen dem national geltenden Mitbestimmungsstandard und der Zahl der SE-Gründungen152 konstatiert auch eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene und Ende 2009 veröffentlichte Studie153. Bereits 2008 hatte die Kommission das Problem der Umgehung von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten erkannt und sah die mangelnde Umsetzung des Missbrauchsverbots nach Art. 11 SE-RL in einigen Mitgliedstaaten als „Grund zur Besorgnis“154 an. Die Kommission war sich jedoch mit der Mehrheit der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner darin einig, dass die nach Art. 15 SE-RL erforderliche Überprüfung der SE-RL mangels ausreichender praktischer Erfahrungen bei der Anwendung der Richtlinie verfrüht war. Vor dem Hintergrund, dass die Annahme der SE-RL das Ergebnis eines schwierigen Kompromisses zwi147 §§ 1
Abs. 1, 4 Abs. 1 DrittelbetG. Abs. 1, 7 MitbestG. 149 Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2009, 845, 848 f.; vgl. auch die empirischen Untersuchungen von Keller / Werner WSI-Mitt. 2009, 416, 422. 150 Eidenmüller / Engert / Hornuf AG 2009, 845, 848; vgl. Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 87; v. Rosen in FS Hopt 2010, S. 1245, 1252. 151 Vgl. den Factsheet des European Trade Union Institute (ETUI) zur European Company Database (ECDB) v. 1.10.2013, abrufbar unter: http: / / de.worker-partici pation.eu / Europa-AG-SE / SE-COMPANIES / Facts-and-Figures, wonach am 1.10. 2013 von 269 unternehmerisch tätigen und über mindestens fünf Arbeitnehmer verfügenden SE-Gesellschaften allein 131 in Deutschland eingetragen waren. 152 Vgl. Henssler ZHR 173 (2009) 222, 247, wonach „ein Zusammenhang zwischen der Akzeptanz der SE in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten und der Rigidität des jeweiligen nationalen Mitbestimmungsmodells“ besteht. 153 Study on the operation and the impacts of the Statute for a European Company (SE) – 2008 / S 144-192482, Final report v. 9.12.2009 (Ernst & Young); vgl. dazu auch die Pressemitteilung IP / 10 / 338 der EU-Kommission v. 23.3.2010; vgl. auch Kafsack in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 9.4.2010, S. 12; ferner Bericht der Kommission über die Anwendung der SE-VO v. 17.11.2010, KOM (2010) 676 endgültig, S. 6. 154 Mitteilung KOM (2008) 591 endgültig v. 30.9.2008, S. 6; vgl. auch OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.3.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 41. 148 §§ 1
§ 2 Europäisierung der Arbeitnehmerbeteiligung durch die SE-RL 57
schen den Mitgliedstaaten war,155 kündigte die Kommission an, weitere Schritte im Hinblick auf Anpassungen der SE-RL erst zu einem späteren Zeitpunkt zu erwägen.156 Laut den Ergebnissen einer öffentlichen Konsultation der Kommission betrachteten viele Unternehmen, Rechtsberater und Berufsverbände die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE als „negativen Faktor“.157 Als Teil ihres Ende 2011 veröffentlichten Arbeitsprogramms plante die Kommission für das Jahr 2013 die Annahme einer Initiative zur Ermittlung möglicher Verbesserungspotentiale der SE-RL bei gleichzeitiger Vereinfachung der Bestimmungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE.158 Die Kommission hielt zunächst noch Vereinfachungen im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung im Falle von Änderungen nach der Eintragung der SE sowie eine bessere Verknüpfung der nationalen und transnationalen Beteiligungsebene und der Mitbestimmung auf Unternehmensgruppenebene für möglich.159 Indes kam die Kommission sodann im Aktionsplan „Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance“ zu dem Schluss, dass die erwarteten Vorteile einer Überarbeitung im Sinne einer Vereinfachung und Überarbeitung der SE-VO und der SE-RL „die potenziellen Herausforderungen bei einer Neueröffnung der Diskussion nicht aufwiegen würden“ und beabsichtigte erneut keine Revision.160 Stattdessen kündigte die Kommission an, eine „Informationskampagne zur Stärkung der Kenntnisse“ über das Statut der SE „im Rahmen einer umfassenden Webseite zu lancieren, um praktische Ratschläge und Unterlagen über das Statut gemeinsam vorzulegen.“161 Mitgliedstaaten mit geringem Mitbestimmungsniveau oder gar keiner Mitbestimmung sind für die Problematik des „Missbrauchs einer SE“ zum Nachteil von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten offenbar weniger sensibilisiert, wie sich an der geographischen Verteilung der Zahl der bislang gegründeten SE-Gesellschaften ablesen lässt.162 Während in Deutschland 155 Vgl. auch Bericht der Kommission über die Anwendung der SE-VO v. 17.11.2010, KOM (2010) 676 endgültig, S. 11. 156 Vgl. Mitteilung KOM (2008) 591 endgültig v. 30.9.2008, S. 9 f. 157 Vgl. Bericht der Kommission über die Anwendung der SE-VO v. 17.11.2010, KOM (2010) 676 endgültig, S. 5. 158 Anhang II zur Mitteilung KOM (2011) 777 endgültig / 2 v. 5.12.2011, S. 45. 159 Anhang II zur Mitteilung KOM (2011) 777 endgültig / 2 v. 5.12.2011, S. 45. 160 Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, Mitteilung der Kommission v. 12.12.2012, COM (2012) 740 final, S. 16. 161 Aktionsplan: Europäisches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen für engagiertere Aktionäre und besser überlebensfähige Unternehmen, Mitteilung der Kommission v. 12.12.2012, COM (2012) 740 final, S. 16. 162 In diese Richtung auch der Bericht der Kommission über die Anwendung der SE-VO v. 17.11.2010, KOM (2010) 676 endgültig, S. 6.
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Teil 1: Einführung in die Problematik des „Missbrauchs einer SE“
knapp 300 SE-Gesellschaften – davon mehr als ein Drittel solche, die Arbeitnehmer beschäftigen und wirtschaftlich aktiv sind, der Rest sind Vorratsgesellschaften – gegründet worden sind,163 gibt es in mehreren Mitgliedstaaten nur eine einstellige Anzahl an Gesellschaften in der Rechtsform einer SE, die oft auch nur als Vorratsgesellschaften gelten.164 Ein Erklärungsansatz für diese Verteilung könnte sein, dass Unternehmen in Mitgliedstaaten, die nationale Rechtsformen mit geringer oder überhaupt keiner Mitbestimmung zur Verfügung stellen, bei ihren nationalen Rechtsformen verbleiben, anstatt sich der SE zu bedienen. Die Unternehmen in solchen Mitgliedstaaten sehen für sich offenbar eine Gefahr darin, dass – selbst wenn kein deutsches mitbestimmtes Unternehmen, dessen darin existierende Mitbestimmungsrechte unter Umständen zu wahren sind, an der SE-Gründung beteiligt ist – das zwingend vor Eintragung der SE (vgl. Art. 12 Abs. 2 SE-VO) aufzunehmende Verhandlungsverfahren unter Umständen in einer Beteiligungsvereinbarung münden kann, aufgrund derer den Arbeitnehmern überhaupt erst Beteiligungsrechte eingeräumt werden. Daher behalten mitbestimmungslose Unternehmen im Zweifel ihre keiner zwingenden Mitbestimmung unterliegende nationale Rechtsform bei. Demgegenüber erachten Unternehmen, die bereits etwa deutschen Mitbestimmungsgesetzen unterliegen, die Vorschriften zum Missbrauch einer SE mangels bisher erfolgter Konturierung als Hürde für einen Wechsel in die Rechtsform der SE. Angesichts dessen soll Art. 11 SE-RL im folgenden Teil 2 konkretisiert werden.
163 Vgl. für aktuelle Zahlen den Factsheet des European Trade Union Institute (ETUI) zur European Company Database (ECDB) (abrufbar unter: http: / / de.workerparticipation.eu / Europa-AG-SE / SE-COMPANIES / Facts-and-Figures). 164 Zum Beispiel im mitbestimmungsschwachen Polen; vgl. für aktuelle Zahlen den Factsheet des European Trade Union Institute (ETUI) zur European Company Database (ECDB) (abrufbar unter: http: / / de.worker-participation.eu / Europa-AGSE / SE-COMPANIES / Facts-and-Figures).
Teil 2
Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL Nach der Einführung in die Problematik des Missbrauchs einer SE in Teil 1 folgt sogleich in Teil 2 eine Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL, bevor in Teil 3 die Konkretisierungsansätze in mitgliedstaatlichen Gesetzen zur Umsetzung der Richtlinienbestimmung untersucht und der Missbrauch der SE auf Grundlage der gewonnenen dogmatischen Erkenntnisse in Teil 4 durch systematisierende Fallgruppen-Bildung anhand praktischer Beispielsfälle konkretisiert wird.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL Im Folgenden wird Art. 11 SE-RL in dogmatischer Hinsicht als ausfüllungsbedürftige Generalklausel eingeordnet (dazu sogleich unter A.), bevor anschließend methodische Aspekte der Ausfüllung des Art. 11 SE-RL mittels Normkonkretisierung – die Trägerschaft der formellen Konkretisierungskompetenz sowie die Wahl der materiellen Konkretisierungsinstrumente – aufgezeigt werden (dazu unter B.). Unter Anwendung dieser Methodik werden anschließend die einzelnen Merkmale des Art. 11 SE-RL ausgelegt, um insbesondere die maßgeblichen Konkretisierungsargumente für den Missbrauch einer SE herauszuarbeiten mit dem Ziel, einen Prüfungsmaßstab für Art. 11 SE-RL zu entwickeln (dazu unter C.).
A. Dogmatische Einordnung des Art. 11 SE-RL Der dogmatische Charakter des Art. 11 SE-RL ist in der Literatur bislang vereinzelt angesprochen worden.1 Nach der Einordnung Rehbergs ist „der Missbrauchstatbestand des Art. 11 SE-RL weder als eigenes Rechtsinstitut noch als Ausprägung sittlich-ethischer Wertungen, sondern als Rechtsanwendungsmaxime zu verstehen“2. Die Vorschrift verlange vom Rechtsan1 Rehberg ZGR 2005, 859, 865 ff., und Sagan EBLR 2010, 15, 16, 23, befassen sich jeweils nur kurz mit dieser Frage. 2 Rehberg ZGR 2005, 859, 868; ihm folgend Koch Diss. 2010, S. 205.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
wender, sich weniger an den Details der genauen Formulierung einer bestimmten Textpassage als vielmehr an Sinn und Zweck der SE-Richtlinie auszurichten.3 Mit der Qualifizierung als „Rechtsanwendungsmaxime“ knüpft Rehberg an die in der deutschen Lehre überwiegend vertretene Auffassung hinsichtlich der Wirkungsweise des in § 242 BGB verorteten allgemeinen zivilrechtlichen Verbots des Rechtsmissbrauchs an, wonach dieses nicht als eigenständiges Rechtsinstitut mit Wirkung von außen auf eine Norm, sondern als ein vom Zweck einer Norm geleitetes Prinzip der Auslegung verstanden wird (sog. „Innentheorie“4).5 Die auf nationaler Ebene bestehende Kontroverse bezüglich der methodischen Funktionsweise eines allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots besteht auch auf europarechtlicher Ebene,6 wenngleich zum Teil bereits die Existenz eines allgemeinen europarechtlichen Missbrauchsverbots bestritten wird.7 Art. 11 SE-RL ist eine Bestimmung in einer europarechtlichen Richt linie. Richtlinien sind an die Mitgliedstaaten gerichtet und für diese hinsichtlich des mit der Richtlinie zu erreichenden Ziels verbindlich (vgl. 3 Rehberg
ZGR 2005, 859, 870. Einordnung als eigenständiges Rechtsinstitut hieße, den Rechtsmissbrauch von festen Tatbestandsvoraussetzungen abhängig zu machen und bei deren Vorliegen ausnahmsweise die Anwendbarkeit des missbräuchlich in Anspruch genommenen Rechts auszuschließen. Demgegenüber führte ein Verständnis als Auslegungsprinzip dazu, dass im Einzelfall durch eine am jeweiligen Zweck orientierte Auslegung der missbräuchlich in Anspruch genommenen Norm die Ausübung des Rechts begrenzt wird (vgl. A. Teichmann Gesetzesumgehung, S. 76 m. w. N.; Sieker Umgehungsgeschäfte, S. 16; Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1282). 5 Vgl. A. Teichmann Gesetzesumgehung, S. 76 ff.; Sieker Umgehungsgeschäfte, S. 16; Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1282; Mansel in: Jauernig-BGB, § 242 Rn 33. 6 Für ein eigenständiges Ausnahme-Instrument, das die Anwendung des Gemeinschaftsrechts schlechthin hindert, etwa Sørensen CMLR 2006, 423, 430; anders die wohl h. M. als ein Auslegungsgrundsatz, der die Ausübung des Gemeinschaftsrechts hindert, etwa Schlussanträge des Generalanwalts La Pergola v. 16.7.1998 – Rs. C-212 / 97 Centros Slg. 1999, I-1459, Rn 20; missverständlich Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro v. 7.4.2005 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 66; Kjellgren EBLR 2000, 179, 192; im Hinblick auf den Missbrauch von Grundfreiheiten Rehberg EuLF 2004, 1, 2 f.; hinsichtlich der Wirkung sekundärrechtlicher Missbrauchsnormen Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1283; im Hinblick auf die Gesetzesumgehung v. Lackum Diss. 2009, S. 247. 7 Ausdrücklich etwa Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro v. 4.2.1998 – Rs. C-367 / 96 Kefalas, Slg. 1998, I-2845, Rn 21; Zimmermann Diss. 2001, S. 199, 222; Ottersbach Diss. 2001, S. 186; vgl. auch Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 559: „The current state of EU law is that the prohibition of abuse of law has the character of a free-standing doctrine. This does not exclude the possibility that it may evolve into an interpretative principle at a later stage. Interpretative approaches develop over time.“; zum allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot noch unter § 3 C. III. 1. 4 Die
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL61
Art. 288 Abs. 3 AEUV). Insofern sind unmittelbare Adressaten des Art. 11 SE-RL die zur Umsetzung der SE-RL verpflichteten Mitgliedstaaten.8 Dazu ist regelmäßig ein „verbindlicher, normativer Akt“9 im Sinne eines „außenverbindlichen Rechtssatzes“10 erforderlich. Für private Rechtsträger sowie grundsätzlich11 auch für die nationale Rechtsprechung ist erst der Umsetzungsakt des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers verbindlich. Schon aus diesem Grund lässt sich Art. 11 SE-RL selbst dogmatisch nicht als „Rechtsanwendungsmaxime“ einordnen. Für den Rechtsanwender sind allein die mitgliedstaatlichen Umsetzungen des Art. 11 SE-RL unmittelbar anwendbar. Demgegenüber ist Art. 11 SE-RL als solcher – anders als etwa die Regelungen in der SE-VO – in den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar. Vielmehr weist Art. 11 SE-RL in dogmatischer Hinsicht einen doppelten Rechtscharakter auf, was im Folgenden aufzuzeigen ist. I. Doppelter Rechtscharakter des Art. 11 SE-RL Art. 11 SE-RL weist einen zweifachen Rechtscharakter – in formeller Hinsicht einerseits und in materieller Hinsicht andererseits – auf. Zwischen einer „formellen“ und einer „materiellen“ Seite des Art. 11 SE-RL unterscheidet auch Sagan. Während die Regelung in formeller Hinsicht an die Mitgliedstaaten gerichtet sei, seien in materieller Hinsicht die eine SE gründenden oder betreibenden Einzelpersonen oder Unternehmen Adressaten der Vorschrift.12 Dem von Sagan aufgezeigten formellen Aspekt ist grundsätzlich zuzustimmen. Dazu wird herausgearbeitet werden (sogleich unter 1.), dass Art. 11 SE-RL als Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Mechanismen im Sinne formeller Verfahren zur Verhinderung des Missbrauchs der SE-Rechtsform einzuordnen ist. Sagan EBLR 2010, 15, 23. in: Calliess / Ruffert-EUV / AEUV, Art. 288 AEUV Rn 37 m. w. N. 10 Ruffert in: Calliess / Ruffert-EUV / AEUV, Art. 288 AEUV Rn 32; im Zusammenhang mit der Konkretisierung von Richtlinien-Generalklauseln Röthel Normkonkretisierung, S. 345 f. 11 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung gilt erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie; bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist besteht jedoch eine Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten zur Unterlassung von das Richtlinienziel ernsthaft beeinträchtigenden Maßnahmen, vgl. dazu W.-H. Roth in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn 11 ff. m. w. N.; zur Zulässigkeit richtlinienkonformer Auslegung nationaler Generalklauseln vor Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie Ruffert in: Calliess / Ruffert-EUV / AEUV, Art. 288 AEUV Rn 80. 12 Sagan EBLR 2010, 15, 23. 8 Vgl.
9 Ruffert
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Hingegen ist Sagans Auffassung bezüglich der materiellen Seite des Art. 11 SE-RL nicht ohne Weiteres zuzustimmen. Sicher bezweckt die Richtliniennorm, den Gründern oder Betreibern der SE bestimmte Verhaltensweisen abzuverlangen. Allerdings richtet sich die Regelung des Art. 11 SE-RL – auch in materieller Hinsicht – nur mittelbar an den vorgenannten Adressatenkreis. Nach der Konzeption der Vorschrift bedarf es zunächst auf nationaler Ebene eines weiteren Umsetzungsaktes durch die Mitgliedstaaten, um private Subjekte an die inhaltlichen Maßstäbe des Art. 11 SE-RL zu binden. Die Regelung ist in materieller Hinsicht als ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel zu qualifizieren (dazu unter 2.), welche eine inhaltliche Grenze der grundsätzlich in der SE gewährten Flexibilität hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung markiert. 1. Formeller Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten Zwar bedarf grundsätzlich jede Richtlinie einer Umsetzung in nationales Recht. Der Wortlaut der Vorschrift des Art. 11 SE-RL verlangt jedoch ausdrücklich von den Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines Missbrauchs der SE zu treffen. Daraus folgt, dass den Mitgliedstaaten ein Umsetzungsspielraum zur konzeptionellen Gestaltung von missbrauchshindernden Instrumenten eingeräumt ist.13 Eine Art. 11 SE-RL insoweit vergleichbare Regelung enthielt eine Missbrauchsklausel im Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft für eine – unmittelbar anwendbare – Verordnung über die zunächst geplante, aber inzwischen gescheiterte14 SPE in Art. 35 Abs. 4 SPE-VO-E15: „Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht, um zu verhindern, dass eine SPE dazu missbraucht wird, um Arbeitnehmern ihre Mitbestimmungsrechte vorzuenthalten oder zu versagen.“
Die vorgenannte Regelung interpretiert Hommelhoff als einen den Mitgliedstaaten erteilten „Regelungs- und Handlungsauftrag“. Die Mitgliedstaaten müssten durch ihre Parlamente, Behörden und Gerichte aktiv werden.16 13 Zu den mitgliedstaatlichen Konzepten zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL eingehend in Teil 3. 14 Vgl. zum Scheitern der SPE bereits oben unter § 2 C. IV. 3. 15 Überarbeiteter Kompromissvorschlag des schwedischen Vorsitzes des Rats der Europäischen Union für eine Verordnung des Rates über die Europäische Privatgesellschaft vom 27.11.2009, 16115 / 09 ADD 1 DRS 71 SOC 711; im Nachgang hatte auch die ungarische Ratspräsidentschaft am 7.1.2011 einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der jedoch dem schwedischen Vorschlag weitgehend entsprach, vgl. Bormann / Böttcher NZG 2011, 411, 412; ferner Vorschlag des Rats der Europäischen Union v. 23.5.2011, 10611 / 11 DRS 84 SOC 432, 2008 / 0130 (CNS). 16 Zum Folgenden Hommelhoff ZeuP 2011, 7, 26.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL63
Vergleichbar dem Vorschlag für eine Missbrauchsnorm bei der SPE bestimmt Art. 11 SE-RL für die SE, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen. Insofern kann auch die Vorschrift des Art. 11 SE-RL als Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten qualifiziert werden. Indes verpflichtet der Handlungsauftrag nicht bestimmte Träger staatlicher Gewalt, sondern – wie die für die Mitgliedstaaten verbindlichen Richtlinien als Gesamtregelwerk (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV)17 – sämtliche Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten. Auch folgt aus dem Begriff der „Maßnahme“ nicht, welche bestimmte Art von Maßnahme zu treffen ist, sodass nicht von einem spezifischen „Regelungsauftrag“18 auszugehen ist. Allerdings erfüllen die Staaten den Handlungsauftrag nur hinreichend, wenn sie dessen Befolgung durch alle drei Gewalten – Legislative, Exekutive und Judikative – dadurch sicherstellen, dass die staatlichen Institutionen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich entsprechende „Maßnahmen“ zur Verhinderung von Missbräuchen vorsehen. Insofern setzen die legislativen Organe der Mitgliedstaaten die Erfüllung des Handlungsauftrags durch den Erlass gerichtlich durchsetzbarer gesetzlicher Regelungen um. Da jedoch die Verpflichtung sämtliche Träger staatlicher Gewalt – auch Behörden und Gerichte – trifft, ist Art. 11 SE-RL nicht spezifisch als Regelungs-, sondern allgemeiner als Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten einzuordnen. Nach Hommelhoff zieht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Erfüllung des Auftrags aus Art. 35 Abs. 4 SPE-VO-E ihre Legitimation aus mehreren Gründen.19 Zunächst könnten die Mitgliedstaaten über ihre Institutionen sehr viel klarer und schneller mögliche Missbräuche und ihre Erscheinungsformen in der Unternehmenspraxis erkennen als die dem Geschehen ferneren europäischen Institutionen. Darüber hinaus erlaube die „mitgliedstaatliche Umgehungsabwehr“20 über die Institutionen der Mitgliedstaaten eine schnellere und flexiblere Reaktion auf neue Vermeidungsstrategien als das gegebenenfalls langwierige und schwerfällige Abwarten einer Reaktion des europäischen Gesetzgebers, dessen Regelungen zur 17 Auf Grundlage von Art. 288 Abs. 3 AEUV sowie Art. 4 Abs. 3 EUV müssen sämtliche Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung der Verpflichtung treffen, die in einer Richtlinie vorgesehenen Ziele zu erreichen, vgl. Ruffert in: Calliess / Ruffert-EUV / AEUV, Art. 288 AEUV Rn 77. 18 Im Übrigen spricht gegen die Verwendung des Begriffs des „Regelungsauftrags“ bei der SE, dass dieser die Regelungsaufträge des europäischen Gesetzgebers an den SPE-Satzungsgeber in Art. 8 Abs. 1, 1a SPE-VOSE bezeichnet, vgl. Hommelhoff ZeuP 2011, 7, 26 Fn 60; vgl. zur Konzeption des Gesetzgebungsinstruments des an den SPE-Satzungsgeber gerichteten „Regelungsauftrags“ Salomon, Regelungsaufträge in der Societas Privata Europaea, Diss. 2010, S. 51 ff. 19 Zum Folgenden Hommelhoff ZeuP 2011, 7, 27. 20 Hommelhoff ZeuP 2011, 7, 26.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Missbrauchsbekämpfung einen Konsens zwischen sämtlichen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament erforderten. Schließlich würden sich, so Hommelhoff, „Unions-weite Einheitslösungen“21 zur Umgehungsabwehr verbieten, da die Unternehmen in den einzelnen Mitgliedstaaten eine Vermeidung der Mitbestimmung mit jeweils unterschiedlichen Intensitäten anstrebten. Die Argumentation Hommelhoffs zu einer effektiveren Missbrauchsverhinderung durch die Mitgliedstaaten als durch den europäischen Gesetzgeber trifft auch für Art. 11 SE-RL zu. Allerdings bedarf es in Bezug auf Art. 11 SE-RL keiner „Legitimation“22 für eine Verlagerung der Missbrauchsabwehr auf die Mitgliedstaaten. Im Unterschied zu einer unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung (vgl. Art. 288 Abs. 2 S. 2 AEUV) wie der damals geplanten SPE-VO ist eine Richtlinie wie die SE-RL nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch gerade den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Der europäische Gesetzgeber ist zur Rechtsetzung nur insoweit befugt, als er den Subsidiaritätsgrundsatz (vgl. Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 EUV) und das Verhältnismäßigkeitsprinzip (vgl. Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 1 EUV) wahrt.23 Die Beachtung der genannten Prinzipien entspricht, wie in ErwG 4 SE-RL zum Ausdruck kommt, dem Willen des Richtliniengebers. Danach darf die SE-RL insbesondere im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip „nicht über das für die Erreichung [der mit der SE-RL angestrebten] Ziele erforderliche Maß hinaus[gehen]“24. Zur Wahrung der genannten Prinzipien ist der europäische Gesetzgeber jedenfalls in Bezug auf Art. 11 SE-RL aus den von Hommelhoff genannten Gründen zu einer Einbeziehung der Mitgliedstaaten bei der Missbrauchsabwehr nicht nur legitimiert,25 sondern sogar verpflichtet. Soweit sich bestimmte Ziele besser auf mitgliedstaatlicher Ebene erreichen lassen, muss sich der Richtliniengeber einer Regelung auf unionsrechtlicher Ebene enthalten. Aus dem Handlungsauftrag des Art. 11 SE-RL folgt die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Mechanismen zum Zwecke der Verhinderung eines Miss21 Hommelhoff
ZeuP 2011, 7, 27. Bezug auf Art. 35 Abs. 4 SPE-VO-E: Hommelhoff ZeuP 2011, 7, 27. 23 Vgl. zur Beachtung dieser Grundsätze bei europarechtlichen Generalklauseln Röthel Normkonkretisierung, S. 317; die Prinzipien als „Fürsprecher konkretisierungsbedürftiger Unbestimmtheit“ begreifend Röthel Normkonkretisierung, S. 320 ff.; ferner Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 7 f.; in diesem Sinne auch M. Schmidt Konkretisierung, S. 22 ff., 24 („Verwendung von ausfüllungsbedürftigem Recht […] nicht nur zulässig, sondern geboten“). 24 ErwG 4 S. 2 SE-RL (Einf. durch Verf.). 25 So jedoch in Bezug auf Art. 35 Abs. 4 SPE-VOSE: Hommelhoff ZeuP 2011, 7, 27. 22 In
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brauchs der SE-Rechtsform zu Lasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer bereitzustellen. Dabei umfasst dieser Handlungsauftrag zunächst nur die Übertragung der Kompetenz, formale Verfahren auf mitgliedstaatlicher Ebene einzuführen und durchzusetzen.26 Ob den Mitgliedstaaten auch die Befugnis zur autonomen Aufstellung inhaltlicher Maßstäbe für den „Missbrauch einer SE“ zugewiesen ist, hängt hingegen von der Verteilung der Kompetenz zur inhaltlichen Konkretisierung des Art. 11 SE-RL ab.27 2. Materiell ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel Art. 11 SE-RL enthält nicht nur den soeben dargestellten Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten zur Sicherstellung formaler Verfahren zur Verhinderung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform. Aufgrund der Verwendung des im Mittelpunkt der Regelung stehenden normativ-unbestimmten Rechtsbegriffs des „Missbrauchs“ ist Art. 11 SE-RL dogmatisch zudem als europarechtliche Generalklausel zu qualifizieren. Da bei der Rechtsanwendung normativer Begriffe eine Wertung vorzunehmen ist,28 sind solche Begriffe „wertausfüllungsbedürftig“29. Einen unbestimmten Rechtsbegriff charakterisiert seine sprachliche „Vagheit“30. Während die Kategorie der unbestimmten Rechtsbegriffe häufig dem öffentlichen Recht zugeordnet wird, spricht man im Bereich des Privatrechts meist von Generalklauseln.31 Die Gemeinsamkeit der Begriffe besteht darin, dass sie vor allem „Delegationsfunktion“32 erfüllen, indem die Rechtsetzungsbefugnis auf den Richter verlagert wird.33 Zweck der Verwendung normativ-unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln ist es, flexible 26 Vgl. i. E. auch EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 43, hinsichtlich der Vermutung einer Steuerhinterziehung oder -umgehung in Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG (seit 15.12.2009 Art. 15 RL 2009 / 133 / EG), wonach es mangels genauerer Gemeinschaftsbestimmungen über die Anwendung der Vermutung Sache der Mitgliedstaaten sei, unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die zur Anwendung der Bestimmung erforderlichen Modalitäten festzulegen. 27 Dazu noch ausführlich unter § 3 B. I. 28 Röthel Normkonkretisierung, S. 28 m. w. N. 29 Röthel Normkonkretisierung, S. 28 m. w. N. 30 Röthel Normkonkretisierung, S. 27 m. w. N. 31 Für das deutsche Recht Röthel Normkonkretisierung, S. 29 m. w. N.; zur sprachlichen Offenheit als Kennzeichen allgemeiner Grundsätze wie einem Missbrauchsverbot vgl. Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 568. 32 Röthel Normkonkretisierung, S. 31; vgl. auch Röthel in: Riesenhuber, Europäi sche Methodenlehre, § 12 Rn 1, 4. 33 Röthel Normkonkretisierung, S. 30 f.; 49 ff.; Müller-Graff Die Generalklausel im Europäischen Privatrecht, S. 131, 133; vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Spielräume für die Ausfüllung mit inhaltlichen Maßstäben zu eröffnen.34 Normativ-unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln unterscheiden sich quantitativ durch den Grad ihrer Ausfüllungsbedürftigkeit.35 Ein normativ-unbestimmter Rechtsbegriff ist einzelner Bestandteil eines im Übrigen bestimmten Rechtssatzes, während Generalklauseln ganze Rechtssätze bilden, „deren zentraler Inhalt in normativen Begriffen verkörpert ist“36. Ihre Begriffe sind „auf so hohem Abstraktionsniveau angesiedelt […], dass auch ein eindeutig fassbarer Begriffskern nicht mehr vorhanden ist und mithin über das gesamte Spektrum hinweg eine Umsetzung der Norm auf konkrete Einzelfälle nur im Wege wertender Entscheidung erfolgen kann“37. Generalklauseln sind daher „ ‚besonders‘ ausfüllungsbedürftige Rechtssätze“38. Auch der europäische Gesetzgeber bedient sich des Rechtsetzungsinstruments ausfüllungsbedürftiger Generalklauseln.39 Art. 11 SE-RL enthält im letzten Halbsatz das Merkmal „Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer“. Diese Begriffe bedürfen zwar näherer rechtlicher Bestimmung im Wege objektiver Auslegung.40 Sie lassen jedoch wegen ihres eher deskriptiven Charakters wenig Raum für eine subjektive Wertung bei der Rechtsanwendung. Ferner verwendet der Richtliniengeber in Art. 11 SE-RL die Begriffe „entziehen oder vorenthalten“. Diese Termini bedürfen einer Konkretisierung, die – auch wenn deren Wortlaut einen bestimmbaren Kern enthält – gegenüber den zuerst genannten Begriffen bereits mit erheblich mehr Aufwand verbunden ist. Sprachlich offen41 und zugleich wertausfüllungsbedürftig ist jedoch der Begriff des „Missbrauchs einer SE“. Mithin ist dieses Merkmal als ein normativ-unbestimmter Rechtsbegriff einzuordMethodenlehre, § 12 Rn 1; zu den Funktionen von Generalklauseln eingehend M. Schmidt Konkretisierung, S. 19 ff. 34 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 1. 35 So Röthel Normkonkretisierung, S. 33; M. Schmidt Konkretisierung, S. 18 f., der jedoch die Notwendigkeit einer Differenzierung bezweifelt. 36 Röthel Normkonkretisierung, S. 34 m. w. N. 37 Roth / Schubert in: MüKo-BGB § 242 Rn 31. 38 Röthel Normkonkretisierung, S. 33; vgl. auch M. Schmidt Konkretisierung, S. 18. 39 Beispielhaft genannt werden Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93 / 13 / EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (KlauselRichtlinie) sowie Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2005 / 29 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnen marktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (UGPRichtlinie); vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 1. 40 Dazu noch unten unter § 3 C. I. 41 Im Hinblick auf den Tatbestand des § 43 S. 1 SEBG Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2.
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nen. Darüber hinaus steht die Beurteilung einer SE-Gestaltung als „missbräuchlich“ im Zentrum der Vorschrift des Art. 11 SE-RL und bildet den Kern dieser Regelung. Selbst bei näherer Konkretisierung der zunächst genannten Begriffe „Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern“ sowie „entziehen oder vorenthalten“ hängt die Frage, ob Art. 11 SE-RL einschlägig ist, vollends von der inhaltlichen Wertausfüllung des Missbrauchs-Begriffs ab. Als besonders ausfüllungsbedürftige Norm ist Art. 11 SE-RL mithin als europarechtliche Generalklausel zu qualifizieren. II. Ergebnis zur dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL Die dogmatische Einordnung des Art. 11 SE-RL ergibt, dass die Richtlinienbestimmung einen doppelten Rechtscharakter aufweist. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass in Art. 11 SE-RL eine Unterscheidung zwischen einem formellen und einem materiellen Aspekt angelegt ist. Zum einen erteilt der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten mit Art. 11 SE-RL einen Handlungsauftrag. Dieser umfasst die Bereitstellung formeller Verfahren, um Missbräuche der SE-Rechtsform zu verhindern. Gleichzeitig ist Art. 11 SE-RL materiell aufgrund des für die Norm zentralen normativ-unbestimmten Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ eine europarechtliche Generalklausel, die der inhaltlichen Ausfüllung bedarf. Die Ausfüllung erfordert in methodischer Hinsicht einen Prozess der Normkonkretisierung,42 auf den im Folgenden einzugehen ist.
B. Methodik der Normkonkretisierung zur Ausfüllung des Art. 11 SE-RL Die Ausfüllung von Generalklauseln mit inhaltlichen Maßstäben erfolgt methodisch im Wege der „Normkonkretisierung“43. Die Konkretisierung einer Norm bedeutet, „daß aus einer Ausgangsnorm und weiteren, empirischen oder gesicherten normativen Sätzen die zur Lösung des Fallproblems benötigte konkretere Regel deduziert wird.“44 Die Konkretisierung ist ein 42 Vgl. zur Normkonkretisierung als „Prozess“ Röthel Normkonkretisierung, S. 167 ff., 310, 381, 399 ff.; ferner Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 40; vgl. etwa zur Präzisierung der Generalklausel des § 242 BGB als „Daueraufgabe“: J. Schmidt in: Behrends / Dießelhorst / Dreier, Rechtsdogmatik und Vernunft, S. 231 ff. 43 Für das deutsche Recht: Röthel Normkonkretisierung, S. 20 m. w. N.; Bydlinski Methodenlehre, S. 582 ff.; Haubelt Konkretisierung, S. 33 ff. 44 Bydlinski in: Behrends / Dießelhorst / Dreier, Rechtsdogmatik und praktische Vernunft, S. 189, 196; ihm folgend M. Schmidt Konkretisierung, S. 32.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Prozess, der die Methoden der „gebundenen Rechtsentscheidung durch Auslegung“ und der „rechtsschöpferischen […] Rechtsbildung“ verbindet.45 Am Beginn eines Konkretisierungsprozesses46 für die Konkretisierung des Art. 11 SE-RL stellen sich bei methodengerechter47 Vorgehensweise die Fragen, wem institutionell die Konkretisierungskompetenz obliegt (sogleich unter I.) und welche methodischen Konkretisierungsinstrumente (II.) dabei anzuwenden sind. I. Träger der Konkretisierungskompetenz Bedient sich der nationale Gesetzgeber einer privatrechtlichen Generalklausel wie etwa § 242 BGB, besteht ein gesetzlicher Auftrag zur Normbildung im Wege der Normkonkretisierung.48 Mit der Verwendung unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe in der Generalklausel überträgt der nationale Gesetzgeber der nationalen Rechtsprechung die Befugnis zu „richterlicher Rechtsgestaltung“49. Die auf die nationale Ebene begrenzte Delegation der Rechtsgestaltungsbefugnis kann die Fragen nach der grundsätzlichen Zulässigkeit und der umfänglichen Reichweite der Rechtsetzung mittels ausfüllungsbedürftiger Generalklauseln aufwerfen.50 Dabei steht fest, dass die Konkretisierungskompetenz – das heißt die Befugnis zur Normkonkretisierung – eindeutig den nationalen Gerichten zugewiesen ist. Bei einer europarechtlichen Generalklausel wie Art. 11 SE-RL ist zunächst fraglich, wem der europäische Richtliniengeber mit der Verwendung der ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbestimmung die Normkonkretisierung überlässt.51 Hierfür kommen verschiedene „Konkretisierungsakteure“52 in 45 Röthel
in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 4. den Herausforderungen zu Beginn eines Konkretisierungsprozesses Röthel Normkonkretisierung, S. 399 f. 47 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 3. 48 Vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 130. 49 Röthel Normkonkretisierung, S. 161; vgl. auch Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 4, 7. 50 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 5. 51 Zur Konkretisierungskompetenz bei Generalklauseln des europäischen Privatrechts eingehend Röthel Normkonkretisierung, S. 309 ff., 344 ff., 440 („Das zentrale Thema gemeinschaftsrechtlicher Normkonkretisierung ist die sachgerechte Aufgabenverteilung zwischen den nationalen Konkretisierungsakteuren und dem EuGH“); M. Schmidt Konkretisierung, S. 35 ff.; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 5 ff. 52 Diesen Begriff verwenden allgemein Röthel Normkonkretisierung, S. 312, 344 ff.; M. Schmidt Konkretisierung, S. 37 ff., 313; Röthel in: Riesenhuber, Europäi sche Methodenlehre, § 12 Rn 12. 46 Zu
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Betracht. Die Konkretisierungsbefugnis kann den Mitgliedstaaten zugewiesen oder der Unionsebene vorbehalten sein.53 1. Konkretisierungszuständigkeiten im Europarecht Innerhalb der Mitgliedstaaten richtet sich die Verteilung der Konkretisierungskompetenz danach, ob der nationale Gesetzgeber selbst eine Konkretisierung des Art. 11 SE-RL vornimmt („legislative Konkretisierung“54) oder diese Aufgabe seinerseits mittels Verwendung einer Generalklausel an die nationale Rechtsprechung delegiert („judikative Konkretisierung“55).56 Auf Unionsebene obliegt die Konkretisierungsbefugnis in der Regel dem EuGH als „integraler Bestandteil der dem EuGH zugewiesenen Befugnis zur Auslegung und Fortbildung des Sekundärrechts“57. In letzterem Fall kommt den Mitgliedstaaten zwar eine „Konkretisierungsprärogative“58 zu. Diese unterliegt jedoch der letztverbindlichen Kontrolle durch den EuGH.59 Daher geht es bei der Untersuchung der Konkretisierungskompetenz des Art. 11 SE-RL darum, zu prüfen, ob diese in letzter Verbindlichkeit den Mitgliedstaaten oder dem EuGH obliegt (unter 3.). Diese Frage ist auf Grundlage der Grundsätze zur Konkretisierungskompetenz für sekundärrechtliche Generalklauseln (dazu sogleich unter 2.) zu beantworten. 2. Konkretisierungskompetenz für sekundärrechtliche Generalklauseln Anhaltspunkte für die Verteilung der Konkretisierungskompetenz allgemein für sekundärrechtliche Generalklauseln finden sich vor allem in der EuGH-Rechtsprechung60 zur bislang „prominentesten sekundärrechtlichen 53 Vgl. allgemein M. Schmidt Konkretisierung, S. 37 ff.; vgl. ferner Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 5. 54 Röthel Normkonkretisierung, S. 312, 428; vgl. zum mitgliedstaatlichen Gesetzgeber als Konkretisierungsakteur auch M. Schmidt Konkretisierung, S. 46 ff. 55 Röthel Normkonkretisierung, S. 313, 345, 410. 56 Zu den Konzepten ausgewählter Mitgliedstaaten zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL noch unter Teil 3. 57 Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 9; vgl. zur zentralen Rolle des EuGH bei der Richtlinienkonkretisierung: Röthel Normkonkretisierung, S. 313, 353 ff. 58 M. Schmidt Konkretisierung, S. 46. 59 BGH EuGH-Vorlage v. 5.6.2008 – I ZR 4 / 06, DB 2008, 1741, Rz. 20; EuGH Urt. v. 14.1.2010 – Rs. C-304 / 08 Plus Warenhandelsgesellschaft Slg. 2010, I-217; vgl. M. Schmidt Konkretisierung, S. 46 f. 60 EuGH Urt. v. 27.8.2000 – verb. Rs. C-240 / 98 bis 244 / 98 Océano Slg. 2000, I-4941; EuGH Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-237 / 02 Freiburger Kommunalbauten Slg.
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Generalklausel“61: Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL62. Danach ist eine Verbrauchervertragsklausel als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.63 In seiner zur Generalklausel des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL ergangenen Rechtsprechung unterscheidet der EuGH zunächst zwischen der Auslegung von Unionsnormen einerseits und deren Anwendung andererseits.64 Danach sei der EuGH befugt, die vom Unionsgesetzgeber zur Definition des Begriffs der „missbräuchlichen Klausel“ in Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL verwendeten allgemeinen Kriterien („Treu und Glauben“ sowie „erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis“) auszulegen. Dagegen könne er sich nicht zur Anwendung dieser allgemeinen Kriterien auf eine bestimmte Klausel äußern, die anhand der Umstände des konkreten Falles zu prüfen seien.65 Es sei daher Sache des nationalen Gerichts zu prüfen und festzustellen, ob eine Vertragsklausel die Kriterien erfüllt, um als missbräuchlich i. S. v. Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL qualifiziert zu werden.66 Somit geht der EuGH davon aus, jedenfalls nicht zur konkreten Anwendung67 von Unionsnormen befugt zu sein. Jedoch obliege ihm nach 2004, I-3403; EuGH Urt. v. 26.10.2006 – Rs. C-168 / 05 Elisa María Mostaza Claro . / . Centro Móvil Milenium SL Slg. 2006, I-10421; EuGH Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-243 / 08 Pannon GSM, Slg. 2009 I-4713. 61 Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 17; vgl. auch M. Schmidt Konkretisierung, S. 116. 62 Richtlinie 93 / 13 / EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl. L 95, S. 29. 63 Vgl. eingehend zur Kompetenzverteilung bei der Konkretisierung des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL Röthel Normkonkretisierung, S. 377 ff.; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 17 ff.; M. Schmidt Konkretisierung, S. 35, 202 ff., 224 ff. 64 Vgl. allgemein zur Auslegung als Gegenbegriff zur Rechtsanwendung Röthel Normkonkretisierung, S. 330 m. w. N.; Stotz in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 22 Rn 20; kritisch zur „kaum möglichen und insgesamt wenig hilfreichen“ Unterscheidung zwischen Auslegung und Anwendung von Generalklauseln M. Schmidt Konkretisierung, S. 53 f., 313. 65 EuGH Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-237 / 02 Freiburger Kommunalbauten Slg. 2004, I-3403, Rn 22; EuGH Urt. v. 26.10.2006 – Rs. C-168 / 05 Elisa María Mostaza Claro . / . Centro Móvil Milenium SL Slg. 2006, I-10421 Rn 22; EuGH Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-243 / 08 Pannon GSM, Slg. 2009 I-4713, Rn 42. 66 EuGH Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-237 / 02 Freiburger Kommunalbauten Slg. 2004, I-3403, Rn 25; EuGH Urt. v. 26.10.2006 – Rs. C-168 / 05 Elisa María Mostaza Claro . / . Centro Móvil Milenium SL Slg. 2006, I-10421 Rn 23; EuGH Urt. v. 4.6.2009 – Rs. C-243 / 08 Pannon GSM, Slg. 2009 I-4713, Rn 43 f. 67 In der fehlenden Befugnis der konkreten Anwendung einer Norm durch den EuGH könnte im Hinblick auf die Konkretisierung von europarechtlichen Generalklauseln argumentiert werden, dass eine Konkretisierung etwa des Missbrauchsbe-
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Art. 267 AEUV (früher: Art. 234 EG) grundsätzlich die Befugnis zur unionsautonomen Auslegung von Generalklauseln wie Art. 3 Abs. 1 KlauselRL:68 Aus Gründen der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sowie des Gleichheitssatzes seien „die Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die […] für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen“69. Hingegen differenziert der EuGH bislang nicht weiter zwischen der Auslegung „normal“70 bestimmbarer Normen und der Konkretisierung besonders ausfüllungsbedürftiger Generalklauseln.71 Aufgrund der methodischen Nähe der Konkretisierung und der Auslegung wird jedoch in der Literatur der Grundsatz unionsautonomer Auslegung auf die Konkretisierung übertragen.72 Unionsautonom sind grundsätzlich die in Verordnungen (Art. 288 Abs. 2 AEUV) verwendeten Generalklauseln zu konkretisieren.73 Für in Richtlinien (Art. 288 Abs. 3 AEUV) verwendete Generalklauseln hält die überwiegende Literaturmeinung jedoch eine allgemeingültige Zuweisung der abschließenden Konkretisierungskompetenz – generell zum EuGH oder generell zu den griffs in Art. 11 SE-RL stets am konkreten Einzelfall erfolgen muss. Dies widerspricht jedoch nicht der Befugnis des EuGH nach Art. 267 AEUV, wonach der EuGH das europäische Recht lediglich auslegt. Andernfalls wäre eine Konkretisierung durch den EuGH ausgeschlossen, vgl. für Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL M. Schmidt Konkretisierung, S. 237, 246, 313. Die Unterscheidung zwischen Auslegung und Anwendung bedeutet insoweit lediglich, dass der EuGH den konkreten Fall nicht entscheiden darf. Ihm steht es jedoch zu, bei Zugrundelegung der ihm im Rahmen der Vorlagefrage durch das nationale Gericht gegebenen Sachverhaltsmerkmale den Maßstab der Missbräuchlichkeit zu entwickeln und somit eine rechtliche Konkretisierung der normativ-unbestimmten Tatbestandsmerkmale des Art. 11 SE-RL vorzugeben. In diesem Sinne für Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL EuGH Urt. v. 1.4.2004 – Rs. C-237 / 02 Freiburger Kommunalbauten Slg. 2004, I-3403, Rn 22; dazu M. Schmidt Konkretisierung, S. 303. 68 Vgl. M. Schmidt Konkretisierung, S. 40 ff. m. w. N. 69 EuGH Urt. v. 16.7.2009 – Rs. C-5 / 08 Infopaq, Slg. 2009 I-6569, Rn 27; vgl. zum Grundsatz gemeinschaftsautonomer Auslegung Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 4 ff.; Stotz in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 22 Rn 18. 70 Röthel Normkonkretisierung, S. 373. 71 Vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 377; M. Schmidt Konkretisierung, S. 30 ff.; Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 3 m. w. N.; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 20, 21, 25 m. w. N.; Rebhahn in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 18 Rn 15 m. w. N. 72 Ebenso Röthel Normkonkretisierung, S. 377; M. Schmidt Konkretisierung, S. 40 Fn 22; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 10. 73 M. Schmidt Konkretisierung, S. 42 m. w. N., S. 62, 313. vgl. allgemein zur Befugnis des EuGH zur Konkretisierung von Verordnungen Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 65; vgl. kritisch Röthel Normkonkretisierung, S. 315.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Mitgliedstaaten – für unmöglich.74 Vielmehr sei für jede einzelne Generalklausel in europarechtlichen Richtlinien zu untersuchen, ob sie durch den EuGH oder durch die Mitgliedstaaten zu konkretisieren ist.75 Auch der EuGH geht lediglich „in der Regel“76 von einer ihm zugewiesenen unionsautonomen Auslegung von Richtlinienvorschriften aus.77 Selbst ohne ausdrückliche Zuweisung in der Richtlinienbestimmung nimmt der EuGH eine mitgliedstaatliche Kompetenz zur Auslegung an, wenn mit der Richtlinie nur eine teilweise Harmonisierung bezweckt wird.78 Damit hängt die Bestimmung der Konkretisierungskompetenz, sofern keine ausdrückliche Zuweisung an die Mitgliedstaaten vorliegt,79 insbesondere vom Harmonisierungsgrad80 der Richtlinie ab.81 Dabei ist das Ausmaß der Rechtsangleichungsintention82 durch Auslegung der Richtlinie anhand der klassischen Auslegungsprinzipien – Wortlaut, Historie, Systematik sowie Telos (Sinn und Zweck) – zu ermitteln.83 Das ist insofern sinnvoll, als das Instrument der Richtlinie im Gegensatz zur Verordnung nicht auf eine Rechtsvereinheitlichung, sondern hauptsächlich auf eine Rechtsangleichung zielt,84 deren Grad je nach Richtlinie unterschiedlich stark – oder schwach – ausfallen kann.85 Mithin besteht grundsätzlich eine Befugnis des EuGH zur unionsautonomen Konkretisierung von Richtlinienbestimmungen, es sei denn ihre 74 Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 61; M. Schmidt Konkretisierung, S. 62, 313; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 12. 75 Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 61; M. Schmidt Konkretisierung, S. 62, 313; Müller-Graff Die Generalklausel im Europäischen Recht, S. 129, 139; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 12. 76 EuGH Urt. v. 16.7.2009 – Rs. C-5 / 08 Infopaq, Slg. 2009 I-6569 Rn 27; vgl. Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 7 f. 77 Vgl. Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 7. 78 EuGH Urt. v. 11.7.1985 – Rs. C-105 / 84 Danmols Inventar, Slg. 1985, I-2639, Rn 22–28; vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 376; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 8. 79 Vgl. Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 4. 80 Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 61. 81 Zum Folgenden M. Schmidt Konkretisierung, S. 62. 82 Röthel Normkonkretisierung, S. 365 m. w. N.; vgl. M. Schmidt Konkretisierung, S. 64 („beabsichtigte Rechtsangleichungsintensität“); Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 12, 15. 83 Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 65 ff.; Röthel Normkonkretisierung, S. 376; M. Schmidt Konkretisierung, S. 62 f., 313; Müller-Graff Die Generalklausel im Europäischen Recht, S. 129, 139; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 12 m. w. N. 84 Vgl. Ruffert in: Calliess / Ruffert-EUV / AEUV, Art. 288 AEUV, Rn 23; Wolff Konkretisierungs-kompetenz, S. 45. 85 Vgl. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 65.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL73
Auslegung ergibt, dass eine unionseinheitliche Normkonkretisierung nicht bezweckt ist.86 3. Konkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL Da eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung etwa in dem Sinne, dass die Richtlinie einzelstaatliche Begriffsbestimmungen „unberührt lässt“87, dem Wortlaut des Art. 11 SE-RL nicht zu entnehmen ist, erfordert die Ermittlung der Kompetenz zur letztverbindlichen Konkretisierung des Art. 11 SE-RL eine Auslegung der SE-RL auf Grundlage der vorstehend unter 2. dargestellten Grundsätze. Da mit der SE-Einführung eine neue Rechtsform neben die und nicht anstelle der nationalen Rechtsformen tritt, kann das Ziel der Auslegung des Art. 11 SE-RL nicht die Ermittlung der intendierten Rechtsangleichung oder Harmonisierung eines Rechtszustands sein. Vielmehr kommt es bei der Auslegung des Art. 11 SE-RL im Hinblick auf die Ermittlung der Trägerschaft der Konkretisierungskompetenz darauf an, inwieweit die SE-RL eine unionsweit einheitliche Einführung von Vorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE anstrebt. Die Auslegung von europarechtlichen Richtlinienbestimmungen erfolgt mithilfe der vier klassischen Kriterien – Wortlaut, Historie, Systematik sowie Telos des Gesetzes.88 Ausgangspunkt der Auslegung europarechtlicher Richtlinien ist die grammatikalische Auslegung [dazu unter a)].89 Ferner spielt die historische Auslegung im europäischen Sekundärrecht eine „zentrale Rolle“90 [b)]. Des Weiteren sind die systematische Auslegung – das heißt die Einordnung der Richtlinienbestimmung in den Gesamtzusammenhang der Richtlinie91 – [c)] sowie insbesondere die teleologische Auslegung – die Ermittlung des Gesetzeszwecks vor allem anhand der dem 86 Vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 376 f.; vgl. für eine Zusammenfassung beispielhafter sekundärrechtliche Generalklauseln, in denen die Konkretisierungsbefugnis dem EuGH obliegt: M. Schmidt Konkretisierung, S. 315 ff. 87 So etwa Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 80 / 987 / EWG des Rates vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers, ABl. Nr. L 283, S. 23 (Insolvenzausfall-Richtlinie); vgl. dazu Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 67; vgl. dazu und zu weiteren Beispielen ausdrücklicher Kompetenzzuweisungen M. Schmidt Konkretisierung, S. 68 f. 88 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 26 ff.; Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 13 ff.; Schröder in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Vorbem Rn 56. 89 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 14. 90 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 30. 91 Vgl. Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 22 f.
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Normtext der Richtlinie vorangestellten Erwägungsgründe92 – [d)] von entscheidender Bedeutung. a) Grammatikalische Auslegung Bereits der Wortlaut einer Richtlinienbestimmung kann auf die mit ihr verfolgte Rechtsangleichungsintensität und damit auf die Zuordnung der Konkretisierungskompetenz hinweisen.93 Daher ist Art. 11 SE-RL zur Ermittlung der Intensität der mit der SE-RL bezweckten unionseinheitlichen Einführung von Vorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE zunächst grammatikalisch auszulegen. Der Wortlaut des Art. 11 SE-RL verlangt, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines Missbrauchs der SE treffen. Im Rahmen der dogmatischen Einordnung der Norm ist bereits herausgearbeitet worden, dass Art. 11 SE-RL als Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten konzipiert ist, Verfahren für eine Missbrauchsverhinderung bereitzustellen.94 Der europäische Richtliniengeber überträgt damit den Mitgliedstaaten die Aufgabe der konkreten formellen Ausgestaltung von Maßnahmen zur Verhinderung von Missbräuchen der SE-Rechtsform. Ob die den Mitgliedstaaten eingeräumte Kompetenz darüber hinaus auch eine materielle Normkonkretisierung umfasst, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Für den dem Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL vergleichbaren Art. 5 der Richtlinie über irreführende Werbung95, der freilich nicht nur 92 Riesenhuber
in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 40. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 71; M. Schmidt Konkretisierung, S. 66 ff.; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 13. 94 Vgl. oben unter § 3 A. I. 1. 95 Art. 5 Richtlinie 2006 / 114 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2006 über irreführende und vergleichende Werbung (kodifizierte Fassung), ABl. L 376 v. 27.12.2006, S. 21 ff., lautet: „(1) Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Gewerbetreibenden und ihrer Mitbewerber sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung der irreführenden Werbung vorhanden sind, und gewährleisten die Einhaltung der Bestimmungen über vergleichende Werbung. Diese Mittel umfassen Rechtsvorschriften, die es den Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse am Verbot irreführender Werbung oder an der Regelung vergleichender Werbung haben, gestatten, a) gerichtlich gegen eine solche Werbung vorzugehen oder b) eine solche Werbung vor eine Verwaltungsbehörde zu bringen, die zuständig ist, über Beschwerden zu entscheiden oder geeignete gerichtliche Schritte einzuleiten. (2) Es obliegt jedem Mitgliedstaat zu entscheiden, welches der in Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Mittel gegeben sein soll und ob das Gericht oder die Verwaltungsbehörden ermächtigt werden sollen, vorab die Durchführung eines Verfahrens 93 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL75
einen Handlungs-, sondern auch einen konkreten Regelungsauftrag an die Mitgliedstaaten beinhaltet, wird in der Literatur davon ausgegangen, dass dessen Wortlaut die Kompetenz zur Ausfüllung der geeigneten und wirksamen Maßnahmen den Mitgliedstaaten zuweist.96 Dem EuGH sei daher der Weg zu einer einheitlichen Konkretisierung der von der Richtlinie verwendeten Begriffe versperrt.97 Für den ebenfalls einen Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten enthaltenden § 5 EBG-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung im Anhang zur Befristungs-RL98, der sich gegen eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Vorschriften des Befristungsrechts durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge richtet, geht der EuGH davon aus, dass es dem nationalen Vorlagegericht obliege zu beurteilen, ob ein konkretes nationales Umsetzungsgesetz geeignet ist, den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern und zu ahnden.99 Damit weist der EuGH die Kompetenz zur Prüfung der Eignung der Maßnahme zur Umsetzung des § 5 EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung der nationalen Rechtsprechung zu. Daraus folgt, dass dem nationalen Gericht im Fall des § 5 EGB-UNICECEEP-Rahmenvereinbarung auch die Konkretisierungskompetenz obliegt. Vergleicht man den Wortlaut der vorgenannten Regelungen, bei denen die Konkretisierungskompetenz den Mitgliedstaaten zugeschrieben wird, mit dem Wortlaut des Art. 11 SE-RL, werden deutliche Unterschiede sichtbar. Mit Art. 11 SE-RL wird den Mitgliedstaaten aufgegeben, überhaupt Maßnahmen zur Verhinderung des „Missbrauchs einer SE“ zu treffen. Hingegen enthält Art. 11 SE-RL im Gegensatz zu den oben vergleichend herangezogenen Bestimmungen keinen Maßnahmenkatalog, bei dem der Richtlinienvor anderen bestehenden Einrichtungen zur Regelung von Beschwerden, einschließlich der in Artikel 6 genannten Einrichtungen, zu verlangen.“. 96 Noch zur Vorgängerregelung Art. 4 Abs. 1 S. 1 WerbRL der Richtlinie 84 / 450 / EWG des Rates v. 10.9.1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, ABl. L 250 v. 19.9.1984, S. 17: M. Schmidt Konkretisierung, S. 69. 97 M. Schmidt Konkretisierung, S. 69. 98 § 5 EBG-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung im Anhang zur Richtlinie 1999 / 70 / EG des Rates v. 28.6.1999 zu der EBG-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, ABl. L 175 v. 10.7.1999, S. 43 ff., lautet: „Um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten […], wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung bestehen, unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und / oder Arbeitnehmerkategorien eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen […].“. 99 EuGH Urt. v. 7.9.2006 – C-53 / 04 Marrosu und Sardino Slg. 2006, I-7213, Rn 56; EuGH Urt. v. 7.9.2006 – C-180 / 04 Vassallo Slg. 2006, I-7251, Rn 41; vgl. auch BAG Urt. v. 9.3.2011 – 7 AZR 657 / 09, NZA 2011, 1147.
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geber von der grundsätzlichen Eignung sämtlicher darin aufgeführter Maßnahmen ausgeht und den Mitgliedstaaten lediglich die Auswahl der diesen am besten geeignet erscheinenden Maßnahmen überlässt. Ferner enthält der Wortlaut des Art. 11 SE-RL im Vergleich zu den vorgenannten Bestimmungen einen zusätzlichen Vorbehalt. Demnach muss die vom Mitgliedstaat getroffene Maßnahme „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ stehen. Daraus lässt sich eine Befugnis des EuGH zur Überprüfung der mitgliedstaatlichen Umsetzung des Handlungsauftrags an den Vorgaben des Unionsrechts ableiten. Insofern spricht der Wortlaut des Art. 11 SE-RL für eine Beschränkung des mitgliedstaatlichen Konkretisierungsspielraums auf eine nur formelle Ausgestaltung der Mechanismen zur Verhinderung von Missbräuchen der SE-Rechtsform. In materieller Hinsicht besteht lediglich eine Vor-Konkretisierungsprärogative der Mitgliedstaaten. Die grammatikalische Auslegung ergibt somit, dass die inhaltliche Letztkonkretisierung des Art. 11 SE-RL dem EuGH vorbehalten ist. b) Historische Auslegung Zur Bestimmung des Harmonisierungsgrads von Richtlinien ist der Wille des europäischen Gesetzgebers, ob und inwieweit ausfüllungsbedürftige Normen durch einheitliche europäische Maßstäbe zu konkretisieren sind, heranzuziehen.100 Insbesondere kann sich aus den Erwägungsgründen der SE-RL ergeben, wem nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers die Konkretisierungsbefugnis von Bestimmungen der SE-RL obliegt.101 aa) Trennung der Rechtsgrundlagen aus politischen Gründen Der europäische Gesetzgeber hat mit der SE-VO einen einheitlichen rechtlichen Rahmen schaffen wollen, innerhalb dessen Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in der Lage sein sollen, die Neuorganisation ihres Geschäftsbetriebs unionsweit zu planen und durchzuführen.102 Mit der Schaffung von SE-Gesellschaften sollte neben den bisherigen Gesellschaftsformen nationalen Rechts eine Rechtsform eingeführt werden, deren Struk100 Vgl. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 72 ff.; Röthel Normkonkretisierung, S. 364; M. Schmidt Konkretisierung, S. 70 ff. 101 Vgl. allgemein zur Konkretisierungskompetenz aus den Erwägungsgründen in Richtlinien EuGH Urt. v. 11.7.1985 – C-105 / 84 Danmols Inventar Slg. 1985, 2639, Rn 25 f.; vgl. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 72, 76 ff.; Röthel Normkonkretisierung, S. 365 ff.; M. Schmidt Konkretisierung, S. 73; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 15. 102 Vgl. ErwG 2 SE-RL.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL77
tur und Funktionsweise durch eine in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltende Verordnung geregelt werden.103 Lediglich die Bestimmungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE sind gesondert in der SE-RL geregelt. Die Aufspaltung der Rechtsgrundlagen für das Gesellschaftsrecht und für das Recht der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE ist durch die historischen Debatten vor der SE-Einführung bedingt.104 Die Wahl des Instruments der Richtlinie im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung liegt darin begründet, dass in einigen Mitgliedstaaten bereits auf Rechtsformen nationalen Rechts anwendbare Beteiligungssysteme gelten, die sich jedoch innerhalb der Mitgliedstaaten stark unterscheiden. Erst die Abkoppelung der Arbeitnehmerbeteiligung von den sonstigen Vorschriften über die SE mittels einer eigenständigen Richtlinie105 ermöglichte die Herstellung eines Konsenses unter den Mitgliedstaaten über die Einführung der SE.106 Die Schwierigkeiten einer gemeinsamen Linie während des langen Gesetzgebungsprozesses spiegelt ErwG 5 SE-RL wider: Danach ist es angesichts der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung „nicht ratsam, ein auf die SE anwendbares einheitliches europäisches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorzusehen“107. Dennoch ging der Richtliniengeber davon aus, zur Förderung der Ziele der Union im sozialen Bereich besondere Bestimmungen festlegen zu müssen, mit denen gewährleistet werden solle, die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder Einschränkung der in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschenden Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führen zu lassen.108 Die genannten Ziele könnten aus Sicht des Richtliniengebers „wegen des Umfangs und der Wirkungen der vorgeschlagenen Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden“109. Von den Mitgliedstaaten könnten diese Ziele nach Auffassung des Richtliniengebers hingegen nicht hinreichend erreicht werden, „weil es darum geht, eine Reihe von für die SE geltenden Regeln für die Beteiligung der Arbeitnehmer 103 Vgl.
ErwG 6 S. 2 SE-VO. Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 16 („Die Aufteilung des ‚Projekts SE‘ […] hatte mehr taktisch politische denn sachliche Gründe.“). Zum Streitpunkt der Arbeitnehmerbeteiligung vor Einführung der SE bereits oben unter § 2 C. I. 105 Erstmals im Vorschlag der Kommission einer Richtlinie zur Ergänzung des SE-Statuts hinsichtlich der Stellung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. C 263 v. 16.10.1989, 69; vgl. dazu Taschner / Bodenschatz in: Jannott / Frodermann Kap 1 Rn 43. 106 Vgl. Güntzel Diss. 2006, S. 71 ff. 107 ErwG 5 SE-RL. 108 Vgl. ErwG 3 SE-RL. 109 ErwG 4 SE-RL. 104 Vgl.
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zu erlassen“110. Die vorstehenden Erwägungen sprechen dafür, dass mit der SE-RL, wenn schon kein einheitliches europäisches Modell, so doch zumindest ein einheitlicher europäischer Rahmen für die SE-Arbeitnehmerbeteiligung geschaffen werden sollte. bb) Motive für die Einführung der Missbrauchsklausel Vor dem Hintergrund, dass eine Trennung der Rechtsvorschriften zu Zeiten der SE-Einführung aus politischen Gründen zur Konsenserzielung erforderlich war, ließe sich anführen, auch die Generalklausel des Art. 11 SE-RL überwiegend als Mittel der politischen Durchsetzbarkeit des SE-Projekts anzusehen. Sind Generalklauseln die einzig politisch durchsetzbare Lösung im Sinne eines „kleinsten gemeinsamen Nenners“,111 soll dies als Argument für eine Konkretisierungskompetenz der Mitgliedstaaten herangezogen werden können.112 In diesem Sinne vertritt Rehberg113, dass die Generalklausel des Art. 11 SE-RL zwecks einer unbedingten Verhinderung von Regelungslücken zum politischen Kompromiss gehörte.114 Sollte dies der Fall sein, könnte dies für eine Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Konkretisierung des Art. 11 SE-RL sprechen. Indes kann der Unionsgesetzgeber eine ausfüllungsbedürftige Regelung auch aus dem Grunde einführen, dass eine konkretere Regelung aufgrund potentiell vielgestaltiger, komplexer Sachverhalte nicht möglich erscheint oder eine Wertentscheidung im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit bewusst der Rechtsprechung auf Unionsebene überlassen werden soll.115 Eine solche Motivlage des europäischen Gesetzgebers zur Einführung einer zwar unvollständigen, aber aus unionsrechtlicher Sicht abschließenden Regelung soll gegen eine Delegation der Konkretisierungsbefugnis an die Mitgliedstaaten sprechen.116 Angesichts dessen ist im Folgenden zu ergründen, welche Motive des europäischen Richtliniengebers hinter der Einführung der Generalklausel des Art. 11 SE-RL stehen. 110 ErwG 4
SE-RL. Micklitz ZEuP 1993, 522, 526. 112 So Röthel Normkonkretisierung, S. 366 Fn 136. 113 Rehberg ZGR 2005, 859, 871. 114 Kritisch Sagan EBLR 2010, 15, 16: Die Auslegung des Art. 11 SE-RL als „integraler Bestandteil“ eines politischen Kompromisses, wonach die Hinnahme von Lücken in der SE-RL nicht akzeptiert werden sollte, gehe zu weit. 115 Röthel Normkonkretisierung, S. 365 f.; vgl. zur Heranziehung des Einsatzgrundes der Generalklausel zwecks Ermittlung der Konkretisierungskompetenz M. Schmidt Konkretisierung, S. 44, 105 f. 116 Röthel Normkonkretisierung, S. 366; in diese Richtung auch M. Schmidt Konkretisierung, S. 44 ff., sowie – speziell für Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL – S. 220. 111 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL79
Erstmals Eingang in die Verhandlungen über eine Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE fand eine Klausel zum „Verfahrensmissbrauch“ in Art. 10 lit. a) des Kompromissvorschlags der österreichischen Ratspräsidentschaft vom 15. Oktober 1998 (österreichischer SE-RL-Entwurf)117: „Die Mitgliedstaaten treffen im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen, um zu verhindern, daß die Verfahren zur Gründung einer SE mißbraucht werden, um den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte wegzunehmen oder vorzuenthalten.“118
Mit der Einfügung dieser Regelung wollte die österreichische Ratspräsidentschaft den Bedenken einiger Mitgliedstaaten der Ermöglichung einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ entgegentreten.119 Die Missbrauchsklausel wurde in den darauffolgenden Richtlinien-Vorschlägen120 beibehalten und schließlich endgültig in Art. 11 SE-RL verwirklicht. Die erstmalige Aufnahme der Missbrauchsklausel bereits im Jahre 1998 in Art. 10 lit. a) des österreichischen SE-RL-Entwurfs spricht dagegen, dass Art. 11 SE-RL einen wesentlichen Bestandteil des Nizza-Kompromisses im Jahre 2000 darstellt. Vielmehr besteht der Kern dieser Einigung in der Einführung der SE-Verhandlungslösung nebst der gesetzlichen Auffangregelung. Die Generalklausel des Art. 11 SE-RL ist gerade kein kleinster gemeinsamer Nenner, sondern ergänzt den Kernbestandteil der SE-RL aus verhandelter Arbeitnehmerbeteiligung und gesetzlicher Auffangregelung. Ferner streiten die oben genannten Gründe der österreichischen Ratspräsidentschaft für die Einfügung von Art. 10 lit. a) VOE-Ö dafür, dass für den Fall nicht vorhersehbarer Lücken in der Konzeption des Schutzes der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE ein „Notfall-Anker“ bereitstehen sollte.121 Vor diesem Hintergrund liegt es näher, dass die Generalklausel bewusst zur Sicherstellung der Einzelfallgerechtigkeit und zur Ausfüllung durch die Rechtsprechung auf Unionsebene konzipiert wurde. Daraus folgt, dass die Befugnis zur Letztkonkretisierung des Art. 11 SE-RL nicht den Mitgliedstaaten, sondern dem EuGH obliegt. 117 Textvorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Aktiengesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer v. 15.10.1998, Dok. 11997 / 98 SOC 353 SE 33, nicht amtlich veröffentlicht, S. 20; vgl. dazu Mävers Diss. 2002, S. 344 ff. m. w. N.; Kuffner Diss. 2003, S. 41 f. m. w. N. 118 Vgl. Mävers Diss. 2002, S. 351 f. 119 Mävers Diss. 2002, S. 351 f.; vgl. auch Oetker in FS Birk 2008, S. 557, 558. 120 Zur weiteren Entwicklung Mävers Diss. 2002, S. 357 ff.; Kuffner Diss. 2003, S. 42 ff. m. w. N. 121 Vgl. zur Lückenhaftigkeit der SE-RL, jedoch in Bezug auf „strukturelle Änderungen“ der SE die Auffassung von Sagan EBLR 2010, 15, 16. Danach ist die SE-RL insoweit lückenhaft, als diese sich lediglich mit der Erstgründung der SE befasse und Regelungen hinsichtlich nachträglicher Änderungen der SE den Mitgliedstaaten überlasse.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
cc) Ergebnis zur historischen Auslegung Insgesamt ergibt die historische Auslegung, dass der Aspekt der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte in der SE im Gesetzgebungsprozess lediglich aus Gründen der Konsenserzielung unter den Mitgliedstaaten in die Gesetzgebungsform einer Richtlinie gegossen wurde. Gleichzeitig wollte der Richtliniengeber jedoch mit den Regelungen, die er in der SE-RL in Ergänzung zur SE-VO erlassen hat, einen in allen Mitgliedstaaten vergleichbar starken Rahmen für den Schutz bestehender Beteiligungsrechte in der SE erreichen. Zur Absicherung der Erreichung dieses Ziels im Einzelfall hat der Richtliniengeber die Ausfüllung der Generalklausel zur unionsweit einheitlichen Konkretisierung des Art. 11 SE-RL bewusst der Rechtsprechung auf Unionsebene übertragen. c) Systematische Auslegung Anhaltspunkte für die Verteilung der Konkretisierungskompetenz kann auch die systematische Auslegung der ausfüllungsbedürftigen Richtlinienbestimmung unter Rückgriff auf andere Bestimmungen in derselben Richtlinie und im sonstigen Unionsrecht liefern.122 aa) Regelungszusammenhang zwischen SE-VO und SE-RL Zunächst ergibt sich aus der SE-RL selbst ein enger Regelungszusammenhang mit der unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden SE-VO.123 Schon aus dem Titel als „Richtlinie […] zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer“ wird ersichtlich, dass der SE-RL eine ergänzende Funktion für die SE-VO zukommt.124 Ferner betont ErwG 3 S. 2 SE-RL, dass durch die Einführung von Regeln im Bereich der Beteiligung der Arbeitnehmer „die Bestimmungen der Verordnung ergänzt werden“. Zudem bestimmt Art. 1 Abs. 1 SE-RL 122 Vgl. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 83; Röthel Normkonkretisierung, S. 365, 369 ff. („systematisch-teleologische Auslegung der Regelungsstrategie des Gemeinschaftsgesetzgebers“); M. Schmidt Konkretisierung, S. 73 ff. 123 Ebenso Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 255: „Verordnung und Richtlinie müssen im Zusammenhang verstanden und ausgelegt werden.“; ferner Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 16: „Untrennbarer Zusammenhang“; beide Regelwerke seien in der Weise voneinander abhängig, dass weder das eine noch das andere eigenständige rechtsgestaltende Wirkung entfalten kann. 124 Güntzel Diss. 2006, S. 69; vgl. auch Schubert ZESAR 2006, 340, 341; noch vor Verabschiedung der SE-RL hinsichtlich des Richtlinien-Entwurfs von Nizza Mävers Diss. 2002, S. 415.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL81
den Gegenstand der SE-RL als Regelung der Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE, „die Gegenstand der [SE-VO] ist“. Darüber hinaus ergibt sich eine Verbindung beider Regelwerke bei der praktischen Durchführung des SE-Gründungsprozesses: Nach Art. 3 SE-RL ist das bVG als Vertretung der Arbeitnehmer einzusetzen, sobald die Leitungs- oder Verwaltungsorgane der beteiligten Gesellschaften die SE-Gründung nach dem in der SE-VO geregelten Verfahren planen. Neben den Bestimmungen in der SE-RL lässt sich auch aus der SE-VO ein enger Regelungszusammenhang beider Regelwerke ableiten.125 ErwG 19 SE-VO unterstreicht die Verknüpfung mit der SE-RL.126 Danach sind die Bestimmungen der SE-RL „eine untrennbare Ergänzung“ der SE-VO und müssen zum gleichen Zeitpunkt anwendbar sein. Darüber hinaus erfolgte das Inkrafttreten der SE-VO zeitlich aufgeschoben, um allen Mitgliedstaaten die rechtzeitige Umsetzung der SE-RL in innerstaatliches Recht zu ermöglichen, sodass die SE-VO und die SE-RL gleichzeitig anzuwenden waren.127 Überdies verdeutlicht Art. 12 Abs. 2 SE-VO stärker noch als Art. 3 SE-RL, dass die Gründung einer SE grundsätzlich von einer Lösung der Frage der Arbeitnehmerbeteiligung abhängig ist:128 Nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO kann eine SE erst eingetragen werden, wenn eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung gemäß Art. 4 SE-RL geschlossen worden ist, ein Beschluss über die Nichtaufnahme oder den Abbruch von Verhandlungen nach Art. 3 Abs. 6 SE-RL gefasst worden ist oder die Frist für die Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung nach Art. 5 SE-RL erfolglos abgelaufen ist. bb) Einheitliche Konkretisierungskompetenz für SE-VO und SE-RL Die vorstehend unter aa) genannten Bestimmungen der SE-RL und der SE-VO bestätigen den bereits im Rahmen der historischen Auslegung [oben unter b)] festgestellten Regelungszusammenhang zwischen diesen beiden Rechtsgrundlagen. Ergänzt eine Richtlinie eine Verordnung, ist Letztere bei der Auslegung der Richtlinienbestimmungen zu berücksichtigen.129 Die 125 Vgl. noch zum SE-VO-Entwurf von Nizza Mävers Diss. 2002, S. 415; vgl. für eine Auflistung der Bestimmungen der SE-VO, die mittelbar oder unmittelbar arbeitsrechtliche Bedeutung haben, Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 16 Rn 56. 126 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung, S. 30; Mävers Diss. 2002, S. 415; Güntzel Diss. 2006, S. 69; Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 16. 127 ErwG 22 SE-VO; vgl. auch Mävers Diss. 2002, S. 415. 128 Vgl. Mävers Diss. 2002, S. 415; Güntzel Diss. 2006, S. 69. 129 Vgl. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 133.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Verknüpfung der Rechtsakte erfordert zur Wahrung des Regelungszusammenhangs eine einheitliche Trägerschaft der Konkretisierungskompetenz.130 Da die Konkretisierung einer unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung wie der SE-VO dem EuGH obliegt,131 ist auch die damit verknüpfte Richtlinie durch diesen zu konkretisieren.132 Mithin folgt aus dem engen Regelungszusammenhang zwischen der SE-VO und der SE-RL eine einheitliche Konkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL durch den E uGH. cc) Ergebnis zur systematischen Auslegung Insgesamt spricht die systematische Auslegung für eine unionseinheitliche Konkretisierungskompetenz des EuGH im Hinblick auf die Bestimmungen in der SE-VO und der SE-RL, sodass auch die letztverbindliche Konkretisierung des Art. 11 SE-RL dem EuGH obliegt. d) Teleologische Auslegung Im Rahmen der teleologischen Auslegung133 des Art. 11 SE-RL ist zu untersuchen, ob sich aus dem Zweck der Vorschrift eine Konkretisierungskompetenz des EuGH oder der Mitgliedstaaten ableiten lässt. Dabei kann insbesondere die vom Richtliniengeber in Anspruch genommene primärrechtliche Rechtssetzungskompetenz134 für den Erlass der SE-RL herangezogen werden.
Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 134. i. E. auch Schröder in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Vorbem Rn 75, Art. 2 SE-VO Rn 52; vgl. auch oben unter § 3 B. I. 2. 132 Vgl. Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 134; für die letztinstanzliche Entscheidungskompetenz des EuGH über die Auslegung des harmonisierten nationalen Rechts bezüglich Fragen der richtlinienkonformen Transformation der SE-RL sowie über die Auslegung der SE-RL selbst: Schröder in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Vorbem Rn 75. 133 Vgl. allgemein zur teleologischen Auslegung mit dem Ziel der Feststellung der Konkretisierungskompetenz Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 135 ff.; Röthel Normkonkretisierung, S. 365, 369 ff. („systematisch-teleologische Auslegung der Regelungsstrategie des Gemeinschaftsgesetzgebers“); M. Schmidt Konkretisierung, S. 96 ff. 134 Vgl. zur Heranziehung der primärrechtlichen Rechtssetzungskompetenz im Rahmen der teleologischen Auslegung zwecks Ermittlung der Konkretisierungskompetenz Wolff Konkretisierungskompetenz, S. 136 ff.; Röthel Normkonkretisierung, S. 369 m. w. N.; M. Schmidt Konkretisierung, S. 97 ff., 314 f. 130 Vgl. 131 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL83
aa) Art. 308 EG (jetzt Art. 352 AEUV) als Rechtsgrundlage Die Wahl der Rechtsgrundlage war im Zuge des SE-Gesetzgebungsverfahrens insbesondere hinsichtlich des Umfangs an Mitwirkungsbefugnissen des Europäischen Parlaments umstritten.135 Letztlich wurden die SE-VO und die SE-RL beide „auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 308“136 gestützt.137 Die Generalklausel138 des Art. 308 EG begründete seinerzeit eine Kompetenz für die damalige Europäische Gemeinschaft zum Tätigwerden außerhalb der konkretisierten „gemeinschaftlichen“ Befugnisse zur Verwirklichung „gemeinschaftlicher“ Ziele.139 Der Rückgriff auf diese Rechtsgrundlage setzte insbesondere die Verfolgung zumindest eines der Ziele der seinerzeit bestehenden Europäischen Gemeinschaft im Rahmen des Gemeinsamen Marktes voraus. Allein aus der Wahl des Art. 308 EG als Rechtsgrundlage folgt indes noch nicht ohne Weiteres auch, dass das mit dem Erlass der entsprechenden Vorschriften verfolgte Ziel nur durch eine – nunmehr als unionsweit zu bezeichnende – einheitliche Auslegung der Vorschriften innerhalb der heutigen Europäischen Union erreicht werden kann. Hierzu bedarf es vielmehr der weiteren Ermittlung der konkret mit der SE-RL sowie – aufgrund des engen Regelungszusammenhangs – der mit der SE-VO verfolgten Intention einer einheitlichen Einführung der Rechtsform der SE. Hierzu ist im Folgenden erneut auf die Erwägungsgründe140 einzugehen. bb) Erwägungsgründe der SE-VO In den Erwägungsgründen der SE-VO geht der Verordnungsgeber davon aus, dass die Verwirklichung des Binnenmarktes und die damit angestrebte Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der gesamten Union eine „gemeinschaftsweite Reorganisation der Produktionsfaktoren“141 vor135 Vgl. Blanquet ZGR 2002, 20, 61 ff.; Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 15. 136 Präambeln der SE-VO sowie der SE-RL. 137 Vgl. Blanquet ZGR 2002, 20, 61 f.; Jacobs in: MüKo-AktG Vorbem SEBG Rn 7; Kleinsorge in: Nagel / Freis / Kleinsorge Einf SE Rn 15. 138 Vgl. nunmehr für Art. 352 AEUV: Winkler in: Grabitz / Hilf / NettesheimEUV / AEUV, Art. 352 AEUV Rn 18. 139 Vgl. nunmehr für Art. 352 AEUV: Winkler in: Grabitz / Hilf / NettesheimEUV / AEUV, Art. 352 AEUV Rn 1. 140 Vgl. allgemein zur Heranziehung der Erwägungsgründe im Rahmen der teleologischen Auslegung zur Ermittlung der Konkretisierungskompetenz Röthel Normkonkretisierung, S. 369; M. Schmidt Konkretisierung, S. 73, 104, 314 f. 141 ErwG 1 S. 1 SE-VO.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
aussetzen. Dazu ist es aus Sicht des Verordnungsgebers „unerlässlich, dass die Unternehmen, deren Tätigkeit sich nicht auf die Befriedigung rein örtlicher Bedürfnisse beschränkt, die Neuordnung ihrer Tätigkeiten auf Gemeinschaftsebene planen und betreiben können“142. Indes war der rechtliche Rahmen für Unternehmen vor der SE-Einführung hauptsächlich durch innerstaatliches Recht bestimmt – entgegen der Reichweite ihrer wirtschaft lichen Entfaltung.143 Da die juristische Einheitlichkeit der europäischen Unternehmen ihrer wirtschaftlichen Verflechtung weitestgehend entsprechen sollte, sieht die in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltende SE-VO vor, Gesellschaften in der Rechtsform der SE neben den bisherigen Gesellschaftsformen nationalen Rechts etablieren zu können.144 Ziel der Bereitstellung der SE ist es, Hindernisse, die durch unterschiedliche innerstaatliche Rechtsformen für Handelsgesellschaften und den räumlich begrenzten Geltungsbereich ihrer Regelungen bestehen, abzubauen.145 Die SE soll als unionsweit anerkannte Rechtsform die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit von europaweit agierenden Unternehmen erleichtern.146 Demgemäß hebt die SE-VO als mit der Rechtsform der SE wichtigstes Ziel hervor, „dass eine SE gegründet werden kann, um es Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten zu ermöglichen, zu fusionieren oder eine Holdinggesellschaft zu errichten, und damit Gesellschaften […], die eine Wirtschaftstätigkeit betreiben, gemeinsame Tochtergesellschaften gründen können“147. Insgesamt bezweckt die SE-VO damit eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen zur Förderung wirtschaftlicher Ziele der Union. Demgegenüber liegt der Schwerpunkt des Regelungsanliegens der SE-RL auf der Förderung der Unionsziele im sozialen Bereich, insbesondere auf dem Gebiet der Arbeitnehmerbeteiligung.148 Mit der SE-RL soll „ein Recht der Arbeitnehmer auf Beteiligung bei den den Geschäftsverlauf der SE betreffenden Fragen und Entscheidungen gewährleistet werden“149. Gleichzeitig wird betont, dass die übrigen arbeits- und sozialrechtlichen Fragen, insbesondere das in den Mitgliedstaaten geltende Recht auf Information und 142 ErwG 1
S. 2 SE-VO. ErwG 4 SE-VO. 144 Vgl. ErwG 6 SE-VO. 145 Vgl. ErwG 7 SE-VO. 146 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 147 ErwG 10 SE-VO. 148 Vgl. ErwG 3 SE-VO; vgl. zur Beachtung des Telos sowohl der SE-VO als auch SE-RL Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 256. 149 ErwG 21 S. 1 SE-VO. 143 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL85
Anhörung der Arbeitnehmer, den einzelstaatlichen Vorschriften, die unter denselben Bedingungen für die Aktiengesellschaften nationaler Rechtsform gelten, unterliegen.150 Aus der ausdrücklichen Bestimmung, dass alle sonstigen arbeitsrechtlichen Fragen den Vorschriften der Mitgliedstaaten unterliegen, folgt im Umkehrschluss, dass das Recht der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE ausschließlich unionsrechtlich bestimmt ist. cc) Erwägungsgründe der SE-RL Trotz der in erster Linie sozialen Zwecksetzung der SE-RL nimmt ErwG 2 SE-RL das Ziel der SE-VO auf, dass „ein einheitlicher rechtlicher Rahmen geschaffen werden [soll], innerhalb dessen Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in der Lage sein sollten, die Neuorganisation ihres Geschäftsbetriebs gemeinschaftsweit zu planen und durchzuführen“151. Auch wenn die SE-RL primär auf die Sicherstellung des Schutzes der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte in der SE zielt, verdeutlicht die Anknüpfung der SE-RL an die Ziele der SE-VO, dass sie jedenfalls mittelbar den Zweck der SE-VO, unionsweit eine einheitliche SE-Rechtsform bereitzustellen, mit verfolgt. Die SE-RL ergänzt die Ziele der SE-VO dahingehend, dass sie das Schutzniveau für die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer bestimmt. Dabei verfolgt die SE-RL – auch wenn sie kein auf die SE anwendbares einheitliches europäisches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorsieht (vgl. ErwG 5 SE-RL) – ebenso wie die SE-VO die Schaffung eines unionsweit einheitlichen rechtlichen Rahmens. Den von der Gründung der SE betroffenen Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer räumt die SE-RL im Ausgangspunkt die gleichen Chancen einer Berücksichtigung in der SE ein. dd) Ergebnis zur teleologischen Auslegung Nach Art. 11 SE-RL treffen die Mitgliedstaaten zwar geeignete Maßnahmen, um eine missbräuchliche Inanspruchnahme der SE zum Zwecke des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten zu verhindern. Damit erteilt der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten einen Handlungsauftrag.152 Indes verfolgt er damit nicht den Zweck, das von der SE-RL unionsrechtlich definierte Schutzniveau für Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer über die Missbrauchs-Klausel des Art. 11 SE-RL durch die einzelnen Mitgliedstaaten bestimmen zu lassen. Vielmehr bezweckt Art. 11 SE-RL, den Mitgliedstaaten die konkrete Form der Einführung einer Missbrauchskont150 ErwG 21
S. 2 SE-VO. SE-RL. 152 Dazu bereits oben unter § 3 A. I. 1. 151 ErwG 2
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
rolle in das nationale Recht zu überlassen. Die teleologische Auslegung ergibt somit, dass Art. 11 SE-RL die effektive Durchsetzung des durch die SE-RL einheitlich unionsrechtlich determinierten Standards des Schutzes von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer bezweckt. Hätten die Mitgliedstaaten die Konkretisierungskompetenz, wäre der unionsrechtlich gewährte Mindestschutz nicht einheitlich gegeben.153 4. Ergebnis zur Konkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Kompetenz zur Konkretisierung der ausfüllungsbedürftigen europarechtlichen Generalklausel des Art. 11 SE-RL nicht ausdrücklich entweder dem EuGH oder den Mitgliedstaaten zugewiesen ist. Vielmehr ist im Wege der Auslegung der Generalklausel zu ermitteln, inwieweit diese einen unionsweit einheitlichen Schutz von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten statuiert. Die Auslegung des Wortlauts des Art. 11 SE-RL ergibt insbesondere, dass sich der den Mitgliedstaaten zugewiesene Handlungsauftrag „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ halten muss. Insoweit ist die Umsetzung des Handlungsauftrags vom EuGH überprüfbar. Ferner ergeben die historische, systematische und teleologische Auslegung einen engen Regelungszusammenhang zwischen der SE-RL und der SE-VO. Letztere bezweckt einen unionsweit einheitlichen Rechtsrahmen für die SE. Diese Zielsetzung nimmt die SE-RL auf (vgl. ErwG 2 SE-VO) und ergänzt sie um den sozialen Aspekt der Arbeitnehmerbeteiligung. Da die SE-VO als Verordnung im Gegensatz zur SE-RL in den Mitgliedstaaten unmittelbar gilt, obliegt die Konkretisierung der SE-VO dem EuGH. Aufgrund der engen Verknüpfung zwischen der SE-VO und der SE-RL liegt zur Wahrung dieses Regelungszusammenhangs auch die Kompetenz zur verbindlichen Letztkonkretisierung der Generalklausel des Art. 11 SE-RL beim EuGH. II. Methodische Vorgehensweise bei der Konkretisierung des Art. 11 SE-RL Aus dem soeben ermittelten Ergebnis, dass die Kompetenz zur letztverbindlichen Konkretisierung des Art. 11 SE-RL beim EuGH liegt, folgt zugleich, dass eine Normkonkretisierung dieser Generalklausel unter Anwendung unionsrechtlicher Methodik zu erfolgen hat.154 Hierbei kann zwischen auch für Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL M. Schmidt Konkretisierung, S. 255. allgemein zur Erforderlichkeit eines eigenständigen, „gemeinschaftsspezi fische[n] methodische[n] Handwerkszeug[s]“ bei der Normkonkretisierung europarechtlicher Generalklauseln Röthel Normkonkretisierung, S. 329; vgl. ferner Röthel 153 So
154 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL87
einer formellen155 Komponente der Rechtsgestaltung durch den EuGH einerseits (sogleich unter 1.) und einer materiellen156 Komponente der Rechtsfindung durch den EuGH andererseits (unter 2.) unterschieden werden.157 1. Sicherstellung eines formellen Konkretisierungsverfahrens Im Folgenden ist zunächst darauf einzugehen, wie ein Prozess der Konkretisierung des Art. 11 SE-RL in formeller Hinsicht abzulaufen hat. a) Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH Eine unionseinheitliche Konkretisierung des Art. 11 SE-RL wird in formeller Hinsicht durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV gewährleistet.158 Danach entscheidet der EuGH über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union. Der Begriff der „Auslegung“ im Sinne dieser Norm umfasst „jede sachverhaltsgelöste, abstrakte Verdeutlichung von Inhalt und Bedeutung oder – so die Formulierung des EuGH – ‚Sinn‘ und ‚Tragweite‘ des Gemeinschaftsrechts“159. Diese weite Befugnis zur Auslegung erstreckt sich mangels präziser Trennung zwischen Auslegung und Konkretisierung im Unionsrecht auch auf die Letztkonkretisierung ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe und Generalklauseln in unionsrechtlichen Sekundärakten.160 Dabei ist der EuGH auf die Mitwirkung der nationalen Gerichte angewiesen.161 Die nationalen Instanzgerichte sind berechtigt (vgl. in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 24; ähnlich in Bezug auf die inhaltlichen Maßstäbe der Inhaltskontrolle von Vertragsklauseln nach Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL M. Schmidt Konkretisierung, S. 261. 155 Als „legislatorischer“ Teil der Konkretisierung bezeichnet von Röthel Normkonkretisierung, S. 125; M. Schmidt Konkretisierung, S. 32. 156 Als „interpretatorischer“ Teil der Konkretisierung bezeichnet von Röthel Normkonkretisierung, S. 125; M. Schmidt Konkretisierung, S. 32. 157 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 23. 158 Zum Folgenden Röthel Normkonkretisierung, S. 329 ff., 381 ff.; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 10, 40. 159 Röthel Normkonkretisierung, S. 331 m. w. N.; Röthel in: Riesenhuber, Euro päische Methodenlehre, § 12 Rn 10. 160 Vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 330, 381; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 10 f. m. w. N.; vgl. zur fehlenden Unterscheidung zwischen Auslegung und Konkretisierung in der EuGH-Rechtsprechung oben unter § 3 B. I. 2. 161 Vgl. zum Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten im Vorabentscheidungsverfahren Röthel Normkonkretisierung, S. 382 f., 388 ff., jeweils m. w. N.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Art. 267 Abs. 2 AEUV), Gerichtsverfahren auszusetzen und dem EuGH Fragen hinsichtlich der Auslegung von Art. 11 SE-RL vorzulegen. Sie können durch geeignete Vorlagen den Konkretisierungsprozess fördern.162 Mangels Verpflichtung der Instanzgerichte können sie die Wahrnehmung der Konkretisierungsbefugnis durch den EuGH jedoch auch negativ beeinflussen, indem sie den Gerichtshof schlicht nicht anrufen oder keine geeigneten Vorlagefragen stellen.163 Eine Vorlage an den EuGH im Zusammenhang mit Art. 11 SE-RL ist – soweit ersichtlich – bisher nicht ergangen. Allerdings stellt Art. 267 Abs. 3 AEUV sicher, dass die letztinstanzlichen nationalen Gerichte zur Vorlage an den EuGH nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sind.164 Aufgrund dieser letztinstanzlichen Pflicht zum Ersuchen einer Vorabentscheidung besteht ein geeignetes institutionalisiertes Ver fahren,165 mit dem langfristig eine Letztkonkretisierung des Art. 11 SE-RL durch den EuGH in formeller Hinsicht gewährleistet ist. b) Maßgeblichkeit der EuGH-Rechtsprechung für die Mitgliedstaaten Die Aufgabenwahrnehmung des EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens beschränkt sich auf die materielle Konkretisierung des Art. 11 SE-RL. Die formelle Durchsetzung der vom EuGH aufzustellenden unionsrechtlichen Konkretisierungsvorgaben obliegt hingegen – als Teil der allgemeinen Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie (Art. 288 Abs. 3 S. 1 AEUV)166 entsprechend der Interpretation des Art. 11 SE-RL als formellem Handlungsauftrag167 – den Mitgliedstaaten. Hierbei haben je nach Art der Umsetzung der Generalklausel168 des Art. 11 SE-RL in nationales 162 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 40; vgl. zur Gestaltung des Konkretisierungsdialogs durch die Vorlagepraxis der nationalen Gerichte Röthel Normkonkretisierung, S. 389 ff. 163 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 17. 164 Zu Einschränkungen der Vorlagepflicht nach der sog. acte-claire-Doktrin (EuGH Urt. v. 6.10.1982 – C-283 / 81 C.I.L.F.I.T. Slg. 1982, I-3415) vgl. Wegener in: Calliess / Ruffert-EUV / AEUV, Art. 267 AEUV Rn 32; ferner Röthel Normkonkretisierung, S. 383 ff. 165 Zum Vorabentscheidungsverfahren als „institutionelle[m] Forum“ für den Konkretisierungsdialog zwischen nationalen Gerichten und dem EuGH vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 381; Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 40. 166 Vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 409. 167 Dazu oben unter § 3 A. I. 1. 168 Vgl. allgemein zur Abhängigkeit der Verwirklichung unionsrechtlicher Konkretisierungsvorgaben von der „Art der gewählten Konkretisierungsstrategie“ Röthel Normkonkretisierung, S. 409 ff.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL89
Recht unterschiedliche Träger staatlicher Gewalt die Beachtung der konkretisierenden EuGH-Rechtsprechung auf nationaler Ebene zu gewährleisten. Ein erster gangbarer Weg des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung des Art. 11 SE-RL besteht darin, die europarechtliche Generalklausel in nationales Recht zu übernehmen und damit der nationalen Rechtsprechung die Befugnis zur Ausfüllung der innerstaatlichen Generalklausel zu übertragen („judikative Konkretisierung“169). Für diesen Weg hat sich etwa der deutsche Gesetzgeber mit § 43 S. 1 SEBG entschieden.170 Bei dieser Art der Umsetzung der europarechtlichen Generalklausel mittels einer innerstaat lichen Generalklausel bedarf es einer vorläufigen innerstaatlichen Konkretisierung durch die nationale Rechtsprechung. Diese ist jedoch über das „Gebot richtlinienkonformer Konkretisierung“171 der nationalen Generalklausel zur Anwendung der die Generalklausel des Art. 11 SE-RL konkretisierenden EuGH-Rechtsprechung verpflichtet.172 Die Bindung auch der nationalen Rechtsprechung an die Vorgaben des EuGH folgt zum einen aus der an die „Mitgliedstaaten“ gerichteten allgemeinen Umsetzungspflicht aus Art. 288 Abs. 3 S. 1 AEUV,173 zum anderen aus dem spezifischen Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL.174 Alternativ zur Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL im Wege judikativer Konkretisierung steht dem nationalen Gesetzgeber eine zweite Möglichkeit zur Umsetzung offen: Der nationale Gesetzgeber kann Art. 11 SE-RL selbst – bereits auf legislativer Ebene – vorkonkretisieren („legislative Konkretisierung“175). Da der Richtliniengeber mit der Generalklausel des Art. 11 SE-RL gerade versucht hat, auch unvorhersehbare An169 Röthel Normkonkretisierung, S. 410; vgl. zur legislativen Konkretisierung auch M. Schmidt Konkretisierung, S. 46 f., wonach es „verständlich und sachlich richtig [ist], dass sich die Mitgliedstaaten zumeist auf eine bloße Übernahme der Generalklauseln in das nationale Recht beschränken“. 170 Zu den mitgliedstaatlichen Konzepten zur Umsetzung des Art. 11 SE-RL noch eingehend unter Teil 3. 171 Röthel Normkonkretisierung, S. 412. 172 Vgl. ausführlich Röthel Normkonkretisierung, S. 411; allgemein zur richtlinienkonformen Auslegung W.-H. Roth in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14. 173 Vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 411; W.-H. Roth in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn 3 f. 174 Vgl. zu Adressaten des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL bereits oben unter § 3 A. I. 1. 175 Röthel Normkonkretisierung, S. 428; vgl. für Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005 / 29 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.5.2005 über unlautere Geschäftspraktiken: BGH EuGH-Vorlage v. 5.6.2008 – I ZR 4 / 06, DB 2008, 1741, Rz 20; EuGH Urt. v. 14.1.2010 – C-304 / 08 Plus Warenhandelsgesellschaft Slg. 2010, I-217.
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wendungsfälle rechtlich zu erfassen,176 ist eine abschließende Konkretisierung durch den nationalen Gesetzgeber nicht zulässig.177 Vielmehr steht dem nationalen Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung von Art. 11 SE-RL lediglich eine „Konkretisierungsprärogative“178 zu.179 Dann ist jedoch nicht auszuschließen, dass die vom nationalen Gesetzgeber in dessen Umsetzungsgesetz vorgenommene Vor-Konkretisierung nachträglich Divergenzen zu der die Vorschrift des Art. 11 SE-RL letztkonkretisierenden EuGHRechtsprechung aufweist. Tritt ein solcher Fall einer „legislativen Fehlkon kretisierung“180 ein, sind die mitgliedstaatlichen Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts anhand der Vorgaben des EuGH hinsichtlich der Konkretisierung des Art. 11 SE-RL gebunden. Sofern dies – etwa aufgrund der Grenze des möglichen Wortsinns des innerstaatlichen Rechts – nicht möglich ist,181 ist das letztinstanzliche nationale Gericht verpflichtet, vom EuGH im Wege der Vorabentscheidung klären zu lassen,182 ob Art. 11 SE-RL dahingehend auszulegen ist, dass die vom nationalen Gesetzgeber vorgenommene legislative Konkretisierung im nationalen Umsetzungsgesetz der Vorschrift des Art. 11 SE-RL in seiner Auslegung und Konkretisierung durch den EuGH entgegensteht. Kommt der EuGH dazu, dass eine innerstaatliche legislative Konkretisierung mit Art. 11 SE-RL unvereinbar ist, verpflichtet diese Entscheidung den nationalen Gesetzgeber zur Korrektur seines Umsetzungsgesetzes.183 c) Ergebnis zum formellen Konkretisierungsverfahren Im Ergebnis vollzieht der EuGH die Letztkonkretisierung des Art. 11 SERL im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV im Rahmen der ihm danach eingeräumten Befugnis zur Auslegung von Unionsrecht. Die Durchsetzung der vom EuGH zu treffenden Konkretisierungsvorgaben bei der Anwendung des nationalen Umsetzungsgesetzes hängt zunächst von der Art der Gestaltung des Umsetzungsgesetzes 176 Vgl. zu den Motiven des Richtliniengebers bei der Einführung der Missbrauchsklausel bereits oben unter § 3 B. I. 3. b) bb). 177 Vgl. allgemein M. Schmidt Konkretisierung, S. 46. 178 M. Schmidt Konkretisierung, S. 46. 179 Vgl. zur Unterscheidung zwischen der Konkretisierungsprärogative der Mitgliedstaaten und der letztverbindlichen Konkretisierung durch den EuGH bei der Wahl einer legislativen Konkretisierungsumsetzung bereits oben unter § 3 B. I. 1. 180 Röthel Normkonkretisierung, S. 430. 181 Vgl. zu den Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung W.-H. Roth in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 14 Rn 44. 182 Vgl. Röthel Normkonkretisierung, S. 430. 183 Vgl. allgemein Röthel Normkonkretisierung, S. 431 f.
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durch den nationalen Gesetzgeber ab. Erlässt der nationale Gesetzgeber eine innerstaatliche Generalklausel, hat die nationale Rechtsprechung diese richtlinienkonform – unter Beachtung der im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens einzuholenden EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung des Art. 11 SE-RL – zu konkretisieren (judikative Konkretisierung) und entsprechend anzuwenden. Nimmt bereits der nationale Gesetzgeber im Gesetz zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL eigene legislative Vor-Konkretisierungen vor, sind diese aufgrund der dem EuGH zustehenden Letztkonkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL durch Vorlage der nationalen Gerichte an den EuGH von diesem überprüfbar und ist der nationale Gesetzgeber gegebenenfalls zur Änderung des Umsetzungsgesetzes verpflichtet. 2. Instrumente zur und Prozess der Gewinnung materieller Konkretisierungsmaßstäbe für Art. 11 SE-RL Nachdem soeben festgestellt wurde, dass sich der formelle Konkretisierungsprozess für Art. 11 SE-RL aus der im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens ergehenden EuGH-Rechtsprechung und deren Befolgung durch die Mitgliedstaaten zusammensetzt (soeben unter 1.), sind im Folgenden die Instrumente sowie der Prozess für eine materielle Konkretisierung des Art. 11 SE-RL zu skizzieren. Gerade bei einer „jungen“ Generalklausel wie Art. 11 SE-RL besteht die Schwierigkeit, dass noch nicht genügend Fallmaterial zur Verfügung steht, aus dem für eine fallgruppenartige Rechtsbildung geschöpft werden könnte.184 Bislang ist ein Missbrauch einer SE – soweit ersichtlich – nicht Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH gewesen. Lediglich in der rechtswissenschaftlichen Literatur werden mögliche Anwendungsfelder eines Missbrauchs der SE diskutiert.185 Damit steht die Rechtswissenschaft im Fall des Art. 11 SE-RL erst am Beginn eines Konkretisierungsprozesses. In methodischer Hinsicht müssen zunächst materielle Maßstäbe für die Beurteilung erster Fallgestaltungen gewonnen werden, aus deren Zusammenschau sich langfristig konkretisierende Grundsätze entwickeln lassen. Die vorliegende Arbeit geht für den Prozess einer Konkretisierung des Missbrauchs einer SE methodisch in drei Schritten vor:186 In einem ersten 184 Vgl. zum Problem „mangelnder Konkretisierungserfahrung“ beim nationalen Konkretisierungsprozess für Generalklauseln im nationalen Recht Röthel Normkonkretisierung, S. 244 ff. 185 Vgl. Rehberg ZGR 2005, 859 ff.; Sagan EBLR 2010, 15, 37 ff. 186 Vgl. zu einem Drei-Stufen-Modell für die Konkretisierung des § 138 BGB: Sack / Fischinger in: Staudinger-BGB, § 138 BGB Rn 12 f.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Schritt [sogleich unter a)] geht es um die Auslegung von Art. 11 SE-RL anhand unionsrechtlicher Kriterien und die Ausfüllung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten. Auf dieser Grundlage wird im zweiten Schritt [b)] ein Prüfungsmaßstab für den Missbrauch einer SE entwickelt, bevor in einem dritten Schritt [c)] des Prozesses für eine Normkonkretisierung des Art. 11 SE-RL Konstellationen eines potentiellen Missbrauchs einer SE nach Fallgruppen systematisiert werden. a) Schritt 1: Normkonkretisierung des Art. 11 SE-RL Im ersten Schritt wird Art. 11 SE-RL anhand unionsrechtlicher Kriterien ausgelegt [dazu sogleich unter aa)] und insbesondere der Begriff des „Missbrauchs einer SE“ mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten [unter bb)] ausgefüllt. aa) Normauslegung anhand unionsrechtlicher Auslegungskriterien Zur Einleitung des Konkretisierungsprozesses von Art. 11 SE-RL ist es unabdingbar, von der Norm selbst auszugehen.187 Der Einstieg in den Konkretisierungsprozess erfolgt daher über die „interpretatorische“ Komponente der Normkonkretisierung im Wege der Auslegung.188 Die vier klassischen Kriterien – Wortlaut, Historie, Systematik sowie Telos des Gesetzes – verwendet auch der EuGH bei seiner unionsrechtlichen Auslegung.189 Die genannten Auslegungsargumente sind auch auf unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln anwendbar.190 Dabei kommt der Auslegung des Wortlauts einer Generalklausel wegen der bestimmungsgemäßen Weite regelmäßig geringere Bedeutung zu.191 Auch die Ermittlung des gesetzgeberischen allgemein Röthel Normkonkretisierung, S. 168 f. M. Schmidt Konkretisierung, S. 32, wonach die Auslegung „für den ‚interpretatorischen‘ Teil [der Konkretisierung] – also die Ermittlung der Bindung bzw. Grenzen des zulässigen Spektrums an möglichen Ergebnissen – […] durchaus als Methode herangezogen werden [kann].“; vgl. auch Röthel in: Riesenhuber, Europäi sche Methodenlehre, § 12 Rn 23, 26 („erste Anhaltspunkte der Konkretisierung“); vgl. auch bereits Röthel Normkonkretisierung, S. 130 ff. 189 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 26 ff.; Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 13 ff.; Schröder in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Vorbem Rn 56; vgl. zur Auslegung von Richtlinien auch bereits oben unter § 3 B. I. 3. 190 M. Schmidt Konkretisierung, S. 29. 191 Allgemein für Generalklauseln in Richtlinien M. Schmidt Konkretisierung, S. 114; für Generalklauseln im deutschen Recht Röthel Normkonkretisierung, S. 134 f. m. w. N. 187 Vgl. 188 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL93
Willens trägt in der Regel nicht entscheidend zur Konkretisierung bei, da sich die bewusste Wahl einer Generalklausel meist „entstehungsgeschichtlich zwar dokumentieren, aber nicht auflösen lässt“192. Als für die Konkretisierung am gewinnbringendsten erachtet werden vielmehr die systematische sowie die teleologische Argumentation.193 Mithilfe der genannten Kriterien werden die Tatbestandsmerkmale des Art. 11 SE-RL und insbesondere der Begriff des „Missbrauchs der SE“ in Art. 11 SE-RL ausgelegt.194 bb) Insbesondere: Ausfüllung des „Missbrauchs“-Begriffs mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten Im Rahmen der „interpretatorischen“ Methode der Normkonkretisierung geht es nicht nur darum, mittels unionsrechtlicher Auslegung des Art. 11 SE-RL „etwas Vorgegebenes aus dem Gesetz zu holen“195. Vielmehr wird der für diese Generalklausel zentrale unbestimmte Rechtsbegriff des „Missbrauchs einer SE“ inhaltlich mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten auszufüllen sein.196 Bei der Herausarbeitung solcher Argumente zur Entwicklung eines Prüfungsmaßstabs ist entscheidend, inwiefern das Merkmal überhaupt mit eigenen unionsrechtlichen Maßstäben ausgefüllt werden kann.197 Im Gegensatz zur Konkretisierung einer innerstaatlichen Generalklausel, bei der sich die inhaltlichen Bindungen bei der Rechtsgestaltung durch die Rechtsprechung allein nach nationalen Maßstäben richten, kommt bei einer unionsrechtlichen Konkretisierung die Aufgabe hinzu, unionsautonome Konkretisierungsmaßstäbe für die inhaltliche Ausfüllung der europa192 Röthel Normkonkretisierung, S. 136; vgl. ähnlich für Generalklauseln in Richtlinien M. Schmidt Konkretisierung, S. 114 f. m. w. N. 193 Allgemein für Generalklauseln in Richtlinien M. Schmidt Konkretisierung, S. 115; für Generalklauseln im deutschen Recht Röthel Normkonkretisierung, S. 136 ff. m. w. N. 194 Dazu unter § 3 C. 195 Röthel Normkonkretisierung, S. 145 im Zusammenhang mit der Leistungsfähigkeit der Auslegungsargumente bei der Normkonkretisierung deutscher Generalklauseln. 196 Vgl. allgemein Röthel Normkonkretisierung, S. 144; ähnlich in Bezug auf das Auslegungsmaterial für die Erarbeitung inhaltlicher Maßstäbe der Konkretisierung europarechtlicher Generalklauseln M. Schmidt Konkretisierung, S. 115, wonach die Norm nicht nur „von innen“ heraus zu deuten sei, sondern „konstruktive, nicht unmittelbar in der Norm verkörperte Argumente […] ‚von außen‘ an die Norm heranzutragen“ seien. Insoweit dienten Generalklauseln als „Einfallstor für die Wertungen eines Rechtsgebiets“. 197 Vgl. zur Parallelfrage, ob es einen allgemeinen Grundsatz von „Treu und Glauben“ im europäischen Privatrecht gibt M. Schmidt Konkretisierung, S. 116 ff.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
rechtlichen Generalklausel zu ermitteln und im Falles ihres Fehlens einen Prüfungsmaßstab [dazu sogleich unter b)] für den Missbrauch der SE zu entwickeln.198 b) Schritt 2: Entwicklung eines Prüfungsmaßstabs hinsichtlich des „Missbrauchs einer SE“ Auf Grundlage der Auslegung des Art. 11 SE-RL anhand unionsrecht licher Kriterien und insbesondere der Ausfüllung des Missbrauchs-Begriffs mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten ist im zweiten Schritt ein Prüfungsmaßstab für den Missbrauch einer SE zu entwickeln. Da die Konkretisierungsbefugnis des Art. 11 SE-RL wie oben199 herausgearbeitet gerade beim EuGH liegt, kommt ein Rückgriff auf nationale Missbrauchsmaßstäbe nicht in Betracht.200 Hingegen ziehen Drinhausen / Keinath201 die Grundsätze zum Missbrauchsverbot im deutschen Steuerrecht zur Auslegung des Verbots des Missbrauchs einer SE heran.202 Jedoch scheiden regelmäßig innerstaatliche Rechtsordnungen als Referenz für einen Konkretisierungsmaßstab aus, da mit dem Erlass sekundären Unionsrechts gerade eine – graduell variable – Angleichung unterschiedlicher Rechtssysteme bezweckt wird.203 Erst recht kommen innerstaatliche Maßstäbe nicht in Betracht, wenn es – wie mit der SE – nicht um eine Rechtsangleichung, sondern um die Einführung einer neuen Rechtsform mittels der SE-VO, ergänzt um einen einheitlichen Rahmen für die Arbeitnehmerbetei198 Röthel Normkonkretisierung, S. 361 ff., entkräftet zu Recht den früher gegen eine Konkretisierung durch den EuGH vorgebrachten Einwand des Fehlens gemeinschaftsrechtlicher materieller Maßstäbe. Die Konkretisierung umfasse gerade die Befugnis zur Schaffung materieller Maßstäbe; vgl. auch Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 30 ff.; vgl. ferner speziell zu Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL M. Schmidt Konkretisierung, S. 217 f., wonach der EuGH im Falle der Versagung der Chance zur Konkretisierung das gemeinschaftliche Recht niemals wird gemeinschaftsautonom auslegen können, sowie S. 234, 261 f. 199 § 3 B. I. 4. 200 I. E. auch Koch Diss. 2010, S. 201: „Der Begriff des Missbrauchs i. S. d. Art. 11 SE-RL bzw. § 43 SEBG ist vielmehr autonom gemeinschaftsrechtlich auszulegen.“; ferner Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 5. 201 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702 f., die – obwohl sie feststellen, dass die deutsche Umsetzungsnorm des § 43 S. 1 SEBG den Begriff des Art. 11 SE-RL unverändert übernimmt – die Grundsätze des Verbots rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im deutschen Steuerrecht (§ 42 Abgabenordnung) auf das Verbot des Missbrauchs der SE übertragen. 202 Vgl. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 868, wonach bei der Konkretisierung von Art. 11 SE-RL mangels europäischer Rechtsprechung auf nationaler Ebene entwickelte Erkenntnisse zu berücksichtigen seien. 203 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 30, 32.
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ligung mit der SE-RL trotz unterschiedlicher nationaler Mitbestimmungstraditionen geht. Denkbar wäre daher, einen einheitlichen Maßstab im Wege eines Rechtsvergleichs der in den Mitgliedstaaten vorhandenen Missbrauchsdoktrinen zu erarbeiten.204 Immerhin wird der Begriff des „Missbrauchs“ in vielen mitgliedstaatlichen Rechtssystemen verwendet. Jedoch stimmen aus dem nationalen Recht bekannte Termini in ihrem Sinn nicht unbedingt mit den im Unionsrecht verwendeten Begriffen überein.205 Daher lassen sich „genuin gemeinschaftsrechtliche Wertvorstellungen“206 nicht aus einem bloßen Rechtsvergleich speisen.207 Als inhaltlicher Prüfungsmaßstab zur Ausfüllung des Rechtsbegriffs des „Missbrauchs einer SE“ in Art. 11 SE-RL könnte ein europarechtliches Prinzip des (Rechts-)Missbrauchs („principle of abuse of law“) dienen. Ein solcher Grundsatz wird etwa aus der Rechtsprechungslinie des EuGH zur missbräuchlichen Ausnutzung von Grundfreiheiten – insbesondere der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) – abgeleitet. Etwaige auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts entwickelte Maßstäbe könnten auch für den Missbrauchs-Begriff des Art. 11 SE-RL maßgebend sein.208 Methodisch werden unionsrechtliche Prinzipien als materielle Anhaltspunkte für eine unionsrechtliche Konkretisierung akzeptiert: „Auch wenn sie keine ‚harten‘ Maßstäbe verbürgen und regelmäßig in einem inneren Wechselspiel nach Art eines ‚beweglichen Systems‘ stehen, so garantieren sie doch die nötige wertungsmäßige Rückanbindung der Konkretisierung an die Gemeinschafts rechtsordnung.“209 Im Rahmen der Konkretisierung des Prüfungsmaßstabs für den Missbrauchs-Begriff des Art. 11 SE-RL wird daher zu untersuchen sein, ob ein unionsrechtliches Prinzip des (Rechts-)Missbrauchs existiert210 und welche Folgen sich daraus für die Konkretisierung von Art. 11 SE-RL ergeben.211 204 Vgl. etwa im Hinblick auf einen europäischen Grundsatz von „Treu und Glauben“ das Vorgehen von M. Schmidt Konkretisierung, S. 117. 205 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 35. 206 Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 35. 207 Vgl. Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 34. 208 Für eine Auslegung des Art. 11 SE-RL anhand der EuGH-Rechtsprechung zum Missbrauch der Niederlassungsfreiheit Sagan EBLR 2010, 15, 23 ff.; für eine „nur mittelbare Relevanz“ hingegen Rehberg ZGR 2005, 859, 865 f., wonach die EuGH-Rechtsprechung in den Rs. Segers, Centros und Inspire Art bei der Interpretation von Art. 11 SE-RL nicht weiter helfe. Demgegenüber sei die EuGH-Rechtsprechung in den Rs. Pafitis, Kefalas und Diamantis einschlägig, welche jedoch nach Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 5, „kaum Definitionsansätze“ liefere. 209 Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 37 m. w. N. 210 Dazu § 3 C. III. 1. 211 Dazu § 3 C. III. 1. c).
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
c) Schritt 3: Systematisierung von Fallgruppen des „Missbrauchs einer SE“ Im dritten Schritt des Prozesses für eine Normkonkretisierung des Art. 11 SE-RL werden die gewonnenen Erkenntnisse auf praktische Fallgestaltungen, die als mögliche Konstellationen eines Missbrauchs einer SE diskutiert werden, angewendet, sodass der Missbrauchs einer SE auch am Einzelfall konkretisiert werden wird.212 d) Ergebnis zu den materiellen Konkretisierungsinstrumenten Die vorliegende Arbeit geht bei der materiellen Normkonkretisierung des Art. 11 SE-RL methodisch in drei Schritten vor: Erstens werden die Merkmale des Art. 11 SE-RL anhand unionsrechtlicher Kriterien (Wortlaut, Historie, Systematik, Telos) ausgelegt.213 Dabei wird insbesondere der Begriff des „Missbrauchs einer SE“ mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten ausgefüllt.214 Darauf aufbauend wird im zweiten Schritt ein Prüfungsmaßstab für den Missbrauch einer SE entwickelt.215 Im dritten Schritt des hier verfolgten Konkretisierungsprozesses werden Konstellationen eines potentiellen „Missbrauchs einer SE“ nach Fallgruppen systematisiert.
C. Ausfüllung des Art. 11 SE-RL mittels Normkonkretisierung Zur Umsetzung des soeben vorgestellten methodischen Ansatzes zum materiellen Konkretisierungsprozess werden nun die einzelnen Merkmale des Art. 11 SE-RL anhand unionsrechtlicher Kriterien ausgelegt (I. bis IV.). Insbesondere wird der Begriff des „Missbrauchs einer SE“ mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten ausgefüllt (III. 2.) und ein Prüfungsmaßstab (III. 3.) vorgeschlagen. Art. 11 SE-RL, der als ein an die Mitgliedstaaten gerichteter Handlungsauftrag einzuordnen ist,216 lässt sich in folgende Tatbestandsmerkmale glie212 Die Darstellung in Teil 4 orientiert sich an der deutschen Umsetzungsnorm des § 43 SEBG, um zusätzlich zur Konkretisierung des aus Art. 11 SE-RL übernommenen Tatbestandsmerkmals „Missbrauch einer SE“ der Unterscheidung des deutschen Umsetzungsrechts zwischen Missbrauchsverbot (§ 43 S. 1 SEBG) und Missbrauchsvermutung (§ 43 S. 2 SEBG) Rechnung zu tragen. 213 Dazu ab § 3 C. I. 214 Dazu § 3 C. III. 2. 215 Dazu § 3 C. III. 3. 216 Vgl. oben unter § 3 A. I. 1.
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dern: Schutzobjekt des Art. 11 SE-RL sind Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern (dazu im Folgenden unter I.). Diese müssen den Arbeitnehmern als tatbestandlicher „Erfolg“ entzogen oder vorenthalten werden (dazu unter II.). Ferner muss ein tatbestandliches Verhalten vorliegen, das als Missbrauch einer SE (dazu unter III.) zu qualifizieren ist. Der Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten beinhaltet, geeignete Maßnahmen unter Beachtung der „gemeinschaftlichen“ Rechtsvorschriften zu treffen (IV.). I. Schutzobjekt: Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern Nach Rehberg217 erfasst der Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL sowohl Konstellationen der SE als „Opfer“ als auch der SE als „Instrument“ einer „mitbestimmungsreduzierenden Maßnahme“. „Opfer“ einer missbräuchlichen Gestaltung sei eine mitbestimmte SE, wenn sie durch gestalterische Maßnahmen nachträglich ihre Mitbestimmung verliere und insoweit selbst „Tatobjekt“ einer Umstrukturierung sei. Hingegen werde die SE als „Instrument“ missbraucht, wenn bestehende Beteiligungsrechte in anderen Gesellschaften als der SE verkürzt würden. Beide Formen unterfielen dem Missbrauchsverbot, da andernfalls der Bestandschutzgedanke des „VorherNachher-Prinzips“218 weitgehend leerliefe.219 Ausweislich des Wortlauts des Art. 11 SE-RL haben zwar die Mitgliedstaaten zu verhindern, dass „eine SE“ missbraucht wird. Schutzobjekt des Art. 11 SE-RL sind indes die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer. Die SE als Gesellschaft kann daher selbst nicht „Opfer“ einer mitbestimmungswidrigen Maßnahme werden. Vielmehr sind es Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, die durch einen missbräuchlichen Einsatz der SE-Rechtsform einen Nachteil erleiden können. Die SE kommt daher lediglich als missbräuchliches „Instrument“ in Betracht, mit dem Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden könnten. Dieses Schutzobjekt des Art. 11 SE-RL, die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer, bedarf der Konkretisierung. Dazu wird im Folgenden zunächst auf den Begriff der „Arbeitnehmerbeteiligungsrechte“ eingegangen (1.). Sodann wird das Schutz objekt in sachlicher Hinsicht dahingehend konkretisiert, dass aufgrund des Bestandschutzprinzips lediglich Beteiligungsrechte, die in an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften bestehen, geschützt sind (2.). Schließlich erfolgt eine zeitliche Konkretisierung, indem die bei der PrimärFolgenden Rehberg ZGR 2005, 859, 878 ff. S. 1 SE-RL; vgl. dazu bereits oben unter § 1 A. sowie noch unter § 3 C. III. 2. d) ee). 219 Rehberg ZGR 2005, 859, 880. 217 Zum
218 ErwG 18
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gründung (3.), im Nachgründungsstadium (4.) und bei der Sekundärgründung (5.) erfassten Beteiligungsrechte herausgearbeitet werden. 1. Begriff der „Arbeitnehmerbeteiligungsrechte“ Der Begriff des „Arbeitnehmers“ ist in der SE-RL nicht legaldefiniert.220 Die Richtlinie verzichtet damit auf eine einheitlich verbindliche Festlegung des Arbeitnehmer-Begriffs, sodass die jeweiligen mitgliedstaatlichen Definitionen maßgeblich sind.221 Auch der in Art. 11 SE-RL verwendete Begriff der „Beteiligungsrechte“ bleibt in der SE-RL undefiniert.222 Jedoch gibt Art. 2 lit. h) SE-RL eine Legaldefinition des Begriffs der „Beteiligung“ als „jedes Verfahren – einschließlich der Unterrichtung, der Anhörung und der Mitbestimmung – durch das die Vertreter der Arbeitnehmer auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können“. Der Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL hat sich aus systematischen Gründen an der Legaldefinition des Art. 2 lit. h) SE-RL zu orientieren. Er umfasst daher sowohl die betrieblichen Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ (Art. 2 lit. i) SE-RL) und „Anhörung“ (Art. 2 lit. j) SERL) als auch das unternehmerische Beteiligungsrecht der „Mitbestimmung“ (Art. 2 lit. k) SE-RL).223 Güntzel Diss. 2006, S. 133. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 2 SEBG, S. 43; der deutsche Gesetzgeber hat bei seiner Umsetzung der SE-RL eine Regelung zur Bestimmung des Begriffs des „Arbeitnehmers“ in § 2 Abs. 1 SEBG getroffen, indem sich nach dessen S. 1 der Begriff des Arbeitnehmers nach den Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten der jeweiligen Mitgliedstaaten richtet. 222 Anders die deutsche Umsetzung, die neben der „Beteiligung“ (§ 2 Abs. 8 SEBG) den Begriff der „Beteiligungsrechte“ in § 2 Abs. 9 SEBG gesondert definiert. Danach sind „Beteiligungsrechte“ Rechte, die den Arbeitnehmern und ihren Vertretern im Bereich der Unterrichtung, Anhörung, Mitbestimmung und der sonstigen Beteiligung zustehen. Hierzu kann nach § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG auch die Wahrnehmung dieser Rechte in den Konzernunternehmen gehören. 223 Ebenso Sagan EBLR 2010, 15, 30; für die deutsche Umsetzungsnorm § 43 SEBG auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 Rn 5; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700, 2701, die jedoch den Missbrauch durch Entziehen oder Vorenthalten von unternehmerischen Mitbestimmungsrechten als den „weitaus bedeutenderen Anwendungsfall“ erachten und ein Vorenthalten oder Entziehen der über Betriebsräte ausgeübten betrieblichen Beteiligungsrechte mittels einer SE „angesichts der gesetzlichen Regelungen“ für „kaum vorstellbar“ halten. Die SE lasse wegen § 47 Abs. 1 Hs. 1, Abs. 2 SEBG bestehende Betriebsratsstrukturen grundsätzlich unberührt, lediglich ein vor SE-Gründung bestehender Europäischer Betriebsrat werde wegen § 47 Abs. 1 Nr. 2 SEBG verdrängt. 220 Vgl. 221 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL99
2. Bestandschutzprinzip: Schutz der in beteiligten Gesellschaften bestehenden Beteiligungsrechte Der Wortlaut des Art. 11 SE-RL spricht auf den ersten Blick für einen weiten, auch zukünftige Beteiligungsrechte umfassenden Schutzbereich: Da die Mitgliedstaaten Maßnahmen nicht nur gegen das „Entziehen“, sondern auch gegen das „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten zu treffen haben, könnte das letztere Merkmal dem Wortlaut nach auch solche Beteiligungsrechte umfassen, die den Arbeitnehmern im Zeitpunkt der SE-Primärgründung noch nicht zustehen.224 Gegen die Erstreckung des Art. 11 SE-RL auf künftige Beteiligungsrechte spricht indes, dass der durch die Missbrauchsklausel gewährte Schutz nicht weiter reichen kann als der mit der gesamten SE-RL bezweckte Schutz. Ausweislich ErwG 3 SE-RL sollen mit der SE-RL besondere Bestimmungen auf dem Gebiet der Arbeitnehmerbeteiligung festgelegt werden, „mit denen gewährleistet werden soll, dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen.“ Der Wortlaut „herrschen“ knüpft insoweit an den Bestand an Beteiligungsrechten.225 Nach ErwG 18 SE-RL ist „fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel dieser Richtlinie […] die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen“.226 Der Wortlaut von ErwG 18 S. 1 SE-RL spricht insoweit gerade von der Sicherung erworbener Rechte. Darüber hinaus sollen „die vor der Gründung von SE bestehenden Rechte der Arbeitnehmer […] Ausgangspunkt auch für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE (Vorher-Nachher-Prinzip) sein.“227 Auch hier bezieht sich der Wortlaut der SE-RL ausdrücklich auf die vor der Gründung einer SE bestehenden Rechte. Darüber hinaus sollen nach ErwG 7 SE-RL Mitbestimmungsrechte durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben, „sofern und soweit es in einer oder in mehreren der an der Gründung einer SE beteiligEine Minderung gehe damit jedoch regelmäßig nicht einher, da die Zuständigkeiten eines weggefallenen Europäischen Betriebsrats grundsätzlich durch den SE-Betriebsrat wahrgenommen würden (so Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700, Fn 2). 224 Zur Auslegung des Begriffs des „Vorenthaltens“ noch unter § 3 C. II. 2. 225 Vgl. Schmid Diss. 2010, S. 144. 226 Vgl. Schmid Diss. 2010, S. 144; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702. 227 ErwG 18 S. 2 SE-RL.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
ten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte gibt“228. Aus den Worten „sofern und soweit“ folgt im Umkehrschluss, dass bei Gründung der SE (noch) nicht oder (noch) nicht in einem bestimmten Umfang existierende Mitbestimmungsrechte nicht geschützt sind, sondern die SE-RL lediglich einen Bestandschutz für Beteiligungsrechte gewährt.229 Damit sind Beteiligungsrechte, in deren Genuss Arbeitnehmer bei einer hypothetischen Betrachtung ohne einen Wechsel in die SE-Rechtsform in der Zukunft möglicherweise gekommen wären, nicht geschützt.230 Weiter wird angeführt, dass ein Schutz von Mitbestimmungsrechten, die künftig nach nationalem Recht erreicht worden wären, nicht mit dem in Art. 13 Abs. 2 SE-RL ausdrücklich vorgeschriebenen Ausschluss der SE vom Anwendungsbereich nationaler Mitbestimmungsgesetze vereinbar sei.231 Zutreffend ist das im Hinblick auf unternehmerische Beteiligungsrechte („Mitbestimmung“). Allerdings sieht Art. 13 Abs. 3 lit. a) SE-RL für andere Beteiligungsrechte als die „Mitbestimmung in den Organen der SE“ gerade vor, dass die SE-RL die den Arbeitnehmern nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zustehenden Beteiligungsrechte, die für die Arbeitnehmer der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe gelten, unberührt lässt. Daraus folgt, dass neben der SE-RL nationale Vorschriften über betriebliche Beteiligungsrechte weiterhin anwendbar bleiben. Darüber hinaus überzeugt das Argument aus Art. 13 Abs. 2 SE-RL deshalb nicht, weil diese Regelung lediglich die Anwendbarkeit nationaler Mitbestimmungsvorschriften ausschließt. Da nach dem Wortlaut des Art. 11 SE-RL auch ein missbräuchliches „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten verhindert werden soll, könnte damit gerade ein infolge der Nichtanwendbarkeit nationalen Mitbestimmungsrechts (Art. 13 Abs. 2 SE-RL) fehlender Schutz aufgefangen werden sollen. Daher ist es überzeugender, die Begrenzung des Schutzes auf bereits bestehende Beteiligungsrechte mit den bereits erläuterten ErwG 3, 7, 18 SE-RL zu begründen. Im Ergebnis sind damit Beteiligungsrechte, die den Arbeitnehmern erst in der Zukunft möglicherweise auf Grundlage nationalen Mitbestimmungsrechts gewährt worden wären, nicht vom Zweck des Bestandschutzes der 228 ErwG 7
Hs. 1 SE-RL. auch Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702, allerdings eher mit Betonung auf ErwG 7 Hs. 2, 3 SE-RL, wonach bestehende Mitbestimmungsrechte „durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben [sollten], es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen“. 230 Vgl. hinsichtlich § 18 Abs. 3 SEBG Rieble BB 2006, 2018, 2022: „Das Ausbleiben eines hypothetischen Mitbestimmungszuwachses nach einem gar nicht anwendbaren Gesetz ist keine Minderung der Mitbestimmung“. 231 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702. 229 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL101
SE-RL gedeckt.232 Mithin sind vom Schutzbereich des Art. 11 SE-RL nur solche Beteiligungsrechte erfasst, die bereits vor der missbräuchlichen Maßnahme existierten.233 Indes besteht eine Ausnahme für erst mit der SE-Primärgründung auf Grundlage der SE-RL entstehende Beteiligungsrechte. Die SE-RL bezweckt neben dem Schutz bereits bestehender Beteiligungsrechte auch die Gewährleistung grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhörung“.234 Da diese Rechte den Arbeitnehmern erst mit Gründung der SE eingeräumt werden, sind auch diese Rechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ von Art. 11 SE-RL geschützte Beteiligungsrechte.235 3. Beteiligungsrechte bei der SE-Primärgründung Bestehende Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer können je nach Wahl einer der vier primären236 SE-Gründungsvarianten unterschiedlich von einer SE-Gründung betroffen sein: bei Verschmelzung237 mehrerer Aktiengesellschaften zu einer SE [sogleich unter a)], bei Gründung einer HoldingSE238 durch Aktiengesellschaften oder Gesellschaften mit beschränkter Haftung [b)], bei Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE239 durch mehrere Gesellschaften [c)] sowie bei Umwandlung240 einer Aktiengesellschaft in eine SE [d)]. a) Primärgründung durch Verschmelzung Bei Gründung einer SE durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) ist zwischen Beteiligungsrechten in an der SE-Gründung unmittelbar „betei 232 Ebenso Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702; ebenso für § 18 Abs. 3 SEBG Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 38. 233 Ähnlich Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702: „[…] kann Art. 11 SE-RL nur so verstanden werden, dass die Mitgliedstaaten die Entziehung oder Vorenthaltung bereits vor SE-Gründung oder Durchführung einer strukturellen Änderung erworbener Mitbestimmungsrechte verhindern sollen.“; ferner für § 18 Abs. 3 SEBG Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 33. 234 ErwG 6 SE-RL. 235 Zur Berücksichtigung der Rechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ durch Art. 11 SE-RL noch bei der Auslegung des Merkmals „Vorenthalten“ unter § 3 C. II. 2. 236 Zur Sekundärgründung noch unter § 3 C. I. 5. 237 Art. 2 Abs. 1 SE-VO. 238 Art. 2 Abs. 2 SE-VO. 239 Art. 2 Abs. 3 SE-VO. 240 Art. 2 Abs. 4 SE-VO.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
ligten Gesellschaften“ einerseits [sogleich unter aa)] und in Tochterge sellschaften von beteiligten Gesellschaften [bb)] andererseits zu unterscheiden. aa) Beteiligungsrechte in den „beteiligten Gesellschaften“ „Beteiligte Gesellschaften“ sind gemäß Art. 2 lit. b) SE-RL die Gesellschaften, „die unmittelbar an der Gründung einer SE beteiligt sind“. Im Falle der primären SE-Gründung durch Verschmelzung sind dies die Gesellschaften, die gemäß Art. 2 Abs. 1 SE-VO zu einer SE verschmolzen werden. Bei der Verschmelzung mehrerer Aktiengesellschaften zu einer SE werden die Arbeitnehmer der unmittelbar an der Verschmelzung „beteiligten Gesellschaften“ mit Gründung der SE automatisch zu Arbeitnehmern der SE.241 Aus der Zielsetzung der SE-RL, in der SE die erworbenen Rechte der Arbeitnehmer auf Beteiligung an Unternehmensentscheidungen zu sichern,242 folgt, dass die bestehenden Beteiligungsrechte derjenigen Arbeitnehmer, die bislang in den unmittelbar an der SE-Gründung „beteiligten Gesellschaften“ tätig waren und künftig von der SE beschäftigt werden, schutzwürdig sind. Somit sind die Beteiligungsrechte der bei den „beteiligten Gesellschaften“ beschäftigten Arbeitnehmer, die künftig zu Arbeitnehmern der SE werden, vom Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL erfasst. bb) B eteiligungsrechte in Tochtergesellschaften von beteiligten Gesellschaften Unter den Begriff der „beteiligten Gesellschaften“ fallen lediglich solche Gesellschaften, die an der SE-Gründung unmittelbar beteiligt sind.243 Nicht davon erfasst sind jedoch von den SE-Gründungsgesellschaften abhängige 241 Ausweislich ErwG 21 S. 2 SE-VO unterliegen arbeitsrechtliche Fragen für Arbeitnehmer der SE außerhalb der Beteiligungsrechte den einzelstaatlichen Vorschriften für Aktiengesellschaften. Nach deutschem Recht kommt es im Falle der Eintragung einer Verschmelzung zu einem gesetzlich angeordneten Betriebsübergang der Arbeitsverhältnisse nach § 324 UmwG i. V. m. § 613a BGB; vgl. ErfK / Preis § 613a BGB Rn 58; vgl. auch Art. 29 Abs. 4 SE-VO, wonach die zum Zeitpunkt der Eintragung der durch Verschmelzung gegründeten SE die aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten sowie aufgrund individueller Arbeitsverträge oder Arbeitsverhältnisse bestehenden Rechte und Pflichten der beteiligten Gesellschaften hinsichtlich der Beschäftigungsbedingungen mit der Eintragung der SE auf diese übergehen. 242 Vgl. ErwG 18 S. 1, 2 SE-RL. 243 Vgl. Art. 2 lit. b) SE-RL.
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Tochtergesellschaften.244 Ist eine SE-Gründungsgesellschaft Obergesellschaft eines Konzerns, ist nur diese Konzernobergesellschaft eine an der SEGründung „beteiligte Gesellschaft“ gemäß Art. 2 lit. b) SE-RL.245 Konzernunternehmen oder Tochtergesellschaften zählen nicht zu den „beteiligten Gesellschaften“. Stattdessen sieht die SE-RL besondere Regelungen für „Tochtergesellschaften einer Gesellschaft“ sowie für „betroffene Tochtergesellschaften und betroffene Betriebe“ vor. Eine „Tochtergesellschaft einer Gesellschaft“ im Sinne der SE-RL ist ein Unternehmen, auf das die betreffende Gesellschaft einen „beherrschenden Einfluss“ i. S. v. Art. 3 Abs. 2 bis 7 EBR-Richtlinie 94 / 45 / EG (jetzt Art. 17 Abs. 1 EBR-RL 2009 / 38 / EG)246 ausübt.247 Im Sinne der SE-RL sind „betroffene Tochtergesellschaften oder betroffene Betriebe“ solche Tochtergesellschaften oder Betriebe von „beteiligten Gesellschaften“, die bei Gründung der SE zu Tochtergesellschaften oder Betrieben der SE werden.248 Daraus folgt im Umkehrschluss, dass es im Konzernverbund auch solche Tochtergesellschaften und Betriebe geben kann, die nicht von der Gründung der SE betroffen sein sollen.249 Nach Art. 13 Abs. 3 lit. a) SE-RL berührt die SE-RL nicht die den Arbeitnehmern nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und / oder Gepflogenheiten zustehenden Beteiligungsrechte, die für die Arbeitnehmer der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe gelten, mit Ausnahme der Mitbestimmung in den Organen der SE. Demnach sind auf nationaler Grundlage gewährte Beteiligungsrechte auf betrieblicher Ebene weiterhin in den Tochtergesellschaften und Betrieben der SE anwendbar.250 Nach Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL berührt die SE-RL nicht die nach einzelstaatlichen Rechtsvor244 Zum Ganzen hinsichtlich der deutschen Umsetzung des Art. 2 lit. b) SE-RL durch § 2 Abs. 2 SEBG Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 2 SEBG Rn 3. 245 In Bezug auf § 2 Abs. 2 SEBG Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 2 SEBG Rn 7; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 2 SEBG Rn 3. 246 EBR-RL 94 / 45 / EG ist mit Wirkung vom 6.6.2011 aufgehoben und ersetzt worden durch EBR-RL 2009 / 38 / EG, vgl. Art. 17 Abs. 1 EBR-RL 2009 / 38 / EG. 247 Art. 2 lit. c) SE-RL. 248 Art. 2 lit. d) SE-RL. 249 Vgl. hinsichtlich § 2 Abs. 4 SEBG, der die Begriffe aus Art. 2 lit. d) SE-RL wörtlich übernimmt, Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 2 SEBG, S. 44; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 2 SEBG Rn 5. 250 Vgl. für die betrieblichen Beteiligungsrechte nach deutschem Recht (insb. BetrVG und SprAuG) die Regelung in § 47 Abs. 1 Hs. 1 SEBG; dazu Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 47 SEBG Rn 2, wonach die praktisch wichtigste Konsequenz dieser Regelung darin liege, dass die lokalen Betriebsräte oder Sprecherausschüsse nicht durch den SE-BR verdrängt würden.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
schriften und / oder Gepflogenheiten geltenden Bestimmungen über die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen, die auf die Tochtergesellschaften der SE anzuwenden sind. Daraus folgt, dass für die Beteiligung in den Organen künftiger Tochtergesellschaften der SE weiterhin nationale Mitbestimmungsgesetze gelten und auf deren Grundlage eingeräumte Mitbestimmungsrechte unabhängig von der SE-Gründung fortbestehen.251 Demnach unterfallen die weiterhin nach nationalen Rechtsvorschriften bestehenden Mitbestimmungsrechte in den Organen der Tochtergesellschaften nationaler Rechtsform nicht dem Regelungsbereich der SE-RL. Sie sind somit nicht vom Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL erfasst.252 b) Primärgründung als Holding-SE Bei der Gründung einer Holding-SE (Art. 2 Abs. 2 SE-VO) werden die unmittelbar an der Gründung „beteiligten Gesellschaften“ zu Tochtergesellschaften der SE [dazu im Folgenden unter aa)]. Betroffene Tochtergesellschaften der beteiligten Gründungsgesellschaften werden zu Enkelgesellschaften der SE [bb)].253 aa) Beteiligungsrechte in den „beteiligten Gesellschaften“ Bei einer Holding-SE-Gründung gehen die „beteiligten Gesellschaften“ im Gegensatz zur Gründung durch Verschmelzung254 oder durch Umwandlung255 nicht unter. Somit bestehen auch die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer in den an der Holding-SE-Gründung unmittelbar „beteiligten Gesellschaften“, die künftig zu Tochtergesellschaften der Holding-SE werden, unverändert fort. Gleiches gilt für die Rechte dieser Arbeitnehmer im Hinblick auf die Beteiligung in Unternehmensorganen der „beteiligten Gesellschaften“. Diese richten sich gemäß Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL weiterhin nach den für die jeweilige nationale Rechtsform geltenden nationalen Rege251 Vgl. für Tochtergesellschaften mit Sitz in Deutschland Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 47 SEBG Rn 3. 252 In Bezug auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Organen der SE ergibt sich aus Art. 13 Abs. 3 lit. b) letzter Hs. SE-RL, dass die SE-RL Anwendung findet. Diese sieht in Art. 3 Abs. 2 S. 1 SE-RL vor, dass das bVG nicht nur als Vertretung der Arbeitnehmer der „beteiligten Gesellschaften“, sondern auch der „betroffenen Tochtergesellschaften“, d. h. der künftigen SE-Tochtergesellschaften, eingesetzt wird. 253 Vgl. für § 2 Abs. 4 SEBG Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 2 SEBG, S. 44. 254 Dazu soeben unter § 3 C. I. 3. a). 255 Dazu noch unter § 3 C. I. 3. d).
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lungen. Mithin bleiben diese Beteiligungsrechte vom Anwendungsbereich der „Beteiligungsrechte“ i. S. d. Art. 11 SE-RL ausgenommen. bb) B eteiligungsrechte in Tochtergesellschaften der „beteiligten Gesellschaften“ Auch die den an der Holding-SE-Gründung „beteiligten Gesellschaften“ zugeordneten Tochtergesellschaften, die zu Enkelgesellschaften der HoldingSE werden, behalten ihre nationale Rechtsform. Die Rechte der bei den künftigen Enkelgesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer auf Beteiligung in den Unternehmensorganen der Enkelgesellschaften richten sich weiterhin allein nach nationalem Recht. Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL bezieht die Nichtanwendung der SE-RL zwar auf die Mitbestimmung nur in Organen von „Tochtergesellschaften der SE“. Erst recht ist die SE-RL damit auch auf die Mitbestimmung in Unternehmensorganen in Enkelgesellschaften nicht anwendbar. Daher unterfallen diese Rechte nicht dem Begriff der „Beteiligungsrechte“ des Art. 11 SE-RL. c) Primärgründung als Tochter-SE Bei der Primärgründung einer gemeinsamen Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) ist zwischen zwei Gruppen von Beteiligungsrechten zu unterscheiden: Einerseits können durch die Tochter-SE-Gründung Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern der an der Tochter-SE-Gründung „beteiligten Gesellschaften“, d. h. den künftigen Muttergesellschaften der gemeinsamen Tochter-SE [sogleich unter aa)], andererseits Beteiligungsrechte der in der künftigen Tochter-SE selbst beschäftigten Arbeitnehmer [bb)] betroffen sein. aa) Beteiligungsrechte in den „beteiligten Gesellschaften“ Bei der Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE behalten die „beteiligten Gesellschaften“ unverändert ihre jeweilige nationale Rechtsform bei. Sie sind weiterhin Arbeitgeber der bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer. Die Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern in den Gründungsgesellschaften richten sich unverändert nach nationalem Recht. Es wird den beteiligten Gesellschaften lediglich eine Tochter-SE untergeordnet. Die Gründung der zusätzlichen Tochter-SE unterhalb der „beteiligten Gesellschaften“ lässt die Beteiligungsrechte der bei den als Muttergesellschaften fungierenden „beteiligten Gesellschaften“ beschäftigten Arbeitnehmer unberührt. Mithin unterfallen diese Beteiligungsrechte nicht dem Begriff der „Beteiligungsrechte“ des Art. 11 SE-RL.
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bb) Beteiligungsrechte in der künftigen Tochter-SE Fraglich ist jedoch, ob Beteiligungsrechte von künftig in der Tochter-SE beschäftigten Arbeitnehmern unter den Begriff der „Beteiligungsrechte“ des Art. 11 SE-RL zu fassen sind. Denkbar ist etwa die Gründung einer zunächst arbeitnehmerlosen Tochter-SE als „Vorrats-SE“. Den künftig in der Tochter-SE beschäftigten Arbeitnehmern, die zuvor weder von einer „beteiligten Gesellschaft“ noch von einer dieser zugeordneten Tochtergesellschaft beschäftigt waren, standen vor Gründung der Tochter-SE überhaupt keine Beteiligungsrechte zu. Soweit jedoch Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern der „beteiligten Gesellschaften“ und / oder deren Tochtergesellschaften bei Gründung der Tochter-SE auf Letztere übergehen sollen, ist zu klären, ob die den betroffenen Arbeitnehmern zustehenden Beteiligungsrechte dem Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL unterfallen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für ein etwaiges Bedürfnis zum Schutz dieser Beteiligungsrechte ist insoweit jedoch nicht die Gründung der Tochter-SE. Vielmehr ist bei der nach der Gründung der Tochter-SE erfolgenden Übertragung der Arbeitsverhältnisse von der bisherigen mitbestimmten Arbeitgeberin auf die künftige Tochter-SE anzusetzen. Dieser Schritt kann etwa im Zuge einer späteren Verschmelzung einer von einer „beteiligten Gesellschaft“ abhängigen Tochtergesellschaft nationalen Rechts auf die Tochter-SE erfolgen. Ob Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse auf die neu gegründete Tochter-SE übergehen, durch Art. 11 SE-RL geschützt sind, ist indes nicht bei der Reichweite des Schutzes von Beteiligungsrechten bei Gründung der Tochter-SE zu klären. Vielmehr ist dies eine Frage der Konkretisierung des Anwendungsbereichs des Art. 11 SE-RL bei einer bereits gegründeten SE.256 d) Primärgründung durch Umwandlung Bei der primären Gründungsvariante der Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) werden die Arbeitnehmer der umzuwandelnden Gesellschaft mit Gründung der SE automatisch zu Arbeitnehmern der SE.257 Hinsichtlich von einer Umwandlung betroffener Betei256 Dazu
noch unter § 3 C. I. 4. b). ErwG 21 S. 2 SE-VO unterliegen arbeitsrechtliche Fragen für Arbeitnehmer der SE außerhalb der Beteiligungsrechte den einzelstaatlichen Vorschriften für Aktiengesellschaften. Nach deutschem Recht kommt es bei gesellschaftsrechtlichen Umwandlungen als Fall der Gesamtrechtsnachfolge (Universalsukzession) zu einem gesetzlichen Betriebsübergang der Arbeitsverhältnisse nach § 324 UmwG i. V. m. § 613a BGB; vgl. ErfK / Preis § 613a BGB Rn 58; für die Verschmelzungsgründung vgl. Art. 29 Abs. 4 SE-VO. 257 Ausweislich
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ligungsrechte ist zwischen Beteiligungsrechten in der „beteiligten Gesellschaft“ einerseits [sogleich unter aa)] und in „betroffenen Tochtergesellschaften“ andererseits [bb)] zu unterscheiden. aa) Beteiligungsrechte in der „beteiligten Gesellschaft“ Bei der primären Gründungsvariante der Umwandlung ist allein die Aktiengesellschaft nationalen Rechts, die in eine SE umgewandelt werden soll, eine „beteiligte Gesellschaft“ i. S. d. Art. 2 lit. b) SE-RL. Die in der umzuwandelnden Aktiengesellschaft bestehenden Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer sind „Beteiligungsrechte“ i. S. d. Art. 11 SE-RL. bb) Beteiligungsrechte in „betroffenen Tochtergesellschaften“ Der Primärgründungsfall der Umwandlung einer Aktiengesellschaft natio nalen Rechts in eine SE setzt nach Art. 2 Abs. 4 SE-VO voraus, dass die umzuwandelnde Aktiengesellschaft seit mindestens zwei Jahren mindestens eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft hat. Sämtliche Tochtergesellschaften der umzuwandelnden Aktiengesellschaft werden bei Umwandlung Letzterer in eine SE zu Tochtergesellschaften der SE und sind somit „betroffene Tochtergesellschaften“ i. S. v. Art. 2 Abs. 2 lit. d) SE-RL. Im Hinblick auf Beteiligungsrechte in den Gesellschaftsorganen dieser Tochtergesellschaften bleibt gemäß Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL nationales Mitbestimmungsrecht anwendbar. Die SE-RL erfasst somit nicht die bestehenden Rechte auf Beteiligung in den Unternehmensorganen der Tochtergesellschaften der umzuwandelnden Gesellschaft, sodass sie nicht den „Beteiligungsrechten“ i. S. d. Art. 11 SE-RL unterfallen. e) Ergebnis zum Begriff der „Beteiligungsrechte“ bei SE-Primärgründung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL je nach Wahl einer der vier primären Gründungswege unterschiedliche Beteiligungsrechte umfasst. Bei der SE-Gründung durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) sind die Beteiligungsrechte der bei den unmittelbar an der SE-Gründung „beteiligten Gesellschaften“ (Art. 2 lit. b SE-RL) beschäftigten Arbeitnehmer, die künftig zu Arbeitnehmern der SE werden, vom Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL erfasst.258 Hingegen unterfallen Beteiligungsrechte in den Organen von Toch258 Vgl.
oben unter § 3 C. I. 3. a) aa).
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tergesellschaften der SE-Gründungsgesellschaften wegen Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL nicht dem Regelungsbereich der SE-RL, sondern unterliegen weiterhin den auf sie anwendbaren nationalen Bestimmungen. Auf deren Grundlage eingeräumte Beteiligungsrechte sind somit nicht vom Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL erfasst.259 Unmittelbar an der Gründung einer Holding-SE (Art. 2 Abs. 2 SE-VO) „beteiligte Gesellschaften“ werden zu Tochtergesellschaften der HoldingSE. Tochtergesellschaften der „beteiligten Gesellschaften“ werden mit Gründung der Holding-SE zu deren Enkelgesellschaften. Sämtliche Tochterund Enkelgesellschaften der Holding-SE behalten ihre nationale Rechtsform. Die bestehenden Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern in den Unternehmensorganen dieser Gesellschaften richten sich weiterhin allein nach nationalem Recht. Das folgt für die künftigen Tochtergesellschaften der HoldingSE unmittelbar aus Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL und gilt erst recht für künftige Enkelgesellschaften der SE. Daher unterfallen die Rechte auf Beteiligung in Organen von Tochter- und Enkelgesellschaften nicht dem Begriff der „Beteiligungsrechte“ des Art. 11 SE-RL.260 Die Beteiligungsrechte in den Organen der an der Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) „beteiligten Gesellschaften“ bleiben unverändert. Mithin unterfallen diese Beteiligungsrechte nicht dem Begriff der „Beteiligungsrechte“ des Art. 11 SE-RL.261 Der Schutz von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnisse auf die neu gegründete Tochter-SE übergehen, ist keine Frage des Anwendungsbereichs des Begriffs der „Beteiligungsrechte“ des Art. 11 SE-RL bei Gründung der Tochter-SE, sondern bei gegründeter Tochter-SE.262 Bei Umwandlung einer Aktiengesellschaft nationalen Rechts in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) sind die bestehenden Rechte der Arbeitnehmer der umzuwandelnden Gesellschaft auf Beteiligung in deren Unternehmensorgan „Beteiligungsrechte“ i. S. d. Art. 11 SE-RL.263 Im Hinblick auf Beteiligungsrechte in den Gesellschaftsorganen von Tochtergesellschaften der umzuwandelnden Gesellschaft, die zu SE-Tochtergesellschaften werden („betroffene Tochtergesellschaften“, Art. 2 lit. k) SE-RL), bleibt gemäß Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL nationales Mitbestimmungsrecht anwendbar, sodass diese Rechte vom Begriff der „Beteiligungsrechte“ i. S. v. Art. 11 SE-RL nicht erfasst sind.264 259 Vgl.
oben unter § 3 C. I. 3. a) bb). oben unter § 3 C. I. 3. b). 261 Vgl. oben unter § 3 C. I. 3. c) aa). 262 Dazu noch unter § 3 C. I. 4. b). 263 Vgl. oben unter § 3 C. I. 3. d) aa). 264 Vgl. oben unter § 3 C. I. 3. d) bb). 260 Vgl.
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4. Beteiligungsrechte nach Primärgründung einer SE Hinsichtlich der Reichweite des Begriffs der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL kann im Nachgründungsstadium zwischen verschiedenen Gruppen von Beteiligungsrechten differenziert werden: Das sind namentlich erstens die Beteiligungsrechte von in der gegründeten SE verbleibenden Arbeitnehmern [dazu sogleich unter a)], zweitens die Beteiligungsrechte von in der gegründeten SE künftig einzustellenden Arbeitnehmern [b)] und drittens die Beteiligungsrechte von aus der SE ausscheidenden Arbeitnehmern [c)]. a) Beteiligungsrechte von in der gegründeten SE verbleibenden Arbeitnehmern Die SE-RL bezweckt in erster Linie den Schutz von Beteiligungsrechten bei Gründung einer SE.265 Das folgt aus dem insbesondere266 für die Neugründung von SE-Gesellschaften geltenden „Vorher-Nachher-Prinzip“267 (ErwG 18 S. 2 SE-RL). Allerdings unterfallen die den Arbeitnehmern der SE im Rahmen der Gründung eingeräumten Beteiligungsrechte auch nach Gründung der SE dem Begriff der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL.268 Zwar ist der Schutz durch Art. 11 SE-RL bei der SE-Primärgründung zeitlich insoweit begrenzt, als lediglich vor der SE-Gründung bereits bestehende und bei SE-Gründung zu erwerbende Beteiligungsrechte geschützt sind.269 Ist die SE jedoch erst einmal gegründet, besteht für die den Arbeitnehmern bei der Gründung eingeräumten Beteiligungsrechte auch im Nachgründungsstadium Bestandschutz durch Art. 11 SE-RL. Hierfür spricht ErwG 18 S. 3 SE-RL, wonach das Vorher-Nachher-Prinzip nicht nur für die Neugründung einer SE, sondern auch für strukturelle Veränderungen270 einer bereits gegründeten SE gelten sollte. Die im Zeitpunkt der SE-Gründung existenten Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE sind daher auch in265 Strenger Sagan EBLR 2010, 15, 31, wonach die SE-RL ausschließlich mit der Neugründung einer SE befasst sei. 266 Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus ErwG 18 S. 3 SE-RL, wonach der Ansatz des „Vorher-Nachher-Prinzips“ (ErwG 18 S. 2 SE-RL) „folgerichtig nicht nur für die Neugründung einer SE, sondern auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ gelten sollte. 267 ErwG 18 S. 2 SE-RL. 268 Wie hier i. E. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 873, wonach das Missbrauchsverbot des Art. 11 SE-RL auch „Maßnahmen nach einer SE-Gründung“ erfasst. 269 Dazu bereits oben unter § 3 C. I. 2. 270 Zum Verhältnis von „Missbrauch der SE“ (Art. 11 SE-RL) und „strukturellen Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ (ErwG 18 S. 3 SE-RL) noch unter § 3 C. III. 2. d) ee) (2).
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nerhalb der bereits gegründeten SE gegen einen „Missbrauch“ der SE geschützt.271 b) Beteiligungsrechte von nach der SE-Gründung einzustellenden Arbeitnehmern Bei einer bereits gegründeten SE stellt sich die Frage, ob auch die Beteiligungsrechte von erst nach der Gründung bei der SE eingestellten Arbeitnehmern unter den Begriff der „Beteiligungsrechte“ i. S. v. Art. 11 SERL fallen. Zwar folgt aus ErwG 18 S. 1 SE-RL, dass die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel der SE-RL ist. Diese Zielsetzung differenziert nicht nach dem Zeitpunkt des Eintritts von Arbeitnehmern in die SE. Allerdings ergibt sich aus ErwG 18 S. 2 SE-RL, dass der Anknüpfungspunkt für die Sicherung von Beteiligungsrechten durch die SE-RL in der Neugründung einer SE liegt. Daneben soll das „Vorher-Nachher-Prinzip“ gemäß ErwG 18 S. 3 SE-RL „nicht nur für die Neugründung einer SE, sondern auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE und für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften gelten“.272 Demnach liegt in der „strukturellen Veränderung“ einer bereits gegründeten SE ein zweiter Anknüpfungspunkt – neben der Neugründung einer SE – für die Geltung des „Vorher-Nachher-Prinzips“. Daraus folgt, dass das „Vorher-Nachher-Prinzip“ außerhalb dieser beiden Fälle – Neugründung und „strukturelle Veränderung“ – nicht anzuwenden ist. Daher werden bereits erworbene Beteiligungsrechte durch das „Vorher-Nachher-Prinzip“ nur bei Neugründung einer SE oder im Zuge einer „strukturellen Veränderung“ der gegründeten SE berücksichtigt. Erfolgt die Neueinstellung von Arbeitnehmern nicht in Zusammenhang mit der Neugründung oder einer „strukturellen Verände271 I. E. für „strukturelle Änderungen“ auch Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 17: „Die effiziente Umsetzung des fundamentalen Bestandsschutzzieles der Richtlinie erfordert es, den Missbrauch der Rechtsform der SE sowohl im Gründungsstadium als auch für den Zeitraum danach zu unterbinden. Alles andere wäre gleichsam eine ‚Einladung‘ dazu, den im Rahmen des Gründungsverfahrens gewährleisteten Bestandsschutz durch strukturelle Änderungen nach der Gründung zu umgehen.“; ferner Niklas NZA 2004, 1200, 1205; Blanke Vorrats-SE, S. 70; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 7. 272 Vgl. für § 18 Abs. 3 SEBG auch Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 14, wonach der Normzweck des § 18 Abs. 3 SEBG vor allem darin besteht, eine Minderung der Rechte von neu hinzutretenden Arbeitnehmern nach einer strukturellen Änderung zu verhindern; vgl. ebenfalls für § 18 Abs. 3 SEBG Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756: „Geschützt ist […] die Mitbestimmung der Mitarbeiter der aufzunehmenden Gesellschaft.“.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL111
rung“ der SE, bleiben die ihnen zuvor in anderen Unternehmen als der SE gewährten Beteiligungsrechte unberücksichtigt und unterfallen nicht dem Schutz des Art. 11 SE-RL. Vielmehr gilt für die hinzukommenden Arbeitnehmer die im Rahmen der Neugründung oder einer „strukturellen Veränderung“ der SE festgelegte Gestaltung der Beteiligungsrechte. Diese ist maßgebend für alle – insbesondere auch nach der SE-Gründung eingestellte – Arbeitnehmer der SE. c) Beteiligungsrechte von aus der SE ausscheidenden Arbeitnehmern Fraglich ist, ob Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, welche eine gegründete SE verlassen, unter den Begriff der „Beteiligungsrechte“ i. S. d. Art. 11 SE-RL fallen. Die SE-RL sichert bestehende Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer als Kollektiv, ohne jedoch dem individuellen Arbeitnehmer konkrete Beteiligungsrechte einzuräumen. Maßgebend für den Bestand an Beteiligungsrechten in der SE sind die bei einer Neugründung oder nach einer „strukturellen Veränderung“ der SE kraft Vereinbarung oder kraft gesetzlicher Auffangregelung festgelegten Beteiligungsrechte. Mit der Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern enden wegen der fehlenden Arbeitnehmereigenschaft auch deren Beteiligungsrechte in der SE. Gleiches gilt, wenn das Arbeitsverhältnis zur SE beendet wird und – etwa infolge eines Betriebsübergangs – auf ein anderes, selbst nicht mitbestimmtes (Konzern-)Unternehmen in anderer Rechtsform übergeht.273 Die SE-RL bezweckt nicht die Sicherung von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern, welche aus der SE ausscheiden.274 Nach ErwG 18 S. 1, 2 SE-RL zielt die SE-RL auf die Sicherung erworbener Beteiligungsrechte in der SE mittels des „VorherNachher-Prinzips“. Ferner erstreckt ErwG 18 S. 3 SE-RL das „VorherNachher-Prinzip“ auf „strukturelle Veränderungen“ der SE.275 Schutz gegen eine Renationalisierung der SE in eine nationale Aktiengesellschaft bietet im Übrigen Art. 66 Abs. 2 SE-VO, wonach eine SE nicht innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Gründung in eine dem Recht ihres Sitzstaats unterliegende Aktiengesellschaft umgewandelt werden darf. Im Ergebnis fallen Beteiligungsrechte von aus der gegründeten SE außerhalb von strukturellen Veränderungen (ErwG 18 S. 3 SE-RL) der SE aus273 Vgl. zur Veräußerung von Betrieben / Betriebsteilen der SE im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB noch unter § 9 A. II. 2. 274 Für § 18 Abs. 3 SEBG ausdrücklich Schmid Diss. 2010, S. 149; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 18 SEBG Rn 10. 275 Zur Abgrenzung von Art. 11 und ErwG 18 S. 3 SE-RL noch unter § 3 C. III. 2. d) ee) (2).
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scheidenden Arbeitnehmern grundsätzlich nicht unter den Begriff der „Beteiligungsrechte“ i. S. v. Art. 11 SE-RL.276 5. Beteiligungsrechte bei der SE-Sekundärgründung Neben den Varianten der SE-Primärgründung in Art. 2 Abs. 1 bis 4 SEVO erlaubt Art. 3 Abs. 2 SE-VO einer bereits bestehenden SE, selbst eine Tochtergesellschaft in Form einer SE zu gründen. Bei einer solchen sekundären Gründung einer SE-Tochtergesellschaft277 können Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, die aus einer mitbestimmten Mutter-SE oder einer anderen mitbestimmten Tochtergesellschaft der Mutter-SE278 und künftig – etwa aufgrund eines Betriebsübergangs – bei der SE-Tochtergesellschaft angestellt werden, betroffen sein. Inwieweit eine nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO zu gründende SE-Tochtergesellschaft den Regelungen der SE-RL unterliegt, ist streitig.279 Unstreitig enthält die SE-RL – wie im Übrigen auch das SEBG280 – keine auf die Besonderheiten der Sekundärgründung einer SE-Tochtergesellschaft zugeschnittenen Regelungen. Daraus werden jedoch unterschiedliche Schlüsse gezogen: Einerseits wird gefolgert, das Verhandlungsverfahren nach Art. 3 ff. SE-RL beziehe sich ausschließlich auf die Primärgründung, sodass es vor Eintragung einer SE-Tochter nicht durchzuführen sei.281 Andererseits wird das Fehlen spezieller Regelungen für die Sekundärgründung von SE-Tochtergesellschaften in der SE-RL dahingehend gedeutet, dass die SE-RL gerade nicht auf die SE-Primärgründung beschränkt sei.282 Daher sei das Verhand276 Zum Ausnahmefall, dass Arbeitnehmer aus einer primär gegründeten SE in eine sekundär gegründete Tochter-SE wechseln, sogleich unter § 3 C. I. 5. 277 Zum Begriff der Sekundärgründung einer „SE-Tochter“ durch eine bereits bestehende (Mutter-)SE (Art. 3 Abs. 2 SE-VO) in Abgrenzung zur Primärgründung einer gemeinsamen Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) vgl. Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 11. 278 Vgl. Oetker in FS Kreutz 2010, S. 797, 805. 279 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 11; Scheibe Diss. 2007, S. 165. 280 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 306; Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 11; Oetker in FS Kreutz 2010, S. 797, 811. 281 Ausdrücklich Veelken in GS Blomeyer 2004, S. 491, 513; Jacobs in: MüKoAktG Vor § 1 SEBG Rn 11; zustimmend Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler § 34 SEBG Rn 21; Seibt ZIP 2005, 2248, 2249; Hoops Diss. 2009, S. 53 ff.; Feuerborn in: KK-AktG Vor § 1 SEBG Rn 5; Forst Diss. 2010, S. 183 ff.; Forst Der Konzern 2010, 151, 158 f. 282 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 1 SEBG Rn 8; Scheibe Diss. 2007, S. 166; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 109 f.; Oetker in FS Kreutz 2010, S. 797, 808.
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lungsverfahren nach Art. 4 ff. SE-RL auch vor Eintragung der SE-Tochtergesellschaft (Art. 12 Abs. 2 SE-VO) direkt oder analog zur Gründungsvariante der gemeinsamen Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) zu durchlaufen283 oder es sei eine bei der Mutter-SE kraft Vereinbarung oder kraft Gesetzes bestehende Beteiligung auf die SE-Tochter zu übertragen.284 Zuzugeben ist, dass nach dem Wortlaut der deutschsprachigen Fassung des Art. 1 Abs. 2 SE-RL „in jeder SE gemäß dem Verhandlungsverfahren nach den Artikeln 3 bis 6 oder unter den in Artikel 7 genannten Umständen gemäß dem Anhang eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer getroffen“ wird. Nach dem Wortlaut („in jeder SE“) könnte die Gründung einer Tochter-SE von Art. 1 Abs. 2 SE-RL erfasst sein. Indes ist die deutschsprachige Fassung des Art. 1 Abs. 2 SE-RL insoweit ohnehin missverständlich, als sie stets – auch unter den Umständen des Art. 7 SE-RL – eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer zu erfordern scheint. Die „Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer“ in Art. 1 Abs. 2 SE-RL ist jedoch keineswegs identisch mit der „Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer“ in Art. 4 Abs. 1 SERL, wie sich sowohl aus Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) SE-RL als auch aus einem Vergleich mit anderen Sprachfassungen von Art. 1 Abs. 2 SE-RL ergibt. Nach Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 SE-RL ist die Auffangregelung ab dem Zeitpunkt der Eintragung der SE nicht nur anzuwenden, wenn die Parteien dies vereinbaren (Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. a) SE-RL), sondern auch unter den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) SERL, der insoweit gerade keine zweiseitige Vereinbarung voraussetzt. Das entspricht dem in ErwG 8 SE-RL zum Ausdruck kommenden Zweck der gesetzlichen Auffanglösung, die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer „in Ermangelung einer derartigen Vereinbarung […] durch die Anwendung einer Reihe von subsidiären Regeln“ festzulegen. Daher ist in der englischsprachigen285 Fassung des Art. 1 Abs. 2 SE-RL in Abgrenzung zur Beteiligungsvereinbarung in Art. 4 Abs 1 SE-RL („agreement on arrangements for the involvement of the employees within the SE“) auch lediglich die Rede von „arrangements for the involvement of employees“. Ebenso spricht auch die französische286 Fassung anders als bei der in Art. 4 Abs. 1 283 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 245; Oetker in FS Kreutz 2010, S. 797, 811. 284 Grobys NZA 2005, 84, 91; Güntzel Diss. 2006, S. 299. 285 Die vollständige englischsprachige Fassung des Art. 1 Abs. 2 SE-RL lautet: „To this end, arrangements for the involvement of employees shall be established in every SE in accordance with the negotiating procedure referred to in Articles 3 to 6 or, under the circumstances specified in Article 7, in accordance with the Annex.“. 286 Die vollständige französische Fassung des Art. 1 Abs. 2 SE-RL lautet: „À cet effet, des modalités relatives à l’implication des travailleurs sont arrêtées dans
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
SE-RL bezeichneten Beteiligungsvereinbarung („accord sur les modalités relatives à l’implication des travailleurs au sein de la SE“) in Art. 1 Abs. 2 SE-RL nur von „modalités relatives à l’implication des travailleurs“. Demnach ist entgegen dem missverständlichen deutschsprachigen Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 SE-RL nicht in jeder SE – auch nicht bei Gründung einer SE-Tochter i. S. v. Art. 3 Abs. 2 SE-VO – eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer zu treffen. Stattdessen ist Art. 1 Abs. 2 SE-RL auch nach dem Vergleich mit anderen Sprachfassungen dahingehend zu deuten, dass die Regelungen in Art. 3 bis 6 sowie in Art. 7 SE-RL grundsätzlich für jede SE gelten. Zwar bezieht sich der Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 SE-RL („zu diesem Zweck“, „to this end“, „à cet effet“) auf Art. 1 Abs. 1 SE-RL. Danach ist Regelungsgegenstand der SE-RL die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE, die Gegenstand der SE-VO ist. Ausweislich Art. 1 Abs. 1 SE-VO können SE-Gesellschaften „unter den Voraussetzungen und in der Weise gegründet werden, die in dieser Verordnung vorgesehen sind“, worunter dem Wortlaut nach auch die Gründung einer Tochtergesellschaft in der Form einer SE nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO fällt. Indes zeigen die englische und die französische Fassung des Art. 1 Abs. 2 SE-RL, dass der Zweck des Art. 1 Abs. 1 SE-RL, die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE zu regeln, nur insoweit mit der SE-RL verfolgt wird, als diese Regelungen für das Verhandlungsverfahren und die Beteiligung kraft Vereinbarung in Art. 3 bis 6 SE-RL sowie für die Beteiligung kraft Gesetzes in Art. 7 SE-RL vorsieht. Die vorgenannten Vorschriften sind jedoch auf die Gründung einer SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO weder direkt noch analog anwendbar. Eine direkte Anwendung der Art. 3 bis 7 in „Teil II – Verhandlungsverfahren“ der SE-RL auf die Gründung einer SETochter (Art. 3 Abs. 2 SE-VO) scheidet aus, da Art. 3 Abs. 1 SE-RL ausschließlich an die primären Gründungsvarianten in Art. 2 Abs. 1 bis 4 SEVO anknüpft.287 Zwar ist die „Gründung einer Tochtergesellschaft“ in Art. 3 Abs. 1 SE-RL erwähnt. Indes bezieht sich diese Passage auf die „Vereinbarung eines Plans zur Gründung einer Tochtergesellschaft“ der Leitungs- oder Verwaltungsorgane der beteiligten Gesellschaften, die die Gründung einer gemeinsamen288 Tochter-SE i. S. v. Art. 2 Abs. 3 SE-VO planen. Die Gründung einer Tochter-SE als „Einmanngründung“289 durch eine bereits bestehende SE nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO lässt sich nicht darunter subsumieren. chaque SE conformément à la procédure de négotiation visée aux articles 3 à 6 ou, dans les circonstances prévues à l’article 7, conformément à l’annexe.“. 287 So auch Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 11a. 288 ErwG 10 SE-VO. 289 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 11a m. w. N.
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Eine „Vereinbarung“ i. S. v. Art. 3 Abs. 1 SE-RL kann nur zwischen Organen verschiedener „beteiligter Gesellschaften“ zustandekommen, während bei Art. 3 Abs. 2 SE-VO lediglich die Mutter-SE die Gründung der SE-Tochter betreibt. Auch eine analoge Anwendung der Art. 4 ff. SE-VO bei Gründung einer SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO scheidet aus. Einer Analogie zu Art. 4 ff. SE-RL steht Art. 2 lit. f) SE-RL entgegen, wonach der SE-BR eingesetzt wird, um die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe vorzunehmen, und um gegebenenfalls Mitbestimmungsrechte in Bezug auf die SE wahrzunehmen. Daraus folgt, dass ein bei der Mutter-SE bestehendes Vertretungsorgan wie der SE-BR dafür Sorge trägt, dass die Arbeitnehmer der Tochter-SE an der Arbeitnehmerbeteiligung in der Mutter-SE genauso teilhaben wie die Arbeitnehmer der Mutter-SE.290 Das gilt sowohl für die grenzüberschreitende291 Unterrichtung und Anhörung als auch für die Mitbestimmung im Unternehmensorgan der Mutter-SE. Der SE-BR bei der Mutter-SE ist somit für sämtliche Tochtergesellschaften der Mutter-SE ohne Rücksicht auf deren jeweilige Rechtsform zuständig. Wäre zusätzlich zu dem bei der Mutter-SE bereits bestehenden SE-BR ein weiterer SE-BR bei einer SETochtergesellschaft einzurichten, wäre Letzterer wegen der Zuständigkeit des Mutter-SE-BR auch für Angelegenheiten der Tochtergesellschaften (Art. 2 lit. k) SE-RL)292 unzuständig293 und damit obsolet. Im Übrigen könnten nicht mehrere SE-BR nebeneinander existieren, da ein SE-BR nach Art. 13 Abs. 1 SE-RL einen Europäischen Betriebsrat nach der EBRRL ersetzt, der innerhalb einer unionsweit operierenden Unternehmensgruppe ebenfalls einmalig ist. Im Ergebnis sind damit die Vorschriften nach „Teil II – Verhandlungsverfahren“ der Richtlinie (Art. 3–7 SE-RL) weder direkt noch analog auf die sekundäre Gründung einer SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO anzuwenden. Daraus folgt im Übrigen, dass die Eintragungsvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO hinsichtlich der Eintragung einer SE-Tochter nicht anwendbar sind, da die dort genannten Alternativen in Bezug auf die Arbeitnehmerbeteiligung in einer SE-Tochter nicht greifen. 290 Vgl. auch Veelken in GS Blomeyer 2004, S. 491, 513; Forst Der Konzern 2010, 151, 159. 291 Betriebliche Beteiligungsrechte in nationalen Angelegenheiten – etwa aufgrund BetrVG oder SprAuG – bleiben unberührt, vgl. Grobys NZA 2005, 84, 91. 292 Vgl. auch die Umsetzung in § 27 SEBG. 293 Vgl. auch Forst Der Konzern 2010, 151, 159 („Zuständigkeitskonflikte vorprogrammiert“); i. E., aber mit anderer Begründung, ebenfalls einen zweiten SE-BR ablehnend: Grobys NZA 2005, 84, 91.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Demgegenüber sind Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern gegen einen Missbrauch nach Art. 11 SE-RL auch bei Einsatz einer SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO geschützt. Da Art. 11 SE-RL in „Teil III – Schlussbestimmungen“ der Richtlinie geregelt ist, stehen die soeben aufgezeigten systematischen Einschränkungen des Art. 1 Abs. 2 SE-RL, der nur auf Vorschriften in „Teil II – Verhandlungsverfahren“ verweist, einer Einbeziehung der Beteiligungsrechte in den Schutzbereich des Art. 11 SE-RL nicht entgegen. In den Schutzbereich des Art. 11 SE-RL294 fallen Beteiligungsrechte etwa bei der folgenden mehrschrittigen Gestaltung295: Im ersten Schritt wird eine mitbestimmte SE durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) oder gar Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) unter Wahrung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer in den beteiligten Gründungsgesellschaften gegründet, um dann im zweiten Schritt eine mitbestimmungsfreie SE-Tochter zu gründen (Art. 3 Abs. 2 SE-VO) und sodann im dritten Schritt Arbeitnehmer der Mutter-SE – etwa im Wege eines Betriebsübergangs – in der Tochter-SE zu beschäftigen. In diesem Fall296 könnte die Mutter-SE ihre Befugnis, eine mitbestimmungsfreie SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO zu gründen, zu Lasten der Beteiligungsrechte der ehemals bei den an der SE-Muttergründung beteiligten Gesellschaften beschäftigten Arbeitnehmer missbrauchen. Gegen einen Missbrauch nach Art. 11 SE-RL sind daher im Zusammenhang mit der sekundären Gründung einer SE nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO solche Beteiligungsrechte, die Arbeitnehmer von an der Gründung der Mutter-SE beteiligten Gesellschaften in diese „eingebracht“ haben, geschützt.297 II. Tatbestandlicher Erfolg: Entziehen oder Vorenthalten Die Missbrauchsklausel des Art. 11 SE-RL setzt einen tatbestandlichen „Erfolg“ in Form eines „Entziehens“ oder „Vorenthaltens“ von Beteiligungsrechten voraus.
294 Für § 43 SEBG auch Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 11b, § 18 SEBG Rn 17 („ungeachtet eines möglichen Rechtsmissbrauchs im Einzelfall“); Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler § 34 Rn 21. 295 Vgl. die zutreffende Problembeschreibung bei Oetker in FS Kreutz 2010, S. 797, 809, wonach „die Gründung einer Tochter-SE als Vehikel in Anspruch genommen werden [könnte], um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer faktisch abzustreifen, indem die primäre Errichtung einer SE lediglich ein Durchgangsstadium zur mitbestimmungsfreien Gesellschaft wird […].“; vgl. auch Forst Der Konzern 2010, 151, 159. 296 Zu dieser Fallkonstellation noch unter § 9 A. II. 2. c). 297 Zu den Rechtsfolgen eines solchen Missbrauchs noch unter § 9 A. II. 2. c).
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1. Entziehen, Art. 11 Var. 1 SE-RL Zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Entziehen“ von Beteiligungsrechten wird Art. 11 Var. 1 SE-RL nun anhand von Wortlaut [sogleich unter a)], Historie [b)], Systematik [c)] sowie Telos [d)] ausgelegt. a) Wortlaut des Begriffs „Entziehen“ „Entziehen“ bezeichnet dem Wortlaut nach „nicht länger geben oder zuteil werden lassen; jemandem wegnehmen; nicht länger zur Nutzung überlassen; von etwas fern halten“298. Die in der englischsprachigen Fassung des Art. 11 SE-RL299 gebrauchte Wendung „to deprive somebody of a right“ heißt übersetzt „jemandem ein Recht entziehen, aberkennen“300. Die in der französischsprachigen Fassung des Art. 11 SE-RL301 verwendete Formulierung „priver quelqu’un de ses droits“ wird entsprechend als „jemandem ein Recht entziehen oder aberkennen“302 übersetzt. Der final303 formulierte Wortlaut („eine SE dazu missbraucht wird“304) des Art. 11 SE-RL setzt ein missbräuchliches Verhalten voraus, welches kausal305 für ein Entziehen von Beteiligungsrechten306 der Arbeitnehmer ist. Daher ist das „Entziehen“ i. S. v. Art. 11 SE-RL als tatbestandsmäßiger „Erfolg“ zu qualifizieren.307 298 Duden,
Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 1055. SE-RL lautet in der englischsprachigen Fassung: „Member States shall take appropriate measures in conformity with Community law with a view to preventing the misuse of an SE for the purpose of depriving employees of rights to employee involvement or withholding such rights.“. 300 Fachwörterbuch Kompakt Recht Englisch, S. 264. 301 Art. 11 SE-RL lautet in der französischsprachigen Fassung: „Les États membres prennent les mesures appropriées, dans le respect du droit communautaire, pour éviter l’utilisation abusive d’une SE aux fins de priver les travailleurs de droits en matière d’implication des travailleurs ou refuser ces droits.“. 302 Vgl. die Übersetzung von „privation“ in: Fleck Dictionnaire de droit, S. 171. 303 Vgl. Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 197 („[…] vom Gesetz verlangte Finalität […].“); für § 43 SEBG ferner Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 7. 304 Hervorhebung durch Verf. 305 Zum Erfordernis der Kausalität zwischen missbräuchlichem Verhalten und tatbestandlichem Erfolg noch unter § 3 C. III. 3. b) aa) (3). 306 Zur Konkretisierung des Begriffs der „Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer“ vlgl. bereits oben unter § 3 C. I. 307 Vgl. für § 43 SEBG auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 6, wonach „als Folge“ der SE-Gründung oder einer strukturellen Änderung unter Beteiligung einer SE Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer entzogen oder vorenthalten werden müssen; in diese Richtung auch, aber sehr vage Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2, wonach die Beteiligungs299 Art. 11
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Der Begriff des „Entziehens“ lässt offen, in welchem Umfang Beteiligungsrechte entzogen werden müssen. Der Wortlaut spricht dafür, dass ein Entziehen nicht erst bei einer vollständigen Beseitigung von Beteiligungsrechten vorliegt, sondern ein „Entziehen“ bereits bei einer Einschränkung durch einen teilweisen308 Verlust an Beteiligungsrechten gegeben sein kann. Für diese Auslegung spricht auch der in ErwG 3 SE-RL zum Ausdruck kommende Zweck, dass die Gründung einer SE „nicht zur Beseitigung oder Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung“309 führen soll. b) Historischer Vergleich mit ursprünglichem Begriff der „Wegnahme“ Die historische Auslegung ergibt, dass die ursprüngliche Fassung der Missbrauchsklausel in Art. 10 lit. a) des österreichischen SE-RL-Entwurfs310 statt des in Art. 11 SE-RL nunmehr verwendeten Tatbestandsmerkmals „Entziehen“ den Begriff des „Wegnehmens“ von Beteiligungsrechten vorsah. Dem Wortlaut nach bedeutet „wegnehmen“ etwas „fortnehmen“ oder „bewirken, dass etwas nicht mehr vorhanden, verfügbar ist“.311 Der Grund für die Anpassung des Wortlauts in Art. 11 SE-RL könnte darin zu sehen sein, dass sich eine „Wegnahme“ auf gegenständliche Sachen bezieht,312 während mit dem Wort „Entzug“ ein Verlust von Rechtspositionen313 – hier in Form von Beteirechte „von der Maßnahme nachteilig betroffen sein“ müssten, damit überhaupt ein Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vorliegen könne. 308 Von der deutschen Umsetzungsnorm, § 43 SEBG, sieht auch Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6 sowohl ein teilweises als auch ein vollständiges Entziehen erfasst; ihm folgend Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 3; der Sache nach für Art. 11 SE-RL auch bereits Rehberg ZGR 2005, 859, 873, wonach ein Entziehen vorliege, wenn den Arbeitnehmern „weniger Beteiligung“ im Vergleich zu einer früheren Situation eröffnet werde; offenlassend in Bezug auf § 43 SEBG Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 309 ErwG 3 SE-RL (Hervorhebung durch Verf.). 310 Dazu bereits oben unter § 3 B. I. 3. b) bb). 311 Vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 4451. 312 Vgl. den auf Sachen bezogenen Begriff der „Wegnahme“ im deutschen Zivilrecht (z. B. Selbsthilfe nach § 229 BGB, Wegnahmerecht nach § 258 BGB, Aufwendungsersatz nach § 459 BGB, Wegnahmerecht des Mieters nach § 539 BGB, Wegnahmerecht des Pächters von Einrichtungen nach § 591a BGB, Wegnahmerecht des Besitzers nach § 997 BGB, Wegnahmerecht des Vorerben von Einrichtungen nach § 2125 BGB) sowie im deutschen Strafrecht (Diebstahl nach § 242 StGB, Raub nach § 249 StGB). 313 Vgl. den auf Rechtspositionen bezogenen Begriff der „Entziehung“ im deutschen Zivilrecht (z. B. Entziehung der Rechtsfähigkeit nach § 43 BGB, Entzug des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache nach § 536 Abs. 3 BGB, Entziehung der Geschäftsführung nach § 712 BGB, Entziehung der Vertretungsmacht des Gesell-
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ligungsrechten – hervorgehoben wird. Abgesehen davon ist der Änderung des Wortlauts im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens kein weitergehender Anhaltspunkt für die Auslegung des Merkmals „Entziehen“ zu entnehmen. c) Systematischer Vergleich mit der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ Im Rahmen der systematischen Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Entziehens“ von Beteiligungsrechten i. S. v. Art. 11 Var. 1 SE-RL ist der in Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL definierte Begriff der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ vergleichend heranzuziehen. Für den Fall, dass die Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung zwischen den Unternehmensleitungen und dem bVG eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ zur Folge haben, sieht Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 SE-RL besondere Anforderungen an die Fassung des bVG-Beschlusses über eine entsprechende Beteiligungsvereinbarung vor. Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL definiert eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ wie folgt: „Minderung der Mitbestimmungsrechte bedeutet, dass der Anteil der Mitglieder der Organe der SE i. S. d. Artikels 2 Buchstabe k geringer ist als der höchste in den beteiligten Gesellschaften geltende Anteil.“
Zu vergleichen sind die Begriffe „Minderung“ und „Entziehen“. „Mindern“ heißt „geringer werden, erscheinen lassen; vermindern, verringern“314 – hier eines bestimmten Bestands an Mitbestimmungsrechten gegenüber einem vorherigen Zustand. In diesem Sinne umfasst eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL das zumindest teilweise Absenken des Arbeitnehmervertreteranteils im Unternehmensorgan der SE im Vergleich315 zum höchsten unter den Gründungsgesellschaften bestehenden Niveau. Eine Verringerung im vorstehenden Sinne lässt Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 SE-RL unter den dortigen Voraussetzungen – qualifizierte316 Mehrheit und Erreichen des Schwellenwerts317 – ausdrücklich zu. Da bei Einhaltung der in Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 SE-RL aufgestellten Bedingungen eine quantitative Absenkung von Mitbestimmungsschafters nach § 715 BGB, Entziehung des Besitzes nach § 858 BGB, Entziehung des Sorgerechts nach § 1680 BGB, Entziehung der Vertretungsmacht des Vormunds nach § 1796 BGB). 314 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 2592. 315 Vgl. zum „Vorher-Nachher-Vergleich“ als Maßstab für die Eignung zur „Minderung“ von Beteiligungsrechten im Sinne von § 18 Abs. 3 SEBG Jacobs in: MüKoAktG § 18 SEBG Rn 14; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 358; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 32. 316 Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 6. 317 Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 S. 3 a. E. Spiegelstrich 1, 2 SE-RL.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
rechten in den Unternehmensorganen der SE gerade zulässig ist, kann sich ein „Entziehen“ nicht in einer zulässigen „Minderung“ erschöpfen.318 In der Literatur wird daher gefordert, dass im Vergleich zur „Minderung“ für ein „Entziehen“ ein „gewisser Schweregrad“319 überschritten werden müsse. Nach anderer Auffassung sei dem Gesetz nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, ob die Wendung „vorenthalten oder entziehen“ weiter reiche als der Begriff der „Minderung“.320 Eine Gegenüberstellung der Wortlaute zeigt indes, dass ein „Entziehen“ einen schwerwiegenderen Eingriff in Rechte der Arbeitnehmer voraussetzt als eine bloße „Minderung“.321 Jedenfalls zeigt der Vergleich, dass das bVG unter den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 SE-RL über eine „Minderung“ disponieren kann und bei Zustimmung des bVG ein freiwilliger Verlust eintritt.322 Demgegenüber setzt ein „Entziehen“ einen unfreiwilligen Verlust an Beteiligungsrechten voraus, der einseitig von der Arbeitgeberseite bewirkt wird, ohne dass das bVG darauf Einfluss nehmen könnte. Machen die Parteien einer Beteiligungsvereinbarung von ihrer Vereinbarungsautonomie Gebrauch,323 indem sie eine Verringerung von Beteiligungsrechten beschließen, liegt kein unfreiwillig hervorgerufenes Mitbestimmungsdefizit vor. Ein „Entziehen“ setzt zudem voraus, dass ein Defizit an Beteiligungsrechten vorliegt, das unter keinen Umständen von einer Norm der SE-RL 318 A. A. offenbar Rehberg ZGR 2005, 859, 873, wonach ein „Angriffspunkt“ für einen Entzug „nicht nur der Anteil an Arbeitnehmern im Aufsichts- bzw. Verwaltungsorgan“ sei; ferner Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6, wonach sich ein Entzug oder eine Vorenthaltung „in einem zeitlichen, quantitativen Vergleich herausarbeiten“ lasse und wenn dies nicht gelinge, „die Möglichkeit der qualitativen Bewertung“ bleibe. 319 So Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248, die zudem für ein „Entziehen“ i. S. v. Art. 11 SE-RL ein subjektives Element einfordern. 320 Für § 18 Abs. 3 SEBG: Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200. 321 Ebenso für die deutsche Umsetzungsnorm, § 43 SEBG, Jacobs in: MüKoAktG § 43 SEBG Rn 2; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5; ähnlich Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248, wonach es sich „bei wertender Betrachtung […] beim ‚Mindern‘ um eine abgeschwächte wertneutrale Form des ‚Entziehens‘ oder ‚Vorenthaltens‘ [handelt]“ und für § 43 SEBG „ein gewisser Schweregrad überschritten“ sein müsse, wohl im Gegensatz zu § 15 Abs. 4 SEBG, der Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL umsetzt. 322 In diese Richtung im Kontext der Auslegung des „Missbrauchs“-Begriffs auch Sagan EBLR 2010, 15, 31 („A further important consequence of the requirement of a circumvention of national legislation is that the misuse of an SE can not be established on the basis that the provisions of a voluntary [Hervorhebung durch Verf.] agreement on employee involvement were circumvented.“). 323 Vgl. ErwG 7 letzter Hs.: „[…] es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen.“.
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gedeckt wird, während eine „Minderung“ unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein kann. Hinsichtlich des Rechts auf „Mitbestimmung“ könnte ein derartiges, gegenüber einer „Minderung“ schwerwiegenderes Defizit im Falle einer qualitativen Einschränkung von Mitbestimmungsrechten gegeben sein,324 da Art. 3 Abs. 4 SE-RL lediglich eine quantitative Verschlechterung betrifft.325 Ein qualitatives Defizit an Mitbestimmungsrechten liegt vor, wenn die Mitbestimmungsrechte in der SE in ihrem materiellen Gehalt hinter dem Bestand an Mitbestimmungsrechten in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften zurückbleiben.326 Da im Bereich der „Mitbestimmung“ sowohl für eine „Minderung“ i. S. v. Art. 3. Abs. 3 SE-RL als auch für ein „Entziehen“ i. S. v. Art. 11 Var. 1 SERL die Definition der „Mitbestimmung“ in Art. 2 lit. k) SE-RL maßgeblich ist, ist indes auch ein „Entziehen“ von „Mitbestimmung“ nach einer rein quantitativen Betrachtungsweise zu beurteilen.327 Art. 2 lit. k) SE-RL behandelt die qualitativ unterschiedlich weit reichenden Mitbestimmungsmodelle der Repräsentation328 und der Kooptation329 als gleichwertige Konzepte.330 Ferner bezieht sich das Recht auf „Mitbestimmung“ nach dieser Definition ausschließlich auf die Einflussnahme des SE-BR oder eines vergleichbaren Organs der Arbeitnehmervertretung auf die quantitative Besetzung des SEUnternehmensorgans mit Mitgliedern. Nicht unter den Begriff der „Mitbestimmung“ i. S. v. Art. 2 lit. k) SE-RL fällt der materiell-rechtliche Inhalt der dem Unternehmensorgan konkret zugewiesenen Aufgaben, über welche die Mitglieder des Unternehmensorgans im Beschlusswege entscheiden, etwa 324 Ebenso eine qualitative Absenkung von Mitbestimmungsrechten als Fall des Entzugs von Mitbestimmungsrechten ansehend Rehberg ZGR 2005, 859, 873. Allerdings sieht er daneben auch die quantitative Verringerung des Arbeitnehmeranteils im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE als „möglichen ‚Angriffspunkt‘ “ für ein „Entziehen“ i. S. v. Art. 11 SE-RL; ähnlich Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6. 325 Oetker BB-Special 1 / 2005, 2, 11; für § 15 SEBG Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 16; vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 15 SEBG, S. 50: „Die Richtlinie verzichtet für die Beurteilung, ob eine Minderung von Mitbestimmungsrechten vorliegt, auf einen qualitativen Vergleich, sondern beschränkt sich auf eine rein formale Betrachtungsweise.“. 326 Zu einem denkbaren praktischen Fall eines qualitativen Defizit noch unter § 8 B. IV. 327 I. E. für Art. 11 SE-RL auch Sagan EBLR 2010, 15, 32. 328 Vgl. Art. 2 lit. k) 1. Spiegelstrich SE-RL. 329 Vgl. Art. 2 lit. k) 2. Spiegelstrich SE-RL. 330 Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 786; Oetker BB-Special 1 / 2005, 2, 11; Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 16; a. A. Wißmann in FS Wiedemann 2002, S. 685, 692, wonach das Recht der Wahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat höher einzuschätzen sei als die Beteiligung der Arbeitnehmervertretung am Bestellungsverfahren.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
die Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Leitungsorgans. Die Aufgaben- und Entscheidungsbefugnisse des SE-Unternehmensorgans bestimmen sich nach dem Gesellschaftsrecht der SE, die Bestellung und Abberufung etwa nach Art. 39 Abs. 2 SE-VO.331 Die „Mitbestimmung“ i. S. v. Art. 2 lit. k) SE-RL bezeichnet lediglich das Recht der Einflussnahme auf die Besetzung des Unternehmensorgans, in dem die sich nach dem SEGesellschaftsrecht richtenden Aufgaben anfallen. Während Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 SE-RL lediglich eine Minderung von „Mitbestimmungsrechten“ unter den genannten Voraussetzungen zulässt, bezieht sich der Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL auf den umfassenderen Begriff der „Beteiligungsrechte“, der neben der „Mitbestimmung“ auch die Rechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ umfasst.332 Somit genügt für ein „Entziehen“ i. S. v. Art. 11 SE-RL ein Defizit im Bereich der grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“. Da diese Beteiligungsrechte erst mit der SE-Gründung zu gewährleisten sind, ist ein „Entziehen“ dieser Rechte in der Regel erst nach erfolgter SE-Gründung denkbar. Ausnahmsweise kann ein „Entziehen“ dieser Rechte bereits zuvor gegeben sein, wenn bereits ein EBR bestand und dessen Funktionen nicht durch ein Verfahren zur grenzüberschreitenden Unterrichtung und Anhörung – etwa durch einen SE-Betriebsrat – fortgeführt werden. d) Teleologische Auslegung anhand des „Vorher-Nachher-Prinzips“ Das Tatbestandsmerkmal des „Entziehens“ von Beteiligungsrechten ist in teleologischer Hinsicht im Lichte von ErwG 18 S. 1, 2 SE-RL auszulegen. Danach ist die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel der SE-RL.333 Ferner sollen die vor der SE-Gründung bestehenden Beteiligungsrechte maßgeblicher Ausgangspunkt für die Gestaltung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE sein („Vorher-NachherPrinzip“). Die teleologische Auslegung anhand der vorstehenden Zwecksetzung ergibt, dass sich das Merkmal „Entziehen“ in Art. 11 SE-RL nach dem Bestandschutzprinzip nur auf bereits erworbene Beteiligungsrechte bezieht.334 Der Zweck der SE-RL verlangt daher zur Feststellung eines „Entziehens“ von Beteiligungsrechten einen Vergleich der bereits erworbenen 331 Dazu
noch Fall 7 unter § 8 B. IV. zur Konkretisierung des Begriffs der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SERL bereits oben unter § 3 C. I. 333 ErwG 18 S. 1 SE-RL. 334 Vgl. zum Bestandschutzprinzip bereits oben unter § 3 C. I. 2. 332 Vgl.
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Beteiligungsrechte vor und nach der Maßnahme, die für missbräuchlich gehalten wird („Vorher-Nachher-Prinzip“335).336 Bei dieser Gegenüberstellung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, ob ein Defizit an Beteiligungsrechten vorliegt, welches nicht ausschließlich in einer nach Art. 3 Abs. 4 SE-RL zulässigen „Minderung“ besteht. Normative Gesichtspunkte fließen erst bei der Beurteilung, ob die das „Entziehen“ bewirkende Verhaltensweise einen „Missbrauch der SE“ darstellt, ein.337 e) Ergebnis zur Konkretisierung des Merkmals „Entziehen“ Die Missbrauchsklausel des Art. 11 SE-RL setzt als tatbestandsmäßigen „Erfolg“ ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten voraus. Die Feststellung eines Defizits erfolgt im Einklang mit dem „Vorher-Nachher-Prinzip“ (ErwG 18 S. 2 SE-RL) durch einen Vergleich der vor der missbräuchli chen Maßnahme erworbenen (vgl. ErwG 18 S. 1 SE-RL) und der nach der Maßnahme tatsächlich eingeräumten Beteiligungsrechte. Bei diesem Vergleich zur Feststellung eines „Entziehens“ gilt ein objektiver Maßstab, während der noch zu konkretisierende Begriff des „Missbrauchs einer SE“338 wertungsoffen ist. Eine vollständige Beseitigung von Beteiligungsrechten ist nicht erforderlich. Ausreichend ist ein teilweises Defizit an Beteiligungsrechten.339 Erforderlich ist ein einseitig durch die Arbeitgeberseite bewirkter unfreiwilliger Verlust an Beteiligungsrechten. Dieser muss jedoch aufgrund des systematischen Vergleichs mit Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL über eine unter Umständen zulässige „Minderung“ der Mitbestimmungsrechte hinausgehen. Da im Bereich der „Mitbestimmung“ sowohl für eine „Minderung“ i. S. v. Art. 3. Abs. 3 SE-RL als auch für ein „Entziehen“ i. S. v. Art. 11 Var. 1 SE-RL die Definition der „Mitbestimmung“ in Art. 2 lit. k) SE-RL maßgeblich ist, ist wie die „Minderung“ auch ein „Entziehen“ von Mitbestimmung nach einer rein quantitativen Betrachtungsweise zu beurteilen. Grenzüberschreitende betriebliche Beteili335 ErwG 18
S. 2 SE-RL. i. E. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 873: „Dass Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte entzogen werden, lässt sich nur dort behaupten, wo ihnen weniger Beteiligung eröffnet wird, als ihnen im Vergleich zu einer noch näher zu definierenden, früheren Situation rechtlich zustand.“; ebenso für eine Vergleichsbetrachtung bei der deutschen Umsetzungsnorm, § 43 SEBG, Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6. 337 Zur Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ noch unter § 3 C. III. 338 Dazu unter § 3 C. III. 339 Vgl. oben unter § 3 C. II. 1. a). 336 Vgl.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
gungsrechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ können „entzogen“ werden, sofern entsprechende Rechte etwa bereits über einen EBR gewährt worden sind.340 2. Vorenthalten, Art. 11 Var. 2 SE-RL Die zweite Tatbestandsvariante (Art. 11 Var. 2 SE-RL) setzt als tatbestandsmäßigen „Erfolg“ ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer voraus. Diese Tatbestandsvariante steht, wie sich aus dem Wortlaut („zu entziehen oder vorzuenthalten“341) ergibt, zu Art. 11 Var. 1 SE-RL in einem Alternativitätsverhältnis. Auch das Merkmal des „Vorenthaltens“ bedarf der Auslegung anhand des Wortlauts [sogleich unter a)], der Systematik [b)] sowie des Zwecks [c)] der Norm. Die historische Auslegung verspricht insoweit wie bei Art. 11 Var. 1 SE-RL keine weiterführenden Erkenntnisse.342 a) Wortlaut des Begriffs „Vorenthalten“ Der Wortlaut der deutschsprachigen Fassung des Art. 11 Var. 2 SE-RL („vorenthalten“) könnte nahelegen, dass – über den durch Art. 11 Var. 1 SERL gewährten Schutz vor einem „Entziehen“ erworbener Beteiligungsrechte hinaus – auch solche Beteiligungsrechte gesichert sind, auf die erst künftig ein Anspruch hätte bestehen können.343 Indes bedeutet „vorenthalten“ dem Wortsinn nach, „jemandem etwas, worauf er Anspruch hat, nicht geben“344. 340 Vgl.
oben unter § 3 C. II. 1. c). durch Verf. 342 Die historische Auslegung ergibt lediglich, dass – im Gegensatz zum Begriff „Entziehen“ (vgl. zu dessen historischer Auslegung oben unter § 3 C. II. 1. b) – der Begriff „Vorenthalten“ von Anfang an bereits in Art. 10 lit. a) österreichischer SE-RL-Entwurf verwendet wurde. 343 So Sagan EBLR 2010, 15, 22 f.: „[…] an SE can not only be misused to deprive employees of existing rights but also to withhold rights to employee involvement. In this regard Article 11 is even broader than the 18th recital because it is not limited to the protection of existing rights.“ Anders hingegen Sagan EBLR 2010, 15, 31: „The fact that Article 11 also prohibits the ‚withholding‘ of involvement rights does effect this finding. This part of the wording of Article 11 refers to the same rights that the employees must not be deprived of. Hence, the difference between ‚depriving‘ and ‚withholding‘ rights does not refer to a different legal basis of involvement rights; rather, it expresses that a misuse of an SE can be constituted by either eliminating existing national rights or by preventing the same rights from coming into existence.“; für § 43 SEBG vgl. auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 4. 344 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 4363. 341 Hervorhebung
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Demnach muss bereits ein Anspruch auf das vorenthaltene Beteiligungsrecht bestanden haben. Hierfür spricht ein Vergleich mit den englisch- und französischsprachigen Fassungen des Art. 11 SE-RL. Der in der englischsprachigen Fassung des Art. 11 SE-RL verwendete Begriff „to withhold“ bedeutet übersetzt „1. einbehalten, zurückbehalten; 2. versagen“345. Das in der französischsprachigen Fassung des Art. 11 SE-RL gebrauchte Wort „refuser“ bezeichnet in der Übersetzung „ablehnen, verweigern, versagen, aberkennen“346. Ein „Einbehalten“ oder „Aberkennen“ von Beteiligungsrechten ist auch im Sinne der englisch- und französischsprachigen Fassungen nur denkbar, wenn auf diese Rechte bereits vor der missbräuchlichen Nichtgewährung ein Anspruch bestand.347 b) Systematischer Vergleich mit der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ Wie bereits bei Art. 11 Var. 1 SE-RL ist auch im Hinblick auf das Merkmal „Vorenthalten“ ein systematischer Vergleich mit dem in Art. 3 Abs. 4 SE-RL verwendeten Begriff der „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ anzustellen. Während der Begriff „mindern“ das „Geringer werden, Erscheinen lassen; Vermindern, Verringern“ von etwas bezeichnet,348 bedeutet das Wort „vorenthalten“, jemandem die Erfüllung eines Anspruchs zu verweigern. Daher geht ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten – wie auch bereits ein „Entziehen“349 – über eine „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ i. S. v. Art. 3 Abs. 4 SE-RL hinaus. Insbesondere ist wie bei Art. 11 Var. 1 SE-RL erforderlich, dass den Arbeitnehmern ein an sich zustehendes Beteiligungsrecht von vornherein überhaupt nicht350 oder nicht vollständig gewährt wird, was auf der einseitigen Weigerung der Arbeitgeberseite beruht und somit aus Arbeitnehmersicht unfreiwillig ist.
345 Fachwörterbuch
Kompakt Recht Englisch, S. 397. Grundwortschatz der Rechtssprache Französisch,
346 Ellenberger / Froschauer
S. 143. 347 Ähnlich Rehberg ZGR 2005, 859, 873 f.: „Wie beim Entzug setzt dieses Tatbestandsmerkmal [des Vorenthaltens (Einfügung durch Verf.)] voraus, dass die Arbeitnehmer bereits gewisse Rechte haben.“. 348 Vgl. oben unter § 3 C. II. 1. b). 349 Vgl. oben unter § 3 C. II. 1. c). 350 Ähnlich Sagan EBLR 2010, 15, 31: „preventing the same rights from coming into existence“.
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c) Teleologische Auslegung anhand des „Vorher-Nachher-Prinzips“ Beide Tatbestandsalternativen des Art. 11 SE-RL beziehen sich einheitlich auf den Begriff der „Beteiligungsrechte“. Auch die englisch-351 und französischsprachigen352 Fassungen unterscheiden in ihrem jeweiligen Wortlaut im Hinblick auf die geschützten Beteiligungsrechte nicht zwischen beiden Tatbestandsalternativen („entziehen oder vorenthalten“).353 Daher gilt auch hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Vorenthalten“ grundsätzlich das für den Begriff der „Beteiligungsrechte“ maßgebliche Bestandschutzprinzip der SE-RL.354 Eine Auslegung des Art. 11 Var. 2 SE-RL dahingehend, dass durch das Merkmal „Vorenthalten“ auch die Aussicht darauf, dass künftig möglicherweise Beteiligungsrechte entstanden wären, geschützt ist,355 widerspräche dem zum „fundamentalen Grundsatz und erklärte[m] Ziel“356 der SE-RL erhobenen Zweck des Bestandschutzes mittels Anwendung des „Vorher-Nachher-Prinzips“. Das Merkmal „Vorenthalten“ ist daher teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass lediglich bereits bestehende Beteiligungsrechte geschützt sind.357 Allerdings sieht ErwG 6 SE-RL über den Schutz bestehender Beteiligungsrechte nach ErwG 18 S. 1, 2 SE-RL hinaus vor, dass in allen Fällen der Gründung einer SE die Bereitstellung von Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren auf grenzüberschreitender Ebene gewährleistet sein sollte. Auf diese grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechte haben die Arbeitnehmer erst mit der Gründung der SE einen Anspruch, wenn nicht zuvor bereits ein EBR eingerichtet war. Bestanden bisher keine grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechte, verbleibt gegenüber Art. 11 Var. 1 SE-RL insoweit noch ein Anwendungsbereich, als bisher noch nicht existente, aber nach der SE-RL zu gewährende grenzüberschreitende be351 In der englischsprachigen Fassung heißt es: „[…] preventing the misuse of an SE for the purpose of depriving employees of rights to employee involvement or withholding such rights.“ (Hervorhebung durch Verf.). 352 In der französischsprachigen Version heißt es: „[…] pour éviter l’utilisation abusive d’une SE aux fins de priver les travailleurs de droits en matière d’implication des travailleurs ou refuser ces droits.“ (Hervorhebung durch Verf.). 353 So i. E. auch Sagan EBLR 2010, 15, 31. 354 Vgl. dazu oben unter § 3 C. I. 2. 355 In diese Richtung Sagan EBLR 2010, 15, 22 f.: „In this regard Article 11 is even broader than the 18th recital because it is not limited to the protection of existing rights.“. 356 ErwG 18 S. 1 SE-RL. 357 Für § 43 SEBG i. E. auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 4.
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triebliche Beteiligungsrechte durch Art. 11 SE-RL gegen ein missbräuchliches „Vorenthalten“ geschützt sind. Das widerspricht nicht ErwG 18 SE-RL, wonach der Schutz von Beteiligungsrechten auf bereits bestehende Rechte begrenzt ist. Der Bestandschutz gilt nur im Hinblick auf nach nationalem Recht gewährte Beteiligungsrechte vor der SE-Gründung. Auf die grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechte besteht jedoch in der Regel erst ab SE-Gründung ein Anspruch. Somit geht das Vorenthalten von Beteiligungsrechten über das Entziehen von Beteiligungsrechten insofern hinaus,358 als Art. 11 Var. 2 SE-RL im Stadium der SE-Gründung auch vor einem Vorenthalten der erst mit der SE-Gründung zu gewährenden grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhörung“ schützt. Die Einschränkung, dass nur bereits bestehende Rechte gegen ein „Vorenthalten“ geschützt sind, gilt lediglich für bislang nach nationalem Recht zu gewährende unternehmerische Beteiligungsrechte. d) Ergebnis zur Konkretisierung des Merkmals „Vorenthalten“ Das Merkmal des „Vorenthaltens“ von Beteiligungsrechten in Art. 11 Var. 2 SE-RL ist ein zum „Entziehen“ (Art. 11 Var. 1 SE-RL) alternativer tatbestandsmäßiger Erfolg des „Missbrauchs einer SE“.359 Ein „Vorenthalten“ i. S. v. Art. 11 Var. 2 SE-RL ist gegeben, wenn gegen den Willen der Arbeitnehmer ein diesen an sich zustehendes Beteiligungsrecht von vornherein nicht oder nicht vollständig gewährt wird.360 Entgegen dem, was der Wortlaut der deutschsprachigen Richtlinien-Fassung nahelegt, umfasst das Merkmal „Vorenthalten“ nicht den Schutz von Beteiligungsrechten, auf die erst künftig nach nationalem Recht ein Anspruch entstehen könnte.361 Der Zweck beider Tatbestandsvarianten des Art. 11 SE-RL ist aufgrund des Bestandschutzprinzips der SE-RL auf den Schutz bestehender Beteiligungsrechte beschränkt. Daher ist Art. 11 Var. 2 SE-RL teleologisch zu reduzieren, soweit es um nach nationalem Recht zu gewährende unternehmerische Beteiligungsrechte geht. Hinsichtlich der Gewährung grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhörung“ ist ein „Vorenthalten“ denkbar, wenn diese Rechte zuvor nicht bereits durch einen eingerichteten EBR gewährt wurden. Insoweit verbleibt für Art. 11 Var. 2 SE-RL neben Art. 11 Var. 1 SE-RL ein Anwendungsbereich.362 358 Vgl. zur eigenständigen Bedeutung des „Vorenthaltens“ bei § 43 SEBG Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 4. 359 Vgl. oben unter § 3 C. II. 2. 360 Vgl. oben unter § 3 C. II. 2. b). 361 Vgl. oben unter § 3 C. II. 2. a). 362 Vgl. oben unter § 3 C. II. 2. c).
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III. Tatbestandliches Verhalten: Missbrauch einer SE Art. 11 SE-RL setzt ein tatbestandliches Verhalten voraus, das als „Missbrauch einer SE“ zu qualifizieren ist. Erforderlich ist insoweit eine Vorgehensweise – etwa eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Gestaltung – die sich im Hinblick auf die von einer bestimmten Norm der SE-RL verfolgten Ziele als Missbrauch der SE-Rechtsform erweist. In der deutschsprachigen Literatur ist der Versuch unternommen worden, den Begriff des „Missbrauchs einer SE“ in Art. 11 SE-RL363 oder dessen wortgleiche364 Übernahme in der deutschen Umsetzungsnorm365 des § 43 S. 1 SEBG366 abstrakt zu definieren. Danach liege ein „Missbrauch […] nach § 43 S. 1 SEBG vor, wenn nach dem jeweiligen Einzelfall die Grundwertungen des SEBG und der SE-RL missachtet werden“367. Darüber hinaus wird zum Teil368 auf eine Formel des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1951 zurückgegriffen, wonach „unzulässige Rechtsausübung oder Rechtsmißbrauch […] die Ausnutzung formeller Möglichkeiten der Gesetze entgegen ihrem unzweideutigen Rechtsgedanken“369 sei. Der überwiegende Teil der Literatur ist der Auffassung, dass sich ein „Missbrauch einer SE“ nicht allgemein definieren lasse.370 Vielmehr sei eine Entscheidung im Einzelfall371 zu treffen. Maßstab hierfür soll nach Nagel die Grundwertung des Gesetzgebers und der Richtlinie sein, wonach 363 Rehberg
ZGR 2005, 859, 870; ihm folgend Blanke ZIP 2006, 789, 791. auch Schmid Diss. 2010, S. 186. 365 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 366 Schmid Diss. 2010, S. 186. 367 Schmid Diss. 2010, S. 186. 368 Rehberg ZGR 2005, 859, 870; Blanke ZIP 2006, 789, 791; Schmid Diss. 2010, S. 186, der zwar zunächst die Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH zur „Abstimmungsfrage zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht“ für einschlägig hält, dann aber doch – da eine unmittelbare Entscheidung zu Missbrauchsfällen der SE noch nicht ergangen sei und somit die Heranziehung „von allgemeinen Ausführungen geboten“ sei – i. E. doch die Definition des BGH heranzieht. 369 BGH Urt. v. 12.7.1951 – III ZR 168 / 50, BGHZ 3, 94, 104, Rn 21. 370 Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 5; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2, wonach es keine „allgemein gültige Grenzziehung“ gebe; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 215, wonach sich nicht abstrakt definieren lasse, „wann im Sinne der Vorschrift Mitbestimmungsrechte entzogen oder beeinträchtigt werden“. 371 Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 5; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 253; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2; Koch Diss. 2010, S. 201; vgl. Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 364 So
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die Nutzung der neuen Rechtsform der SE nicht dazu verwendet werden dürfe, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.372 Auch Drinhausen / Keinath verzichten auf eine abstrakte Definition des „Missbrauchs einer SE“. Vielmehr soll die Rechtsprechung deutscher Finanzgerichte zum Verbot des Missbrauchs steuerrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO373 auf das Missbrauchsverbot der SE nach § 43 SEBG zu übertragen sein.374 Wie die dogmatische Einordnung des Art. 11 SE-RL eingangs ergeben hat,375 weist die Vorschrift einen doppelten Rechtscharakter auf. Neben dem formellen Aspekt als Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten, der die Bereitstellung formeller Verfahren zur Verhinderung eines Missbrauchs der SE umfasst,376 ist Art. 11 SE-RL in materieller Hinsicht wegen des im Zentrum der Norm stehenden normativ-unbestimmten Begriffs des „Missbrauchs“ eine ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel.377 Hieraus folgt zum einen, dass die Generalklausel nicht mit einer abstrakten Definition des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ zu versehen ist, sondern im Wege der Konkretisierung ein die Norm ausfüllender Prüfungsmaßstab zu entwickeln ist. Zum anderen verbietet sich aufgrund der Kompetenz des EuGH zur Letztkonkretisierung des Art. 11 SE-RL378 ein Rückgriff auf einen rein nationalen Maßstab des innerstaatlichen Rechts.379 Die Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ erfolgt vielmehr nach europarecht lichen Maßstäben.380 Sollte es an europarechtlichen Maßstäben noch man 372 Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 5; ihm folgend Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 215; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 253. 373 Abgabenordnung v. 16. 3. 1976, BGBl. I S. 613, 1977 S. 269. 374 So der Ansatz von Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702 ff. 375 Vgl. oben unter § 3 A. 376 Vgl. oben unter § 3 A. I. 1. 377 Vgl. oben unter § 3 A. I. 2. 378 Vgl. oben unter § 3 B. I. 4. 379 Konkretisierungsansätze mit Bezug zum nationalen Recht verfolgen Rehberg ZGR 2005, 859, 868 („[…] sollen auch auf nationaler Ebene entwickelte Erkenntnisse berücksichtigt werden.“) sowie Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702 ff. 380 So auch Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 256 bezüglich der Heranziehung der Rechtsprechung des BGH (Urt v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, BGHZ 122, 342, 358) zur vom Modell des MitbestG abweichenden Besetzung von Aufsichtsratsausschüssen: „Dieses Verständnis des nationalen hat freilich keine Bedeutung für die Auslegung des ihm übergeordneten Rechts. Wichtiger ist die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit im Gesellschaftsrecht. Sie ist einschlägig, weil SEVO und SE-RL diese Freiheit legislatorisch konkretisieren.“; vgl. auch Sagan EBLR 2010, 15, 23 („[…] attention should be paid to the doctrine of abuse of rights in Community law which will be more fruitful for the interpretation of Article 11.“), 26 („The misuse of the right to establish or operate an SE is thus inherently linked
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
geln,381 sind diese entsprechend zu entwickeln. Daher ist im Folgenden zunächst zu prüfen, ob und inwieweit sich aus einem allgemeinen Missbrauchsverständnis im Unionsrecht Vorgaben für die Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs in Art. 11 SE-RL ableiten lassen (dazu sogleich unter 1.). Sodann ist das Tatbestandsmerkmal „Missbrauch einer SE“ mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten auszufüllen (2.), um als Ergebnis einen Prüfungsmaßstab für den Begriff des „Missbrauchs einer SE“ in Art. 11 SE-RL zu entwickeln (3.). 1. Vorgaben durch ein allgemeines Missbrauchsverbot im Unionsrecht Die Existenz einer eigenständigen, von den nationalen Rechtsordnungen losgelösten, allgemeinen unionsweiten Missbrauchslehre wurde lange bestritten.382 Inzwischen wird jedoch in der Rechtsprechung des EuGH383 und in der Literatur384 ein Missbrauchsverbot als allgemeiner europarechtlicher Rechtsto the abuse of freedom of establishment and, for this reason, the interpretation of Article 11 should comply with the respective case-law of the ECJ.“). 381 So die Begründung von Rehberg ZGR 2005, 859, 868 für einen Rückgriff auf nationale Maßstäbe; vgl. zum Argument fehlender europarechtlicher Maßstäbe bereits oben im Rahmen der Erörterung materieller Konkretisierungsinstrumente oben unter § 3 B. II. 2. a) bb). 382 Ausdrücklich etwa Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro v. 4.2.1998 – Rs. C-367 / 96 Kefalas, Slg. 1998, I-2845, Rn 21; Zimmermann Diss. 2001, S. 199, 222, 225; Ottersbach Diss. 2001, S. 186; v. Lackum Diss. 2009, S. 247, kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass sich dem Europäischen Gemeinschaftsrecht kein allgemeiner Grundsatz der Gesetzesumgehung entnehmen lasse; vgl. zum Streit auch Weber in: De la Feria / Vogenauer, S. 395, 399. 383 Erstmals als „Grundsätzliches Verbot missbräuchlicher Praktiken“ bezeichnet in EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 70; nunmehr fortgeführt als „Allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist“ in EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 38; vgl. zuvor bereits EuGH Urt. v. 11.10.1977 – Rs. C-125 / 76 Cremer Slg. 1977, I-1593, Rn 21; EuGH Urt. v. 3.12.1974 – Rs. C-33 / 74 van Binsbergen Slg. 1974, I-1299, Rn 13; EuGH Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-367 / 96 Kefalas Slg. 1998, S. I-2843, 2869, Rn 20; EuGH Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212 / 97 Centros Slg. 1999, I-1459, Rn 24; EuGH Urt. v. 23.3.2000 – Rs. C-373 / 97 Diamantis Slg. 2000, S. I-1705, 1734, Rn 33; EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 51; EuGH Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167 / 01 Inspire Art Slg. 2003, I-10 155, Rn 136. 384 Vgl. Kjellgren EBLR 2000, 179 ff.; Klinke ZGR 2002, 163, 186; Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271; in diese Richtung auch Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 256 f.; Sørensen CMLR 2006, 423, 424 f., 439 ff.; Heiderhoff Europäisches Privatrecht, Rn 283; De la Feria CMLR 2008, 395, 438; zumindest missverständlich Baudenbacher ZfRV 2008, 205, 218; Englisch StuW 2009, 3, 5; Schön in FS Hopt 2010, S. 1343, 1345; Lenaerts ERPL 2010, 1121, 1138, 1153; Farmer in: De la Feria / Vogenauer, S. 3 ff.; Pistone in: De la Feria / Vogenauer, S. 381; Weber in: De
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grundsatz anerkannt, wenngleich dessen konkrete Ausformung derzeit noch385 – oder als „offenes Prinzip“386 stets – in der Entwicklung begriffen ist. Der EuGH erkennt seit der Kofoed-Entscheidung einen „allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist“387, an. Danach ist eine „missbräuchliche Berufung auf die Normen des Gemeinschaftsrechts […] nicht gestattet“388. Demnach besteht nach Auffassung des EuGH ein allgemeines unionsrechtliches Missbrauchsverbot. a) Unterschiedliche Anwendungsbereiche in der EuGH-Rechtsprechung Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung ein Verbot des Missbrauchs in unterschiedlichen Konstellationen herangezogen.389 Unter dem Oberbegriff la Feria / Vogenauer, S. 395, 399; ausführliche Diskussion bei Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 563 ff.; Koch Diss. 2010, S. 201; vgl. auch Schmid Diss. 2010, S. 119, der den Rechtsmissbrauch als einzelnen Grundsatz anzuerkennen scheint, jedoch Zurückhaltung gegenüber einer Zuordnung dieses Prinzips zu einem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben – wie im deutschen Recht – übt; Roth / Schubert in: MüKo-BGB § 242 BGB Rn 156; Looschelders / Olzen in: Staudinger-BGB § 242 BGB Rn 1244 ff.; gegen einen Grundsatz i. e. S. Dougan in: De la Feria / Vogenauer, S. 355, 359. 385 Vgl. Fleischer JZ 2003, 865 („mag seine Dogmatisierung auch weiter auf sich warten lassen“), 874 („möchte man dem EuGH empfehlen, fortan eine eigenständige Missbrauchskonzeption zu entwickeln“); Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521 („[…] the precise scope, content and limits of the prohibition of ‚abuse of law‘ or ‚abuse of rights‘ are far from being settled.“), 571 („[…] this general principle is still emerging.“). 386 De la Feria CMLR 2008, 395, 437. 387 EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 38; EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-277 / 09 RBS Deutschland Slg. 2010, 13805, Rn 55 („Grundsatz des Verbots missbräuchlicher Praktiken“). 388 EuGH Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-367 / 96 Kefalas Slg. 1998, I-2843, Rn 20; EuGH Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212 / 97 Centros Slg. 1999, I-1459, Rn 24; EuGH Urt. v. 23.3.2000 – Rs. C-383 / 97 Diamantis Slg. 2000, I-1705, Rn 33; EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 68; vgl. EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04 Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-07995, Rn 35; EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C-321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 38; EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-303 / 08 Bozkurt Slg. 2010, 13445, Rn 47; daneben sei die „betrügerische“ Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet, vgl. EuGH Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212 / 97 Centros Slg. 1999, I-1459, Rn 24; EuGH Urt. v. 23.3.2000 – Rs. C-383 / 97 Diamantis Slg. 2000, I-1705, Rn 33; EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 68; EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C-321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 38; ferner sei die „wahrheitswidrige“ Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet, vgl. EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-303 / 08 Bozkurt Slg. 2010, 13445, Rn 47. 389 So auch Sørensen CMLR 2006, 423, 427; De la Feria CMLR 2008, 395, 398; zur Kritik an der mangelnden Systematisierung vgl. Schön in FS Wiedemann 2002,
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des Missbrauchs behandelt der EuGH Fälle der Normumgehung sowie der Normerschleichung.390 Bei feststehendem Sachverhalt soll entweder eine nachteilige Rechtsfolge einer Norm vermieden (Umgehung) oder eine vorteilhafte Rechtsfolge einer Norm herbeigeführt (Erschleichung) werden.391 In diesen Fällen liegt die Problemstellung nicht – wie etwa beim Betrug392 – im Bereich der Ermittlung des korrekten Sachverhalts, sondern in der zutreffenden Subsumtion eines Sachverhalts unter die Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm. aa) Normumgehung Eine Umgehung setzt eine umgangene Norm und eine Umgehungsnorm voraus,393 wobei es sich um zwei unterschiedliche Normen handeln muss. Die umgangene Norm ist die Norm, deren nachteilige Rechtsfolgen durch die behauptete Nichterfüllung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen vermieden S. 1273, 1279; Fleischer JZ 2003, 865, 872, wonach „der EuGH ganz verschiedene Tatbestände unter dem Einheitsdach des Rechtsmissbrauchs zusammenfasst“; Rehberg EuLF 2004, 1, 2; Sørensen CMLR 2006, 423, 431; Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 524, 565; Koch Diss. 2010, S. 201 f.; anders Schmid Diss. 2010, S. 186: „Der EuGH entwickelte deutlich voneinander zu unterscheidende Missbrauchsfallgruppen.“; Roth / Schubert in: MüKo-BGB § 242 BGB Rn 156. 390 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl v. 16.3.2006 – Rs. C-452 / 04 Fidium Finanz, Slg. 2006, I-9521, Rn 96: „Diese Fallgruppe [der Erschleichung eines subjektiven Rechts, Einfügung durch Verf.] behandelt der Gerichtshof wie die […] Fallgruppe der Umgehung nationaler Regelungen durch Berufung auf das Gemeinschaftsrecht unter dem Oberbegriff des Missbrauchs.“; vgl. ferner aus der Literatur Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1275, 1275; Fleischer JZ 2003, 865, 869, („Normenflucht“ für Normumgehung); Rehberg ZGR 2005, 859, 867; Baudenbacher ZfRV 2008, 205; Forst Diss. 2010, S. 146; Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 525 m. w. N.; Koch Diss. 2010, S. 202 f.; Roth / Schubert in: MüKo-BGB § 242 BGB Rn 157 f. 391 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro v. 7.4.2005 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 63: „[…] die beiden Hauptzusammenhänge, in denen der Begriff des Missbrauchs vom Gerichtshof untersucht wurde. Erstens, wenn Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts missbräuchlich geltend gemacht werden, um sich den nationalen Rechtsvorschriften zu entziehen. Zweitens, wenn sich missbräuchlich auf Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts berufen wird, um Vorteile auf eine Weise zu erlangen, die mit dem Ziel und dem Zweck eben dieser Bestimmungen im Widerspruch steht.“; vgl. auch Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1273, 1278; Koch Diss. 2010, S. 202. 392 Zur Abgrenzung von Missbrauch und Betrug vgl. Kjellgren EBLR 2000, 179, 180–182; Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1273, 1278; Fleischer JZ 2003, 865, 870; Rehberg EuLF 2004, 1, 3; Sørensen CMLR 2006, 423, 431; Forst Diss. 2010, S. 144; Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 560 f. 393 Vgl. v. Lackum Diss. 2009, 33 ff., S. 196.
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werden sollen.394 Die Umgehungsnorm ist die Norm, deren vorteilhafte Rechtsfolgen durch behauptete Erfüllung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen herbeigeführt werden sollen.395 bb) Normerschleichung Demgegenüber setzt die Erschleichung einer Norm mit vorteilhaften Rechtsfolgen keine alternativ anzuwendende Norm voraus. Vielmehr soll die vorteilhafte Rechtsfolge der Norm durch die behauptete Erfüllung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen herbeigeführt werden. Bei der Umgehung steht fest, dass der Sachverhalt entweder unter die Tatbestandsvoraussetzungen der einen oder der anderen Norm zu subsumieren ist. Bei der Erschleichung hingegen bestehen die Alternativen entweder in der Erfüllung oder der Nichterfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen nur dieser einen Norm. b) Unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe des EuGH Der EuGH hat seit der Kofoed-Entscheidung396 zwar ein Missbrauchsverbot als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anerkannt. Allerdings verwendet der EuGH nicht nur unterschiedliche Begrifflichkeiten („Missbrauch“, „Rechtsmissbrauch“, „missbräuchliche Praxis“, „Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“), sondern legt in verschiedenen Anwendungsbereichen unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe zur Feststellung von Missbräuchen an.397 Daher fehlt ein einheitlicher Prüfungsmaßstab des EuGH für 394 Vgl. die Definition bei v. Lackum Diss. 2009, S. 33: „Als umgangene Norm wird im Fall der Tatbestandsvermeidung die Norm bezeichnet, deren Wortlaut den Umgehungsfall nicht erfasst, diesem aber von ihrem Sinn her ähnlich ist. Umgangene Norm ist also die benachteiligende Norm, deren Anwendbarkeit durch die Tatbestandsgestaltung vermieden werden soll.“. 395 Vgl. die Definition bei v. Lackum Diss. 2009, S. 35 m. w. N.: „Bei Tatbestandsvermeidungen geht es in der Regel nicht nur um die Anwendbarkeit einer benachteiligenden Norm, sondern zugleich auch um die Anwendbarkeit einer begünstigenden Norm. Diese begünstigende Norm wird ‚Umgehungsnorm‘ oder ‚ergangene Norm‘ genannt.“. 396 EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 38. 397 So auch Sørensen CMLR 2006, 423, 427, 431; De la Feria CMLR 2008, 395 f., 399: „In fact, an analysis of the relevant case law provides a sense of an evolving approach to abuse and abusive practices, progressively developing a principle whose application appears to be heavily dependent on the subject matter at issue.“; Sagan EBLR 2010, 15, 28; speziell zur Uneinheitlichkeit der EuGH-Rechtsprechung in Bezug auf subjektive Kriterien auch Rehberg ZGR 2005, 859, 868 f.; Schmid Diss. 2010, S. 187.
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das unionsrechtliche Missbrauchsverbot,398 der für die Konkretisierung des Missbrauchs-Begriffs des Art. 11 SE-RL maßgeblich sein könnte. Dennoch lässt sich in der EuGH-Rechtsprechung zumindest ein einheitliches Grundgerüst erkennen, da der EuGH grundsätzlich einen aus objektiven und subjektiven399 Elementen kombinierten Prüfungsmaßstab anlegt [dazu sogleich unter aa)], den er in einigen Entscheidungen zu einem im Hinblick auf das subjektive Element erleichterten Prüfungsmaßstab adaptiert hat [bb)]. aa) Objektiv-subjektiver Prüfungsmaßstab Den grundsätzlich aus objektiven und subjektiven Elementen zusammengesetzten Prüfungsmaßstab legt der EuGH einerseits bei der „missbräuch lichen Praxis“ von Unionsbürgern zur Erschleichung vorteilhaften Unionsrechts [dazu sogleich unter (1)], andererseits bei der „Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“ als Rechtfertigungsgrund für mitgliedstaatliche Beschränkungen des Unionsrechts [dazu unter (2)] an. (1) „Missbräuchliche Praxis“ der Erschleichung von Unionsrecht Hinsichtlich einer „missbräuchlichen Praxis“ der Inanspruchnahme von Normen im Unionssekundärrecht (Richtlinien400 und Verordnungen401) verlangt der EuGH seit der Entscheidung Emsland-Stärke402 sowohl ein objektives als auch ein subjektives Element.403 Als objektives Element fordert der 398 So auch Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 530 („[…] the case law is still in flux and there is as yet no universally accepted test for the application of the ‚prohibition of abuse of law‘ in EU law […].“. 399 Dafür, dass nach dem EuGH grundsätzlich auch ein subjektives Element – ungeachtet der Problematik des genauen Anforderungsgrads – Voraussetzung für das allgemeine Missbrauchsverbot ist, auch Fleischer JZ 2003, 865, 872; Sagan EBLR 2010, 15, 28; Forst Diss. 2010, S. 148 „[…] der Gerichtshof verlangt aber in jedem Fall ein subjektives Tatbestandsmerkmal.“. 400 Vgl. die Fallgestaltungen in EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609; EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795; EuGH Urt. v. 21.2.2008 – Rs. C-425 / 06 Part Service Slg. 2008, I-897; EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-103 / 09 Weald Leasing Slg. 2010, 13589. 401 Vgl. EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569; EuGH Urt. v. 21.7.2005 – Rs. C-515 / 03 Eichsfelder Schlachtbetrieb Slg. 2005, I-7355; EuGH Urt. v. 11.1.2007 – Rs. C-279 / 05 Vonk Dairy Products Slg. 2007, I-239. 402 Dort noch allgemein formuliert als Voraussetzungen für die „Feststellung eines Missbrauchs“, vgl. EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 52. 403 Vgl. Arnull in: De la Feria / Vogenauer, S. 7, 23; Roth / Schubert in: MüKoBGB § 242 BGB Rn 156.
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EuGH erstens die formale Einhaltung der Voraussetzungen der Unionsnorm. Zweitens müsse eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass das Ziel der Regelung bei der Subsumtion des Sachverhalts unter die Norm nicht erreicht wurde.404 Als subjektives Element verlangt der EuGH die Absicht405, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil daraus zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen „willkürlich“406 oder „künstlich“407 geschaffen werden. Der Beweis für das Vorliegen dieses subjektiven Elements soll etwa durch den Nachweis eines kollusiven Zusammenwirkens erbracht werden können.408 (2) „ Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“ zur Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Beschränkungen des Unionsrechts Hinsichtlich der Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit409 oder mitgliedstaatlicher Einschränkungen von Richtlinienbestimmungen410 aus Gründen der „Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“ fordert der EuGH die Ausrichtung der Beschränkung auf 404 Vgl. EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 51; EuGH Urt. v. 21.7.2005 – Rs. C-515 / 03 Eichsfelder Schlachtbetrieb Slg. 2005, I-7355, Rn 39; EuGH Urt. v. 11.1.2007 – Rs. C-279 / 05 Vonk Dairy Products Slg. 2007, I-239, Rn 31; vgl. zur Aufteilung der zwei Elemente des EuGH in drei Elemente Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 530. 405 Nach Fleischer JZ 2003, 865, 872, gehe es dem EuGH hierbei allerdings nicht um eine „klassische Umgehungsabsicht, sondern eher um eine zweckgerichtete Tatbestandsplanung […], welche die beiden Teilakte des Umgehungsgeschäfts miteinander verbindet.“; Die Absicht ebenfalls als bloßes Bewusstsein relativierend Forst Diss. 2010, S. 148; Für eine Absicht nur in Fällen eines „individuellen Rechtsmissbrauchs“ und ein bloß „planvolle[s] Handeln“ in Fällen der „institutionellen Umgehung oder Erschleichung von Normen“: Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1286. 406 So noch EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 53; EuGH Urt. v. 21.7.2005 – Rs. C-515 / 03 Eichsfelder Schlachtbetrieb Slg. 2005, I-7355, Rn 39. 407 EuGH Urt. v. 11.1.2007 – Rs. C-279 / 05 Vonk Dairy Products Slg. 2007, I-239, Rn 33. 408 EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 53; EuGH Urt. v. 11.1.2007 – Rs. C-279 / 05 Vonk Dairy Products Slg. 2007, I-239, Rn 33. 409 Vgl. EuGH Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212 / 97 Centros Slg. 1999, I-1459; EuGH Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167 / 01; Inspire Art Slg. 2003, I-10 155; EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04; Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-7995; EuGH Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524 / 04 Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation Slg. 2007, I-2107. 410 Vgl. EuGH Urt. v. 22.5.2008 – Rs. C-162 / 07 Ampliscientifica und Amplifin Slg. 2008, I-4019.
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die Abwehr „rein künstlicher Gestaltungen“. Eine Beschränkung von Unionsrecht durch eine mitgliedstaatliche Regelung lasse sich danach nur mit Gründen der „Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken“ rechtfertigen, „wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen“411. Die Feststellung einer „rein künstlichen Gestaltung“ in diesem Sinne setze sich aus einem objektiven und einem subjektiven Element zusammen. Als objektives Element fordert der EuGH erstens, dass die formalen Voraussetzungen der zu beschränkenden Regelung des Unionsrechts oder des nationalen Umsetzungsgesetzes erfüllt sind. Zweitens soll aus objektiven Anhaltspunkten hervorgehen, dass der mit der unionsrechtlichen Regelung verfolgte Zweck nicht erreicht worden ist.412 In subjektiver Hinsicht verlangt der EuGH ein „Streben“413 nach einem Vorteil, ohne dieses näher zu konkretisieren. bb) Erleichterter Prüfungsmaßstab Einen erleichterten Prüfungsmaßstab legt der EuGH einerseits bei der „missbräuchlichen Praxis“ der Umgehung nachteiligen Unionsrechts, andererseits bei „missbräuchlichen Praktiken“ zur Erlangung steuerlicher Vorteile an. (1) „Missbräuchliche Praxis“ der Umgehung von Unionsrecht Für eine „missbräuchliche Praxis“ der Umgehung von sekundärrecht lichen Normen in Richtlinien414 oder Verordnungen415 mit nachteiligen Rechtsfolgen legt der EuGH einen im Hinblick auf die subjektiven Anforderungen erleichterten Prüfungsmaßstab an. Erstens soll das Verhalten formal die Voraussetzungen der Norm, dessen Rechtsfolgen herbeigeführt werden sollen (Umgehungsnorm), erfüllen. 411 EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04 Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-7995, Rn 51; EuGH Urt. v. 13.3.2007 – Rs. C-524 / 04 Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation Slg. 2007, I-2107, Rn 72; vgl. auch EuGH Urt. v. 22.5.2008 – Rs. C-162 / 07 Ampliscientifica und Amplifin Slg. 2008, I-4019, Rn 28. 412 Vgl. EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04 Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-7995, Rn 64. 413 Vgl. EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04 Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-7995, Rn 64. 414 Vgl. die Fallgestaltungen in EuGH Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-367 / 96 Kefalas Slg. 1998, I-2843; EuGH Urt. v. 23.3.2000 – Rs. C-373 / 97 Diamantis Slg. 2000, I-1705. 415 Vgl. EuGH Urt. v. 6.4.2006 – Rs. C-456 / 04 Agip Petroli Slg. 2006, I-3395.
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Zweitens muss die Anwendung der Rechtsfolgen der Umgehungsnorm zu einem Verstoß gegen das Ziel der Norm, dessen Rechtsfolgen umgangen werden sollen (umgangene Norm), führen. Drittens muss sich aus einer Reihe objektiver Umstände ergeben, dass der wesentliche Zweck des Verhaltens darin besteht, die Anwendung der umgangenen Norm zugunsten der Anwendung der Umgehungsnorm zu vermeiden.416 (2) „Missbräuchliche Praxis“ auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer Speziell auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer ist die Feststellung einer „missbräuchlichen Praxis“ nach Auffassung des EuGH417 ebenfalls auf Basis eines im Hinblick auf die subjektiven Anforderungen erleichterten Maßstabs möglich.418 Als subjektives Element setzt der EuGH lediglich voraus, dass „auch aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein [muss], dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird“419. Als objektives Element fordert der EuGH, dass die Bedingungen der Unionsnorm oder der nationalen Umsetzungsnorm formal erfüllt sind. Zweitens muss im Ergebnis ein Steuervorteil erzielt worden sein. Drittens muss die Gewährung des Steuervorteils dem mit den formal erfüllten Normen verfolgten Ziel zuwiderlaufen.420 Ein Verstoß gegen das Verbot „missbräuchlicher Praxis“ auf dem Gebiet des Mehrwertsteuerrechts ist jedoch gerechtfertigt, „wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben können als nur die Erlangung von Steuervorteilen“421. Die Rechtsfolge der Feststellung einer „missbräuch lichen Praxis“ auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer besteht darin, die Umsätze in der Weise neu zu definieren, dass auf die Lage abzustellen ist, die 416 Vgl. zum Ganzen EuGH Urt. v. 6.4.2006 – Rs. C-456 / 04 Agip Petroli Slg. 2006, I-3395, Rn 23. 417 EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 74. 418 So auch die Beobachtung von Weber in: De la Feria / Vogenauer, S. 395, 397 f. 419 EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 75; EuGH Urt. v. 21.2.2008 – Rs. C-425 / 06 Part Service Slg. 2008, I-897, Rn 42 zweiter Spiegelstrich; EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-103 / 09 Weald Leasing Slg. 2010, 13589, Rn 30. 420 Vgl. EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 74; EuGH Urt. v. 21.2.2008 – Rs. C-425 / 06 Part Service Slg. 2008, I-897, Rn 42; EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-103 / 09 Weald Leasing Slg. 2010, 13589, Rn 29. 421 EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 75; EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-103 / 09 Weald Leasing Slg. 2010, 13589, Rn 30.
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ohne die eine missbräuchliche Praxis darstellenden Umsätze oder ohne die Vertragsbedingungen mit Missbrauchscharakter bestanden hätte.422 c) Folgen für die Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs in Art. 11 SE-RL Fraglich ist, ob und inwieweit sich aus der Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH mit ihren vorstehend beschriebenen unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben Folgen für die Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs in Art. 11 SE-RL ergeben. Dazu ist zunächst zu klären, ob die Regelung des Art. 11 SE-RL als Ausprägung des vom EuGH aufgestellten Grundsatzes des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots auszulegen ist. Trifft dieses zu, ist weiter zu untersuchen, ob und inwieweit vom EuGH bereits hinsichtlich des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots im Unionsrecht entwickelte Prüfungsmaßstäbe auch für die Bestimmung des Prüfungsmaßstabs des „Missbrauchs einer SE“ nach Art. 11 SE-RL maßgeblich sind. Sollte Art. 11 SE-RL hingegen nicht als Ausprägung des Grundsatzes des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots, sondern als autonome Regelung auszulegen sein, ist hierfür ein eigenständiger Prüfungsmaßstab zu entwickeln. Ob die sekundärrechtliche Bestimmung des Art. 11 SE-RL als Ausprägung des Grundsatzes des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots oder autonom auszulegen ist, hängt zunächst davon ab, in welchem Verhältnis der ungeschriebene Grundsatz des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots und im Sekundärrecht ausdrücklich normierte Missbrauchsverbote grundsätzlich zueinander stehen. aa) V erhältnis zwischen dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz und den ausdrücklich im Sekundärrecht geregelten Missbrauchsverboten Die ausdrückliche Regelung eines Missbrauchsverbots in einem sekundärrechtlichen Regelwerk423 kann, so Sørensen424, auf unterschiedliche Weise im Verhältnis zum durch den EuGH entwickelten Grundsatz des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots stehen. 422 Vgl. EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 94, 98; EuGH Urt. v. 22.12.2010 – Rs. C-103 / 09 Weald Leasing Slg. 2010, 13589, Rn 48, 53. 423 Eine Aufzählung sekundärrechtlicher Missbrauchsvorschriften gibt Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 522 f. 424 Zum Folgenden Sørensen CMLR 2006, 423, 437 f.
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Erstens könnten geschriebene Missbrauchsverbote das allgemeine unionsrechtliche Missbrauchsverbot lediglich bestätigen. Solche Regelungen kodifizieren den allgemeinen Grundsatz und sind daher im Einklang mit dem Grundsatz auszulegen.425 Beispiele für solche deklaratorischen Missbrauchsverbote seien Art. 11 RL 90 / 434 / EWG426, Art. 4 Abs. 3 VO (EG, Euratom) Nr. 2988 / 95427 sowie Art. 35 RL 2004 / 38 / EG428.429 Zweitens sei denkbar, dass die ausdrückliche Regelung eines Missbrauchs verbots im Sekundärrecht gerade einen vom allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots abweichenden Ansatz verfolgt.430 Räumten solche Regelungen den Mitgliedstaaten einen größeren Ermessensspielraum im Umgang mit missbräuchlichen Verhaltensweisen ein, bestehe keine Notwendigkeit des Rückgriffs auf den Grundsatz des allgemeinen Missbrauchsverbots.431 Indes kann ein Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz nicht nur bloß überflüssig sein kann. Eine Spezialregelung mit einem autonomen Prüfungsmaßstab kann einen Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz unter Umständen sogar verbieten, um den Zweck der Spezialnorm nicht zu unterlaufen.432 425 So Sørensen CMLR 2006, 423, 437; ferner Sagan EBLR 2010, 15, 25, der die von Sørensen unterschiedenen weiteren zwei Fallgruppen jedoch ausblendet. 426 Richtlinie 90 / 434 / EWG des Rates vom 23.7.1990 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen (ABl. L 225, S. 1), außer Kraft seit 15.12.2009. 427 Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988 / 95 des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1). 428 Richtlinie 2004 / 38 / EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612 / 68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64 / 221 / EWG, 68 / 360 / EWG, 72 / 194 / EWG, 73 / 148 / EWG, 75 / 34 / EWG, 75 / 35 / EWG, 90 / 364 / EWG, 90 / 365 / EWG und 93 / 96 / EWG (ABl. Nr. L 158, S. 77). 429 Vgl. zum Ganzen Sørensen CMLR 2006, 423, 437 f. 430 Sørensen CMLR 2006, 423, 438. 431 So Sørensen CMLR 2006, 423, 438: „If these provisions provide for a broader discretion for dealing with abuse, there will be no need to apply the principle of abuse of rights.“; ferner Sørensen in: De la Feria / Vogenauer, S. 25, 31: „The consequence […] will be that the general principle prohibiting abuse of rights will not apply to situations where special rules have been adopted to address the issue of abuse.“. 432 Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.2.2007 – Rs. C-321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 67; Sørensen in: De la Feria / Vogenauer, S. 25, 31, der zudem darauf hinweist, dass ein allgemeines Prinzip als Auslegungshilfe und Lückenfüller nicht anwendbar sei, wenn konkretere Kriterien zur Verfü-
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Drittens soll dem Grundsatz des allgemeinen Missbrauchsverbots ergänzende Wirkung zu einem speziell geregelten Missbrauchsverbot zukommen können.433 Das sei beispielsweise der Fall, wenn ein Mitgliedstaat eine Re gelung wie Art. 13 RL 77 / 388 / EWG a. F.434 nicht umgesetzt habe und stattdessen auf den Grundsatz des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots zurückzugreifen beabsichtigt. Insoweit scheine sich in der EuGHRechtsprechung zu bestätigen, dass das Bestehen einer speziellen Missbrauchsnorm nicht die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots ausschließe.435 Nach anderer Auffassung steht dem jedoch entgegen, dass eine Richtlinienbestimmung grundsätzlich nicht zum Nachteil von Unionsbürgern unmittelbar anwendbar ist436 und somit auch nicht eine vorrangige Missbrauchsvorschrift in einer Richtlinienbestimmung durch Rückgriff auf den allgemeinen Grundsatz unterlaufen werden dürfe.437 Die angeführten Spezialregelungen sind im Folgenden näher zu untersuchen, um darauf aufbauend das Verhältnis zwischen Art. 11 SE-RL und dem ungeschriebenen Grundsatz des Missbrauchsverbots bestimmen zu können. (1) Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F. (jetzt Art. 15 RL 2009 / 133 / EG) Nach Sørensen habe der EuGH die Vorschrift des Art. 11 RL 90 / 434 / EWG438 a. F.439 in der Entscheidung Leur-Bloem440 auf eine Art und Weise gung stehen; ähnlich Ziegler in: De la Feria / Vogenauer, S. 295, 307; vgl. auch Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 551. 433 Sørensen CMLR 2006, 423, 438, unter Verweis u. a. auf EuGH Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-367 / 96 Kefalas Slg. 1998, S. I-2843, 2869; EuGH Urt. v. 23.3.2000 – Rs. C-373 / 97 Diamantis Slg. 2000, S. I-1705, 1734. 434 Sechste Richtlinie 77 / 388 / EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. Nr. L 145 S. 1), außer Kraft zum 31.12.2006 durch Art. 411 Abs. 1 Richtlinie 2006 / 112 / EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1); dazu noch unter § 3 C. III. 1. c) aa) (4). 435 So Sørensen CMLR 2006, 423, 438. 436 Daher eine direkte Anwendbarkeit von Art. 13 RL 77 / 388 / EWG verneinend EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 40 ff. 437 So Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.2.2007 – Rs. C-321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 67; vgl. Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 551. 438 Die Norm lautete in der Fassung, in der sie dem EuGH zur Auslegung in der Rechtssache Leur-Bloem vorgelegt wurde, wie folgt: „(1) Ein Mitgliedstaat kann die Anwendung der Titel II, III und IV ganz oder teilweise versagen oder rückgängig machen, wenn eine Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen oder ein Austausch von Anteilen
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ausgelegt, die darauf schließen lasse, dass die Regelung mit dem Grundsatz des allgemeinen Missbrauchsverbots identisch sei.441 439440
(a) Leur-Bloem-Entscheidung Art. 11 Abs. 1 lit. a) S. 2 RL 90 / 434 / EWG a. F. besagte, dass ein Mitgliedstaat die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie versagen oder rückgängig machen kann, wenn gesellschaftsrechtliche Vorgänge als „hauptsächlichen Beweggrund“ die Steuerhinterziehung oder -umgehung haben. Der EuGH hat diese442 Regelung in der Leur-Bloem-Entscheidung443 als entsprechende Ermächtigung der Mitgliedstaaten ausgelegt.444 Darüber hinaus entnahm der EuGH der Regelung, dass ein Mitgliedstaat vom Vorliegen eines „hauptsächlichen Beweggrunds“ ausgehen könne, wenn ein Vorgang nicht auf „vernünftigen wirtschaftlichen Gründen“ beruhe.445 Die a) als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. Vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn die Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen – insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – beruht; b) dazu führt, dass eine an dem Vorgang beteiligte Gesellschaft oder eine an dem Vorgang nicht beteiligte Gesellschaft die Voraussetzungen für die bis zu dem Vorgang bestehende Vertretung der Arbeitnehmer in den Organen der Gesellschaft nicht mehr erfüllt. (2) Absatz 1 Buchstabe b) ist so lange und so weit anwendbar, wie auf die von dieser Richtlinie erfaßten Gesellschaften keine Vorschriften des Gemeinschaftsrechts anwendbar sind, die gleichwertige Bestimmungen über die Vertretung der Arbeitnehmer in den Gesellschaftsorganen enthalten.“. 439 Nach Aufhebung der RL 90 / 434 / EWG zum 15.12.2009 findet sich nunmehr eine vergleichbare Regelung in Art. 15 der am 15.12.2009 in Kraft getretenen Richtlinie 2009 / 133 / EG des Rates vom 19.10.2009 über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat (EG-Fusions-Richtlinie, ABl. Nr. L 310 S. 34). 440 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161. 441 Vgl. Sørensen CMLR 2006, 423, 437. 442 Auf Art. 11 Abs. 1 lit. b), Abs. 2 RL 90 / 434 / EWG zur Sicherung von Arbeitnehmervertretungen ging der EuGH nicht ein. 443 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161. 444 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 38. 445 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 39; als „Regelbeispiel“ bezeichnet in: Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.2.2007 – Rs. C-321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 59.
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Regelung erlaube damit, auf das subjektive Element des „hauptsächlichen Beweggrundes“ aufgrund objektiver Tatsachen – dem Nichtvorliegen „vernünftiger wirtschaftlicher Gründe“ – zu schließen. Zugleich folge aus der Regelung, dass die Mitgliedstaaten bei den in der Richtlinie bezeichneten Vorgängen die darin vorgesehenen steuerlichen Vorteile gewähren müssten, sofern diese Vorgänge nicht als hauptsächlichen Beweggrund die Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung hätten.446 Hinsichtlich dieser Prüfung könnten sich die zuständigen nationalen Behörden nicht darauf beschränken, vorgegebene allgemeine Kriterien anzuwenden, sondern sie müssten eine gerichtlich überprüfbare „globale Untersuchung jedes Einzelfalls“ vornehmen.447 Mangels genauerer Bestimmungen über die Anwendung der Vermutung in Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. sei es Sache der Mitgliedstaaten, unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die zur Anwendung dieser Bestimmung erforderlichen Modalitäten festzulegen.448 Diese Aussage des EuGH ist für die vorliegende Untersuchung insofern von Bedeutung, als dadurch die hier vertretene dogmatische Einordnung des Art. 11 SE-RL als ein an die Mitgliedstaaten gerichteter „formeller Handlungsauftrag“449 untermauert wird, wonach die Mitgliedstaaten formale Verfahren zur Verhinderung von „Missbräuchen der SE“ bereitstellen müssen. Sodann hat der EuGH eine mitgliedstaatliche Konkretisierung des Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. in Form einer generellen Vorschrift, mit der bestimmte Gruppen von Vorgängen auf der Grundlage bestimmter Kriterien „automatisch und unabhängig davon, ob tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorliegt, vom Steuervorteil ausgeschlossen werden“, als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angesehen. Eine solche Regelung gehe über das zur Verhinderung einer Steuerhinterziehung oder -umgehung Erforderliche hinaus und beeinträchtige das mit der Richtlinie verfolgte Ziel. Der EuGH fügte hinzu, dass auch eine Vorschrift, die der Verwaltung lediglich das Ermessen eingeräumt hätte, bestimmte generelle Ausnahmen vorzusehen, mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar gewesen wäre.450 Für die vorliegende Untersuchung hat diese Aussa446 EuGH
Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 40. Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 39. 448 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 43. 449 Zur hier vertretenen dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL als formellem Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten und materiell ausfüllungsbedürftiger europarechtlicher Generalklausel vgl. oben unter § 3 A. I. 450 Zum Ganzen EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 44. 447 EuGH
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ge insofern Bedeutung, als daraus Anforderungen für eine europarechtskonforme Umsetzung auch des Art. 11 SE-RL abzuleiten sind.451 Der EuGH begründete seine Auslegung des Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. mit den Zielen „sowohl der Richtlinie als auch ihres Artikels 11“452. Dabei stellte er auf ErwG 1 RL 90 / 434 / EWG a. F. ab, wonach mit der Richtlinie das Ziel verfolgt werde, wettbewerbsneutrale steuerliche Regelungen zu schaffen, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen. Darüber hinaus sehe ErwG 1 RL 90 / 434 / EWG vor, dass die in der Richtlinie bestimmten gesellschaftsrechtlichen Vorgänge nicht durch besondere Beschränkungen, Benachteiligungen oder Verfälschungen aufgrund steuerlicher Vorschriften der Mitgliedstaaten behindert werden dürften. Nur wenn der beabsichtigte Vorgang die Steuerhinterziehung oder -umgehung als Beweggrund habe, könnten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F. die Anwendung der Richtlinie versagen.453 Bei Nichtvorliegen „vernünftiger wirtschaftlicher Gründe“ könnten die Mitgliedstaaten davon ausgehen, dass der gesellschaftsrechtliche Vorgang als „hauptsächlichen Beweggrund“ die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat. Den Begriff der „vernünftigen wirtschaftlichen Gründe“ legte der EuGH dahingehend aus, dass diese mehr als das bloße Streben nach einem rein steuerlichen Vorteil voraussetzten. Eine Fusion durch einen Anteilsaustausch, mit der nur dieser Zweck verfolgt werde, sei kein „vernünftiger wirtschaftlicher Grund“ i. S. v. Art. 11 Abs. 1 lit. a) S. 2 RL 90 / 434 / EWG a. F.454 (b) Kofoed-Entscheidung Zehn Jahre nach der Entscheidung Leur-Bloem legte der EuGH in der Rechtssache Kofoed455 die Vorschrift des Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. im Hinblick darauf aus, ob sie anwendbar sei, wenn das nationale Recht eines Mitgliedstaats keine spezifische Bestimmung zu ihrer 451 Zu der Anforderung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL, dass die mitgliedstaatlichen Maßnahmen zur Verhinderungen eines Missbrauchs einer SE „geeignet“ sein müssen und „im Rahmen der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ zu treffen sind, noch unter § 3 C. IV. 452 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 45. 453 Zum Ganzen EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 45. 454 Zum Ganzen EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 47. 455 EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Umsetzung enthalte. Der EuGH behandelte diese Frage ausdrücklich unter dem Aspekt der „Möglichkeit der Berücksichtigung eines etwaigen Rechtsmissbrauchs“456. Dabei äußerte sich der EuGH explizit zum Verhältnis zwischen der Richtlinien-Bestimmung und dem allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots: „Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) der Richtline 90 / 434 spiegelt somit den allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wider, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist.“457 Falls Anhaltspunkte für eine Anwendbarkeit der Richtlinienbestimmung des Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. vorlägen, es jedoch an einer spezifischen Umsetzungsnorm dieser Bestimmung fehlt, lasse sich die Besteuerung eines Anteilsaustauschs rechtfertigen, wenn Vorschriften des na tionalen Rechts über Rechtsmissbrauch, Steuerhinterziehung oder Steuer umgehung im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. ausgelegt werden könnten.458 (c) Ergebnis zur Rechtsprechung zu Art. 11 RL 90 / 434 / EWG Aus der Rechtsprechung des EuGH in den Entscheidungen Leur-Bloem und Kofoed sind folgende Aussagen von wesentlicher Bedeutung. Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG spiegele den allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, wonach Rechtsmissbrauch verboten ist, wider.459 Die Vorschrift sei als Ermächtigung der Mitgliedstaaten auszulegen, bestimmte Richtlinien-Bestimmungen über die Gewährung steuerlicher Vorteile nicht anzuwenden, wenn die in der Vorschrift genannten gesellschaftsrechtlichen Vorgänge als hauptsächlichen Beweggrund die Steuerhinterziehung oder -umgehung hätten.460 Hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausnahme werde der Nachweis der subjektiven Voraussetzung des „hauptsächlichen Beweggrundes“ erleichtert, indem auf dieses Merkmal bei Nichtvorliegen „vernünftiger wirtschaftlicher Gründe“ geschlossen werden könne. Auf Rechtsfolgenseite sei das den Mitgliedstaaten für jeden Einzel456 EuGH
Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 36. Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 38. 458 Vgl. EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 48; zum Verhältnis der Anwendbarkeit von unionsrechtlichen und mitgliedstaatlichen Missbrauchsverboten Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1275 ff.; Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 562 f. 459 EuGH Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C 321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 38; vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.2.2007 – Rs. C-321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 67, wonach der Grundsatz des Rechtsmissbrauchsverbots in der Regelung „seinen spezifischen Ausdruck gefunden und eine Konkretisierung erfahren“ habe. 460 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 38. 457 EuGH
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL145
fall („kann“) eingeräumte Ermessen insoweit reduziert, als sie die in der Richtlinie vorgesehenen steuerlichen Vorteile gewähren müssten, sofern die Vorgänge nicht als den oder einen hauptsächlichen Beweggrund die Steuerhinterziehung oder -umgehung hätten.461 Mangels genauerer Bestimmungen über die Anwendung der Vermutung in Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. hätten die Mitgliedstaaten unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Modalitäten im Einzelnen festzulegen.462 Dabei verstoße es gegen diesen Grundsatz, wenn die Mitgliedstaaten bestimmte Vorgänge ohne Rücksicht auf das tatsächliche Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung von vornherein von den nach der Richtlinie bestehenden Vorteilen ausschlössen.463 Für die Auslegung des Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. greift der EuGH insbesondere auf die Ziele in den Erwägungsgründen der Richtlinie und konkret in Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. zurück.464 (d) V erhältnis von Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F. und dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot Auch wenn der EuGH formuliert, dass Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG a. F. den allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots widerspiegele, enthält die Regelung lediglich den Rechtsgedanken der Verhinderung eines Missbrauchs in Form der Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung. Der Tatbestand der Regelung sieht statt des Merkmals „missbräuchlich“ spezifische Voraussetzungen vor. Somit ist durch Auslegung dieser Merkmale unabhängig vom Grundsatz des allgemeinen Missbrauchsverbots für Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG ein eigener Prüfungsmaßstab zu bestimmen. Ein Rückgriff auf einen der vom EuGH zum allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots entwickelten Prüfungsmäßstäbe ist im Hinblick auf diese Norm somit weder erforderlich noch geboten.465 461 Vgl. EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 40. 462 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 43. 463 Vgl. EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 44. 464 Vgl. EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 45; entsprechend zur Heranziehung der Erwägungsgründe der SE-RL für die Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ in Art. 11 SE-RL noch unter § 3 C. III. 2. d). 465 In diesem Sinne auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 8.2.2007 – Rs. C-321 / 05 Kofoed Slg. 2007, I-5795, Rn 67, wonach bei einem unmittelbaren Rückgriff auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dessen Inhalt weit weniger klar und bestimmt ist, die Gefahr bestünde, dass das Harmonisierungsziel der Richtlinie unterlaufen und die von ihr bezweckte Rechtssicherheit bei der Umstrukturierung
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
(2) Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 2988 / 95 Die Regelung des Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 2988 / 95466 ist vom EuGH in der Rechtssache Eichsfelder Schlachtbetrieb467 im Einklang mit den in der Entsscheidung Emsland-Stärke468 aufgestellten Missbrauchs-Kriterien ausgelegt worden.469 Angesichts dessen soll die Regelung nach Sørensen470 als Kodifizierung des Grundsatzes des allgemeinen Missbrauchsverbots aufzufassen sein. Die Norm konkretisiert sowohl einen objektiv-subjektiven Prüfungsmaßstab als auch die Rechtsfolge, die in der Nichtgewährung oder dem Entzug des Vorteils besteht. Das objektive Element spezifiziert die Vorschrift dahingehend, dass die Voraussetzungen für die Erlangung eines den Zielsetzungen einer Vorschrift zuwiderlaufenden Vorteils künstlich geschaffen werden müssen. Das subjektive Element ist dahingehend definiert, dass die Handlung nachgewiesenermaßen die Erlangung des Vorteils zum Ziel haben muss. Mithin ist Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 2988 / 95 eine Konkretisierung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots mit objektiv-subjektivem Prüfungsmaßstab. (3) Art. 35 RL 2004 / 38 / EG Art. 35 RL 2004 / 38 / EG471 gilt in der Literatur als Kodifizierung des Grundsatzes des allgemeinen Missbrauchsverbots.472 In Anbetracht der EuGH-Rechtsprechung sei davon auszugehen, dass diese Regelung auf einer von Kapitalgesellschaften gefährdet würde; ferner Sørensen in: De la Feria / Vogenauer, S. 25, 31. 466 Die Vorschrift unter „Titel II Verwaltungsrechtliche Maßnahmen und Sank tionen“ lautet: „Handlungen, die nachgewiesenermaßen die Erlangung eines Vorteils, der den Zielsetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften zuwiderläuft, zum Ziel haben, indem künstlich die Voraussetzungen für die Erlangung dieses Vorteils geschaffen werden, haben zur Folge, dass der betreffende Vorteil nicht gewährt bzw. entzogen wird.“. 467 EuGH Urt. v. 21.7.2005 – Rs. C-515 / 03 Eichsfelder Schlachtbetrieb Slg. 2005, I-7355, Rn 39 f. 468 EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 52 ff. 469 Ebenso Sørensen CMLR 2006, 423, 438 Fn 53. 470 Sørensen CMLR 2006, 423, 438 Fn 53. 471 Die Regelung unter der Überschrift „Rechtsmissbrauch“ lautet: „Die Mitgliedstaaten können die Maßnahmen erlassen, die notwendig sind, um die durch diese Richtlinie verliehenen Rechte im Falle von Rechtsmissbrauch oder Betrug – wie z. B. durch Eingehung von Scheinehen – zu verweigern, aufzuheben
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Linie mit der bisherigen Konkretisierung des Grundsatzes des allgemeinen Missbrauchsverbots auszulegen sei.473 Der EuGH hat in Bezug auf diese Richtlinienbestimmung lediglich entschieden, dass die nach Art. 5, 7 RL 2004 / 38 / EG gewährten Nachzugsrechte eines aus einem Drittland stammenden Familienangehörigen eines Unionsbürgers von dem Aufnahmemitgliedstaat nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Art. 27 RL 2004 / 38 / EG) oder bei Vorliegen eines Rechtsmissbrauchs (Art. 35 RL 2004 / 38 / EG) beschränkt werden dürften.474 Zutreffend weist Ziegler darauf hin, dass die Vorschrift sich auf einen Missbrauch im vertikalen Verhältnis zwischen Staat und Bürger bezieht.475 472
Die Auslegung des Wortlauts („können“) der Vorschrift ergibt wie bei Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F.476, dass Art. 35 RL 2004 / 38 / EG die Mitgliedstaaten zur Ergreifung von Maßnahmen gegen einen Rechtsmissbrauch ermächtigt.477 Die Norm nennt beispielhaft einen Betrug478 durch Eingehung von Scheinehen. Sie spezifiziert mögliche Rechtsfolgen und begrenzt mitgliedstaatliche Maßnahmen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs „Rechtsmissbrauch“ stellt die Norm jedoch keine weiteren Kriterien bereit, aus denen sich ein eigenständiger Prüfungsmaßstab ableiten ließe. Folglich ist Art. 35 RL 2004 / 38 / EG als Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots auszulegen, dessen Prüfungsmaßstab vom EuGH zu konkretisieren ist.479
oder zu widerrufen. Solche Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein und unterliegen den Verfahrensgarantien nach den Artikeln 30 und 31.“. 472 Vgl. Sørensen CMLR 2006, 423, 438; Ziegler in: De la Feria / Vogenauer, S. 295, die sich auf ErwG 3 RL 2004 / 38 / EG bezieht, wonach „die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente […] kodifiziert und überarbeitet werden [müssen], um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken.“. 473 Sørensen CMLR 2006, 423, 438. 474 Vgl. EuGH Urt. v. 25.7.2008 – Rs. C-127 / 08 Metock Slg. 2008, I-6241, Rn 95; EuGH Urt. v. 19.12.2008 – Rs. C-551 / 07 Sahin Slg. 2008, I-10453, Rn 29. 475 Vgl. Ziegler in: De la Feria / Vogenauer, S. 295, 296. 476 Dazu bereits oben unter § 3 C. III. 1. c. aa) (1). 477 In diese Richtung auch Ziegler in: De la Feria / Vogenauer, S. 295, 296. 478 Zur Abgrenzung zwischen Betrug und Missbrauch i. S. v. Art. 35 RL 2004 / 38 / EG vgl. Costello in: De la Feria / Vogenauer, S. 321, 323 f. 479 In diese Richtung auch Ziegler in: De la Feria / Vogenauer, S. 295, 309: „In the end, deciding what amounts to an abuse of a right is a value judgment. […] The principle is therefore dependent on concretion and development for specified groups of cases. Whether this happens also depends as much on the willingness of the Court as a matter of policy as on the doctrinal questions.“.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
(4) Art. 13 RL 77 / 388 / EWG a. F. Aus Art. 13480 RL 77 / 388 / EWG481 a. F. folgerte der EuGH, die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen sei ein Ziel, das von der genannten Richtlinie anerkannt und gefördert werde.482 Zu „missbräuchlichen Praktiken“ habe der Gerichtshof bereits ausgeführt, dass ein Missbrauch vorliege, wenn zum einen eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergebe, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und wenn zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht vorhanden sei, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden.483 Art. 13 Teil B) RL 77 / 388 / EWG a. F. verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Gewährung von Steuerbefreiungen in bestimmten Fällen. Das ergibt die Auslegung des Wortlauts und folgt aus einem systematischen Vergleich mit Art. 13 Teil C) RL 77 / 388 / EWG, wonach die Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen das Recht der Option für eine Besteuerung einräumen „können“. Aus dem Wortlaut („zur Verhütung von […] etwaigen Missbräuchen“) folgen keine konkretisierenden Prüfungskriterien, sodass die Vorschrift als Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots auszulegen ist. Daran anknüpfend hat der EuGH in der Entscheidung Gemeente Leusden und Holin Groep484 einen objektiv-subjektiven Prüfungsmaßstab angelegt. 480 Die Regelung lautete: „B. Sonstige Steuerbefreiungen. Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien
die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen festsetzen, von der Steuer: […].“. 481 Sechste Richtlinie 77 / 388 / EWG des Rates vom 17.5.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. Nr. L 145 S. 1), außer Kraft zum 31.12.2006 durch Art. 411 Abs. 1 Richtlinie 2006 / 112 / EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1). 482 EuGH Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-487 / 01, C-7 / 02 Gemeente Leusden und Holin Groep Slg. 2004, 5337, Rn 76. 483 EuGH Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-487 / 01, C-7 / 02 Gemeente Leusden und Holin Groep Slg. 2004, 5337, Rn 78 unter Verweis auf EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 52 f. 484 EuGH Urt. v. 29.4.2004 – Rs. C-487 / 01, C-7 / 02 Gemeente Leusden und Holin Groep Slg. 2004, 5337.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL149
(5) E rgebnis zum Verhältnis zwischen dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot und im Sekundärrecht kodifizierten Missbrauchsverboten Zusammenfassend ist Sørensen darin zuzustimmen, dass das Verhältnis zwischen normierten Missbrauchsverboten und dem ungeschriebenen Grundsatz des allgemeinen Missbrauchsverbots je nach Ausgestaltung der normierten Vorschrift unterschiedlich ausfallen kann. Der europäische Gesetzgeber verwendet verschiedene Regelungstypen von Missbrauchsvorschriften. Im Sekundärrecht normierte Missbrauchsvorschriften können unmittelbar auf Grundlage einer Verordnung anwendbare Missbrauchsverbote enthalten (Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 2988 / 95). Darüber hinaus können Richt linienbestimmungen an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigungen (Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F., Art. 35 RL 2004 / 38 / EG) oder Verpflichtungen (Art. 13 RL 77 / 388 / EG) zum Erlass von Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung vorsehen. Unabhängig von diesen Regelungstypen können Missbrauchsvorschriften als Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes des Missbrauchsverbots ohne eigenständigen Prüfungsmaßstab (Art. 35 RL 2004 / 38 / EG485, Art. 13 RL 77 / 388 / EWG486), als Ausprägung des Grundsatzes des Missbrauchsverbots mit einem diesen konkretisierenden Prüfungsmaßstab (Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 2988 / 95)487 oder als Ausprägung nur des Rechtsgedankens des Missbrauchs mit einem autonomen Prüfungsmaßstab (Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F.)488 auszulegen sein. bb) V erhältnis zwischen Art. 11 SE-RL und dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot Auf Grundlage der vorstehenden Ergebnisse zur Untersuchung des grundsätzlichen Verhältnisses zwischen dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot und im Sekundärrecht kodifizierten Missbrauchsverboten ist nunmehr das Verhältnis zwischen dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot und dem in Art. 11 SE-RL kodifizierten Verbot des „Missbrauchs einer SE“ zu ermitteln: Der Wortlaut des Art. 11 SE-RL („eine SE dazu missbraucht wird“) enthält den unbestimmten Rechtsbegriff des „Missbrauchs“. Die Norm ist damit eine Ausprägung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des 485 Dazu
oben oben 487 Dazu oben 488 Dazu oben 486 Dazu
unter unter unter unter
§ 3 § 3 § 3 § 3
C. C. C. C.
III. III. III. III.
1. 1. 1. 1.
c) c) c) c)
aa) aa) aa) aa)
(3). (4). (2). (1).
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Missbrauchsverbots.489 Die Begriffe „Entziehen“ und „Vorenthalten“ spezifizieren nicht den Missbrauchs-Maßstab,490 sondern sind eigenständige, objektiv auszulegende Tatbestandsmerkmale. Da der Wortlaut keine den Begriff des „Missbrauchs der SE“ spezifizierenden Kriterien enthält, gibt Art. 11 SE-RL insoweit keinen eigenen, vom allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot abweichenden Prüfungsmaßstab vor. Daher ist der grundsätzlich objektiv-subjektive Prüfungsmaßstab des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots zugrunde zu legen.491 Die Prüfung des „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL erfordert somit ein objektives und ein subjektives Element.492 Beide Kriterien bedürfen jedoch der Konkretisierung im Hinblick auf die allgemein mit der SE-RL und speziell mit der Vorschrift des Art. 11 SE-RL verfolgten Zwecke. Im Hinblick auf das objektive Kriterium ist eine Konkretisierung der Zweckwidrigkeit der Maßnahme oder der Gestaltung durch – insbesondere teleologische – Auslegung des Art. 11 SE-RL erforderlich. Hinsichtlich des subjektiven Kriteriums bedarf es ebenfalls einer Konkretisierung der insoweit zu stellenden Anforderungen. Im Hinblick auf die Ausfüllung der vorstehenden Kriterien sind im Folgenden unter 2. durch Auslegung des Art. 11 SE-RL Argumente für eine Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs der SE“ herauszuarbeiten. 2. Konkretisierungsargumente für den Begriff „Missbrauch einer SE“ Zur Konkretisierung des Begriffs „Missbrauch einer SE“ sind die auch vom EuGH gebrauchten „klassischen“ Auslegungskriterien heranzuziehen.493 489 Ähnlich Sagan EBLR 2010, 15, 25, der Art. 11 SE-RL als Ausprägung speziell des Verbots des Missbrauchs der Niederlassungsfreiheit, in dessen Anwendungsbereich das aus Art. 1 SE-VO folgende Recht zur Gründung und zum Betrieb einer SE falle, begreift. 490 So auch Güntzel Diss. 2006, S. 281; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2702. 491 Ebenfalls für die Anwendung der Kriterien der Emsland-Stärke-Entscheidung des EuGH als grundsätzlichem Ausgangspunkt für den Missbrauchs-Maßstab in anderen Rechtsgebieten Weber in: De la Feria / Vogenauer, S. 395, 397: „I am of the opinion that the Court must follow in general the Emsland-Stärke test and that in light of the specific objective and the specific scope of European law in the various areas of law, the Court must define in further detail the general criteria from Emsland-Stärke on this.“. 492 So auch Sagan EBLR 2010, 15, 28; für § 43 SEBG auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 5. 493 Vgl. am Beispiel der Konkretisierung des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 26 f. Danach seien „sämtliche inhaltlichen Vorgaben, die die Richtlinie bietet […,] zusammenzutragen. Sie konturieren die äußeren Grenzen der Konkretisierung.“.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL151
Dazu ist Art. 11 SE-RL anhand des Wortlauts [sogleich unter a)], der Entstehungsgeschichte [b)], der systematischen Stellung innerhalb der SE-RL [c)] sowie des Zwecks [d)] auszulegen.494 a) Wortlaut-Konkretisierungsargumente Ausgangspunkt der Auslegung von Europarecht ist die grammatikalische Auslegung, d. h. die Auslegung des Wortlauts einer europarechtlichen Norm.495 aa) Überschrift des Art. 11 SE-RL: „Verfahrensmissbrauch“ Bereits die amtliche Überschrift des Art. 11 SE-RL nimmt den Begriff des Missbrauchs auf. Allerdings lautet die Normüberschrift präziser: „Verfahrensmissbrauch“496. Die Bezeichnung als Missbrauch eines Verfahrens könnte dahingehend auszulegen sein, dass von Art. 11 SE-RL lediglich ein Missbrauch im Zusammenhang mit dem zwischen der Arbeitgeberseite und dem bVG vor Gründung der SE nach Teil II, Art. 3 ff. SE-RL durchzuführenden „Verhandlungsverfahren“497 erfasst ist. Dazu könnten etwa ein Unterlassen oder eine nur teilweise Durchführung des Verhandlungsverfahrens, eine bewusst fehlerhafte Durchführung oder eine bewusst fehlerhafte Beeinflussung der Voraussetzungen oder Modalitäten des Verhandlungsverfahrens zählen. Gegen eine Begrenzung auf einen Missbrauch des Verhandlungsverfahrens spricht jedoch, dass im Wortlaut des Normtextes des Art. 11 SE-RL selbst von einem Missbrauch einer SE498 die Rede ist.499 Der sprachliche Unterschied lässt sich damit erklären, dass im ursprünglichen Richtlinien-Vorschlag vom Missbrauch „der Verfahren zur Gründung einer SE“ die 494 Vgl. allgemein zur Konkretisierung von Generalklauseln und speziell des Art. 3 Abs. 1 Klausel-RL Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 26, 29; zur Gewichtung der Auslegungskriterien vgl. allgemein Röthel Normkonkretisierung 2004, S. 134 ff.; ferner M. Schmidt Konkretisierung, S. 114 f.; vgl. auch bereits oben unter § 3 B. I. 3. 495 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 14. 496 Englischsprachige Fassung: „Misuse of procedures“; französischsprachige Fassung: „Détournement de procédure“. 497 Auch die englischsprachige („Negotiating procedure“) und die französischsprachige Fassung („Procédure de négotiation“) verwenden für die Überschrift in Teil II SE-RL und in Art. 11 SE-RL übereinstimmend das Wort „Verfahren“ / „procedure“ / „procédure“. 498 Englischsprachige Fassung: „misuse of an SE“; französischsprachige Fassung: „l’utilisation abusive d’une SE“. 499 So auch Sagan EBLR 2010, 15, 25.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
Rede war.500 In der amtlichen Fassung des Art. 11 SE-RL wurde zwar die ursprüngliche Überschrift beibehalten, der Normtext jedoch in: „eine SE […] missbraucht“ geändert. Ein Missbrauch nach Art. 11 SE-RL erfasst daher nicht nur missbräuchliche Verhaltensweisen im Zusammenhang mit dem Verhandlungsverfahren nach Art. 3 ff. SE-RL.501 Vielmehr umfasst Art. 11 SE-RL jeden Missbrauch der Rechtsform der SE.502 bb) Objektiv zweckwidrige Verhaltensweise Dem Wortlaut nach bedeutet „missbrauchen“: „Falsch, nicht seiner eigentlichen Bestimmung oder seinem eigentlichen Verwendungszweck entsprechend gebrauchen, benutzen; in unredlicher, unerlaubter Weise (für eigennützige Zwecke) gebrauchen, benutzen“.503 Der in der englischsprachigen Fassung des Art. 11 SE-RL verwendete Begriff „to misuse“ ist definiert als: „[To] use or employ wrongly or improperly; to apply a wrong purpose“.504 Voraussetzung für einen Missbrauch ist damit bereits nach dem Wortsinn ein bestimmtes Verhalten, dessen Zweck im Widerspruch zu einer eigentlich für eine bestimmte Verhaltensweise vorgesehenen Rechtsfolge steht.505 Da die Mitgliedstaaten durch Art. 11 SE-RL verpflichtet werden, zu verhindern, dass „eine SE […] missbraucht wird“, erfordert ein Missbrauch in diesem Sinne einen zweckwidrigen Gebrauch einer SE. Unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 11 SE-RL ergibt sich nicht, wessen missbräuchliches Verhalten die Mitgliedstaaten verhindern sollen. Der zweckwidrige Gebrauch einer SE setzt jedoch eine Verhaltensweise voraus, 500 Vgl. Art. 10 lit. a) Textvorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Aktiengesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer v. 15.10.1998, Dok. 11997 / 98 SOC 353 SE 33, nicht amtlich veröffentlicht, S. 20; dazu bereits oben im Rahmen der historischen Auslegung zur Bestimmung der Konkretisierungskompetenz unter § 3 B. I. 3. b); zur Konkretisierung des Art. 11 SE-RL mittels historischer Auslegung noch unter § 3 C. III. 2. b). 501 So auch bereits Sagan EBLR 2010, 15, 25. 502 Anders Sagan EBLR 2010, 15, 25, wonach Art. 11 SE-RL den Missbrauch des Rechts auf Gründung und Betrieb einer SE betrifft; nunmehr aber Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 189: „[…] jegliches Verhalten, das zu einem missbräuchlichen Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten führt.“. 503 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 2600. 504 The Oxford English dictionary, S. 904. 505 Nach Fleischer JZ 2003, 865, 870 liegt allgemein ein „Rechts- oder Normenmissbrauch“ vor, „wenn sich ein Marktteilnehmer durch rechtliche Gestaltung einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen will.“; vgl. zur Definition des Missbrauchs nach BGH Urt. v. 12.7.1951, III ZR 168 / 50, BGHZ 3, 94, 104, Rn 21, welche von Rehberg ZGR 2005, 859, 870 und Blanke ZIP 2006, 789, 791 sowie Forst Diss. 2010, S. 144 aufgegriffen wird, bereits oben unter § 3 C. III.
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die dem Unternehmen in der Rechtsform der SE oder den an seiner Gründung beteiligten Unternehmen und damit der Arbeitgeberseite zuzurechnen ist.506 Das missbräuchliche Verhalten kann sowohl in einem aktiven Tun als auch in einem passiven Unterlassen liegen. Dafür spricht der Wortlaut der Norm, der als tatbestandsmäßigen Erfolg sowohl ein „Entziehen“ als Ergebnis einer aktiven „Wegnahme“507 von Beteiligungsrechten als auch ein „Vorenthalten“ durch ein passives Unterlassen der Einräumung oder Gewährung von Beteiligungsrechten vorsieht. cc) A bgrenzung zum objektiven Erfolg des Entziehens oder Vorenthaltens Als Ergebnis der missbräuchlichen Verhaltensweise muss, wie die Auslegung des final formulierten Wortlauts („zu entziehen oder vorzuenthalten“508) ergibt, ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer festgestellt werden. Deshalb wurde das Merkmal des „Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten“ bereits als tatbestandsmäßiger Erfolg der Norm eingeordnet.509 Liegt zwar ein zweckwidriger Gebrauch einer SE vor, lässt sich jedoch kein tatbestandsmäßiger Erfolg in Form eines Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten feststellen, sind die Voraussetzungen des Art. 11 SE-RL nicht erfüllt. dd) Subjektiv zweckwidrige Verhaltensweise Mithilfe der Auslegung des Wortlauts des Art. 11 SE-RL könnten sich auch die Anforderungen an ein subjektives Element für den „Missbrauch einer SE“ konkretisieren lassen. In diesem Fall bedürfte es nicht mehr der Erörterung der im Hinblick auf den allgemeinen Grundsatz des unionsrechtlichen Missbrauchsverbots umstrittenen Frage, welche Anforderungen an 506 Bezüglich der Verhandlungspflichten von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite über eine Beteiligungsvereinbarung geht auch Forst Diss. 2010, S. 143, Fn 668 davon aus, dass Art. 11 SE-RL nur eine Verletzung der Verhandlungspflicht durch die Arbeitgeberseite sanktioniert. Zu Sanktionen einer Verletzung der Verhandlungspflicht durch die Arbeitnehmerseite unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots ausführlich Forst Diss. 2010, S. 144 ff. 507 Dazu, dass im ursprünglichen Richtlinienentwurf das Wort der „Wegnahme“ statt der „Entziehung“ von Beteiligungsrechte gebraucht wurde, bereits oben unter § 3 C. II. 1. b). 508 Hervorhebung durch Verf. 509 Vgl. oben unter § 3 C. II.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
das subjektive Element eines Missbrauchs zu stellen sind.510 Die deutschsprachige Fassung des Art. 11 SE-RL verbindet mit dem Wort „dazu“ das missbräuchliche Verhalten („eine SE dazu missbraucht wird“) mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg („Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“). Diese Verknüpfung könnte dahingehend auszulegen sein, dass das missbräuchliche Verhalten gezielt darauf gerichtet sein muss, den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen. Andererseits könnte die Formulierung des Art. 11 SE-RL in der deutschsprachigen Fassung dafür sprechen, dass ein zielgerichtetes Verhalten gerade nicht erforderlich ist. Es heißt gerade nicht, dass eine SE missbraucht wird, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Der Wortlaut ist somit nicht eindeutig und im Hinblick auf die subjektiven Anforderungen an den „Missbrauch einer SE“ verschiedenen Auslegungsergebnissen zugänglich. Dieses Auslegungsproblem lässt sich möglicherweise mit einem Blick auf die Richtlinien-Fassungen in anderen Sprachen lösen. Bei der WortlautAuslegung europäischer Rechtsakte ist grundsätzlich allen Sprachfassungen einer Unionsvorschrift der gleiche Wert beizumessen.511 Weichen Sprachfassungen voneinander ab, muss zur Wahrung der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts die Vorschrift anhand des Zwecks der Regelung ausgelegt werden.512 In der englischsprachigen Fassung des Art. 11 SE-RL heißt es: „[…] misuse of an SE for the purpose of depriving employees to employee involvement or withholding such rights“.513 In der französischsprachigen Fassung von Art. 11 SE-RL heißt es: „[…] l’utilisation abusive d’une SE aux fins de priver les travailleurs de droits en matière d’implication des travailleurs ou refuser ces droits“514. Diese Fassungen („for the purpose of“515, „aux fins de“516) stellen stärker als die deutschsprachige Fassung 510 Zur Problematik eines subjektiven Elements für das durch den EuGH anerkannte allgemeine unionsrechtliche Missbrauchsverbot oben unter § 3 C. III. 1. b). 511 EuGH Urt. v. 20.3.2003 – Rs. C-152 / 01 Kyocera Slg. 2003, 13821, Rn 32 m. w. N.; vgl. Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 15 m. w. N.; Rebhahn in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 18 Rn 17; angesichts der Arbeitssprache des EuGH – Französisch – wird jedoch zum Teil erwogen, im deutschen Sprachraum neben der deutschen „zumindest stets die französische Fassung“ einer Norm oder eines Urteils zu berücksichtigen (so Rebhahn in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 18 Rn 17; a. A. Stotz in: Riesenhuber, Europäi sche Methodenlehre, § 22 Rn 14). 512 EuGH Urt. v. 20.3.2003 – Rs. C-152 / 01 Kyocera Slg. 2003, 13821, Rn 33. 513 Hervorhebung durch Verf. 514 Hervorhebung durch Verf. 515 Die Wendung „for the purpose of“ wird übersetzt als: „zum Zwecke von, zwecks“, vgl. Law Dictionary, S. 1347. 516 Das Wort „fin“ wird i. S. v. „finalité, but, objectif“ als „Zweck, Absicht, Ziel“ übersetzt; die Wendung „à fin de“ wird übersetzt als: „zwecks“; die Wendung „aux
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(„dazu“) heraus, dass das missbräuchliche Verhalten das Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern bezwecken muss.517 Der Vergleich der Sprachfassungen ergibt somit, dass das missbräuchliche Verhalten jedenfalls ein subjektives Element erfordert. Allerdings bleibt auch nach Auslegung des Wortlauts weiter offen, welchen Grad dieses subjektive Element erreichen muss, ob also ein zweckgerichtetes Verhalten genügt oder ob es einer zielgerichteten Absicht518 des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten bedarf. Zwar scheint der Wortlaut („dazu“) lediglich ein zweckgerichtetes Verhalten zu verlangen. Jedoch kann die Auslegung im Hinblick auf die subjektiven Anforderungen an einen Missbrauch nach Art. 11 SE-RL nicht beim Wortlaut enden.519 Lässt sich beim Vergleich mehrerer Sprachfassungen keine Abweichung feststellen, sondern bestätigen sie allesamt ein einheitliches Ergebnis der Wortlaut-Auslegung, soll dies „zwar ein starkes Indiz für die vom Wortlaut nahegelegte Auslegung“520 darstellen. Allerdings muss dieses Indiz noch mittels weiterer Auslegungskriterien bestätigt werden.521 Auch im Übrigen gilt bei der Heranziehung des Wortlaut-Arguments, dass die Konkretisierung des bewusst unbestimmten Begriffs des „Missbrauchs“ es erfordert, diesen mithilfe weiterer Auslegungskriterien inhaltlich auszufüllen.522 ee) Ergebnis zu den Wortlaut-Konkretisierungsargumenten Zusammenfassend ergibt die Wortlaut-Auslegung, dass Art. 11 SE-RL entgegen seiner Überschrift „Verfahrensmissbrauch“ wegen der Wendung im Normtext selbst („eine SE dazu missbraucht wird“) jeden Missbrauch der Rechtsform der SE erfasst. Ferner ergibt sich bereits aus dem Wortlaut als Voraussetzung eines „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL das Erfordernis einer objektiv zweckwidrigen Verhaltensweise. In Bezug auf fins de“ wird übersetzt als „um … zu, damit“; vgl. zum Ganzen Doucet / Fleck Dictionnaire juridique et économique, S. 357. 517 So auch Forst Der Konzern 2010, 151, 160: „[…] verlangen die meisten anderen Sprachfassungen der SE-RL ausdrücklich ein finales Handeln“. 518 In diese Richtung Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57 („die Rechtsform der SE gezielt ausgenutzt wird“). 519 Vgl. allgemein zum begrenzten Aussagegehalt grammatikalischer Auslegung Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 16. 520 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 16. 521 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 16. 522 Vgl. allgemein Röthel Normkonkretisierung 2004, S. 134 f.; M. Schmidt Konkretisierung, S. 114.
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subjektive Anforderungen an einen „Missbrauch einer SE“ folgt aus dem Wortlaut sowohl der deutschsprachigen als auch der englisch- und französischsprachigen Fassung, dass eine subjektive Komponente jedenfalls erforderlich ist. Ob der tatbestandsmäßige Erfolg bloß bezweckt oder absichtlich herbeigeführt werden muss, lässt sich allein mit der Auslegung des Wortlauts nicht abschließend klären. Hierzu bedarf es der Heranziehung weiterer Auslegungskriterien, insbesondere teleologischer523 Konkretisierungsargumente. b) Historische Konkretisierungsargumente Bei der historischen Auslegung des Art. 11 SE-RL steht die Ermittlung der Entstehungsgeschichte der europarechtlichen Regelung im Vordergrund.524 Wie bereits im Rahmen der historischen Auslegung des Art. 11 SE-RL im Hinblick auf die Trägerschaft der Konkretisierungskompetenz erläutert,525 fand eine Klausel zum „Verfahrensmissbrauch“ erstmals Eingang in den Kompromissvorschlag der österreichischen Ratspräsidentschaft vom 15. Oktober 1998 für eine Arbeitnehmerbeteiligungs-Richtlinie526. Dessen Art. 10 lit. a) lautete: „Die Mitgliedstaaten treffen im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen, um zu verhindern, daß die Verfahren zur Gründung einer SE mißbraucht werden, um den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte wegzunehmen oder vorzuenthalten.“527
Mit dieser Regelung wollte die österreichische Präsidentschaft die Bedenken einiger Mitgliedstaaten einer etwaigen Ermöglichung einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ ausräumen.528 Die Missbrauchsklausel wurde in den darauffolgenden Richtlinien-Vorschlägen529 beibehalten und schließlich na523 Zu
teleologischen Konkretisierungsargumenten noch unter § 3 C. III. 2. d). allgemein zur historischen Auslegung europäischer Rechtsakte Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 30. 525 Oben unter § 3 B. I. 3. b) bb). 526 Art. 10 lit. a Textvorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Aktiengesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer v. 15.10.1998, Dok. 11997 / 98 SOC 353 SE 33, nicht amtlich veröffentlicht, S. 20; vgl. dazu Mävers Diss. 2002, S. 344 ff. m. w. N.; Kuffner Diss. 2003, S. 41 f. m. w. N. 527 Vgl. Mävers Diss. 2002, S. 351 Fn 1472. 528 Mävers Diss. 2002, S. 351 f.; ebenso Oetker in FS Birk 2008, S. 557, 558; vgl. zu den Bedenken einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ im Rahmen der Debatte um die SE-Einführung bereits oben unter § 2 C. I. 529 Zur weiteren Entwicklung Mävers Diss. 2002, S. 357 ff.; Kuffner Diss. 2003, S. 42 ff. m. w. N. 524 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL157
hezu unverändert als Art. 11 SE-RL verabschiedet.530 Die österreichische Ratspräsidentschaft wollte damit für den Fall nicht vorhersehbarer Lücken in der Konzeption des Schutzes der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE einen „Notfall-Anker“ bereitstellen.531 Zwar soll die historische Auslegung im Europäischen Privatrecht eine „zentrale Rolle“532 spielen. Jedoch zeigt sich bei der Heranziehung dieses Kriteriums zur Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs, dass sich damit im Grunde lediglich die Entscheidung des historischen SE-Gesetzgebers abbilden lässt, bewusst eine ausfüllungsbedürftige Regelung schaffen zu wollen.533 Eine „zentrale Rolle bei der Ermittlung des Gesetzgeberwillens“534 spielen die Erwägungsgründe eines Rechtsaktes, die auch bei der SE-RL dem normativen Teil der Richtlinie vorangestellt sind. Da sich aus den Erwägungsgründen insbesondere der „historische Gesetzeszweck“535 ableiten lässt, wird auf diese noch im Rahmen der Konkretisierung des Art. 11 SERL mittels des teleologischen Auslegungskriteriums eingegangen werden.536 Aus der Begründung537 des deutschen Gesetzgebers zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL in § 43 SEBG ergibt sich, dass mit Art. 11 SE-RL der Gefahr begegnet werden soll, „dass die Rechtsform der SE gezielt ausgenutzt wird, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorzuenthalten oder zu entziehen“. Allerdings soll danach bei einer Konkretisierung des Missbrauchs-Begriffs zu berücksichtigen sein, „dass die [SE-]Verordnung gerade die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit erleichtern will“. Daher werde „die Nutzung der vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten allein […] den Vorwurf des Missbrauchs nicht begründen können“. Zwar ist die Begründung des deutschen Gesetzgebers aufgrund der Letztkonkretisierungskompetenz des EuGH für Art. 11 SE-RL nicht verbindlich.538 Dennoch ist die Begründung zu § 43 SEBG Ausdruck der Konkretisierungsprärogative des mitgliedstaat530 Vgl. zur Änderung des amtlichen Normtextes in den Missbrauch „eine[r] SE“ unter Beibehaltung der Überschrift als „Verfahrensmissbrauch“ bereits oben unter § 3 C. III. 2. a) aa). 531 Vgl. zum Ganzen bereits oben unter § 3 B. I. 3. b) bb). 532 So Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 30. 533 Vgl. allgemein zum begrenzten Nutzen der historischen Auslegung bei der Konkretisierung von Generalklauseln Röthel Normkonkretisierung 2004, S. 135 f.; für europarechtliche Generalklauseln M. Schmidt Konkretisierung, S. 114 f. 534 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 36. 535 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 40. 536 Unten unter § 3 C. III. 2. d). 537 Zum Folgenden Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 538 Vgl. zur Verteilung der Konkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL oben unter § 3 B. I. 3.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
lichen Gesetzgebers. Ungeachtet dessen handelt es sich bei den knappen Ausführungen in der deutschen Gesetzesbegründung um teleologische Erwägungen, die sich auch ohne Rückgriff auf die Begründung unmittelbar auf die SE-RL stützen lassen. Auf diese wird im Rahmen der teleologischen Auslegung des Art. 11 SE-RL zurückzukommen sein.539 c) Systematische Konkretisierungsargumente Ziel der systematischen Auslegung europäischen Rechts ist es, „eine Rechtsnorm als Bestandteil eines (äußerlich und innerlich) geordneten Regelungsganzen zu verstehen und durch ihre Stellung in diesem System Rückschlüsse auf ihre Bedeutung zu ziehen“540. Das systematische Auslegungskriterium zur Konkretisierung europarechtlicher Generalklauseln soll dazu dienen, „aus dem Gesetz selbst und aus seiner Stellung in der Rechtsordnung heraus festzustellen, welche inhaltlichen Faktoren bei der Konkretisierung zu berücksichtigen sind“541. Die Konkretisierung des Art. 11 SE-RL anhand des systematischen Auslegungskriteriums ist deshalb besonders wichtig, da nach Auffassungen in der Literatur ein Missbrauch einer SE aufgrund der den SE-Regelungen „bereits immanenten Missbrauchsschranken“542 praktisch schwierig zu begründen sein soll. aa) Regelungsort in „Teil III Sonstige Bestimmungen“ der SE-RL Systematisch ist Art. 11 SE-RL innerhalb der SE-RL in „Teil III Sonstige Bestimmungen“ geregelt. Die systematische Stellung des Art. 11 SE-RL im Kontext der Regelungen, die unter „Sonstige Bestimmungen“ zusammengefasst sind,543 verdeutlicht den formalen Ausnahme-Charakter544 der Missbrauchs-Vorschrift. 539 Unten
unter § 3 C. III. 2. d). in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 22. 541 M. Schmidt Konkretisierung, S. 115. 542 Für § 43 SEBG im Hinblick auf die Missbrauchsschranken in der SE-VO, dem SEAG, dem deutschen Aktiengesetz und dem SEBG Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a; so auch, allerdings ohne Nennung des deutschen Aktiengesetzes, Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 54; in Bezug auf die Missbrauchsschranken im SEBG auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 1; vgl. auch Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 543 Weitere Bestimmungen in diesem Teil der SE-RL befassen sich mit der Verschwiegenheit und Geheimhaltung von Mitgliedern des bVG, des Vertretungsorgans und unterstützenden Sachverständigen (Art. 8 SE-RL), der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Unternehmens- und Vertretungsorgan (Art. 9 SE-RL), dem Schutz der Arbeitnehmervertreter (Art. 10 SE-RL), Maßnahmen zur Einhaltung der 540 Riesenhuber
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL159
Fraglich ist, welche Folgen die systematische Einordnung des Art. 11 SERL als formale Ausnahmevorschrift für die Konkretisierung der Vorschrift zeitigt. Zum Teil wird gefordert, europarechtliche Ausnahmeregeln seien generell eng auszulegen.545 Der EuGH legt in seiner Rechtsprechung zum Verbraucherschutzrecht Ausnahmen von unionsrechtlichen Vorschriften generell eng aus.546 Nach Riesenhuber547 sei diese Rechtsprechung vor dem Hintergrund der Integrationsbemühungen zu sehen, sodass nach dem EuGH Ausnahmevorschriften Ausdruck davon seien, dass das eigentliche Angleichungsziel bereits im Gesetzgebungsverfahren durch Kompromisse eingeschränkt wurde und zur weitestmöglichen Durchsetzung der Rechtsangleichung Ausnahmen möglichst beschränkt werden müssten. Dagegen wendet sich Riesenhuber, wonach das Versehen einer Norm mit einem „Ausnahmecharakter“ im Grunde eine Reaktion auf eine nur unzureichende teleologische Begründung der Norm sei. Daher seien auch Ausnahmevorschriften „nach den herkömmlichen Methoden auszulegen“548. Dazu sei zunächst zu ermitteln, ob eine Regelung nicht nur formal, sondern auch materiell eine Ausnahme darstellt.549 544
Anknüpfend an die Kritik Riesenhubers ist eine enge Auslegung des Art. 11 SE-RL mit der Begründung, dass diese Regelung als AusnahmevorRichtlinie (Art. 12 SE-RL), dem Verhältnis der SE-RL zu anderen Bestimmungen (Art. 13 SE-RL) und sonstigen Schlussbestimmungen (Art. 14–17 SE-RL). 544 Vgl. für § 43 SEBG Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 527 („Ausnahmefall“); für Art. 11 SE-RL i. E. auch Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 257, wonach der Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL „sehr begrenzt“ bleiben wird; Storm The SE 2008, S. 3, 14 („The scope for escaping employee participation is very limited.“); Sagan EBLR 2010, 15, 16, 40 („limited scope“); für § 43 SEBG Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a, wonach der Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG „schmal“ ausfalle; Rieble BB 2006, 2018, 2022, wonach § 43 SEBG „kaum einen Anwendungsbereich“ habe; Hennsler in: Ulmer / Habersack / Henssler Einl. SEBG, 2. Aufl. 2006, Rn 216, wonach der Anwendungsbereich des § 43 SEBG „gering“ sein dürfte. 545 Vgl. die Nachweise bei Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 61, Fn 175. 546 Vgl. etwa EuGH Urt. v. 10.5.2001 – Rs. C-203 / 99 Veedfald Slg. 2001, I-3569 Rn 15 zur ausnahmsweisen Befreiung des Produktherstellers von der grundsätzlich verschuldensunabhängigen Haftung gemäß Art. 7 RL 85 / 374 / EWG des Rates vom 25.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte, ABl. L 210, S. 29; EuGH Urt. v. 13.12.2001 – Rs. C-481 / 99 Heininger Slg. 2001, I-9945 Rn 31; vgl. dazu Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 61. 547 Zum Folgenden Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 62. 548 Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 62. 549 Vgl. Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 63.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
schrift generell eng auszulegen ist,550 abzulehnen. Vielmehr lässt sich erst im Wege der teleologischen Auslegung ermitteln, in welches Verhältnis Art. 11 SE-RL die widerstreitenden Interessen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite stellt. Mithin wird im Rahmen der Konkretisierung des Art. 11 SE-RL mittels des teleologischen Auslegungskriteriums zu prüfen sein, ob die Vorschrift nicht nur formal, sondern auch materiell als Ausnahmevorschrift konzipiert ist.551 bb) Abgrenzung zur „Nichteinhaltung der Richtlinie“ Aufschluss über die Reichweite des Missbrauchs-Begriffs in Art. 11 SERL gibt ein systematischer Vergleich mit Art. 12 SE-RL, der an ErwG 16 SE-RL anknüpft. Danach sollen die Mitgliedstaaten „geeignete Maßnahmen für den Fall vorsehen, dass die in dieser Richtlinie festgelegten Pflichten nicht eingehalten werden“552. Auf Grundlage von ErwG 16 SE-RL und nach dem Vorbild des Art. 11 EBR-RL553 enthält Art. 12 SE-RL an die Mitgliedstaaten adressierte Handlungsaufträge554 für den Fall der „Nichteinhaltung der Richtlinie“.555 Danach trägt jeder Mitgliedstaat „dafür Sorge, dass die Leitung der Betriebe einer SE und die Aufsichts- oder die Verwaltungsorgane der Tochtergesellschaften und der beteiligten Gesellschaften, die sich in seinem Hoheitsgebiet befinden, und ihre Arbeitnehmervertreter oder gegebenenfalls ihre Arbeitnehmer den Verpflichtungen dieser Richtlinie nachkommen, unabhängig davon, ob die SE ihren Sitz in seinem Hoheitsgebiet hat oder nicht“556. Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten „geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vor[sehen]; 550 In
341.
diese Richtung für § 43 SEBG etwa Henssler in GS Heinze 2005, S. 333,
551 Zur Konkretisierung des Art. 11 SE-RL anhand des teleologischen Auslegungskriteriums noch unter § 3 C. III. 2. d). 552 ErwG 16 SE-RL. 553 Vgl. die Regelungen in Art. 11 Abs. 1, 2 EBR-RL zur Einhaltung der Richtlinie über den Europäischen Betriebsrat (EBR-RL). Diese Regelungen bei der Auslegung von Art. 12 SE-RL heranziehend Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 12 SE-RL Rn 1 ff. 554 Zur Einordnung des Art. 11 SE-RL als formellen Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten siehe bereits oben unter § 3 A. I. 1. 555 So auch Güntzel Diss. 2006, S. 282, wobei der Hinweis, Art. 12 SE-RL greife nicht bei Maßnahmen, „mit denen der Anwendungsbereich der SE-RL umgangen wird“, unklar bleibt. Eine SE-Gründung unter Umgehung des gesamten „Anwendungsbereichs der SE-RL“ scheint ausgeschlossen. Vielmehr geht es darum, die Nichteinhaltung (Art. 12 SE-RL) oder missbräuchliche (Art. 11 SE-RL) Umgehung konkreter Schutznormen der SE-RL zu verhindern. 556 Art. 12 Abs. 1 SE-RL.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL161
sie sorgen insbesondere dafür, dass Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren bestehen, mit denen die Erfüllung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen durchgesetzt werden kann.“557 Der systematische Vergleich mit den vorstehenden Bestimmungen ergibt, dass der Richtliniengeber ausdrücklich zwischen einer „Nichteinhaltung der Richtlinie“ (Art. 12 Abs. 2 SE-RL) und einem „Missbrauch einer SE“ (Art. 11 SE-RL) unterscheidet. Daher kann ein Missbrauch nicht bereits in der Nichterfüllung einer Pflicht nach der SE-RL liegen.558 Eine Einordnung der bloßen Nichterfüllung einer Pflicht nach der SE-RL als Unterfall des Missbrauchs einer SE würde die vom Richtliniengeber vorgenommene Differenzierung zwischen der Nichteinhaltung von Vorschriften der SE-RL und dem Missbrauch einer SE unterlaufen. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass Art. 11 SE-RL eine gegenüber Art. 12 SE-RL speziellere Regelung für den Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer ist, die auch den Fall der Nichteinhaltung speziell von Regelungen zum Schutz von Beteiligungsrechten umfasst. Zwar steht Art. 11 SE-RL regelungstechnisch vor Art. 12 SE-RL, was einen Vorrang des Art. 11 SE-RL gegenüber Art. 12 SE-RL stützen könnte. Allerdings bezieht sich Art. 12 Abs. 1 SE-RL ausdrücklich auch auf die Verpflichtungen der Leitungen der Betriebe einer SE sowie der Aufsichts- oder Verwaltungsorgane der Tochtergesellschaften und der beteiligten Gesellschaften. Auch die nach Art. 12 Abs. 2 SE-RL geforderten Maßnahmen beziehen sich aufgrund des engen systematischen Zusammenhangs mit Abs. 1 auf die Nichteinhaltung von Verpflichtungen dieser Organe. Darüber hinaus verfolgt die SE-RL als Regelwerk insgesamt das Ziel, „dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen“559. Eine Differenzierung zwischen allgemeinen Regelungen der Beteiligungsrechte und speziellen Vorschriften zum Schutz von Beteiligungsrechten ist der SE-RL daher fremd. Mithin stehen Art. 11 SE-RL und Art. 12 SE-RL nicht in einem Spezialitäts-, sondern in einem Exklusivitätsverhältnis. Die 557 Art. 12
Abs. 2 SE-RL. Art. 12 SE-RL die praktische Relevanz des Art. 11 SE-RL abschwächend M. Heinze ZGR 2002, 66, 87; ebenfalls zwischen Missbrauch und Nichteinhaltung abgrenzend – wenn auch ohne dogmatische Anknüpfung wie hier an Art. 12 SE-RL – differenziert Sagan EBLR 2010, 15, 22 zwischen einem Rechtsbruch und einem Rechtsmissbrauch im Rahmen seiner Kritik an der deutschen Regelung des § 43 S. 2 SEBG, wonach ein Missbrauch vermutet wird, wenn ohne Durchführung der Wiederaufnahme eines Verhandlungsverfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. 559 ErwG 3 S. 1 SE-RL. 558 Wegen
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
bloße Nichteinhaltung von Pflichten aus der SE-RL ist kein Missbrauch einer SE. Vielmehr erfordert ein Missbrauch i. S. d. Art. 11 SE-RL geradezu, dass die Voraussetzungen einer Norm nach dem Sachverhalt „an sich“ erfüllt sind und sich die Berufung auf die Rechtsfolge der Norm dennoch als zweckwidrig erweist.560 cc) Abgrenzung zur „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ Im Rahmen der systematischen Auslegung des Art. 11 SE-RL ist dieser zu Art. 3 Abs. 4 SE-RL abzugrenzen. Letzterer enthält eine spezielle Regelung für den Abschluss einer Vereinbarung, die eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ zur Folge hätte. Eine Minderung in diesem Sinne liegt vor, wenn „der Anteil der Mitglieder der Organe der SE i. S. d. Artikels 2 Buchstabe k geringer ist als der höchste in den beteiligten Gesellschaften geltende Anteil“561. Für den Fall, dass erstens die Verhandlungen eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge“562 hätten und zweitens sich die Mitbestimmung bisher auf mindestens 25 % (bei Verschmelzungsgründung) oder 50 % (bei Holding-SE-Gründung) der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erstreckt,563 ist eine besondere Mehrheit für einen Zustimmungsbeschluss des bVG erforderlich. Abweichend vom Grundsatz – absolute Mehrheit des bVG, die zugleich auch die absolute Mehrheit der Arbeitnehmer vertritt –564 bedarf es dann einer qualifizierten565 Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der Mitglieder des bVG, die mindestens zwei Drittel der Arbeitnehmer aus mindestens zwei Mitgliedstaaten vertreten müssen.566 Bereits im Rahmen der Konkretisierung der hier als tatbestandsmäßige Erfolge qualifizierten Tatbestandsmerkmale „Entziehen“567 oder „Vorenthal ten“568 von Beteiligungsrechten wurde nachgewiesen, dass diese Merkmale 560 Vgl. Sagan EBLR 2010, 15, 22, wonach die Nichteinhaltung der Pflicht zur Wiederholung des Verhandlungsverfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG nichts anderes sei als ein Rechtsbruch, während das Prinzip des Rechtsmissbrauchs durch die formelle Beachtung des Rechts gekennzeichnet sei. 561 Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL. 562 Art. 3 Abs. 4 S. 3 Hs. 1 SE-RL. 563 Art. 3 Abs. 4 S. 3 letzter Hs. SE-RL. Aus dieser Voraussetzung folgt zugleich, dass ein solcher Beschluss im Fall der Gründungsvariante der Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) ganz ausgeschlossen ist; in der deutschen Umsetzung ausdrücklich geregelt in § 15 Abs. 5 SEBG. 564 Art. 3 Abs. 4 S. 1 SE-RL. 565 Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 6. 566 Art. 3 Abs. 4 S. 3 SE-RL. 567 Vgl. bereits oben unter § 3 C. II. 1. c). 568 Vgl. bereits oben unter § 3 C. II. 2. b).
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL163
nicht bei einer bloßen „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ erfüllt sind, da eine solche unter den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 SE-RL zulässig sein kann. Aus dem systematischen Vergleich des Art. 11 SE-RL mit Art. 3 Abs. 4 SE-RL folgt somit, dass eine Gestaltung einen Missbrauch einer SE nicht begründen kann, wenn eine Norm diese Gestaltungsmöglichkeit ausdrücklich zulässt. dd) Abgestuftes Schutzkonzept der SE-RL Aus den Regelungen der SE-RL lässt sich ein nach den SE-Gründungsvarianten (Art. 2 Abs. 1–4 SE-VO) abgestuftes Konzept zum Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer ableiten. Der Richtliniengeber erachtet in den Fällen der SE-Gründung durch Umwandlung und Verschmelzung die Gefahr für den Bestand an Beteiligungsrechten für größer als bei der Gründung einer Holding- oder Tochter-SE.569 Der Grund hierfür ist, dass die beteiligten Gesellschaften bei der Umwandlung und Verschmelzung untergehen, während bei der Holding- und Tochter-SE lediglich die bestehende Unternehmensstruktur nach oben oder unten um die SE-Gesellschaft ergänzt wird. Vor diesem Hintergrund sind die in der SE-RL vorgesehenen Mechanismen zum Schutz von Beteiligungsrechten abhängig von den Gefährdungspotentialen der verschiedenen Gründungsvarianten unterschiedlich stark ausgestaltet. Nach dem Willen des Richtliniengebers geht es um ein „angemessenes Verhältnis“ zwischen den Abstimmungsregeln für Vereinbarungen mit einem geringeren Maß an Mitbestimmung und der „Gefahr der Beseitigung oder Einschränkung der bestehenden Mitbestimmungssysteme und -praktiken“570. Das Konzept des abgestuften Schutzes ist auch bei der Bestimmung des Prüfungsmaßstabs des „Missbrauchs einer SE“ nach Art. 11 SE-RL zu berücksichtigen. Speziell für die Gründungsvariante der Umwandlung sieht Art. 4 Abs. 4 SE-RL einen besonders ausgeprägten Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer im Hinblick auf den Inhalt der Beteiligungsvereinbarung vor, indem „[…] in der Vereinbarung im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden [muss], das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll.“ Außer in Art. 4 Abs. 4 SE-RL kommt der besondere Bestandschutz bei der Umwandlungsgründung in Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 3 SE-RL zum Tragen. Demnach kann ein Beschluss des bVG, keine Verhandlungen aufzunehmen 569 Vgl.
ErwG 10 S. 2 SE-RL. S. 1 SE-RL.
570 ErwG 10
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
oder bereits aufgenommene Verhandlungen abzubrechen,571 im Fall der Umwandlung einer mitbestimmten Aktiengesellschaft in eine SE nicht gefasst werden. Darüber hinaus sieht Art. 7 Abs. 2 lit. a) i. V. m. Teil 3 lit. a) S. 1 Anhang SE-RL im Hinblick auf die gesetzliche Auffangregelung einen besonderen Schutz des Beteiligungsrechts auf „Mitbestimmung“ für den Fall der Umwandlung einer mitbestimmten Aktiengesellschaft in eine SE vor.572 Aus diesen Regelungen ergibt sich ein umfassender Schutz von Beteiligungsrechten speziell für den Fall der Umwandlungsgründung, um einer „Flucht aus der Mitbestimmung“ zu begegnen.573 Dem ist auch im Rahmen der Konkretisierung des „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL Rechnung zu tragen. Der starke Bestandschutz bei der Umwandlungsgründung darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass eine andere Gestaltung gewählt wird, die eine missbräuchliche Umgehung des Art. 4 Abs. 4 SE-RL ist. Andererseits ergibt sich im Umkehrschluss aus dem systematischen Vergleich mit Art. 4 Abs. 4 SE-RL, dass in anderen Gründungsvarianten als der Umwandlung gerade nicht in Bezug auf alle Komponenten574 der Arbeitnehmerbeteiligung das gleiche Ausmaß575 wie in den Gründungsgesellschaften 571 Art. 3
Abs. 6 Unterabs. 1 SE-RL. gilt: „Fanden im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE vor Eintragung der durch Umwandlung gegründeten SE Vorschriften eines Mitgliedstaats über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan Anwendung, so finden alle Komponenten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer weiterhin Anwendung.“. 573 Vgl. für §§ 16 Abs. 3, 15 Abs. 4, 21 Abs. 6, 35 Abs. 1 SEBG Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 20. 574 Unklar ist die Reichweite des Begriffs der „Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“. Die deutsche Regierungsbegründung (Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 21 SEBG, S. 52) spricht davon, dass „nicht nur der zahlenmäßige Anteil der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan zu gewährleisten [ist], sondern auch alle weiteren Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung, die vor der Umwandlung bestanden haben. Damit sind insbesondere konkret bestehende Mitbestimmungsrechte gemeint.“; vgl. für eine restriktive Auslegung Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 657, wonach der Begriff der „Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“ keine tragfähige Grundlage für eine extensive Auslegung liefere; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 21; vgl. auch Oetker in FS Birk 2008, S. 557, 567 ff.; Hoops Diss. 2009, S. 177 ff.; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 800; Forst Diss. 2010, S. 201 ff.; Forst Der Konzern 2010, 151, 154; für eine weite Auslegung wohl Krause BB 2005, 1221, 1226; für eine weite Auslegung, wonach das jeweilige in der umzuwandelnden Gesellschaft bestehende Beteiligungssystem der Arbeitnehmer zu 100 % in die SE zu übernehmen sei: Güntzel Diss. 2006, S. 232 f.; gegen eine Beschränkung auf die Garantie eines prozentualen Anteils der Arbeitnehmervertreter im Unternehmensorgan und für eine Ausdehnung des Schutzes auf „konkret bestehende Mitbestimmungsrechte“: Henssler ZHR 173 (2009) 222, 241. 575 Zur Auslegung des Begriffs des „gleichen Ausmaßes“ vgl. Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 657; Oetker in FS Birk 2008, S. 557, 568 ff. 572 Danach
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL165
gewährleistet sein muss. Daher kann die bewusst nur für die Umwandlungsgründung angeordnete weitgehende Übertragung bestehender Mitbestimmungsrechte auf die SE nicht über die Missbrauchsklausel des Art. 11 SERL zum Standard auch für die Fälle der Verschmelzungs-, der Holding-SE und der Tochter-SE-Gründung erhoben werden. Auch innerhalb der drei zuletzt genannten Gründungsvarianten lässt sich eine weitere Abstufung des Schutzkonzepts der SE-RL ausmachen. Der Richtliniengeber sieht nicht nur die SE-Gründung durch Umwandlung, sondern auch die Verschmelzungsgründung gegenüber den weiteren Gründungsvarianten der Holding- oder Tochter-SE-Gründung als für den Bestand an Beteiligungsrechten gefährlicher an.576 Dementsprechend hat der Richtliniengeber die Voraussetzungen mehrerer Schutzmechanismen auch innerhalb dieser drei Gründungsvarianten unterschiedlich stark ausgestaltet. Das betrifft etwa die unterschiedlichen Schwellenwerte in Art. 3 Abs. 4 SE-RL. Eine qualifizierte577 Mehrheit für den Beschluss über eine Beteiligungsvereinbarung, die eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ zur Folge hätte, ist nach Art. 3 Abs. 4 S. 3 letzter Hs. SE-RL nur erforderlich, sofern ein bestimmter Anteil an Arbeitnehmern der zu gründenden SE bislang in den Gründungsgesellschaften bereits über Mitbestimmungsrechte verfügte. Dieser Anteil muss bei der Verschmelzungsgründung nur 25 %, bei der Gründung als Holding- oder Tochter-SE hingegen 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften betragen. Werden diese Schwellenwerte unterschritten, bedarf es für den Beschluss lediglich der grundsätzlich erforderlichen absoluten Mehrheit (Art. 3 Abs. 4 S. 1 SERL). Der Schutzmechanismus in Form des Erfordernisses einer qualifizierten578 Mehrheit der bVG-Mitglieder greift somit bei der Verschmelzungsgründung früher als bei der Gründung als Holding- oder Tochter-SE. Demnach darf der erhöhte Bestandschutz bei der Verschmelzungsgründung gegenüber der Holding- oder Tochter-SE-Gründung nicht durch die Wahl einer Gestaltung, die eine missbräuchliche Umgehung des Schutzes bei der Verschmelzungsgründung (Art. 3 Abs. 4 S. 3 letzter Hs. SE-RL) darstellt, unterlaufen werden. Ähnlich hat der Richtliniengeber die Voraussetzungen für das Eingreifen der gesetzlichen Auffangregelung über die Mitbestimmung nach Art. 7 Abs. 2 i. V. m. Teil 3 Anhang SE-RL nach Verschmelzungsgründung579 576 Vgl.
ErwG 10 S. 2 SE-RL. in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 6. 578 Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 6. 579 Art. 7 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich SE-RL sieht einen Schwellenwert von mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften vor, auf die sich die Mitbestimmung vor Eintragung der SE erstreckte. 577 Jacobs
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
[lit. b)] einerseits und Holding-oder Tochter-SE-Gründung580 [lit. c)] andererseits differenziert ausgestaltet. Dementsprechend darf der erhöhte Bestandschutz bei der Verschmelzungsgründung gegenüber der Holding- oder Tochter-SE-Gründung auch nicht durch die Wahl einer Gestaltung, die eine missbräuchliche Umgehung des Schutzes bei der Verschmelzungsgründung (Art. 7 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich SE-RL) darstellt, unterlaufen werden. ee) Ergebnis zu den systematischen Konkretisierungsargumenten Zusammengefasst spricht der Regelungsort innerhalb der SE-RL unter „Teil III Sonstige Bestimmungen“ für einen formellen Ausnahmecharakter des Art. 11 SE-RL. Ob die Norm auch materiell als Ausnahmevorschrift konzipiert ist, bedarf der weiteren Konkretisierung, insbesondere anhand teleologischer Argumente.581 Art. 11 SE-RL ist zur bloßen Nichteinhaltung von Verpflichtungen nach der SE-RL (Art. 12 SE-RL) abzugrenzen. Letzteres begründet nicht bereits einen Missbrauch einer SE.582 Ferner ist Art. 11 SE-RL zur „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ (Art. 3 Abs. 4 SE-RL) abzugrenzen, welche unter den dortigen Voraussetzungen zulässig ist. Eine Gestaltung kann einen Missbrauch einer SE nicht begründen, wenn eine Norm diese Gestaltungsmöglichkeit ausdrücklich zulässt.583 Die SE-RL verfolgt ein nach Gründungsvarianten abgestuftes Schutzkonzept von Beteiligungsrechten. Der Schutz bestehender Beteiligungsrechte ist am stärksten bei der SE-Gründung durch Umwandlung, schwächer bei der Verschmelzungsgründung und am schwächsten bei der Gründung als Holding- oder Tochter-SE. Diese Abstufung darf nicht durch die Wahl einer Gestaltung umgangen werden, die eine missbräuchliche Umgehung eines stärkeren Schutzniveaus ist.584 d) Teleologische Konkretisierungsargumente Bei der Konkretisierung des Merkmals „Missbrauch einer SE“ in Art. 11 SE-RL mittels des teleologischen Auslegungskriteriums geht es um die Er580 Art. 7 Abs. 2 lit. c) 2. Spiegelstrich SE-RL erhöht den Schwellenwert des Art. 7 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich SE-RL von 25 % auf 50 %. 581 Vgl. oben § 3 C. III. 2. c) aa); zu den teleologischen Argumenten sogleich unter § 3 C. III. 2. d). 582 Vgl. oben § 3 C. III. 2. c) bb). 583 Vgl. oben § 3 C. III. 2. c) cc). 584 Vgl. oben § 3 C. III. 2. c) dd).
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL167
mittlung der mit der Norm verfolgten Zwecke. Hierbei kommt der Charakter des Art. 11 SE-RL als ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel585 mit der Funktion als „Einfallstor für die Wertungen“586 der SE-RL zum Tragen. Somit kommt der teleologischen Auslegung587 der SE-RL bei der Konkretisierung der Generalklausel ausschlaggebende Bedeutung zu. Eine entscheidende Rolle spielen hierbei die vom Richtliniengeber formulierten Erwägungsgründe588 der SE-RL, die im Folgenden bei der Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs des Art. 11 SE-RL mittels des teleologischen Arguments herangezogen werden. aa) Förderung der Ziele der Union im sozialen Bereich Nach dem Willen des Richtliniengebers müssen mit der SE-RL besondere Bestimmungen auf dem Gebiet der Arbeitnehmerbeteiligung festgelegt werden, „mit denen gewährleistet werden soll, dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen“589. Zu diesen „besonderen Bestimmungen“ zählt auch Art. 11 SE-RL.590 Zweck der Festlegung dieser besonderen Bestimmungen in der SE-RL ist nach dem Richtliniengeber die Förderung der „Ziele der Gemeinschaft im sozialen Bereich“591. Ein Ziel der Union im Bereich der Sozialpolitik ist unter anderen ein sozialer Dialog.592 Indes wird das Verständnis der Sozialpolitik im europäischen Primärrecht als im Grundsatz wettbewerbsorientierter Ansatz angesehen.593 Die Vorstellung 585 Zur dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL als materiell ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel vgl. oben unter § 3 A. I. 2. 586 M. Schmidt Konkretisierung, S. 115. 587 Vgl. allgemein zur am Telos orientierten Normkonkretisierung Röthel in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 12 Rn 29; vgl. allgemein zur teleologischen Auslegung Riesenhuber in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 11 Rn 40. 588 Vgl. zur Heranziehung der ErwGe bei der Auslegung von Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 EWG: EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 45 (dazu bereits oben unter § 3 C. III. 1. c) aa) (1) (a); ferner die Bedeutung des ErwG 3 RL 2004 / 38 / EG für die Auslegung von Art. 35 RL 2004 / 38 / EG [dazu bereits oben unter § 3 C. III. 1. c) aa) (3)] hervorhebend: EuGH Urt. v. 25.7.2008 – Rs. C-127 / 08 Metock Slg. 2008, I-6241, Rn 59. 589 ErwG 3 S. 1 SE-RL. 590 So auch im Hinblick auf § 43 SEBG Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2, wonach § 43 SEBG nicht nur Art. 11 SE-RL umsetze, sondern auch dem in ErwG 3 S. 1 SE-RL niedergelegten Schutzzweck entspreche. 591 Vgl. ErwG 3 S. 1 Hs. 1 SE-RL. 592 Vgl. Art. 151 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 136 Abs. 1 EGV). 593 Vgl. Krebber in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 151 AEUV Rn 7.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
gehe dahin, dass sich eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik positiv auf die soziale Integration auswirke.594 Hierfür spricht, dass nach Art. 151 Abs. 2 AEUV mit den von der Union durchzuführenden Maßnahmen auf dem Gebiet der Sozialpolitik der „Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union zu erhalten“595, Rechnung getragen werden soll. Andererseits sieht Art. 153 AEUV596 zur Verwirklichung der sozialen Ziele der Union zahlreiche Bereiche des Arbeitsrechts vor, in denen die Union die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unterstützt und ergänzt. Hierzu zählen ausdrücklich auch die „Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer“597 sowie die „Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich der Mitbestimmung“598. Trotz der Aufzählung arbeitsrechtlicher Themen in Art. 153 AEUV wird dem AEUV mangels darin niedergelegter konkreter inhaltlicher Vorgaben kein umfassendes sozialpolitisches Programm entnommen.599 Für die Konkretisierung des Merkmals „Missbrauch einer SE“ im Lichte von ErwG 3 Hs. 1 SE-RL, wonach der Richtliniengeber mit der SE-RL die Ziele der Union im sozialen Bereich zu fördern bezweckt, sind somit zwei Gesichtspunkte von Bedeutung. Da sich erstens dem europäischen Primärrecht keine inhaltliche Programmatik einer Sozialpolitik entnehmen lässt,600 folgt aus der Anknüpfung in ErwG 3 Hs. 1 SE-RL an die sozialpolitischen Ziele der Union nicht mehr als ein weiterer, ebenfalls ausfüllungsbedürftiger Programmsatz. Gleichzeitig ergibt sich aus der mangelnden programmatischen Tiefe der europäischen Sozialpolitik die Befugnis, die SE-RL und den „Missbrauchs“-Begriff des Art. 11 SE-RL unabhängig von andernfalls feststehenden Maßstäben einer europäischen Sozialpolitik autonom auszulegen und mit eigenständigen, originär aus der SE-RL zu entnehmenden Wertungen auszufüllen. Zweitens ergibt sich aus dem wettbewerbsorientierten Verständnis der europäischen Sozialpolitik,601 dass dem Schutz sozialer Belange von Arbeitnehmern kein genereller Vorrang vor anderen Interessen zukommt. Vielmehr sollen Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmerrechten stets auch der von der Union als notwendig erachteten Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft gerecht werden. Mithin darf die Ausgestaltung des Arbeitnehmerschutzes nicht unverhältnismäßig insbesondere 594 Krebber
in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 151 AEUV Rn 7 m. w. N. Abs. 2 AEUV (ex-Art. 136 Abs. 2 EGV). 596 Ex-Art. 137 EGV. 597 Art. 153 Abs. 1 lit. e) AEUV (ex-Art. 137 Abs. 1 lit. e) EGV). 598 Art. 153 Abs. 1 lit. f) AEUV (ex-Art. 137 Abs. 1 lit. f) EGV). 599 So Krebber in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 151 AEUV Rn 7. 600 Vgl. Krebber in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 151 AEUV Rn 7. 601 Vgl. Krebber in: Calliess / Ruffert, EUV / AEUV, Art. 151 AEUV Rn 7. 595 Art. 151
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL169
in Relation zur Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union sein. Diese Leitlinie ist auch bei der Entwicklung eines Prüfungsmaßstabs für den Begriff „Missbrauch einer SE“ in Art. 11 SE-RL zu berücksichtigen. bb) Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO Die soeben unter aa) ermittelte, von der Union allgemein602 als notwendig erachtete Berücksichtigung der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Union bei der Durchführung von Maßnahmen des Arbeitnehmerschutzes kommt speziell für die SE-RL in ihren ErwG 1–3 zum Ausdruck. Aus diesen Erwägungsgründen und dem Titel der SE-RL lässt sich eine Ergänzungsfunktion der arbeitsrechtlichen SE-RL zu den gesellschaftsrechtlichen Regelungen der SE-VO ableiten.603 Gemäß ErwG 3 S. 2 letzter Hs. SE-RL sollen die Bestimmungen der SE-VO hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer „ergänzt“604 werden. Die SE-RL knüpft in ErwG 2 SE-RL an die Ziele der SE-VO an. Mit der SE-VO soll ein „einheitlicher rechtlicher Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten in der Lage sein sollten, die Neuorganisation ihres Geschäftsbetriebs gemeinschaftsweit zu planen und durchzuführen“605. Die Ergänzung der Bestimmungen der SE-VO um die Regelungen der SE-RL bezweckt, dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschenden Arbeitnehmerbeteiligung führt.606 Die Ergänzungsfunktion der SE-RL zu den Regelungen der SE-VO beeinflusst den Prüfungsmaßstab des Merkmals „Missbrauch einer SE“ in Art. 11 SE-RL. Wie bereits bei der Bestimmung der Konkretisierungskompetenz für Art. 11 SE-RL aufgezeigt werden konnte, besteht ein enger Regelungszusammenhang zwischen der SE-VO und der SE-RL.607 Aufgrund dessen obliegt dem EuGH die formelle Kompetenz zur Konkretisierung des Art. 11 SE-RL.608 Aus der Ergänzungsfunktion der SE-RL folgt, dass auch eine materielle Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs in Art. 11 SE602 Vgl.
Art. 151 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 136 Abs. 2 EGV). zum engen Regelungszusammenhang zwischen SE-VO und SE-RL bereits oben unter § 3 B. I. 3. c) aa). 604 ErwG 3 S. 2 letzter Hs. SE-RL; vgl. auch den Titel der SE-RL als „Richtlinie […] zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer“. 605 ErwG 2 SE-VO. 606 ErwG 3 S. 1 SE-RL. 607 Vgl. oben unter § 3 B. I. 3. c) aa). 608 Vgl. oben unter § 3 B. I. 4. 603 Vgl.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
RL den engen Regelungszusammenhang zwischen der SE-VO und der SERL sowie die Anknüpfung der SE-RL an die Zwecke der SE-VO berücksichtigen muss.609 Die Zwecke der SE-VO ergeben sich aus den Erwägungsgründen der SEVO. Danach soll außer der Beseitigung von Handelshemmnissen eine „gemeinschaftsweite Reorganisation der Produktionsfaktoren“610 Voraussetzung für die Verwirklichung des Binnenmarktes und für die damit angestrebte Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der gesamten Union sein.611 Dazu ist es aus Sicht des Verordnungsgebers „unerlässlich, dass die Unternehmen, deren Tätigkeit sich nicht auf die Befriedigung rein örtlicher Bedürfnisse beschränkt, die Neuordnung ihrer Tätigkeiten auf Gemeinschaftsebene planen und betreiben können“612. Damit die bereits vorhandene wirtschaftliche Verflechtung in Europa tätiger Unternehmen statt durch sie hemmende, unterschiedliche einzelstaatliche Rechtsformen auch rechtlich einheitlich bewerkstelligt werden kann,613 soll die SE-VO die Gründung und Leitung von SE-Gesellschaften „europäischen Zuschnitts“614 ermöglichen. Die SE soll damit als unionsweit anerkannte Rechtsform die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit von europaweit agierenden Unternehmen erleichtern.615 Demgemäß hebt die SE-VO es als „das wichtigste mit der Rechtsform der SE verfolgte Ziel“ hervor, dass eine SE gegründet werden kann, um es Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten zu ermöglichen, zu fusionieren, eine Holdinggesellschaft zu errichten und gemeinsame Tochtergesellschaften gründen zu können.616 Insgesamt bezweckt die SE-VO damit eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für in Europa tätige Unternehmen zur Förderung der wirtschaftlichen Ziele der Union. Aus der Ergänzungsfunktion der SE-RL ergibt sich, dass die soeben genannten, mit der SE-VO verfolgten Zwecke im Vordergrund des SE-Gesamtkonzepts stehen und durch die Zwecke der SE-RL lediglich flankiert werden. Dieses Verhältnis ist im Rahmen des Prüfungsmaßstabs des Merk609 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57: „Bei einer Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs ist aber zu berücksichtigen, dass die Verordnung gerade die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit erleichtern will.“. 610 ErwG 1 S. 1 SE-VO. 611 ErwG 1 S. 1 SE-VO. 612 ErwG 1 S. 2 SE-VO. 613 Vgl. ErwG 6 S. 1 SE-VO. 614 Vgl. ErwG 7 SE-VO. 615 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 616 Vgl. ErwG 10 SE-VO.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL171
mals „Missbrauch einer SE“ zu beachten, indem mittelbar die Zwecke der SE-VO als ein den Missbrauchs-Begriff ausfüllendes Wertungskriterium heranzuziehen sind. Nach Kübler617 sollen Kollisionen zwischen Regelungen der SE-VO und der SE-RL nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der „Herstellung praktischer Konkordanz“618 zu lösen sein.619 Dabei sei das Telos beider Regelwerke zu beachten. Während die SE-VO den Unternehmen grenzüberschreitende Operations- und Reorganisationsstrategien erleichtern und dadurch den Binnenmarkt fördern solle, sei die SE-RL auf den Schutz der Mitwirkung der Arbeitnehmer gerichtet.620 Hingegen soll nach Drinhausen / Keinath die Zielsetzung der SE-VO, grenzüberschreitende Tätigkeiten zu erleichtern, einer weitgehenden Einschränkung der von der SE-VO eingeräumten Möglichkeiten durch das Missbrauchsverbot entgegenstehen.621 Diese Aussage könnte als ein Plädoyer für einen generellen Vorrang622 der Ziele der SE-VO gegenüber Art. 11 SE-RL zu deuten sein. Weder eine vermittelnde Position zwischen SE-VO und SE-RL noch ein genereller Vorrang der SE-VO gegenüber der SE-RL überzeugen. Gegen einen generellen Vorrang der SE-VO gegenüber Art. 11 SE-RL spricht, dass die SE-RL eine Ergänzungsfunktion zur SE-VO erfüllt. Demnach bezweckt die SE-RL gerade in Ergänzung zu den wirtschaftlichen Zielen der SE-VO eine Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer und ihrer Beteiligungsrechte. Die SE-RL wäre überflüssig, wenn die Zwecke der SE-VO sich stets gegenüber den Zwecken der SE-RL durchsetzten. Andererseits besteht die Funktion des Art. 11 SE-RL auch nicht darin, eine „praktische Konkordanz“ zwischen den Zwecken der SE-VO und der SE-RL herzustellen. Der Begriff der „praktischen Konkordanz“ wird vom Bundesverfassungsgericht im Anschluss an Hesse623 als „Prinzip des schonendsten Ausgleichs konkurrierender grundgesetzlich geschützter Positionen“624 ver wendet, indem beiden Grundrechten im Interesse ihrer jeweils optimalen Wirkung Grenzen gezogen werden. Zwar treffen im Hinblick auf die BeteiFolgenden Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 256 f. in FS Raiser 2005, S. 247, 257. 619 In diese Richtung auch Koch Diss. 2010, S. 200, wonach „je nach Einzelfall ein Ausgleich zwischen den Regelungsmaterien herzustellen“ sei. 620 Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 257. 621 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 622 Vgl. i. E. Koch Diss. 2010, S. 200, wonach § 1 Abs. 3 SEBG zeige, „dass hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten eine arbeitnehmerfreundliche Auslegung stets besondere Berücksichtigung verdient und dieser im Zweifel der Vorrang gebührt.“. 623 Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn 72, 317. 624 BVerfG Urt. v. 25.2.1975 – 1 BvF 1 / 74 u. a., Schwangerschaftsabbruch I, BVerfGE 39, 1, 43. 617 Zum
618 Kübler
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
ligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE die Interessen der Arbeitgeber auf der einen und die der Arbeitnehmer auf der anderen Seite aufeinander. Allerdings hat der europäische Gesetzgeber mit der SE-RL selbst einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen geschaffen, indem er die Reichweite des Schutzes von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer selbst in den Regelungen – etwa mit Art. 3 Abs. 4 SE-RL („Minderung von Mitbestimmungsrechten“) – abgesteckt hat. Mit Art. 11 SE-RL ist hingegen nicht bezweckt, im Einzelfall von den in der SE-RL getroffenen grundsätzlichen Wertungen abzuweichen, um einen „gerechten“ Ausgleich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen herzustellen. Art. 11 SE-RL dient nicht dazu, einem Gericht die Möglichkeit zu eröffnen, den mit der SE-RL getroffenen Interessenausgleich zu negieren und eine Interessenkollision zur Herstellung einer „praktischen Konkordanz“ nachträglich eigenständig neu zu bewerten. Vielmehr verhilft Art. 11 SE-RL der Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO dadurch zur Wirksamkeit, dass in dem Fall, dass eine nach der SE-VO an sich eröffnete Gestaltungsmöglichkeit einen „Missbrauch einer SE“ darstellt, die Gestaltung im Hinblick auf den Schutzzweck des Bestandschutzes der Beteiligungsrechte zu modifizieren ist. Zwar ist allein die Nutzung der nach der SE-VO vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten kein Missbrauch einer SE.625 Allerdings kann eine Nutzung der Gestaltungsmöglichkeiten wider die Zwecke der SE-RL einen Missbrauch einer SE begründen und damit im Ergebnis eine Modifizierung der gesellschaftsrechtlichen Gestaltung erfordern. cc) G ewährleistung grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte Ein weiteres teleologisches Konkretisierungsargument für das Merkmal „Missbrauch einer SE“ folgt aus ErwG 6 SE-RL, wonach in allen Fällen der Gründung einer SE Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren auf grenzüberschreitender Ebene gewährleistet sein sollen. Die „Unterrichtung“ und die „Anhörung“ sind in Art. 2 lit. i), j) SE-RL definiert. Danach ist die „Unterrichtung“ die Unterrichtung der Arbeitnehmervertretung – etwa eines SE-Betriebsrats – durch das zuständige SEUnternehmensorgan. Die Unterrichtung erfolgt in Angelegenheiten, welche die SE selbst, eine ihrer Tochtergesellschaften oder einen ihrer Betriebe in einem anderen Mitgliedstaat betreffen. Darüber hinaus bezieht sich die Unterrichtung auf Angelegenheiten, die über die Befugnisse der Entscheidungsorgane auf der Ebene des einzelnen Mitgliedstaats – bei einem SE625 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL173
Betrieb in Deutschland etwa eines Betriebsrats nach § 1 ff. BetrVG – hinausgehen. Insoweit bedarf es einer grenzüberschreitenden Angelegenheit. Die Unterrichtung muss im Hinblick auf ihren Zeitpunkt, ihre Form und ihren Inhalt in einer Weise erfolgen, die der Arbeitnehmervertretung eine eingehende Prüfung möglicher Konsequenzen für den SE-Betrieb und gegebenenfalls die Vorbereitung von „Anhörungen“ i. S. v. Art. 2 lit. j) SE-RL ermöglicht.626 Die „Anhörung“ ist die Einrichtung eines Dialogs und eines Meinungsaustauschs zwischen der Arbeitnehmervertretung – etwa dem SEBetriebsrat – und dem zuständigen SE-Unternehmensorgan. Die Anhörung setzt nach dem Wortlaut des Art. 2 lit. j) SE-RL („auf der Grundlage der erfolgten Unterrichtung“) eine vorherige Unterrichtung i. S. v. Art. 2 lit. i) SE-RL voraus. Die „Anhörung“ muss im Hinblick auf ihren Zeitpunkt, ihre Form und ihren Inhalt derart erfolgen, dass eine Stellungnahme der Arbeitnehmervertretung „im Rahmen des Entscheidungsprozesses innerhalb der SE berücksichtigt werden kann“627. Die Beteiligungsrechte der Unterrichtung und Anhörung sind auf die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite auf Ebene der Betriebe der SE gerichtet und sind damit „betriebliche“ Beteiligungsrechte. Demgegenüber bezieht sich die Beteiligung der Arbeitnehmer in Form der „Mitbestimmung“ auf die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf der Ebene des Unternehmens der SE, sodass das Recht auf „Mitbestimmung“ ein „unternehmerisches“ Beteiligungsrecht ist.628 Abgesehen von den oben genannten Anforderungen an die „betrieblichen“ Beteiligungsrechte sind die Parteien der Beteiligungsvereinbarung in der näheren Ausgestaltung der Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren frei. Sie können dazu im Vereinbarungswege ein Vertretungsorgan der Arbeitnehmer – etwa einen SE-Betriebsrat – einsetzen. In diesem Fall müssen sie jedoch in der Beteiligungsvereinbarung dessen Zusammensetzung, die Anzahl seiner Mitglieder, die Sitzverteilung,629 dessen Befugnisse,630 die Häufigkeit seiner Sitzungen,631 die finanziellen und materiellen Ressourcen,632 626 Vgl.
Art. 2 lit. i) letzter Hs. SE-RL. lit. j) letzter Hs. SE-RL; vgl. auch Art. 2 lit. h) letzter Hs. SE-RL, wonach durch das Verfahren zur „Beteiligung der Arbeitnehmer“ die Arbeitnehmervertreter „auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft Einfluss nehmen können“. 628 Vgl. dazu, dass der sachliche Anwendungsbereich des Begriffs der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL sowohl betriebliche als auch unternehmerische Beteiligungsrechte erfasst, vgl. oben unter § 3 C. I. 1. 629 Art. 4 Abs. 2 lit. b) SE-RL. 630 Art. 4 Abs. 2 lit. c) SE-RL. 631 Art. 4 Abs. 2 lit. d) SE-RL. 632 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. e) SE-RL. 627 Art. 2
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
sowie die Durchführungsmodalitäten633 regeln. Alternativ634 zur Einsetzung eines Vertretungsorgans, etwa eines SE-Betriebsrats, können die Parteien auch ein anderes Verfahren zur Gewährleistung der Unterrichtungs- und Anhörungsrechte beschließen. In diesem Fall ist lediglich die Vereinbarung der Durchführungsmodalitäten für dieses Alternativverfahren zwingend.635 Einigen sich die Parteien nicht auf eine Vereinbarung über ein Verfahren der Unterrichtung und Anhörung, greift die von den Mitgliedstaaten eingeführte gesetzliche Auffangregelung nach den Anforderungen in Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Teil 1, Teil 2 Anhang SE-RL. In diesem Fall ist ein Vertretungsorgan nach Teil 1 Anhang SE-RL zwingend einzusetzen, dessen Zuständigkeiten und Befugnisse sich zwingend nach den Anforderungen in Teil 2 Anhang SE-RL richten. Aus ErwG 6 SE-RL und den darauf fußenden vorgenannten Regelungen der SE-RL zur Unterrichtung und Anhörung lassen sich für die Konkretisierung des Merkmals „Missbrauch einer SE“ folgende Gesichtspunkte ableiten: Zunächst trennt die SE-RL sachlich zwischen betrieblichen und unternehmerischen Beteiligungsrechten. Auch wenn diese Begriffe in der SE-RL nicht verwendet werden, sind – wie erläutert – die Rechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ als betriebliche Beteiligungsrechte und das Recht auf „Mitbestimmung“ als unternehmerisches Beteiligungsrecht einzuordnen. Für diese beiden Typen von Beteiligungsrechten sieht die SE-RL unterschiedliche Konzepte für die Verwirklichung dieser Rechte in einer SE vor. Das kommt bereits in einem Vergleich von ErwG 6 SE-RL mit ErwG 7 SE-RL zum Ausdruck. Letzterer bezieht sich auf das unternehmerische Beteiligungsrecht der „Mitbestimmung“. Danach sollten – „sofern und soweit es in einer oder in mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte gibt“ – diese „durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben, es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen“636. Demgegenüber bezieht sich ErwG 6 SE-RL ausschließlich auf die betrieblichen Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhörung“. Danach bezweckt die SE-RL in allen Fällen der Gründung einer SE eine Gewährleistung von Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren der Arbeitnehmervertretungen auf grenzüberschreitender Ebene durch die zuständigen SE-Unternehmensorgane.637 Während nach ErwG 7 SE-RL etwaig in den 633 Art. 4
Abs. 2 lit. f) Var. 1 SE-RL. Art. 4 Abs. 2 lit. f) SE-RL: „[…] für den Fall, dass die Parteien im Laufe der Verhandlungen beschließen, eines oder mehrere solcher Verfahren [der Unterrichtung und Anhörung, Einfügung durch Verf.] zu schaffen, anstatt ein Vertretungsorgan einzusetzen.“. 635 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. f) Var. 2 SE-RL. 636 ErwG 7 SE-RL; dazu sogleich ausführlich unter § 3 C. III. 2. d) dd). 637 Vgl. ErwG 6 SE-RL. 634 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL175
an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften bestehende Mitbestimmungsrechte nur grundsätzlich erhalten bleiben sollen, „es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen“638, ist die Errichtung von Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren zwingend. Weder ErwG 6 SE-RL noch eine Bestimmung des normativen Teils der SE-RL räumen entsprechend ErwG 7 SE-RL die Möglichkeit ein, jegliche Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren im Vereinbarungswege auszuschließen. Darüber hinaus ist die Gewährleistung dieser Verfahren ausnahmslos „in allen Fällen der Gründung einer SE“639 geboten. Das Konzept der Errichtung der Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren ist damit im Gegensatz zu dem nach Gründungsvarianten abgestuften Schutzkonzept640 bei der Bewahrung bestehender Mitbestimmungsrechte einheitlich für alle Gründungs-varianten ausgestaltet. Die zwingende Errichtung der betrieblichen Beteiligungsrechte erfordert daher im Hinblick auf Art. 11 SE-RL an sich einen strengen Prüfungsmaßstab. Indes ist ein „Missbrauch einer SE“ durch das Entziehen oder Vorenthalten grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte aufgrund des für alle SE-Gründungsvarianten einheitlichen Gewährleistungskonzepts des ErwG 6 SE-RL jedenfalls im Hinblick auf eine etwaige Umgehung durch die Wahl einer etwaig vorteilhafteren Gründungsvariante ausgeschlossen. dd) Erhaltung unternehmerischer Beteiligungsrechte Im Unterschied zum Zweck der SE-RL, grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte zu „gewährleisten“641, zielt die SE-RL in Bezug auf unternehmerische Beteiligungsrechte in Form der „Mitbestimmung“ lediglich darauf, dass diese „erhalten bleiben“642. Im Bereich unternehmerischer Beteiligungsrechte auf „Mitbestimmung“ besteht somit nach der Konzeption der SE-RL im Vergleich zu grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechten ein nur begrenztes Schutzniveau. Das kommt ferner darin zum Ausdruck, dass Mitbestimmungsrechte nur erhalten bleiben sollen, „sofern und soweit es in einer oder in mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte gibt“643. Mithin bezweckt 638 ErwG 7 letzter Hs. SE-RL; dieser Gedanke findet sich im normativen Teil der SE-RL in Art. 4 Abs. 2 lit. g SE-RL wieder, der bestimmte Vorgaben an die Beteiligungsvereinbarung enthält „für den Fall, dass die Parteien im Laufe der Verhandlungen beschließen, eine solche Vereinbarung [über die Mitbestimmung] einzuführen“; dazu noch unter § 3 C. III. 2. d) dd). 639 ErwG 6 SE-RL. 640 Vgl. oben unter § 3 C. III. 2. c) dd). 641 ErwG 6 SE-RL; dazu soeben unter § 3 C. III. 2. d) cc). 642 ErwG 7 Hs. 2 SE-RL. 643 ErwG 7 Hs. 1 SE-RL.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
die SE-RL hinsichtlich unternehmerischer Beteiligungsrechte auf „Mitbestimmung“ deren Sicherung lediglich falls und nur in dem Umfang, in dem sie bereits vor Gründung der SE in den beteiligten Gesellschaften bestanden haben.644 Darüber hinaus lässt ErwG 7 letzter Hs. SE-RL eine Abweichung von dem Grundsatz des Erhalts bestehender unternehmerischer Beteiligungsrechte im Wege der Beteiligungsvereinbarung ausdrücklich zu: „[…] es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen.“645 Dieser Gedanke wird im normativen Teil der SE-RL dahingehend aufgegriffen, als Art. 4 Abs. 2 lit. g SE-RL Vorgaben für den Inhalt der Beteiligungsvereinbarung im Hinblick auf die Mitbestimmung nur „für den Fall [enthält], dass die Parteien im Laufe der Verhandlungen beschließen, eine solche Vereinbarung [über die Mitbestimmung] einzuführen“. ee) Sicherung erworbener Beteiligungsrechte Das Konzept der SE-RL, in Bezug auf unternehmerische Beteiligungsrechte in Form der Mitbestimmung lediglich einen auf bestehende Mitbestimmungsrechte begrenzten Schutz zu bezwecken, kommt am stärksten in ErwG 18 S. 1 SE-RL zum Ausdruck: „Die Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen ist fundamentaler Grundsatz und erklärtes Ziel dieser Richtlinie.“646 Der Kernzweck der SE-RL, erworbene Beteiligungsrechte zu sichern, setzt demnach voraus, dass Arbeitnehmer der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften bei Gründung der SE bereits über Beteiligungsrechte verfügten.647 In sachlicher Hinsicht spricht ErwG 18 S. 1 SE-RL allgemein von der „Beteiligung an Unternehmensentscheidungen“. Da die „Beteiligung der Arbeitnehmer“ definiert ist als „jedes Verfahren […], durch das die Vertreter der Arbeitnehmer Einfluss auf die Beschlussfassung innerhalb der Gesellschaft nehmen können,“648 unterfallen ErwG 18 S. 1 SE-RL dem Wortlaut nach nicht nur die „Mitbestimmung“ zur Einflussnahme auf die Angelegenheiten der Gesellschaft,649 sondern auch die grenzüberschreitenden betrieblichen Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren. Indes steht ErwG 18 S. 1 SE-RL im Zusammenhang mit den Erwägungsgründen 6 und 7 SE-RL. Dazu konnte bereits nachgewiesen werden, dass die SE-RL neue grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhö644 Vgl.
zum Bestandschutzprinzip der SE-RL bereits oben unter § 3 C. I. 2. Hs. 3 SE-RL. 646 ErwG 18 S. 1 SE-RL. 647 Vgl. oben unter § 3 C. I. 2. 648 Art. 2 lit. h) SE-RL. 649 Vgl. Art. 2 lit. k) SE-RL. 645 ErwG 7
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL177
rung“ (ErwG 6 SE-RL) zusätzlich gewährleistet650 und nur im Hinblick auf bisherige unternehmerische Beteiligungsrechte der „Mitbestimmung“ (ErwG 7 SE-RL) deren Erhalt bezweckt.651 Mithin bezieht sich die „Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen“ in ErwG 18 S. 1 SE-RL auf den Bestand unternehmerischer Beteiligungsrechte der Mitbestimmung.652 In zeitlicher Hinsicht unterscheidet ErwG 18 SE-RL zwischen der Sicherung erworbener Beteiligungsrechte bei der „Neugründung einer SE“ (ErwG 18 S. 2 SE-RL) und bei „strukturelle[n] Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ (ErwG 18 S. 3 SE-RL). Auf diese Differenzierung ist im Folgenden jeweils unter (1) und (2) näher einzugehen. (1) Vorher-Nachher-Prinzip bei der Neugründung einer SE Im Hinblick auf die Sicherung erworbener Beteiligungsrechte (vgl. ErwG 18 S. 1 SE-RL) einer SE sollen die „vor der Gründung von SE bestehenden Rechte der Arbeitnehmer […] Ausgangspunkt […] für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE (Vorher-Nachher-Prinzip) sein.“653 Dieses „Vorher-Nachher-Prinzip“ soll in erster Linie für die Neugründung einer SE gelten.654 Danach geht es um einen Vergleich zwischen dem Bestand an Beteiligungsrechten vor und nach Neugründung einer SE. Die SE-RL bezweckt damit einen Schutz der bereits vor Gründung der SE in den Gründungsunternehmen bestehenden Beteiligungsrechte („Sicherung erworbener Rechte“655). Allerdings verlangt ErwG 18 S. 2 SE-RL grundsätzlich656 keine vollständige Übertragung dieser Rechte in dem Sinne, dass nach der Neugründung eine völlige Übereinstimmung mit der Situation vor der Neugründung herrschen müsste.657 Im Hinblick auf die von der SE-RL vorgesehene 650 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 2. d) cc). oben unter § 3 C. III. 2. d) dd). 652 A. A. Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 181 Fn 32; wie hier Kallmeyer ZIP 2004, 1442, 1444. 653 ErwG 18 S. 2 SE-RL. 654 Dies folgt im Umkehrschluss aus ErwG 18 S. 3 SE-RL: „Dieser Ansatz sollte folgerichtig nicht nur für die Neugründung einer SE […] gelten.“. 655 ErwG 18 S. 1 SE-RL. 656 Anders jedoch bei der Gründungsvariante der Umwandlung, bei welcher Art. 4 Abs. 4 SE-RL besonderen Schutz dadurch vorsieht, dass „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden [muss], das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“, vgl. dazu bereits oben unter § 3 C. III. 2. c) dd). 657 Vgl. aber ErwG 7 Hs. 2 SE-RL, wonach bestehende Mitbestimmungsrechte „durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben [sollten]“. 651 Vgl.
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Möglichkeit der Vereinbarung von Beteiligungsrechten658 sollen die vor der Gründung bestehenden Beteiligungsrechte lediglich „Ausgangspunkt auch für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE“659 sein. In Konkretisierung dieses Erwägungsgrundes hat der Richtliniengeber die Reichweite zulässiger Mitbestimmungsminderung im Rahmen der Beteiligungsvereinbarung im normativen Teil in Art. 3 Abs. 4 SE-RL näher ausgestaltet, indem er die Grenzen einer vereinbarten „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ festgelegt hat.660 (2) Vorher-Nachher-Prinzip bei strukturellen Veränderungen einer bereits gegründeten SE Das in erster Linie für die Neugründung einer SE geltende „VorherNachher-Prinzip“ erstreckt ErwG 18 S. 3 SE-RL auf „strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE und […] die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften“. Daraus folgt, dass das Vorher-Nachher-Prinzip bei bereits gegründeten SE-Gesellschaften grundsätzlich nicht anzuwenden ist, außer es liegt eine „strukturelle Veränderung“ vor. Nach ErwG 18 S. 3 SE-RL soll der „Ansatz“ des Vorher-NachherPrinzips auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE und für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften „gelten“. Demnach müsste das Vorher-Nachher-Prinzip ebenfalls „Ausgangspunkt“661 für die Gestaltung der Beteiligungsrechte in der strukturell veränderten SE und die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften sein. Demzufolge wäre der Bestand an Beteiligungsrechten vor und nach der strukturellen Veränderung der bereits gegründeten SE zu vergleichen. Indes besteht insoweit eine Lücke662 im normativen Teil der SE-RL, als der programmatische Ansatz in ErwG 18 S. 3 SE-RL in keiner Bestimmung der SE-RL mit Normcharakter ausdrücklich aufgegriffen wird.663 Es fehlt in der SE-RL sowohl eine Definition für Indes bezweckt die SE-RL auch nach ErwG 7 Hs. 3 SE-RL („es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen“) keinen zwingenden Schutz. 658 Zum Vorrang autonomer Beteiligungsvereinbarungen noch unter § 3 C. III. 2. d) ff). 659 ErwG 18 S. 2 SE-RL. 660 Zur Abgrenzung von „Missbrauch einer SE“ und „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ vgl. bereits oben unter § 3 C. III. 2. c) cc). 661 ErwG 18 S. 2 SE-RL. 662 Leca EBLR 2007, 403, 430; Storm The SE 2006, S. 3, 22; Sagan EBLR 2010, 15, 20. 663 Vgl. Leca EBLR 2007, 403, 430; Storm The SE 2006, S. 3, 22; Sagan EBLR 2010, 15, 20.
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„strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ als auch ein Verfahren, das eine Gestaltung der Beteiligungsrechte in einer strukturell veränderten SE regelt.664 Jedoch könnte die Regelung zum „Missbrauch einer SE“ in Art. 11 SERL zugleich eine normative „Umsetzung“ des ErwG 18 S. 3 SE-RL sein. Das Verhältnis zwischen der Missbrauchsklausel des Art. 11 SE-RL und „strukturellen Veränderungen“ der SE i. S. v. ErwG 18 S. 3 SE-RL ist bislang nicht geklärt. Der deutsche Gesetzgeber stellt „strukturelle Änderungen“ nach Gründung einer SE und den „Missbrauch“ einer SE in der Missbrauchsvermutung des § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG in einen gemeinsamen Regelungszusammenhang. Dabei stützt sich der deutsche Gesetzgeber gerade nicht auf Art. 12 SE-RL, der die Mitgliedstaaten ermächtigt, geeignete Maßnahmen für den Fall der „Nichteinhaltung der Richtlinie“ vorzusehen.665 Das läge jedoch nahe, da § 43 S. 2 SEBG einen Missbrauch vermutet, wenn „strukturelle Änderungen“ ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Damit sank tioniert § 43 S. 2 SEBG die Nichteinhaltung von § 18 Abs. 3 SE-RL. Jedoch soll § 43 SEBG nicht der Umsetzung des Art. 12 SE-RL, sondern – ausweislich der Gesetzesbegründung666 – der Umsetzung von Art. 11 SE-RL dienen. Demzufolge stützt der deutsche Gesetzgeber auch § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG auf die Missbrauchs-Klausel des Art. 11 SE-RL. (a) L iteraturauffassungen zur Abgrenzung von Art. 11 SE-RL und „strukturellen Veränderungen“ In der Literatur ist das Verhältnis zwischen „Missbrauch“ (Art. 11 SE-RL) und „strukturellen Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ (ErwG 18 S. 2 SE-RL) umstritten.
664 Der deutsche Gesetzgeber sieht hingegen in § 18 Abs. 3 SEBG für den Fall, dass – dort nicht definierte – strukturelle Änderungen der SE geplant sind, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern, auf Veranlassung der SE-Leitung oder des SE-Betriebsrats die Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE wiederaufgenommen werden. Zu weiteren mitgliedstaat lichen Regelungen hinsichtlich „struktureller Veränderungen“ vgl. Leca EBLR 2007, 403, 431, sowie noch unter § 6 B. II. 665 Vgl. zur Abgrenzung zwischen „Missbrauch einer SE“ (Art. 11 SE-RL) und „Nichteinhaltung der Richtlinie“ (Art. 12 SE-RL) bereits oben unter § 3 C. III. 2. c) bb). 666 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Begründung zu § 43 SEBG, S. 57.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
(aa) E inheitliche Betrachtung von Art. 11 SE-RL und ErwG 18 S. 3 SE-RL Ein Teil der Literatur sieht einen engen Zusammenhang zwischen Art. 11 SE-RL und ErwG 18 S. 3 SE-RL: Nach Rehberg bestehen enge Bezüge zwischen Art. 11 SE-RL und ErwG 18 SE-RL, sodass das „enge dogmatische Verhältnis dieser Vorschriften zueinander zu beachten“667 sei. Eine unabhängige Interpretation von Art. 11 SE-RL und ErwG 18 ErwG ergebe „wenig Sinn, weil sich beide Normen auf Sinn und Zweck der Richtlinie beziehen und Art. 11 SE-RL als Rechtsanwendungsmaxime von der Konkretisierung in ErwG 18 SE-RL“ lebe.668 Andererseits sei für ErwG 18 SE-RL neben Art. 3–7 SE-RL die Norm des Art. 11 SE-RL als Bezugspunkt erforderlich, da es „dogmatisch stark begründungsbedürftig wäre, wollte man aus einem bloßen Erwägungsgrund eigenständige Rechtsfolgen ableiten“669. (bb) „ Strukturelle Veränderungen“ als Unterfall des „Missbrauchs“ Auch nach Storm sollen keine erheblichen Unterschiede zwischen ErwG 18 S. 3 SE-RL und Art. 11 SE-RL bestehen.670 Der Begriff der „strukturellen Veränderungen“ sei ein neutraler Begriff. Er umfasse sämtliche Veränderungen unabhängig davon, ob diese mit oder ohne dem Ziel eines Entziehens von Beteiligungsrechten durchgeführt würden. Daher schließe der Begriff der „strukturellen Veränderungen“ auch die Fälle des „Missbrauchs“ ein.671 Offenbar ordnet Storm den „Missbrauch einer SE“ als Unterfall einer „strukturellen Veränderung“ ein, der zusätzlich zu einer „strukturellen Veränderung“ das Bezwecken eines Entzugs von Beteiligungsrechten voraussetzen soll.
667 Rehberg
ZGR 2005, 859, 878. ZGR 2005, 859, 878. 669 Rehberg ZGR 2005, 859, 878. 670 Storm The SE 2008, S. 3, 12 („On close analysis, there is not all that much difference between these two provisions.“). 671 Storm The SE 2008, S. 3, 12 („In fact, ‚structural changes‘ is a neutral term covering all changes whether or not made with the intention of depriving the employees of their rights, and therefore includes ‚misuse‘.“); für § 18 Abs. 3 SEBG auch Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 252: „Demnach stellt missbräuchliches Verhalten eine Neuverhandlungen erfordernde strukturelle Änderung [gemeint ist wohl: ‚i. S. d.‘, (Anmerkung d. Verf.)] § 18 Abs. 3 SEBG dar.“. 668 Rehberg
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL181
(cc) Bezug zur SE-Gründung als Unterscheidungskriterium Nach Nagel soll der Unterschied zwischen einem „Missbrauch einer SE“ und einer „strukturellen Veränderung“ darin liegen, dass ein Missbrauch einen engen zeitlichen Zusammenhang zur SE-Gründung erfordere, während zwischen einer „nachfolgenden Strukturänderung“ und der SE-Gründung kein enger zeitlicher Zusammenhang vorzuliegen brauche.672 (dd) W echselseitige Ausschließlichkeit von „Missbrauch“ und „strukturellen Veränderungen“ Demgegenüber spricht sich ein anderer Teil der Literatur für eine Trennung von „Missbrauch“ und „strukturellen Veränderungen“ der SE in zwei rechtliche Kategorien aus:673 „Missbrauch“ und „strukturelle Veränderungen“ seien – so insbesondere Sagan674 – nicht identisch, sondern wiesen kategorische Unterschiede auf. Zwar könnten in beiden Fällen nicht nur die SE selbst, sondern auch andere Gesellschaften – etwa Tochterunternehmen – betroffen sein. Ein Unterschied bestehe jedoch erstens darin, dass sich „strukturelle Veränderungen“ i. S. v. ErwG 18 S. 3 SE-RL stets innerhalb der SE-Unternehmensstruktur abspielten, während ein „Missbrauch“ der SE nicht notwendigerweise eine Einflussnahme auf die gesellschaftsrechtliche Struktur der SE bedinge. Zweitens könne im Rahmen der Primärgründung einer SE stets nur ein „Missbrauch“, aber keine „strukturelle Veränderung“ eintreten. Drittens ergebe sich ein Unterschied hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen: Während ein „Missbrauch“ der SE ein subjektives Element im Sinne einer Absicht der Versagung von Beteiligungsrechten erfordere, trete eine „strukturelle Veränderung“ unabhängig von den damit verfolgten Zwecken ein.675 Viertens gelte für „strukturelle Veränderungen“ gemäß ErwG 18 S. 3 672 Nagel NZG 2004, 833, 839; für das Verhältnis der deutschen Umsetzungsgesetze §§ 43 und 18 Abs. 3 SEBG: Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 7. Danach habe das Missbrauchsverbot des § 43 SEBG eine geringere zeitliche Reichweite, soweit man auf den Vermutungstatbestand (des § 43 S. 2 SEBG) ab stelle. 673 In diese Richtung hinsichtlich der deutschen Umsetzungsnormen Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281; ferner Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; ausdrücklich Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 8: „beide Tatbestand sorgsam voneinander zu trennen“. 674 Zum Folgenden Sagan EBLR 2010, 15, 22. 675 Sagan EBLR 2010, 15, 22; so bereits auch Storm The SE 2008, S. 3, 12; für die deutschen Umsetzungsnormen ähnlich Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200, jeweils mit Verweis auf Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57, wonach der Gefahr begegnet werden soll, dass die Rechtsform
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
SE-RL das „Vorher-Nachher-Prinzip“, das lediglich bestehende Beteiligungsrechte wahre. Demgegenüber schütze die Missbrauchsklausel nicht nur vor einem „Entziehen“ bestehender Beteiligungsrechte, sondern auch vor einem „Vorenthalten“ von bislang nicht existenten Beteiligungsrechten.676 Daher sei der Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL gegenüber ErwG 18 S. 3 SE-RL insofern weiter gefasst, als die Missbrauchsklausel nicht auf den Schutz bestehender Rechte begrenzt sei. Fünftens ergebe sich ein Unterschied im Hinblick auf den Adressatenkreis der Bestimmungen: ErwG 18 S. 3 SE-RL richte sich unmittelbar an die Mitgliedstaaten und übertrage diesen damit die Kompetenz zur Regelung „struktureller Veränderungen“. Demgegenüber seien die Mitgliedstaaten durch Art. 11 SE-RL lediglich in formeller Hinsicht zur Umsetzung in nationales Recht und zur Verhinderung des „Missbrauchs der SE“ verpflichtet, während sich die Regelung in ihrem materiellen Gehalt an die eine SE gründenden oder betreibenden Personen und Unternehmen richte.677 Im Ergebnis würden sich „Missbrauch“ und „Strukturänderung“ wechselseitig ausschließen.678 (b) S tellungnahme: Unterschiede in zeitlicher und sachlicher Hinsicht Der grundlegenden Unterscheidung zwischen einem „Missbrauch einer SE“ einerseits und einer „strukturellen Veränderung einer bereits bestehenden SE“ andererseits ist zuzustimmen. Weder ist eine „strukturelle Veränderung“ der SE stets gleichzeitig als „Missbrauch“ der SE zu qualifizieren, noch bedingt ein „Missbrauch“ der SE eine „strukturelle Veränderung“ der SE. Im Hinblick auf den jeweiligen zeitlichen Anwendungsbereich bestehen Unterschiede. Eine „strukturelle Veränderung einer bereits bestehenden SE“ setzt nach dem Wortlaut von ErwG 18 S. 3 SE-RL eine bereits gegründete SE voraus. Zwar können, so zutreffend Storm,679 „strukturelle Veränderunder SE „gezielt ausgenutzt“ wird, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. 676 Sagan EBLR 2010, 15, 22; ähnlich bereits für die deutsche Umsetzung Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281. 677 Zum Ganzen Sagan EBLR 2010, 15, 22 f.; zur hier vertretenen dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL mit doppeltem Rechtscharakter als formellem Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten und materiell ausfüllungsbedürftiger europarechtlicher Generalklausel vgl. oben unter § 3 A. I. 678 Für das SEBG: Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 188: „Für die Auslegung des § 43 S. 1 SEBG ist […] davon auszugehen, dass sich Strukturänderung und Missbrauch wechselseitig ausschließen.“. 679 Storm The SE 2008, S. 3, 13.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL183
gen“ auch vor Eintragung einer SE in den an ihrer Gründung beteiligten Gesellschaften eintreten. Für diesen Fall sehen einige nationale Umsetzungsgesetze680 – so auch § 5 Abs. 4 SEBG681 – besondere Regelungen für eine neue Zusammensetzung des bVG vor. Allerdings handelt sich es sich bei „strukturellen Veränderungen“ vor Eintragung der SE nicht um „strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ i. S. v. ErwG 18 S. 3 SE-RL.682 Im Rahmen einer SE-Primärgründung kommt eine „strukturelle Veränderung“ i. S. v. ErwG 18 S. 3 SE-RL daher nicht in Betracht.683 Demgegenüber erfasst ein „Missbrauch einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL zeitlich das Stadium der Primärgründung einer SE,684 den Betrieb einer bereits gegründeten SE685 sowie die Sekundärgründung686 einer SE. Für einen „Missbrauch einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL ist entgegen Nagel, der für die „allgemeinen Vorschriften zum Verfahrensmissbrauch (vgl. Art. 11 der Richtlinie und § 43 SEBG)“687 einen engen zeitlichen Zusammenhang zur SE-Gründung fordert, ein solcher keine notwendige Bedingung. Für ein derartiges Erfordernis bietet Art. 11 SE-RL keine Anhaltspunkte. Im Übrigen verlangt auch der deutsche Gesetzgeber nur im Hinblick auf die Missbrauchsvermutung des § 43 S. 2 SEBG einen zeitlichen Zusammenhang zur SE-Gründung („innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden“), während sich dem allgemeinen Missbrauchsver680 Nach Storm The SE 2008, S. 3, 13 sehen die Umsetzungsgesetze in 15 Mitgliedstaaten Vorschriften hinsichtlich struktureller Veränderungen vor Eintragung einer SE vor. Diese reichten von einer Neubesetzung des bVG über Neuverhandlungen oder – im Falle Sloweniens (Storm The SE 2008, S. 3, 13 Fn 40) – bis hin zu Strafsanktionen; vgl. zu mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen bezüglich struktureller Veränderungen nach Eintragung einer SE noch unter § 6 B. II. 681 Nach § 5 Abs. 4 SEBG ist das bVG neu zusammenzusetzen, wenn während der Tätigkeitsdauer des bVG „solche Änderungen in der Struktur oder Arbeitnehmerzahl der beteiligten Gesellschaften, der betroffenen Tochtergesellschaften oder der betroffenen Betriebe“ eintreten, „dass sich die konkrete Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums ändern würde“. Ähnliche Regelungen sehen nach Sagan EBLR 2010, 15, 22, die britischen (Regulation 21 Sect. 6 European Public Limited-Liability Company Regulations 2004 SI 2004 / 2326) und die österreichischen (§ 216 Abs. 5 ArbVG-Österreich) SE-RL-Umsetzungsgesetze vor. 682 So zu Recht Sagan EBLR 2010, 15, 22. 683 So zu Recht Sagan EBLR 2010, 15, 22. 684 Vgl. oben unter § 3 C. I. 3. 685 Vgl. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 873: „[…] das Missbrauchsverbot des Art. 11 SE-RL auch Maßnahmen nach einer SE-Gründung erfasst […].“; 891: „[…] stellt ErwG 18 Satz 3 SE-RL klar, dass auch solche Gestaltungsvarianten missbräuchlich sein können, die Maßnahmen nach der SE-Gründung beinhalten.“; vgl. auch schon oben unter § 3 C. I. 4. 686 Vgl. oben unter § 3 C. I. 5. 687 Nagel NZG 2004, 833, 839; ausführlich zur deutschen Umsetzungsnorm des § 43 SEBG noch unter § 5.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
bot nach § 43 S. 1 SEBG keine entsprechende Voraussetzung entnehmen lässt. Auch im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich unterliegt der „Missbrauch der SE“ gegenüber „strukturellen Veränderungen“ eigenständigen Voraussetzungen. Während ErwG 18 S. 3 SE-RL lediglich das „VorherNachher-Prinzip“ zeitlich auf das Nachgründungsstadium und sachlich auf „strukturelle Veränderungen“ erstreckt, erfordert Art. 11 SE-RL ein missbräuchliches Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten. Daher ist ein „Missbrauch einer SE“ – entgegen Storm688 und im Einklang mit Sagan689 – nicht nur ein Unterfall einer „strukturellen Veränderung“. Der Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL ist entgegen Sagan690 indes nicht auf „nicht-strukturelle Änderungen“ verengt.691 Diese strikte Einteilung in unterschiedliche rechtliche Kategorien von „Missbrauch“ und „strukturellen Veränderungen“ entspricht nicht den Vorgaben der SE-RL. Eine Differenzierung zwischen „strukturellen Änderungen“ einerseits und einem Missbrauch durch „nicht-strukturelle Änderungen“ übersähe, dass sich „Missbrauch“ und „strukturellen Veränderung“ einer SE überschneiden können. Im Rahmen der Durchführung einer „strukturellen Veränderung einer bereits bestehenden SE“ kann diese gleichzeitig dazu missbraucht werden, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.692 Für eine Subsumtion einer „strukturellen Veränderung“ unter den Tatbestand des „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL müssen freilich dessen Tatbestandsvoraussetzungen693 vorliegen, insbesondere muss zunächst ein tatbestandlicher Erfolg in Form eines „Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten“ feststellbar sein.694 Ferner muss die Maßnahme in objekti688 Storm
The SE 2008, S. 3, 12. EBLR 2010, 15, 22. 690 Sagan EBLR 2010, 15, 37; für das SEBG: Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 188: „Für die Auslegung des § 43 S. 1 SEBG ist […] davon auszugehen, dass sich Strukturänderung und Missbrauch wechselseitig ausschließen.“. 691 So wohl auch Koch Diss. 2010, S. 214 für § 43 SEBG: „Auch außerhalb von strukturellen Änderungen kann es […] zu einem Missbrauch der SE kommen […].“. 692 In diese Richtung wohl auch – für § 43 S. 1 und § 18 Abs. 3 SEBG – Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 7: „Der Missbrauch nach § 43 SEBG kann auch in einer nachfolgenden Strukturänderung liegen. Die Anwendung der Vorschrift hat jedoch auf § 18 Abs. 3 SEBG, also auf die Verhandlungspflicht bei geplanten strukturellen Änderungen der SE, keinen Einfluss. Beide Vorschriften sind nebeneinander anwendbar.“. 693 Zum Prüfungsmaßstab für den „Missbrauch einer SE“ unter § 3 C. III. 3. b). 694 Vgl. auch Sagan EBLR 2010, 15, 23, wonach der Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL weiter reiche als der von ErwG 18 SE-RL, da Art. 11 SE-RL auch das „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten umfasse, während ErwG 18 SE-RL lediglich existierende Beteiligungsrechte schütze; vgl. zur Konkretisierung des Be689 Sagan
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL185
ver695 Hinsicht missbräuchlich696 sein. Insoweit kann die Maßnahme, die eine „strukturelle Veränderung“ darstellt, objektiver Bestandteil eines „Missbrauchs einer SE“ sein. Ein „Missbrauch einer SE“ setzt indes eine „strukturelle Veränderung einer bereits bestehenden SE“ nicht zwingend voraus.697 Eine „strukturelle Veränderung einer bereits bestehenden SE“ ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für den „Missbrauch einer SE“. Entscheidend ist in objektiver Hinsicht das Vorliegen einer Maßnahme, die in Relation zu dem von der SE-RL bezweckten Schutz von Beteiligungsrechten zweckwidrig ist.698 ff) Vorrang autonomer Beteiligungsvereinbarungen Zwar bezweckt die SE-RL, bestehende unternehmerische Beteiligungsrechte auf „Mitbestimmung“ zu erhalten. Allerdings können die Parteien „etwas anderes beschließen“699. Darüber hinaus sollen die „konkreten Verfahren der grenzüberschreitenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sowie gegebenenfalls der Mitbestimmung […] vorrangig durch eine Vereinbarung zwischen den betroffenen Parteien […] festgelegt werden“700. Hieraus folgt ein grundsätzlicher Vorrang der zwischen der Arbeitgeberseite und dem bVG verhandelten Beteiligungsvereinbarung vor der gesetzlichen Auffangregelung (Art. 7 i. V. m. Anhang SE-RL). Nach ErwG 8 a. E. SE-RL soll die Mitbestimmung nur „in Ermangelung einer derartigen Vereinbarung […] durch die Anwendung einer Reihe von subsidiären Regeln festgelegt werden“. Der Vorrang der Verhandlungsautonomie geht so weit, dass die Parteien grundsätzlich auch beschließen können, dass im Hinblick auf das unternehmerische Beteiligungsrecht der „Mitbestimmung“ überhaupt keine Vereinbagriffs „Vorenthalten“ und zu dessen Anwendungsbereich neben dem „Entziehen“ bereits oben unter § 3 C. II. 2: Nach hier vertretener Auffassung erfasst der Begriff des „Vorenthaltens“ künftige Beteiligungsrechte nur insoweit, als zusätzliche grenzüberschreitende betrieblichen Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhörung“ zu gewähren sind. 695 Zum Prüfungsmaßstab für einen „Missbrauch“ in subjektiver Hinsicht unter § 3 C. III. 3. b) bb). 696 Zum Prüfungsmaßstab für einen „Missbrauch“ in objektiver Hinsicht unter § 3 C. III. 3. b). aa). 697 In diese Richtung auch Schubert ZESAR 2006, 340, 343, wonach nicht jede rechtsmissbräuchliche Gesetzesumgehung i. S. v. § 43 S. 1 SEBG notwendig eine strukturelle Änderung i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG sei; ferner Sagan EBLR 2010, 15, 22, wonach ein Missbrauch nicht notwendigerweise die Gesellschaftsstruktur berühren müsse. 698 Zur Anforderung der Zweckwidrigkeit der Maßnahme vgl. noch unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2). 699 ErwG 7 letzter Hs. SE-RL. 700 ErwG 8 SE-RL.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
rung getroffen wird. Das folgt aus Art. 4 Abs. 2 lit. g) SE-RL, der bestimmte Inhalte einer Vereinbarung über die „Mitbestimmung“ vorsieht „für den Fall, dass die Parteien im Laufe der Verhandlungen beschließen, eine solche Vereinbarung einzuführen“701. Die beschriebene Reichweite des Vorrangs autonomer Beteiligungsvereinbarungen ist bei der Prüfung von Gestaltungen im Hinblick auf einen „Missbrauch einer SE“ zu beachten. Es ist somit kein „Missbrauch einer SE“, wenn Beteiligungsvereinbarungen Einschränkungen unternehmerischer Beteiligungsrechte vorsehen, jedoch im Einklang mit den durch die Vorschriften der SE-RL gesetzten Grenzen zur Wahrung bestehender Mitbestimmungsrechte wirksam abgeschlossen worden sind.702 gg) „ Angemessenes Verhältnis“ zwischen Verringerung und Erhaltung von Mitbestimmung Zwar genießen die Parteien der Beteiligungsvereinbarung grundsätzlich die Freiheit zu entscheiden, ob sie eine solche Vereinbarung im Hinblick auf „Mitbestimmungsrechte“ schließen.703 Standen Arbeitnehmern jedoch bereits Mitbestimmungsrechte in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften zu, genießen diese Bestandschutz. Die Vereinbarungsautonomie ist in diesem Fall eingeschränkt. Wie sich aus ErwG 10 S. 1 SE-RL ergibt, sollen die Abstimmungsregeln im bVG „– insbesondere wenn Vereinbarungen getroffen werden, die ein geringeres Maß an Mitbestimmung vorsehen, als es in einer oder mehreren der sich beteiligenden Gesellschaften gegeben ist – in einem angemessenen Verhältnis zur Gefahr der Beseitigung oder der Einschränkung der bestehenden Mitbestimmungssysteme und -praktiken stehen.“704 Vor diesem Hintergrund sieht Art. 3 Abs. 4 SE-RL zum Schutz bestehender „Mitbestimmungsrechte“ bestimmte Voraussetzungen vor, wodurch die Mitbestimmungsautonomie der Verhandlungspartner einschränkt wird. Diese Vorschrift regelt die Zulässigkeit einer „Minderung der Mitbestimmungs rechte“705, indem sie erhöhte Abstimmungsquoren für zustimmende Be701 Art. 4
Abs. 2 lit. g) SE-RL. § 43 S. 1 SEBG auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 187: „Führen diese [lies: die Neuverhandlungen, Einfügung durch Verfasser] zum Abschluss einer wirksamen Beteiligungsvereinbarung, ist ein Missbrauch i. S. d. § 43 S. 1 SEBG a priori ausgeschlossen.“. 703 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. g) SE-RL, der Vorgaben für den Inhalt der Beteiligungsvereinbarung im Hinblick auf die Mitbestimmung nur enthält „für den Fall, dass die Parteien im Laufe der Verhandlungen beschließen, eine solche Vereinbarung [über die Mitbestimmung] einzuführen“. 704 Hervorhebung durch Verf. 705 Zur Abgrenzung zwischen „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ und „Missbrauch einer SE“ vgl. oben unter § 3 C. III. 2. c) cc). 702 Für
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL187
schlüsse des bVG vorsieht, wenn Verhandlungen eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ zur Folge hätten. Damit schließt die SE-RL eine Minderung von Mitbestimmungsrechten gegen den Willen einer qualifizierten706 Mehrheit der Arbeitnehmerseite aus. Darüber hinaus ist nach Art. 4 Abs. 4 SE-RL eine Vereinbarung einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ im Falle einer durch Umwandlung gegründeten SE von vornherein ausgeschlossen. Danach muss bei der Umwandlungsgründung in der Vereinbarung „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung“, d. h. einschließlich der unternehmerischen Beteiligungsrechte der „Mitbestimmung“, „das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll“707. Für die Konkretisierung des Merkmals „Missbrauch einer SE“ folgt aus dem grundsätzlichen Vorrang autonomer Beteiligungsvereinbarungen (ErwG 8 SE-RL)708 und der auf ErwG 10 S. 1 SE-RL beruhenden Einschränkung der Mitbestimmungsautonomie durch Art. 4 Abs. 4 SE-RL Folgendes: Zunächst ist zu betonen, dass die Einräumung von unternehmerischen Beteiligungsrechten in Form von „Mitbestimmungsrechten“ in einer Beteiligungsvereinbarung grundsätzlich fakultativ709 ist.710 Indes schützt die SE-RL den Bestand bereits vorhandender Mitbestimmungsrechte im Bereich der vereinbarten Mitbestimmung vor einer Absenkung gegen den mehrheitlichen Willen der Arbeitnehmerseite. Daher schränkt Art. 4 Abs. 4 SE-RL die grundsätzliche Mitbestimmungsautonomie dahingehend ein, dass diese Vorschrift erhöhte Anforderungen an einen bVG-Beschluss für die Zustimmung zu einer Beteiligungsvereinbarung, die eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ zur Folge hätte, vorsieht. Ein erhöhtes Abstimmungsquorum wird erforderlich, wenn sich die Mitbestimmung bei der Verschmelzungsgründung auf mindestens 25 % oder bei der Holding- / Tochter-SE-Gründung auf mindestens 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften erstreckt. Bei der Umwandlungsgründung ist ein Zustimmungsbeschluss zu einer Vereinbarung, die eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ zur Folge hätte, von vornherein ausgeschlossen.711 Dieses nach Gründungsvarianten abgestufte Schutzkonzept712 beruht auf der Erwägung des Richtliniengebers, dass die Gefahr einer Beseitigung oder Einschränkung bestehender 706 Jacobs
in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 6. Abs. 4 SE-RL. 708 Vgl. soeben unter § 3 C. III. 2. d) ff). 709 Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 36. 710 Vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. g SE-RL. 711 Vgl. Art. 4 Abs. 4 SE-RL. 712 Zum abgestuften Schutzkonzept der SE-RL bereits oben unter § 3 C. III. 2. c) dd). 707 Art. 4
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Mitbestimmungssysteme und -praktiken bei der Gründung im Wege der Umwandlung oder Verschmelzung größer ist als bei der Gründung im Wege der Errichtung einer Holding- oder Tochter-SE.713 Daher ist der „Missbrauchs“Begriff dahingehend zu konkretisieren, dass im Bereich der vereinbarten Mitbestimmung in der SE der erhöhte Bestandschutz bei der Umwandlungs- und Verschmelzungsgründung gegenüber der Holding- oder Tochter-SE-Gründung nicht durch die Wahl einer Gestaltung, die eine missbräuchliche Umgehung des Art. 3 Abs. 4 S. 3 letzter Hs. SE-RL oder von Art. 4 Abs. 4 SE-RL darstellt, unterlaufen werden darf. hh) M indeststandard an Beteiligung mittels gesetzlicher Auffangregelung Der grundsätzliche Vorrang der Vereinbarung von Beteiligungsrechten, wie er sich aus ErwG 8 SE-RL ergibt, besteht gegenüber der Anwendung subsi diärer Regeln, welche die Mitgliedstaaten nach den Vorgaben von Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Anhang SE-RL bereitstellen.714 Diese „Auffanglösung“ mittels der gesetzlichen Auffangregelung soll nach ErwG 8 letzter Hs. SE-RL greifen, wenn es an einer Vereinbarung über Beteiligungsrechte fehlt. In dem Fall, dass die Verhandlungen zwischen dem bVG und der Arbeitgeberseite nicht zu einer Vereinbarung führen, sollen für die SE von ihrer Gründung an „bestimmte Standardanforderungen“715 gelten. Als Ziel solcher Standardanforderungen formuliert die SE-RL die Gewährleistung einer „effiziente[n] Praxis der grenzüberschreitenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer sowie deren Mitbestimmung in dem einschlägigen Organ der SE“716. Indes sollen diese Standardanforderungen nur greifen, „sofern und soweit es eine derartige Mitbestimmung vor der Errichtung der SE in einer der beteiligten Gesellschaften gegeben hat“717. Vor diesem Hintergrund greift die von den Mitgliedstaaten bereitzustellende gesetzliche Auffangregelung nur unter den in Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2, Abs. 2 SE-RL bestimmten Voraussetzungen. Grundlegende Voraussetzung ist nach Art. 7 Abs. 1 SE-RL stets, dass die Parteien die Anwendung der gesetzlichen Auffangregelung vereinbart718 haben 713 Vgl.
ErwG 10 S. 2 SE-RL. Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 SE-RL: „Zur Verwirklichung des in Artikel 1 festgelegten Ziels führen die Mitgliedstaaten […] eine Auffangregelung zur Beteiligung der Arbeitnehmer ein, die den im Anhang niedergelegten Bestimmungen genügen muss.“; ferner Unterabs. 2: „Die Auffangregelung, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats festgelegt ist, in dem die SE ihren Sitz haben soll […].“. 715 ErwG 11 S. 1 SE-RL. 716 ErwG 11 S. 2 Hs. 1 SE-RL. 717 ErwG 11 S. 2 Hs. 2 SE-RL. 718 Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. a) SE-RL. 714 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL189
oder nach Ablauf der Verhandlungsdauer719 die zuständigen Unternehmensorgane der Gründungsgesellschaften der Anwendung der Auffangregelung zugestimmt haben und zudem das bVG keinen Nichtanwendungs-720 oder Abbruchbeschluss721 gefasst hat. Zusätzlich zum Vorliegen dieser Voraussetzungen müssen im Hinblick auf die Auffangregelung zum unternehmerischen Beteiligungsrecht der „Mitbestimmung“ (Teil 3 des Anhangs SE-RL) nach Art. 7 Abs. 2 SE-RL je nach SE-Gründungsvariante weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Somit verfolgt der Richtliniengeber auch im Hinblick auf die gesetzliche Auffangregelung über die Mitbestimmung ein nach Gründungsvarianten abgestuftes Schutzkonzept.722 Der stärkste Schutz besteht auch für den Fall der Umwandlungsgründung. Bei ihr reicht für die Anwendung der gesetzlichen Auffangregelung über die Mitbestimmung bereits aus, dass vor der Umwandlung einer Aktiengesellschaft in eine SE für die Aktiengesellschaft Bestimmungen eines Mitgliedstaats über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Verwaltungs- oder Aufsichtsorgan der Aktiengesellschaft galten.723 Bei der Verschmelzungsgründung muss nicht in allen an der Gründung beteiligten Gesellschaften eine Form der Mitbestimmung bestanden haben. Ausreichend für die Anwendung der gesetzlichen Auffangregelung über die Mitbestimmung ist insoweit, dass in mindestens einer Gesellschaft eine Form der Mitbestimmung bestand.724 Darüber hinaus muss sich diese Mitbestimmung auf mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften erstreckt haben oder – wenn dieses Quorum nicht erreicht wird – ein entsprechender bVG-Beschluss vorliegen.725 Bei der Gründung als Holding- oder Tochter-SE erhöht sich das nötige Quorum für eine Anwendung der Auffangregelung über die Mitbestimmung nochmals, auf 50 %.726 Andernfalls ist auch hier ein bVG-Beschluss erforderlich.727 In den Quoren in Höhe von 25 oder sogar 50 % für die Anwendung der Auffangregelung über die Mitbestimmung kommt erneut die Einschätzung des Richtliniengebers zum Ausdruck, dass die Gefahr der Beseitigung oder Einschränkung der bestehenden Mitbestimmungssysteme und -praktiken bei der Verschmelzung größer ist als bei der Errichtung der SE als Holding- oder Tochtergesell719 Vgl.
Art. 5 SE-RL. Abs. 6 Unterabs. 1 S. 1 Var. 1 SE-RL. 721 Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 1 S. 1 Var. 2 SE-RL. 722 Zum abgestuften Schutzkonzept der SE-RL allgemein vgl. oben unter § 3 C. III. 2. c) dd); zum abgestuften Schutzkonzept speziell bei der vereinbarten Mitbestimmung vgl. oben unter § 3 C. III. 2. d) gg). 723 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. a) SE-RL. 724 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich 1. Hs. SE-RL. 725 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich 2. Hs., 2. Spiegelstrich SE-RL. 726 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. c) 1. Spiegelstrich SE-RL. 727 Vgl. Art. 7 Abs. 2 lit. c) 2. Spiegelstrich SE-RL. 720 Art. 3
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
schaft.728 Daraus folgt, dass die Wahl einer bestimmten Gründungsvariante darüber entscheidet, wie hoch die Anforderungen für das (Nicht-)Eingreifen der gesetzlichen Auffangregelung sind. Daher ist der „Missbrauchs“-Begriff des Art. 11 SE-RL dahingehend zu konkretisieren, dass der erhöhte Schutz bei der Umwandlungs- und Verschmelzungsgründung gegenüber der Holding- oder Tochter-SE-Gründung im Bereich der Mitbestimmung „kraft Gesetzes“ nach der Auffangregelung nicht durch die Wahl einer Gestaltung, die eine missbräuchliche Umgehung des Art. 7 Abs. 2 lit. a) oder lit. b) SE-RL darstellt, unterlaufen werden darf. ii) Ergebnis zu den teleologischen Konkretisierungsargumenten Zusammengefasst ergibt die teleologische Auslegung von Art. 11 SE-RL Folgendes: Die SE-RL bezweckt als Fernziel die Förderung der Ziele der Union im sozialen Bereich. Wegen der mangelnden programmatischen Tiefe der europäischen Sozialpolitik sind die SE-RL und das Merkmal „Missbrauch einer SE“ in Art. 11 SE-RL autonom von andernfalls feststehenden Maßstäben einer europäischen Sozialpolitik auszulegen und mit eigenständigen, originär aus der SE-RL zu entnehmenden Wertungen auszufüllen. Aus dem wettbewerbsorientierten Verständnis der europäischen Sozialpolitik folgt, dass dem Schutz sozialer Belange von Arbeitnehmern kein genereller Vorrang vor anderen Interessen zukommt. Da Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmerrechten stets auch der von der Union als notwendig erachteten Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft gerecht werden müssen, darf die Ausgestaltung des Arbeitnehmerschutzes die Wettbewerbsfähigkeit der Union nicht unverhältnismäßig einschränken.729 Aus ErwG 1–3 SE-RL folgt eine Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO. Aus der Ergänzungsfunktion der SE-RL ergibt sich, dass die mit der SE-VO verfolgten Zwecke im Vordergrund des SE-Gesamtkonzepts stehen und durch die Zwecke der SE-RL lediglich flankiert werden. Dieses Verhältnis ist im Rahmen des Prüfungsmaßstabs des Merkmals „Missbrauch einer SE“ zu respektieren, indem mittelbar die Zwecke der SE-VO, insbesondere die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für in Europa tätige Unternehmen zur Förderung der wirtschaftlichen Ziele der Union, bei der Ausfüllung von Art. 11 SE-RL zu berücksichtigen sind. Indes kommt der SE-VO weder ein genereller Vorrang gegenüber der SE-RL zu noch zielt Art. 11 SE-RL auf einen gerechten Ausgleich im Sinne der Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Vielmehr verhilft Art. 11 SE-RL der Ergänzungs728 Vgl. 729 Vgl.
ErwG 10 SE-RL. oben unter § 3 C. III. 2. d) aa).
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL191
funktion der SE-RL zur SE-VO dadurch zur Wirksamkeit, dass in dem Fall, dass eine nach der SE-VO an sich eröffnete Gestaltungsmöglichkeit einen „Missbrauch einer SE“ darstellt, die Zwecke der SE-VO im Hinblick auf die der SE-RL zu modifizieren sind. Zwar begründet allein die Nutzung der nach der SE-VO vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten keinen „Missbrauch einer SE“. Allerdings kann eine Nutzung der Gestaltungsmöglichkeiten wider die Zwecke der SE-RL einen „Missbrauch einer SE“ begründen und damit im Ergebnis eine Modifizierung der gesellschaftsrechtlichen Gestaltung erfordern.730 Im Rahmen der Ausfüllung des Art. 11 SE-RL ist zu berücksichtigen, dass die SE-RL im Bereich grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte eine von der gewählten SE-Gründungsvariante unabhängige Gewährleistung bezweckt.731 Demgegenüber beschränkt sich die SE-RL auf dem Gebiet unternehmerischer Beteiligungsrechte auf den Erhalt erworbener Rechte.732 Die Sicherung erworbener Beteiligungsrechte mittels des Vorher-Nachher-Prinzips (ErwG 18 S. 1 SE-RL) gilt primär für SE-Neugründungen.733 Nach ErwG 18 S. 3 SE-RL soll es auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE gelten.734 Diesen Programmsatz greift der Richtliniengeber jedoch im normativen Teil der SE-RL nicht wieder auf, sodass fraglich ist, ob Art. 11 SE-RL auch für strukturelle Veränderungen bereits gegründeter SE-Gesellschaften einschlägig ist.735 „Strukturelle Veränderungen“ und ein „Missbrauch einer SE“ unterliegen jeweils eigenständigen Voraussetzungen. Eine „strukturelle Veränderung einer bereits bestehenden SE“ ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für den „Missbrauch einer SE“. Allerdings kann es zu Überschneidungen kommen in der Weise, dass eine Maßnahme, die eine „strukturelle Veränderung“ einer bereits bestehenden SE darstellt, objektiver Bestandteil eines „Missbrauchs einer SE“ sein kann. Im Hinblick auf das objektive Vorliegen eines „Missbrauchs einer SE“ genügt freilich jede Maßnahme, die in Relation zu dem von der SE-RL bezweckten Schutz von Beteiligungsrechten objektiv zweckwidrig ist.736 Schließlich ist bei der Ausfüllung von Art. 11 SE-RL der Vorrang autonomer Beteiligungsvereinbarungen zu beachten.737 In diesem Bereich sieht 730 Vgl. 731 Vgl. 732 Vgl. 733 Vgl. 734 Vgl. 735 Vgl. 736 Vgl. 737 Vgl.
oben oben oben oben oben oben oben oben
unter unter unter unter unter unter unter unter
§ 3 § 3 § 3 § 3 § 3 § 3 § 3 § 3
C. C. C. C. C. C. C. C.
III. III. III. III. III. III. III. III.
2. 2. 2. 2. 2. 2. 2. 2.
d) d) d) d) d) d) d) d)
bb). cc). dd). ee) (1). ee) (2). ee) (2) (a). ee) (2) (b). ff).
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
die SE-RL ein Bedürfnis für ein „angemessenes Verhältnis“ zwischen einer Verringerung und einer Beibehaltung von Mitbestimmungsrechten und stellt mit einem nach den Risiken der einzelnen Gründungsvarianten abgestuften Schutzkonzept bestimmte Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer vereinbarten „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ auf.738 Ein abgestuftes Schutzkonzept verfolgt die SE-RL ebenfalls im Hinblick auf die Anwendbarkeit einer gegenüber Beteiligungsvereinbarungen subsidiären, von den Mitgliedstaaten bereitzustellenden gesetzlichen Auffangregelung für einen Mindeststandard an betrieblichen und unternehmerischen Beteiligungsrechten.739 3. Prüfungsmaßstab für den „Missbrauch einer SE“ Aufbauend auf den grammatikalischen, historischen, systematischen und teleologischen Konkretisierungsargumenten soll im Folgenden ein Prüfungsmaßstab für den Terminus „Missbrauch einer SE“ entwickelt werden. Soweit in der Literatur übereinstimmend betont wird, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen „im konkreten Einzelfall“740 vorliegen müssten, ist dem zuzustimmen. Die Anwendung eines Rechtssatzes abstrakt ohne Bezug zum konkreten Sachverhalt kann nicht gelingen. Das gilt auch für eine europarechtliche Generalklausel wie Art. 11 SE-RL,741 die zur rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts742 die Ausfüllung des Begriffs „Missbrauch einer SE“ mit rechtlichen Wertungen erfordert.743
738 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 2. d) gg). oben unter § 3 C. III. 2. d) hh). 740 Für § 43 SEBG Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 253; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 215 (vgl. auch 3. Aufl. 2013, § 43 SEBG Rn 7); Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2; vgl. Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 741 Vgl. zur Einordnung des Art. 11 SE-RL als ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel oben unter § 3 A. I. 2. 742 Zur Anwendung der Missbrauchsklausel auf einzelne Sachverhaltsgestaltungen noch ausführlich in Teil 4. 743 Vgl. zu den materiellen Instrumenten bei der Ausfüllung des Art. 11 SE-RL durch Normkonkretisierung oben unter § 3 B. II. 2. 739 Vgl.
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL193
a) Vorschlag Sagans für eine Begrenzung auf „rein künstliche Gestaltungen“ und Umgehungen nationaler Rechtsvorschriften Nach Sagan setze Art. 11 SE-RL in objektiver744 Hinsicht erstens eine Transaktion im Anwendungsbereich des Unionsrechts voraus.745 Zweitens sei erforderlich, dass das Ziel der Regelung aufgrund „rein künstlicher Gestaltungen“746, welche nicht der wirtschaftlichen Realität entsprächen und auf eine Umgehung von Regeln über die Arbeitnehmerbeteiligung zielten, lediglich formal beachtet werde.747 Eine Transaktion sei nicht „rein künstlich“, wenn sie durch „vernünftige wirtschaftliche Gründe“748 gerechtfertigt sei. Drittens erfordere ein Missbrauch einer SE die Umgehung nationaler Rechtsvorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung.749 Viertens komme ein Missbrauch einer SE nur in Betracht, wenn der SE aus der Umgehung nationalen Rechts ein Vorteil erwachse,750 was ausgeschlossen sei, wenn die Beendigung von Beteiligungsrechten nationalen Rechts durch Beteiligungsrechte in der SE hinreichend kompensiert würde.751 Die erste Voraussetzung – eine Transaktion im Anwendungsbereich des Unionsrechts – versteht sich von selbst, da die SE allein von Unionsrecht bestimmt wird. Einer Übertragung des Maßstabs „rein künstlicher Gestaltungen“ auf den Missbrauch einer SE steht entgegen, dass der EuGH diese Voraussetzung bislang nur speziell für den Bereich des Mehrwertsteuerrechts aufgestellt hat und sie insoweit keine allgemeine Anforderung des europarechtlichen Missbrauchsverbots darstellt.752 Den Begriff der „rein künst 744 Zur von Sagan EBLR 2010, 15, 33 sowie Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 197 geforderten fünften Voraussetzung eines subjektiven Elements noch ausführlich unter § 3 C. III. 3. b) bb). 745 Sagan EBLR 2010, 15, 29 („transaction within the scope of Community Law“); Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 195. 746 Sagan EBLR 2010, 15, 29 („wholly artificial arrangements“) unter Bezugnahme auf EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04 Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-07995, Rn 55. 747 Sagan EBLR 2010, 15, 29. 748 Sagan EBLR 2010, 15, 30 („valid commercial reasons“); Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 195; jeweils unter Bezugnahme auf EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 42. 749 Sagan EBLR 2010, 15, 30 („circumvention of national law“); Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 195. 750 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 195 unter Bezugnahme auf EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04 Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-07995, Rn 64. 751 Sagan EBLR 2010, 15, 31 („absence of compensational arrangements“); Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 196 f. 752 Vgl. oben unter § 3 C. III. 1. b) bb) (2).
194
Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
lichen Gestaltung“ verwendet Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 2988 / 95753 ausdrücklich, während Art. 11 SE-RL eine Verengung des Missbrauchsbegriffs auf „rein künstliche Gestaltungen“ nicht zu entnehmen ist. Daher kommt auch eine Rechtfertigung durch „vernünftige wirtschaftliche Gründe“ nicht in Betracht.754 Gegen die Voraussetzung des Erwachsens eines Vorteils für die SE spricht, dass entscheidend für einen Missbrauch einer SE nicht der Vorteil für die SE als Arbeitgeberin, sondern der Nachteil für die Arbeitnehmer in Form eines Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten ist. Der von Sagan aufgestellten Voraussetzung der Umgehung nationalen Rechts zur Arbeitnehmerbeteiligung steht entgegen, dass es bei Art. 11 SE-RL nicht um eine Umgehung von Beteiligungsrechten nationalen Rechts geht, sondern um eine Verhinderung der Umgehung755 von Beteiligungsrechte schützenden Normen der SE-RL oder der Erschleichung756 von Beteiligungsrechte vernachlässigenden Normen der SE-RL. Geschützt sind dabei aufgrund des Bestandschutzprinzips757 Beteiligungsrechte, die Arbeitnehmern bislang aufgrund nationaler Rechtsvorschriften gewährt wurden. Art. 11 SE-RL soll jedoch nicht die Umgehung dieser nationalen Rechtsvorschriften, sondern eine Umgehung oder Erschleichung von Normen der SE-RL oder ihrer Umsetzungsgesetze verhindern. b) Vorschlag für einen objektiv-subjektiven Prüfungsmaßstab Aufbauend auf den unter 2. herausgearbeiteten Konkretisierungsargumenten wird im Folgenden ein objektiv-subjektiver758 Prüfungsmaßstab für den Terminus „Missbrauch einer SE“ vorgeschlagen. aa) Objektive Anforderungen Ein „Missbrauch einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL setzt in objektiver Hinsicht eine arbeitgeberseitige Maßnahme – dazu sogleich unter (1) – voraus, die im Widerspruch zu den Zwecken der SE-RL (2) steht.
753 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 1. c) aa) (2). Problematik einer etwaigen Rechtfertigung eines Missbrauchs einer SE noch ausführlich unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4). 755 Dazu noch unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2) (c) (aa). 756 Dazu noch unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2) (c) (bb). 757 Vgl. oben unter § 3 C. I. 2. 758 Hinsichtlich § 43 SEBG für ein zweischrittiges Vorgehen aus objektiven und subjektiven Elementen jüngst auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 5. 754 Zur
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL195
(1) Maßnahme der Arbeitgeberseite Wie die Konkretisierung anhand des Wortlautarguments ergeben hat,759 erfordert das Merkmal „Missbrauch einer SE“ zunächst eine Maßnahme der Arbeitgeberseite in Form eines aktiven Handelns oder eines passiven Unterlassens.760 Im Fall der SE-Gründung761 kann das Verhalten, an das für einen „Missbrauch einer SE“ anzuknüpfen ist, etwa in der Art und Weise der Durchführung der SE-Gründung durch die an der Gründung „beteiligten Gesellschaften“ liegen.762 Nach Gründung der SE kommen Maßnahmen durch ein Handeln oder ein Unterlassen der Unternehmensorgane der SE in Betracht.763 (2) Zweckwidrigkeit der Maßnahme Die arbeitgeberseitige Maßnahme, an die für einen „Missbrauch einer SE“ angeknüpft wird, muss im Widerspruch zu den sich aus den Erwägungsgründen und dem normativen Teil der SE-RL ergebenden Zwecken stehen.764 Erforderlich ist somit erstens die Ermittlung der Zwecksetzungen der arbeitgeberseitigen Maßnahme – dazu sogleich unter (a) – und zweitens der Zielsetzungen der SE-RL (b). Anschließend bedarf es einer Gegenüberstellung der jeweiligen Zwecksetzungen zur Feststellung einer Zweckwidrigkeit im engeren Sinne (c). (a) Zwecke der Maßnahme Ein mit der arbeitgeberseitigen Maßnahme verfolgter Zweck kann etwa in der Vermeidung der Anwendbarkeit mitbestimmungserhaltender Normen 759 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 2. a) bb). i. E. auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 189. 761 Zu Fällen des Missbrauchs einer SE bei der SE-Gründung noch unter § 8. 762 So auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 189. 763 Zu Fällen des Missbrauchs einer SE nach der SE-Gründung noch unter § 9. 764 Vgl. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 870, wonach Art. 11 SE-RL vom Rechtsanwender verlangt, „[…] sich weniger an den Details der genauen Formulierung einer bestimmten Textpassage als vielmehr an Sinn und Zweck der SE-Richtlinie auszurichten.“; unter Heranziehung der Missbrauchs-Rechtsprechung des BGH (vgl. bereits oben unter § 3 C. III.): Blanke ZIP 2006, 789, 791; vgl. für § 43 SEBG Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6: „Zu fragen ist, ob die Grundwertung des Gesetzgebers und der Richtlinie verletzt wurde oder nicht.“; Koch Diss. 2010, S. 209; vgl. für § 43 SEBG unter Heranziehung der Rspr. deutscher Finanzgerichte zum Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 AO Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702 ff.; ferner für § 43 SEBG Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 6. 760 Vgl.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
wie Art. 3 Abs. 4 SE-RL oder der Vermeidung des Herbeiführens der Voraussetzungen für das Eingreifen der gesetzlichen Auffangregelung (Art. 7 Abs. 2 SE-RL) liegen.765 (b) Zwecke der SE-RL Nach der Ermittlung der Zielsetzungen der arbeitgeberseitigen Maßnahme bedarf es der Ermittlung der Zwecke766 der betroffenen – d. h. der umgangenen oder erschlichenen – Norm der SE-RL. Das entspricht den Anforderungen des EuGH, wonach bei der Würdigung eines missbräuchlichen Verhaltens auf der Grundlage objektiver Kriterien „die Ziele der fraglichen Bestimmungen zu beachten“767 sind. Das geschieht im Wege teleologischer, d. h. am Zweck der Norm orientierter Auslegung.768 Die Konkretisierung des Art. 11 SE-RL mittels des teleologischen Auslegungsarguments hat oben769 im Hinblick auf die Zwecke der SE-RL Folgendes ergeben: Übergreifendes Fernziel der SE-RL ist die Förderung der Ziele der Union im Sozialbereich unter Beachtung der Wettbewerbsfähigkeit der Union.770 Die SE-RL erfüllt eine Ergänzungsfunktion zu den Zwecksetzungen der SEVO.771 Hinsichtlich betrieblicher Beteiligungsrechte soll die SE-RL zusätz765 Vgl. Rehberg ZGR 2005, 859, 867 Fn 35, wonach es bei Art. 11 SE-RL regelmäßig um die Umgehung der Art. 3 bis 7 SE-RL gehe. 766 Für § 43 SEBG vgl. auch Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6: „Maßstab für die Entscheidung ist die Grundwertung des Gesetzgebers und der Richtlinie […].“; ihm folgend Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 215 (vgl. auch 3. Aufl. 2013, § 43 SEBG Rn 6); Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 25; vgl. Koch Diss. 2010, S. 215; vgl. auch Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2702, wonach sich der „Schutzbereich“ der Vorgabe des Art. 11 SE-RL aus dem „von der Richtlinie vorgegebenen Umfang des Schutzes von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten“ ergeben soll. Allerdings stellen Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703 auch unmittelbar auf die Zwecke der SE-VO ab, während nach hier vertretener Auffassung die Zwecke der SE-VO nur mittelbar durch die Anknüpfung der ErwG 1–3 SE-RL an die SE-VO im Sinne einer „Ergänzungsfunktion“ der SE-RL zu berücksichtigen sind; vgl. dazu bereits oben unter § 3 C. III. 2. d) bb). 767 EuGH Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212 / 97 Centros Slg. 1999, I-1459, Rn 25. 768 Vgl. Kjellgren EBLR 2000, 179, 190; Weber in: De la Feria / Vogenauer, S. 395, 396: „The objective test, whereby the objective circumstances must be qualified in the light of the objective of EU law, are in fact basically an interpretation of EU law, for which in the instance, the [European] Court [of Justice] has jurisdiction. In this framework, the national court must put preliminary questions to the Court about the objective of the relevant EU law.“. 769 Unter § 3 C. III. 2. d). 770 Vgl. oben unter § 3 C. III. 2. d) aa). 771 Vgl. oben unter § 3 C. III. 2. d) bb).
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL197
liche grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ unabhängig von der SE-Gründungsvariante gewährleisten.772 Bezüglich unternehmerischer Mitbestimmungsrechte schützt die SE-RL nach Maßgabe des „Vorher-Nachher-Prinzips“ und abgestuft nach Gründungsvarianten das Interesse an der Erhaltung bereits erworbener unternehmerischer Beteiligungsrechte auf „Mitbestimmung“.773 Ferner bezweckt die SE-RL einen Vorrang von Beteiligungsvereinbarungen gegenüber der subsidiären Auffangregelung.774 Dabei bezweckt die SE-RL die Wahrung eines „angemessenen Verhältnisses“775 zwischen vereinbarter Verringerung und Erhaltung von unternehmerischen Beteiligungsrechten auf „Mitbestimmung“ durch Einhaltung der nach Gründungsvarianten abgestuften Grenzen für eine vereinbarte „Minderung von Mitbestimmungsrechten“.776 Schließlich soll die SE-RL mit der Bereitstellung einer gesetzlichen Auffangregelung abhängig von der gewählten Gründungsvariante einen abgestuften Mindeststandard an Beteiligung gewährleisten.777 (c) Feststellung der Zweckwidrigkeit im engeren Sinne Im Anschluss an die Ermittlung der jeweiligen Zwecke der Maßnahme und der SE-RL-Bestimmungen sind die Zielsetzungen zu vergleichen.778 Decken sich die Zielsetzungen, scheidet eine Zweckwidrigkeit aus.779 Ent772 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 2. d) cc). oben unter § 3 C. III. 2. d) dd), ee). 774 Vgl. oben unter § 3 C. III. 2. d) ff). 775 Vgl. oben unter § 3 C. III. 2. d) gg). 776 Vgl. dazu oben unter § 3 C. III. 2. c) cc). 777 Vgl. oben unter § 3 C. III. 2. d) hh). 778 Vgl. ähnlich Koch Diss. 2010, S. 209: „[…] steht die Frage im Vordergrund, ob durch Gestaltungsmaßnahmen objektiv gegen wesentliche Grundwertungen der SE-RL verstoßen wird.“; für § 43 SEBG ähnlich Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703: „[…] ist zunächst zu ermitteln, ob die gewählte Gestaltung mit den Wertungen des Gesetzes im Einklang steht.“; vgl. für das ungeschriebene allgemeine unionsrechtliche Missbrauchsverbot Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro v. 7.4.2005 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 88: „Es handelt sich um ein zweckgerichtetes Kriterium, anhand dessen der Zweck und die Ziele der angeblich missbrauchten Gemeinschaftsregelung mit dem Zweck und dem Erfolg verglichen werden, die durch die betreffende Tätigkeit erreicht worden sind.“. 779 Für § 43 SEBG auch Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703: „Steht die gewählte Gestaltung […] im Einklang mit den gesetzlichen Wertungen, scheidet ein Missbrauch aus.“; vgl. für das ungeschriebene allgemeine unionsrechtliche Missbrauchsverbot im Steuerrecht Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro v. 7.4.2005 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 88: „Besteht somit zwischen der Anerkennung des vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Anspruchs und den 773 Vgl.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
sprechend hat der EuGH entschieden, dass die in den Rechtssachen Centros und Inspire Art verfolgten Zielsetzungen „für sich allein keine mißbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen“ könnten, weil „das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaates zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, […] unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit“ folge.780 Insofern werde die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit gerade nicht missbraucht, sondern ausgeübt.781 Demgemäß kann auch die Inanspruchnahme von für den Arbeitgeber vorteilhaften Normen der SE-RL für sich allein eine Zweckwidrigkeit nicht begründen.782 Die Wahl der SE als Rechtsform aus Gründen einer aus Arbeitgebersicht flexibleren Arbeitnehmerbeteiligung in der SE gegenüber nationalen Mitbestimmungsgesetzen begründet keine Zweckwidrigkeit, wenn die von der SE-RL verfolgten Zwecke eingehalten werden.783 Liegen jedoch die mit der Maßnahme verfolgte Zielsetzung und die Zwecksetzung der in Anspruch genommenen Norm so weit auseinander, dass die Zwecke der SE-RL verfehlt werden, liegt eine Zweckwidrigkeit vor.784 Eine Zweckwidrigkeit besteht etwa bei einer Umgehung von SEvon der betreffenden Rechtsvorschrift angestrebten Zielen und Ergebnissen kein Widerspruch, kann ein Missbrauch nicht festgestellt werden.“. 780 Zum Ganzen EuGH Urt. v. 9.3.1999 – Rs. C-212 / 97 Centros Slg. 1999, I-1459, Rn 27; EuGH Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167 / 01 Inspire Art Slg. 2003, I-10 155, Rn 137; hierzu Vogenauer in: De la Feria / Vogenauer, S. 521, 534. 781 EuGH Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-167 / 01 Inspire Art Slg. 2003, I-10 155, Rn 138. 782 So auch Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57, wonach „[…] die Nutzung der vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten allein […] den Vorwurf des Missbrauchs nicht begründen können [wird].“; Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 257: „[…] kann die Ausübung der durch die SE-VO eröffneten Gestaltungsspielräume nicht per se als Missbrauch i. S. v. Art. 11 der SE-RL qualifiziert werden.“; für § 43 SEBG Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 216: „Der Missbrauchstatbestand ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn lediglich die gesetzlich eröffneten Handlungsmöglichkeiten genutzt werden.“ (vgl. auch 3. Aufl. 2013, § 43 SEBG Rn 6); Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 54; Schmid Diss. 2010, S. 188. 783 In diese Richtung auch Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57, wonach die Nutzung der (gesetzlich) vorgesehenen Möglichkeiten allein einen Missbrauch nicht begründen könne; ferner Sagan EBLR 2010, 15, 29: „Thus the choice of the legal form can in itself not be abusive.“. 784 Im Fall Emsland-Stärke entschied der EuGH, dass „aufgrund der […] tatsächlichen Umstände […] das Ziel der Gemeinschaftsregelung nicht erreicht wurde“:
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL199
RL-Normen, die Beteiligungsrechte schützen, liegen [dazu sogleich unter (aa)]. Ferner ist eine Erschleichung von Normen der SE-RL denkbar, die für bestimmte Beteiligungsrechte ausdrücklich keinen Schutz gewähren [(bb)].785 (aa) Umgehung von Beteiligungsrechte schützenden Normen Das unionsrechtliche Missbrauchsverbot umfasst Fälle der Gesetzesumgehung.786 Als spezialgesetzliche Ausprägung787 des allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbots erfasst das Verbot des Missbrauchs der SE in Art. 11 SE-RL damit auch eine Umgehung von Vorschriften der SE-RL, die den Schutz von Beteiligungsrechten bezwecken.788 Eine Zweckwidrigkeit kommt etwa in Betracht, wenn die Arbeitgeberseite beispielsweise mehrschrittige Maßnahmen im Zusammenhang mit der SE-Gründung durchführt. Ein Beispiel789 hierfür ist eine Gestaltung, bei der die Arbeitnehmerzahl kurzfristig vor der SE-Gründung abgesenkt und sodann erhöht wird und dadurch Schwellenwerte zum Schutz von Beteiligungsrechten (Art. 3 Abs. 4 SE-RL790, Art. 7 Abs. 2 lit. b), c) SE-RL791) umgangen werden. Ein anderes Beispiel ist die Gestaltung einer SE-Gründung als „verdeckte Umwandlung“792 unter Nutzung einer anderen Gründungsvariante als der Umwandlung, durch die der besondere Schutz bei der Umwandlungsgründung (Art. 7 Abs. 2 lit. a) SE-RL) umgangen wird. EuGH Urt. v. 14.12.2000 – Rs. C-110 / 99 Emsland Stärke Slg. 2000, I-11569, Rn 55. 785 Nach Rehberg ZGR 2005, 859, 867, kann bei der Rechtsprechung des EuGH zwar zwischen Normflucht / Umgehung und Normerschleichung unterschieden werden. Jedoch gehe es – so Rehberg ZGR 2005, 859, 867 Fn 35 – bei Art. 11 SE-RL regelmäßig um die Umgehung der Art. 3 bis 7 SE-RL. 786 Vgl. Roth / Schubert in: MüKo-BGB § 242 Rn 157. 787 Vgl. oben unter § 3 C. III. 1. c) aa) (5). 788 Vgl. Rehberg ZGR 2005, 859, 867 Fn 35, wonach es bei Art. 11 SE-RL regelmäßig um die Umgehung der Art. 3 bis 7 SE-RL gehe; für das deutsche Recht vgl. Schubert ZESAR 2006, 340, 343, wonach §§ 45 Abs. 1 Nr. 2, 43 SEBG „strafbewehrte Umgehungsvorschriften“ enthielten; ferner Koch Diss. 2010, S. 215. 789 Siehe dazu Fall 18 unter § 8 E. I. 1. 790 Siehe dazu Fall 10 unter § 8 D. I. 1 (für § 15 Abs. 3 SEBG, der Art. 3 Abs. 4 SE-RL umsetzt). 791 Siehe neben Fall 18 für weitere Konstellationen der Umgehung von Art. 7 Abs. 2 lit. b) und c) die Fälle 20 und 21 unter § 8 E. II. (für § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG, der Art. 7 Abs. 2 lit. b) und c) umsetzt). 792 Siehe dazu Fall 12 unter § 8 D. I. 2. b) bb) (für § 15 Abs. 5 SEBG) sowie Fall 19 unter § 8 E. I. (für § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG, der Art. 7 Abs. 2 lit. a) SE-RL umsetzt).
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
(bb) Erschleichung einer Flexibilisierung von Beteiligungsrechten Eine Zweckwidrigkeit ist auch gegeben, wenn eine SE derart gestaltet wird, dass eine Flexibilisierung der Beteiligungsrechte durch eine willkürliche Maßnahme erschlichen wird. Eine Erschleichung in diesem Sinne kommt etwa in Betracht, wenn mangels einer zwingenden Regelung in der SE-RL hinsichtlich der Verteilung der Arbeitnehmersitze im SE-Unternehmensorgan im Bereich der Beteiligung kraft Vereinbarung eine Festlegung der Sitzverteilung auf die Belegschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten Arbeitnehmer an Standorten mit vergleichsweise geringer Belegschaftsstärke unterrepräsentiert werden.793 (3) Kausalität zwischen tatbestandsmäßigem Verhalten und Erfolg Nach Auffassungen in der Literatur794 soll sich die missbräuchliche Maßnahme „unmittelbar“ auf die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer „auswirken“. Die Beteiligungsrechte müssten von der Maßnahme „nachteilig betroffen sein“795. Das Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten dürfe „nicht bloßer Reflex“796 einer Maßnahme sein. Erforderlich ist eine Kausalität zwischen dem zweckwidrigen Verhalten der Arbeitgeberseite und dem tatbestandlichen Erfolg des Entziehens oder des Vorenthaltens von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer. An der Kausalität fehlt es, wenn Beteiligungsrechte kraft der SE-Gesetzgebung entzogen oder vorenthalten werden. Ferner fehlt die Kausalität für einen nach Art. 11 SE-RL erforderlichen „Missbrauch einer SE“797, wenn das Defizit an Beteiligungsrechten nicht durch eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Rechtsform der SE eintritt, sondern in gleicher Weise auch mit anderen Rechtsformen eintreten könnte.798 Der nach Art. 11 SE-RL erforderliche 793 Siehe
dazu Fall 14 unter § 8 D. II. 1. in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5. 795 Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2, wonach die Beteiligungsrechte „von der Maßnahme nachteilig betroffen sein“ müssten, damit überhaupt ein Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vorliegen könne. 796 Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 4; vgl. auch Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 797 Hervorhebung durch Verf. 798 Einen Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG ebenfalls verneinend Schmid Diss. 2010, S. 188. Der von ihm angeführte „atypische Fall zur Vermeidung der Mitbestimmung“ durch den Gebrauch mitbestimmungsfreier Rechtsformen wie Personengesellschaften, Stiftungen oder rechtsfähige Vereine ist jedoch bereits wegen der Wahl alternativer Rechtsformen zur SE nicht vom Anwendungsbereich des „Missbrauchs einer SE“ erfasst. Vgl. auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG 794 Jacobs
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL201
Bezug zur Rechtsform der SE ist allerdings auch bereits dadurch gewahrt, dass sich die Zweckwidrigkeit der arbeitgeberseitigen Maßnahme auf die Zwecke der SE-RL beziehen muss. (4) Weitere Prüfungsstufe der Rechtfertigung? Fraglich ist, ob ein Missbrauch einer SE aus bestimmten Gründen gerechtfertigt sein kann. Dabei ist zu unterscheiden erstens zwischen der grundsätzlichen Möglichkeit einer Rechtfertigung und zweitens – im Falle der Bejahung einer Rechtfertigungsmöglichkeiten – den Anforderungen an etwaige Rechtfertigungsgründe. Unklar ist bislang, auf welcher Prüfungs stufe etwaige Rechtfertigungsgründe überhaupt eingreifen könnten. Zum Teil wird das Fehlen von Rechtfertigungsgründen als negative Voraussetzung für einen „Missbrauch einer SE“ formuliert: Demnach liege ein Missbrauch nur vor, wenn es für ein Entziehen oder ein Vorenthalten von Beteiligungsrechten „keinen sachlichen Rechtfertigungsgrund“799 gebe oder für eine Arbeitgebermaßnahme „keine sachliche Rechtfertigung erkenn bar“800 sei. Teilweise wird ein Rechtfertigungsgrund als tatbestandsausschließend behandelt, indem formuliert wird, dass „ein Missbrauch ausgeschlossen ist, wenn das betreffende Verhalten durch ‚vernünftige wirtschaftliche Gründe‘ gerechtfertigt ist.“801 Unabhängig davon, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Missbrauch einer SE gerechtfertigt werden kann, kommt als dogmatischer Anknüpfungspunkt für die Diskussion über eine mögliche Berücksichtigung von Rechtfertigungsgründen im hier vorgeschlagenen Prüfungsprogramm allein die Feststellung der Zweckwidrigkeit im engeren Sinne802 als objektive Voraussetzung für das Tatbestandsmerkmal des „Missbrauchs einer SE“ des Art. 11 SE-RL in Betracht. Eine Maßnahme der Arbeitgeberseite, die – aus welchen Gründen auch immer – ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten rechtfertigen soll, könnte allenfalls die Zweckwidrigkeit der Maßnahme entfallen lassen mit der Folge, dass der objektive Tatbestand des Merkmals „Missbrauch einer SE“ nicht erfüllt wäre. Demzufolge kann es im Folgenden nur um die MöglichRn 6, wonach „als Folge der SE-Gründung oder einer strukturellen Änderung unter Beteiligung einer SE [Hervorhebung durch Verf.] Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer entzogen oder vorenthalten werden müssen“; vgl. ferner den Begriff „SE-spezifisch“ bei Rehberg ZGR 2005, 859, 863. 799 So für § 43 S. 1 SEBG Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 4. 800 So für § 43 SEBG Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 6. 801 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 195. 802 Zu dieser objektiven Anforderungen vgl. soeben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2) (c).
202
Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
keit der Berücksichtigung tatbestandsausschließender Rechtfertigungsgründe gehen.803 (a) Literaturauffassungen In der Literatur werden verschiedene Vorschläge hinsichtlich etwaiger Rechtfertigungsgründe unterbreitet. (aa) Keine Rechtfertigungsmöglichkeit Rehberg804 lehnt die Einführung eines rechtfertigenden Elements ab. Er argumentiert, dass ein solches Rechtfertigungsmoment „eine effektive Missbrauchsbekämpfung praktisch wirkungslos“ machen würde. Es gebe kaum eine Gestaltungsvariante, für die sich vor Gericht nicht zahlreiche Gründe anführen ließen.805 Ferner gehe es der SE-RL gerade darum zu verhindern, „die häufig als Last empfundene Mitbestimmung abzuschütteln“. Neben diesen Argumenten spricht nach Rehberg in dogmatischer Hinsicht gegen eine Rechtfertigungsprüfung, dass der „Missbrauch einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL „als Problem von Auslegung und Analogie“ einzuordnen sei.806 Sei bereits ermittelt worden, „dass Sinn und Zweck der Richtlinie eine Anwendung von Mitbestimmungsregeln auf den fraglichen Sachverhalt nahelegen“, verbleibe für weitere Rechtfertigungsprüfungen kein Raum mehr.807 Eine Rechtfertigung von Gestaltungsmaßnahmen durch beliebige Gründe stößt auch bei Koch auf Bedenken, da dadurch das Schutzanliegen der SE-RL erheblich verkürzt werde.808 (bb) Rechtfertigung aus „wirtschaftlichen“ oder „sachlichen“ Gründen Demgegenüber soll nach anderer Auffassung ein Missbrauch einer SE allein in Fällen angenommen werden können, in denen eine SE für Transaktionen genutzt werde, „die keine sonstige wirtschaftliche Rechtferti auch Koch Diss. 2010, S. 207. Folgenden Rehberg ZGR 2005, 859, 871 f. 805 Rehberg ZGR 2005, 859, 872; in diese Richtung auch Rieble BB 2006, 2018, 2022; Schmid Diss. 2010, S. 188; Koch Diss. 2010, S. 208: „Schließlich lassen sich regelmäßig plausible Erklärungen für eine gewählte Gestaltungsmaßnahme finden. […] Es kann jedoch nicht vom Ideenreichtum des Handelnden abhängen, ob man sich dem Vorwurf des Missbrauchs salvieren kann.“. 806 Zur Kritik an Rehbergs Einordnung des Art. 11 SE-RL als „Rechtsanwendungsmaxime“ vgl. bereits oben unter § 3 A. 807 Zum Ganzen Rehberg ZGR 2005, 859, 871 f. 808 Koch Diss. 2010, S. 208. 803 So
804 Zum
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL203
gung“809 hätten, wenn es für das Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten „keinen sachlichen Rechtfertigungsgrund“810 gebe oder für eine Arbeitgebermaßnahme „keine sachliche Rechtfertigung erkennbar“811 sei. Es reiche nicht jeglicher Grund aus, um ein Verhalten zu rechtfertigen, sondern es müssten „erheblich sachliche Gründe vorgetragen werden, um die gewählte Gestaltungsmaßnahme zu rechtfertigen“812. Je mehr eine Gestaltungsmaßnahme zur Folge habe, dass sich die Arbeitnehmerbeteiligung vom „gesetzlichen Leitbild“ entferne, desto höhere Anforderungen seien an den Rechtfertigungsgrund zu stellen.813 Nach Sagan814 soll eine Transaktion nicht „rein künstlich“ sein, wenn sie durch „vernünftige wirtschaftliche Gründe“815 gerechtfertigt sei. Im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Charakter der SE seien solche Gründe im Aufbau eines europäischen Unternehmens-Auftritts, in einer Internationalisierung, in der Vereinfachung der Unternehmensstruktur oder in der Möglichkeit der grenzüberschreitenden Sitzverlegung zu sehen.816 Nach Drinhausen / Keinath817 soll bei einem Widerspruch der gewählten Gestaltung zu den gesetzlichen Wertungen weiter zu prüfen sein, „ob die Gestaltung allein dem Zweck diente, bestehende Mitbestimmungsrechte zu mindern oder deren Übertragung im Konzern zu vermeiden, oder ob sie zumindest auch durch sonstige Gründe gerechtfertigt“ sei. Nur wenn keine „objektiv nachvollziehbaren Gründe“818 vorlägen, sei ein Missbrauch anzunehmen. Dabei sei nicht erforderlich, dass diese anderen Gründe für die gewählte Gestaltung ausschlaggebend gewesen seien. Ausreichend sei allein das Vorliegen anderer sachlicher Gründe. Nicht erforderlich sei, dass diese Gründe „die für die Entscheidung tragenden Gründe“ seien. 809 Wollburg / Banerjea
ZIP 2005, 277, 281. für § 43 S. 1 SEBG Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 4; ein zielgerichtetes Handeln verneinend, wenn es sachliche Gründe außerhalb der Mitbestimmung gibt Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200. 811 So für § 43 SEBG Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 6. 812 Koch Diss. 2010, S. 208. 813 Koch Diss. 2010, S. 208. 814 Zum Folgenden Sagan EBLR 2010, 15, 30; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 195. 815 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161, Rn 42. 816 Sagan EBLR 2010, 15, 30; allgemein zu Motiven für die Gründung von SE-Gesellschaften: Storm The SE 2008, S. 3, 6 ff.; vgl. zum SE-Beteiligungsmodell als Gesichtspunkt bei der Rechtsformwahl bereits oben unter § 2 D. 817 Zum Folgenden Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703. 818 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703; dem folgend Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 7. 810 So
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(b) Stellungnahme: Keine Rechtfertigungsprüfung Die Einführung einer gesonderten Prüfungsstufe der Rechtfertigung bei der Feststellung eines Missbrauchs einer SE ist mit Rehberg819 abzulehnen. Voraussetzung für einen „Missbrauch einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL ist in objektiver Hinsicht die Zweckwidrigkeit einer Maßnahme der Arbeitgeberseite.820 Dazu sind die Zwecke der arbeitgeberseitigen Maßnahme821 einerseits und die Zwecke der SE-RL822 andererseits zu ermitteln und zum Zwecke der Feststellung der Zweckwidrigkeit im engeren Sinne823 gegenüberzustellen. Soweit wirtschaftliche Beweggründe als Rechtfertigungsgründe angeführt werden, spricht gegen ihre Einordnung als Rechtfertigungsgrund, dass solche Motive einen auf erster Stufe zu ermittelnden Zweck einer arbeitgeberseitigen Maßnahme kennzeichnen. Die Herausforderung besteht jedoch gerade darin zu prüfen, ob die Zwecke der arbeitgeberseitigen Maßnahme mit den Zwecken der SE-RL vereinbar sind oder ob ein Widerspruch zwischen diesen Zielsetzungen festzustellen ist. Eine sich daran anschließende Rechtfertigungsprüfung würde eine bereits festgestellte Zweckwidrigkeit revidieren und die Prüfung der Zweckmäßigkeit obsolet machen.824 Die Rechtfertigung einer Maßnahme mittels sachlicher oder vernünftiger wirtschaftlicher Gründe ist daher verfehlt. Einer zunächst festgestellten zweckwidrigen Maßnahme nachträglich durch das Abstellen auf vernünftige oder sachliche wirtschaftliche Gründe doch noch zu einer Rechtfertigung zu verhelfen, bedeutete nichts anderes, als solchen allgemein gehaltenen Gründen von vornherein einen Vorrang gegenüber den Zwecken der SE-RL einzuräumen. Zwar hat der EuGH in der Leur-Bloem-Entscheidung825 auf das Vorliegen „vernünftiger wirtschaftlicher Gründe“ abgestellt. Allerdings bezogen sich diese Ausführungen auf Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F. (jetzt Art. 15 RL 2009 / 133 / EG)826. Nach dessen Wortlaut kann vom Vorliegen eines hauptsächlichen Beweggrundes der Steuerhinterziehung oder -umgehung ausgegangen werden, wenn eine gesellschaftsrechtliche Maßnahme nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen beruht. Im Gegensatz dazu hat der Richtliniengeber bei Art. 11 SE-RL auf eine mit Art. 11 RL 90 / 434 / EWG a. F. vergleichbare Konkretisierung des Merkmals „Missbrauch einer SE“ verzichtet. Darüber hinaus 819 Rehberg
ZGR 2005, 859, 872. oben unter § 3 C. III. 3. b. aa. (2). 821 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b. aa. (2) (a). 822 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b. aa. (2) (b). 823 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b. aa. (2) (c). 824 So i. E. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 872. 825 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 Leur-Bloem Slg. 1997, I-4161; dazu vgl. bereits oben unter § 3 C. III. 1. c) aa) (1) (a). 826 Dazu bereits oben unter § 3 C. III. 1. c) aa) (1) (c). 820 Vgl.
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besteht nach dem Zweck der Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO kein genereller Vorrang der SE-VO gegenüber der SE-RL.827 Daher können insbesondere wirtschaftliche Interessen nicht den Tatbestand des Art. 11 SE-RL rechtfertigen. Auch im Übrigen ist bei Art. 11 SE-RL eine gesonderte Rechtfertigungsprüfung nicht durchzuführen. bb) Subjektive Anforderungen Neben objektiven Gesichtspunkten fordert der EuGH in seiner Missbrauchs-Rechtsprechung grundsätzlich ein subjektives Element, stellt an dessen Grad jedoch unterschiedliche Maßstäbe.828 Im Folgenden wird erörtert, warum auch an einen „Missbrauch einer SE“ nach Art. 11 SE-RL neben den soeben unter aa) dargestellten objektiven Voraussetzungen subjektive Anforderungen zu stellen sind (1) und welchen Grad ein subjektives Element insoweit erreichen muss (2). (1) Grundsätzliche Erforderlichkeit eines subjektiven Elements Dem Erfordernis eines subjektiven Elements829 als solchem in Art. 11 SERL könnte entgegenstehen,830 dass die Gründung einer SE nicht durch natürliche Personen, sondern ausschließlich durch bereits existierende Unternehmen als juristische Personen möglich ist. Im Hinblick auf das allgemeine Missbrauchsverbot des Unionsrechts wird für einen Verzicht auf ein subjektives Element bei juristischen Personen angeführt, dass bei diesen generell nicht auf die Motive ihres Handelns abgestellt werden sollte, da ein subjektives Merkmal bei juristischen Personen kaum nachweisbar sei.831 Juristische Personen als solche seien nicht in der Lage, subjektive Haltungen zu entwickeln. Indes ist regelmäßig bei juristischen Personen auf die hinter ihnen stehenden und für sie handelnden Personen abzustellen. Auch bei der SE ist das Handeln der in den Organen der SE tätigen Personen der SE zuzurechnen.832 827 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 2. d) bb). oben unter § 3 C. III. 1. b). 829 Zur Frage der Erforderlichkeit eines subjektiven Elements für eine – von Art. 11 SE-RL nicht erfasste – Erschleichung der gesetzlichen Auffangregelung durch die Arbeitnehmerseite Forst Diss. 2010, S. 147 f. 830 Ein subjektives Element im Hinblick auf Art. 11 SE-RL gänzlich ablehnend Rehberg ZGR 2005, 859, 869. 831 So bezüglich des allgemeinen Missbrauchsverbots Schlussanträge des Generalanwalts Lenz v. 16.6.1994 – Rs. C-23 / 93 TV 10 Slg. 1994, I-4795 Rn 57; ablehnend Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1287. 832 I. E. auch Sagan EBLR 2010, 15, 33; vgl. auch Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1287. 828 Vgl.
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Gegen eine Übertragung des im Hinblick auf das subjektive Element erleichterten Maßstabs des Missbrauchs im Mehrwertsteuerrecht833 spricht, dass im Bereich der Mehrwertsteuer der Staat durch weniger Steuereinnahmen einen Nachteil erleidet im Verhältnis zwischen Staat und Bürger.834 Demgegenüber betrifft Art. 11 SE-RL einen Nachteil der Arbeitnehmer im Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer. Angesichts dessen, dass die Anwendung von Art. 11 SE-RL oder der mitgliedstaatlichen Umsetzungsvorschriften ein staatlicher Eingriff in das privatrechtliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ist, spricht der Schutz der Unternehmerfreiheit gegen eine Übertragbarkeit eines erleichterten Prüfungsmaßstabs aus dem Mehrwertsteuerrecht. Andererseits besteht der Zweck des Art. 11 SE-RL – anders als in den Steuerfällen – nicht im Schutz staatlicher Fiskalinteressen, sondern dient dem Schutz der Arbeitnehmer vor einem Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten. Insofern ließe sich argumentieren, dass es zur Erfüllung dieser Zwecksetzung überhaupt nicht auf ein subjektives Kriterium ankäme, sondern bereits eine objektive Zweckwidrigkeit ausreichte.835 Gegen einen Verzicht auf ein subjektives Elements beim „Missbrauch einer SE“ wird jedoch zu Recht der Wortlaut des Art. 11 SE-RL angeführt,836 wonach die Mitgliedstaaten verhindern sollen, „dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“837. Der Wortlaut des Art. 11 SE-RL konnte bereits dahingehend ausgelegt werden,838 dass grundsätzlich ein subjektives Element erforderlich ist. Hierfür sprechen übereinstimmend der Wortlaut der deutschen Fassung („dazu missbraucht wird“), der englischen („for the purpose of“) sowie der französischen Fassung („aux fins de“).839 Das verkennt Rehberg840, der offenbar davon ausgeht, überhaupt auf ein subjektives Element verzichten zu können, da Art. 11 SE-RL in seinem Tatbestand keine subjek833 Vgl.
dazu oben unter § 3 C. III. 1. b) bb) (2). zur Differenzierung der Missbrauchsfälle nach den Verhältnissen Staat – Bürger und Bürger – Bürger in prozessualer Hinsicht: Vogenauer in: Vogenauer / De la Feria, S. 521, 543. 835 Vgl. allgemein in diese Richtung Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro v. 7.4.2005 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 70. 836 Etwa Sagan EBLR 2010, 15, 33; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 197; für § 43 SEBG ferner Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 7. 837 Art. 11 SE-RL (Hervorhebung durch Verf.). 838 Zur Auslegung des Wortlauts des Art. 11 SE-RL im Hinblick auf ein subjektives Element bereits vgl. bereits oben unter § 3 C. III. 2. a) dd). 839 Hervorhebungen jeweils durch Verf.; vgl. auch bereits oben unter § 3 C. III. 2. a) dd). 840 Rehberg ZGR 2005, 859, 869. 834 Vgl.
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tiven Elemente enthalte. Angesichts des Wortlauts überzeugt es auch nicht, aus Gründen mangelnder Beweisbarkeit von vornherein auf ein subjektives Kriterium zu verzichten.841 Mithin erfordert ein „Missbrauch einer SE“ ein subjektives Element.842 (2) Anforderungen an den Grad des subjektiven Elements Fraglich ist, welche Anforderungen an den Grad des soeben unter (1) für erforderlich erachteten subjektiven Elements zu stellen sind. (a) Literaturauffassungen: Von „Bewusstsein“ bis „Absicht“ Für einen „Missbrauch einer SE“ werden unterschiedlich hohe Anforderungen an das subjektive Element vorgeschlagen: eine Absicht,843 ein gezieltes Herbeiführen,844 ein gezieltes Ausnutzen,845 das Vorliegen eines vorrangigen Motivs,846 eines überwiegenden847 oder alleinigen848 Zwecks 841 So aber wohl Rehberg ZGR 2005, 859, 869, der jedoch in Fn 46 einräumt, dass das Beweis-Argument „nicht überzubewerten“ sei, da mit Beweishilfen von objektiven Umständen auf subjektive Moment geschlossen werden könne. 842 Für ein subjektives Element auch Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248; Sagan EBLR 2010, 15, 33; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 197; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 4; Koch Diss. 2010, S. 209 ff. 843 Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 255; für § 43 SEBG Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248 („dolus directus 1. Grades“); Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 4 („gerade auf die Entziehung oder Vorenthaltung von Beteiligungsrechten abzielen“); so auch Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2; ablehnend ohne Begründung Forst NZG 2009, 687, 690, wonach es auf eine Missbrauchsabsicht im Sinne eines zielgerichteten Handelns nicht ankomme. 844 Für § 43 SEBG vgl. Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 845 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57 („gezieltes Ausnutzen“ der Rechtsform der SE); darauf verweisend Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281; so auch bzgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG Scheibe Diss. 2007, S. 154. 846 Henssler in GS Heinze 2005, S. 333, 341; ähnlich Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 11 SE-RL Rn 1: „der entscheidende Grund“. 847 Joost in: Oetker / Preis, EAS B 8200 Rn 250: Es bedürfe einer subjektiven Absicht der Beteiligten, dass der Entzug oder die Vorenthaltung von Beteiligungsrechten der einzige Zweck oder zumindest der alles überragende Hauptzweck der Maßnahme sei; nunmehr i. E. ablehnend Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 578; für einen nur wesentlichen Zweck auch Sagan EBLR 2010, 15, 33 („need not to be the sole intention but only the essential purpose of the transaction in ques tion“). 848 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703.
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oder eines bloßen Bewusstseins849 bezüglich des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten. Die Erforderlichkeit einer Absicht wird zunächst mit dem Wortlaut begründet.850 Dagegen wird argumentiert, dass im Wortlaut eine derartige Einschränkung gerade nicht anklinge.851 Es gebe genügend andere gesetzliche Tatbestände, bei denen es auf eine Absicht ankomme und eine solche mitsamt ihrer Zielrichtung gesetzlich ausdrücklich formuliert worden sei.852 Für das Erfordernis einer Absicht wird ferner angeführt, dass diese dem „angesichts der relativen Unbestimmtheit der Norm bestehenden Gebot einer restriktiven Auslegung“853 entspreche. Dagegen wird wiederum argumentiert, dass das Erfordernis einer Absicht eine effektive Missbrauchsbekämpfung verhindern würde,854 da subjektive Voraussetzungen regelmäßig schwierig zu beweisen seien.855 Mit der „Vielschichtigkeit und Komplexität nahezu jeder Gestaltungsvariante“856 gehe eine Vielfalt sehr unterschied licher Motive857 einher. Tatsächliche Motive für eine bestimmte Gestaltung könnten durch vorgeschobene Beweggründe verdeckt werden,858 was die Ermittlung der tatsächlichen Motive zusätzlich erschwere.859
849 So im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen einer – von Art. 11 SERL nicht erfassten – Erschleichung der gesetzlichen Auffangregelung durch die Arbeitnehmerseite Forst Diss. 2010, S. 147 f., der kein zielgerichtetes Wollen, aber ein Bewusstsein der Arbeitnehmerseite vom Eingreifen der gesetzlichen Auffangregelung fordert; ein Bewusstsein über ein zweckgerichtetes Handeln fordernd Koch Diss. 2010, S. 210; gegen eine Absicht Schön in FS Wiedemann 2002, S. 1271, 1286. 850 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248. 851 Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 578; in diese Richtung wohl auch Rehberg ZGR 2005, 859, 869: „Dogmatisch erscheint es vorzugswürdig, auf eine Umgehungsabsicht zu verzichten, sofern nicht die Norm selbst in ihrem Tatbestand subjektive Element enthält.“. 852 Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 578: „In § 34 [gemeint ist wohl § 43 SEBG (Anmerkung d. Verf.)] ist das nicht geschehen.“. 853 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248; für eine „enge Auslegung“, jedoch lediglich ein „vorrangiges Motiv“ fordernd, bereits Henssler in GS Heinze 2005, S. 333, 341. 854 Schmid Diss. 2010, S. 188, i. E. jedoch die subjektiven Anforderungen an den Missbrauch einer SE offenlassend. 855 Rehberg ZGR 2005, 859, 869; Schmid Diss. 2010, S. 188; die Schwierigkeiten des Nachweises einer Absicht zur Kenntnis nehmend, dennoch eine Absicht fordernd, bereits Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 255. 856 Rehberg ZGR 2005, 859, 869. 857 Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254; Schmid Diss. 2010, S. 188. 858 Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254. 859 Rehberg ZGR 2005, 859, 869; Schmid Diss. 2010, S. 188.
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(b) Stellungnahme: Direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) Der Wortlaut des Art. 11 SE-RL verlangt weder ausdrücklich ein „absichtliches“ Handeln noch wird eine vergleichbare Formulierung („um …“) verwendet.860 Der Wortlaut der deutschsprachigen Richtlinien-Fassung mit dem Wort „dazu“ betont den missbräuchlichen Verwendungszweck der SE. Auch die englisch- und französischsprachigen Fassungen beziehen sich auf den Zweck („purpose“, „aux fins de“) der Inanspruchnahme der SE-Rechtsform.861 Würde man strengere Anforderungen in Form einer Absicht (dolus directus ersten Grades) stellen, hinge die Vermeidung der Vereitelung des Schutzzwecks von Art. 11 SE-RL von der Böswilligkeit862 der Arbeitgeberseite ab.863 Zum Zwecke der Sicherung der Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern kann es darauf jedoch nicht ankommen. Ausreichend ist daher, wenn mit dem objektiv zweckwidrigen Verhalten ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten bezweckt wird, mithin ein direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) vorliegt. Dieser Vorsatz muss sich auf die konkreten Handlungsschritte beziehen, welche im Ergebnis zum tatbestandlichen Erfolg des zweckwidrigen Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten führen.864 Der im Wortlaut der französischsprachigen Fassung verwendete Plural („aux fins de“865) zeigt zudem, dass ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten nicht der alleinige Zweck des Verhaltens sein muss. Demnach genügt für das subjektive Element des „Missbrauchs einer SE“,866 mit dem Verhalten zumindest auch867 ein Entziehen oder Vorent860 Vgl.
auch bereits oben unter § 3 C. III. 2. a) dd). auch Forst Der Konzern 2010, 151, 160. 862 Vgl. für § 134 BGB Armbrüster in: MüKo-BGB § 134 Rn 16. 863 Gegen das Erfordernis eines Nachweises einer Missbrauchsabsicht im Sinne eines zielgerichteten Handelns zur Umgehung von Mitbestimmungsvorschriften auch Koch Diss. 2010, S. 222. 864 So auch Koch Diss. 2010, S. 210. 865 Hervorhebungen durch Verf. 866 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Verhaltensweise einer Rechtfertigung zugänglich ist. Diese betrifft die objektive Zweckwidrigkeit im engeren Sinne, vgl. dazu oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4); anders Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 7, der diese Fragenkreise vermengt. 867 So auch Sagan EBLR 2010, 15, 33; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 197; in Bezug auf § 43 SEBG auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, § 43 SEBG Rn 7; im Hinblick auf die subjektiven Anforderungen des Missbrauchs im Steuerrecht auch EuGH Urt. v. 21.2.2008 – Rs. C-425 / 06 Part Service Slg. 2008, I-897, Rn 44; a. A. Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281, wonach ein Missbrauch allein dann angenommen werden könne, wenn eine SE für Transaktionen genutzt wird, die „allein auf eine Beschränkung von Beteiligungsrechten abzielen“; ferner 861 So
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halten von Beteiligungsrechten zu bezwecken.868 Allerdings ist die englischsprachige Fassung im Singular formuliert, sodass die Auslegung des Wortlauts nicht abschließend sein kann. Daher ist die Konkretisierung des Art. 11 SE-RL unter teleologischen Gesichtspunkten ergänzend heranzu ziehen:869 Mit Art. 11 SE-RL soll verhindert werden, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte durch ein den Zwecken der SE-RL zuwiderlaufendes Verhalten entzogen oder vorenthalten werden. Für die Erreichung dieser Zielsetzung kommt es nicht darauf an, ob der Vorsatz für die Verhaltensweise neben diesem zweckwidrigen Erfolg nur diesen oder auch weitere Zwecke umfasst. Entscheidend kommt es darauf an, dass jedenfalls auch der Zweck des Art. 11 SE-RL durch die gewählte rechtliche Gestaltung vereitelt wird,870 indem Arbeitnehmern zweckwidrig Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden. c) Zusammenfassung Der in dieser Arbeit für den Begriff des „Missbrauchs einer SE“ vorgeschlagene Prüfungsmaßstab enthält sowohl objektive als auch subjektive Anforderungen. In objektiver Hinsicht bedarf es erstens einer Maßnahme der Arbeitgeberseite,871 die zweitens im Widerspruch zu den Zwecken der SE-RL steht872 und drittens kausal873 für den tatbestandlichen Erfolg in Form eines „Entziehens“ oder „Vorenthaltens“ von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer ist. Eine gesonderte Prüfungsstufe der Rechtfertigung, insbesondere mit rein wirtschaftlichen Erwägungen, kommt nicht in Betracht.874 In subjektiver Hinsicht ist erforderlich, mit der tatbestandlichen Verhaltensweise ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten zu bezwecken, mithin ein direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) in Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703, wonach zu prüfen sei, „ob die Gestaltung allein dem Zweck diente, bestehende Mitbestimmungsrechte zu mindern oder deren Übertragung im Konzern zu vermeiden, oder ob sie zumindest auch durch sonstige Gründe gerechtfertigt ist.“. 868 I. E. auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 197; Ähnlich Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 45 SEBG Rn 8 („zumindest auch darauf angelegt“). 869 Zur Konkretisierung des „Missbrauchs einer SE“ unter teleologischen Gesichtspunkten oben unter § 3 C. III. 2. d). 870 Vgl. für § 134 BGB: Armbrüster in: MüKo-BGB § 134 Rn 17 m. w. N. 871 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (1). 872 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2). 873 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (3). 874 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4) (b).
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL211
Bezug auf die Umstände, die den objektiven Tatbestand des Missbrauchs begründen.875 IV. Handlungsauftrag an die Mitgliedstaaten: „Geeignete Maßnahmen im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ Der Handlungsauftrag876 aus Art. 11 SE-RL ist für die Mitgliedstaaten verbindlich.877 Die Verpflichtung878 der Mitgliedstaaten folgt bereits aus dem Wortlaut, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen „treffen“.879 Diese Maßnahmen müssen nach der Vorgabe des Art. 11 SE-RL zum einen „geeignet“ sein (dazu sogleich unter 1.). Zum anderen müssen die Maßnahmen „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ stehen (dazu unter 2.). 1. Geeignetheit der Maßnahme Grundsätzlich sind die Mitgliedstaaten frei darin, welche Maßnahmen sie zur Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL ergreifen.880 Insoweit ist den Mitgliedstaaten bei der Wahl der Umsetzungsinstrumente ein Gestaltungsspielraum eingeräumt.881 Dieser ist dadurch begrenzt, dass die 875 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 3. b) bb) (2) (b). dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL als formellen Handlungsauftrag bereits oben unter § 3 A. I. 1. 877 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 2. 878 Ebenso Group of Experts Working Paper No. 19 v. 27.6.2003, S. 123, auf das sich die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 30.9.2008 (KOM [2008] 591 endgültig), S. 2 Fn 4, bezieht; Rehberg ZGR 2005, 859, 876; Jacobs in: MüKoAktG Vor § 1 SEBG Rn 26. 879 Gemäß Art. 14 Abs. 1 SE-RL mussten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis 8.10.2004 erlassen, um der SE-RL nachzukommen. Demnach mussten die Mitgliedstaaten „alle erforderlichen Vorkehrungen [treffen], um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch diese Richtlinie vorgegebenen Ergebnisse erzielt werden.“. 880 So für „geeignete Maßnahmen“ der Mitgliedstaaten nach Art. 12 Abs. 2 SERL Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 12 SE-RL Rn 3 unter Berufung auf EuGH Urt. v. 8.6.1994 – Rs. C-383 / 92 Kommission . / . Vereinigtes Königreich Slg. 1994, I-2479, Rn 40 für die Verpflichtung der Mitgliedstaaten unmittelbar aus Art. 5 EWG-Vertrag (jetzt Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 EUV) zum Erlass „geeigneter Maßnahmen“, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Richtlinie keine besondere Sanktion für den Fall des Verstoßes gegen ihre Vorschriften vorsieht; vgl. auch EuGH Urt. v. 8.7.1999 – Rs. C-186 / 98 Nunes und de Matos Slg. 1994, I-4883 Rn 9 ff. 881 Vgl. Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 2. 876 Zur
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
mitgliedstaatlichen Maßnahmen nach Art. 11 SE-RL „geeignet“ sein müssen. Damit ist in Art. 11 SE-RL, so Rehberg882 zutreffend, das bei der Umsetzung von Richtlinien zu beachtende „Gebot der effektiven Umsetzung von Unionsrecht“883 normiert. Geeignet i. S. v. Art. 11 SE-RL sind Maßnahmen, die der Verwirklichung des Ziels der Verhinderung eines Missbrauchs der SE zu Lasten des Bestandschutzes (vgl. ErwG 18 SE-RL) von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer dienen. Fraglich ist, ob eine mitgliedstaatliche Umsetzung mittels einer wortgleichen Übernahme des Art. 11 SE-RL in eine nationale Generalklausel (vgl. etwa § 43 S. 1 SEBG) eine „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL darstellt. Hierauf wird in Teil 3 im Rahmen der Untersuchung der Konkretisierungen eingegangen. Dabei ist auch zu diskutieren, ob mitgliedstaatliche Umsetzungskonzepte, welche den Missbrauch einer SE unter Strafe stellen (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG),884 i. S. v. Art. 11 SE-RL „geeignet“ sind.885 Als alternatives „mögliches“ Instrument zur Verhinderung eines Missbrauchs wird der Einspruch durch eine Behörde nach Art. 19 SE-VO vorgeschlagen.886 Dagegen ist einzuwenden, dass der Einspruch gemäß Art. 19 SE-VO nur gegen eine bestimmte SE-Gründungsvariante, namentlich die Verschmelzung, vorgesehen ist und damit kein allgemein zur Verhinderung jeglichen „Missbrauchs einer SE“ geeignetes Mittel ist. 2. Beachtung des Unionsrechts Neben der Eignung der Maßnahme verlangt Art. 11 SE-RL von den Mitgliedstaaten, die Maßnahmen „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“, d. h. mit Unionsrecht, zu treffen. Rehberg verspricht Rehberg ZGR 2005, 859, 876. wurde aus ex-Art. 10 S. 1 EG abgeleitet, der im Wesentlichen durch Art. 4 Abs. 3 EUV ersetzt wurde. Nach dessen Unterabs. 2 ergreifen die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben. 884 Nach Storm The SE 2008, S. 3, 13 sehen mindestens 11 Mitgliedstaaten strafrechtliche Sanktionen für einen Missbrauch einer SE vor; mehr dazu unter § 6 B. I. 4. 885 Grundsätzlich bejaht von Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 2; dagegen hält Sagan EBLR 2010, 15, 35 die Belegung des Missbrauchs einer SE mit einer strafrechtlichen Sanktion für verfehlt unter Verweis auf EuGH Urt. v. 21.2.2006 – Rs. C-255 / 02 Halifax Slg. 2006, I-1609, Rn 93, wonach die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis nicht zu einer Sanktion führen dürfe, die einer klaren und unzweideutigen Rechtsgrundlage bedürfte. 886 Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 11 SE-RL Rn 1. 882 So
883 Dieses
§ 3 Richtlinien-Vorgabe des Art. 11 SE-RL213
sich von diesem Tatbestandsmerkmal nur „wenig Erkenntnis“, da hiermit eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen werde.887 Indes hat die Untersuchung der formellen Konkretisierungskompetenz888 sowie der materiellen Konkretisierungsmethodik889 gezeigt, dass die letztverbindliche Konkretisierungskompetenz des EuGH890 sowie die Maßgeblichkeit europarecht licher Maßstäbe für die materielle Konkretisierung891 des Art. 11 SE-RL keineswegs selbstverständlich sind. Diese Ergebnisse konnten auch auf die Auslegung des Merkmals „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ gestützt werden.892 Mithin kommt diesem Merkmal eine Klarstellungsfunktion in Bezug auf die methodischen Fragen der formellen Konkretisierungskompetenz und der materiellen Konkretisierungs instrumente zu. Aus dem Merkmal „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ folgt, dass die von den Mitgliedstaaten zu treffenden Maßnahmen die Vorschriften des primären Unionsrechts beachten müssen.893 Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Grundfreiheiten894 und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz895. Nicht nur Gesellschaften nationalen Rechts, sondern auch solche in der Rechtsform einer SE, genießen den Schutz durch die Grundfreiheiten, insbesondere durch die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).896 Der daraus vom EuGH abgeleitete Grundsatz, dass die Nutzung und zielgerichtete Wahl des vorteilhaftesten nationalen Gesellschaftsrechts als Gebrauch und nicht als Missbrauch dieser Grundfreiheit zu qualifizieren sei, ist nach verbreiteter Literaturauffassung auch auf die Unternehmensmitbestimmung übertragbar.897 Die Inanspruchnahme der mit der SE-VO gewährleisteten Handlungsmöglichkeiten ist somit nicht von vornherein missbräuchlich, weil diese aus Sicht der Unternehmen im Hinblick auf die Ar887 Rehberg
ZGR 2005, 859, 875. oben unter § 3 B. I. 889 Vgl. oben unter § 3 B. II. 2. 890 Vgl. oben unter § 3 B. I. 4. 891 Vgl. oben unter § 3 B. II. 2. a) bb). 892 Vgl. oben unter § 3 B. I. 3. a). 893 Storm ECL 2006, 130, 135 Fn 24. 894 Storm ECL 2006, 130, 135 Fn 24. 895 Für Art. 11 SE-RL auch Rehberg ZGR 2005, 859, 876; ferner Sagan EBLR 2010, 15, 35 unter Verweis auf EuGH Urt. v. 12.9.2006 – Rs. C-196 / 04 Cadbury Schweppes Slg. 2006, I-7995, Rn 57; vgl. für Art. 11 Abs. 1 lit. a) RL 90 / 434 / EWG (jetzt Art. 15 RL 2009 / 133 / EG) auch EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-28 / 95 LeurBloem Slg. 1997, I-4161, Rn 44 [vgl. dazu bereits oben unter § 3 C. III. 1. c) aa) (1) (a)]. 896 Schmid Diss. 2010, S. 188. 897 Schmid Diss. 2010, S. 188 f.; so auch bereits Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 257; vgl. auch Sagan EBLR 2010, 15, 25 ff. 888 Vgl.
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Teil 2: Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL
beitnehmerbeteiligung in der SE gegenüber anderen Rechtsformen nationalen Rechts Vorteile bietet.898 Der ebenfalls zu beachtende unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfasst als Prüfungsmaßstab für belastende Maßnahmen vier Stufen („4-Konditionen-Test des EuGH“899): Erstens die Verfolgung eines zulässigen Ziels, zweitens die Eignung, drittens die Erforderlichkeit und viertens die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn) der Maßnahme.900 Zur Beachtung dieses Grundsatzes sind die Mitgliedstaaten beim Erlass von Maßnahmen in Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL verpflichtet.901
898 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57; Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 257; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 216; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 54; Schmid Diss. 2010, S. 188. 899 Rehberg ZGR 2005, 859, 876; vgl. auch Storm ECL 2006, 130, 131. 900 Scheuing in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach, Europarecht, § 6 Rn 42. 901 So auch Rehberg ZGR 2005, 859, 876.
Teil 3
Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL durch mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze Die Ausgestaltung der jeweiligen Umsetzungen des Art. 11 SE-RL in konkrete Missbrauchsvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten kann ein Gesichtspunkt bei der Wahl des Sitzes für eine SE sein, da in erster Linie der Sitz (vgl. § 3 Abs. 1 SEBG) über die Anwendbarkeit des Umsetzungsgesetzes entscheidet. An einer SE-Gründung beteiligte Gesellschaften könnten die Entscheidung über den Sitz somit davon abhängig machen, welches Umsetzungsgesetz aus ihrer Sicht am vorteilhaftesten ausgestaltet ist. Damit könnten Unternehmen durch die Sitzwahl aus ihrer Sicht besonders nachteilige Missbrauchsvorschriften vermeiden. In Teil 2 sind durch Auslegung die für eine Konkretisierung des Art. 11 SE-RL maßgeblichen Konkretisierungsargumente herausgearbeitet und ein Prüfungsmaßstab für den „Missbrauch einer SE“ entwickelt worden. Im folgenden Teil III werden ausgewählte mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze auf ihre legislativen Konkretisierungen des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL hin untersucht. Dazu wird zunächst ein Überblick über den Stand der Umsetzungen des Art. 11 SE-RL in den Mitgliedstaaten gegeben (dazu § 4). Sodann wird die Umsetzung in Deutschland in §§ 43, 45 SEBG un tersucht (§ 5). Ferner werden weitere ausgewählte mitgliedstaatliche Um setzungskonzepte systematisch miteinander verglichen (§ 6), um daraus Schlussfolgerungen für die deutsche Umsetzung in §§ 43, 45 SEBG – insbesondere zur Vereinbarkeit mit Art. 11 SE-RL – zu ziehen (§ 7). Dabei ist auch zu prüfen, ob diese Normen den in Teil 2 herausgearbeiteten europarechtlichen Anforderungen des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL de lege lata standhalten. Schließlich wird eine einheitliche Konkretisierung des Art. 11 SE-RL de lege ferenda vorgeschlagen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden anschließend in Teil 4 auf praktische Fallgestaltungen, die als mögliche Konstellationen eines Missbrauchs einer SE diskutiert werden, angewendet, sodass der „Missbrauch einer SE“ auch am Einzelfall konkretisiert werden wird.1 1 Die Darstellung in Teil 4 orientiert sich an der deutschen Umsetzungsnorm des § 43 SEBG, um zusätzlich zur Konkretisierung des aus Art. 11 SE-RL übernommenen Tatbestandsmerkmals „Missbrauch einer SE“ der Unterscheidung des deutschen
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
§ 4 Stand der Umsetzungen des Art. 11 SE-RL in den Mitgliedstaaten Ausweislich einer von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen Studie2 zur Praxis und zu den Auswirkungen der SE-VO hatten im Jahr 2009 von damals 25 nur 21 Mitgliedstaaten Art. 11 SE-RL in nationales Recht umgesetzt.3 Bulgarien, Frankreich,4 Lettland5 und Portugal6 hätten demzufolge keine Umsetzung von Art. 11 SE-RL in ihre jeweilige nationale Gesetzgebung vorgenommen.7 Ein Jahr zuvor war eine andere von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Studie8 zur Umsetzung der SE-RL noch davon ausgegangen, dass Belgien,9 Estland,10 Ungarn11 sowie die Niederlande12 den Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL nicht in nationales Recht umgesetzt hätten. Ein Verzicht auf mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Erfüllung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL bedeutet jedoch eine unvollständige Umsetzung der SE-RL. In der nicht ordnungsgemäßen Umsetzung liegt ein Verstoß gegen die an die Mitgliedstaaten gerichtete (vgl. Art. 17 SE-RL) sekundärrechtliche Verpflichtung, die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der SE-RL innerhalb der in Art. 14 Abs. 1 SE-RL bestimmten Frist zu erlassen. Darüber hinaus verletzt eine unvollständige und damit nicht ordnungsgemäße Umsetzung der SE-RL die priUmsetzungsrechts zwischen Missbrauchsverbot (§ 43 S. 1 SEBG) und Missbrauchsvermutung (§ 43 S. 2 SEBG) Rechnung zu tragen. 2 Saint-Amand / Becker Study on the operation and the impacts of the Statute for a European Company (SE) – 2008 / S 144-192482, Final report v. 9.12.2009; vgl. Mitteilung der EU-Kommission MEMO / 10 / 97 v. 23.10.2010 sowie Pressemitteilung der EU-Kommission IP / 10 / 338 v. 23.3.2010. 3 Die optimistische Sichtweise von Henssler in GS Heinze 2005, S. 333, 341, wonach sich entsprechend der SE-RL eine § 43 SEBG vergleichbare Regelung in allen Mitgliedstaaten finden werde, trifft daher nicht zu. 4 Vgl. jedoch die Regelung in Art. L2354-4 Code du travail-Frankreich (dazu noch unter § 6 B. I.). 5 So auch Valdés Dal-Ré Synthesis Report, S. 118. 6 So auch Valdés Dal-Ré Synthesis Report, S. 124. 7 Zum Ganzen Saint-Amand / Becker Study on the operation and the impacts of the Statute for a European Company (SE) – 2008 / S 144-192482, Final report v. 9.12.2009, S. 45. 8 Valdés Dal-Ré Synthesis Report; vgl. Mitteilung KOM (2008) 591 der Kommission v. 30.9.2008 zur Überprüfung der SE-Richtlinie, S. 3 Fn 6. 9 Valdés Dal-Ré Synthesis Report, S. 104; vgl. jedoch die Regelung in Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien (dazu noch unten unter § 6 B. I.). 10 Valdés Dal-Ré Synthesis Report, S. 108. 11 Vgl. Valdés Dal-Ré Synthesis Report, S. 114. 12 Vgl. Valdés Dal-Ré Synthesis Report, S. 122; vgl. jedoch die Regelung 1:19 in Umsetzungsgesetz-Niederlande (dazu noch unten unter § 6 B. I.).
§ 4 Stand der Umsetzungen des Art. 11 SE-RL 217
märrechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Richtlinien ordnungsgemäß in das nationale Recht umzusetzen (vgl. Art. 288 Abs. 3, Art. 291 Abs. 1 AEUV).13 Denjenigen Mitgliedstaaten, die ihre Verpflichtung verletzt haben, indem sie nicht alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen haben, die notwendig sind, um der Verpflichtung durch Art. 11 SE-RL in Bezug auf die Verhinderung von Missbräuchen von SE-Gesellschaften nachzukommen, droht ein Vertragsverletzungsverfahren. Dieses kann die Europäische Kommission (vgl. Art. 258 AEUV) oder jeder andere Mitgliedstaat (Art. 259 AEUV) durch Anrufung des EuGH einleiten.14 Zu den vom EuGH im Wege der Rechtsfortbildung geschaffenen Mitteln zur Überwindung von Umsetzungsdefiziten zählen die auf Art. 4 Abs. 3 EUV gestützte unmittelbare Wirkung von Richtlinien,15 der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch sowie die richtlinienkonforme Auslegung.16 Diese haben auch bei einer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung von Art. 11 SE-RL zu gelten. Angesichts des hohen Mitbestimmungsniveaus für Unternehmen in einer nationalen Rechtsform deutschen Rechts17 birgt die SE die größten Risiken für den Bestand an Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmen mit einer deutschen Rechtsform. Ein Missbrauch einer SE zum Nachteil von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten wurde bereits während der Diskussion der Einführung der Rechtsform der SE befürchtet. Aufgrund des hohen deutschen Mitbestimmungsstandards bestand aus Deutschland die Sorge vor einer „Flucht aus der Mitbestimmung“.18 Die meisten wirtschaftlich tätigen und über Arbeitnehmer verfügenden SE-Gesellschaften sind mit Sitz in Deutschland gegründet worden,19 während in anderen Mitgliedstaaten – vor allem in solchen, in denen für nationale Rechtsformen keine gesetzliche Mitbe13 Vgl. allgemein zur Pflicht zur Umsetzung von Richtlinien von Bogdandy / Schill in: Grabitz / Hilf / Nettesheim-EUV / AEUV, Art. 4 EUV Rn 73. 14 Vgl. die Verurteilung der Bundesrepublik Deutschland wegen unvollständiger Umsetzung der Antidiskriminierungs-Richtlinie 2000 / 78 / EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303, S. 16), EuGH Urt. v. 23.2.2006 – Rs. C-43 / 05 Kommission / Deutschland Slg. 2006, I-33. 15 Vgl. von Bogdandy / Schill in: Grabitz / Hilf / Nettesheim-EUV / AEUV, Art. 4 EUV Rn 73 m. w. N. 16 Ruffert in: Calliess / Ruffert-EUV / AEUV, Art. 288 AEUV Rn 46. 17 Vgl. Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 785; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 67, wonach Deutschland mit dem MitbestG über das „weitestgehende nationale Mitbestimmungsmodell“ verfügt. 18 Vgl. oben unter § 2 C. I. 19 Vgl. den Factsheet des European Trade Union Institute (ETUI) zur European Company Database (ECDB) v. 21.3.2014, abrufbar unter: http: / / de.worker-partici pation.eu / Europa-AG-SE / SE-COMPANIES / Facts-and-Figures, wonach bis dahin 138 solcher Gesellschaften in Deutschland gegründet worden sind.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
stimmung gilt – zum Teil überhaupt keine SE-Gesellschaften existieren. Die SE ist damit in Deutschland – wohl wegen des hierzulande hohen gesetz lichen Mitbestimmungsniveaus – am attraktivsten; abgesehen von der Gründung arbeitnehmerloser und nicht-wirtschaftlich tätiger Vorrats-Gesellschaften vor allem in der Tschechischen Republik.20 Jedenfalls werden die deutschen Bestimmungen im SEBG praktisch am häufigsten von allen mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen angewandt, da das SEBG immer angewendet wird, wenn eine SE mit Sitz in Deutschland gegründet werden soll (vgl. Art. 6 SE-RL, § 3 Abs. 1 SEBG). Vor diesem Hintergrund beginnt die Untersuchung mitgliedstaatlicher legislativer Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL im Folgenden unter § 5 dieser Arbeit mit der deutschen Umsetzung in §§ 43, 45 SEBG, bevor unter § 6 ein systematischer Vergleich mit weiteren ausgewählten mitgliedstaatlichen Umsetzungskonzepten angestellt wird, um daraus wiederum Schlussfolgerungen für die Vereinbarkeit der deutschen Umsetzung in §§ 43, 45 SEBG mit Art. 11 SE-RL zu ziehen (§ 7).
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland in §§ 43, 45 SEBG In Umsetzung des Art. 11 SE-RL hat der deutsche Gesetzgeber §§ 43, 45 SEBG erlassen.21 Das deutsche Konzept zur Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL setzt sich aus einem allgemeinen Missbrauchsverbot in § 43 S. 1 SEBG (dazu sogleich unter A.), einer besonderen Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG (B.) sowie der Strafvorschrift des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG (C.) zusammen.22 Auf diese Vorschriften wird im Folgenden der Fokus gelegt, wenngleich der Schutzzweck des Art. 11 SE-RL daneben in weiteren Vorschriften des SEBG zu Tage tritt. Dazu zählen insbesondere § 1,23 § 15 Abs. 3–5,24 § 16 20 Nach Angaben des European Trade Union Institute (ETUI) in der European Company Database (ECDB) sind in den Jahren 2011 bis 2014 vier von fünf SEGesellschaften in der Tschechischen Republik gegründet worden, vgl. http: / / de. worker-participation.eu / Europa-AG-SE / SE-COMPANIES / Facts-and-Figures. 21 Vgl. Regierungsentwurf, BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 143; unklar Kleinsorge / Freis SEBG, § 43 SEBG Rn 1: „Die Vorschrift bezieht sich auf Art. 11 der RL.“. 22 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründungen zu §§ 43, 45 SEBG, S. 57. 23 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 1 SEBG Rn 6. 24 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 10 (hinsichtlich § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG); dazu noch unter § 5 A. III. 2. a).
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland219
Abs. 1 S. 2, Abs. 3,25 § 18 Abs. 3,26 § 21 Abs. 6,27 § 34 Abs. 1 Nr. 128 sowie § 35 Abs. 1 SEBG.29
A. Allgemeines Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG § 43 S. 1 SEBG begründet ein „allgemeines Missbrauchsverbot“30, wonach eine SE nicht dazu missbraucht werden darf, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Im Folgenden werden nach einer dogmatischen Einordnung (sogleich unter I.) des § 43 S. 1 SEBG der Anwendungsbereich (II.), der Tatbestand (III.) sowie die Rechtsfolgen (IV.) dieser Umsetzungsnorm untersucht. I. Dogmatische Einordnung des § 43 S. 1 SEBG Der deutsche Gesetzgeber hat den Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL dahingehend umgesetzt, dass er aus der Vorgabe der europarechtlichen Generalklausel des Art. 11 SE-RL31 ein „Missbrauchsverbot“ als mitgliedstaatliche Generalklausel32 konzipiert hat. 1. Mitgliedstaatliche Generalklausel zur judikativen Konkretisierung Unter Rückgriff auf die von der europarechtlichen Generalklausel des Art. 11 SE-RL verwendeten unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen Begriffe hat der deutsche Gesetzgeber die europarechtliche Generalklausel in nationales Recht überführt. Dabei hat der deutsche Gesetzgeber bis auf die Formulierung als Verbotsnorm in § 43 S. 1 SEBG und die Aufstellung der Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 SEBG keine legislative Vor-Konkretisierung des Art. 11 SE-RL vorgenommen. Vielmehr hat sich der deutsche Gesetzgeber mit dem Erlass des § 43 S. 1 SEBG für eine judikative KonJacobs in: MüKo-AktG § 16 SEBG Rn 6. Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 8, 12, 17. 27 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 20. 28 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 34 SEBG Rn 5. 29 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a Fn 11. 30 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 1; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2. 31 Zur dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL als ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklausel bereits oben unter § 3 A. I. 2. 32 So auch Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 25; vgl. auch Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2: „generalklauselartig“. 25 Vgl. 26 Vgl.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
kretisierung33 durch die Rechtsprechung entschieden. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, wonach der Gesetzgeber selbst von einer Konkretisierungsbedürftigkeit des § 43 S. 1 SEBG ausgeht, indem er zu bedenken gibt, dass „bei einer Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs“ zu berücksichtigen sei, „dass die [SE-VO] gerade die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit erleichtern“34 wolle. Mithin entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, die Konkretisierung des § 43 S. 1 SEBG der Rechtsprechung – hier der Arbeitsgerichtsbarkeit – zu überlassen. Streitigkeiten aus § 43 S. 1 SEBG unterliegen gem. § 2 a) Abs. 1 Nr. 3 lit. e) ArbGG der ausschließlichen Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit.35 Örtlich zuständig ist das Arbeitsgericht, in dessen Bezirk die in Deutschland eingetragene SE ihren Sitz hat (§ 82 Abs. 3 Hs. 1 ArbGG) oder – vor Eintragung der SE – die SE ihren Sitz haben soll.36 Das Arbeitsgericht entscheidet gem. § 2 a) Abs. 1 Nr. 3 lit. e), § 80 Abs. 1 ArbGG im Beschlussverfahren.37 Mit der Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG hat der deutsche Gesetzgeber somit die Aufgabe einer judikativen Konkretisierung des § 43 S. 1 SEBG den deutschen Arbeitsgerichten übertragen. Das im ersten Rechtszug zuständige Arbeitsgericht (vgl. §§ 80 ff. ArbGG) sowie das im zweiten Rechtszug für das Beschwerdeverfahren zuständige Landesarbeitsgericht (vgl. §§ 87 ff. ArbGG) sind als nationale Instanzgerichte berechtigt, den EuGH bei Fragen zur Auslegung des Art. 11 SE-RL im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen (vgl. Art. 267 Abs. 2 AEUV). Das im dritten Rechtszug für ein etwaiges Rechtsbeschwerdeverfahren zuständige Bundesarbeitsgericht (vgl. §§ 92 ff. ArbGG) ist als letztinstanzliches Gericht 33 Zur Unterscheidung zwischen legislativer und judikativer Konkretisierung vgl. bereits oben unter § 3 B. I. 1. 34 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S 57. 35 So auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4a; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 10; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 10; ErfK / Koch § 2a ArbGG Rn 6; differenzierend Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 856 f.: Danach „kann es zur Begründung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit nicht ausreichen, wenn Rechtsmissbrauch i. S. v. § 43 SEBG geltend gemacht wird.“ Daher richte sich die Gerichtszuständigkeit für ein Verfahren, in dem ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot geltend gemacht werden soll, „nach dem Gegenstand, auf den sich die angeblich missbräuchliche Handlung bezogen hat“. Daher habe das Registergericht darüber zu befinden, wenn die Eintragung einer Vorrats-SE als missbräuchlich verhindert werden oder nachträglich gelöscht werden soll. Ein Rückgriff auf § 43 SEBG könne in diesem Fall jedoch keine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts für das Handelsregister begründen. 36 Vgl. für die eingetragene SE auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4a; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 10. 37 So auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4a; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 10; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 10.
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der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, Fragen zur Auslegung des Art. 11 SE-RL dem EuGH im Wege des Vorabent scheidungsverfahrens vorzulegen (Art. 267 Abs. 3 AEUV).38 Dem EuGH obliegt die Letztkonkretisierung des Art. 11 SE-RL.39 Da der deutsche Gesetzgeber die unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 11 SE-RL wortgleich in § 43 S. 1 SEBG übernommen hat, sind die deutschen Arbeitsgerichte zwar zu einer Vor-Konkretisierung berechtigt. Jedoch ist die vom EuGH vorzunehmende Letztkonkretisierung der unionsrechtlichen Begriffe für die deutschen Arbeitsgerichte bei der Auslegung und Konkretisierung der in § 43 S. 1 SEBG aus Art. 11 SE-RL übernommenen Begriffe verbindlich. 2. Literaturauffassungen zum „Normgehalt“ des Missbrauchsverbots Arbeitgeberverbände forderten während des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der SE-RL, den Normentwurf für § 43 SEBG zu streichen. Angesichts der detaillierten und umfassenden Regelungen der Richtlinie und des Gesetzentwurfs zur Mitbestimmungserhaltung erübrige sich ein separates Missbrauchsverbot.40 Auch Teile der Literatur bezweifeln, dass dem Missbrauchsverbot ein eigener „normativer Gehalt“41 zukommt.42 Den Vorgaben der SE-VO, des SEAG, des AktG, der SE-RL – etwa mit Art. 12 SE-RL zur Nichteinhaltung der Richtlinie –43 und dem SEBG – etwa mit § 15 Abs. 3, 5 SEBG und § 16 Abs. 3 SEBG – seien „Missbrauchsschranken bereits immanent“44. Die „Mit bestimmungsbesitzstandswahrung“45 sorge dafür, dass den Arbeitnehmern keine Beteiligungsrechte entzogen werden. Die SE-RL selbst enthalte „alle 38 Vgl.
II. 1.
zum formellen Konkretisierungsverfahren bereits oben unter § 3 B.
39 Zur Kompetenz des EuGH zur Letztkonkretisierung von Art. 11 SE-RL vgl. oben unter § 3 B. I. 4. 40 Gemeinsame Stellungnahme der Arbeitgeberverbände zum Referentenentwurf, 3.5.2004, S. 12; vgl. dazu Niklas NZA 2004, 1200, 1205; Feuerborn in: KKAktG § 43 SEBG Rn 2. 41 Den Begriff des „Normgehalts“ verwenden im Zusammenhang mit der Generalklausel des § 242 BGB Looschelders / Olzen in: Staudinger-BGB § 242 BGB Rn 110 ff. 42 In Bezug auf Art. 11 SE-RL M. Heinze ZGR 2002, 66, 87; zustimmend Kuffner Diss. 2003, S. 201; a. A. Güntzel Diss. 2006, S. 282 ff. 43 M. Heinze ZGR 2002, 66, 87; zustimmend Kuffner Diss. 2003, S. 201. 44 Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a; vgl. auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 1; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 45 Rieble BB 2006, 2018, 2022.
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geeigneten Vorschriften […]“46, deren eigene Mechanismen grundsätzlich die meisten denkbaren Missbrauchstatbestände verhinderten.47 Darüber hinaus wird angeführt, dass die Niederlassungsfreiheit nur einen engen Anwendungsbereich für den Einwand des Missbrauchs gestatte.48 Ferner wird behauptet, der Gedanke des Missbrauchs passe nicht zu den gesellschaftsrechtlichen Wahlmöglichkeiten, sondern markiere „im System der Gesellschaftsformen einen Fremdkörper“49. Eine Regelung wie § 43 S. 1 SEBG gehöre „nicht unbedingt zum Repertoire des arbeitsrechtlichen Gesetzgebers“50. Im Übrigen würde das „Verbot des Rechtsmissbrauchs als allgemeiner Grundsatz“51 im deutschen Recht,52 in jedem anderen nationalen Rechtssystem53 sowie im Unionsrecht54 Geltung beanspruchen, sodass ein gesonderter Tatbestand für den „Missbrauch einer SE“ entbehrlich sei.55 In Bezug auf Art. 11 SE-RL stellt Rehberg56 heraus, dass diese Norm Ausdruck eines „politischen Kompromisses“ sei, wonach „Regelungslücken unbedingt verhindert werden sollten“. Sagan nimmt eine vermittelnde Auffassung ein: Sowohl die Ansicht, dass Art. 11 SE-RL wegen des durch die anderen Regelungen in der SE-RL gewährleisteten Schutzes überflüssig sei,57 als auch die Auffassung, dass Art. 11 SE-RL integraler Bestandteil eines politischen Kompromisses sei, wonach Gesetzeslücken nicht hinnehmbar seien,58 hält er für zu weitgehend.59 Stattdessen betont Sagan, dass die SE-RL „offenkundig unvollkommen“ sei, da sich die SE-RL ausschließlich mit der erstmaligen Gründung einer SE befasse und den Mitgliedstaaaten erlaube, ergänzende nationale Regelungen in Bezug auf strukturelle Änderungen einer SE zu erlassen.60 46 M.
Heinze ZGR 2002, 66, 87 (zu Art. 11 SE-RL). Diss. 2006, S. 164; Ringe NZG 2006, 931, 934. 48 Ringe Diss. 2006, S. 164; Ringe NZG 2006, 931, 934. 49 Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 578. 50 Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 855. 51 Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 855. 52 Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 855; mit Bezug zum „Rechtsmissbrauch im Sinne der §§ 134, 138 BGB“ M. Heinze ZGR 2002, 66, 87. 53 M. Heinze ZGR 2002, 66, 87. 54 Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 855. 55 Vgl. insgesamt die Argumentation von M. Heinze ZGR 2002, 66, 87 (für Art. 11 SE-RL). 56 Rehberg ZGR 2005, 859, 871. 57 Vgl. Sagan EBLR 2010, 15, 16 unter Bezugnahme auf M. Heinze ZGR 2002, 66, 87. 58 Vgl. Sagan EBLR 2010, 15, 16 unter Bezugnahme auf Rehberg ZGR 2005, 859, 871. 59 Sagan EBLR 2010, 15, 16. 60 Sagan EBLR 2010, 15, 16. 47 Ringe
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3. Ergebnis: Eigenständige Funktion des § 43 S. 1 SEBG Gegen einen Verzicht auf einen eigenen unionsrechtlichen Missbrauchs tatbestand zugunsten nationaler Missbrauchsvorschriften wie § 242 BGB spricht, dass nicht sämtliche Mitgliedstaaten das Institut des (Rechts-)Missbrauchs kennen.61 Soweit nationale Missbrauchsvorschriften vorhanden sind, ist fraglich, ob sie als allgemeine Bestimmungen oder Grundsätze auf die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE überhaupt anwendbar wären.62 Bei Anwendung nationaler Rechtsmissbrauchsregelungen könnte aufgrund unterschiedlicher Missbrauchsmaßstäbe eine zwischen den Mitgliedstaaten divergierende Betrachtungsweise darüber entstehen, welche Gestaltungen einen Missbrauch einer SE begründen. Das widerspricht jedoch ErwG 3 SE-RL, wonach die Ziele der Sicherung von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten (vgl. ErwG 3 SE-RL) „nicht hinreichend von den Mitgliedstaaten erreicht werden können“ und „wegen des Umfangs und der Wirkungen der vorgeschlagenen Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können“.63 Im Einklang damit stellt Art. 11 SE-RL klar, dass für die Prüfung von Sachverhalten auf ihre Missbräuchlichkeit hin ein unionsweit einheitlicher Maßstab erforderlich ist. Der europäische Gesetzgeber hat in Art. 11 SE-RL einen von den Mitgliedstaaten zwingend64 umzusetzenden Handlungsauftrag65 erteilt. Wenngleich Autoren die Erforderlichkeit des Art. 11 SE-RL in Frage stellen und dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG einen eigenständigen „Normgehalt“ absprechen, gilt: Als formelles und materielles Gesetz setzt es den verpflichtenden Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL um. Da § 43 S. 1 SEBG als Generalklausel formuliert ist, geht es gerade darum, die Reichweite dieser Norm zu konkretisieren. Daher ist die entscheidende Frage nicht, ob für Art. 11 SE-RL oder § 43 S. 1 SEBG wegen bereits bestehender allgemeiner Missbrauchsverbote im nationalen oder europäischen Recht oder wegen eines bereits in der SE-RL vorgesehenen umfassenden Schutzkonzepts für Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer eine Notwendigkeit besteht. Vielmehr kommt es darauf an, ob der deutsche Gesetzgeber mit dem Erlass des allgemeinen Missbrauchsverbots nach § 43 Fleischer JZ 2003, 865, 871. diese Richtung bezüglich §§ 134, 138 BGB auch Güntzel Diss. 2006, S. 282 f.; zum Verhältnis von § 43 S. 1 SEBG und § 242 noch unter § 5 A. IV. 6. e) und zum Verhältnis von § 43 S. 1 SEBG zu § 138 BGB noch unter § 5 A. IV. 6. f). 63 Die „explizite Regelung eines Verbots zum Schutz der Arbeitnehmer vor einer Aushöhlung ihrer Beteiligungsrechte“ allgemein für „dienlicher“ haltend Güntzel Diss. 2006, S. 283. 64 Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2. 65 Vgl. oben § 3 A. I. 1. 61 Vgl. 62 In
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S. 1 SEBG die Pflicht zur Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL hinreichend erfüllt hat. Daher wird noch zu untersuchen sein (unter § 7 B. I.), ob mit dem Erlass einer mitgliedstaatlichen Generalklausel wie § 43 S. 1 SEBG66 den europarechtlichen Anforderungen des Art. 11 SE-RL Genüge getan ist. Das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG schützt Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer unabhängig davon, ob eine zu gründende oder bereits gegründete SE der Beteiligung im Wege einer Vereinbarung oder kraft Gesetzes unterliegt.67 Es erfüllt damit eine eigenständige Funk tion einerseits als Schranke der Parteiautonomie im Bereich der vereinbarten Beteiligung [dazu sogleich unter a)], andererseits ist es ein Verbot der Umgehung der Beteiligung kraft gesetzlicher Auffangregelung [b)]. Ferner kommt der Norm Hinweis-, Klarstellungs- und Warnfunktion [c)] zu. a) Schranke der Parteiautonomie bei vereinbarter Beteiligung (§§ 21 ff. SEBG) Nach der Konzeption der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE münden die Verhandlungen zwischen den Unternehmensleitungen der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften und dem bVG in einer von den Verhandlungsparteien grundsätzlich privatautonom68 auszugestaltenden Beteiligungsvereinbarung (vgl. Art. 4 SE-RL, § 21 SEBG).69 Die Gestaltungsfreiheit unterliegt jedoch gewissen Schranken hinsichtlich des Inhalts der Beteiligungsvereinbarung.70 Der grundsätzlich dispositiven71 Mitbestimmung sind im deutschen Umsetzungsgesetz zwingende Binnenschranken der Autonomie der Parteien der Beteiligungsvereinbarung durch § 21 Abs. 3 S. 1, Abs. 6,72 § 15 Abs. 3–5, § 16 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 3 sowie § 18 SEBG ge66 Zur Vereinbarkeit von § 43 S. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL sodann unter § 7 B. II. sowie zur Vereinbarkeit von § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL unter § 7 B. III. 67 Ähnlich Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2. 68 Vgl. § 21 Abs. 1 S. 1 SEBG: „[…] unbeschadet der Autonomie der Parteien im Übrigen […]“; ausführlich zur Autonomie der Parteien der Beteiligungsvereinbarung: Forst Diss. 2010 S. 62 ff., Forst AG 2010, 350, 353. 69 Vgl. Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 796. 70 Vgl. ausführlich zu den Schranken der Gestaltungsfreiheit Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 799 ff. 71 Vgl. § 21 Abs. 3 S. 1 SEBG: „Für den Fall, dass die Parteien eine Vereinbarung über die Mitbestimmung treffen, […].“; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; vgl. auch Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 798. 72 Vgl. Oetker ZIP 2006, 1113, 1114; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 799 („Binnenschranken sind § 21 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 6 SEBG zu entnehmen.“).
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setzt. Darüber hinaus unterliegt die Parteiautonomie weiteren einfachgesetzlichen (SE-VO, SEAG, AktG) und verfassungsrechtlichen Außenschranken.73 Auch das allgemeine Missbrauchsverbot der SE nach § 43 S. 1 SEBG ist als Schranke der Parteiautonomie einzuordnen.74 Es schützt Arbeitnehmer gegen ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten, etwa gegen eine Umgehung der Voraussetzungen für eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“75 gem. § 15 Abs. 3–5 SEBG, der Art. 3 Abs. 4 SE-RL umsetzt. b) Verbot der Umgehung der Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) § 43 S. 1 SEBG begrenzt nicht nur die Autonomie der Verhandlungsparteien im Hinblick auf die Ausgestaltung der Beteiligungsvereinbarung. Das allgemeine Missbrauchsverbot schützt außerhalb der Beteiligung kraft Vereinbarung auch den Bereich der Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG), indem die Voraussetzungen nach § 34 SEBG nicht durch missbräuchliche Verhaltensweisen bei der SE-Gründung umgangen werden dürfen. Mithin kommt dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG eine Schutzfunktion nicht nur im Bereich der primär privatautonom auszugestaltenden Arbeitnehmerbeteiligung, sondern auch in Bezug auf die sekundär greifenden gesetzlich (§§ 34 ff. SEBG) bestimmten Auffangregelungen, die sowohl die betrieblichen Beteiligungsrechte der Unterrichtung und Anhörung als auch das unternehmerische Beteiligungsrecht auf Mitbestimmung umfassen.
näher Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 801. Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 802, der das „Missbrauchsverbot (§§ 43 SEBG, 242 BGB)“ als „einfachgesetzliche Außenschranke der Mitbestimmungsautonomie“ einordnet; vgl. ferner Schmid Diss. 2010, S. 185, wonach das Missbrauchsverbot als „selbstverständliche“ und „äußerste Grenze der Gestaltungsfreiheit“ im SEBG verankert sei; anders Koch Diss. 2010, S. 211, wonach „durch das gemeinschaftsrechtlich determinierte Verbot des Rechtsmissbrauchs […] nicht lediglich die äußerste Grenze gesellschaftsrechtlich zulässiger Maßnahmen beschrieben wird, welche eine Einschränkung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer nicht mehr zu rechtfertigen vermag. Vielmehr verfolgt der europäische Gesetzgeber das materielle Anliegen eines umfassenden Schutzes der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer und will dieses konsequent durchsetzen.“; a. A. Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 189. 75 Zur Abgrenzung von „Missbrauch einer SE“ (Art. 11 SE-RL) und „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ (Art. 3 Abs. 4 SE-RL) bereits oben unter § 3 C. III. 2. c) cc). 73 Vgl. 74 Vgl.
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c) Hinweis-, Klarstellungs- und Warnfunktion Nach der Gesetzesbegründung soll mit dem Missbrauchsverbot der Gefahr begegnet werden, dass die Rechtsform der SE gezielt ausgenutzt wird, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorzuenthalten oder zu entziehen.76 § 43 S. 1 SEBG erfüllt daher eine Hinweisfunktion auf den Schutzzweck der SE-RL (vgl. ErwG 18 SE-RL) und die Zielsetzungen des SEBG (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 SEBG).77 Darüber hinaus kommt § 43 S. 1 SEBG eine Klarstellungsfunktion zu:78 Die Norm ist Ausdruck von ErwG 3 S. 1 SE-RL, wonach „besondere Bestimmungen“ festgelegt werden sollen, mit denen gewährleistet werden soll, dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften herrschen.79 Zudem wirkt die Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs „Missbrauch“ „per se ab schreckend“80. Das Missbrauchsverbot zwingt Unternehmen somit dazu, mit der gebotenen Sorgfalt auf die Wahrung berechtigter Interessen der Arbeitnehmer am Erhalt ihrer bisherigen Beteiligungsrechte zu achten. Dem allgemeinen Missbrauchsverbot kommt daher auch eine Warnfunktion zu.81 II. Reichweite des Regelungsbereichs des § 43 S. 1 SEBG In der Literatur wird der praktische Anwendungsbereich des allgemeinen Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG als eng eingeschätzt.82 Es ist auch 76 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 77 Ähnlich Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2. 78 So zu Recht Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2. 79 Vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2. 80 So zu Recht Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 2. 81 So zu Recht Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2. 82 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 425 („Ausnahmefall“); Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a („Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots nach § 43 Satz 1 […] schmal“); Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 216 („Anwendungsbereich von § 43 SEBG dürfte gering sein“); Rieble BB 2006, 2018, 2022 („kaum einen Anwendungsbereich“ für § 43 SEBG); Ringe NZG 2006, 931, 934 („kein breiter Anwendungsbereich für § 43 SEBG“); Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 3 („praktische[r] Anwendungsbereich des § 43 Satz 1 SEBG eher klein“); vgl. auch Schmid Diss. 2010, S. 186; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2701 („der Tatbestand des Missbrauchs i. S. v. § 43 SEBG nur in seltenen Ausnahmekonstellationen erfüllt sein wird“); für Art. 11 SE-RL: M. Heinze ZGR 2002, 66, 87 („in ihrer praktischen Relevanz kaum erklärbar“); zustimmend Kuffner Diss. 2003, S. 201; ferner zu Art. 11 SE-RL: Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 257 („Anwendungsbereich dieser Bestimmung sehr begrenzt bleiben wird“); vgl. auch Güntzel Diss. 2006, S. 332, wonach „trotz des Vorher-Nachher-Prinzips in der SE-RL
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bei der Generalklausel zum „Missbrauch einer SE“ weder ersichtlich noch im Hinblick auf den aus dem Rechtsstaatsprinzip fließenden Bestimmtheitsgrundsatz erwünscht, dass die Errichtung eines Missbrauchsverbots einen weiten Anwendungsbereich in der Praxis erforderte. Missbrauchstatbestände werden gerade als Ausnahmevorschriften konzipiert. Es entspricht daher ihrem Wesen, möglichst nicht eine Vielzahl von Fällen zu erfassen. Vielmehr besteht die Funktion des Missbrauchsverbots darin, den von der SERL bezweckten Schutz von Beteiligungsrechten auch in Einzelfällen mit atypischen Sachverhaltsgestaltungen zu gewährleisten. Im Folgenden werden neben dem räumlichen Geltungsbereich (sogleich unter 1.) auch der zeitliche (2.), persönliche (3.) sowie sachliche (4.) Anwendungsbereich des allgemeinen Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG untersucht. 1. Räumlicher Geltungsbereich des § 43 S. 1 SEBG Der räumliche Geltungsbereich des § 43 S. 1 SEBG ist auf Sachverhalte mit deutschem Inlandsbezug beschränkt. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 SEBG gilt das Gesetz für eine SE mit Sitz im Inland. Unabhängig vom Sitz der SE gilt es auch für Arbeitnehmer einer SE, die im deutschen Inland beschäftigt sind sowie für beteiligte Gesellschaften, betroffene Tochtergesellschaften und betroffene Betriebe mit Sitz im deutschen Inland (§ 3 Abs. 1 S. 2 SEBG). 2. Zeitlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG Der zeitliche Anwendungsbereich der SE-RL als Regelwerk insgesamt wird oftmals als auf den Zeitraum der Gründung einer SE beschränkt erachtet.83 Indes schützt Art. 11 SE-RL Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer sowohl bei der Gründung84 als auch im Nachgründungsstadium85. Der zeit zahlreiche Möglichkeiten zur Mitbestimmungsminderung bestehen, die keinen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot in Art. 11 SE-RL darstellen“. 83 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG Vor § 1 SEBG Rn 27, wonach die Regelungen der SE-RL die Gründung einer SE betreffen, sich dagegen nicht auf strukturelle Änderungen einer bestehenden SE und deren Auswirkungen auf die ausgehandelte oder kraft Auffangregelung geltende Arbeitnehmerbeteiligung beziehen; Wißmann in FS Richardi 2007, S. 841, 843, spricht in Bezug auf die SE-RL von einer „auf den Zeitpunkt der Gründung fokussierten Regelung“; auch Sagan EBLR 2010, 15, 16 hält die SE-RL für „offenkundig unvollkommen“, da sich die SE-RL ausschließlich mit der erstmaligen Gründung einer SE befasse und den Mitgliedstaaaten erlaube, ergänzende nationale Regelungen in Bezug auf strukturelle Änderungen einer SE zu erlassen. 84 Vgl. oben unter § 3 C. I. 3. 85 So i. E. auch Forst Diss. 2010, S. 368: „Das Missbrauchsverbot nach § 43 SEBG, Art. 11 SE-RL gilt in jedem Stadium des Entstehens der SE und auch noch nach deren Eintragung.“; vgl. oben unter § 3 C. I. 4.
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liche Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG beginnt mit der Gründungsphase bei der Verschmelzungsgründung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) ab der Offenlegung des Verschmelzungsplans86. Das ist sinnvoll, da die Information der Arbeitnehmer oder ihrer Vertretungen und der Sprecherausschüsse nach § 4 Abs. 2 S. 3 Var. 1 SEBG unverzüglich nach Offenlegung des Verschmelzungsplans zu erfolgen hat.87 Entsprechend ist § 43 S. 1 SEBG bei der Gründung als Holding-SE (Art. 2 Abs. 2 SE-VO) ab der Offenlegung des Gründungsplans88 anwendbar. Bei der Gründung als Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) beginnt der zeitliche Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG mit dem Abschluss der in § 4 Abs. 2 S. 3 Var. 3 SEBG vorgesehenen Vereinbarung eines Plans zur Gründung einer Tochtergesellschaft. Bei der Gründung durch Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) ist § 43 S. 1 SEBG ab der Offenlegung des Umwandlungsplans89 anwendbar. Die Gründungsphase endet mit der Eintragung der SE im Handelsregister (vgl. Art. 12 Abs. 1 SE-VO, § 3 SEAG), indem die SE am Tag ihrer Eintragung den Status als Rechtspersönlichkeit erwirbt (Art. 16 Abs. 1 SE-VO). Für die Anwendbarkeit des § 43 S. 1 SEBG auch nach Eintragung der SE spricht der systematische Zusammenhang mit § 43 S. 2 SEBG.90 Danach wird ein Missbrauch vermutet, wenn ohne Durchführung eines Ver86 Nach Art. 20 Abs. 1 S. 1 SE-VO haben die Leitungs- oder Verwaltungsorgane der sich verschmelzenden Gesellschaften einen Verschmelzungsplan mit dem Inhalt des Art. 20 Abs. 1 S. 2 SE-VO aufzustellen. Dieser umfasst gemäß Art. 20 Abs. 1 S. 2 lit. i) SE-VO auch Angaben zu dem Verfahren, nach dem die Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer gemäß der SE-RL geschlossen wird. 87 Vgl. zum Gründungsverfahren näher Jannott in: Jannott / Frodermann Kap 3 Rn 47. 88 Nach Art. 32 Abs. 2 S. 1 SE-VO haben die Leitungs- oder die Verwaltungsorgane der die Gründung einer Holding-SE anstrebenden Gesellschaften einen Gründungsplan für die SE zu erstellen. Dieser Plan muss einen Bericht enthalten, der unter anderem darlegt, welche Auswirkungen der Übergang zur Rechtsform einer SE für die Arbeitnehmer hat (Art. 32 Abs. 2 S. 2 a. E. SE-VO). Gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 Var. 2 SEBG erfolgt die Information der Arbeitnehmer(-vertretungen) und Sprecherausschüsse unverzüglich nach Offenlegung des Gründungsplans für eine Holdinggesellschaft. 89 Nach Art. 37 Abs. 4 SE-VO haben das Leitungs- oder das Verwaltungsorgan der betreffenden Gesellschaften einen Umwandlungsplan und einen Bericht zu erstellen, in dem unter anderem die Auswirkungen, die der Übergang zur Rechtsform einer SE für die Arbeitnehmer hat, dargelegt werden müssen (Art. 37 Abs. 4 a. E. SE-VO). Gemäß § 4 Abs. 2 S. 3 Var. 2 SEBG erfolgt die Information der Arbeitnehmer oder ihrer Vertretungen und der Sprecherausschüsse unverzüglich nach Offenlegung des Umwandlungsplans. 90 Vgl. auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 6, der jedoch davon auszugehen scheint, dass ein Missbrauch nach Gründung ausschließlich „durch eine strukturelle Änderung“ möglich ist.
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fahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach Gründung einer SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden.91 Der Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG setzt somit voraus, dass ein Missbrauch einer SE nicht nur im Zeitraum vor Gründung einer SE, sondern auch im Zusammenhang mit zeitlich nach einer SE-Gründung durchgeführten strukturellen Änderungen der SE unter das Missbrauchsverbot des § 43 SEBG fällt. Gegen dieses systematische Argument ließe sich einwenden, dass § 43 S. 2 SEBG eine abschließende Regelung für Fälle nach Eintragung einer SE sein soll.92 Demnach käme ein Missbrauch nach Eintragung der SE nur in dem von § 43 S. 2 SEBG bestimmten Fall in Betracht, dass innerhalb eines Jahres nach SE-Gründung strukturelle Änderungen ohne Durchführung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG stattfinden, die bewirken, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden. Die Argumentation, dass § 43 S. 2 SEBG abschließenden Charakter hat, kann jedoch im Hinblick auf den Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG („Missbrauch wird vermutet, wenn […]“) nicht überzeugen. Die Vorschrift führt keine zusätzliche oder abschließende Missbrauchs-Kategorie für den Zeitraum nach SEGründung ein. Vielmehr ist § 43 S. 2 SEBG derart mit § 43 S. 1 SEBG verknüpft, dass ein Missbrauch gerade i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vermutet wird.93 Demnach begründet § 43 S. 2 SEBG einen Unterfall eines Missbrauchs einer SE i. S. d. allgemeinen Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG. Findet eine strukturelle Änderung erst nach Ablauf des Ein-JahresZeitraums ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG statt und bewirkt diese, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden, wird mangels Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzung „innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE“ zwar ein Missbrauch nicht vermutet. Dennoch kann diese Konstellation grundsätzlich auch den Tatbestand des § 43 S. 1 SEBG begründen,94 für dessen Vorliegen jedoch nach Ablauf der Jahresfrist keine Vermutung greift,95 sodass derjenige, der 91 Ausführlich
zu § 43 S. 2 SEBG noch unter § 5 B. diese Richtung zumindest missverständlich Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 6, wonach § 43 S. 2 SEBG einerseits klarstelle, „dass ein Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG nicht nur durch die Gründung einer SE, sondern auch durch eine strukturelle Änderung nach der Gründung möglich ist“ (Hervorhebung durch Verf.). 93 Insoweit auch Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 6; zur Rechtsfolge des § 43 S. 2 SEBG noch unter § 5 B. II. 2. 94 Vgl. zu Überschneidungen zwischen dem „Missbrauch einer SE“ (Art. 11 SE-RL) und „strukturellen Änderungen einer bereits gegründeten SE“ (ErwG 18 S. 3 SE-RL) bereits oben unter § 3 C. III. 2. d) ee) (2). 95 Anders die Missbrauchsvorschriften in Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg und Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland, bei denen der gesamte zeitliche 92 In
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
einen Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG geltend macht, darlegungs- und beweisbelastet ist.96 Im Ergebnis erfasst § 43 S. 1 SEBG somit auch Missbräuche unter Beteiligung97 einer bereits gegründeten, d. h. eingetragenen, SE-Gesellschaft. Die Erstreckung des Missbrauchsverbots auf Maßnahmen nach Eintragung der SE ist mit der SE-RL vereinbar. Aus ErwG 18 S. 3 SE-RL ergibt sich, dass der Ansatz des „Vorher-Nachher-Prinzips“98 nicht nur für die Neugründung einer SE, sondern auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE und für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften gelten soll. Den Mitgliedstaaten ist es somit nicht verwehrt, zur Gewährleistung der Zielsetzung in ErwG 18 S. 3 SE-RL ergänzende nationale Regelungen in Bezug auf strukturelle Änderungen nach Eintragung einer SE zu erlassen.99 3. Persönlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG Der Wortlaut des § 43 S. 1 SEBG lässt den Adressaten des Missbrauchsverbots offen. Daher bedarf die Konkretisierung des persönlichen Anwendungsbereichs der Auslegung der Norm. Nach der Gesetzesbegründung soll der Gefahr begegnet werden, dass die Rechtsform der SE gezielt ausgenutzt wird, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorzuenthalten oder zu entziehen.100 Nach dem darin zum Ausdruck kommenden Sinn des Missbrauchsverbots, Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern zu schützen, richtet sich Anwendungsbereich der Missbrauchsvorschriften auf das erste Jahr nach der SEGründung begrenzt ist, vgl. dazu noch unter § 6 B. I. 2. 96 Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass die Durchführung einer strukturellen Änderung nach Ablauf der Jahresfrist des § 43 S. 2 SEBG ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG zunächst nur eine Verletzung der Pflicht zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG darstellt, ohne sogleich den Missbrauch einer SE zu begründen. Vgl. zur notwendigen Abgrenzung des „Missbrauchs einer SE“ (Art. 11 SE-RL) und der „Nichteinhaltung der SE-Richt linie“ (Art. 12 SE-RL) oben unter § 3 C. III. 2. c) bb), wobei zu berücksichtigen ist, dass die Verletzung der Pflicht zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SE-RL mangels normativer Vorgabe in der SE-RL keinen Verstoß gegen die Einhaltung der SE-RL i. S. v. Art. 12 SE-RL darstellt. 97 Ähnlich Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5 („wenn hierbei eine SE eingesetzt wird“). 98 ErwG 18 S. 2 SE-RL; dazu bereits oben unter § 3 C. III. 2. d) ee) (1). 99 So auch Sagan EBLR 2010, 15, 16. 100 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland231
§ 43 S. 1 SEBG bei richtlinienkonformer Auslegung anhand Art. 11 SERL101 ausschließlich an die Arbeitgeberseite.102 Nicht von § 43 S. 1 SEBG erfasst sind Verhaltensweisen von Arbeitnehmervertretern im bVG,103 die „Verhandlungen halbherzig zu betreiben oder zu boykottieren, um dadurch in den Genuss der Auffanglösung zu kommen“104. Das bVG hat nicht die Macht, bei unternehmerischen Entscheidungen der Unternehmensleitungen der an der SE-Gründung „beteiligten Gesellschaften“ (vgl. § 2 Abs. 2 SEBG) mitzubestimmen. Zwar kann im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 3 SEBG eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ nicht gegen den durch qualifizierten Beschluss des bVG manifestierten Willen vereinbart werden. Indes obliegt es allein der Arbeitgeberseite, die Voraussetzungen der § 15 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 2 SEBG für das Recht des bVG zur Mitbestimmung über eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ im Vereinbarungswege nicht dadurch zu unterlaufen, dass die an der SE-Gründung „beteiligten Gesellschaften“ auf missbräuchliche Weise bewusst danach ausgewählt werden, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 2 Nr. 1, 2 SEBG umgangen werden. Da das bVG nicht über die Auswahl der „beteiligten Gesellschaften“ mitentscheidet, kann es insoweit auch nicht missbräuchlich handeln. Ebensowenig trifft das Missbrauchsverbot nach Gründung der SE den SEBetriebsrat oder ein alternatives (vgl. § 21 Abs. 2 Hs. 1 SEBG) Gremium, das mit dem Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung betraut wird. Der SEBetriebsrat oder eine vergleichbaren Arbeitnehmervertretung soll die betrieblichen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung wahrnehmen.105 Der SE-Betriebsrat bestimmt, ebensowenig wie das bVG in der Phase der Gründung der SE, über unternehmeri sche Entscheidungen hinsichtlich der SE-Unternehmensstruktur mit. Für den SE-Betriebsrat kraft Gesetzes ergibt sich dies bereits daraus, dass die SELeitung nach § 28 Abs. 1 S. 1 SEBG den SE-Betriebsrat mindestens einmal 101 Vgl. zur Konkretisierung des „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL auf Verhaltensweisen der Arbeitgeberseite oben unter § 3 C. III. 2) a) bb) sowie zur Anforderung einer Maßnahme der Arbeitgeberseite oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (1). 102 So auch für Art. 11 SE-RL Forst Diss. 2010, S. 143 Fn 668, wonach Art. 11 SE-RL eine Verletzung der Verhandlungspflicht durch die Arbeitgeberseite sanktioniert; ferner für Art. 11 SE-RL auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 189 f. 103 Gegen eine Adressierung des Art. 11 SE-RL an beide Verhandlungsparteien auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 190. 104 So auch für Art. 11 SE-RL Forst Diss. 2010, S. 143. 105 Vgl. für den SE-Betriebsrat kraft Gesetzes § 23 Abs. 1 S. 1 SEBG, wonach „zur Sicherung des Rechts auf Unterrichtung und Anhörung in der SE ein SE-Betriebsrat zu errichten“ ist.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
jährlich über die Entwicklung der Geschäftslage und die Perspektiven der SE einschließlich der „Struktur der SE“106 und „grundlegende[r] Änderungen der Organisation“107 lediglich unterrichtet und anhört. Die wirksame Umsetzung und Durchführung diesbezüglicher unternehmerischer Entscheidungen bedarf jedoch, wenn nicht anders vereinbart, keiner echten Mitbestimmung des SEBetriebsrats im Sinne eines Zustimmungserfordernisses zu arbeitgeberseitigen Maßnahmen. Daher ist der SE-Betriebsrat nicht zu Verhaltensweisen, die einen „Missbrauch einer SE“ begründen könnten, in der Lage. Adressaten des Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG sind nur solche Gremien und deren Mitglieder, die der Arbeitgeberseite zuzurechnen sind. Zum einen sind dies – im Zusammenhang mit der Gründung einer SE – die Leitungen der unmittelbar an der SE-Gründung „beteiligten Gesellschaften“ i. S. v. § 2 Abs. 2 SEBG.108 In Bezug auf zeitlich nach Gründung der SE liegende Maßnahmen richtet sich das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG an die Leitung der gegründeten SE.109 Als „Leitung“ definiert § 2 Abs. 5 S. 1 SEBG das Organ der unmittelbar an der Gründung der SE „beteiligten Gesellschaften“ (§ 2 Abs. 2 SEBG) oder der SE selbst, das die Geschäfte der Gesellschaft führt und zu ihrer Vertretung berechtigt ist. Die Leitung der „beteiligten Gesellschaften“ bezieht sich auf deren Leitungs- oder Verwaltungsorgan, die Leitung der SE umfasst deren Leitungs- oder Verwaltungsorgan und – soweit vorhanden – geschäftsführende Direktoren.110 Zum anderen richtet sich das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG im Gründungsstadium an die Anteilseignerversammlungen (etwa Hauptversammlungen oder Gesellschafterversammlungen) sowie an die Unternehmensgremien (etwa Aufsichtsräte oder Verwaltungsräte) der „beteiligten Gesellschaften“. Nach der SE-Gründung unterliegen Verhaltensweisen der Hauptversammlung der Aktionäre (vgl. Art. 38 lit. a SE-VO) sowie des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans (vgl. Art. 38 lit. b SE-VO) der SE dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG.
106 § 28
Abs. 2 Nr. 1 SEBG. Abs. 2 Nr. 5 SEBG. 108 Vgl. für die Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG auch Jacobs in: MüKoAktG § 45 SEBG Rn 2, wonach als „Täter von Verstößen gegen das Missbrauchsverbot des [§] 43 nur die Mitglieder der Leitungen (§ 2 Abs. 5) in Betracht kommen“; für Art. 11 SE-RL auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 190. 109 In Bezug auf die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG (dazu noch unter § 5 B.) vorausgesetzt von Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 3; ferner Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 7; vgl. auch die britische Regelung in § 35 Umsetzungsgesetz-UK (dazu noch unter § 6 B. III.), welche sich ausdrücklich auf die beteiligten Gesellschaften und die SE bezieht. 110 Vgl. § 2 Abs. 5 S. 2 SEBG. 107 § 28
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland233
4. Sachlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG Der sachliche Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG erstreckt sich jedenfalls auf eine Beteiligungsvereinbarung i. S. v. § 21 SEBG. Fraglich ist, ob § 43 S. 1 SEBG auch auf Regelungen in einer SE-Satzung anwendbar ist. Das allgemeine Missbrauchsverbot ist im SEBG niederlegt, welches in erster Linie das Verhandlungsverfahren, die Beteiligungsvereinbarung sowie die Beteiligung kraft Gesetzes regelt. Vor diesem Hintergrund könnte § 43 S. 1 SEBG lediglich auf diese im SEBG geregelten Bereiche anwendbar sein. Der Wortlaut ist insoweit offen. Aus der systematischen Stellung des allgemeinen Missbrauchsverbots im SEBG folgt indes nicht zwingend, dass es sich auf die im SEBG geregelten Bereiche beschränkt. Der Zweck des Missbrauchsverbots, zu verhindern, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden, streitet dafür, den sachlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG auch auf Regelungen in der SE-Satzung zu erstrecken, sodass dadurch auch die Autonomie des Satzungsgebers beschränkt werden kann. Gegen etwaige gesellschaftsrechtliche Bedenken ist anzuführen, dass nach Art. 12 Abs. 4 S. 1 SE-VO die Satzung der SE zu keinem Zeitpunkt im Widerspruch zu einer ausgehandelten Beteiligungsvereinbarung stehen darf. Im Fall eines solchen Widerspruchs zur Beteiligungsvereinbarung ist die geltende Satzung nach Art. 12 Abs. 4 S. 2 SE-VO zu ändern. Das spricht dafür, dass eine Satzung, die gegen § 43 S. 1 SEBG verstößt, entsprechend Art. 12 Abs. 4 S. 2 SE-VO zu ändern ist, um den Missbrauch der SE abzustellen.111 Fraglich ist ferner, ob § 43 S. 1 SEBG auch auf Entscheidungen eines SE-Unternehmensorgans hinsichtlich seiner inneren Organisation anwendbar ist. Dagegen könnte sprechen, dass das SE-Unternehmensorgan insoweit grundsätzlich eine Organisationsautonomie genießt.112 Indes gilt diese wie bei der Einschränkung der Satzungsautonomie durch § 43 S. 1 SEBG nicht uneingeschränkt. § 43 S. 1 SEBG ist zeitlich auch nach der SE-Gründung anwendbar.113 Daher verpflichtet es nicht nur die an der Gründung beteiligten Gesellschaften und deren Organe, sondern auch die SE selbst einschließlich ihrer Organe zur Unterlassung eines Missbrauchs einer SE.114 Etwaigen gesellschaftsrechtlichen Bedenken ist entgegenzuhalten, dass eine Entschei111 Zur Diskussion etwaiger Missbrauchsfälle durch Regelungen in der SE-Satzung noch bei den Fällen 5 bis 7 unter § 8 B. 112 Vgl. Habersack ZHR 171 (2007), 613, 631; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 810. 113 Vgl. zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG oben unter § 5 A. II. 2. 114 Vgl. zum persönlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG oben unter § 5 A. II. 3.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
dung des Aufsichtsrats einer deutschen AG nach der Rechtsprechung durch den Zweck der Mitbestimmung überlagert werden kann.115 Mithin stehen auch Organisationsentscheidungen des SE-Unternehmensorgans, welche die Einflussnahme der Arbeitnehmer an der Beteiligung an Unternehmensentscheidungen betreffen, unter dem Vorbehalt des Missbrauchs der SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG.116 5. Ergebnis zum Regelungsbereich des § 43 S. 1 SEBG Der räumliche Geltungsbereich des § 43 S. 1 SEBG ist auf Sachverhalte mit Bezug zu Deutschland begrenzt.117 Ein entsprechender Zusammenhang ist gegeben, wenn eine SE ihren künftigen oder derzeitigen Sitz im deutschen Inland hat (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 SEBG) oder eine SE mit ausländischem Sitz zumindest Arbeitnehmer im deutschen Inland beschäftigt (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 SEBG). Ferner gilt § 43 S. 1 SEBG für beteiligte Gesellschaften, betroffene Tochtergesellschaften und betroffene Betriebe mit Sitz im deutschen Inland (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 SEBG). Der zeitliche Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG umfasst sowohl das Stadium der Gründung der SE als auch den Zeitraum nach ihrer Eintragung im Handelsregister (vgl. Art. 12 Abs. 1 SE-VO, § 3 SEAG).118 In persönlicher Hinsicht trifft das Missbrauchsverbot die Arbeitgeberseite in Form der Leitungen, Anteilseignerversammlungen und Unternehmensgremien der beteiligten Gesellschaften sowie der SE.119 Der sachliche Anwendungsbereich erfasst die SE-Beteiligungsvereinbarung, die SE-Satzung sowie Organisationsentscheidungen des SE-Unternehmensorgans.120 III. Tatbestand des § 43 S. 1 SEBG Angesichts des offen121 formulierten Tatbestands des § 43 S. 1 SEBG ist in der Literatur beklagt worden, dass es in der Praxis oft schwer falle zu ermessen, ob eine Fallgestaltung ein noch zulässiger Gebrauch der SE-Rechtsform 115 Dazu bei der Diskussion eines etwaigen Missbrauchs im Zusammenhang mit der Bestellung von Ausschüssen als innere Organisationsentscheidung des SE-Unternehmensorgans noch bei Fall 23 unter § 8 F. 116 So auch Koch Diss. 2010, S. 215. 117 Vgl. oben unter § 5 A. II. 1. 118 Vgl. oben unter § 5 A. II. 2. 119 Vgl. oben unter § 5 A. II. 3. 120 Vgl. oben unter § 5 A. II. 4. 121 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 2.
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oder schon ein unzulässiger Missbrauch einer SE sei.122 Der Tatbestand des § 43 S. 1 SEBG übernimmt im Wesentlichen die Begriffe aus Art. 11 SE-RL. Schutzobjekt des § 43 S. 1 SEBG sind daher ebenso wie bei Art. 11 SE-RL Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern (dazu sogleich unter 1.). Diese müssen den Arbeitnehmern als tatbestandlicher „Erfolg“ entzogen oder vorenthalten werden (2.). Hierfür muss ein arbeitgeberseitiges Verhalten, das als Missbrauch einer SE zu qualifizieren ist, kausal sein (3.). 1. Schutzobjekt: Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern Entsprechend dem Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL schützt § 43 S. 1 SEBG Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, wobei die deutsche Umsetzung gegenüber der SE-RL konkretere Definitionen enthält. a) Begriff der „Arbeitnehmer“ (§ 2 Abs. 1 SEBG) Der Begriff des „Arbeitnehmers“ wird in der SE-RL offengelassen.123 Da die SE-RL auf eine einheitlich verbindliche Festlegung des ArbeitnehmerBegriffs verzichtet hat,124 sind nach der SEBG-Gesetzesbegründung125 die jeweiligen mitgliedstaatlichen Definitionen maßgeblich. In diesem Sinne betont der deutsche Gesetzgeber, dass sich der Begriff des Arbeitnehmers „nach den Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten der jeweiligen Mitgliedstaaten“126 richtet. Der deutsche Gesetzgeber hat den Begriff des „Arbeitnehmers“ legislativ konkretisiert, indem er ihn in § 2 Abs. 1 S. 2, 3 SEBG legaldefiniert hat. Danach sind „Arbeitnehmer eines inländischen Unternehmens oder Betriebs“ Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten und der in § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG genannten leitenden Angestellten, unabhängig davon, ob sie im Betrieb, im Außendienst oder mit Telearbeit beschäftigt werden.127 Als Arbeitnehmer gelten auch die in Heimarbeit Beschäftigten, die in der Hauptsache für das Unternehmen oder den Betrieb arbeiten.128 122 Vgl. Ihrig / Wagner BB 2004, 1749, 1758; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 4; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 5. 123 Dazu bereits oben unter § 3 C. I. 1.; vgl. auch Güntzel Diss. 2006, S. 133. 124 Vgl. zum Begriff der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte oben unter § 3 C. I. 1. 125 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 2 SEBG, S. 43. 126 § 2 Abs. 1 S. 1 SEBG. 127 § 2 Abs. 1 S. 2 SEBG. 128 § 2 Abs. 1 S. 3 SEBG.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
b) Begriff der „Beteiligungsrechte“ (§ 2 Abs. 9 SEBG) Auch den Begriff der „Beteiligungsrechte“ konkretisiert der deutsche Gesetzgeber. Während die SE-RL lediglich den Begriff der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ in Art. 2 lit. h) SE-RL definiert,129 den der deutsche Gesetzgeber in § 2 Abs. 8 SEBG übernommen hat, enthält § 2 Abs. 9 SEBG darüber hinaus eine eigenständige Definition der „Beteiligungsrechte“. Während der Begriff der „Beteiligung“ stärker auf das vorgesehene Verfahren zur Einflussnahme der Arbeitnehmer im Unternehmen abstellt, werden unter „Beteiligungsrechten“ die konkreten Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter verstanden.130 Die Legaldefinition des § 2 Abs. 9 SEBG ist auch für den Begriff der „Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG maßgeblich.131 Demnach sind „Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG die konkreten132 „Rechte, die den Arbeitnehmern und ihren Vertretern im Bereich der Unterrichtung, Anhörung, Mitbestimmung und der sonstigen Beteiligung zustehen“133. aa) U nterrichtung (§ 2 Abs. 10 SEBG), Anhörung (§ 2 Abs. 11 SEBG) und Mitbestimmung (§ 2 Abs. 12 SEBG) Ein Teil der Literatur schränkt den Begriff der „Beteiligungsrechte“ im Tatbestand der Wiederaufnahme von Verhandlungen in § 18 Abs. 3 SEBG, der über § 43 S. 2 SEBG mit dem Missbrauchsverbot in Zusammenhang steht, dahingehend ein, dass lediglich das unternehmerische Beteiligungsrecht auf „Mitbestimmung“, nicht dagegen die betrieblichen Beteiligungsrechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ erfasst seien.134 Diese Auslegung sei geboten, da die Vorschrift des § 18 Abs. 3 SEBG durch die SE-RL nicht unmittelbar vorgegeben sei, sondern ihre Grundlage lediglich in ErwG 18 SE-RL finde. In dessen S. 1 sei jedoch abweichend von der Definition der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ in Art. 2 lit. h) SE-RL von der 129 Dazu
bereits oben unter § 3 C. I. 1. BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 2 SEBG, S. 44; Feuerborn in: KK-AktG § 2 SEBG Rn 33. 131 Ebenso Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2701. 132 Jacobs in: MüKo-AktG § 2 SEBG Rn 18, § 43 SEBG Rn 2; Feuerborn in: KK-AktG § 2 SEBG Rn 33. 133 § 2 Abs. 9 S. 1 SEBG. 134 Kallmeyer ZIP 2004, 1442, 1444; Grobys NZA 2005, 84, 91; Schmid Diss. 2010, S. 137 ff.; kritisch im Hinblick auf die Methodik Scheibe Diss. 2007, S. 160 ff., die eine teleologische Reduktion statt einer einschränkenden Auslegung des § 18 Abs. 3 SEBG prüft, i. E. jedoch mangels planwidriger Regelungslücke ablehnt. 130 Regierungsentwurf,
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„Sicherung erworbener Rechte der Arbeitnehmer über ihre Beteiligung an Unternehmensentscheidungen“ die Rede. Daher werde ohne eine restriktive Auslegung des Begriffs der Beteiligungsrechte in § 18 Abs. 3 SEBG das Maß der Zulässigkeit einer überschießenden „Umsetzung“ von ErwG 18 S. 1 SE-RL überschritten.135 Für den allgemeinen Missbrauchstatbestand des § 43 S. 1 SEBG besteht jedoch kein entsprechendes Auslegungsproblem. Das zeigt ein Vergleich der Wortlaute der Vorgabe in Art. 11 SE-RL mit deren Umsetzung in § 43 S. 1 SEBG. Beide Normen beziehen sich übereinstimmend auf „Beteiligungsrechte“. Damit knüpft Art. 11 SE-RL an die Definition der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ in Art. 2 lit. h) SE-RL an. § 43 S. 1 SEBG bezieht sich auf die gesonderte Definition der „Beteiligungsrechte“ in § 2 Abs. 9 S. 1 SEBG. Beide Begriffsbestimmungen umfassen ausdrücklich sowohl die „Unterrichtung“ und „Anhörung“ als Formen betrieblicher Beteiligungsrechte als auch die „Mitbestimmung“ als unternehmerisches Mitbestimmungsrecht. Darüber hinaus ergibt der systematische Vergleich mit Art. 3 Abs. 4 SE-RL und § 15 Abs. 4 SEBG, dass Art. 11 SE-RL und § 43 S. 1 SEBG gerade nicht auf eine Minderung der Rechte auf „Mitbestimmung“ i. S. v. Art. 2 lit. k) SE-RL und § 2 Abs. 12 SEBG, sondern allgemeiner auf ein Entziehen oder Vorenthalten von „Beteiligungsrechten“ abstellen. Mithin umfasst der Begriff der „Beteiligungsrechte“ in § 43 S. 1 SEBG nicht nur das Beteiligungsrecht auf Mitbestimmung auf unternehmerischer Ebene, sondern auch die betrieb lichen Beteiligungsrechte auf Unterrichtung und Anhörung.136 Die Defini tionen der Begriffe „Unterrichtung“137, „Anhörung“138 und „Mitbestim mung“139 hat der deutsche Gesetzgeber in § 2 Abs. 10 SEBG (Unterrichtung), § 2 Abs. 11 SEBG (Anhörung) und § 2 Abs. 12 SEBG (Mitbestimmung) im Wesentlichen aus der SE-RL übernommen.140 bb) B eteiligungsrechte im Bereich der „sonstigen Beteiligung“ (§ 2 Abs. 9 S. 1 Var. 4 SEBG) Über die Definition der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ in Art. 2 lit. h) SE-RL hinaus umfasst der Begriff der „Beteiligungsrechte“ im SEBG nicht nur Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Vertreter im Bereich der UnterrichGanzen Kallmeyer ZIP 2004, 1442, 1444; Schmid Diss. 2010, S. 140. auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2. 137 Art. 2 lit. i) SE-RL. 138 Art. 2 lit. j) SE-RL. 139 Art. 2 lit. k) SE-RL. 140 Vgl. zum Begriff der Beteiligungsrechte in Art. 11 SE-RL bereits oben unter § 3 C. I. 1. 135 Zum
136 I. E.
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tung, Anhörung und Mitbestimmung. § 2 Abs. 9 S. 1 Var. 4 SEBG rechnet zu den Beteiligungsrechten auch die den Arbeitnehmern und ihren Vertretern im Bereich der „sonstigen Beteiligung“ zustehenden Rechte. Offen bleibt jedoch nach dem Gesetzeswortlaut, welche Rechte zum Bereich „sonstiger Beteiligung“ zählen. Hierunter könnten etwa Rechte zu fassen sein, die in einer Beteiligungsvereinbarung i. S. v. § 21 SEBG über die gesetzlich vorgezeichneten Rechte der „Unterrichtung“, „Anhörung“ und „Mitbestimmung“ hinausgehen. Nach Jacobs sollen auch solche Rechte dem Begriff der Beteiligungsrechte in § 43 S. 1 SEBG unterfallen, die auf nationaler Ebene nach dem BetrVG oder nach den verschiedenen Mitbestimmungsgesetzen bestehen.141 Indes berührt das SEBG mit Ausnahme der Mitbestimmung in den Organen der SE (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG) und grundsätzlich mit Ausnahme der Regelung des EBRG (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG) nicht die den Arbeitnehmern nach inländischen Rechtsvorschriften und Regelungen zustehenden Beteiligungsrechte. Es entspricht daher dem Willen des Gesetzgebers, die auf Grundlage des SEBG eingeräumten Rechte auf Beteiligung in der SE einerseits und die auf Grundlage anderer nationaler Vorschriften über Arbeitnehmerbeteiligungsrechte andererseits zu trennen. Da nach § 47 Abs. 1 SEBG die den Arbeitnehmern nach anderen nationalen Rechtsgrundlagen zustehenden Beteiligungsrechte grundsätzlich unberührt bleiben, sind insbesondere die Vorschriften im BetrVG und im SprAuG weiterhin im Rahmen ihrer jeweiligen Regelungsbereiche anwendbar. Daher besteht auch kein Bedürfnis, sie dem Schutzbereich von § 43 S. 1 SEBG unterfallen zu lassen. Die aufgrund des BetrVG eingeräumten betrieblichen Beteiligungsrechte sind folglich weder „Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG noch Rechte im Bereich „sonstiger Beteiligung“ i. S. v. § 2 Abs. 9 S. 1 Var. 4 SEBG. cc) W ahrnehmung von Beteiligungsrechten in Konzernunternehmen der SE (§ 2 Abs. 9 S. 2 SEBG) Zu „Beteiligungsrechten“ i. S. v. § 2 Abs. 9 S. 1 SEBG soll gem. § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG „auch die Wahrnehmung dieser Rechte in den Konzernunternehmen der SE gehören“ können. Damit kommt den Beteiligungsrechten nach dem SEBG eine „konzerndimensionale Reichweite“142 zu. Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass sich in einem Konzernverbund „etwa Wahlrechte der Arbeitnehmer auch für andere Gesellschaften (Obergesellschaft) ergeben (vgl. z. B. § 5 Mitbestimmungsgesetz – 141 Jacobs
in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2. in: Lutter / Hommelhoff § 2 SEBG Rn 25; Feuerborn in: KK-AktG § 2 SEBG Rn 34. 142 Oetker
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland239
MitbestG)“143 können. Die Umsetzung in § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG geht insofern über die Vorgaben in der SE-RL hinaus, da die SE-RL keine Regelungen hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer in einem Konzern trifft. Die Gesetzesbegründung stellt auf § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG ab, wonach Arbeitnehmer von Konzernunternehmen, die von einer Konzern obergesellschaft in einer der in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG genannten Rechtsformen beherrscht werden, im Rahmen des MitbestG als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens gelten. In der von der Gesetzesbegründung erfassten Konstellation geht es somit darum, dass eine SE ein Konzernunternehmen darstellt, das von einer Konzernobergesellschaft als Konzernspitze in der Rechtsform einer deutschen AG, KGaA, GmbH oder eG (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG) beherrscht wird. In diesem Fall sind die Arbeitnehmer der SE als Konzernunternehmen an den Wahlen zum Aufsichtsrat in der Konzernobergesellschaft zu beteiligen. Dieses Beteiligungsrecht ergibt sich jedoch bereits aus § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG. Für dessen Anwendbarkeit kommt es im Gegensatz zur herrschenden Konzernobergesellschaft (vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG) nicht auf die Rechtsform des beherrschten Konzernunternehmens an. Zur Sicherung dieses „aufwärts“ gerichteten Beteiligungsrechts bedürfte es der Erweiterung des Begriffs der „Beteiligungsrechte“ in § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG nicht. Indes deckt sich der Wortlaut des § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG nicht mit der in der Gesetzesbegründung genannten Konstellation des § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG. Der Gesetzestext spricht davon, dass zu den Beteiligungsrechten i. S. v. § 2 Abs. 9 S. 1 SEBG auch „die Wahrnehmung dieser Rechte in den Konzernunternehmen der SE gehören“.144 Demnach erfasst der Gesetzeswortlaut den Fall, dass eine SE selbst an der Spitze eines Konzerns als Konzernobergesellschaft untergeordnete Konzernunternehmen beherrscht. Die „abwärts“ gerichteten Rechte auf Beteiligung in Konzernunternehmen decken sich mit Beteiligungsrechten in „Tochtergesellschaften“ der SE i. S. v. § 2 Abs. 3 S. 1 SEBG, der Art. 2 lit. c) SE-RL umsetzt. Hinsichtlich der Beteiligungsrechte in der SE von Arbeitnehmern von Tochtergesellschaften der „beteiligten Gesellschaften“ und Gesellschaften, die zu künftigen Tochtergesellschaften der zu gründenden SE werden sollen (sog. „betroffene Tochtergesellschaften“, vgl. Art. 2 lit. d) SE-RL, § 2 Abs. 4 SEBG) sehen die SE-RL145 sowie das 143 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 2 SEBG, S. 44; BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 111; vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 2 SEBG Rn 18; Feuerborn in: KK-AktG § 2 SEBG Rn 34. 144 Vgl. Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 3. 145 Vgl. etwa die Einbeziehung von (betroffenen) Tochtergesellschaften bei der Einsetzung des bVG in Art. 3 Abs. 1, 2 SE-RL sowie bei den Inhaltsbestimmungen zur Beteiligungsvereinbarung in Art. 4 Abs. 2 lit. b) SE-RL.
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SEBG146 statt einer Konzernzurechnung wie im deutschen Recht (§ 5 MitbestG) eine Einbeziehung in das Verhandlungsverfahren über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE vor. In diesem Rahmen gewährt auch Art. 11 SE-RL Schutz für Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern (betroffener) Tochtergesellschaften.147 Dementsprechend ist gleichermaßen der Begriff der „Beteiligungsrechte“ in § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass die „Wahrnehmung dieser Rechte in den Konzernunternehmen der SE“ nur im von der SE-RL bestimmten Rahmen der Einbeziehung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer (betroffener) Tochtergesellschaften geschützt ist. Eine etwaig vom Gesetzgeber mit § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG beabsichtigte Erstreckung von § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG entgegen dessen Wortlaut auf Konzernobergesellschaften in der Rechtsform einer SE mit der Folge, dass Arbeitnehmer von SE-Konzernunternehmen Beteiligungsrechte in der SE aufgrund Konzernzurechnung genießen, kommt somit nicht in Betracht. 2. Tatbestandlicher Erfolg: Entziehen oder Vorenthalten § 43 S. 1 SEBG übernimmt wortgleich aus Art. 11 SE-RL die Begriffe des „Entziehens“ und „Vorenthaltens“ von Beteiligungsrechten, die den tatbestandlichen Erfolg148 eines „Missbrauchs einer SE“ kennzeichnen. Die Gesetzesbegründung wiederholt lediglich, dass mit der Umsetzung des Art. 11 SE-RL in § 43 S. 1 SEBG „der Gefahr begegnet werden [soll], dass die Rechtsform der SE gezielt ausgenutzt wird, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorzuenthalten oder zu entziehen“149. Eine weitere Konkretisierung der Begriffe „Entziehen“ und „Vorenthalten“ erfolgt damit nicht. Die übernommenen Merkmale sind daher grundsätzlich i. S. v. Art. 11 SERL und damit richtlinienkonform auszulegen, sodass zum einen auf die Ausführungen zur Konkretisierung der Begriffe „Entziehen“150 und „Vorenthalten“151 in Art. 11 SE-RL verwiesen werden kann. 146 Vgl. etwa die Einbeziehung von (betroffenen) Tochtergesellschaften bei der Bildung und Zusammensetzung des bVG in § 4 Abs. 2, § 5, § 8 SEBG, bei der Zuständigkeit des SE-Betriebsrats kraft Gesetzes in § 27 SEBG, bei den Voraussetzungen für die Mitbestimmung kraft Gesetzes in § 34 Abs. 1 SEBG und bei der Verteilung der Sitze im kraft Gesetzes mitbestimmten Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE in § 36 Abs. 1 SEBG. 147 Zur Berücksichtigung von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern in Tochtergesellschaften durch Art. 11 SE-RL bereits oben unter § 3 C. I. 3. 148 Vgl. für Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. II. 149 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57; BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 143. 150 Vgl. oben unter § 3 C. II. 1.
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Zum anderen ergeben sich aus dem in § 15 Abs. 4 SEBG definierten Begriff der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ [dazu sogleich unter a)] sowie dem Begriff der „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ in § 18 Abs. 3 SEBG [dazu unter b)] weitere systematische Argumente zur Konkretisierung der Begriffe „Entziehen“ und „Vorenthalten“ in § 43 S. 1 SEBG. 151
a) Abgrenzung zur „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ Im Hinblick auf Art. 11 SE-RL wurde für eine Konkretisierung der Begriffe „Entziehen“ und „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten herausgearbeitet, dass sie insbesondere zum Begriff der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ in Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 3 SE-RL abzugrenzen sind.152 Danach bedeutet „Minderung der Mitbestimmungsrechte“, „dass der Anteil der Mitglieder der Organe der SE i. S. d. Art. 2 lit. k) SE-RL geringer ist als der höchste in den beteiligten Gesellschaften geltende Anteil“. Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 3 SE-RL hat der deutsche Gesetzgeber in § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG umgesetzt.153 aa) § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG Nach § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG liegt eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ vor, wenn der Arbeitnehmervertreteranteil im Unternehmensorgan der SE geringer im Vergleich zum höchsten unter den an der SEGründung beteiligten Gesellschaften bestehenden Anteil ist. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG schützt dabei nicht die absolute Zahl an Arbeitnehmervertretern, sondern lediglich das prozentuale Verhältnis zwischen Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern.154 Ferner wird bei § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG nicht ein Gesamtsaldo der Mitbestimmungsniveaus in den beteiligten Gesellschaften mit dem in der SE gebildet (Gesamtbetrachtung),155 sondern allein der höchste unter den beteiligten Gesellschaften vorhandene Anteil mit dem in der SE verglichen (Einzelbetrachtung).156 151 Vgl.
oben unter § 3 C. II. 2. zur systematischen Auslegung im Rahmen des Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. II. 1. c) („Entziehen“) und § 3 C. II. 2. b) („Vorenthalten“) sowie unter § 3 C. III. 2. c) cc) („Missbrauch einer SE“). 153 Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 12. 154 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 15 SEBG, S. 50. 155 Erwogen für Art. 3 Abs. 4 SE-RL von Herfs-Röttgen NZA 2002, 358, 361. 156 Mit Fallbeispielen jeweils auch Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 12; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 26; vgl. ferner Scheibe Diss. 2007, S. 103 f. 152 Vgl.
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Ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG besteht nicht bereits in einer Verringerung des Arbeitnehmervertreteranteils nach § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG. Ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ erfordert einen schwerwiegenderen Eingriff in Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer als eine bloße „Minderung“.157 Im Übrigen gelten die Ausführungen zum systematischen Argument aus Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 3 SE-RL für eine Konkretisierung des Art. 11 SE-RL entsprechend für § 43 S. 1 SEBG.158 bb) § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG Die deutsche Umsetzung des Begriffs der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ geht über die Vorgabe in Art. 2 lit. k) SE-RL insoweit hinaus,159 als § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG einen weiteren Fall einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ bezeichnet. Demnach kann eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ auch darin liegen, dass „das Recht, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen, zu bestellen oder abzulehnen, beseitigt oder eingeschränkt wird“160. Diese Bestimmung greift die Definition des Begriffs der „Mitbestimmung“ in Art. 2 lit. k) SE-RL auf, wovon sowohl eine Mitbestimmung in Form des „Repräsentationsmodells“ durch Wahl oder Bestellung von Arbeitnehmervertretern in das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan als auch eine Mitbestimmung nach dem „Kooptationsmodell“ durch Empfehlung oder Ablehnung seiner Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans umfasst ist.161 Aus der Gesetzesbegründung162 geht hervor, dass mit § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG verhin157 Im Hinblick auf den systematischen Vergleich mit § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG jeweils auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5. 158 Vgl. oben im Rahmen der systematischen Auslegung der Begriffe „Entziehen“ unter § 3 C. II. 1. c) und „Vorenthalten“ unter § 3 C. II. 2. b). 159 Vgl. noch zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004: Grobys NZA 2004, 779, 781 („deutscher Sonderweg“); zum SEBG vgl. Grobys NZA 2005, 84, 89; Krause BB 2005, 1221, 1226; Rehberg ZGR 2005, 859, 889; Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 14 („keine Entsprechung in der Richtlinie“); Scheibe Diss. 2007, S. 111 („fehlt es für § 15 Abs. 4 Nr. SEBG an einem europäischen Vorbild“); Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 27; vgl. auch die offene Definition im österreichischen Umsetzungsgesetz in § 221 Abs. 4 ArbVG-Österreich („jedenfalls“). 160 § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG. 161 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 15 SEBG, S. 50; BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 125; vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 14; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 27. 162 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 15 SEBG, S. 50; BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 125.
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dert werden soll, die den Arbeitnehmern aufgrund dieser unterschiedlichen Mitbestimmungsmodelle zustehenden Rechte einzuschränken.163 Während die Gesetzesbegründung164 als Beispiel für ein Kooptationsmodell noch das niederländische Mitbestimmungsrecht anführt,165 ist das Kooptationsmodell dort zum 1. Oktober 2004 aufgegeben worden.166 Damit wird das Kooptationsmodell in keinem Mitgliedstaat mehr angewendet, sodass es keinen Anwendungsbereich mehr für § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG gibt.167 Mithin ist der Frage, ob eine Minderung von Mitbestimmungsrechten i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG darin liegt, dass das bei Gründung einer SE gewählte Mitbestimmungsmodell (z. B. Kooptationsmodell) nicht mehr dem der beteiligten Gesellschaften (z. B. Repräsentationsmodell) entspricht,168 aktuell die praktische Relevanz genommen, solange nicht ein Mitgliedstaat für seine nationalen Rechtsformen ein Kooptationsmodell einführen sollte.169 Gleichwohl könnte § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG für die Auslegung der im allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG aus Art. 11 SE-RL übernommenen Begriffe des „Entziehens“ oder „Vorenthaltens“ Bedeutung zukommen: (1) § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG als legislative Negativ-Konkretisierung des Art. 11 SE-RL? Die Definition in § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG könnte mittelbar eine legislative Negativ-Konkretisierung des Art. 11 SE-RL darstellen, indem der als „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ definierte Fall, dass „das Recht, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen, beseitigt oder eingeschränkt wird“, als Fall eines Missbrauchs einer SE ausscheidet. Da die Vereinbarung einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ unter den Voraussetzungen von § 15 Abs. 3, 5 SEBG zulässig ist, kann diese nicht gleichzeitig als „Missbrauch einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG verboten sein. Demzufolge ist die unter den Voraussetzungen von § 15 Abs. 3, 5 SEBG vereinbarte „Beseitigung“ oder „Einschränkung“ des Rechts auf Mitbestimmung i. S. v. 163 Jacobs
in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 14. BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 2 SEBG, S. 45 sowie zu § 15 SEBG, S. 50; BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 112, 125. 165 Vgl. auch Scheibe Diss. 2007, S. 110. 166 Krause BB 2005, 1221; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 27. 167 Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 27. 168 Zum Fall eines Wechsels vom Repräsentations- zum Kooptationsmodell bei Gründung noch unter § 8 D. II. 3. 169 So auch Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 67; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 27. 164 Regierungsentwurf,
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§ 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG kein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten, welche einen Missbrauch einer SE nach § 43 S. 1 SEBG begründen könnten. Die Folge einer entsprechenden Auslegung wäre allerdings, dass der Regelungsbereich und damit der praktische Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG erheblich verengt würden. Einerseits statuiert § 43 S. 1 SEBG ein Verbot, wonach eine SE nicht dazu missbraucht werden darf, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu „entziehen“ oder „vorzuenthalten“. Gleichzeitig ist es den Parteien der Beteiligungsvereinbarung ausdrücklich erlaubt,170 unter Beachtung der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3, 5 SEBG eine Vereinbarung zu schließen, durch die das Recht auf Mitbestimmung „beseitigt“ oder „eingeschränkt“ wird. Zwischen § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG und § 43 S. 1 SEBG besteht somit ein Widerspruch, der mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit einhergeht. Fraglich ist daher, ob § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG überhaupt mit der SE-RL vereinbar ist. Andernfalls läge ein Fall legislativer Fehlkonkretisierung des Art. 11 SE-RL vor. (2) L iteraturauffassungen zur Europarechtskonformität des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG Arbeitgeberverbände forderten den deutschen Gesetzgeber auf, hinsichtlich der Definition einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ nicht über die SE-RL hinauszugehen. Einer Ausdehnung des Tatbestands der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ stehe die Notwendigkeit einer einheitlichen Rechtsanwendung in allen Mitgliedstaaten entgegen.171 In der Literatur wird § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG im Hinblick auf seine Europarechtskonformität unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG als „deutscher Sonderweg“ kritisiert, der „nicht im Einklang“ mit Art. 3 Abs. 4 SE-RL stehe,172 diese Vorgabe missachte173 und daher „richtlinienwidrig“174 sei. Für nicht richtlinienwidrig, aber einer richtlinienkonformen Auslegung bedürftig hält Rehberg175 die Regelung des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG, da Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL hinsichtlich einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ abschließend sei. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG müsse richt 170 Vgl. in diese Richtung auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 216. 171 Zum Ganzen noch zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004: Gemeinsame Stellungnahme der Arbeitgeberverbände zum Referentenentwurf, 3.5.2004, S. 10. 172 Noch zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004 Grobys NZA 2004, 779, 781; zum SEBG vgl. auch Grobys NZA 2005, 84, 89. 173 Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 15 SEBG Rn 12. 174 Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 3 SE-RL Rn 92. 175 Zum Folgenden Rehberg ZGR 2005, 859, 889.
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linienkonform dahingehend ausgelegt werden, dass dieser nur solche Vereinbarungen betrifft, „bei denen die Beteiligungsrechte substanziell so weit ausgehöhlt werden, dass hierin ein Missbrauch im Sinne einer Umgehung der in Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 3 SE-RL vorgesehenen Quoren liegt“. Diejenigen, die § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG für richtlinienkonform176 halten, verweisen darauf, dass die Norm „in keinem direkten Widerspruch“177 zu den Vorgaben der SE-RL stehe. Ferner wird hervorgehoben, dass es dem nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht grundsätzlich unbenommen bleibe, einen höheren als in einer Richtlinie vorgesehen Standard festzulegen.178 Niklas hält den Erlass des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG gar für durch Art. 11 SE-RL „geboten“179. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG sei erforderlich, um ein Unterlaufen des § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG zu unterbinden.180 Insofern sieht Niklas § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG als Ausprägung des Missbrauchsverbots. (3) Stellungnahme: Konkretisierung von Art. 11 SE-RL § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG ist nicht durch Art. 11 SE-RL geboten181 und bedarf auch keiner richtlinienkonformen Auslegung182 im Hinblick auf Art. 11 SE-RL. Vielmehr ist bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG selbst eine Ausprägung des Art. 11 SE-RL. Der deutsche Gesetzgeber hat mit Erlass des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG mittelbar eine legislative Konkretisierung der Missbrauchsklausel des Art. 11 SE-RL vorgenommen; freilich ohne sich selbst auf Art. 11 SE-RL berufen zu haben, denn die Gesetzesbegründung183 bezieht sich allein in den Gründen zu §§ 43, 45 SEBG auf Art. 11 SE-RL. Die Definition in § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG lässt sich auslegen als „Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL, um zu verhindern, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden. Folge des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG ist, dass für die Wirksamkeit einer Beteiligungsvereinbarung, die eine „Beseitigung“ oder „Einschränkung“ von Mit176 Krause BB 2005, 1221, 1227 („gemeinschaftsrechtlich noch zulässig“); Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 16 („nicht richtlinienwidrig“); Scheibe Diss. 2007, S. 112 („§ 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG ist richtlinienkonform.“). 177 Krause BB 2005, 1221, 1227. 178 Scheibe Diss. 2007, S. 111. 179 Noch bezogen auf den Regierungsentwurf BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004: Niklas NZA 2004, 1200, 1203. 180 Niklas NZA 2004, 1200, 1203. 181 So aber Niklas NZA 2004, 1200, 1203. 182 So aber Rehberg ZGR 2005, 859, 889. 183 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu §§ 43, 45 SEBG, S. 57; BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 143.
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bestimmungsrechten zur Folge hätte, die Beachtung der Voraussetzungen in § 15 Abs. 3, 5 SEBG erforderlich ist. Eine derartige Beteiligungsvereinbarung kann daher im Falle der Umwandlungsgründung überhaupt nicht (vgl. § 15 Abs. 5 SEBG) geschlossen werden. In den anderen Gründungsfällen erfordert die Wirksamkeit einer entsprechenden Beteiligungsvereinbarung einen zustimmenden Beschluss des bVG, für den bei Überschreitung der Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 Nr. 1, 2 SEBG eine qualifizierte Mehrheit benötigt wird. Damit bewirkt § 15 Abs. 4 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 SEBG, dass eine Beteiligungsvereinbarung, die eine „Beseitigung“ oder „Einschränkung“ von Mitbestimmungsrechten zur Folge hätte, nicht ohne den Willen des die Arbeitnehmer repräsentierenden bVG wirksam ist. Stimmt das bVG hingegen einer Beteiligungsvereinbarung zu, die eine „Beseitigung“ oder „Einschränkung“ von Mitbestimmungsrechten bewirkt, geschieht diese „Minderung“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG mit dem Willen der Arbeitnehmerseite. Die Regelung stellt sicher, dass eine „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ in Form ihrer „Beseitigung“ oder „Einschränkung“ nicht ohne den Willen der Arbeitnehmerseite eintreten kann. Da der Schutz des Art. 11 SE-RL auf ein Entziehen oder Vorenthalten gegen den Willen der Arbeitnehmer beschränkt ist,184 ist § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL vereinbar. Aus der legislativen Konkretisierung des Art. 11 SE-RL in § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG lässt sich folgern, dass eine unter den Voraussetzungen von § 15 Abs. 3, 5 SEBG geschlossene Beteiligungsvereinbarung, die das Recht, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen, beseitigt oder einschränkt, kein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ i. S. d. § 43 S. 1 SEBG und damit keinen verbotenen Missbrauch einer SE begründen kann. Der Gesetzgeber hat sich mit Erlass des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG dafür entschieden, eine die genannten Rechte „beseitigende“ oder „einschränkende“ Beteiligungsvereinbarung nicht über das Missbrauchsverbot des § 43 S. 1 SEBG von vornherein zu verbieten. Stattdessen erfordert der wirksame Abschluss einer solchen Vereinbarung lediglich, die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3, 5 SEBG einzuhalten. cc) Ergebnis zur Abgrenzung zu § 15 Abs. 4 SEBG Zusammengefasst ergibt der systematische Vergleich des § 43 S. 1 SEBG mit § 15 Abs. 4 SEBG für die Auslegung der Begriffe „Entziehen“ und „Vorenthalten“ das Folgende: 184 Vgl. oben unter § 3 C. II. 1. c) (Entziehen) sowie unter § 3 C. II. 2. b) (Vorenthalten).
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Diese tatbestandlichen Erfolge sind nicht bereits gegeben, wenn eine Beteiligungsvereinbarung eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG bewirkt. Demnach liegt kein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten vor, wenn nach der ausgehandelten Beteiligungsvereinbarung der Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsoder Verwaltungsorgan der SE geringer ist als der höchste in den beteiligten Gesellschaften bestehende Anteil (vgl. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG).185 Ferner scheidet ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten aus, wenn in der ausgehandelten und abzuschließenden Beteiligungsvereinbarung das Recht, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen, gegenüber dem in der an der Gründung beteiligten Gesellschaft zustehenden Recht „beseitigt“ oder „eingeschränkt“ wird (vgl. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG). Der deutsche Gesetzgeber hat daher mit § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG, der über die Vorgaben in Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL hinausgeht, zugleich eine legislative Negativ-Konkretisierung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SERL vorgenommen.186 Da die Zulässigkeit einer vereinbarten „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG von der Einhaltung der Voraussetzungen in § 15 Abs. 5 SEBG abhängig ist, ist eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ im Falle der Umwandlungsgründung ganz ausgeschlossen (vgl. § 15 Abs. 3 SEBG). In den anderen Gründungsfällen ist eine vereinbarte „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG ausdrücklich zulässig, allerdings nicht ohne eine Zustimmung des bVG. Werden die Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG erreicht, bedarf es nicht nur einer einfachen, sondern sogar einer qualifizierten Mehrheit für einen Zustimmungsbeschluss des bVG. Da § 15 Abs. 4 Nr. 2 i. V. m. Abs. 3 SEBG insoweit ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ des Beteiligungsrechts der Mitbestimmung ohne den Willen der Arbeitnehmerseite verhindert, ist die Regelung eine „Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL. Mithin lässt sich § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG auf Art. 11 SE-RL stützen und ist insoweit richtlinienkonform. b) Abgrenzung zur „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Die Begriffe des „Entziehens“ und „Vorenthaltens“ von Beteiligungsrechten in § 43 S. 1 SEBG sind auch zu § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG abzugrenzen. Danach kommt es nach erfolgter SE-Gründung für die Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung darauf an, dass strukturel185 Vgl. 186 Vgl.
oben unter § 5 A. III. 2. a) aa). soeben unter § 5 A. III. 2. a) bb).
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
le Änderungen der SE geplant sind, „die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“. Für die danach erforderliche Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten kann jedoch nicht auf die soeben unter a) diskutierte Definition der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ in § 15 Abs. 4 SEBG zurückgegriffen werden. Zwar bedient sich § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG auch des Begriffs der „Minderung“. Indes bezieht sich die Minderung in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG auf den gegenüber der „Mitbestimmung“ (§ 2 Abs. 12 SEBG) umfassenderen Begriff der „Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 2 Abs. 9 SEBG. „Beteiligungsrechte“ umfassen nicht nur das Recht auf Mitbestimmung (§ 2 Abs. 12 SEBG), sondern auch die Rechte auf Unterrichtung (§ 2 Abs. 10 SEBG) und Anhörung (§ 2 Abs. 11 SEBG).187 Ferner genügt im Rahmen des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG nach dem Wortlaut bereits die Eignung zur Minderung dieser Rechte. Aus dem systematischen Vergleich mit § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG folgt für die Auslegung der Begriffe „Entziehen“ und „Vorenthalten“ in § 43 S. 1 SEBG, dass eine den „Missbrauch einer SE“ begründende Verhaltensweise nicht nur zum Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten geeignet sein muss. Sie setzt ein tatsächliches Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten i. S. v. § 2 Abs. 9 SEBG voraus.188 3. Tatbestandliches Verhalten: Missbrauch einer SE Den Begriff des „Missbrauchs einer SE“ hat der deutsche Gesetzgeber in § 43 S. 1 SEBG wortgleich aus Art. 11 SE-RL übernommen. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass „bei einer Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs […] zu berücksichtigen [ist], dass die [SE-]Verordnung gerade die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit erleichtern will“189. Dem lässt sich entnehmen, dass die Konkretisierung des Begriffs zunächst der Arbeitsgerichtsbarkeit und letztverbindlich dem EuGH zugewiesen ist. Insofern kann auf die Ergebnisse der Untersuchung zur Konkretisierung dieses Begriffs in Art. 11 SE-RL verwiesen werden.190
187 Vgl. zum Begriff der „Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 2 Abs. 9 SEBG, der nach dem Wortlaut ferner Rechte im Bereich der „sonstigen Beteiligung“ [dazu oben unter § 5 A. III. 1. b) bb)] umfassen soll, bereits oben unter § 5 A. III. 1. b). 188 I. E. auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 5. 189 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57; BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 143. 190 Oben unter § 3 C. III.
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IV. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG 1. „Verbot“ des Missbrauchs einer SE § 43 S. 1 SEBG wird in der amtlichen Überschrift ausdrücklich als „Missbrauchsverbot“ bezeichnet. Der Normtext selbst ist dahingehend formuliert, dass eine SE „nicht dazu missbraucht werden [darf], den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“. Der Wortlaut lässt jedoch offen, welche konkreten Rechtsfolgen das „allgemeine Miss brauchsverbot“191 nach § 43 S. 1 SEBG auslöst.192 2. Strafbewehrung in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG Fest steht als konkrete „Rechtsfolge“ nur die vom deutschen Gesetzgeber in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG vorgesehene strafrechtliche Sanktion (dazu noch unter § 5 C.).193 Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, „wer entgegen § 43 Satz 1 eine SE dazu missbraucht, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“. Aus der Regierungsbegründung194 zu § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ergibt sich lediglich, dass der „präventiven Wirkung einer Strafandrohung“ von bis zu zwei Jahren in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG „besondere Bedeutung“ zukomme, da es „aus gesellschaftsrechtlichen Gründen […] in Fällen des Missbrauchs […] nur eingeschränkt möglich sein [wird], vollzogene grenzüberschreitende Maßnahmen rückgängig zu machen“. 3. Weitere Rechtsfolgen i. V. m. allgemeinen Vorschriften In der Literatur werden abgesehen von der Strafbarkeit verschiedene Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG diskutiert. Dabei wird bislang nicht trennscharf zwischen gesellschaftsrechtlichen, registerrecht lichen und allgemein zivilrechtlichen Rechtsfolgen unterschieden. Überwiegend wird lediglich betont, dass zwischen einem vor und nach Eintragung der SE im Handelsregister aufgedeckten Missbrauch der SE zu unterschei191 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 1; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 2. 192 So auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8. 193 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder § 43 SEBG Rn 4. 194 Zum Folgenden Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57.
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den sei:195 Ein Missbrauch, der vor Eintragung der SE im Handelsregister „erkannt“196 werde, berechtige das Registergericht, die Eintragung der SE abzulehnen.197 Werde hingegen der Missbrauch erst nach bereits erfolgter Eintragung der SE im Handelsregister „erkannt“198, führe dies nicht zur Löschung der Gesellschaft aus dem Handelsregister.199 Darüber hinaus wird diskutiert, ob § 43 S. 1 SEBG ein Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB darstellt200 und bejahendenfalls ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG zu einer „Nichtigkeit der Maßnahme nach § 134 BGB“201 führt. Zuzugeben ist, dass ein Zusammenhang zwischen der registerrechtlichen Eintragung der SE und ihrer gesellschaftsrechtlichen Existenz besteht: Jede SE wird im Sitzstaat in ein nach dem Recht dieses Staates bestimmtes Register – in Deutschland: das Handelsregister (vgl. § 3 SEAG) – eintragen (vgl. Art. 12 Abs. 1 SE-VO). Am Tag ihrer Eintragung in das Register erwirbt die SE gemäß Art. 16 Abs. 1 SE-VO ihre Rechtspersönlichkeit. Somit ist die Eintragung konstitutiv für die rechtliche Existenz der SE-Gesellschaft.202 Dieser Zusammenhang zwischen der Eintragung der SE und ihrer gesellschaftsrechtlichen Existenz ist bei der Untersuchung der Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG zu beachten. Dabei ist zunächst im Hinblick auf die gesellschaftsrechtlichen Rechtsfolgen (dazu sogleich unter 4.) zu prüfen, ob ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG ein Grund für eine Nichtigerklärung203 der SE oder für eine Auflösung204 der SE ist. Im Anschluss daran ist hinsichtlich der registerrechtlichen Folgen (dazu unter 5.) zu untersuchen, ob die Eintragung einer noch nicht eingetragenen SE abzulehnen205 oder eine bereits in das Handelsregister eingetragene SE-Gründung 195 Vgl. etwa Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198. 196 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198. 197 Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198. 198 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198. 199 Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198. 200 „Zu erwägen“ nach Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8; als „zumindest zweifelhaft“ angesehen von Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4. 201 „In der Regel“ bejaht von Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 8. 202 Casper in: Spindler / Stilz-AktG Art. 16 SE-VO Rn 3; Oetker BB-Special 1 / 2005, 2, 5. 203 Dazu unter § 5 A. IV. 4. a). 204 Dazu unter § 5 A. IV. 4. b). 205 Dazu unter § 5 A. IV. 5. b).
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nachträglich aus dem Handelsregister zu löschen206 ist. Schließlich ist im Hinblick auf die betroffenen Arbeitnehmer und ihre Beteiligungsrechte zu prüfen, welche allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsfolgen (dazu unter 6.) ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG auslösen kann. 4. Gesellschaftsrechtliche Rechtsfolgen für die SE-Gesellschaft Fraglich ist, ob ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG ein Grund ist, der zur Nichtigerklärung oder zur Auflösung der SE-Gesellschaft führt. Aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30. September 2009 zur Problematik der SE-Vorratsgründung könnte ein obiter dictum zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG abzulesen sein. Danach soll die „bloße Möglichkeit des Rechtmissbrauchs für sich genommen […] einen hinreichenden Grund für die Versagung eines Rechts weder allgemein noch mit Blick auf die Vorratsgründung“207 darstellen können. Aus dieser Passage könnte zu folgern sein, dass Rechtsfolge eines nicht nur möglichen, sondern eines tatsächlich festgestellten Rechtsmissbrauchs im Allgemeinen die Versagung eines Rechts ist und es sich bei § 43 S. 1 SEBG insoweit um das Recht auf Gründung einer SE handeln könnte. Indes verbietet § 43 S. 1 SEBG nicht einen Rechtsmissbrauch, sondern den Missbrauch der Rechtsform der SE. Daher kann die Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG nicht in der Versagung des Rechts auf Gründung einer SE liegen, sondern in der Versagung der konkreten, den Missbrauch der SE-Rechtsform begründenden Gestaltung. Das Missbrauchsverbot ist somit nicht auf eine Verhinderung der SE selbst gerichtet,208 sondern verbietet die missbräuch liche Umgehung oder Erschleichung von SE-Vorschriften zu Lasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer. a) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG als Grund für die Nichtigerklärung der SE Der deutsche Gesetzgeber ging davon aus, dass es „aus gesellschaftsrechtlichen Gründen […] in Fällen des Missbrauchs […] nur eingeschränkt möglich sein [wird], vollzogene grenzüberschreitende Maßnahmen rückgängig zu machen“209. Diese Argumentation wird in der Literatur als Beleg 206 Dazu
unter § 5 A. IV. 5. a). Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42 (Hervorhebung durch Verf.). 208 So aber Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659. 209 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 207 OLG
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dafür angeführt, dass § 43 S. 1 SEBG „zumindest […] nicht die Kraft entfaltet, die rechtliche Existenz einer in das Handelsregister eingetragenen SE zu beseitigen“210. Neben der Gesetzesbegründung wird speziell für den Fall der SE-Gründung durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) angeführt, dass „die Löschung […] regelmäßig nach Art. 30 SE-VO unzulässig“211 sei. aa) Verschmelzungsgründung: Art. 30 S. 1 SE-VO Dem Schluss, dass Art. 30 SE-VO eine „Löschung“ einer eingetragenen SE verhindere, steht entgegen, dass die Norm nur mittelbar die Frage der Registereintragung betrifft. Art. 30 SE-VO lässt sich entnehmen, dass zwischen der Nichtigkeit der Verschmelzung oder der SE-Gründung einerseits und der Auflösung der SE andererseits zu unterscheiden ist. Während Art. 30 S. 1 SE-VO die Nichtigerklärung der zur SE-Gründung führenden Verschmelzung nach Eintragung der SE ausschließt, lässt Art. 30 S. 2 SE-VO in einem bestimmten Fall eine Auflösung der SE zu. Daraus ergeben sich möglicherweise Anhaltspunkte für die gesellschaftsrechtlichen Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG. Nach Art. 30 S. 1 SE-VO kann eine Verschmelzung nach Eintragung der SE nicht mehr für nichtig erklärt werden. Da die Verschmelzung und die SE-Gründung gleichzeitig mit der Eintragung (Art. 12 SE-VO) wirksam werden, kann auch die SE-Gründung, die durch Verschmelzung erfolgt, nach Eintragung der SE nicht mehr für nichtig erklärt werden. Allerdings bestimmt Art. 30 S. 2 SE-VO ausdrücklich einen möglichen Grund für die Auflösung der SE, indem das Fehlen einer behördlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verschmelzung (vgl. Art. 25 f. SE-VO) zur Auflösung der SE führen kann. Der Ausschluss der Nichtigerklärung einer durch Verschmelzung gegründeten SE nach Art. 30 S. 1 SE-VO gilt auch für einen Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG. Somit kann eine Verletzung des Missbrauchsverbots nicht die Nichtigkeit der Verschmelzung und damit der durch Verschmelzung gegründeten SE zur Folge haben.
210 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8; zustimmend Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4. 211 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198.
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bb) Andere Gründungsformen: § 275 Abs. 1 AktG Bei den anderen SE-Gründungsformen (Art. 2 Abs. 2–4 SE-VO) als der Verschmelzungsgründung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO)212 kommt eine Nichtigerklärung der SE nur auf Grundlage des nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO entsprechend anzuwendenden § 275 Abs. 1 AktG in Betracht.213 Danach kann eine Klage auf Nichtigerklärung der Gesellschaft nur erhoben werden, wenn die Satzung keine Bestimmungen über die Höhe des Grundkapitals oder über den Unternehmensgegenstand enthält oder die Bestimmungen der Satzung über den Unternehmensgegenstand nichtig sind (vgl. § 275 Abs. 1 S. 1 AktG). Auf andere Gründe kann die Nichtigkeitsklage gem. § 275 Abs. 1 S. 2 AktG jedoch nicht gestützt werden. cc) Zwischenergebnis: Kein Nichtigerklärungsgrund Eine Nichtigerklärung der SE wegen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG scheidet aus den vorgenannten Gründen aus. b) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG als Grund für die Auflösung der SE Während Art. 30 S. 1 SE-VO zu entnehmen ist, dass eine Nichtigkeit der SE-Gründung wegen Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG nach Eintragung der SE ausgeschlossen ist,214 zeigt Art. 30 S. 2 SE-VO, dass bei einem Rechtsverstoß – etwa einer fehlenden Kontrolle der Verschmelzung nach Art. 25 f. SE-VO – auch eine durch Verschmelzung gegründete SE nachträglich aufgelöst werden kann. Daher ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG ein Grund für die Auflösung einer gegründeten SE ist. Auch der deutsche Gesetzgeber geht zwar von eingeschränkten Möglichkeiten, „vollzogene grenzüberschreitende Maßnahmen rückgängig zu machen“215, aus, schließt damit jedoch eine nachträgliche Auflösung der SE nicht aus. 212 Nach Schwarz SE-Verordnung, Art. 6 SE-VO Rn 119, ist Art. 30 Abs. 1 SEVO „[…] aufgrund seines Regelungszwecks der Schaffung von Rechtssicherheit und Bestandskraft der Verschmelzung abschließend, sodass bei der Verschmelzungsgründung nicht § 275 Abs. 1 AktG angewendet werden kann.“. 213 Für eine Anwendung des § 275 Abs. 1 AktG bei den anderen Gründungsformen außer der Verschmelzung auch Schwarz SE-Verordnung, Art. 6 SE-VO Rn 120. 214 Vgl. soeben unter § 5 A. IV. 4. a) aa). 215 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57 (Hervorhebung durch Verf.).
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aa) Auflösungsgrund des Art. 30 S. 2 SE-VO Art. 30 S. 2 SE-VO sieht vor, dass das Fehlen einer behördlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verschmelzung (vgl. Art. 25 f. SE-VO) ein Grund für die Auflösung der SE sein kann. Diese Prüfung umfasst nach Art. 26 Abs. 3 SE-VO auch, ob eine Beteiligungsvereinbarung im Sinne der SE-RL geschlossen wurde. Allerdings beschränkt sich der Prüfungsumfang darauf, ob die Anforderungen nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO i. V. m. der SE-RL formal eingehalten worden sind.216 Eine materielle Überprüfung der Beteiligungsvereinbarung oder der alternativen Eintragungsvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO im Hinblick auf einen „Missbrauch einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG findet nicht statt. Das folgt daraus, dass Art. 30 S. 2 SE-VO lediglich das „Fehlen“ einer Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verschmelzung als Auflösungsgrund deklariert. Ist eine Kontrolle durchgeführt worden und dabei ein Missbrauch der SE unerkannt geblieben, liegt kein „Fehlen einer Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verschmelzung“ vor. Wird der Missbrauch trotz der durchgeführten Kontrolle später aufgedeckt, liegt somit kein Grund zur Auflösung der SE nach Art. 30 S. 2 SE-VO vor. bb) A uflösungsgrund des § 262 Abs. 2 AktG i. V. m. § 43 S. 1 SEBG Da Art. 30 S. 2 SE-VO nur für die Verschmelzungsgründung gilt und, wie dem Wortlaut („kann einen Grund für die Auflösung darstellen“) zu entnehmen ist, der darin genannte Auflösungsgrund nicht abschließend ist,217 stellt sich die Frage, ob ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG ein selbständiger Grund zur Auflösung der SE ist. Hinsichtlich der Auflösung unterliegt die SE den Rechtsvorschriften des nationalen Aktienrechts des Sitzstaats der SE (vgl. Art. 63 SE-VO). Hat die SE ihren Sitz in Deutschland, gelten für ihre Auflösung §§ 262 ff. AktG entsprechend.218 Neben den in § 262 Abs. 1 Nr. 1–6 AktG aufgezählten Auflösungsgründen, die im Hinblick auf einen „Missbrauch einer SE“ nicht einschlägig sind, kommt eine Auflösung nur 216 ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 62; Forst Diss. 2010, S. 323; zustimmend Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 8c. 217 Nach Ludwig Diss. 2007, S. 53, wird durch die Norm ein eigener europäischer Auflösungsgrund nicht normiert. Die Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter dahingehend, dass ein im nationalen Recht bereits bestehender Auflösungsgrund der unrechtmäßigen Verschmelzung durch Art. 30 UAbs. 1 SE-VO (gemeint ist wohl aber Art. 30 S. 2 SE-VO) nicht ausgeschaltet werden, sondern weiter anzuwenden sein soll. 218 Vgl. Ludwig Diss. 2007, S. 74 ff.; Bachmann in: Spindler / Stilz-AktG § 262 AktG Rn 1.
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„aus anderen Gründen“ in Betracht (vgl. § 262 Abs. 2 AktG).219 Als ein solcher Grund könnte ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG in Betracht kommen. Eine Auflösung „aus anderen Gründen“ i. S. v. § 262 Abs. 2 AktG setzt jedoch eine als Auflösungstatbestand formulierte Norm (z. B. § 396 AktG, § 3 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VereinsG) voraus.220 Demgegenüber normiert § 43 S. 1 SEBG lediglich ein Verbot des „Missbrauchs einer SE“, ohne eine Auflösungsmöglichkeit vorzusehen oder anzuordnen. Ein Auflösungstatbestand lässt sich dem Wortlaut daher nicht entnehmen. cc) Kein selbständiger Auflösungsgrund Eine teleologische Auslegung des § 43 S. 1 SEBG ergibt, dass die Rechtsfolge der Auflösung dem Schutzzweck des § 43 S. 1 SEBG in Umsetzung von Art. 11 SE-RL widerspräche. Das Missbrauchsverbot bezweckt den Schutz von Beteiligungsrechten und verlangt, bei Gründung und Betreiben der SE die Beteiligungsrechte im Rahmen der Gewährleistungen durch die SE-RL zu wahren. Die Rechtsfolge eines Auflösungsgrunds stünde im Widerspruch zu Art. 11 SE-RL, wonach die Mitgliedstaaten zur Verhinderung eines Missbrauchs „geeignete Maßnahmen im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ treffen. Ein Auflösungsgrund wäre bereits keine „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL, denn eine Auflösung gewährleistete nicht den Schutz von Beteiligungsrechten in der SE, sondern führte in letzter Konsequenz dazu, dass die SE beendet würde und nicht mehr ihre Arbeitgeberfunktion wahrnehmen könnte. Art. 11 SE-RL und § 43 S. 1 SEBG geht es nicht darum, die durch die SE-VO eröffneten Möglichkeiten der Gründung von SE-Gesellschaften einzuschränken, indem die SE wegen eines Missbrauchs zum Nachteil von Beteiligungsrechten aufgelöst wird. Vielmehr bezwecken die Normen, gerade im Hinblick auf die Inanspruchnahme der gesellschaftsrechtlichen Optionen die Beteiligungsrechte im von der SE-RL vorgezeichneten Rahmen zu wahren. Die Auflösung der SE wegen eines Missbrauchs der Rechtsform wäre somit keine „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL. Darüber hinaus stünde eine Auflösung der SE nicht „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“, da eine Auflösung der SE wegen eines Missbrauchs gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstieße, da sie zur Wahrung der Beteiligungsrechte ungeeignet sowie nicht erforderlich und zudem unangemessen wäre.
219 Vgl. 220 Vgl.
Ludwig Diss. 2007, S. 75. näher Koch in: Hüffer-AktG § 262 AktG, Rn 24.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
dd) Zwischenergebnis: Kein Auflösungsgrund Mithin führt ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG nicht zur Auflösung der SE nach § 262 Abs. 2 AktG i. V. m. § 43 S. 1 SEBG. c) Ergebnis zu den gesellschaftsrechtlichen Rechtsfolgen Ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG ist weder ein Grund für die Nichtig erklärung noch für die Auflösung einer gegründeten SE. Eine Nichtigerklärung einer eingetragenen SE, die im Wege der Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) gegründet worden ist, wäre mit Art. 30 Abs. 1 SE-VO unvereinbar.221 In den anderen SE-Gründungsfällen (Art. 2 Abs. 2–4 SE-VO) scheitert eine Nichtigerklärung der SE wegen Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG daran, dass ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG nicht unter die in Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, § 275 Abs. 1 S. 1 AktG abschließend (vgl. § 275 Abs. 1 S. 2 AktG) aufgezählten Nichtigkeitsgründe zu subsumieren ist.222 Eine Auflösung der SE wegen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG ist zwar nicht bereits durch Art. 30 SE-VO ausgeschlossen.223 Dennoch scheitert eine Auflösung der SE, da § 43 S. 1 SEBG kein gesetzlicher Auflösungsgrund i. S. v. Art. 63 SE-VO, § 262 Abs. 2 AktG ist. § 43 S. 1 SEBG ist als Verbot, nicht als Auflösungsgrund formuliert.224 Jedenfalls stünde eine Auslegung des § 43 S. 1 SEBG dahin, dass dessen Rechtsfolge in der Auflösung der SE bestünde, nicht im Einklang mit Art. 11 SE-RL. Die Beendigung der SE ist schon keine „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL, da ein Erlöschen der SE deren Arbeitgeberfunktion beendet und nicht Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer wahrt. Darüber hinaus verstieße eine Beendigung der SE wegen eines Missbrauchs der SE zulasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer gegen den unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dessen Beachtung der Wortlaut des Art. 11 SE-RL („im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“) fordert.225 Mithin führt ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG auch nicht zur Auflösung der SE.
221 Vgl.
oben oben 223 Vgl. oben 224 Vgl. oben 225 Vgl. oben 222 Vgl.
unter unter unter unter unter
§ 5 § 5 § 5 § 5 § 5
A. A. A. A. A.
IV. IV. IV. IV. IV.
4. 4. 4. 4. 4.
a) a) a) b) b)
aa). bb). aa). bb). cc).
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5. Registerrechtliche Rechtsfolgen für die SE-Gesellschaft Im Hinblick auf potentielle registerrechtliche Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG ist zwischen den Möglichkeiten einer Löschung einer in das Handelsregister bereits eingetragenen SE (dazu unter a) und der Nichteintragung einer noch nicht in das Handelsregister eingetragenen SE (b) zu unterscheiden.226 a) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG kein Löschungsgrund Fraglich ist, ob bei einer bereits eingetragenen SE ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG ein Grund für eine Löschung der SE aus dem Handelsregister ist. Eine Löschung infolge Nichtigerklärung der SE (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, §§ 275, 277 Abs. 1 AktG) scheidet aus, da ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG keine Nichtigkeit der SE zur Folge hat.227 Ebensowenig kommt eine Löschung wegen Auflösung der SE (Art. 63 SE-VO, § 263 AktG) in Betracht, da ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG auch keinen Auflösungsgrund darstellt.228 Eine Löschung der SE könnte nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), Art. 12 Abs. 1 SE-VO i. V. m. § 395 FamFG229 von Amts wegen oder auf Antrag der berufsständischen Organe erfolgen, wenn die Eintragung im Handelsregister „wegen des Mangels einer wesentlichen Voraussetzung“ unzulässig ist. Bezogen auf die Eintragung der SE beschränkt sich die Prüfung des Registergerichts auf eine formale Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO.230 Das Registergericht könnte ein anhängiges Eintragungsverfahren allenfalls wegen eines beim Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits über das Vorliegen eines „Missbrauchs der SE“ aussetzen.231 Das Nichtvorliegen eines „Missbrauchs der SE“ ist daher keine „wesent 226 So auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198; vgl. auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4. 227 Vgl. oben unter § 5 A. IV. 4. a) cc). 228 Vgl. oben unter § 5 A. IV. 4. b) dd). 229 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) v. 17.12.2008 (BGBl. I S. 2586). In den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fallen Registersachen (§ 374 Nr. 1 FamFG) nach der Reform des FGG (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.5.1898 [RGBl. S. 771], BGBl. III / FNA 315-1, aufgehoben mit Wirkung vom 1.9.2009). 230 ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 62; Forst Diss. 2010, S. 323; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 8c. 231 Dazu sogleich unter § 5 A. IV. 5. b) bb).
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
liche Voraussetzung“ i. S. v. § 395 FamFG, die vom Registergericht für die Eintragung der SE in das Handelsregister eigenständig zu prüfen ist.232 Somit scheidet eine Löschung der SE wegen eines nach Eintragung der SE festgestellten Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG aus. b) Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG als Nichteintragungsgrund Nach verbreiteter Literaturauffassung kann das Registergericht die Eintragung einer noch nicht eingetragenen SE im Falle eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG ablehnen.233 Die Voraussetzungen für die Eintragung der SE sind gesetzlich geregelt: Das Registergericht prüft, ob alle Voraussetzungen für die Eintragung der SE vorliegen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO i. V. m. § 38 S. 1 AktG).234 Ist die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet und angemeldet, hat es die Eintragung abzulehnen (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO i. V. m. § 38 S. 2 AktG). aa) P rüfung der Eintragungsvoraussetzungen durch das Registergericht Zuständig für die Eintragung der SE ist gem. § 4 SEAG i. V. m. § 376 f. FamFG das Registergericht. Die Prüfung durch das Registergericht umfasst das Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO.235 Danach kann eine SE erst eingetragen werden, wenn eine Beteiligungsvereinbarung (Art. 4 SE-RL, § 21 SEBG) geschlossen worden ist, ein Nichtverhandlungs- / Abbruchbeschluss (Art. 3 Abs. 6 SE-RL, § 16 SEBG) gefasst worden ist oder die Verhandlungsfrist (Art. 5 SE-RL, § 20 SEBG) ohne Zustandekommen einer Beteiligungsvereinbarung abgelaufen ist. Ist eine Beteiligungsvereinbarung (Art. 4 SE-RL, § 21 SEBG) geschlossen worden, ist zwar streitig, ob diese im Hinblick auf die Eintragungsvoraussetzung des Art. 12 Abs. 2 Var. 1 SE-VO wirksam sein muss.236 Jeden232 Dazu
sogleich unter § 5 A. IV. 5. b) aa). in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 4; Forst Diss. 2010, S. 368; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 15. 234 Schwarz SE-Verordnung, Art. 12 SE-VO Rn 17. 235 Schwarz SE-Verordnung, Art. 12 SE-VO Rn 17, 19; vgl. auch ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 52. 236 Für eine Wirksamkeitsvoraussetzung Schwarz SE-Verordnung, Art. 12 SEVO Rn 20; Oetker BB-Special 1 / 2005, 2, 5; für eine Prüfung der Wirksamkeitsprü233 Oetker
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland259
falls ist das Registergericht nicht zuständig, im Rahmen seiner Prüfung der Eintragungsvoraussetzungen einen Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG selbständig zu prüfen. Die Prüfungstiefe des Registergerichts ist beschränkt: Das Registergericht unternimmt keine inhaltliche Prüfung, sondern prüft die Eintragungsvoraussetzungen nach rein formalen Kriterien.237 Demgegenüber ist für die – materiellen Kriterien unterliegende – Prüfung eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG allein das Arbeitsgericht im Beschlussverfahren (§ 80 Abs. 1 ArbGG) zuständig, da die Gerichte für Arbeitssachen nach § 2a Abs. 1 Nr. 3e ArbGG ausschließlich zuständig sind für Angelegenheiten aus dem SEBG – mit Ausnahme der §§ 45 und 46 SEBG und mit Einschränkungen bei §§ 34–39 SEBG. Das Registergericht ist somit nicht befugt, einen Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG auf Grundlage eigener Prüfung anzunehmen und mit dieser Begründung die Eintragung der SE abzulehnen. Vielmehr muss die Arbeitnehmerseite – etwa der Betriebsrat einer an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaft – das Arbeitsgericht anrufen, um einen Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG feststellen zu lassen. bb) Aussetzung des Eintragungsverfahrens durch das Registergericht Während eines beim Arbeitsgericht wegen der Feststellung eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG anhängigen Rechtsstreits kann das Registergericht nach § 21 FamFG die Eintragung der SE bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts aussetzen.238 Das dem Registergericht eingeräumte Ermessen für eine Aussetzung nach § 21 FamFG ist indes auf Null reduziert, wenn bei einem Arbeitsgericht ein Verfahren über einen „Missbrauch der SE“ anhängig ist. Hierfür spricht die Bedeutung der betroffenen Beteiligungsrechte für die Arbeitnehmer. Da vor Eintragung der SE diese noch nicht im Rechtsverkehr auftritt, ist den SE-Gründungsgesellschaften eine lediglich vorübergehende239 Verzögerung der Eintragung bis zur arbeitsgerichtlichen Klärung des Missbrauchsvorwurfs zumutbar. Für die Aussetzung ist insoweit ausreichend, dass das Arbeitsgericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (§ 85 Abs. 2 ArbGG) angerufen wurde. Zwar besteht nach dem Arbeitsgericht Stuttgart240 kein Anspruch auf Festfung durch das Registergericht nach rein formalen Kriterien ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 62; gegen eine Wirksamkeitsvoraussetzung auch Forst Diss. 2010, S. 398. 237 ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 62. 238 Für eine Aussetzungsmöglichkeit bis zur rechtskräftigen Klärung der Wirksamkeit einer Beteiligungsvereinbarung vgl. ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 52; vgl. auch Forst Diss. 2010, S. 412. 239 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 198. 240 ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 51 ff.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
stellung der Unwirksamkeit einer Beteiligungsvereinbarung im einstweiligen Rechtsschutz, da eine lediglich feststellende Verfügung sich mit dem Antragsziel in einem Hauptsacheverfahren deckte. Dem steht indes entgegen, dass sich die Antragsziele im einstweiligen Rechtsschutz und im Hauptsacheverfahren regelmäßig decken und der einstweilige Rechtsschutz die Hauptsache-Entscheidung lediglich nicht vorwegnehmen darf. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist indes nicht ersichtlich, wenn lediglich eine vorläufige Entscheidung hinsichtlich der Feststellung eines „Missbrauchs einer SE“ ergeht. Im Übrigen könnte die Arbeitnehmerseite effektiven Rechtsschutz (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) nicht auf andere Weise erreichen, da sie aufgrund der Bindungswirkung der Eintragung (vgl. § 395 Abs. 1 FamFG)241 befürchten müsste, dass die SE trotz eines möglichen Verstoßes gegen § 43 SEBG endgültig eingetragen würde. Selbst wenn noch kein Rechtsstreit beim Arbeitsgericht anhängig ist, kann das Registergericht das Eintragungsverfahren gem. §§ 381, 21 Abs. 1 FamFG aussetzen, wenn es die am Eintragungsverfahren beteiligte Arbeitnehmerseite unter Fristsetzung zur Klageerhebung bestimmt. Die Arbeitnehmerseite ist im Eintragungsverfahren beteiligt, indem die Arbeitnehmervertretungen und Sprecherausschüsse in den beteiligten Gesellschaften (§ 4 Abs. 2 S. 1 SEBG) oder im Falle des Nichtbestehens solcher Gremien die betroffenen Arbeitnehmer selbst (vgl. § 4 Abs. 2 S. 1 SEBG) nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG als durch die SE-Eintragung unmittelbar Betroffene hinzuzuziehen sind.242 cc) Ergebnis: Missbrauch als Nichteintragungsgrund Hat das Registergericht das Eintragungsverfahren wegen eines beim Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits über einen „Missbrauch der SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG ausgesetzt und ist durch arbeitsgerichtliche Entscheidung ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot festgestellt, ist das Registergericht an die Feststellung des Arbeitsgerichts gebunden. Das heißt, das Registergericht darf die SE – bei einstweiliger Verfügung des Arbeitsgerichts vorläufig, nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens endgültig – nicht eintragen.243 Da eine Löschung einer bereits eingetragenen SE nicht in Betracht kommt,244 hätte die Entscheidung des Registergerichts, die SE trotz des 241 Zum
fehlenden Löschungsgrund bereits oben unter § 5 A. IV. 5. a). Forst Diss. 2010, S. 412. 243 Bei Unwirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung nach ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 64, nur nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens. 244 Vgl. oben unter § 5 A. IV. 5. a). 242 Vgl.
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festgestellten Missbrauchs einzutragen, endgültigen Charakter. Da das Registergericht die Eintragungsvoraussetzungen (Art. 12 Abs. 2 SE-VO) aber nur nach formalen Kriterien zu prüfen hat, kann es sich nicht durch eine eigenständige Entscheidung für eine Eintragung der SE in Widerspruch setzen zu einer inhaltlichen Überprüfung durch das Arbeitsgericht, welches nach § 2a Abs. 1 Nr. 3e ArbGG zur Klärung der Frage eines Missbrauchs ausschließlich zuständig ist. Umgekehrt darf das Registergericht die Eintragung einer SE nicht mit Verweis auf einen Missbrauch nach § 43 SEBG ablehnen, wenn das Arbeitsgericht diesen verneint hat. c) Ergebnis zu den registerrechtlichen Rechtsfolgen Zusammenfassend folgt aus einem Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG im Hinblick auf die Eintragung der SE im Handelsregister: Eine Löschung einer bereits eingetragenen SE aus dem Handelsregister wegen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG scheidet aus. Eine Löschung wegen Nichtigerklärung der SE (Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO, §§ 275, 277 Abs. 1 AktG) ist ebenso wie eine Löschung wegen Auflösung der SE (Art. 63 SE-VO, § 263 AktG) auszuschließen, da ein „Missbrauch einer SE“ weder einen Nichtigkeits- noch einen Auflösungsgrund darstellt. Da ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG nicht die Eintragungsvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO berührt, liegt kein Mangel einer „wesentlichen Voraussetzung“ i. S. v. § 395 FamFG vor, der zu einer Löschung von Amts wegen nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii), Art. 12 Abs. 1 SE-VO i. V. m. § 395 FamFG berechtigte.245 Ist die SE noch nicht eingetragen, prüft das Registergericht lediglich, ob die Eintragungsvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO in formaler Hinsicht gegeben sind. Nur wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen, kann das Registergericht die Eintragung der SE nach Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SEVO i. V. m. § 38 S. 2 AktG ablehnen. Die Prüfung eines etwaigen Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG ist dem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren (§ 2a Abs. 1 Nr. 3e, § 80 Abs. 1 ArbGG) vorbehalten.246 Das Registergericht kann jedoch das Eintragungsverfahren gem. § 21 FamFG aussetzen, wenn bereits ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht anhängig ist. Das Ermessen des Registergerichts ist dabei wegen der Bedeutung der Beteiligungsrechte für die Arbeitnehmer und der im Verhältnis nur geringen kurzfristigen Belastung der Arbeitgeberseite regelmäßig auf Null reduziert. Ist noch kein Rechtsstreit über einen „Missbrauch der SE“ beim Arbeitsgericht anhängig, 245 Vgl. 246 Vgl.
oben unter § 5 A. IV. 5. a). oben unter § 5 A. IV. 5. b) aa).
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kann das Registergericht die Aussetzung nach § 381 i. V. m. § 21 FamFG beschließen und gleichzeitig die Arbeitnehmerseite unter Fristsetzung zur Klageerhebung bestimmen.247 Das Registergericht ist wegen der Zuständigkeit des Arbeitsgerichts (§ 2a Abs. 1 Nr. 3e ArbGG) an die arbeitsgericht liche Entscheidung gebunden: Ist ein Missbrauch durch das Arbeitsgericht festgestellt, darf das Registergericht die SE nicht eintragen. Hat das Arbeitsgericht einen Missbrauch verneint, darf das Registergericht die Eintragung nicht aufgrund der selbständigen Annahme eines Missbrauchs ablehnen.248 6. Zivilrechtliche Rechtsfolgen im Hinblick auf die Beteiligungsrechte Fraglich ist, welche zivilrechtlichen Rechtsfolgen ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG begründet.249 Zu untersuchen ist im Folgenden, ob die Verletzung des § 43 S. 1 SEBG ein Verstoß gegen ein „gesetzliches Verbot“ i. S. v. § 134 BGB ist und zur Nichtigkeit einer abgeschlossenen Beteiligungsvereinbarung führt [dazu sogleich unter a)] und welche Rechtsfolgen eine Umgehung der Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes auslöst [b)]. Des Weiteren ist zu prüfen, ob zivilrechtliche Schadensersatz- [c)] und Unterlassungsansprüche [d)] bestehen. Ferner ist zu untersuchen, in welchem Verhältnis § 43 S. 1 SEBG zu den allgemeinen Vorschriften über Treu und Glauben [§ 242 BGB, dazu unter e)] und Sittenwidrigkeit [§ 138 BGB, dazu unter f)] steht. a) Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG Eine Beteiligungsvereinbarung, die gegen § 43 S. 1 SEBG verstößt, könnte nach § 134 BGB nichtig sein.250 Dazu müsste erstens § 43 S. 1 SEBG ein „gesetzliches Verbot“ begründen [dazu sogleich unter aa)], zweitens müsste die Beteiligungsvereinbarung ein „Rechtsgeschäft“ im Sinne dieser Norm 247 Vgl.
oben unter § 5 A. IV. 5. b) bb). oben unter § 5 A. IV. 5. b) cc). 249 Vgl. auch Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 4. 250 Vgl. Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 259: […] mit der grundsätzlichen Folge der (partiellen) Unwirksamkeit der Maßnahme […]“; auch nach Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 2 soll Rechtsfolge „in der Regel“ die „Nichtigkeit der Maßnahme nach § 134 BGB“ sein; vgl. auch Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 43 SEBG Rn 4 („Denkbar […], soweit nicht gesellschaftsrechtliche Gründe dagegen sprechen.“). 248 Vgl.
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sein [bb)] und drittens müsste die Beteiligungsvereinbarung gegen § 43 S. 1 SEBG verstoßen [cc)]. Ferner dürfte sich „nicht aus dem Gesetz ein anderes“ (vgl. § 134 a. E. BGB) ergeben [dd)]. aa) § 43 S. 1 SEBG als „gesetzliches Verbot“ i. S. v. § 134 BGB Fraglich ist zunächst, ob § 43 S. 1 SEBG ein „gesetzliches Verbot“ i. S. v. § 134 BGB ist.251 Eine Verbotsnorm ist dadurch gekennzeichnet, dass das betreffende Gesetz den Inhalt oder die Vornahme eines Rechtsgeschäfts untersagt.252 Ist das Gesetz ausdrücklich so formuliert, dass ein bestimmtes Rechtsgeschäft „verboten“ ist, bedarf es in der Regel keiner weiteren Auslegung, ob es ein Verbotsgesetz i. S. v. § 134 BGB darstellt.253 § 43 S. 1 SEBG ist ausweislich der Überschrift als „Missbrauchsverbot“ konzipiert. Das ist ein Indiz für einen Charakter als Verbotsnorm i. S. v. § 134 BGB. Ferner deutet die Formulierung im Normtext – „darf nicht“ – auf ein Verbot hin.254 Jedoch setzt § 134 BGB voraus, dass das jeweilige Verbotsgesetz die privatrechtlichen Rechtsfolgen nicht als abschließende Sonderregelung selbst regelt.255 Aus dem Normtext „Eine SE darf nicht dazu missbraucht werden, […]“ lassen sich keine eigenständigen Rechtsfolgen ableiten, sodass § 43 S. 1 SEBG die zivilrechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen das Missbrauchsverbot selbst nicht und erst recht nicht abschließend regelt. Mithin ist ein Rückgriff auf die Rechtsfolge des § 134 BGB nicht durch den Wortlaut des § 43 S. 1 BGB ausgeschlossen. § 43 S. 1 SEBG ist daher als „gesetzliches Verbot“ i. S. v. § 134 BGB einzuordnen.256 bb) Beteiligungsvereinbarung als „Rechtsgeschäft“ i. S. v. § 134 BGB Dem Wortlaut nach setzt § 134 BGB ein „Rechtsgeschäft“ voraus.257 Ein Rechtsgeschäft ist ein Tatbestand, der aus mindestens einer Willenserklä251 Vgl. Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 8 („zu erwägen“); Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4 („zumindest zweifelhaft“). 252 Sack / Seibl in: Staudinger-BGB § 134 Rn 30. 253 Sack / Seibl in: Staudinger-BGB § 134 Rn 31. 254 Wendtland in: Bamberger / Roth BGB § 134 Rn 9. 255 Armbrüster in: MüKo-BGB § 134 BGB Rn 1, 3. 256 I. E. auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 15. 257 Unklar insoweit Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 259: […] mit der grundsätzlichen Folge der (partiellen) Unwirksamkeit der Maßnahme […]“ [Hervorhebung durch Verf.]; ebenso Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 8, wonach die Rechtsfolge des Missbrauchs einer SE „in der Regel“ die „Nichtigkeit der Maßnahme nach § 134 BGB“ [Hervorhebung durch Verf.] sei.
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rung und weiteren Elementen besteht und an den die Rechtsordnung den Eintritt eines gewollten rechtlichen Erfolgs knüpft.258 Auch gesellschaftsrechtliche Satzungen und Beschlüsse werden von § 134 BGB erfasst.259 Tarifverträge – jedenfalls deren schuldrechtlicher Teil – sind ebenfalls Rechtsgeschäfte im Sinne der Norm.260 Das gilt auch für Betriebsvereinbarungen.261 Die Beteiligungsvereinbarung (§ 21 SEBG) ist nach herrschender Auffassung ein privatrechtlicher „Kollektivvertrag sui generis mit normativer Wirkung“262. Der Abschluss erfolgt durch die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen des bVG einerseits und der Arbeitgeberseite andererseits. Die Beteiligungsvereinbarung enthält jedenfalls die in § 21 Abs. 1–3, 6 SEBG bestimmten Regelungsinhalte und löst damit gewollte Rechtsfolgen aus. Mithin erfüllt die SE-Beteiligungsvereinbarung die Merkmale eines „Rechtsgeschäfts“ i. S. v. § 134 BGB. cc) Verstoß der Beteiligungsvereinbarung gegen § 43 S. 1 SEBG Die Rechtsfolge der Nichtigkeit nach § 134 BGB setzt weiter einen Verstoß des betreffenden Rechtsgeschäfts gegen die als gesetzliches Verbot charakterisierte Norm voraus. Eine Beteiligungsvereinbarung verletzt das Missbrauchsverbot des § 43 S. 1 SEBG zum Beispiel in folgender Konstellation:263 Die Arbeitgeberseite unterbreitet dem bVG im Verhandlungsverfahren eine Beteiligungsvereinbarung, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG zur Folge hätte. Zur Billigung dieser Vereinbarung wäre an sich ein bVG-Beschluss mit besonders qualifizierter Mehrheit nach § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG erforderlich, wenn zusätzlich die Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG erreicht sind. Umgeht die Arbeitgeberseite die Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG und billigt das bVG die mitbestimmungsmindernde Beteiligungsvereinbarung infolge der Umgehung des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG mit der „doppel 258 Brox / Walker
BGB AT Rn 96. in: MüKo-BGB § 134 BGB Rn 23 m. w. N.; vgl. auch Sack / Seibl in: Staudinger-BGB § 134 Rn 11. 260 Für eine Anwendbarkeit des § 134 BGB auch auf den normativen Teil Sack / Seibl in: Staudinger-BGB § 134 Rn 12 m. w. N. 261 Armbrüster in: MüKo-BGB § 134 BGB Rn 29; Sack / Seibl in: StaudingerBGB § 134 Rn 12. 262 Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 6 m. w. N. 263 Zu weiteren Sachverhaltskonstellationen, in denen Regelungen in einer Beteiligungsvereinbarung einen Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründen, noch unter § 8 D. 259 Armbrüster
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland265
ten“264 Mehrheit nach § 15 Abs. 2 S. 1 SEBG statt mit der „qualifizierten“265 Mehrheit nach § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG, verstößt die unter diesen Umständen abgeschlossene Beteiligungsvereinbarung gegen das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG. dd) V ereinbarkeit der Rechtsfolge der Nichtigkeit mit dem Normzweck des § 43 S. 1 SEBG Die Rechtsfolge der Nichtigkeit tritt nach § 134 a. E. BGB nur ein, „wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt“. Demnach ist zu prüfen, ob § 43 S. 1 SEBG nach seinem Sinn und Zweck eine andere Sanktion als die der Nichtigkeit erfordert [dazu unter (2)]. Dazu ist zunächst unter (1) zu untersuchen, worin mögliche Folgen der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung bestehen könnten. (1) D enkbare Folgen bei Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG Als mögliche Rechtsfolgen bei Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG sind zwei Alternativen denkbar: Zum einen könnte das Verhandlungsverfahren neu aufzunehmen sein [(a)].266 Zum anderen könnte sogleich die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) anwendbar sein [(b)].267 (a) W iederaufnahme des Verhandlungsverfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG analog Nach Jacobs soll bei Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung das Verhandlungsverfahren „entsprechend der Zielsetzung des SEBG (§ 1)“268 wiederaufgenommen werden. Erst wenn der Abschluss einer Beteiligungs264 Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 3; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 6 („doppelt absolute Mehrheit“). 265 Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 6; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 10 („dreifach qualifizierte Mehrheit“). 266 Dafür allgemein im Falle der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 8c. 267 Für eine Anwendbarkeit der gesetzlichen Auffangregelung analog § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG (nur) bei Scheitern des Abschlusses einer Beteiligungsvereinbarung nach Wiederaufnahme der Verhandlungen infolge Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung: Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 8c. 268 Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 8c.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
vereinbarung scheitere, sei analog § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG die gesetzliche Auffangregelung anzuwenden. Indes lässt sich eine Wiederaufnahme von Verhandlungen nicht allein mit der in § 1 SEBG normierten Zielsetzung des SEBG begründen, da der deutsche Gesetzgeber mit § 18 SEBG eine eigenständige Norm erlassen hat, welche die „Wiederaufnahme der Verhandlungen“ regelt. Die Unwirksamkeit einer Beteiligungsvereinbarung lässt sich jedoch unter keinen der in § 18 Abs. 1 SEBG (Wiederaufnahme nach Antrag der Arbeitnehmer frühestens zwei Jahre nach SE-Gründung) oder § 18 Abs. 3 SEBG (Wiederaufnahme bei geplanten strukturellen Änderungen der SE) normierten Tatbestände subsumieren.269 Für eine analoge Anwendung des § 18 SEBG müssten eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage vorliegen. Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht, dass der Gesetzgeber eine bewusste Unterscheidung getroffen hat zwischen Fällen, in denen eine wirksame Beteiligungsvereinbarung neu auszuhandeln ist (§ 18 Abs. 1, Abs. 3 SEBG) und solchen, in denen eine Beteiligungsvereinbarung gegen das Missbrauchsverbot der SE nach § 43 S. 1 SEBG verstößt. Mit dieser Unterscheidung – Neuverhandlung (§ 18 Abs. 1, 3 SEBG) und Missbrauch (§ 43 S. 1 SEBG) – macht der Gesetzgeber deutlich, dass er an die jeweiligen Tatbestände unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfen wollte, wenngleich er die des § 43 S. 1 SEBG nicht näher ausgestaltet hat. Für dieses Verständnis der unterschiedlichen Rechtsfolgen spricht insbesondere die Systematik des § 43 S. 2 SEBG, wonach bei Verletzung der Neuverhandlungspflicht nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE deren Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vermutet wird. Der Gesetzgeber geht somit davon aus, dass sich die Rechtsfolge einer Verletzung der Neuverhandlungspflicht nach § 18 Abs. 3 SEBG außerhalb der Ein-Jahres-Frist nach der SE-Gründung einerseits und die Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG andererseits nicht decken. Demnach liegt keine planwidrige Regelungslücke vor, die eine analoge Anwendung des § 18 SEBG rechtfertigen könnte. Darüber hinaus fehlt eine vergleichbare Interessenlage. § 18 Abs. 3 SEBG verpflichtet die Arbeitgeberseite zur Wiederaufnahme von Verhandlungen, wenn die Arbeitgeberseite „strukturelle Änderungen“ der SE plant, die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. Strukturelle Änderungen der SE sind demnach – vorbehaltlich der Einhaltung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG – grundsätzlich erlaubt. Demgegenüber ist ein „Missbrauch der SE“ nach § 43 S. 1 SEBG stets verboten. Eine bloße Pflicht zur Neuverhandlung als Folge der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung entspräche nicht dem Zweck des § 43 S. 1 SEBG, einen „Miss269 So
auch Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 8c.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland267
brauch der SE“ effektiv zu verhindern.270 Die einen „Missbrauch der SE“ begehende Arbeitgeberseite müsste regelmäßig nur das Risiko in Kauf nehmen, dass die abgeschlossene und nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG nichtige Beteiligungsvereinbarung neu auszuhandeln ist. Mithin liegt auch keine vergleichbare Interessenlage vor. Eine analoge Anwendung des § 18 SEBG im Falle der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG scheidet somit aus. Die Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG löst nicht die Rechtsfolge der Wiederaufnahme der Verhandlungen aus. (b) Beteiligung kraft Gesetzes gem. §§ 22, 34 ff. SEBG Denkbar ist, als Rechtsfolge der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22, 34 ff. SEBG) anzuwenden. Der Umfang der Mitbestimmung kraft Gesetzes würde sich gem. § 35 Abs. 2 S. 2 SEBG – bei SE-Gründung durch Verschmelzung, als Holding-SE oder als TochterSE – nach dem höchsten Anteil an Arbeitnehmervertretern bemessen, der in den Organen der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bestanden hat. Davon abweichend würde im Fall der SE-Gründung durch Umwandlung sogar die Regelung zur Mitbestimmung erhalten bleiben, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat. Diese Folgen hätten den zusätzlichen Nebeneffekt einer erheblichen Abschreckungswirkung zur Verhinderung von Missbräuchen der SE. Das entspräche dem augenscheinlichen Willen des Gesetzgebers, einen „Missbrauch der SE“ mit stärkeren Rechtsfolgen zu belegen als mit der in § 18 Abs. 3 SEBG ausdrücklich angeordneten Rechtsfolge der Wiederaufnahme von Verhandlungen. Einer Anwendbarkeit der Beteiligung kraft Gesetzes infolge der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG könnte entgegenstehen, dass die Voraussetzungen der Beteiligung kraft Gesetzes abschließend in §§ 22, 34 SEBG geregelt sind. Indes könnte der Fall einer abgeschlossenen, aber wegen Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG 270 Für Art. 11 SE-RL in diese Richtung auch Rehberg ZGR 2005, 859, 877: „Ökonomisch formuliert verlangt eine effektive Missbrauchsbekämpfung („geeignete Maßnahmen“), dass die Missachtung des Rechts (Missbrauch) für den Missbrauchenden kostspieliger ist als dessen Achtung (Durchführung von Verhandlungen).“ Indes will Rehberg damit die von ihm befürwortete Rechtsfolge der „(Neu-)Verhandlungspflichten“ rechtfertigen, während diese Rechtsfolge nach hiesiger Auffassung zu mild ist, sondern i. E. die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes anzuwenden sind.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
nichtigen Beteiligungsvereinbarung unter § 22 Abs. 1 Nr. 2, § 34 Abs. 1 SEBG zu subsumieren sein. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG sind die Regelungen der §§ 23–33 SEBG über den SE-Betriebsrat kraft Gesetzes ab dem Zeitpunkt der Eintragung der SE anzuwenden, wenn bis zum Ende des Verhandlungszeitraums (§ 20 SEBG) „keine Vereinbarung zustande gekommen ist“. Zwar spricht der Wortlaut vom fehlenden Zustandekommen einer Beteiligungsvereinbarung innerhalb der Verhandlungsfrist und stellt gerade nicht auf die Wirksamkeit einer zustande gekommenen Beteiligungsvereinbarung ab. Allerdings führte eine Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG nicht nur zu ihrer Unwirksamkeit, sondern die Existenz der Beteiligungsvereinbarung an sich würde ex tunc vernichtet. Damit würde es an einer innerhalb der Verhandlungsfrist zustande gekommenen Beteiligungsvereinbarung mangeln. Demzufolge läge bei ex-tunc-Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung keine bis zum Ende der Verhandlungsfrist zustande gekommene Beteiligungsvereinbarung vor. Da das bVG ursprünglich der nunmehr nichtigen Beteiligungsvereinbarung zugestimmt hätte, könnte es auch keinen Beschluss nach § 16 SEBG gefasst haben, sodass die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG gegeben wären. Daraus folgt erstens, dass die Regelungen über den Betriebsrat kraft Gesetzes (§§ 23–33 SEBG) anwendbar wären. Zweitens knüpft auch die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 35–38 SEBG) an die Voraussetzungen des § 22 SEBG an und fordert für die Anwendung der Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 35–38 SEBG), dass zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 22 SEBG die „besonderen Voraussetzungen“ nach § 34 Abs. 1 Nr. 1–3 SEBG vorliegen. Die Voraussetzungen nach § 34 Abs. 1 Nr. 1–3 SEBG und § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG decken sich. Besteht der Verstoß der Beteiligungsvereinbarung gegen § 43 S. 1 SEBG darin, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 SEBG umgangen worden sind, werden mithin regelmäßig auch die „besonderen Voraussetzungen“ nach § 34 Abs. 1 Nr. 1–3 SEBG erfüllt sein. In diesem Fall wären daher die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 35–38 SEBG) anzuwenden. Dieses Ergebnis hätte in der Praxis zur Folge, dass im Gegensatz zu einer Wiederaufnahme von Verhandlungen, welche nach § 20 SEBG sechs Monate andauern können, sofort bei Nichtigerklärung der Beteiligungsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG eine Lösung für die Regelung der Beteiligungsrechte in der SE bereitstünde. Die Anwendung der Beteiligung kraft Gesetzes verhinderte einen mit Rechtsunsicherheiten belasteten Schwebezustand zwischen der Feststellung der Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung und dem Abschluss einer neuen Beteiligungsvereinbarung nach einem erneuten Verhandlungsverfahren.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland269
Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass die Arbeitnehmer durch eine sofortige Anwendbarkeit der Beteiligung kraft Gesetzes übervorteilt würden, denn die Arbeitgeberseite hätte etwa eine Mitbestimmungsminderung im Vereinbarungswege ohne eine Umgehung von § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG nur mit einem qualifizierten Zustimmungsbeschluss des bVG durchsetzen können. Stattdessen hätte das bVG aufgrund des Gleichlaufs der Voraussetzungen von § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG und § 34 Abs. 1 Nr. 1–3 SEBG bei den Verhandlungen die Mitbestimmung kraft Gesetzes als Druckmittel gehabt und mit dessen Anwendbarkeit im Falle einer Nichteinigung über eine Beteiligungsvereinbarung drohen können. Im Ergebnis bekämen die Arbeitnehmer bei Anwendbarkeit der Beteiligung kraft Gesetzes nicht mehr als das, was sie im Wege einer Beteiligungsvereinbarung gegenüber der Arbeitgeberseite ohnehin hätten durchsetzen können. (c) Z wischenergebnis: Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22, 34 ff. SEBG) Die Folge der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB im Falle eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG bestünde in der Unwirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung. Das führte dazu, dass die Voraussetzung des § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG erfüllt und die Regelungen über den SE-Betriebsrat kraft Gesetzes (§§ 23–33 SEBG) sofort anwendbar wären. Aufgrund der Anknüpfung des § 34 Abs. 1 SEBG an das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 22 SEBG und des Gleichlaufs der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1–3 SEBG mit § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG, wäre im Falle eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG in Form einer Umgehung des § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG beim Abschluss der Beteiligungsvereinbarung auch die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) anwendbar. (2) A uslegung des § 43 S. 1 SEBG im Hinblick auf die Vereinbarkeit der Rechtsfolge der Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung mit dem Zweck der Verbotsnorm Fraglich ist, ob der vorstehend entwickelte Inhalt der Folge der Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG dem Zweck des § 43 S. 1 SEBG entspricht. Das ist im Wege der Auslegung des § 43 S. 1 SEBG zu ermitteln.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
(a) S ystematische Auslegung: Strafrechtliche Sanktion des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG Ob ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz eine Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge hat, soll unter anderem davon abhängig sein, ob sonstige für den Fall eines Verstoßes vorgesehene Sanktionen nicht ausreichen, um den Schutzzweck der Verbotsnorm zu erreichen.271 Einer zusätzlichen Nichtigkeitssanktion durch § 134 BGB bedarf es in systematischer Hinsicht nicht, wenn verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Maßnahmen dem Schutzzweck des § 43 S. 1 SEBG genügen.272 Der deutsche Gesetzgeber hat den Verstoß gegen das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG unter Strafe gestellt. Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer entgegen § 43 S. 1 SEBG eine SE dazu missbraucht, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.273 Mit der Strafandrohung bezweckt der deutsche Gesetzgeber eine Präventionswirkung.274 Auch wenn der Strafandrohung in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG eine vorbeugende Abschreckungsfunktion zukommt: Ist es einmal zu einem strafbewehrten Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG gekommen, kompensiert die Strafnorm das zum Nachteil der Arbeitnehmer eingetretene Defizit an Beteiligungsrechten nicht. Daher ist die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB, die zur Anwendbarkeit der Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22, 34 ff. SEBG) führt, unter systematischen Gesichtspunkten zur Erfüllung des Schutzzwecks des § 43 S. 1 SEBG erforderlich. (b) Teleologische Auslegung Bei der Ermittlung, ob die Nichtigkeitsfolge mit dem Zweck einer Verbotsnorm vereinbar ist, wird als Beurteilungskriterium herangezogen, ob das Verbotsgesetz sich gegen den Inhalt oder lediglich gegen das Zustandekommen eines Rechtsgeschäfts richtet: Wenn das Verbotsgesetz den „Inhalt“ eines Rechtsgeschäfts oder den „Leistungserfolg“ zum Schutz berechtigter Interessen Dritter oder der Allgemeinheit untersagt (Inhaltsnorm), soll regelmäßig die Rechtsfolge der Nichtigkeit eintreten.275 Demgegenüber wird 271 Sack / Seibl
in: Staudinger-BGB § 134 Rn 79 m. w. N. allgemein für § 134 BGB: Sack / Seibl in: Staudinger-BGB § 134 Rn 79. 273 Zu § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG noch eingehend unter § 5 C. 274 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 275 Sack / Seibl in: Staudinger-BGB § 134 Rn 68 m. w. N. 272 Vgl.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland271
eine Nichtigkeit verneint, wenn das Verbotsgesetz lediglich die Art und Weise des Zustandekommens des Rechtsgeschäfts verbietet (Abschluss norm).276 Das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG bezweckt, Beteiligungsrechte schützende Normen des SEBG gegen eine Umgehung oder Erschleichung ihrer Rechtsfolgen abzusichern. § 43 S. 1 SEBG gewährt jedoch nur Schutz, wenn ein tatbestandsmäßiger Erfolg in Form eines Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten vorliegt. Die Verbotsnorm des § 43 S. 1 SEBG bezweckt somit, ein tatsächliches Defizit an Beteiligungsrechten zu verhindern. Daher ist § 43 S. 1 SEBG als Inhaltsnorm einzustufen, was für eine Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB streitet. Als weiteres Kriterium zur Ermittlung der Vereinbarkeit der Nichtigkeitsfolge mit dem Zweck der Verbotsnorm wird der Normadressat herangezogen: Richtet sich das Verbot an beide Vertragspartner, soll ein gegen die Verbotsnorm verstoßendes Rechtsgeschäft in der Regel nichtig sein,277 da keiner der Vertragspartner schutzwürdig ist. Wenn demgegenüber das Verbot nur an einen der Vertragspartner adressiert ist, soll das verbotswidrige Rechtsgeschäft in der Regel nicht nichtig sein,278 um den anderen, durch den Verstoß belasteten Vertragspartner zu schützen. Das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG verpflichtet allein die Arbeitgeberseite.279 Es dient dem Schutz der Arbeitnehmer. Führte eine Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung dazu, dass den Arbeitnehmern überhaupt keine Beteiligungsrechte – auch nicht zumindest in der (nichtigen) Beteiligungsvereinbarung geregelte Beteiligungsrechte – zustehen, spricht dies gegen die Rechtsfolge der Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung bei einem Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG. Da jedoch die Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB zur Anwendbarkeit der Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22, 34 SEBG) führt, entspricht die Nichtigkeitsfolge der Schutzrichtung des § 43 S. 1 SEBG zugunsten der Arbeitnehmer. ee) Ergebnis zur Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung Im Ergebnis ist eine Beteiligungsvereinbarung, die gegen das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG verstößt, nach § 134 BGB nichtig.280 Beispiel hierfür ist der Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung 276 Sack / Seibl
in: Staudinger-BGB § 134 Rn 69 m. w. N. in: Staudinger-BGB § 134 Rn 71. 278 Vgl. Sack / Seibl in: Staudinger-BGB § 134 Rn 73. 279 Vgl. oben unter § 5 A. II. 3. 280 Vgl. auch Forst Diss. 2010, S. 368, wonach ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot zur Unwirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung führen kann. 277 Sack / Seibl
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
unter Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG. Im Falle der Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG sind statt der unwirksamen Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22, 34 SEBG) anwendbar. Daher ist erstens ein SE-Betriebsrat zu bilden (§ 22 SEBG). Zweitens sind – vorbehaltlich des Vorliegens der besonderen Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SEBG, was im Fall einer Umgehung des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG zu bejahen ist, – die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§ 35 ff. SEBG) anzuwenden. b) Insbesondere: Rechtsfolgen bei Umgehung der Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) Ist das Verhandlungsverfahren weder durch den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung281 noch durch einen Nichtverhandlungs- / Abbruchbeschluss gem. § 16 SEBG beendet worden, sind an sich gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG die Regelungen über den SE-Betriebsrat kraft Gesetzes (§§ 23–33 SEBG) und darüber hinaus bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 35–38 SEBG) anzuwenden. Hat die Arbeitgeberseite die Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG umgangen und sind daher die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes nicht anwendbar, scheidet die Rechtsfolge der Nichtigkeit (§ 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG) einer Beteiligungsvereinbarung aus: Wenn keine Beteiligungsvereinbarung zustande kommt, fehlt ein „Rechtsgeschäft“, welches nach § 134 BGB nichtig sein könnte. Im Folgenden ist daher zu prüfen, welche Rechtsfolge der Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG in Form einer missbräuchlichen Umgehung der Mitbestimmung kraft Gesetzes (§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG) stattdessen auslöst. aa) Unmittelbare Anwendbarkeit des § 134 BGB? Nagel geht allgemein für § 43 S. 1 SEBG davon aus, dass „in der Regel […] die Rechtsfolge die Nichtigkeit der Maßnahme nach § 134 BGB“282 ist. Gegen eine direkte Anwendung des § 134 BGB auf rein tatsächliche „Maßnahmen“ spricht indes der Wortlaut, der ein Rechtsgeschäft voraussetzt. 281 Zu den Rechtsfolgen einer gegen § 43 S. 1 SEBG verstoßenden Beteiligungsvereinbarung vgl. soeben unter § 5 A. IV. 6. a). 282 Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 8 (Hervorhebung durch Verf.).
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland273
Tatsächliche Maßnahmen und andere Rechtshandlungen als „Rechtsgeschäfte“ werden vom Wortlaut des § 134 BGB nicht erfasst.283 Im Falle einer Umgehung des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG scheidet somit eine Nichtigkeit der die Umgehung begründenden Maßnahme in unmittelbarer Anwendung des § 134 BGB aus. bb) Analoge Anwendbarkeit des § 134 BGB? In Betracht kommt, § 134 BGB analog auf die Umgehungsmaßnahme anzuwenden. Eine analoge Anwendung des § 134 BGB auf „Maßnahmen“ setzte eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage voraus. Eine planwidrige Regelungslücke fehlt jedoch, wenn für den Umgang mit einer Gesetzesumgehung bereits andere Grundsätze gelten. Soweit keine speziellen Regelungen eingreifen, soll eine Gesetzesumgehung im Rahmen des § 134 BGB durch eine extensive Auslegung oder durch eine analoge Anwendung der umgangenen Rechtsnorm zu lösen sein.284 Eine extensive Auslegung des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG im Falle einer Umgehung ist ausgeschlossen, da die Norm auf bestimmte Schwellenwerte abstellt. Diese sind nicht auslegungsfähig. Mithin bedarf es zur Auflösung der Gesetzesumgehungssituation der analogen Anwendung der umgangenen Normen.285 Die umgangenen Vorschriften, die bei einer Gesetzesumgehung anzuwenden sein sollen, sind nach Rehberg „regelmäßig [die Regelungen über] das Verhandlungsverfahren (einschließlich der Auffanglösung)“286. Auch nach Henssler287 soll es bei Anwendung der umgangenen Norm „regelmäßig […] zu Neu- bzw. Wiederverhandlungen“ kommen. Eine (Wieder-)Aufnahme des Verhandlungsverfahrens käme jedoch nur im Falle einer Umgehung der Regelungen über das Verhandlungsverfahren (§§ 11 ff. SEBG) in Betracht. Indes ist eine von § 43 S. 1 SEBG erfasste Umgehung des Verhandlungsverfahrens (§§ 11 ff. SEBG) ausgeschlossen. Die Einleitung des Verhandlungsverfahrens gem. § 11 SEBG ist zwingendes Recht, das nicht von besonderen Voraussetzungen abhängig ist. Unterlässt die Arbeitgeberseite die Einleitung des Verhandlungsverfahrens, liegt ein Verstoß gegen eine Pflicht aus dem SEBG vor, jedoch keine Umgehung des 283 Armbrüster
in: MüKo-BGB § 134 BGB Rn 23. in: Staudinger-BGB § 242 Rn 398 m. w. N. 285 Vgl. i. E. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 877 (für Art. 11 SE-RL); ferner Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 660, wonach „in einer Missbrauchssituation […] diejenigen Bestimmungen anwendbar [sind], die umgangen werden sollen.“. 286 Zum Folgenden Rehberg ZGR 2005, 859, 877 (für Art. 11 SE-RL). 287 Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 14. 284 Looschelders / Olzen
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Verhandlungsverfahrens. Eine bloße Pflichtverletzung ist jedoch nicht vom „Missbrauch einer SE“ erfasst.288 § 43 S. 1 SEBG umfasst jedoch eine Umgehung der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG. In diesem Fall sind genau diese umgangenen Vorschriften analog anzuwenden.289 cc) E rgebnis zu den Rechtsfolgen bei Umgehung der Beteiligung kraft Gesetzes Im Ergebnis sind im Fall einer Umgehung der Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22 ff., 34 SEBG) die umgangenen Normen analog anzuwenden. c) Schadensersatzansprüche Fraglich ist, ob ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG Schadensersatzansprüche der betroffenen Arbeitnehmer gegen die beteiligten Gesellschaften, soweit noch vorhanden, oder gegen die SE begründet.290 Als mögliche Anspruchsgrundlagen für Schadensersatzansprüche kommen grundsätzlich in Betracht: § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. Beteiligungsvereinbarung (§ 21 SEBG); § 280 Abs. 1 i. V. m. §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo, c.i.c.); § 823 Abs. 2 BGB291 i. V. m. § 43 S. 1 SEBG.
288 Vgl. für Art. 11 SE-RL zur Erforderlichkeit der Abgrenzung zur „Nichteinhaltung der Richtlinie“ nach Art. 12 SE-RL oben unter § 3 C. III. 2. c) bb). 289 So i. E. auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 14; für Art. 11 SE-RL spricht sich Rehberg ZGR 2005, 859, 877 zwar für eine „Gleichstellungslösung“ – d. h. Anwendung umgangener Normen und Nichtanwendung erschlichener Normen – aus, aber regelmäßig seien die Normen über das Verhandlungsverfahren (Art. 3–7 SE-RL) anzuwenden; vgl. auch Forst Diss. 2010, S. 149 Fn 696 (für eine Anwendung der erschlichenen Norm bei einer Normerschleichung). 290 Gegen jegliche Art von Schadensersatzansprüchen wohl Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 2, wonach sich der Gesetzgeber „gegen stärkere Sanktionen (z. B. Schadensersatzpflichten oder Ähnliches) entschieden“ habe; ferner Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 16, da fraglich sei, ob die Norm dem Schutz individueller Vermögensinteressen dient. 291 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 43 SEBG Rn 4; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 9; Kleinmann / Kujath in: Manz / Mayer / Schröder § 43 SEBG Rn 4; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 16.
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aa) Ersatzfähiger Schaden? Indes müsste überhaupt ein ersatzfähiger Schaden i. S. v. § 249 BGB vorliegen. Ein Schaden durch einen Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG entsteht für die Arbeitnehmer, wenn kausal durch diese Pflichtverletzung eine Einbuße an Beteiligungsrechten, die dem Schutz des § 43 S. 1 SEBG unterfallen, hervorgerufen wird. Dazu sind nach dem Grundsatz der Differenzhypothese die Beteiligungsrechte nach der Pflichtverletzung mit den Beteiligungsrechten ohne die Pflichtverletzung zu vergleichen.292 Lässt sich insoweit eine Differenz feststellen, liegt ein ersatzfähiger Schaden vor. In diesem Fall ist der Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde (vgl. § 249 BGB). (1) Umgehung von § 15 Abs. 3 SEBG Ob bei einer Umgehung von § 15 Abs. 3 SEBG ein ersatzfähiger Schaden entsteht, hängt davon ab, ob eine Beteiligungsvereinbarung zustande gekommen ist oder nicht. Ist eine Beteiligungsvereinbarung abgeschlossen worden und hat die Arbeitgeberseite dabei § 15 Abs. 3 SEBG umgangen, ist diese Beteiligungsvereinbarung gem. § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG unwirksam und es sind die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes anzuwenden.293 In diesem Fall besteht somit keine Differenz zwischen den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer in den beteiligten Gesellschaften und in der SE, da der Umfang der Beteiligung kraft Gesetzes in der SE sich nach dem Umfang in den beteiligten Gesellschaften richtet (vgl. § 35 SEBG). Daher fehlt ein ersatzfähiger Schaden. Ist nach einer vorvertraglichen Pflichtverletzung keine Beteiligungsvereinbarung zustande gekommen und hat das bVG keinen Beschluss nach § 16 SEBG gefasst, ist es aufgrund des Gleichlaufs der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 SEBG und des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG wahrscheinlich, dass bei einer Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG gleichzeitig eine Umgehung der § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG vorliegt und daher die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes vermeintlich nicht anwendbar sind. Ob in dieser Situation, dass neben § 15 Abs. 3 SEBG auch § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG umgangen wird, ein ersatzfähiger Schaden vorliegt, ist genauso zu beurteilen, wie bei einer isolierten Umgehung des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG, die im Folgenden untersucht wird.
292 Vgl. 293 Vgl.
näher zur „Differenzhypothese“ Oetker in: MüKo-BGB § 249 Rn 16 ff. oben unter § 5 A. IV. 6. a) ee).
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
(2) Umgehung von § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG Wird im Hinblick auf die für einen Schadensersatzanspruch erforderliche Pflichtverletzung an eine Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG angeknüpft, können die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 35–38 SEBG) nicht greifen. Ohne eine Umgehung bei einem Scheitern der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung wäre die Mitbestimmung kraft Gesetzes anzuwenden. Daher könnte ein Schaden der Arbeitnehmer in der mangelnden Anwendbarkeit der Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes liegen. Da jedoch bei einer Umgehung des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG wegen Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG die primäre Rechtsfolge in der analogen Anwendung der umgangenen Norm besteht,294 sind die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes bereits nach § 43 S. 1 SEBG anzuwenden. Da das Problem der Umgehung somit bereits auf der Primärebene im Rahmen der Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG gelöst wird, liegt kein weitergehender ersatzfähiger Schaden der Arbeitnehmer vor. bb) Ergebnis zu Schadensersatzansprüchen Im Ergebnis fehlt ein ersatzfähiger Schaden, da bei einem Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG bereits als Primärrechtsfolge die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes anzuwenden sind: Ist eine Beteiligungsvereinbarung – etwa wegen einer Umgehung von § 15 Abs. 3 SEBG – nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG nichtig, sind §§ 22, 34 SEBG anzuwenden. Bei einer gegen § 43 S. 1 SEBG verstoßenden Umgehung von § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG sind diese umgangenen Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes anzuwenden. d) Selbständiger Unterlassungsanspruch aus § 43 S. 1 SEBG Fraglich ist, ob die Arbeitnehmerseite Ansprüche gegen die Arbeitge berseite auf Unterlassung eines „Missbrauchs der SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG hat, welche dem präventiven Schutz ihrer Beteiligungsrechte dienen könnten.295 294 Vgl.
oben unter § 5 A. IV. 6. b). allgemein zum Zweck von Unterlassungsansprüchen Bachmann in: MüKo-HGB § 241 BGB Rn 25; vgl. auch Olzen in: Staudinger-BGB § 241 BGB Rn 136; Gursky in: Staudinger-BGB § 1004 Rn 210. 295 Vgl.
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In Bezug auf die Eintragung einer SE lehnt das Arbeitsgericht Stuttgart296 einen Unterlassungsanspruch gem. § 1004 BGB analog i. V. m. Art. 12 Abs. 2 SE-VO, Art. 12 Abs. 2 SE-RL ab.297 Ein Unterlassungsanspruch sei nicht im Wege der Analogie in die Mitbestimmungsregelungen der SE einzuführen, da er mit deren Regelungszweck nicht vereinbar wäre. Ein Unterlassungsanspruch der Arbeitnehmerseite führte dazu, dass jeder Streit über die Wirksamkeit der Beteiligungsvereinbarung die Eintragung einer SE verzögern würde. Dadurch stünde eine sich auf eine Beteiligungsvereinbarung einlassende Unternehmensleitung schlechter, als wenn sie das Scheitern der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung verfolgte, nach Ablauf der Verhandlungsfrist des § 20 SEBG die Beteiligung kraft Gesetzes greifen würde und die SE eintragen ließe. Diese Gestaltung sei nicht vereinbar mit dem vorrangigen Ziel des SEBG, die Mitbestimmung durch Vereinbarung regeln zu lassen.298 Die Argumentation des Arbeitsgerichts Stuttgart spricht indes nicht gegen einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 BGB, wie er von Teilen der Literatur in Betracht gezogen wird.299 Während das Begehren im Sachverhalt der Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart auf das Unterlassen der Eintragung der SE-Gesellschaft in das Handelsregister wegen eines behaupteten Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 2 SE-VO wegen einer unwirksamen Beteiligungsvereinbarung gerichtet war, zielte ein Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i. V. m. § 823 BGB auf das Unterlassen eines Verstoßes gegen das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG. Grundsätzlich ist § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB auf deliktisch geschützte Rechtsgüter und die durch ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 BGB abgesicherten Interessensphären analog anwendbar.300 Ungeachtet der Frage, ob § 43 S. 1 SEBG ein Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 SEBG ist, könnte jedoch die für eine analoge Anwendung des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB erforderliche planwidrige Regelungslücke fehlen, wenn bereits § 43 S. 1 SEBG 296 Beschl.
v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 58. der Begründung kritisch, aber i. E. auch Forst Diss. 2010,
297 Hinsichtlich
S. 398. 298 Zum Ganzen ArbG Stuttgart Beschl. v. 24.10.2007 – 12 BVGa 4 / 07, juris, Rn 65. 299 Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 4; Hoops Diss. 2009, S. 58 Fn 261; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 9; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 16; anders wohl Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 2, da der Gesetzgeber „sich gegen stärkere Sanktionen (z. B. Schadensersatzpflichten oder Ähnliches) entschieden“ habe. 300 Gursky in: Staudinger-BGB § 1004 Rn 16 m. w. N.
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eine selbständige gesetzliche Unterlassungspflicht begründete und mithin ein Unterlassungsanspruch direkt aus § 43 S. 1 SEBG abzuleiten wäre. Einen selbständigen Unterlassungsanspruch gewährt etwa das Wettbewerbsverbot nach § 88 AktG.301 Danach dürfen Vorstandsmitglieder ohne Einwilligung des Aufsichtsrats zum Beispiel kein Handelsgewerbe betreiben. Wie bei § 88 AktG ist der Wortlaut des § 43 S. 1 SEBG als „darf nicht“ formuliert. Dieser Verbotscharakter des § 43 S. 1 SEBG streitet für einen unmittelbar aus der Norm abzuleitenden Unterlassungsanspruch. Das Verbot begründet damit eine selbständige gesetzliche Unterlassungspflicht für die Arbeitgeberseite, sich missbräuchlicher Maßnahmen zu enthalten. Aus der Unterlassungspflicht der Arbeitgeberseite folgt spiegelbildlich ein Unterlassungsanspruch der Arbeitnehmer. Zwar ist zuzugegeben, dass die Rechtsprechung im Bereich des BetrVG zur Begründung von nicht ausdrücklich geregelten Unterlassungsansprüchen zurückhaltend ist. Dem Bundesarbeitsgericht302 etwa erscheint es fraglich, ob ein Unterlassungsanspruch als selbständiger Nebenleistungsanspruch unmittelbar aus § 87 BetrVG abzuleiten ist. Stattdessen folgert es aus einer Nebenpflicht aus § 2 BetrVG, der eine dem Grundsatz von Treu und Glauben i. S. d. § 242 BGB vergleichbare Konkretisierung des Gebots vertrauensvoller Zusammenarbeit enthalte, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung eines konkreten Mitbestimmungsrechts entgegensteht.303 Demgegenüber ist § 43 S. 1 SEBG als generalklauselartige Missbrauchsvorschrift selbst mit dem Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB vergleichbar.304 Im Gegensatz zu § 87 BetrVG, der konkrete Mitbestimmungsrechte gewährt, bezweckt § 43 S. 1 SEBG den Bestand an Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer. § 43 S. 1 SEBG gibt kein bestimmtes Mitbestimmungsrecht („Der Betriebsrat hat […] mitzubestimmen“), sondern verbietet als Generalklausel das missbräuchliche Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten („Eine SE darf nicht dazu missbraucht werden, […]“). Somit lässt sich unmittelbar aus § 43 S. 1 SEBG ein Unterlassungsanspruch herleiten. Mithin fehlt eine planwidrige Regelungslücke für eine Analogie zu § 1004 Abs. 1 S. 2. Vielmehr folgt ein selbständiger Unterlassungsanspruch gegen die Arbeitgeberseite unmittelbar aus § 43 S. 1 SEBG selbst.
301 Spindler in: MüKo-AktG § 88 Rn 27; Fleischer in: Spindler / Stilz-AktG § 88 Rn 33; Weber in: Hölters-AktG, § 88 AktG Rn 14. 302 BAG, Urt. v. 3.5.1994 – 1 ABR 24 / 93, NZA 1995, 40, 42. 303 BAG, Urt. v. 3.5.1994 – 1 ABR 24 / 93, NZA 1995, 40, 42. 304 Zur Abgrenzung zwischen § 43 S. 1 SEBG und § 242 BGB sogleich unter § 5 A. IV. 6. e).
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland279
e) Verhältnis des § 43 S. 1 SEBG zum Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) Fraglich ist, in welchem Verhältnis § 43 S. 1 SEBG zu § 242 BGB steht, in dem das allgemeine zivilrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot verankert ist.305 Diese Frage stellt sich deshalb im Rahmen der Rechtsfolgen des § 43 S. 1 SEBG, weil nach Nagel306 die Bejahung eines Missbrauchs „zumindest“ dazu führe, dass die Maßnahmen der Leitung der SE gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstießen. Indes scheidet die Anwendbarkeit des § 242 BGB im Regelungsbereich des § 43 S. 1 SEBG aus. § 43 S. 1 SEBG regelt den Missbrauch einer SE abschließend. Das allgemeine Missbrauchsverbot der SE in § 43 S. 1 SEBG enthält gegenüber § 242 SEBG mit den Merkmalen des „Entziehens“ oder „Vorenthaltens“ von „Beteiligungsrechten“ von „Arbeitnehmern“ spezielle Tatbestandsvoraussetzungen. Mithin ist § 43 S. 1 SEBG als lex specialis einzuordnen. Da ein Rückgriff auf Treu und Glauben nach § 242 BGB ausscheidet, wenn eine Norm die Problematik abschließend regelt,307 ist das allgemeine zivilrechtliche Rechtsmissbrauchsverbot nach § 242 BGB somit neben § 43 S. 1 SEBG nicht anwendbar. Die Auslegung und Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ in § 43 S. 1 SEBG richtet sich im Übrigen nicht nach den zu § 242 BGB entwickelten Kriterien des „Rechtsmissbrauchs“. Da das Merkmal des „Missbrauchs einer SE“ aufgrund der wortgleichen Übernahme des Begriffs in § 43 S. 1 SEBG aus der europarechtlichen Richtlinie (Art. 11 SE-RL) nicht i. S. v. § 242 BGB, sondern eigenständig unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zum allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot auszulegen ist, ist § 43 S. 1 SEBG auch nicht „Ausdruck“308 des allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbots nach § 242 BGB, sondern dient der Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL.309 Insoweit ist die unionsrechtliche Auslegung und Konkretisierung des in Art. 11 SE-RL verwendeten Begriffs des „Missbrauchs der SE“ maßgeblich.310 Aufgrund der mangelnden Anwendbarkeit des § 242 BGB auf das Recht der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE führt ein Missbrauch einer SE i. S. v. Roth / Schubert in: MüKo-BGB § 242 BGB Rn 197 ff. in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 8. 307 Looschelders / Olzen in: Staudinger-BGB § 242 BGB Rn 398; angenommen etwa für die AGB-Kontrolle nach §§ 307–309 BGB in deren „unmittelbaren Anwendungsbereich“ von Looschelders / Olzen in: Staudinger-BGB § 242 BGB Rn 380. 308 So aber Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 1. 309 Vgl. oben unter § 3 C. III. 1. c) bb). 310 Vgl. oben unter § 3 C. III. 2. 305 Vgl.
306 Nagel
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
§ 43 S. 1 SEBG entgegen Nagel311 somit auch nicht die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 242 BGB herbei. f) Verhältnis des § 43 S. 1 SEBG zur Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) Fraglich ist ferner, in welchem Verhältnis § 43 S. 1 SEBG zur allgemeinen Vorschrift des § 138 Abs. 1 BGB steht, wonach ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig ist. M. Heinze312 kritisiert die Erforderlichkeit der Vorschrift des Art. 11 SE-RL damit, dass „jedes nationale Rechtssystem allgemeine Rechtsvorschriften enthalten [wird], die im Falle des Rechtsmissbrauchs im Sinne der §§ 134, 138 BGB einschlägig sind“313. Dem hält Güntzel314 entgegen, § 138 BGB bemühe den weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der „guten Sitten“.315 Der Sittenwidrigkeitsmaßstab wird allgemein mit der Formel des „Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden“316 umschrieben. Dabei wird auf die Maßstäbe der „herrschenden Rechts- und Sozialmoral“317, d. h. der „Ethik, Moral und Sittlichkeit“318 abgestellt. Demgegenüber ist der Begriff des „Missbrauchs“ enger, da er allein an rechtliche Wertungen knüpft. Im Falle des Merkmals „Missbrauchs der SE“, welches § 43 S. 1 SEBG aus Art. 11 SE-RL wortgleich übernimmt, verengt sich der Begriff nochmals auf die in der SE-RL zum Ausdruck kommenden rechtlichen Wertungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE, insbesondere auf die darin enthaltenen Vorschriften zur Reichweite des Schutzes bereits bestehender Beteiligungsrechte in den beteiligten Gesellschaften. § 43 S. 1 SEBG lässt somit keinen Raum für die Anwendbarkeit des § 138 BGB.
B. Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG Neben dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG umfasst die Umsetzung von Art. 11 SE-RL durch den deutschen Gesetzgeber eine besondere Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 SEBG. Danach gilt: 311 Nagel
in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 8. Heinze ZGR 2002, 66, 87. 313 M. Heinze ZGR 2002, 66, 87. 314 Güntzel Diss. 2006, S. 282. 315 Vgl. Güntzel Diss. 2006, S. 282 f. 316 Dazu näher Armbrüster in: MüKo-BGB § 138 BGB Rn 14. 317 Sack / Fischinger in: Staudinger-BGB § 138 Rn 19, 23. 318 Sack / Fischinger in: Staudinger-BGB § 138 Rn 19 m. w. N. 312 M.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland281 „Missbrauch wird vermutet, wenn ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden.“
Im Folgenden wird § 43 S. 2 SEBG dogmatisch eingeordnet (sogleich unter I.). Im Anschluss werden dessen Tatbestand (II. 1.) und Rechtsfolge (II. 2.) konkretisiert. I. Dogmatische Einordnung des § 43 S. 2 SEBG: Verknüpfung von Art. 11 SE-RL und ErwG 18 S. 3 SE-RL Art. 11 SE-RL verpflichtet die Mitgliedstaaten, „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen“ zur Missbrauchsverhinderung zu treffen. Auf weitere Vorgaben hinsichtlich der Erfassung einschlägiger Missbrauchs-Fälle und der gesetzgeberischen Mittel zur Verhinderung von Missbräuchen der SE hat der Richtliniengeber verzichtet. Der deutsche Gesetzgeber hat zum einen mit dem allgemeinen Missbrauchsverbot in § 43 S. 1 SEBG den Handlungsauftrag319 aus Art. 11 SE-RL dadurch umgesetzt, dass er die Begriffe des Art. 11 SE-RL nahezu wortgleich in das deutsche Recht übernommen und als Verbotsnorm ausgestaltet hat.320 Zum anderen hat der deutsche Gesetzgeber mit § 43 S. 2 SEBG eine eigene legislative Konkretisierung321 des „Missbrauchs“-Begriffs aus Art. 11 SE-RL vorgenommen. Weder der in § 43 S. 2 SEBG inhaltlich spezifizierte Missbrauchs-Fall („[…] ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden“) noch die darin angeordnete Rechtsfolge („Missbrauch wird vermutet […]“) sind durch Art. 11 SE-RL vorgegeben.322 Zur legislativen Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs in § 43 S. 2 SEBG knüpft die Vorschrift an ErwG 18 S. 3 SE-RL an.323 Danach „sollte“ 319 Vgl.
oben unter § 3 A. I. 1. zur dogmatischen Einordnung des § 43 S. 1 SEBG oben unter § 5 A. I.; zur Einordnung des § 43 S. 1 SEBG als Verbotsnorm i. S. d. § 134 BGB vgl. oben unter § 5 A. IV. 6. a) aa). 321 Rehberg ZGR 2005, 859, 888; Hoops Diss. 2009, S. 58 (Konkretisierung des § 43 S. 1 SEBG); Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 5; Schmid Diss. 2010, S. 187; Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 5 (Konkretisierung des § 43 S. 1 SEBG); Kleinsorge / Freis SEBG, § 43 SEBG Rn 1. 322 Vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 5 („Vermutungstatbestand findet keine Entsprechung“); Schmid Diss. 2010, S. 187 („eine der SE-Richtlinie unbekannte […] Missbrauchsvermutung“). 323 Für eine Rückführung der Regelungen des § 18 Abs. 3 SEBG auf ErwG 18 SE-RL vgl. Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 190; Scheibe Diss. 320 Vgl.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
der Ansatz des Vorher-Nachher-Prinzips (ErwG 18 S. 2 SE-RL) „nicht nur für die Neugründung einer SE, sondern auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE und für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften gelten“. Eine Erstreckung des „VorherNachher-Prinzips“ auf den Zeitraum der Nachgründung in ErwG 18 S. 3 SERL findet man indes im normativen Teil der SE-RL nicht explizit wieder.324 Zum Teil wird angenommen,325 dass die SE-RL sich in ihrem normativen Teil insgesamt nur auf den Zeitraum bis zum Abschluss der Gründung mit Eintragung der SE im Handelsregister bezieht. Daher habe der Richtliniengeber den in ErwG 18 S. 3 SE-RL enthaltenen „Sollte“-Programmsatz nicht in Form einer die Mitgliedstaaten bindenden Regelung im normativen Teil der SE-RL verwirklicht. ErwG 18 S. 3 SE-RL sei lediglich eine „Anregung“ der SE-RL, indem es den für die Umsetzung der SE-RL verantwortlichen mitgliedstaatlichen Gesetzgebern entsprechende Regelungen nahelege, sie aber nicht vorschreibe.326 Die Verankerung in ErwG 18 S. 3 SE-RL bedeute lediglich, dass der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung der SE-RL nicht gezwungen sei, eine Verhandlungspflicht bei strukturellen Änderungen zu normieren.327 Demgegenüber wird teilweise angenommen,328 dass der Richtliniengeber ErwG 18 S. 3 SE-RL normativ in Art. 11 SE-RL verankert habe. Demnach müsste Art. 11 SE-RL zeitlich nicht nur Missbräuche der SE bis zum Abschluss der SE-Gründung, sondern auch solche im Nachgründungsstadium umfassen. Gegen eine Begrenzung des zeitlichen Anwendungsbereichs des normativen Teils der SE-RL auf den Gründungszeitpunkt streitet Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 4 SE-RL, der auf Antrag eine Wiederaufnahme des Verhandlungs2007, S. 151; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 2; Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 3 SE-RL Rn 103; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 1; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 2. 324 So auch Riesenhuber in FS Hopt 2010, S. 1225, 1237: Die Problematik der Neuverhandlung bei strukturellen Änderungen in der SE sei lediglich in ErwG 18 S. 3 SE-RL angesprochen, nicht aber im verfügenden Teil der SE-RL; vgl. auch Brandt BB-Special 3 / 2005, 1, 6. 325 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 188; vgl. auch BR-Drucks. 438 / 04 v. 28.5.2004, S. 109; Kleinsorge RdA 2002, 343, 351, wonach SE-VO und SE-RL „in erster Linie“ die Gründungsvoraussetzungen einer SE regeln; ferner Seibt AG 2005, 413, 427, wonach das Regelungssystem „primär ‚eingangsbezogen‘ “ ausgestaltet sei und sich auf die Regelung der Unternehmensmitbestimmung bei Errichtung der Gesellschaft beziehe. 326 Nagel ZIP 2011, 2047. 327 Nagel ZIP 2011, 2047, 2048. 328 In diese Richtung Rehberg ZGR 2005, 859, 878.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland283
verfahrens frühestens nach zwei Jahren vorsieht und damit ein Tatbestand ist, der ausschließlich für das Nachgründungsstadium gilt.329 Ferner hat die zeitliche Konkretisierung durch Auslegung des Begriffs der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SE-RL ergeben, dass dieser Beteiligungsrechte sowohl im Gründungs- als auch im Nachgründungsstadium der SE umfasst.330 Zudem greift § 43 S. 2 SEBG den in ErwG 18 S. 3 SE-RL zum Ausdruck kommenden Programmsatz auf, dass das „Vorher-Nachher-Prinzip“ auch für „strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ gelten soll. Im Übrigen hält ErwG 14 SCE-RL für die SCE nunmehr die Mitgliedstaaten ausdrücklich dazu an, durch entsprechende Bestimmungen sicherzustellen, dass die Vereinbarungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Fall struktureller Änderungen nach der Gründung einer SCE gegebenenfalls neu ausgehandelt werden können.331 Mithin ist die Erstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs des „Missbrauchs einer SE“ in § 43 S. 2 SEBG auf das Stattfinden struktureller Änderungen innerhalb eines Jahres nach Gründung einer SE eine legislative Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs. Diese ist auch insofern zulässig, als sie im Einklang mit der durch Auslegung vorgenommenen Konkretisierung des Art. 11 SE-RL steht, wonach „Beteiligungsrechte“ i. S. v. Art. 11 SE-RL sowohl im Gründungs-332 als auch im Nachgründungsstadium333 geschützt sind. Offen ist die Vereinbarkeit des § 43 S. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL hinsichtlich zweier anderer Fragen. Erstens: Ist der Tatbestand des § 43 S. 2 SEBG eine zulässige legislative Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs des Art. 11 SE-RL, indem er die Nichtdurchführung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG bei strukturellen Änderungen der SE innerhalb eines Jahres als Missbrauchs-Fall einstuft? Zweitens: Erfüllt die Rechtsfolge der Vermutung eines Missbrauchs in § 43 S. 2 SEBG die Anforderungen an eine „geeignete Maßnahme“, indem die Norm bei Erfüllung des Tatbestands des § 43 S. 2 SEBG per se einen Missbrauchs-Fall im Nachgründungsstadium statuiert?334 329 A. A. Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 188, der davon ausgeht, dass die SE-RL trotz Art. 3 Abs. 6 Unterabs. 4 SE-RL die Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern nur in der Gründungsphase der SE regelt, da außerhalb des geregelten Falls die Parteien selbst die Fälle der Wiederaufnahme von Verhandlungen regeln sollen (vgl. nunmehr Kienast in: Jannott / Frodermann, 2. Aufl., Kap 13 Rn 457). 330 Vgl. oben unter § 3 C. I. 331 Vgl. Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 180. 332 Vgl. oben unter § 3 C. I. 3. 333 Vgl. oben unter § 3 C. I. 4. 334 Zur Vereinbarkeit von § 43 S. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL unter § 7 B. II.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
II. Konkretisierung des § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG Dazu sind zunächst Tatbestand (dazu sogleich unter 1.) und Rechtsfolge (2.) des § 43 S. 2 SEBG zu konkretisieren. 1. Tatbestand des § 43 S. 2 SEBG In tatbestandlicher Hinsicht setzt § 43 S. 2 SEBG voraus, dass „ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 [SEBG] innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden“. Der Tatbestand setzt sich aus vier Merkmalen zusammen: Erstens verlangt § 43 S. 2 SEBG das Stattfinden struktureller Änderungen ohne Durchführung einer Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG. Zweitens erfordert § 43 S. 2 SEBG einen zeitlichen Zusammenhang von maximal einem Jahr zwischen der SE-Gründung und dem Stattfinden der strukturellen Änderungen. Drittens setzt § 43 S. 2 SEBG als tatbestandlichen Erfolg voraus, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Viertens muss das Vorenthalten oder Entziehen von Beteiligungsrechten kausal durch die stattgefundenen strukturellen Änderungen hervorgerufen („bewirkt“) worden sein. a) Stattfinden struktureller Änderungen ohne Durchführung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG Nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG ist ein Verfahren zur Wiederaufnahme von Verhandlungen durchzuführen, wenn „strukturelle Änderungen der SE geplant [sind], die geeignet sind, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“.335 aa) Merkmal der „strukturellen Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG Die SE-RL verwendet den Begriff „strukturelle Veränderungen“ in ErwG 18 S. 3 SE-RL und stellt diese mit „strukturellen Änderungsprozessen“ gleich: „Dieser Ansatz [des Vorher-Nachher-Prinzips] sollte folgerichtig nicht nur für die Neugründung einer SE, sondern auch für strukturelle Veränderungen einer bereits 335 Demgegenüber bestimmt § 228 Abs. 1 ArbVG-Österreich, dass das bVG einzuberufen ist, „sofern wesentliche Änderungen der Struktur der Europäischen Gesellschaft stattfinden, die die Interessen der Arbeitnehmer in Bezug auf ihre Beteiligungsrechte betreffen“.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland285 gegründeten SE und für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften gelten.“
Eine Definition für „strukturelle Veränderungen“ hat der Richtliniengeber jedoch nicht gegeben.336 ErwG 21 S. 3 SCE-RL spricht für die SCE inzwischen von strukturellen Veränderungen in einer gegründeten SCE. Der deutsche Gesetzgeber verwendet den der Formulierung in ErwG 18 S. 3 SE-RL entlehnten337 Begriff der „strukturellen Änderungen“ insbesondere in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG und, damit verknüpft, in § 43 S. 2 SEBG.338 Den Begriff der „strukturellen Änderungen“ definiert auch das SEBG nicht.339 (1) Auslegung des Begriffs in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG Aufbauend auf zahlreichen Versuchen in der Literatur340, die Reichweite des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG nä336 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 454; Güntzel Diss. 2006, S. 291; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 89; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 9; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 19. 337 Scheibe Diss. 2007, S. 155. 338 Vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 16, wonach der deutsche Gesetzgeber ein „Netzwerk an Regelungen“ geschaffen habe, welche die Minderung von Arbeitnehmerbeteiligungsrechten mittels nachfolgender struktureller Änderungen verhindern sollen, dessen Kern § 18 Abs. 3 SEBG sei. 339 Braun Diss. 2005, S. 105; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 278; Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 454; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 11; Scheibe Diss. 2007, S. 151; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 89; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 9; Hoops Diss. 2009, S. 56; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756; Schmid Diss. 2010, S. 134; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 19; Evers in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, § 18 SEBG Rn 8; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208. 340 Vgl. dazu Kleinsorge RdA 2002, 343, 351: Solange SE-VO und SE-RL nicht überarbeitet seien, könne nur durch Auslegung ermittelt werden, wie entsprechende Fallgestaltungen zu lösen seien; vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12, wonach eine typologische Betrachtung anhand der Aufzählung typischer Fälle eine abstrakte Beschreibung der strukturellen Änderung nicht entbehrlich mache; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 4: § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG beschränke sich auf den offenen Begriff der „strukturellen Änderung“, sodass „dessen Konkretisierung erhebliches Kopfzerbrechen bereitet“; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 89; nach Henssler ZHR 173 (2009) 222, 246 biete § 18 SEBG „genügend Anhaltspunkte für ein sachgerechtes Verständnis und zugleich hinreichenden Spielraum für praxisnahe Gestaltungen“; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 358: „Das Tatbestandselement der ‚strukturellen Änderung‘ verursacht wegen seiner begrifflichen Unschärfe erhebliche Auslegungsschwierigkeiten.“; Feuerborn in: KKAktG § 18 SEBG Rn 20: „mangels einer Legaldefinition erforderliche Auslegung“.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
her zu bestimmen, ist das Merkmal anhand von Wortlaut [sogleich unter (a)], Historie [(b)], Systematik [(c)] und Telos [(d)] der Norm auszulegen. (a) Wortlaut In der Literatur wird einerseits argumentiert, dass sich „hinreichend klar aus dem Wortlaut“341 ein restriktives Verständnis von § 18 Abs. 3 SEBG ergebe. Feuerborn342 versteht unter einer Struktur in erster Linie die gesellschaftsrechtliche Struktur der SE. Wenn sich die „gesellschaftsrechtlichen Rahmendaten der SE“ veränderten, verändere sich damit zugleich die Struktur der Belegschaft, an welche die Arbeitnehmerbeteiligung anknüpfe. Wenn sich hingegen „bloß die Organisationsstruktur der SE“ ändere, habe das keinen Einfluss auf die Struktur der Belegschaft und könne damit auch nicht zu einer Änderung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer führen. Eine „Änderung der Beteiligungsrechte“ sei aber notwendige Voraussetzung einer „strukturellen Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG, da nur in diesem Fall die Gefahr einer Minderung der Beteiligungsrechte bestehe. Ob eine mit der Änderung der äußeren Struktur der SE und der Änderung der Struktur der Belegschaft verbundene Änderung der Beteiligungsrechte zu einer „Minderung von Beteiligungsrechten“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG führe, sei in einem weiteren Schritt zu prüfen. Andererseits wird vertreten, dass der Wortlaut eine Begrenzung auf gesellschaftsrechtliche Strukturen nicht stütze.343 Unter einer „Struktur“ sei üblicherweise ein „verfestigte[r] innere[r] Aufbau oder eine Gliederung“344 zu verstehen. Bezogen auf ein Unternehmen könne es sowohl um rechtliche als auch um „betriebsorganisatorische“ Strukturen gehen. Da das Gesetz den Begriff der „Struktur“ mit keinem zusätzlichen Attribut versehen habe, sei er nicht allein auf gesellschaftsrechtliche Strukturen festgelegt.345 Angesichts dieser widerstreitenden Positionen zur Wortlaut-Auslegung ist Scheibes Feststellung zuzustimmen, dass der Wortlaut des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG von vornherein keine eindeutigen Schlussfolgerungen für ein restriktives oder für ein extensives Verständnis zulasse.346 Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244. Folgenden Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 21. 343 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 364. 344 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 364. 345 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 364; vgl. auch bereits Hoops Diss. 2009, S. 60, wonach dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 SEBG eine Beschränkung auf Maßnahmen mit gründungsähnlichem Charakter nicht zu entnehmen sei. 346 Scheibe Diss. 2007, S. 153. 341 So
342 Zum
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(b) Historie Die historische Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ kann auf die Gesetzesbegründung zu § 18 Abs. 3 SEBG Bezug nehmen, wonach ein Anlass zu Neuverhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG in dem Fall bestehen kann, dass „eine SE ein mitbestimmtes Unternehmen mit einer größeren Zahl von Arbeitnehmern aufnimmt, in der SE aber bisher keine Mitbestimmung gilt“347. In der Literatur wird zum Teil mit dem Beispiel in der Gesetzesbegründung eine restriktive Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ begründet.348 Demgegenüber wird von anderen Stimmen die Ergiebigkeit der Anknüpfung an die Gesetzesbegründung für eine historische Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ bezweifelt: Durch das in der Gesetzesbegründung genannte Beispiel allein werde der Begriff nicht näher konkretisiert.349 Es sei zu hinterfragen, inwieweit von einem einzigen Beispiel in der Gesetzesbegründung, das einen „ganz offensichtlichen Fall“ einer strukturellen Änderung behandele, auf einen allgemeinen Grundsatz geschlossen werden könne.350 Die Heranziehung eines einzigen repräsentativen Beispiels aus der Gesetzesbegründung biete keine hinreichende Grundlage für eine historische Auslegung.351 Jedenfalls lasse die historische Auslegung kaum Rückschlüsse für die Auslegung zu.352 Im Ergebnis stellt das Beispiel in der Gesetzesbegründung klar, dass jedenfalls in dem darin bestimmten Fall, dass eine SE ein Unternehmen aufnimmt, eine „strukturelle Änderung“ zu bejahen ist. Für weitere Fälle „struktureller Änderungen“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG lassen sich der Gesetzesbegründung keine Anhaltspunkte entnehmen. (c) Systematik Den Begriff der „strukturellen Änderungen“ verwendet der Gesetzgeber außer in § 18 Abs. 3 SEBG und § 43 S. 2 SEBG in weiteren Vorschriften des 347 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 18 SEBG, S. 50. 348 Für § 18 Abs. 3 SEBG Schmid Diss. 2010, S. 134. 349 Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756. 350 Güntzel Diss. 2006, S. 429. 351 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 25; vgl. auch bereits Hoops Diss. 2009, S. 47, wonach die Anführung lediglich eines einzelnen Beispielsfalls keinen Rückschluss auf eine restriktive Auslegung erlaube. 352 Für § 18 Abs. 3 SEBG Scheibe Diss. 2007, S. 158.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
SEBG:353 § 1 Abs. 4 [dazu sogleich unter (aa)], § 5 Abs. 4 [(bb)] und § 21 Abs. 4 S. 1 SEBG [(cc)]. Darüber hinaus wird diskutiert, ob ein Zusammenhang des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ zur Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG hergestellt werden kann und dadurch Rückschlüsse für die Auslegung des Merkmals zu ziehen sind [(dd)]. § 37 EBRG enthält einen Katalog an Regelbeispielen „wesentlicher Strukturänderungen“ [(ee)]. (aa) E rstreckung der Grundsätze auf strukturelle Änderungen (§ 1 Abs. 4 SEBG) Gemäß § 1 Abs. 4 SEBG gelten wegen ErwG 18 S. 3 SE-RL354 die Grundsätze der § 1 Abs. 1–3 SEBG „auch für strukturelle Änderungen einer gegründeten SE sowie für deren Auswirkungen auf die betroffenen Gesellschaften und ihre Arbeitnehmer“. Damit erstreckt § 1 Abs. 4 SEBG den Anwendungsbereich355 und den Schutz356 des SEBG ausdrücklich auf strukturelle Änderungen. Hervorzuheben ist, dass § 1 Abs. 1 S. 2 SEBG an das „Vorher-NachherPrinzip“ aus ErwG 18 S. 2 SE-RL anknüpft und für die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE die bestehenden Beteiligungsrechte in den Gesellschaften, welche die SE gründen, „maßgeblich“ sind. Ferner bestimmt § 1 Abs. 3 SEBG, dass die SEBG-Vorschriften und die Beteiligungsvereinbarung (§ 1 Abs. 2 SEBG) so auszulegen sind, „dass die Ziele der Europäischen Gemeinschaft, die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE sicherzustellen, gefördert werden“. Nach Oetker sollen „im Lichte der Auslegungsmaxime in § 1 Abs. 3 S. 1 [SEBG] auch Änderungen in den tatsächlichen Strukturen (z. B. Stilllegung von Betrieben) als ‚strukturelle Änderungen‘ i. S. d. § 18 Abs. 3 S. 1 zu qualifizieren sein“357. Hingegen erklärt § 1 Abs. 4 SEBG lediglich die Grundsätze von § 1 Abs. 1 bis Abs. 3 SEBG auf strukturelle Veränderungen für anwendbar, sodass mit Brandt nach § 1 Abs. 4 SEBG offen bleibt, wann ein Fall einer Strukturänderung vorliegt.358
353 Für den Zusammenhang des § 18 Abs. 3 SEBG mit anderen Vorschriften des SEBG vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 16. 354 Vgl. BR-Drucks. 438 / 08 v. 28.5.2008, S. 109; Braun Diss. 2005, S. 104; Brandt BB-Special 3 / 2005, 1, 6. 355 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 16. 356 Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 83. 357 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17. 358 Brandt BB-Special 3 / 2005, 1, 6.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland289
(bb) Ä nderungen der Arbeitnehmerzahl als aliud zu strukturellen Änderungen (§ 5 Abs. 4, § 25 S. 1 SEBG) Bezüglich der Zusammensetzung des bVG sieht § 5 Abs. 4 SEBG vor, dass das bVG während seiner Tätigkeitsdauer neu zusammenzusetzen ist bei „[…] solche[n] Änderungen in der Struktur oder Arbeitnehmerzahl der beteiligten Gesellschaften, der betroffenen Tochtergesellschaften oder der betroffenen Betriebe […], dass sich die konkrete Zusammensetzung des besonderen Verhandlungsgremiums ändern würde“. Aus der expliziten Unterscheidung zwischen „Änderungen in der Struktur“ einerseits und „Änderungen in der Arbeitnehmerzahl“ andererseits folgt,359 dass der Gesetzgeber die Arbeitnehmerzahl nicht als „Strukturmerkmal“360 einer Gesellschaft ansieht.361 Der systematische Vergleich mit § 5 Abs. 4 SEBG ergibt somit, dass „strukturelle Änderungen“ Änderungen der Arbeitnehmerzahl einer Gesellschaft nicht umfassen.362 Der systematische Vergleich mit § 5 Abs. 4 SEBG wird daher als Argument für eine entsprechend restriktive Auslegung herangezogen.363 Für eine Differenzierung zwischen „strukturellen Änderungen“ und Änderungen der Arbeitnehmerzahl spricht in systematischer Hinsicht auch § 25 S. 1 SEBG.364 Danach hat die SE-Leitung alle zwei Jahre zu prüfen, ob eine andere Zusammensetzung des SE-Betriebsrats dadurch erforderlich wird, dass „Änderungen der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe, insbesondere bei den Arbeitnehmerzahlen in den einzelnen Mitgliedstaaten eingetreten sind“. Daraus wird zu Recht gefolgert, dass Änderungen der Arbeitnehmerzahlen lediglich Änderungen und keine strukturellen Änderungen sind.365 (cc) P rivatautonome Bestimmung von Fällen der Wiederaufnahme (§ 21 Abs. 4 S. 1, Abs. 6 SEBG) Bezüglich des Inhalts der Beteiligungsvereinbarung regelt § 21 Abs. 4 S. 1 SEBG – insoweit über Art. 4 Abs. 2 SE-RL hinaus – dass in der VerZiegler / Gey BB 2009, 1750, 1756. in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 361 Kraft Diss. 2005, S. 204 Fn 697; Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 191; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 362 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 190; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12; Scheibe Diss. 2007, S. 154; Schmid Diss. 2010, S. 135; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 363 Schmid Diss. 2010, S. 135. 364 Scheibe Diss. 2007, S. 154. 365 Scheibe Diss. 2007, S. 154. 359 Vgl.
360 Teichmann
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
einbarung festgelegt werden soll, dass auch vor strukturellen Änderungen der SE Verhandlungen über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE aufgenommen werden.366 Konkretere Vorgaben stellt die SE-RL hingegen nicht auf.367 Zwar nimmt § 21 Abs. 4 S. 1 SEBG über die Richtlinie hinaus konkret auf „strukturelle Änderungen“ Bezug. Als „Soll“-Vorschrift368 erschöpft sich § 21 Abs. 4 S. 1 SEBG aber in einem Appell an die Parteien, als Fall der Wiederaufnahme von Verhandlungen ausdrücklich auch bevorstehende „strukturelle Änderungen“ in die Beteiligungsvereinbarung aufzunehmen.369 Aus der schwachen Regelung des § 21 Abs. 4 S. 1 SEBG folge, dass der Begriff der „strukturellen Änderung“ restriktiv auszulegen sei.370 § 21 Abs. 1 Nr. 6 SEBG, der Art. 4 Abs. 2 lit. h) SE-RL umsetzt, regelt lediglich allgemein, dass „die Fälle, in denen die Vereinbarung neu ausgehandelt werden soll“, in der Beteiligungsvereinbarung zu regeln sind.371 Da damit die Parteien selbst die Fälle bestimmen könnten, in denen die Beteiligungsvereinbarung neu ausgehandelt werden sollte, sei der nicht näher definierte Begriff der „strukturellen Änderungen“ in § 18 Abs. 3 SEBG restriktiv auszulegen.372 Indes lässt sich weder aus § 21 Abs. 4 S. 1 SEBG noch aus § 21 Abs. 1 Nr. 6 SEBG ein Rückschluss auf die Reichweite des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ nach § 18 Abs. 3 SEBG ziehen. Während § 21 SEBG die Parteien lediglich zur Regelung weiterer Fälle der Wiederaufnahme von Verhandlungen berechtigt, verpflichtet § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG sie zur Wiederaufnahme von Verhandlungen bei „strukturellen Änderungen“. Der Kreis der bereits gesetzlich zu einer Wiederaufnahme von Verhandlungen führenden Fälle wird nicht dadurch kleiner, dass auch privatautonom weitere Fälle der Wiederaufnahme geregelt werden dürfen.
366 Feuerborn
in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 16. in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 16. 368 Seibt AG 2005, 413, 427; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 84; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 20. 369 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 20. 370 Vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 20. 371 A. A. Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 22, wonach strukturelle Änderungen auch in § 21 Abs. 1 Nr. 6 SEBG berücksichtigt würden und die „Aufnahme des Themas in den Katalog der im Rahmen der Vereinbarung zwingend zu behandelnden Themen“ gehöre. 372 Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 191; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 814; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 20. 367 Feuerborn
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland291
(dd) Strafvorschrift des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG Eine systematische Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ erfordert die Bestimmung des Verhältnisses des § 43 S. 2 SEBG zur Strafnorm in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG.373 Zum Teil wird wegen der an die Nichtdurchführung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG anknüpfenden Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG ein Zusammenhang374 zwischen strukturellen Änderungen und § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG festgestellt und insofern als Argument für eine restriktive Auslegung herangezogen, als Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der Strafnorm mit dem Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) und dem indubio-pro-reo-Grundsatz bestünden.375 Demgegenüber gibt es Stimmen, wonach der Zusammenhang mit der Strafnorm nicht zu einer restriktiven Auslegung zwinge.376 Dabei wird zutreffend darauf verwiesen, dass bereits der Wortlaut des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG explizit nur auf § 43 S. 1 SEBG und gerade nicht auf § 43 S. 2 SEBG Bezug nimmt.377 Jedenfalls lassen sich die Bedenken hinsichtlich der Bestimmtheit und des in-dubio-pro-reo-Grundsatzes ausräumen, indem im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG die Regelung des § 43 S. 2 SEBG hinsichtlich der Strafnorm nicht anzuwenden ist.378 Insofern besteht keine Notwendigkeit, wegen eines angeblichen Zusammenhangs zwischen § 43 S. 2 SEBG und § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG den Begriff der „strukturellen Änderungen“ restriktiv auszu legen.379
Scheibe Diss. 2007, S. 153. Güntzel Diss. 2006, S. 429: „Verknüpfung“; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 366: „Verzahnung“. 375 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 278; Braun Diss. 2005, S. 105; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Schmid Diss. 2010, S. 135; vgl. zum Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG noch unter § 5 C. I. 376 Scheibe Diss. 2007, S. 153; Güntzel Diss. 2006, S. 429 mit der Begründung, dass es dem deutschen Gesetzgeber nicht frei stehe, eine restriktive Auslegung mit Hilfe der Aufnahme in einen Strafkatalog herbeizuführen; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 364. 377 Rehberg ZGR 2005, 859, 891; Scheibe Diss. 2007, S. 153. 378 Jacobs in: MüKo-AktG 2012, § 45 SEBG Rn 5; dazu noch unten unter § 5 C. I. 1. 379 Vgl. auch Hoops Diss. 2009, S. 58. 373 Vgl. 374 Vgl.
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(ee) R egelbeispiele für „wesentliche Strukturänderungen“ in § 37 EBRG Im Rahmen einer systematischen Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ können vergleichbare Regelungen in anderen europarechtlichen Bestimmungen oder in nationalen Umsetzungsgesetzen hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung herangezogen werden.380 Zwar wird gegen eine Heranziehung der Regelungen in der EBR-RL bei der Auslegung der Bestimmungen zur SE-Beteiligung eingewandt, dass die SE-RL im Gegensatz zur EBR-RL nicht nur grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte, sondern auch unternehmerische Mitbestimmungsrechte in den Unternehmensorganen umfasse.381 Der „Parallelschluss“ sei daher nicht zwingend.382 Allerdings kann auch nach dieser Auffassung die Rechtslage nach der EBRRL zumindest ein Indiz für die Auslegung der SE-RL sein.383 Mit der Reform der EBR-RL im Jahr 2009 hat der Europäische Gesetzgeber Änderungen im Hinblick auf Neuverhandlungen bei „wesentlichen Strukturänderungen“ vorgenommen.384 Für eine systematische Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen der SE“ in § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG ist folgende Änderung der EBR-RL relevant: Nunmehr sieht Art. 13 EBR-RL („Anpassung“) Neuverhandlungen vor, für den Fall, dass sich „[…] die Struktur des gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder der gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe wesentlich [ändert] und […] entsprechende Bestimmungen in den geltenden Vereinbarungen [fehlen] oder […] Konflikte zwischen den Bestimmungen von zwei oder mehr geltenden Vereinbarungen [bestehen]“. Der normative Teil der EBR-RL verzichtet zwar auf eine Definition „wesentlicher Strukturänderungen“. Allerdings nennt ErwG 40 EBR-RL Beispielsfälle einer „wesentlichen Änderung der Struktur des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe“. Hierzu zählen eine Fusion, eine Übernahme oder eine Spaltung. Zur Umsetzung von Art. 13 EBR-RL hat der deutsche Gesetzgeber die Regelung des § 37 EBRG grundlegend neu gefasst. § 37 Abs. 1 S. 2 EBRG enthält über die in ErwG 40 EBR-RL beispielhaft genannten Fälle „wesent380 Für eine Vergleichbarkeit von EBR-Vereinbarungen und SE-Vereinbarungen im Hinblick auf ihre Rechtsnatur Blanke AG 2006, 493, 496. 381 Forst Diss. 2010, S. 12 mit weiteren Gegenargumenten; Thüsing / Forst NZA 2009, 408, 411; noch zum Entwurf des § 37 EBRG Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208 Fn 30. 382 Forst Diss. 2010, S. 12. 383 Forst Diss. 2010, S. 12. 384 Vgl. bereits oben unter § 2 B. II; zu den Neuregelungen vgl. Thüsing / Forst NZA 2009, 408, 410 f.; Riesenhuber in FS Hopt 2010, S. 1225, 1241.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland293
licher Strukturänderungen“ (Fusion, Übernahme, Spaltung) hinaus einen nicht abschließenden („insbesondere“) Katalog an Tatbeständen: „Als wesentliche Strukturänderungen im Sinne des Satzes 1 gelten insbesondere 1. Zusammenschluss von Unternehmen oder Unternehmensgruppen, 2. Spaltung von Unternehmen oder der Unternehmensgruppe, 3. Verlegung von Unternehmen oder der Unternehmensgruppe in einen anderen Mitgliedstaat oder Drittstaat oder Stilllegung von Unternehmen oder der Unternehmensgruppe, 4. Verlegung oder Stilllegung von Betrieben, soweit sie Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Betriebsrats haben können.“
§ 37 Abs. 1 S. 2 EBRG bezeichnet Regelbeispiele für wesentliche Strukturänderungen. Ein systematischer Vergleich des in § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG verwendeten Begriffs der „strukturellen Änderungen der SE“ mit § 37 Abs. 1 S. 2 EBRG ergibt, dass der in § 37 Abs. 1 S. 2 EBRG verwendete Begriff gegenüber dem SEBG-Begriff enger ist, da neben einer Strukturänderung des unionsweit tätigen Unternehmens oder der unionsweit tätigen Unternehmensgruppe zusätzlich das Merkmal der Wesentlichkeit erfüllt sein muss. Demnach sind die in § 37 Abs. 1 S. 2 EBRG genannten Fälle „wesentlicher Strukturänderungen“ jedenfalls vom allgemeineren Begriff der „strukturellen Änderungen“ i. S. d. SEBG umfasst. Die in § 37 Abs. 1 S. 2 EBRG genannten Fälle sind nicht speziell an den EBR angepasst, sondern auf die SE übertragbar. Dass das EBRG lediglich grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte regelt und unternehmerische Mitbestimmungsrechte im Gegensatz zum SEBG ausspart,385 schließt eine Übertragung der Fälle des § 37 Abs. 1 S. 2 EBRG nicht aus. Hierfür spricht, dass die Regelung unternehmerischer Mitbestimmungsrechte in der SE-Beteiligungsvereinbarung nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 3 SEBG, Art. 4 Abs. 2 lit. g) SE-RL grundsätzlich fakultativ386 ist. Der zwingende Inhalt einer SE-Beteiligungsvereinbarung, der lediglich die Regelung eines SE-Betriebsrats (§ 21 Abs. 1 SEBG) oder eines anderen Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung (vgl. § 21 Abs. 2 SEBG) umfasst, ist mit dem Inhalt des § 30 EBRG („Unterrichtung und Anhörung“) vergleichbar. Allerdings könnte gegen eine Übertragung der Fallgruppen in § 37 Abs. 1 S. 2 Nr. 2–4 EBRG auf „strukturelle Änderungen“ einer SE sprechen, dass die Wiederaufnahme von Verhandlungen infolge der Spaltung von Unternehmen (Nr. 2), der Verlegung oder Stilllegung von Unternehmen / Unternehmensgruppen (Nr. 3) oder Betrieben (Nr. 4) nachteilig für die SE-Arbeitnehmer, die zuvor Beteiligungsrechte kraft Gesetzes hatten, 385 So
das Argument von Thüsing / Forst NZA 2009, 408, 411. in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 36.
386 Hohenstatt / Dzida
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sein könnte, indem die SE-Leitung die Verkleinerung der SE oder ihrer Betriebe zum Anlass für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen und damit für eine Verkürzung von Beteiligungsrechten nehmen könnte. Indes sind nach § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG bei Scheitern der wiederaufgenommenen Verhandlungen die Vorschriften über die Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22– 38 SEBG) anzuwenden. Diese Vorschriften kann das für die Arbeitnehmerseite verhandelnde Gremium, ein neues bVG oder ein bestehender SEBetriebsrat (vgl. § 18 Abs. 3 S. 2 SEBG) als „Druckmittel“387 einsetzen, sodass deren Verhandlungsposition gestärkt ist.388 Maßgeblich für die Mitbestimmung kraft Gesetzes ist dabei der Umfang im Zeitpunkt des Eintritts der „strukturellen Änderung“. Auf die damals gewählte Gründungsart und die damalige Mitbestimmungssituation in den Gründungsgesellschaften im Zeitpunkt der Gründung kommt es zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr an.389 Dadurch bleibt im Falle einer „strukturellen Änderung“, welche in der Spaltung, der Verlegung oder Stilllegung von Unternehmensteilen oder Betrieben der SE besteht, bei Anwendung der Mitbestimmung kraft Gesetzes (§ 18 Abs. 3 S. 3 SEBG) das bisher in der SE bestehende Mitbestimmungsniveau erhalten. Da die bestehenden Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE in den genannten Fällen geschützt sind, ist gegen eine Übertragung der Fälle „wesentlicher Strukturänderungen“ in § 37 Abs. 1 S. 2 Nr. 2–4 EBRG auf „strukturelle Änderungen“ der SE nichts einzuwenden. Im Ergebnis ergibt der systematische Vergleich mit den Regelungen im EBRG zu „wesentlichen Strukturveränderungen“, dass eine „strukturelle Änderung“ i. S. d. SEBG jedenfalls in einer Spaltung, Verlegung oder Stilllegung von Unternehmensteilen oder Betrieben der SE bestehen kann. (d) Telos Die am Normzweck orientierte Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderung“ ist auf den auf „strukturelle Veränderungen einer bereits bestehenden SE“ bezogenen ErwG 18 S. 3 SE-RL390 und auf § 1 Abs. 4 387 Feuerborn
in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 45. in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 45, dort allerdings im Vergleich zu § 18 Abs. 2 SEBG. 389 So Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 22 im Hinblick auf den Mitbestimmungsumfang, wenn vor Eingreifen einer Mitbestimmung kraft Gesetzes infolge § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG zuvor eine Beteiligungsvereinbarung in der SE galt. 390 Vgl. Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 89; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 24, wonach Grundlage für eine weitere Konkretisierung des Begriffs im Wege der teleologischen Auslegung der „18. ErwG der SE-RL, dessen Zielsetzung § 18 Abs. 3 SEBG umsetzen soll“, ist; nach Scheibe Diss. 2007, 388 Feuerborn
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland295
SEBG391 zu stützen. In diesen Regelungen kommt zum Ausdruck, dass für den Bestandschutz von Beteiligungsrechten bei „strukturellen (Ver-)Änderungen“ das gleiche Schutzniveau wie bei der Neugründung einer SE gelten soll.392 Daher soll nach einer Strömung in der Literatur im Hinblick auf die Beteiligungsrechte verfahren werden, „als wenn die strukturelle Änderung bereits vor der Gründung der SE erfolgt wäre“393. Die Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ sei daher an den Tatbeständen der SE-Gründung auszurichten.394 Der Begriff der „strukturellen Änderung“ erfasse daher nur solche Änderungen, die „hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Beteiligungsrechte einer Neugründung gleichkommen“395. Hierdurch solle vermieden werden, dass die Wahl des Zeitpunkts der „strukturellen Änderung“ maßgeblichen Einfluss auf die Beteiligungsrechte habe.396 Dagegen wird argumentiert, eine solche Orientierung an den Gründungstatbeständen führe im Ergebnis dazu, dass neben der im Beispiel der Gesetzesbegründung von der „Aufnahme“ einer Gesellschaft umfassten Verschmelzung397 einer Gesellschaft auf die SE nur noch die Beteiligung einer Gesellschaft an einer als Holding-SE oder als Tochter-SE gegründeten SE als „strukturelle Änderungen“ in Betracht kämen.398 Aus dem Beispiel in der Gesetzesbegründung lasse sich jedoch gerade nicht ableiten, dass „strukturelle Änderungen“ generell auf mit dem Beispiel vergleichbare „korporaS. 155 trete im Rahmen der teleologischen Auslegung die Zielsetzung der SE-RL und der durch die übernommene Formulierung zum Ausdruck kommende Umsetzungswille des deutschen Gesetzgebers in den Vordergrund; nach Güntzel Diss. 2006, S. 429, müsse „die Interpretation des in der SE-RL verwendeten Begriffs der strukturellen Änderungen […] allein nach dem Sinn und Zweck des gemeinschaftsrechtlichen Regelwerks erfolgen. 391 Vgl. Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 89; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 365. 392 Vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 24, wonach der Richtliniengeber in ErwG 18 S. 3 SE-RL die strukturelle Veränderung mit der Neugründung der SE gleichsetze; Kraft Diss. 2005, S. 205. 393 Scheibe Diss. 2007, S. 155. 394 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 456. 395 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 22. 396 Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 192; Scheibe Diss. 2007, S. 155; Hoops Diss. 2009, S. 59. 397 Grobys NZA 2005, 84, 91; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 90; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 278; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756; i. S. v. „jedenfalls erfasst“: Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 365 f., wonach es neben der Verschmelzung auch andere Möglichkeiten, ein Unternehmen „aufzunehmen“, gebe. 398 Vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 25.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
tive Akte mit Satzungsrelevanz“ zu begrenzen seien.399 Derartige Schlussfolgerungen seien wegen des „rein repräsentativen Charakters des gewählten Beispiels rechtspolitisch motiviert und in der Sache unbegründet“400. Vielmehr erfasse das Beispiel der „Aufnahme eines Unternehmens“ jedenfalls eine gesellschaftsrechtliche Verschmelzung, ohne jedoch weitere Möglichkeiten auszuschließen.401 Die „weiche Wortwahl“402 in der Gesetzesbegründung („aufnimmt“) spreche für eine weite Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderung“.403 Auch nicht-gesellschaftsrechtliche Erwerbstatbestände seien unter eine „Aufnahme“ zu fassen. Mit einem „Asset Deal“ auf die SE mit der Folge eines Betriebsübergangs i. S. v. § 613 a BGB werde bei wirtschaftlicher Betrachtung dasselbe Ziel wie mit einer Verschmelzung erreicht, nämlich eine Zusammenfassung von Vermögenswerten und Personal zweier ursprünglich verschiedener auf einen einzigen Rechtsträger.404 Auch der Erwerb einer maßgeblichen Beteiligung an einem Unternehmen oder die Mehrheitsbeteiligung an einer Tochtergesellschaft sei von der in der Gesetzesbegründung genannten „Aufnahme“ erfasst.405 Im Ergebnis lässt sich das teleologische Argument nicht, wie von der erstgenannten Ansicht gefordert, zur Begründung einer engen Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ heranziehen. Dem steht der Zweck des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG, das Bestandschutzprinzip für die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer auch nach der SE-Gründung gelten zu lassen (vgl. ErwG 18 S. 3 SE-RL, § 1 Abs. 4 SEBG), entgegen. Das Argument der erstgenannten Ansicht, ErwG 18 S. 3 SE-RL bezwecke bei „strukturellen Änderungen“ lediglich einen gleichwertigen Schutz wie bei der SE-Gründung, kommt nicht beim Merkmal der „strukturellen Änderung“ zum Tragen. Vielmehr betrifft dieses Argument den Maßstab der „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“.406
399 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 25; Köstler in: Theisen / Wenz, S. 370; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17. 400 Scheibe Diss. 2007, S. 157 f. 401 Vgl. Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 365 f. 402 Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 90. 403 Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 90. 404 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 365 f. 405 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 366. 406 In diese Richtung auch Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 358; vgl. zu dem Argument auch noch unter § 5 B. II. 1. a) aa) (3).
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(2) K onkretisierungsvorschläge in der Literatur hinsichtlich „struktureller Änderungen“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG Im Schrifttum sind verschiedene Vorschläge für eine Konkretisierung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG gemacht worden.407 Rechtsprechung gibt es dazu bislang – soweit ersichtlich – nicht.408 Überwiegend409 wird eine restriktive Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ befürwortet.410 Zum Teil wird eine restriktive Auslegung abgelehnt.411 (a) Argumente für eine restriktive Auslegung Eine restriktive Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ wird mit der Rechtsfolge der Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 SEBG sowie mit der Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG begründet.412 Zudem werden pauschal die Gesetzesbegründung zum SEBG sowie die Erwägungsgründe der SE-RL für eine restriktive Auslegung angeführt.413 Argumentiert wird auch damit, dass die SE-RL hinsichtlich „struktureller Veränderungen“ keine konkreten Vorgaben mache.414 Vielmehr überlasse es Art. 4 Abs. 2 407 Vgl. Scheibe Diss. 2007, S. 151 („Teilweise wird der Versuch unternommen, den Begriff der strukturellen Änderungen zu konkretisieren und einer eigenständigen Definition zuzuführen.“); vgl. Güntzel Diss. 2006, S. 428 („der Versuch anhand der Regelung im Gesetz und der Bildung von Beispielsfällen die Reichweite dieser Formulierung zu bestimmen“); Hoops Diss. 2009, S. 57 („Bemüht, eine Definition zu schaffen, beschreibt die Literatur den Begriff der strukturellen Änderung abstrakt […]“); Schmid Diss. 2010, S. 136: „erste Konkretisierungs- und Definitionsvorstöße“; vgl. Nagel ZIP 2011, 2047, 2048. 408 Vgl. Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208; Nagel ZIP 2011, 2047. 409 Vgl. Scheibe Diss. 2007, S. 151 („wohl herrschende Ansicht in der Literatur“); Schmid Diss. 2010, S. 134 („herrscht im Schrifttum weitgehende Einigkeit“). 410 Kallmeyer ZIP 2004, 1442, 1444; Braun Diss. 2005, S. 105; Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 454; Grobys NZA 2005, 84, 91; Seibt AG 2005, 413, 427; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208. 411 Wohl Köstler in: Theisen / Wenz, S. 370; vgl. auch Austmann in: MüHdbGesR § 85 Rn 48; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 11; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17. 412 Vgl. Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 278; Braun Diss. 2005, S. 105; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Schmid Diss. 2010, S. 135. 413 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247. 414 Vgl. Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 455; Feuerborn in: KKAktG § 18 SEBG Rn 20.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
lit. h) SE-RL grundsätzlich den Parteien, diejenigen Fälle zu bestimmen, in denen eine Beteiligungsvereinbarung neu ausgehandelt werden sollte.415 Ferner sei eine enge Auslegung auch deshalb erforderlich, weil jede Neuverhandlung, die zu einer Änderung der Mitbestimmung führt, die weitgehende Konsequenz einer Neubesetzung des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans im Wege des Statusverfahrens nach §§ 25 ff. SEAG, §§ 97 ff. AktG nach sich ziehe.416 Als Folge einer restriktiven Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderungen“ wird der Begriff einerseits im Hinblick auf die Art, andererseits hinsichtlich der Intensität der „strukturellen Änderung“ begrenzt: Eine restriktive Auslegung des Begriffs auf bestimmte Arten „struktureller Änderungen“ wird in Form einer Begrenzung auf gesellschaftsrechtliche Strukturveränderungen durch „korporative Akte“417 vorgeschlagen. Eine restriktive Auslegung durch eine Verengung auf eine gewisse Intensität der „strukturellen Änderungen“ sieht vor, nur solche Änderungen von „(ganz) erheblichem Gewicht418, „von erhebliche[r] Bedeutung und […] von überragendem Ausmaß“ oder solche, die „das Gesamtbild der SE verändern“419, zu erfassen. Das Maß der Intensität wird zum Teil weiter dahingehend konkretisiert, dass die strukturellen Änderungen eine „wirtschaftliche Neugründung“420 implizieren müssten: Erforderlich sei, dass die strukturellen Änderungen „gründungsähnlich“421 seien oder „in der Intensität an die 415 Kienast in: Jannott / Frodermann, Kap 13 Rn 457; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 20. 416 Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 455; Schmid Diss. 2010, S. 135. 417 Braun Diss. 2005, S. 105, die zusätzlich fordert, dass der korporative Akt „von erheblichem Gewicht“ sein muss; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 279; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Habersack Der Konzern 2006, 105, 109; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756. 418 Braun Diss. 2005 S. 105; Seibt AG 2005, 413, 427; Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 278; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262 Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244; Reichert in: GS Gruson 2009, S. 321, 334; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 24. 419 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247. 420 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247. 421 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 278; Braun Diss. 2005 S. 105; Krause BB 2005, 1221, 1228; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 12; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32 („korporative Akte, die so schwerwiegend sind wie der Gründungsakt selbst“); Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252; Grambow Der Konzern 2009, 97, 99; Kiem ZHR 173 (2009), 156, 165; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244; MüllerBonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1702 („die ganz herrschende Meinung geht zu Recht davon aus, dass als strukturelle Änderungen nur gründungsähnliche Vor-
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland299
Neugründung heranreichen“422, „einer Gründung hinsichtlich ihrer Bedeutung gleichkommen“423, „hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Beteiligungsrechte einer Neugründung gleichkommen“424 oder „inhaltlich einer Beteiligung am Gründungsvorgang der SE entsprächen oder entsprochen hätten, wenn sie bereits bei Gründung der SE gegeben gewesen wären“425. Das erforderliche erhebliche Gewicht liege vor, wenn der gründungsähnliche Vorgang einen derartigen Einfluss auf die Struktur der Belegschaft habe, dass sich die daran anknüpfenden Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer veränderten.426 (b) Argumente für eine weite Auslegung Eine weite Auslegung des Begriffs der „strukturellen Änderung“ erfasst nicht nur gesellschaftsrechtliche, sondern auch tatsächliche Änderungen der betrieblichen oder unternehmerischen Struktur.427 Demnach soll eine „strukturelle Änderung“ „jede tatsächliche und rechtliche Abweichung vom Gründungszustand der SE“428 sein. Als „strukturelle Änderungen“ seien solche Vorgänge anzusehen, „die abweichende Voraussetzungen für das Verhandgänge wie z. B. eine Verschmelzung auf die SE zu qualifizieren sind. […] Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung des Begriffs der „strukturellen Änderung“ ist mit der Vorschrift des § 18 Abs. 3 SEBG daher ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit verbunden.“); Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 334; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 24; an einer Beschränkung auf gründungsähnliche Vorgänge zweifelnd Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 16. 422 Rieble BB 2006, 2018, 2022; Krause BB 2005, 1221, 1228; ähnlich auch Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262 („der Begriff der ‚strukturellen Änderung‘ muss damit eng ausgelegt werden und sich an den Gründungstatbeständen orientieren, die die Geltung der Mitbestimmung hätten beeinflussen können.“). 423 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247. 424 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 24. 425 Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 192; vgl. nunmehr Kienast in: Jannott / Frodermann, 2. Aufl., Kap 13 Rn 456. 426 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 24. 427 Vgl. Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 364; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17; vgl. auch Kiem ZHR 173 (2009), 156, 165, wonach man mit gesellschaftsrechtlichen Kategorien allein der mitbestimmungsrechtlichen Norm nicht gerecht werde; vgl. auch als Konsequenz einer weiten Auslegung erwägend Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 20: „jede Änderung“, der i. E. aber eine weite Auslegung ablehnt und eine restriktive Auslegung befürwortet. 428 Schmid Diss. 2010, S. 136, allerdings unter dem zusätzlichen Vorbehalt, dass die Änderung „in jeder Hinsicht einem der in Art. 2, Art. 3 Abs. 2 SE-VO abschließend geregelten Gründungstatbestände entspricht“. Dies erscheint missverständlich, da Schmid somit doch auf eine rechtliche Unterscheidung – die der Gründungsgleichheit – abstellt.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
lungsverfahren zur Folge gehabt hätten, wenn sie bereits vor der Gründung der SE gegeben gewesen wären.“429 Hierfür wird angeführt, dass § 18 Abs. 3 SEBG keine Beschränkung auf korporative Maßnahmen mit Satzungsrelevanz oder Maßnahmen gründungsähnlichen Charakters zu entnehmen sei,430 eine solche Beschränkung „nicht sachgerecht“431 und zur Begriffspräzisierung „nicht geeignet“432 sei. § 18 Abs. 3 SEBG bezwecke allein den Schutz der Arbeitnehmer, nicht der an dem Unternehmen gesellschaftsrechtlich beteiligten Anleger.433 Der Arbeitnehmerschutz könne nicht davon abhängen, ob die „strukturelle Änderung“ eine gesellschaftsrechtliche Satzungsänderung erfordere.434 Um eine effektive Sicherung erworbener Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer erzielen zu können,435 dürfe nicht ausschließlich auf die gesellschaftsrechtliche Natur einer Änderung abgestellt werden.436 Nach Feuerborn könnten aus Sicht des von der SE-RL und dem SEBG bezweckten Arbeitnehmerschutzes „bloß rechtstechnische Unterschiede zwischen gründungsgleichen und gründungsähnlichen Tatbeständen nicht ausschlaggebend sein“437. Für die Verwirklichung des durch die SE-RL und das SEBG gewährten Bestandschutzes von Beteiligungsrechten sei unbeachtlich, ob die Gesellschaft, in deren Betrieb die Arbeitnehmer beschäftigt sind, auf die SE verschmolzen werde (gründungsgleicher Tatbestand) oder ob die SE den Betrieb gekauft (gründungsähnlicher Tatbestand) habe.438 Daher verwirkliche eine Begrenzung allein auf „gründungsgleiche Tatbestände“ nicht hinreichend den Schutzzweck der Richtlinie.439 Dennoch unterscheidet Feu429 Scheibe
Diss. 2007, S. 156; ihr folgend Hoops Diss. 2009, S. 60. Diss. 2007, S. 156. 431 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247 die gleichwohl im Hinblick auf Änderungen ohne Satzungsrelevanz fordern, dass sie das „Gesamtbild der Gesellschaft verändern, wie etwa in den Fällen der wirtschaftlichen Neugründung“. 432 Scheibe Diss. 2007, S. 156. 433 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247. 434 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247. 435 So mit Blick auf die in ErwG 18 SE-RL niedergelegte Zielrichtung der SERL, den Bestandschutz der Arbeitnehmerbeteiligungsrechte zu gewährleisten, eine weite Auslegung erwägend, aber i. E. ablehnend Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 20. 436 Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 11; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17; Güntzel Diss. 2006, S. 292. 437 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 26; für die Unterscheidung zwischen dem Übergang eines Unternehmens im Wege der Gesamtrechts- oder Einzelrechtsnachfolge auch Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 438 Vgl. Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 26. 439 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 26. 430 Scheibe
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erborn440 insofern zwischen einem „korporativen Akt mit Satzungsrelevanz (gründungsgleicher Tatbestand)“ einerseits und einem „rechtsgeschäftlichen Erwerb von Unternehmen, Gesellschaften, Betrieben oder Betriebsteilen durch die SE (gründungsähnlicher Tatbestand)“ andererseits: Während ein gründungsgleicher Tatbestand einer SE-Strukturänderung „zwingend zur Änderung der Belegschaftsstruktur und damit zur Änderung der Beteiligungsrechte, an die § 18 Abs. 3 Satz 1 SEBG anknüpft“, führe, werde „die erforderliche Änderung der Belegschaftsstruktur“ bei einem gründungsähnlichen Tatbestand „nicht indiziert“. Das für eine „strukturelle Änderung“ nach § 18 Abs. 3 SEBG erforderliche Gewicht ergebe sich bei einem gründungsähnlichen Tatbestand „erst dann, wenn die Einbeziehung anderer Belegschaften oder Belegschaftsteile zu einer Änderung der Beteiligungsrechte führen würde“441. (3) S tellungnahme: Konkretisierung des Begriffs „struktureller Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG Die Kontroverse um den Begriff der „strukturellen Änderungen“ bezieht sich bislang insbesondere auf dessen Auslegung im Rahmen des § 18 Abs. 3 SEBG. Für die vorliegende Arbeit ist der Begriff mittelbar durch die Anknüpfung des § 43 S. 2 SEBG an die Nichtdurchführung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG von Bedeutung.442 Jedoch wird die Auseinandersetzung mit dem Begriff der „strukturellen Änderung“ im Kontext der Missbrauchsvermutung durch den Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG entschärft, wenn man ein in der jüngeren Literatur im Rahmen der Auslegung des § 18 Abs. 3 SEBG angeführtes Argument bei § 43 S. 2 SEBG weiterentwickelt: Insbesondere Teichmann hebt im Zusammenhang mit der Auslegung des § 18 Abs. 3 SEBG hervor, dass das Tatbestandsmerkmal der „strukturellen Änderung“ dann „schärfere Konturen“ erhalte, wenn man es teleologisch auf das zweite Tatbestandselement des § 18 Abs. 3 SEBG, die „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“, beziehe.443 In Fortführung des Arguments von Teichmann zur Auslegung des § 18 Abs. 3 SEBG ist das Tatbestandsmerkmal „strukturelle Änderungen“ in § 43 S. 2 SEBG teleologisch auf den tatbestandsmäßigen Erfolg444 der Norm, das „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von 440 Feuerborn
in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 26. Ganzen Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 26. 442 Vgl. Forst NZG 2009, 687, 690: „Die Regelung [§ 43 S. 2 SEBG] nimmt Bezug auf § 18 III SEBG, sodass dessen Auslegung […] auch Bedeutung für die Reichweite des Missbrauchstatbestands hat.“. 443 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 358. 444 Vgl. dazu oben unter § 3 C. II. (bzgl. Art. 11 SE-RL), § 5 A. III. 2. (bzgl. § 43 S. 1 SEBG). 441 Zum
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
Beteiligungsrechten, zu beziehen. Zudem ist bei der Auslegung des Begriffs im Kontext des § 43 S. 2 SEBG der von § 18 Abs. 3 SEBG abweichende Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG zu beachten: Während bei § 18 Abs. 3 SEBG geplante strukturelle Änderungen geeignet445 sein müssen, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern446, fordert § 43 S. 2 SEBG, dass strukturelle Änderungen stattgefunden und bewirkt haben, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten worden sind. Daher sind nicht sämtliche Fälle, in denen die Durchführung des § 18 Abs. 3 SEBG versäumt wurde, automatisch Fälle, die von § 43 S. 2 SEBG erfasst sind. Vielmehr ist der Tatbestand des § 43 S. 2 SEBG erst erfüllt, wenn „strukturelle Änderungen“ nicht nur geplant, sondern tatsächlich durchgeführt worden sind und dadurch als tatbestandlicher Erfolg nicht bloß eine Eignung zur Minderung, sondern ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten eingetreten ist. Während § 18 Abs. 3 SEBG jederzeit und bereits im Planungsstadium greift, ist § 43 S. 2 SEBG erst nach dem Stattfinden struktureller Änderungen und nur innerhalb eines Jahres nach der SE-Gründung anwendbar. § 18 Abs. 3 SEBG schützt somit die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der gegründeten SE, während § 43 S. 2 SEBG die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften schützt. Einer – insbesondere im Hinblick auf § 18 Abs. 3 SEBG vertretenen – restriktiven Auslegung des Merkmals steht daher jedenfalls im Rahmen des § 43 S. 2 SEBG entgegen, dass bereits der Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG nur solche „strukturellen Änderungen“ erfasst, welche ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten tatsächlich bewirken.447 Die für § 18 Abs. 3 SEBG vorgeschlagenen Beschränkungen auf bestimmte Typen „struktureller Änderungen“, etwa bestimmte Arten gesellschaftsrechtlicher Vorgänge, berücksichtigen das Telos des § 43 S. 2 SEBG nicht ausreichend. § 43 S. 2 SEBG ist teleologisch dahingehend auszulegen, dass dessen tatbestandsmäßiger Erfolg verhindert werden soll – ohne eine den Schutzzweck negierende Beschränkung auf eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Art und Weise seiner Herbeiführung. Hierfür spricht gesetzeshistorisch, dass die Gesetzesbegründung eine „strukturelle Änderung“ darstellende Maßnahme des Entziehens oder Vorenthaltens mit dem Begriff der „Aufnahme“ eines Unternehmens und damit bewusst nicht mit einem gesellschaftsrechtlichen Begriff bezeichnet. 445 Zum Begriff der „Eignung“ in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG vgl. Jacobs in: MüKoAktG § 18 SEBG Rn 14; Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 485; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 31. 446 Zum Begriff der „Minderung“ in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG siehe Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 14; Hoops Diss. 2009, S. 62; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 31; Schmid Diss. 2010, S. 136. 447 Vgl. auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 7.
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„Strukturelle Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG sind daher solche Änderungen der SE, die geeignet sind, Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern zu entziehen oder vorzuenthalten. Entscheidend für die Missbrauchsvermutung ist daher nicht, ob die konkrete „strukturelle Änderung“ einer bestimmten – etwa gesellschaftsrechtlichen – Kategorie von Maßnahmen angehört. Vielmehr kommt es für § 43 S. 2 SEBG darauf an, dass ihre Durchführung bewirkt, dass Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden.448 bb) A usbleiben einer ordnungsgemäßen Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG Nach dem Wortlaut greift § 43 S. 2 SEBG, wenn ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG „strukturelle Änderungen“ stattfinden. Ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG wird erstens nicht „durchgeführt“, wenn es gar nicht erst aufgenommen wird. Dabei ist unerheblich, ob die SE-Leitung selbst keine Veranlassung dazu sieht und daher auf eine Verfahrenseinleitung von sich aus verzichtet oder ob die SE-Leitung ein entsprechendes Begehren des SE-Betriebsrats ablehnt und deshalb kein Verfahren einleitet. Zweitens wird ein Verfahren nicht „durchgeführt“, wenn es zwar im Einklang mit § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG eingeleitet worden ist, aber nicht ordnungsgemäß beendet worden ist. Rechtswidrig ist die Beendigung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG, wenn die Mindestverhandlungsfrist nach § 20 SEBG verkürzt wird und das Verfahren vorzeitig abgebrochen wird. Wird das eingeleitete Verfahren jedoch rechtmäßig beendet, indem ein Beschluss nach § 16 Abs. 1 SEBG rechtmäßig gefasst wird, liegt keine Nichtdurchführung i. S. v. § 43 S. 2 SEBG vor. cc) Zeitpunkt des „Stattfindens“ struktureller Änderungen Der Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG setzt voraus, dass strukturelle Änderungen der SE „stattfinden“. Fraglich ist der genaue Zeitpunkt eines solchen „Stattfindens“ struktureller Änderungen. Als spätestmöglicher Zeitpunkt ist der Abschluss der Durchführung der „strukturellen Änderungen“ denkbar, d. h. deren konkrete Umsetzung in der SE. Bei einer im Handelsregister einzutragenden gesellschaftsrechtlichen Maßnahme ist dieser Zeitpunkt die Eintragung im Handelsregister. Indes könnte ein früherer Zeitpunkt als das Ende der Durchführung „struktureller Änderungen“ maßgeblich sein. Der Wortlaut („stattfinden“) 448 Vgl. zur Stützung der hier vertretenen Ansicht durch § 44 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Dänemark noch unter § 6 B. I. 2.
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spricht dafür, dass nicht erst der Abschluss, sondern bereits der Beginn der Durchführung struktureller Änderungen maßgeblicher Zeitpunkt für das „Stattfinden“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG sein könnte. Gegen einen noch früheren Zeitpunkt als den Beginn der Durchführung spricht ein systematischer Vergleich des § 43 S. 2 SEBG mit § 18 Abs. 3 SEBG. Während § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG darauf abstellt, dass strukturelle Änderungen der SE geplant sind, ist für § 43 S. 2 SEBG maßgeblich, dass strukturelle Änderungen stattfinden. Somit scheidet die Planungsphase als Anknüpfungspunkt für das „Stattfinden“ struktureller Änderungen i. S. v. § 43 S. 2 SEBG aus. Für ein „Stattfinden“ struktureller Änderungen nach Abschluss der Planungsphase und mit Beginn ihrer Durchführung könnte sprechen, dass die SE-Leitung bereits in diesem Zeitpunkt ihre Pflicht zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG verletzt, wenn sie bis dahin keine Verhandlungen eingeleitet hat. Indes knüpft § 43 S. 2 SEBG nicht an eine bloße Verletzung der Pflicht nach § 18 Abs. 3 SEBG an.449 Stattdessen hat § 43 S. 2 SEBG eigene, über die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG hinausgehende Voraussetzungen. Insbesondere ist für § 43 S. 2 SEBG erforderlich, dass die strukturellen Änderungen nicht nur zur Minderung von Beteiligungsrechten geeignet sind, sondern ein Vorenthalten oder Entziehen von Beteiligungsrechten bewirken. Mithin zwingt die Anknüpfung des § 43 S. 2 SEBG an § 18 Abs. 3 SEBG nicht zu einer Auslegung, wonach mit Abschluss der Planungsphase sogleich strukturelle Änderungen i. S. v. § 43 S. 2 SEBG „stattfinden“. Für ein dahingehendes Verständnis, dass strukturelle Änderungen bereits „stattfinden“, wenn mit deren Umsetzung begonnen worden ist, spricht der im Präsens formulierte Wortlaut. Auch die Wortwahl spricht dafür, dass ein Prozess zur Umsetzung lediglich begonnen haben muss. Dem Wortsinn nach bedeutet „stattfinden“: „(als Geplantes, Veranstaltetes) geschehen, vor sich gehen“450. Andererseits könnte aus dem Zusammenhang mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg des Bewirkens eines Vorenthaltens oder Entziehens von Beteiligungsrechten zu folgern sein, dass von einem „Stattfinden“ struktureller Änderungen erst auszugehen ist, wenn der tatbestandsmäßige Erfolg eingetreten ist. Gegen dieses Verständnis spricht jedoch der von § 43 S. 2 SEBG vorgegebene zeitliche Zusammenhang mit der SE-Gründung. Knüpfte man lediglich daran an, dass die Folgen der strukturellen Änderung bei den Arbeitnehmern innerhalb der Jahresfrist „spürbar“ werden, könnte 449 So aber wohl Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 184, der an der gesetz lichen Regelung die Vermengung von Rechtsmissbrauch und Rechtsbruch kritisiert. 450 Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 3709.
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sich ein Umgehungspotential dadurch ergeben, dass der Zeitpunkt des Abschlusses einer strukturellen Änderung bewusst so weit nach hinten verschoben werden könnte, dass sich deren Folgen erst nach Ablauf der Jahresfrist nachteilig auf die Beteiligungsrechte auswirkten. Es würde vom Umfang der strukturellen Änderung abhängen, ob die Jahresfrist greift oder nicht. Auch der Wortlaut des § 43 S. 1 SEBG bezieht die Jahresfrist auf das Stattfinden der strukturellen Änderungen und gerade nicht auf das Bewirken des tatbestandsmäßigen Erfolgs. Mithin liegt ein „Stattfinden“ einer „strukturellen Änderung“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG bereits vor, wenn mit ihrer rechtlich wirksamen Durchführung begonnen wird. b) Zeitlicher Zusammenhang zwischen SE-Gründung und dem Stattfinden struktureller Änderungen Der Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG setzt voraus, dass zwischen der SEGründung und dem Stattfinden einer „strukturellen Änderung“ ein enger zeitlicher Zusammenhang von einem Jahr besteht.451 Die Frist beginnt nach einhelliger Auffassung mit dem Abschluss der SE-Gründung durch Eintragung in das Handelsregister gem. Art. 12 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 SE-VO.452 c) Tatbestandlicher Erfolg: Vorenthalten oder Entziehen von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer Der von § 43 S. 2 SEBG vorausgesetzte tatbestandsmäßige Erfolg – „dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden“ – ist identisch mit dem jeweils auch von Art. 11 SE-RL und § 43 S. 1 SEBG vorausgesetzten tatbestandsmäßigen Erfolg. Daher kann insoweit auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.453
451 So auch Nagel DB 2004, 1299, 1303; Nagel NZG 2004, 833, 839; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 7; Rehberg ZGR 2005, 859, 888; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 7; Scheibe Diss. 2007, S. 153; Hoops Diss. 2009, S. 59; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 34. 452 Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 3; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 7; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 6; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 12. 453 Oben unter § 3 C. II. (bzgl. Art. 11 SE-RL), § 5 A. III. 2. (bzgl. § 43 S. 1 SEBG).
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
d) Kausalität zwischen stattgefundenen strukturellen Änderungen und tatbestandlichem Erfolg § 43 S. 2 SEBG verlangt, dass die strukturellen Änderungen „bewirken“, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Dem Wortsinn nach bedeutet „bewirken“: „verursachen, (als Wirkung) hervorbringen, veranlassen, hervorrufen, herbeiführen“454. Mithin gilt wie bei § 43 S. 1 SEBG, dass der tatbestandsmäßige Vorgang – hier das Stattfinden struktureller Änderungen ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach SE-Gründung – kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg – „dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden“ – sein muss.455 2. Rechtsfolge des § 43 S. 2 SEBG Dem Wortlaut nach besteht die Rechtsfolge des § 43 S. 2 SEBG darin, dass „Missbrauch […] vermutet [wird]“. a) Gesetzliche Rechtsvermutung des Missbrauchs einer SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG Unklar ist der Inhalt der Vermutung des § 43 S. 2 SEBG. Nach Jacobs soll sich die Vermutung „wohl darauf [beziehen], dass die strukturelle Änderung und nicht die SE-Gründung rechtsmissbräuchlich ist“456. Demgegenüber wird nach Feldhaus / Vanscheidt die „Missbrauchsabsicht“, die sie bei § 43 S. 1 SEBG fordern, vermutet.457 Beide Auffassungen überzeugen nicht. Folge der letztgenannten Auffassung wäre, dass sich danach die Vermutung nur auf die subjektive Seite des Missbrauchs erstreckte. Jedoch unterscheidet § 43 S. 2 SEBG im Hinblick auf die Vermutung nicht zwischen objektiven und subjektiven Tat bestandsmerkmalen des Missbrauchs. Daher beschränkt sich die gesetz liche Rechtsvermutung458 des § 43 S. 2 SEBG nicht auf subjektive Merkmale des Missbrauchsbegriffs nach § 43 S. 1 SEBG, sondern erstreckt sich 454 Duden,
Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, S. 584. für das Kausalitäts-Erfordernis bei Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (3). 456 Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 3. 457 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248. 458 Zum Begriff der gesetzlichen Rechtsvermutung vgl. Prütting in: MüKo-ZPO § 292 ZPO Rn 11. 455 Vgl.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland307
auch auf die objektiven Voraussetzungen des Missbrauchs nach § 43 S. 1 SEBG.459 Da objektiver und subjektiver Tatbestand des Missbrauchs einer SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vermutet werden, greift auch die erstgenannte Ansicht zu kurz, indem sie § 43 S. 2 SEBG lediglich eine Vermutung der Missbräuchlichkeit einer strukturellen Änderung460 der SE zuschreibt. Aus Wortlaut und Telos des § 43 S. 2 SEBG ist jedoch nicht abzuleiten, dass § 43 S. 2 SEBG andere Rechtsfolgen als § 43 S. 1 SEBG auslöst. § 43 S. 2 SEBG begründet keine eigenständigen Rechtsfolgen. Vielmehr greifen im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen der Vermutung die Rechtsfolgen nach § 43 S. 1 SEBG, welche sich auf den Missbrauch einer SE beziehen.461 Die Vermutungsregelung des § 43 S. 2 SEBG bezweckt gerade keine isolierte Betrachtung der strukturellen Änderung, sondern die SE-Gründung zusammen mit der nachfolgenden strukturellen Änderung der SE in den Blick zu nehmen. Die Vermutung der Missbräuchlichkeit lediglich der strukturellen Änderung bedeutete letztlich einen Gleichlauf mit der Verletzung der Pflicht zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG. Indes hat der Gesetzgeber die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG für den Fall, dass die strukturelle Änderung innerhalb eines Jahres nach SE-Gründung stattfindet, gerade nicht als bloße Verletzung des § 18 Abs. 3 SEBG eingestuft, sondern für den Fall des Vorliegens der Voraussetzungen nach § 43 S. 2 SEBG die Anwendbarkeit der Rechtsfolgen des § 43 S. 1 SEBG vorgesehen. Vermutungsfolge der gesetzlichen Rechtsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG ist somit der Missbrauch der Rechtsform einer SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG.462
459 Hingegen geht die Vermutung des § 43 S. 2 SEBG nicht so weit, dass auch der tatbestandliche Erfolg des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten vermutet würde. Dies folgt daraus, dass § 43 S. 2 SEBG a. E. als eigenständige Voraussetzung vorsieht, dass die stattfindenden strukturellen Änderungen „bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden.“ Dazu noch im Rahmen der Widerlegbarkeit der Vermutung sogleich unter § 5 B. II. 2. b). 460 Zuzustimmen ist Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 3 insoweit, als die strukturelle Änderung selbst nicht vermutet wird. 461 Zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG vgl. oben unter § 5 A. IV. 462 Vgl. Habersack Der Konzern 2006, 105, 109 („[…] bestimmt § 43 Satz 2 SEBG, dass ein nach § 43 Satz 1 SEBG verbotener Missbrauch der Rechtsform der SE zu vermuten ist […].“).
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
b) Widerlegbarkeit der Vermutung Nach § 292 ZPO sind gesetzliche Vermutungen grundsätzlich widerlegbar, soweit nicht das Gesetz ausdrücklich etwas anderes anordnet.463 Der Wortlaut des § 43 S. 2 SEBG lässt die Einordnung als widerlegbare464 gesetzliche Vermutung des Missbrauchs einer SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG zu. Die Widerlegbarkeit einer Vermutung bedeutet grundsätzlich, dass die Gegenpartei gegen die Vermutung den Beweis des Gegenteils führen kann.465 Es handelt sich um eine besondere Verteilung der Beweislast.466 Der Vermutungstatbestand, d. h. die tatsächlichen Umstände, welche die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 43 S. 2 SEBG begründen, ist von der Partei, die sich auf die Vermutung des § 43 S. 2 SEBG beruft, zu behaupten und im Bestreitensfall zu beweisen.467 Die Vermutungsfolge besteht in der Annahme, dass ein „Missbrauch einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vorliegt.468 In der Literatur werden als mögliche Anforderungen an die Widerlegung der Vermutungsfolge des § 43 S. 2 SEBG genannt: „Beweis des Gegenteils“469, Beweis, „dass die strukturellen Änderungen […] nicht miss bräuchlich waren“470, „sachliche“471 oder „nachvollziehbare wirtschaftliche Gründe“472, „Beibehaltung oder die äquivalente Übernahme der Beteiligungs rechte“473 oder „Rechtfertigungsgründe für die strukturelle Änderung […], die sich nicht auf die Beteiligung der Arbeitnehmer beziehen“474. 463 Prütting
in: MüKo-ZPO § 292 ZPO Rn 1. in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 3; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 3; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 251; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 7; Schmid Diss. 2010, S. 187; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 12. 465 Prütting in: MüKo-ZPO § 292 ZPO Rn 5. 466 Prütting in: MüKo-ZPO § 292 ZPO Rn 5. 467 Vgl. allgemein zur Darlegungs- und Beweislast der Vermutungsbasis Prütting in: MüKo-ZPO § 292 ZPO Rn 20. 468 Vgl. soeben unter § 5 B. II. 2. a). 469 Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 251. 470 Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 3. 471 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 43 SEBG Rn 7; vgl. auch Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 7; ablehnend Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 3; Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 3. 472 Güntzel Diss. 2006, S. 435. 473 Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 7; so auch bereits Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 3; zustimmend Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 3. 474 Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 7; so auch bereits Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 3. 464 Nagel
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland309
Da bereits ein „Missbrauch einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL, § 43 S. 1 SEBG keine gesonderte Rechtfertigungsprüfung erlaubt,475 ist es der Gegenpartei auch zur Widerlegung der Vermutungsfolge des § 43 S. 2 SEBG nicht gestattet, sich auf Rechtfertigungsgründe sachlicher oder wirtschaftlicher Art zu berufen. Andererseits ist die Vermutung des § 43 S. 2 SEBG nicht erst widerlegt, wenn die Gegenpartei darlegt und beweist, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte weder vorenthalten noch entzogen wurden, da die Vermutung nach § 43 S. 2 SEBG a. E. überhaupt erst greift, wenn nachgewiesen ist, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Die Gegenpartei, zu deren Lasten die gesetzliche Vermutung des § 43 S. 2 SEBG wirken würde, muss zu ihrer Widerlegung den Beweis des Gegenteils führen. Dazu muss sie nachweisen, dass alle diejenigen Tatsachen, die in objektiver und subjektiver Hinsicht einen „Missbrauch der SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründen,476 nicht vorliegen.477 3. Ergebnis zur Konkretisierung des § 43 S. 2 SEBG Mit § 43 S. 2 SEBG hat der deutsche Gesetzgeber eine legislative Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs vorgenommen. Die Norm erstreckt den zeitlichen Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG auf das Stattfinden „struktureller Änderungen“ innerhalb eines Jahres nach einer SE-Gründung.478 Darunter fallen Änderungen der SE, die geeignet sind, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Ob die konkrete „strukturelle Änderung“ einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahmenkategorie angehört, kann für die Missbrauchsvermutung dahinstehen. Entscheidend ist: Die Durchführung der „strukturellen Änderung“ muss bewirken, dass Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden.479 Ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG wird nicht „durchgeführt“, wenn es überhaupt nicht aufgenommen oder, zwar im Einklang mit § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG eingeleitet, aber nicht ordnungsgemäß beendet wird.480 Ein „Stattfinden“ struktureller Änderungen liegt bereits vor, wenn mit deren Durchführung begonnen wird.481 Rechtsfolge des § 43 S. 2 SEBG ist die widerlegbare Vermutung eines „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG.482 475 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4). den Voraussetzungen des „Missbrauchs einer SE“ vgl. oben unter § 3 C. III. 3. (für Art. 11 SE-RL) und § 5 A. III. (§ 43 S. 1 SEBG). 477 Vgl. allgemein Prütting in: MüKo-ZPO § 292 ZPO Rn 25. 478 Vgl. oben unter § 5 B. I. 479 § 5 B. II. 1. a. aa) (3). 480 Vgl. oben unter § 5 B. II. 1. a) bb). 481 § 5 B. II. 1. a) cc). 482 Vgl. oben unter § 5 B. II. 2. 476 Zu
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
C. Strafbarkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG Bestandteil der Umsetzung des Art. 11 SE-RL in das deutsche Recht ist auch die Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG.483 Zu untersuchen sind im Folgenden484 die Voraussetzungen der Strafbarkeit, d. h. Tatbestand (I.), Rechtswidrigkeit und Schuld (II.) sowie das Strafantragserfordernis (III.). I. Tatbestand Der objektive Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG erfordert ein tatbestandsmäßiges Verhalten in Form eines Missbrauchs einer SE,485 das kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg486 eines Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten ist. Der subjektive Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG setzt Vorsatz i. S. v. § 15 StGB voraus.487 1. Tathandlung § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG setzt voraus, dass „entgegen § 43 S. 1 SEBG“ eine SE missbraucht wird. Damit verweist der Wortlaut auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG und nicht auf die Missbrauchsver483 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57; Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 5; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 45 SEBG Rn 8; Schlösser NZG 2008, 126, 128. 484 Zur Frage der Vereinbarkeit des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL noch unter § 7 B. III. 485 So auch Schlösser NZG 2008, 126, 128; Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 13. 486 Vgl. dazu oben unter § 3 C. II. (bzgl. Art. 11 SE-RL), § 5 A. III. 2. (bzgl. § 43 S. 1 SEBG). 487 So auch Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 13: § 15 StGB ist insoweit gem. § 1 Abs. 1 EGStGB auch auf nebenstrafrechtliche Strafvorschriften außerhalb des StGB anwendbar; weitergehend Scheibe Diss. 2007, S. 154, die ein „gezieltes Ausnutzen“ verlangt; ferner Schlösser NZG 2008, 126, 128 f., der unter Verweis auf den Wortlaut („dazu missbraucht …zu“) eine „Absicht“ fordert sowie im Rahmen einer „verfassungsrechtlich gebotenen teleologischen Reduktion“ die Beschneidung von Arbeitnehmerrechten „der zentrale Beweggrund“ sein muss; nach Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 13, könne im Wege der Auslegung des Wortlauts („dazu missbraucht“) von einem „Missbrauch“ nur dann gesprochen werden, „wenn infolge der Entscheidung und des darauf basierenden Vorgehens die Beteiligungsrechte in der SE deutlich schlechter geworden sind und die Entscheidung allein deshalb gefällt wurde, um diese Verschlechterung herbeizuführen.“ Dies liege etwa dann vor, wenn die Wahl der Rechtsform der SE dem Unternehmen ansonsten keine nennenswerten Vorteile bringt.
§ 5 Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland311
mutung nach § 43 S. 2 SEBG.488 Einer isolierten Verweisung auf § 43 S. 1 SEBG könnte jedoch entgegenstehen, dass § 43 SEBG sich nicht in S. 1 und S. 2 aufgliedern lässt, da S. 2 einen Fall bezeichnet, der den Tatbestand des S. 1 vermutet.489 Indes wird durchweg vertreten, dass die Vermutung des § 43 S. 2 SEBG im Rahmen des § 45 Abs. 2 Nr. 2 SEBG im Ergebnis nicht anzuwenden ist.490 Zum Teil wird die Nichtanwendung des § 43 S. 2 SEBG auf eine verfassungskonforme Auslegung des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG gestützt.491 Die Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe auf der Grundlage eines nur vermuteten „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG verstoße gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten492 und ebenfalls in Art. 48 EU-Grundrechtecharta493 und Art. 6 Abs. 2 EMRK494 verankerten Grundsatz in dubio pro reo, weil die Vermutung des § 43 S. 2 SEBG die Beweislast, die Vermutung zu widerlegen und damit seine Unschuld zu beweisen, unzulässig auf den Angeklagten verlagerte.495 Jedoch hat der Gesetzgeber ungeachtet der außerstrafrechtlichen Verknüpfung von § 43 S. 1 und S. 2 SEBG bereits durch den isolierten Verweis in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG nur auf § 43 S. 1 SEBG klargestellt, dass er die Anwendbarkeit der Vermutungsregel im Strafrecht ausschließen
488 So auch Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 14; Schlösser NZG 2008, 126, 128; Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 11 SE-RL Rn 4; Rehberg ZGR 2005, 859, 890 f.; Forst NZG 2009, 687, 690; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 45 SEBG Rn 5; Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 8; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 200. 489 So Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 5; vgl. Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 14. 490 Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 5; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 45 SEBG Rn 10; Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 14; vgl. auch bereits Grobys NZA 2004, 779, 781; Grobys NZA 2005, 84, 91 Fn 49; Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 11 SE-RL Rn 4; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 45 SEBG Rn 5; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 54; Schlösser NZG 2008, 126, 128. 491 Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 11 SE-RL Rn 4; Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 5. 492 BVerfG Beschl. v. 26.3.1987 – 2 BvR 589 / 79, NJW 1987, 2427; vgl. Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 14. 493 Die EU-Grundrechtecharta ist gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV gleichrangig mit den Europäischen Verträgen. 494 Die durch die EMRK gewährleisteten Grundrechte sind gemäß Art. 6 Abs. 3 EMRK als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. 495 Vgl. Grobys NZA 2004, 779, 781; Grobys NZA 2005, 84, 91 Fn 49; Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 11 SE-RL Rn 4; Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 5; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 54; Schwarz SE-Verordnung, Einl. Rn 319; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 45 SEBG Rn 10; Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 14.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
wollte.496 Da der Wortlaut des § 45 Abs. 2 Nr. 2 SEBG insoweit keine Zweifel aufwirft, bedarf es keiner besonderen verfassungskonformen Auslegung. Eine Strafbarkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 43 S. 2 SEBG verstieße nicht nur gegen den im Rechtsstaatsprinzip verankerten in-dubioGrundsatz. Eine derartige Erweiterung der Strafbarkeit wäre zudem mit dem ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Analogie-Verbot (nullum crimen sine lege stricta, vgl. Art. 103 Abs. 2 GG) im Strafrecht unvereinbar, weil eine Strafbarkeit auf Grundlage von § 45 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 43 S. 2 SEBG über den Wortlaut des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG hinausginge. Indes gilt nach dem Bundesverfassungsgericht: „Der mögliche Wortsinn markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation.“497 Daher schließt bereits der Wortlaut des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG eine Anwendung des § 43 S. 2 SEBG im Strafrecht aus.498 2. Täterschaft Als Täter des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG kommen wegen des Verweises auf § 43 S. 1 SEBG nur solche Personen in Betracht, die auch dem persönlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG unterliegen.499 Dieser beschränkt sich auf die Mitglieder der arbeitgeberseitigen Gremien wie „Leitungen“ (vgl. § 2 Abs. 5 SEBG)500 oder Unternehmensorganen der an der SEGründung „beteiligten Gesellschaften“ oder der gegründeten SE. Allerdings verengt die Regierungsbegründung den persönlichen Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG auf einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot „durch Mitglieder der Leitungen“501 (§ 2 Abs. 5 SEBG) und nimmt damit Mitglieder eines Aufsichtsorgans aus.502 Bei einem Gremium-Beschluss ist jedes zustimmende Gremienmitglied strafbar.503 496 Vgl. Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 14; auch erwogen von Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 11 SE-RL Rn 4; „nicht zwingend“: Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 45 SEBG Rn 10. 497 BVerfG Beschluss v. 18.9.2006 – 2 BvR 2126 / 05, NJW 2007, 1193. 498 Vgl. auch Feuerborn in: KK-AktG § 43 SEBG Rn 8, wonach sich aufgrund der eindeutigen Verweisungstechnik und der Überlegung, dass sich die Anwendung eines Vermutungstatbestands im Rahmen des Strafprozesses verbiete, eine weitergehende Klarstellung nicht erforderlich. 499 Vgl. zum persönlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG bereits oben unter § 5 A. II. 3. 500 Insoweit auch Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 2. 501 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 502 I. E. auch Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 2. 503 Näher Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 15; die Frage einer Strafbarkeit sämtlicher Gremienmitglieder aufwerfend Schlösser NZG 2008, 126, 129.
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II. Rechtswidrigkeit und Schuld Während beim „Missbrauch einer SE“ als Merkmal in Art. 11 SE-RL und § 43 S. 1 SEBG nach hier vertretener Auffassung keine gesonderte Prüfung von Rechtfertigungsgründen erfolgt,504 steht außer Frage, dass eine Strafbarkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ein rechtswidriges (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB, § 1 Abs. 1 EGStGB) und schuldhaftes Handeln voraussetzt. Indes lassen die von Teilen der Literatur hinsichtlich Art. 11 SE-RL und § 43 S. 1 SEBG erwogenen „sachlichen“ oder „wirtschaftlichen“ Rechtfertigungsgründe505 auch die strafrechtliche Rechtswidrigkeit nicht entfallen. Eine Rechtfertigung durch Notwehr (§ 32 StGB) kommt mangels notwehrfähigen Rechtsguts ebensowenig wie eine Rechtfertigung durch Notstand (§ 34 StGB), der nur die Erhaltung eines bereits vorhandenen Wertebestands schützt,506 in Betracht. III. Strafantrag Gemäß § 45 Abs. 4 S. 1 SEBG wird eine Tat nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 SEBG „nur auf Antrag verfolgt“. Da das Gesetz kein Antragssurrogat507 durch ein besonderes öffentliches Verfolgungsinteresse vorsieht, ist § 45 Abs. 2 Nr. 2 SEBG als absolutes Antragsdelikt zu qualifizieren. Wegen des Antragserfordernisses führt ein Verstoß gegen das allgemeine Missbrauchsverbot (§ 43 S. 1 SEBG) nicht von Amts wegen zur Einleitung behördlicher Ermittlungsmaßnahmen im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG. Allerdings ist der Strafantrag nach § 45 Abs. 4 S. 1 SEBG lediglich eine formale Voraussetzung, die von den Antragsberechtigten (vgl. § 45 Abs. 4 SEBG) leicht herbeigeführt werden kann und somit für diese eine geringe Hürde darstellt. Antragsberechtigt sind nicht nur das bVG, der SE-Betriebsrat oder die Mehrheit der Arbeitnehmervertreter eines sonstigen Verfahrens der Unterrichtung und Anhörung sowie eine im Unternehmen vertretene Gewerkschaft, sondern auch jedes Mitglied des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE sowie die SE-Leitung oder die Leitungen der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften (vgl. § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG). Fraglich ist, ob ein einzelner Arbeitnehmer, der von einem Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten betroffen ist, antragsberechtigt ist.508 504 Vgl. 505 Vgl. 506 Vgl.
507 Vgl. § 77 StGB 508 Vgl.
oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4) (b). dazu oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4) (a). allgemein Erb in: MüKo-StGB § 34 StGB Rn 57. allgemein zu absoluten Antragsdelikten Mitsch in: MüKo-StGB Vor Rn 1. Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 22.
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Für eine Antragsberechtigung einzelner Arbeitnehmer führt Altenhain509 an, dass gemäß der allgemeinen Vorschrift des § 77 Abs. 1 StGB der Verletzte stets antragsberechtigt sei, soweit das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. Der Wortlaut des § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG lasse eine Einschränkung auf die dort bezeichneten Antragsberechtigten nicht erkennen. Vielmehr werde durch die Aufzählung in § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG der Kreis der Antragsberechtigten lediglich erweitert. Hierfür spreche auch die Gesetzesbegründung, die der Vorschrift nur eine Klarstellungsfunktion beimesse.510 Zuzugeben ist, dass die Gesetzesbegründung von einem größeren Kreis an potentiell durch einen „Missbrauch einer SE“ Verletzten ausgeht.511 Aus der Gesetzesbegründung ist jedoch zu folgern, dass die Aufzählung in § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG abschließend ist:512 „Da bei der Verletzung von Beteiligungsrechten […] ein größerer Kreis an Verletzten in Betracht kommt, zählt Satz 2 klarstellend die Personen und Gremien auf, die in diesen Fällen antragsberechtigt sind.“513 Aus der Formulierung „Personen und Gremien“ ergibt sich zudem, dass § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG nicht nur die antragsberechtigten Gremien, sondern auch die antragsberechtigten Personen abschließend benennt. In systematischer Hinsicht könnte für einen abschließenden Charakter des § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG sprechen, dass eine solche Auslegung dem Antragsrecht nach § 119 Abs. 2 BetrVG bei Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder (§ 119 Abs. 1 BetrVG) entspräche.514 Nach § 119 Abs. 2 BetrVG sind nur die dort aufgeführten Gremien antragsberechtigt. Da sich dies dort bereits aus dem Wortlaut („nur auf Antrag des […]“) ergibt, kommt diesem systematischen Argument jedoch geringe Bedeutung zu. Entscheidender ist ein teleologisches Argument: Das Schutzgut des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ist auf die Wahrung kollektiver Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer begrenzt. Beteiligungsrechte stehen nicht einzelnen Arbeitnehmern als deren individuelle Rechtsposition zu. Darüber hinaus begründet der Regierungsentwurf den erhöhten Strafrahmen des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG (Höchstmaß: 2 Jahre) gegenüber § 45 Abs. 2 SEBG (Höchstmaß: 1 Jahr) damit, dass „von der Zuwiderhandlung die Beteiligungsrechte aller Arbeitnehmer insgesamt in Folgenden Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 22. Ganzen Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 22. 511 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 512 Der Sache nach auch Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 7; in diese Richtung wohl auch Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 45 SEBG Rn 15. 513 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 514 Vgl. Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 22. 509 Zum 510 Zum
§ 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL315
ihrem Bestand betroffen sein können“515. Dieses Argument entspricht dem Zweck der Beteiligungsrechte, den Arbeitnehmern in ihrer Gesamtheit Einfluss auf die Entscheidungen des Unternehmens einzuräumen. Insofern können Arbeitnehmer auch nicht individuell, sondern nur im Kollektiv durch einen Missbrauch einer SE potentiell verletzt werden. Daher sind sie auch nicht einzeln, sondern nur über die sie vertretenden Gremien wie das bVG oder den SE-Betriebsrat (vgl. § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG) antragsberechtigt. Die gesondert geregelte Antragsberechtigung dieser Gremien wäre nicht erforderlich, wenn bereits jeder einzelne Arbeitnehmer einen eigenen Strafantrag stellen könnte. Im Ergebnis ist die Aufzählung der Antragsberechtigten in § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG abschließend, sodass die Norm „etwas anderes“ i. S. v. § 77 Abs. 1 StGB bestimmt. Damit steht dem einzelnen Arbeitnehmer kein Antragsrecht zu.
§ 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL in weiteren Mitgliedstaaten A. Ziel und Nutzen einer rechtsvergleichenden Untersuchung mitgliedstaatlicher Vorschriften zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL Bei einem Vergleich der deutschen Umsetzung von Art. 11 SE-RL mit Umsetzungskonzepten anderer Mitgliedstaaten ist fraglich, ob und inwieweit diese Umsetzungsakte zur Konkretisierung von Art. 11 SE-RL und / oder zur Auslegung von §§ 18, 43, 45 SEBG herangezogen werden können.516 Schwartze517 weist auf die Gefahr eines Zirkelschlusses hin, wenn die mitgliedstaatlichen Umsetzungsregeln den Inhalt der Richtlinie beeinflussen, obwohl an sich die mitgliedstaatlichen Regeln am Inhalt der Richtlinie auszurichten sind. Andererseits sollen nach Forst518 die Umsetzungsakte anderer Mitgliedstaaten als „Fingerzeig“ zu verstehen sein, da sich die Umsetzungsgesetze zum Teil erheblich unterscheiden und „manches, was in Deutschland ungeregelt ist, […] andernorts durch den Gesetzgeber geklärt [ist] und 515 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 516 Vgl. allgemein „zum argumentativen Wert der Umsetzungsakte anderer Mitgliedstaaten“: Forst Diss. 2010, S. 11; ferner Lutter JZ 1992, 593, 604. 517 Schwartze in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 4 Rn 28. 518 Forst Diss. 2010, S. 11.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
umgekehrt“519. Wenn die richtige Auslegung der SE-RL fraglich sei, dienten die mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetze als Beleg dafür, dass die SE-RL in einer bestimmten Weise interpretiert werden könne, weil auch ein ausländisches Legislativorgan sie so verstanden habe. Sie würden somit auf solche Fragen eine Antwort geben, zu denen der deutsche Gesetzgeber schweige.520 Auch nach Lutter ist die gestaltende Umsetzung der Mitgliedstaaten „lehrreich und erhellend für den Rechtsanwender im Nachbarland bei seiner Suche nach dem Verständnis einer Richtlinie“.521 Die Berücksichtigung der Betrachtungen und Erfahrungen anderer Mitgliedstaaten bei der Feststellung des Richtlinieninhalts könne jedenfalls das eigene Auslegungsergebnis des Rechtsanwenders bekräftigen oder in ihm Zweifel wecken und auf dieser Grundlage zur Vorlage an den EuGH führen. Ein Rechtsvergleich im Sinne einer Überprüfung der anderen nationalen Rechte und ihrer Positionen zum Verständnis der Richtlinie unter Berücksichtigung der jeweiligen Lehre und Rechtsprechung sei „geschuldeter Teil der Auslegung der Richtlinie“522. Dabei seien zunächst Argumente zum Verständnis der Richtlinien zu vergleichen, etwaige Divergenzen aufzuzeigen und deren Beseitigung durch eine „dann notwendige Auslegungsentscheidung des EuGH“ herbeizuführen.523 Ein Rechtsvergleich der mitgliedstaatlichen Umsetzungen des Art. 11 SERL kann somit zur Konkretisierung der europarechtlichen Generalklausel beitragen, indem mitgliedstaatliche Ansätze zur inhaltlichen Ausfüllung der konkretisierungsbedürftigen Richtlinienbestimmung des Art. 11 SE-RL aufgezeigt und auf europarechtlicher Ebene zur Diskussion gestellt werden können. Für eine Anerkennung eines bestimmten Verständnisses von Art. 11 SE-RL als rechtsverbindliche Konkretisierung der Norm bedarf es einer Bestätigung durch den EuGH, da ihm die einheitliche Letztkonkretisierung des Art. 11 SE-RL vorbehalten ist.524
B. Systematischer Vergleich mitgliedstaatlicher Regelungskonzepte anhand ausgewählter Umsetzungsgesetze Die mitgliedstaatlichen Gesetze zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL sehen zum Teil Regelungen zum Missbrauch einer SE (dazu sogleich unter I.) 519 Forst
Diss. 2010, S. 11. Diss. 2010, S. 11. 521 Lutter JZ 1992, 593, 604. 522 Lutter JZ 1992, 593, 604. 523 Lutter JZ 1992, 593, 604. 524 Vgl. zur Letztkonkretisierungsbefugnis des EuGH oben unter § 3 B. I. 520 Forst
§ 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL317
und / oder zu (strukturellen) Änderungen einer SE (II.) – jeweils in verschiedenen Varianten – vor. Ferner konkretisieren einige Umsetzungsgesetze das im Falle eines Missbrauchs einer SE anzuwendende Verfahren (III.). I. Regelungskonzepte zum „Missbrauch einer SE“ Von 16 im Rahmen dieser Untersuchung ausgewählten525 mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen enthalten acht einen Tatbestand, dessen Normtext526 oder Überschrift527 ausdrücklich den Begriff „Missbrauch“ enthält. Weitere acht528 Umsetzungsgesetze erwähnen den Begriff des Missbrauchs nicht. Von den untersuchten Umsetzungsgesetzen enthalten vier ein ausdrückliches Verbot des Missbrauchs (dazu sogleich als „Typ A1“ unter 1.) und sechs weitere eine anders ausgestaltete Missbrauchsnorm (dazu noch als „Typ A2“ unter 2.). 1. Typ A1: Verbot des Missbrauchs Art. 21 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein, Art. 67 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Schweden, Art. 14 Umsetzungsgesetz-Malta und § 229 Abs. 1 S. 1 ArbVG-Österreich, die wie § 43 S. 1 SEBG ein Missbrauchsverbot statuieren, lehnen sich stark an den Wortlaut des Art. 11 SE-RL an. Diese Normen konkretisieren den Begriff des „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL nicht weiter.
525 Die Auswahl der in dieser Arbeit berücksichtigten Umsetzungsgesetze soll unter Berücksichtigung der sprachlichen Zugänglichkeit die wichtigsten Regelungskonzepte aufzeigen und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zur Auswahl zählen hier neben Deutschland: Dänemark, Belgien, Finnland, Frankreich, Italien, Irland, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Schweden, Spanien, Österreich und das Vereinigte Königreich (im Folgenden: UK). 526 Neben § 43 S. 1 SEBG sind dies § 229 Abs. 1 S. 1 ArbVG-Österreich; Art. 67 Abs. 1 Umsetzungs-gesetz-Schweden; Art. 21 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein; Art. 14 Umsetzungsgesetz-Malta. 527 Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; Art. 11 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Italien; Titel IV Teil 6 Kapitel 2 Umsetzungsgesetz-Polen. 528 Art. L2354-4 Code du travail; Artikel 1:19 Umsetzungsgesetz-Niederlande, Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien; §§ 44, 46 Umsetzungsgesetz-Dänemark; Art. 26 Var. 1 Umsetzungsgesetz-Spanien; Art. 20 (1) (e) Umsetzungsgesetz-Irland; Art. L. 444-5 Umsetzungs-gesetz-Luxemburg; Art. 35 Umsetzungsgesetz-UK.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
2. Typ A2: Andere Missbrauchsnormen Die sechs weiteren untersuchten – nicht ausdrücklich als Verbot ausgestalteten – Missbrauchsnormen529 unterscheiden sich von den Missbrauchsverboten dadurch, dass sie entweder ausdrücklich als Rechtsfolge Neuverhandlungen530 anordnen oder die Durchführung eines im Vergleich zu den anderen Konzepten beispiellosen Streitbeilegungsverfahrens531 vorsehen. § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark, Art. 26 S. 1 Umsetzungsgesetz-Spanien und Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland enthalten im Gegensatz zu § 43 S. 1 SEBG kein Missbrauchsverbot, sondern ordnen Neuverhandlungen an. § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark verlangt, dass die Anwendung des Umsetzungsgesetzes zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn Änderungen vor der Gründung der SE durchgeführt worden wären. Ähnlich bestimmt Art. 67 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Schweden: Wenn innerhalb eines Jahres nach Eintragung der SE wesentliche Änderungen in der SE, ihrer Tochtergesellschaften oder Betriebe eintreten, sodass die Arbeitnehmer einen umfangreicheren Einfluss erhalten hätten, als wenn die Eintragung vor der SE durchgeführt worden wäre, wird vermutet, dass die Änderung vorgenommen wurde, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Die Vermutung gilt nicht, wenn das Unternehmen weitere Gründe für die Änderungen nachweist. Diese Regelungen vergleichen somit die Anwendbarkeit des Umsetzungsgesetzes vor Gründung der SE und nach Durchführung der strukturellen Änderungen. Während § 43 S. 2 SEBG nur das erste Jahr nach der SE-Gründung betrachtet und in der Rechtsfolge einen Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vermutet, erstreckt § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz Dänemark den Betrachtungszeitraum auf zwei Jahre nach der SE-Gründung und ordnet in der Rechtsfolge Neuverhandlungen an. § 44 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Dänemark sieht einen weiteren Tatbestand für die Wiederaufnahme von Verhandlungen vor, „wenn nach Gründung der SE aus einem anderen Grund als einer Änderung der SE die Absicht festgestellt wird, mit der Gründung der SE im Wesentlichen die Einflussnahme 529 Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg; Art. 20 (1) (e) Umsetzungsgesetz-Irland; Art. 35 Umsetzungsgesetz-UK; Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; ohne das Wort „Missbrauch“ zu gebrauchen: § 44 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Dänemark; Art. 26 Var. 1 Umsetzungsgesetz-Spanien. 530 So etwa in § 44 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Dänemark; Art. 26 Var. 1 Umsetzungsgesetz-Spanien; Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg; Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland. 531 Art. 20 (1) (e) Umsetzungsgesetz-Irland; Art. 35 Umsetzungsgesetz-UK; zu diesen Regelungen noch unter § 6 B. III.
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der Arbeitnehmer zu begrenzen […]“. Die Norm stellt darauf ab, dass mit der SE-Gründung im Wesentlichen eine Begrenzung der Einflussnahme der Arbeitnehmer beabsichtigt wird. Mithin zeigt der Vergleich mit der dänischen Regelung, dass der bei § 18 Abs. 3 SEBG geführte Streit um die Definition des Begriffs „struktureller Änderungen“ im deutschen Schrifttum jedenfalls im Rahmen des § 43 S. 2 SEBG dadurch relativiert werden kann, dass es nach dem hier vertretenen Ansatz im Rahmen des § 43 S. 2 SEBG in erster Linie auf das Vorenthalten oder Entziehen von Beteiligungsrechten ankommt und daher „strukturelle Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG solche sind, die geeignet sind, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorzuenthalten oder zu entziehen.532 Der Tatbestand des Art. 26 S. 1 Umsetzungsgesetz-Spanien setzt voraus, dass gerichtlich festgestellt wurde, dass entweder der Vorgang der Gründung einer SE absichtlich gestaltet wurde mit dem Zweck, Arbeitnehmern ihre Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten, oder nach der Registereintragung der SE wesentliche Änderungen bei der SE oder einer ihrer Tochtergesellschaften mit der gleichen Absicht stattfanden. In der Rechtsfolge finden Neuverhandlungen statt. Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland bedient sich nur in der Überschrift des Begriffs „Missbrauch“ und stellt ansonsten auf „wesentliche Änderungen in der SE“ ab. Tatbestandlich umfasst die Norm wie § 43 S. 2 SEBG den Zeitraum eines Jahres nach der SE-Gründung.533 Dabei stellt die finnische Norm wie die dänischen und die schwedischen Regelungen auf einen Vergleich der Gestaltung der Arbeitnehmerbeteiligung vor Gründung der SE und nach Durchführung der strukturellen Änderungen ab. In der Rechtsfolge ordnet auch die finnische Regelung Neuverhandlungen an. Hervorzuheben ist der enge zeitliche Anwendungsbereich der luxemburgischen534 und der finnischen535 Missbrauchsvorschriften, die lediglich auf den Zeitraum eines Jahres nach der SE-Gründung begrenzt sind. Diese Regelungen unterscheiden sich von den anderen Umsetzungsgesetzen, welche bezüglich eines Missbrauchs der SE überhaupt keine536 zeitliche Begrenzung kennen und hinsichtlich struktureller Änderungen grundsätzlich keine537 zeit 532 Vgl.
oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (3). Valdés Dal-Ré Synthesis Report, S. 63: „The SE-Act establishes a control period after the establishment of the SE.“. 534 Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg. 535 Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland. 536 § 229 Abs. 1 S. 1 ArbVG-Österreich. 537 §§ 228, 229 Abs. 1 S. 2, 3 ArbVG-Österreich; § 44 Abs. 3 UmsetzungsgesetzDänemark; Art. 16 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein; auch ohne zeitliche Privilegierung: Art. L2354-4 Code du travail; Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; Art. 11 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Italien; Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien. 533 Vgl.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
liche Begrenzung, teilweise ergänzt um eine zeitliche Privilegierung von einem538 oder zwei539 Jahren nach der SE-Gründung, vorsehen. Ferner ist hervorzuheben, dass die britische Regelung eine Beweislastumkehr anordnet: Wird eine Beschwerde zu einem Schlichtergremium (Central Arbitration Committee, CAC) vor der Eintragung oder innerhalb von 12 Monaten nach Eintragung der SE erhoben, ist es Sache des Beschwerdegegners zu beweisen, dass er die SE oder die Befugnisse des Umsetzungsgesetzes nicht missbraucht hat oder nicht beabsichtigt hat zu missbrauchen.540 Im Gegensatz dazu und zu den meisten anderen Umsetzungsgesetzen weist Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg ausdrücklich dem SE-Betriebsrat die Beweislast zu, dass die SE auf missbräuchliche Weise gegründet wurde. 3. Subjektive Voraussetzungen Zum Teil setzen die Regelungen in den untersuchten Umsetzungsgesetzen nur objektive Merkmale voraus,541 teilweise wird konkludent542 („dazu“) oder ausdrücklich543 („Zweck“) allein eine „Bezweckung“ und zum Teil konkludent544 („um…“) oder ausdrücklich545 („absichtlich“) eine „Absicht“ gefordert. § 44 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Dänemark erlaubt der SE-Leitung, die Nichtaufnahme von Neuverhandlungen zu rechtfertigen, „wenn nachgewiesen ist, dass mit den Änderungen i. S. v. § 44 Abs. 1 S. 1 eine Begrenzung der Einflussnahme der Arbeitnehmer nicht beabsichtigt wurde […]“. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Aufnahme von Neuverhandlungen nach § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark grundsätzlich die Absicht, die 538 § 229 Abs. 2 ArbVG-Österreich; Art. 67 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Schweden; Art. 26 Umsetzungsgesetz-Spanien; Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein. 539 § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. 540 Vgl. Art. 35 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-UK. 541 Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark; Art. L2354-4 Code du travail; Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien. 542 Neben der deutschen Regelung in § 43 S. 1 SEBG („dazu“) sind dies § 229 Abs. 1 S. 1 ArbVG-Österreich („dazu“) sowie Art. 21 Abs. 1 UmsetzungsgesetzLiechtenstein („dazu“). 543 Art. 20 (1) (e) Umsetzungsgesetz-Irland („Zweck“); Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg („Zweck“); Art. 14 Umsetzungsgesetz-Malta („Zweck“). 544 Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden („um“). 545 § 44 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Dänemark („Absicht“); Art. 26 Umsetzungsgesetz-Spanien („absichtlich gestaltet mit dem Zweck“); vgl. auch Art. 11 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Italien („Ziel“).
§ 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL321
Einflussnahme der Arbeitnehmer zu begrenzen, voraussetzt. Auch § 44 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Dänemark verlangt ausdrücklich die Feststellung einer Absicht. Da im Rahmen der Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ in Art. 11 SE-RL nach hier vertretener Auffassung eine darauf gerichtete Absicht nicht zu fordern ist,546 sind mitgliedstaatliche Regelungen, die eine Absicht verlangen, richtlinienwidrig, da sie den Schutz entgegen Art. 11 SE-RL auf absichtliche Maßnahmen verengen. 4. Ergänzende Strafnormen Die meisten Umsetzungsgesetze, etwa das Umsetzungsgesetz-Liechtenstein sowie das ArbVG-Österreich547, sehen im Gegensatz zu § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG keine spezifischen Strafnormen als Sanktion eines Missbrauchs einer SE vor. Gleichwohl sehen einige548 Umsetzungsgesetze im Zusammenhang mit dem Missbrauch einer SE gesonderte Strafvorschriften vor: Art. 17 Umsetzungsgesetz-Malta enthält eine allgemeine Strafnorm, wonach die Nichteinhaltung von Pflichten des Umsetzungsgesetzes mit Geldstrafe bedroht ist. Ebenfalls nur mit einer Geldstrafe belegt ist gem. § 46 Umsetzungsgesetz-Dänemark ein Verstoß gegen die Missbrauchsnorm in § 44 Umsetzungsgesetz-Dänemark. Im Vereinigten Königreich kann ein Schlichtungsgremium549 ein Bußgeld bis zu £ 75.000 verhängen.550 Die Regelungen unterscheiden sich in der Strafandrohung von § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG, dessen Strafrahmen neben einer Geldstrafe sogar zwei Jahre Freiheitsstrafe umfasst.551 II. Regelungskonzepte zu „strukturellen Veränderungen einer SE“ Bis auf die luxemburgischen, irischen, maltesischen und britischen Umsetzungsgesetze beziehen die untersuchten Umsetzungsgesetze552 struktu546 Vgl.
oben § 3 C. III. 3. b) bb). auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 45 SEBG Rn 3. 548 Nach Storm The SE 2008, S. 3, 13 sehen mindestens 11 Mitgliedstaaten strafrechtliche Sanktionen für einen Missbrauch einer SE vor. 549 Dazu noch unter § 6 B. III. 550 Art. 35 Abs. 3 (b) i. V. m. Art. 34 Umsetzungsgesetz-UK. 551 Vgl. zur Vereinbarkeit von § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch unter § 7 B. III. 2. b). 552 §§ 228, 229 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 ArbVG-Österreich; § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark; Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; Art. L2354-4 Code du travail; Artikel 1:19 Umsetzungsgesetz-Niederlande; Art. 120.1 Umsetzungsgesetz547 So
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
relle oder wesentliche Änderungen der SE nach der SE-Gründung vor dem Hintergrund des ErwG 18 S. 3 SE-RL in ihre Konzepte ein. 1. Dogmatische Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen „strukturellen Änderungen einer SE“ und „Missbrauch einer SE“ Teils sehen die Regelungen eigenständige Tatbestände für strukturelle oder wesentliche Änderungen der SE mit der ausdrücklichen Anordnung von Neuverhandlungen vor [dazu als „Typ B1“ sogleich unter a)], teils werden Regelungen zu Änderungen der SE in Normen über einen „Missbrauch einer SE“ einbezogen [dazu als „Typ B2“ unter b)]. a) Typ B1 – Rechtsfolge der Änderung: Neuverhandlungen Die meisten Umsetzungsgesetze sehen wie § 18 Abs. 3 SEBG einen gesonderten Tatbestand zu strukturellen oder wesentlichen Änderungen vor. Diese sind zum Teil mit553, zum Teil ohne554 zeitliche Anknüpfung an die SE-Gründung formuliert. Sämtliche dieser Regelungen ordnen in der Rechtsfolge Neuverhandlungen an. Nach Art. 11 Umsetzungsgesetz-Italien („Missbrauch von Verfahren“) werden auf Antrag des SE-Betriebsrats Neuverhandlungen ausgerichtet, „wenn nach der Eintragung der SE wesentliche Veränderungen in der SE, ihren Tochtergesellschaften oder Betrieben durchgeführt werden mit dem Ziel, die Arbeitnehmer an ihren Beteiligungsrechten zu hindern“. Art. L2354-4 Code du travail-Frankreich ordnet Neuverhandlungen an, „wenn nach der Eintragung der SE Änderungen in der Struktur der Gesellschaft, ihres Sitzes oder der Arbeitnehmerzahl eintreten und diese geeignet sind, die Zusammensetzung des SE-Betriebsrats oder die Modalitäten der entweder kraft Beteiligungsvereinbarung oder kraft gesetzlicher Auffangregelung (Art. L.2354-28 ff.) anwendbaren Arbeitnehmerbeteiligung nachhaltig zu beeinflussen“. Aus dem Wortlaut des Art. L2354-4 Code du travailFrankreich folgt, dass Änderungen des Sitzes oder der Arbeitnehmerzahl selbst keine Änderungen der Struktur der Gesellschaft darstellen. Dennoch Polen; Art. 67 Abs. 2 Umsetzungs-gesetz-Schweden; Art. 26 Var. 2 Umsetzungsgesetz-Spanien; Art. 11 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Italien; Art. 31 UmsetzungsgesetzBelgien; Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein. 553 1 Jahr nach SE-Gründung: Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; 2 Jahre nach SE-Gründung: § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. 554 Art. L2354-4 Code du travail; Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; Art. 26 Var. 2 Umsetzungsgesetz-Spanien; Art. 11 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Italien; Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien.
§ 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL323
ordnet die französische Norm auch in diesen Fälle Neuverhandlungen an. Zudem ordnet nach R2354-1 Code du travail-Frankreich der Präsident des Tribunal de Grande Instance (Landgericht) die Einsetzung eines besonderen Verhandlungsgremiums an, wenn die Zusammensetzung der Arbeitnehmervertretung der SE oder das Verfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer nicht mehr dem Personalbestand oder der Struktur der Gesellschaft entspricht. Nach Art. 120 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Polen sind als „Maßnahmen zur Verhinderung von Missbräuchen“ auf Antrag des SE-Betriebsrats (Abs. 2) Neuverhandlungen durchzuführen, „wenn nach der Eintragung der SE wesentliche Änderungen in der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe, welche die Struktur, die Anzahl der Arbeitnehmer oder des Sitzes betreffen, durchgeführt werden, die geeignet sind, Rechte der Arbeitnehmer vorsätzlich zu entziehen oder vorzuenthalten“. Danach sind wie bei der französischen Regelung nicht nur strukturelle Änderungen der SE, sondern ausdrücklich auch Änderungen der Arbeitnehmerzahl sowie des Sitzes Fälle, in denen Neuverhandlungen erforderlich werden. Nach Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien findet eine Anpassung oder eine Neuzusammensetzung des SE-Betriebsrats „im Falle von Änderungen der Struktur oder Größe der SE oder ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe oder im Falle wesentlicher Änderungen der Belegschaft“ statt. Ferner soll ein Zusammenarbeitsprotokoll (Art. 54 Umsetzungsgesetz-Belgien), welches zur besseren Organisation der SE-Betriebsratssitzungen abzuschließen ist, die Einzelheiten über die Zusammensetzung des Arbeitnehmervertretungsorgans im Falle von Änderungen der Struktur oder Größe der SE regeln.555 b) Typ B2 – Weitergehende Rechtsfolge der Änderung: SE-Missbrauch Vergleichbar mit § 43 S. 2 SEBG verknüpfen Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein, Art. 67 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Schweden und § 229 Abs. 1 S. 2 ArbVG-Österreich „strukturelle Änderungen einer SE“ mit einer Regelung über einen „Missbrauch einer SE“. Insoweit stellen § 43 S. 2 SEBG und Art. 67 Abs. 2 UmsetzungsgesetzSchweden gesetzliche Vermutungen auf, ohne konkrete Rechtsfolgen zu benennen: Nach § 43 S. 2 SEBG wird ein nach § 43 S. 1 SEBG verbotener Missbrauch einer SE vermutet, wenn ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Be555 Vgl.
näher Ringe Diss. 2006, S. 165.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
teiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Nach Art. 67 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Schweden wird vermutet, dass eine Änderung innerhalb eines Jahres nach der SE-Gründung vorgenommen wurde, um Arbeitnehmern (entgegen des Verbots nach Art. 67 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Schweden) Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten, es sei denn, das Unternehmen weist weitere Gründe für die Änderungen nach. Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein sowie § 229 Abs. 1 S. 2 ArbVG-Österreich benennen Regelbeispiele: Nach Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein ist ein nach Art. 21 Abs. 1 UmsetzungsgesetzLiechtenstein verbotener Missbrauch einer SE insbesondere anzunehmen, wenn strukturelle Änderungen ohne Durchführung eines Verfahrens nach Art. 16 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Dabei formuliert die Regelung keine ausdrückliche Rechtsfolge. Auch nach § 229 Abs. 1 S. 2 ArbVG-Österreich ist ein nach § 229 Abs. 1 S. 1 ArbVG-Österreich verbotener Missbrauch einer SE insbesondere anzunehmen, wenn Änderungen der Struktur der SE stattfinden, die geeignet sind, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Die Rechtsfolge besteht gem. § 229 Abs. 1 S. 3 ArbVG-Österreich in Neuverhandlungen i. S. v. § 228 ArbVG-Österreich. 2. Inhaltliche Bestimmung „(struktureller) (Ver-)Änderungen der SE“ Die untersuchten Umsetzungsgesetze unterscheiden sich untereinander zum Teil erheblich im Hinblick auf den Grad der Konkretisierung des Begriffs „struktureller Veränderungen“ i. S. v. ErwG 18 S. 3 SE-RL. Zum Teil wird der Begriff überhaupt nicht konkretisiert [dazu als „Typ C1“ sogleich unter a)], zum Teil führen gesetzliche Regelungen Beispielsfälle auf [dazu als „Typ C2“ unter b)]. Zum Teil ziehen Regelungen einen hypothetischen Vergleich zwischen einer durchgeführten SE-Gründung ohne die später eingetretenen Änderungen einerseits und einer SE-Gründung, bei der die später eingetretenen Änderungen bereits vor der SE-Gründung stattgefunden hätten, andererseits [dazu als „Typ C3“ unter c)]. a) Typ C1: Keine legislative Konkretisierung Die meisten untersuchten Umsetzungsgesetze enthalten weder eine Definition noch eine anderweitige Konkretisierung „struktureller Veränderungen“ einer SE. Die dänische Regelung bezieht sämtliche „Änderungen“ der SE
§ 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL325
oder ihrer Tochtergesellschaften mit ein.556 Einige Umsetzungsgesetze verwenden den Begriff der „strukturellen Änderungen“ oder „Änderungen in der Struktur“ der SE.557 Die meisten untersuchten Umsetzungsgesetze verwenden den Begriff der „wesentlichen Änderungen“558 in der SE, in ihren Tochtergesellschaften oder in ihren Betrieben. b) Typ C2: Katalogtatbestände Zum Teil zählen die untersuchten Umsetzungsgesetze einige relevante Änderungen auf. Dazu sollen etwa „Änderungen in der Struktur der Gesellschaft, ihres Sitzes oder der Arbeitnehmerzahl“,559 „wesentliche Änderungen in der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe, welche die Struktur, die Anzahl der Arbeitnehmer oder des Sitzes betreffen“560 oder „Änderungen der Struktur oder Größe der SE oder ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe“561 rechnen. Von den untersuchten Umsetzungsgesetzen zählt einzig die österreichische Regelung in § 228 Abs. 2 ArbVG katalogartig acht Regelbeispiele562 auf, die als „wesentliche Änderungen der Struktur der Europäischen Gesellschaft“ gelten: Sitzverlegung, Verwaltungssystemwechsel, Betriebs- / Unternehmens-Stilllegung, -Einschränkung, -Verlegung, -Zusammenschluss, Beteiligungserwerb der SE sowie Beschäftigtenzahländerung. Der österreichische Gesetzgeber hat damit im Gegensatz zum SEBG einen ausführlichen Katalog an Fällen struktureller Änderungen vorgesehen.563 Die österreichische Regelung bietet damit zwar Anhaltspunkte für das Vorliegen „struktureller Änderungen“. Da es sich jedoch nur um Regelbeispiele handelt,564 ist sie nicht weniger rechtssicher als die auf jegliche weitere Konkretisierung des Begriffs verzichtende Regelung in §§ 43 S. 2, 18 Abs. 3 SEBG.
556 § 44
Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. Art. 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich; Art. L2354-4 Code du travail; Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien; Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein. 558 Vgl. Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden; Art. 11 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Italien; Art. 26 Var. 2 Umsetzungsgesetz-Spanien (ohne Betriebe). 559 Art. L2354-4 Code du travail-Frankreich. 560 Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen. 561 Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien. 562 Nagel ZIP 2011, 2047. 563 Vgl. Köstler in: Theisen / Wenz, S. 370 („umfassender“). 564 Vgl. dazu oben unter § 5 B. II. 1. a) aa). 557 Vgl.
326
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
c) Typ C3: Bestimmung des Vergleichsmaßstabs Regelungen in den nordischen Staaten konkretisieren den Begriff der Änderungen dahingehend, dass durch diese „die Anwendung des Umsetzungsgesetzes zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn die Änderungen vor der Gründung der SE durchgeführt worden wären“565, die Durchführung einer wesentlichen Änderung bereits vor Gründung der SE „eine umfassendere Arbeitnehmerbeteiligung bedeutet hätte als bei Gründung der SE“566 oder „die Arbeitnehmer einen umfangreicheren Einfluss erhalten hätten, als wenn die Änderung vor Eintragung der SE durchgeführt worden wäre“567. Diese Umsetzungsgesetze spezifizieren, dass ein Vergleich zwischen der vollzogenen SE-Gründung ohne strukturelle Änderungen und einer hypothetischen SE-Gründung, welche unter den Umständen der späteren strukturellen Änderungen durchzuführen gewesen wäre, zu ziehen ist. 3. Rechtfertigung struktureller Änderungen Soweit sich die Umsetzungsgesetze auf strukturelle Änderungen beziehen, lässt der Wortlaut der jeweiligen Regelung meist die Widerlegung einer gesetzlichen Vermutung568 oder eines Regelbeispiels569 zu oder räumt der Arbeitgeberseite ausdrücklich570 die Möglichkeit ein nachzuweisen, dass eine strukturelle Änderung nicht zu einem Nachteil für Beteiligungsrechte führte oder führen sollte. § 44 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Dänemark etwa erlaubt der SE-Leitung, die Nichtaufnahme von Neuverhandlungen zu rechtfertigen, „wenn nachgewiesen ist, dass mit den Änderungen i. S. v. § 44 Abs. 1 S. 1 eine Begrenzung der Einflussnahme der Arbeitnehmer nicht beabsichtigt wurde […]“. Damit gewährt das dänische Recht eine Möglichkeit zur Rechtfertigung einer Nichtaufnahme von Neuverhandlungen, welche in der deutschen Literatur umstritten ist und die nach hier vertretener Auffassung bereits im Rahmen des Art. 11 SE-RL abzulehnen ist.571 565 § 44
Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. Umsetzungsgesetz-Finnland. 567 Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden. 568 Vgl. § 43 S. 2 SEBG. 569 Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein; § 229 Abs. 1 S. 2 ArbVGÖsterreich. 570 Art. 67 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Schweden („es sei denn, […]“); § 44 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Dänemark; § 229 Abs. 2 ArbVG-Österreich („bis zum Beweis des Gegenteils“). 571 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4). 566 Art. 36
§ 6 Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL327
III. Regelungskonzepte zum Verfahren bei einem „Missbrauch einer SE“ Hervorzuheben sind die innovativen irischen572 und britischen573 Regelungen, welche zwar keine materielle Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ enthalten, jedoch mehrschrittige formelle Verfahren zur Streitbeilegung im Falle eines Missbrauchsvorwurfs ausgestalten. Sowohl das irische als auch das britische Umsetzungsrecht sehen bei einem Streit um einen etwaigen Missbrauch einer SE ein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren vor. Die irische Regelung setzt dessen erfolgloses Durchlaufen voraus, bevor gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Für den ersten Schritt gilt: Nach Art. 20 (1) (e) Umsetzungsgesetz-Irland können Streitigkeiten zwischen einer oder mehreren Gesellschaften574 oder der SE und Arbeitnehmern und / oder ihrer Vertretungen, die bezogen sind auf eine Beschwerde, dass die SE zum Zweck des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer missbraucht wird oder missbraucht werden wird, einem Gericht nur nach erfolglosem Durchlaufen eines vorherigen innerunternehmerischen Schlichtungsverfahrens575 oder eines externen Streitschlichters („Labour Relations Commission“576) zur Untersuchung vorgelegt werden. Ähnlich ist das außergerichtliche Verfahren im Vereinigten Königreich. Danach kann ein Arbeitnehmervertreter oder ein einzelner Arbeitnehmer, der vorbringt, dass eine beteiligte Gesellschaft oder eine SE die Befugnisse der Vorschriften zu Arbeitnehmerbeteiligungsrechten zum Zweck des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten missbraucht oder beabsichtigt zu missbrauchen, Beschwerde bei einem zentralen Schlichtergremium (Central Arbitration Committee, CAC,577) einlegen. Im zweiten Schritt unterscheiden sich beide Regelungskonzepte. Nach der irischen Regelung genügt, dass das innerunternehmerische Schlichtungsverfahren scheitert oder der angerufene externe Streitschlichter seine Überzeugung bestätigt, dass keine weiteren Anstrengungen seinerseits die Beilegung des Streits voranbringen werden.578 Demgegenüber misst die britische 572 Art. 20
Umsetzungsgesetz-Irland. Umsetzungsgesetz-UK. 574 D. h.: beteiligte Gesellschaften, betroffene Tochtergesellschaften oder Betriebe, vgl. die Definition des Begriffs „relevant undertaking“ in Art. 17 Umsetzungsgesetz-Irland. 575 Art. 20 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Irland. 576 Art. 20 Abs. 2 i. V. m. Art. 2. Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Irland. 577 Art. 35 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-UK. 578 Art. 20 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Irland. 573 Art. 35
328
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
Regelung dem außergerichtlichen Verfahren eine bedeutendere Rolle bei, indem das CAC mit eigenen Handlungs- und Regelungskompetenzen ausgestattet ist. Wird eine Beschwerde zum CAC vor der Eintragung oder innerhalb von 12 Monaten nach Eintragung der SE erhoben, gibt das CAC der Beschwerde statt, es sei denn der Beschwerdegegner beweist, dass er die SE oder die Befugnisse des Umsetzungsgesetzes nicht missbraucht hat oder nicht beabsichtigt hat zu missbrauchen, um ein Entziehen oder ein Vorenthalten von Beteiligungsrechten zu bezwecken.579 Hält das CAC die Beschwerde für begründet, erklärt es eine entsprechende Feststellung und ordnet an, dass die beteiligte Gesellschaft oder die SE eine in der Anordnung bezeichnete Handlung vornimmt, um sicherzustellen, dass die in Abs. 1 bezeichneten Arbeitnehmer ihrer Beteiligungsrechte nicht entzogen oder ihnen solche nicht vorenthalten werden.580 Zudem kann das CAC ein Bußgeld bis zu £ 75.000 verhängen.581 Das irische Recht sieht im Gegenzug für das weniger ausgestaltete außergerichtliche Verfahren im zweiten Schritt nach dessen Scheitern als dritten Schritt eine gerichtliche Untersuchung vor. Danach prüft das Gericht die Streitigkeit und kann eine Empfehlung aussprechen.582 Ist ein Streit, zu dem das Gericht eine solche Empfehlung abgegeben hat, nach Auffassung des Gerichts nicht beigelegt, kann das Gericht eine schriftliche Entscheidung abgeben.583 Bei seiner Entscheidung, die von einer oder mehreren betroffenen Gesellschaften oder der SE oder einem oder mehreren Arbeitnehmer(vertretern) beantragt werden kann, hat das Gericht sämtliche Umstände zu berücksichtigen.584
§ 7 Schlussfolgerungenaus dem Vergleich mit Konkretisierungen in anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen Nach der rechtsvergleichenden Untersuchung der mitgliedstaatlichen Akte zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL lassen sich Folgerungen in dreierlei Hinsicht ableiten: Erstens kann der Vergleich der mitgliedstaatlichen Regelungen als Aus legungshilfe zur Lückenfüllung der vergleichsweise rudimentäreren deut579 Art. 35 580 Art. 35 581 Art. 35 582 Art. 20 583 Art. 20 584 Art. 20
Abs. 2 Umsetzungsgesetz-UK. Abs. 3 (a) Umsetzungsgesetz-UK. Abs. 3 (b) i. V. m. Art. 34 Umsetzungsgesetz-UK. Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Irland. Abs. 4 Umsetzungsgesetz-Irland. Abs. 4 Umsetzungsgesetz-Irland.
§ 7 Schlussfolgerungen329
schen Gesetzgebungskonzeption herangezogen werden (dazu sogleich unter A.).585 Zweitens lässt sich nach dem Vergleich mit anderen mitgliedstaatlichen Regelungen besser beurteilen, ob und inwieweit die bestehende deutsche Gesetzgebung in §§ 18, 43, 45 SEBG mit den Vorgaben des Art. 11 SE-RL de lege lata vereinbar ist. Für den Fall der Unvereinbarkeit der deutschen Regelungen mit Art. 11 SE-RL lässt sich zudem prüfen, ob und wie sie richtlinienkonform ausgelegt werden können (dazu unter B.). Drittens lässt sich aus dem Vergleich der mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzgebung folgern, ob und inwieweit zum Zweck einer Harmonisierung (vgl. ErwG 4 SE-RL) der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Missbrauchsregelungen ein Reformbedarf des Art. 11 SE-RL besteht und welche Vorschläge für eine einheitliche Konkretisierung des Art. 11 SE-RL de lege ferenda unterbreitet werden können (dazu unter C.).
A. Lückenfüllung des § 43 SEBG mittels rechtsvergleichender Auslegung Die deutsche Umsetzungskonzeption hält sich – abgesehen von § 43 S. 2 und § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG – in § 43 S. 1 SEBG nah am konkretisierungsbedürftigen Wortlaut des Art. 11 SE-RL. Über die Ansätze zur Konkretisierung in Teil 2 und Teil 3 dieser Arbeit hinaus lassen sich nach der rechtsvergleichenden Untersuchung mit anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungen des Art. 11 SE-RL im Folgenden Lücken586 in der deutschen Gesetzgebungskonzeption im Wege der konkretisierenden Auslegung füllen sowie Fehlkonkretisierungen von Art. 11 SE-RL aufzeigen. I. Zeitlicher Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG Der Wortlaut des § 43 S. 1 SEBG lässt dessen zeitlichen Anwendungsbereich offen. Unter den untersuchten mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen begrenzen einige den Anwendungsbereich ihrer allgemeinen Missbrauchsvorschriften ausdrücklich auf einen bestimmten Zeitraum nach der SE-Gründung.587 Andere enthalten keine zeitliche Begrenzung für einen möglichen 585 Vgl. zur methodischen Zulässigkeit dieses Aspekt der Rechtsvergleichung auch bereits oben unter § 6 A. 586 Für eine Lückenhaftigkeit des Art. 11 SE-RL: Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 171, 179. 587 Vgl. Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg; Art. 36 UmsetzungsgesetzFinnland.
330
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
„Missbrauch einer SE“.588 Wie insbesondere die teleologische Auslegung des Art. 11 SE-RL vor dem Hintergrund von ErwG 18 S. 3 SE-RL ergeben hat,589 erstreckt sich der zeitliche Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL auch auf den Zeitraum nach Gründung der SE.590 Mitgliedstaatliche Umsetzungen, welche den zeitlichen Anwendungsbereich ihrer Missbrauchsnormen begrenzen, schränken den Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL unzulässig ein und erfüllen den daraus folgenden Handlungsauftrag nicht ordnungsgemäß. Demgegenüber steht die hier in Bezug auf § 43 S. 1 SEBG vertretene Auslegung, dass dessen zeitlicher Anwendungsbereich auf den Nachgründungszeitraum zu erstrecken ist,591 im Einklang mit Art. 11 SE-RL. II. Prüfungsmaßstab des § 43 S. 1 SEBG 1. Objektive Anforderungen Der Prüfungsmaßstab für einen „Missbrauch einer SE“ lässt sich nach dem Vorbild der Regelungen Dänemarks,592 Finnlands593 und Schwedens594 und in Anknüpfung an das „Vorher-Nachher-Prinzip“ (ErwG 18 S. 1 SERL) in objektiver Hinsicht weiter dahingehend konkretisieren, dass ein „Missbrauch einer SE“ angenommen werden kann, wenn innerhalb eines gesetzlich595 bestimmten Zeitraums nach Gründung einer SE Änderungen durchgeführt werden, die – wären sie bereits vor Gründung der SE durchgeführt worden – dahingehend zu einem anderen Ergebnis der Anwendung des SEBG geführt hätten,596 dass den Arbeitnehmern umfassendere597 oder umfangreichere598 Beteiligungsrechte zugestanden hätten. 2. Subjektive Anforderungen Hinsichtlich der subjektiven Anforderungen an einen „Missbrauch einer SE“ folgt aus dem Rechtsvergleich, dass die untersuchten Umsetzungsgeset588 Vgl.
§ 229 Abs. 1 S. 1 ArbVG-Österreich. oben unter § 3 C. III. 2. d) ee). 590 Vgl. auch bereits oben unter § 3 C. I. 4. 591 Vgl. oben unter § 5 A. II. 2. 592 § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. 593 Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland. 594 Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden. 595 1 Jahr: Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; Art. 67 UmsetzungsgesetzSchweden; 2 Jahre: § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. 596 Vgl. § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. 597 Vgl. Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland. 598 Vgl. Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden. 589 Vgl.
§ 7 Schlussfolgerungen331
ze voneinander abweichen: Zum Teil setzen die einschlägigen Normen nur objektive Merkmale voraus.599 Teilweise wird in subjektiver Hinsicht konkludent600 („dazu“) oder ausdrücklich601 („Zweck“) allein eine „Bezweckung“ und teilweise konkludent602 („um…“) oder ausdrücklich603 („absichtlich“) eine „Absicht“ gefordert. Wie die an Wortlaut und Zweck orientierte Auslegung des Art. 11 SE-RL ergeben hat, setzt der anzulegende Prüfungsmaßstab keine Absicht, sondern einen direkten Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) voraus.604 Mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze, welche in ihren Missbrauchsnormen strengere Anforderungen in Form einer Absicht verlangen, schränken den von Art. 11 SE-RL verlangten Schutz der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer unzulässig ein und sind richtlinienwidrig. Demgegenüber ist § 43 S. 1 SEBG im Einklang mit dem für Art. 11 SE-RL in Teil 2 dieser Arbeit entwickelten Prüfungsmaßstab auszulegen. Demnach muss sich ein direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) auf die konkreten Handlungsschritte beziehen, welche im Ergebnis zum rechtlich missbilligten Erfolg des Entziehens oder Vorenthaltens führen.605 III. Rechtfertigungsmöglichkeit bei Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG Der Wortlaut des § 43 S. 1 SEBG sieht die Möglichkeit der Rechtfertigung eines Verstoßes nicht vor. Unter den weiteren untersuchten Um setzungsgesetzen finden sich unterschiedliche Regelungen: Teils sind die Regelungen mit der deutschen Regelung vergleichbar, teils sehen sie ausdrückliche Ausnahmevorbehalte606 vor, teils finden sich Vorschriften zur 599 Art. 36 Umsetzungsgesetz-Finnland; § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark; Art. L2354-4 Code du travail-Frankreich; Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien. 600 Neben der deutschen Regelung in § 43 S. 1 SEBG („dazu“) sind dies § 229 Abs. 1 S. 1 ArbVG-Österreich („dazu“) sowie Art. 21 Abs. 1 UmsetzungsgesetzLiechtenstein („dazu“). 601 Art. 20 (1) (e) Umsetzungsgesetz-Irland („Zweck“); Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg („Zweck“); Art. 14 Umsetzungsgesetz-Malta („Zweck“). 602 Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden („um“). 603 § 44 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-Dänemark („Absicht“); Art. 26 Umsetzungsgesetz-Spanien („absichtlich gestaltet mit dem Zweck“); vgl. auch Art. 11 Abs. 1 Umsetzungsgesetz-Italien („Ziel“). 604 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) bb) (2) (b). 605 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) bb) (2) (b). 606 § 44 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Dänemark („Wenn nachgewiesen ist, dass mit den Änderungen i. S. v. § 44 Abs. 1 S. 1 eine Begrenzung der Einflussnahme der Arbeitnehmer nicht beabsichtigt wurde, finden keine Neuverhandlungen statt.“); Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden („[…] es sei denn, das Unternehmen weist weitere Gründe für die Änderungen nach.“).
332
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
Beweislastverteilung607. Häufig stellen mit § 43 S. 2 SEBG vergleichbare Bestimmungen gesetzliche Vermutungen oder Regelbeispiele eines Missbrauchs auf, die konkludent608 oder ausdrücklich609 eine Widerlegung durch einen Gegenbeweis zulassen. Hieraus lässt sich folgern, dass eine Rechtfertigungsmöglichkeit nur gegeben ist, wenn sich dies aus dem Wortlaut der Norm ableiten lässt. Der Wortlaut des § 43 S. 1 SEBG enthält insofern keine Hinweise, sodass eine Rechtfertigung insoweit nicht in Betracht kommt.610 Eine Widerlegung eines Missbrauchsvorwurfs kommt somit nur im Rahmen des § 43 S. 2 SEBG hinsichtlich der Vermutung eines „Missbrauchs einer SE“ in Betracht.611 Der Vergleich mit den mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetzen spricht dafür, dass § 43 S. 2 SEBG in dem Sinne auszulegen ist, dass im ersten Jahr nach der SE-Gründung eine Beweislastumkehr dahingehend besteht, dass bei einem von der Arbeitnehmerseite behaupteten Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG infolge einer nach der SE-Gründung stattfindenden strukturellen Änderung die Arbeitgeberseite die Beweislast trifft, den Vorwurf zu widerlegen. IV. Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG Im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG ergibt sich nach dem Vergleich mit den untersuchten Umsetzungsgesetzen, dass nur wenige Normen anderer Mitgliedstaaten ebenfalls als Verbotsnorm ausgestaltet sind. Demgegenüber ordnen die meisten untersuchten Regelungen als Rechtsfolge eines Missbrauchs einer SE Neuverhandlungen an. Die hier vertretene Konkretisierung der Rechtsfolgen des § 43 S. 1 SEBG dahingehend, dass bei Unwirksamkeit einer Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG und bei einer Umgehung der gesetz lichen Auffangregelung im Ergebnis die Vorschriften über die Beteiligung kraft Gesetzes anwendbar sind, geht somit über die von den meisten untersuchten Umsetzungsgesetzen bestimmte Rechtsfolge der Neuverhandlungen hinaus. Dennoch steht die hier vertretene Konkretisierung im Einklang 607 Art. L. 444-5 Umsetzungsgesetz-Luxemburg, welcher die Beweislast für eine missbräuchliche SE-Gründung ausdrücklich dem SE-Betriebsrat auferlegt und demzufolge einen Gegenbeweis der Arbeitgeberseite zuzulassen scheint. 608 § 229 Abs. 1 S. 2 ArbVG-Österreich; Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden; Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein. 609 Art. 35 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-UK („[…] es sei denn der Beschwerdegegner beweist, dass er die SE oder die Befugnisse des Umsetzungsgesetzes nicht missbraucht hat oder nicht beabsichtigt hat zu missbrauchen“). 610 Vgl. bereits oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (4) (b) (für Art. 11 SE-RL, für § 43 S. 1 SEBG gilt wegen des nahezu identischen Wortlauts nichts anderes). 611 Vgl. bereits oben unter § 5 B. II. 2. b).
§ 7 Schlussfolgerungen333
mit Art. 11 SE-RL,612 da danach lediglich vorgegeben ist, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ stehen und „geeignet“ sein müssen. Insoweit ist den Mitgliedstaaten ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet, den auch die hier vertretene Auslegung des § 43 S. 1 SEBG in Bezug auf die Rechtsfolgen einhält. V. „Strukturelle Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG Der Inhalt des Tatbestandsmerkmals „strukturelle Änderungen der SE“ in § 43 S. 2 SEBG lässt sich nach dem Rechtsvergleich dahingehend konkretisieren, dass folgende Änderungen erfasst sein könnten: •• SE-Sitzverlegung,613 •• SE-Verwaltungssystemwechsel,614 •• Stilllegung, Einschränkung, Verlegung, Zusammenschluss von Betrieben / Unternehmen der SE,615 •• Beteiligungserwerb der SE,616 •• Beschäftigtenzahländerung in der SE.617 Mit einem „Missbrauch einer SE“ stehen die vorgenannten Änderungen nur in Zusammenhang, wenn zusätzlich die in objektiver Hinsicht aufgestellte Anforderung erfüllt ist, dass eine Durchführung der Änderungen bereits vor Eintragung der SE zu einer anderen Anwendbarkeit des SEBG geführt hätte, die für die Arbeitnehmer umfassendere oder umfangreichere Beteiligungsrechte zur Folge gehabt hätte.618 612 Vgl. zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG bereits oben unter § 5 A. IV. 613 Vgl. § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich; die Sitzverlegung zwar nicht als „strukturelle Änderung“ ansehend, aber dennoch Neuverhandlungen anordnend: Art. L23544 Code du travail-Frankreich; ferner Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen. 614 Vgl. § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich. 615 Vgl. § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich; für die Stilllegung und die Verlegung vgl. auch § 37 EBRG (vgl. dazu oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (1) (c) (ee). 616 Vgl. § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich. 617 Vgl. § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich („erhebliche Änderungen der Zahl der in der Europäischen Gesellschaft und ihren Tochtergesellschaften Beschäftigten“); die Arbeitnehmerzahländerung zwar nicht als „strukturelle Änderung“ ansehend, aber dennoch Neuverhandlungen anordnend: Art. L2354-4 Code du travail-Frankreich; ferner Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; die Größe der SE und ihrer Tochtergesellschaften einbeziehend Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien. 618 Vgl. oben unter § 7 A. II. 1.
334
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
Die Einordnung einer Änderung der Zahl der in der SE Beschäftigten als Fall einer strukturellen Veränderung lässt sich hingegen nicht widerspruchsfrei auf die deutsche Regelung übertragen, da § 5 Abs. 4 SEBG ausdrücklich zwischen „strukturellen Änderungen“ der SE und „Änderungen in der Arbeitnehmerzahl“ unterscheidet,619 dabei jedoch abweichend von den französischen und polnischen Regelungen in Bezug auf Änderungen in der Arbeitnehmerzahl keine Neuverhandlungen anordnet.
B. Vereinbarkeit von §§ 43, 45 SEBG mit Art. 11 SE-RL (de lege lata) Nach der Lückenfüllung des § 43 SEBG im Wege rechtsvergleichender Auslegung (vgl. soeben unter A.) ist im Folgenden zu untersuchen, ob §§ 43, 45 SEBG in dieser Auslegung de lege lata mit dem Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL vereinbar sind. I. Vereinbarkeit des § 43 S. 1 SEBG mit Art. 11 SE-RL Hinsichtlich § 43 S. 1 SEBG fragt sich, ob die bloß wortgleiche Übernahme der Begriffe des Art. 11 SE-RL den Handlungsauftrag hinreichend erfüllt und eine mitgliedstaatliche Generalklausel wie § 43 S. 1 SEBG eine ordnungsgemäße Umsetzung in das deutsche Recht darstellt. Art. 11 SE-RL gibt insoweit vor, dass die mitgliedstaatliche Maßnahme zur Verhinderung eines Missbrauchs zum einen „geeignet“620 sein und zum anderen „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“621 stehen muss. 1. Missbrauchsverbot als „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL Geeignet i. S. v. Art. 11 SE-RL sind Maßnahmen, die der Verwirklichung des Ziels der Verhinderung eines Missbrauchs der SE zu Lasten des Bestandschutzes (vgl. ErwG 18 SE-RL) von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer dienen.622 Nach der Gesetzesbegründung soll mit dem Missbrauchsverbot der Gefahr begegnet werden, dass die Rechtsform der SE gezielt ausgenutzt wird, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorzuenthalten oder Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18. oben unter § 3 C. IV. 1. 621 Dazu oben unter § 3 C. IV. 2. 622 Vgl. oben unter § 3 C. IV. 1. 619 Vgl.
620 Dazu
§ 7 Schlussfolgerungen335
zu entziehen.623 Wie zur Funktion des § 43 S. 1 SEBG dargelegt,624 weist die Norm auf den Schutzzweck der SE-RL, insbesondere ErwG 18 SE-RL, hin. Darüber hinaus stellt § 43 S. 1 SEBG klar, dass die Norm Ausdruck von ErwG 3 S. 1 SE-RL ist, wonach „besondere Bestimmungen“ festgelegt werden sollen, mit denen gewährleistet werden soll, dass die Gründung einer SE nicht zur Beseitigung oder zur Einschränkung der Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung führt, die in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften herrschen. Zudem warnt das „per se abschreckend“625 wirkende Verbot die beteiligten Unternehmen, mit der gebotenen Sorgfalt auf die Wahrung berechtigter Interessen der Arbeitnehmer am Erhalt ihrer bisherigen Beteiligungsrechte zu achten. Die Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG dient damit dem Ziel des Art. 11 SE-RL, einen Missbrauch der SE zu Lasten von erworbenen Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer zu verhindern, und ist daher im Sinne der Richtlinienbestimmung „geeignet“. 2. Mitgliedstaatliche Generalklausel als Maßnahme „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL Fraglich ist, ob eine mitgliedstaatliche Generalklausel wie § 43 S. 1 SEBG eine Maßnahme „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ ist. a) Grundsätzliche Anforderungen an mitgliedstaatliche Umsetzungen von Richtlinien-Generalklauseln Da Richtlinien zwar für die von ihnen adressierten Mitgliedstaaten nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich sind, sie „jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel“626 überlassen, wählt grundsätzlich jeder Mitgliedstaat selbst das Regelungsinstrument zur Umsetzung einer Richtlinie aus.627 Demnach kann der mitgliedstaatliche Gesetzgeber grundsätzlich entscheiden, ob er selbst eine legislative Konkretisierung vornimmt oder ob er die Aufgabe der Konkretisierung der Rechtsprechung zur judikativen Konkretisierung überträgt.628 Indes sind die 623 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 624 Vgl. oben unter § 5 A. I. 3. c). 625 So zu Recht Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 2. 626 Art. 288 Abs. 3 AEUV. 627 Röthel Normkonkretisierung, S. 345; M. Schmidt Konkretisierung, S. 37. 628 Röthel Normkonkretisierung, S. 351; M. Schmidt Konkretisierung, S. 46.
336
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
Mitgliedstaaten verpflichtet, für die Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht die Formen und die Mittel zu wählen, welche zur Sicherstellung der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts („effet utile“) am geeignetsten629 sind und die unionsrechtlichen Gebote der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit einhalten.630 Diese Anforderungen an den Umsetzungsakt begründen nach Röthel jedoch keine Pflicht des mitgliedstaatlichen Gesetzgebers, stets auch eine eigene legislative Konkretisierung vorzunehmen.631 Die Einführung oder Übernahme einer Generalklausel in das mitgliedstaatliche Recht wird grundsätzlich als ausreichend erachtet.632 Nur im Einzelfall wird aus dem Unionsrecht ein Gebot legislativer Konkretisierung abgeleitet,633 wenn sich dieses aus der Richtlinie selbst [dazu sogleich aa)] oder aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit [bb)] ergebe.634 aa) Vorgaben der Richtlinie hinsichtlich der Konkretisierungsart Soweit aus der Richtlinie nichts anderes folge, stehe es dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber frei, ausfüllungsbedürftige europarechtliche Generalklauseln dadurch umzusetzen, dass er sie „wortgetreu durch richtlinienkongruente Begriffe in nationales Recht übernimmt und die weitere Ausfüllung der Rechtsprechung überlässt“635. Wichtig soll jedoch sein, dass der nationale Gesetzgeber in seinem Umsetzungsgesetz „nicht hinter die Regelungsintensität und den Detaillierungsgrad der Richtlinie zurückfällt und dass sich der Richtlinie keine Anhaltspunkte dafür entnehmen lassen, dass der Konkretisierungsauftrag gerade durch den Gesetzgeber erfüllt werden soll, insbesondere weil sich sonst das mit der Richtlinie verfolgte Ziel nicht erreichen ließe“636. 629 EuGH Urt. v. 8.4.1976 – Rs. 48 / 75 Royer Slg. 1976, 497 Rn 69 / 73; EuGH Urt. v. 26.10.1983 – Rs. C-163 / 82 Kommission / Italien Slg. 1983, 3272 Rn 9; Röthel Normkonkretisierung, S. 345 m. w. N.; vgl. auch M. Schmidt Konkretisierung, S. 38. 630 Vgl. EuGH Urt. v. 30.5.1991 – Rs. C-361 / 88 Kommission / Deutschland Slg. 1991, I-2567 Rn 15; EuGH Urt. v. 23.3.1995 – Rs. C-365 / 93 Kommission / Griechenland Slg. 1995, I-499 Rn 9; EuGH Urt. v. 20.3.1997 – Rs. C-96 / 95 Kommission / Deutschland Slg. 1997, I-1653 Rn 39; EuGH Urt. v. 10.5.2001 – Rs. C-144 / 99 Kommission / Niederlande Slg. 2001, I-3541 Rn 17; Röthel Normkonkretisierung, S. 345 m. w. N. 631 Röthel Normkonkretisierung, S. 347. 632 Vgl. EuGH Urt. v. 26.10.1983 – Rs. C-163 / 82 Kommission / Italien Slg. 1983, 3272 Rn 9; Röthel Normkonkretisierung, S. 344 ff.; M. Schmidt Konkretisierung, S. 37 ff., 46. 633 Röthel Normkonkretisierung, S. 345. 634 Röthel Normkonkretisierung, S. 427; ähnlich M. Schmidt Konkretisierung, S. 38 m. w. N. 635 Röthel Normkonkretisierung, S. 347. 636 Röthel Normkonkretisierung, S. 347 m. w. N.
§ 7 Schlussfolgerungen337
Es könne dem Ziel einer Richtlinie entsprechen, dass die Konkretisierung nicht bereits durch den Gesetzgeber, sondern erst durch die Rechtsprechung geleistet werden soll.637 Insbesondere, „wenn die in der Richtlinie verwendeten ausfüllungsbedürftigen Begriffe ‚wegen der Vielfalt der auftretenden Sachverhalte‘ gewählt worden sind, d. h. auf eine Verwirklichung judikativer Einzelfallgerechtigkeit abzielen und sich also primär an die mitgliedstaat liche Rechtsprechung richten“638, werde „die Weitergabe des Konkretisierungsauftrags auf nationaler Ebene durch einen Umsetzungsakt mit richtlinienkongruenten Delegationsbegriffen […] der Umsetzungspflicht gerecht“639. Wenn es gerade der Zielrichtung des Konkretisierungsauftrags entspreche, dass die eigentliche Konkretisierung erst durch die Rechtsprechung erfolgt, seien die Mitgliedstaaten nach Röthel640 nicht verpflichtet, den ausfüllungsbedürftigen Begriff in der Richtlinie im mitgliedstaatlichen Umsetzungsgesetz „aufzulösen“641. Weitergehend soll nach M. Schmidt eine Richtlinie vorgeben können, dass dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber die eigene legislative Konkretisierung sogar „untersagt“642 ist. Wenn das Unionsrecht versuche, mit der europarechtlichen Generalklausel auch schwierig zu überschauende Anwendungsfälle rechtlich zu erfassen, sei „jede abschließende Konkretisierung durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber eine Verengung des Anwendungsbereichs der Richtlinie im nationalen Recht und daher unzulässig“643. Wolle der mitgliedstaatliche Gesetzgeber sicherstellen, den Anwendungsbereich einer Richtlinie nicht unzulässig zu verkürzen, bleibe ihm nur die Möglichkeit, nicht abschließende legislative Konkretisierungen vorzu sehen.644 Dazu eigne sich eine „partielle Konkretisierung“645, indem der Gesetzgeber neben der Einführung von Fallgruppen646 eine offene „Auffangklausel“647 erlässt.648 Wenn jedoch die Letztkonkretisierungskompetenz – wie hier bei Art. 11 SE-RL –649 beim EuGH liege, könne „jeg 637 Röthel 638 Röthel
S. 46.
639 Röthel
Normkonkretisierung, S. 349. Normkonkretisierung, S. 349; so auch M. Schmidt Konkretisierung,
Normkonkretisierung, S. 349. Normkonkretisierung, S. 349. 641 Röthel Normkonkretisierung, S. 349. 642 M. Schmidt Konkretisierung, S. 46. 643 M. Schmidt Konkretisierung, S. 38. 644 M. Schmidt Konkretisierung, S. 38 m. w. N. 645 Röthel Normkonkretisierung, S. 348. 646 Röthel Normkonkretisierung, S. 348. 647 M. Schmidt Konkretisierung, S. 47. 648 M. Schmidt Konkretisierung, S. 46 f. 649 Dazu bereits oben unter § 3 B. I. 4. 640 Röthel
338
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
liche Vorkonkretisierung in Fallgruppen durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber“ vom EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Richtlinie überprüft werden.650 bb) Unionsrechtlicher Grundsatz der Rechtssicherheit Nach dem EuGH651 ist der „Grundsatz der Rechtssicherheit“ ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts. Es verlange, dass eine belastende Regelung klar und deutlich ist, damit der Adressat der Vorschrift seine Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und somit Vorkehrungen treffen kann. Auch wenn die Auslegung einer sekundärrechtlichen Bestimmung zwar schwierig sei, verstoße sie indes nicht gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn die Schwierigkeiten auf die Komplexität der Materie zurückgingen und die Bestimmung bei sorgfältiger Prüfung den Sinn und die Auswirkungen ihrer Anwendung erkennen lasse.652 b) Ordnungsgemäße Umsetzung mit der Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG Aus den vorstehend dargestellten Grundsätzen der Überführung von europarechtlichen Generalklauseln in mitgliedstaatliche Generalklauseln folgt für die Frage der europarechtlichen Zulässigkeit des allgemeinen Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG: Ob die Vorschrift Art. 11 SE-RL ordnungsgemäß umsetzt, hängt davon ab, ob aus Art. 11 SE-RL eine zwingende Vorgabe hinsichtlich der Art der Konkretisierung folgt [dazu sogleich unter aa)] und ob § 43 S. 1 SEBG dem Grundsatz der Rechtssicherheit [bb)] genügt. aa) Keine Vorgabe des Art. 11 SE-RL für die Konkretisierungsart Art. 11 SE-RL sieht vor, dass „die Mitgliedstaaten […] im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften geeignete Maßnahmen“653 treffen. Aus dem Wortlaut folgt somit lediglich, dass sich der Handlungsauftrag 650 Vgl. M. Schmidt Konkretisierung, S. 47. Daher sei es verständlich und sachlich richtig, wenn sich Mitgliedstaaten oftmals auf eine bloße Übernahme von Generalklauseln in das nationale Recht beschränkten. 651 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-354 / 95 National Farmers’ Union u. a. Slg. 1997, I-4559, Rn 57. 652 EuGH Urt. v. 17.7.1997 – Rs. C-354 / 95 National Farmers’ Union u. a. Slg. 1997, I-4559, Rn 58. 653 Zu diesem Merkmal auch bereits oben unter § 3 C. IV.
§ 7 Schlussfolgerungen339
aus Art. 11 SE-RL an die Mitgliedstaaten richtet. Welcher konkrete Träger öffentlicher Gewalt innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaats berechtigt oder verpflichtet ist, eine Vor-Konkretisierung der in Art. 11 SE-RL verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe vorzunehmen, lässt der Wortlaut offen. Über den Weg des Vorabentscheidungsverfahrens ist in jedem Fall – sowohl bei legislativer als auch bei judikativer Vor-Konkretisierung – sichergestellt, dass der EuGH seine Letztkonkretisierungskompetenz654 für Art. 11 SE-RL auch tatsächlich ausüben kann. Für eine Pflicht zur legislativen Vor-Konkretisierung könnte sprechen, dass Art. 11 SE-RL die Mitgliedstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass eine SE dazu missbraucht wird, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Der Wortlaut könnte dahingehend auszulegen sein, dass die Maßnahmen der Mitgliedstaaten sich nicht lediglich reaktiv gegen einen „Missbrauch einer SE“ richten dürfen, sondern einen präventiven Schutz der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer gewährleisten müssen. Eine Vor-Konkretisierung des § 43 S. 1 SEBG bereits durch den Gesetzgeber – etwa mittels Fallgruppen – könnte für die Erreichung einer solchen Zielsetzung förderlicher sein als eine Vor-Konkretisierung erst durch die nationale Rechtsprechung. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass auch eine etwaige vom mitgliedstaatlichen Gesetzgeber vorgenommene legislative Vor-Konkretisierung keinen präventiven Schutz in dem Sinne gewährleistet, dass dadurch Missbräuche ausgeschlossen würden. Im Übrigen stünde eine legislative Vor-Konkretisierung ohnehin unter dem Vorbehalt einer europarechtlichen Überprüfung durch den EuGH. Das „Verhindern“ des „Missbrauchs einer SE“ in Art. 11 SE-RL ist somit dahingehend auszulegen, dass Maßnahmen der Mitgliedstaaten zwar möglichst effektiv und abschreckend wirken sollen. Daraus lässt sich jedoch keine Pflicht der Mitgliedstaaten folgern, für eine legislative Vor-Konkretisierung durch den mitgliedstaatlichen Gesetzgeber zu sorgen. Im Ergebnis folgt aus Art. 11 SE-RL keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine legislative Vor-Konkretisierung vorzunehmen. Dem mitgliedstaatlichen Gesetzgeber ist es somit grundsätzlich nicht verwehrt, Art. 11 SE-RL in Form einer mitgliedstaatlichen Generalklausel unter Verwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 11 SE-RL in das nationale Recht zu überführen. Die Regelung muss dabei der nationalen Rechtsprechung eine judikative Vor-Konkretisierung ermöglichen, die der letztverbindlichen Überprüfung durch den EuGH unterliegt.
654 Dazu
bereits oben unter § 3 B. I.
340
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
bb) V ereinbarkeit mit dem unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit Der mitgliedstaatliche Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der mitgliedstaatlichen Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG dem unionsrechtlichen „Grundsatz der Rechtssicherheit“ Rechnung zu tragen. Ein Verstoß gegen den „Grundsatz der Rechtssicherheit“ kommt zum einen in Betracht, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 43 S. 1 SEBG nicht nur unbestimmt, sondern überhaupt nicht näher bestimmbar sind. Zum anderen kann ein Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit vorliegen, wenn der als Verbot konzipierte § 43 S. 1 SEBG die Rechtsfolgen eines „Missbrauchs einer SE“ offen lässt und diese sich auch im Wege der Auslegung nicht näher konkretisieren lassen. Joost kritisiert den deutschen Gesetzgeber dahingehend, dass ein „pauschales Missbrauchsverbot […] den Anforderungen an eine hinreichende inhaltliche Bestimmtheit in keiner Weise“ genüge.655 Wenn der Gesetzgeber den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen nicht wolle, „kann und muss er sie selbst ausschließen“656. Es sei „Aufgabe des Gesetzgebers, die wesentlichen Rechtsfolgen rechtlich relevanter Vorgänge zu regeln“657. Der Gesetzgeber erfülle seine Aufgabe nicht, wenn er „sich einer eigenen Regelungsaussage […] enthält und die Aufgabe gleichsam privatisiert, indem (nur) ein missbräuchliches Verhalten des Rechtssubjekts sanktioniert wird“658. Die Verantwortlichkeit werde unzulässig verschoben, wenn der Gesetzgeber bestimmte gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stelle, ohne deren Ausübung mitbestimmungsrechtlich abzusichern, die Ausübung aber gleichwohl mit einer potentiellen Sanktion versehe.659 Richtig ist, dass § 43 S. 1 SEBG gegenüber Art. 11 SE-RL keine Konkretisierung enthält. Die Ausgestaltung an sich als mitgliedstaatliche Generalklausel ohne legislative Vor-Konkretisierung ist aus den vorstehend unter aa) genannten Gründen zulässig. Auch die mitgliedstaatliche Generalklausel ist inhaltlich unbestimmt und erfordert eine judikative Konkretisierung. Wie Teil 2 und Teil 3 dieser Arbeit gezeigt haben, ist § 43 S. 1 SEBG zumindest bestimmbar, indem durch Auslegung der Vorschrift ein Prüfungsmaßstab entwickelt und die Rechtsfolgen konkretisiert werden konnten. § 43 S. 1 SEBG lässt daher im Sinne der EuGH-Rechtsprechung660 bei sorgfältiger 655 Joost
in FS Richardi 2007, S. 573, 579. in FS Richardi 2007, S. 573, 579. 657 Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 578. 658 Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 578. 659 Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 578. 660 Vgl. oben unter § 7 B. I. 2. a) bb). 656 Joost
§ 7 Schlussfolgerungen341
Prüfung den Sinn und die Auswirkungen ihrer Anwendung auf den Normadressaten661 erkennen. Mithin ist § 43 S. 1 SEBG bei richtlinienkonformer Auslegung des Tatbestands und der Rechtsfolgen mit dem „Grundsatz der Rechtssicherheit“ vereinbar. 3. Ergebnis Die Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG dient dem Ziel des Art. 11 SERL, einen Missbrauch der SE zu Lasten von erworbenen Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer zu verhindern, und ist daher im Sinne der Richtlinienbestimmung „geeignet“.662 In § 43 S. 1 SEBG verzichtet der deutsche Gesetzgeber auf eine legislative Vor-Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“. Gleichwohl erlaubt die Regelung eine judikative Konkretisierung durch die Rechtsprechung, die in letzter Verbindlichkeit dem EuGH obliegt. Daher ist § 43 S. 1 SEBG eine europarechtlich zulässige Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL, der die Konkretisierungsart offen lässt.663 Da § 43 S. 1 SEBG eine Konkretisierung des Tatbestands sowie der Rechtsfolgen im Wege richtlinienkonformer Auslegung zulässt ist, ist die Regelung mit dem unionsrechtlichen „Grundsatz der Rechtssicherheit“ vereinbar.664 § 43 S. 1 SEBG setzt den Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL somit ordnungsgemäß um. II. Vereinbarkeit des § 43 S. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL Die Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 SEBG könnte aufgrund des darin tatbestandlich formulierten Falls eines „Missbrauchs einer SE“ sowie aufgrund der angeordneten Rechtsfolge der „Vermutung“ eines Missbrauchs mit Art. 11 SE-RL unvereinbar sein. Der Tatbestand des § 43 S. 2 SEBG formuliert einen Fall eines „Missbrauchs einer SE“, namentlich, wenn „strukturelle Änderungen“ einer SE innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE stattfinden, diese ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten bewirken und kein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG stattgefunden hat. Damit ist § 43 S. 2 SEBG eine legislative Vor-Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ aus Art. 11 SE-RL. Den Begriff der „strukturellen Änderungen“ hat der deutsche Gesetzgeber zwar nicht durch Aufzählung von Regelbeispielen – wie 661 Vgl. zum § 5 A. II. 3. 662 Vgl. oben 663 Vgl. oben 664 Vgl. oben
persönlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG oben unter unter § 7 B. I. 1. unter § 7 B. I. 2. b) aa). unter § 7 B. I. 2. b) bb).
342
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
im österreichischen Recht – legaldefiniert. Gleichwohl lässt der Begriff in § 43 S. 2 SEBG aufgrund der Anknüpfung an den in ErwG 18 S. 3 SE-RL verwendeten Begriff der „strukturellen Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ eine richtlinienkonforme Auslegung zu.665 Die in § 43 S. 2 SEBG angeordnete Rechtsfolge der widerlegbaren666 und somit den Beweis des Gegenteils zulassenden „Vermutung“ bezieht sich auf einen „Missbrauch einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG. Da Art. 11 SE-RL hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Missbrauchs der SE offen ist, steht die Richtlinie dem Verbot des Missbrauchs nicht entgegen. Die Rechtsfolgen des Verbots sind im Übrigen durch Auslegung des § 43 S. 1 SEBG bestimmbar667 und stehen daher im Einklang mit dem unionsrechtlichen „Grundsatz der Rechtssicherheit“.668 Da die Vermutung des § 43 S. 2 SEBG im Rahmen des § 45 Abs. 2 Nr. 2 SEBG im Ergebnis jedenfalls nicht anzuwenden ist, verstößt § 43 S. 2 SEBG auch nicht gegen den im Unionsrecht anerkannten rechtsstaatlichen Grundsatz in dubio pro reo.669 § 43 S. 2 SEBG steht daher im Einklang mit „gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL. III. Unvereinbarkeit des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG mit Art. 11 SE-RL Fraglich ist, ob § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG eine „geeignete Maßnahme“ (dazu sogleich unter 1.) i. S. v. Art. 11 SE-RL ist, die „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ steht (dazu unter 2.). 1. Strafnorm als „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL Mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG verfolgt der deutsche Gesetzgeber das Ziel, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu schützen.670 Die Regierungsbegründung zu § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG verweist darauf, dass es aus gesellschaftsrechtlichen Gründen in Fällen des Missbrauchs einer SE nur eingeschränkt möglich sei, einmal vollzogene grenzüberschreitende Maßnahmen 665 Vgl.
oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (3). oben unter § 5 B. II. 2. b). 667 Zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG vgl. oben unter § 5 A. IV. 668 Vgl. zum unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit oben unter § 7 B. I. 2. a) bb). 669 Vgl. oben unter § 5 C. I. 1. 670 So auch Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 5. 666 Vgl.
§ 7 Schlussfolgerungen343
nachträglich wieder rückgängig zu machen.671 Daher komme der Strafandrohung präventive Wirkung zu.672 Diese Zielsetzung ist aus unionsrechtlicher Sicht nicht nur zulässig, sondern deren effektive Verfolgung durch Art. 11 SE-RL sogar zwingend vorgegeben.673 Der auf einen vorbeugenden Schutz gerichtete Ansatz des deutschen Gesetzgebers in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG steht auch im Einklang mit dem Wortlaut des Art. 11 SE-RL, wonach die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen sollen, um zu verhindern, dass eine SE missbraucht wird.674 Dass der Missbrauch einer SE unter Strafe gestellt ist, hat aufgrund der Strafandrohung und des Strafrahmens mit Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe eine abschreckende675 Wirkung. Die Strafandrohung fördert damit das Ziel des Schutzes von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer. Dagegen führt Schubert an, dass eine Beschränkung der Rechtsfolgen eines „Missbrauchs einer SE“ auf die Strafvorschrift „kontraproduktiv für die angestrebte Zusammenarbeit zwischen der Leitung und den Arbeitnehmern“ sei und „keiner effektiven Umsetzung des Richtlinienziels“ entspreche, da die SE-RL eine „institutionalisierte Kontrolle der Arbeitnehmerbeteiligung“ fordere.676 Indes beschränkt das deutsche Regelungskonzept zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL den Schutz vor einem „Missbrauch einer SE“ nicht auf die Strafandrohung in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG, sondern erlaubt mit § 43 S. 1, 2 SEBG auch eine Lösung für das Schicksal der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer. Mithin ist die neben § 43 S. 1, 2 SEBG gesondert geregelte Strafandrohung eine an sich „geeignete Maßnahme“ i. S. v. Art. 11 SE-RL.677
671 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57; vgl. dazu Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 2. 672 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57; vgl. dazu Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 2. 673 Vgl. auch Sagan in: Bieder / Hartmann S. 199, wonach das Missbrauchsverbot nach Art. 11 SE-RL „zivilrechtlich effektiven Schutz von Arbeitnehmerrechten“ verlange. 674 Vgl. Sagan EBLR 2010, 15, 35. 675 Nach Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 2 „[…] wirkt die Unbestimmtheit des Rechtsbegriffs ‚Missbrauch‘ in § 43 S. 1 SEB per se abschreckend, weil die Leitung der SE keine gesicherte Prognose darüber abgeben kann, wie die Gerichte einen eventuellen Streitfall entscheiden werden.“; ferner die Abschreckungswirkung als Rechtfertigung für die Straf-androhung erwägend Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 199. 676 Schubert ZESAR 2006, 340, 344. 677 So auch „grundsätzlich“ Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 2; i. E. ablehnend Sagan EBLR 2010, 15, 35; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 199.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
2. Vereinbarkeit der Strafnorm mit „gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL Neben der Eignung mitgliedstaatlicher Maßnahmen zur Verhinderung eines Missbrauchs einer SE verlangt Art. 11 SE-RL zusätzlich, diese „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ zu treffen. Die Maßnahme des deutschen Gesetzgebers, mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG den Missbrauch einer SE nach § 43 S. 1 SEBG unter Strafe zu stellen, muss sich daher zum einen am Bestimmtheitsgebot [dazu sogleich a)] und zum anderen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz [dazu unter b)] messen lassen. a) Bestimmtheitsgrundsatz Der Bestimmtheitsgrundsatz ist sowohl im Unionsrecht als auch im deutschen Verfassungsrecht verankert. Als Umsetzungsnorm von Art. 11 SE-RL ist § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG am unionsrechtlichen Bestimmtheitsgebot zu messen.678 Da der deutsche Gesetzgeber bei seiner Umsetzung des Art. 11 SE-RL den ihm eingeräumten Umsetzungsspielraum genutzt hat,679 ist § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG auch an deutschem Verfassungsrecht zu messen.680 aa) L iteraturauffassungen zur Bestimmtheit des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG In der Literatur ist umstritten, ob § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar ist.681 Teile der Literatur halten § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG nicht für unbestimmter als andere Straftatbestände wie etwa den der Nötigung (§ 240 StGB),682 sodass den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes noch ausreichend Rechnung getragen worden sei.683 Hiergegen führt Rehberg an, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Gewaltbegriff des § 240 StGB, wonach es genüge, wenn wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar sei, nicht auf das SEBG übertragbar sei.684 auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 200. Beschl. v. 9.1.2001 – 1 BvR 1036 / 99, NJW 2001, 1267, 1268; vgl. Schwarz SE-Verordnung, Art. 43 SE-VO Rn 94. 680 Vgl. Schwarz SE-Verordnung, Einl. Rn 319 Fn 838; i. E. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 890. 681 Vgl. Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699 m. w. N. 682 Jacobs in: MüKo-AktG § 45 SEBG Rn 5; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 45 SEBG Rn 9; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 45 SEBG Rn 4. 683 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 45 SEBG Rn 9. 684 Rehberg ZGR 2005, 859, 890. 678 So
679 BVerfG
§ 7 Schlussfolgerungen345
Andere Stimmen in der Literatur vertreten die Auffassung, dass § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG gegen das Bestimmtheitsgebot verstößt.685 Der Wortlaut enthalte keine eindeutige Bestimmung, welche konkreten Verhaltensweisen unter Strafe stehen.686 Daher lasse sich nicht mit hinreichender Gewissheit voraussehen, welches Verhalten den Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG erfüllt.687 Ferner fehle es an einschlägiger Rechtsprechung des EuGH zu Art. 11 SE-RL und nationaler Gerichte zu § 43 S. 1 SEBG, aufgrund derer sich der Tatbestand strafbaren Missbrauchs näher konkretisieren ließe.688 Schließlich spreche gegen eine hinreichende Bestimmtheit, dass sich ein Missbrauch einer SE nicht allgemeingültig, sondern nur im Einzelfall bestimmen lasse.689 Vermittelnd wird gefordert, wegen der Unbestimmtheit des Begriffs „Missbrauch einer SE“ im objektiven Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG verschärfte Anforderungen in subjektiver Hinsicht zu stellen.690 bb) S tellungnahme: Hinreichende Bestimmtheit durch Konkretisierung des § 43 S. 1 SEBG Als Folge einer etwaigen Unbestimmtheit des Begriffs „Missbrauch einer SE“ strengere Anforderungen an die subjektive Tatbestandsseite im objektiven Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG zu stellen, ist abzulehnen. Zwar wirken sowohl eine strengere Wortlaut-Auslegung als auch eine teleologische Reduktion im Strafrecht nur zu Gunsten des mutmaßlichen Täters. Indes würde dadurch eine etwaige Unbestimmtheit des objektiven Tatbestands des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG nicht kompensiert. Strengere Anforderungen in subjektiver Hinsicht lösen nicht das Problem der Unbestimmtheit des Begriffs im objektiven Tatbestand. Vielmehr führen die genannten Auffassungen dazu, dass der objektive Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG obsolet wird und es letztlich nur noch auf das Vorliegen subjektiver Merkmale ankommt. Es genügt jedoch nicht, dass der Strafrichter in Ausübung seiner richterlichen Überzeugung (§ 261 StPO) zu der Auffassung 685 Grobys NZA 2004, 779, 781 („Zweifel“); Rehberg ZGR 2005, 859, 890; Teichmann Der Konzern 2007, 89, 97; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Koch Diss. 2010, S. 254 („verfassungswidrig“); Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 202. 686 Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 201. 687 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 201. 688 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 201. 689 Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 201. 690 Schlösser NZG 2008, 126, 129; Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 13.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
gelangt, dass ein „Missbrauch einer SE“ beabsichtigt war.691 Die bloße Bestrafung der Absicht liefe auf eine Versuchsstrafbarkeit hinaus, die jedoch aufgrund des Deliktscharakters des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG als Vergehen (vgl. § 12 Abs. 1 StGB) eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung erforderte (vgl. § 23 Var. 2 StGB), die das Gesetz indes nicht vorsieht. Nach der EuGH-Rechtsprechung692 verbietet der Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen, die Strafverfolgung wegen eines Verfahrens einzuleiten, dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt. Auch Art. 103 Abs. 2 GG bestimmt, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Aus dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 7 Abs. 1 EMRK folgert der EGMR, dass der Einzelne aus dem Wortlaut einer Strafnorm und, falls erforderlich, mithilfe ihrer Auslegung durch das Gericht erkennen können müsse, welche Handlung strafbar ist.693 Auch nach dem Bundesverfassungsgericht694 enthält das Bestimmtheitsgebot die Verpflichtung, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen seien und sich durch Auslegung ermitteln ließen. Das Bestimmtheitsgebot verlangt demnach, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht.695 Auf dieser Grundlage könnte der unbestimmte Rechtsbegriff des „Missbrauchs einer SE“, auf den § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG durch die Anknüpfung an § 43 S. 1 SEBG Bezug nimmt, für den Einzelnen nicht hinreichend klar erkennen lassen, welche konkrete Verhaltensweise noch straffrei und welche bereits strafbewährt ist. Das Bundesverfassungsgericht entschied etwa, dass der Untreue-Tatbestand (§ 266 StGB) sehr abstrakt formuliert und von großer Weite sei und eine entsprechend hohe Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit aufweise,696 da sowohl der Kreis möglicher Adressaten des Missaber Schlösser NZG 2008, 126, 129. Urt. v. 12.12.1996 – Rs. C-74 / 95 Strafverfahren gegen X Slg. 1996, I-6609 Rn 25. 693 EGMR Urt. v. 25.6.2009 – 12157 / 05 Liivik gegen Estland, abrufbar unter: http: / / hudoc.echr.coe.int / sites / eng / pages / search.aspx?i=001-93250, Rn 93; EGMR Urt. v. 25.5.1993 Serie A Nr. 260-A Kokkinakis gegen Griechenland Rn 52. 694 BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170. 695 BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170, Rn 71. 696 BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170, Rn 91. 691 So
692 EuGH
§ 7 Schlussfolgerungen347
brauchstatbestands (§ 266 Abs. 1 Var. 1 StGB: „Wer […] missbraucht“) als auch das zentrale Merkmal des Missbrauchs rechtlicher Befugnisse für sich genommen weit seien.697 Indes bedarf selbst eine noch so klar gestaltete Rechtsnorm auch im Strafrecht stets juristischer Auslegung.698 Der Gesetzgeber ist nicht gezwungen, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit unmittelbar in ihrer Bedeutung für jedermann erschließbaren deskriptiven Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben.699 Das Gebot der Bestimmtheit schließt die Verwendung wertausfüllungsbedürftiger Begriffe bis zu hin zu Generalklauseln im Strafrecht nicht aus.700 Nach dem Bundesverfassungsgericht haben die Strafgerichte verbleibende Unklarheiten über den Anwendungsbereich einer Norm durch Präzisierung und Konkretisierung im Wege der Auslegung auszuräumen (Präzisierungsgebot), insbesondere bei Tatbeständen, die der Gesetzgeber – soweit zulässig – durch Verwendung von Generalklauseln verhältnismäßig weit und unscharf gefasst habe.701 Trotz der „konzeptionell weiten und unscharfen Fassung“702 einer Strafnorm kann diese einer konkretisierenden und präzisierenden Auslegung zugänglich sein. Eine solche Konkretisierung ist auch im Hinblick auf § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG möglich. Die Norm stellt einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG unter Strafe. § 43 S. 1 SEBG erfordert neben dem „Missbrauch einer SE“ die Erfüllung weiterer Tatbestandsvoraussetzungen: Beteiligungsrechte müssen Arbeitnehmern entzogen oder vorenthalten werden.703 Diese Tatbestandsmerkmale sind weniger unbestimmt als der Missbrauchs-Begriff. Im Ergebnis sind sämtliche Merkmale 697 BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170, Rn 94 f. 698 EGMR Urt. v. 25.6.2009 – 12157 / 05 Liivik gegen Estland Rn 94. Der EGMR entschied dennoch, dass ein noch aus Sowjetzeiten übernommenes estnisches Strafgesetz zum vorsätzlichen Missbrauch einer amtlichen Stellung mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nicht in Einklang zu bringen sei, da der weite und vage Begriff des „moralischen Schadens für die nationalen Interessen“ nicht hinreichend bestimmt sei und ein nachträgliches Ermessensurteil des Gerichts ermögliche (Rn 99 ff.). 699 BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170, Rn 73. 700 BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170, Rn 73. 701 Zum Ganzen BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170, Rn 80. 702 BVerfG Beschl. v. 23.6.2010 – 2 BvR 2559 / 08 u. a., BVerfGE 126, 170, Rn 95. 703 A. A. Grobys NZA 2004, 779, 781; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200.
348
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
des § 43 S. 1 SEBG einer Konkretisierung zugänglich.704. § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ist damit hinreichend bestimmt.705 b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG greift in das unionsrechtliche Grundrecht der Freiheit der Person (vgl. Art. 6 EU-Grundrechtecharta) ein. Einschränkungen der durch die EU-Grundrechtecharta anerkannten Rechte und Freiheiten dürfen nur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorgenommen werden, sodass dieser zu den von Art. 11 SE-RL umfassten „gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ zählt und als Vorgabe für mitgliedstaatliche Maßnahmen auf Grundlage von Art. 11 SE-RL maßgebend ist. Eine verhältnismäßige Maßnahme setzt deren Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit voraus.706 aa) Geeignetheit Die Androhung von Strafe in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ist eine geeignete Maßnahme, um den Zweck des Schutzes der Arbeitnehmerbeteiligung zu fördern.707 bb) Erforderlichkeit Eine Maßnahme ist nach ständiger EuGH-Rechtsprechung nicht erforderlich, wenn mildere mitgliedstaatliche Mittel zur Verfügung stehen, durch die der Zweck in gleich geeigneter Weise gefördert wird. Als gegenüber der Strafe nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG mildere Maßnahme kommt in Betracht, eine ausschließlich privatrechtliche Pflicht zu statuieren, Beteiligungsrechte weder zu entziehen noch vorzuenthalten.708 Indes begründet der Regierungsentwurf die strafrechtliche Sanktion in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG damit, dass es aus gesellschaftsrechtlichen Gründen in 704 Vgl.
für Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. auch Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 45 SEBG Rn 4. 706 Vgl. Pache in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach, Europarecht, § 10 Rn 57 zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Schranken-Schranke bei der Rechtfertigung von Eingriffen in Grundfreiheiten: „Der EuGH prüft meist ausschließlich, ob eine Maßnahme geeignet ist, den erwünschten Zweck zu erfüllen, und ob sie erforderlich ist, d. h. ob der Zweck mit genauso wirksamen milderen Mitteln erfüllt werden kann, während er eine Prüfung der Angemessenheit regelmäßig nicht vornimmt.“. 707 Vgl. oben unter § 7 B. III. 1. 708 Vgl. in diese Richtung auch Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 199. 705 Vgl.
§ 7 Schlussfolgerungen349
Fällen des Missbrauchs einer SE nur eingeschränkt möglich sei, einmal vollzogene grenzüberschreitende Maßnahmen nachträglich wieder rückgängig zu machen.709 Aus diesem Grunde komme der präventiven Wirkung einer Strafandrohung in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG „besondere Bedeutung“ zu.710 Fraglich ist jedoch, ob der Verweis auf mangelnde gesellschaftsrechtliche Möglichkeiten einer Rückabwicklung von Maßnahmen tatsächlich zum Tragen kommt. Betriebliche Beteiligungsrechte sind – wie deren nationale Regelung im BetrVG zeigt – dem Arbeitsrecht zuzuordnen. Die Errichtung eines SE-Betriebsrats ist keine gesellschaftsrechtliche Maßnahme, sodass sie jederzeit auch noch nachträglich möglich ist. Allerdings gilt für den Bereich der unternehmerischen Beteiligungsrechte auf Mitbestimmung, dass etwa die Einflussnahme im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE tatsächlich Auswirkungen auf das Gesellschaftsrecht des Unternehmens hat. Daher könnte das Argument im Regierungsentwurf auf die gesellschaftsrechtliche Beständigkeit des SE-Unternehmens zutreffen. Zwar ist die Trennung der Rechtsgrundlagen für das Gesellschaftsrecht (SE-VO und SEAG) einerseits und das Recht der Arbeitnehmerbeteiligung (SE-RL und SEBG) der SE durch das Unionsrecht vorgegeben. Indes werden die Rechtsgrundlagen durch Art. 12 Abs. 2 SE-VO verknüpft, wonach die SE erst nach Aufnahme und Beendigung des Verhandlungsverfahrens zur Beteiligung der Arbeitnehmer in das Handelsregister eingetragen werden kann. Da der europäische Gesetzgeber eine Einigung über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE erst nach erfolgter Gründung nicht zulässt und damit kein Verfahren für ein nachträgliches Eingreifen in das gesellschaftsrechtliche Gefüge der SE vorsieht, könnte der Verweis des deutschen Gesetzgebers auf fehlende gesellschaftsrechtliche Möglichkeiten der Rückabwicklung eines „Missbrauchs einer SE“ im Nachgründungsstadium erheblich sein. Demzufolge wäre eine bloße Verpflichtung zur nachträg lichen Einräumung der entzogenen oder vorenthaltenen Beteiligungsrechte mangels Durchsetzungsmöglichkeiten kein gegenüber der Strafandrohung gleich geeignetes milderes Mittel. Allerdings könnte dieser Argumentation entgegenstehen, dass der Gesetzgeber sich nicht daran gehindert sah, in § 18 Abs. 3 SEBG – obwohl von der SE-RL normativ nicht zwingend vorgegeben – einen Tatbestand über die Wiederaufnahme von Verhandlungen nach SE-Gründung und das dabei anzuwendende Verfahren zu regeln. Der Widerspruch könnte konkret darin 709 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57; vgl. auch Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 2. 710 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57; vgl. auch Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 2.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
liegen, dass bei geplanten strukturellen Änderungen der SE, die geeignet sind, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten (vgl. § 18 Abs. 3 SEBG), offensichtlich unproblematisch Neuverhandlungen durchgeführt werden können, während ein Missbrauch einer SE, bei dem Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden (vgl. § 43 S. 1 SEBG), „aus gesellschaftsrechtlichen Gründen“711 keine mildere Maßnahme als eine präventive Strafandrohung zulässt. Indes besteht insoweit ein Unterschied, als die Neuverhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG bereits im Stadium der Planung erst künftig durchzuführender struktureller Änderungen der SE wiederaufzunehmen sind. Demgegenüber ist es möglich, dass ein „Missbrauch einer SE“ erst festgestellt wird, wenn die SE bereits unter Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG eingetragen ist. Im Übrigen ist auch für das deutsche Mitbestimmungsrecht nach dem MitbestG anerkannt, dass das Gesellschaftsrecht durch den Zweck der Mitbestimmung überlagert wird.712 Die Begründung des deutschen Gesetzgebers, gesellschaftsrechtliche Gestaltungen könnten nicht rückgängig gemacht werden, erscheint daher vorgeschoben. Im Übrigen geht es beim Verbot des Missbrauchs einer SE auch nicht darum, eine gesellschaftsrechtliche Gestaltung rückgängig zu machen oder die SE als solche zu verbieten. Vielmehr bezweckt das Missbrauchsverbot die Gewährleistung des Bestandschutzes von Beteiligungsrechten, die ungeachtet konkreter gesellschaftsrechtlicher Strukturen zu gewähren sein können. Eine Strafnorm ist jedoch zur Förderung des Zwecks des Bestandschutzes von Beteiligungsrechten nicht erforderlich. cc) Angemessenheit § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG müsste angemessen713 sein, um das Verhältnismäßigkeitsprinzip als „gemeinschaftliche Rechtsvorschrift“ i. S. v. Art. 11 SE-RL zu wahren. Die Sanktionierung eines Missbrauchs einer SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe könnte sowohl dem Grunde nach als auch wegen der Höhe des Strafrahmens von bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe unangemessen sein. Das ist der Fall, wenn die Strafe außer Verhältnis zu dem von Art. 11 SE-RL bezweckten Schutz von Betei711 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 712 BGH Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311; ErfK / Oetker § 107 AktG Rn 10. 713 Vgl. dazu Pache in: Schulze / Zuleeg / Kadelbach, Europarecht, § 10 Rn 57 Fn 163: „Wenn der EuGH die Angemessenheit prüft, geht er in der Regel nur darauf ein, ob zwischen der Schwere der Einschränkung und dem damit verfolgten Ziel ein grobes Missverhältnis besteht.“.
§ 7 Schlussfolgerungen351
ligungsrechten der Arbeitnehmer steht. Dazu ist eine Abwägung der betroffenen Rechtspositionen vorzunehmen. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer wurzelt in der Überzeugung, dass diejenigen, die den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens erarbeiten, auch Einfluss auf unternehmerische Entscheidungen üben können sollen.714 Dabei geht es nicht um die individuelle Einflussnahme einzelner Arbeitnehmer, sondern um eine kollektive Partizipation dieser Gruppe als Gegenspieler zum Arbeitgeber. Die Beteiligung von Arbeitnehmern ist somit Ausdruck des Gedankens der Solidarität.715 Daher bezweckt die SE-RL mit dem Schutz von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern die Förderung der Ziele der Union im sozialen Bereich.716 Bei der betrieblichen Beteiligung geht es um die Mitbestimmung in Form der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmerschaft über die Entwicklung der Geschäftslage und die Perspektiven der SE.717 Die unternehmerische Beteiligung betrifft die unmittelbare Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen, die das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE beschließt. Demgegenüber hat eine Bestrafung nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG erhebliche Konsequenzen für die betroffene Einzelperson, die bis zu einer Höchststrafe von zwei Jahren Freiheitstrafe reichen können. Hingegen ist das Recht auf Freiheit ein fundamentales individuelles Grundrecht (vgl. Art. 6 EU-Grundrechtecharta). Zwar garantiert Art. 27 EU-Grundrechtecharta das Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer im Unternehmen. Es hat für die Arbeitnehmer im Gegensatz zur Freiheit der Person keine vergleichbar hohe Bedeutung im Hinblick auf ihre Existenz. Die unterschiedliche Grundrechtsintensität zeigt sich etwa daran, dass nach Art. 27 EU-Grundrechtecharta die Arbeitnehmer-Rechte unter den Voraussetzungen gewährleistet sein müssen, die nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten vorgesehen sind. Demgegenüber ist eine Beschränkung der Freiheit der Person nach Art. 6 EU-Grundrechtecharta nur bei Verletzung von Rechtsgütern mit überragender Bedeutung denkbar, etwa Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit oder Vermögen. Die Regierungsbegründung beruft sich darauf, dass § 45 Abs. 1 SEBG der Strafvorschrift des § 43 EBRG nachgebildet sei.718 Indes kommt dieser Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 5 m. w. N. nur Art. 27 EU-Grundrechtecharta im Titel IV „Solidarität“. 716 ErwG 3 S. 1 SE-RL. 717 Vgl. etwa die jährliche Unterrichtung und Anhörung des SE-Betriebsrats kraft Gesetzes nach § 28 Abs. 1 S. 1 SEBG. 718 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57. 714 Vgl. 715 Vgl.
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Teil 3: Legislative Konkretisierungen
Verweis nur im Hinblick auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 SEBG über die Strafbarkeit wegen Verwertung eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses zum Tragen, da § 43 Abs. 1 EBRG sich darauf beschränkt. Das EBRG sieht jedoch weder ein Missbrauchsverbot noch eine Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen ein solches Verbot vor. § 43 EBRG und § 45 Abs. 1 Nr. 1 SEBG schützen das Recht des Unternehmens an ihren Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.719 Eine Verletzung dieses Rechts kann zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden des Unternehmens führen. Demgegenüber erreicht der durch einen Missbrauch der SE für die Gruppe der Arbeitnehmer potentiell entstehende Schaden kein Ausmaß, das einen Freiheitsentzug einer Person, welche sich für den „Missbrauch einer SE“ zu verantworten hat, rechtfertigt. Mithin ist die Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG unangemessen,720 da der mit der Bestrafung durch Entzug der Freiheit einer Person verbundene Grundrechtseingriff außer Verhältnis zum Schaden aus der Verletzung der betroffenen Rechtsposition, den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer, steht. dd) Ergebnis: Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die Belegung des Missbrauchs einer SE mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren ist zwar geeignet,721 aber nicht erforderlich,722 um den Zweck des Bestandschutzes von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer zu fördern. Der erhebliche Grundrechtseingriff in die Freiheit der Person lässt sich nicht mt dem Zweck des sozialen Schutzes von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer rechtfertigen und ist daher unangemessen. Zudem hat der Rechtsvergleich gezeigt, dass die meisten anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungen auf eine strafrechtliche Sanktion eines „Missbrauchs einer SE“ ganz verzichten oder entsprechende Regelungen lediglich mit einer Geldstrafe versehen.723 Diese Zurückhaltung ist als Indiz dafür zu werten, dass andere mitgliedstaatliche Gesetzgeber eine entsprechende Sanktion ebenfalls als mit Art. 11 SE-RL nicht vereinbar angesehen haben. § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG verstößt daher gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
§ 45 Abs. 1 Nr. 1 SEBG Altenhain in: KK-AktG § 45 SEBG Rn 5. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 891. 721 Vgl. oben unter § 7 B. III. 2. b) bb). 722 Vgl. oben unter § 7 B. III. 2. b) cc). 723 Vgl. oben unter § 6 B. I. 4. 719 Für
720 I. E.
§ 7 Schlussfolgerungen353
3. Ergebnis: Verstoß gegen „gemeinschaftliche Rechtsvorschriften“ § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG steht nicht im Einklang mit „gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL. Mithin wird mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG die Grenze des Gestaltungsspielraums zur Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL überschritten.
C. Vorschlag für eine einheitliche Konkretisierung des Art. 11 SE-RL (de lege ferenda) Der Vergleich der mitgliedstaatlichen Regelungen zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL hat gezeigt, dass diese sehr unterschiedlich ausfallen. Das läuft zum einen dem Harmonisierungsziel des ErwG 4 SE-RL zuwider, wonach die sozialen Ziele der Union auf dem Gebiet der Beteiligung der Arbeitnehmer „nicht hinreichend von den Mitgliedstaaten erreicht werden können“ und die Ziele „wegen des Umfangs und der Wirkungen […] besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können“. Zum anderen fördert die offene Regelung des Art. 11 SE-RL, die eine stark divergierende mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetzgebung ermöglicht, die Gefahr eines forum shoppings724 der SE-Gründer auf der Suche nach dem aus ihrer Sicht vorteilhaftesten nationalen Umsetzungsrecht, um das Risiko des Vorliegens und der Folgen eines etwaigen Missbrauchs der SE so gering wie möglich („race to the bottom“725) zu halten. Die Unternehmen können das anwendbare Umsetzungsgesetz über die Wahl des Sitzes bei Gründung der SE oder durch eine spätere Sitzverlegung steuern, da der Geltungsbereich der nationalen Umsetzungsgesetze an den (künftigen) Sitz der (zu gründenden) SE anknüpft (vgl. etwa § 3 SEBG). Damit entscheidet die jeweilige Ausgestaltung der nationalen Umsetzungsgesetze mit über die Attraktivität eines Mitgliedstaates als Standort für Unternehmen, welche die SE-Rechtsform wählen. Aus deutscher Sicht besteht somit ein Handlungsbedarf auf europäi scher Ebene. Im Interesse der Vorhersehbarkeit für Unternehmen und Arbeitnehmer ist eine klare Regelung hinsichtlich der Grenzen der Flexibilität des SE-Beteiligungssystems zu schaffen. Es ist eine unionsweit einheitliche Regelung hinsichtlich des Schutzes vorhandener Arbeitnehmerbeteiligung anzustreben, um nicht eine Abwanderung deutscher Unternehmen in solche Mitgliedstaaten zu fördern, die aus Sicht der Unternehmen eine gegenüber der deutschen Regelung in §§ 43, 45 SEBG schwächere oder jedenfalls griffigere Missbrauchsgesetzgebung bereithalten. 724 Zur Frage eines Missbrauchs der SE durch ein forum shopping noch unter § 8 B. I. 725 Nagel AuR 2001, 406, 407.
354
Teil 3: Legislative Konkretisierungen
Eine einheitlichere Konkretisierung könnte auf unionsrechtlicher Ebene durch eine Neuregelung726 des Art. 11 SE-RL erreicht werden, welche die bestehenden mitgliedstaatlichen Ansätze zur Sicherung der Mitbestimmung im Falle eines Missbrauchs einer SE in einer einheitlichen Richtlinienbestimmung bündelt. Dabei sind die Regelungsansätze zusammenzubringen, welche die beiderseitigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen am sinnvollsten vereinbaren und zugleich eine rechtssichere, praktisch handhabbare, effiziente und effektive Konfliktlösung erlauben. Eine einheitliche Konkretisierung auf unionsrechtlicher Ebene in Art. 11 SE-RL sollte de lege ferenda folgende Punkte beinhalten: 1. Es sollte klargestellt werden, dass sich der zeitliche Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL auf einen unbegrenzten Zeitraum erstreckt. Andernfalls müsste ein bestimmter Zeitraum für die Anwendbarkeit nach der SE-Gründung festlegt werden. 2. Der Vergleichsmaßstab für strukturelle Änderungen sollte in Anlehnung an einige Umsetzungsgesetze727 konkretisiert werden: Maßgeblich sollte insoweit sein, ob die Durchführung einer Gestaltung bereits bei Gründung der SE eine umfassendere Arbeitnehmerbeteiligung nach der SE-RL bedeutet hätte als bei Durchführung der Gestaltung als Änderung der SE erst innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach ihrer Gründung. In diesem Fall müssten Neuverhandlungen unter den gleichen Bedingungen stattfinden, die gegeben gewesen wären, wenn die spätere Änderung bereits bei Gründung der SE durchgeführt worden wäre. Eine solche Konkretisierung des Vergleichsmaßstabs würde die schwierige tatbestandliche Konkretisierung der Fälle relevanter struktureller Änderungen, z. B. in Katalogform wie in Österreich728 oder wie nunmehr im Ansatz in ErwG 40 EBR-RL und § 37 EBRG729, entbehrlich machen. 3. Die Rechtsfolgen eines Missbrauchs einer SE sollten festgelegt werden. In dem Fall, dass die ursprünglichen Verhandlungen mit dem Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung geendet hätten, sind Neuverhandlungen durchzuführen.730 In dem Fall, dass Regelungen über die Beteiligung 726 Zur Abkehr der Europäischen Kommission von ihrem ursprünglichen Plan im Arbeitsprogramm 2012 (KOM 2011, 777 endgültig v. 15.11.2011, S. 47), mögliche Verbesserungen der SE-RL bei gleichzeitiger Vereinfachung der Bestimmungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE zu ermitteln, siehe bereits oben unter § 2 D. 727 § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark; Art. 36 UmsetzungsgesetzFinnland; Art. 67 Umsetzungsgesetz-Schweden; vgl. dazu oben unter § 6 B. II. 2. c). 728 § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich; vgl. dazu oben unter § 6 B. II. 2. b). 729 Vgl. dazu oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (1) (c) (ee). 730 Vgl. dazu oben unter § 5 A. IV. 6. a) ee).
§ 7 Schlussfolgerungen355
kraft Gesetzes umgangen wurden, sind die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes anzuwenden.731 4. Für den Fall, dass die Arbeitnehmerseite einen Missbrauch einer SE geltend machen will, sollte vor einer gerichtlichen Überprüfung und Entscheidung ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren ermöglicht werden können. Eine vorherige Streitschlichtung hätte mehrere Vorteile. Eine stärkere Sachnähe der Beteiligten erlaubt ihnen die Erarbeitung geeigneter Alternativen zur Problemlösung. Zwar könnte einem zusätzlichen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren entgegengehalten werden, dass die Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung nach Art. 5 Abs. 1 SE-RL in der Regel bereits sechs Monate andauern. Art. 5 Abs. 2 SE-RL erlaubt den Parteien des Verhandlungsverfahrens sogar, einvernehmlich zu beschließen, die Verhandlungsdauer auf bis zu ein Jahr zu verlängern. Die Parteien könnten durch ein außergerichtliches Verfahren aber immerhin schneller zu einer Lösung gelangen als bei einer zeitaufwendigen gerichtlichen Untersuchung. Die Streitbeilegungsstelle könnte auch bereits vor Ende der Verhandlungsperiode angerufen werden, um bei Konflikten frühzeitig deeskalierend wirken zu können. Ein solches Schlichtungsverfahren wäre auch keine bloße Verlängerung des Verhandlungsverfahrens, da sich die Beteiligten dem Verfahren unter Führung eines unparteiischen Dritten stellen müssten. Zulässig sollte sowohl ein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren der dispute resolution nach den britischen732 oder irischen733 Konzepten734 sein. Genauso sollte die Bildung einer Einigungsstelle nach dem Vorbild des § 76 BetrVG zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zugelassen werden.
731 Vgl.
dazu oben unter § 5 A. IV. 6. b) cc). Abs. 2 Umsetzungsgesetz-UK. 733 Art. 20 (2) Umsetzungsgesetz-Irland. 734 Vgl. dazu oben unter § 6 B. III. 732 Art. 35
Teil 4
Konkretisierung des „Missbrauchs der SE“ durch Fallgruppen-Bildung Die in Teil 2 zur Konkretisierung des Art. 11 SE-RL und in Teil 3 zu den mitgliedstaatlichen legislativen Umsetzungen gewonnenen Erkenntnisse sollen im folgenden Teil 4 auf praktische Fallgestaltungen, die als mögliche Konstellationen eines Missbrauchs der SE diskutiert werden, angewendet werden. Durch systematisierende Fallgruppenbildung soll der Missbrauch einer SE auch am Einzelfall konkretisiert werden. Die Darstellung in diesem Teil orientiert sich an der deutschen Umsetzungsnorm des § 43 SEBG, um zusätzlich zur Konkretisierung des aus Art. 11 SE-RL übernommenen Tatbestandsmerkmals „Missbrauch einer SE“ der Unterscheidung des deutschen Umsetzungsrechts zwischen Missbrauchsverbot (§ 43 S. 1 SEBG) und Missbrauchsvermutung (§ 43 S. 2 SEBG) Rechnung zu tragen. Im Folgenden wird zwischen etwaigen Missbräuchen bei der Gründung (dazu im Folgenden unter § 8) und nach Gründung (dazu unter § 9) einer SE unterschieden.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE Bei der Untersuchung von möglichen Missbräuchen bei Gründung einer SE ist zu unterscheiden zwischen der bloßen Nichtanwendbarkeit einzelstaatlicher Vorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaften nationaler Rechtsform (dazu sogleich unter A.), etwaigen Missbräuchen durch Regelungen in der SE-Satzung (B.), durch Maßnahmen beim Verhandlungsverfahren (C.), durch Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung (D.), durch Maßnahmen im Hinblick auf die gesetzliche Auffangregelung (E.) sowie durch Maßnahmen hinsichtlich der inneren Organisation des SEVerwaltungs- oder Aufsichtsorgans (F.).
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 357
A. Kein Missbrauch durch Unanwendbarkeit einzelstaatlicher Rechtsvorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaften nationaler Rechtsform Wenn Arbeitnehmern Beteiligungsrechte allein dadurch „entzogen“ oder „vorenthalten“ werden, dass infolge der Primärgründung einer SE nationale Vorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaften nationaler Rechtsform unanwendbar werden, liegt darin kein Missbrauch der SE. Die Regelungen in der SE-RL und im SEBG über die Arbeitnehmerbeteiligung sind ein aliud zu den Vorschriften über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Gesellschaft nationalen Rechts. Daher liegt kein Missbrauch der SE vor, wenn in den an einer SEGründung beteiligten Gesellschaften Beteiligungsrechte entfallen, weil nationales Arbeitnehmerbeteiligungsrecht für Gesellschaften nationaler Rechtsform durch die Vorschriften über die Arbeitnehmer-Beteiligung in der SE verdrängt wird (dazu sogleich unter I.). Ein Missbrauch der SE scheidet ebenfalls aus, wenn ein status quo ohne Beteiligungsrechte in den beteiligten Gesellschaften in der SE aufrechterhalten (II.) oder ein bisheriges Niveau an Beteiligungsrechten in den beteiligten Gesellschaften in der SE fortgeführt wird (III.). Kein Missbrauch der SE liegt zudem vor, wenn Vorschriften nationalen Rechts, die für Gesellschaften nationaler Rechtsform Konzern-Mitbestimmungsrechte vorsehen, wegen der SE-Vorschriften nicht anzuwenden sind (IV.). I. Kein Missbrauch durch Wegfall von Beteiligungsrechten in den beteiligten Gesellschaften nach nationalem Recht infolge Anwendung der SE-Gesetzgebung auf die SE Fall 1: Eine nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 MitbestG paritätisch mitbestimmte AG plant einen Rechtsformwechsel in eine SE. Infolge der Anwendung des SEBG auf die SE wird das MitbestG nach Art. 13 Abs. 2 lit. a) SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG unanwendbar. Ein Missbrauch einer SE besteht nach der Regierungsbegründung zu § 43 SEBG nicht allein in der Nutzung der von der SE-VO vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten.1 Ebensowenig liegt ein Missbrauch in der Nutzung der Möglichkeiten, welche die SE-RL und die mit dieser im Einklang stehenden 1 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57; vgl. auch Rieble BB 2006, 2018, 2022: „Die Nutzung gesetzlich eröffneter Gestaltungsmöglichkeiten ist kein Missbrauch, sondern ein Gebrauch von Rechtsnormen.“.
358
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 1
nationalen Umsetzungsgesetze hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung in der SE eröffnen. Standen Arbeitnehmern nach nationalen Mitbestimmungsgesetzen – wie in Fall 1 nach dem MitbestG – Beteiligungsrechte zu, sind diese nach Art. 13 Abs. 2 lit. a) SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG auf die SE nicht mehr anwendbar. Ein Missbrauch der SE liegt nicht vor, da die Nichtanwendbarkeit des MitbestG nicht von einer arbeitgeberseitigen2 Maßnahme ausgeht, sondern auf die gesetzliche Anordnung in Art. 13 Abs. 2 lit. a) SERL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG zurückgeht, woraus sich im Umkehrschluss ergibt, dass nationale Regelungen im Hinblick auf eine Mitbestimmung in den Organen der SE nicht anzuwenden sind. Mithin ist in Fällen eines ausschließlich kraft Gesetzes eintretenden Defizits an Mitbestimmungsrechten ein Missbrauch einer SE zu verneinen.3 II. Kein Missbrauch durch Beibehaltung des status quo ohne Beteiligungsrechte in den beteiligten Gesellschaften auch in der SE Fall 2:4 Eine deutsche AG, die regelmäßig weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigt und deren Aufsichtsrat somit keiner Beteiligung der Arbeitnehmer nach dem DrittelbetG unterliegt, wird in eine SE umgewandelt. Man2 Vgl. zur Anforderung „Maßnahme der Arbeitgeberseite“ oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (1). 3 Vgl. in diese Richtung auch Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 54: „[…] ein Missbrauchsvorwurf schwer begründbar, wenn gesetzesgemäß verbleibende Gestaltungsspielräume genutzt werden […].“. 4 Vgl. Rehberg ZGR 2005, 859, 861 (dort Fall 1: „Fixierung“); Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 198 (Errichtung einer mitbestimmungsfreien SE durch Verschmelzung einer britischen plc. und einer deutschen AG mit jeweils 200 Arbeitnehmern); Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1013 f. („Fixierung des Mitbestimmungsstandards“ am Beispiel der Umstrukturierung einer expandierenden GmbH mit 490 Arbeitnehmern in eine SE, wobei hinzuzufügen ist, dass für eine Verschmelzung zu einer SE (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) oder eine Umwandlung in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) zuvor eine Umwandlung der GmbH in eine AG erforderlich wäre); Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 84; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2701, 2704.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 359
Fall 2
gels anwendbarer Mitbestimmung in der AG im Zeitpunkt der SE-Gründung ist die SE nicht verpflichtet, eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen (vgl. Teil 3 lit. b) Abs. 2 Anhang SE-RL). Sofern – noch unter der Rechtsform der AG – zukünftig der Schwellenwert von regelmäßig 500 Arbeitnehmern überschritten worden wäre, wäre der AG-Aufsichtsrat gem. § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG zwingend zu 1 / 3 mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen gewesen. Das DrittelbetG ist jedoch gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. a) SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG auf die Gesellschaft – nunmehr in der Rechtsform der SE – nicht mehr anwendbar. Dieser Vorgang wird als „Einfrieren“5, „Konservieren“6, als „Zementie rung“7 oder „Petrifizierung“8 der bisherigen Mitbestimmungsfreiheit oder als Möglichkeit einer „Flucht vor der drohenden Mitbestimmung“9 bezeichnet.10 Eine derartige Gestaltung soll bei der SE zum „Standardrepertoire der Rechtsberatungspraxis“11 gehören. Wie die Konkretisierung des Begriffs der „Beteiligungsrechte“12 sowie des Begriffs des „Vorenthaltens“13 – insbesondere wegen ErwG 18 S. 1 SE-RL („Sicherung erworbener Rechte“), ErwG 18 S. 2 SE-RL („die vor 5 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282; Rieble BB 2006, 2018, 2023; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Brandes ZIP 2008, 2193; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 251 f.; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333; Nagel ZIP 2011, 2047; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 8. 6 Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 250; Kiem ZHR 173 (2009), 156, 158; Bormann / Böttcher NZG 2011, 411, 413; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 7 Habersack Der Konzern 2006, 105, 108; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 8 Seibt in: Willemsen / Hohenstatt / Schweibert / Seibt Kap F Rn 174. 9 Riesenhuber in FS Hopt 2010, S. 1225, 1242. 10 Vgl. Henssler RdA 2005, 330, 334; Habersack Der Konzern 2006, 105, 108; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 84; von einem „eleganten Weg aus der deutschen Mitbestimmung“ spricht Kiem ZHR 173 (2009), 156, 158; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252. 11 Bormann / Böttcher NZG 2011, 411, 413. 12 Vgl. oben unter § 3 C. I. 13 Dazu oben unter § 3 C. II. 2.
360
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
der Gründung von SE bestehenden Rechte“) und ErwG 7 SE-RL („sofern und soweit es in einer oder mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte gibt“14) – ergeben hat, beschränkt sich der Schutz des Art. 11 SE-RL auf bereits bestehende Beteiligungsrechte. Im Übrigen formuliert Teil 3 lit. b) Abs. 2 Anhang SE-RL (vgl. auch Art. 46 Umsetzungsgesetz-Belgien) ausdrücklich im Hinblick auf die gesetzliche Auffangregelung: „Bestanden in keiner der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE Vorschriften über die Mitbestimmung, so ist die SE nicht verpflichtet, eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen.“ Daher ist ein Missbrauch der SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG durch eine SE-Gründung durch Umwandlung der nicht mitbestimmten AG vor Überschreiten des Schwellenwerts von regelmäßig 500 beschäftigten Arbeitnehmern mangels arbeitgeberseitiger Maßnahme15 zu verneinen.16 Die Frage nach einem Missbrauch der SE stellt sich erst in dem Fall, dass die SE – beispielsweise kurz nach der SEGründung – die Schwelle von regelmäßig 500 beschäftigten Arbeitnehmern überschreitet.17 III. Kein Missbrauch durch Beibehaltung des status quo des bisherigen Niveaus an Beteiligungsrechten in den beteiligten Gesellschaften auch in der SE Fall 3: Der Aufsichtsrat einer deutschen AG, die regelmäßig mehr als 500, aber weniger als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt, unterliegt einer Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG und wird in eine SE umgewandelt. Sobald künftig der Schwellenwert von regelmäßig 2.000 Arbeitnehmern in der AG überschritten worden wäre, wäre der AG-Aufsichtsrat gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 MitbestG paritätisch mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen gewesen. Bei der Beibehaltung des status quo des bisher in den beteiligten Gesellschaften bestehenden Mitbestimmungsniveaus wird davon gesprochen, dass mit der SE-Gründung das in der AG erreichte Mitbestimmungsniveau 14 Sämtliche
Hervorhebungen durch Verf. zur Anforderung „Maßnahme der Arbeitgeberseite“ oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (1). 16 So auch Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2701, 2704: „Von vorneherein nicht vom Schutzzweck des § 43 SEBG erfasst sind Konstellationen, in denen eine SE vor Erreichen mitbestimmungsrelevanter Schwellen gegründet und so die Mitbestimmungsfreiheit […] festgeschrieben wird.“. 17 Dazu noch unter § 9 A. I. 15 Vgl.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 361
Fall 3
„konserviert“18, „eingefroren“19, „fixiert“20, „zementiert“21 oder „petri fi ziert“22 wird und die dem DrittelbetG unterliegende AG sich gegen das MitbestG „immunisiert“23, indem sie bei einer späteren Überschreitung der Schwelle von 2.000 Arbeitnehmern eine paritätische Mitbestimmung auf Grundlage von § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 MitbestG „vermeidet“24. Dieser Fall sei in der Praxis der „weitaus häufigere“25 Fall als die Vermeidung der Schwelle zum DrittelbetG (vgl. soeben Fall 2)26. Wechselt die AG in die Rechtsform der SE, ist nach der SE-Gründung gemäß Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 lit. a) SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG das DrittelbetG nicht mehr anzuwenden.27 Übereinstimmend mit diesen Vor18 Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 250; Kiem ZHR 173 (2009), 156, 158; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 19 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282; Rieble BB 2006, 2018, 2023; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 640; Keller / Werner WSI-Mitt. 2007, 604, 610; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Brandes ZIP 2008, 2193; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333; Riesenhuber in FS Hopt 2010, S. 1225, 1242; Bormann / Böttcher NZG 2011, 411, 413; Nagel ZIP 2011, 2047; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 8. 20 Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1013. 21 Brandes ZIP 2008, 2193, 2194 (Zementierung des Mitbestimmungsstatuts der Gründungsgesellschaft „durch die Auffanglösung“); Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333 (Zementierung des Mitbestimmungsstatus der SE); vgl. auch Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205: „Zementierungseffekt“. 22 Seibt in: Willemsen / Hohenstatt / Schweibert / Seibt Kap F Rn 174. 23 Rehberg ZGR 2005, 859, 864 („vorbehaltlich der Annahme eines Missbrauchs i. S. d. Art. 11 SE-RL“); Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252; vgl. auch Rieble BB 2006, 2018, 2021. 24 Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1014; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 25 Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209; vgl. auch Forst Der Konzern 2010, 151, 153, der als Beispiel aus der Praxis die Gründung der tesa SE nennt. 26 Vgl. oben unter § 8 A. II. 27 Vgl. Rieble BB 2006, 2018, 2022; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 84.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
schriften unterliegt die SE-Rechtsform nicht den in § 1 Abs. 1 DrittelbetG aufgezählten Rechtsformen, die der Drittelbeteiligung unterfallen können. Greifen bei der SE-Gründung durch Umwandlung die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG), bleibt zwar nach § 35 Abs. 1 SEBG die Regelung zur Mitbestimmung erhalten, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat.28 Daraus folgt indes keine unmittelbare oder mittelbare Anwendung der Vorschriften des DrittelbetG,29 sondern eine „Festschreibung“30 des Rechts der Arbeitnehmer, ein Drittel der Sitze im SE-Unternehmensorgan mit gewählten Arbeitnehmervertreten zu besetzen. Wie die Konkretisierung des Begriffs der „Beteiligungsrechte“31 sowie des Begriffs des „Vorenthaltens“32 – insbesondere wegen ErwG 3 SE-RL (Gepflogenheiten der Arbeitnehmerbeteiligung, die in den an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften herrschen), ErwG 18 S. 1 SE-RL („Sicherung erworbener Rechte“), ErwG 18 S. 2 SE-RL („die vor der Gründung von SE bestehenden Rechte“) und ErwG 7 SE-RL („sofern und soweit es in einer oder mehreren der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften Mitbestimmungsrechte gibt“33) – ergeben hat, beschränkt sich der Schutz der SE-RL auf bereits bestehende Beteiligungsrechte. Insbesondere aus ErwG 7 SE-RL ist zu folgern, dass sich der Bestandschutz der SE-RL nicht nur auf das „Ob“ („sofern“), sondern auch auf das „Wie“ („soweit“), d. h. den Umfang an bestehender Mitbestimmung, bezieht. Aus den Worten „sofern und soweit“ folgt im Umkehrschluss, dass bei Gründung der SE noch nicht in einem bestimmten Umfang – hier: paritätische Mitbestimmung statt Drittelbeteiligung – existierende Mitbestimmungsrechte durch die SE-RL nicht geschützt sind. Eine Auslegung des Art. 11 SE-RL dahingehend, dass das Abschneiden von der Aussicht auf ein höheres quantitatives Mitbestimmungsniveau durch späteres Ansteigen der Arbeitnehmerzahl als „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten zu werten ist, konterkarierte den durch die SE-RL vorgezeichneten Bestandschutz. Mithin begründet ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG mittels Gründung einer SE durch Umwandlung einer regelmäßig mehr als 500, aber weniger als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigenden, drittelbeteiligten AG in eine SE keinen Missbrauch.34 28 Habersack
Der Konzern 2006, 105, 106. Rieble BB 2006, 2018, 2022. 30 Rieble NJW 2006, 2214, 2217 („Nachgerade wunderbar ist die SE für drittelbeteiligte Unternehmen […].“). 31 Vgl. oben unter § 3 C. I. 32 Vgl. oben unter § 3 C. II. 2. 33 Sämtliche Hervorhebungen durch Verf. 34 I. E. auch Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208. 29 Vgl.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 363
Insoweit fehlt eine arbeitgeberseitige35 Maßnahme, da eine etwaige spätere paritätische Mitbestimmung nach dem MitbestG aufgrund der gesetzlich angeordneten Nichtanwendbarkeit nationaler Vorschriften über die Mitbestimmung (Art. 13 Abs. 2, Abs. 3 lit. a) SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG) nicht eintreten kann. Die Frage nach einem „Missbrauch der SE“ stellt sich erst in der Situation, dass die SE – beispielsweise kurz nach der SE-Gründung – die Schwelle von regelmäßig 2.000 beschäftigten Arbeitnehmern überschreitet.36 IV. Kein Missbrauch durch Wegfall von Konzern-Beteiligungsrechten (§ 5 Abs. 1 MitbestG) in den beteiligten Gesellschaften infolge Anwendung der SE-Gesetzgebung auf die SE Fall 4: Eine Konzernmutter-AG mit 1.500 Arbeitnehmern beherrscht zwei Tochter-GmbHs (Konzernunternehmen) mit jeweils 300 Arbeitnehmern [Fall 4 Abb. 1 b)] oder mit jeweils 1.000 Arbeitnehmern [Fall 4 Abb. 1 a)]:
Fall 4 Abb. 1 a)
Fall 4 Abb. 1 b)
Da die Konzernmutter-AG selbst 1.500 Arbeitnehmer beschäftigt, unterliegt ihr Aufsichtsrat an sich gem. § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG einer Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer. Die Konzernunternehmen in Fall b) beschäftigen jeweils weniger als 500 Arbeitnehmer und sind daher selbst mitbestimmungslos. In Fall a) beschäftigen die Tochtergesellschaften jeweils 1.000 Arbeitnehmer, sodass bei ihnen jeweils ein drittelbeteiligter Aufsichtsrat zu errichten ist. Unter den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG gelten die Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften zudem als Arbeitnehmer der Muttergesellschaft. Daher werden der Konzernmutter-AG die bei den Tochtergesellschaften (Konzernunternehmen) beschäftigten Arbeitnehmer zugerechnet. 35 Zur Anforderung einer „Maßnahme der Arbeitgeberseite“ vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (1). 36 Dazu noch unter § 9 A. I.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 4 Abb. 2
Aufgrund dessen überschreitet die Konzernmutter-AG in Fall 4 die Schwelle des § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG von 2.000 Arbeitnehmern zur paritätischen Besetzung des Aufsichtsrats der Konzernmutter-AG. Darüber hinaus nehmen die Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften an den Wahlen für die Arbeitnehmer-Aufsichtsratsmitglieder der Muttergesellschaft teil (vgl. § 9 MitbestG). Wird die Konzernmutter-AG mit einer französischen S.A. zu einer SE verschmolzen, werden die Konzernunternehmen zu Tochtergesellschaften der SE (Fall 4 Abb. 2): Unterliegen die Konzernunternehmen wie in Fall 4 Abb. 1 a) selbst einer Mitbestimmung (hier: Drittelbeteiligung), gelten in Fall 4 Abb. 2 für diese die nationalen Bestimmungen (hier: § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG) weiter: Die SE-RL berührt weder die nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften geltenden Bestimmungen über die Mitbestimmung in den Gesellschaftsorganen, die auf die Tochtergesellschaften der SE anzuwenden sind (Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL), noch berührt die SE-RL die den Arbeitnehmern nach diesen Vorschriften zustehenden Beteiligungsrechte, die für die Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften gelten (Art. 13 Abs. 3 lit. a) SE-RL). Somit bleiben die drittelbeteiligten Aufsichtsräte in den Tochter-GmbHs in Fall 4 Abb. 1 a) auch in Fall 4 Abb. 2 erhalten. Für die Tochter-GmbHs in Fall 4 Abb. 1 b), die selbst nicht mitbestimmt sind, verbleibt es dabei auch nach dem Rechtsformwechsel der Muttergesellschaft in eine SE in Fall 4 Abb. 2. Allerdings entfällt die Zurechnung der Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften als Arbeitnehmer der Konzernmuttergesellschaft nach § 5 Abs. 1 MitbestG, da diese Norm wegen Art. 13 Abs. 2, 3 lit. a) SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG auf die Mitbestimmung in den Organen der SE-Muttergesellschaft nicht anzuwenden ist. Mithin entfällt auch das Wahlrecht der Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften für das Unternehmensorgan der
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 365
Muttergesellschaft nach § 9 MitbestG. Die Arbeitnehmer der Tochter-GmbHs nehmen als „betroffene Tochtergesellschaften“ (Art. 2 lit. d) SE-RL, § 2 Abs. 4 SEBG) lediglich am Verhandlungsverfahren über die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE vor der SE-Gründung insofern teil, als das bVG „als Vertretung der Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften sowie der betroffenen Tochtergesellschaften“ eingesetzt wird (Art. 3 Abs. 2 SE-RL) und für die in jedem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften Mitglieder für das bVG gewählt oder bestellt werden (§ 5 Abs. 1 SEBG). Ferner wird für die Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften der Mangel einer § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG vergleichbaren Vorschrift in der SE-RL oder im SEBG über eine Konzernmitbestimmung bei Anwendung der Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes dadurch ausgeglichen, dass die Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften und Betrieben nach Teil 3 lit. b) Abs. 1 S. 1 Anhang SE-RL Mitbestimmungsrechte haben. Zudem werden sie bei der Sitzverteilung im SE-Betriebsrat (§ 36 Abs. 1 S. 2 SEBG) und im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE (§ 36 Abs. 3 SEBG) sowie bei den Gründungsformen der Verschmelzung, der Holding-SE und der Tochter-SE im Rahmen der Voraussetzungen für das Eingreifen der gesetzlichen Auffangregelung (§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG) einbezogen.37 Ein „Missbrauch der SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG wegen eines Wegfalls der Konzernmitbestimmung nach § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG scheidet aus. Denn es mangelt an einer objektiven Zweckwidrigkeit38 der Nutzung der Rechtsform der SE, da die SE-RL und das SEBG39 keine Konzernmitbestimmung vorsehen: Art. 13 Abs. 3 lit. a) SE-RL und § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG bestimmen, dass die SE-RL oder das SEBG die den Arbeitnehmern nach einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zustehenden Beteiligungsrechte, die für die Arbeitnehmer der SE und ihrer Tochtergesellschaften gelten, „mit Ausnahme der Mitbestimmung in den Organen der SE“ unberührt lässt. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass nationale Regelungen, die auf eine Mitbestimmung von Arbeitnehmern in SE-Tochtergesellschaften in den SEOrganen gerichtet sind, nicht anzuwenden sind. Im deutschen Recht findet sich keine entsprechende Regelung: § 5 Abs. 1 MitbestG ist auf eine in der Rechtsform der SE firmierende Konzernmutter nicht anwendbar. Ferner regelt § 5 Abs. 3 MitbestG den Fall, dass eine Konzernobergesellschaft keine Gesellschaft i. S. v. § 5 Abs. 1, 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG ist, abschließend. Habersack Der Konzern 2006, 105, 108. zur objektiven Anforderung der „Zweckwidrigkeit“ oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2). 39 Insoweit auch Habersack Der Konzern 2006, 105, 108. 37 Vgl. 38 Vgl.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
B. Missbrauch durch Regelungen in der SE-Satzung Im Hinblick auf Regelungen in der SE-Satzung ist zu prüfen, ob bei einem forum shopping (dazu sogleich unter I.), im Zusammenhang mit der Wahlfreiheit zwischen dualistischem und monistischem System (II.), durch quantitative Verringerung der Gesamtzahl der Mitglieder des SE-Aufsichtsorgans (III.) oder durch qualitative Einschränkung von Mitbestimmungsrechten in der Satzung aufgrund Art. 39 Abs. 2 SE-VO (IV.) ein „Missbrauch der SE“ in Betracht kommt. I. Kein Missbrauch durch „forum shopping“ Entschließen sich die beteiligten Gesellschaften zur Gründung einer SE in einem bestimmten Mitgliedstaat, dessen Gesetz zur Umsetzung der SERL aus ihrer Sicht am vorteilhaftesten ist, liegt in der Sitzwahl kein Missbrauch der SE. Art. 7 SE-VO bestimmt lediglich, dass der Sitz der SE in der Union liegen muss, und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung der SE befindet. Grundsätzlich ist damit ein forum shopping der beteiligten Gesellschaften auf der Suche nach den attraktivsten gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmerbeteiligung in der SE möglich und nicht missbräuchlich. Für den Fall der SE-Gründung durch Umwandlung gilt jedoch gemäß Art. 37 Abs. 3 SE-VO die Einschränkung, dass der Sitz der Gesellschaft nicht anlässlich der Umwandlung in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden kann.40 Daher muss bei der Umwandlung einer AG mit Sitz in Deutschland in eine SE auch der Sitz der SE zunächst in Deutschland verbleiben. Mithin gilt gem. § 3 Abs. 1 S. 1 SEBG das SEBG. Daraus folgt, dass im Fall der Umwandlung einer deutschen AG in eine SE stets die Regelungen des SEBG einschließlich der Vorschriften zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL in §§ 43, 45 SEBG zu beachten sind. Somit sind die deutschen Regelungen zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL praktisch relevant, insbesondere für Umwandlungen deutscher Aktiengesellschaften in SE-Gesellschaften. Vermutlich auch gerade deshalb hat der deutsche Gesetzgeber die Umsetzung mit dem Missbrauchsverbot in § 43 S. 1 SEBG, der Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 SEBG sowie der Strafnorm in § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG im Vergleich zu anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungen von Art. 11 SE-RL besonders streng ausgestaltet.41 Aufgrund des damit einhergehenden Abschreckungscharak40 Vgl. auch ErwG 10 SE-RL, der den Fall der Umwandlungsgründung als besonders gefährlich im Hinblick auf eine Einschränkung oder Beseitigung bestehender Mitbestimmungssysteme und -praktiken ansieht. 41 Vgl. zu den mitgliedstaatlichen Umsetzungskonzepten oben unter § 6 B. I.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 367
ters42 dürfte der deutsche Gesetzgeber einer „Lockerung“ der deutschen Missbrauchsvorschriften abgeneigt gegenüberstehen. Ungeachtet dessen ist außerhalb der für die Umwandlungsgründung geltenden Beschränkung in Art. 37 Abs. 3 SE-VO ein forum shopping nicht von § 43 S. 1 SEBG erfasst. II. Missbrauch im Zusammenhang mit der Wahlfreiheit zwischen dualistischer und monistischer Organisationsstruktur 1. Kein Missbrauch durch Wechsel der Organisationsstruktur bei SE-Gründung Entschließen sich die an einer SE-Primärgründung beteiligten Gesellschaften in der SE-Satzung für eine gegenüber mindestens einer der beteiligten Gesellschaften abweichende – monistische oder dualistische – Organisationsstruktur, liegt in der Wahl der Organisationsstruktur kein Missbrauch der SE. Dafür streitet Art. 38 lit. b) SE-VO, der den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften eine Wahlfreiheit in der Satzung einräumt, indem die SE über „entweder ein Aufsichtsorgan und ein Leitungsorgan (dualistisches System) oder ein Verwaltungsorgan (monistisches System), entsprechend der in der Satzung gewählten Form“ verfügt. Zudem sieht die SE-RL insoweit keine Einschränkungen für den Fall vor, dass die in der Satzung für die SE gewählte Organisationsstruktur von der bisherigen Organisationsstruktur der beteiligten Gesellschaften abweicht. Vielmehr bezieht die SERL die „Mitbestimmung“ i. S. v. Art. 2 lit. k) SE-RL auf die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder entweder des Aufsichts- oder des Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen oder einen Teil oder alle Mitglieder zu empfehlen und / oder abzulehnen.43 Dementsprechend geht der deutsche Gesetzgeber mit der Regelung des § 21 Abs. 6 S. 2 SEBG davon aus, dass selbst im Fall der Umwandlung ein „Wechsel der umzuwandelnden Gesellschaft von einer dualistischen zu einer monistischen Organisationsstruktur und umgekehrt“ möglich ist. Dabei gilt die Gründungsvariante durch Umwandlung im Hinblick auf eine Einschränkung oder Beseitigung bestehender Mitbestimmungssysteme und Mitbestimmungspraktiken als besonders gefährdend (vgl. ErwG 10 SE-RL). Mithin begründet allein der Wechsel der Organisationsstruktur keinen Missbrauch der SE. 42 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 45 SEBG, S. 57: „präventive […] Wirkung einer Strafandrohung“. 43 Vgl. für § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG: Scheibe Diss. 2007, S. 108.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Ein Missbrauch der SE kommt jedoch bei Gestaltungen in Betracht, bei denen im Zusammenhang mit einem Wechsel der Organisationsstruktur im Zuge der SE-Gründung begleitende Regelungen in der SE-Satzung oder in der SE-Beteiligungsvereinbarung getroffen werden, um die materiell-rechtlich größeren Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im monistischen System zu umgehen.44 Im Hinblick auf Regelungen in einer SE-Beteiligungsvereinbarung ist – etwa bei einer Umwandlung einer dualistisch organisierten AG in eine monistisch verfasste SE – an eine quantitative Absenkung des Anteils der Arbeitnehmervertreter im SE-Verwaltungsorgan gegenüber einem paritätisch mitbestimmten AG-Aufsichtsrat zu denken. Diese ist nur in den Grenzen des § 15 Abs. 3–5 SEBG zulässig. Werden diese Vorschriften umgangen, kommt ein Missbrauch der SE in Betracht.45 Ferner ist ein Missbrauch bei einer Begrenzung der paritätischen Mitbestimmung im SE-Verwaltungsorgan auf nicht-geschäftsführende Mitglieder denkbar (dazu noch unter § 8 D. I. 3.). Als eine den Wechsel der Organisationsverfassung begleitende und gegebenenfalls missbräuchliche Regelung in der SE-Satzung kommt eine Verlagerung der Mitbestimmung aus dem SE-Verwaltungsorgan in einen „Konsultationsrat“ in Betracht (dazu sogleich unter 2.). 2. Missbrauch durch Auslagerung der Mitbestimmung aus dem SE-Verwaltungsorgan Fall 5: Entscheiden sich die beteiligten Gesellschaften im Rahmen der SE-Gründung für eine monistische Organisationsverfassung, könnte die SE-Rechtsform dadurch missbraucht werden, dass das SE-Verwaltungsorgan als Leitungsorgan mitbestimmungslos gestellt wird und als Kompensation dafür ein weiteres, ausschließlich46 oder anteilig mit Arbeitnehmern besetztes Organ („Konsultationsrat“47) eingerichtet wird.48 Damit könnte bezweckt werden, den Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf KontrollaufTeichmann BB 2004, 53, 57. Umgehung der Vorschrift des § 15 Abs. 3 SEBG noch unter § 8 D. I. 1.; zur Umgehung von § 15 Abs. 5 SEBG noch unter § 8 D. I. 2. 46 So Forst Diss. 2010, S. 294; vgl. auch Roth ZfA 2004, 431 459 („Arbeitnehmerausschuss“). 47 Roth ZfA 2004, 431 459 („Arbeitnehmerausschuss“); Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 813; Seibt AG 2005, 413, 426 (dort Modell 6); Bachmann ZGR 2008, 779, 792 („Exekutivausschuss“). 48 Den Missbrauchs-Aspekt außer Acht lässt der Vorschlag von Teichmann BB 2004, 53, 57; ferner Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 199; Schwarz SE-Verordnung, Einl. Rn 291; ablehnend, jedoch ohne Bezug zum Missbrauch Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 813; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19h. 44 Vgl. 45 Zur
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 369
Fall 5
gaben zu begrenzen und von Leitungsaufgaben, welche in der monistischen SE ebenfalls vom Verwaltungsorgan wahrgenommen werden, fernzuhalten.49 Die Einrichtung eines „Konsultationsrats“ neben einem SE-Verwaltungsorgan ist kein zulässiger Regelungsgegenstand in der SE-Beteiligungsvereinbarung.50 Eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer ist gem. § 2 Abs. 12 SEBG ausschließlich im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE möglich, jedoch nicht in einem davon gesonderten Organ.51 Zwar steht es den Verhandlungspartnern grundsätzlich frei, ob sie eine Mitbestimmung mittels Beteiligungsvereinbarung einrichten. Wenn sie sich jedoch dafür entscheiden, müssen sie zwingend gem. § 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SEBG die Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan bestimmen.52 Darüber hinaus sieht § 2 Abs. 7 a. E. SEBG, der Art. 2 lit. f SE-RL umsetzt, vor, dass der SE-Betriebsrat eingesetzt wird, um, „wenn vereinbart, Mitbestimmungsrechte und sonstige Beteiligungsrechte in Bezug auf die SE 49 Vgl. Teichmann BB 2004, 53, 57: „[…] die Palette reicht von regelmäßiger Information und Konsultation bis hin zur Mit-Entscheidung in wesentlichen unternehmerischen Fragen“; vgl. Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 813; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19h. 50 So Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 21 SEBG Rn 41; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 813; Hoops Diss. 2009, S. 167 f.; Forst Diss. 2010, S. 294 f.; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19h (zuvor offengelassen in: MüKo-AktG 2. Aufl. 2006, § 21 SEBG Rn 19); a. A. Teichmann BB 2004, 53, 57, wonach sich das Problem, dass das Kollegialitätsprinzip im obersten Leitungsorgan nicht den Interessen der Arbeitnehmer oder Anteilseigner entspreche, „im Verhandlungswege nach den Regeln des SE-Richtlinie lösen“ lasse; ferner für eine Regelungskompetenz in der Beteiligungsvereinbarung Schwarz SE-Verordnung, Einl. Rn 291. 51 Hoops Diss. 2009, S. 167; Forst Diss. 2010, S. 294. 52 Hoops Diss. 2009, S. 167.
370
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
wahrzunehmen“. Wie Forst zutreffend daraus ableitet, spricht die Möglichkeit der Übertragung von Mitbestimmungsrechten auf den SE-Betriebsrat gegen die Zulässigkeit der Vereinbarung einer Auslagerung von Mitbestimmungsrechten in ein weiteres Gremium.53 Die Einrichtung eines gesonderten Arbeitnehmervertretungsorgans durch eine Regelung in der SE-Satzung scheidet ebenfalls aus.54 Die Bildung weiterer Organe im monistischen System neben dem Verwaltungsorgan verstieße gegen die zwingenden Vorgaben des Art. 38 lit. b) SE-VO.55 Da es für ein gesondertes Mitbestimmungsorgan neben dem Verwaltungsorgan in der monistischen SE bereits an der Regelungskompetenz sowohl in der SE-Beteiligungsvereinbarung als auch in der SE-Satzung mangelt, sind die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer ausreichend geschützt. Unterfallen bestehende Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in den beteiligten Gesellschaften dem Schutz durch die SE-RL oder durch das SEBG, findet eine Mitbestimmung in der monistischen SE ausschließlich im Verwaltungsorgan statt. Eines Rückgriffs auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG bedarf es daher nicht. III. Kein Missbrauch durch quantitative Verringerung der Gesamtzahl der Mitglieder des mitbestimmten SE-Unternehmensorgans Im Unterschied zur deutschen AG, bei der die Zusammensetzung und die Gesamtgröße des Aufsichtsrats in § 7 Abs. 1 MitbestG gesetzlich festgelegt sind, regelt Art. 40 Abs. 3 S. 1 SE-VO für die dualistische SE, dass die Zahl der Mitglieder des Aufsichtsorgans oder die Regeln für deren Festlegung durch die SE-Satzung bestimmt werden.56 Für die monistische SE gelten mit Art. 43 Abs. 2 SE-VO, § 23 Abs. 1 SEAG ähnliche Regeln für die Zahl der Mitglieder des Verwaltungsorgans. Insgesamt besteht damit bei der SE 53 Forst
Diss. 2010, S. 295. Diss. 2009, S. 167. 55 Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 813; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19h (zuvor offengelassen in Jacobs in: MüKo-AktG 2. Aufl. 2006 § 21 SEBG Rn 19); vgl. Hoops Diss. 2009, S. 167; Forst Diss. 2010, S. 295. 56 Allerdings können die Mitgliedstaaten nach Art. 40 Abs. 3 S. 2 SE-VO für in ihrem Hoheitsgebiet eingetragene SE-Gesellschaften die Zahl der Mitglieder oder eine Mindest- / Höchstzahl festlegen. Deutschland etwa sieht in § 17 Abs. 1 S. 1 SEAG eine Mindestzahl von drei Mitgliedern vor. Jedoch kann die Satzung nach § 17 Abs. 1 S. 2 SEAG eine bestimmte höhere Zahl festsetzen, wobei diese Zahl stets durch drei teilbar sein muss (§ 17 Abs. 1 S. 3 SEAG) und abhängig vom Grundkapital bestimmte Höchstzahlen (§ 17 Abs. 1 S. 4 SEAG) nicht überschreiten darf. 54 Hoops
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 371
Fall 6
gegenüber der Mitbestimmung nach dem MitbestG mehr Flexibilität hinsichtlich der Größe des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans.57 Bei bisherigen SE-Gründungen hat häufig die Flexibilität hinsichtlich der Größe des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans eine Rolle für die Wahl der SE-Rechtsform gespielt:58 Die durch Verschmelzung gegründete Allianz SE sowie die durch Umwandlung gegründete BASF SE haben ihre vormals aus jeweils 20 Mitgliedern bestehenden AG-Aufsichtsräte auf SE-Aufsichtsorgane mit jeweils nur noch 12 Mitgliedern verkleinert (vgl. Abb. Fall 6).59 Mit der Umwandlung in die SE behielt Fresenius sein zwölfköpfiges Aufsichtsorgan bei, obwohl die Fresenius AG durch die steigende Arbeitnehmerzahl aufgrund einer Unternehmensakquisition in den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MitbestG mit 20 Mitgliedern hineingewachsen wäre.60 Nach Kübler eröffnet die Vereinbarungslösung „grundsätzlich die Chance, sich von den überdimensionierten Aufsichtsräten und den starren Sitzverteilungen des deutschen Mitbestimmungsrechts wenigstens schrittweise zu entfernen“61. Grundsätzlich wird kleineren Gremien neben geringeren Kos57 Ebenso
332.
Henssler RdA 2005, 330, 335; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321,
58 Habersack ZHR 171 (2007), 613, 632 Fn 75; Brandes ZIP 2008, 2193; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Seibt in: Willemsen / Hohenstatt / Schweibert / Seibt Kap F Rn 174; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 332 f.; Forst AG 2010, 350, 354. 59 Habersack ZHR 171 (2007), 613, 632 Fn 75; Brandes ZIP 2008, 2193; Seibt in: Willemsen / Hohenstatt / Schweibert / Seibt Kap F Rn 174 Fn 439; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, S. 78 Fn 12, S. 81 Fn 16. 60 Habersack ZHR 171 (2007), 613, 632 Fn 75; Seibt in: Willemsen / Hohenstatt / Schweibert / Seibt Kap F Rn 174 Rn 439; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333. 61 Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 251.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
ten62 eine höhere Effektivität oder Effizienz zugeschrieben.63 Wegen einer besseren Entscheidungsqualität würden kleine Gremien vom Kapitalmarkt höher bewertet als Große. Allerdings gibt es keine einheitliche Sichtweise zur Abhängigkeit der Entscheidungsqualität von der Größe des Aufsichtsorgans. Statt der Organgröße soll es nach anderer Auffassung auf die Qualität der Diskussion und die Art der Organisation von Entscheidungsprozessen ankommen.64 Fraglich ist jedoch, welchen Grenzen eine Verkleinerung des Aufsichtsoder Verwaltungsorgans unterliegt. Hinsichtlich der Grenze einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ in einer Beteiligungsvereinbarung stellt die Regierungsbegründung65 klar, dass § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG auf den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan abstellt. Insbesondere bei einer Verkleinerung des Organs ist nicht die absolute Zahl von Arbeitnehmervertretern geschützt,66 sondern nur das prozentuale Verhältnis zwischen Arbeitnehmervertretern und Vertretern der Anteilseigner.67 Damit liegt in der Vereinbarung eines verkleinerten Aufsichts- oder Verwaltungsgremiums keine „Minderung der Mitbestimmungs rechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG. Ebensowenig liegt eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG vor. Das Recht, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgan zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen, bleibt durch eine Verkleinerung des Gesamt organs unberührt. Im Fall einer SE-Gründung durch Umwandlung (vgl. Fall 6) könnte einer Verkleinerung des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der besondere Be62 Berrar NZG 2001, 1113, 1114 (in Bezug auf die AG); Henssler RdA 2005, 330, 335; Henssler in GS Heinze 2005, S. 333, 349 (allgemein zur Unternehmensbestimmung); Ziegler / Gey BB 2009, 1750. 63 Henssler RdA 2005, 330, 335; Henssler in GS Heinze 2005, S. 333, 349 (allgemein zur Unternehmensmitbestimmung); Habersack Der Konzern 2006, 105, 107; Kort AG 2008, 137, 140; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 78; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 333 („Wettbewerbsvorteil“); Ziegler / Gey BB 2009, 1750; Forst AG 2010, 350, 354; Riesenhuber in FS Hopt 2010, S. 1225, 1239. 64 Zum Ganzen Kort AG 2008, 137, 140 m. w. N. 65 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 15 SEBG, S. 50. 66 Demgegenüber schützt L2352-13 Abs. 3 Code du travail-Frankreich entgegen Art. 3 Abs. 4 SE-RL, nicht nur den Anteil („proportion“), sondern auch die Zahl („nombre“) der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan. 67 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 15 SEBG, S. 50; Henssler RdA 2005, 330, 335; Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 12; Habersack AG 2006, 345, 347; Nagel AuR 2007, 329, 335, 337; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 15 SEBG Rn 20; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 15 SEBG Rn 21.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 373
standschutz nach § 21 Abs. 6 SEBG entgegenstehen, wonach in einer Beteiligungsvereinbarung „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß“ gewährleistet werden muss, das in der umzuwandelnden Gesellschaft besteht. Fraglich ist somit, ob die Größe des Aufsichtsrats eine „Komponente der Arbeitnehmerbeteiligung“ in diesem Sinne ausmacht. Angesichts des Wortlauts ist zunächst eine weite Auslegung denkbar.68 Die teleologische Auslegung ergibt jedoch, dass der Begriff „Komponenten“ lediglich sicherstellt, dass der besondere Bestandschutz für die Umwandlung sich auf sämtliche Bereiche der Arbeitnehmerbeteiligung i. S. v. Art. 2 lit. h) SE-RL, § 2 Abs. 8 SEBG erstreckt, also auf die Einflussnahme mittels der Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung. Aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 2 lit. k) SE-RL, § 2 Abs. 12 SEBG ergibt sich, dass „Mitbestimmung“ in diesem Sinne abschließend definiert ist als die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE zu wählen oder zu bestellen oder die Bestellung eines Teils oder aller Mitglieder zu empfehlen oder abzulehnen.69 Hierfür lässt sich auch die für die Umwandlung in Teil 3 lit. a) Anhang SE-RL angeordnete gesetzliche Auffangregelung für die Mitbestimmung anführen. Danach „finden alle Komponenten der Mitbestimmung der Arbeitnehmer weiterhin Anwendung“. Allerdings gilt diesbezüglich Teil 3 lit. b) Anhang SERL sinngemäß. Dieser knüpft lediglich an die als „Mitbestimmung“ in Art. 2 lit. k) SE-RL abschließend definierten Rechte. Nur diese werden bei der gesetzlichen Auffangregelung als „Komponenten“ übernommen.70 Somit bildet § 21 Abs. 6 SEBG keine Schranke für die Festlegung der Größe des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans.71 Ungeachtet dessen scheiden § 15 Abs. 3–5 SEBG und § 21 Abs. 6 SEBG als Grenzen einer Verkleinerung der Gesamtgröße des SE-Unternehmensorgans aus, wenn die Gesamtzahl der Sitze, wie von Art. 40 Abs. 3 S. 1 SEVO (für das SE-Aufsichtsorgan) oder Art. 43 Abs. 2 S. 1 SE-VO (für das SE-Verwaltungsorgan) vorgesehen, nicht in der Beteiligungsvereinbarung,72 Krause BB 2005, 1221, 1226. NZA 2005, 84, 88; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 21. 70 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 21; Ihrig / Wagner BB 2004, 1749, 1755; Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler § 35 SEBG Rn 6; a. A. Krause BB 2005, 1221, 1226. 71 Kallmeyer AG 2003, 197, 199, 202; Grobys NZA 2005, 84, 88; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 21; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler Einl. SEBG Rn 192; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 21 SEBG Rn 34; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 800. 72 Für einen Vorrang der Beteiligungsvereinbarung (gestützt auf Art. 12 Abs. 4 SE-VO) gegenüber der Satzung (Art. 40 Abs. 3, 43 Abs. 2 SE-VO) jedoch: LG Nürnberg-Fürth Beschl. v. 8.2.2010 – 1 KH 0 8471 / 09, BB 2010, 1113; zustimmend Teichmann BB 2010, 1113, 1115; für eine Festlegung der Gesamtgröße in der Be68 Dafür
69 Grobys
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
sondern in der Satzung73 festgelegt wird. In diesem Fall kommt indes das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG als Grenze in Betracht, da dieses auch auf Regelungen in der Satzung anwendbar ist.74 Indes fehlt es an einem von § 43 S. 1 SEBG geschützten „Beteiligungsrecht“, wenn lediglich die Gesamtgröße des SE-Unternehmensorgans gegenüber der Organgrößen in den beteiligten Gesellschaften verkleinert wird. Im Bereich der Mitbestimmung beschränkt sich die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten der Gesellschaft auf die Wahrnehmung des Rechts, zumindest einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen, zu bestellen oder ihre Bestellung zu empfehlen oder abzulehnen (vgl. Art. 2 lit. k) SE-RL, § 2 Abs. 12 SEBG). Dieses Recht wird den Arbeitnehmern durch die Verkleinerung der Gesamtzahl der Mitglieder im SE-Unternehmensorgan weder i. S. v. § 43 S. 1 SEBG „entzogen“ noch „vorenthalten“. Entschließen sich die an einer SE-Primärgründung beteiligten Gesellschaften in der SE-Satzung für eine gegenüber dem Unternehmensorgan mindestens einer der beteiligten Gesellschaften geringere Gesamtzahl an Mitgliedern des SE-Unternehmensorgans, liegt darin im Ergebnis kein „Missbrauch der SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG.
teiligungsvereinbarung offenbar Seibt AG 2005, 413, 422 f.; mit Zweifeln Krause BB 2005, 1221, 1226; Teichmann Der Konzern 2007, 89, 94 f.; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247; Kort AG 2008, 137, 139; Hennings in: Manz / Mayer / Schröder, 1. Aufl. 2005, Art. 4 SE-RL Rn 28; Schwarz SE-Verordnung, Einl. Rn 288; Art. 40 SE-VO Rn 81; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 21 SEBG Rn 22; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 36; Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 386 (anders nunmehr Kienast in: Jannott / Frodermann, 2. Aufl., Kap 13 Rn 436); Kleinsorge in: Wlotzke / Wißmann / Koberski / Kleinsorge EU-Recht Rn 39; für eine mittelbare Festlegung in der Beteiligungsvereinbarung durch gleichzeitige Bestimmung von Anteil und Zahl der Arbeitnehmervertreter Oetker ZIP 2006, 1113, 1115 f.; Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 650 f.; Güntzel Diss. 2006, S. 224; vgl. auch den Änderungsvorschlag in § 21 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 SEBG-E des Arbeitskreises Aktien- und Kapitalmarktrecht (ZIP 2010, 2221, 2226), wonach die Beteiligungsvereinbarung die Gesamtzahl der Mitglieder des Aufsichtsoder Verwaltungsorgans der SE regeln darf. 73 Für einen Vorrang der Satzungsautonomie oder eine ausschließliche Regelungskompetenz in der Satzung Kallmeyer AG 2003, 197, 199; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 197; Rieble BB 2006, 2018, 2021; Habersack AG 2006, 345, 351; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 626 ff.; Windbichler in FS Canaris 2007, S. 1423, 1429 f.; Lunk / Hinrichs NZA 2007, 773, 778 f. (für das MgVG); Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 81 f.; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 803 f.; Kiem ZHR 173 (2009), 156, 175; Forst AG 2010, 350 ff.; Reichert / Brandes in: MüKo-AktG Art. 40 SE-VO Rn 68 („mittlerweile herrschende Auffassung“); nunnmehr auch Kienast in: Jannott / Frodermann, Kap 13 Rn 436. 74 Vgl. oben unter § 5 A. II. 4.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 375
IV. Kein Missbrauch durch qualitative Einschränkung von Mitbestimmungsrechten in der Satzung aufgrund Art. 39 Abs. 2 SE-VO Ein Missbrauch der SE könnte bei einer qualitativen Einschränkung von Mitbestimmungsrechten in der Satzung vorliegen. Bei einer dem DrittelbetG unterliegenden AG wirken die Arbeitnehmer an der Bestellung und Abberufung des AG-Vorstands durch den AG-Aufsichtsrat (§ 84 AktG) mit, indem die AG-Arbeitnehmer gem. § 5 DrittelbetG eigene Vertreter als Mitglieder des AG-Aufsichtsrats wählen (vgl. Fall 7 Abb. 1).
Fall 7 Abb. 1
Demgegenüber wirken die Arbeitnehmer einer französischen S.A., wenn nach Art. L.225-79 eine fakultative Mitbestimmung der Arbeitnehmer im conseil de surveillance (Aufsichtsrat) mit maximal vier Mitgliedern und maximal 1 / 3 aller Mitglieder eingerichtet wird, zwar an der Bestellung der membres du directoire (Mitglieder des Vorstands) durch den conseil de surveillance nach L.225-59 mit. Wenn nicht die Satzung diesen zur Abberufung ermächtigt, erfolgt aber die Abberufung der membres du directoire nach Art. L.225-61 allein durch die Hauptversammlung. Dabei wirken die S.A.-Arbeitnehmer nicht mit (vgl. Fall 7 Abb. 2): Verschmelzen die AG aus Fall 7 Abb. 1 und die S.A. aus Fall 7 Abb. 2 zu einer SE französischen Rechts wie in Fall 7 Abb. 3, kann nach Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO in der SE-Satzung bestimmt werden, dass die Mitglieder des SE-Leitungsorgans von der Hauptversammlung unter den Bedingungen, die für die S.A. – wie in Fall 7 Abb. 2 – gelten, bestellt und abberufen werden (vgl. Fall 7 Abb. 3).75 75 Von der Ermächtigung des Art. 39 Abs. 2 SE-VO, für die dualistisch strukturierte SE die Zuständigkeit zur Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Lei-
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 7 Abb. 2
In Fall 7 Abb. 3 stellt sich die Frage nach einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG. Diese Norm ist trotz der SEGründung nach französischem Recht nach § 3 Abs. 1 S. 1 SEBG – wenn die SE ihren Sitz in Deutschland nimmt –76 jedenfalls aber nach § 3 Abs. 1 S. 2 SEBG anwendbar, da danach das SEBG unabhängig vom Sitz der SE auch für beteiligte Gesellschaften mit Sitz im Inland – hier die AG – gilt. Die Literatur verneint eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“, wenn die Befugnisse des SE-Betriebsrats gegenüber denjenigen von Auftungsorgans durch Festlegung in der Satzung auf die Hauptversammlung zu verlagern, haben ausweislich der E & Y Study 2009, S. 37, keinen Gebrauch gemacht: Belgien, Italien, Deutschland (so auch Reichert / Brandes in: MüKo-AktG Art. 39 SE-VO Rn 15; vgl. auch Kübler in FS Zuleeg 2005, S. 559, 570, allerdings noch vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens), Dänemark, Österreich (Die dualistisch geprägte SE folgt in diesem Punkt dem nationalen österreichischen Aktienrecht [Kalss in: MüKo-AktG, Die SE in Österreich, Rn 46], wonach gem. § 75 Abs. 1 öAktG der Aufsichtsrat zwingend und ausschließlich für die Bestellung des Vorstands zuständig ist [Kalss in: MüKo-AktG § 84 AktG Rn 240]. Das Beispiel von Herfs-Röttgen NZA 2002, 358, 361 ist damit hinfällig.), Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien sowie das Vereinigte Königreich. Der Ermächtigung des Art. 39 Abs. 2 S. 2 SE-VO bedient haben sich indes Bulgarien, Estland, Irland, Finnland, Frankreich (L225-61 Abs. 1 Code de Commerce zur Abberufung durch die Hauptversammlung, vgl. Schwarz SE-VO-Kommentar, Art. 39 SE-VO Rn 56, Fn 82), Griechenland, Lettland, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, die Slowakei, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. 76 Lediglich für den Fall der SE-Gründung durch Umwandlung einer Aktiengesellschaft bestimmt Art. 37 Abs. 3 SE-VO, dass der Sitz der Gesellschaft „anlässlich der Umwandlung“ nicht gemäß Art. 8 SE-VO in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden darf. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Verschmelzung einer AG und einer S.A. zu einer SE französischen Rechts mit Sitz im deutschen Inland möglich ist.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 377
Fall 7 Abb. 3
sichtsräten der an der Gründung beteiligten Gesellschaften dadurch eingeschränkt werden, dass nach dem für die Gründungsgesellschaften bislang maßgeblichen Aktienrecht der Vorstand durch den Aufsichtsrat bestellt wird, während dieses Recht nicht dem SE-Aufsichtsrat, sondern auf Grundlage der Ermächtigung in Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO der Hauptversammlung überlassen wird.77 In diesem Fall ergebe sich eine Mitbestimmungsverschlechtung bereits durch das maßgebliche SE-Statut. Da die gesellschaftsrechtlichen Vorgaben, auf denen diese Verschlechterung beruhe, nicht von den Verhandlungspartnern der Beteiligungsvereinbarung gestaltbar seien, scheide eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG aus.78 Ungeachtet dessen, dass § 15 Abs. 4 SEBG, wie sich aus § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG ergibt,79 nur auf Beteiligungsvereinbarungen anwendbar ist, scheidet eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG bereits dem Wortlaut nach aus. Durch eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz über die Bestellung oder Abberufung der Mitglieder des SE-Leitungsorgans auf die SE-Hauptversammlung bleiben sowohl der Anteil der Arbeitnehmervertreter im SE-Aufsichtsorgan (vgl. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG) als auch das Recht, Mitglieder des SE-Aufsichtsorgans zu wählen, zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen (vgl. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG), unverändert. Indes könnte das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG einer Bestimmung in der SE-Satzung entgegenstehen, wonach entgegen der 77 Für § 15 Abs. 4 SEBG Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 12; für Art. 3 Abs. 4 SE-RL Herfs-Röttgen NZA 2002, 358, 361. 78 Zum Ganzen für Art. 3 Abs. 4 SE-RL Herfs-Röttgen NZA 2002, 358, 361. 79 „Hätten die Verhandlungen eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge, so ist für einen Beschluss zur Billigung einer solchen Vereinbarung […].“ (Hervorhebungen durch Verf.).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Rechtslage in einer beteiligten Gesellschaft die Mitglieder des SE-Leitungsorgans statt vom SE-Aufsichtsorgan direkt von der SE-Hauptversammlung bestellt und / oder abberufen werden. Insoweit könnte ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG in der Form vorliegen, dass das den Arbeitnehmern der AG vor der SE-Gründung bestehende Mitbestimmungsrecht, über ihre Arbeitnehmervertreter im AG-Aufsichtsrat an der Bestellung und Abberufung der Mitglieder des AG-Vorstands mitzuwirken, nach der SE-Gründung nicht mehr existiert. Das Recht auf „Mitbestimmung“ nach § 2 Abs. 12 SEBG bezieht sich indes ausschließlich auf die Einflussnahme des SE-BR oder eines vergleichbaren Organs der Arbeitnehmervertretung auf die quantitative Besetzung des SE-Unternehmensorgans mit Mitgliedern. Ein „Entziehen“ ist daher auf Grundlage einer rein quantitativen Betrachtungsweise zu beurteilen. Der materiell-rechtliche Inhalt der ursprünglich dem Aufsichtsrat zugewiesenen Aufgabe, hier der Abberufung, ist nicht geschützt.80 Jedenfalls steht einer Anwendbarkeit des § 43 S. 1 SEBG auf Satzungsregelungen, welche auf Grundlage einer Umsetzung der Ermächtigung des Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO ergehen, entgegen, dass diese Norm die Mitgliedstaaten nicht nur dazu ermächtigt vorzusehen, dass in der Satzung festgelegt werden kann, dass die Mitglieder des Leitungsorgans von der Hauptversammlung bestellt und abberufen werden (Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 Var. 1 SE-VO). Vielmehr können die Mitgliedstaaten selbst die Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Leitungsorgans vorschreiben (nach Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 Var. 2 SE-VO), indem sie eine zwingende gesetzliche Regelung schaffen, die den Bedingungen entspricht, die für Aktiengesellschaften mit Sitz in ihrem Hoheitsgebiet gelten. Mithin ist die Festlegung des Satzungsgebers, eine Bestellung und Abberufung durch die Hauptversammlung vorzusehen, ein zulässiger Gebrauch von durch die SEVO eingeräumten Handlungsmöglichkeiten und somit kein Missbrauch der SE.
C. Missbrauch durch Maßnahmen bezüglich des Verhandlungsverfahrens Ein Missbrauch der SE-Rechtsform kommt in Betracht, wenn das Verhandlungsverfahren bei Gründung einer SE (§§ 4 ff. SEBG) umgangen wird. Zu prüfen ist insoweit im Folgenden, ob die Gründung einer sogenannten „Vorrats-SE“ (sogleich unter I.), eine SE-Gründung mit Arbeitnehmern in nur einem Mitgliedstaat (II.) sowie die Umwandlung einer plc. in 80 Vgl. oben für Art. 11 Var. 1 SE-RL unter § 3 C. II. 1. c); i. E. auch Sagan EBLR 2010, 15, 32.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 379
eine SE nach vorheriger grenzüberschreitender Einbringung von Betriebsvermögen einer mitbestimmten AG in die plc. (III.) – jeweils ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens – einen Missbrauch der SE begründet. I. Kein Missbrauch durch Gründung einer Vorrats-SE ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens Einen erheblichen Anteil an SE-Gründungen machen in der Praxis sogenannte Vorrats-Gesellschaften aus.81 Vorrats-Gesellschaften sind grundsätzlich arbeitnehmerlos und üben keine eigene unternehmerische Tätigkeit aus, sondern beschränken sich auf die Verwaltung eigenen Vermögens.82 Der Zweck solcher Gesellschaften besteht darin, alsbald an Dritte veräußert zu werden.83 Auf diese Weise werden Unternehmen bereits fertig gegründete SE-Gesellschaften zur Veräußerung angeboten,84 um ihnen einen zeitlich aufwändigen Prozess der SE-Gründung zu ersparen.85 Nach ihrer Gründung und späteren Veräußerung geht es darum, die Vorrats-SE zu aktivieren, indem sie mit einem Unternehmen mit personellen und materiellen Ressourcen ausgestattet wird.86 Dieser Vorgang wird als „wirtschaftliche 81 Vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 38, unter Bezugnahme auf ein SE-Factsheet mit Stand Oktober 2008 in der Mitteilung der Kommission vom 8.10.2001 (KOM (2008) 591 endgültig), wonach „über die Hälfte der SE, für die Daten vorliegen, zum Zeitpunkt der Eintragung nicht über Arbeitnehmer verfügten“. 82 Vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 9; Schubert ZESAR 2006, 340, 344 f. 83 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 35; Schubert ZESAR 2006, 340, 344. 84 Vgl. das auf den Vertrieb von Vorrats-SE-Gesellschaften spezialisierte Unternehmen Foratis AG (Bonn), das folgendermaßen wirbt: „Unsere deutschen VorratsSEs sind fertig errichtet und haben noch keinerlei geschäftliche Aktivitäten ausgeübt. Sie sind im Handelsregister in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt / Main und München eingetragen und stehen zur sofortigen Übernahme bereit. Weder die Gründerinnen noch die Vorrats-SE beschäftigen Arbeitnehmer, so dass bei ihrer Errichtung noch keine Beteiligungsvereinbarung nach § 21 SEBG geschlossen wurde. […] Der Kaufpreis beträgt 132.000 EURO (inkl. Grundkapital) und enthält alle von uns getragenen Kosten der Gründung und Kosten der bisherigen Verwaltung.“ (abrufbar unter: https: / / www.foratis-vorratsgesellschaften.com / Unsere-Vorratsgesellschaften / Societas-Europaea). 85 Vgl. Forst NZG 2009, 687, 689: „Das Verfahren zu Gründung einer SE ist kompliziert, unflexibel und langwierig. Dem können Vorrats-SEs abhelfen, da sie das Registerverfahren schon durchlaufen haben.“; Forst RdA 2010, 55. 86 Vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Neugründung“87 bezeichnet und umfasst in der Regel auch die Begründung von Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern durch die SE. Probleme bei einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE könnten sich im Hinblick auf Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern zum einen ergeben, wenn der Versuch einer Gründung ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens nach §§ 4 ff. SEBG unternommen wird. Zur Begründung könnte das Argument aufkommen, dass die Vorrats-SE als arbeitnehmerlose Gesellschaft gegründet wird und demzufolge ein Verfahren über eine mangels Arbeitnehmerschaft ohnehin nicht stattfindende Beteiligung an Unternehmensentscheidungen nicht vorzusehen braucht.88 Daher könnte bereits die Entstehung als Vorrats-SE Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern gefährden.89 Zum anderen könnte zwar allein die Gründung einer Vorrats-SE ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens noch zulässig sein, aber Probleme im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung könnten auftreten, wenn die SE zu einem späteren Zeitpunkt – der „wirtschaftlichen Neugründung“ – Arbeitnehmer beschäftigt. Durch das Vorschalten einer Vorrats-SE könnte eine Umgehung des Verhandlungsverfahrens drohen.90 Zu prüfen ist daher zunächst im Rahmen der in diesem Kapitel (§ 8) untersuchten Konstellationen eines Missbrauchs durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE, ob bereits die Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens über die Arbeitnehmerbeteiligung ein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG ist. Später wird im Kapitel zur Untersuchung von Fallgestaltungen eines Missbrauchs durch Maßnahmen nach Gründung einer SE (§ 9) noch zu prüfen sein, ob die „wirtschaftliche Neugründung“ einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE ohne eine zuvor erfolgte Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG ist und / oder ob ein solcher nach § 43 S. 2 SEBG zu vermuten ist.91 87 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 88 Vgl. die Argumentation der Beschwerdeführerin in LG Hamburg Beschl. v. 30.9.2005 – 417 T 15 / 05, ZIP 2005, 2018, 2019: Nach Sinn und Zweck des Art. 12 Abs. 2 SE-VO müsse das Beteiligungsverfahren bei Gründung einer Tochter-SE nicht durchgeführt werden, „weil von vornherein feststeht, dass die neue SE wegen fehlender Mitarbeiter keinen Betriebsrat haben wird.“. 89 So OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42 („Gelangt eine Vorrats-SE zur Entstehung, so ist eine Gefährdung der Beteiligungsrechte […] nicht von der Hand zu weisen.“); zuvor bereits Schäfer in: MüKo-AktG Art. 16 SE-VO Rn 13; vgl. auch Forst RdA 2010, 55. 90 Vgl. Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 658. 91 Dazu noch unter § 9 B. III. 3.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 381
1. Überwiegende Literaturauffassung: Kein Missbrauch durch Gründung als Vorrats-SE Gegen die Zulässigkeit der Gründung einer arbeitnehmerlosen VorratsSE ist vereinzelt argumentiert worden, dass die Eintragungsvoraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO nur zu erfüllen seien, wenn die SE über Arbeitnehmer verfüge.92 Demgegenüber geht die ganz überwiegende Meinung davon aus, dass eine SE auch als arbeitnehmerlose Vorratsgesellschaft gegründet werden kann.93 Begründet wird dies damit, dass es dem auf „Freiheitsmaximierung angelegten Verordnungszweck zuwider [liefe], wenn die Beschäftigung von Arbeitnehmern Voraussetzung für eine wirksame Gesellschaftsgründung wäre“94. Trotz der engen Verknüpfung von SE-VO und SE-RL ist im Ergebnis nicht Voraussetzung für die Existenz einer SE, dass sie über Arbeitnehmer verfügt.95 In der Literatur wird zum Teil erwogen, die Primärgründung einer Vorrats-SE als Missbrauch der SE-Rechtsform zu werten.96 Im Ergebnis gehen die Meinungen97, wenn die Frage nicht offengelassen98 wird, auseinander, indem die Frage verneint99 oder bejaht100 wird. Zum Teil wird danach unterschieden, ob die an der Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE beteiligten Gesellschaften selbst Arbeitnehmer beschäftigen oder nicht.101
92 Blanke ZIP 2006, 789, 791 f.; Köstler in: Theisen / Wenz, S. 372 f.; vgl. dazu Casper / Schäfer ZIP 2007, 653. 93 So OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris Rn 34; zuvor bereits Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 3 SEBG Rn 2; Schubert ZESAR 2006, 340, 341; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262 („eintragungsfähig“); Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 654; ferner Kiem ZHR 173 (2009), 156, 165; Forst NZG 2009, 687, 688. 94 Schubert ZESAR 2006, 340, 341; OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 34. 95 Schubert ZESAR 2006, 340, 341. 96 Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler Einl. SEBG, 2. Aufl. 2006, Rn 171; Seibt ZIP 2005, 2248, 2250. 97 Vgl. dazu Forst NZG 2009, 687, 689. 98 Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler, 2. Aufl. 2006, Einl. SEBG Rn 171 („lässt sich derzeit […] noch nicht zweifelsfrei beantworten.“). 99 Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Kisker RdA 2006, 206, 208; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 10. 100 Wohl Köstler in: Theisen / Wenz, S. 372 ff.; Blanke ZIP 2006, 789, 792 Fn 29. 101 Forst NZG 2009, 687, 688.
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2. Rechtsprechung: Unterscheidung nach dem Vorhandensein von Arbeitnehmern in den Gründungsgesellschaften Auch in der Rechtsprechung wird im Hinblick auf die Zulässigkeit der Gründung arbeitnehmerloser Vorrats-SE-Gesellschaften danach unterschieden, ob die beteiligten Gründungsgesellschaften selbst über Arbeitnehmer verfügen102 oder nicht103: Für den Fall, dass die Gründungsgesellschaften über Arbeitnehmer verfügen, haben das Amtsgericht Hamburg104 und das Landgericht Hamburg105 bereits die SE-Vorratsgründung an sich daran scheitern lassen, dass ein Verhandlungsverfahren nicht durchgeführt wurde.106 Dieses Ergebnis wurde jedoch nicht mit einem Verstoß gegen das Verbot des Missbrauchs der SE-Rechtsform begründet. Vielmehr wurde die Anmeldung zur Eintragung im Handelsregister zurückgewiesen, weil die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO nicht vorlagen.107 Es fehlte an einer Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer.108 Auch war die Verhandlungsfrist für eine solche Vereinbarung nicht abgelaufen, da die Frist mangels Einsetzung eines bVG noch nicht einmal zu laufen begonnen hatte.109 Das Registergericht habe daher eine Eintragung nicht vornehmen dürfen.110 Demgegenüber haben das Amtsgericht Düsseldorf111 und das Amtsgericht München112 in Fällen, in denen die Gründungsgesellschaften der SE selbst keine Arbeitnehmer beschäftigten, die bereits erfolgte Eintragung von arbeitnehmerlosen SE-Gesellschaften in das Handelsregister entgegen der jeweils erfolgten Anregungen durch die gewerkschaftsnahe Hans-BöcklerStiftung nicht von Amts wegen nach § 142 FGG gelöscht. Wenn die betei102 Vgl. die Sachverhaltskonstellationen in AG Hamburg Beschl. v. 28.6.2005 – 66 AR 76 / 05, ZIP 2005, 2017; LG Hamburg Beschl. v. 30.9.2005 – 417 T 15 / 05, ZIP 2005, 2018. 103 Vgl. die Sachverhaltskonstellationen in AG Düsseldorf Verfügung v. 16.1.2006 – HRB 52618, ZIP 2006, 287; AG München Verfügung v. 29.3.2006 – HRB 159649, ZIP 2006, 1300; OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, ZIP 2009, 918. 104 AG Hamburg Beschl. v. 28.6.2005 – 66 AR 76 / 05, ZIP 2005, 2017. 105 LG Hamburg Beschl. v. 30.9.2005 – 417 T 15 / 05, ZIP 2005, 2018. 106 Vgl. OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42. 107 AG Hamburg Beschl. v. 28.6.2005 – 66 AR 76 / 05, ZIP 2005, 2017, 2018. 108 Vgl. AG Hamburg Beschl. v. 28.6.2005 – 66 AR 76 / 05, ZIP 2005, 2017, 2018. 109 AG Hamburg Beschl. v. 28.6.2005 – 66 AR 76 / 05, ZIP 2005, 2017, 2018. 110 LG Hamburg Beschl. v. 30.9.2005 – 417 T 15 / 05, ZIP 2005, 2018. 111 AG Düsseldorf Verfügung v. 16.1.2006 – HRB 52618, ZIP 2006, 287. 112 AG München Verfügung v. 29.3.2006 – HRB 159649, ZIP 2006, 1300.
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ligten Gründungsgesellschaften selbst keine Arbeitnehmer beschäftigen, sei eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung für die Handelsregistereintragung nicht erforderlich. Die Eintragungsvoraussetzung des Art. 12 Abs. 2 SE-VO sei nicht verletzt. Eine danach erforderliche Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer oder die alternativen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO kämen nicht in Betracht, wenn weder die einzutragende SE noch die Gründungsgesellschaften Arbeitnehmer beschäftigen. Nicht vorhandene Arbeitnehmer könnten keine Vereinbarung schließen. Ausreichend für die Erfüllung der Eintragungsvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO sei die Vorlage entsprechender Negativerklärungen durch die Gründungsgesellschaften. Dann sei das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO im Eintragungsverfahren nicht zu beanstanden.113 Auf das Verbot des Missbrauchs der SE-Rechtsform sind das Amtsgericht Düsseldorf und das Amtsgericht München indes nicht eingegangen. Demgegenüber äußerte sich das Oberlandesgericht Düsseldorf114 – ebenfalls in einem Fall, in dem die Gründungsgesellschaften die Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern versicherten – zu einem etwaigen Missbrauch der SE-Rechtsform. Es stellte erstens lediglich die „bloße Möglichkeit des Rechtsmissbrauchs“115 fest und entschied zweitens, dass diese Möglichkeit, „für sich genommen, einen hinreichenden Grund für die Versagung eines Rechts weder allgemein noch mit Blick auf die Vorratsgründung darzustellen vermag“116. Daher hat das Oberlandesgericht Düsseldorf es abgelehnt, bereits die SE-Vorratsgründung an dem fehlenden Beteiligungsverfahren überhaupt scheitern zu lassen. Die Vorratsgründung sei zulässig, aber das Verhandlungsverfahren sei gem. § 18 Abs. 3 SEBG nachzuholen, sobald die SE „zum Leben erweckt wird“117. Gestützt auf §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG analog begründete das Gericht eine nachträgliche Verhandlungspflicht, sobald die Vorrats-SE wirtschaftlich neu gegründet werde.118
113 Zum Ganzen AG Düsseldorf Verfügung v. 16.1.2006 – HRB 52618, ZIP 2006, 287; AG München Verfügung v. 29.3.2006 – HRB 159649, ZIP 2006, 1300. 114 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris. 115 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42. 116 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42. 117 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 44. 118 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 43; zur „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE noch unter § 9 B. III. 3.
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3. Stellungnahme: Kein Missbrauch allein durch Gründung als Vorrats-SE mit weniger als zehn Arbeitnehmern Richtigerweise ist folgendermaßen zu differenzieren: Allein die Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE ohne Aufnahme eines Verhandlungsverfahrens begründet keinen Missbrauch der SE-Rechtsform.119 Problematisch wird es im Hinblick auf die Arbeitnehmerbeteiligung erst, wenn die VorratsSE nach ihrer Gründung selbst Arbeitnehmer beschäftigt.120 Beschäftigen die beteiligten Gesellschaften zusammen mindestens zehn Arbeitnehmer und ist somit die Bildung eines bVG nach Art. 3 Abs. 2 SERL, § 5 Abs. 1 SEBG möglich,121 besteht auch eine Pflicht zur Bildung eines bVG. Wird kein bVG gebildet, liegt in der Gründung der Vorrats-SE kein Missbrauch der SE-Rechtsform. Vielmehr scheitert die SE-Gründung bereits daran, dass die Voraussetzungen für die Eintragung der SE im Handelsregister nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO – Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung oder bVG-Beschluss nach Art. 3 Abs. 6 SE-RL, § 16 Abs. 1 SEBG oder Ablauf der Verhandlungsfrist nach Art. 5 SE-RL, § 20 SEBG – mangels Bildung eines bVG nicht vorliegen, obwohl diese Voraussetzungen herbeigeführt werden könnten. Daher kommt es mangels Eintragung im Handelsregister schon nicht zur Gründung der Vorrats-SE.122 Mangels Abschluss der SE-Gründung liegt somit auch kein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG vor. Wenn hingegen die beteiligten Gesellschaften zusammen weniger als zehn Arbeitnehmer beschäftigen und daher die Bildung eines bVG nach Art. 3 Abs. 2 SE-RL, § 5 Abs. 1 SEBG unmöglich ist,123 besteht auch keine Pflicht zur Bildung eines bVG. Zwar liegen auch in diesem Fall die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO nicht vor. Allerdings ist Art. 12 Abs. 2 SE-VO insoweit teleologisch zu reduzieren,124 da nach Art. 4 SERL, §§ 4 ff. SEBG die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens nicht erforderlich ist.125 Da keine Arbeitnehmer zu schützen sind, bedarf es auch auch Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 10. Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 10 („gewisses Misstrauen“). 121 Vgl. Casper AG 2007, 97, 100; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653. 122 Vgl. AG Hamburg Beschl. v. 28.6.2005 – 66 AR 76 / 05, ZIP 2005, 2017; LG Hamburg Beschl. v. 30.9.2005 – 417 T 15 / 05, ZIP 2005, 2018. 123 Schubert ZESAR 2006, 340, 343 f.; vgl. Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 654. 124 Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Casper AG 2007, 97, 100; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 654. 125 Casper AG 2007, 97, 100; Schubert ZESAR 2006, 340, 341; Forst NZG 2009, 687, 689. 119 So
120 Vgl.
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nicht der Durchführung eines Beteiligungsverfahrens.126 Im Gegensatz zu dem Fall, dass die beteiligten Gesellschaften mindestens zehn Arbeitnehmer beschäftigen, besteht hier schon keine Möglichkeit der Bildung eines bVG und damit der Durchführung eines Verhandlungsverfahrens.127 Erklären die beteiligten Gründungsgesellschaften, weniger als zehn Arbeitnehmer zu beschäftigen, kann somit die Eintragung der SE trotz der Nichtdurchführung eines Verhandlungsverfahrens erfolgen.128 Allein die Gründung der VorratsSE mit maximal zehn Arbeitnehmern ohne Bildung eines bVG und somit ohne Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ist daher kein Missbrauch der SE-Rechtsform. Von der Gründung einer Vorrats-SE zu trennen ist die noch zu erörternde Frage,129 wie bei „wirtschaftlicher Neugründung“ der arbeitnehmerlosen Vorrats-SE im Hinblick auf die Vermeidung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform damit umzugehen ist, dass bei Gründung der Vorrats-SE noch auf die Bildung eines bVG und die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens und damit auf das Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO verzichtet wurde und nunmehr Beteiligungsrechte von nach der Gründung eingestellten Arbeitnehmern betroffen sein könnten.130 Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Die Gründung einer SE erfordert grundsätzlich die Erfüllung der Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 2 SE-VO für die Eintragung im Handelsregister. Danach muss entweder eine Beteiligungsvereinbarung (Art. 4 SE-RL, § 21 SEBG) geschlossen worden, ein Nichtverhandlungs- / Abbruchbeschluss durch ein bVG (Art. 3 Abs. 6 SERL, § 16 Abs. 1 SEBG) erlassen worden oder die Verhandlungsfrist (Art. 5 SE-RL, § 20 SEBG) abgelaufen sein. Das Fehlen dieser Voraussetzungen lässt sich nicht mit der Begründung heilen, dass die SE als arbeitnehmerlose Vorrats-SE gegründet werden soll, welche zukünftig keine Arbeitnehmer beschäftigen wird. Ausreichend ist auch nicht, wenn die Tatsache der künftigen Arbeitnehmerlosigkeit der SE durch eine Erklärung der beteilig126 Forst
NZG 2009, 687, 689. ZIP 2007, 653 f. 128 Vgl. AG Düsseldorf Verfügung v. 16.1.2006 – HRB 52618, ZIP 2006, 287. 129 Dazu noch unter § 9 B. III. 3. 130 Die Fragen der Beteiligung der Arbeitnehmer bei Gründung der Vorrats-SE einerseits und beim Erwerb der Vorrats-SE durch Dritte andererseits ebenfalls trennend Schubert ZESAR 2006, 340, 345; für eine Trennung zwischen den Fragen der teleologischen Reduktion von Art. 12 Abs. 2 SE-VO, Art. 3 SE-RL, § 4 SEBG bei der Gründung einerseits und der späteren Nachholung des Verfahrens der Arbeitnehmerbeteiligung andererseits auch Casper / Schäfer ZIP 2007, 653 ff.; Forst NZG 2009, 687, 688. 127 Casper / Schäfer
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ten Gesellschaften versichert wird.131 Der Grund ist darin zu sehen, dass es für das Herbeiführen der Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO nicht darauf ankommt, ob die SE selbst bereits im Zeitpunkt ihrer Gründung Arbeitnehmer beschäftigen wird. Entscheidendes Kriterium ist insoweit vielmehr, ob die an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften genügend Arbeitnehmer beschäftigen, um ein bVG nach Art. 3 Abs. 2 SE-RL, § 5 Abs. 1 SEBG bilden zu können.132 Nur in dem Fall, dass die insoweit erforderliche Mindestgröße von zehn Arbeitnehmern in den beteiligten Gesellschaften nicht erreicht wird, ist Art. 12 Abs. 2 SE-VO dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass die Gründung der SE auch ohne Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen eintragungsfähig ist.133 Allein die Gründung einer Vorrats-SE durch über weniger als zehn Arbeitnehmer verfügende beteiligte Gesellschaften begründet nach zutreffender überwiegender Auffassung in Literatur134 und Rechtsprechung135 keinen Missbrauch der SE-Rechtsform. II. Missbrauch durch SE-Gründung mit Arbeitnehmern in nur einem Mitgliedstaat Ein Missbrauch der SE könnte vorliegen, wenn eine Gründung ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens nach §§ 4 ff. SEBG versucht wird mit der Begründung, dass die zu gründende SE Arbeitnehmer in nur einem einzigen Mitgliedstaat beschäftigen wird und daher ein Verhandlungsverfahren zwecklos und damit entbehrlich ist.
131 Vgl. AG Hamburg Beschl. v. 28.6.2005 – 66 AR 76 / 05, ZIP 2005, 2017, 2018: „Es ist nicht zulässig, von solchen möglichen Verhandlungen oder vom Ablauf der Verhandlungsfrist nur deshalb abzusehen, weil die Gesellschaft erklärt hat, sie werde keine Arbeitnehmer haben. Zum derzeitigen Zeitpunkt handelt es sich dabei lediglich um eine Absichtserklärung.“. 132 Vgl. auch Schubert ZESAR 2006, 340, 345: „Der Durchführung des Beteiligungsverfahrens steht nicht entgegen, dass die Vorrats-SE nach ihrer Gründung keine Arbeitnehmer hat. Am Verfahren gem. § 4 ff. SEBG wirken nur die Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften mit.“. 133 So i. E. für gänzlich arbeitnehmerlose beteiligte Gesellschaften auch AG Düsseldorf Verfügung v. 16.1.2006 – HRB 52618, ZIP 2006, 287; OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 44; im Hinblick auf die Entbehrlichkeit des Ablaufs der Frist des § 20 SEBG vgl. auch Jacobs in: MüKo-AktG § 20 SEBG Rn 1; ferner Forst Diss. 2010, S. 180 f. 134 Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659; i. E. auch Forst NZG 2009, 687, 690. 135 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 387
1. Literaturvorschläge für eine teleologische Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO Nach Jacobs136 sollen „Art. 12 Abs. 2 SE-VO und die entsprechenden Vorschriften der SE-RL und des SEBG“ in dem genannten Fall teleologisch zu reduzieren sein. Eine SE-Gründung setze nach Art. 2 Abs. 1 SE-VO nur Rechtsträger in mindestens zwei Mitgliedstaaten voraus, erfordere aber nicht, dass diese zudem Arbeitnehmer in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigen. Die teleologische Reduktion folge aus den Vorgaben des SEBG (§§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 und 4, 16 Abs. 1 SEBG), wonach sich das bVG aus den Arbeitnehmern von mindestens zwei Mitgliedstaaten zusammensetzen müsse. Ferner lasse sich die teleologische Reduktion aus der materiellen Befassungs- und Beschlusskompetenz des bVG ableiten: Nach § 21 SEBG gehe es um einen sinnvollen Ausgleich der in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Rechtslagen. Um eine „sachgerechte Anpassung an die Bedürfnisse und Strukturen der SE“137 zu ermöglichen, gebe es bei einem rein nationalen Arbeitnehmerstamm keinen tauglichen Verhandlungsgegenstand für das Verhandlungsverfahren mit dem bVG. Darüber hinaus sei das Verhandlungsziel der Errichtung eines SE-Betriebsrats bei Arbeitnehmern in nur einem Mitgliedstaaten entbehrlich, da für die vom SE-Betriebsrat wahrzunehmenden Unterrichtungs- und Anhörungsrechte (§§ 27 ff. SEBG) das grenzüberschreitende Element fehle und ein zuständigkeitsloser SE-Betriebsrat nicht Ziel des Verhandlungsverfahrens sein könne. Mit dieser Begründung zieht auch Schubert138 eine teleologische Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO in Betracht: Zweifel an der Durchführbarkeit des Verhandlungsverfahrens ergäben sich daraus, dass keine grenzüberschreitenden Angelegenheiten vorlägen, die Arbeitnehmer in zwei Mitgliedstaaten betreffen, obgleich das SEBG davon ausgehe, dass das bVG mit Arbeitnehmern aus unterschiedlichen Gründungsgesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten zu besetzen sei. Sofern sich die Zuständigkeit des SE-Betriebsrats auf grenzüberschreitende Angelegenheiten beschränke, gehe eine etwaige Beteiligungsvereinbarung ins Leere, da der SE-Betriebsrat nicht zuständig sei, solange die SE Arbeitnehmer in nur einem Mitgliedstaat beschäftige. Indes soll die Durchführung des Verhandlungsverfahrens nach Schubert139 nicht generell entbehrlich sein. Art. 12 Abs. 2 SE-VO sei nur teleologisch zu reduzieren, wenn in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften keine Unternehmensmitbestimmung bestehe, die eine Sicherung der ArbeitFolgenden Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 2d. in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 2d. 138 Zum Folgenden Schubert RdA 2012, 146. 139 Zum Folgenden Schubert RdA 2012, 146, 155. 136 Zum
137 Jacobs
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
nehmerrechte erforderlich mache. Sofern jedoch an der SE-Gründung eine mitbestimmte Gesellschaft beteiligt sei, müssten Verhandlungen erfolgen. In diesem Fall sei das bVG ausschließlich mit Vertretern der in dem einen Mitgliedstaat vorhandenen Arbeitnehmer zu besetzen. 2. Stellungnahme: Unterscheidung zwischen mitbestimmungslosen und mitbestimmten Gründungsgesellschaften Im Hinblick auf die betrieblichen Beteiligungsrechte der grenzüberschreitenden Unterrichtung und Anhörung liegt für die in dem einen Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer weder ein „Entziehen“ noch ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten vor. Ein „Entziehen“ dieser Rechte kommt nicht in Betracht, da ihnen bislang keine grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechte zustanden. Ein „Vorenthalten“ scheidet aus, da es mangels in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern keine grenzüberschreitenden Angelegenheiten gibt, worüber die in dem einen Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer unterrichtet oder angehört werden könnten. Hinsichtlich der grenzüberschreitenden betrieblichen Beteiligungsrechte ist daher eine teleologische Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO denkbar. Im Hinblick auf das unternehmerische Beteiligungsrecht der Mitbestimmung ist jedoch im Anschluss an Schuberts Auffassung bezüglich einer teleologischen Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO zwischen mitbestimmungslosen [sogleich unter a)] und mitbestimmten Gründungsgesellschaften [b)] zu unterscheiden: a) Kein Missbrauch bei mitbestimmungslosen Gründungsgesellschaften In Fall 8a verschmelzen eine österreichische Beteiligungs-AG ohne Arbeitnehmer und eine deutsche AG mit 490 Arbeitnehmern, die weder dem Drittelbeteiligungsgesetz noch dem Mitbestimmungsgesetz unterliegt und somit mitbestimmungslos ist, zu einer SE mit Sitz in Deutschland mit 490 Arbeitnehmern: In Fall 8a liegt für die in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer auch im Hinblick auf das unternehmerische Beteiligungsrecht der Mitbestimmung weder ein „Entziehen“ noch ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten vor, wenn mit Blick auf die Arbeitnehmerlosigkeit der österreichischen AG auf ein Verhandlungsverfahren verzichtet wird. Ein „Entziehen“ scheidet aus, da die Arbeitnehmer bislang kein Mitbestimmungsrecht hatten und insoweit das Bestandschutzprinzip gilt.140 Ein „Vorenthalten“ kommt nicht in 140 Vgl.
oben unter § 3 C. I. 2., § 3 C. II. 1. d).
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 389
Fall 8a
Betracht, weil der Schutz von Beteiligungsrechten, auf die erst künftig nach nationalem Recht ein Anspruch bestanden hätte – hier: indem die AG gegebenenfalls später durch Überschreiten des Schwellenwerts von 500 Arbeitnehmern in den Anwendungsbereich des DrittelbetG hineingewachsen wäre – nicht von der Tatbestandsvariante des „Vorenthaltens“ erfasst ist.141 In dieser Fallkonstellation, dass mitbestimmungslose Gründungsgesellschaften in nur einem Mitgliedstaat Arbeitnehmer beschäftigen, kommt daher eine teleologische Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO in Betracht. b) Missbrauch bei mitbestimmter Gründungsgesellschaft Im Unterschied zu Fall 8a beschäftigt die deutsche AG in Fall 8b 550 Arbeitnehmer, welche ein Mitbestimmungsrecht nach dem DrittelbetG haben: Wird in Fall 8b ein Verhandlungsverfahren wegen der Arbeitnehmerlosigkeit der österreichischen Beteiligungs-AG und der ausschließlich in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer nicht durchgeführt, findet in der SE mangels Beteiligungsvereinbarung keine unternehmerische Mitbestimmung kraft Vereinbarung statt. Eine unternehmerische Mitbestimmung kraft Gesetzes setzt nach § 34 SEBG unter anderem das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 22 SEBG voraus. Eine Vereinbarung über die Anwendung der Beteiligung kraft Gesetzes (§ 22 Abs. 1 Nr. 1 SEBG) scheidet mangels Bildung eines bVG aus. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 2 SEBG sind die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes auch anwendbar, wenn bis zum Ende der Verhandlungsfrist nach § 20 SEBG keine Vereinbarung zustande gekommen ist und das bVG keinen Nichtverhandlungs- oder Abbruchbeschluss nach § 16 SEBG gefasst hat. Daher setzt auch diese Norm grundsätzlich die Bildung eines bVG voraus, da sonst die Verhandlungsfrist nach § 20 SEBG nicht zu laufen beginnen kann. Anders als bei einer grenzüberschreitenden 141 Vgl.
oben unter § 3 C. II. 2. c).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 8b
Verschmelzung (vgl. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MgVG) ist es den Leitungen der an einer SE-Gründung beteiligten Gesellschaften nicht gestattet, die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes ohne vorhergehende Verhandlung unmittelbar ab dem Zeitpunkt der SE-Eintragung anzuwenden. Da somit ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens in der SE eine Mitbestimmung nicht kraft Gesetzes greifen kann, würde den Arbeitnehmern der deutschen AG in Fall 8b bei Nichtdurchführung das unternehmerische Beteiligungsrecht der Mitbestimmung entzogen. Dieses „Entziehen“ wäre auch objektiv zweckwidrig, da die Nichtdurchführung eines Verhandlungsverfahrens entgegen ErwG 18 SE-RL das Prinzip des Bestandschutzes bestehender Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer umginge. Nähmen die Leitungen der mitbestimmten Gründungsgesellschaft dieses „Entziehen“ an Beteiligungsrechten in Kauf, begründete die Nichtdurchführung des Verhandlungsverfahrens vor Eintragung der SE einen Missbrauch der SE. Demnach kommt eine telelogische Reduktion des Art. 12 Abs. 2 SE-VO bei mitbestimmten Gründungsgesellschaften mit Arbeitnehmern in nur einem Mitgliedstaat nicht in Betracht. III. Kein Missbrauch durch Umgehung der §§ 4 ff. SEBG mittels Umwandlung einer plc. in eine SE nach vorheriger grenzüberschreitender Einbringung von Betriebsvermögen einer mitbestimmten AG in die plc. Ein Missbrauch der SE kommt in Betracht, wenn die beteiligten Gesellschaften das Verhandlungsverfahren nach §§ 4 ff. SEBG wie in folgendem Fall unterlassen: Fall 9: Statt einer Verschmelzung einer mitbestimmten AG mit einer mitbestimmungslosen plc. zu einer SE (Art. 2 Abs. 1 SE-VO), bei der ein Verhandlungsverfahren nach §§ 4 ff. SEBG durchzuführen wäre, übernimmt die plc. in einem ersten Schritt die AG. Dazu wird Betriebsvermögen der
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 391
Fall 9
AG in eine plc. als übernehmende Gesellschaft eingebracht und die Aktionäre der AG erhalten dafür neue Anteile an der plc. (Sacheinlage oder „asset deal“, vgl. § 20 Abs. 1 Umwandlungssteuergesetz).142 In einem zweiten Schritt wird die plc. in eine mitbestimmungslose SE umgewandelt (Art. 2 Abs. 4 SE-VO).143 Nach Kallmeyer könne mit einer Gestaltung, bei der eine mitbestimmungslose ausländische Gesellschaft zunächst eine mitbestimmte Gesellschaft erwirbt und anschließend die ausländische Gesellschaft in eine SE umgewandelt wird, ein „Mitbestimmungsexport“ vermieden werden.144 Ihm folgen Weiss / Wöhlert, wonach dieses Beispiel einer mitbestimmten AG ermögliche, der Mitbestimmung zu „entgehen“145. Auf einen etwaigen Missbrauch der SE in dieser Fallgestaltung gehen die genannten Autoren nicht ein. Sie berufen sich darauf, dass das Mitbestimmungs-Beibehaltungsgesetz146 wegen § 2 Abs. 2 MitbestBeiG nicht anzuwenden sei. Allerdings setze die Umwandlung der plc. in eine SE voraus, dass die plc. bereits seit 142 Infolgedessen fällt die Zahl der Arbeitnehmer unter die Schwellenwerte der deutschen Mitbestimmungsgesetze, vgl. Ulmer / Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler, § 1 MitbestG Rn 47; Wißmann in: Wlotzke / Wißmann / Koberski / Kleinsorge § 1 MitbestG Rn 99. 143 So der „Fall 6 (‚Asset Deal‘)“ bei Rehberg ZGR 2005, 859, 862, allerdings durch Anteilsübertragung der Aktionäre der AG an die plc.; vgl. auch bereits Kallmeyer AG 2003, 197, 201; Weiss / Wöhlert NZG 2006, 121, 123; vgl. auch Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6. 144 Kallmeyer AG 2003, 197, 201. 145 Weiss / Wöhlert NZG 2006, 121, 123. 146 Gesetz vom 3.9.1994 zur Beibehaltung der Mitbestimmung beim Austausch von Anteilen und der Einbringung von Unternehmensteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen, zuletzt geändert durch Art. 11 Gesetz v. 7.12.2006, I-2782, im Folgenden: MitbestBeiG.
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mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft hatte (vgl. Art. 2 Abs. 4 SE-VO). Zudem müsse die durch Umwandlung zu gründende SE zunächst ihren Sitz im Vereinigten Königreich haben, da nach Art. 37 Abs. 3 SE-VO der Sitz einer Gesellschaft nicht anlässlich der Umwandlung verlegt werden dürfe. Erst nach der SEGründung könnte der Sitz gem. Art. 8 Abs. 1 SE-VO nach Deutschland verlegt werden. Durch die Einbringung des Betriebsvermögens der AG in die plc. gehen die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer mit der AG auf die plc. über (vgl. § 613 a BGB).147 Fortan zählen die Arbeitnehmer nicht mehr bei den Schwellenwerten des § 1 Abs. 1 DrittelbetG und des § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG mit. Da die Voraussetzungen für die bis zu dem Vorgang bestehende Vertretung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der AG nicht mehr erfüllt sind (vgl. § 1 S. 1 MitbestBeiG), gilt grundsätzlich „der Vorgang als nicht geschehen, soweit es um die Voraussetzungen für die weitere Anwendung der im Zeitpunkt des Vorgangs angewandten Vorschriften über die Vertretung der Arbeitnehmer in Organen des Unternehmens geht.“148 Indes gilt § 1 MitbestBeiG nicht, wenn die im Zeitpunkt des Vorgangs auf die AG angewandten Mitbestimmungsvorschriften eine Mindestzahl von Arbeitnehmern voraussetzen und diese auf weniger als ¼ dieser Mindestzahl sinkt, mithin bei Anwendbarkeit des DrittelbetG auf weniger als 125 und bei Anwendbarkeit des MitbestG auf weniger als 500 Arbeitnehmer.149 Ungeachtet dessen gilt die Fiktion des § 1 MitbestBeiG nur im Hinblick auf die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des DrittelbetG oder des MitbestG auf den Aufsichtsrat der AG, indem es für die Beurteilung des Mitbestimmungsstatuts des Unternehmens die Zugehörigkeit der Belegschaft zur AG fingiert.150 Allerdings sichert das MitbestBeiG nur das konkrete Mitbestimmungsstatut der AG,151 jedoch nicht die konkreten Mitbestimmungsrechte der übergehenden Arbeitnehmer. Da die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse auf die plc. übergehen, nicht mehr Arbeitnehmer der AG sind, entfällt ihr unmittelbares Mitbestimmungsrecht im AG-Aufsichtsrat bereits mangels Arbeitsverhältnisses zur AG. Die Arbeitnehmer des überge147 Dies scheint zu verkennen: Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6; wie hier einen Betriebsübergang nach § 613 a BGB für bei der Veräußerung des Geschäftsbetriebs einer GmbH auf eine SPE (auf Grundlage des ungarischen Kompromissvorschlags für eine SPE) annehmend: Bormann / Böttcher NZG 2011, 411, 412. 148 § 1 S. 1 MitbestBeiG. 149 Vgl. Ulmer / Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler, § 1 MitbestG Rn 47. 150 Vgl. Wißmann in: Wlotzke / Wißmann / Koberski / Kleinsorge Vorbem § 1 MitbestG Rn 39. 151 Ulmer / Habersack in: Ulmer / Habersack / Henssler, § 1 MitbestG Rn 47.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 393
henden Betriebs nehmen nicht mehr an den Wahlen zu dem bisher für sie zuständigen Aufsichtsrat der AG teil.152 Indes stehen ihnen unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 DrittelbetG oder § 5 Abs. 1 MitbestG, wenn die plc. zum Konzernunternehmen der AG wird, im Rahmen der Konzernmitbestimmung Wahlrechte zum Aufsichtsrat der AG zu. Liegen die Voraussetzungen einer Konzernzurechnung etwa nach § 2 Abs. 2 DrittelbetG nicht vor, werden den Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat der AG bereits durch den Übergang der Arbeitsverhältnisse infolge des „mitbestimmungsschädlichen Vorgang[s]“153 der Einbringung des Betriebsvermögens der AG in die plc. entzogen. Die anschließende Umwandlung der plc. in eine SE ist nicht kausal154 für das „Entziehen“ der Beteiligungsrechte. Daher scheidet in diesem Fall ein Missbrauch der SE-Rechtsform aus.155 Liegen die Voraussetzungen einer Konzernzurechnung (§ 2 Abs. 2 DrittelbetG oder § 5 Abs. 1 MitbestG) vor, bleibt diese auch erhalten, wenn die plc. als Konzernunternehmen der AG in eine SE umgewandelt wird, da die Arbeitnehmer der SE der AG nach § 5 Abs. 1 MitbestG zugerechnet werden. Mangels „Entziehen“ von Beteiligungsrechten kommt ein Missbrauch der SE-Rechtsform hinsichtlich dieser Konzernmitbestimmungsrechte nicht in Betracht.
D. Missbrauch durch Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung Im Folgenden werden Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung auf einen etwaigen Missbrauch der SE-Rechtsform hin untersucht. Dabei ist zwischen Regelungen mit einer potentiellen Umgehung von Normen zum Schutz von Beteiligungsrechten einerseits (sogleich unter I.) und Regelungen mit einer möglichen Erschleichung von Rechtsfolgen, die Beteiligungsrechte vernachlässigen, andererseits (II.) zu unterscheiden.
152 Vgl. Koberski in: Wlotzke / Wißmann / Koberski / Kleinsorge § 1 MitbestG Rn 100. 153 Koberski in: Wlotzke / Wißmann / Koberski / Kleinsorge § 1 MitbestG Rn 100. 154 Zum Erfordernis der Kausalität vgl. oben (für Art. 11 SE-RL) unter § 3 C. III. 3. b) aa) (3). 155 A. A. Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 6, der jedoch anders als hier annimmt, dass erst die durch Umwandlung einer plc. gegründete SE „die Arbeitnehmer der früheren deutschen AG unter Verlust ihrer ehemals geltenden Unternehmensmitbestimmung übernehmen will.“.
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I. Umgehung von Beteiligungsrechte schützenden Normen Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung, durch die der Schutz von Beteiligungsrechten umgangen werden könnte, sind bezüglich der in § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG normierten Schwellenwerte (sogleich unter 1.), hinsichtlich des in § 15 Abs. 5 SEBG geregelten besonderen Schutzes bei der Umwandlungsgründung (2.) sowie bei Begrenzung der Mitbestimmung auf nicht-geschäftsführende Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans (3.) denkbar. 1. Missbrauch durch Umgehung der Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG Ein Missbrauch der SE-Rechtsform kommt in Betracht, wenn die Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG wie im folgenden Fall umgangen werden: Fall 10: Eine Mutter-AG beschäftigt 2.000 Arbeitnehmer, die im Aufsichtsrat ein paritätisches Mitbestimmungsrecht haben. Eine Tochter-AG beschäftigt weitere 300 Arbeitnehmer. Die Mutter-AG erwägt eine SEGründung gemeinsam mit einer plc. mit 700 Arbeitnehmern. Var. 1: Die Mutter-AG verschmilzt mit der plc. zu einer SE und die Tochter-AG wird damit zur Tochter-AG der SE. Der Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung ohne Mitbestimmung oder lediglich mit einer Drittelbeteiligung im SE-Unternehmensorgan hätte für die Arbeitnehmer der paritätisch mitbestimmten Mutter-AG eine Minderung der Mitbestimmungsrechte (§ 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG) zur Folge. Da sich die Mitbestimmung auf 2.000 und damit mehr als 25 % der Gesamtzahl von 2.700 Arbeitnehmern der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften erstreckte,156 ist nach § 15 Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 1 SEBG ein besonders qualifizierter bVGBeschluss zur Billigung einer mitbestimmungsmindernden Beteiligungsvereinbarung erforderlich. Scheitert der Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung, greift gem. § 22 Abs. 1 Nr. 2, § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG die 156 Da der Schwellenwert des § 15 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SEBG hier auch ohne Berücksichtigung der 300 Arbeitnehmer der Tochter-AG als betroffener Tochtergesellschaft überschritten ist, kommt es in dem hier gebildeten Beispiel nicht darauf an, ob die Einbeziehung der Arbeitnehmer betroffener Tochtergesellschaften zur Gesamtzahl der Arbeitnehmer in § 15 Abs. 3 Nr. 1 SEBG im Einklang mit Art. 3 Abs. 4 SE-RL, der die Gesamtzahl – unter Ausklammerung der Arbeitnehmer betroffener Gesellschaften (§ 2 Abs. 4 SEBG) – auf die Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften (§ 2 Abs. 2 SEBG) beschränkt, steht; vgl. dazu Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 9 f.; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 16 ff. (für Richtlinienwidrigkeit).
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 395
Fall 10 Var. 1
Mitbestimmung kraft Gesetzes, da vor Eintragung der SE in der MutterAG mit der paritätischen Mitbestimmung des Aufsichtsrats eine Form der Mitbestimmung bestand und sich diese auf 2.000 und damit mehr als 25 % der Gesamtzahl von 2.700 Arbeitnehmern der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften erstreckte.157 Demnach ist anzunehmen, dass das bVG einer mitbestimmungsmindernden Beteiligungsvereinbarung nicht zustimmen wird und wegen des Scheiterns der Verhandlungen die Mitbestimmung kraft Gesetzes in dem bisher bei der AG bestehenden Umfang anzuwenden ist, also die Arbeitnehmer die Hälfte der Mitglieder des SEUnternehmensorgans wählen. Var. 2: In einem ersten Schritt verschmilzt nur die Tochter-AG mit 300 Arbeitnehmern mit der plc. mit 700 Arbeitnehmern zu einer SE (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) mit 1.000 Arbeitnehmern. Da die plc. und die Tochter-AG bislang nicht mitbestimmt waren, hätte der Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung ohne Mitbestimmung im SE-Unternehmensorgan für diese Arbeitnehmer keine Minderung der Mitbestimmungsrechte i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG zur Folge. In der SE kann somit auch ohne qualifizierten Zustimmungsbeschluss des bVG nach § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG eine Be157 Da der Schwellenwert des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG hier auch ohne Berücksichtigung der 300 Arbeitnehmer der Tochter-AG als betroffener Tochtergesellschaft überschritten ist, kommt es in dem hier gebildeten Beispiel nicht darauf an, ob die Einbeziehung der Arbeitnehmer betroffener Tochtergesellschaften zur Gesamtzahl der Arbeitnehmer in § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 lit. b) 1. Spiegelstrich SE-RL, der die Gesamtzahl – unter Ausklammerung der Arbeitnehmer betroffener Gesellschaften [Art. 2 lit. d) SE-RL] – auf die Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften [Art. 2 lit. b) SE-RL] beschränkt, steht; vgl. dazu Jacobs in: MüKo-AktG § 34 SEBG Rn 10 (für Richtlinienkonformität); Feuerborn in: KK-AktG § 34 SEBG Rn 25 (für Richtlinienwidrigkeit).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 10, Var. 2
teiligungsvereinbarung ohne Mitbestimmung geschlossen werden. Scheitert der Abschluss einer solchen Beteiligungsvereinbarung, greift auch keine Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 22 Abs. 1 Nr. 2, § 34 Abs. Nr. 2 lit. a) SEBG, da vor der Eintragung der SE weder in der plc. noch in der TochterAG und damit in keiner der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften eine Form der Mitbestimmung bestand. In einem zweiten Schritt – erst nach Abschluss, aber in engem zeitlichen Zusammenhang von einem Jahr seit der Gründung der SE ohne Mitbestimmung kraft Beteiligungsvereinbarung oder kraft Gesetzes – wird die ursprünglich paritätisch mitbestimmte Mutter-AG auf die zunächst mitbestimmungsfrei gegründete SE verschmolzen. Daraus folgt, dass zulasten der Arbeitnehmer der Mutter-AG, die bei den Verhandlungen im Rahmen der SE-Gründung nicht zu den Arbeitnehmern der beteiligten Gesellschaften i. S. v. § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG zählten, die strengeren Anforderungen des § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG für eine freiwillige Mitbestimmungsminderung unterlaufen werden. Bei Var. 2 wird gesellschaftsrechtlich fast die gleiche Struktur wie in Var. 1 erreicht, abgesehen davon, dass die Tochter-AG nur in Var. 1 ihre Eigenständigkeit behält und in Var. 2 in der SE aufgeht. Im Hinblick auf die Mitbestimmung der Arbeitnehmer der Mutter-AG wird in Var. 2 jedoch ein völlig anderes Ergebnis als in Var. 1 erreicht, indem die SE in Var. 1 paritätisch mitbestimmt und in Var. 2 mitbestimmungslos ist. Mithin führt die Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG dazu, dass den Arbeitnehmern der Mutter-AG Mitbestimmungsrechte entzogen werden.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 397
a) Keine Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Die Gestaltung in Fall 10 Var. 2 könnte wegen Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG der Missbrauchsvermutung des § 43 S. 2 SEBG unterfallen, die an die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG anknüpft. Ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG ist in Fall 10 Var. 2 durchzuführen, da in der Verschmelzung der mitbestimmten Mutter-AG auf die mitbestimmungslos gegründete SE bereits nach der Gesetzesbegründung158 ein Fall des § 18 Abs. 3 SEBG liegt. Daher haben bereits ab der Planung – d. h. ab Offenlegung des Verschmelzungsplans –159 der Verschmelzung der Mutter-AG auf die SE auf Veranlassung der SE-Leitung oder des SE-Betriebsrats erneut Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE stattzufinden. Hätten diese Verhandlungen den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung ohne Mitbestimmung oder lediglich mit einer Drittelbeteiligung im SE-Unternehmensorgan zur Folge, bedeutete dies für die Arbeitnehmer der auf die SE zu verschmelzenden paritätisch mitbestimmten Mutter-AG eine Minderung der Mitbestimmungsrechte i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG, da der Anteil der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan geringer wäre als der zuvor in der Mutter-AG bestehende Anteil der Arbeitnehmervertreter im AG-Aufsichtsrat. Fraglich ist, ob auch bei einem nach § 18 Abs. 3 SEBG wiederaufgenommenen Verfahren eine besonders qualifizierte Mehrheit i. S. v. § 15 Abs. 3 SEBG zur Billigung einer Mitbestimmungsminderung erforderlich ist oder ob insoweit ein Beschluss nach § 15 Abs. 2 SEBG ausreicht. Gegen eine direkte Anwendbarkeit des § 15 Abs. 3 SEBG könnte sprechen, dass der Wortlaut in § 15 Abs. 3 Nr. 1, 2 SEBG darauf abstellt, dass eine SE „gegründet werden soll“, während die SE hier schon gegründet ist. Zwar gelten nach § 18 Abs. 4 SEBG im Fall des § 18 Abs. 3 SEBG die Vorschriften des Teils 2 SEBG – d. h. einschließlich § 15 SEBG – allerdings nur „mit der Maßgabe, dass an die Stelle der Leitungen die Leitung der SE tritt“. Weitere Maßgaben, insbesondere eine „entsprechende“ Geltung, enthält der Wortlaut des § 18 Abs. 4 SEBG nicht. Ungeachtet der Frage des erforderlichen Zustimmungsquorums könnten die Arbeitnehmer zu einer Zustimmung gezwungen sein, wenn sie im Zuge der wiederaufgenommenen Verhandlungen nicht das gleiche Druckmittel 158 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 18 SEBG, S. 50. 159 Vgl. zum Begriff der „geplanten“ (§ 18 Abs. 3 SEBG) in Abgrenzung zum „Stattfinden“ (§ 43 S. 2 SEBG) struktureller Änderungen oben unter § 5 B. II. 1. a) cc).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
– die Anwendbarkeit der gesetzlichen Auffangregelung nach §§ 34 ff. SEBG – zur Hand hätten: Stimmt das bVG der mitbestimmungsmindernden Beteiligungsvereinbarung nicht zu, sind zwar gem. § 18 Abs. S. 3 SEBG „die §§ 34 bis 38 [SEBG] über die Mitbestimmung kraft Gesetzes anzuwenden“. Da jedoch bei der SE-Gründung in Var. 2 vor der Eintragung der SE weder in der plc. noch in der Tochter-AG und damit in keiner der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften eine Form der Mitbestimmung bestand, liegen in Fall 10 Var. 2 die besonderen Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG bei strikter Wortlautanwendung nicht vor.160 Indes könnte unter den Voraussetzungen einer vergleichbaren Interessenlage und einer planwidrigen Regelungslücke im Fall von nach § 18 Abs. 3 SEBG wiederaufgenommenen Verhandlungen § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG analog anzuwenden sein.161 Demnach käme es im Fall einer durch Verschmelzung gegründeten SE nicht darauf an, dass vor der Eintragung der SE in mindestens einer der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften mindestens eine Form der Mitbestimmung bestand und sich auf mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften erstreckte. Vielmehr wäre in analoger Anwendung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG entscheidend, dass vor Eintragung der strukturellen Änderung – hier der Verschmelzung der Mutter-AG auf die SE – in mindestens einer der an dieser strukturellen Änderung beteiligten Gesellschaften mindestens eine Form der Mitbestimmung bestand und sich auf mindestens 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller an der strukturellen Änderung beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften erstreckte. Von einer solchen Analogie geht offenbar Teichmann aus, wenn er sich dafür ausspricht, dass sich bei der Aufnahme eines Unternehmens mit einem höheren Mitbestimmungsniveau als in der SE die Mitbestimmung in der SE künftig nach dem Niveau richte, „das in dem aufgenommenen Unternehmen geherrscht“162 habe. Für eine Analogie des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG ist ein Vergleich der Interessenlagen vor Eintragung der SE, auf welche der Wortlaut abstellt, 160 So auch (für § 35 Abs. 2 S. 2 SEBG) Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1748 f.; a. A. Nagel ZIP 2011, 2047, 2048 f., der offenbar übersieht, dass der Wortlaut des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG in seiner direkten Anwendung voraussetzt, dass „vor der Eintragung der SE in einer oder mehreren der beteiligten Gesellschaften eine oder mehrere Formen der Mitbestimmung bestanden“. 161 Vgl. auch Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1749, wonach argumentiert werden könnte, dass § 35 Abs. 2 S. 2 SEBG entsprechend angewendet werden muss, sodass auf das Mitbestimmungsniveau derjenigen Gesellschaften abzustellen ist, deren Beteiligung zu einer strukturellen Änderung geführt hat. 162 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 368.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 399
und vor Eintragung der strukturellen Änderung, auf welche sich eine analoge Anwendung stützte, anzustellen. Dabei ergibt sich, dass die Interessenlagen der Arbeitnehmer der an der Gründung einer SE beteiligten Gesellschaften und der Arbeitnehmer der an der strukturellen Änderung der SE beteiligten Gesellschaften wegen des in beiden Fällen bestehenden Interesses an der Erhaltung erworbener Mitbestimmungsrechte auch in der SE vergleichbar ist. Zudem müsste eine planwidrige Regelungslücke vorliegen. § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG verweist darauf, dass „die §§ 22 bis 33 [SEBG] über den SEBetriebsrat kraft Gesetzes und die §§ 34 bis 38 [SEBG] über die Mitbestimmung kraft Gesetzes anzuwenden“ sind. In Bezug auf die Voraussetzungen für den SE-Betriebsrat kraft Gesetzes sieht § 22 Abs. 2 SEBG vor, dass § 22 Abs. 1 SEBG „entsprechend im Fall des § 18 Abs. 3 [SEBG]“ gilt. Eine vergleichbare Regelung hinsichtlich der besonderen Voraussetzungen für die Mitbestimmung kraft Gesetzes fehlt jedoch. Im Gegensatz zu § 22 Abs. 2 SEBG verweist § 18 Abs. 3 S. 2 SEBG nicht entsprechend, sondern unmittelbar auf § 34 Abs. 1 SEBG.163 Der fehlende Hinweis des Gesetzgebers auf eine entsprechende Anwendung des § 34 Abs. 1 SEBG im Fall des § 18 Abs. 3 SEBG könnte dafür sprechen, dass der Gesetzgeber im Falle des Scheiterns der nach § 18 Abs. 3 SEBG wiederaufgenommenen Verhandlungen die besonderen Voraussetzungen für die Mitbestimmung kraft Gesetzes bewusst von deren Vorliegen bereits im Zeitpunkt der SE-Gründung abhängig machen wollte. Auch die Gesetzesbegründung, wonach bei Scheitern der Verhandlungen „wie im Gründungsverfahren die Auffangregelung“164 gilt, spricht dafür, dass die Mitbestimmung kraft Gesetzes bei Scheitern der wegen geplanter struktureller Änderungen der SE wiederaufgenommenen Verhandlungen darauf begrenzt ist, was im Zeitpunkt der SE-Gründung an Mitbestimmung kraft Gesetzes möglich gewesen wäre, wenn die im Rahmen der SE-Gründung durchgeführten Verhandlungen gescheitert wären. § 18 Abs. 3 SEBG schützt die Arbeitnehmer daher insoweit, als ihnen die Möglichkeit für die Wiederaufnahme von Verhandlungen eröffnet wird. Sie können indes eine stärkere Mitbestimmung kraft Gesetzes erzwingen, die bei Gründung der SE noch nicht angewendet wurde.165 Mithin ist § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG mangels planwidriger Regelungslücke nicht analog anzuwenden. Wenn etwa die Tochter-AG in Fall 10 Var. 2 statt 300 Arbeitnehmer 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt hätte und ihr Aufsichtsrat somit gem. § 1 auch Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1749. BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 18 SEBG, S. 51. 165 Vgl. Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1749. 163 So
164 Regierungsentwurf,
400
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG drittelbeteiligt gewesen wäre, wäre bei einem Scheitern der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung im Rahmen der SE-Gründung die Mitbestimmung kraft Gesetzes gem. § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG anwendbar gewesen mit der Folge, dass gem. § 35 Abs. 2 S. 2 SEBG der Anteil der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan 1 / 3 betragen hätte. Im Falle der späteren Verschmelzung der paritätisch mitbestimmten Mutter-AG auf die SE richtete sich im Falle des Scheiterns der nach § 18 Abs. 3 SEBG wiederaufgenommenen Verhandlungen die Mitbestimmung kraft Gesetzes gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG, § 35 Abs. 2 S. 2 SEBG nach dem höchsten Anteil an Arbeitnehmervertretern, der in den Organen der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bestanden hat, mithin nach dem Drittel-Anteil in der TochterAG mit 1.000 Arbeitnehmern. Somit kommt es für die Voraussetzungen und den Umfang der Mitbestimmung kraft Gesetzes im Falle des Scheiterns der nach § 18 Abs. 3 SEBG wiederaufgenommenen Verhandlungen auf den Gründungszeitpunkt der SE und nicht auf den Zeitpunkt der strukturellen Änderung der SE an.166 War die SE somit bislang nicht kraft Gesetzes, sondern kraft Vereinbarung mitbestimmt, kann es durch die Anwendung der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach Scheitern der nach § 18 Abs. 3 SEBG wiederaufgenommenen Verhandlungen über eine neue Beteiligungsvereinbarung zwar zu einer Ausweitung der Mitbestimmung in der SE gegenüber der früheren Beteiligungsvereinbarung kommen. Diese Ausweitung der Mitbestimmung kraft Gesetzes ist jedoch auf den Umfang beschränkt, der im Falle der Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes bereits bei der SE-Gründung anwendbar gewesen wäre.167 Im Ergebnis haben die Arbeitnehmer bei nach § 18 Abs. 3 SEBG wiederaufgenommenen Verhandlungen nicht das Druckmittel der gesetzlichen Auffangregelung im Umfang der in der aufzunehmenden Gesellschaft bislang bestehenden Mitbestimmung gegen eine Zustimmung zu einer Mitbestimmungsminderung in der Hand. Der Umfang der Mitbestimmung kraft Gesetzes richtet sich in diesem Fall vielmehr nach dem Mitbestimmungsniveau in den an der Gründung der SE beteiligten Gesellschaften, nicht nach dem Mitbestimmungsumfang in der im Rahmen einer strukturellen Änderung aufzunehmenden Gesellschaft. Bei einem Scheitern der wiederaufgenommenen Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG ist die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 35 ff. SEBG) nur anwendbar, wenn die Voraussetdes Umfangs auch Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1749. auch Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1749: „Im Ergebnis spricht aufgrund des klaren Wortlautes von § 18 Abs. 3 letzter Satz SEBG einiges dafür, dass die gesetzliche Auffanglösung bei Gründung der SE sowie im Rahmen von Nachverhandlungen aufgrund struktureller Änderungen in der bestehenden SE zu einem identischen Mitbestimmungsstandard führt.“. 166 Hinsichtlich 167 So
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 401
zungen des § 34 Abs. 1 SEBG bereits bei der SE-Gründung vorlagen. Waren diese Voraussetzungen mangels Bestehens einer Form der Mitbestimmung in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften bei der SE-Gründung wie in Fall 10 Var. 2 nicht anwendbar, ist die Mitbestimmung kraft Gesetzes auch bei einem Scheitern der wiederaufgenommenen Verhandlungen nicht anwendbar. Demzufolge kann der SE-Betriebsrat bei den Verhandlungen über eine neue Beteiligungsvereinbarung nicht mit der sonst anwendbaren Mitbestimmung kraft Gesetzes drohen und ist in einer schwachen Verhandlungsposition gegenüber der SE-Leitung. Daher würde selbst im Falle der ordnungsgemäßen Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG, zu welcher § 43 S. 2 SEBG die SE-Leitung anhält, eine Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG in Fall 10 Var. 2 nicht kompensiert. Eine Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG könnte somit auch nicht durch § 43 S. 2 SEBG verhindert werden. b) Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG In Betracht kommt ein Rückgriff auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG. Ein Entziehen von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der auf die SE verschmolzenen Mutter-AG liegt vor, da vor der Verschmelzung auf die SE ein Beteiligungsrecht auf paritätische Mitbestimmung im AG-Aufsichtsrat bestand, das nach der Verschmelzung wegen der Mitbestimmungslosigkeit der SE im SE-Unternehmensorgan nicht mehr besteht. Insoweit ist ein quantitatives Defizit an Beteiligungsrechten festzustellen.168 Diese Beteiligungsrechte der künftig in der gegründeten SE beschäftigten Arbeitnehmer der Mutter-AG unterfallen dem sachlichen Schutzbereich des Missbrauchsverbots, da das „Vorher-Nachher-Prinzip“ (ErwG 18 S. 1 SE-RL) auch für strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE und für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften gilt (ErwG 18 S. 3 SE-RL). Die von den Leitungen der Gründungsgesellschaften oder der SE mit der Gründung der mitbestimmungsfreien SE und der anschließenden Verschmelzung der mitbestimmten AG auf diese bezweckte Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG steht im Widerspruch zum von der SE-RL verfolgten Zweck der Sicherung bestehender Beteiligungsrechte (ErwG 18 SE-RL). Da bei Hinwegdenken des Vorgangs die Beteiligungsrechte fortbestanden hätten, ist der Vorgang auch kausal für das Entziehen der Beteiligungsrechte. Mithin begründet die Gestaltung in Fall 10 Var. 2 einen Missbrauch der SE-Rechtsform. Damit sind die Voraussetzungen des Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG gegeben. In der 168 Vgl. zum Begriff des „Entziehens“ von Beteiligungsrechten oben unter § 3 C. II. 1.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Rechtsfolge ist danach zu unterscheiden, ob und welche Form der Mitbestimmung bei Gründung der SE galt: Wurde eine Beteiligungsvereinbarung ohne Mitbestimmung – etwa ausschließlich zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer – abgeschlossen, ist diese Beteiligungsvereinbarung gem. § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG nichtig.169 Es finden daher Neuverhandlungen unter den Bedingungen statt, die anwendbar gewesen wären, wenn § 15 Abs. 3 SEBG nicht umgangen worden wäre. Wurde bei Gründung der SE keine Beteiligungsvereinbarung geschlossen und fanden auch die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes keine Anwendung, kommt es ebenfalls zu Neuverhandlungen unter den Bedingungen, die anwendbar gewesen wären, wenn § 15 Abs. 3 SEBG nicht umgangen worden wäre.170 2. Missbrauch durch Umgehung des besonderen Schutzes nach § 15 Abs. 5 SEBG bei der Umwandlungsgründung Wird die SE durch Umwandlung einer AG in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SEVO) gegründet, gewährt § 15 Abs. 5 SEBG einen besonders ausgeprägten Bestandschutz für Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in den beteiligten Gesellschaften beim Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung. Dieser besonders ausgeprägte Schutz könnte durch die Wahl einer bestimmten Gründungsvariante umgangen werden, etwa bei Gründung der durch Verschmelzung statt durch Umwandlung [dazu sogleich unter a)] oder bei einer „verdeckten Umwandlung“ durch Gründung einer Holding-SE durch Konzerntöchter und anschließende Verschmelzung der Konzernmutter auf die Holding-SE statt Umwandlung der Konzernmutter in eine SE [b)]. a) Kein Missbrauch durch Wahl der Gründungsvariante der Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) statt der Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) In Fall 11 Var. 1 kann aufgrund der SE-Gründung durch Umwandlung der mitbestimmten AG, die seit mindestens zwei Jahren eine dem britischen Recht unterliegende Tochter-plc. hat (Art. 2 Abs. 4 SE-VO), gem. § 15 Abs. 5 SEBG ein Beschluss nach § 15 Abs. 3 SEBG nicht gefasst werden. Im Ergebnis kann daher im Fall der Umwandlungsgründung eine Beteili169 Vgl.
oben unter § 5 A. IV. 6. a). beiden Fällen kommt es jedoch dann nicht zu Neuverhandlungen unter den Bedingungen, die ohne Umgehung des § 15 Abs. 3 SEBG geherrscht hätten, wenn gleichzeitig eine Umgehung des § 34 Abs. 1 SEBG vorliegt, dazu noch unter § 8 E. 170 In
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 403
Fall 11 Var. 1
gungsvereinbarung, die eine Minderung von Mitbestimmungsrechten i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG zur Folge hätte, nicht wirksam geschlossen werden. Wird die SE statt durch Umwandlung der AG (Art. 2 Abs. 4 SE-VO, Fall 11 Var. 1) durch Verschmelzung der mitbestimmten AG mit der Tochterplc. gemäß Art. 2 Abs. 1 SE-VO gegründet (Fall 11 Var. 2), greift die Regelung des § 15 Abs. 5 SEBG nicht. Vielmehr ist unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 1 SEBG der Abschluss einer Vereinbarung, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge hätte, zulässig. Die Entscheidung der Leitungen der beteiligten Gesellschaften – hier der AG und der Tochter-plc. – eine gemeinsame SE durch Verschmelzung statt eine SE durch Umwandlung allein der AG zu gründen, könnte eine Umgehung des besonderen Bestandschutzes des § 15 Abs. 5 SEBG sein, wenn zugleich eine Beteiligungsvereinbarung, die eine Mitbestimmungsminderung i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG zur Folge hat, geschlossen wird.171 Eine Umgehung des § 15 Abs. 5 SEBG durch die Wahl der Gründungsvariante der Verschmelzung statt der Umwandlung könnte einen Missbrauch der SERechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründen. Dazu müsste jedoch der tatbestandliche Erfolg eines „Entziehens“ von Beteiligungsrechten der Ar171 Die Gründung einer ausländischen Tochtergesellschaft, deren einziger Zweck darin besteht, sofort mit einer Aktiengesellschaft verschmolzen zu werden, statt der Umwandlung einr Aktiengesellschaft unter Einhaltung der 2-Jahres-Frist des Art. 2 Abs. 4 SE-VO, wonach die umzuwandelnde Aktiengesellschaft seit mindestens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Tochtergesellschaft haben muss, wird in der gesellschaftsrechtlichen Literatur unter dem Gesichtspunkt einer Umgehung des Mehrstaatlichkeitsgebots diskutiert: Vgl. dazu Casper in FS Ulmer 2003, S. 51, 64; Oechsler NZG 2005, 697, 699; Casper AG 2007, 97, 98, 105; Casper AG 2007, 97, 101; Bachmann ZeuP 2008, 32, 53.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 11 Var. 2
beitnehmer i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vorliegen. Zwar ist im Vergleich zur Umwandlungsgründung die Möglichkeit des Abschlusses einer mitbestimmungsmindernden Beteiligungsvereinbarung gegeben, da insoweit § 15 Abs. 5 SEBG nicht gilt. Allerdings ist zur Wirksamkeit eines Beschlusses des bVG zur Billigung einer mitbestimmungsmindernden Vereinbarung unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SEBG immerhin noch eine besonders qualifizierte Mehrheit des bVG (§ 15 Abs. 3 S. 1 SEBG) erforderlich. Außerdem ist das bVG nicht dazu verpflichtet, einen entsprechenden Billigungsbeschluss zu fassen. Das bVG hat immer noch die Möglichkeit, die Verhandlungen scheitern zu lassen und unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SEBG die Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 35 ff. SEBG) herbeizuführen. Ohne den Willen des bVG kann eine Beteiligungsvereinbarung, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge hätte, somit nicht geschlossen werden. Ein „Entziehen“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG setzt jedoch voraus, dass Beteiligungsrechte ohne den Willen der durch das bVG vertretenen Arbeitnehmer untergehen.172 Im Ergebnis liegt somit mangels unfreiwilligen Verlusts ein Entziehen von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG nicht vor, wenn die Leitungen der beteiligten Gesellschaften sich für die Gründung einer SE durch Verschmelzung einer mitbestimmten AG mit einer Tochter-plc. statt durch Umwandlung der AG entscheiden und dadurch die Arbeitnehmer nicht in den Genuss des besonderen Bestandschutzes nach § 15 Abs. 5 SEBG kommen und stattdessen nach § 15 Abs. 3 SEBG einer Beteiligungsvereinbarung, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge hat, zustimmen. 172 Vgl.
oben § 3 C. II. 1. c).
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 405
b) Holding-SE-Gründung durch Konzerntöchter und anschließende Verschmelzung der Konzernmutter auf die Holding-SE statt Umwandlung der Konzernmutter in eine SE („Verdeckte Umwandlung“) In Fall 12 Var. 1 kann aufgrund der SE-Gründung durch Umwandlung einer mitbestimmten Mutter-AG, die seit mindestens zwei Jahren eine dem britischen Recht unterliegende Tochter-plc. hat (Art. 2 Abs. 4 SE-VO), gem. § 15 Abs. 5 SEBG ein Zustimmungsbeschluss zu einer Beteiligungsvereinbarung, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge hätte (§ 15 Abs. 3 SEBG), nicht gefasst werden.
Fall 12 Var. 1
Die gleiche gesellschaftsrechtliche Struktur wird in Fall 12 Var. 2 erreicht, wenn im ersten Schritt aus den Tochtergesellschaften der Mutter-AG einer gemeinsame Holding-SE gegründet (Art. 2 Abs. 2 SE-VO) und anschließend die Mutter-AG auf die Holding-SE verschmolzen wird:
Fall 12 Var. 2
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Jedoch ist die Regelung des § 15 Abs. 5 SEBG, welche dem Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung entgegensteht, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge hätte, nicht anwendbar. Vielmehr ist unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 2 Var. 1 SEBG der Abschluss einer Vereinbarung, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte gegenüber den Mitbestimmungsrechten in den beteiligten Gesellschaften – hier Tochter-GmbH und Tochter-plc. – zur Folge hätte, zulässig. Darüber hinaus werden die Arbeitnehmer der AG am Verhandlungsverfahren nicht beteiligt, da in das bVG gem. § 5 Abs. 1 SEBG ausschließlich Mitglieder der beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften und betroffenen Betriebe gewählt oder bestellt werden. Da es sich bei den Arbeitnehmern der Mutter-AG – falls sie nicht zu „betroffenen Betrieben“ i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 SEBG zählen – um Arbeitnehmer der Muttergesellschaft der beteiligten Gesellschaften handelt, werden diese nicht in das bVG einbezogen. Das Vorgehen der Leitungen in Fall 12 Var. 2 – Gründung einer gemeinsamen Holding-SE im ersten Schritt und anschließende Verschmelzung der AG auf die Holding-SE („verdeckte Umwandlung“173) im zweiten Schritt – statt Gründung einer SE durch Umwandlung der AG (Fall 12 Var. 1), könnte eine Umgehung des besonderen Bestandschutzes des § 15 Abs. 5 SEBG sein, wenn eine Beteiligungsvereinbarung, die eine Mitbestimmungsminderung i. S. v. § 15 Abs. 4 SEBG zur Folge hat, geschlossen wird.174 Eine Umgehung des § 15 Abs. 5 SEBG durch eine „verdeckte Umwandlung“ könnte einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründen. Hierbei ist zwischen den betroffenen Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der an der Holding-SE-Gründung im ersten Schritt beteiligten TochterAG und den Arbeitnehmern der an der Verschmelzung auf die gegründete Holding-SE beteiligten Mutter-AG im zweiten Schritt zu unterscheiden:
173 Henssler in GS Heinze 2005, S. 333, 341, der darauf abstellt, dass mit der „verdeckten“ Umwandlung „die gleiche Konzernstruktur erreicht [wird], wie sie auch durch einfache Umwandlung der Obergesellschaft geschehen könnte […].“. 174 Vgl. Henssler in GS Heinze 2005, S. 333, 341: „Wird mit der Gründung der Holding die gleiche Konzernstruktur erreicht, wie sie auch durch einfache Umwandlung der Obergesellschaft geschehen könnte, so wird das Verbot unterlaufen, die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. Daraus folgt: Erfolgt die Gründung der Holding durch im weitesten Sinne konzernverbundene Gesellschaften, so liegt eine Umgehung der strengeren für die Umwandlung geltenden Regelungen vor.“.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 407
aa) K ein Missbrauch zulasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der Tochter-Gesellschaften als beteiligte Gesellschaften der Holding-SE Den Arbeitnehmern der Tochter-AG werden keine Beteiligungsrechte i. S. v. § 43 S. 1 SEBG „entzogen“, da sie trotz der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 2 Var. 2 SEBG gegen eine unfreiwillige Minderung von Mitbestimmungsrechten im Wege einer Beteiligungsvereinbarung geschützt sind, da es trotz der Umgehung des § 15 Abs. 5 SEBG noch eines Zustimmungsbeschlusses des bVG bedarf. Insofern scheidet ein Missbrauch der SE-Rechtsform zu Lasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der an der Holding-SE-Gründung beteiligten Tochter-AG aus. bb) M issbrauch zulasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der bisherigen Mutter-AG bei der Verschmelzung auf die Holding-SE Hinsichtlich der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der Mutter-AG ergibt sich jedoch ein anderes Bild: Sie sind – soweit sie nicht zu „betroffenen Betrieben“ i. S. v. § 5 Abs. 1 S. 1 SEBG zählen – von der Wahl oder Bestellung von Mitgliedern des bVG ausgeschlossen und nehmen somit am Verhandlungsverfahren hinsichtlich einer Beteiligungsvereinbarung im Rahmen der Gründung der Holding-SE nicht teil. Schließen die an der Holding-SE-Gründung beteiligten Gesellschaften eine Beteiligungsvereinbarung, bleiben die erworbenen Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer der Mutter-AG als Druckmittel bei den Verhandlungen unberücksichtigt. Zum einen ist bei der gemeinsamen Holding-SE-Gründung durch die Tochtergesellschaften der Mutter-AG der an sich bei der SE-Gründung durch Umwandlung greifende Schutz des § 15 Abs. 5 SEBG nicht anzuwenden, sodass ein Beschluss nach § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Var. 1 SEBG möglich wird. Zum anderen bleibt bei der Prüfung einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG der Anteil der Arbeitnehmervertreter im MutterAG-Aufsichtsrat unberücksichtigt, da diese Norm auf den höchsten in den beteiligten Gesellschaften bestehenden Anteil abstellt, die Mutter-AG jedoch keine an der Holding-SE-Gründung beteiligte Gesellschaft ist. Wird im Rahmen der Gründung der Holding-SE tatsächlich eine Beteiligungsvereinbarung geschlossen, welche gegenüber dem Anteil der Arbeitnehmervertreter im Mutter-AG-Aufsichtsrat einen geringeren Anteil an Arbeitnehmervertretern im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE vorsieht, liegt für die Arbeitnehmer der später auf die Holding-SE verschmolzenen Mutter-AG eine Minderung der Mitbestimmungsrechte vor; z. B. wenn die
408
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Mutter-AG paritätisch mitbestimmt war, die Tochter-GmbH der Drittelbeteiligung unterlag und in der Beteiligungsvereinbarung für die Holding-SE ebenfalls eine Drittelbeteiligung im SE-Unternehmensorgan vereinbart wird. Mit der Verschmelzung der Mutter-AG auf die Holding-SE werden den Mutter-AG-Arbeitnehmern somit Mitbestimmungsrechte i. S. v. § 43 S. 1 SEBG unfreiwillig entzogen, da sie vom bVG, das bei der SE-Gründung einer Minderung zugestimmt hatte, nicht repräsentiert werden. Dieser Entzug steht im Widerspruch zum von ErwG 18 SE-RL bezweckten Schutz bestehender Beteiligungsrechte. Mithin liegt ein Missbrauch der SERechtsform vor. Hinsichtlich der Rechtsfolgen kann auf die Ausführungen zu Fall 10 Var. 2 verwiesen werden.175 3. Kein Missbrauch durch Begrenzung der Mitbestimmung auf nicht-geschäftsführende Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans Für eine monistisch verfasste SE sieht § 40 Abs. 1 S. 1 SEAG vor, dass der SE-Verwaltungsrat einen oder mehrere geschäftsführende Direktoren bestellt. Wie sich aus § 40 Abs. 1 S. 3 SEAG ergibt, können auch „Dritte“ zu externen geschäftsführenden Direktoren bestellt werden (Fall 13 Var. 1). Dabei bleibt eine vereinbarte paritätische Mitbestimmung im SE-Verwaltungsorgan unberührt.176
Fall 13 Var. 1
175 Vgl.
oben unter § 8 D. I. 1. b). BB 2004, 53, 56: Werden externe geschäftsführende Direktoren bestellt, herrsche im Verwaltungsrat die nominale Parität, denn es seien dann alle Mitglieder des Verwaltungsrats nicht geschäftsführend. Das Übergewicht der Anteilseignervertreter sichere dann Art. 45 S. 2 SE-VO, der entsprechend dem deutschen Recht den Stichentscheid des Vorsitzenden regele. 176 Teichmann
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 409
Fall 13 Var. 2, Abb. 1
Zu internen geschäftsführenden Direktoren können gem. § 40 Abs. 1 S. 2 SEAG auch Mitglieder des Verwaltungsrats bestellt werden,177 sofern die Mehrheit des Verwaltungsrats weiterhin aus nicht geschäftsführenden Mitgliedern besteht (Fall 13 Var. 2, Abb. 1). Werden Mitglieder eines paritätisch mitbestimmten SE-Verwaltungsorgans, welche die Anteilseigner vertreten, zu internen geschäftsführenden Direktoren bestellt, wird argumentiert, dass durch die Bestellung der Anteilseignervertreter zu internen geschäftsführenden Direktoren – hier vier – eine „Überparität“178 der nicht geschäftsführenden Arbeitnehmervertreter – hier acht – gegenüber nicht-geschäftsführenden Anteilseignervertretern – hier vier – im SE-Verwaltungsorgan entstehe (Fall 13 Var. 2, Abb. 2). Ein überparitätisches Gewicht komme den Stimmen der Arbeitnehmervertreter bei allen Entscheidungen des Verwaltungsorgans zu, bei denen es um die Kontrolle der Unternehmensleitung gehe und die Ansichten der geschäftsführenden Mitglieder einerseits und der nicht-geschäftsführenden Mitglieder andererseits typischerweise auseinanderfielen.179 Um eine solche „Überparität“ zu verhindern, wird vorgeschlagen, in einer Beteiligungsvereinbarung 177 Streitig ist insoweit, ob auch Arbeitnehmervertreter zu geschäftsführenden Direktoren bestellt werden können: Dafür etwa Siems in: KK-AktG Anh. Art. 51 SE-VO, § 40 SEAG Rn 4, 21 m. w. N.; dagegen Kallmeyer ZIP 2003, 1531, 1534, mit der Begründung, dass dies „eklatant über die Mitbestimmung hinausgehen [würde], deren Bestand geschützt werden soll“; ihm folgend Manz in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Art. 43 SE-VO Rn 127. 178 Vgl. Kallmeyer ZIP 2003, 1531, 1534; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 810; für die gesetzliche Auffangregelung Seibt AG 2005, 413, 425. 179 Seibt AG 2005, 413, 425.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 13 Var. 2, Abb. 2
die paritätische Mitbestimmung auf die nicht-geschäftsführenden Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans zu beschränken (Fall 13 Var. 2 Abb. 3180).181 Da sich die Zahl der Arbeitnehmervertreter im SE-Aufsichtsorgan im dualistischen System allein auf nicht-geschäftsführende Personen bezieht – geschäftsführende Funktion nimmt insoweit das SE-Leitungsorgan wahr – müsse dies auch im monistischen Modell gelten: Seien geschäftsführende Direktoren zugleich Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans, beziehe sich die Parität allein auf die „verbleibenden (nicht geschäftsführenden) Mitglieder“.182 Dadurch wird de facto die Zahl Arbeitnehmervertreter im SE-Verwaltungsorgan von acht auf vier Mitglieder reduziert. Fraglich ist, ob eine Fall 13 Var. 2 Abb. 3 entsprechende Regelung in der Beteiligungsvereinbarung einen Missbrauch der SE-Rechtsform begründet. 180 Vgl. die Fallgestaltungen bei Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 792; Kämmerer / Veil ZIP 2005, 369, 375; Jacobs in: MüKo-AktG § 35 SEBG Rn 23. 181 Seibt AG 2005, 413, 425; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 810; Henss ler in: Ulmer / Habersack / Henssler Einl. SEBG Rn 187, 204; Kämmerer / Veil ZIP 2005, 369, 375; Manz in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Art. 43 SE-VO Rn 129; eine entsprechende Regelung als von der Vereinbarungsautonomie des § 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 SEBG erfasst sehend Hoops Diss. 2009, S. 170 f.; noch vor Umsetzung der SE-RL Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 210 (unter 5.); Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 792; Teichmann BB 2004, 53, 56; demgegenüber bezeichnet Kallmeyer ZIP 2003, 1531, 1534 dieses Modell des Verwaltungsrats mit internen geschäftsführenden Direktoren als für mitbestimmte Unternehmen schlicht „untauglich“ und verweist zur Vermeidung der Überparität auf die Möglichkeit der Bestellung externer geschäftsführender Direktoren (vgl. hier Fall 13 Var. 1); vgl. auch Braun Diss. 2005, S. 99 ff. 182 Teichmann BB 2004, 53, 56.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 411
Fall 13 Var. 2, Abb. 3
Voraussetzung ist ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer. Eine Minderung der Mitbestimmungsrechte soll nach einer Literaturauffassung183 nicht vorliegen. Zur Begründung wird angeführt, dass der Paritätsgedanke im AG-Aufsichtsrat nach deutschem Mitbestimmungsrecht lediglich auf eine „Parität in der Kontrolle“184 der Leitung, nicht dagegen auf eine „Parität in der Geschäftsführung“185 selbst gerichtet sei:186 Der deutsche Gesetzgeber habe sich bewusst dafür entschieden, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in der AG auf deren Repräsentanz im Überwachungsorgan, d. h. den AG-Aufsichtsrat, zu beschränken.187 Dieser Gedanke lasse sich nicht unmittelbar auf das SE-Verwaltungsorganmodell übertragen,188 denn die Doppelfunktion des SE-Verwaltungsorgans als Kontroll- und Leitungsorgan bedeute, dass der Einfluss des Verwaltungsorgans und der ihm angehörenden Arbeitnehmervertreter auf die Geschicke der Gesellschaft deutlich über den Einfluss des Aufsichtsrats und seiner 183 Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 792; vgl. auch Kämmerer / Veil ZIP 2005, 369, 376 („jedenfalls keine Schmälerung des Kanons an erworbenen Rechten“). 184 Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 203, 209. 185 Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 209. 186 Ablehnend Köstler ZGR 2003, 800, 804. 187 Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 789; vgl. auch Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 202. 188 Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 789; vgl. auch Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 203.
412
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Mitglieder in der deutschen AG hinausginge.189 Eine Begrenzung der paritätischen Mitbestimmung im SE-Verwaltungsorgan auf die nicht geschäftsführenden Mitglieder schmälere nicht bestehende Mitbestimmungsrechte, da die Parität in der Aufsicht erhalten bleibe und darüber hinaus die Parität auf die Leitung erstreckt werde.190 Demgegenüber wird teilweise eine Differenzierung zwischen geschäftsführenden und nicht-geschäftsführenden Mitgliedern191 oder eine Beschränkung der Parität auf nicht-geschäftsführende Mitglieder192 im SE-Verwaltungsorgan abgelehnt. Art. 45 S. 1 SE-VO zeige, dass die Hälfte der Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans von den Arbeitnehmern bestellt werden könne.193 Die von der Norm für diesen Fall aufgestellte Beschränkung, dass nur ein Anteilseignervertreter zum Vorsitzenden des SE-Verwaltungsorgans gewählt werden kann, sei zum Schutz der Anteilseignerinteressen ausreichend. Ferner sehe die Mitbestimmung kraft Gesetzes vor, dass sich die Zahl der Mitglieder des Verwaltungs- oder des Aufsichtsorgans nach dem höchsten maßgeblichen Anteil in den beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung der SE bemisst (Teil 3 lit. b) Anhang SE-RL, § 35 Abs. 2 S. 2 SEBG).194 Im Falle der Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes müsse eine fortzuführende paritätische Mitbestimmung greifen, unabhängig von einer dualistischen oder monistischen Struktur. Im Ergebnis führt eine Begrenzung der paritätischen Mitbestimmung im SE-Verwaltungsorgan in der Gestaltung des Falls 13 Var. 2 Abb. 3 dazu, dass der Anteil der Arbeitnehmervertreter im SE-Verwaltungsorgan gegenüber sämtlichen Anteilseignervertretern mit 1 / 3 geringer ist als der höchste – hier paritätische – Anteil in den beteiligten Gesellschaften. Ein VorherNachher-Vergleich des Anteils im Unternehmensorgan vor und nach der SE-Gründung ergibt somit ein quantitatives Defizit an Mitbestimmungsrechten i. S. v. § 2 Abs. 12 SEBG. Damit liegt eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG vor. Demzufolge hat sich eine 189 Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 789; vgl. auch Gruber / Weller NZG 2003, 297, 298; Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 207; Seibt AG 2005, 413, 425. 190 Für die gesetzliche Auffangregelung in § 35 SEBG: Kämmerer / Veil ZIP 2005, 369, 376; Jacobs in: MüKo-AktG § 35 SEBG Rn 24. 191 Nagel / Köklü ZESAR 2004, 175, 179. 192 Schwarz SE-Verordnung, Art. 43 SE-VO Rn 83: „Europarechtskonform kann eine Beschränkung der Mitbestimmung auf den nicht geschäftsführenden Teil nicht angenommen werden.“; vgl. auch Köstler ZGR 2003, 800, 804. 193 Köstler ZGR 2003, 800, 804; a. A. Henssler in FS Ulmer 2003, S. 193, 207, wonach Art. 45 S. 2 SE-VO „nicht zwingend für eine paritätische Besetzung des Verwaltungsorgans bei einer nach deutschem Mitbestimmungsrecht verfassten SE“ spreche. 194 Vgl. zum Ganzen bezogen auf die SE-RL Köstler ZGR 2003, 800, 804.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 413
entsprechende Gestaltung an die Vorgaben des § 15 Abs. 3–5 SEBG zu halten, sodass die Zulässigkeit im Fall der SE-Gründung durch Umwandlung ausgeschlossen ist und in den anderen SE-Gründungsfällen unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG ein besonders qualifizierter bVG-Beschluss erforderlich ist. Ein unfreiwilliges Entziehen i. S. v. § 43 S. 1 SEBG liegt somit nicht vor. Die Festlegung des Bezugspunkts einer paritätischen Mitbestimmung – hier die nicht geschäftsführenden Mitglieder – ist gerade Teil der Vereinbarungsautonomie195. Sie zählt nicht, wie etwa die Bestellung der geschäftsführenden Direktoren (vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 SEAG), zur Organisationsautonomie des SE-Verwaltungsorgans. Allein die Bestellung von Anteilseignervertretern zu internen geschäftsführenden Direktoren durch das SE-Verwaltungsorgan führt somit nicht zu einer Änderung des Anteils der Vertreter der Arbeitnehmer gegenüber den Anteilseignern. Ein unfreiwilliges „Entziehen“ von Mitbestimmungsrechten kommt somit auch nicht in Betracht, wenn diese Bestellung unter Ausübung des Zweitstimmenrechts des Vorsitzenden des SE-Verwaltungsorgans und somit gegen den Willen der Arbeitnehmervertreter durchgesetzt wird. Mithin scheidet ein Missbrauch der SE-Rechtsform durch eine zwischen den Verhandlungsparteien ausgehandelte Beteiligungsvereinbarung, wonach der Bezugspunkt einer paritätischen Verteilung der Mitglieder im SE-Verwaltungsorgan zwischen Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern die Anzahl nicht-geschäftsführender Mitglieder ist, aus. II. Erschleichung einer Flexibilisierung von Beteiligungsrechten Eine etwaige Erschleichung einer Flexibilisierung von Beteiligungsrechten ist zu prüfen im Hinblick auf Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung zur Verteilung der Arbeitnehmersitze im SE-Unternehmensorgan auf die SEBelegschaften in den Mitgliedstaaten (sogleich unter 1.), zum Ausschluss externer Gewerkschaftsvertreter (2.), zum Wechsel vom Repräsentations- zum Kooptationsmodell (3.) sowie zur Einschränkung des Stimmrechts (4.). 1. Missbrauch bei der Verteilung der Arbeitnehmersitze im SE-Unternehmensorgan auf die SE-Belegschaften in den Mitgliedstaaten Im Falle der Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes regelt § 36 Abs. 1 SEBG die Sitzverteilung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE durch den SE-Betriebsrat. Demnach 195 Vgl.
Hoops Diss. 2009, S. 170 f.
414
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 14 Var. 1
richtet sich die Verteilung „nach dem jeweiligen Anteil der in den einzelnen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe“ (§ 36 Abs. 1 S. 2 SEBG).196 Für den Fall, dass die Parteien des Verhandlungsverfahrens eine Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung treffen, soll deren Inhalt auch das Verfahren festlegen, nach dem die Arbeitnehmer die Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE wählen oder bestellen oder nach dem sie die Bestellung von Mitgliedern empfehlen oder ablehnen können (§ 21 Abs. 3 Nr. 2 SEBG). Eine Festlegung der Sitzverteilung kann sich beispielsweise entsprechend § 36 Abs. 1 S. 1 SEBG für die Mitbestimmung kraft Gesetzes am „Repräsentationsprinzip“, d. h. am Anteil der in den Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer, ausrichten. In Fall 14 Var. 1 würden bei Anwendung des Repräsentationsprinzips von sechs Arbeitnehmersitzen im Holding-SE-Aufsichtsrat drei Sitze auf die AG mit 3.000 Arbeitnehmern, zwei Sitze auf die plc. mit 2.000 Arbeitnehmern und ein Sitz auf die S.A. mit 1.000 Arbeitnehmern entfallen. In der Literatur besteht Einigkeit, dass die Sitze der Arbeitnehmervertreter in der Beteiligungsvereinbarung – abweichend von dem nach § 36 Abs. 1 SEBG für die Mitbestimmung kraft Gesetzes geltenden Repräsentationsprin196 Zur Richtlinienkonformität des § 36 Abs. 1 S. 1 SEBG, der aufgrund der Inbezugnahme der Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften und Betrieben der SE über Teil 3 lit. b) Abs. 3 Anhang SE-RL hinausgeht, vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 36 SEBG Rn 2.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 415
zip – auch nach anderen „sachlichen“197 Kriterien, etwa nach Sparten, Geschäftsbereichen oder geographischen Regionen aufgeteilt werden können.198 Eine Grenze der Zulässigkeit von Regelungen mit vom Repräsentationsprinzip abweichenden Kriterien bilde insoweit das Missbrauchsverbot.199 Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Regelung der Sitzverteilung in der Beteiligungsvereinbarung stets der Zustimmung des bVG bedarf, sodass grundsätzlich die Verhandlungsautonomie zwischen dem bVG und den Leitungen der beteiligten Gesellschaften zu wahren ist. Die Grenze des Missbrauchs der SE-Rechtsform kann jedoch greifen, um Arbeitnehmern von Gesellschaften in Mitgliedstaaten mit vergleichsweise geringer Belegschaftsstärke vor einer Unterrepräsentation zu schützen. Fraglich ist die Vereinbarkeit einer Regelung wie im nachfolgend abgebildeten Fall 14 Var. 2 mit dem Missbrauchsverbot des § 43 S. 1 SEBG. Diese Beteiligungsvereinbarung sieht vor, dass bei der Verteilung der Arbeitnehmersitze im Aufsichtsrat einer Holding-SE nicht wie in Fall 14 Var. 1 die Belegschaftsgrößen der AG mit 3.000 Arbeitnehmern (3 Sitze), der plc. mit 2.000 Arbeitnehmern (2 Sitze) und der S.A. mit 1.000 Arbeitnehmern (1 Sitz) abgebildet wird. Stattdessen sieht die Beteiligungsvereinbarung die gleiche Zahl von zwei Sitzen je Konzernunternehmen der Holding-SE im Holding-SE-Aufsichtsrat vor.200 In dieser vereinbarten Sitzverteilung in Fall 14 Var. 2 könnte ein Missbrauch der SE-Rechtsform liegen. Dazu müsste zunächst ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vorliegen. Für die Arbeitnehmer der AG mit 3.000 Arbeitnehmern könnte ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten darin liegen, dass die Verteilung der Ar197 Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 651; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 804; Forst Diss. 2010, S. 275; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19a. 198 So Seibt AG 2005, 413, 423; Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 651; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 634; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 804; Seibt ZIP 2010, 1057, 1062 (Unternehmenssparten, funktionale Einheiten, Betrieben, bestimmten Arbeitnehmergruppen wie Arbeitern und leitenden Angestellten); Forst Diss. 2010, S. 275; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19a. 199 So Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19a; vgl. auch Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 806, wonach eine weitere Grenze der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, in Form eines Willkürverbots bilde (für die Grenze allein des Willkürverbots Seibt AG 2005, 413, 423; Seibt ZIP 2010, 1057, 1062); für eine von § 36 Abs. 1 SEBG abweichende Besetzung von Aufsichtsratsausschüssen auch Koch Diss. 2010, S. 222 f. (dazu noch unter § 8 F. I.). 200 Vgl. Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 805, wonach die Zulässigkeit von Regelungen, die bei der Verteilung der Arbeitnehmersitze im Aufsichtsrat einer Holding-SE nicht die Belegschaftsgrößen der jeweiligen Teilkonzerne abbilden, sondern pro Teilkonzern die gleiche Zahl von Sitzen vorsehen, noch ungeklärt ist.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 14 Var. 2
beitnehmersitze im SE-Unternehmensorgan nicht mehr wie im AG-Aufsichtsrat die tatsächliche Belegschaftsstärke der Arbeitnehmer repräsentiert. Insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmer der AG weiterhin ihr Mitbestimmungsrecht im AG-Aufsichtsrat ausüben. Bei der Mitbestimmung im Unternehmensorgan der Holding-SE geht es um zusätzliche Beteiligungsrechte gegenüber der Mitbestimmung im AG-Aufsichtsrat, sodass ein „Entziehen“ bestehender Beteiligungsrechte ausscheidet. In Betracht kommt jedoch ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten der AG-Arbeitnehmer, da sie im Verhältnis zu den Belegschaftsstärken in den anderen Gesellschaften der Holding-SE unterrepräsentiert sind. Indes umfasst das Recht auf Mitbestimmung i. S. v. § 2 Abs. 12 SEBG lediglich das Recht aller künftigen SE-Arbeitnehmer gemeinsam, einen Teil der Mitglieder des SE-Unternehmensorgans zu wählen. Davon ist ein Recht auf eine bestimmte Verteilung der auf die Arbeitnehmervertreter insgesamt entfallenden Sitze auf die einzelnen an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften nicht umfasst. Eine Gesamtbetrachtung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer aus allen an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften etwa im Hinblick auf die Grenze der „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ in § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG wird nach überwiegender Auffassung abgelehnt.201 Das hat zur Folge, dass eine Minderung der Mitbestimmungsrechte auch gegeben ist, wenn 201 Vgl. etwa Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 12; i. E. für Art. 3 Abs. 4 SE-RL auch Herfs-Röttgen NZA 2002, 358, 361; Scheibe Diss. 2007, S. 103 f.; Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 26; a. A. Nagel AuR 2001, 406, 407 f.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 417
bei Verschmelzung einer mitbestimmungsfreien plc. und einer der Drittelbeteiligung unterliegenden AG die Beteiligungsvereinbarung einen Arbeitnehmervertreter-Anteil von weniger als 1 / 3 im SE-Unternehmensorgan vorsieht, obwohl bei einer Gesamtbetrachtung aller Arbeitnehmer der künftigen SE ein Gewinn an Mitbestimmungsrechten zu verzeichnen ist, weil nunmehr sämtliche Arbeitnehmer – auch die der plc. – mit Mitbestimmungsrechten ausgestattet werden.202 Stattdessen wird bei § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG für jede beteiligte Gesellschaft eine Einzelbetrachtung vorgenommen.203 Eine solche Einzelbetrachtung könnte auch bei der internen Sitzverteilung innerhalb der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan anzustellen sein. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG ist jedoch auf die interne Sitzverteilung nicht anwendbar, da diese Regelung allein auf den Anteil der Arbeitnehmer sämtlicher Mitgliedstaaten im SE-Unternehmensorgan im Vergleich zum Anteil der Vertreter der Unternehmerseite abstellt, ohne innerhalb der auf die Arbeitnehmer entfallenden Sitze im SE-Unternehmensorgan zu differenzieren. Auch wenn § 36 Abs. 1 SEBG für die Sitzverteilung bei der Mitbestimmung kraft Gesetzes das Repräsentationsprinzip für maßgeblich erklärt, steht die Festlegung der Sitzverteilung nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 SEBG ausdrücklich zur Disposition der Verhandlungspartner der Beteiligungsvereinbarung. Ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten liegt somit erst vor, wenn die Sitzverteilung der Arbeitnehmervertreter dazu führt, dass Arbeitnehmer einer Gesellschaft der Holding-SE überhaupt nicht teilhaben. Das lässt sich durch einen Vergleich mit § 5 Abs. 1 S. 2 SEBG hinsichtlich der Zusammensetzung des bVG bei Gründung der SE konkretisieren. Nach § 5 Abs. 1 S. 2 SEBG, der Art. 3 Abs. 2 lit. a) ii) SE-RL umsetzt, ist für jeden Anteil der in einem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften oder Betriebe, der 10 % der Gesamtzahl der in allen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer ausmacht, ein Mitglied aus diesem Mitgliedstaat in das bVG zu wählen oder zu bestellen. Das SEBG und die SE-RL bezwecken somit eine Repräsentation im bVG all derjenigen Arbeitnehmer in beteiligten Gesellschaften, die zusammen mindestens 10 % der Gesamtzahl aller Arbeitnehmer in allen Mitgliedstaaten ausmachen. Dieser Maßstab lässt sich auf die Sitzverteilung der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan übertragen. Ein missbräuchliches „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten liegt vor, wenn Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften der Holding-SE in einem Mitgliedstaat zusammen zwar mindestens 10 % der Gesamtbelegschaft in allen Mitgliedstaaten ausmachen, aber überhaupt keinen Einfluss auf die 202 Vgl. für eine Tochter-SE-Gründung Jacobs in: MüKo-AktG § 15 SEBG Rn 12; vgl. auch das Fallbeispiel bei Feuerborn in: KK-AktG § 15 SEBG Rn 26. 203 Scheibe Diss. 2007, S. 103 f.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Wahl oder Bestellung mindestens eines Arbeitnehmervertreters im Unternehmensorgan der Holding-SE nehmen können. Für eine Übertragbarkeit des Maßstabs der Sitzverteilung des bVG spricht auch, dass die gesetzliche Auffangregelung bei der Ermittlung der auf das Inland entfallenden Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan durch ein Wahlgremium für das Wahlverfahren auf Normen zur Zusammensetzung des bVG abstellt (§ 36 Abs. 3 S. 2 SEBG). Gemessen an den aus § 5 Abs. 1 S. 2 SEBG zu übertragenden Anforderungen liegt in Fall 14 Var. 2 kein Missbrauch der SE-Rechtsform vor, da sämtliche beschäftigte Arbeitnehmer gleich viele Arbeitnehmervertreter in das SE-Unternehmensorgan wählen oder bestellen. Ein Missbrauch der SERechtsform wäre jedoch zu bejahen, wenn in Fall 14 die AG-Arbeitnehmer fünf Vertreter, die plc.-Arbeitnehmer einen Vertreter und die S.A.-Arbeitnehmer überhaupt keinen Vertreter wählen oder bestellen, da die S.A.-Arbeitnehmer mehr als 10 % (hier 1.000, d. h. 16,3 %) der Gesamtbelegschaft (6.000 Arbeitnehmer) ausmachen. 2. Kein Missbrauch durch Ausschluss der Entsendung externer Gewerkschaftsvertreter in das SE-Unternehmensorgan In Fall 15 verteilen sich die sechs Arbeitnehmersitze von insgesamt zwölf Mitgliedern im AG-Aufsichtsrat gem. § 7 Abs. 2 Nr. 1 MitbestG auf vier Arbeitnehmer der AG und zwei externe, d. h. nicht bei der AG beschäftigte, Gewerkschaftsvertreter. Im Zuge der Umwandlung der AG in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) vereinbaren die Verhandlungspartner der Beteiligungsvereinbarung, dass sämtliche sechs Arbeitnehmervertreter im SEAufsichtsrat Arbeitnehmer des Unternehmens sein müssen und insoweit
Fall 15
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 419
kein externer Gewerkschaftsvertreter wählbar ist. Wäre statt der Beteiligungsvereinbarung die Mitbestimmung kraft Gesetzes anwendbar, wäre bei mehr als zwei Mitgliedern des Wahlgremiums zur Ermittlung der auf das Inland entfallenden Arbeitnehmervertreter des SE-Aufsichtsrats jedes dritte Mitglied des Wahlgremiums ein Vertreter einer Gewerkschaft, die in der SE vertreten ist (vgl. § 36 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 6 Abs. 3 SEBG). Ein Verstoß gegen das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG setzt ein Entziehen oder Vorenthalten von „Beteiligungsrechten“ voraus. Nach § 2 Abs. 9 SEBG sind „Beteiligungsrechte“ die Rechte, die den Arbeitnehmern und ihren Vertretern im Bereich der Unterrichtung, Anhörung, Mitbestimmung und der sonstigen Beteiligung zustehen. Da die Entsendung externer Gewerkschaftsvertreter in das Unternehmensorgan nach überwiegender Auffassung bereits nicht zu den durch § 21 Abs. 6 S. 1 SEBG geschützten Komponenten der „Beteiligung der Arbeitnehmer“ (§ 2 Abs. 8 SEBG) zählt, ist auch das Recht oder die Pflicht nach § 7 Abs. 2 MitbestG, externe Gewerkschaftsvertreter als Arbeitnehmervertreter in das Unternehmensorgan zu wählen, kein geschützter Bestandteil der „Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 2 Abs. 9 SEBG. Im Übrigen führt der Ausschluss externer Gewerkschaftsvertreter zugunsten von Vertretern der Arbeitnehmer dazu, dass deren Mitbestimmungsrechte gestärkt werden.204 Das entspreche, so Forst, dem Zweck der SE-RL, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu erhalten und nicht die Macht der Gewerkschaften zu schützen.205 Zwar schützt die SE-RL auch Gewerkschaftsvertreter, indem die Mitgliedstaaten vorsehen können sollen, dass Gewerkschaftsvertreter Mitglieder eines bVG sein können, unabhängig davon, ob sie Arbeitnehmer einer der an der SEGründung beteiligten Gesellschaften sind oder nicht (ErwG 19 S. 1 SE-RL). Dieses Recht sollen die Mitgliedstaaten insbesondere in den Fällen vorsehen können, in denen Gewerkschaftsvertreter nach ihrem einzelstaatlichen Recht stimmberechtigte Mitglieder des Aufsichts- oder des Leitungsorgans sein dürfen (ErwG 19 S. 2 SE-RL). Die Mitgliedstaaten können gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. b) Unterabs. 2 SE-RL vorsehen, dass Gewerkschaftsvertreter dem bVG auch angehören können, wenn sie nicht Arbeitnehmer einer beteiligten Gesellschaft, einer betroffenen Tochtergesellschaft oder eines betroffenen Betriebs sind.206 Ferner können Gewerkschaftsvertreter nach Wahl des bVG als Sachverständige bei den Verhandlungen hinzugezogen werden, um das bVG bei seiner Arbeit zu unterstützen.207 Die SE-RL beschränkt die Einbein Bezug auf § 21 Abs. 6 S. 1 SEBG Forst Diss. 2010, S. 204. in Bezug auf § 21 Abs. 6 S. 1 SEBG Forst Diss. 2010, S. 204. 206 Dieses hat der deutsche Gesetzgeber mit § 6 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 SEBG umgesetzt. 207 Art. 3 Abs. 5 S. 1 SE-RL, § 14 Abs. 1 SEBG. 204 Vgl. 205 Vgl.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
ziehung externer Gewerkschaftsvertreter jedoch auf eine Beteiligung als Mitglied oder Sachverständiger des bVG. Eine zwingende Beteiligung als Mitglied im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan bezweckt die SE-RL hingegen nicht. Die Beschränkung auf eine Beteiligung im bVG gilt, wie sich aus ErwG 19 S. 2 SE-RL ergibt, auch, wenn Gewerkschaftsvertreter bislang nach einzelstaatlichen Vorschriften stimmberechtigte Mitglieder des Aufsichts- oder Leitungsorgans der beteiligten Gesellschaften sein durften. Mithin bezweckt die SE-RL einen Schutz bislang im Unternehmensorgan stimmberechtigter Gewerkschaftsvertreter nur insoweit, als diese Mitglieder oder Sachverständige des bVG sein können. Daher liegt in der Vereinbarung eines Ausschlusses externer Gewerkschaftsvertreter von der Mitgliedschaft im SE-Unternehmensorgan kein Entziehen von „Beteiligungsrechten“ der Arbeitnehmer, die i. S. d. allgemeinen Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG schutzwürdig sind. 3. Kein Missbrauch durch Wechsel vom Repräsentationszum Kooptationsmodell Die SE-Hauptversammlung bestellt nur die Vertreter der Anteilseigner im SE-Aufsichts- (vgl. Art. 40 Abs. 2 S. 1 SE-VO)208 oder Verwaltungsorgan (vgl. Art. 43 Abs. 3 S. 1 SE-VO). Im Falle einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer bleibt eine Regelung in einer Beteiligungsvereinbarung nach Art. 40 Abs. 2 S. 3 SE-VO oder Art. 43 Abs. 3 S. 3 SE-VO davon unberührt. Für die Vertretung der Arbeitnehmer im SE-Unternehmensorgan ist allein der Inhalt der Beteiligungsvereinbarung maßgeblich.209 Die Bestellung von Arbeitnehmervertretern richtet sich somit nach den in der Beteiligungsvereinbarung aufgestellten Grundsätzen.210 Zum Mindestinhalt der Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung zählt gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. g) SE-RL, § 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SEBG auch „das Verfahren, nach dem die Arbeitnehmer diese Mitglieder wählen oder bestellen oder deren Bestellung [sie] empfehlen oder ablehnen können“, mithin auch die Form der Mitbestimmung i. S. v. Art. 2 lit. k) SE-RL, § 2 Abs. 12 SEBG bei der Besetzung des SE-Unternehmensorgans.211 208 Schwarz
SE-Verordnung, Art. 40 SE-VO Rn 41. SE-Verordnung, Art. 40 SE-VO Rn 46. 210 Schwarz SE-Verordnung, Art. 40 SE-VO Rn 52; Heinze / Seifert / Teichmann BB 2005, 2524, 2525; a. A. Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 652; ferner Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 807: Entzogen sei den Parteien die Regelungskompetenz zur Bestellung der Arbeitnehmervertreter, Art. 40 Abs. 2 S. 3 SE-VO und Art. 43 Abs. 3 S. 3 SE-VO würden nur für die Gründung gelten. 211 Schwarz SE-Verordnung, Art. 40 SE-VO Rn 46. 209 Schwarz
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 421
Die Festlegung der Form der Mitbestimmung in der Beteiligungsvereinbarung lässt sich auf § 21 Abs. 3 S. 2. Nr. 2 SEBG stützen.212 Im Rahmen dieser Regelungskompetenz kommt ein Wechsel der Mitbestimmungsform in der SE-Beteiligungsvereinbarung gegenüber der Mitbestimmungsform in den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften in Betracht. a) Umwandlung mit Wechsel von einer zur anderen Mitbestimmungsform Ein Wechsel der Mitbestimmungsform ist denkbar bei Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) einer AG (Repräsentationsmodell) zu einer SE mit Kooptationsmodell (Fall 16 Var. 1).
Fall 16 Var. 1
Unterfiele eine Beteiligungsvereinbarung, die einen „echten“ Wechsel vom Repräsentationsprinzip in einer umzuwandelnden Gesellschaft zum Kooptationsprinzip in der durch Umwandlung gegründeten SE vorsieht (Fall 16 Var. 1), der Regelung des § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG, wäre der Abschluss einer solchen Beteiligungsvereinbarung nach § 15 Abs. 5 SEBG ausgeschlossen. Demnach müsste bei der SE-Gründung durch Umwandlung eine Beteiligungsvereinbarung stets eine Mitbestimmung nach dem Repräsentationsmodell vorsehen, wenn die umzuwandelnde Aktiengesellschaft nationalen Rechts – wie die AG in Fall 16 Var. 1 – nach dem Repräsentationsmodell mitbestimmt war.
212 Vgl. zur Vereinbarkeit eines bloßen Empfehlungsrechts statt eines direkten Wahlrechts im Rahmen von § 21 Abs. 3 Nr. 2 SEBG: Scheibe Diss. 2007, S. 128 (für die Mitglieder des SE-Verwaltungsrats); Hoops Diss. 2009, S. 145; Feuerborn in: KK-AktG § 21 SEBG Rn 56.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
In Fall 16 Var. 1 kann die Frage, ob in diesem Fall eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG vorliegt, dahinstehen. Die Vorgabe, das Repräsentationsmodell in der Beteiligungsvereinbarung für eine durch Umwandlung gegründete SE fortzuführen, ergibt sich bereits aus § 21 Abs. 6 S. 1 SEBG. Danach muss in der Vereinbarung im Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE in Bezug auf alle Komponenten zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet werden, das in der Gesellschaft besteht, die in eine SE umgewandelt werden soll. Zu diesen Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zählt im Bereich der Mitbestimmung die Form der Mitbestimmung entweder nach dem Repräsentationsprinzip (§ 2 Abs. 12 Nr. 1 SEBG) oder nach dem Kooptationsprinzip (§ 2 Abs. 12 Nr. 2 SEBG). Demzufolge ist das in einer umzuwandelnden Gesellschaft bislang verfolgte Mitbestimmungsmodell auf eine Beteiligungsvereinbarung in der SE zu übertragen. Zudem bleibt im Rahmen der Mitbestimmung kraft Gesetzes die „Regelung zur Mitbestimmung“ erhalten, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat (§ 35 Abs. 1 SEBG). Dabei steht die Form der Mitbestimmung nicht zur Disposition der Verhandlungspartner. § 35 Abs. 1 SEBG beschränkt die Entscheidungsmöglichkeit des bVG insoweit ausdrücklich auf die Fälle der SE-Gründung durch Verschmelzung, als Holding- oder als Tochter-SE. Ein Wechsel zwischen den Formen der Mitbestimmung kommt daher bei der Mitbestimmung kraft Gesetzes nicht in Betracht. Ein Beschluss des bVG i. S. v. § 34 Abs. 2 S. 1 SEBG ist allein vom bVG ohne Mitwirkung der Leitungen der beteiligten Gesellschaften zu treffen.213 Ein entsprechender Beschluss über die Wahl der anwendbaren Mitbestimmungsform in einer kraft Gesetzes mitbestimmten, durch Umwandlung gegründeten SE würde somit keine Gefahr für bestehende Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer darstellen. Dennoch sehen weder die SE-RL noch das SEBG eine entsprechende Entscheidungskompetenz des bVG vor. Daher ist eine von der bisherigen Mitbestimmungsform abweichende Festlegung in einer Beteiligungsvereinbarung auch ausgeschlossen, wenn das bVG und die Leitung der umzuwandelnden Gesellschaft eine solche Festlegung gemeinsam in der Beteiligungsvereinbarung treffen. Mithin steht § 21 Abs. 6 SEBG einem Wechsel der bisherigen Mitbestimmungsform in der Beteiligungsvereinbarung für eine durch Umwandlung gegründete SE entgegen. Eines Rückgriffs auf § 43 S. 1 SEBG bedarf es daher nicht.
213 Jacobs in: MüKo-AktG § 34 SEBG Rn 17; Feuerborn in: KK-AktG § 34 SEBG Rn 37.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 423
b) Verschmelzung mit Festlegung einer bestimmten Mitbestimmungsform In Fall 16 Var. 2 gründet eine AG, bei der die Arbeitnehmer bislang die auf die Arbeitnehmer entfallenden Sitze im drittelbeteiligten Aufsichtsrat gem. § 5 DrittelbetG wählen („Repräsentationsprinzip“), gemeinsam mit einer nach dem Kooptationsprinzip mitbestimmten Aktiengesellschaft eine SE, bei der in einer Beteiligungsvereinbarung eine Mitbestimmung nach dem Kooptationsprinzip festgeschrieben wird.214
Fall 16 Var. 2
Fraglich ist, ob der Entscheidung für eine bestimmte Mitbestimmungsform Grenzen durch das Missbrauchsverbot gesetzt sind. Ein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG setzt voraus, dass Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden. Ungeachtet dessen, ob bei der Auslegung der Merkmale „entziehen oder vorenthalten“ ein rein quantitativer Maßstab anzulegen oder eine qualitative Betrachtungsweise zulässig ist,215 liegt aufgrund der gemeinsamen Festlegung der Mitbestimmungsform in der Beteiligungsvereinbarung jedenfalls kein unfreiwilliges Entziehen 214 Dieser Fall kann derzeit jedoch nur theoretisch eintreten, da aktuell kein Mitgliedstaat eine Mitbestimmung nach dem Kooptationsprinzip für nationale Aktiengesellschaften vorsieht, vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 2 SEBG Rn 21; Feuerborn in: KK-AktG § 2 SEBG Rn 43, § 15 SEBG Rn 28; vgl. auch bereits oben unter § 5 A. III. 2. a) bb); vgl. für eine Fallgestaltung unter Einbeziehung einer niederländischen Aktiengesellschaft (N.V.) noch unter Geltung des in den Niederlanden inzwischen aufgegebenen Kooptationsmodells: Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 784. 215 Dazu bereits oben unter § 3 C. II. 1. c).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
oder Vorenthalten von Mitbestimmungsrechten vor. Es bedarf stets eines Beschlusses des bVG, mit dem es dem Inhalt der Beteiligungsvereinbarung zustimmt – ob mit der besonders qualifizierten Mehrheit des § 15 Abs. 3 S. 1 SEBG bei Bejahung einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG, oder, bei deren Verneinung, mit der Mehrheit des § 15 Abs. 2 S. 1 SEBG. Mithin verstößt eine Beteiligungsvereinbarung, die mit Zustimmung des bVG eine von einer beteiligten Gesellschaften abweichende Mitbestimmungsform festlegt (Fall 16 Var. 2), nicht gegen das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG. 4. Kein Missbrauch durch Vereinbarung einer Einschränkung des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan In einem paritätisch mitbestimmten AG-Aufsichtsrat zählen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter genauso stark wie die Stimmen der Anteilseignervertreter (vgl. § 29 Abs. 1 MitbestG). Die Einräumung unterschiedlicher Zustimmungsbefugnisse an einzelne Mitglieder ist unzulässig.216 Sind auf eine SE die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes (§§ 34 ff. SEBG) anwendbar, bestimmt § 38 Abs. 1 SEBG die Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan. Danach haben sie die gleichen Rechte und Pflichten wie die Mitglieder, welche die Anteilseigner vertreten. Nach der Auffangregelung ist somit eine Differenzierung hinsichtlich des Stimmrechts untersagt.217 Demgegenüber ist Fall 17 denkbar, in dem in einer SE-Beteiligungsvereinbarung das Stimmrecht der Arbeitnehmervertreter gegenüber dem der Anteilseignervertreter eingeschränkt oder ausgeschlossen wird:218 Insbesondere die Leitungen beteiligter Gesellschaften, die dualistisch verfasst und paritätisch mitbestimmt sind, werden im Verhandlungsverfahren auf eine Beschränkung des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter drängen, wenn die Gründung einer monistisch verfassten SE angestrebt wird.219 Hin216 Habersack
in: Ulmer / Habersack / Henssler § 29 MitbestG Rn 8. BB 2004, 53, 57; Kämmerer / Veil ZIP 2005, 369, 375; Braun Diss. 2005, S. 102. 218 Vgl. Scheibe Diss. 2007, S. 130 ff.; Hoops Diss. 2009, S. 154 ff.; zu einem satzungsmäßigen Stimmrechtsauschluss von Arbeitnehmervertretern bei Entscheidungen, welche die Leitung des Unternehmens betreffen: Bachmann ZGR 2008, 779, 802 f. 219 Vgl. Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 808; Hoops Diss. 2009, S. 154; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19b. 217 Teichmann
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 425
Fall 17
tergrund für eine solche Begrenzung des Einflusses der Arbeitnehmervertreter im SE-Verwaltungsorgan ist, dass die Kompetenzen des SE-Verwaltungsorgans sich im Unterschied zu einer dualistisch verfassten Gesellschaft – mit einem Aufsichtsrat und einem Vorstand – nicht nur auf Überwachungs- und Kontrollaufgaben eines Aufsichtsrats beschränken, sondern mangels eines weiteren Unternehmensorgans – von den „geschäftsführenden Direktoren“ (Art. 43 Abs. 1 S. 2 SE-VO, § 40 SEAG) abgesehen – auch auf Geschäftsführungsaufgaben erstrecken, für die sonst der Vorstand zuständig ist.220 Der Wortlaut des § 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SEBG, wonach in der Beteiligungsvereinbarung hinsichtlich der Mitbestimmung die Rechte der von den Arbeitnehmern gewählten, bestellten oder empfohlenen Mitglieder vereinbart werden sollen, steht einer das Stimmrecht einschränkenden oder ausschließenden Regelung nicht entgegen.221 Auch liegt in einem Ausschluss oder einer Einschränkung des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter keine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG, da der Anteil der Arbeitnehmervertreter im Unternehmensorgan unberührt bleibt.222 Indes könnte eine „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG vorliegen. Allerdings steht den Arbeitnehmern nach der Beteiligungsvereinbarung – trotz der Vereinbarung der Einschränkung oder des Ausschlusses des Stimmrechts – formal weiter das Recht zu, Mit220 Vgl. Kallmeyer ZIP 2003, 1531, 1535; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 808; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19b. 221 Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 808; Hoops Diss. 2009, S. 156; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19b; vgl. auch Scheibe Diss. 2007, S. 131. 222 Für Art. 3 Abs. 4 SE-RL auch Kallmeyer ZIP 2003, 1531, 1535.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
glieder des SE-Verwaltungsorgans zu bestellen oder zu empfehlen oder abzulehnen. Eine Beseitigung oder Einschränkung des Verfahrens der Bestellung oder Empfehlung oder Ablehnung von Mitgliedern ist nicht festzustellen. Mithin liegt auch keine Minderung der Mitbestimmungsrechte i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG vor. Indes könnte der Vereinbarung einer Einschränkung oder eines Ausschlusses von Stimmrechten der Arbeitnehmervertreter die Grenze des Missbrauchs der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG entgegenstehen. Zwar gewährt die Beteiligungsvereinbarung den Arbeitnehmern formal das Recht, Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans zu wählen oder zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen. Damit ist, wie gesehen, keine „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ i. S. v. § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG verbunden. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Stimmrechts führt jedoch bei materieller Betrachtung zu einer Einschränkung oder zu einer Beseitigung des Rechts zur Wahl oder Bestellung, Empfehlung oder Ablehnung eines Teils der Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans. Hierfür spricht, dass die Regierungsbegründung hinsichtlich § 15 Abs. 4 Nr. 2 SEBG ausdrücklich darauf hinweist, die Definition der „Mitbestimmung“ in § 2 Abs. 12 SEBG oder Art. 2 lit. k) SE-RL aufzugreifen.223 Danach bedeutet Mitbestimmung „die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft“ durch die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans zu wählen oder zu bestellen, zu empfehlen oder abzulehnen. Wird den Arbeitnehmern in einer Beteiligungsvereinbarung zwar formal ein entsprechendes Recht eingeräumt, sind die von ihnen gewählten oder bestellten oder empfohlenen Mitglieder des SE-Verwaltungsorgans jedoch aufgrund einer Beschränkung oder eines Ausschlusses ihres Stimmrechts tatsächlich nicht in der Lage, i. S. v. § 2 Abs. 12 SEBG Einfluss auf die Angelegenheiten der Gesellschaft zu nehmen, liegt ein qualitatives Defizit an Mitbestimmungsrechten vor. Eine Einschränkung oder ein Ausschluss des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter stehen im Widerspruch zum Zweck der SE-RL, wonach bestehende Mitbestimmungsrechte auch nach der SE-Gründung erhalten bleiben sollten (vgl. ErwG 7 SE-RL) und die vor der SE-Gründung bestehenden Rechte der Arbeitnehmer Ausgangspunkt auch für die Gestaltung ihrer Beteiligungsrechte in der SE (Vorher-Nachher-Prinzip) sein sollten (vgl. ErwG 18 S. 2 SE-RL). Indes liegt kein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vor, da zum Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung, welche die Stimmrechte der Arbeitnehmervertreter im SE-Verwaltungsorgan einschränkt oder ausschließt, gem. § 15 Abs. 2 SEBG ein Mehrheitsbeschluss des bVG 223 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 15 SEBG, S. 50.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 427
erforderlich ist. Ohne die Zustimmung des bVG können die Leitungen der beteiligten Gesellschaften eine entsprechende Beteiligungsvereinbarung nicht abschließen. Das gilt umso mehr, als nach der unter den Voraussetzungen des § 34 SEBG anwendbaren Mitbestimmung kraft Gesetzes die Arbeitnehmervertreter gem. § 38 Abs. 1 SEBG die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Mitglieder, welche die Anteilseigner vertreten. Davon ist auch das Stimmrecht erfasst: § 38 Abs. 1 SEBG setzt Teil 3 lit. b) Abs. 4 SE-RL um, wonach „alle […] Mitglieder des Verwaltungsorgans oder gegebenenfalls des Aufsichtsorgans der SE […] vollberechtigte Mitglieder des jeweiligen Organs mit denselben Rechten (einschließlich des Stimmrechts) und denselben Pflichten wie die Mitglieder, die die Anteilseigner vertreten“, sind. Im Umkehrschluss folgt aus diesen Bestimmungen, dass mangels einer entsprechenden Vorgabe für die Regelung der Rechtsstellung der Arbeitnehmervertreter in einer Beteiligungsvereinbarung insoweit Vereinbarungsautonomie besteht.224 Insofern liegt in der Vereinbarung einer Einschränkung oder eines Ausschlusses des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter im Rahmen einer Beteiligungsvereinbarung ein freiwilliger Verzicht und kein unfreiwilliges „Entziehen“ von Beteiligungsrechten.225 Das entspricht auch dem Zweck der SE-RL, dass Mitbestimmungsrechte durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben, „es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen“226. Mithin liegt in der mit Zustimmung des bVG abgeschlossenen Vereinbarung einer Einschränkung oder eines Ausschlusses des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter im SE-Verwaltungsorgan kein Missbrauch der SERechtsform.227
224 Vgl. Scheibe Diss. 2007, S. 132; ferner Hoops Diss. 2009, S. 156, wonach der Grundsatz der Gleichberechtigung aller Aufsichts- oder Verwaltungsratsmitglieder zwar im Rahmen der Mitbestimmung kraft Gesetzes zwingend Geltung beanspruche, nicht aber der Vereinbarungsautonomie Grenzen setze. 225 Vgl. oben unter § 3 C. II. 1. c). 226 ErwG 7 letzter Hs. SE-RL. 227 Indes verstößt die Vereinbarung einer Einschränkung oder eines Ausschlusses des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter nach überwiegender Auffassung gegen das Verbot einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan, vgl. Teichmann BB 2004, 53, 57; Seibt AG 2005, 413, 423; Oetker in FS Konzen 2006, S. 635, 653; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 808; Feuerborn in: KK-AktG § 21 SEBG Rn 59; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19b, § 38 SEBG Rn 2 („§ 38 Abs. 1 ist nicht abdingbar.“); a. A. jeweils mit Einschränkungen Kallmeyer ZIP 2004, 1442, 1444; Scheibe Diss. 2007, S. 138; Hoops Diss. 2009, S. 156.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
E. Missbrauch im Hinblick auf die gesetzliche Auffangregelung Hinsichtlich der gesetzlichen Auffangregelung könnten die Voraussetzungen für die Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG (dazu sogleich unter I.) und § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG (II.) sowie der durch § 35 Abs. 1 SEBG bestimmte Umfang an Mitbestimmung kraft Gesetzes (III.) umgangen werden. I. Missbrauch durch Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG Ein Missbrauch der SE-Rechtsform mittels Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG228 kommt in Betracht, wenn die Arbeitnehmerzahl in der umzuwandelnden Gesellschaft kurz vor der Umwandlung in die SE verringert und kurz nach ihrer Gründung wieder erhöht wird (im Folgenden unter 1.). Ferner ist ein Missbrauch der SE-Rechtsform durch eine Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG mittels einer sogenannten „verdeckten Umwandlung“ denkbar (dazu unter 2.). 1. Kurzfristige Absenkung der Arbeitnehmerzahl in der beteiligten Gesellschaft mit anschließender Anhebung der Arbeitnehmerzahl in der SE Ein Missbrauch der SE-Rechtsform kommt in Betracht, wenn vor Gründung einer SE Maßnahmen in einer beteiligten Gesellschaft durchgeführt werden, welche die Voraussetzungen für eine Mitbestimmung der Arbeitnehmer bereits im Aufsichtsrat einer beteiligten Gesellschaft entfallen lassen, um ein bisheriges Mitbestimmungsniveau in Höhe von Null künftig in der SE fortzuführen und den Effekt des „Einfrierens“229 der Mitbestimmung in der SE zu nutzen. Fall 18: Der Aufsichtsrat einer AG mit in der Regel knapp über 500 beschäftigten Arbeitnehmern unterliegt der Drittelbeteiligung nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG. Das Unternehmen verringert in einem ersten Schritt die Zahl der Arbeitnehmer durch Entlassungen230 oder durch Still228 Zur Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG noch unter § 8 E. II. 229 Zu diesem Begriff vgl. bereits oben unter § 8 A. II. 230 Vgl. das Beispiel von Sagan EBLR 2010, 15, 38.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 429
Fall 18 Abb. 1
legung einer Betriebsstätte231. Mit dem Unterschreiten der Schwelle von „in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern“ entfällt die Voraussetzung für eine Drittelbeteiligung des Aufsichtsrats (§ 1 Abs. 1 DrittelbetG):232 In einem zweiten Schritt wechselt die AG nunmehr durch Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SEVO) in die Rechtsform der SE:
Fall 18 Abb. 2 231 Vgl. das Beispiel von Sagan in: Bieder / Hartmann, S. 204: Eine paritätisch mitbestimmte Aktiengesellschaft schließt vorübergehend einen Standort, um die Anwendung des DrittelbetG herbeizuführen, wird daraufhin in eine kraft Gesetzes drittelparitätisch mitbestimmte SE umgewandelt und nimmt anschließend die Tätigkeit an dem zuvor stillgelegten Standort wieder auf. 232 So für § 1 MitbestG: Koberski in: Wlotzke / Wißmann / Koberski / Kleinsorge § 1 MitbestG Rn 39; bevor der Aufsichtsrat neu zusammengesetzt werden kann – ohne Arbeitnehmervertreter – ist ein Statusverfahren nach § 96 ff. AktG durchzuführen; vgl. dazu Habersack in: MüKo-AktG § 96 AktG Rn 34.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 18 Abb. 3
Da die Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG voraussetzt, dass „in der Gesellschaft vor der Umwandlung Bestimmungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan galten“, bliebe die SE mangels Mitbestimmung im AG-Aufsichtsrat im Falle des Scheiterns der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung mitbestimmungslos. Dadurch befindet sich das bVG in einer schwachen Verhandlungsposition für die Durchsetzung einer Beteiligungsvereinbarung, welche eine Mitbestimmung in der SE vorsieht. Das bVG wird daher mangels Druckmittels wegen der fehlenden Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes mit einer Forderung nach einer Mitbestimmung im SE-Unternehmensorgan – etwa in Form einer Drittelbeteiligung – höchstwahrscheinlich scheitern. Nach Gründung der SE erhöht das Unternehmen in einem dritten Schritt die Zahl der Arbeitnehmer durch Neueinstellungen oder durch Wiederaufnahme des zuvor stillgelegten Betriebs. Da es hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Mitbestimmung kraft Gesetzes (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG) auf deren Vorliegen bei Gründung der SE ankommt, ändert die Erhöhung der Arbeitnehmerzahl nach der SE-Gründung nichts, sodass die SE mangels Beteiligungsvereinbarung über eine Mitbestimmung weiterhin mitbestimmungsfrei bleibt: Nach Sagan kommt in diesem Fall eine Anwendung von Art. 11 SE-RL233 oder § 43 S. 1 SEBG234 in Betracht. Deren Anwendung hänge jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab. Insbesondere komme es darauf an, ob die Maßnahme der Arbeitgeberseite durch vernünftige wirtschaftliche Grün233 Sagan 234 Sagan
EBLR 2010, 15, 38. in: Bieder / Hartmann, S. 204.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 431
de gerechtfertigt war oder hauptsächlich dazu diente, den Arbeitnehmern ihre Mitbestimmungsrechte zu entziehen.235 Richtigerweise ist zu unterscheiden: Die Verringerung der Arbeitnehmerzahl in der beteiligten Gesellschaft unter den Schwellenwert des § 1 Abs. 1 DrittelbetG vor Aufnahme des Verhandlungsverfahrens im ersten Schritt führt zwar zu einem Verlust von Beteiligungsrechten der in der beteiligten Gesellschaft weiterhin beschäftigten Arbeitnehmer. Da der Verlust der Drittelbeteiligung allein auf den Entlassungen oder der Betriebsstilllegung bereits in der umzuwandelnden Gesellschaft beruht, wird die anschließende Gründung der SE im zweiten Schritt nicht mehr kausal für ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten. Daher begründen weder die Maßnahme zur Arbeitnehmerzahlsenkung in der umzuwandelnden Gesellschaft (Schritt 1) noch die SE-Gründung (Schritt 2) isoliert betrachtet einen Missbrauch der SERechtsform. Auch die nachträgliche Einstellung236 von Arbeitnehmern (Schritt 3) führt für sich genommen nicht zu einem Missbrauch der SERechtsform. Ein Missbrauch der SE-Rechtsform kommt in Betracht, wenn nach, aber in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der SE-Gründung so viele Arbeitnehmer eingestellt werden, dass – im Vergleich mit dem Zeitpunkt der Beendigung des Verhandlungsverfahrens – die Verhandlungssituation des bVG dadurch stärker gewesen wäre, dass im Falle des Scheiterns der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung die Mitbestimmung kraft Gesetzes anwendbar gewesen wäre. Die enge zeitliche Verknüpfung der drei Maßnahmen kann einen Missbrauch der SE begründen. Mangels einer entsprechenden Vorgabe in Art. 11 SE-RL steht den Mitgliedstaaten ein Spielraum hinsichtlich der Bestimmung eines insoweit maßgeblichen zeitlichen Zusammenhangs zu. Diesen konkretisieren einige mitgliedstaatliche Missbrauchsvorschriften auf ein237 oder zwei238 Jahre. Nach der deutschen Gesetzgebungskonzeption zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL wird ein Missbrauch nach § 43 S. 2 SEBG vermutet, wenn in der Maßnahme nach Gründung der SE – hier Schritt 3 – zugleich eine „strukturelle Änderung“ der SE liegt, diese ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach der SE-Gründung 235 Sagan
in: Bieder / Hartmann, S. 204. streitigen Frage, ob ein Anstieg der Arbeitnehmerzahl durch Neueinstellungen nach Gründung der SE für sich genommen eine „strukturelle Änderung“ darstellt, noch unter § 9 A. I. 237 § 43 S. 2 SEBG; § 229 Abs. 2 ArbVG-Österreich; Art. 67 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Schweden; Art. 26 Umsetzungsgesetz-Spanien; Art. 21 Abs. 2 Umsetzungsgesetz-Liechtenstein. 238 § 44 Abs. 1 S. 1 Umsetzungsgesetz-Dänemark. 236 Zur
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
stattfindet und bewirkt, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Demnach spielt die Maßnahme in Schritt 1 für den Vermutungstatbestand nur insofern eine Rolle, als das Entziehen oder das Vorenthalten von Beteiligungsrechten in der späteren SE vorbereitet wird. Ein vermuteter Missbrauch der SE-Rechtsform kommt erst im Falle der tatsächlichen Durchführung von Schritt 3 innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE in Betracht. Durch die enge zeitliche Verknüpfung der Maßnahmen in den Schritten 1 bis 3 werden den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen. Der von ErwG 8 SE-RL sowie Teil 3 lit. a) S. 2, lit. b) SE-RL, und § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG bezweckte Mindestschutz im Falle des Fehlens einer Vereinbarung durch die subsidiären Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes wird umgangen, wenn ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG nicht stattgefunden hat. Wären die Verhandlungen nach dieser Vorschrift wieder aufgenommen worden, hätten die Arbeitnehmer bei den Verhandlungen die Mitbestimmung kraft Gesetzes vor Eintragung der SE – hier eine Drittelbeteiligung – als Druckmittel in der Hand gehabt. Die Kombination der Maßnahmen in den Schritten 1 bis 3 ist daher objektiv zweckwidrig und begründet bei Durchführung innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE die Vermutung eines Missbrauchs der SERechtsform nach § 43 S. 2 SEBG. Außerhalb des auf ein Jahr nach der SE-Gründung zeitlich begrenzten Anwendungsbereichs der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG239 kommt ein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG in Betracht, wenn die neu zur SE hinzukommenden Arbeitnehmer zuvor bei einer an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaft angestellt waren. Bei einem Vorher-Nachher-Vergleich liegt ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten vor, wenn den zuvor bei einer beteiligten Gesellschaft beschäftigten Arbeitnehmern dort ein höheres Mitbestimmungsniveau zustand als nach ihrer Wiedereinstellung in der SE. Einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründet diese Gestaltung, wenn in der Beendigung von Arbeitsverhältnissen in einer an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaft und der Begründung von Arbeitsverhältnissen in der SE eine objektiv zweckwidrige Gestaltung zu sehen ist.240 Das ist der Fall, wenn zwischen der Beendigung der früheren und der Begründung der neuen Arbeitsverhältnisse mit denselben Arbeitnehmern aufgrund der früheren Arbeitsbeziehung ein Zusammenhang besteht und darin eine kollektive Maßnahme zum Nachteil von Beteiligungsrechten der früher bei einer Gründungsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmern zu sehen ist. 239 Vgl.
oben unter § 5 B. II. 1. b). Voraussetzung der „objektiven Zweckwidrigkeit“ oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2). 240 Zur
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 433
2. „Verdeckte Umwandlung“ Eine „verdeckte Umwandlung“ ist denkbar, indem zunächst eine HoldingSE durch zum Teil drittelbeteiligte Konzerntöchter gegründet wird und anschließend eine paritätisch mitbestimmte Konzernmutter-AG auf die Holding-SE verschmolzen wird, anstatt die paritätisch mitbestimmte Konzernmutter-AG in eine SE umzuwandeln. Dieses Vorgehen kann eine missbräuchliche Umgehung von § 15 Abs. 5 SEBG zulasten des paritätischen Mitbestimmungsrechts der Arbeitnehmer der Muttergesellschaft darstellen, wenn eine Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung ohne Berücksichtigung der bestehenden Beteiligungsrechte geschlossen wird (vgl. Fall 12 Var. 2).241 Scheitern indes die Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung, könnte eine Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SEBG für die Mitbestimmung kraft Gesetzes vorliegen. In Fall 19 Var. 1 wird die mitbestimmte Mutter-AG in eine SE umgewandelt. Scheitern die Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung hinsichtlich der Mitbestimmung, greift gem. § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG die Mitbestimmung kraft Gesetzes.
Fall 19 Var. 1
Wird statt der Umwandlung der Mutter-AG in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO, Fall 19 Var. 1) eine „verdeckte Umwandlung“ durch Holding-SEGründung (Art. 2 Abs. 2 SE-VO) der Konzern-Tochtergesellschaften mit anschließender Verschmelzung der Mutter-AG auf die Holding-SE durchgeführt (Fall 19 Var. 2), wird im Ergebnis die gleiche gesellschaftsrechtliche Struktur wie in Fall 19 Var. 1 erreicht. Jedoch findet bei Scheitern der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung hinsichtlich der Mitbe241 Vgl.
oben unter § 8 D. I. 2. b) bb).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 19 Var. 2
stimmung in der SE eine Mitbestimmung kraft Gesetzes nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 3 SEBG statt. An den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 3 SEBG kann es zum einen bereits fehlen, wenn die Tochtergesellschaften sämtlich mitbestimmungslos waren (vgl. Fall 19 Var. 2). Zum anderen ist § 34 Abs. 1 Nr. 3 SEBG nicht erfüllt, wenn sich die Mitbestimmung auf weniger als 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften erstreckte und das bVG einen Beschluss nach § 34 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) SEBG nicht gefasst hat. Für die Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes in der Holding-SE kommt es jedenfalls nicht auf die Mitbestimmung in der Mutter-AG an, die jedoch im Fall der SE-Gründung durch Umwandlung (Fall 19 Var. 1) gem. § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG für die Mitbestimmung kraft Gesetzes in der SE maßgeblich gewesen wäre. Sind etwa die Tochtergesellschaften wie in Fall 19 Var. 2 nicht mitbestimmt, wird die Holding-SE im Falle des Scheiterns der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung hinsichtlich der Mitbestimmung ohne Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes gegründet. Wird die Mutter-AG nach Gründung der Holding-SE, aber in engem zeitlichen Zusammenhang mit dieser Gründung auf die Holding-SE verschmolzen, wird den Arbeitnehmern der Mutter-AG ihr paritätisches Mitbestimmungsrecht dadurch entzogen, dass dieses bei der Verschmelzung auf die mitbestimmungsfreie SE erlischt. Da das paritätische Mitbestimmungsrecht im Falle der SE-Gründung durch Umwandlung nach §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 SEBG auf die SE übertragen worden wäre, liegt eine Umgehung von § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG vor. Die „verdeckte Umwandlung“ widerspricht dem von ErwG 8 SE-RL sowie Teil 3 lit. a) S. 1 SE-RL und § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG bezweckten Mindestschutz im Falle des Fehlens einer Vereinbarung durch die subsidiären Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 435
sowie dem besonderen Schutz der Beteiligungsrechte bei der Umwandlungsgründung (vgl. ErwG 10 S. 2 SE-RL). Mithin liegt in der Umgehung der Voraussetzungen nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG in Fall 19 Var. 2 ein Missbrauch der SE-Rechtsform. Nach der Konzeption des deutschen Gesetzgebers ist die spätere Verschmelzung auf die gegründete Holding-SE eine „strukturelle Änderung“ der SE i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG. Diese ist wegen des Verlusts des paritätischen Mitbestimmungsrechts im Mutter-AG-Aufsichtsrat gegenüber dem Mitbestimmungsrecht auf Drittelbeteiligung im SE-Unternehmensorgan auch i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG geeignet, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. Dementsprechend finden auf Veranlassung der Leitung der Holding-SE oder des bei der Holding-SE gebildeten SE-Betriebsrats Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE statt. Statt der Bildung eines neuen bVG können die Verhandlungen einvernehmlich zwischen der Holding-SE-Leitung und dem SE-Betriebsrat – gemeinsam mit Vertretern der Mutter-AG-Arbeitnehmer, welche bislang nicht von dem SE-Betriebsrat vertreten wurden – geführt werden (vgl. § 18 Abs. 3 S. 2 SEBG). Wird das Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG nicht durchgeführt und findet die Verschmelzung der Mutter-AG auf die Holding-SE innerhalb eines Jahres nach Gründung der Holding-SE statt, wird nach § 43 S. 2 SEBG ein Missbrauch der SE vermutet, da die Verschmelzung bewirkt, dass den AG-Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen werden, indem ihr paritätisches Mitbestimmungsrecht im Mutter-AG-Aufsichtsrat in der Holding-SE ersatzlos entfällt. Wie bei Fall 10 Var. 2242 gilt, dass die Lösung des deutschen Gesetzgebers, wonach die Nichtdurchführung der Aufnahme von Verhandlungen in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG unter den weiteren Voraussetzungen des § 43 S. 2 SEBG einen Missbrauch der SE-Rechtsform begründet, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der früheren Mutter-AG in Fall 19 Var. 2 unzureichend vor einem Missbrauch der SE i. S. v. Art. 11 SE-RL schützt. Selbst wenn die Leitung der Holding-SE ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG durchführte, verhinderte dies nicht hinreichend das Entziehen von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der früheren Mutter-AG. Der Umfang der im Falle des Scheiterns der Neuverhandlungen greifenden Mitbestimmung kraft Gesetzes ginge nicht über den Umfang der bereits geltenden Drittelbeteiligung im SE-Unternehmensorgan hinaus. Mithin bedarf es in Fall 19 Var. 2 eines Rückgriffs auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG.243 Daher ist ab der Verschmelzung 242 Vgl.
oben unter § 8 D. I. 1. für die Umgehung der Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG oben unter § 8 D. I. 1. b). 243 Vgl.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
der paritätisch mitbestimmten früheren Mutter-AG auf die Holding-SE die Mitbestimmung kraft Gesetzes anzuwenden, die anwendbar gewesen wäre, wenn § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG nicht durch die „verdeckte Umwandlung“ umgangen worden wäre. Folglich haben die Arbeitnehmer der SE das Recht, die Hälfte der Mitglieder des SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen.244 II. Missbrauch durch Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG Für die SE-Gründung durch Verschmelzung könnten zunächst nur solche Gesellschaften als „beteiligte Gesellschaften“ gewählt werden, in denen keine Form der Mitbestimmung besteht (im Folgenden unter 1.). Denkbar ist auch, dass zunächst nur solche Gesellschaften gewählt werden, in denen zwar eine Form der Mitbestimmung besteht, aber der erforderliche Schwellenwert von 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer nicht erreicht wird (unter 2.). Werden jeweils weitere mitbestimmte Gesellschaften erst nach der SE-Gründung auf die gegründete SE übertragen, kommt ein Missbrauch der SE-Rechtsform durch Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG245 in Betracht. 1. SE-Gründung mit ausschließlich mitbestimmungslosen ründungsgesellschaften und anschließender Verschmelzung G mitbestimmter Gesellschaften auf die mitbestimmungslose SE In Fall 20 beschäftigt eine Mutter-AG 5.000 Arbeitnehmer, die im AGAufsichtsrat ein paritätisches Mitbestimmungsrecht nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 MitbestG haben. Eine Tochter-AG beschäftigt weitere 300 Arbeitnehmer. Die Mutter-AG erwägt eine SE-Gründung gemeinsam mit einer mitbestimmungslosen plc. mit 500 Arbeitnehmern. Im Fall einer Verschmelzung (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) der plc. mit der Mutter-AG (Fall 20 Var. 1) ist im Falle des Scheiterns einer Beteiligungsvereinbarung gem. § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG die Mitbestimmung kraft Gesetzes auf die SE anzuwenden, da vor der Eintragung der SE in der Mutter-AG mit der paritätischen Mitbestimmung des AG-Aufsichtsrats eine Form der Mitbestimmung i. S. v. § 2 Abs. 12 Nr. 1 SEBG bestand und sich 244 Zum Umfang der Mitbestimmung kraft Gesetzes bei Umgehung des § 35 Abs. 1 SEBG im Falle einer „verdeckten“ Umwandlung noch unter § 8 E. III. 245 Zur Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG vgl. soeben unter § 8 E. I.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 437
Fall 20 Var. 1
auf 5.000 von insgesamt 5.800, mithin auf mehr als 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften erstreckte. Mithin steht den SE-Arbeitnehmern nach § 35 Abs. 2 SEBG ein Mitbestimmungsrecht dergestalt zu, dass sie die Hälfte der Mitglieder des SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgans wählen. Demgegenüber ist folgende Gestaltung denkbar:
Fall 20 Var. 2
Statt der Mutter-AG mit 5.000 Arbeitnehmern wird in Fall 20 Var. 2 in einem ersten Schritt die Tochter-AG mit 300 Arbeitnehmern gemeinsam mit der plc. mit 500 Arbeitnehmern zu einer SE verschmolzen (Art. 2 Abs. 3 SEVO). Bei dieser Gestaltung der SE-Gründung sind im Falle des Scheiterns der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung die Voraussetzungen
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG für eine Mitbestimmung kraft Gesetzes nicht erfüllt. In den in Fall 20 Var. 2 an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften – der Tochter-AG und der plc. – bestand keine Form der Mitbestimmung. Demzufolge greift in der SE keine Mitbestimmung kraft Gesetzes. In einem zweiten Schritt wird erst nach, aber innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs von einem Jahr seit der SE-Gründung, die ehemals als Mutter-Gesellschaft fungierende AG mit 5.000 Arbeitnehmern auf die mitbestimmungsfrei gegründete SE verschmolzen. Auf diese Weise wird mit der Gestaltung in Fall 20 Var. 2 fast die gleiche gesellschaftsrechtliche Struktur erreicht wie in Var. 1. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die ehemalige Tochter-AG in Var. 1 als „betroffene Tochtergesellschaft“ (§ 2 Abs. 4 SEBG) eine Tochtergesellschaft der SE bleibt, während sie in Var. 2 als „beteiligte Gesellschaft“ (§ 2 Abs. 2 SEBG) in der SE aufgeht. Mitbestimmungsrechtlich ergibt sich jedoch eine erhebliche Differenz: Die Arbeitnehmer der SE – und damit auch die Arbeitnehmer der früheren, paritätisch mitbestimmten Mutter-AG – haben nur in Var. 1, nicht in Var. 2 ein Mitbestimmungsrecht kraft Gesetzes in der SE. Mithin werden den Arbeitnehmern der früheren Mutter-AG mit 5.000 Arbeitnehmern in der Fallgestaltung in Var. 2 Beteiligungsrechte entzogen, da ihr Recht auf paritätische Mitbestimmung im Mutter-AG-Aufsichtsrat im Zeitpunkt der Verschmelzung der Mutter-AG auf die mitbestimmungsfrei gegründete SE (Schritt 2) untergeht, während ihnen dieses Recht nach §§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 35 Abs. 2 Var. 1 SEBG erhalten geblieben wäre, wenn die Mutter-AG wie in Var. 1 bereits in die Gründung der SE als „beteiligte Gesellschaft“ einbezogen worden wäre. Die Gestaltung in Var. 2 verstößt gegen den von ErwG 8 SE-RL, Teil 3 lit. b) SE-RL und § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG bezweckten Mindestschutz im Falle des Fehlens einer Vereinbarung durch die subsidiären Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes. Mithin liegt in der Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ein Missbrauch der SE-Rechtsform. Hinsichtlich der Erfassung dieser Konstellation durch § 43 SEBG gilt auch hier,246 dass § 43 S. 2 SEBG für die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der Mutter-AG nur unzureichenden Schutz gewährleistet. Im Ergebnis ist daher auch hier § 43 S. 1 SEBG einschlägig. Dessen Rechtsfolge besteht darin, dass ab der Verschmelzung der Mutter-AG die Mitbestimmung kraft Gesetzes gilt, die anwendbar gewesen wäre, wenn § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG nicht wie in Fall 20 Var. 2 umgangen worden wäre, d. h. die Arbeitnehmer der SE haben das Recht, die Hälfte der Mitglieder des SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen. 246 Vgl. bereits für die Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG durch eine „verdeckte“ Umwandlung oben unter § 8 E. I. 2.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 439
2. Umgehung der Schwellenwerte für das Eingreifen der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG Ferner ist eine Umgehung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a ) SEBG denkbar, wenn eine Kombination von Gesellschaften als an der SE-Gründung „beteiligte Gesellschaften“ gewählt wird, in denen zwar eine Form der Mitbestimmung besteht, aber der erforderliche Schwellenwert von 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer bei der SE-Gründung nicht erreicht wird,247 und weitere mitbestimmte Gesellschaften erst nach der SE-Gründung auf die gegründete SE übertragen werden. In Fall 21 beschäftigt eine Mutter-AG 5.000 Arbeitnehmer, die im AGAufsichtsrat ein paritätisches Mitbestimmungsrecht nach § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 7 Abs. 1 MitbestG haben. Eine Tochter-AG beschäftigt weitere 1.000 Arbeitnehmer, welche im Aufsichtsrat der Tochter-AG nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG ein Mitbestimmungsrecht auf Drittelbeteiligung haben. Die Mutter-AG erwägt eine SE-Gründung gemeinsam mit einer mitbestimmungslosen plc. mit 5.000 Arbeitnehmern.
Fall 21 Var. 1
Bei einer Verschmelzung (Art. 2 Abs. 3 SE-VO) der plc. mit der MutterAG (Fall 21 Var. 1) ist im Falle des Scheiterns einer Beteiligungsvereinbarung gem. § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG die Mitbestimmung kraft Gesetzes 247 Vgl. M. Heinze ZGR 2002, 66, 92: „Es gehört keine große Phantasie dazu, dass zukünftig im Vorfeld der Überlegungen zur Schaffung einer SE diese Schwellenwerte überaus taktische Bedeutung gewinnen werden, insbesondere bei der Entscheidung, welche Teile eines Unternehmens für eine SE in Frage kommen.“; vgl. zur vergleichbaren Umgehung der Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 S. 2 SEBG bereits oben unter § 8 D. I. 1.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
in der SE anzuwenden. Vor Eintragung der SE bestand in der Mutter-AG mit der paritätischen Mitbestimmung des AG-Aufsichtsrats eine Form der Mitbestimmung i. S. v. § 2 Abs. 12 Nr. 1 SEBG. Diese erstreckte sich auf 5.000 von insgesamt 11.000, mithin auf mehr als 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften. Mithin steht den SE-Arbeitnehmern nach § 35 Abs. 2 SEBG ein Mitbestimmungsrecht dergestalt zu, dass sie die Hälfte der Mitglieder des SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgans wählen. Demgegenüber ist folgende Gestaltung denkbar:
Fall 21 Var. 2 Schritt 1
Statt der Mutter-AG mit 5.000 Arbeitnehmern wird in Fall 21 Var. 2 in einem ersten Schritt die Tochter-AG mit 1.000 Arbeitnehmern gemeinsam mit der mitbestimmungslosen plc. zu einer SE verschmolzen (Art. 2 Abs. 3 SE-VO). Bei dieser Gestaltung der SE-Gründung sind im Falle des Scheiterns der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG für eine Mitbestimmung kraft Gesetzes nicht erfüllt: Zwar bestand vor Eintragung der SE mit der Drittelbeteiligung im Tochter-AG-Aufsichtsrat eine Form der Mitbestimmung i. S. v. § 2 Abs. 12 Nr. 1 SEBG. Indes erstreckte sich diese Mitbestimmung lediglich auf die 1.000 in der Tochter-AG beschäftigten Arbeitnehmer und mithin auf weniger als 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften von 6.000 Arbeitnehmern. Demzufolge greift in der SE keine Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG. Das entspricht dem Willen des Richtliniengebers, Bestandschutz für Mitbestimmungsrechte durch die automatische248 An248 Wird der Schwellenwert des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG in Höhe von 25 % nicht erreicht, ist eine Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) SEBG möglich, die jedoch einen Beschluss des bVG erfordert.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 441
Fall 21 Var. 2 Schritt 2
wendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes im Falle des Scheiterns einer Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung eben erst ab Erreichen des Schwellenwerts von 25 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer aller beteiligten249 Gesellschaften zu gewähren. Die Arbeitnehmer der SE haben somit – vorbehaltlich eines Eingreifens der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) SEBG durch einen entsprechenden Beschluss des bVG – kein Mitbestimmungsrecht kraft Gesetzes im SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgan. Im Falle des Eingreifens der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. b), § 35 Abs. 2 Var. 1 SEBG steht ihnen das Recht zu, ein Drittel der Mitglieder des SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen. In Fall 21 Var. 2 wird in einem zweiten Schritt erst nach, aber innerhalb eines engen zeitlichen Zusammenhangs von einem Jahr seit der SE-Gründung, die ehemals als Mutter-Gesellschaft fungierende AG mit 5.000 Arbeitnehmern auf die mitbestimmungslos gegründete SE verschmolzen. Auf diese Weise wird mit der Gestaltung in Fall 21 Var. 2 fast die gleiche gesellschaftsrechtliche Struktur erreicht wie in Var. 1. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die ehemals der Drittelbeteiligung unterliegende TochterAG in Var. 1 als „betroffene Tochtergesellschaft“ (§ 2 Abs. 4 SEBG) eine Tochtergesellschaft der SE bleibt, während sie in Var. 2 als „beteiligte Ge249 Zur Frage der Richtlinienkonformität des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG, der im Gegensatz zur Art. 7 Abs. 2 lit. b) SE-RL auch die Arbeitnehmer „betroffener Tochtergesellschaften“ zur Gesamtzahl zählt, vgl. etwa Jacobs in: MüKo-AktG § 34 SEBG Rn 10; vgl. zum Parallelproblem bei § 15 Abs. 3 SEBG bereits oben unter § 8 D. I. 1.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
sellschaft“ (§ 2 Abs. 2 SEBG) in der SE aufgeht. In mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht ergibt sich jedoch ein erheblicher Unterschied. Die Arbeitnehmer der SE in Var. 1 wählen die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsoder Verwaltungsorgans, während in Var. 2 die Mitbestimmung kraft Gesetzes nicht anzuwenden ist (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG). Allenfalls besteht bei Zustimmung des bVG (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG) ein Recht auf eine Drittelbeteiligung im SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgan. In der Fallgestaltung in Var. 2 könnten den Arbeitnehmern der früheren Mutter-AG mit 5.000 Arbeitnehmern Beteiligungsrechte entzogen werden, da ihr Recht auf paritätische Mitbestimmung im AG-Aufsichtsrat im Zeitpunkt der Verschmelzung der AG auf die mitbestimmungsfrei gegründete SE (Schritt 2) untergeht, während ihnen dieses Recht im Rahmen der Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes erhalten geblieben wäre, wenn die AG wie in Var. 1 bereits in die Gründung der SE als „beteiligte Gesellschaft“ einbezogen worden wäre und dadurch der Schwellenwert in § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) SEBG überschritten worden wäre. Fraglich ist, ob darin ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 SEBG liegt. Dagegen könnte sprechen, dass die Mitbestimmung kraft Gesetzes auch bei Unterschreiten der Schwelle von 25 % unter der Voraussetzung des § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) SEBG greifen kann, wenn das bVG einen entsprechenden Beschluss mit der Mehrheit des § 15 Abs. 2 SEBG250 fasst. Danach kann das bVG eine Mitbestimmung kraft Gesetzes auch herbeiführen, wenn unter den „beteiligten Gesellschaften“ zwar mindestens eine mitbestimmte Gesellschaft ist, der Schwellenwert von 25 % jedoch nicht erreicht wird. Kommt es unter diesen Bedingungen infolge einer Umgehung des Schwellenwerts nicht zu einer Mitbestimmung kraft Gesetzes mangels bVG-Beschlusses nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) SEBG, ließe sich vor diesem Hintergrund argumentieren, dass es an einem unfreiwilligen „Entziehen“ von Beteiligungsrechten fehlt.251 Indes ist zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmer der früheren MutterAG gerade nicht durch das für die Zwecke der SE-Gründung gebildete bVG vertreten werden.252 Darüber hinaus greift in Var. 2 selbst bei einem Beschluss des bVG nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) SEBG lediglich die Drittelbeteiligung. Bleibt es auch nach Verschmelzung der früheren Mutter-AG auf die SE bei einer Drittelbeteiligung in der SE, haben die Arbeitnehmer der früheren Mutter-AG somit nach der Verschmelzung auf die SE kein 250 So auch Jacobs in: MüKo-AktG § 34 SEBG Rn 13; Feuerborn in: KK-AktG § 34 SEBG Rn 29. 251 Zum Erfordernis der Unfreiwilligkeit des Entziehens von Beteiligungsrechten vgl. bereits oben unter § 3 C. II. 1. c). 252 Vgl. auch bereits oben unter § 8 D. I. 2. b) bb).
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 443
paritätisches Mitbestimmungsrecht im SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgan. Inzwischen bestimmt auch ErwG 21 S. 5 SCE-RL ausdrücklich für die SCE-RL, dass bei Erreichen oder Überschreiten von Schwellenwerten hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung nach Eintragung einer SCE die Rechte in gleicher Weise gelten sollen, wie sie gegolten hätten, wenn dieser Schwellenwert schon vor der Eintragung erreicht oder überschritten worden wäre. Mithin liegt für die Arbeitnehmer der früheren Mutter-AG ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten vor. Hinsichtlich der Erfassung dieses Falls von § 43 SEBG und der anwendbaren Rechtsfolgen kann auf die Ausführungen zu Fall 20 verwiesen werden.253 III. Missbrauch durch Umgehung des § 35 Abs. 1 SEBG hinsichtlich des Umfangs der Mitbestimmung kraft Gesetzes bei der Umwandlung Eine „verdeckte Umwandlung“ ist im Falle des Scheiterns der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung eine Umgehung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG (vgl. Fall 19 Var. 2).254 Darüber hinaus könnte eine „verdeckte Umwandlung“ zu einer Umgehung des besonderen Bestandschutzes hinsichtlich des Umfangs der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 35 Abs. 1 SEBG führen. In Fall 22 Var. 1 wird eine paritätisch mitbestimmte Mutter-AG in eine SE umgewandelt (Art. 2 Abs. 4 SE-VO). Daher greifen bei Scheitern der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung hinsichtlich der Mitbestimmung gem. § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes, sodass „die Regelung zur Mitbestimmung erhalten bleibt, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat“. Demnach wählen die Arbeitnehmer der SE die Hälfte der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans. Wenn statt der Umwandlung der Mutter-AG in eine SE (Art. 2 Abs. 4 SE-VO, wie in Fall 21 Var. 2 Abb. 1) in einem ersten Schritt die KonzernTochtergesellschaften eine Holding-SE gründen (Art. 2 Abs. 2 SE-VO, wie in Fall 22 Var. 2 Schritt 1), greift bei Scheitern der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung hinsichtlich der Mitbestimmung in der SE eine Mitbestimmung kraft Gesetzes nur unter den Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 3 SEBG.255 253 Vgl.
oben unter § 8 E. II. 1. oben unter § 8 E. I. 2. 255 Vgl. oben unter § 8 E. I. 2. 254 Vgl.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 22 Var. 1
Fall 22 Var. 2 Schritt 1
Unterliegt die Tochter-AG einer Drittelbeteiligung nach § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 DrittelbetG und erstreckt sich diese Mitbestimmung auf mindestens 50 % der Gesamtzahl der Arbeitnehmer i. S. v. § 34 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) SEBG oder hat das bVG einen Beschluss i. S. v. § 34 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) SEBG gefasst, sind die Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes anwendbar. Aufgrund der Gründung als Holding-SE greift hinsichtlich des Umfangs der Mitbestimmung § 35 Abs. 2 Var. 2 SEBG. Demnach haben die Arbeitnehmer der SE das Recht, ein Drittel der Mitglieder des Aufsichtsoder Verwaltungsorgans zu wählen.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 445
Fall 22 Var. 2 Schritt 2
Wird in einem zweiten Schritt die Mutter-AG nach, aber in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Gründung der Holding-SE auf diese verschmolzen (Fall 22 Var. 2 Schritt 2), wird den Arbeitnehmern der Mutter-AG ihr paritätisches Mitbestimmungsrecht entzogen, wenn im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der Holding-SE weiterhin eine Drittelbeteiligung herrscht. Da das Recht auf paritätische Mitbestimmung im Falle der SE-Gründung durch Umwandlung nach §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 SEBG auf die SE übertragen worden wäre, liegt eine Umgehung nicht nur des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG, sondern auch des § 35 Abs. 1 SEBG vor. Die „verdeckte Umwandlung“ in Fall 22 Var. 2 ohne Anpassung des Umfangs der Mitbestimmung kraft Gesetzes in der Holding-SE widerspricht dem von ErwG 8 SE-RL, Teil 3 lit. a) S. 1 SE-RL und § 34 Abs. 1 Nr. 1, § 35 Abs. 1 SEBG bezweckten Mindestschutz im Falle des Fehlens einer Vereinbarung durch die subsidiären Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes sowie dem besonderen Schutz der Beteiligungsrechte bei der Umwandlungsgründung (vgl. ErwG 10 S. 2 SE-RL). Mithin liegt in der „verdeckten Umwandlung“ in Fall 22 Var. 2 eine Umgehung des Umfangs der Mitbestimmung nach § 35 Abs. 1 SEBG. Hinsichtlich der Erfassung dieses Falls von § 43 SEBG und der anwendbaren Rechtsfolgen kann auf die Ausführungen zur Umgehung der Voraussetzungen nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG mittels einer „verdeckten Umwandlung“ (Fall 19 Var. 2) verwiesen werden.256 256 Vgl.
oben unter § 8 E. I. 2.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
F. Missbrauch bei Maßnahmen zur inneren Organisation des SE-Unternehmensorgans Im Hinblick auf die innere Ordnung des SE-Unternehmensorgans einer SE mit Sitz in Deutschland gelten über Art. 9 lit. c) ii) SE-VO die Bestimmungen in § 107 AktG für das SE-Aufsichtsorgan und in § 34 SEAG für das SE-Verwaltungsorgan. Das Aufsichtsorgan257 und das Verwaltungsorgan258 können danach Ausschüsse bestellen, um ihre Verhandlungen und Beschlüsse vorzubereiten oder die Ausführung ihrer Beschlüsse zu überwachen. Weder die SE-Satzung259 noch eine SE-Beteiligungsvereinbarung260 können mit Regelungen zur Bildung von Ausschüssen in die Organisa tionsautonomie261 des entsprechenden SE-Unternehmensorgans eingreifen. Bestellt ein mitbestimmtes SE-Unternehmensorgan Ausschüsse, stellt sich die Frage,262 ob eine Ausschussbesetzung entgegen der Zusammensetzung des mit Arbeitnehmervertretern besetzten SE-Unternehmensorgans – wie etwa in Fall 23 ein nur mit Anteilseignervertretern besetzter Ausschuss – mit dem Missbrauchsverbot nach § 43 SEBG vereinbar ist.263 Vorgeschla257 In einer dualistisch verfassten SE deutschen Rechts folgt dieses Recht des SE-Aufsichtsorgans aus Art. 9 lit. c) ii) SE-VO i. V. m. § 107 Abs. 3 S. 1 AktG, vgl. Habersack ZHR 171 (2007), 613, 631 Fn 74. 258 In einer monistisch verfassten SE deutschen Rechts folgt dieses Recht des SE-Verwaltungsorgans aus § 34 Abs. 4 S. 1 SEAG, vgl. Habersack ZHR 171 (2007), 613, 631 Fn 74; Bachmann ZGR 2008, 779, 791. 259 Schwarz SE-Verordnung, Art. 43 SE-VO Rn 93; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 631; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 811; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19e (für das SE-Aufsichtsorgan), Rn 19g (für das SE-Verwaltungsorgan); a. A. Bachmann ZGR 2008, 779, 791 f., wonach § 34 Abs. 2 S. 2 SEAG dafür spreche, dass die Satzung frei darin sei, Vorgaben für die Einrichtung von Ausschüssen zu machen. 260 Habersack ZHR 171 (2007), 613, 631 m. w. N.; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 811; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19e (für das SE-Aufsichtsorgan), Rn 19g (für das SE-Verwaltungsorgan); Bachmann ZGR 2008, 779, 806 empfiehlt darauf zu achten, dass „Gestaltungen, die in den Bereich der Satzungs- oder Organisationsautonomie hineinragen,“ von der Beteiligungsvereinbarung „nicht vorgeschrieben, sondern lediglich gestattet werden“. 261 Dazu Habersack ZHR 171 (2007), 613, 631; Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 810. 262 Eine Ausschussbestellung ist zwar jederzeit denkbar, wird hier jedoch bereits im Kapitel § 9 über etwaige Missbräuche bei Gründung einer SE dargestellt, weil die Ausschussbestellung als Maßnahme der inneren Ordnung des SE-Unternehmensorgans im Hinblick auf Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer erstmals bei Gründung einer SE relevant werden kann. 263 Eingehend dazu Koch Diss. 2010, S. 214 ff. (für das SE-Aufsichtsorgan), S. 229 ff. (für das SE-Verwaltungsorgan); ausdrücklich ausgeklammert von Rehberg ZGR 2005, 859, 860 Fn 7.
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 447
Fall 23
gen264 wird – insbesondere für das monistische System – mitbestimmungsfreie Ausschüsse einzurichten, um die Mitbestimmung auf die Kontrollaufgabe des Verwaltungsorgans zu begrenzen.265 Zu unterscheiden ist zwischen der Besetzung eines Ausschusses ohne Arbeitnehmervertreter einerseits (sogleich unter I.) und einer Aufgabenübertragung auf einen gegebenenfalls mitbestimmungsfreien Ausschuss andererseits (II.). I. Besetzung von Ausschüssen ohne Arbeitnehmervertreter Koch266 misst die personelle Besetzung von Ausschüssen eines SE-Unternehmensorgans am Maßstab des Missbrauchsverbots der SE nach § 43 SEBG. Insbesondere komme ein Verstoß gegen § 43 SEBG in Betracht, wenn durch ein bestimmtes Ergebnis einer Abstimmung im mitbestimmten SE-Unternehmensorgan über die Mitgliedschaft in einem Ausschuss eine 264 Etwa von Gruber / Weller NZG 2003, 297, 300 f.; Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 794; Eder NZG 2004, 544, 546 (ausschließlich mit Anteilseignervertretern oder jedenfalls mit einem geringeren Anteil von Arbeitnehmervertretern als dem Verwaltungsrat besetzter „Exekutivausschuss“); Frodermann in: Jannott / Frodermann Kap 5 Rn 224; Schwarz SE-Verordnung, Art. 43 SE-VO Rn 91 („unternehmerischer Planungsausschuss“ zur Vorbereitung und Beratung), Rn 92 (Übertragung des Weisungsrechts in operativen Angelegenheiten auf einen nicht mitbestimmten „Exekutiv ausschuss“, der nur aus Anteilseignervertretern besteht); Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 21 Rn 19; kritisch nunmehr Jacobs in: MüKo-AktG, 3. Aufl. 2012, § 21 SEBG Rn 19g; nach Teichmann BB 2004, 53, 57 „ist die Bildung von Ausschüssen in größeren Gremien durchaus sinnvoll; sie sollte allerdings von der Sache her gedacht sein und nicht allein der Vermeidung der Mitbestimmung dienen.“. 265 Vgl. hinsichtlich der Frage, ob eine solche Regelung Inhalt einer Beteiligungsvereinbarung sein kann Jacobs in FS K. Schmidt 2009, S. 795, 811; Jacobs in: MüKo-AktG § 21 SEBG Rn 19g. 266 Zum Folgenden Koch Diss. 2010, S. 214 ff.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
materielle Diskriminierung von Arbeitnehmervertretern vorliege, indem diese nicht entsprechend ihrem Anteil im Ausschuss vertreten werden.267 Der Begriff der Beteiligung sei weit zu verstehen und betreffe die Mitwirkung an der Willensbildung ebenso wie die qualitativen Beteiligungsrechte im mitbestimmten Organ.268 Daher werde auch die Problematik der ordnungsgemäßen Besetzung von Ausschüssen des SE-Aufsichtsrats269 oder des SEVerwaltungsrats270 vom Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots nach § 43 SEBG erfasst. Koch räumt zwar ein, dass ein Rechtsanspruch auf eine Mitgliedschaft eines Arbeitnehmervertreters in einem Ausschuss dem Missbrauchsverbot nach § 43 SEBG nicht zu entnehmen ist, da weder § 35 SEBG noch § 38 Abs. 1 SEBG einen entsprechenden Anspruch verschaffen.271 Ein zwingendes Gebot einer anteilsmäßigen Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in Ausschüssen lasse sich auch nicht aus der SE-RL ableiten. Dennoch greife eine „Vermutung des Rechtsmissbrauchs bereits bei jeglicher nichtspiegelbildlicher Besetzung“272 ein, welche nur im Ausnahmefall durch sachliche Gründe zu rechtfertigen sei. Koch ist insoweit zuzustimmen, als die Besetzung von Ausschüssen am Missbrauchsverbot der SE nach § 43 SEBG zu messen sein kann. Dieses ist nicht nur auf die SE-Beteiligungsvereinbarung und die SE-Satzung, sondern, so Koch273 zutreffend, auch auf Entscheidungen des SE-Unternehmensorgans im Hinblick auf seine innere Organisation anwendbar.274 Das allgemeine Missbrauchsverbot der SE nach § 43 S. 1 SEBG bildet daher nicht nur eine Schranke der Vereinbarungsautonomie der Verhandlungspartner im Verhandlungsverfahren (§§ 4 ff. SEBG) und der Satzungsautonomie der SE-Gründungsgesellschaften, sondern auch eine Grenze der Organisa tionsautonomie des SE-Unternehmensorgans. Hierfür spricht, dass § 43 S. 1 SEBG zeitlich275 auch nach der SE-Gründung anwendbar ist und daher nicht nur die an der Gründung beteiligten Gesellschaften und deren Organe, sondern auch die SE einschließlich ihrer Organe zur Unterlassung eines Missbrauchs einer SE verpflichtet.276 267 Koch
Diss. 2010, S. 213 f. Ganzen Koch Diss. 2010, S. 215. 269 Koch Diss. 2010, S. 215. 270 Koch Diss. 2010, S. 229. 271 Koch Diss. 2010, S. 221. 272 Koch Diss. 2010, S. 223. 273 Koch Diss. 2010, S. 215. 274 Vgl. bereits oben unter § 5 A. II. 4. 275 Vgl. zum zeitlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG oben unter § 5 A. II. 2. 276 Vgl. zum persönlichen Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG oben unter § 5 A. II. 3. 268 Zum
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 449
Zutreffend ist auch, dass sowohl in der SE-RL als auch im SEBG – auch im Hinblick auf die Mitbestimmung kraft Gesetzes – keine Vorgaben für die Bildung oder Zusammensetzung von Ausschüssen bestehen.277 Nach dem österreichischen § 248 Abs. 2 Hs. 1 ArbVG haben Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan im Bereich der Mitbestimmung kraft Gesetzes das Recht, für Ausschüsse des Aufsichtsrats Mitglieder mit Sitz und Stimme nach dem für die Besetzung des Aufsichtsrats festgelegten Verhältnis „namhaft zu machen“. Das Recht der Arbeitnehmervertreter nach § 248 Abs. 2 Hs. 1 ArbVG auf Sitz und Stimme gilt jedoch nicht für Ausschüsse des SE-Verwaltungsrats, „die die Beziehungen zwischen der Gesellschaft und den geschäftsführenden Direktoren regeln, ausgenommen Beschlüsse über die Bestellung und Abberufung von geschäftsführenden Direktoren sowie über die Einräumung von Optionen auf Aktien der Gesellschaft“278. Damit hat der österreichische Gesetzgeber eigene Anforderungen an eine Beteiligung von Arbeitnehmern in Ausschüssen des SE-Unternehmensorgans aufgestellt. Zwar bestimmt § 38 Abs. 1 SEBG in Umsetzung von Teil 3 lit. b) Abs. 4 SE-RL,279 dass Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Mitglieder, welche die Anteilseigner vertreten. Mit dem Gleichstellungsgrundsatz korrespondiert auch ein Verbot einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan (Diskriminierungsver bot).280 Daraus könnte gefolgert werden, dass die Gleichstellung der Mitglieder auch im Hinblick auf die Besetzung von Ausschüssen des SE-Unternehmensorgans gelten muss. Wie die österreichische Regelung betreffen Teil 3 lit. b) Abs. 4 SE-RL und dessen deutsche Umsetzung in § 38 Abs. 1 SEBG jedoch nur den Bereich der Mitbestimmung kraft Gesetzes. Hinsichtlich der Beteiligung kraft Vereinbarung regelt § 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SEBG in Umsetzung von Art. 4 Abs. 2 lit. g) a. E. SE-RL, dass in einer Beteiligungsvereinbarung „die Rechte“ der Mitglieder im SE-Unternehmensorgan vereinbart werden sollen. Demnach können die Verhandlungsparteien die Rechte der Mitglieder im SE-Unternehmensorgan abweichend von § 38 Abs. 1 SEBG regeln. Wird die 277 Koch
Diss. 2010, S. 223. Abs. 2 Hs. 2 ArbVG-Österreich; ferner gilt das Recht i. S. v. § 110 Abs. 4 S. 1 ArbVG-Österreich gemäß S. 2 nicht für Ausschüsse, die die Beziehungen zwischen der Gesellschaft und den Mitgliedern des Vorstandes behandeln. 279 Vgl. Koch Diss. 2010, S. 211. 280 Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 38 SEBG Rn 5; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 38 SEBG Rn 5; Feuerborn in: KK-AktG § 38 SEBG Rn 5; Jacobs in: MüKo-AktG § 38 SEBG Rn 2. 278 § 248
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Mitgliedschaft von Arbeitnehmervertretern in einem Ausschuss im Rahmen einer Beteiligungsvereinbarung eingeschränkt oder gar ausgeschlossen, liegt darin ein freiwilliger Verzicht der Arbeitnehmervertreter im bVG im Vergleich zu § 38 Abs. 1 SEBG und kein unfreiwilliges „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG.281 Das entspricht auch dem Zweck der SE-RL, dass Mitbestimmungsrechte durch Übertragung an die SE nach deren Gründung erhalten bleiben, „es sei denn, dass die Parteien etwas anderes beschließen“282. Jedenfalls im Bereich der Mitbestimmung kraft Vereinbarung ist daher nicht bei „jeglicher nichtspiegelbildlicher Beset zung“283 eines Ausschusses das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG verletzt. Erst recht greift eine „Vermutung des Rechtsmiss brauchs“284 nach § 43 S. 2 SEBG nicht ein. Im Übrigen begründet § 38 Abs. 1 SEBG auch im Bereich der Mitbestimmung kraft Gesetzes keinen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmervertreters auf Mitgliedschaft in einem Ausschluss.285 Zwar folgt aus § 38 Abs. 1 SEBG für jedes Mitglied ungeachtet dessen, ob es die Anteilseigner oder die Arbeitnehmer vertritt, das Recht, sich zur Wahl in einen Ausschuss aufstellen zu lassen.286 Wenn jedoch die Zusammensetzung des Ausschusses durch Beschluss des SE-Unternehmensorgans mit einfacher Mehrheit erfolgt und das SE-Unternehmensorgan beispielsweise lediglich zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt ist, könnten die Mitglieder, welche die Anteilseigner vertreten, die Arbeitnehmervertreter überstimmen und ausschließlich Anteilseignervertreter in den Ausschuss berufen. Indes verstößt auch im Bereich der Mitbestimmung kraft Gesetzes nicht „jegliche nichtspiegelbildliche Besetzung“287 unabhängig von der konkreten Aufgabe des Ausschusses gegen das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG oder unterfällt der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG. Der Schutz der Beteiligungsrechte i. S. v. § 43 SEBG umfasst bezüglich der Mitbestimmung die in § 2 Abs. 12 SEBG geregelte Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten der SE durch die Wahrnehmung des Rechts, Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zu wählen oder zu bestellen (Nr. 1) oder deren Bestellung zu empfehlen oder abzulehnen (Nr. 2). Diese Rechte werden nicht bereits durch die Besetzung von Ausschüssen ohne Arbeitnehmer281 Vgl.
oben unter § 3 C. II. 1. c). letzter Hs. SE-RL. 283 So aber Koch Diss. 2010, S. 223, 230. 284 So aber Koch Diss. 2010, S. 218, 223. 285 So Koch Diss. 2010, S. 213, 221. 286 Vgl. Koch Diss. 2010, S. 213: „formeller Schutz des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds auf gleichberechtigten Zugang zu Aufsichtsratsausschüssen“. 287 So aber Koch Diss. 2010, S. 223, 230. 282 ErwG 7
§ 8 Missbrauch durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE 451
vertreter i. S. v. § 43 S. 1 SEBG „entzogen“ oder „vorenthalten“, solange das auf die quantitative Besetzung des SE-Unternehmensorgans bezogene Recht der „Mitbestimmung“ i. S. v. § 2 Abs. 12 SEBG besteht. II. Übertragung von Befugnissen auf Ausschüsse ohne Arbeitnehmervertreter Werden indes Entscheidungsbefugnisse eines mitbestimmten SE-Unternehmensorgans auf mitbestimmungsfreie Ausschüsse ohne Arbeitnehmervertreter übertragen, könnte darin ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG liegen. Die Mitbestimmungsrechte nach § 2 Abs. 12 SEBG könnten dadurch materiell ausgehöhlt werden. Bei der Beurteilung, ob ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten vorliegt, ist indes ein quantitativer Prüfungsmaßstab zugrunde zu legen.288 Eine Ausnahme von diesem Maßstab kommt insoweit nicht in Betracht, als eine Verlagerung der Entscheidungsgewalt des SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgans auf Ausschüsse bereits nach Art. 9 lit. c) ii) SE-VO i. V. m. § 107 Abs. 3 S. 3 AktG oder § 34 Abs. 4 S. 2 SEAG verboten ist. Demnach dürfen bestimmte Aufgaben einem Ausschuss nicht an Stelle des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans zur Beschlussfassung überwiesen werden. Da ein Entziehen von Beteiligungsrechten bereits nach den vorgenannten Verboten ausgeschlossen ist und ein Missbrauch sich nicht in der bloßen Nichteinhaltung von Vorschriften erschöpft,289 scheidet ein Missbrauch der SE insoweit aus. Werden andere Aufgaben als die in Art. 9 lit. c) ii) SE-VO i. V. m. § 107 Abs. 3 S. 3 AktG oder § 34 Abs. 4 S. 2 SEAG Genannten in zulässiger Weise auf Ausschüsse übertragen, könnte ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot vorliegen, wenn das SE-Unternehmensorgan beschließt, diese Ausschüsse ausschließlich mit Mitgliedern, welche die Anteilseigner vertreten, und ohne Mitglieder, welche die Arbeitnehmer vertreten, zu besetzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Mitwirkungsausschluss von Arbeitnehmervertretern in Aufsichtsratsausschüssen von Aktiengesellschaften ist es etwa bei beschließenden Personalausschüssen, welche die Bedingungen für die Anstellung des Vorstands festlegen, als missbräuchliche Diskriminierung der Arbeitnehmervertreter allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit anzusehen, wenn sie ohne sachliche Gründe aus grundsätzlichen Erwägungen von jeder Mitarbeit in dem Ausschuss ausgeschlossen werden.290 Die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Aufsichtsrats und 288 Vgl.
oben für Art. 11 SE-RL § 3 C. II. 1. c). oben für Art. 11 SE-RL § 3 C. III. 2. c) bb). 290 BGH Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311. 289 Vgl.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
das gleiche, ohne Rücksicht auf die Gruppenzugehörigkeit bestehende aktive und passive Wahlrecht jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds dürfe „nicht dazu herhalten […], zwingendes Mitbestimmungsrecht entgegen dessen Sinn und Zweck zu unterlaufen oder zu umgehen“291. Diese Rechtsprechung könnte auf die Besetzung von Ausschüssen eines Unternehmensorgans einer mitbestimmten SE übertragbar sein.292 Dafür spricht, dass die zitierte Entscheidung sich auf die Befugnis des AG-Aufsichtsrats zur Bestellung von Ausschüssen nach § 107 Abs. 3 S. 1 AktG293 bezieht und sich die Befugnis des SE-Aufsichtsorgans über Art. 9 lit. c) ii) SE-VO ebenfalls danach und für das SE-Verwaltungsorgan nach dem § 107 Abs. 3 S. 1 AktG entsprechenden § 34 Abs. 4 S. 2 SEAG richtet. Da die Ausschussbildung sich damit sowohl bei einer (nach dem MitbestG mitbestimmten) AG als auch bei einer SE im Ergebnis nach § 107 AktG (oder dem vergleichbaren § 34 SEAG) richtet, könnten die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zur Überlagerung294 des § 107 AktG durch den Zweck der zwingenden Mitbestimmung auf die mitbestimmte SE übertragbar sein. Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass der Argumentation des Bundesgerichtshofs zu „Sinn und Zweck [des] zwingenden Mitbestimmungs recht[s]“295 ein Sachverhalt mit einer nach dem MitbestG mitbestimmten AG zugrunde lag. Das MitbestG ist jedoch auf die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE gem. § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG in Umsetzung von Art. 13 Abs. 2 SE-RL gerade nicht anzuwenden. Indes enthält auch das MitbestG außerhalb der Regelung in § 27 Abs. 3 MitbestG hinsichtlich der Zusammensetzung des ständigen Vermittlungsausschusses keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Besetzung von Aufsichtsratsausschüssen.296 § 25 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG verweist jedoch hinsichtlich der inneren Ordnung des Aufsichtsrats auf § 107 AktG, jedoch nur, soweit bestimmte Vorschriften des MitbestG dem nicht entgegen stehen. Demgegenüber enthalten weder die SE-RL noch das SEBG einen § 25 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG entsprechenden Verweis auf gesellschaftsrechtliche Vorschriften zur inneren Ordnung des SE-Unternehmensorgans. Ebenso fehlt es an einem ausdrücklichen Vorbehalt im SE-Beteiligungsrecht gegenüber der Anwendbarkeit gesell291 BGH
Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311. etwa Reichert / Brandes ZGR 2003, 767, 794; vgl. auch Kallmeyer ZIP 2003, 1531, 1535; gegen eine Übertragung der BGH-Rechtsprechung bei einem „unternehmerischen Planungsausschuss“ in einer monistischen SE: Gruber / Weller NZG 2003, 297, 300. 293 BGH Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311. 294 ErfK / Oetker § 107 AktG Rn 10. 295 BGH Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311. 296 Vgl. BGH Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311. 292 Dafür
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schaftsrechtlicher Vorschriften zur inneren Ordnung des SE-Unternehmensorgans. Im Übrigen sieht die SE-Beteiligung grundsätzlich gerade keine dem MitbestG vergleichbare „zwingende Mitbestimmung“ vor. Daher bedürfte die Annahme einer Überlagerung der Organisationsautonomie bei der Ausschussbesetzung durch den Zweck der Mitbestimmung bei einer mitbestimmten SE einer Rechtfertigung. Als Rechtfertigung für eine Überlagerung der Organisationsautonomie durch eine Mitbestimmung könnte das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG heranzuziehen sein. Der Bundesgerichtshof hat in der zitierten Entscheidung zur paritätisch mitbestimmten AG von einer „mißbräuchliche[n] Diskriminierung der Arbeitnehmervertreter allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit“297 gesprochen. Dabei hat er auf eine ältere Literaturansicht Bezug genommen, wonach die Grenze für die Ausübung der Organisationsfreiheit des Aufsichtsrats „erst bei einem rechtsmißbräuchlichen, weil willkürlich diskriminierenden Ausschluß der Arbeitnehmervertreter von der Mitarbeit in den Ausschüssen“ liege.298 Eine für den Missbrauch einer SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG erforderliche Zweckwidrigkeit besteht zwar auch bei Erschleichung einer Flexibilisierung von Beteiligungsrechten mittels einer willkürlichen Gestaltung.299 Ein Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG kommt jedoch nur im Hinblick auf „Beteiligungsrechte“ (§ 2 Abs. 9 SEBG), hier dem Recht auf „Mitbestimmung“ (§ 2 Abs. 12 SEBG), in Betracht. Nicht unter den Begriff der „Mitbestimmung“ i. S. v. § 2 Abs. 12 SEBG fällt der materiell-rechtliche Inhalt der dem Unternehmensorgan konkret zugewiesenen Aufgaben. Die „Mitbestimmung“ i. S. v. § 2 Abs. 12 SEBG bezeichnet lediglich die Einflussnahme durch Mitwirkung bei der Besetzung des Unternehmensorgans, in dem die sich nach dem SE-Gesellschaftsrecht richtenden „Angelegenheiten der Gesellschaft“ anfallen.300 Werden Aufgaben und Entscheidungsbefugnisse des SE-Unternehmensorgans, auf dessen Besetzung der SE-BR oder eine vergleichbare Arbeitnehmervertretung kraft ihres Mitbestimmungsrechts nach § 2 Abs. 12 SEBG Einfluss nehmen können, auf Ausschüsse verlagert, liegt hierin kein Missbrauch der SE zu Lasten von Mitbestimmungsrechten, sondern ein Rechtsverstoß gegen die vom SE-Gesellschaftsrecht vorgesehene Zuweisung einer Aufgabe zum SE-Unternehmensorgan als „Angelegenheit der Gesellschaft“.
297 BGH
Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311. Urt. v. 17.5.1993 – II ZR 89 / 92, NJW 1993, 2307, 2311 m. w. N. 299 § 3 C. III. 3. b) aa) (2) (c) (bb). 300 Vgl. oben unter § 3 C. II. 1. c). 298 BGH
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§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE Bei der Untersuchung von Missbräuchen nach Gründung einer SE ist zwischen Veränderungen auf Betriebsebene der SE (dazu sogleich unter A.) einerseits und auf Unternehmensebene (dazu unter B.) andererseits zu unterschieden.
A. Veränderungen auf Betriebsebene einer SE Bei Veränderungen auf Betriebsebene einer SE wird im Folgenden zwischen einem Anstieg (dazu sogleich unter I.) und einer Absenkung (II.) der Arbeitnehmerzahlen sowie betrieblichen Umstrukturierungen (III.) innerhalb der Betriebe einer SE unterschieden. I. Anstieg der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben einer SE Fraglich ist, ob Änderungen der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben einer gegründeten SE einen Missbrauch der SE-Rechtsform begründen können. 1. Neueinstellungen in der SE durch Begründung neuer Arbeitsverhältnisse Zu prüfen ist, ob ein Anstieg der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben einer gegründeten SE erstens die Vermutung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform nach § 43 S. 2 SEBG begründen [dazu sogleich unter a)] und / oder zweitens dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG unterfallen kann [dazu unter b)]. a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG setzt die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG voraus. § 43 S. 2 SEBG ist daher schon nicht einschlägig, wenn eine Pflicht zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG nicht besteht. In der Literatur wird im Hinblick auf Änderungen der Arbeitnehmerzahl eine Pflicht zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG diskutiert und zum Teil zwischen einem Anstieg der Arbeitnehmerzahl durch die Begründung neuer Arbeitsverhältnisse („organi-
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sches Wachstum“301) einerseits und einer Absenkung der Arbeitnehmerzahl durch Beendigung302 von Arbeitsverhältnissen mit Arbeitnehmern der SE andererseits differenziert. aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Einige mitgliedstaatliche Gesetze zur Umsetzung der SE-RL sehen ausdrücklich vor, dass eine Änderung der Arbeitnehmerzahl in der SE eine strukturelle Änderung begründet oder zu Neuverhandlungen verpflichtet.303 Das deutsche Recht kennt keine dahingehende ausdrückliche gesetzliche Regelung. Das Schrifttum bejaht eine strukturelle Änderung bei einem Anstieg der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben der SE nur vereinzelt.304 Der überwiegende305 Teil der Literatur verneint eine strukturelle Änderung.306 301 Henssler RdA 2005, 330, 334; Krause BB 2005, 1221, 1228; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 214; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 660; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262 („organisch gewachsener Personalaufbau“); Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245; Kiem ZHR 173 (2009), 156, 165; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 85; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 35; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367; Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1748; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208. 302 Dazu unter § 9 A. II. 1. 303 Vgl. § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich („erhebliche Änderungen der Zahl der in der Europäischen Gesellschaft und ihren Tochtergesellschaften Beschäftigten“); ebenfalls die Arbeitnehmerzahl auch von Tochtergesellschaften einbeziehend Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; die Größe der SE und ihrer Tochtergesellschaften einbeziehend Art. 31 Umsetzungsgesetz-Belgien. 304 Köstler in: Theisen / Wenz, S. 331, 370; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 11, wonach auch eine nach erfolgter SE-Gründung ansteigende Arbeitnehmerzahl der SE eine strukturelle Änderung im Sinne der Richtlinienvorgaben sein könne; vgl. für Art. 11 SE-RL Storm The SE 2008, S. 3, 12. 305 Vgl. Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 35, wonach „weitgehend Einigkeit“ darüber bestehe, dass bei einer bloßen Veränderung der Arbeitnehmerzahl mangels einer strukturellen Änderung nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 18 Abs. 3 SEBG erfüllt sind; mangels Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte offenlassend Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1748. 306 Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 198; Seibt AG 2005, 413, 427; Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Krause BB 2005, 1221, 1228; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282; Güntzel Diss. 2006, S. 432; Röder / Rolf in FS Löwisch 2007, S. 249, 250; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 658, 660; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; Kiem ZHR 173 (2009), 156, 165 (für die Vorrats-SE); Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 85, 88; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 334; gegen eine strukturelle Änderung bei Änderungen der Arbeitnehmerzahlen: Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18 (außerhalb korporativer Akte); Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willem-
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Insbesondere bei Über- oder Unterschreitung von Schwellenwerten deutscher Mitbestimmungsgesetze (DrittelbetG, MitbestG) und / oder etwa in Bezug auf die Schwellenwerte für die Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG wird eine strukturelle Änderung verneint.307 Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf hat entschieden, dass nach dem Konzept der SE-RL und der SE-VO allein der spätere Anstieg der Arbeitnehmerzahl grundsätzlich nicht zur erneuten Aufnahme von Verhandlungen gem. § 18 Abs. 3 SEBG führe.308 Gegen das Vorliegen einer strukturellen Änderung bei einem Anstieg der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben der SE wird argumentiert, dass es an einem „korporativen Akt“309 fehle. Zudem fehle eine Vergleichbarkeit mit den Gründungstatbeständen des Art. 2, 3 SE-VO.310 Die bloße Zahl der Arbeitnehmer sei bereits kein Strukturmerkmal.311 Ein Unternehmen verändere weder seine betriebswirtschaftliche noch seine gesellschaftsrechtliche Struktur dadurch, dass etwa beim Stand von 500 Arbeitnehmern ein neuer Mitarbeiter eingestellt werde.312 Die neu zur SE hinzukommenden Arbeitnehmer seien keine Arbeitnehmer i. S. d. § 18 Abs. 3 SEBG.313 Zudem enthalte § 18 Abs. 3 SEBG keinen Verweis darauf, dass auch bei einer Änderung der Arbeitnehmerzahl neu verhandelt werden solle.314 sen / Kalb SEBG Rn 32; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17 (hinsichtlich einer quantitativen Vergrößerung oder Verkleinerung der Belegschaft „für sich allein“); ebenso Grambow Der Konzern 2009, 97, 104; Hoops Diss. 2009, S. 60; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 23, 35; Schmid Diss. 2010, S. 135, 143 f.; allgemein gegen Neuverhandlungen Grobys NZA 2005, 84, 91; Henssler RdA 2005, 330, 334 f.; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208: Das Ansteigen von Arbeitnehmerzahlen führe nicht zur Durchbrechung des Zementierungseffekts. 307 Vgl. Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 198; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18; i. E. auch Habersack Der Konzern 2006, 105, 108; Kisker RdA 2006, 206, 208; Röder / Rolf in FS Löwisch 2007, S. 249, 250; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; Brandes ZIP 2008, 2193, 2194; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756 (ohne nähere Bezugnahme auf bestimmte Schwellenwerte); Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 334; Schmid Diss. 2010, S. 144. 308 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 37. 309 Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18, wonach eine Änderung der Arbeitnehmerzahlen dann keine strukturelle Änderung begründe, wenn damit wie bei der Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern nicht zugleich ein korporativer Akt verbunden sei; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756. 310 Schmid Diss. 2010, S. 144. 311 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 312 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 313 Schmid Diss. 2010, S. 144. 314 Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756.
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Indes wäre ein solcher Verweis aus systematischen Gründen erforderlich gewesen, wenn der Gesetzgeber eine strukturelle Änderung bei Erhöhung der Arbeitnehmerzahl hätte regeln wollen:315 Zu Recht wird insoweit § 5 Abs. 4 SEBG als Argument herangezogen.316 Die Norm differenziert zwischen „Änderungen in der Struktur“ einerseits und „Änderungen […] in der Arbeitnehmerzahl“ andererseits. Demzufolge ist eine Änderung der Arbeitnehmerzahl keine „strukturelle Änderung“. Zudem wird zu Recht auf § 25 S. 1 SEBG verwiesen.317 Danach hat die SE-Leitung alle zwei Jahre zu prüfen, „ob Änderungen der SE und ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe, insbesondere bei den Arbeitnehmerzahlen in den einzelnen Mitgliedstaaten eingetreten sind“. Daraus wird zu Recht gefolgert, dass Änderungen der Arbeitnehmerzahlen lediglich „Änderungen“ i. S. v. § 25 S. 1 SEBG, nicht jedoch „strukturelle Änderungen“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG darstellen.318 Es trifft daher zu, dass ein Anstieg der Arbeitnehmerzahl infolge der Begründung von Arbeitsverhältnissen keine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG ist. bb) „ Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Ungeachtet dessen, dass eine Erhöhung der Arbeitnehmerzahl infolge der Begründung neuer Arbeitsverhältnisse keine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG darstellt, erfüllt ein Anstieg der Arbeitnehmerzahl nicht das Tatbestandsmerkmal der „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“.319 auch Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756. Köstler in: Theisen / Wenz, S. 357 („nicht ohne weiteres“); Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 191; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Schwarz SEVerordnung, Einl. Rn 253; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 94 („Erhöhung der Arbeitnehmerzahl außerhalb von strukturellen Änderungen“); Scheibe Diss. 2007, S. 154; Hoops Diss. 2009, S. 60; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 334; Schmid Diss. 2010, S. 135 (nicht jede Beschäftigungsveränderung sei zugleich eine strukturelle Änderung), 144; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 23; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208; vgl. auch bereits oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (1) (c) (bb). 317 Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Scheibe Diss. 2007, S. 154; Grambow Der Konzern 2009, 97, 104; vgl. auch bereits oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (1) (c) (bb). 318 Scheibe Diss. 2007, S. 154. 319 So auch Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 577; vgl. Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 214. 315 So
316 Vgl.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Die Erhöhung der Arbeitnehmerzahl über Schwellenwerte in Gesetzen, die für die SE nicht maßgeblich sind (DrittelbetG, MitbestG), ist für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer der SE unbeachtlich.320 Für die bereits angestellten Arbeitnehmer der SE ändert sich mitbestimmungsrechtlich durch einen Anstieg der Arbeitnehmerzahl nichts.321 Ein Ausbleiben eines Mitbestimmungszuwachses, der bei Anwendbarkeit des DrittelbetG oder des MitbestG eingetreten wäre, führt nicht zu einer „Eignung“ zur Minderung ihrer Mitbestimmungsrechte.322 Dass durch den Zuwachs an Arbeitnehmern nach den deutschen Mitbestimmungsgesetzen ein höheres Mitbestimmungsniveau bestehen würde, ist unbeachtlich, da die deutschen Mitbestimmungsgesetze gem. § 47 Abs. 1 SEBG auf die gegründete SE nicht anzuwenden sind.323 Zudem schützt die SE-RL lediglich bereits erworbene, nicht jedoch künftig hypothetisch zu gewährende Mitbestimmungsrechte (vgl. ErwG 3, 18 SE-RL).324 Eine Eignung zur Minderung der Mitbestimmungsrechte scheidet auch in Bezug auf Arbeitnehmer aus, welche früher einmal bei an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften beschäftigt waren, deren Arbeitsverhältnis vor der SE-Gründung beendet wurde und die erst später von der inzwischen gegründeten SE eingestellt werden. Zu vergleichen ist der Bestand an Beteiligungsrechten unmittelbar vor und nach Erhöhung der Arbeitnehmerzahl in der SE.325 Insoweit führt bereits die Beendigung der Arbeitsverhältnisse bei den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften vor der SE-Gründung dazu, dass keine Beteiligungsrechte mehr bestehen. Ein Anstieg der Arbeitnehmerzahl durch Wiedereinstellung derselben Arbeitnehmer – nunmehr in Brandes ZIP 2008, 2193, 2194. Rieble BB 2006, 2018, 2021 f.: „Die für Unternehmen eigentlich spannende Frage lautet: Was geschieht, wenn die SE in der Arbeitnehmerzahl wächst und deshalb nach dem hypothetischen deutschen Mitbestimmungsstatut einen anderen Schwellenwert erreicht, also aus der Mitbestimmungsfreiheit in das DrittelbetG oder das MitbestG wanderte oder von der Drittelbeteiligung in die Parität? Die Antwort verblüfft: in aller Regel nichts!“; Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1748. 322 Rieble BB 2006, 2018, 2022; Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 577; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Hoops Diss. 2009, S. 63; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208. 323 Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756; Schmid Diss. 2010, S. 144; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208. 324 Vgl. Schmid Diss. 2010, S. 144; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 38; vgl. zum Bestandschutzprinzip oben unter § 3 C. I. 2. 325 Vgl. zum Vorher-Nachher-Vergleich bei strukturellen Änderungen einer bereits gegründeten SE oben unter § 3 C. III. 2. d) ee) (2), wobei bei der Neueinstellung bereits eine strukturelle Änderung zu verneinen ist [vgl. soeben unter § 9 A. I. 1. a) aa)]. 320 Vgl. 321 Vgl.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 459
der SE – bewirkt keine Minderung ihrer Beteiligungsrechte, da im relevanten Vergleichszeitpunkt unmittelbar vor Erhöhung der Arbeitnehmerzahl die Arbeitsverhältnisse bereits beendet waren. Ein Vergleich zwischen der Situation vor Beendigung der Arbeitsverhältnisse bei den an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften und nach Wiedereinstellung in der SE kommt nur im Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG in Betracht.326 Da im Ergebnis bei einem Anstieg der Arbeitnehmerzahl infolge der Begründung neuer Arbeitsverhältnisse bei der SE mit ehemaligen Arbeitnehmern beteiligter Gesellschaften ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG mangels „struktureller Änderung“ und mangels „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ nicht durchzuführen ist, scheidet eine Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG aus. b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Indes kommt ein Rückgriff auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG in Betracht,327 da dieses weder eine „strukturelle Änderung“ noch eine „Eignung zur Minderung“ von Beteiligungsrechten, sondern ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten voraussetzt.328 Im Fall eines Anstiegs der Arbeitnehmerzahl in einer gegründeten SE liege nach Henssler ein Missbrauchsfall nach § 43 S. 1 SEBG „unstreitig“329 nicht vor. Nach Seibt sei bei nachträglichen Einstellungen durch eine gegründete SE für einen Rückgriff auf die allgemeine Missbrauchsvorschrift nach § 43 S. 1 SEBG bereits deshalb kein Raum, weil § 18 Abs. 3 SEBG als auf Art. 11 SE-RL und ErwG 18 SE-RL beruhende Sondervorschrift den Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung nach Gründung der SE abschließend regele.330 Demgegenüber ist nach Teichmann eine bloße Beeinträchtigung oder Gefährdung 326 Zur Erfassung dieser Konstellation von § 43 S. 1 SEBG vgl. sogleich unter § 9 A. I. 1. b). 327 Vgl. Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 2b: Eine Ausnahme davon, dass § 18 Abs. 3 SEBG bei organischem Wachstum nicht anzuwenden sei, könne sich „allenfalls aus § 43 [SEBG] ergeben, wenn die Einstellung der Arbeitnehmer in rechtsmissbräuchlicher Weise verzögert wird, um ein Verhandlungsverfahren zu vermeiden.“. 328 I. E. wohl auch Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367: Liege nur eine Gefährdung der Beteiligungsrechte ohne eine strukturelle Änderung vor, bleibe allenfalls der Rückgriff „auf die Missbrauchsregelung des § 43 SEBG“. 329 Henssler RdA 2005, 330, 334. 330 Vgl. Seibt ZIP 2005, 2248, 2250 im Hinblick auf die Einstellung von Arbeitnehmern als wirtschaftliche Neugründung einer Vorrats-SE; vgl. auch beim Beteiligungserwerb einer Vorrats-SE Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
von Beteiligungsrechten für sich genommen zwar kein Auslöser für neue Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG.331 Wenn eine Gefährdung der Beteiligungsrechte ohne eine strukturelle Veränderung vorliege, komme jedoch ein Rückgriff auf § 43 S. 1 SEBG in Betracht.332 Nach Güntzel spricht sogar eine Vermutung dafür, dass eine Vorrats-SE333 mit Sitz in Deutschland, die innerhalb kurzer Zeit mehr als 500 Arbeitnehmer einstellt, zur Vorenthaltung von Beteiligungsrechten missbraucht werde.334 Demgegenüber besteht weitgehend Einigkeit, dass ein Missbrauch der SERechtsform allein durch ein organisches Wachstum der Arbeitnehmerzahlen ausscheidet.335 Hätte der deutsche Gesetzgeber allein in dem Überschreiten von Schwellenwerten der deutschen Mitbestimmungsgesetze einen Missbrauchsfall gesehen, wäre es nur konsequent gewesen, auch die SE als Rechtsform mit einer zwingenden Mitbestimmung auszugestalten.336 Hierauf ist jedoch bewusst verzichtet worden, wie die Regierungsbegründung337 zeigt, wonach allein die Nutzung der vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten den Vorwurf des Missbrauchs nicht begründen könne.338 Das „kontinuierliche Anwachsen der Belegschaft einer mitbestimmungsfrei gegründeten SE“ führe daher nicht nachträglich zu einer Mitbestimmungspflicht.339 Die Errichtung einer SE auch kurz vor Erreichen der für die Mitbestimmung in Gesellschaften nationalen Rechts (DrittelbetG, MitbestG) maßgeblichen Schwellenwerte mit dem Ziel, das Hineinwachsen in ein intensiveres Mitbestimmungsstatut zu vermeiden, sei kein Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG, sondern „der Gebrauch eines gesetzlich eröffneten Gestaltungsspielraums“340. Neu eingestellte Arbeitnehmer begründen erst ein Arbeitsverhältnis mit der SE, sodass ein Vorher-Nachher-Vergleich ausscheidet.341 Allenfalls wenn die neu zur SE hinzukommenden Arbeitnehmer zuvor bei einer an der SEGründung beteiligten Gesellschaft angestellt waren und diese dort ein höheres Mitbestimmungsniveau als in der SE genossen, kann ein Vorher-Nach331 Teichmann
in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 333 Zur „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE noch unter § 9 B. III. 3. 334 Güntzel Diss. 2006, S. 435. 335 Etwa Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 87. 336 Henssler RdA 2005, 330, 334. 337 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 338 So bereits Henssler RdA 2005, 330, 334. 339 Henssler RdA 2005, 330, 335. 340 Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208. 341 Für § 18 Abs. 3 SEBG Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 214. 332 Teichmann
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 461
her-Vergleich angestellt werden. In diesem Fall liegt ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten vor, wenn den zuvor bei einer beteiligten Gesellschaft beschäftigten Arbeitnehmern dort ein höheres Mitbestimmungsniveau zustand als nach ihrer Wiedereinstellung in der SE. Einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründet die Neueinstellung von Arbeitnehmern in der SE somit, wenn diese Teil einer objektiv zweckwidrigen Gestaltung ist.342 Das ist der Fall, wenn zwischen der Beendigung der früheren und der Begründung der neuen Arbeitsverhältnisse mit denselben Arbeitnehmern aufgrund der früheren Arbeitsbeziehung ein Zusammenhang besteht und darin eine kollektive Maßnahme zum Nachteil von früher bei einer Gründungsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmern zu sehen ist. 2. Betriebs(teil)erwerb der SE mit Betriebsübergang (§ 613 a BGB) Ein Bestand an Beteiligungsrechten könnte gefährdet sein, wenn eine gegründete SE Betriebe oder Betriebsteile eines anderen mitbestimmten Unternehmens erwirbt, in dem ein stärkeres Niveau an Beteiligungsrechten als in der SE gilt.343 Liegt darin ein Betriebsübergang (§ 613 a BGB, vgl. auch Art. 29 Abs. 4 SE-VO für die SE-Gründung durch Verschmelzung) von Arbeitsverhältnissen, bleiben die Arbeitnehmer des übergehenden Betriebs keine Arbeitnehmer des stärker mitbestimmten Veräußerer-Unternehmens, sondern werden Arbeitnehmer der schwächer mitbestimmten Erwerber-SE. Damit entfallen infolge des Übergangs der Arbeitsverhältnisse die Rechte der übergehenden Arbeitnehmer auf unternehmerische Mitbestimmung im Aufsichtsrat des den Betrieb veräußernden Unternehmens. Besteht im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE eine schwächere oder überhaupt keine Mitbestimmung, könnte dies im Hinblick auf § 43 SEBG problematisch sein. Demgegenüber bleiben betriebliche Beteiligungsrechte nach dem BetrVG oder dem SprAuG erhalten, sofern der übergehende Betrieb weiterhin deren Anwendungsbereich unterfällt. Ein Betriebsübergang auf die SE ändert hinsichtlich der Anwendbarkeit nationalen Betriebsverfassungsrechts nach § 47 Abs. 1 SEBG nichts. Bleibt der Betrieb in Deutschland, sind das BetrVG und das SprAuG somit auch anwendbar, wenn infolge des Betriebsübergangs Inhaberin des Betriebs nunmehr ein in der Rechtsform der SE geführtes Unternehmen ist. Zu prüfen ist daher im Hinblick auf § 43 SEBG nur, ob ein Betriebsübergang auf eine SE hinsichtlich der Mitbestimmungsrechte der übergehenden 342 Zur Voraussetzung der „objektiven Zweckwidrigkeit“ oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2). 343 Vgl. das Fallbeispiel bei Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 577 (zweiter Spiegelstrich).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Arbeitnehmer erstens die Vermutung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform nach § 43 S. 2 SEBG begründen [dazu sogleich unter a)] und / oder zweitens dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG unterfallen kann [dazu unter b)]. a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) (1) K eine einheitliche Literaturauffassung zur Frage einer „strukturellen Änderung“ bei Betriebsübergang Für das deutsche Recht wird eine strukturelle Änderung bei einem Betriebsübergang auf die SE teilweise angenommen344, zum Teil verneint345. Für das Vorliegen einer strukturellen Änderung wird argumentiert, dass sich bei einem Betriebsübergang auf eine SE nicht nur die Arbeitnehmerzahl ändere, sondern auch die „Belegschaftsstruktur“346. Gegen eine „strukturelle Änderung“ spricht nach der engsten Auffassung bereits, dass ein Betriebsübergang kein „korporativer Akt“347 sei. Eine strukturelle Änderung könne bei einem asset deal nur bejaht werden, wenn gesellschaftsrechtlich ein Erwerb im Wege einer Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage vorliege.348 Nach anderer Auffassung kann mit Blick auf den Schutz von Beteiligungs344 Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 198 („Betriebsübernahmen“); Scheibe Diss. 2007, S. 156 („im Einzelfall“); ihr folgend Hoops Diss. 2009, S. 60; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 36; wohl auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 22; nur in „absoluten Ausnahmesituationen – keinesfalls aber im Regelfall“: Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; Kiem ZHR 173 (2009), 156, 166 für die Einbringung von Unternehmensteilen, wenn der eingebrachte Teil im Vergleich mit den bestehenden unternehmerischen Aktivitäten der SE einen „wesentlichen Umfang“ ausmache. 345 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282; Braun Diss. 2005, S. 105; Seibt AG 2005, 413, 427 („[…] Erwerb von Unternehmen im Wege des Asset Deal […] in keinem Fall eine ‚strukturelle Änderung‘ […]“); Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Habersack Der Konzern 2006, 105, 109, der Beteiligungserwerb und Hinzuerwerb eines Betriebs gleich behandelt und eine strukturelle Änderung ablehnt; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244; Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1757; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 346 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 36. 347 Braun Diss. 2005, S. 105. 348 Jedenfalls mangels Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG ablehnend Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 279, 282; wohl auch Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 463
rechten der Arbeitnehmer hingegen nicht ausschlaggebend sein, ob ein asset deal durch Übertragung eines Betriebs(teils) auf die SE durchgeführt wird oder die assets im Wege einer Sachkapitalerhöhung in die SE eingebracht würden.349 Daher könne im Ausnahmefall auch bei einem Betriebsübergang eine „strukturelle Änderung“ vorliegen.350 Vermittelnd wird insoweit argumentiert, dass der Betriebsübergang einer Sachgründung eindeutig näher stehen müsse als einem organischen Wachstum,351 um den Betriebsübergang als „strukturelle Änderung“ zu erfassen. Gegen das Vorliegen einer strukturellen Änderung wird ferner auf den Wortlaut des ErwG 18 S. 3 SE-RL verwiesen. Danach gelte das VorherNachher-Prinzip im Falle „struktureller Veränderungen einer bereits gegründeten SE für die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften“352, ohne dass sich ErwG 18 S. 3 SE-RL auf betroffene Betriebe beziehe.353 Daher sei § 613 a BGB als abschließende Regelung der Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs zu sehen und ein Betriebsübergang somit mitbestimmungsrechtlich „irrelevant“354. Dagegen argumentiert Güntzel mit dem als Fortführung des ErwG 18 S. 3 SE-RL gedachten ErwG 21 S. 3 SCE-RL, dessen Wortlaut das Vorher-Nachher-Prinzip hinsichtlich „struktureller Veränderungen in einer SCE auf die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Rechtspersönlichkeiten“355, nicht nur Gesellschaften, erstrecke.356 (2) S tellungnahme: Keine „strukturelle Änderung“ bei Betriebsübergang (§ 613a BGB) Die letztgenannte Einbeziehung betroffener Rechtspersönlichkeiten nunmehr in ErwG 21 S. 3 SCE-RL spricht nicht für die Einordnung eines Betriebsübergangs als „strukturelle Änderung“ – weder einer SCE noch einer SE – da ein Betrieb keine Rechtspersönlichkeit hat. Ein Betrieb ist keine rechtliche Einheit, sondern nach der Definition des Betriebsübergangs nach Art. 1 Abs. 1 lit. b RL 2001 / 23 / EG, den § 613 a BGB umsetzt, eine „wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von 349 Feldhaus / Vanscheidt
BB 2008, 2246, 2250. BB 2008, 2246, 2250. 351 Kiem ZHR 173 (2009), 156, 166. 352 Hervorhebung durch Verf. 353 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282; Braun Diss. 2005, S. 105. 354 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281; Braun Diss. 2005, S. 105. 355 Hervorhebung durch Verf. 356 Güntzel Diss. 2006, S. 431. 350 Feldhaus / Vanscheidt
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Tätigkeit“.357 Im Übrigen lässt sich die Wortwahl „Rechtspersönlichkeiten“ in Bezug auf die SCE damit erklären, dass diese im Gegensatz zur SE auch ausschließlich durch natürliche Personen oder durch eine einzige juristische Person zusammen mit natürlichen Personen gegründet werden kann (vgl. Teil III Art. 8 SCERL) und in der SCE-RL generell nicht der Begriff der Gesellschaften als juristische Personen, sondern der allgemeinere Begriff der Rechtspersönlichkeit unter Einschluss der juristischen und natürlichen Personen verwendet wird. Darüber hinaus spricht gegen die Einordnung eines Betriebsübergangs auf eine SE als „strukturelle Änderung“, dass § 18 Abs. 1 S. 3 SEBG eine strukturelle Änderung „der SE“358 voraussetzt. Die Formulierung deckt sich mit ErwG 18 S. 3 SE-RL, wonach das Vorher-Nachher-Prinzip auch für strukturelle Veränderungen „einer bereits gegründeten SE“359 gelten sollte. Die SE bezeichnet insoweit das Unternehmen, welches in der Rechtsform der SE geführt wird. Demnach kommt es auf eine Änderung des Unternehmens an, nicht bloß eine Änderung im Unternehmen, wovon auch Änderungen in der Belegschaft umfasst wären. Bei einem Betriebsübergang handelt es sich um einen kollektiven Übergang von Arbeitsverhältnissen. Änderungen an der Struktur der SE als Unternehmen sind damit nicht verbunden. Da bereits der bloße Anstieg der Zahl der Arbeitnehmer in der SE durch Neueinstellungen keine „strukturelle Änderung“ der SE i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG darstellt,360 hat auch ein kollektiver Übergang von Arbeitsverhältnissen im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB keinen Einfluss auf die Struktur des Unternehmens in der Rechtsform einer SE.361 Mithin liegt in einem Betriebs(teil)erwerb durch eine SE mit einem Betriebsübergang der Arbeitsverhältnisse auf die SE i. S. v. § 613 a BGB keine „strukturelle Änderung“ der SE i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. bb) „ Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG setzt neben einer – hier362 bereits verneinten – strukturellen Änderung die „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ voraus. zum Einfluss durch die EuGH-Rspr. ErfK / Preis § 613a BGB Rn 6. durch Verf. 359 Hervorhebung durch Verf. 360 Vgl. oben unter § 9 A. I. 1. a) aa). 361 Ähnlich Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 362 Vgl. soeben unter § 9 A. I. 2. a) aa) (2). 357 Vgl.
358 Hervorhebung
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 465
(1) K eine einheitliche Literaturauffassung zur Frage einer „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Betriebsübergang In der Literatur wird eine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG bei einem Übergang eines Betriebs(teils) eines Unternehmens mit höherem Beteiligungsniveau als in der SE zum Teil generell bejaht,363 zum Teil verneint364 und zum Teil offengelassen365. Für eine Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten wird angeführt, dass § 2 Abs. 4 SEBG in Umsetzung von Art. 2 lit. d SE-RL die Arbeitnehmer der Betriebe, die zu Betrieben der SE werden sollen, in den Schutzbereich des SEBG und der SE-RL einschließe.366 Gegen eine Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte wird argumentiert, dass bei einem Unternehmenswachstum durch den Erwerb von Betrieben oder Betriebsteilen die Mitbestimmung nicht gemindert werde, sondern sie „bleibt, wie sie ist“367. (2) S tellungnahme: Keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Betriebsübergang (§ 613 a BGB) Die letztgenannte Sichtweise trifft nur auf die Arbeitnehmer zu, die bereits bei der SE beschäftigt sind. Fraglich ist indes, ob eine Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse auf die SE übergehen, denkbar ist. Zum Teil wird dabei danach differenziert, ob der übernommene Betrieb(steil) „bei isolierter Betrachtung und unterstellter rechtlicher Selbständigkeit auch selbst mitbestimmungs pflichtig“368 war. Nur in diesem Fall komme eine Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte in Betracht.369 Solange der übergehende Betrieb oder Betriebsteil selbst nicht genügend Arbeitnehmer habe, um unter die deutschen Mitbestimmungsregeln oder eine im Vergleich zur SE stärkere Form 363 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 22; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 36; wohl auch Scheibe Diss. 2007, S. 156 („im Einzelfall“); ihr folgend Hoops Diss. 2009, S. 60. 364 Rieble BB 2006, 2018, 2022; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282: „[…] solange der übergehende Betrieb oder Teilbetrieb selbst nicht genügend Arbeitnehmer hat, um unter die Mitbestimmung bzw. eine im Vergleich zur SE stärkere Form der Mitbestimmung zu fallen.“ 365 Kiem ZHR 173 (2009), 156, 166 („im Einzelfall zu klären“). 366 Scheibe Diss. 2007, S. 156; Hoops Diss. 2009, S. 60. 367 Rieble BB 2006, 2018, 2022. 368 Henssler RdA 2005, 330, 334. 369 Vgl. Henssler RdA 2005, 330, 334.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
der Mitbestimmung zu fallen, fehle eine Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten.370 Gegen diese Differenzierung argumentiert Güntzel, dass sie eine Gefahr der Umgehung des mitbestimmungsrechtlichen Bestandschutzes mit sich bringe, da eine Übertragung eines Betriebs derart erfolgen könne, dass zunächst dessen Aufspaltung in einzelne Betriebsteile vorgenommen werden könnte, die isoliert nicht mitbestimmt wären, und anschließend die mitbestimmungsfreien Betriebsteile auf die SE übertragen und dort wieder zu einem einheitlichen Betrieb zusammengefügt werden könnten.371 Dagegen spricht jedoch, dass die Aufteilung von Betrieben für die Wahrnehmung der Rechte der Arbeitnehmer auf unternehmerische Mitbestimmung im Aufsichtsrat eines Unternehmens unbeachtlich ist. § 1 Abs. 1 DrittelbetG und § 1 Abs. 1 MitbestG knüpfen unternehmerische Mitbestimmungsrechte allein an Merkmale des Unternehmens, namentlich dessen Rechtsform und Arbeitnehmerzahl, nicht jedoch an Merkmale eines Betriebs an. Somit lässt sich durch eine Aufspaltung von Betrieben in einzelne Betriebsteile die unternehmerische Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer beteiligten Gesellschaft nicht vor Gründung der SE ausschalten. Die Eigenschaft als „Betrieb“ ist allein für die betrieblichen Mitbestimmungsrechte maßgeblich (vgl. § 1 Abs. 1 BetrVG), welche jedoch auch nach dem Übergang auf die SE gem. § 47 Abs. 1 SEBG erhalten bleiben. Im Falle eines Betriebsübergangs (§ 613 a BGB) scheidet somit eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG sowohl in Bezug auf betriebliche als auch auf unternehmerische Beteiligungsrechte aus. cc) E rgebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung bei Betriebsübergang (§ 613 a BGB) Mangels einer Pflicht zur Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG bei der Planung eines Betriebsübergangs eines mitbestimmten Betriebs(teils) auf eine SE ist die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht einschlägig. b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Weiter ist zu prüfen, ob das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG greift.
370 Wollburg / Banerjea 371 Güntzel
ZIP 2005, 277, 282. Diss. 2006, S. 431 Fn 496.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 467
aa) V ereinzelte Annahme eines Missbrauchs durch Betriebsübergang auf die SE In der Literatur wird ein Missbrauch der SE durch einen Betriebsübergang auf die SE i. S. v. § 613 a BGB zum Teil bejaht,372 zum Teil verneint.373 Das Missbrauchsverbot ist nach Güntzel bei einer Umgehung des mitbestimmungsrechtlichen Bestandschutzes einschlägig, wenn in einem ersten Schritt ein mitbestimmter Betrieb in einzelne „mitbestimmungsfreie Betriebsteile“ aufgespalten werde und diese in einem zweiten Schritt auf eine SE übertragen und dort wieder zu einem einheitlichen Betrieb zusammengefügt würden.374 Ähnlich argumentieren Drinhausen / Keinath, dass es zu einem missbräuchlichen Entziehen bestehender Mitbestimmungsrechte dadurch kommen könne, dass zum Zwecke der Gründung einer mitbestimmungsfreien SE zunächst Arbeitnehmer aus einer mitbestimmten AG „heraustransferiert“ würden, um die dann mitbestimmungsfreie AG in eine ebenfalls mitbestimmungsfreie SE umzuwandeln, in welche die Arbeitnehmer anschließend wieder „zurücktransferiert“ würden.375 bb) S tellungnahme zu § 43 S. 1 SEBG: Missbrauch bei mehrfachem Betriebsübergang (§ 613a BGB) Gegen die Argumentation Güntzels spricht in Bezug auf § 43 S. 1 SEBG, dass die Mitbestimmung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat einer den Betrieb veräußernden AG nicht von der Struktur oder Größe der Betriebe abhängt und damit eine Umgehung des Bestandschutzes von Mitbestimmungsrechten durch Aufteilung von Betrieben in „mitbestimmungsfreie Betriebsteile“ ausgeschlossen ist. Eine derartige Umgehung ließe sich nur erreichen, wenn die an der SE-Gründung beteiligte Gesellschaft in einzelne mitbestimmungslose Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit aufgespalten würde, sodass die für die Mitbestimmung in der beteiligten Gesellschaft relevante Arbeitnehmerzahl (vgl. § 1 Abs. 1 DrittelbetG, § 1 Abs. 1 MitbestG) in der beteiligten Gesellschaft vor Gründung der SE unterschritten und anschließend nach Gründung der SE durch die mitbestimmungslose beteiligte Gesellschaft die weiteren mitbestimmungslosen Unternehmen auf die Gesellschaft in der Rechtsform der SE gesellschaftsrechtlich – etwa im 372 Güntzel
Diss. 2006, S. 431. RdA 2005, 330, 334. 374 Güntzel Diss. 2006, S. 431 Fn 496. 375 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2705; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 11. 373 Henssler
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Wege der Verschmelzung auf die SE –376 übertragen würden. Der bloße Erwerb eines Betriebs und die Übertragung auf die SE im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB begründet demgegenüber keinen Missbrauch der SE-Rechtsform. Hingegen könnte ein Missbrauch der SE-Rechtsform ausgehend von der Beschreibung von Drinhausen / Keinath377 mit einem „Heraustransferieren“ von Arbeitnehmern aus einer mitbestimmten AG und einem „Zurücktransferieren“ in eine mitbestimmungsfrei gegründete SE in folgendem Fall 24 in Betracht kommen:
Fall 24
Eine paritätisch mitbestimmte Mutter-AG, die Betrieb A (300 Arbeitnehmer) und Betrieb B (2.500 Arbeitnehmer) unterhält, überträgt in einem ersten Schritt den Betrieb B im Wege eines Betriebsübergangs gem. § 613 a BGB auf eine drittelbeteiligte Tochter-GmbH, die bereits über einen Betrieb C (1.000 Arbeitnehmer) verfügt. Dadurch fällt die Mutter-AG aus dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 MitbestG heraus. Die TochterGmbH wächst aufgrund der hinzukommenden 2.500 Arbeitnehmer in Betrieb B in den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 MitbestG hinein und unterliegt dadurch der paritätischen Mitbestimmung. In einem zweiten Schritt wird die Mutter-AG gemäß Art. 2 Abs. 4 SE-VO in eine SE umgewandelt. Mangels fehlender Anwendbarkeit des § 1 Abs. 1 MitbestG hinsichtlich der Mutter-AG würde auch die SE keiner Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 SEBG unterliegen. Daher ist zu erwarten, dass die SE ebenfalls keiner Mitbestimmung kraft Beteiligungsvereinbarung unterliegt. In einem dritten Schritt wird Betrieb B von der Tochter-GmbH auf 376 Dazu 377 Vgl.
noch unter § 9 B. III. 1. a). Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2705.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 469
die Mutter-SE im Wege des Betriebsübergangs gem. § 613 a BGB übertragen. Dadurch unterliegt die Tochter-GmbH nur noch der Drittelbeteiligung. Die Arbeitnehmer des Betriebs B, die sowohl in der früheren Mutter-AG als auch in der Tochter-GmbH ein paritätisches Mitbestimmungsrecht in den jeweiligen Aufsichtsräten hatten, haben hingegen in der Mutter-SE überhaupt kein Recht auf Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE. Vor diesem Hintergrund könnte ein „Entziehen“ von Mitbestimmungsrechten (vgl. § 43 S. 1 SEBG) der Arbeitnehmer des Betriebs B festzustellen sein und demnach im Sinne der Argumentation von Drinhausen / Keinath ein Missbrauch der SE-Rechtsform vorliegen. Indes darf insofern nicht übersehen werden, dass infolge des ersten Betriebsübergangs des Betriebs B auf die Tochter-GmbH schon gar keine Änderung der paritätischen Mitbestimmung in der Mutter-AG eintritt, da im Konzern die Arbeitnehmer der Tochter-GmbH nach § 5 Abs. 1 MitbestG der Mutter-AG zugerechnet werden. Diese Norm bezweckt gerade, eine Umgehung der paritätischen Mitbestimmung durch Auslagerung von Betrieben in Tochtergesellschaften zu verhindern.378 Die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat der AG bleibt auch bei deren Umwandlung in eine SE durch die Mitbestimmung kraft Gesetzes nach §§ 34 Abs. 1, 35 Abs. 1 SEBG oder durch eine Mitbestimmung kraft Beteiligungsvereinbarung nach § 21 Abs. 6 S. 1 SEBG erhalten. Mithin kommt es in Fall 24 zu keinem „Entziehen“ (vgl. § 43 S. 1 SEBG) von Mitbestimmungsrechten für die Arbeitnehmer des Betriebs B. Ein Missbrauch der SE-Rechtsform kommt somit nur in Betracht, wenn der Betrieb B im ersten Schritt auf ein Unternehmen übertragen wird, welches die Mutter-AG nicht i. S. v. § 5 Abs. 1 MitbestG „beherrscht“, sodass den Arbeitnehmern des Betriebs B bereits durch den ersten Betriebsübergang Mitbestimmungsrechte entzogen werden. Insofern ist Fall 25 denkbar (siehe nächste Seite). Im Unterschied zu Fall 24 unterliegt in Fall 25 die AG mit Betrieb A (300 Arbeitnehmer) und Betrieb B (1.500 Arbeitnehmer) einer Drittelbeteiligung. Ferner besteht zwischen der AG und der GmbH mit Betrieb C (100 Arbeitnehmer) weder ein Beherrschungsvertrag noch ist die GmbH in die AG „eingegliedert“ i. S. v. § 2 Abs. 2 DrittelbetG. In einem ersten Schritt wird der Betrieb B auf die GmbH im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB übertragen. Infolge des Betriebsübergangs erhöht sich die Arbeitnehmerzahl der GmbH auf 1.600, sodass ein drittelbeteiligter Aufsichtsrat zu bilden ist. In der AG verringert sich die Zahl der Arbeitnehmer der AG auf 300, sodass diese die Voraussetzungen für eine Mitbestimmung nach § 1 Abs. 1 DrittelbetG nicht mehr erfüllt. Mangels Beherrschungsver378 Vgl.
Oetker in ErfK § 5 MitbestG Rn 1.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 25
trags mit der GmbH und mangels Eingliederung der GmbH in die AG werden der AG die Arbeitnehmer der GmbH nicht nach § 2 Abs. 2 DrittelbetG zugerechnet. Die AG wird damit mitbestimmungslos. Wird die AG in einem zweiten Schritt in eine SE umgewandelt, ergibt sich mangels Mitbestimmung in der AG – anders als in Fall 24 – keine Mitbestimmung kraft Gesetzes in der SE, sodass auch eine Mitbestimmung kraft Vereinbarung nicht zu erwarten ist. Wird nach Gründung der SE in einem dritten Schritt der Betrieb B von der GmbH auf die SE im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB übertragen, genießen die Arbeitnehmer des Betriebs B kein Recht auf Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE. Da den Arbeitnehmern des Betriebs B in der GmbH immerhin noch ein Drittelbeteiligungsrecht zustand, ist durch die Übertragung auf die mitbestimmungslose SE ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer (vgl. § 43 S. 1 SEBG) festzustellen. Diese mehrschrittige Gestaltung durch Kombination der drei Maßnahmen in Fall 25 – Betriebsübergang auf die GmbH, Umwandlung der AG in eine SE und Betriebsübergang auf die SE – steht dem Bestandschutzprinzip entgegen und ist daher ein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG. Im Ergebnis kann auch bei einem Erwerb eines Betriebs durch eine SE im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB ein Missbrauch der SE-Rechtsform vorliegen, wenn folgende Gestaltung gewählt wird: Der zu erwerbende Betrieb wird zunächst im Wege eines Betriebsübergangs von einer mitbestimmten Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft übertragen, die bisherige Inhaberin des übergegangenen Betriebs wird in eine mitbestimmungslose SE umgewandelt und der Betrieb geht sodann auf die SE über.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 471
II. Absenkung der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben einer SE 1. Beendigung von Arbeitsverhältnissen Fraglich ist, ob das Absenken der Arbeitnehmerzahl in Betrieben einer SE infolge der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, z. B. bei Massenentlassungen379 oder Betriebsstilllegungen380, zu einem Missbrauch der SE-Rechtsform führen kann. Zu prüfen ist daher, ob ein Absinken der Arbeitnehmerzahlen in den Betrieben einer gegründeten SE erstens die Vermutung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform nach § 43 S. 2 SEBG begründen [dazu sogleich unter a)] und / oder zweitens dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG unterfallen kann [dazu unter b)]. a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen Die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG setzt die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG voraus. § 43 S. 2 SEBG ist daher schon nicht einschlägig, wenn eine Pflicht zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG nicht besteht. Aufgrund der Anknüpfung der Missbrauchsvermutung des § 43 S. 2 SEBG an die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG spielt die Frage, ob bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch die SE § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG anzuwenden ist, mittelbar auch für die Frage der Vermutung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform eine Rolle.
379 Vgl. Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 283, die als „sonstige Gründe einer Reduzierung des Arbeitnehmerbestands“ Entlassungen oder „natürliche Fluktuationen“ anführen. 380 Die Stilllegung von Betrieben gilt im österreichischen Recht als „wesentliche Strukturveränderung“ i. S. v. § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich; vgl. für das deutsche Recht auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 16; a. A. Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 334 f.: Die Stilllegung einzelner Betriebe sei kein korporativer Akt von einigem Gewicht und könne auch nicht als gründungsähnlich bezeichnet werden. Es handele sich um eine Maßnahme, die bei größeren Gesellschaften alltäglich sei. Ferner fehle es an einer Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte: Die Schließung eines einzelnen Betriebs habe keine direkten Auswirkungen auf die Zusammensetzung des SE-Aufsichtsorgans, sodass sich an der Mitbestimmung nichts ändere und auch der SE-Betriebsrat unangetastet bleibe.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
aa) L iteraturauffassungen zur Anwendbarkeit des § 18 Abs. 3 SEBG bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen Im Hinblick auf ein Absinken der Arbeitnehmerzahl in den Betrie ben einer gegründeten SE wird eine Pflicht zur Wiederaufnahme von Verhandlungen – wie bereits bei einem Anstieg der Arbeitnehmerzahlen infolge Neueinstellungen – überwiegend verneint381 und nur vereinzelt382 bejaht. Zum Teil wird der SE-Leitung das Recht eingeräumt, infolge eines Absinkens der Arbeitnehmerzahl die Aufnahme von Verhandlungen vom SE-Betriebsrat verlangen zu können.383 Zum Teil wird zumindest, wenn nach Gründung einer kraft Gesetzes mitbestimmten SE die Schwellenwerte für die Anwendbarkeit der Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG unterschritten werden, der Arbeitgeberseite ein Anspruch auf Neuverhandlungen zugebilligt.384 Das sei zum Schutze der Unternehmensleitung angezeigt.385 Die Unternehmensleitung müsse die Möglichkeit haben, neue Verhandlungen zu erzwingen.386 Zwar gehe es in diesem Fall nicht um den Schutz der Arbeitnehmer, sondern um den Schutz des Unternehmens vor nicht mehr notwendigen Mitbestimmungsregelungen, sodass § 18 Abs. 3 SEBG nicht direkt anwendbar sei.387 Indes komme eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG in Betracht.388 Nach anderen Stimmen in der Literatur ist in diesem Fall „ein Verfahren in Anlehnung an Art 7 Abs. 2 SE-RL“389 durchzuführen und ein bVG entscheidet, ob es eine bisherige Mitbestimmung 381 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 281; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 198; Habersack Der Konzern 2006, 105, 108; Rieble BB 2006, 2018, 2021; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 214; Brandes ZIP 2008, 2193, 2194 Fn 5; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 85. 382 Güntzel Diss. 2006, S. 424 Fn 468, wonach „ab einer gewissen Höhe“ auch die Verminderung der Arbeitnehmerzahl eine strukturelle Änderung darstellen könne. 383 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 384 Bei Unterschreitung der Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG infolge Veräußerung von Unternehmensteilen im Wege eines Asset Deals mit Betriebsübergang Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; de lege ferenda einen Anspruch auf Neuaufnahme von Verhandlungen fordernd, wenn geplante strukturelle Änderungen der SE geeignet seien, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu vergrößern Güntzel Diss. 2006, S 437. 385 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 386 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 387 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 388 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; i. E. ablehnend Scheibe Diss. 2007, S. 163 f. 389 Kleinsorge RdA 2002, 343, 351; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 24.
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fortsetzt oder Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite aufnimmt.390 Nach anderer Auffassung hätten sinkende Arbeitnehmerzahlen nur Folgen, wenn zuvor in einer Beteiligungsvereinbarung eine entsprechende Anpassung der Mitbestimmung an die Beschäftigtenzahl vereinbart worden sei.391 bb) S tellungnahme: Keine Anwendbarkeit des § 18 Abs. 3 SEBG bei Beendigung von Arbeitsverhältnissen Ein Anspruch auf Neuverhandlungen seitens der Arbeitgeberseite gegen die Arbeitnehmerseite aus § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG bei einer Absenkung der Arbeitnehmerzahl ist mit der überwiegenden Auffassung abzulehnen.392 Diese Ansicht deckt sich mit der Auffassung des Arbeitsgerichts Stuttgart, wonach das SEBG in § 18 Abs. 1, 3 sowie § 26 SEBG die Voraussetzungen regelt, unter denen Verhandlungen neu aufzunehmen sind. Daneben könne ein „allgemeiner Neuverhandlungsanspruch“ nicht gegeben sein, da dies der Systematik der abschließenden Bestimmungen des SEBG widerspräche.393 Eine Absenkung der Arbeitnehmerzahl infolge der Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist aus denselben Gründen wie ein Anstieg der Arbeitnehmerzahl infolge der Begründung von Arbeitsverhältnissen keine „strukturelle Änderung“ i. S. d. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG.394 Eine Verringerung der Arbeitnehmerzahl begründet auch keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“, da sich dadurch an der Mitbestimmung nichts ändert.395 Eine einmal mitbestimmte SE bleibt daher auch mitbestimmt, wenn bei der SE-Gründung relevante Schwellenwerte später unterschritten werden.396 An der vom Wortlaut 390 Bei einer Unterschreitung der Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG infolge Veräußerung von Unternehmensteilen Kleinsorge RdA 2002, 343, 351. 391 Vgl. Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 198, die der Praxis empfehlen, in der Beteiligungsvereinbarung Schwellenwerte für die Anpassung des Mitbestimmungsniveaus an die Beschäftigtenzahlen der SE zu vereinbaren; vgl. auch Scheibe Diss. 2007, S. 164; Hoops Diss. 2009, S. 65; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245. 392 Güntzel Diss. 2006, S. 436 f.; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245; Hoops Diss. 2009, S. 65. 393 ArbG Stuttgart Urt. v. 29.4.2008 – 12 BV 109 / 07, juris, Rn 114; Forst Diss. 2010, S. 175; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 1. 394 Vgl. oben unter § 9 A. I. 1. a) aa). 395 So auch Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 197 f.; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 577; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17; Hoops Diss. 2009, S. 65; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245; Jacobs in: MüKo-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 SEBG Rn 18; anders noch Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 18 SEBG Rn 16. 396 Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282 f.; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 197 („Im Ergebnis kann dies dazu führen, daß die einmal
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des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG vorausgesetzten „Eignung zur Minderung“ fehlt es, wenn die Beteiligungsrechte erhalten bleiben oder gar verstärkt werden.397 Auch eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG bei der Absenkung der Arbeitnehmerzahl ist mangels vergleichbarer Interessenlage abzulehnen.398 Die Norm soll Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer sichern, aber nicht die Arbeitgeberseite vor einer vermeintlich nicht mehr notwendigen Mitbestimmung schützen.399 Eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 18 Abs. 3 SEBG, der im Ergebnis zum Abbau bestehender Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer führen würde, widerspräche dessen Zielsetzung.400 Anpassungen des Mitbestimmungsniveaus nach unten sind auch von der SE-RL weder vorgesehen noch gefordert.401 Damit führt eine Absenkung der Arbeitnehmerzahl nicht zu einer Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. Mithin kommt ein Eingreifen der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht in Betracht. b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Ein Rückgriff auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG setzt ein „Entziehen von Beteiligungsrechten“ voraus. Durch die Absenkung der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben der SE kommt es jedoch nicht zu einem Verlust an Beteiligungsrechten für die in der SE verbleibenden Arbeitnehmer, deren Schutz § 43 S. 1 SEBG bezweckt.402 Zwar verlieren die aus der SE ausscheidenden Arbeitnehmer ihre Beteiligungsrechte. Indes genießen aus der SE ausscheidende Arbeitnehmer grundsätzlich keinen Schutz durch § 43 S. 1 SEBG.403 Daher steht § 43 S. 1 SEBG einer Absenkung der Arbeitnehmerzahl nicht entgegen.404 eingerichtete Mitbestimmung ‚bis in alle Ewigkeit‘ fortgeschrieben wird.“); Habersack Der Konzern 2006, 105, 108; Kisker RdA 2006, 206, 208; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 17; Hoops Diss. 2009, S. 65; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 85; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 18. 397 Vgl. Güntzel Diss. 2006, S. 436. 398 So auch Scheibe Diss. 2007, S. 164; Hoops Diss. 2009, S. 65; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 40; a. A. Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 399 So Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 40; a. A. Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 400 So auch Scheibe Diss. 2007, S. 164. 401 So auch Scheibe Diss. 2007, S. 164. 402 Vgl. oben unter § 3 C. I. 4. a). 403 Vgl. oben unter § 3 C. I. 4. c). 404 Vgl. auch Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 577, wonach das Unterschreiten von Schwellenwerten für die Missbrauchsproblematik irrelevant sei.
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2. Betriebs(teil)veräußerung mit Betriebsübergang (§ 613 a BGB) Fraglich ist, ob bei der Veräußerung von Betrieben oder Betriebsteilen einer SE an andere Unternehmen im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB hinsichtlich der Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern ein Missbrauch der SE-Rechtsform denkbar ist.405 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG aa) Keine direkte Anwendung von § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG Ebensowenig wie eine sonstige Verringerung von Arbeitnehmerzahlen406 ist eine Betriebsveräußerung eine „strukturelle Änderung“.407 Eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ wird infolge einer Betriebsveräußerung im Wege des Betriebsübergangs hinsichtlich der Unterrichtungs- und Anhörungsrechte im SE-Betriebsrat für die aus der SE ausscheidenden Arbeitnehmer erwogen.408 Jedoch sind Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, die aus der SE ausscheiden, nicht vom Schutzbereich des § 18 Abs. 3 SEBG erfasst.409 Führt die Betriebsveräußerung dazu, dass die bei der SE-Gründung überschrittenen Schwellenwerte für die Mitbestimmung kraft Gesetzes nach § 34 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 SEBG nachträglich unterschritten werden, ist eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ auch für in der SE verbleibende Arbeitnehmer zu verneinen,410 da der Bestand an Beteiligungs405 Vgl. zum Betriebs(teil)erwerb durch die SE mit Betriebsübergang (§ 613a BGB) bereits oben unter § 9 A. I. 2. 406 Vgl. oben unter § 9 A. II. 1. a) bb). 407 Rieble BB 2006, 2018, 2022; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641; Jacobs in: MüKo-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 SEBG Rn 18; anders noch Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 18 SEBG Rn 16. 408 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 30 für die Veräußerung eines Unternehmensbereichs. 409 So auch Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 30; für Art. 11 SE-RL vgl. oben unter § 3 C. I. 4. c). 410 I. E. auch Jacobs in: MüKo-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 SEBG Rn 18 (anders noch Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 18 SEBG Rn 16); vgl. allgemein für das Unterschreiten der Schwellenwerte für die Mitbestimmung kraft Gesetzes Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 197 f.; Rieble BB 2006, 2018, 2021; Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 577; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245.
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rechten in der SE unabhängig von der Arbeitnehmerzahl ist und sich somit für die Arbeitnehmer der SE an der Beteiligung in der SE nichts ändert.411 bb) Keine analoge Anwendung von § 18 Abs. 3 SEBG Für das deutsche Recht wird in der Literatur vertreten, dass die Veräußerung von Betrieben der SE im Wege eines Betriebsübergangs zwingend Neuverhandlungen (analog § 18 Abs. 3 SEBG) auslösen soll, „wenn es infolge der Veräußerung zu einer Unterschreitung der für die Mitbestimmung [kraft Gesetzes]412 maßgeblichen Schwellenwerte des § 34 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SEBG kommt, weil einige Arbeitnehmer ausscheiden, die Mitbestimmungsrechte schon vor der Gründung der SE hatten und seinerzeit für das Überschreiten der Schwellenwerte ursächlich waren“413. In diesem Fall beziehe sich die Minderung von Beteiligungsrechten auf den Bestand von Beteiligungsrechten in der SE selbst.414 Dabei wird damit argumentiert, dass es zu einem Wegfall der Voraussetzungen für eine Mitbestimmung kraft Gesetzes komme und daher deren Fortsetzung nicht sinnvoll sei.415 Zugleich räumen die Vertreter dieser Auffassung jedoch ein, dass es bei der von ihnen beschriebenen Gestaltung „anders als in dem Fall des § 18 Abs. 3 SEBG nicht um den Schutz der Arbeitnehmer, sondern um den Schutz des Unternehmens vor nicht mehr notwendigen Mitbestimmungsregelungen“416 gehe. Da die Unternehmensleitung die Möglichkeit haben müsse, neue Verhandlungen zu erzwingen, komme eine analoge Anwendung von § 18 Abs. 3 SEBG in Betracht.417 Im Falle der Nichteinigung während eines wiederaufgenommenen Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG analog solle die Mitbestimmung jedenfalls in analoger Anwendung von § 325 UmwG nach Ablauf einer Übergangszeit von fünf Jahren automatisch entfallen.418 411 So auch Rieble BB 2006, 2018, 2022; vgl. auch Jacobs in: MüKo-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 SEBG Rn 18 (anders noch Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 18 SEBG Rn 16). 412 Einfügung durch Verf. 413 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; für die Veräußerung von Unternehmensteilen auch bereits Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 18 SEBG Rn 16; anders nunmehr Jacobs in: MüKo-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 SEBG Rn 18; vgl. zu Überlegungen vor Erlass des SEBG Kleinsorge RdA 2002, 343, 351; HerfsRöttgen NZA 2002, 358, 365. 414 Jacobs in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, § 18 SEBG Rn 16; anders nunmehr Jacobs in: MüKo-AktG, 3. Aufl. 2012, § 18 SEBG Rn 18. 415 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 416 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 417 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 418 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250.
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Gegen eine Analogie zu § 18 Abs. 3 SEBG zugunsten der Unternehmensleitung spricht, dass insoweit keine vergleichbare Interessenlage mit der Situation einer direkten Anwendung der Norm gegeben ist, welche auf den Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer gerichtet ist.419 cc) E rgebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung bei Betriebs(teil)veräußerung mit Betriebsübergang (§ 613 a BGB) Eine Veräußerung von Betrieben oder Betriebsteilen löst mangels „struktureller Änderung“ und mangels „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ keine Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG aus und begründet daher nicht die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG. b) Grundsätzlich kein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG Mangels Änderung bei den Beteiligungsrechten für die in der SE verbleibenden Arbeitnehmer, welche nach Gründung der SE durch § 43 S. 1 SEBG geschützt sind,420 scheidet bei einer Veräußerung von Betrieben oder Betriebsteilen der SE im Wege des Betriebsübergangs (§ 613 a BGB) auch ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG aus. Im Übrigen sind Beteiligungsrechte von aus der SE ausscheidenden Arbeitnehmern, hinsichtlich derer ein „Entziehen“ in Betracht käme, grundsätzlich nicht durch § 43 S. 1 SEBG geschützt, da § 1 Abs. 1 S. 2 SEBG und ErwG 18 S. 1, 2 SE-RL die Sicherung erworbener Beteiligungsrechte lediglich in der SE bezwecken.421 c) Ausnahmsweise Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG bei Betriebsübergang auf sekundäre mitbestimmungsfreie SE-Tochter (Art. 3 Abs. 2 SE-VO) Ein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG liegt indes bei folgender mehrschrittiger Gestaltung vor: Im ersten Schritt wird eine SE durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) oder gar Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) unter Wahrung von Beteiligungsrechten primär gegründet, um im zweiten Schritt eine mitbestimmungsfreie SE-Tochter sekundär zu gründen (Art. 3 Abs. 2 SE-VO) und sodann im dritten Schritt Arbeitsverhältnisse mit Ar419 Vgl.
bereits oben unter § 9 A. II. 1. a) bb). für Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. I. 4. a). 421 Vgl. für Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. I. 4. c). 420 Vgl.
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beitnehmern der Mutter-SE, die zuvor bei an der Primärgründung beteiligten mitbestimmten Gesellschaften beschäftigt waren, im Wege eines Betriebsübergangs auf die Tochter-SE zu übertragen. Im Zusammenhang mit der Sekundärgründung einer SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO sind solche Beteiligungsrechte, die Arbeitnehmer von an der Gründung der Mutter-SE beteiligten Gesellschaften in diese „eingebracht“ haben, geschützt.422 Auch wenn eine SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO grundsätzlich beteiligungsfrei gegründet werden kann,423 werden in diesem Fall Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, die bei der Primärgründung Bestandschutz genießen, i. S. v. § 43 S. 1 SEBG „entzogen“,424 wenn die Beteiligungsrechte in der Tochter-SE nicht das Niveau in der Mutter-SE erreichen. Der Entzug dieser Beteiligungsrechte steht im Widerspruch zum Zweck von § 1 Abs. 1 SEBG und ErwG 18 S. 1, 2 SE-RL, in einer SE die in den bei der Primärgründung beteiligten Gesellschaften erworbenen Beteiligungsrechte zu sichern. Daher missbraucht die Mutter-SE ihre Befugnis, eine mitbestimmungsfreie SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO zu gründen, wenn bei dieser mehrschrittigen Gestaltung zugleich Beteiligungsrechte der ehemals bei den an der SE-Muttergründung beteiligten Gesellschaften, später in der Mutter-SE und sodann nach Betriebsübergang bei der Tochter-SE beschäftigten Arbeitnehmer entfallen. Rechtsfolge ist nicht die Wiederaufnahme von Verhandlungen (analog § 18 Abs. 3 SEBG) wegen einer etwaigen „strukturellen Änderung“ der Mutter-SE,425 da diese auf den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung bei der Mutter-SE und nicht bei der SE-Tochter abzielte. Daher ist bei dieser Form eines Missbrauchs426 analog zu den Rechtsfolgen einer Umgehung der Beteiligung kraft Gesetzes427 die Befugnis des SE-Betriebsrats, hinsichtlich des Unternehmensorgans der Mutter-SE mitzubestimmen, auf das Unternehmensorgan der Tochter-SE zu erstrecken.
422 Vgl.
bereits oben unter § 3 C. I. 5. bereits oben unter § 3 C. I. 5. 424 So auch Forst Der Konzern 2010, 151, 159. 425 So aber Scheibe Diss. 2007, S. 166. 426 Daher keine generelle Erstreckung des Mitbestimmungsstatuts der Mutter-SE auf die SE-Tochter wie gefordert von Grobys NZA 2005, 84, 91; Güntzel Diss. 2006, S. 299. 427 Vgl. oben unter § 5 A. IV. 6. b). 423 Vgl.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 479
III. Betriebliche Umstrukturierungen durch Verlegung oder Zusammenschluss von Betrieben der SE Fraglich ist, ob bei betrieblichen Umstrukturierungen wie einer Verlegung oder einem Zusammenschluss von Betrieben der SE hinsichtlich der Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern ein Missbrauch der SE-Rechtsform denkbar ist. 1. Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG a) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Das österreichische Recht zur Umsetzung der SE-RL sieht ausdrücklich vor, dass Verlegungen und Zusammenschlüsse von Betrieben als wesentliche Änderungen der Struktur der SE gelten.428 Da das deutsche Recht eine entsprechende Regelung nicht vorsieht, wird in der Literatur diskutiert, ob Verlegungen oder Zusammenschlüsse von Betrieben der SE unter § 18 Abs. 3 SEBG fallen. Eine Anwendung dieser Norm wird zum Teil bejaht,429 zum Teil verneint.430 Für eine „strukturelle Änderung“ spricht ein systematischer Vergleich mit dem nach der Reform der EBR-RL 2009 eingeführten § 37 EBRG. Danach gelten der Zusammenschluss (§ 37 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EBRG) sowie die Verlegung von Betrieben (§ 37 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EBRG) als „wesentliche Strukturänderungen“ i. S. v. § 37 Abs. 1 S. 1 EBRG. b) „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Ungeachtet der Frage, ob betriebliche Umstrukturierungen durch Verlegung oder Zusammenschluss „strukturelle Änderungen“ der SE darstellen, könnte es jedenfalls an einer „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ der Arbeitnehmer mangeln, wenn die Beteiligungsrechte durch die Änderungen auf der Betriebsebene unangetastet bleiben. Betriebliche Beteiligungsrechte unterliegen nationalem Recht, etwa dem BetrVG. Sie bestehen unabhängig von der Rechtsform des Unternehmens als SE und bleiben auch bei Verlegungen und Zusammenschlüssen von Betrieben innerhalb der mitgliedstaatlichen Grenzen weiterhin anwendbar. Bei grenzüberschreitenden Betriebsverlegungen oder -zusammenschlüssen bleiben grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte, d. h. die Rechte auf Unterrichtung und 428 § 228
Abs. 2 ArbVG-Österreich. in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 16 unter Verweis auf § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich. 430 Hinsichtlich der Stilllegung: Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 334 f. 429 Oetker
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Anhörung in grenzüberschreitenden Angelegenheiten, erhalten. Unternehmerische Mitbestimmungsrechte in der SE sind von der betrieblichen Struktur unabhängig. Indes ist denkbar, dass sich grenzüberschreitende Verlegungen oder Zusammenschlüsse von Betrieben der SE auf die Sitzverteilung der Arbeitnehmervertreter im SE-Aufsichts- oder -Verwaltungsorgan auswirken. Entfallen etwa sechs Sitze auf die Arbeitnehmer der SE und ist für die Verteilung dieser Sitze auf die einzelnen Mitgliedstaaten das Repräsentationsprinzip maßgeblich, gilt – wie in Fall 14 Var. 1431 – Folgendes: Beschäftigt die SE in Deutschland 3.000 Arbeitnehmer, in Großbritannien 2.000 und in Frankreich 1.000 Arbeitnehmer, entfallen von den sechs Arbeitnehmersitzen im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan drei Sitze auf die Arbeitnehmer in Deutschland, zwei Sitze auf die Arbeitnehmer in Großbritannien und ein Sitz auf die Arbeitnehmer in Frankreich. Verlegt die SE einen Betrieb mit 1.000 Arbeitnehmern von Deutschland nach Frankreich, sodass in allen drei Mitgliedstaaten jeweils 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt werden, könnte bei unveränderter Aufteilung der Arbeitnehmersitze auf die Mitgliedstaaten für die Arbeitnehmer des nach Frankreich verlegten Betriebs eine „Minderung von Beteiligungsrechten“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG vorliegen, da sie statt bislang drei künftig nur noch einen Vertreter in das Aufsichts- oder Verwaltungsorgan wählen können. § 25 S. 1 SEBG verpflichtet die SE-Leitung lediglich, alle zwei Jahre zu prüfen, ob bei den Arbeitnehmerzahlen in den einzelnen Mitgliedstaaten Änderungen eingetreten sind. Ungeachtet dessen bleibt die Zahl der insgesamt auf die gesamte Belegschaft der SE in allen Mitgliedstaaten entfallenden Sitze unverändert bei sechs Sitzen. Bei der „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ kommt es allein auf das Sitzverhältnis zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern an, nicht auf die interne Verteilung der auf die Arbeitnehmer insgesamt entfallenden Sitze.432 Mithin liegt bei der grenzüberschreitenden Betriebsverlegung keine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ vor. Entsprechendes gilt beim grenzüberschreitenden Zusammenschluss von Betrieben. c) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung bei betrieblichen Umstrukturierungen Betriebliche Umstrukturierungen wie grenzüberschreitende Betriebsverlegungen oder -zusammenschlüsse lösen jedenfalls mangels „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ keine Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG aus und begründen daher nicht die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG. 431 Vgl. 432 Vgl.
oben unter § 8 D. II. 1. oben unter § 8 D. II. 1.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 481
2. Kein Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Da bei betrieblichen Umstrukturierungen wie grenzüberschreitenden Betriebsverlegungen oder -zusammenschlüssen grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte der Unterrichtung und Anhörung sowie Mitbestimmungsrechte – konkret die auf die Zahl aller SE-Arbeitnehmer entfallenden Sitze im SE-Aufsichts- oder Verwaltungsorgan – erhalten bleiben, liegt kein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten vor. Mithin scheidet ein Missbrauch der SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG bei betrieblichen Umstrukturierungen wie grenzüberschreitenden Betriebsverlegungen oder -zusammenschlüssen aus.
B. Veränderungen auf Unternehmensebene einer SE Auf Unternehmensebene einer SE wird im Folgenden zwischen Veränderungen auf Satzungsebene (dazu sogleich unter I.), Veränderungen in den Beteiligungsverhältnissen (II.) sowie Veränderungen durch unternehmerische Umstrukturierungen einer SE (III.) unterschieden. I. Veränderungen in der Satzung einer SE Als Änderungen der Satzung433 der SE kommen die Verlegung des Satzungssitzes der SE gemäß Art. 7 SE-VO (dazu sogleich unter 1.) sowie ein Wechsel der Organisationsstruktur (2.) in Betracht. 1. Grenzüberschreitende Sitzverlegung einer SE Art. 8 Abs. 1 S. 1 SE-VO sieht ausdrücklich vor, dass der Sitz434 einer gegründeten SE nach Maßgabe von Art. 8 Abs. 2–13 SE-VO in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden kann („grenzüberschreitende Sitzverle gung“435).436 Eine Einschränkung macht Art. 37 Abs. 3 SE-VO, wonach der Sitz der Gesellschaft nicht „anlässlich der Umwandlung“ in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden kann. Die grenzüberschreitende Sitzverlegung 433 Veil
in: KK-AktG Art. 8 SE-VO Rn 17 m. w. N. i. S. v. Art. 8 Abs. 1 S. 1 SE-VO ist der Satzungssitz (Schwarz SEVerordnung, Art. 8 SE-VO Rn 4); wegen des in Art. 7 SE-VO angeordneten Gleichlaufs von Satzungssitz und Hauptverwaltungssitz (vgl. Veil in: KK-AktG Art. 7 SE-VO Rn 2), ist nur eine gemeinsame Verlegung von Satzungssitz und Hauptverwaltungssitz möglich (vgl. Veil in: KK-AktG Art. 8 SE-VO Rn 13 f.). 435 Veil in: KK-AktG Art. 8 SE-VO Rn 11. 436 Zu Beispielen aus der Praxis: Schmidt in: Bayer, Going European 2007, S. 51, 72 ff.; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335 Fn 66. 434 „Sitz“
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
führt gemäß Art. 8 Abs. 1 S. 2 SE-VO weder zur Auflösung der SE noch zur Gründung einer neuen juristischen Person („identitätswahrende Sitzverle gung“437). a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Ob die Sitzverlegung grundsätzlich ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG auslöst, ist in der Literatur umstritten.438 Zum einen wird diskutiert, ob die grenzüberschreitende Sitzverlegung eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG ist [dazu sogleich unter aa)].439 Zum anderen ist fraglich, ob eine grenzüberschreitende Sitzverlegung das Tatbestandsmerkmal der „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ in § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG erfüllt [dazu unter bb)]. aa) „ Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) bei grenzüberschreitender Sitzverlegung Einige mitgliedstaatliche Gesetze zur Umsetzung der SE-RL sehen ausdrücklich vor, dass eine Sitzverlegung eine „strukturelle Änderung“ begründet oder zu Neuverhandlungen verpflichtet.440 Das deutsche Recht sieht keine entsprechende Regelung vor. (1) Literaturauffassungen Ein Teil des Schrifttums bejaht441, ein anderer Teil verneint442 im Falle einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung eine „strukturelle Änderung“ 437 Schwarz SE-Verordnung, Art. 8 SE-VO Rn 1; Veil in: KK-AktG Art. 8 SEVO Rn 15; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335; vgl. auch Teichmann AG 2008, 797, 801. 438 Ablehnend Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 283; wohl auch Krause BB 2005, 1221, 1223; bejaht von Teichmann AG 2008, 797, 801; für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage über die Arbeitnehmerbeteiligung, da mit der Sitzverlegung das von der gesetzlichen Auffangregelung ausgehende Druck- und Anreizpotential untergehe: Oechsler AG 2005, 373, 377; dazu Güntzel Diss. 2006, S. 300 Fn 1017. 439 Vgl. für „strukturelle Veränderungen“ i. S. v. ErwG 18 S. 3 SE-RL: Ringe NZG 2006, 931, 932: „Ob auch die Sitzverlegung dieser Regelung unterfallen soll, ist unklar.“. 440 Art. L2354-4 Code du travail-Frankreich; Art. 120.1 Umsetzungsgesetz-Polen; § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich. 441 Kleinsorge RdA 2002, 343, 351; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 16; wohl auch Teichmann AG 2008, 797, 801 f.; wohl auch Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 5; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 483
i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG. Gegen die Einordnung als „strukturelle Änderung“ wird argumentiert, dass die Sitzverlegung keinen Einfluss auf die Rechtspersönlichkeit der SE habe, da die Identität der Gesellschaft nach Art. 8 Abs. 1 S. 2 SE-VO erhalten bleibe.443 Die Sitzverlegung sei nicht als Abweichung vom Gründungszustand anzusehen, die mit einem Gründungstatbestand vergleichbar sei.444 Die Eintragungsvoraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 SE-VO müssten nicht erneut vorliegen,445 sodass es keines neuen Verhandlungsverfahrens bedürfe.446 Darüber hinaus wirke sich die Sitzverlegung nicht auf die Struktur der Belegschaft aus.447 442
(2) Analogie zu ErwG 21 S. 4, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL Bislang ist bei der Auslegung des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG im Hinblick auf eine grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE nur wenig beachtet worden,448 dass die knapp zwei Jahre nach der SE-RL beschlossene SCERL mit ErwG 21 S. 4, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL Regelungen zum Bestandschutz von Beteiligungsrechten bei grenzüberschreitender Sitzverlegung der SCE-RL enthält. Diese Regelungen könnten analog bei der Ausle(„satzungsmäßiger Akt“); für ErwG 18 S. 3 SE-RL Grundmann in: v. Rosen, Europa-AG 2003, S. 60. 442 Köstler in: Theisen / Wenz, S. 368 f.; Wenz in: Theisen / Wenz, S. 234; Hunger in: Jannott / Frodermann Kap 9 Rn 36 f.; Kienast in: Jannott / Frodermann Kap 13 Rn 466; Oechsler AG 2005, 373, 376; Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 3, § 18 SEBG Rn 17; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 214; wohl auch Ringe Diss. 2006, S. 154; Scheibe Diss. 2007, S. 158; Röder / Rolf in FS Löwisch 2007, S. 249, 250; Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 104; Hoops Diss. 2009, S. 60; Freis in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 18 SEBG Rn 11 („zweifelhaft“; „nicht automatisch“); Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1757; Schmid Diss. 2010, S. 145; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 22; für ErwG 18 S. 3 SE-RL auch: Güntzel Diss. 2006, S. 300; ferner Sagan EBLR 2010, 15, 38 f. 443 Oechsler AG 2005, 373, 377; Hunger in: Jannott / Frodermann Kap 9 Rn 37; Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 3, § 18 SEBG Rn 17; Hoops Diss. 2009, S. 60; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1757; Schmid Diss. 2010, S. 145; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 22. 444 Schmid Diss. 2010, S. 145. 445 Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 199; Oechsler AG 2005, 373, 377; Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 3; Hoops Diss. 2009, S. 60; Schmid Diss. 2010, S. 145. 446 Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 199; Hoops Diss. 2009, S. 60. 447 Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 22. 448 Für ErwG 21 S. 4 SCE-RL nur Kisker RdA 2006, 206, 209; Sagan EBLR 2010, 15, 39.
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gung des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG, insbesondere des Merkmals der „strukturellen Änderung“, heranzuziehen sein. Nach ErwG 21 S. 4 SCE-RL soll bei der grenzüberschreitenden Verlegung des Sitzes einer SCE „weiterhin mindestens das gleiche Maß an Rechten der Arbeitnehmer auf Beteiligung gelten“. Die Verknüpfung von ErwG 21 S. 4 SCE-RL („daher“) mit ErwG 21 S. 3 SCE-RL, wonach das Vorher-Nachher-Prinzip (ErwG 21 S. 2 SCE-RL) auch für „strukturelle Veränderungen in der SCE“ gelten soll, spricht dafür, dass der SCE-Richtliniengeber eine grenzüberschreitende Verlegung des Sitzes einer SCE für eine „strukturelle Veränderung in einer bereits gegründeten SCE“ i. S. v. ErwG 21 S. 3 SCE-RL hält. ErwG 21 S. 4 SCE-RL („sollte“) ist normativ in Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL449 verankert. Da danach bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung „weiterhin zumindest dasselbe Niveau an Mitbestimmungsrechten zu gewährleisten“ ist, scheint der SCE-Richtliniengeber von der grundsätzlichen Möglichkeit einer Absenkung des bisherigen Ausmaßes an Arbeitnehmerbeteiligung in der SCE im Rahmen von Neuverhandlungen auszugehen. Eine Absenkung ist jedoch nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL unzulässig, wohingegen eine Verstärkung („zumindest“) des bisherigen Niveaus an Mitbestimmungsrechten zulässig ist. Zwar fehlt in der SE-RL eine ErwG 21 S. 4, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL entsprechende Vorgabe. Da jedoch die SCE-RL aus dem Jahr 2003 als Fortführung der Konzeption des europäischen Verhandlungsmodells in der SE-RL aus dem Jahr 2001 gelten kann,450 können ErwG 21 S. 4, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL analog für die SE herangezogen werden.451 Die SE-RL enthält insoweit eine planwidrige Regelungslücke. Die Interessenlage der Arbeitnehmer der SCE und der SE bei grenzüberschreitender Sitzverlegung ist vergleichbar. Daher ist die grenzüberschreitende Sitzverlegung auch eine „strukturelle Änderung“ der SE, die zur Wiederaufnahme von Verhandlungen führen kann.
449 „Wird der Sitz einer SCE, in der Vorschriften über die Mitbestimmung bestehen, von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt, so ist den Arbeitnehmern weiterhin zumindest dasselbe Niveau an Mitbestimmungsrechten zu gewährleisten.“. 450 Vgl. Kisker RdA 2006, 206, 208; vgl. für eine Heranziehung der ErwGe der SCE-RL auch Güntzel Diss. 2006, S. 431; vgl. zum Export des SE-Modells zur Arbeitnehmerbeteiligung in die SCE oben unter § 2 C. IV. 1. 451 I. E. auch Kisker RdA 2006, 206, 209, der ErwG 21 S. 4 SCE-RL als „Klarstellung und nicht eine inhaltliche Änderung gegenüber Missbrauchsverbot und Vorher-Nachher-Prinzip“ in Art. 11 und ErwG 18 SE-RL begreift.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 485
(3) E rgebnis: „Strukturelle Änderung“ bei grenzüberschreitender Sitzverlegung Eine grenzüberschreitende Sitzverlegung ist in Analogie zu ErwG 21 S. 4, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. Dafür spricht auch, dass die Sitzverlegung eine Änderung der SE-Satzung durch die Hauptversammlung (vgl. Art. 59 SE-VO) erfordert und damit die Voraussetzung selbst nach der engsten Auffassung, welche lediglich „korporative Akte mit Satzungsrelevanz“ unter den Begriff der „strukturellen Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG fassen will,452 erfüllt ist. bb) „ Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) bei grenzüberschreitender Sitzverlegung Ein Teil der Literatur bejaht453 eine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ der Arbeitnehmer, ein anderer Teil verneint454 diese bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer SE. (1) Literaturauffassungen Nach Stimmen in der Literatur soll etwa in der Fallgestaltung eines Sitzwechsels in einen Mitgliedstaat, der von der Ermächtigung des Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO Gebrauch gemacht hat, eine Minderung der Beteiligungsrechte vorliegen.455 Dagegen wird argumentiert, dass die Sitzverlegung an dem Mitbestimmungsniveau in der SE nichts ändere,456 weil dabei der „Rechtsrahmen der Beteiligungsrechte“ aufgrund der SE-VO, der SE-RL, der Umsetzungsgesetze sowie einer fortgeltenden Beteiligungsvereinbarung „kaum berührt“ werde.457 452 Vgl.
oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (2) (a). in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 21. 454 Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 214; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335; Schmid Diss. 2010, S. 145. 455 In diese Richtung Kleinsorge RdA 2002, 343, 351; ferner Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 359; a. A. wohl Rehberg ZGR 2005, 859, 879. 456 Hunger in: Jannott / Frodermann Kap 9 Rn 36; Kienast in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 199; Wenz in: Theisen / Wenz, S. 234; Krause BB 2005, 1221, 1223; Ringe Diss. 2006, S. 154; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335; Schmid Diss. 2010, S. 145; vgl. auch Rehberg ZGR 2005, 859, 863: „In welchem Land die SE [den Sitz] hat, haben soll oder wohin dieser nachträglich verlegt wird, ist mitbestimmungsrechtlich unbedeutend.“; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 85. 457 So Schröder in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Art. 8 SE-VO Rn 16 m. w. N. 453 Oetker
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Nach Oetker bleibe zwar eine kraft Vereinbarung etablierte Mitbestimmungsregelung von einer Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat unberührt:458 Sofern die Verhandlungspartner nichts anderes vereinbarten, gelte eine abgeschlossene Beteiligungsvereinbarung im neuen Sitzstaat weiter.459 Indes könne es „auf der Ebene des Betriebsverfassungsrechts und des hierfür maßgeblichen Territorialitätsprinzips zu einer Minderung kommen, wenn infolge der Sitzverlegung die Bildung eines Konzern- oder Gesamtbetriebsrats nicht mehr möglich ist und infolge dessen die Amtszeit des vorgenannten Organs kraft Gesetzes endet“460. Nach Schmid können sich zwar Änderungen im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung ergeben, diese zählten aber nicht zu den Beteiligungsrechten i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG.461 Zu einer Minderung der Beteiligungsrechte bei einer Sitzverlegung kann es nach Teichmann dadurch kommen, dass – ausgehend davon, dass die Satzungsautonomie Vorrang vor der Vereinbarungsautonomie genießt – der Umfang der Satzungsautonomie von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variiert.462 (2) Art. 8 Abs. 2 S. 2 lit. c) SE-VO Wenig beachtet für die Auslegung des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG bei grenzüberschreitender Sitzverlegung blieb bislang Art. 8 Abs. 2 S. 2 lit. c) SEVO.463 Danach muss der Verlegungsplan für eine grenzüberschreitende Sitzverlegung Angaben zu den „etwaigen Folgen der Verlegung für die Beteiligung der Arbeitnehmer“ enthalten. Für die Auslegung des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG folgt daraus: Der Verordnungsgeber hielt es zumindest für möglich, dass die Sitzverlegung Folgen für die Arbeitnehmerbeteiligung haben kann. Andererseits zeigt das Wort „etwaige“: Nach dem Verordnungsgeber muss eine Sitzverlegung nicht zwangsläufig Folgen für die Arbeitnehmerbeteiligung haben.464 Selbst wenn keine Folgen für die Beteiligung der Arbeit458 Oetker
in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 21. in: Jannott / Frodermann, 1. Aufl., Kap 13 Rn 199; Jacobs in: MüKoAktG § 3 SEBG Rn 3; Hoops Diss. 2009, S. 60; Schmid Diss. 2010, S. 145; Sagan EBLR 2010, 15, 38 f. 460 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 21; wohl zustimmend Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 359; ferner Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 41, indes liege bereits keine strukturelle Änderung vor. 461 Schmid Diss. 2010, S. 145. 462 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 359, der jedoch i. E. einen Anlass für Neuverhandlungen verneint, da „[…] der SE ein europäisch-einheitliches Beteiligungsmodell eigen ist, das bei einer Sitzverlegung unverändert fortbesteht.“. 463 Soweit ersichtlich nur Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 3; Sagan EBLR 2010, 15, 39. 464 Veil in: KK-AktG Art. 8 SE-VO Rn 29 geht für den Fall, dass die SE bislang kraft Gesetzes mitbestimmt war, davon aus, dass die Sitzverlegung „in jedem 459 Kienast
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nehmer ersichtlich sind, muss der Verlegungsplan eine ausdrückliche Negativerklärung enthalten, um deutlich zu machen, dass auch dieser Punkt umfassend und abschließend erörtert worden ist.465 Galt in der SE bislang eine Beteiligungsvereinbarung, sind Angaben dazu zu machen, ob diese eine Regelung enthält, wonach bei einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung kraft Vereinbarung eine Neuverhandlung stattfinden soll [vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. h) SE-RL, § 21 Abs. 1 Nr. 6 Hs. 2 SEBG].466 Ungeachtet einer solchen Klausel in der Beteiligungsvereinbarung müssen bei einer Sitzverlegung einer SE aus oder in den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 1 SEBG auch Angaben zu einer etwaigen Neuverhandlungspflicht kraft Gesetzes nach § 18 Abs. 3 SEBG gemacht werden.467 Da die grenzüberschreitende Sitzverlegung wegen der Analogie zu ErwG 21 S. 4, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 SCE-RL als „strukturelle Änderung“ zu qualifizieren ist,468 sind jedenfalls auch Angaben dazu erforderlich, ob die Sitzverlegung geeignet ist, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 3 SEBG zu mindern, und infolgedessen kraft Gesetzes Neuverhandlungen stattfinden sollen. (3) E rgebnis: Keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei grenzüberschreitender Sitzverlegung Eine Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE folgt nicht daraus, dass im Fall einer kraft Gesetzes beteiligten SE infolge der Sitzverlegung künftig statt der Regelungen des bisherigen Sitzstaates diejenigen des neuen Sitzstaates über die Beteiligung kraft Gesetzes anzuwenden sind, denn die jeweiligen Regelungen dienen der Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 SE-RL.469 Eine „Minderung der Beteiligungsrechte“ erfordert eine arbeitgeberseitige Maßnahme, die nicht bloß auf einer etwaig unterschiedlichen, aber richtlinienkonformen Umsetzung der SE-RL durch die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber beruht. Eine Sitzverlegung, durch die eine sich etwaig zwischen den Mitgliedstaaten unterscheidende Ausgestaltung der Beteiligung kraft Gesetzes zum Tragen kommt, ist daher schon nicht geeignet, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. Fall Folgen für die Beteiligung der Arbeitnehmer hat. Denn mit der Begründung des neuen Sitzes fällt das alte Mitbestimmungsstatut fort; stattdessen gilt die Auffangregelung des neuen Sitzmitgliedstaats.“. 465 So Schröder in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Art. 8 SE-VO Rn 32. 466 Schröder in: Manz / Mayer / Schröder, 2. Aufl. 2010, Art. 8 SE-VO Rn 33; Veil in: KK-AktG Art. 8 SE-VO Rn 30. 467 Offenlassend Veil in: KK-AktG Art. 8 SE-VO Rn 31. 468 Vgl. soeben unter § 9 B. I. 1. a) aa) (3). 469 In diese Richtung wohl auch Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 359 („europäisch-autonomes Beteiligungsmodell“ der SE).
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Eine Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte scheidet ebenfalls aus, wenn der Inhalt der Beteiligungsrechte dadurch geschmälert wird, dass infolge des Sitzwechsels das SE-Gesellschaftsrecht des neuen Sitzstaats vorschreibt470 oder der Satzungsautonomie471 überlässt, dass nicht – wie im bisherigen Sitzstaat – die Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE, sondern die SE-Hauptversammlung für die Bestellung und / oder Abberufung der Mitglieder des SE-Leitungsorgans zuständig ist (vgl. Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO). Auch insoweit erfordert eine Minderung der Beteiligungsrechte eine arbeitgeberseitige Maßnahme, die nicht bloß darauf beruht, dass eine unterschiedliche Ausgestaltung der Kompetenz zur Bestellung oder Abberufung der Mitglieder des SE-Leitungsorgans in Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO angelegt ist. Eine Sitzverlegung, durch die eine sich zwischen den Mitgliedstaaten unterscheidende Ausgestaltung dieser Kompetenz zum Tragen kommt, ist daher schon nicht geeignet, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern. Eine Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte kommt auch nicht dadurch in Betracht, dass sich infolge einer Sitzverlegung Änderungen in den für das nationale Betriebsverfassungsrecht maßgeblichen Strukturen ergeben könnten.472 Wandern Betriebe der SE infolge einer Sitzverlegung der SE aus dem territorialen Anwendungsbereich des BetrVG heraus, sodass das BetrVG auf den abgewanderten Betrieb nicht mehr anwendbar ist, liegt hierin keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ der Arbeitnehmer i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. Zwar umfasst § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG nach zutreffender Auffassung nicht nur unternehmerische Mitbestimmungs-,473 sondern auch betriebliche Beteiligungsrechte im Bereich der grenzüberschreitenden Unterrichtung und Anhörung.474 Indes zählen hierzu nicht die Rechte der Arbeitnehmer im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung in rein nationalen Angelegenheiten aufgrund Vorschriften nationalen 470 I. E. Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360, der jedoch wegen der bloßen Änderung der Kompetenzen des Aufsichtsrats, nicht aber der Struktur der SE, eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG verneint. 471 Demgegenüber scheint Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 359 hinsichtlich einer unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Ausgestaltung der Satzungsautonomie eine Minderung der Beteiligungsrechte zu bejahen, obgleich er i. E. keinen Anlass für Neuverhandlungen sieht. 472 So aber Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 21; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 359; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 41, der jedoch eine strukturelle Änderung verneint. 473 Mit der Begründung, dass § 18 Abs. 3 SEBG nur unternehmerische Mitbestimmungsrechte erfasse, eine Minderung i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG ablehnend Schmid Diss. 2010, S. 145. 474 Vgl. oben unter § 5 A. III. 1. b) aa).
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 489
Rechts wie dem BetrVG oder dem SprAuG (vgl. Art. 13 Abs. 3 lit. a) SERL, § 47 Abs. 1 SEBG).475 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung Im Ergebnis kann eine grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE Folgen für die Beteiligung der Arbeitnehmer haben. Diese können in der Anwendbarkeit der Regelungen über die Mitbestimmung kraft Gesetzes des neuen Sitzstaats statt des bisherigen Sitzstaats liegen. Auch kann sich das Recht auf Mitbestimmung im Aufsichtsorgan der SE durch unterschiedliche gesellschaftsrechtliche Bestimmungen hinsichtlich der Bestellung der Mitglieder des SE-Leitungsorgans (Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO) auf andere Inhalte beziehen. Darüber hinaus können sich durch die Abwanderung von Betrieben in andere Mitgliedstaaten Folgen für auf Grundlage nationalen Betriebsverfassungsrechts errichtete Betriebsratsstrukturen ergeben. Die vorgenannten Folgen der Sitzverlegung für die Beteiligung der Arbeitnehmer sind jedoch nicht i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG „geeignet, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“. Mangels einer Pflicht zur Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG ist daher die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht einschlägig. b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Ist die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG im Falle einer grenzüberschreitenden Sitzverlegung der SE nicht einschlägig, ist zu prüfen, ob das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG greift. aa) Überwiegende Verneinung eines Missbrauchs bei Sitzverlegung In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit, dass eine Sitzverlegung keinen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründet.476 Demgegenüber kann nach Sagan eine grenzüberschreitende Sitzverlegung, die unter Art. 11 SE-RL falle, gerade weil es sich dabei um eine „nicht-strukturelle Änderung“ handele, ein Missbrauch sein, wenn die ursprüngliche Gründung und die nachträgliche Sitzverlegung gemeinsam unternommen würden, um nationales Recht über die Arbeitnehmerbeteiligung zu umgehen.477 475 Vgl.
für § 43 S. 1 SEBG oben unter § 5 A. III. 1. b) bb). Diss. 2006, S. 164; Joost in: Oetker / Preis, EAS B 8200 Rn 250; Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 4; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 9. 477 Sagan EBLR 2010, 15, 39. 476 Ringe
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bb) S tellungnahme zur Sitzverlegung: Kein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG Bereits die Regierungsbegründung zu § 43 SEBG spricht davon, dass „die Nutzung der vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten allein, einschließlich etwa der ausdrücklich vorgesehenen Sitzverlegung, […] den Vorwurf des Missbrauchs nicht begründen“478 könne.479 Demnach scheidet ein Missbrauch der SE nach § 43 S. 1 SEBG aus, wenn die SE ihren Sitz aus einem Mitgliedstaat in einen Anderen verlegt. Ebensowenig liegt ein Missbrauch vor, wenn eine SE aus einem Mitgliedstaat, nach dessen SE-Gesellschaftsrecht das SE-Aufsichtsorgan das SE-Leitungsorgan bestellt, in einen Mitgliedstaat verlegt wird, der von der Ermächtigung des Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO Gebrauch gemacht hat und in welchem das SE-Gesellschaftsrecht vorsieht, dass die SE-Hauptversammlung das SE-Leitungsorgan bestellt.480 Ein „Entziehen von Beteiligungsrechten“ liegt mangels Veränderung des quantitativen Anteils an Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsorgan nicht vor. Die qualitative Verkürzung des Mitbestimmungsrechts um das Recht des Aufsichtsorgans zur Bestellung der Mitglieder des SE-Aufsichtsorgans ist durch § 43 S. 1 SEBG nicht geschützt.481 2. Wechsel der Organisationsstruktur einer SE Ebenfalls eine Satzungsänderung ist ein Wechsel der Organisationsstruktur einer bereits gegründeten SE.482 Dabei kann es sich um einen Wechsel von einer monistischen zu einer dualistischen483 Organisation oder umgekehrt um einen Wechsel von einer dualistischen zu einer monistischen484 478 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 479 So auch Ringe Diss. 2006, S. 164; vgl. auch Jacobs in: MüKo-AktG § 43 SEBG Rn 2a; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703. 480 Vgl. Nagel in: Nagel / Freis / Kleinsorge § 43 SEBG Rn 4; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2703. 481 Vgl. für Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. II. 1. c). 482 Vgl. Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 330, 335. 483 Nach Heckschen in FS Westermann 2008, S. 999, 1010, sei eine Umstellung auf das dualistische Leitungssystem mit einer strikten Trennung zwischen Aufsicht und Leitung der Gesellschaft „passender“, wenn sich ein „KMU“ (kleines oder mittelständisches Unternehmen) zu einem Großunternehmen weiterentwickelt und als Kapitalsammelbecken diene. 484 Nach Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 330, könne ein monistisches System mit einer sehr starken Position des CEO insbesondere sehr vorteilhaft für Familiengesellschaften mit einem starken Familienoberhaupt sein, welches als Vorsitzender des Verwaltungsrats zugleich Vorsitzender der Geschäftsführung sein könne
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 491
Organisation handeln. Ein Wechsel kommt zum einen aufgrund einer freiwilligen485 Satzungsänderung in Betracht. Andererseits ist ein zwingender486 Wechsel der Organisationsstruktur denkbar, wenn eine bereits gegründete SE ihren Sitz in einen Mitgliedstaat verlegt, dessen Gesetz zur Ausführung der SE-VO keine Vorschriften über ein dualistisches (vgl. Art. 39 Abs. 5 SE-VO) oder monistisches (Art. 43 Abs. 4 SE-VO) System enthält.487 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG setzt die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG voraus. Dazu müsste ein Wechsel der Organisationsstruktur eine „strukturelle Änderung“ darstellen, die „geeignet ist, Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern zu mindern“. aa) „Strukturelle Änderung“ bei Wechsel der Organisationsstruktur Das österreichische Recht zur Umsetzung der SE-RL sieht ausdrücklich vor, dass ein Wechsel der Organisationsstruktur als wesentliche Änderung der Struktur der SE gilt.488 (1) U neinigkeit in der Literatur hinsichtlich des Vorliegens einer „strukturellen Änderung“ bei Wechsel der Organisationsstruktur Für das deutsche Recht, das insoweit keine Regelung enthält, bejaht489 ein Teil des Schrifttums eine „strukturelle Änderung“ bei einem Wechsel der Orund dadurch eine Machtkonzentration etabliert werden könne, wie sie bei der Ak tiengesellschaft nicht möglich sei. 485 Güntzel Diss. 2006, S. 295, der im Falle eines freiwilligen Wechsels der Organisationsstruktur im Hinblick auf ErwG 18 S. 3 SE-RL einen Anspruch auf erneute Verhandlungen damit ablehnt, dass damit eine erhebliche Beschränkung des Rechts der Anteilseigner, in der Hauptversammlung einen Systemwechsel zu beschließen, einhergehe, indem die Arbeitnehmer indirekt auf die allein in den Zuständigkeitsbereich der Anteilseigner fallende Wahl der Organisationsstruktur Einfluss nehmen könnten. Außerdem entstünden der SE durch ein erneutes Verhandlungsverfahren zusätzliche Kosten und ein erheblicher Zeitaufwand, was zu einer Abschreckungswirkung führe. 486 Ablehnend Güntzel Diss. 2006, S. 295, Ringe Diss. 2006, S. 155 f.; Ringe NZG 2006, 931, 933. 487 Kleinsorge RdA 2002, 343, 351 Fn 101; Rehberg ZGR 2005, 859, 879; Nach Ringe Diss. 2006, S. 156, könne sich eine dennoch für das jeweils andere System entscheiden. 488 § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich („Verwaltungssystemwechsel“).
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ganisationsstruktur, ein anderer Teil verneint490 diese. Gegen das Vorliegen einer strukturellen Änderung wird argumentiert, dass ein Wechsel zwischen dualistischer und monistischer Organisationsstruktur nicht die Struktur der Gesellschaft berühre.491 Dagegen wird eingewandt, dass die Organisationsstruktur ein „maßgeblich die Individualität der SE beeinflussendes Merk mal“492 sei. Bei einem Wechsel der Organisationsverfassung entfalle ein Umstand, der Grundlage für die Verhandlungen über eine vereinbarte Mitbestimmung gewesen sei.493 Dieser Vorgang hätte abweichende Voraussetzungen für das Verhandlungsverfahren zur Folge haben können und die Parteien wären wahrscheinlich zu einem anderen Vereinbarungsergebnis gekommen, wenn der Vorgang bereits im Zeitpunkt der Durchführung des Verhandlungsverfahrens bei Gründung der SE geschehen wäre.494 Weiter wird für das Vorliegen einer „strukturellen Änderung“ argumentiert, dass andernfalls durch eine Kontinuität des bisherigen Mitbestimmungsmodells die durch Art. 38 lit. b) SE-VO zu gewährleistende Wahlmöglichkeit zwischen monistischem und dualistischem System unzulässig eingeschränkt werde.495 Außerdem schlage der Zweck des Vorrangs des Verhandlungsprinzips fehl, wenn die ausgehandelte Mitbestimmung einer Kontinuität des bisherigen Mitbestimmungsmodells auch bei veränderten Strukturbedingungen unterworfen sei.496 Daher sprächen teleologische Argumente dafür, Fälle eines geplanten Wechsels vom dualistischen zum monistischen System oder umgekehrt unter den Begriff der „strukturellen Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG zu fassen.497 489
(2) S tellungnahme: „Strukturelle Änderung“ bei Wechsel der Organisationsstruktur Im Ergebnis ist der Wechsel der Organisationsstruktur einer bereits gegründeten SE eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. 489 Habersack Der Konzern 2006, 105, 109; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 16; Scheibe Diss. 2007, S. 159; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641 („unter Umständen“); Hoops Diss. 2009, S. 61; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360 („nicht ausgeschlossen“); wohl auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 16. 490 Köklü in: Van Hulle / Maul / Drinhausen Kap 6 Rn 103; Feuerborn in: KKAktG § 18 SEBG Rn 22; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; Schmid Diss. 2010, S. 147. 491 Kraft Diss. 2005, S. 204; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 22. 492 Hoops Diss. 2009, S. 61. 493 Hoops Diss. 2009, S. 61. 494 Hoops Diss. 2009, S. 61. 495 Scheibe Diss. 2007, S. 159; ihr folgend Hoops Diss. 2009, S. 61. 496 Scheibe Diss. 2007, S. 159; ihr folgend Hoops Diss. 2009, S. 61. 497 Scheibe Diss. 2007, S. 159.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 493
Zwar betrifft die Organisation der Führung der SE nach einem monistischen oder dualistischen System nicht die äußere Struktur der SE wie das Beispiel der Regierungsbegründung498 der Aufnahme eines mitbestimmten Unternehmens durch eine mitbestimmungslose SE. Dennoch ist die Organisationsverfassung als monistische oder dualistische SE nicht nur eine rein tatsächliche Gegebenheit,499 sondern betrifft die innere rechtliche Struktur der Unternehmensführung der SE.500 Von der Unternehmensstruktur der SE-Führung hängt die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer ab, da sie – neben der Unterrichtung (§ 2 Abs. 10 SEBG) und Anhörung (§ 2 Abs. 11 SEBG) im SE-Betriebsrat – eine Mitbestimmung (§ 2 Abs. 12 SEBG) in einer monistischen Organisationsstruktur ausschließlich im SE-Verwaltungsorgan und in einer dualistischen Organisationsstruktur ausschließlich im SEAufsichtsorgan ausüben können. Jedenfalls spricht für eine strukturelle Änderung, dass der Wechsel der Organisationsstruktur eine Änderung der SESatzung durch die Hauptversammlung (vgl. Art. 59 SE-VO) erfordert und damit die Voraussetzung selbst nach der engsten Auffassung, welche lediglich korporative Akte mit Satzungsrelevanz unter den Begriff der „strukturellen Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG fassen will,501 erfüllt ist. bb) „ Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Wechsel der Organisationsstruktur (1) U neinigkeit in der Literatur zur Frage einer „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ durch einen Wechsel der Organisationsstruktur Eine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG durch einen Wechsel der Organisationsstruktur einer gegründeten SE wird in der Literatur zum Teil bejaht,502 zum Teil verneint.503 Zu einer 498 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 18 SEBG, S. 50. 499 Nach der weiten Auffassung von Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 364, würde auch eine Änderung der „betriebsorganisatorischen“ Struktur als „strukturelle Änderung“ ausreichen. 500 Nach Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 364 ist unter „Struktur“ ein „verfestigte[r] innere[r] Aufbau oder eine Gliederung“ zu verstehen. Bezogen auf ein Unternehmen könne es „sowohl um betriebsorganisatorische als auch um rechtliche Strukturen“ gehen. 501 Vgl. oben unter § 5 B. II. 1. a) aa) (2) (a). 502 Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 16. 503 Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335; Schmid Diss. 2010, S. 147; Hoops Diss. 2009, S. 61, bei einem Wechsel vom dualistischen zum monistischen System bei einer paritätischen Mitbestimmung.
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Minderung der Beteiligungsrechte soll es dadurch kommen können, „dass bei einem Wechsel das Organ, in dem die Mitbestimmung verankert ist, abgeschafft wird“504. Zudem verringerten sich bei einem Wechsel vom monistischen zum dualistischen System die Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmer, da es sich bei dem SE-Verwaltungsorgan um ein Leitungsgremium, bei dem SE-Aufsichtsorgan hingegen um ein bloßes Aufsichtsgremium handele.505 Dem wird jedoch entgegengehalten, dass eine Beteiligung der Arbeitnehmer an der Unternehmensleitung ohnehin ausgeschlossen sei.506 Zudem ändere sich durch den Wechsel das Verhältnis von Arbeitnehmervertretern zu Anteilseignervertretern nicht.507 Eine Minderung von Beteiligungsrechten soll nach vereinzelter Auffassung jedenfalls bei einem zwingenden Wechsel der Organisationsstruktur infolge einer Sitzverlegung eintreten können.508 Verlege eine SE mit dualistischem System ihren Sitz in einen Mitgliedstaat, dessen Regelungen nur eine SE mit monistischem System vorsehen, oder umgekehrt, dürften die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer durch einen solchen Wechsel nicht gemindert werden.509 Daher sei es sachgerecht, im Wege neuer Verhandlungen das bestehende Niveau der Arbeitnehmerbeteiligung zu sichern.510 Gegen eine Minderung von Beteiligungsrechten durch einen zwingenden Wechsel der Organisationsstruktur infolge einer Sitzverlegung wird argumentiert,511 dass dies ein „Scheinproblem“512 darstelle, da ein Zwang zum Wechsel nicht bestehe.513 Die Wahlfreiheit hinsichtlich der Organisationsstruktur stehe allein der SE gemäß Art. 38 lit. b) SE-VO zu.514 Deren Ausübung könne nicht davon abhängen, ob der nationale Gesetzgeber Vorschriften über beide Systeme erlassen habe.515 Die SE-VO verlange von den Mitgliedstaaten, beide Systeme zu ermöglichen.516 Falls ein Mitglied504 Scheibe
Diss. 2007, S. 158. BB 2008, 2246, 2250. 506 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 507 Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335. 508 Vgl. Kleinsorge RdA 2002, 343, 351. 509 Kleinsorge RdA 2002, 343, 351. 510 Kleinsorge RdA 2002, 343, 351. 511 Nach Rehberg ZGR 2005, 859, 879, „[…] dürfte dies – vorbehaltlich eines Missbrauchsbezugs – nicht die bestehenden Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer mindern.“. 512 Ringe NZG 2006, 931, 933. 513 Güntzel Diss. 2006, S. 295. 514 Ringe Diss. 2006, S. 156; Ringe NZG 2006, 931, 933; vgl. auch Güntzel Diss. 2006, S. 294. 515 Ringe Diss. 2006, S. 156; Ringe NZG 2006, 931, 933. 516 Rehberg ZGR 2005, 859, 879 Fn 80; a. A. Kleinsorge RdA 2002, 343, 351 Fn 101. 505 Feldhaus / Vanscheidt
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staat entsprechende Ausführungsvorschriften nicht vorsehe,517 könne eine SE dennoch aus beiden Modellen wählen;518 ein Zwang zum Wechsel der Organisationsform bestehe nicht.519 Da die bisherige Organisationsstruktur und daher die Arbeitnehmerbeteiligung gleich blieben, komme es nicht zu einer Minderung von Beteiligungsrechten.520 (2) S tellungnahme: Keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ bei Wechsel der Organisationsstruktur Zwar ist der Wechsel der SE-Organisationsstruktur als „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG einzuordnen.521 Allein der Wechsel der Organisationsstruktur einer gegründeten SE ist jedoch nicht geeignet, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer im Hinblick auf die Mitbestimmung in den Unternehmensorganen der SE zu mindern. Die SE-RL sowie das SEBG behandeln das monistische und das dualistische Organisationsmodell gleich.522 Das folgt zum einen aus der Definition der Mitbestimmung in Art. 2 lit. k ) SE-RL, Art. 2 Abs. 12 SEBG, wonach sich die Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten der Gesellschaft gleichermaßen auf Rechte hinsichtlich des SE-Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans bezieht. Zum anderen bezieht sich der Umfang der Mitbestimmung kraft Gesetzes gem. § 35 Abs. 2 S. 1 SEBG gleichermaßen auf die Wahl oder Bestellung oder die Empfehlung oder Ablehnung der Bestellung von Mitgliedern des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der SE.523 Bei einem Wechsel vom dua listischen zum monistischen System ist eine Minderung von Mitbestimmungsrechten in quantitativer Hinsicht ausgeschlossen, da der Anteil der Arbeitnehmervertreter im bisherigen SE-Aufsichtsorgan unverändert für die Besetzung des neuen SE-Verwaltungsorgans maßgeblich ist. Soweit der Wechsel in das monistische System auch eine Einflussnahme der Arbeitnehmer bei Leitungsaufgaben im SE-Verwaltungsorgan beinhaltet, werden die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in qualitativer Hinsicht sogar er517 Ringe Diss. 2006, S. 156, nennt als Beispiel Großbritannien, das keine speziellen Vorschriften zum dualistischen System erlassen habe, sondern dieses der Satzungsfreiheit der Gesellschafter und der Flexibilität des eigenen Gesellschaftsrechts überlasse. 518 Vgl. Ringe Diss. 2006, S. 156; Ringe NZG 2006, 931, 933. 519 Ringe Diss. 2006, S. 156; Ringe NZG 2006, 931, 933; Güntzel Diss. 2006, S. 295. 520 Vgl. eine „Beeinträchtigung der Arbeitnehmerrechte“ ablehnend Ringe Diss. 2006, S. 156; Ringe NZG 2006, 931, 933. 521 Vgl. oben unter § 9 B. I. 2. a) aa) (2). 522 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360. 523 Vgl. Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360 Fn 44.
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weitert. Umgekehrt kann ein Wechsel vom monistischen System zu einem dualistischen System für die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer insofern Folgen haben, als sich die Einflussnahme im neuen SE-Aufsichtsorgan in qualitativer Hinsicht um die Einflussnahme hinsichtlich der Leitungsaufgaben des alten SE-Verwaltungsorgans verringert. Darin liegt jedoch keine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG, da insofern bezüglich der Mitbestimmung ein rein quantitativer Vergleich anzustellen ist.524 Da auch bei einem Wechsel vom monistischen zum dualistischen System der Anteil der Arbeitnehmervertreter im neuen SE-Aufsichtsrat im Vergleich zu dem im bisherigen SE-Verwaltungsorgan unverändert bleibt, ist eine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG ausgeschlossen.525 cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung Da der Wechsel der Organisationsstruktur selbst nicht geeignet ist, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG zu mindern, besteht keine Pflicht zur Durchführung eines Verfahrens zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG. Daher begründet allein der Wechsel der Organisationsstruktur einer bereits gegründeten SE nicht die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG. b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Ist die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG im Falle eines Wechsels der Organisationsstruktur der SE nicht einschlägig, ist zu prüfen, ob das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG greift. Der Fall, dass eine bereits gegründete SE kraft Satzungsänderung ihre Organisationsstruktur wechselt, ist vergleichbar mit dem bereits im Hinblick auf einen Missbrauch der SE-Rechtsform untersuchten Fall, dass im Rahmen der Gründung einer SE in der Satzung eine Organisationsstruktur festgelegt wird, die von den Organisationsstrukturen der an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaften abweicht.526 Gegen eine Übertragung des bei der SE-Gründung angeführten Arguments, Art. 38 lit. b) SE-VO gewähre eine Wahlfreiheit hinsichtlich der Organisati524 Vgl. für § 15 Abs. 4 Nr. 1 SEBG im Rahmen der SE-Gründung oben unter § 5 A. III. 2. a) aa). 525 Vgl. für einen Wechsel der Organisationsstruktur bereits im Rahmen der SEGründung, d. h. eine Abweichung der Organisationsstruktur der SE von der Struktur in beteiligten Gesellschaften, oben unter § 8 B. II. 1. 526 Vgl. oben unter § 8 B. II. 1.
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onsstruktur, ließe sich argumentieren, dass aus Art. 38 lit. b) SE-VO zunächst nur das Recht folgt, bei Gründung der SE zwischen den beiden Organisa tionsmodellen zu wählen und nicht das Recht, das einmal gewählte Modell jederzeit und ohne Einschränkungen ändern zu dürfen. Andererseits beschränkt sich die Wahlfreiheit nach Art. 38 lit. b) SE-VO nicht auf den Zeitpunkt der Gründung. Vielmehr gilt die SE-Organisationsstruktur „entsprechend der in der Satzung gewählten Form“. Da die Satzung der SE durch Beschluss der Hauptversammlung geändert werden kann (vgl. Art. 59 SEVO), ist auch ein satzungsmäßiger Wechsel der Organisationsstruktur nach Gründung der SE möglich. Demnach lässt sich das zur SE-Gründung bemühte Argument der Wahlfreiheit aus Art. 38 lit. b) SE-VO auch auf den Wechsel der Organisationsstruktur in einer bereits gegründeten SE übertragen. Bei einem Wechsel der Organisationsstruktur macht die SE von der Wahlfreiheit des Art. 38 lit. b) SE-VO Gebrauch, sodass der Wechsel der Organisationsstruktur einer bereits gegründeten SE selbst im Ergebnis keinen Missbrauch der SE-Rechtsform begründet. Ein Missbrauch der SE-Rechtsform kommt jedoch – wie bereits bei Gründung der SE mit einer von Teilen der beteiligten Gesellschaften abweichenden Organisationsstruktur – auch bei einem Wechsel einer bereits gegründeten SE in Betracht, wenn im Zusammenhang mit einem Wechsel der Organisationsstruktur von einem dualistischen zu einem monistischen System begleitende Gestaltungen in der SE-Satzung oder in der SE-Beteiligungsvereinbarung getroffen werden, um die materiell-rechtlich größeren Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im monistischen System zu umgehen.527 II. Veränderungen in den Beteiligungsverhältnissen einer SE Im Folgenden ist zu untersuchen, ob im Zusammenhang mit Veränderungen in den Beteiligungsverhältnissen der SE ein Missbrauch der SE denkbar ist. 1. Beteiligungserwerb durch die SE Der Bestand an Beteiligungsrechten könnte gefährdet sein, wenn eine SE Unternehmensanteile an einer anderen Gesellschaft erwirbt,528 in der ein stärkeres Mitbestimmungsniveau besteht als in der SE. Das ist etwa der 527 Vgl.
oben für die SE-Gründung unter § 8 B. II. 2. Erwerb von Anteilen oder Beteiligungen an einem Unternehmen durch eine SE wird auch als „Zukauf einer Tochtergesellschaft durch die SE“ (Rieble BB 2006, 2018, 2022; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 86), als „Akquisition“ (Oet ker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 22; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 528 Der
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Fall 26
Fall, wenn eine mitbestimmungslose SE Unternehmensanteile an einer – wie in Fall 26529 – drittelmitbestimmten oder paritätisch mitbestimmten Gesellschaft erwirbt oder wenn eine drittelmitbestimmte SE Anteile an einer paritätisch mitbestimmten Gesellschaft erwirbt. In der Literatur wird zum Teil angenommen, dass bei einem Beteiligungserwerb durch eine SE „im Einzelfall eine Korrektur über § 43“ SEBG erfolgen könne.530 Zum Teil wird dies abgelehnt.531 Angesichts der Sondervorschrift des § 18 Abs. 3 SEBG sei § 43 SEBG nicht anzuwenden.532 a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG setzt die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG voraus. § 43 S. 2 SEBG 280; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262) oder als „share deal“ (Seibt AG 2005, 413, 427; Seibt ZIP 2005, 2248, 2250) bezeichnet. 529 Nach Henssler RdA 2005, 330, 335; vgl. auch das Beispiel bei Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 199, wonach eine britische plc. und eine nicht mitbestimmte AG zu einer SE verschmelzen und im Anschluss daran die SE sämtliche Anteile einer mitbestimmten deutschen AG übernimmt; vgl. ferner das Beispiel 10 bei Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1757, wonach eine drittelbeteiligte SE mit 1.600 Mitarbeitern Unternehmensanteile an einer deutschen, paritätisch mitbestimmten AG mit 2.500 Arbeitnehmern erwirbt. 530 Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17. 531 Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Habersack Der Konzern 2006, 105, 110; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2249. 532 Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 499
ist daher schon nicht einschlägig, wenn bei einem Beteiligungserwerb durch eine SE eine Pflicht zur Wiederaufnahme der Verhandlungen über eine Beteiligungsvereinbarung nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG nicht besteht.533 aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Das österreichische Recht zur Umsetzung der SE-RL sieht ausdrücklich vor, dass ein Erwerb wesentlicher Beteiligungen an anderen Unternehmen durch eine SE als wesentliche Änderung der Struktur der SE gilt, allerdings nur, sofern die Beteiligungen „erheblichen Einfluss auf die Gesamtstruktur der Europäischen Gesellschaft haben“534. Für das deutsche Recht, das insoweit keine Regelung trifft, wird im Schrifttum eine „strukturelle Änderung“ bei einem Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen zum Teil bejaht,535 zum Teil verneint.536 Gegen eine strukturelle Änderung wird argumentiert, ein Erwerb von Beteiligungen sei keine „Aufnahme“ im Sinne der Regierungsbegründung537 533 Vgl.
Habersack Der Konzern 2006, 105, 110. Abs. 2 ArbVG-Österreich; vgl. Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246,
534 § 228
2249.
535 Für den Erwerb „wesentlicher“ Beteiligungen unter Verweis auf § 228 Abs. 2 ArbVG-Österreich Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 16, 22; wohl auch, für die SE-RL, Kleinsorge RdA 2002, 343, 351, wenn in eine bereits bestehende SE ein Unternehmens „integriert“ wird, dessen Arbeitnehmer ein höheres Mitbestimmungsniveau „mitbringen“ als in der SE; ihm folgend Köstler ZGR 2003, 800, 808; Scheibe Diss. 2007, S. 158; ihr folgend Hoops Diss. 2009, S. 64; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 366, wenn das Unternehmen, an dem Beteiligungen erworben werden, bislang nicht zum SE-Konzern gehörte und sich durch den Erwerb die wirtschaftliche Struktur des Konzerns erheblich verändere. 536 Grobys NZA 2005, 84, 91 (dort Beispiel 2); Rehberg ZGR 2005, 859, 862 (dort Fall 5); Seibt AG 2005, 413, 427; Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 199 („zweifelhaft“); Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 16 f.; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 213; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641 (für eine Klausel zur Anpassung der Beteiligungsvereinbarung bei Erwerb von Beteiligungen: S. 635); Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 244; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1208; mangels Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte offenlassend Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1748; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 280 differenzieren zwischen Akquisitionen im Wege der „Barzahlung“, der „Nutzung eigener Aktien“, welche jeweils keine strukturelle Änderung darstellen, und der „Einlage der neuen Beteiligung als Sacheinlage im Rahmen einer Kapitalerhöhung“, bei der an eine strukturelle Änderung der SE zu denken sei. 537 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 18 SEBG, S. 50.
500
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
zu § 18 Abs. 3 SEBG.538 Bei einem Beteiligungserwerb handele sich nicht um einen korporativen Akt.539 Für eine strukturelle Änderung könnte indes ein systematischer Vergleich mit den reformierten Regelungen zum EBR sprechen.540 ErwG 40 S. 1 EBR-RL 2009 zählt beispielhaft neben einer Fusion oder Spaltung auch eine Übernahme als „wesentliche Änderung der Struktur eines Unternehmens“ auf. Dagegen führt der deutsche Gesetzgeber die Übernahme nicht als Regelbeispiel einer „wesentlichen Strukturänderung“ in § 37 Abs. 1 S. 2 EBRG auf. Gegen eine „wesentliche Änderung der Struktur“ im Falle des Erwerbs von Beteiligungen durch ein Unternehmen wird hinsichtlich des EBRG angeführt, dass der Beteiligungserwerb nur zu einem Eigentümerwechsel führe und die gesellschaftsrechtlichen Strukturen unberührt lasse.541 Dem ist auch im Hinblick auf die SE zuzustimmen. Demnach begründet ein Beteiligungserwerb durch die SE keine „strukturelle Änderung“ der SE. bb) „ Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Unabhängig davon, dass bereits eine „strukturelle Änderung“ bei einem Beteiligungserwerb durch die SE zu verneinen ist, ist fraglich, ob insoweit überhaupt eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ in Betracht käme. Diese wird bei einem Beteiligungserwerb durch eine SE in der Literatur zum Teil bejaht,542 zum Teil verneint.543 Eine pauschale Betrach538 Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 16; zurückhaltender Habersack Der Konzern 2006, 105, 109. 539 Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17; Habersack Der Konzern 2006, 105, 109 für den „einfachen Beteiligungserwerb“; demgegenüber liege ein die SE betreffender korporativer Akt allenfalls dann vor, wenn es zur Begründung eines Vertrags- oder Eingliederungskonzerns zwischen der SE und der als Tochtergesellschaft erworbenen Gesellschaft komme. 540 Gegen die Annahme einer strukturellen Änderung durch bloßen Erwerb von Mehrheitsbeteiligungen noch zum Entwurf der EBR-RL 2009 Thüsing / Forst NZA 2009, 408, 411. 541 Noch zum Entwurf der EBR-RL 2009 Thüsing / Forst NZA 2009, 408, 411. 542 Scheibe Diss. 2007, S. 157; für die SE-RL, Kleinsorge RdA 2002, 343, 351, wenn in eine bereits bestehende SE ein Unternehmens „integriert“ wird, dessen Arbeitnehmer ein höheres Mitbestimmungsniveau „mitbringen“ als in der SE; ihm folgend Köstler ZGR 2003, 800, 808. 543 Grobys NZA 2005, 84, 91 (dort Beispiel 2); Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 280; Habersack Der Konzern 2006, 105, 110; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246,
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 501
tung ist jedoch abzulehnen. Vielmehr ist zu differenzieren zwischen Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer der erwerbenden SE, Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer unmittelbar im Aufsichtsrat der zu erwerbenden Gesellschaft und Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer mittelbar im Aufsichtsrat einer die zu erwerbende Gesellschaft beherrschenden Konzernobergesellschaft. Eine Minderung von Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer der erwerbenden SE scheidet aus, da der Erwerb der Beteiligung an der Gesellschaft die bestehenden Mitbestimmungsrechte in der SE unberührt lässt.544 Soweit es um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der zu erwerbenden Gesellschaft (künftige SE-Tochtergesellschaft) geht, spricht für deren Berücksichtigung, dass ErwG 18 S. 3 SEBG das Vorher-NachherPrinzip auch auf die von den strukturellen Änderungsprozessen betroffenen Gesellschaften bezieht.545 Gegen eine Minderung von Beteiligungsrechten lässt sich jedoch anführen, dass die nach nationalen Mitbestimmungsgesetzen (z. B. DrittelbetG, MitbestG) bestehenden Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der zu erwerbenden, weiterhin existierenden Gesellschaft gem. § 47 Abs. 1 SEBG weitergelten.546 Ist der Aufsichtsrat einer zu erwerbenden Gesellschaft bislang mitbestimmt, bleibt es dabei auch nach dem Erwerb durch die SE.547 Soweit es um Konzern-Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer der zu erwerbenden Gesellschaft (künftige SE-Tochtergesellschaft) im Aufsichtsrat einer bisher diese Gesellschaft beherrschenden Konzernobergesellschaft 2249; Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 22; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Hoops Diss. 2009, S. 64; Nikoleyczik / Führ DStR 2010, 1743, 1748; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 544 Habersack Der Konzern 2006, 105, 109; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; i. E. auch Henssler RdA 2005, 330, 335; Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 199; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1757; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 545 Scheibe Diss. 2007, S. 156; Hoops Diss. 2009, S. 64. 546 Grobys NZA 2005, 84, 91 (dort Beispiel 2); Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 280; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17; Habersack Der Konzern 2006, 105, 110; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 213; i. E. auch Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 22; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2249; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32 („jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft selbst mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigt (§ 1 Abs. 1 MitbestG)“; Hoops Diss. 2009, S. 64; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1757. 547 Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Henssler RdA 2005, 330, 335; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209.
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nationalen Rechts (vgl. § 2 Abs. 1 DrittelbetG, § 5 Abs. 1 MitbestG) geht, wird zum Teil eine Minderung der Beteiligungsrechte bejaht,548 weil keine gesetzliche Zurechnung der Arbeitnehmer zur Konzernobergesellschaft – nun in der Rechtsform der SE – mehr stattfindet. Dafür spricht, dass nach § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG zu den Beteiligungsrechten auch deren Wahrnehmung in den Konzernunternehmen der SE gehört.549 Nach anderer Auffassung kann eine Minderung von Beteiligungsrechten allenfalls darin gesehen werden, dass die SE nach der Übernahme Entscheidungsbefugnisse an sich zieht und den Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat der erworbenen Gesellschaft daher de facto weniger Einflussmöglichkeiten verbleiben.550 Weder der Wegfall der Konzernmitbestimmungsrechte noch der fehlende faktische551 Einfluss der Arbeitnehmer auf die nunmehr beherrschende SE begründen eine Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. Das SEBG kennt keine § 5 Abs. 1 MitbestG entsprechende Konzernzurechnungsvorschrift.552 Da die SE-RL und das SEBG auf eine Konzernmitbestimmung verzichten, begründet ein Verlust konzernbezogener Mitbestimmungsrechte keine Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG.553 Dafür spricht auch, dass die Beteiligungsrechte im Bereich der Mitbestimmung in § 2 Abs. 12 SEBG als Einflussnahme der Arbeitnehmer auf die Angelegenheiten einer Gesellschaft durch die Wahrnehmung des Rechts, einen Teil der Mitglieder des Aufsichts- oder Verwaltungsorgans der Gesellschaft zu wählen oder zu bestellen oder ihre Bestellung zu empfehlen oder abzulehnen, definiert ist. Davon ist die Mitbestimmung im Aufsichtsrat der zu erwerbenden Gesellschaft, nicht jedoch im Aufsichtsrat einer anderen, die erwerbende Gesellschaft beherrschenden Gesellschaft umfasst.
548 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 22; vgl. Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 366. 549 Scheibe Diss. 2007, S. 156; Hoops Diss. 2009, S. 64. Vgl. allerdings zur Reichweite des § 2 Abs. 9 S. 2 SEBG oben unter § 5 A. III. 1. b) cc). 550 Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 213. 551 Rieble BB 2006, 2018, 2022; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 213; Hoops Diss. 2009, S. 65; vgl. auch Ege / Grzimek / Schwarzfischer DB 2011, 1205, 1209. 552 Henssler RdA 2005, 330, 335; i. E. auch Müller-Bonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 200; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Habersack Der Konzern 2006, 105, 110; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 213. 553 So auch Habersack Der Konzern 2006, 105, 110.
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cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung Im Ergebnis ist ein Beteiligungserwerb einer SE an Unternehmen mit stärkerem Mitbestimmungsniveau bereits keine „strukturelle Änderung“ der SE. Ein Beteiligungserwerb durch die SE ist auch nicht „geeignet“, Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer der SE oder der zu erwerbenden Gesellschaft „zu mindern“. Mithin besteht bei einem Beteiligungserwerb durch die SE keine Pflicht zur Wiederaufnahme von Verhandlungen i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. Daher scheidet auch die Anwendbarkeit der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG aus.554 b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG setzt ein „Vorenthalten“ oder „Entziehen“ von Beteiligungsrechten voraus. Wiederum ist zwischen den Beteiligungsrechten möglicherweise betroffener Arbeitnehmer zu differenzieren: Ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG der Arbeitnehmer der erwerbenden SE scheidet aus,555 da sich der Schutz des § 43 S. 1 SEBG auf die in der SE bestehenden Beteiligungsrechte beschränkt. Nationale Mitbestimmungsgesetze, die auf bestimmte Arbeitnehmerzahlen abstellen (z. B. DrittelbetG, MitbestG), sind auf die SE nicht anwendbar.556 Ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der zu erwerbenden Gesellschaft (künftige SE-Tochtergesellschaft) im Aufsichtsrat dieser Gesellschaft scheidet – wie bereits eine „Minderung der Beteiligungsrechte“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG – aus,557 da die bisherigen Mitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat der zu erwerbenden Gesellschaft nach § 47 Abs. 1 SEBG weitergelten. Ein „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG kommt in Betracht, soweit es um Konzern-Mitbestimmungsrechauch Habersack Der Konzern 2006, 105, 110. auch Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2249, allerdings mit der Begründung, dass „[…] auch ein Erwerb der Anteile an der Tochtergesellschaft durch eine deutsche AG nicht zur Folge gehabt hätte, dass für die Arbeitnehmer der erwerbenden AG das strengere Mitbestimmungsrecht gegolten hätte.“ Dieses Argument überzeugt nicht, da über § 2 Abs. 2 DrittelbetG und § 5 Abs. 1 MitbestG eine Zurechnung von Arbeitnehmern in Tochtergesellschaften einer AG erfolgen kann und diese auch den Arbeitnehmern der Mutter-AG zugutekommt. 556 Vgl. Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1757. 557 I. E. auch Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2249. 554 I. E. 555 I. E.
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te der Arbeitnehmer der zu erwerbenden Gesellschaft (künftige SE-Tochtergesellschaft) im Aufsichtsrat einer bisherigen Konzernobergesellschaft na tionalen Rechts (vgl. § 2 Abs. 1 DrittelbetG, § 5 Abs. 1 MitbestG) geht. Der Beteiligungserwerb durch eine mitbestimmungslose SE könnte dem Einwand begegnen, dass die Maßnahme darauf zielt, die Konzernspitze in der SE, in der nunmehr wesentliche strategische Entscheidungen getroffen werden,558 frei von Mitbestimmung zu halten.559 Indes gilt auch hier, dass nationales Konzernmitbestimmungsrecht nach Art. 13 Abs. 3 lit. b) SE-RL, § 47 Abs. 1 SEBG nicht auf die SE als Konzernspitze anzuwenden ist.560 Die Ausklammerung der Konzernmitbestimmung aus der SE-RL und dem SEBG kann nicht mithilfe des Verbots des Missbrauchs der SE-Rechtsform dadurch unterlaufen werden, dass es über § 43 S. 1 SEBG zu einer Kompensation für den Entfall von Konzernmitbestimmungsrechten käme.561 Der Verzicht der SE-RL und des SEBG auf ein originäres SE-Mitbestimmungsregime lässt eine nachträgliche Gewährung allgemeiner konzernweiter Mitbestimmungsregeln wie im deutschen Recht (§ 2 DrittelbetG, § 5 MitbestG) mittels des Missbrauchsverbots nicht zu.562 Insoweit fehlt der von Art. 11 SE-RL, § 43 S. 1 SEBG vorausgesetzte Widerspruch zu den Zwecken der SE-RL.563 Damit ist ein Beteiligungserwerb durch die SE kein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG. 2. Beteiligungsveräußerung durch die SE Fraglich ist, ob umgekehrt bei der Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, welche die SE an Tochtergesellschaften hält, ein Missbrauch der SE-Rechtsform zu Lasten von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern denkbar ist. a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Ungeachtet einer im Folgenden zu prüfenden Pflicht aus § 18 Abs. 3 SEBG zur Aufnahme von Neuverhandlungen wird in der Literatur empfoh558 Feldhaus / Vanscheidt
BB 2008, 2246, 2249. BB 2008, 2246, 2249. 560 Vgl. Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2249. 561 Vgl. Habersack Der Konzern 2006, 105, 110; vgl. Rieble BB 2006, 2018, 2022: „den hypothetischen Zugewinn der Mitbestimmung nach deutsche[n] und nicht anwendbaren Mitbestimmungsgesetzen kann auch der Missbrauchstatbestand nicht herbeizwingen.“. 562 Vgl. Habersack Der Konzern 2006, 105, 110. 563 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2). 559 Feldhaus / Vanscheidt
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 505
len, in einer Beteiligungsvereinbarung zu regeln, dass eine Veräußerung von Beteiligungen zu Neuverhandlungen führen soll,564 um der Arbeitgeberseite eine Anpassung der Mitbestimmung in der SE „nach unten“ zu ermöglichen. aa) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Für das deutsche Recht wird in der Literatur eine „strukturelle Änderung“ bei einer Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen durch die SE verneint.565 Eine Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen der SE könne keine Neuverhandlungen auslösen, da es sich um das Gegenstück zum Erwerb von Beteiligungen durch die SE handele,566 welcher bereits keine Neuverhandlungen auslöse.567 Da die SE in ihrer Unternehmensstruktur – insbesondere das Organ, in dem die Mitbestimmung stattfindet – unverändert bleibt, liegt keine strukturelle Änderung vor. bb) „ Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Ferner wird eine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ durch die Veräußerung von Beteiligungen der SE abgelehnt.568 An der Mitbestimmung der Arbeitnehmer der SE ändere sich nichts.569 Dem ist zuzustimmen, da die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer sowohl der SE als auch der Arbeitnehmer der Tochtergesellschaft, an der die SE bislang Beteiligungen hielt, unverändert erhalten bleiben.570
564 Habersack
ZHR 171 (2007), 613, 635. ZHR 171 (2007), 613, 641; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; vgl. auch Habersack Der Konzern 2006, 105, 108, wonach bei der Veräußerung von Beteiligungen an mitbestimmten Gesellschaften gilt, dass eine einmal mitbestimmte SE mitbestimmt bleibt, da eine Vorschrift nach § 325 UmwG, die zum Auflaufen überholter Mitbestimmungsregelungen führe, im SEBG nicht vorgesehen sei. 566 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; für die Veräußerung von Tochtergesellschaften aus der SE vgl. Habersack Der Konzern 2006, 105, 109; Rieble BB 2006, 2018, 2022. 567 Vgl. oben unter § 9 B. II. 1. 568 Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262. 569 Rieble BB 2006, 2018, 2022; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262. 570 So auch Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262. 565 Habersack
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cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG: Keine Missbrauchsvermutung Demzufolge kommt mangels Pflicht zur Durchführung von Neuverhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG bei einer Beteiligungsveräußerung durch die SE auch nicht die Anwendung der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG in Betracht. b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Mangels Änderung bei den Mitbestimmungsrechten der Arbeitnehmer der SE, welche nach Gründung der SE durch § 43 S. 1 SEBG geschützt sind,571 scheidet bei einer Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen durch eine SE auch ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG aus. Die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer der bisherigen Tochtergesellschaft der SE bleiben ebenfalls unberührt. Mithin liegt bei der Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, welche die SE an Tochtergesellschaften hält, kein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vor. III. Gesellschaftsrechtliche Veränderungen der SE Im Folgenden ist zu untersuchen, in welchen Konstellationen gesellschaftsrechtlicher Veränderungen bei einer bereits gegründeten SE ein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 SEBG in Betracht kommt. Dabei wird im Folgenden unterschieden zwischen Umstrukturierungen von Unternehmen nationaler Rechtsform mit einer SE als aufnehmende Rechtsträgerin (dazu sogleich unter 1.), Umstrukturierungen der SE mit einer Gesellschaft nationaler Rechtsform als aufnehmende Rechtsträgerin (2.) sowie einer wirtschaftlichen Neugründung einer Vorrats-SE (3.). 1. Veränderungen mit einer SE als aufnehmende Rechtsträgerin Der Bestand an Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern eines mitbestimmten Unternehmens nationaler Rechtsform könnte gefährdet sein, wenn dieses Unternehmen im Rahmen einer Umstrukturierung – in Deutschland etwa nach dem UmwG – auf eine SE mit niedrigerem Mitbestimmungsniveau als aufnehmender Rechtsträgerin übertragen wird.572 Fraglich ist, welche Maßnahmen nach dem UmwG als „strukturelle Änderungen“ i. S. v. § 43 S. 2 i. V. m. § 18 Abs. 3 SEBG gelten. Nach Feld571 Vgl. dazu, dass Beteiligungsrechte von aus der SE ausscheidenden Arbeitnehmern nicht von Art. 11 SE-RL geschützt sind, oben unter § 3 C. I. 4. c). 572 Vgl. Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 507
haus / Vanscheidt könne nicht jede Teilnahme an einer Umwandlung mit einer SE als aufnehmender Rechtsträgerin zu Neuverhandlungen führen. Der Gesetzgeber habe mit dem Beispiel der „Aufnahme“ ausschließlich Fälle gemeint, bei denen sich „das Gesamtbild der Gesellschaft“573 ändere, etwa wenn eine Vorrats-SE als aufnehmende Rechtsträgerin eingesetzt werde. Daher setze die Wiederaufnahme von Verhandlungen voraus, dass die Teilnahme der SE an einer Umwandlung mit ihrem Wirksamwerden der SE ein „neues Gepräge“574 gebe. Als Indiz könne hierbei gelten, dass im Zuge der „Aufnahme“ eine nicht nur unwesentliche Änderung des Unternehmensgegenstands der SE erfolge.575 Zu prüfen ist, welche Umstrukturierungen mit einer SE als aufnehmender Rechtsträgerin erstens die Vermutung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform nach § 43 S. 2 SEBG begründen und zweitens dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG unterfallen können. Dazu zählen die Verschmelzung [dazu sogleich unter a)] sowie die Spaltung [unter b)] einer mitbestimmten AG auf eine schwächer mitbestimmte SE als übernehmende Rechtsträgerin. a) Verschmelzung einer AG auf eine SE durch Aufnahme Wenn eine SE eine andere Gesellschaft mit einem stärkeren Mitbestimmungsniveau als in der SE „aufnimmt“, besteht bereits nach der Regierungsbegründung576 ein Anlass für Neuverhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber zum einen die „Aufnahme“ einer Gesellschaft durch eine SE als „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG sieht. Diese Formulierung wird in der Literatur dahingehend gedeutet, dass davon jedenfalls eine innerstaatliche577 Verschmelzung i. S. v. § 2 UmwG auf die SE erfasst ist.578 Zum anderen bejaht der Gesetzgeber 573 Feldhaus / Vanscheidt
BB 2008, 2246, 2250. BB 2008, 2246, 2250. 575 Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250. 576 Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 18 SEBG, S. 50. 577 Zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen unter Beteiligung einer SE siehe Grambow / Stadler BB 2010, 977 ff. 578 Kleinsorge RdA 2002, 343, 351 („Fusion“); Rehberg ZGR 2005, 859, 861 (Fall 4), 881; Henssler RdA 2005, 330, 334; Grobys NZA 2005, 84, 91; MüllerBonanni / Melot de Beauregard GmbHR 2005, 195, 198; Seibt AG 2005, 413, 427; Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 278, 282; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 16; Habersack Der Konzern 2006, 105, 109; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Ringe NZG 2006, 931, 932; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 574 Feldhaus / Vanscheidt
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“, wenn das aufzunehmende Unternehmen mitbestimmt ist, in der SE aber bisher keine Mitbestimmung gilt. Insoweit kommt es zu einer „Minderung der Beteiligungsrechte“, da die zu verschmelzende innerstaatliche579 Gesellschaft erlischt und damit eine bisherige Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmensorgan entfällt.580 Insoweit wird jedoch seitens der Literatur zu Recht die Einschränkung gemacht, dass es sich um unmittelbar im Aufsichtsrat der aufzunehmenden Gesellschaft bestehende Mitbestimmungsrechte handeln müsse und eine bloß mittelbare Mitbestimmung der Arbeitnehmer der aufzunehmenden Gesellschaft im Aufsichtsrat einer Konzernobergesellschaft kraft Konzernzurechnung (§ 2 DrittelbetG, § 5 MitbestG) keine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG begründe.581 Eine mittelbare Mitbestimmung im Aufsichtsrat einer bisherigen Konzernmutter könne nicht „besitzstandswahrend zugerechnet werden“582, da es sich nicht um ein eigenes Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer der aufzunehmenden Gesellschaft, „sondern um einen Reflex aus der Konzernzugehörigkeit, der von vornherein mit der auflösenden Bedingung der Entkonzernierung belastet ist“,583 handele. Wenn der Aufsichtsrat der aufzunehmenden Gesellschaft selbst einer Mitbestimmung der Arbeitnehmer unterlag, bedarf es somit im Fall der innerstaatlichen Verschmelzung einer mitbestimmten Gesellschaft auf eine mitbestimmungslose SE der Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG. Wird ein solches Verfahren nicht durchgeführt und findet die Verschmelzung innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE statt und bewirkt die 2262; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2247, Fn 60; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756 („in der Regel“); Hoops Diss. 2009, S. 57; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335; Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 86; Grambow Der Konzern 2009, 97, 100; Müller-Bonanni / Müntefering BB 2009, 1699, 1702; Grambow / Stadler BB 2010, 977, 979; Schmid Diss. 2010, S. 147; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 365. 579 Die Sicherung von Beteiligungsrechten bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen auf eine SE mit Sitz in Deutschland richtet sich nach dem MgVG, das Art. 16 Verschmelzungs-RL umsetzt, vgl. Grambow / Stadler BB 2010, 977, 979. 580 Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 22; Reichert in GS Gruson 2009, S. 321, 335. 581 Henssler RdA 2005, 330, 334; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 279 f.; Habersack Der Konzern 2006, 105, 109 f.; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 14; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler, Einl. SEBG Rn 212; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; Güntzel Diss. 2006, S. 430 f.; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 642 Fn 111; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2248; Hoops Diss. 2009, S. 64; Schmid Diss. 2010, S. 149; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 33. 582 Rieble BB 2006, 2018, 2022. 583 Rieble BB 2006, 2018, 2022; zustimmend Hoops Diss. 2009, S. 64.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 509
Verschmelzung zudem, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden, wird nach § 43 S. 2 SEBG ein Missbrauch der SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vermutet. Findet eine Verschmelzung einer mitbestimmten AG auf eine schwächer mitbestimmte SE nach Ablauf des ersten Jahres nach ihrer Gründung statt, kann im Falle der Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG zwar die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht eingreifen. Dennoch besteht auch bei einer Verschmelzung nach Ablauf der Ein-Jahres-Frist die Pflicht zur Durchführung von Neuverhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG. Fraglich ist, ob eine Verletzung dieser Pflicht nach Ablauf der JahresFrist einen Verstoß gegen das allgemeine Verbot des Missbrauchs der SERechtsform nach § 43 S. 1 SEBG begründet. Dagegen spricht, dass die bloße Verletzung der Pflicht aus § 18 Abs. 3 SEBG nach zutreffender Auffassung Sagans einen „Rechtsbruch“584 und keinen Missbrauch darstellt.585 Indes ist das Merkmal eines „Entziehens“ von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer aufgrund des quantitativen Defizits an Mitbestimmungsrechten erfüllt, wenn eine mitbestimmte AG auf eine schwächer mitbestimmte SE verschmolzen wird. Darüber hinaus ist das Unterlassen der Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG objektiv zweckwidrig, da ErwG 18 S. 3 SE-RL die Geltung des Vorher-Nachher-Prinzips generell für strukturelle Veränderungen der SE – nicht nur zeitlich begrenzt nach der SE-Gründung – postuliert. Daher ist das Unterlassen eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG bei einer Verschmelzung einer mitbestimmten AG auf eine schwächer mitbestimmte SE auch nach Ablauf eines Jahres nach der SE-Gründung geeignet, einen Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG zu begründen. b) Spaltung einer AG auf eine SE als übernehmende Rechtsträgerin In der Literatur wird eine „strukturelle Änderung“ bei der Spaltung (vgl. § 1 Nr. 2, 123 UmwG) eines Unternehmensteils einer AG als übertragende Rechtsträgerin auf eine SE als übernehmende Rechtsträgerin bejaht.586 Dem ist zuzustimmen, da selbst nach der engsten Auffassung ein korporativer Akt587 vorliegt. 584 Sagan
EBLR 2010, 15, 22: „breach of law“. dazu oben unter § 3 C. III. 2. c) bb). 586 Kleinsorge RdA 2002, 343, 351; Köstler ZGR 2003, 800, 808; Wollburg / Banerjea ZIP 2005, 277, 282; Ringe NZG 2006, 931, 932; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 16; Rieble BB 2006, 2018, 2022; Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641; Feldhaus / Vanscheidt BB 2008, 2246, 2250; Ziegler / Gey BB 2009, 1750, 1756. 587 Habersack ZHR 171 (2007), 613, 641. 585 Vgl.
510
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Auch eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG durch Spaltung eines Unternehmensteils einer AG auf eine SE wird in der Literatur bejaht.588 Dem ist zu folgen, soweit den Arbeitnehmern des übertragenen Unternehmensteils ein höheres Mitbestimmungsniveau durch die Übertragung auf eine SE mit niedrigerem Mitbestimmungsniveau entzogen wird. Dabei wird zum Teil die Einschränkung gemacht, dass der zu übertragende Unternehmensteil selbst die Voraussetzungen einer Mitbestimmung nach dem DrittelbetG oder dem MitbestG erfüllen muss und in der SE demgegenüber ein niedrigeres Mitbestimmungsniveau besteht.589 Jedoch ist nicht entscheidend, dass der übertragene Unternehmensteil selbst allein mitbestimmungspflichtig gewesen wäre. Vielmehr kommt es darauf an, dass die Arbeitnehmer des übertragenen Unternehmensteils selbst ein Recht auf unmittelbare Mitbestimmung im Aufsichtsrat innehatten. Demgemäß reicht eine nur mittelbare Mitbestimmung in einer Konzernobergesellschaft des zu übertragenden Unternehmensteils für eine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ nicht aus.590 Somit ist bei einer Spaltung eines unmittelbar mitbestimmten Unternehmensteils einer AG als übertragende Rechtsträgerin auf eine SE als übernehmende Rechtsträgerin mit niedrigerem Mitbestimmungsniveau ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG zur Wiederaufnahme von Verhandlungen durchzuführen. Wird ein solches Verfahren nicht durchgeführt, kann bezüglich eines Missbrauchs der SE-Rechtsform nach § 43 SEBG auf die vorstehenden Ausführungen zur Verschmelzung einer AG auf eine SE verwiesen werden.591 2. Veränderungen einer mitbestimmten SE mit einer mitbestimmungslosen Gesellschaft nationaler Rechtsform als aufnehmende Rechtsträgerin Bei Veränderungen einer SE mit einer Gesellschaft nationaler Rechtsform als aufnehmende Rechtsträgerin wird im Folgenden zwischen einer Umwandlung [dazu sogleich unter a)] und sonstigen Umstrukturierungsmaßnahmen [b)] wie innerstaatlichen Verschmelzungen oder Spaltungen unterschieden.
588 Rieble
589 Jacobs
1756.
BB 2006, 2018, 2022. in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 16; Ziegler / Gey BB 2009, 1750,
590 Rieble BB 2006, 2018, 2022; vgl. für die Verschmelzung bereits oben unter § 9 B. III. 1. a). 591 Vgl. oben unter § 9 B. III. 1. a).
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 511
a) Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose Gesellschaft nationaler Rechtsform (Art. 66 Abs. 1 S. 1 SE-VO) Der Bestand an Beteiligungsrechten könnte gefährdet sein, wenn eine mitbestimmte AG in einem ersten Schritt unter Wahrung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in eine mitbestimmte SE umgewandelt (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) oder mit einer Tochtergesellschaft britischen Rechts zu einer SE mit Sitz in Deutschland verschmolzen (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) wird und die mitbestimmte SE im zweiten Schritt in eine mitbestimmungslose britische plc. umgewandelt (Art. 66 Abs. 1 S. 1 SEBG) wird.592 Dabei ist zum einen denkbar, dass die SE bereits bei ihrer Gründung ihren Sitz in Großbritannien nimmt (Fall 27 Var. 1).593 Zum anderen könnte die SE bei ihrer Gründung ihren Sitz zunächst in Deutschland nehmen und anschließend zur Vorbereitung der Umwandlung in eine plc. ihren Sitz nach Großbritannien verlegen (Fall 27 Var. 2).594 Durch diese Gestaltungen könnten den Arbeitnehmern der AG und / oder den Arbeitnehmern der SE Beteiligungsrechte entzogen und ein Missbrauch der SE-Rechtsform begründet werden.595 Zu prüfen ist daher, ob die Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose Gesellschaft nationaler Rechtsform („Renationalisierung“596) erstens die Vermutung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform nach § 43 S. 2 SEBG begründen [dazu sogleich unter aa)] und / oder zweitens dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG unterfallen kann [dazu unter bb)]. Diese Regelungen greifen jedoch nur, wenn das SEBG in diesem Fall überhaupt anwendbar ist. Nach Kübler soll der im zweiten Schritt in Fall 27 Var. 1 durchgeführte Vorgang der Umwandlung einer britischen SE in eine mitbestimmungsfreie Kapitalgesellschaft britischen Rechts „der Kontrolle durch das deutsche 592 Vgl. Oplustil / Schneider NZG 2003, 13, 14; Kisker RdA 2006, 206, 208; Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 9. 593 Vgl. Schwark AG 2004, 173, 176; Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254; Kübler in FS Zuleeg 2005, S. 559, 569; vgl. Joost in FS Richardi 2007, S. 573, 576; vgl. das entsprechende Beispiel der Verschmelzung einer mitbestimmten deutschen und einer portugiesischen Aktiengesellschaft zu einer SE mit Sitz in Portugal und anschließender Umwandlung in einer portugiesische Aktiengesellschaft bei Schmid Diss. 2010, S. 150. 594 Nagel AuR 2004, 281, 286; Nagel NZG 2004, 833, 839; Rehberg ZGR 2005, 859, 861 („Fall 3: Formwechsel“); Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17; Schmid Diss. 2010, S. 189 („SE-typischer Fall des Verlusts von Beteiligungsrechten“). 595 Vgl. Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254. 596 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Recht entzogen“597 sein. Daher müssten „geeignete Maßnahmen“ i. S. v. Art. 11 SE-RL von der britischen Gesetzgebung getroffen werden. Es sei jedoch nicht anzunehmen, dass das Vereinigte Königreich ein besonderes Interesse daran habe, derartige Fälle überhaupt zu regeln. Eine deutsche Regelung könne nur bei dem Verschmelzungsvorgang im ersten Schritt ansetzen, bei dem die deutsche AG in die britische SE überführt wird.598 Auch andere Stimmen verneinen die Anwendbarkeit des Missbrauchsverbots mit dem Argument, dass der Umwandlungsvorgang in eine nationale Gesellschaftsform auf einen „rein nationalen Sachverhalt“599 beschränkt sei. Zwar gilt das SEBG gem. § 3 Abs. 1 S. 1 SEBG für eine SE mit Sitz im Inland. In Fall 27 Var. 2 gilt demnach das SEBG, da die SE ihren Sitz in Deutschland hat. Nimmt die SE bei ihrer Gründung ihren Sitz nicht in Deutschland, sondern wie in Fall 27 Var. 1 in Großbritannien, scheidet die Anwendbarkeit des SEBG auf Grundlage von § 3 Abs. 1 S. 1 SEBG aus. Die Gestaltung könnte nur der Missbrauchs-Vorschrift des Art. 35 Umsetzungsgesetz-UK zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL unterliegen.600 Allerdings gilt das SEBG nach § 3 Abs. 1 S. 2 SEBG „unabhängig vom Sitz der SE auch für Arbeitnehmer der SE, die im Inland beschäftigt sind sowie für beteiligte Gesellschaften, betroffene Tochtergesellschaften und betroffene Betriebe mit Sitz im Inland“. Daher gilt in Fall 27 Var. 1 das SEBG auch, wenn die SE ihren Sitz in Großbritannien hat und Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt.601 Im Ergebnis gilt das SEBG und damit auch die Missbrauchsnorm nach § 43 SEBG unabhängig vom Sitz der SE jedenfalls auch, wenn Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt werden. aa) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG setzt voraus, dass ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines 597 Kübler
in FS Raiser 2005, S. 247, 254. Ganzen Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254. 599 Oplustil / Schneider NZG 2003, 13, 14; Schäfer in: MüKo-AktG Art. 66 SEVO Rn 5; dagegen Güntzel Diss. 2006, S. 331, der diese Sichtweise als „zu eng“ erachtet, da sie den Vorgang der Planung der Rückumwandlung und den anschließenden Verlust an Mitbestimmung aufgrund nationalen Rechts isoliert betrachte. 600 Vgl. dazu oben unter § 6 B. III. 601 Eine Kollision könnte sich mit den britischen Umsetzungsnormen ergeben, da Art. 17 Abs. 3 Umsetzungsgesetz-UK die Anwendbarkeit der Missbrauchsnorm des Art. 35 Umsetzungsgesetz-UK auf eine SE mit Sitz in Großbritannien anordnet. Da die Vorschrift lediglich verfahrensrechtliche Vorgaben enthält (vgl. dazu oben unter § 6 B. III.), kommt eine unterschiedliche Behandlung als MissbrauchsFall nicht in Betracht. 598 Zum
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 513
Jahres nach Gründung der SE strukturelle Änderungen der SE stattfinden. Da ein Beschluss zur Umwandlung einer SE in eine dem Recht ihres Sitzstaats unterliegende Aktiengesellschaft (Art. 66 Abs. 1 S. 1 SE-VO) erst zwei Jahre nach Eintragung der SE (Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO) gefasst werden darf, kommt bereits im Hinblick auf das Gesellschaftsrecht eine wirksame Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose plc. nicht vor Ablauf der zweijährigen Sperrfrist in Betracht. „Gründung der SE“ i. S. v. § 43 S. 2 SEBG und „Eintragung der SE“ i. S. v. Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO decken sich, da die Gründung der SE mit dem Erwerb der Rechtspersönlichkeit (vgl. Art. 16 Abs. 1 SE-VO) am Tag der Eintragung in das Handelsregister (vgl. Art. 12 SE-VO) abschließt. Selbst wenn die Umwandlung eine „strukturelle Änderung“ der SE sein sollte,602 würde ein entsprechender Umwandlungsbeschluss frühestens zwei Jahre nach der SE-Gründung gefasst werden können und damit nach Ablauf des zeitlichen Anwendungsbereichs des § 43 S. 2 SEBG von einem Jahr stattfinden. Mithin kommt die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG bei Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose plc. von vornherein nicht in Betracht.603 bb) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Kann die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG bei Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose plc. nicht einschlägig sein, ist zu prüfen, ob das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG greift. In der Literatur wird ein Missbrauch der SE-Rechtsform verneint.604 602 Dafür Nagel AuR 2004, 281, 286 und Nagel NZG 2004, 833, 839, wonach mit § 18 Abs. 3 SEBG (noch zum Regierungsentwurf) in der hier als Fall 27 Var. 2 diskutierten Konstellation verhindert werden soll, dass Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer geschmälert oder beseitigt werden; ferner in Betracht gezogen von Oetker in: Lutter / Hommelhoff § 18 SEBG Rn 16; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245; dagegen i. E. Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17; Schmid Diss. 2010, S. 150: Zwar könnten „strukturelle Änderungen wie die Umwandlung einer SE in nationale Aktiengesellschaften gemäß Art. 66 SE-VO […] zu einer Minderung von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer führen.“ Da „Wortlaut und Ziele der SE-Gesetze“ ausschließlich die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE sicherten, fielen jedoch „Änderungen, die aus der Rechtsform der SE herausführen, nicht in den Anwendungsbereich des § 18 Abs. 3 SEBG.“. 603 I. E. auch Güntzel Diss. 2006, S. 331; insgesamt gegen eine Anwendbarkeit des § 43 SEBG Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17. 604 Rehberg ZGR 2005, 859, 879, Fn 77, 881; Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254 ff.; Kisker RdA 2006, 206, 208; Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 17; Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245; Schmid Diss. 2010, S. 189; hinsichtlich Art. 11 SE-RL auch Oplustil / Schneider NZG 2003, 13, 14; Schäfer in: MüKo-AktG Art. 66
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
§ 43 S. 1 SEBG setzt ein „Vorenthalten“ oder „Entziehen“ von Beteiligungsrechten voraus. Ein Vorher-Nachher-Vergleich zwischen den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der AG und der SE ergibt keine Abweichung, da die Verschmelzung der mitbestimmten AG mit der britischen Tochtergesellschaft im ersten Schritt unter Beibehaltung der Beteiligungsrechte abläuft.605 Auch der in Fall 27 Var. 2 zwischengeschaltete Sitzwechsel der SE führt noch nicht zu einem Verlust an Beteiligungsrechten, da ein Sitzwechsel die bisherige Situation hinsichtlich der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der SE unberührt lässt.606 Hingegen ergibt ein Vergleich zwischen den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer in der AG und der SE einerseits und den Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer in der plc. andererseits ein Defizit, da die Umwandlung der mitbestimmten SE in die mitbestimmungslose plc. im zweiten Schritt unter Aufgabe der bisherigen Beteiligungsrechte erfolgt. Im zweiten Schritt kommt es somit zu einem „Entziehen“ von Beteiligungsrechten.607 Fraglich ist jedoch, ob das „Entziehen“ von Beteiligungsrechten bei der Umwandlung der SE in die plc. kausal einen Missbrauch der SE-Rechtsform begründet. Dazu muss die Gestaltung mit den Zwecken der SE-RL oder des SEBG unvereinbar sein.608 Gegen das Vorliegen eines Missbrauchs der SERechtsform soll Art. 66 Abs. 1 SE-VO sprechen.609 Danach kann eine SE in eine dem Recht ihres Sitzstaats unterliegende Aktiengesellschaft umgewandelt werden (Art. 66 Abs. 1 S. 1 SE-VO). Daraus folgt, dass die Umwandlung einer SE in eine Aktiengesellschaft nationaler Rechtsform grundsätzlich zulässig ist.610 Daher könnte der Gebrauch der Möglichkeit der Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungsfreie plc. nach Art. 66 Abs. 1 S. 1 SE-VO einen Missbrauch der SE-Rechtsform ausschließen.611 Die durch Art. 66 Abs. 1 SE-VO vorgesehene Umwandlung einer SE in eine nationale Aktiengesellschaft wie die plc. entspricht gerade SE-VO Rn 5; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360 nur, wenn „sich die Renationalisierung als vertretbare unternehmerische Entscheidung erweist, die nicht unter dem Verdacht der gezielten Arbeitnehmerbeteiligung steht“. Diene hingegen die Kombination von SE-Gründung, Sitzverlegung und Renationalisierung „planmäßig der Beseitigung von Beteiligungsrechten“, stehe dies unter dem „Verdikt des Missbrauchs der Rechtsform“. 605 I. E. auch Kübler in FS Zuleeg 2005, S. 559, 569. 606 Vgl. oben unter § 9 B. I. 1. 607 Vgl. für Art. 11 SE-RL auch Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254. 608 Vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (2). 609 Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254; Schmid Diss. 2010, S. 189. 610 Vgl. Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2704. 611 Dafür Kübler in FS Raiser 2005, S. 247, 254; vgl. auch Schmid Diss. 2010, S. 189.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 515
dem Ziel der SE-VO, die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit zu erleichtern.612 Dieses Ziel der SE-VO steht jedoch in Konflikt mit dem Ziel der SE-RL, bestehende Beteiligungsrechte zu schützen. Nach Stimmen in der Literatur sind die Zwecke der SE-VO stets vorrangig.613 In diesem Zusammenhang wird auf die Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG verwiesen,614 wonach bei einer Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs zu berücksichtigen sei, dass die SE-VO gerade die grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit erleichtern wolle und daher die Nutzung der vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten allein den Vorwurf des Missbrauchs nicht begründen könne.615 Ausgeschlossen ist dadurch jedoch nicht, eine Art und Weise der Nutzung der von der SE-VO zur Erleichterung der grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeit vorgesehenen Handlungsmöglichkeiten entgegen den Zwecken der SE-RL als Missbrauch einzustufen. Daher kommt § 43 S. 1 SEBG in Umsetzung von Art. 11 SE-RL die Funktion zu, die Ziele der SE-VO um die Erfüllung der Ziele der SE-RL zu ergänzen, indem die Nutzung der Möglichkeiten der SE-VO nicht um den Preis der Aufgabe bestehender Beteiligungsrechte gewährt wird.616 Daher unterfällt zwar die Nutzung der durch Art. 66 Abs. 1 SE-VO eröffneten Möglichkeit der Umwandlung einer SE in eine Aktiengesellschaft nationalen Rechts allein nicht dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG. Allerdings ist eine Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose plc. mit dem Zweck der SE-RL, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu schützen, unvereinbar, sodass insoweit § 43 S. 1 SEBG entgegensteht. § 43 S. 1 SEBG schützt auch Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern der bereits gegründeten SE.617 Daher unterfällt die Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose plc. an sich dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG. Für eine Kausalität der zwischengeschalteten SE spricht,618 dass eine Umwandlung der mitbestimmten AG direkt in eine mitbestimmungslose plc. mangels Rechtsvorschriften über grenzüberschreitende Umwandlungen nicht möglich wäre und somit erst die Zwischengründung der SE einen Wechsel in die plc.-Rechtsform ohne Mitbestimmung ermöglicht.619 612 Schmid
Diss. 2010, S. 189. Schmid Diss. 2010, S. 189; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2700. 614 Schmid Diss. 2010, S. 189 Fn 663. 615 Vgl. Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15 / 3405 v. 21.6.2004, Gesetzesbegründung zu § 43 SEBG, S. 57. 616 Zur Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO vgl. bereits oben unter § 3 C. III. 2. d) bb). 617 Vgl. für Art. 11 SE-RL oben unter § 3 C. I. 4. a). 618 Zum Erfordernis der Kausalität vgl. oben unter § 3 C. III. 3. b) aa) (3). 619 Vgl. Rehberg ZGR 2005, 859, 881; Kübler in FS Zuleeg 2005, S. 559, 569. 613 Etwa
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Allerdings könnte der Anwendung des § 43 S. 1 SEBG die Regelung in Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO entgegenstehen, wonach ein Umwandlungsbeschluss erst zwei Jahre nach Eintragung der SE gefasst werden darf.620 Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO wird dahingehend ausgelegt, dass die „zeitliche Schranke“621 der Vorschrift dazu dienen solle, missbräuchliche Gestaltungen zum Nachteil der Beteiligungsrechte zu verhindern.622 Mit der zweijährigen Abstandsfrist sei ein – temporärer – Schutz allein der Mitbestimmung bezweckt.623 Die Wartepflicht sei eingeführt worden, um einen Missbrauch der Gründungstatbestände mit dem Ziel der Erschleichung einer identitätswahrenden Sitzverlegung als möglichen Fluchtweg aus dem deutschen Mitbestimmungsrecht zu verhindern.624 Dafür spreche, dass der SE-Verordnungsgeber die Gefahr von Mitbestimmungsverkürzungen infolge von Renationalisierungen einer SE offensichtlich gesehen habe und die Regelung des Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO für ausreichend erachtet habe, um dieser Gefahr zu begegnen.625 Diese gesetzgeberische Wertung sei hinzunehmen und nicht mithilfe des Missbrauchsverbots zu korrigieren.626 Dem ist zuzustimmen. Bereits die zweijährige Sperrfrist soll ausreichenden Schutz gegen eine Absenkung des Niveaus der Beteiligungsrechte im Wege der Umwandlung in eine nationale Aktiengesellschaft gewähren. Nach der Begründung zum Kommissionsentwurf verhindert die Sperrfrist, dass die SE nur als Mittel für einen Formwechsel gebraucht werde: „Ein solcher Gebrauch und die daraus herrührenden Mißbrauchsgefahren wären dem Erfolg der neuen Rechtsform abträglich. Mit Rücksicht auf die Schutzvorschriften für den Bestand der Mitbestimmung erscheint es aber nicht mehr erforderlich, der Forderung des Wirtschafts- und Sozialausschusses nach einer Verlängerung dieser Frist auf fünf Jahre zu entsprechen.“627 Angesichts dessen ist ein Rückgriff auf § 43 S. 1 SEBG nicht zulässig.628 Eine 620 Für eine Beschränkung der Zeitsperre in Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO „im Wege teleologischer Reduktion auf die Fälle eines möglichen Missbrauch[s]“: Oplustil / Schneider NZG 2003, 13, 15. 621 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2704. 622 Schwarz SE-Verordnung, Art. 66 SE-VO Rn 20; Schäfer in: MüKo-AktG Art. 66 SE-VO Rn 1, 5; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360; Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2704. 623 Casper AG 2007, 97, 103. 624 Vgl. Oplustil / Schneider NZG 2003, 13, 14; Oechsler AG 2005, 373; Güntzel Diss. 2006, S. 330. 625 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2704; dem folgend Henssler in: Ulmer / Habersack / Henssler § 43 SEBG Rn 9. 626 Drinhausen / Keinath BB 2011, 2699, 2704. 627 Begründung SE-VO-Entwurf 1975 der Kommission, vgl. BT-Drucks. 7 / 3713, S. 248. 628 In diese Richtung Henssler ZHR 173 (2009) 222, 245.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 517
Beibehaltung der in der SE gewährten Beteiligungsrechte unter einer nationalen Rechtsform ist ausgeschlossen, da sich eine Beteiligung in der Gesellschaft nationaler Rechtsform allein nach nationalem Recht richtet. Da in jeder SE, die Arbeitnehmer beschäftigt, ein Verfahren über die grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer einzurichten ist, würde bereits allein dieser Verlust ein missbräuchliches „Entziehen“ von Beteiligungsrechten bedeuten. Demnach würde jeder Umwandlung einer SE in eine nationale Aktiengesellschaft das Missbrauchsverbot entgegenstehen. Jedoch ist die Entscheidung des SE-Verordnungsgebers, die Umwandlung der SE in eine Gesellschaft nationaler Rechtsform ausdrücklich zuzulassen, mit der Konsequenz verbunden, die Beteiligung der Arbeitnehmer nach der Umwandlung in eine nationale Aktiengesellschaft allein nationalem Recht zu unterstellen. Dafür, dass der Verordnungsgeber einen damit verbundenen Verlust an Beteiligungsrechten hingenommen hat, spricht auch Art. 66 Abs. 3 SE-VO. Danach hat das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der SE neben dem Umwandlungsplan einen Bericht zu erstellen, in dem unter anderem „die Auswirkungen, die der Übergang zur Rechtsform der Aktiengesellschaft für die […] Arbeitnehmer hat, dargelegt werden“. Demnach war dem Verordnungsgeber bewusst, dass die Umwandlung Auswirkungen auf die Arbeitnehmer haben kann. Das schließt Auswirkungen im Hinblick auf deren Beteiligungsrechte mit ein. Die Frist des Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO, die mit zwei Jahren doppelt so lang bemessen ist wie die Frist für die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG, ist somit ein Zugeständnis des Verordnungsgebers im Hinblick auf die von ihm gesehene Möglichkeit des Verlusts an Beteiligungsrechten durch die Umwandlung in eine nationale Aktiengesellschaft. Daher kommt ein Rückgriff auf § 43 S. 1 SEBG nicht in Betracht. b) Sonstige Umstrukturierungen einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose Gesellschaft nationaler Rechtsform Die zeitliche Sperre des Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO gilt dem Wortlaut nach für Umwandlungen i. S. v. Art. 66 Abs. 1 S. 1 SE-VO. Darunter fallen nur identitätswahrende Umwandlungen wie bei Gründung der SE nach Art. 2 Abs. 4 SE-VO. Das folgt aus Art. 66 Abs. 2 SE-VO, wonach die Umwandlung einer SE in eine Aktiengesellschaft nationalen Rechts weder zur Auflösung der Gesellschaft noch zur Gründung einer neuen juristischen Person führt.629 Demnach erfasst Art. 66 SE-VO keine anderen Umstrukturierungen wie die innerstaatliche Verschmelzung oder Spaltung der SE auf eine nationale Aktiengesellschaft. Dennoch stehen der SE über Art. 9 Abs. 1 629 Schäfer
in: MüKo-AktG Art. 66 SE-VO Rn 2.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
lit. c) ii) SE-VO auch die einer nationalen Aktiengesellschaft zur Verfügung stehenden Umstrukturierungsmöglichkeiten offen, etwa die innerstaatliche Verschmelzung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) oder Spaltung (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwG) der SE auf eine AG als aufnehmende Rechtsträgerin.630 Ist die SE mitbestimmt, besteht wie bei einer Umwandlung einer SE in eine nationale Aktiengesellschaft nach Art. 66 SE-VO631 auch bei einer innerstaatlichen Verschmelzung oder Spaltung die Gefahr, dass in der SE bestehende Beteiligungsrechte entzogen werden.632 Da die zeitliche Sperre des Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO auf die anderen Umstrukturierungsformen wie die innerstaatliche Verschmelzung oder die Spaltung analog angewendet wird,633 verbietet sich insoweit auch bei diesen Umstrukturierungsformen – wie bei der Umwandlung634 – ein Rückgriff auf das Missbrauchsverbot nach § 43 SEBG. 3. „Wirtschaftliche Neugründung“ einer Vorrats-SE Findet nach Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE635 eine „wirtschaftliche Neugründung“ der Vorrats-SE statt, im Zuge derer Arbeitnehmer eingestellt werden, führt ein Anstieg der Arbeitnehmerzahl als solcher in der zunächst auf Vorrat gegründeten SE nicht zur Aufnahme eines Verhandlungsverfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG.636 Wären die Arbeitnehmer jedoch bereits bei Gründung der SE einbezogen worden, hätte vor Abschluss der Gründung ein Verfahren unter den Voraussetzungen der §§ 4 ff. SEBG stattfinden müssen. Die Gestaltung als Vorrats-SE, bei der zunächst kein Verhandlungsverfahren durchgeführt wird, könnte somit dazu führen, dass künftig in der SE beschäftigten Arbeitnehmern Beteiligungsrechte i. S. v. § 43 SEBG „vorenthalten“ werden. Nachdem im Rahmen der Untersuchung möglicher Missbrauchs-Konstellationen bei Gründung einer SE bereits zu dem Ergebnis gelangt werden konnte, dass allein die Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE ohne vorherige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens über die Arbeitneh630 Vgl. Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 360 Fn 45; für die Spaltung der SE Schmid Diss. 2010, S. 149; Schäfer in: MüKo-AktG Art. 66 SE-VO Rn 14. 631 Dazu soeben unter § 9 B. III. 2. a). 632 Vgl. Casper AG 2007, 97, 103 f. 633 Schäfer in: MüKo-AktG Art. 66 SE-VO Rn 14. 634 Vgl. oben unter § 9 B. III. 2. a) bb). 635 Vgl. zur Gründung einer Vorrats-SE unter dem Gesichtspunkt eines Missbrauchs der SE oben unter § 8 C. I. 636 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 37; so bereits Schäfer in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 16 SE-VO Rn 13; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 658; vgl. bereits oben unter § 9 A. I. 1.
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merbeteiligung einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG nicht begründet,637 ist im Folgenden zu prüfen, ob die „wirtschaftliche Neugründung“ einer bereits gegründeten Vorrats-SE ohne nachgeholte Durchführung eines Verhandlungsverfahrens einen Missbrauch der SERechtsform nach § 43 S. 2 SEBG vermuten lässt [sogleich unter a)] oder zumindest gegen das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG verstößt [dazu unter b)]. a) Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG Aufgrund der Anknüpfung der Missbrauchsvermutung des § 43 S. 2 SEBG an die Nichtdurchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG spielt die Frage, ob § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG bei der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE anzuwenden ist, mittelbar auch für die Frage der Vermutung eines Missbrauchs der SE-Rechtsform eine Rolle.638 aa) Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG Fraglich ist zunächst, ob der als „wirtschaftliche Neugründung“ einer Vorrats-SE bezeichnete Vorgang eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG darstellt. (1) „Strukturelle Änderung“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Ob die „wirtschaftliche Neugründung“ einer Vorrats-SE selbst das Merkmal einer „strukturellen Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG erfüllt, wird in der Literatur zum Teil bejaht,639 zum Teil verneint,640 zum Teil offengelassen.641 Zum Teil wird der Tatbestand einer „wirtschaftlichen Neugründung“ dahingehend konkretisiert, dass die SE mit einem Unternehmen ausgestattet und eine für das Verhandlungsverfahren ausreichende Zahl von mindestens zehn Arbeitnehmern eingestellt wird.642 637 Oben
unter § 8 C. I. auch Forst NZG 2009, 687, 690. 639 Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367. 640 Kiem ZHR 173 (2009), 156, 165 („Entfalten unternehmerischer Aktivitäten“); Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262 („wirtschaftliche Aktivierung“). 641 Etwa Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 2b; vgl. auch Forst NZG 2009, 687, 691. 642 Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659; Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 2b. 638 Vgl.
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Es lässt sich nicht abstrakt sagen, ob eine „wirtschaftliche Neugründung“ selbst eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG begründet.643 Vielmehr kommt es darauf an, welche konkreten Maßnahmen die „wirtschaftliche Neugründung“ beinhaltet.644 Wird etwa im Rahmen einer „wirtschaftlichen Neugründung“ eine andere Gesellschaft auf die als Vorrats-SE gegründete Gesellschaft verschmolzen, ist eine „strukturelle Änderung“ gegeben,645 da die Verschmelzung der an der „wirtschaftlichen Neugründung“ beteiligten Gesellschaft auf die SE eine „strukturelle Änderung“ darstellt.646 Erschöpft sich die „wirtschaftliche Neugründung“ hingegen lediglich in der Begründung neuer Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern durch die SE, liegt darin keine „strukturelle Änderung“.647 Als problematisch erachtet Schubert das Merkmal der „strukturellen Änderung“, wenn die Vorrats-SE dadurch veräußert wird, dass sie von einem Dritten im Wege eines Anteilskaufs erworben wird.648 Nicht die Struktur der SE ändere sich, sondern ihr Inhaber wechsele.649 Auf diese Weise könne zwar eine Umgehung des SEBG erfolgen, eine „strukturelle Änderung“ liege aber nicht vor.650 Dem ist so nicht zuzustimmen: Zwar liegt keine „strukturelle Änderung“ vor, wenn eine mitbestimmte Gesellschaft eine Vorrats-SE im Wege eines Anteilskaufs erwirbt. Dadurch wird die VorratsSE lediglich zu einer Tochtergesellschaft der erwerbenden Gesellschaft, welche Anteile an der SE hält. Mithin kommt es lediglich zu einer Änderung der Inhaberschaft an der SE. Jedoch werden allein durch den An teilserwerb an der SE auch die Normen des SEBG nicht umgangen: Allein der Vorgang, dass eine Arbeitnehmer beschäftigende und mitbestimmte Gesellschaft Anteile an der Vorrats-SE erwirbt, bewirkt nicht, dass die Vorrats-SE Arbeitnehmer beschäftigen wird. Im Ergebnis ist der Anteilserwerb an einer Vorrats-SE keine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 643 Vgl. jedoch Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659, wonach entscheidend sei, „dass die Gesellschaft insgesamt eine völlig neue Gestalt erhalte und erstmals mit einem Unternehmen ausgestattet wird.“. 644 Ähnlich Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262: Die strukturelle Änderung sei nicht in der wirtschaftlichen Aktivierung zu sehen, sondern könne dieser nur im Rahmen weiterer geplanter Reorganisationsschritte nachfolgen, z. B. bei der Verschmelzung einer mitbestimmten Gesellschaft auf die Vorrats-SE. 645 So auch Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262. 646 Vgl. oben unter § 9 B. III. 1. a). 647 So auch Wisskirchen / Bissels / Dannhorn DB 2007, 2258, 2262; vgl. oben unter § 9 A. I. 1. a) aa). 648 Schubert ZESAR 2006, 340, 346. 649 Schubert ZESAR 2006, 340, 346. 650 Schubert ZESAR 2006, 340, 346; vgl. auch bereits Seibt ZIP 2005, 2248, 2250.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 521
SEBG.651 Anknüpfungspunkt für die Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG im Zusammenhang mit der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer VorratsSE ist somit nicht die Veräußerung der Vorrats-SE, sondern ihre Ausstattung mit einem Unternehmen, etwa im Wege der Verschmelzung einer Gesellschaft auf die Vorrats-SE.652 In diesem Fall ist Verschmelzung die maßgebliche „strukturelle Änderung“ der SE i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG. (2) „ Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) Ungeachtet der Frage des Vorliegens einer „strukturellen Änderung“ erfordert § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG eine „Eignung der strukturellen Änderung zur Minderung“ von Beteiligungsrechten. Diese kommt jedoch nur in Betracht, wenn im Rahmen der wirtschaftlichen Neugründung der Vorrats-SE Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern begründet werden, die zuvor bei einer an der wirtschaftlichen Neugründung der Vorrats-SE beteiligten und der Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft beschäftigt waren. Werden hingegen Arbeitnehmer neu eingestellt, die zuvor nicht in einem Arbeitsverhältnis zu einer an der wirtschaftlichen Neugründung der Vorrats-SE beteiligten, einer Mitbestimmung unterliegenden Gesellschaft standen, lässt sich ein für die Feststellung einer „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ erforderlicher „Vorher-Nachher-Vergleich“653 nicht anstellen. (3) Zwischenergebnis Im Fall des Erwerbs einer Vorrats-SE durch Dritte im Wege des Anteilskaufs ist ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG mangels einer „strukturellen Änderung“ nicht anwendbar.654 In bestimmten Fällen „wirtschaftlicher Neugründung“ ist sowohl eine „strukturelle Änderung“ als auch eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ zu bejahen, etwa wenn eine Vorrats-SE dadurch wirtschaftlich neu gegründet wird, dass ein anderes mitbestimmtes Unternehmen auf die SE verschmolzen wird. Dann sind die Voraussetzungen des § 18 Abs. 3 SEBG gegeben. In der Rechtsfolge sieht die Norm vor, dass auf Veranlassung der 651 I. E. auch Schubert ZESAR 2006, 340, 346 f., die darin eine Regelungslücke sieht, welche durch eine analoge Anwendung der §§ 4 ff. SEBG zu füllen sei. 652 Vgl. Forst NZG 2009, 687, 691. 653 Vgl. zum „Vorher-Nachher-Vergleich“ als Maßstab für die „Minderung“ im Sinne von § 18 Abs. 3 SEBG Jacobs in: MüKo-AktG § 18 SEBG Rn 14; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 358; Feuerborn in: KK-AktG § 18 SEBG Rn 32. 654 Vgl. oben unter § 9 B. III. 3. a) aa) (1).
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Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
Leitung der SE oder des SE-Betriebsrats Verhandlungen über die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer der SE stattfinden. Da bislang bei der VorratsSE kein SE-Betriebsrat eingerichtet wurde, obliegt es allein der SE-Leitung, das Verhandlungsverfahren einzuleiten, indem es ein bVG bildet.655 bb) Analogie zu §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG Eine Pflicht zur Nachholung des Verhandlungsverfahrens bei der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE stützt das Oberlandesgericht Düsseldorf nicht auf eine direkte Anwendung von § 18 Abs. 3 SEBG, sondern auf eine Analogie zu §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG. (1) Begründung der Analogie zur „Verhinderung eines Missbrauchs“ Das Oberlandesgericht Düsseldorf verlangt, „das Beteiligungsverfahren nachzuholen, sobald die Vorrats-SE wirtschaftlich neu gegründet, namentlich mit einem Unternehmen ausgestattet wird und infolgedessen über Arbeitnehmer verfügt“656. Die Vorrats-SE-Gründung selbst sei zulässig, das Arbeitnehmerbeteiligungsverfahren müsse aber nachgeholt werden, sobald die SE „zum Leben erweckt wird“657. Als Grundlage für diese nachträgliche Verhandlungspflicht stützt sich das Oberlandesgericht Düsseldorf im Anschluss an zuvor unterbreitete Vorschläge in der Literatur658 auf eine „Analogie zu §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG“659. Nach diesen Vorschriften würden die für die SE-Gründung geltenden Grundsätze auf Strukturänderungen der SE übertragen.660 Mit der Pflicht zur Nachholung des Verhandlungsverfahrens in Analogie zu §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG werde „dem angestrebten Ziel der Verhinderung eines Missbrauchs“ nach Art. 11 SE-RL Rechnung getragen.661
655 Als Argument gegen eine analoge Anwendung von § 18 Abs. 3 SEBG herangezogen von Schubert ZESAR 2006, 340, 347; vgl. dazu Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659; Forst NZG 2009, 687, 691. 656 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42; so bereits Schäfer in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 16 SE-VO Rn 13. 657 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 44; so bereits Schäfer in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 16 SE-VO Rn 13. 658 Schäfer in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 16 SE-VO Rn 13. 659 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 43. 660 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 43. 661 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 44; vgl. auch bereits Schäfer in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 16 SE-VO Rn 13 mit Verweis auf ErwG 18 SE-RL.
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(2) Teilweise Ablehnung der Analogie mangels Regelungslücke Die auf eine Nachholung eines Verhandlungsverfahrens nach §§ 1 Abs. 4, 18 Abs. 3 SEBG analog gestützte „Lösungsalternative zur Vermeidung einer Umgehung der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer“662 des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Anschluss an Schäfer663 wird in der Literatur664 überwiegend befürwortet.665 Demgegenüber lehnen Hohenstatt / Dzida eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG mangels planwidriger Gesetzeslücke ab.666 Nach Seibt ist bei nachträglichen Einstellungen durch eine gegründete SE für einen Rückgriff auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG bereits deshalb kein Raum, weil § 18 Abs. 3 SEBG als auf Art. 11 SE-RL und ErwG 18 SE-RL beruhende Sondervorschrift den Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung bei wirtschaftlicher Neugründung abschließend regele.667
662 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.9.2009 – I-3 Wx 248 / 08, juris, Rn 42; Schäfer in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 16 SE-VO Rn 13. 663 Schäfer in: MüKo-AktG, 2. Aufl. 2006, Art. 16 SE-VO Rn 13; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 658 f. („erstmalige Durchführung eines Verhandlungsverfahrens analog § 18 Abs. 3 SEBG [ist] die adäquate Antwort auf die mit der Anerkennung der Vorrats-SE verbundenen mitbestimmungsrechtlichen Schwierigkeiten“). 664 Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 2 (für eine entsprechende Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG); Casper AG 2007, 97, 100; Forst NZG 2009, 687, 690; Forst Diss. 2010, S. 181; Teichmann in FS Hellwig 2010, S. 347, 367 f.; für eine richtlinienkonforme Auslegung des § 18 Abs. 3 SEBG Schreiner Diss. 2009, S. 142 ff.; für eine Analogie zu §§ 4 ff., 22 ff., 34 ff. SEBG: Schubert ZESAR 2006, 340, 345 ff.; für §§ 4 ff. SEBG analog auch Diekmann in GS Gruson 2009, S. 75, 89. 665 Vgl. Schäfer in: MüKo-AktG Art. 16 SE-VO Rn 13 Fn 8: „inzwischen hM“, der jedoch kritisiert, dass einige Autoren „nicht hinreichend zwischen dem Wortlaut des § 18 Abs. 3 SEBG und seiner analogen Anwendung auf die wirtschaftliche Neugründung unterscheiden und so den unzutreffenden Eindruck erwecken, als könnten Vorrats-SE auch bei Ausstattung mit einem Unternehmen dauerhaft mitbestimmungsfrei bleiben“ (Schäfer in: MüKo-AktG Art. 16 SE-VO Rn 13 Fn 8); vgl. auch Forst NZG 2009, 687, 690 f. 666 Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; a. A. Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 658: „Dass die Vorratsgründung und ihre mitbestimmungsrechtliche Problematik insgesamt eine planwidrige Regelungslücke darstellen, dürfte nicht ernsthaft zu bestreiten sein.“. 667 Vgl. Seibt ZIP 2005, 2248, 2250 im Hinblick auf die Einstellung von Arbeitnehmern als wirtschaftliche Neugründung einer Vorrats-SE; vgl. auch beim Beteiligungserwerb einer Vorrats-SE: Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32.
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(3) S tellungnahme: Nachholung nur unter den Voraussetzungen von § 43 S. 1 SEBG An einer Analogiefähigkeit des § 18 Abs. 3 SEBG könnte es fehlen, wenn aus §§ 43, 45 SEBG ein Verbot einer Analogie zu § 18 Abs. 3 SEBG folgt.668 Da § 43 S. 2 SEBG auf § 18 Abs. 3 SEBG Bezug nimmt, hätte eine analoge Anwendung auch Folgen für die Reichweite der Missbrauchsvermutung.669 Ein Analogieverbot könnte sich insofern aus der Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ergeben, da im Strafrecht das Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG gilt. Indes verweist § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG allein auf § 43 S. 1 SEBG und nicht auf § 43 S. 2 SEBG, sodass aus der Strafnorm kein Verbot einer Analogie zu § 18 Abs. 3 SEBG folgt.670 Das Oberlandesgericht Düsseldorf begründet die Pflicht zur Nachholung des Verhandlungsverfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG analog damit, dass diese „dem angestrebten Ziel der Verhinderung eines Missbrauchs (vgl. Art. 11 SE-RL) Rechnung“ trage. Mithin sieht das Gericht einen Zusammenhang mit dem Verbot des Missbrauchs der SE-Rechtsform. Der deutsche Gesetzgeber hat jedoch Art. 11 SE-RL in § 43 S. 1 SEBG umgesetzt. Daher kann sich eine Pflicht zur Nachholung des Verhandlungsverfahrens zum Schutz von Beteiligungsrechten in Fällen „wirtschaftlicher Neugründungen“, welche nicht bereits eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG darstellen, nur aus § 43 S. 1 SEBG ergeben. Dafür spricht, dass § 43 S. 1 SEBG auch nach der SE-Gründung greift, um Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern gegen ein Entziehen oder Vorenthalten zu schützen.671 § 18 Abs. 3 SEBG ist gerade keine abschließende Vorschrift für den Zeitraum der Nachgründung, die einen Rückgriff auf § 43 S. 1 SEBG verhinderte.672 Hingegen würde eine Analogie zu § 18 Abs. 3 SEBG zu einer Aufweichung des Tatbestandsmerkmals „strukturelle Änderung“ der SE führen, indem die Vorrats-SE als Sonderfall dargestellt würde.673 Demge668 Vgl. jeweils ein Analogieverbot i. E. ablehnend Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659; Forst NZG 2009, 687, 690; Forst RdA 2010, 55, 57 f. 669 Vgl. Forst NZG 2009, 687, 690; vgl. zum dogmatischen Verhältnis zwischen § 43 S. 2 und § 18 Abs. 3 SEBG bereits oben unter § 5 B. II. 670 Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659; Forst NZG 2009, 687, 690; Forst RdA 2010, 55, 58. 671 Vgl. oben unter § 5 A. II. 2. 672 A. A. Seibt ZIP 2005, 2248, 2250; Hohenstatt / Dzida in: Henssler / Willemsen / Kalb SEBG Rn 32; für einen Vorrang des § 18 Abs. 3 SEBG gegenüber § 43 SEBG: Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659. 673 In diese Richtung auch Götze / Winzer / Arnold ZIP 2009, 245, 252: „Überzeugender ist […], eine Sonderstellung der Vorrats-SE insgesamt abzulehnen und sie den allgemeinen Regeln des § 18 Abs. 3 SEBG zu unterstellen.“.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 525
genüber besteht mit dem allgemeinen Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG eine Norm zum Schutz von Beteiligungsrechten, die im Gegensatz zu § 18 Abs. 3 SEBG und § 43 S. 2 SEBG keine „strukturelle Änderung“ der SE voraussetzt. Im Übrigen greift § 43 S. 1 SEBG im Gegensatz zu § 43 S. 2 SEBG unabhängig vom zeitlichen Zusammenhang zwischen der Gründung der Vorrats-SE und ihrer „wirtschaftlichen Neugründung“. Ferner schützt § 43 S. 1 SEBG auch gegen ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten, während § 18 Abs. 3 SEBG nicht nur eine „strukturelle Änderung“, sondern auch eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ voraussetzt. Eine Minderung kommt jedoch nur in Betracht, wenn Betei ligungsrechte bereits zuvor bestanden haben. Demgegenüber ist ein „Vor enthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG insbesondere gegeben, wenn den Arbeitnehmern keine Verhandlungen hinsichtlich einer Beteiligungsvereinbarung zur Begründung grenzüberschreitender Unterrichtungs- und Anhörungsrechte zur Wahrnehmung durch einen SE-Betriebsrat angeboten werden. Diese Rechte können Arbeitnehmern – wenn nicht bereits ein Europäischer Betriebsrat nach dem EBRG eingerichtet war – bislang nicht zugestanden haben. Durch eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG, der eine „Eignung zur Minderung“ voraussetzt, können Verhandlungen allein über die Unterrichtung und Anhörung nicht begründet werden, wenn den Arbeitnehmern entsprechende Rechte bislang nicht zustanden. Daher ergibt sich eine Pflicht zur Nachholung eines Verhandlungsverfahrens in Fällen des Nichtvorliegens „struktureller Änderungen“ nicht nach § 18 Abs. 3 SEBG analog, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 43 S. 1 SEBG. Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, dass „das Missbrauchsverbot auf eine Verhinderung der SE gerichtet ist, während die über § 18 Abs. 3 SEBG zur Anwendung gebrachte Verhandlungslösung auf eine Durchsetzung einer für die Parteien adäquaten Mitbestimmungslösung zielt“674. Wie die rechtsvergleichende Auslegung mit anderen mitgliedstaatlichen Missbrauchsvorschriften ergeben hat,675 ist § 43 S. 1 SEBG dahingehend auszulegen, dass die Norm nicht die SE selbst, sondern den Missbrauch dieser Rechtsform verbietet. Demnach kann eine Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG in der Aufnahme von Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung bestehen.676 aber Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659. oben unter § 6 B. 676 Auch wenn Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 659 die Rechtsfolge des § 43 SEBG zunächst in der „Verhinderung der SE“ sehen, könne „im Einzelfall ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Überschreitung der deutschen Mitbestimmungsschwellen und der wirtschaftlichen Neugründung […], der eine Umgehungssituation begründet, […] § 18 Abs. 3 SEBG über die Missbrauchsklausel in § 43 SEBG zur Anwendung gelangen.“ (Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 660). 674 So
675 Vgl.
526
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
cc) Ergebnis zu § 43 S. 2 SEBG Im Ergebnis ist eine Nachholung des Verhandlungsverfahrens gem. § 18 Abs. 3 SEBG in bestimmten Fällen „wirtschaftlicher Neugründungen“ von Vorrats-SE-Gesellschaften angezeigt. Die Pflicht zur Nachholung ergibt sich in direkter Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG, wenn eine Vorrats-SE dadurch wirtschaftlich neu gegründet wird, dass ein anderes mitbestimmtes Unternehmen auf die SE verschmolzen wird. In diesem Fall sind sowohl eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG als auch eine „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ der Arbeitnehmer der auf die Vorrats-SE zu verschmelzenden mitbestimmten Gesellschaft zu bejahen. Wird die Verschmelzung ohne ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG innerhalb eines Jahres nach Gründung der Vorrats-SE durchgeführt, greift die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG.677 Liegt mit einer „wirtschaftlichen Neugründung“ nicht zugleich eine „strukturelle Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 SEBG vor, kann auch die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht greifen.678 Eine Nachholung des Verhandlungsverfahrens kommt unter den Voraussetzungen des § 43 S. 1 SEBG in Betracht. b) Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG Nach Forst ist eine Vorrats-SE nur nicht rechtsmissbräuchlich, wenn eine Beteiligung der Arbeitnehmer, sobald die Vorrats-SE aktiviert werde, nachgeholt werde.679 Forsts Auffassung ist grundsätzlich zuzustimmen: Allein die Gründung einer arbeitnehmerlosen Vorrats-SE durch beteiligte Gesellschaften mit maximal zehn Arbeitnehmern ohne Durchführung eines Verhandlungsverfahrens begründet zwar noch keinen Missbrauch der SERechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG. Ein Verstoß gegen diese Norm könnte indes darin liegen, dass ein Verhandlungsverfahren, welches bei Gründung der Vorrats-SE mangels ausreichender Arbeitnehmerzahl in den beteiligten Gesellschaften noch nicht durchgeführt worden ist, nicht im Zeitpunkt einer „wirtschaftlichen Neugründung“ der Vorrats-SE nachgeholt wird. Jedoch verstößt das Unterlassen einer Nachholung eines bei der VorratsSE-Gründung nicht durchgeführten Verhandlungsverfahrens nur gegen § 43 S. 1 SEBG, wenn durch die „wirtschaftliche Neugründung“ Beteiligungsauch Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 660. Güntzel Diss. 2006, S. 435, wonach eine Vermutung dafür spreche, dass eine Vorrats-SE mit Sitz in Deutschland, die innerhalb kurzer Zeit mehr als 500 Arbeitnehmer einstellt, zur Vorenthaltung von Beteiligungsrechten missbraucht werde. 679 Forst NZG 2009, 687, 690. 677 I. E.
678 A. A.
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 527
rechte von Arbeitnehmern „entzogen“ [dazu sogleich unter aa)] oder „vorenthalten“ [bb)] werden. aa) „Entziehen“ von Beteiligungsrechten (§ 43 S. 1 Var. 1 SEBG) Der tatbestandsmäßige Erfolg des „Entziehens“ von Beteiligungsrechten ist nicht bereits gegeben, wenn Arbeitnehmer in der als Vorrats-SE gegründeten Gesellschaft eingestellt werden, ohne dass sie über unternehmerische Mitbestimmungsrechte im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE verfügen. Ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 Var. 1 SEBG setzt voraus, dass im Zuge einer „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE für diese tätig werdende Arbeitnehmer bereits bei einer an der „wirtschaftlichen Neugründung“ beteiligten Gesellschaft beschäftigt waren und ihnen aufgrund ihrer Arbeitnehmerstellung in dieser beteiligten Gesellschaft Beteiligungsrechte zustanden, die ihnen ohne eine Nachholung des Beteiligungsverfahrens künftig in der SE nicht mehr zustehen würden. § 43 S. 1 SEBG begründet in Var. 1 keine noch nicht bestehenden Beteiligungsrechte, sondern beschränkt den Schutz auf die bereits zuvor in den an der „wirtschaftlichen Neugründung“ beteiligten Gesellschaften existierenden Beteiligungsrechte.680 Konkret müssen die von der „wirtschaftlichen Neugründung“ der Vorrats-SE betroffenen Arbeitnehmer zuvor unternehmerische Mitbestimmungsrechte oder betriebliche Beteiligungsrechte auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung in an der „wirtschaftlichen Neugründung“ beteiligten Gesellschaften gehabt haben. Unternehmerische Mitbestimmungsrechte können sich aus zuvor in an der „wirtschaftlichen Neu gründung“ beteiligten Gesellschaften anwendbaren deutschen Mitbestimmungsgesetzen (DrittelbetG, MitbestG) ergeben, betriebliche Beteiligungsrechte auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung nur bei Wahrnehmung eines zuvor bereits bestehenden Europäischen Betriebsrats nach der EBR-RL oder dem EBRG. Eine Umgehung des Verhandlungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt des „Entziehens“ von Beteiligungsrechten ist somit nur bei zuvor in an der „wirtschaftlichen Neugründung“ der Vorrats-SE beteiligten Gesellschaften bestehenden Beteiligungsrechten denkbar, nicht jedoch bei einer wirtschaftlichen Aktivierung der Vorrats-SE allein aus sich heraus.681 Nur wenn ein Vorher-Nachher-Vergleich zwischen Beteiligungsrechten in den an der „wirtschaftlichen Neugründung“ der Vorrats-SE beteiligten Gesellschaften und den Beteiligungsrechten in der Vorrats-SE ausweist, dass ein Defizit an Beteiligungsrechten nach Beginn des Tätigwerdens der Arbeitnehmer für die bislang beteiligungslose Vorrat680 Vgl. 681 Vgl.
zum Bestandschutzprinzip des Art. 11-SE-RL oben unter § 3 C. I. 2. insoweit auch Schubert ZESAR 2006, 340, 346.
528
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
SE vorliegt, ist ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 Var. 1 SEBG zu bejahen. bb) „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten (§ 43 S. 1 Var. 2 SEBG) Ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 Var. 2 SEBG kommt in Betracht, wenn im Zuge einer „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE für sie tätig werdenden Arbeitnehmern, die zuvor in einer an der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrat-SE beteiligten Gesellschaft beschäftigt waren, betriebliche Beteiligungsrechte auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung in der SE verwehrt werden. cc) Denkbare Fallgestaltungen bei „wirtschaftlicher Neugründung“ (1) S E-Gründung durch arbeitnehmerlose Gesellschaften und anschließende Beschäftigung von Arbeitnehmern in der Holding- / Tochter-SE Nach Schubert liegt in folgender Konstellation ein Missbrauch vor: „Die beteiligten Gesellschaften, die selbst keine Arbeitnehmer haben, könnten eine SE-Holding oder eine Tochter-SE gründen und anschließend Arbeitnehmer beschäftigen, ohne dass es zur Mitbestimmung käme.“682 „Diesen Missbrauch“683 verhindere auch § 18 Abs. 3 SEBG nicht, weil die nachträgliche Einstellung von Arbeitnehmern nicht in jedem Fall eine „strukturelle Änderung“ sei. Zudem fehle es an einem SE-Betriebsrat, der nach § 18 Abs. 3 SEBG die Initiative für Verhandlungen ergreifen müsse. In diesem Fall könnten daher nur §§ 43, 45 SEBG zur Nachholung der Arbeitnehmerbeteiligung anhalten.684 An Schuberts Auffassung ist zutreffend, dass bei nicht-strukturellen Änderungen im Rahmen einer „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE Verhandlungen nicht aufgrund des § 18 Abs. 3 SEBG – auch nicht mittels einer analogen Anwendung dieser Norm – aufzunehmen sind. Vielmehr kommt eine Pflicht zur Verhandlungsaufnahme nur durch Rückgriff auf § 43 S. 1 SEBG in Betracht.685 Indes ist es nicht in jedem Fall ein Missbrauch der SE-Rechtsform nach § 43 S. 1 SEBG, wenn arbeitnehmer- und demzufolge beteiligungslose Gesellschaften eine zunächst arbeitnehmer- und beteiligungslose Vorrats-SE ohne vorherige Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung gründen und die SE später Arbeit682 Schubert
ZESAR 2006, 340, 344. ZESAR 2006, 340, 344. 684 Zum Ganzen Schubert ZESAR 2006, 340, 344. 685 Vgl. oben unter § 9 B. III. 3. a) bb) (3). 683 Schubert
§ 9 Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung einer SE 529
nehmer ohne Mitbestimmungsrechte einstellt.686 Vielmehr muss wie vorstehend beschrieben ein „Entziehen“687 oder „Vorenthalten“688 von Beteiligungsrechten hinzukommen. (2) Verzögerte Einstellung von Arbeitnehmern Ein Teil der Literatur erachtet es als möglichen Anwendungsfall des Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG, wenn die Einstellung von Arbeitnehmern durch eine arbeitnehmerlose Vorrats-SE verzögert wird, um ein Verhandlungsverfahren zu vermeiden.689 § 43 S. 1 SEBG hat im Gegensatz zu § 43 S. 2 SEBG jedoch keinen zeitlich begrenzten Anwendungsbereich, sodass ein zeitliches Hinauszögern einer Einstellung von Arbeitnehmern keine Auswirkungen auf die Pflicht zur Nachholung des Verhandlungsverfahrens hat. Mithin ist auch der Zeitpunkt der Einstellung von Arbeitnehmern durch eine Vorrats-SE unbeachtlich. Daher kann die Nachholung eines Verhandlungsverfahrens nicht dadurch vermieden werden, dass die Einstellung von Arbeitnehmern in der SE verzögert wird. Entscheidend für ein Nachholen eines Verhandlungsverfahrens als Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG ist das Vorliegen eines „Entziehens“690 oder „Vorenthaltens“691 von Beteiligungsrechten im beschriebenen Sinne. Ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten erfordert, dass die einzustellenden Arbeitnehmer zuvor bei einer an der „wirtschaftlichen Neugründung“ der Vorrats-SE beteiligten Gesellschaft beschäftigt waren und dort über Beteiligungsrechte verfügten.692 Ein „Vorenthalten“ kommt nur hinsichtlich betrieblicher Beteiligungsrechte auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung in Betracht.693 c) Ergebnis zur „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE Im Zusammenhang mit der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer VorratsSE kommt die Anwendung der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nur in Betracht, wenn ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG durchzuführen aber Schubert ZESAR 2006, 340, 344. oben unter § 9 B. III. 3. b) aa). 688 Vgl. oben unter § 9 B. III. 3. b) bb). 689 Jacobs in: MüKo-AktG § 3 SEBG Rn 2b; Casper / Schäfer ZIP 2007, 653, 660 (für § 43 S. 2 SEBG). 690 Vgl. oben unter § 9 B. III. 3. b) aa). 691 Vgl. oben unter § 9 B. III. 3. b) bb). 692 Vgl. oben unter § 9 B. III. 3. b) aa). 693 Vgl. oben unter § 9 B. III. 3. b) bb). 686 So
687 Vgl.
530
Teil 4: Konkretisierung durch Fallgruppen-Bildung
ist. Voraussetzung ist, dass zugleich mit der „wirtschaftlichen Neugründung“ eine „strukturelle Änderung“ stattfindet, die geeignet ist, Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern zu mindern. Das ist erfüllt, wenn eine mitbestimmte Gesellschaft auf der Vorrats-SE verschmolzen wird. Mangelt es an einer „strukturellen Änderung“ i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG, kommt eine analoge Anwendung des § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG wegen „wirtschaftlicher Neugründung“ der Vorrats-SE entgegen dem Oberlandesgericht Düsseldorf nicht in Betracht, da hierdurch die Vorrats-SE-Aktivierung als Sonderfall des § 18 Abs. 3 SEBG eingestuft würde. Dadurch würde schlichtweg auf die Merkmale „strukturelle Änderung“ und „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“694 verzichtet. Das Oberlandesgericht Düsseldorf begründet die Analogie zu § 18 Abs. 3 SEBG damit, dass „dem angestrebten Ziel der Verhinderung eines Missbrauchs (vgl. Art. 11 SE-RL)“ Rechnung getragen werde. Der deutsche Gesetzgeber sieht jedoch in Umsetzung von Art. 11 SE-RL mit § 43 S. 1 SEBG eine Norm vor, die eine „strukturelle Änderung“ gerade nicht voraussetzt. Daher bedarf es keiner analogen Anwendung des § 18 Abs. 3 SEBG bei einer „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE, welche nicht zugleich eine „strukturelle Änderung“ im Sinne der Norm beinhaltet. Liegt im Rahmen einer „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE keine „strukturelle Änderung“ vor, kommt eine Nachholung eines Verhandlungsverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 43 S. 1 SEBG in Betracht. Dabei ist für ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 Var. 1 SEBG nicht ausreichend, dass die Vorrats-SE schlichtweg Arbeitnehmer einstellt, ohne dass ihnen Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung in der SE angeboten werden. Vielmehr setzt ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten voraus, dass die künftig bei der SE beschäftigten Arbeitnehmer zuvor in einer an der „wirtschaftlichen Neugründung“ beteiligten Gesellschaft über Beteiligungsrechte – d. h. unternehmerische Mitbestimmungsrechte oder betriebliche Beteiligungsrechte auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung – verfügten. Ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 Var. 2 SEBG kommt in Betracht, wenn im Zuge einer „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE für sie tätig werdenden Arbeitnehmern, die zuvor in einer an der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrat-SE beteiligten Gesellschaft beschäftigt waren, betriebliche Beteiligungsrechte auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung in der SE verwehrt werden.
694 Hervorhebung
durch Verf.
Teil 5
Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung § 10 Thesen A. Thesen zu Teil 2 (Konkretisierung der Missbrauchsschranke des Art. 11 SE-RL) I. Zur Dogmatischen Einordnung des Art. 11 SE-RL Art. 11 SE-RL weist in dogmatischer Hinsicht einen doppelten Rechtscharakter auf. Zum einen erteilt der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten einen Handlungsauftrag, welcher die Bereitstellung formeller Verfahren zur Verhinderung von Missbräuchen der SE-Rechtsform umfasst. Zum anderen ist Art. 11 SE-RL in materieller Hinsicht eine europarechtliche Generalklausel, welche inhaltlicher Ausfüllung bedarf und daher einen Prozess der Normkonkretisierung erfordert.1 II. Zur Methodik der Normkonkretisierung zur Ausfüllung des Art. 11 SE-RL 1. Die Kompetenz zur Konkretisierung der ausfüllungsbedürftigen europarechtlichen Generalklausel des Art. 11 SE-RL ist ausdrücklich weder dem EuGH noch den Mitgliedstaaten zugewiesen. Die daher erforderliche Auslegung des Art. 11 SE-RL ergibt, dass die Letztkonkretisierungsbefugnis des Art. 11 SE-RL dem EuGH obliegt.2 2. Bei der anzuwendenden Konkretisierungsmethodik ist zwischen dem formellen Konkretisierungsverfahren und den materiellen Konkretisierungsinstrumenten zu unterscheiden.3 1 § 3
A. B. I. 3 § 3 B. II. 2 § 3
532
Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
a. Das formelle Konkretisierungsverfahren zur Letztkonkretisierung des Art. 11 SE-RL durch den EuGH erfolgt im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV im Rahmen der dem EuGH eingeräumten Befugnis zur Auslegung von Unionsrecht. Erlässt der nationale Gesetzgeber eine innerstaatliche Generalklausel, hat die nationale Rechtsprechung diese richtlinienkonform – unter Beachtung der im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens einzuholenden EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung des Art. 11 SE-RL – zu konkretisieren (judikative Konkretisierung) und entsprechend anzuwenden. Nimmt bereits der nationale Gesetzgeber im Gesetz zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL eigene legislative Vor-Konkretisierungen vor, sind diese aufgrund der dem EuGH zustehenden Letztkonkretisierungskompetenz des Art. 11 SE-RL durch Vorlage der nationalen Gerichte im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens an den EuGH durch diesen überprüfbar und ist der nationale Gesetzgeber gegebenenfalls zur Änderung des Umsetzungsgesetzes verpflichtet.4 b. Die vorliegende Arbeit ist bei der materiellen Normkonkretisierung des Art. 11 SE-RL methodisch in drei Schritten vorgegangen: Erstens ist Art. 11 SE-RL anhand unionsrechtlicher Kriterien (Wortlaut, Historie, Systematik, Telos) ausgelegt und insbesondere der Begriff des „Missbrauchs einer SE“ mit unionsautonomen Konkretisierungsargumenten ausgefüllt worden. Darauf aufbauend wurde im zweiten Schritt ein Prüfungsmaßstab für den „Missbrauch einer SE“ entwickelt. Im dritten Schritt des hier verfolgten Konkretisierungsprozesses sind Konstellationen eines potentiellen „Missbrauchs einer SE“ nach Fallgruppen systematisiert worden.5 III. Zur Ausfüllung des Art. 11 SE-RL mittels Normkonkretisierung 1. Nicht die Rechtsform der SE, sondern Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern sind Schutzobjekt des Art. 11 SE-RL. Beteiligungsrechte, die Arbeitnehmern erst in der Zukunft bei hypothetischer Betrachtungsweise auf Grundlage nationalen Mitbestimmungsrechts gewährt worden wären, sind nicht vom Zweck des Bestandschutzes der SE-RL (vgl. ErwG 18 S. 1 SE-RL) gedeckt. Vom Schutzbereich des Art. 11 SE-RL sind nur solche Beteiligungsrechte erfasst, die bereits vor der missbräuchlichen Maßnahme existent waren. Daneben bezweckt die SE-RL die Gewähr4 § 3 5 § 3
B. II. 1. B. II. 2.
§ 10 Thesen533
leistung grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhörung“. Bei der Auslegung des Begriffs der „Beteiligungsrechte“ in Art. 11 SERL ist zwischen der SE-Primärgründung, dem Nachgründungsstadium sowie der SE-Sekundärgründung zu unterscheiden. Innerhalb der SEPrimärgründung ist zum einen nach den SE-Gründungsvarianten, zum anderen zwischen Beteiligungsrechten in den unmittelbar an der SEGründung „beteiligten Gesellschaften“ und in deren Tochtergesellschaften zu differenzieren. Hinsichtlich des SE-Nachgründungsstadiums ist zu unterscheiden zwischen Arbeitnehmern der gegründeten SE, nach Gründung der SE einzustellenden Arbeitnehmern sowie Arbeitnehmern, welche die SE nach ihrer Gründung verlassen.6 2. Art. 11 Var. 1 SE-RL setzt als tatbestandsmäßigen „Erfolg“ ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten voraus. Ein Defizit an Beteiligungsrechten ist entsprechend dem „Vorher-Nachher-Prinzip“ (ErwG 18 S. 2 SE-RL) durch einen Vergleich der vor der missbräuchlichen Maßnahme erworbenen und der nach der Maßnahme tatsächlich eingeräumten Beteiligungsrechte festzustellen. Dabei gilt ein objektiver Maßstab, während der konkretisierungsbedürftige Begriff des „Missbrauchs einer SE“ wertungsoffen ist. Eine vollständige Beseitigung von Beteiligungsrechten ist nicht erforderlich. Vielmehr ist ein teilweiser Verlust an Beteiligungsrechten ausreichend. Dieser muss aufgrund des systematischen Vergleichs mit Art. 3 Abs. 4 Unterabs. 2 SE-RL über eine „Minderung“ der Mitbestimmungsrechte hinausgehen. Ferner setzt ein „Entziehen“ einen einseitig durch die Arbeitgeberseite bewirkten unfreiwilligen Verlust an Beteiligungsrechten voraus. Da im Bereich der „Mitbestimmung“ sowohl für eine „Minderung“ i. S. v. Art. 3. Abs. 3 SE-RL als auch für ein „Entziehen“ i. S. v. Art. 11 Var. 1 SE-RL die Definition der „Mitbestimmung“ in Art. 2 lit. k) SE-RL maßgeblich ist, ist wie die „Minderung“ auch ein „Entziehen“ von „Mitbestimmung“ nach einer rein quantitativen Betrachtungsweise zu beurteilen. Auch grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ können „entzogen“ werden, sofern entsprechende Rechte etwa bereits über einen Europäischen Betriebsrat (EBR) gewährt worden sind.7 3. Ein zum „Entziehen“ (Art. 11 Var. 1 SE-RL) alternativer tatbestandsmäßiger „Erfolg“ ist das „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten in Art. 11 Var. 2 SE-RL. Es liegt vor, wenn Arbeitnehmern ein diesen an sich zustehendes Beteiligungsrecht gegen ihren Willen von vornherein überhaupt 6 § 3 7 § 3
C. I. C. II. 1.
534
Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
nicht oder nicht vollständig gewährt wird. Das Merkmal „Vorenthalten“ umfasst wegen des Bestandschutzprinzips (ErwG 18 S. 1 SE-RL) nicht den Schutz von Beteiligungsrechten, auf die erst künftig nach nationalem Recht ein Anspruch entstehen könnte. Art. 11 Var. 2 SE-RL ist daher teleologisch zu reduzieren, soweit es um nach nationalem Recht zu gewährende unternehmerische Beteiligungsrechte geht. Ein „Vorenthalten“ grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte der „Unterrichtung“ und „Anhörung“ ist denkbar, wenn diese Rechte zuvor nicht bereits durch einen eingerichteten EBR gewährt wurden. Insoweit verbleibt für Art. 11 Var. 2 SE-RL ein Anwendungsbereich neben Art. 11 Var. 1 SE-RL.8 4. Art. 11 SE-RL setzt ein tatbestandliches Verhalten voraus, das als „Missbrauch einer SE“ zu qualifizieren ist. Dieses setzt eine arbeitgeberseitige Vorgehensweise – etwa eine bestimmte gesellschaftsrechtliche Gestaltung – voraus, die sich im Hinblick auf die von einer bestimmten Norm der SE-RL verfolgten Ziele als Missbrauch der SE-Rechtsform erweist.9 5. Der EuGH erkennt seit der Kofoed-Entscheidung ein allgemeines unionsrechtliches Missbrauchsverbot an, das Fälle der Normumgehung und der Normerschleichung erfasst.10 Der EuGH setzt insoweit grundsätzlich einen objektiv-subjektiven Maßstab an, wenngleich er in bestimmten Anwendungsbereichen wie dem Mehrwertsteuerrecht erleichterte Anforderungen auf der subjektiven Seite stellt.11 6. Der Wortlaut des Art. 11 SE-RL („eine SE dazu missbraucht wird“) enthält den unbestimmten Rechtsbegriff des „Missbrauchs“. Die Norm ist damit eine Ausprägung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots. Die Begriffe „Entziehen“ und „Vorenthalten“ spezifizieren nicht den Maßstab für den „Missbrauch einer SE“, sondern sind eigenständige, objektiv auszulegende Tatbestandsmerkmale. Da im Wortlaut des Art. 11 SE-RL keine den Begriff des „Missbrauchs der SE“ spezifizierenden Kriterien angelegt sind, lässt sich aus der Norm selbst kein den allgemeinen Grundsatz des Missbrauchsverbots konkretisierender Prüfungsmaßstab ableiten. Daher ist ein aus dem allgemeinen unionsrechtlichen Missbrauchsverbot abzuleitender, grundsätzlich objektiv-subjektiver Prüfungsmaßstab zugrunde zu legen. Die Prüfung des „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL erfordert daher grundsätzlich ein objektives und ein subjektives Element. Beide Kriterien bedürfen jedoch der Konkretisierung, insbesondere im Hinblick auf die allgemein mit der 8 § 3
C. II. 2. C. III. 10 § 3 C. III. 1. a). 11 § 3 C. III. 1. b). 9 § 3
§ 10 Thesen535
SE-RL und die speziell mit der Vorschrift des Art. 11 SE-RL verfolgten Zwecke.12
7. Konkretisierungsargumente für Art. 11 SE-RL speisen sich aus der Auslegung des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte, der systematischen Stellung der Vorschrift innerhalb der SE-RL sowie des Zwecks der Richtlinienbestimmung.13 8. Die Wortlaut-Auslegung ergibt, dass Art. 11 SE-RL entgegen der Überschrift als „Verfahrensmissbrauch“ wegen der Wendung im Normtext selbst („eine SE dazu missbraucht wird“) jeden Missbrauch der Rechtsform der SE erfasst.14
Voraussetzung eines „Missbrauchs einer SE“ ist eine objektiv zweckwidrige Verhaltensweise.15
In Bezug auf subjektive Anforderungen an einen „Missbrauch einer SE“ folgt aus dem Wortlaut sowohl der deutschsprachigen („dazu“) als auch der englisch- („for the purpose of“) und französischsprachigen („aux fins de“) Fassung, dass eine subjektive Komponente jedenfalls erforderlich ist. Ob der tatbestandsmäßige Erfolg bloß bezweckt oder absichtlich herbeigeführt werden muss, lässt sich allein durch eine Auslegung des Wortlauts nicht abschließend klären. Hierzu bedarf es der Heranziehung weiterer Auslegungskriterien, insbesondere teleologischer Konkretisierungsargumente.16
9. Mit dem historischen Konkretisierungsargument lässt sich lediglich die Entscheidung des historischen SE-Gesetzgebers abbilden, bewusst eine ausfüllungsbedürftige Regelung schaffen zu wollen.17 10. Aus dem systematischen Regelungsort des Art. 11 SE-RL in „Teil III Sonstige Bestimmungen“ folgt ein formaler Ausnahmecharakter der Norm. Jedoch lässt sich erst im Wege der teleologischen Auslegung ermitteln, in welches materielle Verhältnis Art. 11 SE-RL die widerstreitenden Interessen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite stellt.18
Art. 11 SE-RL und Art. 12 SE-RL („Einhaltung der Richtlinie“) stehen nicht in einem Spezialitäts-, sondern in einem Exklusivitätsverhältnis. 12 § 3 13 § 3 14 § 3 15 § 3 16 § 3 17 § 3 18 § 3
C. C. C. C. C. C. C.
III. III. III. III. III. III. III.
1. 2. 2. 2. 2. 2. 2.
c). a) aa). a) bb). a) dd). b). c) aa).
536
Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
Die bloße Nichteinhaltung von Pflichten aus der SE-RL ist kein „Missbrauch einer SE“. Vielmehr erfordert ein Missbrauch i. S. d. Art. 11 SERL, dass die Voraussetzungen einer Norm nach dem Sachverhalt „an sich“ erfüllt sind und sich die Berufung auf die Rechtsfolge der Norm dennoch als zweckwidrig erweist.19
Aus dem systematischen Vergleich des Art. 11 SE-RL mit Art. 3 Abs. 4 SE-RL („Minderung der Mitbestimmungsrechte“) folgt, dass eine Gestaltung einen „Missbrauch einer SE“ nicht begründen kann, wenn eine Norm diese Gestaltungsmöglichkeit ausdrücklich zulässt.20
Aus den Regelungen der SE-RL lässt sich ein nach den SE-Gründungsvarianten (Art. 2 Abs. 1–4 SE-VO) abgestuftes Konzept zum Schutz von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer ableiten. Der Schutz bestehender Beteiligungsrechte ist am stärksten bei der SE-Gründung durch Umwandlung, schwächer bei der Verschmelzungsgründung und am schwächsten bei der Gründung als Holding- oder Tochter-SE ausgeprägt. Dem abgestuften Schutzkonzept ist im Rahmen der Konkretisierung des „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL Rechnung zu tragen. Der abgestufte Schutz darf nicht durch die Wahl einer Gestaltung umgangen werden, die eine missbräuchliche Umgehung eines stärkeren Schutz niveaus ist.21
11. Mit dem teleologischen Konkretisierungsargument lässt sich das Merkmal „Missbrauch einer SE“ weiter konkretisieren: Die SE-RL bezweckt als Fernziel die Förderung der Ziele der Union im sozialen Bereich. Wegen der mangelnden programmatischen Tiefe der europäischen So zialpolitik sind die SE-RL und das Merkmal „Missbrauch einer SE“ in Art. 11 SE-RL autonom von andernfalls feststehenden Maßstäben einer europäischen Sozialpolitik auszulegen und mit eigenständigen, originär aus der SE-RL zu entnehmenden Wertungen auszufüllen.22
Aus den ErwG 1–3 SE-RL folgt eine Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO. Dieses Verhältnis ist im Rahmen des Prüfungsmaßstabs des Merkmals „Missbrauch einer SE“ zu beachten, indem mittelbar die Zwecke der SE-VO, insbesondere die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für in Europa tätige Unternehmen zur Förderung der wirtschaftlichen Ziele der Union, bei der Ausfüllung von Art. 11 SE-RL zu berücksichtigen sind. Indes kommt der SE-VO weder ein genereller Vorrang gegenüber der SE-RL zu, noch zielt Art. 11 SE-RL auf einen 19 § 3
C. C. 21 § 3 C. 22 § 3 C. 20 § 3
III. III. III. III.
2. 2. 2. 2.
c) c) c) d)
bb). cc). dd). aa).
§ 10 Thesen537
gerechten Ausgleich im Sinne der Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Vielmehr verhilft Art. 11 SE-RL der Ergänzungsfunktion der SE-RL zur SE-VO dadurch zur Wirksamkeit, dass in dem Fall, dass eine nach der SE-VO an sich eröffnete gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeit den Zwecken der SE-RL zuwiderläuft, die Gestaltung im Hinblick auf den Zweck des Bestandschutzes der Beteiligungsrechte zu modifizieren ist.23
Im Rahmen der Ausfüllung des Art. 11 SE-RL ist zu berücksichtigen, dass die SE-RL im Bereich grenzüberschreitender betrieblicher Beteiligungsrechte eine von der gewählten SE-Gründungsvariante unabhängige Gewährleistung bezweckt.24 Demgegenüber beschränkt sich die SE-RL auf dem Gebiet unternehmerischer Beteiligungsrechte auf den Erhalt erworbener Rechte.25
Die Sicherung erworbener Beteiligungsrechte mittels des Vorher-Nachher-Prinzips (ErwG 18 S. 1 SE-RL) gilt primär für SE-Neugründungen. Nach ErwG 18 S. 3 SE-RL sollte es auch für „strukturelle Veränderungen einer bereits gegründeten SE“ gelten. Diesen Programmsatz greift der Richtliniengeber jedoch im normativen Teil der SE-RL nicht wieder auf, sodass fraglich ist, ob Art. 11 SE-RL auch für „strukturelle Veränderungen“ bereits gegründeter SE-Gesellschaften einschlägig ist. Art. 11 SE-RL formuliert gegenüber „strukturellen Veränderungen“ eigenständige Voraussetzungen, indem er das missbräuchliche Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten verlangt. Eine „strukturelle Veränderung einer bereits bestehenden SE“ ist damit weder notwendige noch hinreichende Bedingung für den „Missbrauch einer SE“. Allerdings kann es zu Überschneidungen dergestalt kommen, dass eine „strukturelle Veränderung“ einer bereits bestehenden SE den Bestandteil des objektiven Elements eines „Missbrauchs einer SE“ bildet. Im Hinblick auf das objektive Vorliegen eines „Missbrauchs einer SE“ genügt indes jede Maßnahme, die in Relation zu dem von der SE-RL bezweckten Schutz von Beteiligungsrechten zweckwidrig ist.26
Bei der Ausfüllung von Art. 11 SE-RL ist der Vorrang autonomer Beteiligungsvereinbarungen zu beachten.27 Dabei sieht die SE-RL ein Bedürfnis für ein „angemessenes Verhältnis“ zwischen einer Verringerung und einer Beibehaltung von Mitbestimmungsrechten und sieht mit 23 § 3
C. C. 25 § 3 C. 26 § 3 C. 27 § 3 C. 24 § 3
III. III. III. III. III.
2. 2. 2. 2. 2.
d) d) d) d) d)
bb). cc). dd). ee). ff).
538
Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
einem nach den Risiken der einzelnen Gründungsvarianten abgestuften Schutzkonzept bestimmte Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer vereinbarten „Minderung von Mitbestimmungsrechten“ vor.28 Ein abgestuftes Schutzkonzept verfolgt die SE-RL ebenfalls im Hinblick auf die Anwendbarkeit einer gegenüber Beteiligungsvereinbarungen subsidiären, von den Mitgliedstaaten bereitzustellenden gesetzlichen Auffangregelung für einen Mindeststandard an betrieblichen und unternehmerischen Beteiligungsrechten.29 12. Der in dieser Arbeit vorgeschlagene Prüfungsmaßstab für einen „Missbrauch einer SE“ i. S. v. Art. 11 SE-RL setzt sich sowohl aus objektiven als auch aus subjektiven Elementen zusammen.30 In objektiver Hinsicht ist zu verlangen, dass eine arbeitgeberseitige Maßnahme im Widerspruch zu den Zwecken der SE-RL steht. Dabei sind die Zwecke der Maßnahme den Zwecken der SE-RL gegenüberzustellen und eine Zweckwidrigkeit im engeren Sinne festzustellen. Denkbar ist eine Umgehung von Beteiligungsrechte schützenden Normen, beispielsweise durch mehrschrittige Gestaltungen wie das Absenken der Arbeitnehmerzahl kurzfristig vor und nach SE-Gründung oder durch eine Gestaltung der SE-Gründung als „verdeckte Umwandlung“. Eine Zweckwidrigkeit im engeren Sinne ist auch die Erschleichung einer Flexibilisierung von Beteiligungsrechten mittels einer willkürlichen Gestaltung, beispielsweise eine Festsetzung der Sitzverteilung im SEUnternehmensorgan auf die Belegschaften in den Mitgliedstaaten, durch die vergleichsweise kleine Belegschaften unterrepräsentiert werden. Das tatbestandsmäßige Verhalten muss für den tatbestandlichen Erfolg des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten kausal sein. Hingegen ist neben der Prüfung der Zweckwidrigkeit keine gesonderte Rechtfertigungsprüfung vorzunehmen, welche eine an sich als „Missbrauch einer SE“ einzustufende Maßnahme etwa aus wirtschaftlichen Gründen rechtfertigen könnte.31 In subjektiver Hinsicht erfordert ein „Missbrauch einer SE“, mit der Maßnahme ein Entziehen oder Vorenthalten von Beteiligungsrechten zu bezwecken, mithin direkten Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) in Bezug auf die Umstände, die den objektiven Tatbestand des Missbrauchs begründen.32 28 § 3
C. C. 30 § 3 C. 31 § 3 C. 32 § 3 C. 29 § 3
III. III. III. III. III.
2. 2. 3. 3. 3.
d) gg). d) hh). b). b) aa). b) bb).
§ 10 Thesen539
13. Aus dem Wortlaut des Art. 11 SE-RL („Die Mitgliedstaaten […] treffen Maßnahmen […]“) folgt, dass der Handlungsauftrag für die Mitgliedstaaten verbindlich ist. Diesbezügliche Maßnahmen müssen „geeignet“ sein und „im Einklang mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ stehen, insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten.33
B. Thesen zu Teil 3 (Legislative Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL durch mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze) I. Zur Umsetzung des Art. 11 SE-RL in Deutschland in §§ 43, 45 SEBG 1. Der deutsche Gesetzgeber hat den Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL umgesetzt, indem er aus der Vorgabe der europarechtlichen Generalklausel des Art. 11 SE-RL ein „Missbrauchsverbot“ als mitgliedstaatliche Generalklausel konzipiert hat. Unter Rückgriff auf die in Art. 11 SE-RL verwendeten unbestimmten, ausfüllungsbedürftigen Begriffe hat der deutsche Gesetzgeber die europarechtliche Generalklausel in nationales Recht überführt. Dabei hat der deutsche Gesetzgeber bis auf die Formulierung als Verbotsnorm in § 43 S. 1 SEBG und die Aufstellung der Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 SEBG keine legislative Vor-Konkretisierung des Art. 11 SE-RL vorgenommen. Es entspricht dem Willen des Gesetzgebers, die Aufgabe der Konkretisierung der Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG der Arbeitsgerichtsbarkeit zu übertragen (judikative Konkretisierung). Jedenfalls das Bundesarbeitsgericht ist als letztinstanzliches nationales Gericht der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, Fragen zur Auslegung des Art. 11 SE-RL dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen (Art. 267 Abs. 3 AEUV). Da der deutsche Gesetzgeber die unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 11 SE-RL wortgleich in § 43 S. 1 SEBG übernommen hat, sind die deutschen Arbeitsgerichte zwar zu einer Vor-Konkretisierung berechtigt. Jedoch ist die vom EuGH vorzunehmende Letztkonkretisierung der unionsrechtlichen Begriffe für die deutschen Arbeitsgerichte bei der Auslegung und Konkretisierung der in § 43 S. 1 SEBG aus Art. 11 SE-RL übernommenen Begriffe verbindlich.34 2. § 43 S. 1 SEBG hat mehrere Funktionen: Zum einen als Schranke der Parteiautonomie im Bereich der vereinbarten Beteiligung, zum anderen 33 § 3
34 § 5
C. IV. A. I. 1.
540
Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
als Umgehungsverbot der Beteiligung kraft gesetzlicher Auffangregelung. Ferner kommt der Norm Hinweis-, Klarstellungs- und Warnfunktion zu.35 3. Der räumliche Geltungsbereich des § 43 S. 1 SEBG ist auf Sachverhalte mit Bezug zu Deutschland begrenzt, in denen der Sitz der SE in Deutschland liegt (§ 3 Abs. 1 S. 1 SEBG) oder eine SE mit ausländischem Sitz zumindest Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt oder beteiligte Gesellschaften, betroffene Tochtergesellschaften und betroffene Betrieb ihren Sitz im deutschen Inland haben (vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 SEBG).36 Der zeitliche Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG umfasst sowohl das Stadium der Gründung der SE als auch das nach ihrer Eintragung im Handelsregister (vgl. Art. 12 Abs. 1 SE-VO, § 3 SEAG).37 In persönlicher Hinsicht trifft das Missbrauchsverbot die Arbeitgeberseite in Form der Mitglieder der Leitungen, Anteilseignerversammlungen und Unternehmensgremien der beteiligten Gesellschaften sowie der SE.38 Sachlich erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 43 S. 1 SEBG auf SE-Beteiligungsvereinbarungen und SE-Satzungen sowie Organisationsentscheidungen des SE-Unternehmensorgans.39 4. Zum Schutzobjekt des § 43 S. 1 SEBG lassen sich über Art. 11 SE-RL hinaus folgende Aussagen treffen: Der deutsche Gesetzgeber hat den in § 43 S. 1 SEGG verwendeten Begriff des „Arbeitnehmers“ legislativ konkretisiert, indem er ihn in § 2 Abs. 1 S. 2, 3 SEBG legaldefiniert hat. Auch den Begriff der „Beteiligungsrechte“ konkretisiert der deutsche Gesetzgeber in § 2 Abs. 9 SEBG. Dem Schutz des § 43 S. 1 SEBG unterfallen sowohl grenzüberschreitende betriebliche Beteiligungsrechte auf „Unterrichtung“ und „Anhörung“ als auch unternehmerische Beteiligungsrechte auf „Mitbestimmung“. Unklar bleibt, welche konkreten Beteiligungsrechte der Gesetzgeber mit dem Begriff „sonstige Beteiligungsrechte“ in § 2 Abs. 9 Var. 4 SEBG erfassen will. Jedenfalls zählt dazu entgegen der missverständlichen Gesetzesbegründung nicht die Wahrnehmung von Beteiligungsrechten in der SE von Arbeitnehmern in SEKonzernunternehmen aufgrund einer Konzernzurechnung.40 5. Der tatbestandliche „Erfolg“ des „Entziehens“ oder „Vorenthaltens“ in § 43 S. 1 SEBG von Beteiligungsrechten ist von einer „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ (§ 15 Abs. 4 SEBG) und von einer „Eignung 35 § 5 36 § 5 37 § 5 38 § 5 39 § 5 40 § 5
A. A. A. A. A. A.
I. 3. II. 1. II. 2. II. 3. II. 4. III. 1.
§ 10 Thesen541
zur Minderung von Beteiligungsrechten“ (§ 18 Abs. 3 S. 1 SEBG) abzugrenzen.41 6. Da der deutsche Gesetzgeber den Begriff des „Missbrauchs einer SE“ in § 43 S. 1 SEBG wortgleich aus Art. 11 SE-RL übernommen hat, ist dieses Merkmal europarechtlich auszulegen und umfasst Fälle der Umgehung und Erschleichung von Vorschriften des SEBG und der SE-RL.42 7. Der Wortlaut des § 43 S. 1 SEBG ist als Verbot formuliert und lässt offen, welche konkreten Rechtsfolgen ein Verstoß gegen die Norm auslöst.43 In § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG ist ein Verstoß mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe belegt.44 Gesellschaftsrechtlich ist ein Verstoß weder ein Grund für die Nichtigerklärung noch für die Auflösung einer gegründeten SE.45 Aus diesem Grund scheidet eine Löschung einer bereits in das Handelsregister eingetragenen SE wegen Verstoßes gegen § 43 S. 1 SEBG aus. Ist die SE noch nicht eingetragen, ist das Ermessen des Registergerichts, das Eintragungsverfahren nach § 21 FamFG auszusetzen, solange ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren (§ 2a Abs. 1 Nr. 3e, § 80 Abs. 1 ArbGG) anhängig ist, auf Null reduziert. An die arbeitsgerichtliche Feststellung eines Missbrauchs ist das Registergericht gebunden, indem es die SE nicht eintragen darf. Hat das Arbeitsgericht einen Missbrauch verneint, darf das Registergericht die Eintragung nicht aufgrund der selbständigen Annahme eines Missbrauchs ablehnen.46 Zivilrechtlich ist eine gegen das Missbrauchsverbot verstoßende Beteiligungsvereinbarung nach § 134 BGB i. V. m. § 43 S. 1 SEBG nichtig. Bei Umgehung der Regelungen über eine vereinbarte „Minderung der Mitbestimmungsrechte“ (§ 15 Abs. 3 SEBG) sind statt der unwirksamen Regelungen in der Beteiligungsvereinbarung die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes (§§ 22, 34 SEBG) anwendbar. Bei Umgehung der Mitbestimmung kraft Gesetzes (§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 3 SEBG) sind die umgangenen Vorschriften analog anzuwenden. Schadensersatzansprüche kommen grundsätzlich in Betracht, scheitern indes jedenfalls im Falle der Umgehung der Beteiligung kraft Gesetzes im Ergebnis mangels ersatzfähigen Schadens wegen der Anwendbarkeit der Beteiligung kraft 41 § 5 42 § 5 43 § 5 44 § 5 45 § 5 46 § 5
A. A. A. A. A. A.
III. III. IV. IV. IV. IV.
2. 3. 1. 2. 4. 5.
542
Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
Gesetzes als primärer Rechtsfolge in einem solchen Missbrauchs-Fall. Hingegen hat die Arbeitnehmerseite einen selbständigen Unterlassungsanspruch gegen die Arbeitgeberseite unmittelbar aus § 43 S. 1 SEBG. Bei einem Verstoß gegen § 43 S. 1 SEBG scheidet ein Rückgriff auf § 242 BGB und § 138 BGB aufgrund der Spezialität des § 43 S. 1 SEBG aus.47 8. Mit der Missbrauchsvermutung in § 43 S. 2 SEBG hat der deutsche Gesetzgeber eine legislative Konkretisierung des „Missbrauchs“-Begriffs vorgenommen. Die Norm erstreckt den zeitlichen Anwendungsbereich des Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG auf das Stattfinden „struktureller Änderungen“ innerhalb eines Jahres nach einer SE-Gründung.48 Darunter fallen Änderungen der SE, die geeignet sind, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Ob die konkrete „strukturelle Änderung“ einer gesellschaftsrechtlichen Maßnahmenkategorie angehört, kann für die Missbrauchsvermutung dahinstehen. Entscheidend ist: Die Durchführung der „strukturellen Änderung“ muss bewirken, dass Beteiligungsrechte entzogen oder vorenthalten werden. Ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG wird nicht „durchgeführt“, wenn es überhaupt nicht aufgenommen oder, zwar im Einklang mit § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG eingeleitet, aber nicht ordnungsgemäß beendet wird. Ein „Stattfinden“ struktureller Änderungen liegt bereits vor, wenn mit deren Durchführung begonnen wird.49 Rechtsfolge des § 43 S. 2 SEBG ist die widerlegbare Vermutung eines „Missbrauchs einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG. Die Gegenpartei, zu deren Lasten die gesetzliche Vermutung des § 43 S. 2 SEBG wirken würde, muss zu ihrer Widerlegung den Beweis des Gegenteils anführen. Dazu muss sie nachweisen, dass alle diejenigen Tatsachen, die in objektiver und subjektiver Hinsicht einen „Missbrauch einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründen, nicht vorliegen.50 9. Der objektive Tatbestand der Strafnorm des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG erfordert ein tatbestandsmäßiges Verhalten in Form eines Missbrauchs einer SE, das kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg eines Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten ist. Der subjektive Tatbestand des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG setzt Vorsatz i. S. v. § 15 StGB voraus. Bereits der Wortlaut des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG schließt eine Anwendung der Missbrauchsvermutung des § 43 S. 2 SEBG im Strafrecht aus. Der per47 § 5
A. B. 49 § 5 B. 50 § 5 B. 48 § 5
IV. 6. I. II. 1. II. 2.
§ 10 Thesen543
sönliche Anwendungsbereich des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG wird durch die Gesetzesbegründung auf einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot „durch Mitglieder der Leitungen“ begrenzt.51 Da die Aufzählung der Strafantragsberechtigten in § 45 Abs. 4 S. 2 SEBG abschließend ist, steht dem einzelnen Arbeitnehmer kein Strafantragsrecht zu.52 II. Zum Rechtsvergleich der Umsetzungen des Art. 11 SE-RL 1. Ein Rechtsvergleich der mitgliedstaatlichen Umsetzungen des Art. 11 SERL trägt zur Konkretisierung der europarechtlichen Generalklausel bei, indem mitgliedstaatliche Ansätze zur inhaltlichen Ausfüllung der konkretisierungsbedürftigen Richtlinienbestimmung aufgezeigt und auf europarechtlicher Ebene zur Diskussion gestellt werden können. Für eine Anerkennung eines bestimmten Verständnisses von Art. 11 SE-RL als rechtsverbindliche Konkretisierung der Norm bedarf es einer Bestätigung durch den EuGH, da ihm die einheitliche Letztkonkretisierung für Art. 11 SERL vorbehalten ist.53 2. Die mitgliedstaatlichen Gesetze zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL sehen zum Teil Regelungen zum „Missbrauch einer SE“ und / oder zu strukturellen Änderungen einer SE vor. Ferner konkretisieren einige Umsetzungsgesetze das im Falle eines Missbrauchs einer SE anzuwendende Verfahren. Die Umsetzungsgesetze in Liechtenstein, Schweden, Malta und Österreich, welche wie § 43 S. 1 SEBG ein Missbrauchsverbot statuieren, sind stark an den Wortlaut des Art. 11 SE-RL angelehnt. Diese Normen konkretisieren den Begriff des Missbrauchs einer SE i. S. v. Art. 11 SE-RL nicht weiter.54 Andere, nicht ausdrücklich als Verbot ausgestaltete Missbrauchsnormen unterscheiden sich von den Missbrauchsverboten dadurch, dass sie entweder ausdrücklich als Rechtsfolge Neuverhandlungen (etwa die Regelungen in Dänemark, Spanien, Luxemburg und Finnland) anordnen oder die Durchführung eines im Vergleich zu den anderen Konzepten beispiellosen Streitbeilegungsverfahrens (Irland und UK) vorsehen.55 Zum Teil setzen die Regelungen in den untersuchten Umsetzungsgesetzen zu Art. 11 SE-RL nur objektive Merkmale voraus, teilweise wird in subjektiver Hinsicht allein eine „Bezweckung“ oder eine „Absicht“ gefordert.56 Soweit mitgliedstaatliche Umsetzungs51 § 5 52 § 5
53 § 6 54 § 6 55 § 6 56 § 6
C. C. A. B. B. B.
I. III. I. 1. I. 2. I. 3.
544
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gesetze Strafnormen vorsehen, sind diese in der Rechtsfolge im Unterschied zu § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG, der auch eine Freiheitsstrafe vorsieht, lediglich auf eine Geldstrafe gerichtet.57 Die meisten untersuchten Umsetzungsgesetze sehen wie § 18 Abs. 3 SEBG einen gesonderten Tatbestand zu strukturellen oder wesentlichen Änderungen vor. Diese sind zum Teil mit, zum Teil ohne zeitliche Anknüpfung an die SE-Gründung formuliert. Sämtliche dieser Regelungen ordnen in der Rechtsfolge Neuverhandlungen an.58 Vergleichbar mit § 43 S. 2 SEBG verknüpfen die Umsetzungsgesetze in Liechtenstein, Schweden und Österreich „strukturelle Änderungen einer SE“ mit einer Regelung über einen „Missbrauch einer SE“.59 Die meisten untersuchten Umsetzungsgesetze enthalten weder eine Definition noch eine anderweitige Konkretisierung „struktureller Veränderungen“ einer SE.60 Zum Teil zählen die untersuchten Umsetzungsgesetze einige relevante Änderungen auf. Dazu sollen etwa „Änderungen in der Struktur der Gesellschaft, ihres Sitzes oder der Arbeitnehmerzahl“, „wesentliche Änderungen in der SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe, welche die Struktur, die Anzahl der Arbeitnehmer oder des Sitzes betreffen“ oder „Änderungen der Struktur oder Größe der SE oder ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe“ rechnen. Von den untersuchten Umsetzungsgesetzen zählt einzig die österreichische Regelung in § 228 Abs. 2 ArbVG katalogartig acht Regelbeispiele auf, die als „wesentliche Änderungen der Struktur der Europäischen Gesellschaft“ gelten: Sitzverlegung, Verwaltungssystemwechsel, Betriebs- / Unternehmens-Stilllegung, -Einschränkung, -Verlegung, -Zusammenschluss, Beteiligungserwerb der SE sowie Beschäftigtenzahländerung.61 Einige Umsetzungsgesetze spezifizieren, dass ein Vergleich zwischen der vollzogenen SE-Gründung ohne strukturelle Änderungen und einer hypothetischen SE-Gründung, welche unter den Umständen der späteren strukturellen Änderungen durchzuführen gewesen wäre, zu ziehen ist.62 Der Wortlaut der jeweiligen Regelung lässt meist die Widerlegung einer gesetzlichen Vermutung oder eines Regelbeispiels zu oder räumt der Arbeitgeberseite ausdrücklich die Möglichkeit ein nachzuweisen, dass eine strukturelle Änderung nicht zu einem Nachteil für Beteiligungsrechte führte oder führen sollte.63 57 § 6 58 § 6 59 § 6 60 § 6 61 § 6 62 § 6 63 § 6
B. B. B. B. B. B. B.
I. 4. II. 1. II. 1. II. 2. II. 2. II. 2. II. 3.
a). b). a). b). c).
§ 10 Thesen545
Die irischen und britischen Umsetzungsgesetze sehen für den Vorwurf eines „Missbrauchs einer SE“ innovative Regelungen für außergericht liche Streitbeilegungsverfahren durch Schlichtungsverfahren vor.64 III. Zu den Schlussfolgerungen aus den mitgliedstaatlichen Konkretisierungen des Art. 11 SE-RL 1. Die rechtsvergleichende Untersuchung mit anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungen von Art. 11 SE-RL kann Lücken in der deutschen Gesetzgebungskonzeption im Wege der konkretisierenden Auslegung füllen sowie Fehlkonkretisierungen von Art. 11 SE-RL aufzeigen.65 Art. 11 SE-RL und § 43 S. 1 SEBG erstrecken sich in zeitlicher Hinsicht auch auf den Nachgründungszeitraum.66 Der Prüfungsmaßstab für einen „Missbrauch einer SE“ lässt sich nach dem Vorbild der Regelungen Dänemarks, Finnlands und Schwedens und in Anknüpfung an das „VorherNachher-Prinzip“ (ErwG 18 S. 1 SE-RL) in objektiver Hinsicht weiter dahingehend konkretisieren, dass ein „Missbrauch einer SE“ angenommen werden kann, wenn innerhalb eines gesetzlich bestimmten Zeitraums nach Gründung einer SE Änderungen durchgeführt werden, die – wären sie bereits vor Gründung der SE durchgeführt worden – dahingehend zu einem anderen Ergebnis der Anwendung des SEBG geführt hätten, dass den Arbeitnehmern umfassendere oder umfangreichere Beteiligungsrechte zugestanden hätten.67 Mitgliedstaatliche Umsetzungsgesetze, welche in ihren Missbrauchsnormen in subjektiver Hinsicht eine Absicht verlangen, schränken den von Art. 11 SE-RL verlangten Schutz der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer unzulässig ein und sind richtlinienwidrig. Demgegenüber ist § 43 S. 1 SEBG im Einklang mit Art. 11 SE-RL dahin auszulegen, dass in subjektiver Hinsicht ein direkter Vorsatz (dolus directus zweiten Grades) ausreicht, der sich auf die konkreten Handlungsschritte bezieht, welche im Ergebnis zum rechtlich missbilligten Erfolg des Entziehens oder Vorenthaltens führen.68 Eine Rechtfertigungsmöglichkeit eines „Missbrauchs einer SE“ scheidet bei § 43 S. 1 SEBG aus. Demgegenüber ist die Vermutung in § 43 S. 2 SEBG widerlegbar.69 Im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 43 S. 1 SEBG offenbart ein Vergleich mit den untersuchten Umsetzungsgesetzen, dass nur wenige unter ihnen 64 § 6
65 § 7 66 § 7 67 § 7 68 § 7
69 § 7
B. A. A. A. A. A.
III. I. II. 1. II. 2. III.
546
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ebenfalls als Verbotsnormen ausgestaltet sind. Demgegenüber ordnen die meisten untersuchten Regelungen Neuverhandlungen als Rechtsfolge eines „Missbrauchs einer SE“ an.70 Die Einordnung einer Änderung der Zahl der in der SE Beschäftigten als Fall einer „strukturellen Veränderung“ lässt sich nicht widerspruchsfrei auf die deutsche Regelung übertragen, da § 5 Abs. 4 SEBG ausdrücklich zwischen „strukturellen Änderungen“ der SE und Änderungen in der „Arbeitnehmerzahl“ unterscheidet. Abweichend von den französischen und polnischen Regelungen ordnet das deutsche Recht dennoch keine Neuverhandlungen an.71 2. Die Generalklausel des § 43 S. 1 SEBG dient dem Ziel des Art. 11 SERL, einen Missbrauch der SE zu Lasten von erworbenen Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer zu verhindern, und ist daher im Sinne der Richtlinienbestimmung „geeignet“. Obwohl der deutsche Gesetzgeber in § 43 S. 1 SEBG auf eine legislative Vor-Konkretisierung des Begriffs des „Missbrauchs einer SE“ verzichtet, erlaubt die Norm eine judikative Konkretisierung durch die Rechtsprechung, die in letzter Verbindlichkeit dem EuGH obliegt. Daher ist § 43 S. 1 SEBG eine europarechtlich zulässige Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL, der die Konkretisierungsart offen lässt. Da § 43 S. 1 SEBG eine Konkretisierung des Tatbestands sowie der Rechtsfolgen im Wege richtlinienkonformer Auslegung zulässt, ist die Regelung mit dem unionsrechtlichen „Grundsatz der Rechtssicherheit“ vereinbar. § 43 S. 1 SEBG setzt den Handlungsauftrag aus Art. 11 SE-RL somit ordnungsgemäß um.72 Die in § 43 S. 2 SEBG angeordnete Rechtsfolge der widerlegbaren „Vermutung“ bezieht sich auf einen „Missbrauch einer SE“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG. Da Art. 11 SE-RL hinsichtlich der Rechtsfolgen eines Missbrauchs der SE offen ist, steht die Richtlinie dem Verbot des Missbrauchs nicht entgegen. Die Rechtsfolgen des Verbots sind im Übrigen durch Auslegung des § 43 S. 1 SEBG bestimmbar und stehen daher im Einklang mit dem unionsrechtlichen „Grundsatz der Rechtssicherheit“. Da die Vermutung des § 43 S. 2 SEBG im Rahmen des § 45 Abs. 2 Nr. 2 SEBG im Ergebnis jedenfalls nicht anzuwenden ist, verstößt § 43 S. 2 SEBG auch nicht gegen den im Unionsrecht anerkannten rechtsstaatlichen Grundsatz in dubio pro reo. § 43 S. 2 SEBG steht daher im Einklang mit „gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL.73 70 § 7
A. A. 72 § 7 B. 73 § 7 B. 71 § 7
IV. V. I. II.
§ 10 Thesen547
§ 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG, der einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG unter Strafe stellt, erfordert neben dem „Missbrauch einer SE“ die Erfüllung weiterer Tatbestandsvoraussetzungen, indem Beteiligungsrechte Arbeitnehmern entzogen oder vorenthalten werden müssen. Da sämtliche Merkmale des § 43 S. 1 SEBG und damit auch des § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG einer Konkretisierung zugänglich sind, ist die Strafnorm hinreichend bestimmt.74 § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG steht jedoch nicht im Einklang mit „gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften“ i. S. v. Art. 11 SE-RL. § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Belegung des „Missbrauchs einer SE“ mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren ist schon nicht erforderlich. Zudem ist die Strafnorm nach Abwägung zwischen dem erheblichen Grundrechtseingriff in die Freiheit der Person und dem Zweck des sozialen Schutzes von Beteiligungsrechten der Gruppe der Arbeitnehmer eine unangemessene Regelung. Dass die meisten anderen mitgliedstaatlichen Umsetzungen auf eine strafrechtliche Sanktion eines „Missbrauchs einer SE“ ganz verzichten oder entsprechende Regelungen lediglich mit einer Geldstrafe versehen, ist als Indiz dafür zu werten, dass andere mitgliedstaatliche Gesetzgeber eine entsprechende Sanktion ebenfalls als mit Art. 11 SE-RL nicht vereinbar angesehen haben. Mithin wird mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG die Grenze des Gestaltungsspielraums zur Umsetzung des Handlungsauftrags aus Art. 11 SE-RL überschritten.75 3. Da die mitgliedstaatlichen Regelungen zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL sehr unterschiedlich sind, läuft dies zum einen dem Harmonisierungsziel des ErwG 4 SE-RL zuwider. Zum anderen fördert die offene Regelung des Art. 11 SE-RL die Gefahr eines forum shoppings der SE-Gründer auf der Suche nach dem das aus ihrer Sicht vorteilhaftesten nationalen Umsetzungsrecht, um das Risiko des Vorliegens und der Folgen eines etwaigen „Missbrauchs der SE“ so gering wie möglich („race to the bottom“) zu halten. Die Unternehmen können das anwendbare Umsetzungsgesetz über die Wahl des Sitzes bei Gründung der SE oder durch eine spätere Sitzverlegung steuern. Damit entscheidet die jeweilige Ausgestaltung der nationalen Umsetzungsgesetze mit über die Attraktivität eines Mitgliedstaates als Standort für Unternehmen, welche die SE-Rechtsform wählen. Aus deutscher Sicht besteht somit ein Handlungsbedarf auf europäischer Ebene. Im Interesse der Vorhersehbarkeit für Unternehmen und Arbeitnehmer ist eine klare Regelung hinsichtlich der Grenzen der Flexibilität des SEBeteiligungssystems zu schaffen. Es ist eine unionsweit einheitliche Rege74 § 7 75 § 7
B. III. 2. a). B. III. 2. b).
548
Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
lung hinsichtlich des Schutzes vorhandener Arbeitnehmerbeteiligung anzustreben, um nicht eine Abwanderung deutscher Unternehmen in solche Mitgliedstaaten zu fördern, die aus Sicht der Unternehmen eine gegenüber der deutschen Regelung in §§ 43, 45 SEBG schwächere oder jedenfalls griffigere Missbrauchsgesetzgebung bereithalten. Eine einheitlichere Konkretisierung könnte auf unionsrechtlicher Ebene durch eine Neuregelung des Art. 11 SE-RL erreicht werden, welche die bestehenden mitgliedstaatlichen Ansätze zur Sicherung der Mitbestimmung im Falle eines Missbrauchs einer SE in einer einheitlichen Richtlinienbestimmung bündelt. Dabei sind die Regelungsansätze zusammenzubringen, welche die beiderseitigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen am sinnvollsten vereinbaren und zugleich eine rechtssichere, praktisch handhabbare, effiziente und effektive Konfliktlösung erlauben. Eine einheitliche Konkretisierung auf unionsrechtlicher Ebene in Art. 11 SE-RL sollte de lege ferenda folgende Punkte beinhalten: a) Es sollte klargestellt werden, dass sich der zeitliche Anwendungsbereich des Art. 11 SE-RL auf einen unbegrenzten Zeitraum erstreckt. Andernfalls müsste ein bestimmter Zeitraum für die Anwendbarkeit nach der SE-Gründung festlegt werden. b) Der Vergleichsmaßstab für strukturelle Änderungen sollte in Anlehnung an einige Umsetzungsgesetze konkretisiert werden: Maßgeblich sollte insoweit sein, ob die Durchführung einer Gestaltung bereits bei Gründung der SE eine umfassendere Arbeitnehmerbeteiligung nach der SE-RL bedeutet hätte als bei Durchführung der Gestaltung als Änderung der SE erst innerhalb eines bestimmten Zeitraums nach ihrer Gründung. In diesem Fall müssten Neuverhandlungen unter den gleichen Bedingungen stattfinden, die gegeben gewesen wären, wenn die spätere Änderung bereits bei Gründung der SE durchgeführt worden wäre. Eine solche Konkretisierung des Vergleichsmaßstabs würde die schwierige tatbestandliche Konkretisierung der Fälle relevanter struktureller Änderungen, z. B. in Katalogform wie in Österreich oder wie nunmehr im Ansatz in ErwG 40 EBR-RL und § 37 EBRG, entbehrlich machen. c) Die Rechtsfolgen eines Missbrauchs einer SE sollten festgelegt werden. In dem Fall, dass die ursprünglichen Verhandlungen mit dem Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung geendet hätten, sind Neuverhandlungen durchzuführen. In dem Fall, dass Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes umgangen wurden, sind die Regelungen über die Beteiligung kraft Gesetzes anzuwenden. d) Für den Fall, dass die Arbeitnehmerseite einen Missbrauch einer SE geltend machen will, sollte vor einer gerichtlichen Überprüfung und
§ 10 Thesen549
Entscheidung ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren ermöglicht werden können. Eine vorherige Streitschlichtung hätte mehrere Vorteile. Eine stärkere Sachnähe der Beteiligten erlaubt ihnen die Erarbeitung geeigneter Alternativen zur Problemlösung. Zwar könnte einem zusätzlichen außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren entgegengehalten werden, dass die Verhandlungen über die Arbeitnehmerbeteiligung nach Art. 5 Abs. 1 SE-RL in der Regel bereits sechs Monate andauern. Art. 5 Abs. 2 SE-RL erlaubt den Parteien des Verhandlungsverfahrens sogar, einvernehmlich zu beschließen, die Verhandlungsdauer auf bis zu ein Jahr zu verlängern. Die Parteien könnten durch ein außergerichtliches Verfahren aber immerhin schneller zu einer Lösung gelangen als bei einer zeitaufwendigen gerichtlichen Untersuchung. Die Streitbeilegungsstelle könnte auch bereits vor Ende der Verhandlungsperiode angerufen werden, um bei Konflikten frühzeitig deeskalierend wirken zu können. Ein solches Schlichtungsverfahren wäre auch keine bloße Verlängerung des Verhandlungsverfahrens, da sich die Beteiligten dem Verfahren unter Führung eines unparteiischen Dritten stellen müssten. Zulässig sollte sowohl ein außergerichtliches Streitbeilegungsverfahren der dispute resolution nach den britischen oder irischen Konzepten sein. Genauso sollte die Bildung einer Einigungsstelle nach dem Vorbild des § 76 BetrVG zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zugelassen werden.76
C. Thesen zu Teil 4 (Konkretisierung des „Missbrauchs einer SE“ durch Fallgruppen-Bildung) Zu unterscheiden ist zwischen einem Missbrauch der SE durch Maßnahmen bei der Gründung einer SE einerseits und nach der SE-Gründung andererseits. I. Zum Missbrauch bei Gründung der SE 1. Wenn Arbeitnehmern Beteiligungsrechte allein dadurch „entzogen“ oder „vorenthalten“ werden, dass infolge der Primärgründung einer SE nationale Vorschriften über die Arbeitnehmerbeteiligung in Gesellschaften nationaler Rechtsform nach Art. 13 Abs. 2 lit. a) SE-RL, § 47 Abs. 1 Nr. 1 SEBG unanwendbar werden, liegt darin kein Missbrauch der SE. Die 76 § 7
C.
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Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
Regelungen in der SE-RL und im SEBG über die Arbeitnehmerbeteiligung sind ein aliud zu den Vorschriften über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Gesellschaft nationalen Rechts. Auch liegt kein Missbrauch der SE liegt vor, wenn in den an einer SE-Gründung beteiligten Gesellschaften Beteiligungsrechte entfallen, weil nationales Arbeitnehmerbeteiligungsrecht für Gesellschaften nationaler Rechtsform durch die SE-RL und das SEBG verdrängt wird. Ein Missbrauch der SE scheidet ebenfalls aus, wenn ein status quo ohne Beteiligungsrechte in den beteiligten Gesellschaften in der SE aufrechterhalten oder ein bisheriges Niveau an Beteiligungsrechten in den beteiligten Gesellschaften in der SE fortgeführt wird. Ebensowenig liegt ein Missbrauch der SE vor, wenn Vorschriften nationalen Rechts, die für Gesellschaften nationaler Rechtsform Konzern-Mitbestimmungsrechte vorsehen, durch die SE-RL und das SEBG verdrängt werden.77 2. Entschließen sich die beteiligten Gesellschaften zur Gründung einer SE in einem bestimmten Mitgliedstaat, dessen Gesetz zur Umsetzung der SE-RL aus ihrer Sicht am vorteilhaftesten ist (forum shopping), liegt in der Sitzwahl bei Beachtung der für die Umwandlungsgründung geltenden Beschränkung in Art. 37 Abs. 3 SE-VO kein Missbrauch der SE.78 3. Entscheiden sich die an einer SE-Primärgründung beteiligten Gesellschaften in der SE-Satzung für eine gegenüber mindestens einer der beteiligten Gesellschaften abweichende – monistische oder dualistische – Organisationsstruktur, liegt in der Wahl der Organisationsstruktur kein Missbrauch der SE.79 4. In einer monistisch verfassten SE ist die Auslagerung einer Mitbestimmung aus dem SE-Verwaltungsorgan in einen „Konsultationsrat“ als gesondertem Mitbestimmungsorgan neben dem Verwaltungsorgan bereits kein zulässiger Regelungsgegenstand in der SE-Beteiligungsvereinbarung oder -Satzung. Insoweit bedarf es eines Rückgriffs auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG nicht.80 5. Entschließen sich die an einer SE-Primärgründung beteiligten Gesellschaften in der SE-Satzung für eine gegenüber dem Unternehmensorgan mindestens einer der beteiligten Gesellschaften geringere Gesamtzahl an Mitgliedern des SE-Unternehmensorgans, liegt darin kein Missbrauch der SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG.81 77 § 8
A. B. 79 § 8 B. 80 § 8 B. 81 § 8 B. 78 § 8
I. II. 1. II. 2. III.
§ 10 Thesen551
6. Die Festlegung des Satzungsgebers, eine Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Leitungsorgans durch die Hauptversammlung vorzusehen (Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 Var. 1 SE-VO), ist ein zulässiger Gebrauch der durch die SE-VO eingeräumten Handlungsmöglichkeiten und somit kein Missbrauch der SE, da insoweit ein qualitatives Defizit an Mitbestimmungsrechten vorliegt. Ein „Entziehen“ i. S. v. § 43 S. 1 SEBG ist jedoch auf Grundlage einer rein quantitativen Betrachtungsweise zu beurteilen.82 7. Allein die Gründung einer Vorrats-SE durch über weniger als zehn Arbeitnehmer verfügende beteiligte Gesellschaften ist nach zutreffender Auffassung kein Missbrauch der SE-Rechtsform.83 8. Verzichten die Leitungen der an einer SE-Gründung beteiligten Gesellschaften auf die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens mit der Begründung, dass dieses mangels grenzüberschreitender Angelegenheiten entbehrlich ist, da die SE nur in einem Mitgliedstaat Arbeitnehmer beschäftigen wird, liegt darin kein Missbrauch der SE, wenn sämtliche Gründungsgesellschaften mitbestimmungslos sind. Ist hingegen auch nur eine Gründungsgesellschaft mitbestimmt, werden den Arbeitnehmern dieser Gesellschaft ihre unternehmerischen Mitbestimmungsrechte entgegen dem Bestandschutzprinzip (vgl. ErwG 18 SE-RL) entzogen, sodass die Eintragung ohne Durchführung eines Verhandlungsverfahrens einen Missbrauch der SE begründet.84 9. Werden Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte im Aufsichtsrat der AG bereits durch den Übergang der Arbeitsverhältnisse infolge der Einbringung des Betriebsvermögens der AG in eine mitbestimmungslose plc. entzogen, wird die anschließende Umwandlung der plc. in eine SE nicht mehr kausal für das „Entziehen“ der Beteiligungsrechte, sodass ein Missbrauch der SE-Rechtsform ausscheidet.85 10. Bei einer Umgehung der Schwellenwerte des § 15 Abs. 3 SEBG hinsichtlich der Einschränkungen einer Minderung der Mitbestimmungsrechte in einer Beteiligungsvereinbarung kann die Missbrauchsvermutung des § 43 S. 2 SEBG, welche an die Nichtdurchführung des Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG anknüpft, nicht abhelfen. Stattdessen bedarf es bei einer Umgehung von § 15 Abs. 3 SEBG des Rückgriffs auf das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG.86 82 § 8
B. C. 84 § 8 C. 85 § 8 C. 86 § 8 D. 83 § 8
IV. I. 3. II. III. I. 1.
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Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
11. Mangels unfreiwilligen Verlusts liegt ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG nicht vor, wenn die Leitungen der beteiligten Gesellschaften sich bei der Wahl einer bestimmten Gründungsvariante für die Verschmelzung einer mitbestimmten AG mit einer Tochter-plc. statt für eine Umwandlung der AG entscheiden und dadurch die Arbeitnehmer nicht in den Genuss des besonderen Bestandschutzes nach § 15 Abs. 5 SEBG kommen und stattdessen nach § 15 Abs. 3 SEBG einer Beteiligungsvereinbarung, die eine Minderung der Mitbestimmungsrechte zur Folge hat, zustimmen.87 12. Eine Holding-SE-Gründung durch Konzerntöchter und anschließende Verschmelzung der Konzernmutter auf die Holding-SE statt einer Umwandlung der Konzernmutter in eine SE („Verdeckte Umwandlung“) führt für die Arbeitnehmer der Konzerntöchter nicht dazu, dass ihnen Beteiligungsrechte i. S. v. § 43 S. 1 SEBG „entzogen“ werden. Trotz der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 3 S. 1, 2 Nr. 2 Var. 2 SEBG sind sie gegen eine unfreiwillige Minderung von Mitbestimmungsrechten im Wege einer Beteiligungsvereinbarung geschützt sind, da es trotz der Umgehung des § 15 Abs. 5 SEBG noch eines Zustimmungsbeschlusses des bVG bedarf. Insofern scheidet ein Missbrauch der SE-Rechtsform zu Lasten von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer der an der HoldingSE-Gründung beteiligten Konzerntochter aus. Dagegen werden mit der Verschmelzung der Mutter-AG auf die Holding-SE den Arbeitnehmern der Mutter-AG Mitbestimmungsrechte i. S. v. § 43 S. 1 SEBG unfreiwillig entzogen, da sie vom bVG, das bei der SE-Gründung einer Minderung zugestimmt hat, nicht repräsentiert werden.88 13. Ein Missbrauch der SE-Rechtsform durch eine zwischen den Verhandlungsparteien ausgehandelte Beteiligungsvereinbarung, wonach der Bezugspunkt einer paritätischen Verteilung der Mitglieder im SE-Verwaltungsorgan zwischen Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern die Anzahl nicht-geschäftsführender Mitglieder ist, scheidet aus, da es insoweit an einem unfreiwilligen „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG fehlt.89 14. Bei Vereinbarung einer vom Repräsentationsprinzip (§ 36 Abs. 1 SEBG) abweichenden Sitzverteilung der Arbeitnehmervertreter im SE-Unternehmensorgan ist ein missbräuchliches „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG gegeben, wenn Arbeitnehmer von Tochtergesellschaften der Holding-SE in einem Mitgliedstaat zusammen 87 § 8
D. I. 2. a). D. I. 2. b). 89 § 8 D. I. 3. 88 § 8
§ 10 Thesen553
zwar mindestens 10 % der Gesamtbelegschaft einschließlich der Tochtergesellschaften und Betriebe der Holding-SE in allen Mitgliedstaaten ausmachen, aber überhaupt keinen Einfluss auf die Wahl oder Bestellung mindestens eines Arbeitnehmervertreters im Unternehmensorgan der Holding-SE nehmen können.90 15. Die SE-RL bezweckt einen Schutz bislang im Unternehmensorgan stimmberechtigter Gewerkschaftsvertreter nur insoweit, als diese Mitglieder oder Sachverständige des bVG sein können. Daher liegt in der Vereinbarung eines Ausschlusses externer Gewerkschaftsvertreter von der Mitgliedschaft im SE-Unternehmensorgan kein Entziehen von „Beteiligungsrechten“ der Arbeitnehmer, die i. S. d. allgemeinen Missbrauchsverbots nach § 43 S. 1 SEBG schutzwürdig sind.91 16. Einem Wechsel der bisherigen Mitbestimmungsform vom Repräsentations- zum Kooptationsmodell in der Beteiligungsvereinbarung für eine durch Umwandlung gegründete SE steht § 21 Abs. 6 SEBG entgegen. Eines Rückgriffs auf § 43 S. 1 SEBG bedarf es daher nicht. Eine Beteiligungsvereinbarung, die mit Zustimmung des bVG eine von einer der beteiligten Gesellschaften abweichende Mitbestimmungsform festlegt, verstößt nicht gegen das allgemeine Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG.92 17. Eine mit Zustimmung des bVG abgeschlossene Vereinbarung, die eine Einschränkung oder einen Ausschlusses des Stimmrechts der Arbeitnehmervertreter im SE-Verwaltungsorgan vorsieht, begründet keinen Missbrauch der SE-Rechtsform.93 18. Einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründet eine kurzfristige Arbeitnehmerzahlsenkung in an einer SE-Gründung beteiligten Gesellschaften und eine anschließende Erhöhung der Arbeitnehmerzahl, wenn in der Beendigung von Arbeitsverhältnissen in einer an der SE-Gründung beteiligten Gesellschaft und der Begründung von Arbeitsverhältnissen in der SE eine objektiv zweckwidrige Gestaltung zu sehen ist. Das ist der Fall, wenn zwischen der Beendigung der früheren und der Begründung der neuen Arbeitsverhältnisse mit denselben Arbeitnehmern aufgrund der früheren Arbeitsbeziehung ein Zusammenhang besteht und darin eine kollektive Maßnahme zum Nachteil von Beteiligungsrechten der früher bei einer Gründungsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmern zu sehen ist. Wird diese Gestaltung innerhalb eines 90 § 8
D. D. 92 § 8 D. 93 § 8 D. 91 § 8
II. II. II. II.
1. 2. 3. 4.
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Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
Jahres nach Gründung der SE durchgeführt, wird ein Missbrauch der SE-Rechtsform nach § 43 S. 2 SEBG vermutet.94 19. Eine „verdeckte Umwandlung“ in Form einer Holding-SE-Gründung durch zum Teil drittelbeteiligte Konzerntöchter mit anschließender Verschmelzung einer paritätisch mitbestimmten Konzernmutter-AG auf die Holding-SE statt einer Umwandlung der paritätisch mitbestimmten Konzernmutter-AG in eine SE, ist eine Umgehung von § 34 Abs. 1 SEBG95 und von § 35 Abs. 1 SEBG96 und begründet einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG. Das gilt auch bei einer SEGründung ausschließlich mit mitbestimmungslosen97 oder den Schwellenwert des § 34 Abs. 1 Nr. 2 SEBG98 unterschreitenden beteiligten Gesellschaften und sich kurzfristig anschließender Verschmelzung mitbestimmter Gesellschaften auf die SE, obwohl bei ihrer Einbeziehung bereits in den Gründungsprozess der Schwellenwert überschritten worden wäre. 20. Erfüllt ein von einem mitbestimmten SE-Unternehmensorgan bestellter mitbestimmungsfreier Ausschuss lediglich die Funktionen der Vorbereitung und Überwachung der Ausführung von Beschlüssen des SE-Unternehmensorgans und verbleibt die Beschlussfassung beim mitbestimmten SE-Unternehmensorgan, scheidet ein Missbrauch der SE-Rechtsform wegen des ohnehin bestehenden Verbots der Übertragung bestimmter Aufgaben zur Beschlussfassung an Ausschüsse (Art. 9 lit. c) ii) SE-VO i. V. m. § 108 Abs. 3 S. 3 AktG oder § 34 Abs. 4 S. 2 SEAG) aus.99 II. Zum Missbrauch durch Maßnahmen nach Gründung der SE 1. Einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründet die Neueinstellung von Arbeitnehmern in der SE, wenn diese Teil einer objektiv zweckwidrigen Gestaltung ist. Das ist der Fall, wenn zwischen der Beendigung der früheren und der Begründung der neuen Arbeitsverhältnisse mit denselben Arbeitnehmern aufgrund der früheren Arbeitsbeziehung ein Zusammenhang besteht und darin eine kollektive Maßnahme zum Nachteil von früher bei einer Gründungsgesellschaft beschäftigten Arbeitnehmern zu sehen ist.100 94 § 8
E. I. 1. E. I. 2. 96 § 8 E. III. 97 § 8 E. II. 1. 98 § 8 E. II. 2. 99 § 8 F. 100 § 9 A. I. 1. 95 § 8
§ 10 Thesen555
2. Mangels einer Pflicht zur Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG bei der Planung eines Betriebsübergangs eines mitbestimmten Betriebs(teils) auf eine SE ist die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht einschlägig. Ein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG kann bei einem Erwerb eines Betriebs durch eine SE im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB vorliegen, wenn folgende mehrschrittige Gestaltung gewählt wird: Der zu erwerbende Betrieb wird zunächst im Wege eines Betriebsübergangs von einer mitbestimmten Gesellschaft auf eine andere Gesellschaft übertragen, die bisherige Inhaberin des übergegangenen Betriebs wird in eine mitbestimmungslose SE umgewandelt und der zunächst übertragene Betrieb geht auf die SE über.101 3. Da eine Absenkung der Arbeitnehmerzahl in Betrieben der SE keine Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG, begründet kommt ein Eingreifen der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht in Betracht. Auch ein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG scheidet aus. Durch eine Absenkung der Arbeitnehmerzahl in den Betrieben der SE kommt es nicht zu einem Verlust an Beteiligungsrechten für die in der SE verbleibenden Arbeitnehmer, um deren Schutz es bei § 43 S. 1 SEBG geht. Zwar verlieren die aus der SE ausscheidenden Arbeitnehmer Beteiligungsrechte. Indes genießen aus der SE ausscheidende Arbeitnehmer keinen Schutz durch § 43 S. 1 SEBG, sodass § 43 S. 1 SEBG einer Absenkung der Arbeitnehmerzahl nicht entgegensteht.102 4. Eine Veräußerung von Betrieben oder Betriebsteilen löst mangels struktureller Änderung und mangels „Eignung zur Minderung von Beteiligungsrechten“ keine Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG aus und begründet daher nicht die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG. Mangels Änderung bei den Beteiligungsrechten für die in der SE verbleibenden Arbeitnehmer, welche nach Gründung der SE durch § 43 S. 1 SEBG geschützt sind, scheidet bei einer Veräußerung von Betrieben der SE im Wege des Betriebsübergangs auch ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 SEBG grundsätzlich aus. Ein Missbrauch nach § 43 S. 1 SEBG liegt indes bei folgender mehrschrittiger Gestaltung vor: Im ersten Schritt wird eine SE durch Verschmelzung (Art. 2 Abs. 1 SE-VO) oder gar Umwandlung (Art. 2 Abs. 4 SE-VO) unter Wahrung von Beteiligungsrechten primär gegründet, um im zweiten Schritt eine mitbestimmungsfreie SE-Tochter sekundär zu gründen (Art. 3 Abs. 2 SE-VO) und sodann im dritten Schritt Arbeitsverhältnisse mit Arbeitnehmern der Mutter-SE, die zuvor bei an 101 § 9 102 § 9
A. I. 2. A. II. 1.
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der Primärgründung beteiligten mitbestimmten Gesellschaften beschäftigt waren, im Wege eines Betriebsübergangs auf die Tochter-SE zu übertragen. Auch wenn eine SE-Tochter nach Art. 3 Abs. 2 SE-VO grundsätzlich beteiligungsfrei gegründet werden kann, werden in diesem Fall Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern, die bei der Primärgründung Bestandschutz genießen, i. S. v. § 43 S. 1 SEBG „entzogen“, wenn die Beteiligungsrechte in der Tochter-SE nicht das Niveau in der Mutter-SE erreichen. Der Entzug dieser Beteiligungsrechte steht im Widerspruch zum Zweck von § 1 Abs. 1 SEBG und ErwG 18 S. 1, 2 SE-RL, in einer SE die in den bei der Primärgründung beteiligten Gesellschaften erworbenen Beteiligungsrechte zu sichern. Analog zu den Rechtsfolgen einer Umgehung der Beteiligung kraft Gesetzes ist die Befugnis des SE-Betriebsrats, hinsichtlich des Unternehmensorgans der Mutter-SE mitzubestimmen, auf das Unternehmensorgan der Tochter-SE zu erstrecken.103 5. Ungeachtet der Frage, ob betriebliche Umstrukturierungen durch Verlegungen oder Zusammenschlüsse von Betrieben eine „strukturelle Änderung“ der SE darstellen, fehlt jedenfalls eine „Eignung zur Minderung der Beteiligungsrechte“, da diese durch Änderungen auf der Betriebsebene unangetastet bleiben. Da somit kein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG durchzuführen ist, scheidet auch die Anwendung der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG aus. Mangels „Entziehen“ oder „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten bei Änderungen auf der Betriebsebene durch betriebliche Umstrukturierungen im Wege der Verlegung oder des Zusammenschlusses von Betrieben scheidet auch ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot nach § 43 S. 1 SEBG aus.104 6. Eine grenzüberschreitende Sitzverlegung der SE kann zwar Folgen für die Beteiligung der Arbeitnehmer haben. Diese sind jedoch nicht i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG „geeignet, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer zu mindern“, sodass die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht greift. Bereits nach der Regierungsbegründung zu § 43 SEBG scheidet ein Missbrauch der SE nach § 43 S. 1 SEBG aus, wenn die SE ihren Sitz aus einem Mitgliedstaat in einen Anderen verlegt.105 7. Da ein Wechsel der SE-Organisationsstruktur selbst nicht geeignet ist, Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer i. S. v. § 18 Abs. 3 S. 1 SEBG zu „mindern“, besteht keine Pflicht zur Durchführung eines Verfahrens zur Wiederaufnahme von Verhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG, sodass die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht greift. Bei einem 103 § 9
A. II. 2. A. III. 105 § 9 B. I. 1. 104 § 9
§ 10 Thesen557
Wechsel der Organisationsstruktur macht die SE von der Wahlfreiheit des Art. 38 lit. b) SE-VO Gebrauch, sodass der Wechsel der Organisationsstruktur einer bereits gegründeten SE selbst auch keinen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG begründet. Ein Missbrauch der SE-Rechtsform kommt jedoch in Betracht, wenn begleitende Gestaltungen in der SE-Satzung oder in der SE-Beteiligungsvereinbarung getroffen werden, um die materiell-rechtlich größeren Einflussmöglichkeiten der Arbeitnehmervertreter im monistischen System zu umgehen.106
8. Ein Beteiligungserwerb durch die SE an Unternehmen mit stärkerem Mitbestimmungsniveau begründet weder die Vermutung eines Missbrauchs nach § 43 S. 2 SEBG noch einen Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG.107 9. Mangels Pflicht zur Durchführung von Neuverhandlungen nach § 18 Abs. 3 SEBG kommt bei einer Beteiligungsveräußerung durch eine SE die Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nicht in Betracht. Auch ein Missbrauch der SE-Rechtsform i. S. v. § 43 S. 1 SEBG durch Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen, welche die SE an Tochtergesellschaften hält, scheidet mangels Änderungen bei den Beteiligungsrechten aus.108 10. Wird eine mitbestimmte AG auf eine schwächer mitbestimmte SE innerhalb eines Jahres nach Gründung der SE ohne Durchführung eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG verschmolzen und bewirkt die Verschmelzung, dass Arbeitnehmern Beteiligungsrechte „vorenthalten“ oder „entzogen“ werden, wird nach § 43 S. 2 SEBG ein Missbrauch der SE i. S. v. § 43 S. 1 SEBG vermutet. Findet eine Verschmelzung einer mitbestimmten AG auf eine schwächer mitbestimmte SE nach Ablauf des ersten Jahres nach ihrer Gründung statt, ist das Unterlassen eines Verfahrens nach § 18 Abs. 3 SEBG bei einer Verschmelzung einer mitbestimmten AG auf eine schwächer mitbestimmte SE auch nach Ablauf eines Jahres nach der SE-Gründung geeignet, einen Missbrauch i. S. v. § 43 S. 1 SEBG zu begründen.109 11. Entsprechendes gilt bei Spaltung eines unmittelbar mitbestimmten Unternehmensteils einer AG als übertragende Rechtsträgerin auf eine SE als übernehmende Rechtsträgerin mit niedrigerem Mitbestimmungsniveau.110 106 § 9
B. B. 108 § 9 B. 109 § 9 B. 110 § 9 B. 107 § 9
I. 2. II. 1. II. 2. III. 1. a). III. 1. b).
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Teil 5: Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung
12. Die Umwandlung einer mitbestimmten SE in eine mitbestimmungslose Gesellschaft nationaler Rechtsform begründet wegen der zeitlichen Sperrfrist des Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO weder die Anwendung der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG noch des § 43 S. 1 SEBG. Gleiches gilt bei analoger Anwendung des Art. 66 Abs. 1 S. 2 SE-VO bei Umstrukturierungen einer mitbestimmten SE durch innerstaatliche Verschmelzung oder Spaltung der SE mit einer AG als aufnehmender Rechtsträgerin.111 13. Im Zusammenhang mit der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE kommt eine Anwendung der Missbrauchsvermutung nach § 43 S. 2 SEBG nur in Betracht, wenn dabei ein Verfahren nach § 18 Abs. 3 SEBG durchzuführen ist. Dieses setzt voraus, dass zugleich mit der „wirtschaftlichen Neugründung“ eine „strukturelle Änderung“ stattfindet, die „geeignet ist, Beteiligungsrechte von Arbeitnehmern zu mindern“. Das ist erfüllt, wenn eine mitbestimmte Gesellschaft auf eine Vorrats-SE verschmolzen wird. Liegt im Rahmen einer „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE keine „strukturelle Änderung“ vor, kommt eine Nachholung eines Verhandlungsverfahrens nur unter den Voraussetzungen des § 43 S. 1 SEBG in Betracht. Dabei ist für ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 Var. 1 SEBG nicht ausreichend, dass die Vorrats-SE schlichtweg Arbeitnehmer einstellt, ohne dass ihnen Verhandlungen über eine Arbeitnehmerbeteiligung in der SE angeboten werden. Vielmehr setzt ein „Entziehen“ von Beteiligungsrechten voraus, dass die künftig bei der SE beschäftigten Arbeitnehmer zuvor in einer an der „wirtschaftlichen Neugründung“ beteiligten Gesellschaft über Beteiligungsrechte (Mitbestimmungsrechte oder Unterrichtung und Anhörung) verfügten. Ein „Vorenthalten“ von Beteiligungsrechten i. S. v. § 43 S. 1 Var. 2 SEBG kommt in Betracht, wenn für die tätig werdenden Arbeitnehmer, die zuvor in einer an der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer Vorrats-SE beteiligten Gesellschaft beschäftigt waren, betriebliche Beteiligungsrechte auf grenzüberschreitende Unterrichtung und Anhörung in der SE verwehrt werden.112
111 § 9
112 § 9
B. III. 2. B. III. 3.
Anhang: Mitgliedstaatliche Regelungen zur Umsetzung von Art. 11 SE-RL Dänemark1
§ 44 (1) Hvis der inden 2 år efter registreringen af et SE-selskab finder ændringer sted i SE-selskabet eller dets datterselskaber eller bedrifter og ændringerne ville have betydet, at anvendelsen af denne lovs bestemmelser havde ført til et andet resultat, hvis ændringerne var gennemført inden stiftelsen af SE-selskabet, skal der finde en ny forhandling sted. For denne forhandling gælder, 1) at den skal indledes på begæring af repræsentationsorganet eller medarbejderrepræsentanterne i selskaber, datterselskaber eller bedrifter, der bliver en del af SE-selskabet efter stiftelsen, og 2) at denne lovs kapitel 2 finder tilsvarende anvendelse, idet a) ‚SE-selskabet, datterselskaber og bedrifter‘ erstatter ‚deltagende selskaber‘, b) ‚repræsentationsorganet‘ eller eventuelle organer nedsat med henblik på gennemførelse af informationsog høringsprocedurer i henhold til § 17, stk. 1, nr. 6, erstatter ‚det særlige forhandlingsorgan‘ og c) ‚datoen for SE-selskabets registrering‘ erstattes med ‚når forhandlingerne afsluttes, uden at en aftale, jf. § 11, er indgået‘.
§ 44 (1) Wenn innerhalb von zwei Jahren nach Eintragung einer SE Änderungen der SE oder ihrer Tochtergesellschaften oder Betriebe stattfinden und die Änderungen dazu führen, dass die Anwendung des Umsetzungsgesetzes zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, wenn die Änderungen vor der Gründung der SE durchgeführt worden wären, findet eine Neuverhandlung statt. Für die Verhandlungen gilt: 1) Sie müssen auf Antrag des SE-Betriebsrats oder der Arbeitnehmervertreter im Unternehmen, in Tochtergesellschaften oder Betrieben, die Teil der SE sind, eingeleitet werden, und 2) Kapitel 2 des Gesetzes gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass a) die „beteiligten Gesellschaften“ ersetzt werden durch die „SE, ihre Tochtergesellschaften und Betriebe“ b) das „besondere Verhandlungsgremium“ ersetzt wird durch das „Vertretungsorgan“ oder das sonst für das Verfahren der Unterrichtung und Anhörung zuständige Gremium und c) der „Tag der Eintragung der SE“ ersetzt wird durch das „Scheitern der Verhandlungen“.
1 LOV nr 281 om medarbejderindflydelse i SE-selskaber af 26 / 04 / 2004 Gældende (abrufbar unter: https: / / www.retsinformation.dk / forms / r0710.aspx?id=30064#K5).
560 Anhang (2) Hvis det godtgøres, at hensigten med ændringer som anført i stk.1 ikke har været at begrænse medarbejdernes indflydelse, skal der ikke finde en ny forhandling sted. (3) Hvis det på andet grundlag end ændringer af SE-selskabet efter stiftelsen kan fastslås, at hensigten med stiftelsen af SEselskabet fortrinsvis har været at begrænse medarbejdernes indflydelse, skal der finde en ny forhandling sted som anført i stk. 1.
Belgien2
(2) Wenn festgestellt wird, dass mit den Änderungen i. S. v. § 44 Abs. 1 S. 1 eine Begrenzung der Einflussnahme der Arbeitnehmer nicht beabsichtigt wurde, finden Neuverhandlungen nicht statt. (3) Wenn nach Gründung der SE aus einem anderen Grund als einer Änderung der SE die Absicht festgestellt wird, mit der Gründung der SE im Wesentlichen die Einflussnahme der Arbeitnehmer zu begrenzen, müssen Neuverhandlungen i. S. v. § 44 Abs. 1 stattfinden.
§ 46 (1) Overtrædelse af §§ 3, 25 og 26, § 36, stk. 4, § 37, § 38, 2. pkt., og §§ 39 og 44 straffes med bøde. (2) Den, der forud for eller efter stiftelsen af SE-selskabet med forsæt eller groft uagtsomt giver medarbejderne eller disses repræsentanter urigtige oplysninger, der er af væsentlig betydning for medarbejderindflydelsen i SE-selskabet, straffes med bøde. (3) Der kan pålægges selskaber m.v. (juridiske personer) strafansvar efter reglerne i straffelovens 5. kapitel.
§ 46 (1) Ein Verstoß gegen […] § 44 wird mit Geldstrafe bestraft.
Art. 31 En cas de changements de structure ou de dimension de la SE ou de ses filiales et établissements ou en cas de modifications importantes de l’effectif, il y a lieu de procéder à une
Art. 31 Im Falle von Änderungen der Struktur oder Größe der SE oder ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe oder im Falle wesentlicher Änderungen der Belegschaft, findet nach Maßgabe
(2) Die Person, die vor oder nach der Gründung einer SE vorsätzlich oder leichtfertig den Arbeitnehmern oder deren Vertretern falsche Informationen, die für die Beteiligung in der SE entscheidend sind, liefert, wird mit Geldstrafe bestraft. (3) Auf Unternehmen usw. (juristische Personen) kann die strafrechtliche Haftung nach den Regelungen in Kapitel 5 verhängt werden.
2 Convention collective de travail no 84 du 6 octobre 2004, conclue au sein du Conseil national du Travail, concernant l’implication des travailleurs dans la société européenne (Convention enregistrée le 8 novembre 2004 sous le numéro 72851 / CO / 300).
Anhang561 adaptation ou le cas échéant à une nouvelle composition de l’organe de représentation, conformément aux articles 27 et suivants. Le protocole de collaboration établi en application de l’article 54 règle les modalités relatives à la composition de l’organe de représentation en cas de changements de structure ou de dimension de la SE.
der Art. 27 ff. eine Anpassung oder ggf. eine Neuzusammensetzung des SE-Betriebsrats statt. Das Arbeitsprotokoll i. S. v. Art. 54 regelt die Einzelheiten über die Zusammensetzung des Arbeitnehmervertretungsorgans im Falle von Änderungen der Struktur oder Größe der SE.
Finnland3
Art. 36 Misuse of the SE arrangement If a significant change is implemented in an SE or in a subsidiary or establishment of an SE within a year following the SE’s registration which would have meant more extensive employee involvement upon establishment of the SE, renegotiations shall be held on the arrangement of employee involvement. These shall be held in the order which should have been followed if the above-mentioned change had been implemented before the registration of the SE.
Art. 46 Missbrauch der SE-Gestaltung Wenn innerhalb eines Jahres nach Eintragung der SE eine wesentliche Änderung in der SE, in einer Tochtergesellschaft oder in einem Betrieb einer SE umgesetzt wird, die eine umfassendere Arbeitnehmerbeteiligung bedeutet hätte als bei Gründung der SE, finden Neuverhandlungen über die Gestaltung der Beteiligung statt. Diese finden nach dem Verfahren statt, dass anwendbar gewesen wäre, wenn die vorgenannte Änderung umgesetzt worden wäre, bevor die SE eingetragen wurde.
Frankreich4
Art. L2354-4 (1) Si, après l’immatriculation de la société européenne, des changements interviennent dans
Art. L2354-4 (1) Wenn nach der Eintragung der SE Änderungen in der Struktur der Gesellschaft, ihres
3 Laki henkilöstöedustuksesta eurooppayhtiössä Lag om arbetstagarinflytande i europabolag (Gesetz zur Arbeitnehmerbeteiligung in Europäischen Gesellschaften), Nr. 758 / 2004 v. 13.8.2004; englischsprachiger Text abrufbar unter http: / / www.fin lex.fi / en / laki / kaannokset / 2004 / en20040758.pdf, S. 13. 4 Partie législative nouvelle deuxième partie livre III titre V Chapitre IV Code du travail, „Dispositions applicables postérieurement à l’immatriculation de la société européenne“, konsolidierte Fassung v. 1.5.2008 durch Verordnung Nr. 2007-329 v. 12.3.2007, Art. 12 (VD) JORF 13.3.2007 (abrufbar unter: http: / / www.legifrance. gouv.fr / affichCodeArticle.do;jsessionid=A9D4285D9C84E9A1D36156AD2CAA 5A00.tpdjo08v_3?idArticle=LEGIARTI000006902287&cidTexte=LEGITEXT00000 6072050&categorieLien=id). Vor dem 1.5.2008 noch in Art. L.439-50 Code du travail auf Grundlage von Art. 12 Gesetz Nr. 2005-842 v. 26.7.2005, Art. 12 JORF 27.7.2005.
562 Anhang la structure de l’entreprise, la localisation de son siège ou le nombre de travailleurs qu’elle occupe et qu’ils sont susceptibles d’affecter substantiellement la composition du comité de la société européenne ou les modalités d’implication des travailleurs telles qu’arrêtées par l’accord issu des négociations engagées avant l’immatriculation de la société européenne ou en applica tion de l’article L.2354-28 et suivants, une nouvelle négocia tion est engagée dans les condi tions prévues par le chapitre II. (2) Dans ce cas, l’échec des négotiations entrâine l’application des dispositions des articles L.2352-2 et suivants.
Sitzes oder der Arbeitnehmerzahl eintreten und diese geeignet sind, die Zusammensetzung des SE-Betriebsrats oder die Modalitäten der entweder kraft Beteiligungsvereinbarung oder kraft gesetzlicher Auffangregelung (Art. L.2354-28 ff.) anwendbaren Arbeitnehmerbeteiligung nachhaltig zu beeinflussen, finden Neuverhandlungen nach Maßgabe der Bedingungen in Kapitel 2 statt.
Art. L2355-1 Le fait d’apporter une entrave soit à la constitution d’un groupe spécial de négociation ou d’un comité de la société européenne mis en place ou non par accord, soit à la libre désignation de leurs membres, soit à leur fonctionnement régulier est puni d’un emprisonnement d’un an et d’une amende de 3 750 euros.
Art. L2355-1 Eine Störung entweder der Bildung des besonderen Verhandlungsgremiums oder eines SEBetriebsrats, ungeachtet dessen Einsetzung kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung, oder der freien Ernennung der Mitglieder dieser Gremien oder des störungsfreien Funktionierens dieser Gremien, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr und einer Geldstrafe von 3.750 Euro bestraft.
R2354-1 Le président du tribunal de grande instance du lieu du siège de la société européenne statue en la forme des référés sur toutes les contestations relatives à l’application de l’article L. 2354-4. Il ordonne la constitution d’un groupe spécial de négociation si la composition du comité de la société européenne ou les modalités d’implication des salariés ne correspondent plus à l’effectif ou à la structure de la société.
R2354-1 Der Präsident des Hohen Gerichts am Sitz der SE […] ordnet die Einsetzung eines besonderen Verhandlungsgremiums an, wenn die Zusammensetzung der Arbeitnehmervertretung der SE oder das Verfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer nicht mehr dem Personalbestand oder der Struktur der Gesellschaft entspricht.
(2) Im Falle des Scheiterns der Verhandlungen sind die gesetzlichen Auffangregelungen nach Maßgabe der Art. L.2353-2 ff. anzuwenden.
Anhang563 Italien5
Art. 11 Sviamento di procedura
Art. 11 Missbrauch von Verfahren (1) Wenn nach der Eintragung der SE wesentliche Veränderungen in der SE, ihren Tochtergesellschaften oder Betrieben durchgeführt werden mit dem Ziel, die Arbeitnehmer an ihren Beteiligungsrechten zu hindern, sollen Neuverhandlungen ausgerichtet werden.
(1) Qualora dopo la registrazione della societa’ europea intervengano modifiche sostanziali nella societa’ europea, nelle societa’ partecipanti e nelle affiliate, effettuate con lo scopo di privare i lavoratori dei loro diritti di coinvolgimento deve essere posto in essere un nuovo negoziato. (2) Il negoziato e’ avviato su (2) Die Neuverhandlungen werrichiesta dei rappresentanti die den auf Antrag des SE-Betriebslavoratori delle societa’ sussi- rats durchgeführt […]. diarie o stabilimenti della societa’ europea e si svolge secondo le procedure di cui agli articoli da 3 a 7 tenuto conto della situazione esistente alla data di avvio die negoziati inizialmente avviati ai sensi dell’articolo Irland 6
Art. 20 Dispute Resolution (1) Disputes between one or more than one relevant undertaking or the SE and employees or their representatives (or both) concerning: […] (e) a complaint by an employee or his or her representative (or both) that the SE ist being or will be misused for the purpose of depriving employees of their rights to employee involvement or of withholding those rights, may, subject to paragraph (2),
Art. 20 Streitbeilegung (1) Streitigkeiten zwischen einer oder mehreren Gesellschaften7 und der SE und Arbeitnehmern und / oder ihrer Vertretungen bezogen auf: […] (e) eine Beschwerde eines Arbeitnehmers oder seines Vertreters (oder beider), dass die SE zum Zwecke des Entziehens oder Vorenthaltens von Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern missbraucht wird oder missbraucht werden wird, kön-
5 DECRETO LEGISLATIVO 19 agosto 2005, n. 188 Attuazione della direttiva 2001 / 86 / CE che completa lo statuto della societa’ europea per quanto riguarda il coinvolgimento dei lavoratori. (abrufbar unter: http: / / gazzette.comune.jesi.an. it / 2005 / 220 / 5.htm). 6 European Communities (European Public Limited-Liability Company) (Employee Involvement) Regulations 2006 S.I. No. 623 of 2006 (abrufbar unter: http: / / www. irishstatutebook.ie / 2006 / en / si / 0623.html). 7 D. h.: beteiligte Gesellschaften, betroffene Tochtergesellschaften oder Betriebe, vgl. die Definition des Begriffs „relevant undertaking“ in Art. 17 Irisches Umsetzungsgesetz.
564 Anhang be referred by one or more than one relevant undertaking, the SE, employees employed in the State of their representatives (or both) to the Court for investigation. (2) Such a dispute may be referred to the Court only after – (a) recourse to the internal dispute resolution procedure (if any) in place in the relevant undertaking or SE concerned has failed to resolve the dispute, and (b) the dispute has been referred tot he Commission which, having made available such of its services as are appropriate for the purpose of resolving the dispute, furnishes a certificate to the Court stating that the Commis sion is satisfied that no further efforts on ist part will advance the resolution of the dispute. (3) Having investigated a dispute under paragraph (1), the Court may make a recommendation in writing giving ist opinion in the matter. (4) Where, in the opinion of the Court, a dispute that is subject of a recommendation under paragraph (3) has not been resolved, the Court may, at the request of (a) one or more than one relevant undertaking or the SE, or (b) one or more employees or their representatives (or both), and following a review of all relevant matters, make a determination in writing.
nen nach Maßgabe von Absatz 2 dem Gericht zur Untersuchung vorgelegt werden.
(2) Ein solcher Streit kann dem Gericht erst dann vorgelegt werden, wenn (a) ein Rückgriff auf ein ggf. vorhandendes Schlichtungsverfahren innerhalb des betroffenen Unternehmens oder der SE zur Streitbeilegung scheiterte, und (b) der Streit der Kommission8 vorgelegt wurde, die ihre Dienste zur Lösung des Streits zur Verfügung gestellt hat, dem Gericht eine Bestätigung darüber ausgestellt hat, dass die Kommission überzeugt ist, dass keine weiteren Anstrengungen seinerseits die Beilegung des Streits voranbringen werden. (3) Nach Prüfung einer Streitigkeit nach Abs. (1) kann das Gericht eine schriftliche Empfehlung aussprechen. (4) Ist ein Streit, zu dem das Gericht eine Empfehlung nach Abs. (3) abgegeben hat, nach Auffassung des Gerichts nicht beigelegt, kann das Gericht auf Antrag (a) einer oder mehrerer betroffener Gesellschaften oder der SE, oder (b) eines oder mehrerer Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter (oder beider) eine schriftliche Entscheidung unter Berücksichtigung aller Umstände abgeben.
8 D. h. die „Labour Relations Commission“, vgl. § 2 Abs. 1 Irisches Umsetzungsgesetz.
Anhang565 Liechtenstein9
Art. 21 Verfahrensmissbrauch (1) Eine Europäische Gesellschaft (SE) darf nicht dazu missbraucht werden, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. (2) Ein Missbrauch ist insbesondere dann anzunehmen, wenn strukturelle Änderungen ohne Durchführung eines Verfahrens nach Art. 16 Abs. 3 innerhalb eines Jahres nach Gründung der Euro päischen Gesellschaft (SE) stattfinden, die bewirken, dass den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte vorenthalten oder entzogen werden.
Luxemburg10
Art. L. 444-5 (1) Si, dans l’année suivant l’immatriculation de la SE, l’organe de représentation de la SE démontre que celle-ci a été constituée abusivement aux fins de priver les travailleurs de leurs droits d’implication, une nouvelle négociation aura lieu. Cette négociation sera régie par les règles suivantes:
Malta11
1. Elle aura lieu à la demande de l’organe de représentation ou des représentants des travailleurs de nouvelles filiales ou établissements de la SE. […].
Art. L. 444-5 (1) Wenn der SE-Betriebsrat innerhalb eines Jahres nach Eintragung der SE nachweist, dass die SE auf missbräuchliche Weise gegründet wurde zum Zwecke, Arbeitnehmern ihre Beteiligungsrechte zu entziehen, finden Neuverhandlungen statt. Für diese Verhandlungen gelten gemäß Art. L. 444-5 Satz 2 Arbeitsgesetzbuch Luxemburg die folgenden Regelungen: 1. Sie finden statt auf Antrag des SE-Betriebsrats oder der Arbeitnehmervertreter der neuen Tochtergesellschaften oder Betriebe der SE. […]
Art. 14 Misuse of procedure No person shall use an SE for the purpose of depriving employees of rights to employee involvement or withholding any such rights.
Art. 14 Verfahrensmissbrauch Keine Person darf eine SE zum Zwecke des Vorenthaltens oder Entziehens von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer nutzen.
9 Gesetz vom 25.11.2005 über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gesellschaft (SE-Beteiligungsgesetz; SEBG), Liechtensteinisches Landesgesetzblatt Nr. 27 v. 10.2.2006, 216.222.2, S. 1. 10 Buch IV („Représentation du personnel“) Titel IV („Implication des travailleurs dans la société européenne) Kapitel 5 („Détournement de procédure“) Code du Travail du Luxembourg. 11 Malta Legal Notice (LN) 452 (Employee Involvement [European Company] Regulations of 2004 (abrufbar unter: http: / / www.doi.gov.mt / EN / legalnotices / 2004 / 10 / LN452.pdf).
566 Anhang Österreich12
§ 228 ArbVG Strukturänderungen (1) Das besondere Verhandlungsgremium ist 1. auf Grund einer schriftlichen Aufforderung des zuständigen Organs der Europäischen Gesellschaft oder 2. auf schriftlichen Antrag von mindestens 10 % der Arbeitnehmer der Europäischen Gesellschaft, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe oder von deren Vertretern oder 3. auf schriftlichen Antrag des SE-Betriebsrates (§ 243 Abs. 1 Z 2) einzuberufen, sofern wesentliche Änderungen der Struktur der Europäischen Gesellschaft stattfinden, die die Interessen der Arbeitnehmer in Bezug auf ihre Beteiligungsrechte betreffen. (2) Als wesentliche Änderungen der Struktur der Europäischen Gesellschaft gelten insbesondere die Verlegung des Sitzes der Europäischen Gesellschaft, der Wechsel des Verwaltungssystems der Europäischen Gesellschaft, die Stilllegung, Einschränkung oder Verlegung von Unternehmen oder Betrieben der Europäischen Gesellschaft, der Zusammenschluss von Betrieben oder Unternehmen der Europäischen Gesellschaft sowie der Erwerb wesentlicher Beteiligungen an anderen Unternehmen durch die Europäische Gesellschaft, sofern diese erheblichen Einfluss auf die Gesamtstruktur der Europäischen Gesellschaft haben, sowie erhebliche Änderungen der Zahl der in der Europäischen Gesellschaft und ihren Tochtergesellschaften Beschäftigten. (3) Für die Verhandlungen zum Abschluss einer Vereinbarung gemäß den §§ 230 oder 231 ist das besondere Verhandlungsgremium bzw. der SE-Betriebsrat entsprechend den Änderungen der Struktur oder der Arbeitnehmerzahl der Europäischen Gesellschaft, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe neu zusammenzusetzen (§§ 216 Abs. 5, 233 Abs. 2). Für die Verhandlungen treffen die Europäische Gesellschaft bzw. deren zuständiges Organ alle Pflichten, die bei Verhandlungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Europäischen Gesellschaft den beteiligten Gesellschaften bzw. deren zuständigen Organen obliegen. (4) Sofern eine geltende Vereinbarung gemäß den §§ 230 oder 231 eine Regelung über die Voraussetzungen und das Verfahren zu ihrer Neuaushandlung enthält, ist nach dieser vorzugehen, soweit sie den Anforderungen der Abs. 1 bis 3 entspricht. (5) Wenn innerhalb des für die Verhandlungen vorgesehenen Zeitraumes (§ 226) keine Vereinbarung zustande gekommen ist, finden die Bestimmungen des 3. Hauptstückes mit der Maßgabe Anwendung, dass sich der Umfang der Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer nach der Struktur der Europäischen Gesellschaft, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe im Zeitpunkt des Scheiterns der Verhandlungen bestimmt.
12 Arbeitsverfassungsgesetz, Österreichisches Bundesgesetz v. 14.12.1973 betreffend die Arbeitsverfassung (Arbeitsverfassungsgesetz 1974), BGBl. 1974 / 22.
Anhang567 § 229 ArbVG Verfahrensmissbrauch (1) Eine Europäische Gesellschaft darf nicht dazu missbraucht werden, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Missbrauch ist insbesondere dann anzunehmen, wenn Änderungen der Struktur der Europäischen Gesellschaft stattfinden, die geeignet sind, Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten. Im Fall des Vorliegens einer solchen Änderung sind Neuverhandlungen nach den Bestimmungen des § 228 durchzuführen. (2) Als Änderungen im Sinne des Abs. 1 gelten bis zum Beweis des Gegenteils alle Änderungen der Struktur der Europäischen Gesellschaft i. S. d. § 228, sofern diese innerhalb eines Jahres nach deren Eintragung erfolgen. Polen13
Titel IV Teil 6 Rozdział 2 Środki Titel IV Teil 6 Kapitel 2 Maßzapobiegające nadużyciom nahmen zur Verhinderung von Missbräuchen Art. 120. Art. 120 (1) Jeżeli po rejestracji nastąpią (1) Wenn nach der Eintragung istotne zmiany w SE, jej spół- der SE wesentliche Änderungen kach zależnych lub zakładach, in der SE, ihrer Tochtergeselldotyczące ich struktury, liczby schaften und Betriebe, welche pracowników, a w przypadku SE die Struktur, die Anzahl der również miejsca jej rejestracji, Arbeitnehmer oder des Sitzes wskazujące na zamiar pozbawie- betreffen, durchgeführt werden, nia lub ograniczenia pod jakim- die geeignet sind, Rechte der kolwiek względem praw pracow- Arbeitnehmer vorsätzlich zu ników w zakresie zaangażowa- entziehen oder vorzuenthalten, nia, przeprowadza się negocjacje, sind Neuverhandlungen über których celem jest zawarcie po- eine neue Beteiligungsvereinbarozumienia określającego zasady rung durchzuführen. zaangażowania pracowników w SE w zmienionych warunkach. (2) Z żądaniem podjęcia nego- (2) Der SE-Betriebsrat hat das cjacji występuje organ przedsta- Recht, die Verhandlungen aufwicielski. […] zunehmen. […]
Schweden14
§ 67 Missbruk av förfarandet (1) Reglerna om europabolag får inte tillämpas i syfte att frånta eller förvägra arbetstagarna deras rätt till arbetstagarinflytande.
§ 67 Verfahrensmissbrauch (1) Die Vorschriften über die SE dürfen nicht angewendet werden, um Arbeitnehmern ihre Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten.
13 Ustawa z dnia 4 marca 2005 r. o europejskim zgrupowaniu interesów gospodarczych i spółce europejskiej. 14 Lag om arbetstagarinflytande i europabolag; SFS 2004 / 559 utfärdad den 10 juni 2004 (abrufbar unter: http: / / www.riksdagen.se / sv / Dokument-Lagar / Lagar / Svenskforfattningssamling / Lag-2004559-om-arbetstagari_sfs-2004-559 / ).
568 Anhang
Spanien15
(2) Om väsentliga förändringar i europabolaget, dess dotterbolag eller filialer inträffar inom ett år från det att europabolaget har registrerats och är sådana att arbetstagarna skulle ha fått ett mer omfattande inflytande om förändringarna gjorts före registreringen av europabolaget, skall förändringarna anses gjorda i syfte att frånta eller förvägra arbetstagarna deras rätt till arbetstagarinflytande, om inte bolaget visar andra skäl för förändringarna.
(2) Treten innerhalb eines Jahres nach Eintragung der SE wesentliche Änderungen in der SE, ihrer Tochtergesellschaften oder Betriebe ein, sodass die Arbeitnehmer einen umfangreicheren Einfluss erhalten hätten, als wenn die Änderung vor Eintragung der SE durchgeführt worden wäre, wird vermutet, dass die Änderung vorgenommen wurde, um Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten, es sei denn, das Unternehmen weist weitere Gründe für die Änderungen nach.
Articulo 26 Efectos en el caso de constitución de la SE en perjuicio de los derechos de implicación de los trabajadores Cuando la operacion de constitucion de la SE hubiera sido intencionadamente configurada con el proposito de privar a los trabajadores de sus derechos de implicacion o de perjudicarlos, o con posterioridad al registro de la SE se hubieran producido cambios sustanciales en el seno de esta o de sus empresas filiales con este mismo proposito, y asi se declare por sentencia judicial, debera procederse a una nueva negociacion. Dicha negociacion se regira por las siguientes reglas: a) Tendra lugar a peticion del organo de representacion de la SE o de los representantes de los trabajadores de los nuevos centros de trabajo o empresas filiales de la SE. b) Se regira por lo dispuesto en los articulos 4 a 13. […].
Art. 26 Folgen im Fall der Gründung einer SE zum Nachteil von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer Wurde die Gründung der SE absichtlich gestaltet mit dem Zweck, den Arbeitnehmern ihre Beteiligungsrechten zu entziehen oder zu benachteiligen, oder haben nach Eintragung der SE wesentliche Veränderungen bei der SE oder einer ihrer Tochtergesellschaften mit der gleichen Absicht stattgefunden, und wird dies durch eine gerichtliche Entscheidung festgestellt, soll es zu Neuverhandlungen kommen. Diese werden von den folgenden Regeln bestimmt: a) Sie werden auf Antrag des Vertretungsorgans der SE oder des SE-Betriebsrats stattfinden.
b) Die Verhandlungen regeln sich nach Artikel 4-13. […].
15 Ley 31 / 2006, de 18 de octubre, sobre implicación de los trabajadores en las sociedades anónimas y cooperativas europeas (abrufbar unter: http: / / www.boe. es / boe / dias / 2006 / 10 / 19 / pdfs / A36302-36317.pdf).
Anhang569 Vereinigtes Königreich16
Art. 35 Misuse of procedures (1) If an employees’ representative or where there is no such representative in relation to an employee, the employee, believes that a participating company or an SE is misusing or intending to misuse the SE or the powers in these Regulations for the purpose of – (a) depriving the employees of that participating company or of any of its concerned subsidiaries or, as the case may be, of the SE or of its subsidiaries of their rights to employee involvement; or (b) withholding rights from any of the people referred to in subparagraph (a), he may make present a complaint to the CAC. (2) Where a complaint is made to the CAC under paragraph (1) before registration or within a period of 12 months of the date of the registration of the SE, the CAC shall uphold the complaint unless the respondent proves that it did not misuse or intend to misuse the SE or the powers in these Regulations for either of the purposes set out in subparagraphs (a) or (b) of paragraph (1). (3) If the CAC finds the complaint to be well founded –
Art. 35 Verfahrensmissbrauch (1) Wenn ein Arbeitnehmervertreter oder, mangels eines solchen, der Arbeitnehmer glaubt, dass eine beteiligte Gesellschaft oder eine SE die Befugnisse dieser Vorschriften missbraucht oder beabsichtigt zu missbrauchen zum Zwecke (a) des Entziehens von Beteiligungsrechten der Arbeitnehmer dieser beteiligten Gesellschaft oder einer betroffenen Tochtergesellschaften oder gegebenenfalls der SE oder ihrer Tochtergesellschaften, oder (b) des Vorenthaltens von Beteiligungsrechten der unter a) genannten Personen kann er Beschwerde bei einem „Central Arbitration Committee (CAC)“ (Zentrales Schlichtergremium) einlegen. (2) Wird eine Beschwerde zum CAC i. S. v. Abs. 1 vor der Eintragung oder innerhalb von 12 Monaten nach Eintragung der SE erhoben, gibt das CAC der Beschwerde statt, es sei denn der Beschwerdegegner beweist, dass er die SE oder die Befugnisse des Umsetzungsgesetzes nicht missbraucht hat oder nicht beabsichtigt hat zu missbrauchen, um ein Entziehen i. S. v. a) oder ein Vorenthalten i. S. v. b) von Beteiligungsrechten zu bezwecken. (3) Hält das CAC die Beschwerde für begründet,
16 The European Public Limited-Liability Company Regulations 2004 (2004 No. 2326).
570 Anhang (a) it shall make a declaration to that effect and may make an order requiring the participating company or of the SE, as the case may be, to take such action as is specified in the order to ensure that the employees referred to in paragraph (1)(a) are not deprived of their rights to employee involvement or that such rights are not withheld from them; and (b) the provisions in regulations 33(6) to (9) and 34 shall apply to the complaint.
(a) erklärt es eine entsprechende Feststellung und ordnet an, dass die beteiligte Gesellschaft oder die SE eine in der Anordnung bezeichnete Handlung vornimmt, um sicherzustellen, dass die in Abs. 1 bezeichneten Arbeitnehmer ihrer Beteiligungsrechte nicht entzogen oder ihnen solche nicht vorenthalten werden; und (b) finden im Falle der Begründetheit der Beschwerde die Regelungen in Art. 33 Abs. 6 bis 9 sowie Art. 34 Umsetzungsgesetz Vereinigtes Königreich Anwendung.
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Sachverzeichnis Adressat des § 43 S. 1 SEBG 230 ff., 271, 540 Anhörung der Arbeitnehmer, grenzüberschreitende siehe Beteiligungsrechte, betriebliche Anwendungsbereich – des § 43 S. 1 SEBG 226 ff., 234, 329 f., 540 – des § 43 S. 2 SEBG 283 – des Art. 11 SE-RL 182, 184, 354, 532 ff., 548 Arbeitgeberseitige Maßnahme 195, 358, 363, 487, 533 f. Arbeitnehmer – ausscheidende 111 f., 533 – einzustellende 110 f., 533 – verbleibende 109 f., 533 Arbeitnehmer-Begriff 97, 235 ff., 540 Arbeitnehmerzahl 286, 289, 333 f., 428 ff., 454 ff., 464, 471 ff., 529, 544, 546, 553 f., 555 Arbeitsgerichtsbarkeit 219 ff., 248, 257, 259, 261, 539 Asset deal 462 f. Auffangregelung siehe Beteiligungsrechte, kraft Gesetzes Auflösung der SE 252 ff., 256, 541 Aufsichtsorgan 365, 370 ff., 377, 420 ff., 446 ff., 480, 489, 494 Auslegung des Art. 11 SE-RL siehe Konkretisierung des Art. 11 SE-RL Ausnahmecharakter 158 ff., 535 Ausschüsse 446 ff., 554 Autonomie der Verhandlungspartner siehe Mitbestimmungsautonomie Bestandschutzprinzip 99 ff., 122 ff., 126 f., 172, 176 ff., 188, 194, 278, 296, 334, 350, 352, 360, 362, 372 f., 388,
401 ff., 440 f., 458, 467, 470, 478, 483, 532, 534, 551, 556 Bestimmtheitsgrundsatz 227, 344 ff., 547 Beteiligungserwerb 333, 497 ff., 544, 557 Beteiligungsrechte 37 ff., 97 ff., 101 ff., 109 ff., 112, 122, 236 ff., 359, 362, 388, 419, 532 f., 540, 553 – betriebliche 172 ff., 236 ff., 349, 351, 466, 479 f., 529, 532, 537, 540, 558 – kraft Gesetzes 188 ff., 192, 196, 225 f., 265 f., 267 ff., 272 ff., 276, 355 f., 365, 389, 399, 424, 428 ff., 433 ff., 443 ff., 450, 487, 538, 541, 548, 556 – kraft Vereinbarung siehe Beteiligungsvereinbarung – unternehmerische 38 f., 122, 175 ff., 185 f., 189, 237, 349, 351, 373, 388 ff., 480, 533, 537, 540 Beteiligungsveräußerung 504 ff., 557 Beteiligungsvereinbarung 173 f., 176, 178, 185 f., 224 f., 233, 238, 246 f., 254, 262 ff., 268, 271 f., 274 f., 277, 289 ff., 368 f., 373, 377, 393 ff., 402, 409 f., 420, 423 f., 487, 537, 540, 550, 552 f., 557 Beteiligungsverhältnisse 497 ff. Betriebsrat 173, 231, 268, 369 f., 478, 556 Betriebsübergang 111, 116, 296, 392, 461 ff., 475 ff., 555 f. Beweislast 208, 230, 308 Diskriminierungsverbot 449 Drittelbeteiligung 360 ff., 375 ff., 400, 408, 417, 428 f., 439, 442, 444, 468 f., 498
Sachverzeichnis587 Einigungsstelle 355, 549 Einmanngründung 114 Ein-Mitgliedstaat-Gründung 386 ff., 551 Eintragung der SE 228, 250, 257 ff., 261, 277 Einzelfall 172, 215 Entziehen von Beteiligungsrechten 116 ff., 153, 240 ff., 271, 304 f., 374, 388, 401, 403 f., 407, 413, 416, 420, 423 f., 426, 442 ff., 450 f., 461, 469 f., 474, 474, 478, 481, 490, 503 f., 509, 514, 517, 527 ff., 530, 533, 540 f., 549, 551 f., 552, 555 f., 558 Ergänzungsfunktion 169 ff., 190 f., 196, 536 f. Erschleichung 132 f., 194, 199 f., 251, 271, 393 ff., 413 ff., 453, 534, 538, 541 Erwägungsgründe 83 ff., 167, 180 Europäischer Betriebsrat 40 ff., 122, 127, 160, 292 ff., 351 f., 479, 500, 527, 533 Fallgruppen 96, 356 ff., 532 – bei Gründung einer SE 356 ff., 549 ff. – nach Gründung einer SE 454 ff., 554 ff. Flexibilisierung von Beteiligungsrechten 200, 413 ff., 453 Flucht aus der Mitbestimmung 44 f., 217, 359 Forum shopping 353, 366 f., 547, 550 Funktionen des § 43 S. 1 SEBG 223 ff., 226 f., 539 f. Geeignete Maßnahme 211 f., 255, 334 f., 342 ff., 348, 539, 546 Geltungsbereich des § 43 S. 1 SEBG 227 ff. Generalklausel 65 ff., 129, 167, 192, 212, 219 ff., 223, 227, 278, 334 f., 347, 531, 539, 546 Gesetzesbegründung 157, 172, 179 Gesetzesumgehung siehe Umgehung
Gesetzliches Verbot 263 ff. Gestaltungsfreiheit siehe Mitbestimmungsautonomie Gewährleistungskonzept 175 Gewerkschaftsvertreter 413, 418 ff., 553 Grundfreiheiten 213 Handlungsauftrag 62 ff., 96 f., 129, 142, 211 ff., 215, 218, 235, 334, 531, 539, 546 f. Hauptversammlung 378, 485, 488, 490, 493, 497, 551 Holding-SE 101, 104 f., 108, 163, 165 f., 187 f., 222, 228, 267, 295, 365, 405 ff., 415 ff., 443 ff., 528 f., 536, 552, 554 Kausalität 200 f., 306, 393, 401, 514 f., 538, 551 Klarstellungsfunktion 213 Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung (§ 21 Abs. 6 SEBG) 373, 419 Konkretisierung – des Art. 11 SE-RL 67 ff., 92 ff., 96 ff., 138 ff., 150 ff. – judikative 89 f., 219 ff., 337, 340 f., 532, 539, 546 – legislative 89 f., 215 ff., 219, 235, 245 f., 281, 309, 315 ff., 336 f., 339, 341, 532, 539 ff., 542, 546 Konkretisierungsargumente – historische 76 ff., 118 f., 156 ff., 287, 532, 535 – systematische 80 ff., 119 ff., 125 f., 158 ff., 270, 287 ff., 304, 532, 535 f. – teleologische 82 ff., 122 ff., 126 f., 166 ff., 190 ff., 196, 210, 270, 294 ff., 301, 532, 535 ff. – unionsautonome 93 ff., 96 ff., 138, 150 ff., 532 ff., 536 – Wortlaut- 74 ff., 117 f., 124 f., 151 ff., 286, 304, 532
588 Sachverzeichnis Konkretisierungskompetenz, formelle 68 ff., 73 ff., 86, 94, 169, 213, 248, 339, 531 Konkretisierungsmaßstäbe, materielle 86, 91 ff., 96, 213, 531 f. Konkretisierungsprozess 86 ff., 92, 96, 531 Konkretisierungsverfahren, formelles 87 ff., 531 f. Konsultationsrat 368 ff., 550 Konzern 103, 238 ff., 357, 363 ff., 469, 501 f., 503 f., 540, 550 Kooptationsprinzip 121, 242 f., 413, 420 ff., 553
– unionsrechtliches 130 ff., 149 ff., 222, 534 Missbrauchsvermutung (§ 43 S. 2 SEBG) 218, 229, 266, 280 ff., 284 ff., 306 ff., 308 f., 322 ff., 341 f., 397 ff., 341 ff., 431 ff., 435, 438, 450, 454 ff., 462 ff., 471 ff., 479 ff., 482 ff., 491 ff., 498 ff., 504 ff., 508 f., 512 f., 519 ff., 524 f., 539 ff., 542, 546, 551, 553 f., 557 Mitbestimmungsautonomie 47, 120, 185 f., 187, 191, 211, 224, 277, 413, 415, 486, 537 – Schranken der 224 f., 448, 539 f. Mitbestimmungsrechte siehe Beteiligungsrechte, unternehmerische
Leitung der SE 232, 303 Löschung der SE 257 f., 541 Lückenfüllung durch Rechtsvergleich 329 ff.
Nachgründungsstadium 109 ff., 178 ff. Neugründung einer SE 177 ff., siehe auch SE-Primärgründung, SE-Sekundärgründung Nichteinhaltung der SE-Richtlinie 160 ff., 179 Nichteintragung einer SE 258 ff., 260 f., 541 Nicht-geschäftsführende Mitglieder im SE-Verwaltungsorgan 408 ff., 552 Nichtigerklärung der SE 251 ff., 256, 541 Nichtigkeit einer Beteiligungsvereinbarung 262 ff., 265 ff., 271 f., 402, 541 Niederlassungsfreiheit 213, 222 Normgehalt 221 ff. Normkonkretisierung siehe Konkretisierung des Art. 11 SE-RL
Mehrschrittige Gestaltung 116, 199, 390 ff., 394 ff., 405 ff., 428 ff., 433 ff., 436 ff., 440 ff., 467 ff., 477 ff., 511, 538, 555 Minderung der Beteiligungsrechte, Eignung zur (§ 18 Abs. 3 SEBG) 247 ff., 286, 296, 304, 309, 457 ff., 464 ff., 473 f., 475 ff., 479 f., 485 ff., 493 ff., 500 ff., 505, 508, 510, 521, 540 f., 555, 558 Minderung der Mitbestimmungsrechte (§ 15 Abs. 4 SEBG) 119 f., 125, 162 ff., 172, 187, 225, 231, 241 ff., 264, 372, 376 ff., 394, 403 ff., 411 f., 425 f., 533, 536, 540 f., 551 f. Mindeststandard an Beteiligungsrechten 188 ff., 192, 197, 538 Missbrauchsverbot – allgemeines (§ 43 S. 1 SEBG) 218 ff., 249 ff., 256, 263, 317 ff., 329 ff., 334 ff., 345, 370, 401 ff., 420, 423, 426, 430, 432, 435, 438, 448, 450, 453, 459 ff., 466 ff., 470, 474 ff., 477 ff., 481, 489 ff., 496 ff., 503 ff., 506, 509, 513 ff., 524 f., 526 ff., 539 ff., 545 f., 549 ff., 554 f., 557
Objektive Anforderungen 152 f., 185 f., 194 ff., 204, 210, 330, 534 f., 537 ff., 545 Organisationsstruktur 223 f., 356, 333, 366, 420 ff., 446 ff., 490 ff., 540, 550, 556 f. Paritätische Mitbestimmung 368, 394 ff., 401, 408, 413, 424, 434, 439, 442 f., 468 f., 498 Parteiautonomie siehe Mitbestimmungsautonomie
Sachverzeichnis589 Pflichtverletzung 274 f. Prüfungsmaßstab des EuGH 133 ff., 534 Prüfungsmaßstab für den Missbrauch einer SE 93 ff., 163, 169, 175, 190, 192 ff., 194 ff., 210, 330 ff., 532, 534 ff., 538 ff. Rechtfertigung 194, 201 ff., 204 ff., 210, 309, 326, 331 f., 538, 545 Rechtsfolgen – eines Missbrauchs einer SE 249 ff., 265 ff., 332 f., 354 f., 541, 545 f., 548 – eines vermuteten Missbrauchs einer SE 306 ff., 322 ff., 342, 542, 546 – gesellschaftsrechtliche 251 ff., 256, 541 – handelsregisterrechtliche 257 ff., 261 f. – zivilrechtliche 262 ff. Rechtsformwahl 53 ff., 353 Rechtsgeschäft 263 ff., 272 Rechtsmissbrauch 95, 133, 279 f. Rechtssicherheit 340 ff., 342, 546 Rechtsstaatsprinzip 227 Rechtsvergleich 315 ff., 328 ff., 543 ff. Reformvorschlag 353 ff., 547 ff. Regelungsbereich des § 43 S. 1 SEBG 226 ff., 234 Regelungskonzepte – zu strukturellen Veränderungen einer SE 321 ff. – zum Missbrauch einer SE 317 ff. – zum Verfahren bei einem Missbrauch einer SE 327 f. Regelungsort des Art. 11 SE-RL 158 ff., 166 Repräsentationsprinzip 121, 242 f., 413, 420 ff., 480, 552, 553 Richtlinienkonforme Auslegung 341 f. Satzung der SE 223, 356, 366 ff., 370, 374, 375 ff., 481 ff., 496 f., 540, 550 f., 557 Schadensersatzansprüche 274 ff., 276, 541
Schutzkonzept der SE-Richtlinie, abgestuftes 163 ff., 175, 187, 189, 192, 197, 536 ff. Schutzobjekt – des § 43 S. 1 SEBG 235 ff., 540 – des Art. 11 SE-RL 97 ff., 532 Schwellenwerte 199, 264, 272 f., 275 ff., 394 ff., 436 ff., 439 ff., 456, 460, 473, 475 f., 551, 554 SE-Primärgründung 101 ff., 181, 183, 533 SE-Sekundärgründung 112 ff., 183, 477 ff., 533 SE-Tochtergesellschaft 112 ff., 477 ff., 501, 556 Sittenwidrigkeit 280, 542 Sitz der SE 215, 227, 250, 254, 333, 353, 366, 481 ff., 540, 547, 550 Sitze im Aufsichts- / Verwaltungsorgan 370 ff. Sitzverlegung 366, 481 ff., 494 f., 511 ff., 544, 547, 556 Sitzverteilung 365, 413 ff., 480, 538, 552 Societas Cooperativa Europaea (SCE) 50, 283, 483 ff. Societas Privata Europaea (SPE) 53 Sozialzwecke 167 ff., 170, 190, 536 Spaltung 509 ff., 557 Stimmrechte 424 ff., 553 Strafantrag 313 ff., 543 Strafvorschrift (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 SEBG) 29 ff., 212, 218, 249, 270, 288, 291, 310 ff., 321, 342 ff., 524, 541 ff., 546 f. Streitbeilegungsverfahren 327 ff., 355, 543, 545, 548 f. Strukturelle (Ver-)Änderungen einer SE 177 ff., 229 f., 266 f., 284 ff., 307, 321 ff., 324 ff., 333 ff., 354, 397 ff., 435, 455 ff., 462 ff., 471 ff., 475, 478, 479, 482 ff., 491 ff., 499 ff., 505, 507 f., 509, 513, 519 ff., 524, 528, 537, 542, 544, 548, 555 f., 558 Subjektive Anforderungen 153 ff., 205 ff., 210, 320 f., 330 f., 345, 534 f., 538, 542, 545
590 Sachverzeichnis Tatbestand – des § 43 S. 1 SEBG 234 ff., 248 ff. – des § 43 S. 2 SEBG 284 ff., 308, 397 ff. – des Art. 11 SE-RL 96 ff., 128 ff., 184, 534, 538 Tatbestandserfolg 97, 116 ff., 184, 240 ff., 271, 284, 305, 533, 538, 540 Tochtergesellschaften 102 ff., 239 f., 363 ff. Tochter-SE 101, 105 ff., 108, 163, 165 f., 187 f., 228, 267, 295, 365, 528 f., 536 Treu und Glauben 278 ff., 542 Überparität 409 ff. Umgehung 132 f., 166, 188, 193 f., 198 f., 224 f., 231, 251, 269, 272 ff., 275 ff., 368, 378, 380, 390 ff., 393 ff., 402 f., 406, 428 ff., 434 f., 436 ff., 439 ff., 443 ff., 469, 478, 489, 520, 523, 527, 534, 536, 538, 540 f., 551 f., 554, 556 Umsetzungsgesetze, mitgliedstaatliche 35 ff., 212, 215 ff. , 315 ff., 543 ff., 559 ff. Umstrukturierungen – betriebliche 479 ff., 544, 556 – unternehmerische 481 ff., 506 ff. Umwandlung – in eine nationale Rechtsform 511 ff., 558 – in eine SE 101, 106 f., 108, 163 ff., 187 ff., 228, 267, 366, 368, 372 f., 402 ff., 418, 421 ff., 443 ff., 477, 481, 536, 552 f., 555 – „verdeckte“ 406, 433 ff., 443 ff., 538, 554 Unbestimmter Rechtsbegriff 93, 226, 534, 539 Unionsrecht, Beachtung des 212 ff. Unterlassungsansprüche 276 ff., 542 Unternehmerfreiheit 206 Unterrichtung der Arbeitnehmer, grenzüberschreitende siehe Beteiligungsrechte, betriebliche
Vereinbarkeit mit Europarecht 242 ff., 334 ff., 341 ff. Verfahrensmissbrauch 151 f., 535 Vergleichsmaßstab 354, 544, 548 Verhältnis zur SE-VO siehe Ergänzungsfunktion Verhältnismäßigkeit 186 ff., 214, 255 f., 344, 348 ff., 352, 537, 539, 547 Verhandlungsverfahren 43 ff., 233, 273, 276, 356, 378 ff., 387 f., 390 ff., 492 ff., 526 f., 528, 551 – Wiederaufnahme des 265 ff., 282 f., 284 ff., 289 ff., 543, 548, 555 f., 557 f. Verkleinerung des Aufsichts- / Verwaltungsorgans 370 ff. Verschmelzung 101 ff., 107, 163, 165 f., 187 f., 228, 252 f., 256, 267, 295 f., 365, 397, 400 f., 403, 423 f., 435, 438, 441, 445, 477, 507 ff., 521, 526, 536, 554 f., 557 Verwaltungsorgan 365, 368 ff., 370 ff., 420 ff., 446 ff., 480, 494 Verwaltungssystem siehe Organisa tionsstruktur Vorabentscheidungsverfahren 87 f., 339, 532, 539 Vorenthalten von Beteiligungsrechten 116, 124 ff., 153, 240 ff., 271, 304 f., 359, 362, 374, 388, 416, 423 f., 503 f., 518, 525, 528 ff., 533 f., 540 f., 549, 552, 558 Vorher-Nachher-Prinzip 122 ff., 126 ff., 177 ff., 184, 191, 197, 230, 283 ff., 288, 401, 412, 458, 460, 463 f., 484, 501, 509, 514, 521, 527, 533, 537 Vorrats-SE 378 ff., 518 ff., 551, 558 Vorsatz siehe Subjektive Anforderungen Wettbewerbsfähigkeit 168 ff., 190 Wirtschaftliche Neugründung 379 f., 385, 518 ff., 558 Zweckwidrigkeit 152 ff., 191, 195 ff., 198, 201, 204, 206, 210