Die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsfragen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes [1 ed.] 9783428518548, 9783428118540

Welcher Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab und welche Prüfungsintensität sind im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren g

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Die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsfragen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes [1 ed.]
 9783428518548, 9783428118540

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Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 174

Die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsfragen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Von

Alexander Windoffer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ALEXANDER WINDOFFER

Die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsfragen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 174

Die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsfragen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes

Von

Alexander Windoffer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-11854-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde 2004 von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Jan Ziekow, für die Betreuung und Förderung dieser Arbeit. Er hat den Anstoß zur Untersuchung des Themas gegeben und die Bearbeitung im weiteren Verlauf mit wertvollen Anregungen und Hinweisen begleitet. Herrn Professor Dr. Hermann Hill danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens. Die Dissertation ist vom Bundesministerium des Innern mit einer Zuwendung gefördert worden. Bedanken möchte ich mich außerdem beim Senat der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer sowie bei den Herren Professor Dr. Norbert Simon und Dr. Florian R. Simon für die Aufnahme in die Schriftenreihe der Hochschule. Speyer, im Mai 2005

Alexander Windoffer

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

§ 1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

§ 2 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

1. Teil Klärungsbedürftigkeit: Die materielle Rechtslage als obligatorisches Prüfungs- und Entscheidungskriterium im Eilverfahren

22

§ 3 Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

I. Überblick: Rechtsschutz- und Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

II. Zur Rechtsschutzfunktion im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Art. 19 Abs. 4 GG als zentraler Standort der Rechtsschutzgarantie . . . . . . . . . .

23

a) Spezialregelung zum allgemeinen Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

b) Spezialregelung zu den materiellen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

2. Schutz subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

3. Effektivität des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

a) „Effektivität“ als Relationsbegriff und Grenze des Rechtsschutzes . . . . . . .

27

b) Anspruch auf vollständige Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

c) Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

III. Zur Kontrollfunktion im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

IV. Ergebnis: Strikt materiellrechtliche Prüfung und Entscheidung im Hauptsacheverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

§ 4 Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

I. Sicherungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

II. Befriedungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

8

Inhaltsverzeichnis III. Konsequenzen für den Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

1. Folgerungen aus der Sicherungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

2. Folgerungen aus der Befriedungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

IV. Ergebnis: Rechtsfragen der Hauptsache obligatorische Prüfungs- und Entscheidungskriterien auch im Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

II. „Offener“ versus „materiell-akzessorischer“ Grundtypus der Entscheidung . . . .

42

III. Das Verhältnis von Abwägung und Rechtsprüfung bei den einzelnen Systemen verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes: Lösungsvorschläge . . .

44

1. BVerfG: Wahlweise Entscheidung aufgrund Erfolgsprognose oder Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

2. Das Stufenmodell der h. M. zu §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO . . . . . . . . . . .

46

a) Erfolgsprognose als maßgebliches Entscheidungskriterium . . . . . . . . . . . . . .

47

aa) „Offensichtlichkeit“ in Fällen behördlicher Vollziehungsanordnung

47

bb) „Ernstliche Zweifel“ in Fällen gesetzlich ausgeschlossenen Suspensiveffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

b) Erfolgsaussichten als Abwägungsbelang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

c) Entscheidung ohne Berücksichtigung der materiellen Rechtslage . . . . . . . .

52

d) Gesteigerte Bedeutung der Rechtsprüfung bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

3. Die Rechtsprüfung bei einstweiligen Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

a) Materiell-akzessorische Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

b) Abwägungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

4. Die Rechtsprüfung bei einstweiligen Anordnungen nach § 47 Abs. 6 VwGO

57

5. Zusammenfassung der Abwägungslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

IV. Verfassungsrechtliche Beurteilung der Abwägungslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

1. Standort und Charakteristika der Abwägung im öffentlichen Recht . . . . . . . . .

60

a) Grundrechts- und Prinzipienkollisionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

b) Planerische Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

Inhaltsverzeichnis

9

c) Abwägung bei der Ermessensausübung und Gesetzesauslegung . . . . . . . . .

63

d) Zusammenfassung der Merkmale von Abwägungsentscheidungen . . . . . . .

65

2. Zulässigkeit von Abwägungsentscheidungen im Eilverfahren . . . . . . . . . . . . . . .

65

a) Eröffnung von Rechtsfolgeermessen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

b) Abwägungsgebote auf der Tatbestandsseite? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

aa) Einstweilige Anordnungen gemäß § 123 Abs. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . .

69

bb) Eilentscheidungen gemäß §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO . . . . . . . . .

72

cc) Einstweilige Anordnungen gemäß § 47 Abs. 6 VwGO . . . . . . . . . . . . . . .

75

c) Zwischenergebnis: Unzulässigkeit der Nichtberücksichtigung oder Abwägung des materiellen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

3. Ergänzende Bewertung einzelner Aspekte der Abwägungslösungen . . . . . . . .

77

a) Erfolgsprognose als Abwägungsbelang ungeeignet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

b) Beliebigkeit der Entscheidungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

c) Abstellen auf gesetzgeberische „Vorentscheidungen“ unzulässig . . . . . . . . .

81

d) Zwischenergebnis: Verfassungswidrigkeit der Abwägungslösungen auch aus anderen Gründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

V. Ergebnis: Folgerungen für den Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

2. Teil Klärungsfähigkeit: Umfang der Rechtsprüfung im Eilverfahren

88

§ 6 „Summarische Prüfung“: Grundlage für Einschränkungen des Prüfungsumfangs?

88

I. Die „summarische Prüfung“ und ihre Konsequenzen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

1. Nicht konkretisierte Obergrenze der Prüfungsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2. Konkretisierungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

II. Bewertung der Konsequenzen für die Intensität der Rechtsprüfung . . . . . . . . . . . .

94

1. Kritische Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

2. Beurteilung der Schlussfolgerungen aus dem Begriff „summarische Prüfung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

10

Inhaltsverzeichnis III. Ergebnis: „Summarische Prüfung“ falscher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

IV. Folgerungen für die Problemlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

§ 7 Ablauf der Entscheidungsproduktion im verwaltungsgerichtlichen Verfahren . . . . . . 102 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Die gerichtliche Entscheidung als Informationsverarbeitungsprozess . . . . . . . 102 a) Ziel der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 b) Entscheidungstheoretische Aspekte des gerichtlichen Verfahrens . . . . . . . . 103 c) Der Informationsstand am Ende des Suchvorgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Die Phasen der gerichtlichen Entscheidung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Die Entscheidungsphasen im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Problemdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Primärinformationen als Entscheidungsinput . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 c) Bildung einer Lösungshypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 d) Entscheidungsreife ohne weitere Informationsgewinnung in Ausnahmefällen. . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 e) Kollegialentscheidungen: Problemdefinition Aufgabe des Berichterstatters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Informationsgewinnung und -auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Steuerung durch die Lösungshypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 c) Zum Zusammenhang von tatsächlicher und rechtlicher Prüfung . . . . . . . . . 119 d) Informationsquellen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Tatsächliche Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 bb) Rechtliche Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 e) Folgefragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Alternativenauswahl (= Entscheidung i. e. S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Förmliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

Inhaltsverzeichnis

11

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung . . . . . . . 129 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Gegenstand der Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Bisherige Erkenntnisse und Gang der weiteren Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Das Ideal der optimalen bzw. „richtigen“ Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Entscheidungstheoretische Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Rechtstheoretische Richtigkeitskonzeptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 a) Absolutes Richtigkeitsverständnis: Die Existenz einer „einzig richtigen Lösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 b) Relativierungen des Richtigkeitsverständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Die Grundsatzfrage der Erkenntnis im Bereich des Normativen . . . . . 134 bb) Richtigkeitskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Diskurstheoretischer Ansatz: Konsens und rationaler Diskurs . . . . 139 (2) Rückbindung an sachhaltige Kriterien und Richtigkeitserwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 (3) Materialer Ansatz: Sachliche Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 III. Zur Richtigkeitsgewähr gerichtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Beschränkungen der Suche nach der richtigen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Zielkonflikt zwischen verfassungsrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 b) Verfügbarkeit tatsächlicher Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Richterliche Wertungen im Erkenntnisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 aa) Zur Werturteilsproblematik im Begründungszusammenhang . . . . . . . . 149 bb) Einflussfaktoren auf die richterliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 (1) Wechselwirkung von Tat- und Rechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 (2) Das Vorverständnis und die Bedeutung von Fremdwertungen . . . . 152 (3) Besonderheiten bei Kollegialentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (4) Selektive Wahrnehmung, Perseveranz und Entschlussperpetuierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

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Inhaltsverzeichnis 2. Konsequenzen für das Kriterium der „Richtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 a) Absolutes Richtigkeitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Verkennung des Verfahrens-, Subjekt-, Wert- und Zeitbezugs der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Konzeptionelle Widersprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 b) Relatives Richtigkeitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 aa) Mängel des Konsens- und des Konvergenzkriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (1) Richtigkeit kraft Konsenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (2) Richtigkeit kraft sachlicher Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 bb) Unzulänglichkeit der übrigen Richtigkeitskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Akzeptabilität und Einsichtigkeit kraft sachlicher Evidenz . . . . . . . 169 (2) Richtigkeit kraft „diskursiver Möglichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Folgerungen für die Richtigkeitserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 IV. Gefordert: Entscheidung lege artis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Ausgangslage: Entscheidung lege artis statt „richtiger Lösung“ . . . . . . . . . . . . . 174 2. Anforderungen an eine Entscheidung lege artis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Beschaffenheit der normativen Prämisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Entscheidungstheoretisches Optimum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Materiale Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 b) Konsequenzen für die präskriptive Informationslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

§ 9 Rechtliche Prüfung lege artis auch im Eilverfahren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Vorgaben für die Rechtsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 1. Identität der Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2. Reduzierung der Mindestanforderungen an die normative Prämisse? . . . . . . . 185 a) Einwand des Zeitmangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 b) Einwand der faktischen Präjudizierung der Hauptsacheentscheidung . . . . 190 c) Ergebnis: Reduzierung der Mindestanforderungen unzulässig . . . . . . . . . . . 192

Inhaltsverzeichnis

13

II. Kompensationsmöglichkeiten im Hinblick auf den Zeitfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Verfahrensbezogene Kompensationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Tatsachenermittlung und Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 aa) Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 bb) Beschleunigung der Ermittlungen im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 cc) Reduzierung der Erkenntnisanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 b) Übertragung auf den Einzelrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Vordringliche Behandlung von Eilsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Verfahrensunabhängige Kompensationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 § 10 Zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Zur Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Zur Klärungsfähigkeit von Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Abkürzungsverzeichnis a.A. Abs. AEG AGVwGO AöR AsylVfG Aufl. AuslG BauGB BayVBl. Bd. Beschl. BGBl. I BGH BGHZ BT-Drs. Buchh. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW BWVPrax ders. DÖV DRiG DVBl. ESVGH

EVwPO f. / ff. Fn. FS

anderer Ansicht Absatz Allgemeines Eisenbahngesetz Ausführungsgesetz zur Verwaltungsgerichtsordnung / (Landes-) Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung Archiv des öffentlichen Rechts Asylverfahrensgesetz Auflage Ausländergesetz Baugesetzbuch Bayerische Verwaltungsblätter Band Beschluss Bundesgesetzblatt, Teil I Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundestags-Drucksache Buchholz: Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg Baden-Württembergische Verwaltungspraxis derselbe Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Richtergesetz Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidungssammlung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg mit Entscheidungen der Staatsgerichtshöfe beider Länder Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung (BT-Drs. 9 / 1851) folgende Fußnote Festschrift

Abkürzungsverzeichnis FStrG GewArch GG GVG HdbStR h. M. Hrsg., hrsg. HS. i. e. S. i. V. m. i. w. S. JA JbRSoz Jura JuS LM LuftVG LVwG m. w. N. NdsVBl. NJW NJW-RR NuR NVwZ NVwZ-RR NWVBl. OLG OVG PBefG RmBereinVpG Rn. RP RPflEntlG S. s. SächsVBl. SGG SH SL st. Rspr. u. a.

15

Bundesfernstraßengesetz Gewerbearchiv Grundgesetz Gerichtsverfassungsgesetz Handbuch des Staatsrechts herrschende Meinung Herausgeber, herausgegeben Halbsatz im engeren Sinne in Verbindung mit im weiteren Sinne Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Juristische Ausbildung Juristische Schulung Lindenmaier-Möhring: Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs Luftverkehrsgesetz Landesverwaltungsgesetz mit weiteren Nachweisen Niedersächsische Verwaltungsblätter Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungsreport Natur und Recht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Personenbeförderungsgesetz Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. 12. 2001 (BGBl. I S. 3987) Randnummer Rheinland-Pfalz Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. 01. 1993 (BGBl. I S. 50) Seite siehe Sächsische Verwaltungsblätter Sozialgerichtsgesetz Schleswig-Holstein Saarland ständige Rechtsprechung unter anderem / und andere

16 Urt. VBlBW VerwArch VG VGH VGHBW-Ls vgl. Voraufl. VVDStRL VwGO VwGOÄndgG VwVfG WaStrG ZBR ZPO ZRP ZZP

Abkürzungsverzeichnis Urteil Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof VGH Baden-Württemberg, Leitsatzübersicht vergleiche Vorauflage Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Bundeswasserstraßengesetz Zeitschrift für Beamtenrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Zivilprozess

Einleitung § 1 Problemstellung Wer um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nachsucht, hegt die Erwartung, das Gericht werde sein Begehren einerseits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend prüfen, andererseits jedoch möglichst wenig Zeit verstreichen lassen, bis es über den geltend gemachten Anspruch befindet. Die seit Bestehen einer Gerichtsbarkeit – gleichsam gewohnheitsmäßig – vorgebrachten Klagen über angeblich unangemessen lange Prozessdauern1 deuten darauf hin, dass sich das vorgestellte Ideal einer sowohl erschöpfenden als auch zügigen Prüfung des geltend gemachten Rechts offenbar nicht oder nur schwer verwirklichen lässt. Eine auch der erstgenannten Zielsetzung erschöpfender Prüfung gerecht werdende Auflösung dieses Spannungsfelds erscheint umso weniger möglich, je dringender die Gewährung wirksamen Rechtsschutzes eine rasche Entscheidung erfordert. Der Zielkonflikt wird in besonderem Maße virulent bei denjenigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren, in denen der Zeitaspekt regelmäßig eine stärkere Bedeutung erfährt, nämlich den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Wenngleich Anträge im Eilverfahren lediglich auf eine Zwischenregelung und nicht auf die endgültige Rechtsdurchsetzung und -verwirklichung gerichtet sind,2 so impliziert der Begriff „einstweiliger Rechtsschutz“ doch einen engen Zusammenhang mit dem materiellen Recht der Hauptsache. Berücksichtigt man zudem die Bezugnahme auf das geschützte subjektive Recht in der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sowie die für die Rechtsprechung maßgeblichen Gesetzesbindungspostulate der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG, wirft dies die Frage auf, welche Stellung dem materiellen Recht in der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zukommt. Diese Problematik stellt sich für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren in zweierlei Hinsicht: zum einen unter grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, zum anderen unter Berücksichtigung auch des in der Praxis Leistbaren oder – anders gesprochen – sowohl das „rechtliche Müssen“ als auch das „faktische Können“ betreffend. 1 Vgl. Meyer-Ladewig, DVBl. 1979, 539; Sendler, VBlBW 1989, 41 (48). So weisen z. B. auch die Entwürfe der Bundesregierung zum 4. VwGOÄndG (vgl. BT-Drs. 11 / 7030, S. 18) und 6. VwGOÄndG (vgl. BT-Drs. 13 / 3993, S. 9) auf überlange Verfahrensdauern hin. Zur im Zusammenhang mit dem EVwPO geführten Diskussion um die Überlastung der Verwaltungsgerichte s. auch Hill, JZ 1981, 805 f.; Kopp, DVBl. 1982, 613 f. m. w. N. 2 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 191 f.

2 Windoffer

18

Einleitung

Die vorliegende Untersuchung verknüpft diese beiden Aspekte des einstweiligen Rechtsschutzes wie folgt: „Klärungsbedürftigkeit“ im hier verstandenen Sinne3 betrifft die Fragestellung, ob Rechtsfragen der Hauptsache aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zumindest vorläufig geklärt und der Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen, oder ob im Eilverfahren ohne die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache entschieden werden darf. Mit „Klärungsbedürftigkeit“ ist demnach der Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab im Eilverfahren angesprochen. Unter dem Gesichtspunkt der Klärungsbedürftigkeit, welche die Grundsatzfrage der Einbeziehung der Hauptsacheprognose in das Prüfungsprogramm zum Gegenstand hat, stellt die Untersuchung zunächst auf den streitbefangenen Anspruch des Antragstellers im Gesamten ab, differenziert folglich nicht zwischen dessen Tatsachengrundlage und der rechtlichen Seite der Prüfung, also der eigentlichen „Rechtsfrage“. „Klärungsfähigkeit“ betrifft sodann die Problematik, welche Anforderungen an den Umfang und das Ergebnis der rechtlichen Prüfung, die Klärungsbedürftigkeit vorausgesetzt, zu stellen sind, und inwieweit das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes in der gerichtlichen Praxis die Möglichkeit bietet, eine diesen Ansprüchen genügende Klärung von Rechtsfragen der Hauptsache herbeizuführen. „Klärungsfähigkeit“ behandelt somit unter Berücksichtigung der Entscheidungsbedingungen im gerichtlichen Verfahren den Aspekt der Prüfungsintensität in rechtlicher Hinsicht. „Prüfungsintensität“ sowie die hier synonym verwendeten Begriffe des „Prüfungsumfangs“ oder der „Prüfungstiefe“ meinen in diesem Zusammenhang allerdings nicht etwa eine Absenkung der Kontrolldichte in dem Sinne, wie sie beispielsweise bei der gerichtlichen Überprüfung von Ermessensakten (s. § 114 Satz 1 VwGO) oder planerischen Abwägungen vorgesehen ist, da eine solche Reduzierung der Kontrolldichte bereits in Vorentscheidungen des materiellen Rechts begründet liegt. Vielmehr geht es allein um die Frage, ob unter der Prämisse eines identischen materiellrechtlichen Prüfungsprogramms Abstriche bei der Gründlichkeit der rechtlichen Prüfung, also der Durchdringung der relevanten Rechtsmaterie und der hierzu unternommenen Informationsgewinnung zulässig oder geboten sind. In diesem Kontext steht folglich die rechtliche Seite der Prüfung des Hauptsacheanspruchs, insbesondere die sog. normative Entscheidungsprämisse als Ergebnis dieser Prüfung im Mittelpunkt der Betrachtung. Die dargestellten Problemkomplexe sind seit jeher streitbefangen und in jüngerer Zeit infolge der Einführung der Zulassungsbeschwerde durch das 6. VwGOÄndG vom 01. 11. 19964 wieder verstärkt thematisiert worden. Im Mittelpunkt der 3 Die Begriffe werden vorliegend nicht in derselben Bedeutung wie für den Berufungsoder Revisionsgrund der „grundsätzlichen Bedeutung“ (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) verwendet; zu diesen näher Eyermann / Happ, § 124, Rn. 77 f.; Eyermann / P. Schmidt, § 132, Rn. 10 f.

§ 1 Problemstellung

19

Diskussion stand die Frage, ob die Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 146 Abs. 4 VwGO a. F.) auf spezifisch eilverfahrensrechtliche Rechtsfragen beschränkt sei5 oder ob auch materiell-rechtliche Rechtsfragen im Beschwerdeverfahren einer zumindest vorläufigen Klärung zuzuführen seien.6 Bei der Erörterung, welche Stellung die Prüfung des Rechts der Hauptsache im Eilverfahren einnimmt, greifen in einem buntschillernden Meinungsspektrum mittlerweile seit Jahrzehnten wiederholte Behauptungen Platz, die Klärung von Rechtsfragen sei dem einstweiligen Rechtsschutz wesensfremd oder aber könne im Eilverfahren nicht geleistet werden. Beispielhaft hierfür sind dogmatische Ableitungen aus Begrifflichkeiten wie der angeblich einzig möglichen bzw. gebotenen „summarischen Prüfung“ im Hinblick auf einen von vornherein eingeschränkten Prüfungsumfang. Ebenso sei der in Literatur und Rechtsprechung geführte Meinungsstreit zwischen Vertretern einer „materiell-akzessorischen Entscheidung“ einerseits und einer „offenen Eilentscheidung“ bzw. „Entscheidung aufgrund Interessenabwägung“ andererseits genannt. Die Auseinandersetzung lässt jedoch erkennen, dass bestimmten Voraussetzungen, die für eine sachgerechte Beurteilung der Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit von Rechtsfragen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren zu beachten sind, nicht in gebührendem Maße Rechnung getragen wird. Insbesondere zeigt sich, dass – bei der Auslegung der Vorschriften des einstweiligen Rechtsschutzes häufig die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den vom Gericht anzuwendenden Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab nicht hinreichend herausgearbeitet und berücksichtigt werden, – über die im Eilverfahren geforderte (und mögliche) rechtliche Prüfungsintensität Behauptungen aufgestellt werden, ohne diese ausreichend verfassungsrechtlich zu fundieren, – hierbei das Erfordernis einer Differenzierung zwischen den Erkenntnisbedingungen und -anforderungen im Bereich der Tatsachenermittlung einerseits und der rechtlichen Prüfung andererseits nicht genügend beachtet wird und – die eine unterschiedliche Behandlung der Rechtsprüfung in der Hauptsache und im Eilverfahren befürwortenden Auffassungen einer grundlegenden Analyse der 4 BGBl. I S. 1626. Da sich die – vielfach kritisierte – Zulassungsbeschwerde nach Auffassung des Gesetzgebers „in der Praxis nicht bewährt hat“ (BT-Drs. 14 / 6393, S. 14), ist sie durch das RmBereinVpG wieder abgeschafft worden. 5 Dies bejahen im Grundsatz z. B. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1997, 758; OVG Münster, NVwZ 1998, 306 (307); OVG Bautzen, NVwZ 1998, 308 und SächsVBl. 2000, 85; OVG Weimar, DÖV 1998, 476 (477); VGH München, NVwZ-RR 1999, 345; Bader, NJW 1998, 409 (414); Berkemann, DVBl. 1998, 446 (458); Kopp / Schenke (Voraufl.), § 123, Rn. 36. 6 In diesem Sinne beispielsweise OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1998, 205; VGH Mannheim, NVwZ 1999, 1357; OVG Berlin, NVwZ 2000, 1315 (1316); Atzler, NdsVBl. 1998, 153 (155); Eyermann / Happ, § 146, Rn. 18; Schoch / Meyer-Ladewig, § 146, Rn. 13 g; Sodan / Ziekow / Guckelberger, § 146, Rn. 127.

2*

20

Einleitung

Ziele sowie Charakteristika, Strukturen und Bedingungen der richterlichen Entscheidung unter Einbeziehung rechtlicher, rechtstheoretischer, erkenntnistheoretischer und entscheidungstheoretischer Erwägungen nicht standhalten. In der vorliegenden Untersuchung liegt der Schwerpunkt auf jenen Aspekten der rechtlichen Prüfung im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren, deren bisherige Diskussion die skizzierten Schwachstellen aufweist und die daher einer Grundlegung oder vertiefenden Betrachtung bedürfen. Von einer ausführlichen Wiedergabe oder Erörterung von – in Rechtsprechung und Literatur u. U. bereits hinreichend vorgetragenen – Argumenten zu Einzelfragen der Auslegung der einschlägigen Vorschriften (§§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO) soll hierbei abgesehen werden, es sei denn, diese sind für die Abhandlung der schwerpunktmäßig ins Blickfeld genommenen Fragenkomplexe von Bedeutung.

§ 2 Gang der Untersuchung Gemäß der in § 1 dargelegten Aufgabenstellung wird im ersten Teil der Bearbeitung untersucht, ob der materiellen Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kraft Verfassungsrechts die Stellung eines obligatorischen Prüfungs- und Entscheidungskriteriums zukommt. Zu diesem Zwecke ist es erforderlich, zunächst die Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit allgemein und des einstweiligen Rechtsschutzes im Besonderen im Lichte von Art. 19 Abs. 4 GG sowie der Gesetzesbindungspostulate der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG zu beleuchten. Ausgehend von den spezifisch auf das Eilverfahren bezogenen Prämissen für den Prüfungsmaßstab ist sodann zu ermitteln, ob die in Rechtsprechung und Literatur im Rahmen der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO verbreitet befürwortete Entscheidung aufgrund Interessenabwägung mit Verfassungsrecht vereinbar ist. Der zweite Teil der Untersuchung hat die Klärungsfähigkeit von Rechtsfragen, d. h. den im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren geforderten und möglichen rechtlichen Prüfungsumfang, zum Gegenstand. Hier soll zunächst den in Lehre und Praxis aus dem missverständlichen Begriff der „summarischen Prüfung“ pauschal gezogenen Folgerungen im Hinblick auf eine evtl. auch in rechtlicher Hinsicht von vornherein zwingend reduzierte Prüfungsdichte nachgegangen werden. In Abgrenzung zu den vertretenen pauschalierenden Auffassungen wird der Versuch unternommen, einer Beurteilung der Sondersituation im Eilverfahren zunächst eine grundlegende Betrachtung der Ziele, Charakteristika und Bedingungen richterlicher Entscheidung unter Einbeziehung auch rechtstheoretischer, erkenntnistheoretischer und entscheidungstheoretischer Erkenntnisse vorauszuschicken. Zu diesem Zweck wird in einem ersten Schritt der Ablauf gerichtlicher Entscheidungen unter besonderer Berücksichtigung der Informationsgewinnung in tatsäch-

§ 2 Gang der Untersuchung

21

licher und rechtlicher Hinsicht dargestellt. Anschließend ist der Frage nachzugehen, auf welches Ziel hin das (verwaltungs-)gerichtliche Erkenntnisverfahren im Allgemeinen durchgeführt wird und welche Beschaffenheit das Ergebnis der Entscheidung, insbesondere die rechtliche Entscheidungsprämisse in der Konsequenz aufzuweisen hat. Der Schwerpunkt liegt hierbei auf der Erörterung der Problematik, ob den Richter eine Verpflichtung trifft, die (einzig) richtige Lösung für das Entscheidungsproblem zu ermitteln. Ausgehend vom allgemeinen Befund ist anschließend die Sondersituation des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz einer näheren Betrachtung zu unterziehen und die Übertragbarkeit der Anforderungen an die rechtliche Entscheidungsprämisse auf das Eilverfahren zu untersuchen. Im Anschluss hieran sollen vor dem Hintergrund des Zielkonflikts zwischen Vollständigkeit und Zeitangemessenheit der Prüfung verfahrensbezogene und verfahrensunabhängige Möglichkeiten einer Kompensation des Zeitfaktors aufzeigt werden. Die Arbeit schließt mit einer thesenförmigen Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.

1. Teil

Klärungsbedürftigkeit: Die materielle Rechtslage als obligatorisches Prüfungsund Entscheidungskriterium im Eilverfahren § 3 Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit Vor Beantwortung der Frage, ob die Rechtsfragen der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz wenigstens vorläufig geklärt und der Entscheidung zugrunde gelegt werden müssen, soll zunächst der Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab für das verwaltungsgerichtliche Hauptsacheverfahren verfassungsrechtlich hergeleitet werden. Hierzu ist ein Blick auf die Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit erforderlich.

I. Überblick: Rechtsschutz- und Kontrollfunktion In der historischen Entwicklung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit herrschten unterschiedliche Vorstellungen von deren Aufgaben vor. Nach dem sog. preußischen System (vertreten z. B. von Rudolf v. Gneist) stand die objektive Rechtskontrolle, zunächst ausgeübt durch verwaltungsinterne Kontrolleinrichtungen, im Vordergrund. Demgegenüber ging nach dem sog. süddeutschen System (vertreten z. B. von Otto Bähr) die Forderung nach einer Trennung von Verwaltung und Gerichtsbarkeit mit der Auffassung einher, die Verwaltungsgerichtsbarkeit diene primär dem Schutz subjektiver Rechte. Diese Frage war auch nach Inkrafttreten des Grundgesetzes zunächst weiter streitig.1 Angesichts der Bestimmung des Art. 19 Abs. 4 GG und der nunmehr durch den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) sowie Art. 92, 95, 97 GG gewährleisteten Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit von der Verwaltung ist eine Entscheidung für den Individualrechtsschutz nicht zu bestreiten.2 Dies bedeutet allerdings keine Entscheidung gegen die Funktion der objektiven Rechtskontrolle im Sinne eines Ausschlussverhältnisses.3 1 2 3

Vgl. Menger, DÖV 1955, 587 (591 f.). Vgl. BK / Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rn. 25; Ule, Verwaltungsprozessrecht, S. 4 f. So zu Recht Krebs, Menger-FS, S. 191 (198).

§ 3 Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit

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Vielmehr übt die Verwaltungsgerichtsbarkeit sowohl eine Rechtsschutz- als auch Kontrollfunktion aus.4 Beide Aufgaben stehen in Wechselwirkung zueinander, da subjektiver Rechtsschutz objektive Rechtskontrolle zumindest teilweise mitumfasst und umgekehrt Rechtskontrolle notwendig auch den Schutz subjektiver Rechte leistet.5 Das Zusammenwirken beider Funktionen wird augenfällig am Beispiel der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle (§ 47 VwGO), wo einerseits die Begründetheit allein vom Verstoß gegen objektives Recht abhängt, der Antrag jedoch nur bei Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung (Antragsbefugnis, § 47 Abs. 2 VwGO) zulässig ist.6 Desgleichen kann hier § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO genannt werden, der zwar die objektive Rechtswidrigkeit als notwendige, darüber hinaus aber eine subjektive Rechtsverletzung als hinreichende Bedingung für die Aufhebung des Verwaltungsakts erfordert. Die Grenzen zwischen beiden Funktionen verlieren sodann weitgehend ihre Konturen bei der gerichtlichen Überprüfung von großdimensionierten Planungs- und Genehmigungsvorhaben, wo sich der Kreis der Betroffenen nur schwer bestimmen lässt.7 Völlig vernachlässigt bleibt der subjektive Rechtsschutz dagegen, wenn das verwaltungsgerichtliche Verfahren allein zur (politisch motivierten) Wahrnehmung reiner Allgemeininteressen betrieben wird, wie dies bei Verbandsklagen der Fall ist.

II. Zur Rechtsschutzfunktion im Einzelnen 1. Art. 19 Abs. 4 GG als zentraler Standort der Rechtsschutzgarantie Zentraler verfassungsrechtlicher Standort der Garantie gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt ist Art. 19 Abs. 4 GG.8 Demgegen4 Ebenso Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 8 f.; Schmidt-Aßmann, Menger-FS, S. 107 (108). Vgl. auch zur Paralleldiskussion betreffend die Zwecke des Zivilprozesses Grunsky, Grundlagen, S. 1 ff.; Rosenberg / Schwab, S. 3 m. w. N. 5 Vgl. bereits Jellinek, VVDStRL 2 (1925), S. 8 (48) mit dem Hinweis, dass zwar das objektive Recht ohne subjektives Rechts gedacht werden könne, nicht aber das subjektive Recht ohne objektives; s. auch Krebs, Menger-FS, S. 191 f. Nach Schmidt-Aßmann, MengerFS, S. 107 (108), verhalten sich der Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG und der Wirkungsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit wie zwei sich schneidende Kreise. 6 Mit der Änderung des § 47 Abs. 2 VwGO sollte die Gewährleistung des Individualrechtsschutzes als Zulassungsvoraussetzung ein stärkeres Gewicht erhalten, vgl. Entwurf der Bundesregierung zum 6. VwGOÄndG vom 06. 03. 1996, BT-Drs. 13 / 3993, S. 10, wo allerdings die zweite Funktion der Normenkontrolle als objektives Beanstandungsverfahren nochmals betont wird. Nach Sodan / Ziekow / Ziekow, § 47, Rn. 36 m. w. N., handelt es sich bei der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle um ein rein objektives Beanstandungsverfahren; hiergegen wiederum Eyermann / J. Schmidt, § 47, Rn. 5 m. w. N. 7 Vgl. Lorenz, Menger-FS, S. 143 (148 f.); W. Schmidt, NJW 1978, 1769 (1773 f.); R. Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145 (198 ff.).

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

über wird die Rechtsschutzgarantie, insbesondere das Gebot effektiven Rechtsschutzes (zu diesem s. u. 3.), auch im eigentlichen, gegen die öffentliche Gewalt gerichteten Wirkungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG gelegentlich zumindest ergänzend aus weiteren Verfassungsnormen und -grundsätzen hergeleitet. Hierzu sind vor allem das allgemeine Rechtsstaatsprinzip9 und die materiellen Grundrechte selbst10 angeführt worden.

a) Spezialregelung zum allgemeinen Rechtsstaatsprinzip Gegen eine direkte Herleitung der Rechtsschutzgarantie aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip wird allerdings zu Recht der Einwand erhoben, dass Art. 19 Abs. 4 GG im Bereich des gerichtlichen Rechtsschutzes gegenüber der Exekutive bereits eine Präzisierung und Konkretisierung dieses Prinzips darstelle.11 Darüber hinausgehend erscheint es konsequenter, Art. 19 Abs. 4 GG insofern gar als lex specialis aufzufassen.12 Eines Rückgriffs auf das allgemeine Rechtsstaatsprinzip bedarf es somit jedenfalls nicht. Gleiches gilt für einen Rekurs auf den allgemeinen Justizgewährungsanspruch, der zwar zum allgemeinen Rechtsstaatsprinzip eine Spezialregelung darstellt, im Verhältnis zu Art. 19 Abs. 4 GG im Bereich des Rechtsschutzes gegen die Exekutive aber lex generalis ist.13

b) Spezialregelung zu den materiellen Grundrechten Abzulehnen ist auch der Versuch, die Rechtsschutzgarantie gegenüber der öffentlichen Gewalt anstelle oder neben Art. 19 Abs. 4 GG direkt auf die materiellen Grundrechte zu stützen. Der primäre Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 GG führt entgegen geäußerter Befürchtungen14 nicht dazu, dass sich der Rechtsschutz verselbständigt und seinen eigentlichen Sicherungszweck, das subjektive Recht, aus den Augen verliert. Vielmehr ist das geschützte materielle Recht, wenn nicht direkte Rechtsquelle der Rechtsschutzgarantie, so doch relevant für deren Inhaltsbestim8 Vgl. BVerfGE 60, 253 (296 f.); Lorenz, Rechtsschutz, S. 13; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1 (4); Stern, Staatsrecht, Bd. I., S. 841. 9 So z. B. BVerfGE 30, 1 (25); 53, 115 (127) trotz des Hinweises auf die Konkretisierung durch Art. 19 Abs. 4 GG. 10 So z. B. zur Eigentumsgarantie BVerfGE 24, 367 (401); 35, 348 (361). 11 Vgl. BVerfGE 35, 382 (401); 53, 115 (127); 81, 347 (356); Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 840 f. Zur verfassungsrechtlichen Verortung des Rechtsstaatsprinzips vgl. bereits BVerfGE 2, 380 (403). 12 In diesem Sinne auch BVerfGE 83, 182 (194) unter Hinweis auf BVerfGE 57, 250 (274 f.); Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 19, Rn. 36; Jarass / Pieroth, Art. 19, Rn. 23; Sobota, S. 206. 13 Vgl. Sobota, S. 206. 14 So Wilfinger, S. 104.

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mung, insbesondere derjenigen des nachfolgend unter 3. erörterten Gebots effektiven Rechtsschutzes. Dies bedeutet, dass die Vorschriften des Verfahrensrechts, welche die in Art. 19 Abs. 4 GG enthaltene Gewährleistung umsetzen, im Einklang mit den konkret zu schützenden Grundrechten ausgelegt und angewendet werden müssen.15 Wird der notwendige Zusammenhang mit dem materiellen Recht beachtet, besteht keine Gefahr einer Degeneration von Art. 19 Abs. 4 GG zu einer Art abstraktem „Supergrundrecht“. Eine direkte Heranziehung der Grundrechte hätte aber umgekehrt zur Folge, dass sich anstelle der überlieferten und bewährten Typisierung der Rechtsschutzsysteme ein grundrechtsspezifisches Sonderverfahrensrecht herausbilden würde, welches nicht zuletzt bei konkurrierenden Positionen verschiedener Grundrechtsträger unpraktikabel wäre.16 Diese Zersplitterung des Rechtsschutzes in ein gleichsam aktionenrechtliches Verfahrensgeflecht wäre nicht nur nicht wünschenswert, sondern angesichts der Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 GG als vereinheitlichender verfassungsrechtlicher Klammer des Rechtsschutzes auch eine überflüssige Verdopplung dieser Garantien. In einem solchen grundrechtsakzessorischen Verständnis des Verfahrensrechts läge zugleich eine Schmälerung der eigenständigen Funktion und Bedeutung des Prozesses, durch den nicht bereits fertig vorgegebene Rechte schlicht verwirklicht werden, sondern der zunächst in einem Erkenntnisverfahren die Feststellung des Bestehens und des Inhalts eines Rechts erfordert.17 Zudem muss sein Ablauf gewährleisten, dass auch die Rechtspositionen der übrigen Beteiligten sowie Interessen der Allgemeinheit angemessen berücksichtigt werden.18 Aus den genannten Gründen enthält Art. 19 Abs. 4 GG hinsichtlich der Rechtsschutzgewährung gegen die öffentliche Gewalt auch gegenüber der Verfahrenskomponente der allgemeinen Grundrechte eine spezielle Verbürgung.19 Zwar wird das vom BVerfG20 statuierte Verhältnis zwischen Art. 19 Abs. 4 GG und den materiellen Grundrechten als „modifiziertes Ergänzungsverhältnis“ bezeichnet.21 Angesichts der vom BVerfG in der Entscheidung vom 20. 04. 198222 aufgestellten strengen Voraussetzungen für einen Durchgriff auf die materiellen Grundrechte, der nur unter besonderen Umständen und im Falle eindeutiger Defizite an unverzichtbaren Rechtsschutzerfordernissen zulässig sein soll, sowie des Hinweises auf BVerfGE 57, 250 (276), der die Spezialität zum Rechtsschutzprinzip klarstellt, erscheint jeVgl. BVerfGE 49, 252 (257); 60, 253 (297) unter Hinweis auf Art. 1 Abs. 3 GG. Vgl. BVerfGE 49, 252 (257); 60, 253 (297); Papier, HdbStR, Bd. VI, § 154, Rn. 15. 17 Vgl. Lorenz, AöR 105 (1980), 623 (644 f.). Zur Bedeutung der richterlichen Auslegung für die Inhaltsbestimmung von Normen s. auch Larenz, S. 211 f., 312 ff. 18 Vgl. zu den hieraus resultierenden Beschränkungen des Individualrechtsschutzes unten 3. a). 19 Vgl. Bethge, NJW 1982, 1 (7); BK / Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rn. 432; Haag, S. 91 f.; Laubinger, VerwArch 73 (1982), 60 (83). 20 BVerfGE 60, 253 (297). 21 So Huber, S. 52; Wilfinger, S. 108 ff. m. w. N. 22 BVerfGE 60, 253 (297). 15 16

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

doch die Annahme zutreffender, dass auch das BVerfG Art. 19 Abs. 4 GG insoweit als lex specialis zu den allgemeinen Grundrechten betrachtet. Im Ergebnis ist die Rechtsschutzgarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt somit in erster Linie bei Art. 19 Abs. 4 GG zu verorten. Im Folgenden soll daher der Inhalt der Rechtsschutzfunktion des Verwaltungsprozesses am Maßstab dieser Vorschrift bestimmt werden.

2. Schutz subjektiver Rechte Art. 19 Abs. 4 GG stellt selbst ein Grundrecht dar23 und wird auch als das „formelle Hauptgrundrecht“ bezeichnet.24 Die Wahrnehmung der durch Art. 19 Abs. 4 GG eingeräumten Rechtsschutzgarantie setzt jedoch ihrerseits ein subjektives Recht des Betroffenen voraus, dessen sachlicher Bestand oder Inhalt nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet wird, sondern sich nach der Rechtsordnung im Übrigen richtet; Art. 19 Abs. 4 GG schafft damit das zu schützende subjektive Recht nicht selbst.25 Schutzfähige Rechtspositionen sind sowohl die Grundrechte als auch alle subjektiven Rechte des einfachen Rechts.26 Zur Bestimmung, wann eine geltend gemachten Position ein solches subjektives Recht darstellt, ist auf die Schutznormtheorie zurückzugreifen. Demnach muss es sich um eine im Interesse des Einzelnen gewährte Norm handeln, d. h. eine Norm, die nicht allein öffentlichen Interessen, sondern auch Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.27 Dies bedeutet, dass die Verletzung von Rechtssätzen, in denen der Einzelne nur aus Gründen des Interesses der Allgemeinheit begünstigt wird, die also reine Reflexwirkungen haben, nicht ausreicht; Gleiches gilt für die Verletzung nur wirtschaftlicher, nicht aber rechtlich geschützter Interessen.28 Gefordert ist somit eine rechtliche, nicht lediglich faktische Betroffenheit. Für den Verwaltungsprozess bringen insbesondere §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO diese Grundsätze zum Ausdruck.

23 Vgl. BVerfGE 35, 263 (274); Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 19, Rn. 39; Maunz / Dürig / Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV, Rn. 7; Sachs / Krüger / Sachs, Art. 19, Rn. 7, 12; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 1440 m.w.N; Wilfinger, S. 29 m. w. N. 24 So bereits Klein, VVDStRL 8 (1950), 67 (88 f.). S. auch Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1 (3). 25 Vgl. BVerfGE 15, 275 (281); 61, 82 (110); 83, 182 (194); BK / Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rn. 287; Dreier / Schulze-Fielitz, Art. 19, Rn. 61; Jarass / Pieroth, Art. 19, Rn. 26; Sachs / Krüger / Sachs, Art. 19, Rn. 128. 26 Vgl. Maunz / Dürig / Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV, Rn. 121, 127 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 1440. 27 Vgl. BVerfGE 27, 297 (307); BVerwGE 52, 122 (128); 72, 226 (229 f.). 28 Vgl. BVerfGE 31, 33 (39 f.); 83, 182 (194); 96, 100 (114).

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3. Effektivität des Rechtsschutzes a) „Effektivität“ als Relationsbegriff und Grenze des Rechtsschutzes Nach der Rechtsprechung des BVerfG garantiert Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substanziellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle.29 Im Hinblick auf eine Inhaltsbestimmung der verfassungsrechtlichen Garantie wäre es allerdings nicht weiterführend – und würde überdies dem Bedeutungsgehalt des Effektivitätsbegriffs nicht gerecht –, „Effektivität“ schlicht mit „Wirksamkeit“ gleichzusetzen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass Effektivität eine Relation bezeichnet, die Aussagen über das Verhältnis von Soll-Vorstellung und Ist-Zustand, mithin über den Zielerreichungsgrad ermöglicht.30 Als Relationsbegriff ist „Effektivität“ demnach nur dann aussagekräftig, wenn sie auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet wird.31 Andernfalls handelt es sich um eine Leerformel, die je nach Belieben mit Inhalt gefüllt werden kann und, da der Gehalt einer Norm mit deren Wirksamkeit begründet wird, einen Zirkelschluss in sich birgt.32 Um das Ziel zu bestimmen, auf das hin der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz effektiv sein muss, ist zu berücksichtigen, dass dieser Rechtsschutz – wie derjenige aufgrund anderer Prozessordnungen auch33 – nicht um seiner selbst willen existiert, sondern stets in seinem Bezug zur Feststellung und Verwirklichung des geschützten materiellen Rechts betrachtet werden muss. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren soll nicht allein einen geordneten Verfahrensgang sichern, sondern dient dem Zweck der Wahrung und Durchsetzung der subjektiven Rechte, insbesondere der Grundrechte.34 Effektiver Rechtsschutz ist somit Effektivität des materiellen Rechts durch Rechtsschutz.35 Das Verständnis des gerichtlichen Verfahrens als Instrument zur Rechtsverwirklichung bringt die enge Verknüpfung und den wechselseitigen Bezug zwischen materiellem subjektivem Recht und Prozessrecht zum Ausdruck, ohne allerdings die eigenständige Bedeutung des letzteren zu schmälern.36 In der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes liegt nämlich zugleich eine Beschränkung dergestalt, dass 29 St. Rspr., vgl. BVerfGE 35, 263 (274); 40, 272 (275); 51, 268 (284); 61, 82 (111); 67, 43 (58); 96, 27 (39); BVerfG NJW 1994, 3087; DVBl. 2002, 1200 (1201); BVerfG, Beschl. v. 23. 12. 2003 – 2 BvR 917 / 03. 30 Vgl. Eichhorn, S. 140. 31 Vgl. Haag, S. 11; Wilfinger, S. 17. 32 Vgl. Hoehl, S. 65; Lorenz, AöR 105 (1980), 623 (636 f.). 33 Zum Zweck des Zivilprozesses s. beispielsweise Grunsky, Grundlagen, S. 5. 34 Vgl. BVerfGE 49, 252 (257); Degenhart, HdbStR, Bd. III, § 76, Rn. 7. 35 Vgl. Lorenz, Rechtsschutz, S. 151; ders., AöR 105 (1980), 623 (638 f.). 36 Vgl. hierzu bereits oben 1. b).

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

die Rechtsposition im Prozess nicht in bestmöglicher, optimaler Weise, sondern nur im o. g. Sinne wirksam geschützt werden muss.37 Eine aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete Forderung nach unbegrenztem, weitmöglichst garantiertem Rechtsschutz würde außer Acht lassen, dass die Verfassung ein „Sinngefüge“ ist, „bei dem einzelne Gewährleistungen, und mithin auch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, so auszulegen sind, dass auch anderen Verfassungsnormen und -grundsätzen nicht Abbruch getan wird“.38 An Stelle einer Maximierung des Rechtsschutzes tritt damit die Ausgewogenheit desselben.39 Ohne Einzelfragen vertiefen zu wollen, seien hierfür als Beispiel zunächst insbesondere mehrpolige Rechtsverhältnisse genannt, d. h. die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsakten mit Doppelwirkung, wo die entgegengesetzten Rechtsschutzinteressen des Begünstigten und des betroffenen Dritten sowie häufig auch öffentliche Interessen aufeinandertreffen und jeweils Berücksichtigung finden müssen. Grundrechtliche Schutzinteressen anderer sowie Interessen der Allgemeinheit können hierbei eine Einschränkung der gerichtlichen Tätigkeit bewirken; dies wird z. B. bei Präklusionsregelungen relevant, die im Sinne der Funktionsfähigkeit von Verwaltung und Gerichten, der Verkehrs- und Rechtssicherheit und nicht zuletzt der Interessen des Anlagenbetreibers gerechtfertigt sind.40 Über diese – letztlich durch das materielle Recht bzw. Verwaltungsverfahrensrecht vorgegebenen – Ausschlussregelungen hinaus setzt das Gebot der Rechtssicherheit als wesentliches Element der Rechtsstaatlichkeit der Möglichkeit, das materielle Recht zu verwirklichen, u. U. auch über das Prozessrecht selbst Grenzen. Als solche der Rechtssicherheit dienende Mittel fungieren neben der Rechtskraft die prozessualen Fristen, z. B. für die Erhebung der Klage und die Einlegung von Rechtsmitteln. Weitere Beschränkungen ergeben sich für eine Ausdehnung der gerichtlichen Kontrolle auf Bereiche, die den Rahmen der auf subjektiven Rechtsschutz ausgerichteten Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG überschreiten. Solche Aufgabenerweiterungen stellen sich insoweit als problematisch dar, als durch eine qualitative Überfremdung und damit verbunden auch quantitative Mehrbelastung die Leistungsfähigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frage steht,41 was in der Folge wiederum Einbußen für andere Rechtsschutzsuchende nach sich zieht. Eine ex37 Vgl. BK / Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rn. 386; Hoehl, S. 67; Huber, S. 58 ff.; Lorenz, Menger-FS, S. 143 (152); Papier, HdbStR, Bd. VI, § 154, Rn. 8; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1 f. 38 BVerfGE 60, 253 (267); BVerwGE 67, 206 (209). 39 Vgl. Schmidt-Aßmann, NVwZ 1983, 1; Maunz / Dürig / Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV, Rn. 4; ebenso Hoehl, S. 67; Ronellenfitsch / Wolf, NJW 1986, 1955 (1957); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1013 ff. 40 Vgl. BVerfGE 61, 82 (108 ff.), die bundesverwaltungsgerichtliche Entscheidung in BVerwGE 60, 297 (305 ff.) bestätigend. 41 Vgl. Schmidt-Aßmann, Menger-FS, S. 107 (110); zu den Grenzen der Nachprüfbarkeit behördlicher Diagnosen und Prognosen und zur Problematik des „Anhörungsrechts“ s. W. Schmidt, NJW 1978, 1769 (1775); zur Verbandsklage s. bereits Weyreuther, S. 67 ff.

§ 3 Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit

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tensive Ausweitung der Kontrollfunktion im Sinne einer „Totalkontrolle“ erweist sich letztlich auch unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung als bedenklich,42 weshalb bei der Auslegung von Art. 19 Abs. 4 GG einem entsprechenden Ausgreifen der Rechtsprechung in den Bereich der Exekutive entgegenzuwirken ist. Aus dem Effektivitätspostulat ergeben sich zwei wesentliche Folgerungen, die nachfolgend erörtert werden sollen: der Anspruch auf vollständige Prüfung und derjenige auf Rechtsschutz in angemessener Zeit.

b) Anspruch auf vollständige Prüfung Zunächst wird aus der Garantie wirksamen Rechtsschutzes ein Anspruch auf vollständige Nachprüfung belastenden Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht abgeleitet.43 Die beeinträchtigende hoheitliche Maßnahme muss als solche Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sein. Allerdings beschränkt sich diese Garantie auf eine Überprüfung im mit dieser Beeinträchtigung unmittelbar zusammenhängenden sachnächsten Verfahren,44 womit einer aus den oben unter a) genannten Gründen bedenklichen Erweiterung der Aufgaben der Verwaltungsgerichtsbarkeit insbesondere im Hinblick auf den Rechtsschutz gegen untergesetzliche Normen Grenzen gesetzt sind. Aus dem Anspruch auf vollständige Prüfung folgt, dass dem Richter bezogen auf das als verletzt behauptete Recht eine hinreichende tatsächliche und rechtliche Prüfungskompetenz zukommen muss.45 Dies schließt zum einen die Bindung der Rechtsprechung an tatsächliche oder rechtliche Feststellungen anderer Gewalten hinsichtlich der im Einzelfall maßgeblichen Rechtslage aus. Soweit die gerichtliche Kontrolldichte bei Ermessensakten (§ 114 VwGO), Planungsentscheidungen oder im Falle sog. Beurteilungsspielräume reduziert ist, handelt es sich um Vorentscheidungen, die im materiellen Recht begründet sind und den Umfang der – von Art. 19 Abs. 4 GG vorausgesetzten und nicht geschaffenen46 – subjektiven Rechtsposition vorgeben. Hier kommt wiederum der Bezug zum subjektiven Recht zum Ausdruck, der verhindert, dass sich der Rechtsschutz verselbständigt und Art. 19 Abs. 4 GG als ein abstraktes „Supergrundrecht“ fungiert. Zum anderen wird mit der Verpflichtung zur vollständigen rechtlichen Prüfung des beeinträchtigenden Hoheitsakts für die richterliche Entscheidung auch vom – Vgl. Schmidt-Aßmann, Menger-FS, S. 107 (111 ff.). So BVerfGE 15, 275 (282); 18, 203 (212); 35, 263 (274); 84, 34 (49); BVerfG DVBl. 2002, 1200 (1201); Jarass / Pieroth, Art. 19, Rn. 47; Sachs / Krüger / Sachs, Art. 19, Rn. 145; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 851 f. m. w. N. 44 Vgl. BVerfGE 31, 364 (368). 45 Vgl. BVerfGE 61, 82 (111) im Anschluss an BVerfGE 15, 275 (282); ebenso BVerfGE 67, 43 (58). 46 Vgl. oben 2. Insofern gilt Gleiches wie für die zuvor erwähnten Präklusionsregelungen. 42 43

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

nicht auf objektive Rechtskontrolle ausgerichteten – Art. 19 Abs. 4 GG jedenfalls für das Hauptsacheverfahren ein materiellrechtlicher Kontrollmaßstab gegenüber dem Verwaltungshandeln vorgegeben. In Ausfüllung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bringt § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO diese Maßgabe einfachgesetzlich zur Geltung. Der materiellrechtliche Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab ist im Übrigen auch eine Folgerung aus dem oben unter 1. b) erwähnten Umstand, dass die prozessuale Verwirklichung eines Rechts zunächst dessen Feststellung durch das Gericht voraussetzt. In der auf die Erkenntnis und Inhaltsbestimmung des geltend gemachten Rechts ausgerichteten Funktion liegt die eigenständige Bedeutung des Prozesses. Die Feststellung der zur Beurteilung einer Rechtsverletzung relevanten materiellen Rechtslage bildet zugleich die Grenze richterlicher Prüfungskompetenz. Eine über diese Rechtserkenntnis hinausgehende oder statt dieser durchgeführte, nicht durch die streitbefangenen Vorschriften selbst vorgegebene Interessenabwägung, Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitsprüfung ist demnach nicht zulässig. Dies ergibt sich auch einfachgesetzlich aus § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO, wo die Nachprüfung im gerichtlichen Verfahren im Unterschied zum Widerspruchsverfahren (§ 68 VwGO) nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts umfasst. In gleichem Sinne ist auch § 114 VwGO anzuführen, der die Reduzierung der Kontrolldichte seinerseits bereits im materiellen Recht begründet vorfindet und in Konkretisierung des Grundsatzes der Gewaltenteilung klarstellt, dass das Verwaltungsermessen nur hinsichtlich der Rechtmäßigkeit, nicht aber auch der Zweckmäßigkeit seiner Ausübung kontrolliert wird.47 Die Verwaltungsgerichte sind dem gemäß nur zur Ermessenskontrolle im Rahmen materiellrechtlicher Vorgaben, nicht aber zur eigenen Ermessensausübung anstelle der Verwaltung ermächtigt. c) Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit Als zweite wesentliche Forderung wird dem Effektivitätsgebot ein Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit entnommen.48 Die unter § 1 beschriebene Erwartungshaltung des rechtsschutzsuchenden Bürgers in zeitlicher Hinsicht findet somit als wesentliches Element effektiver Rechtsschutzgewährung49 eine verfassungsrechtliche Grundlage. Zugleich wird mit der Forderung einer „angemessenen“ Prozessdauer einer Festlegung auf eine bestimmte zeitliche Grenze eine Absage erteilt; eine allgemeinverbindliche, im Voraus fixierte Höchstdauer gerichtlicher Verfahren lässt sich Art. 19 Abs. 4 GG nicht entnehmen. Hieraus folgt, dass 47 Vgl. Eyermann / Rennert, § 114, Rn. 1, 3; Kopp / Schenke, § 113, Rn. 24 und § 114, Rn. 1. 48 BVerfGE 54, 39 (41); 55, 349 (369); 93, 1 (13); BVerfG NJW 1994, 3087 (3088); Jarass / Pieroth, Art. 19, Rn. 46; Otto, S. 35; Schlette, S. 24 f.; Wilfinger, S. 52 f. m. w. N.; Ziekow, DÖV 1998, 941 (942). 49 Vgl. Pitschas, ZRP 1998, 96 (99 f.).

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sich die Angemessenheit der Zeitdauer bis zur Entscheidung nach den Umständen des Einzelfalls bestimmt.50 Damit wird die optimale Erfüllung der zeitlichen Rechtsschutzkomponente in Gestalt einer kürzest möglichen Prozessdauer nicht verlangt. Folgerichtig hat das BVerfG einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf sofortige Entscheidung jeder Hauptsacherechtsfrage ausdrücklich verneint.51 Eine Beschleunigung um jeden Preis ist demnach nicht geboten; umgekehrt stellt nämlich ein „kurzer Prozess“ in gleicher Weise einen Verfassungsverstoß dar wie überlange Verfahrensdauern.52 In diesem Sinne betont auch der Gesetzgeber, dass die mit dem 4. VwGOÄndG erlassenen Beschleunigungsmaßnahmen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung und Stärkung des effektiven Rechtsschutzes einhergehen bzw. ihre Grenze am Rechtsschutzauftrag finden.53 Eine Verfahrensbeschleunigung darf somit nicht einseitig zu Lasten der übrigen Ausprägungen des Art. 19 Abs. 4 GG gehen. Auch bei der zeitlichen Komponente des Effektivitätspostulats tritt anstelle der Maximierung die Ausgewogenheit des Rechtsschutzes, wodurch wiederum das oben unter a) genannte Erfordernis einer Abwägung mit anderen bei der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens zu berücksichtigenden Rechtsgütern relevant wird. Es ist unschwer zu erkennen, dass die Vorgabe einer Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit regelmäßig in einem Spannungsverhältnis zur vorgenannten Forderung nach möglichst umfassender Prüfung steht.54 Entscheidungstheoretisch betrachtet liegt ein Zielkonflikt vor. Zielkonflikte haben zur Folge, dass die Erfüllung des einen Ziels nur unter Beeinträchtigung des anderen möglich ist,55 Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels mithin zu einer Abnahme des Zielerreichungsgrads bei einem anderen Ziel führen.56 Dem trägt die o. g. Auffassung, nach der statt einer festen Zeitdauer die Angemessenheit derselben verlangt wird, Rechnung, da sie die Forderung impliziert, beide Ziele bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen und in Ausgleich zu bringen. Hinsichtlich der Auflösung des genannten Spannungsverhältnisses bzw. Zielkonflikts ist auch die Rede davon, die Rechtsprechung habe die ideale Prozessdauer im sog. „goldenen Schnitt“ zwischen Gründlichkeit und Zügigkeit der Entscheidung zu finden.57 Etwaige Einbußen bei der Verwirklichung einer oder beider geschilderter Zielgrößen lassen allerdings die Vorgabe einer strikt materiellrechtlichen Prüfung unberührt. Die Frage, welche Folgerungen aus dem Zielkonflikt und weiteren rele50 Vgl. BVerfGE 55, 349 (369); Schlette, S. 28; Wilfinger, S. 55; a.A. Otto, S. 180 f. in Anlehnung an die Systematik der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO. 51 Vgl. BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218). 52 Vgl. Kirchhof, Doehring-FS, S. 439; Schlette, S. 31. 53 Vgl. BT-Drs. 11 / 7030, S. 17, 19. 54 Vgl. Kloepfer, JZ 1979, 209 (210); Otto, S. 37; Schlette, S. 31; Wilfinger, S. 4. 55 Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 53; Hammann / Erichson, S. 1 f.; Mag, Grundzüge, S. 32. 56 Vgl. Hopfenbeck, S. 517; Olfert / Rahn, S. 172. 57 Vgl. Schlette, S. 31; Kloepfer, JZ 1979, 209 (210), der hierin das „Grunddilemma“ der Rechtsprechung sieht.

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

vanten Faktoren für die Anforderungen an Umfang und Ergebnis der Rechtsprüfung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu ziehen sind, betrifft den Bereich der Prüfungsintensität und nicht den des Prüfungsmaßstabs. Diese Problematik wird daher im zweiten Teil der Untersuchung näher erörtert.58 Aus dem Effektivitätsgebot in Art. 19 Abs. 4 GG wird auch die Forderung abgeleitet, einstweiligen Rechtsschutz zu gewährleisten, um irreparable Entscheidungen bzw. schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile zu verhindern, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.59 Der Rechtsschutzanspruch des Einzelnen ist um so stärker und darf um so weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken.60 Unter dem Aspekt der Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit lässt sich damit das Erfordernis, einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können, in Art. 19 Abs. 4 GG unmittelbar grundrechtlich fundieren. Hieraus folgt zum einen der Auftrag an den Gesetzgeber, eine Regelung einstweiligen Rechtsschutzes vorzuhalten,61 zum anderen die Verpflichtung der Rechtsprechung, bei der Anwendung dieser Regelung der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Genüge zu leisten.62

III. Zur Kontrollfunktion im Einzelnen Unter I. wurde festgestellt, dass der Verwaltungsprozess zusätzlich zur Aufgabe, subjektive Rechte zu schützen, auch eine Funktion objektiver Kontrolle des Verwaltungshandelns ausübt und beide Funktionen in Wechselwirkung zueinander stehen. Wenngleich subjektiver Rechtsschutz einen materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab erfordert und damit notwendiger Weise zugleich ein Stück objektiver Rechtskontrolle leistet, wird die Kontrollfunktion von Art. 19 Abs. 4 GG nicht mitumfasst. Ihr verfassungsrechtlicher Standort ist das Gesetzes- und Rechtsbindungss. unten § 8 III. und IV. Vgl. BVerfGE 35, 263 (273 f.); 35, 382 (401); 37, 150 (153); 46, 166, (178 f.); 51, 268 (284); 79, 69 (74); BVerfG NJW 1993, 3190; NJW 2003, 1236 (1237); Degenhart, HdbStR, Bd. III, § 76, Rn. 2; Finkelnburg / Jank, Rn. 6; Maunz / Dürig / Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV, Rn. 273; Sachs / Krüger / Sachs, Art. 19, Rn. 148; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 991 ff.; Wilfinger, S. 63 f. 60 BVerfGE 35, 382 (402); 67, 43 (59); 69, 220 (228); BVerfG NVwZ 1987, 403; NVwZ 1996, 58 (59). 61 Vgl. BVerfGE 46, 166 (178 f.), wo die unterbliebene Regelung einstweiligen Rechtsschutzes im SGG für unvereinbar mit Art. 19 Abs. 4 GG erklärt und die entsprechende Anwendung von § 123 VwGO, ggf. aber auch eine direkte Heranziehung von Art. 19 Abs. 4 GG für zulässig gehalten wurde. 62 Vgl. BVerfGE 79, 69 (74); BVerfG NJW 1993, 3190; Finkelnburg / Jank, Rn. 7 f. m. w. N. 58 59

§ 3 Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit

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gebot des Art. 20 III GG,63 welches eine besondere Ausprägung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips darstellt.64 Ergänzend können auch Art. 1 Abs. 3 GG als spezielle Bindungsnorm sowie Art. 97 Abs. 1 GG herangezogen werden. Zielrichtung der objektiven Rechtskontrolle ist (im Unterschied zu der aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Rechtsschutzfunktion) in erster Linie die Einhaltung des objektiven Rechts durch (Wieder-)Herstellung gesetzmäßigen Verwaltungshandelns.65 Rechtliche Entscheidungsmaßstäbe für die Verwaltung sind zumindest potenziell auch Kontrollmaßstäbe der Gerichte.66 Damit leisten die Verwaltungsgerichte der Verwaltung Entscheidungshilfe, indem sie deren künftige Entscheidungen inhaltlich determinieren. Die Auslegung und Inhaltsbestimmung der Rechtsvorschriften einschließlich deren Überprüfung am Maßstab höherrangigen Rechts dient dem Zweck, die Einheit der Rechtsordnung zu sichern, sowie der Rechtssicherheit.67 Mit der Zuweisung einer objektiven Kontrollaufgabe an die Verwaltungsgerichtsbarkeit droht aber gleichzeitig in noch stärkerem Maße als bei der Interpretation der Rechtsschutzfunktion die Gefahr, dass die Kontrolle zunehmend extensiv verstanden wird und sich zu einer umfassenden bzw. „Totalkontrolle“ ausweitet. Um einer unbegrenzten Rechtskontrolle entgegenzuwirken, dient das subjektive Recht als Selektionskriterium für den Kontrollmaßstab, d. h. objektivrechtliche Normen sind Kontrollmaßstäbe nur insoweit, als sie auch subjektive Rechte gewähren oder mit ihnen zumindest in einem funktionellen Zusammenhang stehen.68 Objektive Rechtskontrolle findet daher, von Ausnahmen wie § 47 VwGO abgesehen, nur in dem Umfang statt, der für die – der prozessualen Rechtsverwirklichung vorausgehende – Feststellung der Existenz, des Inhalts und einer evtl. Verletzung des subjektiven Rechts erforderlich ist. Dementsprechend ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nur insofern von Relevanz, als der Kläger „dadurch“ eine Rechtverletzung erleidet. In der Kontrollaufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die sich aus den verfassungsrechtlichen Bindungsgeboten der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG ergibt, ist jedenfalls für das Hauptsacheverfahren der materiellrechtliche Prüfungsund Entscheidungsmaßstab notwendig angelegt, wie auch durch § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO einfachgesetzlich verdeutlicht wird. Mit der Gesetzesbindung ist es ebenso wie mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar, über die am materiellen Recht ausgerichtete Nachprüfung des Verwaltungshandelns hinausgehende Interessenabwägungen sowie Billigkeits- oder Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen Vgl. Sobota, S. 208. Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 778; zur verfassungsrechtlichen Verortung des Rechtsstaatsprinzips s. auch BVerfGE 2, 380 (403). 65 Vgl. Krebs, Menger-FS, S. 191 (192). 66 Vgl. Krebs, Menger-FS, S. 191 (192); Papier, HdbStR, Bd. VI, § 154, Rn. 5. 67 Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 11 f. 68 Vgl. Krebs, Menger-FS, S. 193 f.; Schmidt-Aßmann, Menger-FS, S. 107 (122). 63 64

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

oder gar die Prüfung auf solche außerrechtlichen Kriterien zu beschränken, sofern diese nicht durch die streitentscheidenden Normtatbestände selbst vorgegeben werden. Wie bereits im Zusammenhang mit dem Anspruch auf vollständige rechtliche Prüfung erwähnt,69 lässt sich auch § 114 VwGO nichts anderes entnehmen. Diese Vorschrift verdeutlicht vielmehr, dass sich die gerichtliche Prüfung auf die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung beschränkt, und gibt damit, ausgehend von materiellrechtlichen Vorentscheidungen, den Maßstab, aber auch die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen vor, woran die Rechtsprechung wiederum gemäß Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist.

IV. Ergebnis: Strikt materiellrechtliche Prüfung und Entscheidung im Hauptsacheverfahren Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die beiden Hauptaufgaben des Verwaltungsprozesses im Schutz subjektiver Rechte und in der objektiven Rechtskontrolle bestehen. Erstere ist verfassungsrechtlich aus Art. 19 Abs. 4 GG, letztere aus Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 1 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG herzuleiten. Beide Funktionen stehen in einem Ergänzungsverhältnis, da subjektiver Rechtsschutz teilweise auch objektive Rechtskontrolle mit umfasst und umgekehrt objektive Kontrolle zugleich zum Schutz subjektiver Rechte beiträgt. Allerdings setzt das subjektive Recht als Selektionskriterium der gerichtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns Grenzen. Darüber hinaus darf die Rechtsschutzgarantie nicht als Maximierungsgebot missverstanden werden; vielmehr ist sind im Prozess die Rechte anderer Beteiligter sowie sonstige Verfassungsgrundsätze zu wahren, weshalb lediglich ausgewogener Rechtsschutz verlangt werden kann. Beide Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit geben für die Prüfung der angegriffenen hoheitlichen Maßnahme jedenfalls für das Hauptsacheverfahren zwingend einen strikt materiellrechtlichen Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab vor. Für die Rechtsschutzfunktion folgt dies aus dem Anspruch auf vollständige Prüfung als Bestandteil des Gebots effektiven Rechtsschutzes, für die Kontrollfunktion aus der Gesetzesbindung. Über die Feststellung des materiellen Rechts hinausgehende oder diese Feststellung ersetzende außerrechtliche Erwägungen dürfen sowohl unter Gewaltenteilungs- als auch Gesetzesbindungsgesichtspunkten vom Gericht nicht angestellt werden. Soweit die aus dem Effektivitätspostulat abgeleiteten Forderungen nach möglichst vollständiger Prüfung und Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit in einem Zielkonflikt stehen und daher nicht beide zugleich optimal verwirklicht werden können, betrifft die Auflösung dieses Spannungsverhältnisses allein den Bereich der Prüfungsintensität und lässt die verfassungsrechtliche Vorgabe eines materiellrechtlichen Prüfungsmaßstabs unberührt. 69

Vgl. oben II. 3. b).

§ 4 Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes

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§ 4 Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes Wie unter § 3 II. 3. c) ausgeführt, verlangt das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG prinzipiell die Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Die Gewährleistung von Eilrechtsschutz wird für den Fall gefordert, dass irreparable Rechtsverletzungen bzw. schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile drohen.70 Teilweise wird als dessen Ziel auch explizit die Verhinderung vollendeter Tatsachen genannt.71 Aus dem Effektivitätsgebot sowie aus dem Gesetzesbindungspostulat wurde für das gerichtliche Verfahren in der Hauptsache zugleich die Vorgabe eines materiellrechtlichen Prüfungs- und Entscheidungsmaßstabs abgeleitet. Um zu bestimmen, ob die materielle Rechtslage auch im Eilverfahren geprüft und der Entscheidung zugrunde gelegt werden muss, ist es wiederum erforderlich, zunächst die Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes genauer zu betrachten.

I. Sicherungsfunktion Mit dem Abstellen auf das Ziel, irreparable Nachteile und vollendete Tatsachen zu verhindern, bringen Rechtsprechung und Literatur eine wesentliche Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes zum Ausdruck. Diese wird in der Sicherung wirksamen Rechtsschutzes im Hauptsacheverfahren gesehen.72 Während letzterem die Aufgabe der (endgültigen) Durchsetzung und Verwirklichung des subjektiven Rechts zukommt, soll der einstweilige Rechtsschutz dem Zweck dienen, diese Rechtsverwirklichung zu sichern und irreversible Zustände abzuwenden, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Wenn nun diese Sicherungsfunktion darin bestehen soll, vollendete Tatschen zu verhindern, so erscheint dies unter Berücksichtigung des Zeitablaufs insofern unlogisch, als jedes Ereignis in der Zeit, einmal geschehen, nicht wieder rückgängig gemacht werden kann und folglich notwendigerweise irreversible Zustände schafft.73 Dies betrifft naheliegender Weise sowohl den Zeitraum bis zur Eilentscheidung, in dem die Verhaltenspflichten der Beteiligten noch nicht gerichtlich vorgegeben sind, als auch die Zeit nach dem im Verfahren des einstweiligen Vgl. die in Fn. 59 Genannten. So z. B. BVerfG NJW 1994, 3087 (3088); BVerfGE 93, 1 (13); BVerwG NVwZ 1991, 159; VGH München BayVBl. 1995, 246; Erichsen, Jura 1984, 414 f.; Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 81; Leipold, S. 187; Timmler, S. 24; Wilfinger, S. 63 f.; im Ergebnis auch BK / Schenke, Art. 19 Abs. 4, Rn. 425. 72 Vgl. beispielhaft BVerfGE 35, 263 (272 f.); Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 55; Finkelnburg / Jank, Rn. 45; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 186 f. 73 Vgl. Huber, S. 72; Kloepfer, JZ 1983, 742 (751); J. Martens, S. 207 f.; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1339 ff. 70 71

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Rechtsschutzes gefassten Beschluss, und zwar unabhängig davon, ob sich am status quo etwas ändert oder nicht. Wird z. B. ein Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung einer immissionsschutzrechtlichen Errichtungsgenehmigung abgelehnt, ist der Umstand, dass er bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Anlage nicht errichten und betreiben kann, für den Träger des Vorhabens für diese Zeitdauer gleichermaßen irreparabel wie eine Stattgabe des Antrags für Drittbetroffene vollendete Tatsachen in Gestalt der von der Anlage ausgehenden Umwelteinwirkungen schafft. Gleiches gilt auch für Geldleistungen betreffende Eilentscheidungen, wo zwar keine endgültige Vermögensverschiebung angeordnet, der zwischenzeitliche Verbleib aber abschließend und insoweit unwiederbringlich geregelt wird.74 Es zeigt sich somit, dass die Forderung, „irreparable Zustände“ bzw. „vollendete Tatsachen“ zu verhindern, unter Berücksichtigung des Zeitmoments unerfüllbar ist. Mit diesen Begrifflichkeiten lässt sich folglich die Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes nicht bestimmen. Vielmehr ist der Zusammenhang mit der Rechtsverwirklichung in der Hauptsache ins Blickfeld zu rücken. Effektiver Rechtsschutz ist nur dann möglich, wenn eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren noch sinnvoll, d. h. nicht durch zwischenzeitlich eingetretene Zustände oder schlichten Zeitablauf im Hinblick auf die Durchsetzung des materiellen Rechts obsolet geworden ist. Daher ist die Sicherungsfunktion im Sinne einer Offenhaltungsfunktion zu interpretieren; durch den einstweiligen Rechtsschutz soll die Hauptsache dergestalt offengehalten werden, dass das Hauptsacheverfahren weiterhin die Möglichkeit bietet, effektiven Rechtsschutz zu gewähren.75 Die Schutzfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne einer Offenhaltung der Hauptsache ist hierbei nicht lediglich auf die Sicherung des augenblicklichen prozessualen Zustands gerichtet.76 Ein solches Verständnis würde den unter § 3 II. 1. b) und 3. a) dargestellten Zusammenhang des über Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem geschützten subjektiven Recht außer Acht lassen. Ebenso wie der Rechtsschutz in der Hauptsache nicht um seiner selbst willen besteht, sondern der Durchsetzung und Verwirklichung des subjektiven materiellen Rechts dient, besteht dieser untrennbare Zusammenhang mit der geschützten Rechtsposition auch bei der dem Hauptsacheverfahren vorgelagerten Rechtsschutzform des einstweiligen Rechtsschutzes.77 Dessen Aufgabe bildet somit nicht nur die Bewahrung eines prozessualen status quo, sondern unmittelbar die Sicherung des subjektiven Rechts selbst. Hierin kommt – in gleicher Weise wie für das Hauptsacheverfahren – die Rechtsschutzfunktion des VerwalVgl. J. Martens, S. 207 f. Vgl. BVerwG NJW 1993, 1610 (1611); Erichsen, Jura 1984, 414 (415); Finkelnburg / Jank, Rn. 45; Huba, JuS 1990, 983; Jakobs, VBlBW 1984, 129 (133); ders., VBlBW 1990, 446. 76 So aber Heinze, Zeuner-FS, S. 369 (372). 77 Vgl. Finkelnburg / Jank, Rn. 46; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 189 ff., 966 ff. 74 75

§ 4 Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes

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tungsprozesses zum Tragen, die eine vom subjektiven Recht abgekoppelte Betrachtung nicht zulässt.78

II. Befriedungsfunktion Wie unter I. ausgeführt, dient der einstweilige Rechtsschutz dem Zweck, das subjektive Recht zu sichern und die Hauptsacheentscheidung offen zu halten, während die (endgültige) Durchsetzung und Verwirklichung dieses Rechts Aufgabe des Hauptsacheverfahrens ist. Dem gemäß sind die Streitgegenstände beider Rechtsschutzformen verschieden. So liegt der Streitgegenstand beim einstweiligen Rechtsschutz in Anfechtungsfällen zwar in der angegriffenen Verfügung, jedoch beschränkt auf die Frage der sofortigen Vollziehbarkeit.79 Er erstreckt sich nicht – wie in der Hauptsache – auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, die Rechtsverletzung des Klägers sowie den daraus resultierenden Aufhebungsanspruch.80 Entsprechend ist Gegenstand des Verfahrens auf einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO nicht der in der Hauptsache geltend gemachte Anspruch, sondern nur die vorläufige Sicherung des Rechts bzw. vorläufige Regelung des Rechtsverhältnisses.81 Hieraus folgt, dass im Eilverfahren niemals auf die Rechtsfolge der Hauptsache erkannt werden darf. Dieser Tatsache zum Trotz ist die Frage der Zulässigkeit einer „Vorwegnahme der Hauptsache“ Gegenstand kontroverser Diskussionen.82 Ohne diese Thematik eingehend erörtern zu wollen, sei hierzu angemerkt, dass angesichts der o. g. Feststellungen zum Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens eine solche Vorwegnahme allenfalls faktisch, niemals aber rechtlich möglich ist. Für das Aussetzungsverfahren nach §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO ist dies, sieht man von der Anordnung evtl. Sicherungsmaßnahmen gemäß § 80 a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 VwGO ab, bereits durch die eindeutig von der Hauptsache verschiedene Rechtsfolgenbestimmung einleuchtend. Auch soweit mit der Vollziehung einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO dem Antragsteller ein Vorteil in Gestalt einer auch rechtlichen Position eingeräumt wird, die insofern vollendete Tatsachen schafft, als auch im Falle des Obsiegens in der Hauptsache eine Rückgängigmachung aussichtslos erscheint, stellt dies ein Problem der Reversibilität der Folgen dar, bedeutet jedoch keine rechtliche Vorwegnahme der Hauptsache. Über den Gegenstand der Hauptsache wird weder eine Ent78 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 968, spricht von einer konzeptionellen „Grundlinie des Rechtsschutzsystems vom materiellen Verwaltungsrecht über das Prozessrecht zum Hauptsacheverfahren hin zum vorläufigen Rechtsschutz“. 79 Vgl. BVerfGE 67, 43 (60); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1366, 1555. 80 Vgl. hierzu Eyermann / Rennert, § 121, Rn. 25 m. w. N. 81 Vgl. Eyermann / Happ, § 123, Rn. 2; Finkelnburg / Jank, Rn. 269. 82 s. zu dieser Problematik Finkelnburg / Jank, Rn. 202 ff.

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

scheidung getroffen, wenn das Eilverfahren kraft Gesetzes (vgl. §§ 36, 37 AsylVfG) an die Stelle der Hauptsache tritt, noch wenn es dessen Funktion faktisch übernimmt. Obgleich im einstweiligen Rechtsschutz über die Hauptsache nicht entschieden und diese damit auch nicht vorweggenommen wird, ist nicht zu verkennen, zieht man den untrennbaren Bezug des Eilverfahrens zum materiellen Recht in Betracht, dass die Eilentscheidung bereits auf die geschützten Rechtspositionen des Antragstellers bzw. betroffener Dritter einwirkt. Wie unter I. dargelegt, trifft das Gericht zumindest für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung eine abschließende und angesichts der unwiederbringlich verstreichenden Zeit auch endgültige Interimsregelung.83 Es handelt sich um die endgültige Regelung eines vorläufigen Zustands.84 Die Verhaltenspflichten der Beteiligten werden für diese Zeit abschließend und insoweit „irreparabel“ festgelegt, was wiederum belegt, dass es insofern unmöglich ist, mittels einstweiligen Rechtsschutzes vollendete Tatsachen zu verhindern.85 Je nach Ausgang ermöglicht oder vereitelt das Eilverfahren nämlich faktisch für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung die vorläufige Verwirklichung des materiellen Rechts. Angesichts dieser Regelungswirkung der Eilentscheidung kommt dem einstweiligen Rechtsschutz als zweite Aufgabe neben der Sicherung des subjektiven Rechts auch eine interimistische Befriedungsfunktion zu.86

III. Konsequenzen für den Prüfungsund Entscheidungsmaßstab Wie unter § 3 aus den Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit abgeleitet, ist aufgrund Verfassungsrechts zumindest für das Verfahren in der Hauptsache zwingend ein materiellrechtlicher Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab vorgegeben. Grundlage hierfür sind zum einen der aus der Rechtsschutzfunktion des Art. 19 Abs. 4 GG folgende Anspruch auf vollständige Prüfung in rechtlicher Hinsicht als Bestandteil des Gebots effektiven Rechtsschutzes, zum anderen die in den Gesetzesbindungspostulaten der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG verankerte objektive Kontrollfunktion. Zu untersuchen ist nun, ob sich dieser Befund auf das Hauptsacheverfahren beschränkt oder ob die unter I. und II. erörterten Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes, dessen Gewährleistung ebenfalls eine Forderung des Gebots effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG darstellt, die für die Hauptsache maß83 Vgl. Jakobs, VBlBW 1984, 129; Müller, S. 43; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 155. 84 Vgl. Finkelnburg / Jank, Rn. 108; Huba, JuS 1990, 983. 85 Vgl. J. Martens, S. 207 f.; Müller, S. 43; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1316. 86 Vgl. Huber, S. 76; Jakobs, VBlBW 1990, 446; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 155 f., 967.

§ 4 Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes

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gebliche materielle Rechtslage in gleicher Weise zu einem obligatorischen Prüfungs- und Entscheidungskriterium machen.

1. Folgerungen aus der Sicherungsfunktion Das Erfordernis, die für die Hauptsache maßgeblichen Rechtsfragen zu prüfen und der Eilentscheidung zugrunde zu legen, könnte sich zunächst als Konsequenz aus der Sicherungsfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes ergeben. Wie unter I. dargelegt, dient das Eilverfahren nicht lediglich der Aufrechterhaltung des prozessualen status quo, sondern soll die Möglichkeit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in der Hauptsache offen halten. Damit wird das materielle subjektive Recht, wenngleich dessen endgültige Durchsetzung noch nicht Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes ist, zum unmittelbaren Schutzobjekt auch dieser der Hauptsache vorgelagerten Rechtsschutzform. Betrachtet man die auf Offenhaltung der Rechtsdurchsetzung in der Hauptsache ausgerichtete Funktion des Eilverfahrens isoliert, erscheint es unter dem Blickwinkel des Gebots effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht von vornherein unzulässig, eine Entscheidung allein aufgrund Interessen- bzw. Folgenabwägung ohne (zumindest vorläufige) Klärung der für die Hauptsache maßgeblichen Rechtsfragen zu treffen.87 Zwar bezieht sich die Sicherungsfunktion nicht allein auf die prozessuale Stellung, sondern unmittelbar auf das subjektive Recht selbst. Da die endgültige Rechtsverwirklichung jedoch erst in der Hauptsache erfolgt, wäre es unter dem Aspekt der Sicherung effektiven Rechtsschutzes insbesondere in zeitlicher Hinsicht vertretbar, auch die der Verwirklichung vorausgehende Feststellung, ob die geltend gemachte Position besteht, vollständig dem Hauptsacheverfahren zu überlassen. Mit der Sicherungsfunktion allein lässt sich die Stellung der materiellen Rechtslage als obligatorisches Prüfungs- und Entscheidungskriterium im Eilverfahren somit noch nicht ausreichend begründen.

2. Folgerungen aus der Befriedungsfunktion Mit Rücksicht auf die Befriedungsfunktion des Eilverfahrens könnte sich allerdings ein Verzicht darauf, die für die Hauptsache maßgebliche materielle Rechts87 Eine hiervon zu trennende Frage wäre allerdings – auch für den Fall, dass ein Verzicht auf die Klärung von Rechtsfragen der Hauptsache zulässig sein sollte – diejenige nach der Beurteilung der Zulässigkeit der konkret für die Prüfung im Rahmen der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO vorgeschlagenen Abwägungsmodelle, welche sich sowohl hinsichtlich des „Ob“ einer Abwägungslösung als auch bezüglich ihrer konkreten Ausgestaltung an verfassungsrechtlichen Maßstäben messen lassen müssen; hierzu näher unter § 5 IV.

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

lage zu prüfen und der Entscheidung zugrunde zu legen, als mit Verfassungsrecht unvereinbar erweisen. Wie unter II. dargelegt, werden bereits durch die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Verhaltenspflichten der Beteiligten abschließend festgelegt und ein vorläufiger Zustand endgültig geregelt. Wenngleich Streitgegenstand und Rechtsfolgen freilich von denjenigen in der Hauptsache verschieden sind, besteht doch, über das subjektive Recht vermittelt, ein untrennbarer Zusammenhang mit der Hauptsache, welcher der einstweilige Rechtsschutz als Bestandteil eines Gesamtrechtsschutzsystems vorgelagert ist. Im Eilverfahren entscheidet sich, ob die geschützten Rechtspositionen, und zwar sowohl diejenigen des Antragstellers als auch die evtl. Drittbetroffener, vorläufig bereits verwirklicht werden können oder nicht. Angesichts dieser Verbindung zum Schutzobjekt, dem subjektiven materiellen Recht, sowie der Tatsache, dass mit der Eilentscheidung eine auf dieses Recht einwirkende endgültige Interimsregelung getroffen wird, erhebt sich die Forderung, das Risiko einer Abweichung des tatsächlichen vom rechtlich geforderten Zustand so gering wie möglich zu halten.88 In zeitlicher Hinsicht soll der einstweilige Rechtsschutz mithin das sog. „Rechtsabweichungsintervall“ zwischen realem Geschehen und rechtsnormativer Vorgabe in seinen Wirkungen minimieren.89 Konsequenterweise kann effektiver Rechtsschutz, wie Art. 19 Abs. 4 GG ihn fordert, auch im Eilverfahren nicht ohne Berücksichtigung der Rechtsfragen der Hauptsache gewährleistet werden.90 Dies gilt zum einen in Bezug auf die Rechtsposition des Antragstellers, zum anderen aber auch mit Blick auf die Rechte sonstiger Beteiligter, z. B. in den Fällen des § 80 a Abs. 3 VwGO, die ebenfalls von der Rechtsschutzgarantie umfasst sind. Da Art. 19 Abs. 4 GG im Sinne ausgewogenen Rechtsschutzes auszulegen ist,91 wirken die Rechte Drittbetroffener für den Antragsteller insofern wiederum auch rechtsschutzbegrenzend, als er die Einwirkung auf diese geschützten Positionen nicht ohne Beachtung der materiellen Rechtslage gestattet. Die Prüfung und Entscheidung in Anbindung an die materielle Rechtslage der Hauptsache ist jedoch nicht nur durch Art. 19 Abs. 4 GG gefordert. Sie stellt in gleicher Weise eine notwendige Folgerung aus den Gesetzesbindungspostulaten der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG dar.92 Wenn mit der Entscheidung im Eilverfahren Verhaltenspflichten für eine bestimmte Zeit endgültig geregelt Vgl. Müller, S. 43. Vgl. Kloepfer, JZ 1979, 209 (210); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1339. 90 Vgl. Finkelnburg / Jank, Rn. 48; Huber, S. 93 ff.; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 189 ff., 966 ff. Im Ergebnis ebenso Minnerop, S. 51 ff., der aus zivilprozessualer Sicht freilich nicht auf Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auf den Bezug zum materiellen Recht rekurriert, welches allein die Basis für einen Eingriff in den materiellrechtlichen status quo der Beteiligten bilden könne. 91 Vgl. oben § 3 II. 3. a) zur Begrenzung der Rechtsschutzgarantie durch das Erfordernis der Ausgewogenheit. 92 Vgl. auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1586, der zu Recht nicht nur auf den Rechtsschutzaspekt, sondern auch auf die Gesetzesbindung der Rechtsprechung hinweist. 88 89

§ 4 Funktionen des einstweiligen Rechtsschutzes

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werden und die durch diese Regelung geschaffene Lage möglichst geringfügig von derjenigen abweichen soll, die rechtlich gefordert ist, tritt auch bereits in diesem Stadium der Rechtsschutzgewährung die unter § 3 III. erörterte objektive Kontrollfunktion des Verwaltungsprozesses in Geltung, aus der sich der materiellrechtliche Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab zwingend ergibt. Einzig dieser vermag das Risiko einer von der gebotenen Rechtslage abweichenden Entscheidung zu minimieren. Da auch für einen Interimszeitraum abschließend darüber befunden wird, ob die – wenngleich nur vorläufige – Verwirklichung des subjektiven Rechts und die damit verbundene Zurückstellung der Rechte anderer oder öffentlicher Interessen möglich ist, bedarf es schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zunächst einer (vorläufigen) Feststellung der Rechtsposition des Antragstellers. Das subjektive materielle Recht ist somit zwar nicht Streitgegenstand, aber doch jedenfalls ein Erkenntnisgegenstand des Eilverfahrens.93 Die Gesetzesbindungspostulate der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG als Grundlage der Kontrollfunktion des Verwaltungsprozesses und (neben Art. 19 Art. 4 GG) auch der Befriedungsfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes bilden daher im Sinne ausgewogener Rechtsschutzgewährung94 ebenfalls insoweit verfassungsimmanente Schranken des Rechtsschutzanspruchs, als die Entscheidung im Eilverfahren nicht allein mit Blick auf die möglichst zügige Sicherung der Interessen des Antragstellers, sondern in weitest möglichem Einklang mit dem materiellrechtlich geforderten Zustand zu treffen ist.

IV. Ergebnis: Rechtsfragen der Hauptsache obligatorische Prüfungs- und Entscheidungskriterien auch im Eilverfahren Im Ergebnis dient der einstweilige Rechtsschutz nicht nur der Sicherung der Rechtsposition des Antragstellers im Sinne einer Offenhaltung der Hauptsache, sondern erfüllt darüber hinaus auch eine interimistische Befriedungsfunktion. Damit verbindet sich die Forderung, das Risiko einer Abweichung der tatsächlichen von der rechtlich geforderten Lage zu minimieren. Dem gemäß lässt sich sowohl aus Art. 19 Abs. 4 GG als auch Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG das Gebot ableiten, die Rechtsfragen der Hauptsache im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu prüfen und der Entscheidung zugrunde zu legen. Folglich ist die Stellung der materiellen Rechtslage als obligatorisches Prüfungs- und Entscheidungskriterium auch für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren verfassungsrechtlich vorgegeben.95 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1377. Vgl. oben § 3 II. 3. a). 95 Unter Herleitung aus Art. 19 Abs. 4 GG ebenso Finkelnburg / Jank, Rn. 48; Jakobs, VBlBW 1990, 446; Müller, S. 43; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1575 (sowie ebenda, 93 94

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen? I. Ausgangslage Die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung zur Bedeutung des materiellen Rechts für die Prüfung und Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes machen eine Auseinandersetzung mit der in weiten Teilen der Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung erforderlich, wonach das Gericht seine Entscheidung aufgrund Interessenabwägung zu treffen habe.96 Die auf Abwägung basierenden Lösungsansätze sind darauf hin zu begutachten, ob sie den unter § 4 III. für die rechtliche Prüfung im Eilverfahren herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Prämissen gerecht werden. In Auslegung der Vorschriften der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO handhaben Lehre und Praxis die Problematik der Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen ebenso differenziert wie uneinheitlich. Hierbei werden nicht nur Unterscheidungen nach den verschiedenen Systemen des Eilrechtsschutzes vorgenommen, sondern der materiellrechtlichen Prüfung auch innerhalb desselben Rechtsschutzsystems je nach Fallkonstellation ein anderer Stellenwert zugebilligt. Die Spannweite der möglichen Lösungen begrenzen zwei Extrempositionen in Gestalt der „offenen Eilentscheidung“ und der „materiell-akzessorischen Entscheidung“. Diese sollen in ihren wesentlichen Grundzügen unter II. der weiteren Betrachtung vorangestellt werden. Unter III. werden sodann die für die verschiedenen Formen des verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes vertretenen Lösungsvorschläge im Hinblick auf die Stellung der materiellen Rechtslage skizziert. Es folgt unter IV. die Beurteilung der Abwägungsmodelle insbesondere am Maßstab der unter § 4 III. für die Klärung von Rechtsfragen im einstweiligen Rechtsschutz festgestellten Vorgaben des Grundgesetzes sowie weiterer verfassungsrechtlicher Prämissen.

II. „Offener“ versus „materiell-akzessorischer“ Grundtypus der Entscheidung Die für die einzelnen Systeme des einstweiligen Rechtsschutzes im Verwaltungsprozess vertretenen Auffassungen bewegen sich innerhalb eines durch zwei konträre Grundmodelle der Entscheidungsfindung abgesteckten Rahmens, wobei diesen Modellen jeweils ein unterschiedliches Verständnis von der Funktion des Eilverfahrens zugrunde liegt. S. 1586 implizit aus Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG); für einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG Huber, S. 76 f.; im Ergebnis auch Minnerop, S. 52 f. 96 Zu den verschiedenen Ansichten und Lösungsvorschlägen s. unten III.

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Den ersten Grundtypus bildet die sog. offene Eilentscheidung, bei der die materielle Rechtslage grundsätzlich außer Betracht bleibt und lediglich eine Folgenabwägung anhand einer doppelten Hypothese vorgenommen wird.97 Demnach werden die Folgen, die einträten, wenn der Eilantrag abgelehnt würde, die Hauptsache aber Erfolg hätte, mit den Nachteilen abgewogen, die entstünden, wenn dem Eilantrag stattgegeben würde, die Hauptsache aber erfolglos bliebe. Dieses Modell rückt nicht die Rechtsschutzfunktion des Eilverfahrens, sondern das Merkmal der Vorläufigkeit und Eiligkeit in den Vordergrund.98 Es koppelt folglich zumindest seiner theoretischen Grundkonzeption nach im Eilverfahren das materielle Recht vom Prozessrecht ab und zieht damit die durch das subjektive Recht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsverwirklichung vermittelte Verbindungslinie zum Hauptsacheverfahren nicht.99 Der einstweilige Rechtsschutz hat in Bezug auf das subjektive Recht keine Befriedungsfunktion, sondern dient lediglich der Überbrückung des Zeitraums bis zur Hauptsacheentscheidung. Eine vorgängige, zumindest vorläufige Feststellung der materiellen Rechtslage wird im Eilverfahren demzufolge nicht für erforderlich gehalten. Im Unterschied hierzu stellt der zweite Grundtypus, die sog. materiell-akzessorische Entscheidung,100 eine Konsequenz aus dem unter § 4 gefundenen Ergebnis zur Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes dar. Nach diesem Modell ist eine Entscheidungsfindung in enger Anlehnung an die für die Hauptsache maßgebliche materielle Rechtslage gefordert. Das Postulat eines materiellrechtlichen Prüfungsund Entscheidungsmaßstabs ergibt sich aus dem zugrunde gelegten funktionalen Zusammenhang zwischen dem subjektiven Recht und dem auf dessen Durchsetzung ausgerichteten Prozessrecht. Mit der Anerkennung einer Befriedungsfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes, der ebenfalls einer zumindest vorläufigen Verwirklichung des subjektiven Rechts dient, ist notwendigerweise eine dieser Verwirklichung vorausgehende (vorläufige) Feststellung der geltend gemachten Rechtsposition verbunden.

97 Vgl. Leipold, S. 53 f.; zur Entwicklung des Modells in der Entscheidungspraxis des BVerfG zu § 32 BVerfGG s. auch Berkemann, JZ 1993, 161 (163 ff.). 98 Vgl. Leipold, S. 53. 99 Vgl. Berkemann, JZ 1993, 161 (163). 100 Vgl. hierzu insbesondere Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1586; Berkemann, JZ 1993, 161 (162).

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

III. Das Verhältnis von Abwägung und Rechtsprüfung bei den einzelnen Systemen verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes: Lösungsvorschläge Unter Berücksichtigung der Fragestellung, ob die Rechtsfragen der Hauptsache einer Klärung zuzuführen sind, stellen sich die für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren vorgeschlagenen Lösungen in ihren Grundzügen wie folgt dar: 1. BVerfG: Wahlweise Entscheidung aufgrund Erfolgsprognose oder Abwägung Der Rechtsprechung des BVerfG sind keine einheitlichen und eindeutigen Vorgaben für den Maßstab der Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu entnehmen. Zwar geht das BVerfG grundsätzlich sowohl bei § 80 Abs. 5 VwGO als auch bei § 123 Abs. 1 VwGO davon aus, das Gericht habe im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes seine Entscheidung aufgrund Interessenabwägung zu treffen.101 Dennoch verlangt das BVerfG auch, dass im Rahmen der Interessenabwägung bereits überschaubare Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens einzubeziehen und zu berücksichtigen seien;102 an anderer Stelle hält es eine solche Mitberücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zumindest für möglich103 bzw. für von Verfassungs wegen regelmäßig nicht zu beanstanden.104 Bei § 123 Abs. 1 VwGO wird trotz der befürworteten Grundstruktur als Abwägungsentscheidung gefordert bzw. die Forderung für unbedenklich erachtet, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht.105 Letztgenannte Rechtsprechungsbeispiele deuten auf eine kombinierte Lösung aus den beiden unter II. dargestellten Grundmodellen hin, bei der die Eilentscheidung im Grundsatz auf Abwägung beruht, die Erfolgsprognose allerdings als einer von mehreren Belangen in die Abwägung einbezogen wird.106 So hält das BVerfG die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten für ein „wesentliches Element der Interessenabwägung“ und hat keine Einwände dagegen, den Erfolgsaussichten im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO eine gewichtige Bedeutung und den Belangen des Betroffenen regelmäßig ein geringeres Gewicht beizumessen, wenn die angegriffene Entscheidung offensichtlich rechtmäßig erscheint.107 Vgl. BVerfGE 51, 268 (280, 286); BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218). Vgl. BVerfGE 51, 268 (280); BVerfG NVwZ 1996, 58 (60). 103 Vgl. BVerfGE 38, 52 (60); BVerfG NVwZ 1996, 58 (59). 104 Vgl. BVerfG NVwZ 1982, 241; NVwZ-RR 1999, 217 (218). 105 Vgl. BVerfGE 51, 268 (280); 79, 69 (74); BVerfG NVwZ 2002, 1230 (1232). 106 Ein „Bestandteil der Abwägung“ bleibt die Erfolgsprognose nach BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218) auch dann, wenn von Verfassungs wegen eine umfassendere rechtliche Prüfung des Hauptsacheanspruchs geboten sein soll. 107 Vgl. BVerfG NVwZ 1996, 58 (60). 101 102

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An anderer Stelle gestattet das BVerfG demgegenüber, die Eilentscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern (nur) an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache auszurichten.108 Bei dieser Vorgehensweise bildet die Erfolgsprognose somit nicht lediglich einen Abwägungsbelang, sondern stellt selbst das maßgebliche Entscheidungskriterium dar. Beide Lösungsmodelle, das abwägungsorientierte wie das materiell-akzessorische, stehen demnach in einem Alternativverhältnis zueinander.109 Besonderes Augenmerk verdient schließlich die Konsequenz, welche das BVerfG in Abhängigkeit von der zur Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeit für den Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab zieht. So hat das Gericht zunächst die Anforderungen an die Prüfungsintensität dergestalt verschärft, dass auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren unter bestimmten Umständen eine umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage bzw. eine eingehendere rechtliche Prüfung des Anspruchs in der Hauptsache gefordert sein kann. Dies soll dann der Fall sein, wenn die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt,110 wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Grundrechtsverletzung droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann111 oder wenn das Eilverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht112 bzw. eine Vorverlagerung des Rechtsschutzes in das Eilverfahren stattfindet.113 In diesem Punkt hat die Rechtsprechung des BVerfG auch bei Befürwortern des materiell-akzessorischen Modells Zustimmung gefunden.114 Dennoch hält das BVerfG die durch eine intensivere Rechtsprüfung, welche z. B. auch die Verfassungsmäßigkeit und Möglichkeiten verfassungskonformer Auslegung der entscheidungserheblichen Normen umfasst, entstehenden Belastungen der Gerichte nicht für unzumutbar. Vielmehr könnten die Gerichte, sollten sie eine vertiefende Behandlung von Rechtsfragen wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit für untunlich halten, ihre Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache treffen.115 Demzufolge erachtet das BVerfG je nach Schwere der drohenden Vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237). Vgl. die Formulierung in BVerfG NVwZ 1997, 479 (480) und NJW 2003, 1236 (1237): „wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache ausrichten“. 110 Vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237). 111 Vgl. BVerfGE 79, 69 (75); 93, 1 (13 f.); 94, 166 (216). 112 Vgl. BVerfGE 69, 315 (363 f.); BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218). 113 Vgl. BVerfGE 67, 43 (62); 89, 113 (117); BVerfG, Beschl. v. 17. 06. 1998 – 1 BvR 2386 / 94. 114 So etwa bei Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 285; § 123, Rn. 122. 115 Vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237). 108 109

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Rechtsverletzung bzw. bei faktischer Hauptsachefunktion des Eilverfahrens einerseits zwar eine besonders intensive rechtliche Prüfung für erforderlich, erklärt diese andererseits bei Zeitmangel wiederum für völlig entbehrlich und lässt dann eine offene Eilentscheidung zu.

2. Das Stufenmodell der h. M. zu §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO Der gerichtliche einstweilige Rechtsschutz in Anfechtungsfällen ist in besonderem Maße dadurch gekennzeichnet, dass das Gesetz selbst, im Unterschied etwa zur behördlichen Entscheidung über die Anordnung oder Aussetzung der sofortigen Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 4 VwGO), keine Aussage zum Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab trifft. § 80 Abs. 5 VwGO lässt – jedenfalls bei isolierter Betrachtung des Normtatbestands ohne Einbeziehung des unter §§ 3 und 4 entwickelten verfassungsrechtlichen Kontextes – die maßgeblichen Entscheidungskriterien offen. In Auslegung dieser Vorschrift haben Rechtsprechung und Literatur Lösungsvorschläge entwickelt, die zwar auf Interessenabwägung basieren, jedoch nicht dem Typus der offenen Eilentscheidung in reiner Form entsprechen, sondern auch materiell-akzessorische Elemente einbeziehen und insofern beide an sich konträren Grundtypen der Prüfung im Eilverfahren zu kombinieren suchen. Bei solchen Kombinationslösungen stellt sich – abgesehen von der Problematik der Prüfungsintensität und der Gewichtung des Ergebnisses der materiellrechtlichen Prüfung – im Hinblick auf die Struktur der Abwägung unweigerlich die Frage, welche Stellung die Klärung der Rechtsfragen einnimmt, ob sie in einem Stufenverhältnis der „eigentlichen“ Interessenabwägung vorangestellt werden oder von vornherein nur ein Element einer umfassenden Abwägung bilden soll.116 Als h. M. hat sich hierbei eine kombinierte Lösung aus materiell-akzessorischer Entscheidung und reiner Abwägungsentscheidung herauskristallisiert, die im Grundsatz als Stufenmodell konstruiert ist. Zur Entscheidungsfindung werden demnach zuerst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache geprüft. Je nach Erkennbarkeit und Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs bestimmt sich sodann, wie im Folgenden dargestellt, ob zusätzlich eine umfassende Interessenabwägung stattfindet und, falls ja, welches Gewicht dem Ergebnis der Erfolgsprognose im Rahmen der Abwägung zukommt. Vorab ist ergänzend anzumerken, dass die Lösungsvorschläge nicht nur nach dem Beurteilungsgrad hinsichtlich der Erfolgsaussichten differenzieren, sondern darüber hinaus im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab der Erfolgsprognose Divergenzen aufweisen. So wird teilweise auf die Aussichten des Rechtsbehelfs allgemein117 bzw. explizit auf diejenigen von Widerspruch oder Anfechtungsklage 116 117

Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1578 ff. So etwa Pöcker, S. 103 ff.; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (821 ff.).

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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als Bezugsobjekt abgestellt.118 Z. T. wird dagegen unabhängig vom Verfahrensstadium nur der voraussichtliche Erfolg einer Klage für maßgeblich gehalten.119 Unabhängig von der Frage des maßgeblichen Rechtsbehelf ergeben sich ferner Unterschiede im Prüfungsmaßstab dadurch, dass nicht stets auf einen „Erfolg“, der im Falle einer Klage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO die Rechtwidrigkeit des Verwaltungsakts und eine Rechtsverletzung des Klägers / Antragstellers verlangt, sondern z. T. nur auf die Frage der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts abgestellt wird.120 Auf diese terminologischen Differenzen wird im Zusammenhang mit der Beurteilung der Abwägungslösungen einzugehen sein.121 Im Folgenden soll zunächst die Stufenlösung in Orientierung an der Differenzierung nach dem Ergebnis der Hauptsacheprognose dargestellt werden. a) Erfolgsprognose als maßgebliches Entscheidungskriterium Erstes Entscheidungskriterium bilden nach dem gestuften Abwägungsmodell der h. M. die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs. Hierbei wird die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz in bestimmten Fällen bereits durch diese Prognose vorgezeichnet. Wann eine Entscheidung allein aufgrund der Erfolgsprognose und damit ohne darüber hinausgehende Interessenabwägung ergehen soll, hängt nach dem Stufenmodell von unterschiedlichen Beurteilungsgraden im Hinblick auf die Aussichten in der Hauptsache ab. aa) „Offensichtlichkeit“ in Fällen behördlicher Vollziehungsanordnung Einen solchen Anknüpfungspunkt bildet insbesondere in den Fällen vorangegangener behördlicher Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die Offensichtlichkeit der Erfolgsaussichten: Zeigt sich also bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolgreich sein wird oder umgekehrt offensichtlich aussichtslos ist, bestimmt dies das Ergebnis der Eilentscheidung vor. 118 So etwa Eyermann / Happ, § 80, Rn. 73 und Finkelnburg / Jank, Rn. 855, die gleichwohl als Maßstab der Erfolgsprognose nur § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO und nicht auch § 68 VwGO heranziehen; im Ergebnis ebenfalls auf das Verfahrensstadium abstellend Pietzner / Ronellenfitsch, § 58, Rn. 21. 119 So etwa Brühl, JuS 1995, 722 (725); Kopp / Schenke, § 80, Rn. 158; Timmler, S. 54 f., 140; Ule, Verwaltungsprozessrecht, S. 373 f. Im Ergebnis auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1595. 120 Letzteres gilt insbesondere für die nachfolgend unter a) bb) dargestellten Konstellationen. 121 s. unten IV. 3. b).

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Wie nachfolgend aufgezeigt, wird zwar häufig als Entscheidungskriterium auf die „Offensichtlichkeit“ des Erfolgs oder Misserfolgs in der Hauptsache zurückgegriffen. Deutlich seltener finden sich Inhaltsbestimmungen dieses Begriffs, der vielfach als gegeben vorausgesetzt wird. Sofern Aussagen dahingehend vorliegen, wird zum einen lediglich auf einen sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrad hinsichtlich der Erfolgsprognose abgestellt.122 Zum anderen wird darüber hinaus – insoweit nicht an den Beurteilungsgrad, sondern an die Prüfungsintensität anknüpfend – gefordert, dass die Sach- und Rechtslage offen zutage liegt und eine weitere Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung bzw. vertiefte Prüfung nicht erforderlich ist, andernfalls von Offensichtlichkeit nicht gesprochen werden könne.123 Demnach soll die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen bzw. wiederherzustellen sein, falls sich der eingelegte Rechtsbehelf nach Einschätzung des Gerichts als offensichtlich erfolgreich darstellt. Dies wird teilweise damit begründet, in diesem Falle überwiege das Suspensivinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollzugsinteresse.124 Andere stellen darauf ab, bei offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakten bestehe schon von vornherein kein Vollzugsinteresse125 bzw. die Vollziehung sei mit Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar.126 Eine andere Meinung kommt in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei positiver Erfolgsprognose ebenfalls zum Ergebnis, ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung sei zu verneinen. Allerdings erfolgt hier kein Rückgriff auf den Beurteilungsgrad der „Offensichtlichkeit“, sondern das fehlende Vollzugsinteresse wird dann verneint, wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts „ersichtlich“ sei127 bzw. die Klage „voraussichtlich Erfolg hätte“.128 Zeigt sich umgekehrt bei Prüfung der Aussichten in der Hauptsache, dass diese offensichtlich erfolglos bleiben wird, so soll nach einer Auffassung der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ebenfalls ohne weiteren Abwägungsprozess abgelehnt werden, wobei wiederum entweder angeführt wird, in diesem Fall überwiege das öffentliche Vollzugsinteresse,129 oder aber bereits kein schutzwürdiges Suspensiv122 Vgl. VGH Kassel, DÖV 1986, 79 (80): „kein rechtlich vernünftiger Zweifel“; Erichsen, Jura 1984, 478 (487): „Ergebnis mit Sicherheit vorhersehbar“. 123 So Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 74; Limberger, S. 46, 204 f.; Lüke, NJW 1978, 81 (85); Pöcker, S. 106. 124 Vgl. BVerwG DVBl. 1974, 566; OVG Lüneburg, NVwZ 1997, 407; Pöcker, S. 105. 125 Vgl. OVG Greifswald, ZBR 1999, 390; Kopp / Schenke, § 80, Rn. 159; Kuhla / Hüttenbrink, Rn. J 129; Limberger, S. 46; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 49; Schmitt Glaeser / Horn, Rn. 282; G. Scholz, Menger-FS, S. 641 (652); Schuy, S. 30; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (826); Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 159 (als Regelfall); Timmler, S. 137; Ule, GewArch 1978, 71 (77); ders., Verwaltungsprozessrecht, S. 373. 126 So VGH Kassel, NVwZ 1993, 1009. 127 So BVerwG v. 10. 03. 1989 – 1 ER 302 / 89. 128 So BVerwG, NJW 1993, 3213; NJW 1995, 2505. 129 Vgl. BVerwG DVBl. 1974, 566; NVwZ 1982, 241; OVG Münster, NWVBl. 1997, 106 (107); Schmitt Glaeser / Horn, Rn. 282; Timmler, S. 137; Ule, Verwaltungsprozessrecht,

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interesse des Betroffenen gesehen wird.130 Die Schlussfolgerung, der Antrag sei abzulehnen, ist jedoch umstritten. So lässt die Gegenansicht in den Fällen vorangegangener behördlicher Anordnung der sofortigen Vollziehung auch bei offensichtlich erfolglosem Rechtsbehelf eine Entscheidung nur aufgrund dieser Prognose nicht genügen, sondern fordert unter Berufung auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zusätzlich ein besonderes, nicht allein mit der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründbares öffentliches Vollzugsinteresse.131 Ein erfolgloser Rechtsbehelf ist demnach zwar notwendige, nicht aber schon hinreichende Bedingung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung.

bb) „Ernstliche Zweifel“ in Fällen gesetzlich ausgeschlossenen Suspensiveffekts Bei kraft Gesetzes ausgeschlossenem Suspensiveffekt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO) soll die Eilentscheidung materiellrechtlich determiniert sein, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Hier bildet somit nicht die (hinsichtlich des Beurteilungsgrads strengere) Offensichtlichkeit des Verfahrensausgangs in der Hauptsache den Maßstab, sondern dieser wird in Anknüpfung an § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO gewonnen, der seinem Wortlaut nach nur für die behördliche Aussetzung gilt. Die entsprechende Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO auf das gerichtliche Verfahren ist bei auf die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten gerichteten Verwaltungsakten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) anerkannt132. Im Hinblick auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 VwGO ist hingegen umstritten, ob § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO eine Sonderregelung für Abgaben- und Kostenbescheide darstellt133 oder darüber hinaus auch auf den gerichtlichen Rechtsschutz in den anderen Fällen gesetzlich ausgeschlossenen Suspensiveffekts entsprechend anwendbar ist.134 S. 373. Nach BVerfG NVwZ 1996, 58 (60) ist es nicht zu beanstanden, den Belangen des Antragstellers bei offensichtlicher Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ein geringeres Gewicht beizumessen. Für eine Gleichbehandlung mit den Fällen offensichtlichen Erfolgs des Rechtsbehelfs auch Pöcker, S. 107 f. 130 Vgl. Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 74; Schuy, S. 36. 131 Vgl. BVerfG NVwZ 1987, 403; VGH Kassel, NVwZ 1985, 918; OVG Schleswig, NVwZ 1992, 687 f.; VGH Mannheim, VBlBW 1997, 390; Finkelnburg / Jank, Rn. 859 ff.; Kopp / Schenke, § 80, Rn. 159; Limberger, S. 49; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 49; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 254; G. Scholz, Menger-FS, S. 641 (652); Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 158. 132 Vgl. BVerwG BayVBl. 1982, 442; OVG Münster, DVBl. 1993, 564; Brühl, JuS 1995, 722 (724); Kopp / Schenke, § 80, Rn. 116, 157; Timmler, S. 69. 133 So Kopp / Schenke, § 80, Rn. 116, 157; Leipold, S. 206; Limberger, S. 160 f., anders offenbar S. 155. 134 So Baur, S. 21 f.; Brühl, JuS 1995, 722 (724); Renck, NVwZ 1992, 338 (339); Schmitt Glaeser / Horn, Rn. 276, die sogar eine Anwendung auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO 4 Windoffer

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Zur Bestimmung dessen, was unter „ernstlichen Zweifeln“ zu verstehen ist, wird auf den Beurteilungsgrad der Wahrscheinlichkeit zurückgegriffen. Dieser liegt niedriger als derjenige der unter aa) behandelten Offenkundigkeit, die vom Maßstab der „ernstlichen Zweifel“ jedenfalls mit umfasst ist. Unterhalb dieser Schwelle besteht wiederum Uneinigkeit darüber, ob zu fordern ist, dass ein Erfolg des eingelegten Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg135 oder ob es genügt, dass ein Obsiegen in der Hauptsache mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen.136 Für den Fall, dass ernstliche Zweifel an der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu bejahen sind, ist nach einer Auffassung die aufschiebende Wirkung zwingend anzuordnen.137 Dies entspricht dem Meinungsstand zu § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei offensichtlich erfolgreicher Hauptsacheprognose.138 Die Gegenansicht will diese Schlussfolgerung nicht automatisch ziehen, sondern hält auch bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eine Ablehnung des Eilantrags für möglich. Zur Begründung wird – eher formal – die Eigenschaft des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO als Sollvorschrift angeführt oder – insofern grundsätzlicher – der Charakter als Entscheidung aufgrund Interessenabwägung herausgestellt, in dessen Rahmen die „ernstlichen Zweifel“ zwar typischerweise, aber nicht in jedem Fall geeignet seien, das Vollzugsinteresse zu überwiegen.139 Bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, so dass dem Eilantrag nicht aufgrund positiver Erfolgsprognose im Hinblick auf die Hauptsache stattgegeben werden kann, so ist umstritten, ob der zweite in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO genannte Aussetzungsgrund der „unbilligen Härte“ unabhängig von den Erfolgsaussichten bei überwiegendem Interesse des Antragstellers zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung führen kann140 oder nicht. Die Vertreter der Auffassung, wonach auch hier die Erfolgsprognose eine Rolle spiele, halten eine stattgebende Eilentscheidung zum Teil erst dann für ausgeschlossen, wenn ein Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtbefürworten, vgl. Rn. 282; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 204; Schuy, S. 28; Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 109; Timmler, S. 93 ff. 135 So OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 54 und NVwZ-RR 1994, 617; Finkelnburg / Jank, Rn. 852; Renck, NVwZ 1992, 338 (339); Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 144; Ule, Verwaltungsprozessrecht, S. 372. 136 So BVerwG BayVBl. 1982, 442; Brühl, JuS 1995, 722 (724); Erichsen, Jura 1984, 478 (485); Kopp / Schenke, § 80, Rn. 116; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 36; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 195 ff.; G. Scholz, Menger-FS, S. 641 (652); Nach Leipold, S. 202, soll sogar bereits die Möglichkeit der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ausreichen. 137 Vgl. Finkelnburg / Jank, Rn. 852; Leipold, S. 200 (für § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO); Renck, NVwZ 1992, 338 (339). 138 Vgl. oben aa). 139 Vgl. Timmler, S. 80 ff. m. w. N. 140 So Leipold, S. 204 f.; Pietzner / Ronellenfitsch, § 56, Rn. 11; im Ergebnis ebenso Finkelnburg / Jank, Rn. 854, die auch bei offensichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakten ausnahmsweise eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung für möglich halten.

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lich ist,141 zum Teil auch schon bei einem niedrigeren Wahrscheinlichkeitsgrad des Unterliegens.142 b) Erfolgsaussichten als Abwägungsbelang Stellen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache weniger deutlich dar, d. h. können im unter a) genannten Sinne weder die Offenkundigkeit des Obsiegens bzw. Unterliegens noch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit bejaht werden, zeichnet die materielle Rechtslage nach dem Stufenmodell das Ergebnis im Eilverfahren nicht vor. Die Entscheidungsfindung erfolgt dann aufgrund umfassender Interessenabwägung, was in zweipoligen Verhältnissen bedeutet, dass das Suspensivinteresse des Antragstellers gegen das öffentliche Vollziehungsinteresse abgewogen wird.143 Ob und inwieweit die Gesetzessystematik des § 80 Abs. 1 und 2 VwGO und darüber hinaus ggf. weitere Vorschriften des Verfahrensrechts oder des materiellen Rechts gesetzgeberische „Vorentscheidungen“ enthalten, die entweder bereits von vornherein oder zumindest bei Gleichgewichtigkeit der widerstreitenden Interessen die Vermutung eines Vorrangs zugunsten des Vollziehungs- oder des Aufschubinteresses beinhalten, ist umstritten, bedarf jedoch an dieser Stelle noch keiner Erörterung,144 da vorliegend zunächst lediglich die Auffassungen zur Stellung der materiellrechtlichen Prüfung im Rahmen des Eilverfahrens wiedergegeben werden sollen. Hierzu ist auszuführen, dass auch in den Fällen, die eine nur weniger deutliche Erfolgsprognose zulassen, die Aussichten in der Hauptsache nicht völlig außer Betracht bleiben. Vielmehr sind sie, soweit erkennbar, in die Abwägung mit einzubeziehen.145 Sie bilden somit im Rahmen der Abwägung einen Abwägungsbelang unter anderen und zwar dergestalt, dass Anhaltspunkte für einen Erfolg bzw. Misserfolg des Rechtsbehelfs dem Suspensivinteresse des Antragstellers ein jeweils stärkeres bzw. schwächeres Gewicht verleihen können, auch wenn der Wahrscheinlichkeitsgrad die Schwelle der Offensichtlichkeit bzw. ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht erreicht. So Timmler, S. 86 f. Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1304: „keine ernstlichen Zweifel“. Dieser Auslegung zufolge hätte, worauf Schoch zu Recht hinweist, der Aussetzungsgrund der „unbilligen Härte“ keinen eigenständigen praktischen Anwendungsbereich. Zudem wäre die Eilentscheidung dann bei gesetzlich ausgeschlossenem Suspensiveffekt in jedem Fall materiellrechtlich determiniert. 143 Zur Begründung eines überwiegenden Vollziehungsinteresses werden in der Praxis je nach Aufgabenbereich und konkreter Situation eine Vielzahl von Interessen herangezogen, von deren Wiedergabe hier abgesehen wird; vgl. dazu beispielhaft die Aufzählungen bei Finkelnburg / Jank, Rn. 737 ff. und Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 21 ff. 144 Vgl. hierzu unten IV. 3. c). 145 Vgl. BVerfGE 51, 268 (280); Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 75; Finkelnburg / Jank, Rn. 864. 141 142

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

c) Entscheidung ohne Berücksichtigung der materiellen Rechtslage Während bei a) die Erfolgsprognose die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich vorbestimmt, bildet sie in den unter b) genannten Situationen eines von mehreren Kriterien im Rahmen einer Abwägung sämtlicher für und gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitender Belange. In beiden Fallgruppen stellt somit die materielle Rechtslage, jeweils in Anknüpfung an die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs des Rechtsbehelfs, ein mehr oder weniger einflussreiches Entscheidungskriterium dar und erweitert bzw. verengt dem gemäß den für eine darüber hinausgehende Interessenabwägung verbleibenden Spielraum. Unter bestimmten Voraussetzungen soll eine Entscheidung im Eilverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nach Rechtsprechung und Literatur auch vollständig ohne Berücksichtigung der Rechtsfragen der Hauptsache möglich sein. Wie bereits unter 1. ausgeführt, lässt das BVerfG in Konstellationen, die eigentlich eine vertiefende Rechtsprüfung bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erforderten, die offene Eilentscheidung aufgrund Folgenabwägung zu, wenn die Gerichte diese eingehendere rechtliche Prüfung wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit für untunlich halten.146 Bei Zeitmangel ist die Klärung von Rechtsfragen im Eilverfahren nach dieser Auffassung somit entbehrlich. In gleichem Sinne, jedoch ohne explizit auf die zur Verfügung stehende Zeit abzustellen, wird speziell für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit gesehen, eine Entscheidung ohne Berücksichtigung der materiellen Rechtslage zu treffen. Dies soll dann der Fall sein, wenn keine Aussage über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs getroffen werden kann, sich letztere mithin mangels hinreichender Anhaltspunkte für ein Obsiegen oder Unterliegen in der Hauptsache als völlig offen darstellen. Es handelt sich im Prinzip um die Restkategorie derjenigen Fälle, die mit Blick auf die Erfolgsprognose nicht unter a) oder b) fallen. Hierzu werden diejenigen Verfahren gezählt, in denen schwierige, einer vorläufigen Klärung unzugängliche Rechtsfragen zu beantworten, der Sachverhalt weiter aufzuklären oder die Erfolgsaussichten nur nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beurteilen seien.147 Zum Teil wird auch darauf abgestellt, ob eine weitere Aufklärung den „Charakter der Vorläufigkeit“ des Rechtsschutzes sprengen würde.148 Die Konsequenz bei noch gänzlich offenem Ausgang der Hauptsache ist demnach, dass die Entscheidungsfindung im Eilverfahren rein aufgrund Interessenabwägung erfolgt,149 wobei diesmal die Erfolgsaussichten als Abwägungsbelang wegfallen und somit auf das Abwägungsergebnis nicht von Einfluss sind. Vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237). Vgl. Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 77. 148 So Timmler, S. 134, 146. 149 Vgl. Brühl, JuS 1995, 722 (725); Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 77; Finkelnburg / Jank, Rn. 853; W. Martens, S. 33. 146 147

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d) Gesteigerte Bedeutung der Rechtsprüfung bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung? Eine uneinheitliche Beurteilung erfährt die Bedeutung der Rechtsprüfung bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung, für die über § 80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO die Abs. 5 bis 8 des § 80 VwGO entsprechende Anwendung finden. Eine Ansicht sieht bei Fällen mit Drittbetroffenheit hinsichtlich der Prüfung und Entscheidung keine Besonderheiten gegenüber zweipoligen Verhältnissen. Hier sollen demzufolge die gleichen inhaltlichen Maßstäbe zum Tragen kommen wie für § 80 Abs. 5 VwGO.150 Damit würde sich die Entscheidung nach den unter a) bis c) genannten Kriterien richten, wobei sich die erste Entscheidungsstufe151 danach bestimmen würde, ob die Verweisung in § 80 a Abs. 3 VwGO über § 80 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 VwGO zu § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder über § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO führt. Die Gegenansicht will das in erster Linie für bipolare Verwaltungsverhältnisse entwickelte gestufte Abwägungsmodell nicht unverändert auf Verwaltungsakte mit Doppelwirkung übertragen, sondern der Prüfung der materiellen Rechtslage eine stärkere Bedeutung beimessen. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass sich in Situationen mit Drittbetroffenheit zwei zwar nicht vergleichbare, aber prinzipiell gleichrangige, zumeist grundrechtlich geschützte Rechtspositionen gegenüberstehen, die beiden Berechtigten eine Berufung auf die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG ermöglichen152. Folglich hat die Entscheidung im Eilverfahren zwangsläufig zur Folge, dass entweder der vom Verwaltungsakt Begünstigte oder der nachteilig Betroffene vorläufig an der Ausübung seines evtl. bestehenden Rechts gehindert ist. Hieraus wird zum Teil gefolgert, dass in mehrpoligen Verhältnissen die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht nur zulässiger, sondern verfassungsrechtlich gebotener Bestandteil der Interessenabwägung im Rahmen von § 80 a Abs. 3 VwGO sei.153 Dies habe in der Praxis bereits vor Inkrafttreten des § 80 a VwGO dazu geführt, bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung häufiger bereits im Eilverfahren die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs zu prüfen und zum maßgeblichen Entscheidungskriterium zu machen.154 Die Stufung in der Abfolge des gerichtlichen Entscheidungsprozesses soll zugunsten eines einheitlichen, an der materiellen Rechtslage orientierten Prüfungsmaßstabs entfallen.155 Mit der gesteigerten 150 Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1993, 491 (492); Eyermann / J. Schmidt, § 80 a, Rn. 16; Kopp / Schenke, § 80 a, Rn. 23; Kuhla / Hüttenbrink, Rn. K 89. 151 s. oben a) aa) und bb). 152 Vgl. BVerfG GewArch 1985, 16; Redeker / von Oertzen, § 80 a, Rn. 9; Schoch / Schoch, § 80 a, Rn. 26 f.; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (823); Sodan / Ziekow / Puttler, § 80 a, Rn. 25. 153 Vgl. Sellner, Lerche-FS, S. 815 (831); für eine zwingende Prüfung der Erfolgsaussichten als „Maßstab der Abwägung“ auch Finkelnburg / Jank, Rn. 810, 836. 154 Vgl. Redeker / von Oertzen, § 80 a, Rn. 10; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (825). 155 Vgl. Redeker / von Oertzen, § 80 a, Rn. 10 f.; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (826 f.).

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Bedeutung der materiellen Rechtslage als Entscheidungsmaßstab verbindet sich auch die Forderung nach einer Intensivierung der Rechtsprüfung.156 Auch nach dieser Auffassung muss jedoch in bestimmten Situationen eine reine Abwägungsentscheidung getroffen werden. Dies soll der Fall sein, wenn die Prüfung der Erfolgsaussichten zu keinem hinreichenden Ergebnis führt, etwa weil eine weitere Aufklärung bzw. Einholung von Sachverständigengutachten notwendig wäre, diese aber den zeitlichen Rahmen überschreiten würde; für diese Fälle wird eine Entscheidung aufgrund Interessenabwägung157 oder eine Folgenabwägung wie im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren,158 d. h. eine offene Eilentscheidung befürwortet. Letztgenannte Konsequenz vermeidet eine noch weitergehende Ansicht, die in den Fällen der §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO eine auf Abwägung basierende Entscheidung grundsätzlich ablehnt und konsequent das materiell-akzessorische Modell anwendet.159 Hier bilden die Erfolgsaussichten im Unterschied zur vorstehend genannten Auffassung nicht nur im Regelfall, sondern stets das (allein) maßgebliche Prüfungs- und Entscheidungskriterium. Die den anderen Auffassungen trotz unterschiedlicher Bedeutung der materiellrechtlichen Prüfung zugrunde liegende Eigenschaft als Abwägungsentscheidung wird auf diese Weise vollständig aufgegeben.

3. Die Rechtsprüfung bei einstweiligen Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO Hinsichtlich der Prüfung der materiellen Rechtslage im einstweiligen Anordnungsverfahren gemäß § 123 Abs. 1 VwGO werden zwei unterschiedliche Grundmodelle vertreten: eine materiell-akzessorische und eine auf Abwägung basierende Lösung.

a) Materiell-akzessorische Lösung Nach der Auffassung, die dem materiell-akzessorischen Modell folgt, hängt der Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO vom Vorliegen sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes ab.160 Die Vgl. Mampel, DVBl. 1997, 1155 (1156 f.); Sellner, Lerche-FS, S. 815 (824, 826 f.). So Redeker / von Oertzen, § 80 a, Rn. 11. Ebenso, allerdings bereits bei fehlender Offenkundigkeit eines Erfolgs bzw. Misserfolgs des Rechtsbehelfs Finkelnburg / Jank, Rn. 810. 158 So Sellner, Lerche-FS, S. 815 (827). 159 Vgl. Schoch / Schoch, § 80 a, Rn. 27, 62; Uechtritz, BauR 1992, 1 (5). 160 Vgl. Eyermann / Happ, § 123, Rn. 45; Finkelnburg / Jank, Rn. 143 m. w. N.; Kopp / Schenke, § 123, Rn. 23; Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 12. 156 157

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entscheidend auf diese beiden Voraussetzungen abstellende Lösungskonzeption stützt sich zunächst auf die Tatbestände der § 123 Abs. 1 Satz 1 bzw. Satz 2 VwGO; und da letztere den Vorschriften der §§ 935, 940 ZPO nachgebildet sind, knüpft sie zugleich an die zu den zivilprozessualen einstweiligen Verfügungen entwickelte Dogmatik an.161 Beim Anordnungsanspruch, der im Eilverfahren zu sichern bzw. hinsichtlich dessen eine Regelung zu treffen ist, handelt es sich um die im Hauptsacheverfahren durchzusetzende Rechtsposition, also das „Recht“ (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) bzw. „streitige Rechtsverhältnis“ (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Den Anordnungsgrund bildet das besondere Dringlichkeitsinteresse, welches in § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch die Vorgabe einer Gefahr für die Rechtsverwirklichung und in § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheinen muss. Sind die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt und damit Anordnungsanspruch sowie Anordnungsgrund gegeben, so ist der Antrag begründet und die einstweilige Anordnung ohne eine darüber hinausgehende Interessenabwägung zu erlassen.162 Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs findet daher eine lediglich an der materiellen Rechtslage orientierte Prüfung der für die Hauptsache maßgeblichen Rechtsposition statt. Da das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 123 Abs. 1 VwGO überwiegend von der – in erster Linie die Prüfungsintensität betreffenden und daher im Rahmen des 1. Teils der Untersuchung noch nicht zu erörternden – „Glaubhaftmachung“ des Anordnungsanspruchs und -grundes selber bzw. der diese begründenden Tatsachen abhängen soll,163 müssen für den Antragsteller überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen.164 Kann eine solche positive Erfolgsprognose nicht getroffen werden, weil sich die Aussichten in der Hauptsache ungünstiger oder als noch völlig offen darstellen, so lässt sich nach dem materiell-akzessorischen Lösungsmodell das Fehlen des Tatbestandsmerkmals „Anordnungsanspruch“ nicht über eine Interessenabwägung kompensieren; der Antrag ist folglich abzulehnen.165 In gleichem Sinne gilt umgekehrt, dass 161 Zu den Voraussetzungen einstweiliger Verfügungen im Zivilprozess vgl. etwa Zöller / Vollkommer, § 935, Rn. 6 ff.; § 940, Rn. 2 ff. 162 Vgl. Franzke, NWVBl. 1993, 321 (323); Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48; Finkelnburg / Jank, Rn. 163; Kopp / Schenke, § 123, Rn. 23; Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 18; Redeker / von Oertzen, § 123, Rn. 17; Schoch / Schoch, § 123, Rn. 65. 163 s. hierzu unten § 6 I. 2. 164 Vgl. OVG Schleswig, DVBl. 1993, 66; VGH Mannheim, VGHBW-Ls 1995, Beilage 9, B 3; Erichsen, Jura 1984, 644 (650); Kopp / Schenke, § 123, Rn. 25; Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 19 m. w. N.; anders für die Sicherungsanordnung Schoch / Schoch, § 123, Rn. 70, wonach ein Erfolg lediglich mindestens ebenso wahrscheinlich sein muss wie ein Misserfolg. 165 Vgl. im Ergebnis BVerwG NVwZ 1996, 393. Anders Kopp / Schenke, § 123, Rn. 25 m. w. N., demnach die einstweilige Anordnung auch bei offensichtlich erfolgloser Hauptsache nur „i.d.R.“ abzulehnen sein soll. Inkonsequent auch Eyermann / Happ, § 123, Rn. 50 und Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 19, wonach bei Zeitmangel aufgrund einer reinen Interessenabwägung entschieden werden könne.

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

bei Vorliegen von Anordnungsanspruch und -grund der Erlass der einstweiligen Anordnung auch nicht unter Berufung auf überwiegende öffentliche oder private Interessen versagt werden kann.166

b) Abwägungslösung Nach der Gegenkonzeption ist auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO die Entscheidung aufgrund Interessenabwägung zu treffen, in deren Rahmen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache Berücksichtigung finden. Diese auf Abwägung basierende Entscheidungsfindung wird vom BVerfG befürwortet, wobei, wie bereits unter 1. dargestellt, das BVerfG davon ausgeht, dass die Erfolgsprognose einen Bestandteil und damit einen von mehreren Abwägungsbelangen bilde, und zwar auch dann, wenn eine umfassende Prüfung der für die Hauptsache relevanten Rechtsfragen geboten sei.167 Bei Zeitmangel wiederum soll in den Fällen, in denen eigentlich eine eingehendere Rechtsprüfung erforderlich sei, ein Ausweichen auf eine Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Hauptsacheaussichten möglich sein.168 Andere Vertreter der Abwägungslösung bei § 123 Abs. 1 VwGO beziehen die Erfolgsprognose ebenfalls in die Abwägung ein, messen ihr jedoch ähnlich wie die h. M. zu § 80 Abs. 5 VwGO169 ein je nach Fallkonstellation unterschiedliches Gewicht für die Entscheidung bei. Hierbei sollen nach einer etwas engeren Ansicht die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nur dann ausschlaggebend sein, wenn sie offensichtlich sind.170 Demnach ist bei offensichtlich begründeter Hauptsacheklage dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung ohne darüber hinausgehende Dringlichkeitsprüfung stattzugeben, während er bei offensichtlichem Misserfolg abzulehnen ist. Für die Annahme von „Offensichtlichkeit“ wird darauf abgestellt, dass der Sachverhalt geklärt und die Rechtslage eindeutig ist.171 Maßgeblich ist also, ob es einer weiteren Aufklärung in sachlicher und rechtlicher Hinsicht bedarf; schwierige Rechtsfragen schließen Offensichtlichkeit folglich aus.172 Stellen sich die Hauptsacheaussichten weniger eindeutig dar, so sind die betroffenen öffentlichen und privaten Interessen gegeneinander abzuwägen, wobei sowohl die Bedeu166 Eine hiervon zu trennende Frage ist, ob die Prüfung im Rahmen des Anordnungsgrundes Raum für eine Interessenabwägung lässt, wie dies zumindest für die Regelungsanordnung auch von Vertretern der materiell-akzessorischen Lösung bejaht wird, vgl. hierzu Finkelnburg / Jank, Rn. 156, 192 jew. m. w. N.; Schoch / Schoch, § 123, Rn. 65. 167 Vgl. BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218). 168 Vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237). 169 Vgl. oben 2. 170 Vgl. BVerwGE 33, 42 (44); 50, 124 (133 f.); 63, 110 (111 f.); BVerwG NVwZ 1988, 828. 171 OVG Koblenz, NVwZ-RR 1996, 521 (524). 172 Vgl. BVerwGE 50, 124 (133 f.).

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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tung und Dringlichkeit dieser Interessen berücksichtigt als auch die voraussichtlichen Folgen nach der Doppelhypothese abgewogen werden.173 Eine etwas weitergehende Bedeutung hat die Vorausbeurteilung der Hauptsache für diejenigen Befürworter der Abwägungslösung, die den Erlass oder die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung aufgrund der Erfolgsprognose auch dann zulassen, wenn der Beurteilungsgrad die Schwelle der Offensichtlichkeit nicht erreicht, sondern nur eine geringere Erfolgs- bzw. Misserfolgswahrscheinlichkeit vorliegt.174 Diese Auffassung hat zur Konsequenz, dass eine reine Interessen- bzw. Folgenabwägung erst bei völlig offenen Aussichten in der Hauptsache stattfindet.175 4. Die Rechtsprüfung bei einstweiligen Anordnungen nach § 47 Abs. 6 VwGO Die Vorschrift des § 47 Abs. 6 VwGO lehnt sich nach der Intention des Gesetzgebers an § 32 Abs. 1 BVerfGG an.176 Hieraus wird gefolgert, dass die vom BVerfG zu § 32 Abs. 1 BVerfGG entwickelten Entscheidungsgrundsätze auch bei verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Anordnungen in Normenkontrollsachen Anwendung finden könnten.177 Demnach haben die Gerichte zur Entscheidung darüber, ob der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO „zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen Gründen dringend geboten“ sei, eine Folgenabwägung nach der oben unter II. dargestellten Doppelhypothese anzustellen;178 z. T. wird diese Folgenbetrachtung auch im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung durchgeführt.179 Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bleiben nach dem zu § 47 Abs. 6 VwGO vertretenen Abwägungsmodell grundsätzlich Vgl. BVerwGE 50, 124 (134). So etwa VGH Kassel, NJW 1989, 470 (472); OVG Koblenz, NVwZ 1990, 1087 (1088); VGH Mannheim, NVwZ-RR 1995, 490 (491). 175 Für eine Abwägung bei offenen Hauptsacheaussichten z. B. auch BVerfG NVwZ 1995, 379 (380); VGH Kassel, NJW 1989, 470 (472); OVG Koblenz, NVwZ 1990, 1087 (1088); VGH München, BayVBl. 1996, 215 (216); OVG Münster, NWVBl. 1996, 5 (6). Ebenso Eyermann / Happ, § 123, Rn. 50 und Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 19 trotz Befürwortung der materiell-akzessorischen Entscheidung. 176 Vgl. BT-Drs. 7 / 4324, S. 12. 177 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 418; OVG Münster, NVwZ 1997, 923; Erichsen / Scherzberg, DVBl. 1987, 168 (174); Eyermann / J. Schmidt, § 47, Rn. 106; Kopp / Schenke, § 47, Rn. 148; Papier, Menger-FS, S. 517 (531); Pietzner / Ronellenfitsch, § 60, Rn. 3; Redeker / von Oertzen, § 47, Rn. 49; a.A. und gegen eine pauschale Übertragung dieser Grundsätze Besler, S. 244 ff.; Sodan / Ziekow / Ziekow, § 47, Rn. 383. 178 Vgl. OVG Bremen, NVwZ-RR 1992, 154; VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 418; OVG Saarlouis, DÖV 1992, 1019; VGH München, NJW 1995, 979; Sodan / Ziekow / Ziekow, § 47, Rn. 394; ebenso bei offenen Hauptsacheaussichten Erichsen / Scherzberg, DVBl. 1987, 168 (175 f.); Finkelnburg / Jank, Rn. 615 ff. 179 Vgl. OVG Koblenz, NJW 1995, 741 (742); Kopp / Schenke, § 47, Rn. 152. 173 174

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

außer Betracht und sind nur dann relevant, wenn sie sich als offensichtlich darstellen. Dies führt wiederum – ähnlich wie bei § 80 Abs. 5 VwGO – zu einer gestuften Prüfung, bei der zunächst die Aussichten des gestellten oder erst noch zu stellenden Normenkontrollantrags in den Blick genommen werden. Erweist sich die Hauptsache hierbei als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, ist der Eilantrag abzulehnen.180 Bei offensichtlich erfolgreichem Normenkontrollantrag soll die positive Prognose nach einer Auffassung für die Entscheidung im Eilverfahren allein maßgeblich sein und zum Erlass der einstweiligen Anordnung führen.181 Die Gegenansicht führt auch in diesem Fall eine umfassende Interessenabwägung durch, in deren Rahmen die offensichtliche Begründetheit des Hauptsacheantrags als einer von mehreren Gesichtspunkten Berücksichtigung findet;182 sie hält damit zumindest bei evident positiver Erfolgsprognose strikt am Abwägungsmodell fest und räumt den Hauptsacheaussichten nur die Stellung eines Abwägungsbelangs, nicht aber des maßgeblichen Entscheidungsfaktors ein. 5. Zusammenfassung der Abwägungslösungen Die skizzierten Lösungsvorschläge zum Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab im verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Nach der Rechtsprechung des BVerfG beruht die Entscheidung sowohl bei § 80 Abs. 5 VwGO als auch bei § 123 Abs. 1 VwGO auf einer Interessenabwägung unter Einbeziehung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Alternativ können die Gerichte ihre Entscheidung aber auch gänzlich aufgrund der Erfolgsprognose treffen. In bestimmten Situationen hält das BVerfG sogar eine umfassende und eingehendere rechtliche Prüfung für geboten, gestattet gleichwohl im Falle von Zeitmangel den Gerichten wiederum, ihre Entscheidung aufgrund einer reinen Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Hauptsacheaussichten zu treffen. 180 Vgl. OVG Bremen, NVwZ-RR 1992, 154 f.; OVG Bautzen, SächsVBl. 1994, 206 (207); VGH München, BayVBl. 1992, 726 (727) und NJW 1995, 979; VGH Mannheim, NVwZ 1995, 610 (611); OVG Greifswald, NuR 1999, 237; Finkelnburg / Jank, Rn. 613 f.; Papier, Menger-FS, S. 517 (532); Pietzner / Ronellenfitsch, § 60, Rn. 7; Sodan / Ziekow / Ziekow, § 47, Rn. 394; nach Kopp / Schenke, § 80, Rn. 153 wiederum nur „i.d.R.“. 181 Vgl. Erichsen / Scherzberg, DVBl. 1987, 168 (175); Finkelnburg / Jank, Rn. 618; Kopp / Schenke, § 80, Rn. 153 („regelmäßig“); im Ergebnis auch VGH Mannheim, NVwZ-RR 1992, 418. Nach VGH München, BayVBl. 1992, 726 (727) soll die einstweilige Anordnung bereits bei „erkennbarem Erfolg“ der Hauptsache i.d.R. erlassen werden. 182 Vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 588 (589); Besler, S. 252 f.; Erichsen / Scherzberg, DVBl. 1987, 168 (175); Papier, Menger-FS, S. 517 (532 f.); gegen einen automatischen Erlass der einstweiligen Anordnung im Falle offensichtlich ungültiger Norm auch Sodan / Ziekow / Ziekow, § 47, Rn. 394: nur bei drohenden irreversiblen Schäden.

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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– In Anfechtungssachen (§§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO) basiert die Eilentscheidung nach h. M. auf einer Interessenabwägung unter Einbeziehung materiell-akzessorischer Elemente. Die Prüfung erfolgt gestuft, wobei zunächst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache betrachtet werden und je nach Möglichkeit und Grad der Beurteilung die Entscheidung entweder bereits vorzeichnen oder einen von mehreren Belangen im Rahmen der Abwägung bilden. Bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung wird z. T. gefordert, ein stärkeres Gewicht auf die materiellrechtliche Prüfung zu legen. – Für einstweilige Anordnungen gemäß § 123 Abs. 1 VwGO befürwortet eine Auffassung eine materiell-akzessorische Prüfung von Anordnungsanspruch und -grund ohne zusätzliche Interessenabwägung, während die Gegenansicht mit unterschiedlichen Nuancen auch hier auf Abwägungsbasis entscheiden und der Erfolgsprognose eine nach dem Beurteilungsgrad ausgerichtete Bedeutung für das Entscheidungsergebnis beimessen will. – Bei einstweiligen Anordnungen in Normenkontrollangelegenheiten (§ 47 Abs. 6 VwGO) soll die Entscheidung in Anlehnung an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu § 32 Abs. 1 BVerfGG aufgrund Interessen- und Folgenabwägung getroffen werden. Hier spielt die materielle Rechtslage in der Hauptsache nur insoweit eine Rolle, als ein Erfolg bzw. Misserfolg des Normenkontrollantrags offensichtlich ist.

IV. Verfassungsrechtliche Beurteilung der Abwägungslösungen Die unter III. wiedergegebenen, für die Prüfung und Entscheidung im Eilverfahren vertretenen Abwägungslösungen sind im Folgenden verfassungsrechtlich zu bewerten. Hierzu erscheint es sinnvoll, im Vorfeld der Betrachtung zunächst den Standort und die charakteristischen Merkmale von Abwägungsentscheidungen im öffentlichen Recht aufzuzeigen. Sodann soll das Augenmerk auf der Frage liegen, ob auch die Vorschriften des verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes, einer der darzustellenden Abwägungssituationen entsprechend, den Weg zur Entscheidung aufgrund Abwägung unter Einbeziehung der materiellen Rechtslage oder unter Verzicht auf eine Berücksichtigung derselben eröffnen; dieses „Ob“ einer solchen Abwägung ist insbesondere vor dem Hintergrund der aus der Rechtsschutzgarantie und der Gesetzesbindung hergeleiteten Prämissen für den Prüfungsund Entscheidungsmaßstab im Eilverfahren zu beurteilen. Ergänzend sind einige Aspekte kritisch zu beleuchten, welche die Durchführung (das „Wie“) dieser Abwägung betreffen.

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

1. Standort und Charakteristika der Abwägung im öffentlichen Recht Abwägung stellt eine im Recht, insbesondere auch im öffentlichen Recht verbreitete Methode der Entscheidungsfindung dar. Klassische Beispiele sind im Verfassungsrecht die Verhältnismäßigkeitsprüfung in Eingriffsfällen sowie darüber hinaus der Ausgleich zwischen divergierenden Rechtspositionen im Wege praktischer Konkordanz. Im Verwaltungsrecht sei zunächst vor allem die planungsrechtliche Abwägung, z. B. im Rahmen der Bauleitplanung, genannt. Einen weiteren wichtigen, der Kategorie der Abwägungsentscheidungen zuzuordnenden Bereich des Ausgleichs von Interessenkonflikten stellt die Betätigung des Rechtsfolgeermessens dar,183 die im Verwaltungsverfahren gemäß § 40 VwVfG dem Zweck der Vorschrift zu entsprechen und infolge der Gesetzesbindung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens, u. a. wiederum den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, einzuhalten hat.184 Richterliche Abwägungsentscheidungen infolge Einräumung von Rechtsfolgeermessen sind prozessrechtlich insbesondere im Bereich der Verfahrensleitung und -gestaltung,185 darüber hinaus jedoch auch in Bezug auf den Entscheidungsinhalt gefordert.186 Verbreitet Anwendung findet Abwägung schließlich bei der (teleologischen) Gesetzesauslegung, da die am Zweck der Vorschrift ausgerichtete Interpretation und inhaltliche Ausfüllung von Rechtsnormen, speziell unbestimmten Rechtsbegriffen, regelmäßig einer Wertung der Entscheidungsperson bedarf;187 dies gilt in gleichem Maße für die – von der Rechtsanwendung methodisch nicht als wesensverschieden anzusehende188 – Rechtsfortbildung.189

a) Grundrechts- und Prinzipienkollisionen Die genannten Beispiele zeigen den Standort von Abwägungsentscheidungen auf. Diese Methode der Rechtsfindung greift zum einen dort Platz, wo die ent183 Vgl. Berendt, S. 48, 60 ff.; J. Dreier, S. 43; Koch, Hoppe-Symposium, S. 9 (22 f.); Uerpmann, S. 227 ff., 276. 184 Eine explizite Regelung des Abwägungsgebots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ermessensbetätigung enthält die Parallelvorschrift des § 73 LVwG SH. 185 Vgl. die Beispiele bei Kopp / Schenke, § 146, Rn. 10 ff. 186 s. etwa §§ 113 Abs. 2 Satz 2 und 3, 161 Abs. 2 VwGO. Eine wichtige inhaltsbezogene Abwägungsbestimmung stellt im Zivilprozess § 287 Abs. 1 ZPO dar, der über § 173 VwGO auch im Verwaltungsstreit Anwendung findet. 187 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 22 ff.; Berendt, S. 51 f.; Kriele, S. 96; Larenz, S. 288 ff. Nach Leisner, S. 114 wirkt Abwägung nur innerhalb der Begriffe „normschöpfend, nicht normzerstörend“. Zur Bedeutung der Wertung für die richterliche Entscheidungsfindung vgl. auch unten § 7 II. 2. c) und § 8 III. 1. c). 188 Vgl. hierzu von Arnim / Brink, S. 213 ff. m. w. N. 189 Vgl. BVerfGE 34, 269 (287): „Akt des bewertenden Erkennens“.

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scheidungserheblichen Normen bereits nach ihrer objektiven Zweckbestimmung nicht als Regeln unter Festsetzung einer konkreten Verhaltensanordnung, die im Sinne eines „Alles oder nichts“190 entweder vollständig erfüllt oder nicht erfüllt werden kann, sondern lediglich als Grundsätze bzw. Prinzipien mit einem Abwägungsbedarf gegenüber anderen Grundsätzen bzw. Prinzipien zur Anwendung kommen können.191 Dies trifft vor allem für die o. g. im Sinne praktischer Konkordanz zu bewältigenden Grundrechtskollisionen zu. Hier wird augenfällig, dass Prinzipien der – auch im Hinblick auf andere Prinzipien statuierten – Vorgabe einer definitiven Rechtsfolge entbehren. Im Unterschied zu Regeln, die als konditional programmierte Rechtssätze192 die Befolgung einer Anordnung zu einem bestimmten Tun statuieren,193 geben Prinzipien als Zweckprogramme nur vor, mit der Entscheidung die ihnen jeweils innewohnenden Zielvorstellungen im Rahmen des tatsächlich und rechtlich Möglichen zu verwirklichen, und zwar in möglichst hohem Maße;194 anstelle definitiver Gebote enthalten sie lediglich prima-facie-Gebote.195 Dem Entscheidungssubjekt, das den Ausgleich zwischen den widerstreitenden Prinzipien herzustellen hat, fällt eine Optimierungsaufgabe im und für den konkreten Fall zu.196 Anders als Regelkonflikte, bei denen die Frage der Geltung – von Ausnahmebestimmungen abgesehen – im Sinne eines absoluten Vorrangs mit der Folge der Ungültigerklärung einer der Normen zu beantworten ist, sind Prinzipienkollisionen mangels abstrakter Wertrangordnung auf der Ebene der Gewichtung, durch Feststellung des im konkreten Fall überwiegenden Gewichts zu bewälti190 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 58; kritisch zu diesem Kriterium Alexy, Begründungslehre, S. 217 (220 f.). 191 Vgl. Alexy, Grundrechte, S. 87 f.; Bartlsperger, Hoppe-Symposium, S. 79 (102 f.). 192 Vgl. zur Normprogrammierung allgemein von Arnim / Brink, S. 182 ff.; Luhmann, VerwArch 55 (1964), 1 (7 ff.); ders., Recht und Automation, S. 35 ff. 193 Ein deutliches Merkmal für Regeln ist die „Wenn-Dann-Struktur“ von universellen Rechtssätzen, vgl. Koch / Rüßmann, S. 18 f. Da entscheidend für den Regelcharakter jedoch die Rechtsfolgenanordnung (die „Dann-Komponente“) ist, bedarf es dieser strengen formalen Struktur, bei welcher der Tatbestand (die „Wenn-Komponente“) in einen vorangehenden Relativsatz gefasst ist, nicht. Regeln bilden daher auch anders formulierte vollständige Rechtssätze; ebenso können unvollständige Rechtssätze in Verbindung mit anderen Rechtssätzen Rechtsfolgen begründende Kraft erhalten; vgl. hierzu Larenz, S. 250 ff. 194 Vgl. Alexy, Begründungslehre, S. 217 (224). 195 Vgl. Alexy, Grundrechte, S. 88. 196 Vgl. Alexy, Grundrechte, S. 75 f., 78 ff.; von Arnim / Brink, S. 184 f.; Bartlsperger, Hoppe-Symposium, S. 79 (105); Just, S. 13 ff.; Koch / Rüßmann, S. 244 f. Soweit Prinzipien selbst bereits als Optimierungsgebote bezeichnet werden (so etwa Alexy, Grundrechte, S. 75 f., ders., Begründungslehre, S. 217 (224); zustimmend Koch / Rüßmann, S. 99), weicht dies von der (engeren) planungsrechtlichen Terminologie ab, in der Optimierungsgebote den schlichten Berücksichtigungsgeboten in Form von Planungszielen und -leitlinien (z. B. § 1 Abs. 5 Satz 1 und 2 BauGB) gegenübergestellt werden und sich nach BVerwGE 71, 163 (165 f.) dadurch auszeichnen, dass sie bestimmten Zielvorgaben ein besonderes Gewicht beimessen und eine möglichst weitgehende Beachtung dieser Belange erfordern.

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gen;197 statt einer absoluten wird lediglich eine bedingte Vorrangrelation zwischen den Grundsätzen aufgestellt.198 Wenngleich die Optimierung für einen konkret zu entscheidenden Fall erfolgt, müssen die für den Einzelfall in Gestalt eines Präferenzsatzes aufgestellten rechtlichen Prämissen allerdings verallgemeinerbar (universalisierbar) sein und die Bildung einer von diesem Einzelfall abstrahierenden Regel ermöglichen.199 Diese Abstraktion der rechtlichen Prämissen ist im Sinne der Rationalisierung der Entscheidung erforderlich, um der Gefahr des Dezisionismus zu begegnen, der einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und das rechtstaatliche Gebot der Rechtssicherheit begründet.200 Sie trägt darüber hinaus zur Entstehung einer entsprechenden Dogmatik bei. Allerdings sind die Möglichkeiten einer Konkretisierung angesichts der Vielzahl denkbarer Fallkonstellationen begrenzt. b) Planerische Abwägung In den Abwägungssituationen aus dem Bereich des Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozessrechts weisen die normativen Vorgaben und die Reichweite der Optimierungsaufgabe ein verschiedenartiges Bild auf. Eine gewisse Nähe zur Lösung der dargestellten verfassungsrechtlichen Prinzipienkollisionen zeigt sich bei der planerischen Abwägung. Charakteristisch für Planung ist eine weitreichende planerische Gestaltungsfreiheit.201 Diese liegt darin begründet, dass die Komplexität der zu gestaltenden Situation und die Vielfalt der auszugleichenden Ziele die Anzahl der Handlungsmöglichkeiten erhöhen und damit den Entscheidungsspielraum erweitern.202 Für die die Planung steuernden Normen – mit Ausnahme der mit Regelcharakter versehenen zwingenden Vorschriften – ist kennzeichnend, dass sie in Form final strukturierter Berücksichtigungsgebote (z. B. § 1 Abs. 5 BauGB) oder Optimierungsgebote i. e. S.203 (z. B. § 50 BImSchG) lediglich Ziele vorgeben, die wiederum in Ausgleich zu bringen sind.204 Der Weg zur Abwägung ist nicht eröffnet, soweit zwingende, infolge Art. 20 Abs. 3 GG zu beachtende Vorschriften der Planung entgegenstehen; diese setzen Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 59 ff. Vgl. Alexy, Grundrechte, S. 78 ff. 199 Vgl. Koch, Hoppe-Symposium, S. 9 (19 ff.); diese Möglichkeit bejahend Alexy, Grundrechte, S. 152 f. 200 Vgl. zur Universalisierbarkeit als Rationalitätsbedingung Alexy, Argumentation, S. 237; Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574 f.). 201 Vgl. BVerwGE 34, 301 (304); 48, 56 (59); 55, 220 (226); 72, 15 (20); 75, 214 (232); 87, 332 (341). 202 Vgl. J. Dreier, S. 46 ff. m. w. N. 203 s. hierzu oben Fn. 196. 204 Vgl. zum normstrukturellen Charakter der Planungsnormen auch Battis / Krautzberger / Löhr, § 1, Rn. 89; Hoppe, HdbStR, Bd. III, § 71, Rn. 19 f.; Schmitt Glaeser, JA 1980, 321 (325 f.). 197 198

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der Abwägung Grenzen von außen.205 Aber auch sofern innerhalb dieser infolge zwingenden Rechts bestehenden Beschränkungen eine weitreichende Gestaltungsbefugnis in Bezug auf ein komplexes Interessengeflecht verbleibt, bedarf es eines Instruments zur Sicherstellung der Gesetzesbindung. Diese Bindung wird über das planerische Abwägungsgebot hergestellt.206 Letzteres ist in den Planungsrechtsvorschriften häufig ausdrücklich normiert, so etwa für die Bauleitplanung in § 1 Abs. 6 BauGB. Weitere Positivierungen dieser Art finden sich auch für Planfeststellungen in diversen Fachplanungsgesetzen.207 Das Abwägungsgebot beansprucht jedoch, im Rechtsstaatsprinzip verankert, für jedwede Planungsentscheidungen Gültigkeit und ist auch dann zu beachten, wenn eine explizite gesetzliche Regelung nicht existiert;208 die entsprechende Verpflichtung zur Abwägung ergibt sich dann durch teleologische Auslegung der betreffenden Planungsgesetze. Konsequenz der planerischen Gestaltungsfreiheit ist freilich eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle der Abwägung. Soweit die Anforderungen an das Gebot gerechter Abwägung erfüllt sind, d. h. keiner der für die Rechtsprechung relevanten Abwägungsfehler vorliegt,209 ist die Bevorzugung und Zurückstellung von Belangen und die darin zum Ausdruck kommende Gewichtung als wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit nicht justiziabel.210 Damit zusammenhängend ergibt sich aus der Berechtigung und Verpflichtung zur Abwägung der öffentlichen und privaten Belange eine weitere für das gerichtliche Verfahren relevante Folge, nämlich dass dem Kläger lediglich ein subjektives öffentliches Recht auf gerechte Abwägung seiner eigenen Belange zusteht.211

c) Abwägung bei der Ermessensausübung und Gesetzesauslegung Während bei Planungen die Entscheidungsfindung durch einen umfassenden Abwägungsvorgang erfolgt, ist die Optimierungsaufgabe in den Fällen des Verwaltungsermessens und der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe dadurch in seiner Reichweite beschränkt, dass die Verpflichtung zu zweckrationalem Handeln inner205 Vgl. BVerwGE 55, 220, 229; J. Dreier, S. 99; Just, S. 61. Ein Beispiel hierfür ist die bauplanungsrechtliche Anpassungspflicht gemäß § 1 Abs. 4 BauGB. 206 Vgl. Battis / Krautzberger / Löhr, § 1, Rn. 89; Just, S. 54. 207 So z. B. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG, § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG, § 28 Abs. 1 Satz 2 PBefG, § 14 Abs. 1 Satz 2 WaStrG, § 8 Abs. 1 Satz 2 LuftVG. 208 Vgl. etwa BVerwGE 34, 301 (307); 41, 67 (68); 48, 56 (63); 59, 253 (258); 61, 295 (301). 209 Vgl. etwa BVerwGE 34, 301 (309); 56, 110 (122 f.); 87, 332 (341). Die demnach relevanten Abwägungsmängel lassen sich als Abwägungsausfall, Abwägungsdefizit, Abwägungsfehleinschätzung und Abwägungsdisproportionalität bezeichnen, vgl. Berendt, S. 67; Hoppe, HdbStR, Bd. III, § 71, Rn. 96; Stelkens / Bonk / Sachs, § 74, Rn. 55. 210 Vgl. BVerwGE 34, 301 (309); 48, 56 (63 f.); 59, 253 (258); Battis / Krautzberger / Löhr, § 1, Rn. 94; Ule / Laubinger (Voraufl.), S. 278. 211 Vgl. BVerwGE 48, 56 (66); 87, 332 (342); BVerwG DVBl. 1999, 100 (102).

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halb einer konditionalen, wenngleich um finale Elemente erweiterten Normstruktur erfolgt und hierbei jeweils entweder nur die Tatbestands- oder die Rechtsfolgenseite betrifft.212 Normative Vorgaben einer Optimierung auf der Rechtsfolgenseite213 enthalten diejenigen Vorschriften, welche insbesondere als „Kann-Bestimmungen“ Verwaltung (und Gerichten) Ermessen einräumen, da Ermessensbetätigung, wie aus § 40 VwVfG oder noch eindeutiger § 73 LVwG SH hervorgeht, zweckrationales Handeln und damit einen Interessenausgleich mittels Abwägung impliziert. Auch hier ist die gerichtliche Kontrolle gemäß § 114 VwGO wiederum beschränkt und umfasst nur die Rechtmäßigkeit, nicht aber die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts. Hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die Grenzen des Ermessens eingehalten, so ist der Verwaltungsakt rechtmäßig; ist die innerhalb dieses rechtlichen Rahmens getroffene Entscheidung lediglich unzweckmäßig, führt dies nicht zur Aufhebung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren. Vergleichbar Planungsentscheidungen kann der Kläger auch hier, vom Ausnahmefall der Ermessensreduzierung auf Null abgesehen, lediglich ein subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung geltend machen.214 Auf der Tatbestandsseite und auf diese beschränkt finden schließlich diejenigen Abwägungsvorgänge statt, welche im Rahmen der Gesetzesauslegung und -fortbildung durchzuführen sind, wenn die Vorschrift (normative) Tatbestandsmerkmale enthält, die einen Interpretationsspielraum belassen und einer Ausfüllung durch Wertung bedürfen.215 Hier fehlt den Rechtsnormen regelmäßig eine ausdrückliche Anordnung zu zweckrationalem Handeln; sie ergibt sich dann allerdings durch teleologische Auslegung, bei der die Zweckbestimmung der Vorschrift im Gefüge der Gesamtrechtsordnung zu erschließen und etwaige widerstreitende Interessen zu ermitteln und zu bewerten sind. Der mittels Abwägung bei der Auslegung vorgenommene Ausgleich der mit der Normsetzung vorgegebenen Zielvorstellungen bewirkt eine sukzessive Ausfüllung und Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs.216 Hierin besteht ein Unterschied zur Abwägung auf der Rechtsfol212 Eine Kombination beider Formen von Zweckrationalität enthalten freilich die sog. Koppelungsvorschriften. 213 So die – umstrittene – h. M., vgl. BVerwGE 72, 38 (53); Maurer, § 7, Rn. 26; Ule / Laubinger, § 55, Rn. 2; Stelkens / Bonk / Sachs, § 40, Rn. 32 m. w. N. auch zur Gegenauffassung. 214 Vgl. BVerfGE 27, 297 (307 f.); 69, 161 (169); 96, 100 (115); BVerwGE 85, 220 (222 f.); 94, 202 (204); 102, 282 (287); Eyermann / Happ, § 42, Rn. 113; Kopp / Schenke, § 42, Rn. 91; Stelkens / Bonk / Sachs, § 40, Rn. 136. 215 Im gerichtlichen Verfahren der Tatsacheninstanzen findet anders als in wissenschaftlichen Diskussionen keine abstrakte Bewertung fiktiver, als feststehend angenommener Sachverhalte statt, sondern die Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals erfolgt im Hinblick auf den konkreten, seinerseits erst zu ermittelnden Sachverhalt. Damit umfasst der Vorgang der Entscheidungsfindung nicht lediglich eine Wertung bei der Herstellung der rechtlichen Entscheidungsprämisse, sondern die wechselseitige Bewertung von Sachverhalt und Rechtsnorm, vgl. unten § 7 II. 2. c). 216 Vgl. Larenz, S. 294, 413; Leisner, S. 114.

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genseite bei Ermessensentscheidungen, wo anstelle einer solchen Normkonkretisierung allenfalls der Effekt einer Selbstbindung der Verwaltung über Art. 3 Abs. 1 GG und den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes eintritt.217 Ebenfalls anders als bei Planungs- und Ermessensentscheidungen unterliegt diese Inhaltsbestimmung von Tatbestandsmerkmalen regelmäßig vollständiger gerichtlicher Kontrolle; ein nur eingeschränkter Kontrollumfang ist lediglich in Ausnahmefällen im Bereich des Prüfungs-, Schul-, und Beamtenrechts sowie bei Prognoseentscheidungen anerkannt, in denen der Verwaltung ein sog. Beurteilungsspielraum eingeräumt wird.218

d) Zusammenfassung der Merkmale von Abwägungsentscheidungen Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Abwägungen dort stattfinden, wo eine Norm ausdrücklich oder konkludent zu zweckrationalem Handeln auffordert. Das Erfordernis zur Verwirklichung der Normzwecke im Wege eines Interessenausgleichs besteht bei verfassungsrechtlichen Prinzipienkollisionen, bei Planungsentscheidungen, der Ausübung von Rechtsfolgeermessen sowie der Gesetzesauslegung. Die Optimierungsaufgabe ist hierbei je nach Normstruktur entweder umfassend angelegt oder auf die Tatbestands- bzw. Rechtsfolgenseite der Vorschrift beschränkt. Der Bereich der Abwägung selbst wird hierbei durch zwingende gesetzliche, infolge Art. 20 Abs. 3 GG verbindliche Vorgaben eingeschränkt. Soweit der Weg zur Abwägung eröffnet ist, bilden sodann insbesondere die verfassungsrechtlichen Gebote der Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG), der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz äußere Abwägungsgrenzen. Auf der Kontrollebene ergeben sich bei der gerichtlichen Überprüfung verwaltungsrechtlicher Planungs- und Ermessensentscheidungen Einschränkungen, während die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe in der Regel vollständiger gerichtlicher Kontrolle unterliegt.

2. Zulässigkeit von Abwägungsentscheidungen im Eilverfahren Unter Berücksichtigung der dargestellten Spezifika von Abwägungsentscheidungen ist zu untersuchen, ob sich die vorgeschlagenen, auf Abwägung beruhenden Lösungsmodelle mit den unter § 4 ermittelten verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Rechtsprüfung im einstweiligen Rechtsschutz vereinbaren lassen. Vor allem unter den Aspekten der Rechtsschutzgarantie und der Gesetzesbindung stellt sich dabei die Frage, ob der Weg zur Abwägung als Methode der Entschei217 Vgl. zur Selbstbindung Maurer, § 24, Rn. 21 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. III / 1, S. 1358 f.; Stelkens / Bonk / Sachs, § 40, Rn. 103 ff. 218 Vgl. hierzu etwa Stelkens / Bonk / Sachs, § 40, Rn. 161 ff.

5 Windoffer

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dungsfindung überhaupt eröffnet ist und das materielle subjektive Recht als Abwägungsbelang behandelt und hierbei je nach Situation in die Abwägung eingestellt und gewichtet werden darf. Dies wäre der Fall, wenn sich den Vorschriften des einstweiligen Rechtsschutzes eine den unter 1. genannten Situationen vergleichbare Ermächtigung bzw. Verpflichtung zur Optimierung entnehmen ließe und die Einbeziehung der materiellen Rechtslage in die abwägungstypischen zweckrationalen Erwägungen zulässig wäre. Den Ausgangspunkt der Betrachtung soll zunächst die tatbestandliche Struktur der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO bilden, da die Normprogrammierung, wie die unter 1. dargestellten Optimierungssituationen zeigen, Aufschluss über das Erfordernis einer Abwägung und den normstrukturellen Standort derselben gibt.

a) Eröffnung von Rechtsfolgeermessen? Die Vorschriften des einstweiligen Rechtsschutzes in verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind fast sämtlich als „Kann“-Vorschriften ausgestaltet. Demnach „kann“ das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung anordnen bzw. wiederherstellen und gemäß § 80 a Abs. 3 Satz 1 VwGO Maßnahmen nach § 80 a Abs. 1 und 2 ändern, aufheben oder solche Maßnahmen treffen. Ebenso „kann“ es nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO bzw. § 47 Abs. 6 VwGO eine einstweilige Anordnung treffen bzw. erlassen. Regelungsanordnungen sind gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO „zulässig“. Diese Formulierungen entsprechen denjenigen, wie sie für die oben unter 1. c) behandelte Rechtsfolgenanordnung bei Ermessensvorschriften typisch sind. Demnach wäre es aufgrund des Wortlauts der Vorschriften naheliegend, vergleichbar den Ermächtigungen zur Ermessensausübung bei Verwaltungsentscheidungen, auch im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren von einer durch Abwägung zu lösenden Optimierungsaufgabe auf der Rechtsfolgenseite auszugehen. Tatsächlich wird der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz, konkret derjenigen über den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO, teilweise sogar der Rechtsprechungs- bzw. Justizgewährungscharakter abgesprochen und hierin ein dem Richter übertragener Exekutivakt, d. h. materielle Verwaltungstätigkeit bzw. staatliche Rechtsfürsorge gesehen.219 Diese Position entfernt jedoch den einstweiligen Rechtsschutz aus dem Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4 GG als Spezialregelung des allgemeinen rechtsstaatlichen Justizgewährleistungsanspruchs und verkennt den untrennbaren Zusammenhang zwischen materiel219 So Rohmeyer, S. 131 f., 146 f., 155, 163 f.; zustimmend Smid, Rechtsprechung, S. 62 f., ebenso S. 117: „staatliche Rechtsfürsorge“ und S. 149: „Der vorläufige Rechtsschutz ist nicht als Justizgewährung selbst, sondern als Schutz, als Sicherung der Justizgewährung zu verstehen. Seine Verfahren dienen der „polizeilichen“ Aufgabe der Befriedung der Parteien während des Prozesses“ (Hervorhebungen vom Autor).

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lem Recht, Hauptsache- und Eilrechtsschutz; sie wird daher zur Recht einhellig abgelehnt.220 Auch ohne diese Charakterisierung des einstweiligen Rechtsschutzes als Verwaltungstätigkeit wird aber zumindest für das Eilverfahren in Anfechtungsfällen die Meinung vertreten, das Gericht treffe eine Ermessensentscheidung, wobei das Ermessen auch die Entschließung zum Erlass der Maßnahme und nicht lediglich deren Modalitäten umfassen soll.221 Ermessens- und Abwägungsentscheidung werden hierbei z. T. gleichgesetzt,222 was bedeutete, dass keine von der Abwägung gesonderte Betätigung des Rechtsfolgeermessens stattfände, sondern die Abwägung die Rechtsfolge mit einbezöge. Bei letztgenannter Konstruktion würde allerdings wiederum der Bereich der auf die Rechtsfolgenseite beschränkten Optimierung verlassen und derjenige der umfassenden Abwägung vergleichbar den Planungsentscheidungen betreten. Die Gegenansicht sieht die Entscheidung auch bei §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO hinsichtlich des „Ob“ des Erlasses der Maßnahme als gebunden an;223 statt einer Ermessens- soll eine „Rechtsentscheidung“ vorliegen.224 Der Wortlaut „kann“ wird nicht als Ermächtigung zur Ermessensausübung, sondern lediglich als Befugnisnorm zum Erlass der im Gesetz genannten Eilmaßnahmen betrachtet. Demnach bleibt, sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Eilentscheidung erfüllt, für ein nach Abschluss der Prüfung zusätzlich auszuübendes Entschließungsermessen kein Raum, und zwar unabhängig davon, ob auf Tatbestandsebene ein materiell-akzessorischer oder ein auf Abwägung basierender Prüfungsund Entscheidungsmaßstab angelegt wird. Letztgenannte Auffassung verdient Zustimmung. In diesem Zusammenhang sind wiederum die Schlussfolgerungen in Erinnerung zu rufen, welche aus der Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes gezogen wurden.225 Es liefe dem aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Gebot effektiven Rechtsschutzes zuwider, die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes, welcher der Verwirklichung dieser verfassungsrechtlichen Garantie dient, trotz Vorliegens der erforderlichen tatbestandliVgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1385 m. w. N. So Kuhla / Hüttenbrink, Rn. J 128; Pietzner / Ronellenfitsch, § 57, Rn. 23; § 58, Rn. 15 m. w. N.; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 52 m. w. N.; Schilken, Hoppe-Symposium, S. 55 (77). 222 So insbesondere Pietzner / Ronellenfitsch, § 58, Rn. 15; ähnlich Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 52, die gleichwohl das Ermessen erst nach Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen betätigt wissen wollen. Für gebundenes Ermessen auch Finkelnburg / Jank, Rn. 851. 223 Vgl. Kopp / Schenke, § 80, Rn. 165; Renck, NVwZ 1992, 338 (339); Sellner, Lerche-FS, S. 815 (822 f.); Schoch / Schoch, Rn. 66 vor § 80; Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 139; Timmler, S. 168 f.; abweichend Erichsen, Jura 1984, 478 (485 f.), der unter Berufung auf § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO nur von einer Soll-Vorgabe ausgeht. 224 Dies entspricht der h. M. zu § 123 Abs. 1 VwGO, vgl. Bender, Menger-FS, S. 657 (664); Redeker / von Oertzen, § 123, Rn. 17; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1033; Schoch / Schoch, Rn. 66 vor § 80. 225 Vgl. oben § 4 III. 2. 220 221

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chen Voraussetzungen ins Ermessen der Entscheidungsperson zu stellen.226 Desgleichen wäre eine solche Befugnis mit der Gesetzesbindung gemäß Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG unvereinbar. Die infolge der Befriedungsfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes anzustrebende Zielsetzung, das Risiko und die Folgen einer Abweichung des tatsächlichen vom rechtlich geforderten Zustand zu minimieren, schließt die Gewährung von Handlungsspielräumen aus, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Eilentscheidung erfüllt sind. Im Übrigen wäre ein etwaiges Ermessen, ginge man von einer Ermächtigung hierzu aus, ohnehin in jedem Fall auf Null reduziert, da Art. 19 Abs. 4 GG und die Gesetzesbindungspostulate insoweit gesetzliche Grenzen des Ermessens darstellten. Einen weiteren Gesichtspunkt, der gegen die Annahme einer Optimierungsaufgabe in Gestalt der Ausübung von Rechtsfolgeermessen spricht, bildet die Kontrollebene. Wie unter 1. c) dargelegt, unterliegt die Ermessensausübung im Bereich des Verwaltungsverfahrens gemäß § 114 VwGO nur eingeschränkter (gerichtlicher) Kontrolle. Eine mit diesen Maßstäben für die Überprüfung administrativen Ermessens weitgehend übereinstimmende Beschränkung der Kontrolle ist im Revisionsrecht auch für richterliche Ermessensentscheidungen anerkannt.227 Bei der Nachprüfung von verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidungen im Beschwerdeverfahren besteht eine solchermaßen reduzierte Kontrolldichte jedoch gerade nicht; vielmehr wird analog § 128 Satz 1 VwGO von der vollumfänglichen Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts ausgegangen einschließlich der Möglichkeit, die Ermessenserwägungen der Vorinstanz durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen.228 Wenngleich die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsakten und Entscheidungen erstinstanzlicher Gerichte nicht ohne Weiteres gleichgesetzt werden kann, so würde doch durch die umfassende Befugnis des Beschwerdegerichts zur Überprüfung der Eilentscheidung einschließlich etwaiger Ermessensausübung des Verwaltungsgerichts ein für Ermessensentscheidungen wesentliches Merkmal neutralisiert. Über die – aus den genannten Gründen abzulehnende – Annahme, die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stelle eine Ermessensentscheidung dar, lässt sich der Weg zur Abwägung als Methode der Rechtserkenntnis im Eilverfahren somit nicht begründen.

So auch Timmler, S. 168. Vgl. BVerwGE 51, 111 (114); BGH NJW 1967, 165; NJW 1981, 2009 (2010); NJW 1983, 2033 (2034); Kopp / Schenke, § 137, Rn. 20. 228 Vgl. Eyermann / Happ, § 146, Rn. 33; Finkelnburg / Jank, Rn. 477; Kopp / Schenke, § 150, Rn. 4; Schoch / Meyer-Ladewig, § 150, Rn. 4; zum Berufungsverfahren BVerwG DVBl. 1997, 907 (908). 226 227

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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b) Abwägungsgebote auf der Tatbestandsseite? Nach dem unter a) gefundenen Ergebnis ist die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz bei Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen gebunden; eine Ermessensausübung darf nicht stattfinden, weshalb ein Optimierungsgebot auf der Rechtsfolgenseite ausscheidet. Folglich müsste die auf Abwägung beruhende Entscheidungsfindung auf der Tatbestandsseite der Vorschriften über das gerichtliche Eilverfahren vorgegeben sein. Betrachtet man die unter III. dargestellten Abwägungslösungen, so zeigt sich insoweit ein Unterschied zu den Konstellationen, in denen Abwägung auf der Tatbestandsseite im Rahmen der Gesetzesauslegung stattfindet, als die Abwägung hier nicht der Begriffsbestimmung einzelner Tatbestandsmerkmale dient und sich auf diese beschränkt. Vielmehr wird den Vorschriften des einstweiligen Rechtsschutzes ein umfassendes Abwägungsgebot entnommen, welches dazu führt, dass die materielle Rechtslage der Hauptsache einen von mehreren (potenziellen) Abwägungsbelangen darstellt, der entweder in die Abwägung eingestellt und gewichtet wird oder unter bestimmten Voraussetzungen sogar gänzlich außer Betracht bleibt. Ob dieser Lösungsweg zulässig ist, soll im Folgenden jeweils für die unterschiedlichen Systeme des verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes untersucht werden.

aa) Einstweilige Anordnungen gemäß § 123 Abs. 1 VwGO § 123 Abs. 1 VwGO enthält die hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erlass der Eilmaßnahme vollständigste und aufschlussreichste tatbestandliche Struktur. Hier gehen die Vertreter des materiell-akzessorischen Modells229 im Einklang mit der Rechtsprechung des – dennoch die Abwägungslösung bevorzugenden – BVerfG230 folgerichtig davon aus, dass die den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund bildenden Merkmale in Satz 1 oder Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO kumulativ erfüllt sein müssen. Die Vorschriften geben somit zunächst, im Rahmen des Anordnungsanspruchs, die Prüfung der für die Hauptsache streitentscheidenden Rechtsposition vor, wofür lediglich ein strikt am materiellen Recht orientierter Maßstab in Betracht kommt. Sodann ist die über die jeweiligen Tatbestandsmerkmale im Anordnungsgrund zum Ausdruck kommende Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit des Erlasses der einstweiligen Anordnung zu prüfen. Ob im Rahmen dieser Entscheidungsvoraussetzung, beispielsweise über „nötig erscheint“ bei § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Raum für eine Abwägung besteht, ist vorliegend unbeachtlich, da dies nur die Frage betrifft, ob bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals eine – insoweit begrenzte – Optimierung geboten ist. 229 230

Vgl. hierzu oben III. 3. a). BVerfGE 51, 268 (280 f.); vgl. oben III. 1.

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Diese Frage ist für die hier interessierende Grundstruktur der Entscheidung nicht von Relevanz. Die Befürworter der Abwägungslösung freilich lassen Anordnungsanspruch und -grund als Belange in eine umfassende Abwägung einfließen. Bei offenen Erfolgsaussichten entfällt die Berücksichtigung derselben und bei Zeitmangel soll die materielle Rechtslage sogar nicht einmal zu prüfen sein. Dies ist jedoch abzulehnen. Zunächst widerspricht die geschilderte Vorgehensweise den tatbestandlichen Vorgaben des § 123 Abs. 1 VwGO, der, wie dargestellt, eine getrennte Prüfung und das kumulative Vorliegen beider Anordnungsvoraussetzungen verlangt. Eine Abwägung unter Einbeziehung letzterer oder gar unter Verzicht auf die materiellrechtliche Prüfung ist ebenso wenig zulässig wie eine nach positiver Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen durchgeführte Abwägung, die der oben unter a) abgelehnten Ermessensentscheidung entspräche. Nun wäre eine Interpretation des § 123 Abs. 1 VwGO in diesem Sinne nicht allein deswegen unzulässig, weil sie dem Wortlaut der Bestimmung zuwiderliefe; denn die Rechtserkenntnis muss nicht notwendigerweise an den Grenzen des möglichen Wortsinns einer Bestimmung stehen bleiben.231 Jedoch stellt sie sich bei teleologischer Auslegung, welche insbesondere verfassungsrechtliche Vorgaben einzubeziehen hat, als jedenfalls mit Art. 19 Abs. 4 GG und den Gesetzesbindungspostulaten der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG unvereinbar dar. Sie verkennt den sowohl für die Hauptsache als auch das Eilverfahren maßgeblichen Zusammenhang mit dem zu schützenden materiellen Recht. Wie bereits dargelegt,232 setzt die mit dem Hauptsacheverfahren angestrebte endgültige Durchsetzung und Verwirklichung der subjektiven Rechtsposition zunächst deren Feststellung voraus, wobei sowohl die in Artikel 19 Abs. 4 GG fundierte Rechtsschutzfunktion als auch die auf den Bindungsnormen fußende Kontrollfunktion des Verwaltungsprozesses einen strikt materiellrechtlichen Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab vorgeben. Nichts anderes erfordert auch der einstweilige Rechtsschutz, der seiner Befriedungsfunktion zufolge für einen Interimszeitraum Verhaltenspflichten der Beteiligten statuiert und damit ebenfalls zumindest vorläufig über die Verwirklichung des subjektiven Rechts befindet.233 Die Feststellung der materiellen Rechtsposition ist, unabhängig von der Prüfungstiefe und dem für die Beurteilung der Tatfrage anzulegenden Überzeugungsgrad, wenngleich noch nicht hinreichende, so doch jedenfalls notwendige Voraussetzung der Rechtsschutzgewährung aufgrund § 123 Abs. 1 VwGO. Sie darf wegen Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG weder zur Disposition gestellt oder unberücksichtigt gelassen noch zu einem Element einer umfassenden Abwägung gemacht werden. Andernfalls erhielte das materielle 231 232 233

Vgl. BVerfGE 34, 269 (287). Vgl. oben § 3 II. 1. b), 3. b), III. Vgl. hierzu oben § 4 III. 2.

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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Recht lediglich den Stellenwert eines von mehreren Abwägungsbelangen anstatt, wie von Art. 19 Abs. 4 GG vorausgesetzt und dem verfassungsgemäßen Verständnis von effektivem gerichtlichem Rechtsschutz entsprechend,234 als maßgebliches Bezugsobjekt im Mittelpunkt der Rechtsschutzgarantie zu stehen. Hieran zeigt sich auch der wesentliche Unterschied zu den typischen Abwägungssituationen im Planungsrecht, beispielsweise der Bauleitplanung. Planung impliziert nämlich, wie bereits dargelegt,235 eine umfassende Gestaltungsfreiheit. Bereits in dieser Gestaltungsbefugnis selbst liegt ein grundlegendes Abgrenzungsmerkmal von Exekutivaufgaben und Rechtsprechung, da letztere nicht zur Gestaltung zukünftiger Sachverhalte berufen, sondern der Kontrolle des Verwaltungshandelns am Maßstab des materiellen Rechts verpflichtet ist.236 Die planerische Gestaltungsfreiheit zieht des Weiteren eine nur eingeschränkte verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Planungsentscheidungen nach sich, ganz im Gegensatz zur gerichtlichen Überprüfung von Eilentscheidungen, die im Hinblick auf die Kontrolldichte nicht beschränkt sind.237 Die Gestaltungsfreiheit hat auch zur Folge, dass den von der Planung Betroffenen lediglich ein subjektives öffentliches Recht auf gerechte Abwägung ihrer eigenen Belange eingeräumt ist.238 Im Unterschied dazu dient der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz wiederum nicht der Durchsetzung lediglich einer gerechten Abwägung der geltend gemachten Rechtsposition, sondern der Feststellung und Verwirklichung dieser Rechtsposition selbst sowie der Kontrolle des Handelns der Exekutive. Dies gilt infolge seiner Befriedungsfunktion auch für den einstweiligen Rechtsschutz, durch den für die Dauer eines vorläufigen Zustands eine endgültige Regelung getroffen und damit vorläufig über die Rechtsverwirklichung befunden wird. Im Rahmen einer solchen gerichtlichen Entscheidung darf das subjektive Recht nicht lediglich als abwägbarer Belang betrachtet werden; erst recht darf nicht von vornherein auf seine Prüfung und Berücksichtigung verzichtet werden. Andernfalls würde eine verfassungsgemäße Rechtsschutzgewährung und Rechtskontrolle vereitelt und damit gegen Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG verstoßen. Diese Verfassungsnormen haben zur Folge, dass die subjektive Rechtsposition dem Bereich der Abwägung entzogen ist. Sie stellen für verwaltungsgerichtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes insoweit äußere Abwägungsgrenzen dar. Eine Optimierungsaufgabe auf der Tatbestandsseite, der zufolge die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung grundsätzlich auf einer umfasVgl. hierzu oben § 3 II. 3. a). Vgl. oben 1. b). 236 Vgl. Uerpmann, S. 188; ebenso Smid, Richterliche Rechtserkenntnis, S. 50 f., 118 sowie ders., Rechtsprechung, S. 169, 179, 245, 637, der insbesondere das Unterscheidungsmerkmal des Vergangenheitsbezugs der Kontrolle durch die Rechtsprechung einerseits und der Zukunftsorientierung materieller Verwaltungstätigkeit andererseits betont. 237 Zur Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts vgl. bereits oben a). 238 Vgl. BVerwGE 48, 56 (66). 234 235

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

senden Interessenabwägung beruht, welche unter Zurückstellung oder gar Nichtbeachtung der materiellen Rechtslage erfolgen kann, lässt sich § 123 Abs. 1 VwGO weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach entnehmen. Eine dahingehende Interpretation dieser Vorschrift ist mit Verfassungsrecht unvereinbar.

bb) Eilentscheidungen gemäß §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO Da § 80 Abs. 5 VwGO selbst im Wortlaut keine Aussage zum Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab trifft, wird der Versuch unternommen, die Abwägungslösung gesetzessystematisch, insbesondere unter Hinweis auf die Systematik der § 80 Abs. 1 und 2 VwGO,239 die Vorschrift des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO selbst240 oder die in § 80 Abs. 4 VwGO enthaltenen Kriterien für die behördliche Aussetzungsentscheidung241 zu begründen. Die gesetzessystematische Argumentation stützt sich zunächst darauf, dass den Situationen, in denen abweichend vom Regelfall des Suspensiveffekts (§ 80 Abs. 1 VwGO) die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs entfalle, jeweils eine Interessenabwägung vorausgehe, wobei diese entweder vom Gesetzgeber abstrakt-generell (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO) oder von der Behörde konkret-individuell (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) getroffen worden sei. Demzufolge könne auch das Gericht nur aufgrund einer Interessenabwägung beurteilen, ob der gesetzlich oder behördlich angeordnete Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im konkreten Streitfall gerechtfertigt sei.242 Hierbei gleiche die gerichtliche Interessenabwägung derjenigen, welche die Behörde für ihre Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bzw. § 80 Abs. 4 VwGO anzustellen habe.243 Diese Interpretation ist jedoch abzulehnen. Ein der Grundstruktur nach auf Abwägung basierender Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab im gerichtlichen Eilverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kann weder mit der Gesetzessystematik des § 80 VwGO begründet werden noch ist er bei teleologischer Auslegung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten haltbar. Zunächst vermögen die Schlussfolgerungen aus der „gesetzgeberischen Abwägung“ bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO und dem Entscheidungsmaßstab für die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht zu überzeugen. Vgl. etwa Leipold, S. 187 ff.; Timmler, S. 51 f. So beispielsweise Bender, Menger-FS, S. 657 (663); Limberger, S. 155. 241 Vgl. etwa Kopp / Schenke, § 80, Rn. 152; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 46, 49; zum Meinungsstand betreffend die entsprechende Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz. 3 VwGO im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren s. auch oben III. 2. a) bb). 242 Vgl. Leipold, S. 188 ff.; Timmler, S. 52. 243 Vgl. Kopp / Schenke, § 80, Rn. 152; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 46, 49; ebenso Limberger, S. 156, der zufolge die Abwägung allerdings nach der Doppelhypothese erfolgt und damit der Folgenabwägung im Sinne der offenen Eilentscheidung (vgl. oben II.) entspricht. 239 240

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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Zwar sind Wertentscheidungen des Gesetzgebers und dem Erlass von Rechtsnormen vorausgehende Abwägungen Kennzeichen legislativer Tätigkeit. Für die Rechtsprechung führen sie jedoch – vorausgesetzt, die Norm enthält keine entsprechende Verpflichtung bzw. Befugnis244 – nicht zu der Konsequenz, ihrerseits eine Entscheidung aufgrund Interessenabwägung zu treffen, mag es auch geboten sein, bei der Gesetzesauslegung die Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachzuzeichnen oder bei der wechselseitigen Bewertung von Lebenssachverhalt und Normtatbestand eigene Abwägungen zu tätigen. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist zur Begründung der Abwägungslösung ebenfalls nicht geeignet. Diese Vorschrift enthält notwendigerweise keine Aussage zu materiellrechtlichen Prüfungskriterien, da die Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts infolge der Gesetzesbindung der Exekutive (Art. 20 Abs. 3 GG) bereits zwingende Voraussetzung für dessen Erlass ist, die Behörde mithin zum Zeitpunkt der Vollziehungsanordnung keinen Anlass zu irgendwelchen Zweifeln an der Gesetzeskonformität ihres Handelns haben darf. Eine explizite Regelung in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wonach die Vollziehungsanordnung die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts verlangt, wäre somit überflüssig und ist konsequenterweise unterblieben. Da die Rechtmäßigkeit als Erlassvoraussetzung des Verwaltungsakts für die sofortige Vollziehung zwar eine notwendige, ausweislich § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht aber bereits eine hinreichende Bedingung darstellt, muss das besondere Vollzugsinteresse am Maßstab dieser Vorschrift zusätzlich festgestellt werden.245 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde verlangt somit das kumulative Vorliegen von Rechtmäßigkeit und Vollzugsinteresse. Die Systematik der § 80 Abs. 1 und 2 VwGO liefert folglich keine Anhaltspunkte dafür, dass im Falle des Eilrechtsschutzes durch die Rechtsprechung die rechtliche Prüfung verzichtbar oder lediglich als einer von mehreren Belangen im Rahmen einer Abwägung zu behandeln sei. Eine solche Annahme widerspräche nach den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung246 zudem den aus Art. 19 Abs. 4 GG und der Gesetzesbindung folgenden Vorgaben für die Prüfung und Entscheidung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die auch für die Auslegung von § 80 Abs. 5 VwGO maßgeblich sind. Damit ist es, unabhängig von der Zulässigkeit einer analogen Anwendung der Vorschrift auf das gerichtliche Verfahren,247 zugleich ausgeschlossen, die Abwägungslösung aus § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu folgern. Zwar lässt sich dies nicht bereits mit dem Tatbestandsmerkmal „ernstliche Zweifel“ begründen,248 da § 80 Wann dies der Fall ist, wurde oben 1. dargelegt. Vgl. BVerfGE 35, 382 (402); 38, 52 (58); 69, 220 (228); BVerfG NVwZ 1987, 403; NVwZ 1996, 58 (59). Zur parallelen Fragestellung bei der gerichtlichen Eilentscheidung in den Fällen „offensichtlicher Unbegründetheit“ des Rechtsbehelfs vgl. oben III. 2. a) aa). 246 Vgl. oben § 3 IV., § 4 III. 2. 247 Vgl. oben III. 2. a) bb). 248 So aber, in Verbindung mit der „normstrukturellen Risikoverteilung“, Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1591. 244 245

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Abs. 4 Satz 3 VwGO angesichts der alternativen Möglichkeit einer Aussetzung wegen „unbilliger Härte“ dann ebenso als Argument für die – vom BVerfG präferierte249 – Wahlmöglichkeit zwischen materiell-akzessorischer und Abwägungsentscheidung herangezogen werden könnte. Wie oben ausgeführt, sind jedoch weder dieses Alternativverhältnis noch eine Abwägungslösung unter Einbeziehung der materiellen Rechtslage verfassungskonform. Auch für das Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist demnach die Annahme unzutreffend, die Entscheidungsfindung habe ihrer Grundstruktur nach im Wege einer Interessenabwägung zu erfolgen. Vielmehr lässt sich hinsichtlich der Entscheidungskriterien eine Parallele zu § 123 Abs. 1 VwGO ziehen, der die gleiche Funktion erfüllt wie die Entscheidung über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Anfechtungssachen.250 Für § 80 Abs. 5 VwGO ist somit erstens, vergleichbar dem „Anordnungsanspruch“, die positive Beurteilung der materiellen Rechtslage in der Hauptsache und zweitens, vergleichbar dem „Anordnungsgrund“, die besondere Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit der Entscheidung zu fordern.251 Erst wenn beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen, ist dem Eilantrag stattzugeben. Die Forderung nach (zumindest vorläufiger) Klärung der einschlägigen Rechtsfragen erhält zusätzliche Plausibilität, bezieht man auch § 80 a Abs. 3 VwGO in die Betrachtung ein. Zu Recht ergeht diesbezüglich der Hinweis, bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung stünden sich zwei prinzipiell gleichwertige Positionen gegenüber, die infolge Art. 19 Abs. 4 GG jeweils zur Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes berechtigten.252 Infolge der Befriedungsfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes statuiert die Entscheidung für einen bestimmten Zeitraum Verhaltenspflichten der Beteiligten und wirkt insoweit auf die jeweils betroffenen Rechtspositionen ein, als sie jedenfalls die vorläufige Verwirklichung derselben ermöglicht oder vereitelt. Damit stellt die Prüfung und vorläufige Klärung der materiellen Rechtslage aber nicht lediglich eine nützliche Option dar, welche die Ermittlung eines im Einzelfall überwiegenden Interesses erleichtert. Vielmehr ist sie notwendig, um auch für den Interimszeitraum die subjektiven Rechte der Beteiligten im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG effektiv schützen zu können und das Risiko zu minimieren, der materiellen Rechtslage zuwider einstweiligen Rechtsschutz zu versagen oder in geschützte Rechtspositionen Dritter einzugreifen. Im Ergebnis ist daher auch für den einstweiligen Rechtsschutz in Anfechtungsfällen (§§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO) auf der Tatbestandsseite keine Optimierungsaufgabe vorgegeben, die eine ihrer Grundstruktur nach auf Interessenabwägung basierende Entscheidung zulässt. Erfolgt die Eilmaßnahme gänz249 250 251 252

Vgl. oben III. 1. Vgl. BT-Drs. 3 / 55, S. 44. Vgl. Schoch / Schoch, § 80, Rn. 266. Vgl. hierzu oben III. 2. d).

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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lich ohne Klärung der Rechtsfragen der Hauptsache oder wird das Ergebnis der rechtlichen Prüfung nur als einer von mehreren Abwägungsbelangen betrachtet, verstößt dies gegen die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) und das Gesetzesbindungspostulat (Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG). Diese Verfassungsnormen bilden folglich auch für den einstweiligen Rechtsschutz in Anfechtungssachen äußere Abwägungsgrenzen und entziehen das materielle Recht einer Abwägung. Damit ist die Entscheidung gemäß §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO nach den gleichen Kriterien wie bei § 123 Abs. 1 VwGO zu treffen. Sie verlangt kumulativ und unabhängig voneinander die (zumindest vorläufige) Feststellung der materiellen Rechtslage und darüber hinaus die besondere Dringlichkeit des Erlasses der Eilmaßnahme. cc) Einstweilige Anordnungen gemäß § 47 Abs. 6 VwGO Zur Begründung der Abwägungslösung bei einstweiligen Anordnungen in Normenkontrollangelegenheiten wird in systematischer Hinsicht auf § 32 BVerfGG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BVerfG hingewiesen.253 Den für die Hauptsache maßgeblichen Rechtsfragen weist das im Wesentlichen auf eine Folgenabwägung im Sinne der offenen Eilentscheidung abstellende Modell einen noch geringeren Stellenwert zu als bei §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 und 123 Abs. 1 VwGO, da sie nur in Fällen offensichtlichen Erfolgs bzw. Misserfolgs des Normenkontrollantrags entscheidungsrelevant sein sollen. Dieses Entscheidungsmodell ist jedoch auch bei einstweiligen Anordnungen nach § 47 Abs. 6 VwGO mit Verfassungsrecht unvereinbar. Zwar ist gesetzessystematisch – über die Anknüpfung an § 32 Abs. 1 BVerfGG hinaus – festzustellen, dass § 47 Abs. 6 VwGO einerseits dem Anordnungsgrund bei der Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ähnliche Tatbestandsvoraussetzungen enthält, andererseits dagegen den das materiellrechtliche Element beinhaltenden Anordnungsanspruch im Tatbestand vermissen lässt. Dennoch ist auch für dieses System einstweiligen Rechtsschutzes die Prüfung und Berücksichtigung der materiellen Rechtslage in der Hauptsache von Verfassungs wegen notwendig. Dies wird einsichtig, richtet man das Augenmerk auf die im Fall des Erlasses der beantragten Regelung angeordneten Rechtsfolgen. Die Außervollzugsetzung der mit der Normenkontrolle angegriffenen Rechtsnorm kann nämlich auch mit genereller, d. h. nicht lediglich auf den Antragsteller beschränkter Wirkung erfolgen.254 Insofern zeitigt die aufgrund § 47 Abs. 6 VwGO erlassene AnVgl. oben III. 4. Vgl. Erichsen / Scherzberg, DVBl. 1987, 168 (177 f.); Kopp / Schenke, § 47, Rn. 150; für eine generelle Außervollzugsetzung als Regelfall Finkelnburg / Jank, Rn. 624 f.; Pietzner / Ronellenfitsch, § 60, Rn. 12; noch weitergehend Besler, S. 258 ff.; Papier, Menger-FS, S. 517 (532); Schmitt Glaeser / Horn, Rn. 453; Schoch / Schoch, § 47, Rn. 182; Sodan / 253 254

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

ordnung über die Verhaltenspflichten für die unmittelbar Beteiligten hinaus rechtliche Folgen für eine potenzielle Vielzahl von Betroffenen. Wenngleich die einstweilige Anordnung in Normenkontrollangelegenheiten auch Individualrechtsschutzzwecken dient,255 tritt hier die objektive Kontrollfunktion des Verwaltungsprozesses im Allgemeinen und der Normenkontrolle im Besonderen in Geltung,256 und zwar, wie aus der weiterreichenden Rechtsfolge ersichtlich, in noch stärkerer Ausprägung als bei den beiden anderen Systemen verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes. Demzufolge ist es aus Gründen der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG) unzulässig, von der Klärung der materiellen Rechtslage abzusehen oder dieser bei § 47 Abs. 6 VwGO eine geringfügigere Bedeutung beizumessen als in den übrigen Eilverfahren. Stellt man in teleologischer Hinsicht zusätzlich wiederum die – bei § 47 Abs. 6 VwGO aus den o. g. Gründen relativ extensive – Befriedungsfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes in Rechnung, so sind keine Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der einstweiligen Anordnung bei Normenkontrollen und der Verfahren nach §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1 VwGO ersichtlich. Die tatbestandliche Ausrichtung an § 32 Abs. 1 BVerfGG und die unterbliebene Normierung eines Anordnungsanspruchs vermögen, unbeschadet der Frage, ob der vom BVerfG für den Bereich der Eilmaßnahmen im Verfassungsprozess entwickelte Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab dort Zustimmung verdient,257 eine Abwägungsentscheidung nicht zu rechtfertigen. Diese verstößt gegen die aus Art. 19 Abs. 4 GG und der Gesetzesbindung abzuleitenden verfassungsrechtlichen Vorgaben für den einstweiligen Rechtsschutz im Verwaltungsstreit. Eine umfassende Optimierungsaufgabe auf Tatbestandsseite ist damit für § 47 Abs. 6 VwGO ebenfalls abzulehnen. Vielmehr ist auch hier die Vorausbeurteilung der materiellen Rechtslage insoweit vorgreiflich, als lediglich eine positive Hauptsacheprognose als notwendige Bedingung eine stattgebende Entscheidung ermöglicht. Es erscheint freilich wenig überzeugend, das materiell-akzessorische Element im Tatbestandsmerkmal der „schweren Nachteile“ zu verorten.258 Zum einen besteht die über den Nachteilsbegriff vermittelte Übereinstimmung mit § 47 Abs. 2 VwGO seit dessen Abänderung durch das 6. VwGOÄndG259 nicht mehr. Zum anderen beinhaltet die Voraussetzung der – § 47 Abs. 6 VwGO ebenfalls ähnlichen – Vorschrift des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Regelung „nötig erscheiZiekow / Ziekow, § 47, Rn. 401, die lediglich eine generelle Suspendierung der Rechtsnorm für möglich halten. 255 Vgl. Erichsen / Scherzberg, DVBl. 1987, 168 (178) m. w. N. 256 Vgl. hierzu oben § 3 I., III. 257 Ablehnend z. B. Huber, S. 96 ff. 258 So aber Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 491 ff. 259 BGBl. I S. 1626. Die Antragsbefugnis natürlicher und juristischer Personen ist anders als zuvor nicht mehr an einen „Nachteil“ geknüpft, sondern hängt nunmehr in Anlehnung an § 42 Abs. 2 VwGO von der Geltendmachung einer Rechtsverletzung ab.

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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nen“ muss, um „wesentliche Nachteile abzuwenden“, eindeutig lediglich einen Anordnungsgrund, nicht aber den Anordnungsanspruch. Zur Schließung der im Hinblick auf das materiell-akzessorische Element bestehenden Lücke ist es daher vorzugswürdig, die tatbestandliche Struktur des § 123 Abs. 1 VwGO heranzuziehen und den Erlass der einstweiligen Anordnung in Normenkontrollangelegenheiten ebenfalls vom Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, hier also einer positiven Prognose hinsichtlich der Ungültigkeit der angegriffenen Norm, und eines der in § 47 Abs. 6 VwGO normierten Anordnungsgründe abhängig zu machen.

c) Zwischenergebnis: Unzulässigkeit der Nichtberücksichtigung oder Abwägung des materiellen Rechts Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich den Vorschriften der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO keine umfassende Optimierungsaufgabe entnehmen lässt, die eine Entscheidung aufgrund Abwägung vorschreibt oder gestattet, bei der die Klärung der Rechtsfragen der Hauptsache unterbleibt oder das Ergebnis der Rechtsprüfung lediglich einen Abwägungsbelang darstellt. Weder ist eine solche Entscheidungsstruktur auf der Tatbestandsseite vorgegeben, noch eröffnen die Regelungen über das Eilverfahren durch die Gewährung eines Entschließungsermessens den Weg zu einer Abwägung. Auf der Tatbestandsseite wirken Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG als äußere Abwägungsgrenzen, die das materielle Recht dem Bereich der Abwägung entziehen. Auf der Rechtsfolgenseite führen sie dazu, dass die Entscheidung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen gebunden ist. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes und die Gesetzesbindungspostulate verlangen für alle Systeme des verwaltungsrechtlichen Eilrechtsschutzes die Prüfung und Beachtung der materiellen Rechtslage als obligatorisches und nicht abwägbares Entscheidungskriterium. Die positive Erfolgsprognose stellt eine notwendige Bedingung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes dar. Somit sind die vorgeschlagenen Abwägungsmodelle bereits aus diesem Grunde verfassungswidrig.

3. Ergänzende Bewertung einzelner Aspekte der Abwägungslösungen Unter 2. wurde festgestellt, dass die auf Abwägung basierenden Lösungsmodelle gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes und die Gesetzesbindungsnormen verstoßen, da die Stellung und Gewichtung der materiellrechtlichen Prüfung den entsprechenden Anforderungen des Verfassungsrechts nicht genügt. Die Abwägungslösungen sind darüber hinaus aus weiteren Gründen abzulehnen. Sie erweisen sich nämlich – abgesehen von konstruktiven Mängeln – auch unter dem Gesichtspunkt sonstiger bei Abwägungsentscheidungen zu beachtender verfassungsrechtlicher Gebote wie der Rechtsanwendungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Rechts-

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

sicherheit als inakzeptabel. Ergänzend soll dies im Folgenden anhand einzelner Aspekte der Abwägung aufgezeigt werden.

a) Erfolgsprognose als Abwägungsbelang ungeeignet Wie unter III. dargestellt, kombinieren die Vertreter der Abwägungslösungen Elemente des materiell-akzessorischen und des offenen Entscheidungsmodells. Je nach dem wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Obsiegens bzw. Unterliegens in der Hauptsache eingeschätzt wird, ist die Erfolgsprognose für das Ergebnis der Entscheidung im Eilverfahren erheblich und treten die übrigen Abwägungsbelange zurück. Wenngleich bei der Abwägungslösung die Verhinderung irreparabler Zustände bzw. vollendeter Tatsachen, mithin das Element der Eilbedürftigkeit im Vordergrund steht,260 kommt dieses als Abwägungsbelang auf Antragstellerseite letztlich erst dann zum Tragen, wenn entweder eine Rechtsprüfung aus zeitlichen oder anderen Gründen unterbleibt oder das Ergebnis der Erfolgsprognose nicht so deutlich ausfällt, dass es den alleinigen Ausschlag für den Ausgang des Eilverfahrens gibt. Mag man die Kombination des Abwägungs- und des materiell-akzessorischen Modells angesichts deren konträrer Grundkonzeptionen nicht bereits per se für widersprüchlich halten, so erweist sich jedenfalls in der konkreten Ausgestaltung die Einbeziehung der Erfolgsaussichten in die Abwägung und deren vom Beurteilungsgrad hinsichtlich der Hauptsacheprognose abhängige Gewichtung als inkonsistent. Dies ist zunächst deswegen der Fall, weil über diese Abwägung die beiden kumulativ erforderlichen Voraussetzungen, nämlich das materiellrechtliche Element und die besondere Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit der Entscheidung, miteinander vermengt werden.261 Die Erfolgswahrscheinlichkeit in der Hauptsache vermag jedoch die Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit der Maßnahme weder zu ersetzen noch deren Gewicht im Rahmen einer Abwägung zu erhöhen. Umgekehrt lässt sich eine fehlende positive Erfolgsprognose durch die Eilbedürftigkeit nicht kompensieren.262 Auch im Hinblick auf die den Belangen des Antragstellers entgegenstehenden Interessen ist die Hauptsacheprognose ein ungeeignetes Abwägungskriterium. Ebenso wie für eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts als Erlassvoraussetzung vom besonderen Vollziehungsinteresse zu unterVgl. oben II. zur offenen Eilentscheidung als Grundmodell der Abwägungslösungen. Gegen die Vermengung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bei § 123 Abs. 1 VwGO auch Finkelnburg / Jank, Rn. 157 (anders hingegen bei § 80 Abs. 5 VwGO, vgl. Rn. 864); Huba, JuS 1990, 983 (989); Schoch / Schoch, § 123, Rn. 64, 83. 262 A. A., nämlich im Sinne der Möglichkeit einer solchen Gewichtserhöhung und Kompensation im Rahmen der Abwägung bei § 80 Abs. 5 VwGO wiederum die in Fn. 145 Genannten. Für eine Kompensationsmöglichkeit im Verhältnis von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund trotz Ablehnung der Abwägungslösung bei § 123 Abs. 1 VwGO auch VGH Mannheim, BWVPrax 1995, 65 (66); Kopp / Schenke, § 123, Rn. 25 f. 260 261

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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scheiden ist, können entgegenstehende öffentliche oder private Interessen bei der gerichtlichen Eilentscheidung allenfalls bei der Prüfung der Dringlichkeit der Eilmaßnahme (bzw. des Anordnungsgrundes) Berücksichtigung finden. Eine positive Vorausbeurteilung der materiellen Rechtslage als notwendige Bedingung für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist – unabhängig von dem unter 2. behandelten Aspekt der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Abwägung – keine Größe, die mit Belangen, welche gegen die Dringlichkeit der Maßnahme sprechen, abgewogen werden kann. Des Weiteren ist zu bedenken, dass der Wahrscheinlichkeitsgrad in Bezug auf ein Obsiegen in der Hauptsache erst nach Abschluss der materiellrechtlichen Prüfung feststeht. Er hängt somit, sofern das Ergebnis nicht bereits auf den ersten Blick eindeutig ist, nicht zuletzt davon ab, wie intensiv und zeitaufwändig diese Prüfung durchgeführt und wann die Eilentscheidung gefällt wird. Mit zunehmender Prüfungsintensität und -dauer lässt sich dann regelmäßig ein höherer und folglich in der Abwägung gewichtigerer Beurteilungsgrad erzielen, der u. U. zum Erlass der Eilmaßnahme führt, ohne dass der Antrag letztlich dringlich sein muss. Umgekehrt können die Hauptsacheaussichten durch eine zögerliche Bearbeitung „offen gehalten“ werden mit der Folge, dass dem Antrag wegen zwischenzeitlich eingetretener besonderer Eilbedürftigkeit stattgegeben wird, ohne dass eine entsprechende positive Erfolgsprognose gestellt wurde. Problematisch erweist sich ferner insbesondere der Maßstab der „Offensichtlichkeit“, hinsichtlich dessen unklar bleibt, wann ein solcher Fall von Evidenz vorliegt und wie weit die zu deren Feststellung erforderliche Prüfung gehen muss bzw. darf.263 Selbst wenn man diesbezüglich nicht zulässt, zunächst noch ungewisse Hauptsacheprognosen durch weitere Sachverhaltsermittlungen zu offensichtlichen zu machen, sondern fordert, dass die Sach- und Rechtslage ohne weitere Aufklärung offen zutage liegt, ändert sich nichts daran, dass auf eine Beurteilung ex post abgestellt wird und der Weg zu dieser Einschätzung, insbesondere die Intensität der (effektiv angestellten) rechtlichen Prüfung und der Zeitpunkt der Abgabe der Bewertung, dem Entscheidenden überlassen bleibt. Im Ergebnis zeigt sich im Hinblick auf eine Abwägung der materiellen Rechtsposition des Antragstellers, dass hiergegen nicht nur verfassungsrechtliche Gründe sprechen, sondern das Ergebnis der rechtliche Prüfung zudem keinen tauglichen Abwägungsbelang darstellt.

b) Beliebigkeit der Entscheidungskriterien Angesichts der uneinheitlichen Prüfungs- und Entscheidungskriterien und der vom Ergebnis ausgehenden Gewichtung der rechtlichen Prüfung stellt sich die Abwägungslösung auch unter den Aspekten der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 263

Vgl. hierzu oben III. 2. a) aa) und 3. b).

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Abs. 1 GG sowie des rechtsstaatlichen Gebots der Rechtssicherheit als problematisch dar. Speziell unter dem Gesichtspunkt dieser Verfassungsgrundsätze ist zu bemängeln, dass die Einbeziehung und Gewichtung der Erfolgsprognose im Rahmen der Abwägung vom Einzelfall abhängt und verallgemeinerungsfähige (universalisierbare) Kriterien als Voraussetzung für eine verfassungsgemäße Wahrnehmung einer Optimierungsaufgabe264 nicht erkennbar sind. Die Gefahr einer dezisionistischen Entscheidungsfindung besteht mit Blick auf die Ausführungen unter a) zunächst bei den Kombinationslösungen, welche einer beliebigen Handhabung der Entscheidungskriterien im einstweiligen Rechtsschutz nicht entgegenzuwirken vermögen. Als gleichermaßen bedenklich ist die vom BVerfG zugelassene Wahlmöglichkeit zwischen dem abwägungsbasierten und dem materiell-akzessorischen Prüfungsmaßstab einzustufen,265 die eine verlässliche Voraussage des Entscheidungswegs einschließlich der Einbeziehung des materiellen Rechts als (kraft Verfassungsrechts obligatorisches) Entscheidungskriterium ebenfalls vereitelt. Dies wird insbesondere daran deutlich, dass das BVerfG in bestimmten Situationen eine umfassende und eingehendere rechtliche Prüfung fordert, bei Zeitmangel gleichwohl eine reine Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Erfolgsprognose zulässt. Bedenkt man, dass das BVerfG eine solche die vertiefte rechtliche Prüfung erfordernde Sondersituation als gegeben ansieht, wenn das Eilverfahren irreparable Rechtsverletzungen abzuwenden oder faktisch die Funktion der Hauptsache zu übernehmen hat, so erweist sich die „Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit“266 als untaugliches Abgrenzungskriterium für die Wahl des Prüfungsmaßstabs. Denn für die Konstellationen, in denen dem Eilverfahren quasi Hauptsachecharakter zukommt oder nicht wieder rückgängig zu machende Rechtsverletzungen drohen, ist gerade der (angebliche) Mangel an Zeit zur rechtlichen Prüfung kennzeichnend; diese Zeitnot führt angesichts der drohenden Irreversibilität der zu erwartenden Zustände dazu, dass die Hauptsache nicht abgewartet werden kann und der einstweilige Rechtsschutz dann faktisch deren Funktion übernehmen muss. Auch insofern entbehrt die Wahl des Entscheidungsmaßstabs eindeutiger Vorgaben und wird es letztlich ins Belieben des erkennenden Gerichts gestellt, ob die materielle Rechtsposition des Antragstellers im Rahmen der Prüfung im Eilverfahren zur Geltung kommt oder unberücksichtigt bleibt. Inkonsistent und vor Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen ist außerdem die Unterscheidung zwischen der „Offensichtlichkeit“ der Erfolgsprognose bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und „ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts“ bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO, die jeweils für den Ausgang der Interessenabwägung vorgreiflich sein sollen. Unabhängig von der unter a) behandelten Problematik der ex-post-Bewertung der Erfolgsaussichten und der Frage der Analogiefähigkeit von § 80 Abs. 4 Satz 3 264 265 266

Vgl. oben 1. a). Vgl. hierzu oben III. 1. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480).

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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VwGO267 ist nicht einsichtig, warum bei Anträgen auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das Abwägungsergebnis erst ab einem strengeren Beurteilungsgrad vorgezeichnet werden soll als bei solchen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. In diesem Zusammenhang ist ferner auf die – ebenfalls nicht nachvollziehbaren – Differenzierungen hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs der Erfolgsprognose einzugehen.268 Zunächst ist betreffend das Bezugsobjekt der Erfolgsprognose der Auffassung zu folgen, die unabhängig vom Stand des Rechtsbehelfsverfahrens in der Hauptsache nur auf die Aussichten einer evtl. Anfechtungsklage abstellt.269 Für die Rechtsprechung im Eilverfahren kann kein anderer Prüfungsmaßstab gelten als der im gerichtlichen Hauptsacheverfahren maßgebliche. Insbesondere erstreckt sich die gerichtliche Prüfungsbefugnis im Unterschied zu derjenigen der Widerspruchsbehörde270 niemals auf die im Vorverfahren gemäß § 68 VwGO zu überprüfende Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts. Hieraus folgt, dass die Erfolgsprognose im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nach Maßgabe von §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 VwGO durchzuführen ist. Zugleich umfasst die Prüfung des voraussichtlichen Erfolgs in der Hauptsache damit auch die Frage einer Rechtsverletzung des Antragstellers; ein schlichtes Abstellen auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts genügt nicht. Dies gilt sowohl für Anfechtungsfälle nach behördlicher Vollziehungsanordnung als auch, anders als von der h. M. infolge analoger Anwendung von § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO vertreten, in den Fällen gesetzlich ausgeschlossenen Suspensiveffekts. Die Abwägungslösungen genügen somit aus den genannten Gründen auch nicht den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG und des rechtsstaatlichen Gebots der Rechtssicherheit.

c) Abstellen auf gesetzgeberische „Vorentscheidungen“ unzulässig Für Eilverfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wird verbreitet die Auffassung vertreten, die in der Gesetzessystematik des § 80 Abs. 1 und 2 VwGO zum Ausdruck kommende abstrakt-generelle Interessenabwägung des Gesetzgebers hinsichtlich des Suspensiveffekts von Rechtsbehelfen sei auch für die Abwägung im Rahmen der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz präjudiziell. Zum Teil wird eine solche gesetzgeberische „Vorentscheidung“ für die konkret-individuelle Interessenabwägung in dem Sinne angenommen, dass in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Vgl. hierzu oben unter III. 2. a) bb). Vgl. hierzu bereits oben III. 2. 269 Vgl. die in Fn. 119 Genannten. 270 Freilich hat die Widerspruchsbehörde ihrerseits landesgesetzliche Einschränkungen im Hinblick auf eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit in Selbstverwaltungsangelegenheiten zu beachten, vgl. etwa § 8 Abs. 1 AGVwGO BW, § 6 Abs. 2 AGVwGO RP, § 8 Abs. 2 AGVwGO SL. 267 268

6 Windoffer

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Nr. 1 bis 3 VwGO von vornherein eine widerlegliche gesetzliche Vermutung für einen Vorrang des Vollziehungsinteresses271 und in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO eine solche Vermutung zugunsten des Suspensivinteresses272 streite. Teilweise wird die gesetzgeberische Wertung erst dann für ausschlaggebend gehalten, wenn die in die Abwägung eingestellten widerstreitenden Interessen als gleichgewichtig einzuschätzen sind.273 Nach einer anderen Ansicht soll die Entscheidung bei Rechtsbehelfen mit offener Erfolgsaussicht nicht der Wertung der § 80 Abs. 1 und 2 VwGO, sondern den Vorschriften des materiellen Rechts sowie bestimmten Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechts zu entnehmen sein, die ein Vorrangverhältnis für oder wider den Suspensiveffekt begründen.274 Diese Auffassung beruht auf der These, die Konzeption des § 80 VwGO sei inkonsistent. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis und die Rechtfertigungsanforderungen bei § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO verhinderten die Erreichung der Zwecke des materiellen Rechts; in der Folge trachte die Praxis danach, dieses Regelungsmodell zu umgehen, womit § 80 VwGO teilweise wirkungslos werde.275 Die Rechtsfolgen der Einlegung von Rechtsbehelfen, deren Erfolgsaussichten nicht offensichtlich, sondern „offen“ seien, müssten sich daher nach der materiell-rechtlichen Güterzuordnung, wie sie z. B. im Recht der Gefahrenabwehr oder im Beamtenrecht zu finden sei,276 richten; je wichtiger die Verwirklichung der Rechtsfolge des Verwaltungsakts vor dem Hintergrund dieser Güterzuordnung erscheine, desto eher sei die Annahme sofortiger Vollziehbarkeit gerechtfertigt.277 Fehlten solche Zuordnungen, wie z. B. bei Ermessensund Planungsentscheidungen sowie begünstigenden Verwaltungsakten mit belastender Drittwirkung, seien verwaltungsverfahrensrechtliche Vorschriften heranzuziehen, welche eine gesteigerte Bestandsgewähr im Verwaltungsprozess böten.278 Die dargestellten Auffassungen, wonach generelle gesetzliche Vorentscheidungen bei der Entscheidung im Eilverfahren im Zweifelsfall ausschlaggebend seien, 271 So VGH Mannheim, VBlBW 1995, 237 (238) für Verkehrszeichen; Erichsen, Jura 1984, 478 (486); Huba, JuS 1990, 805 (809); Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 24; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 48; tendenziell auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1003 sowie Kopp / Schenke, § 80, Rn. 114; zumindest für eine Berücksichtigung des „besonderen Gewichts“ auch Kuhla / Hüttenbrink, Rn. J 136. 272 So Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 24; Kuhla / Hüttenbrink, Rn. J 136. 273 So Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 77: „wenn darüber hinaus nichts an Belangen feststellbar ist“; Finkelnburg / Jank, Rn. 853, 864; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 163. 274 Vgl. Pöcker, S. 108 ff.; für die Heranziehung weiterer gesetzlicher Bewertungen, hingegen ohne Aufgabe des Regelungsmodells des § 80 VwGO auch Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 78. 275 Vgl. Pöcker, S. 31 ff., 83 ff. 276 Beispiele bei Pöcker, S. 120 ff. 277 Vgl. Pöcker, S. 109. 278 Vgl. hierzu mit Beispielen Pöcker, S. 148.

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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sind jedoch mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und daher abzulehnen. Dies gilt zunächst für die aus der gesetzlichen Regelung des Suspensiveffekts in § 80 Abs. 1 und 2 VwGO abgeleiteten Präjudizwirkungen, die entweder einen Vorrang a priori oder bei Gleichwertigkeit der Interessen begründen sollen. Diese Vorschriften regeln lediglich die Rechtsfolge der Einlegung des Rechtsbehelfs. Sie enthalten aber, wie bereits dargestellt,279 keinen Entscheidungsmaßstab und keine Prüfungskriterien für die gerichtliche Entscheidung. Dem gemäß lässt sich aus ihnen weder die Vorgabe einer gerichtlichen Interessenabwägung als Methode der Entscheidungsfindung ableiten, noch sind ihnen Vorprägungen zu entnehmen, die auf das Ergebnis der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO von Einfluss wären. Insoweit ist der Rechtsprechung des BVerfG zu folgen, wonach hinsichtlich der Geltung und des Inhalts der aus dem Rechtsschutzanspruch gemäß Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitenden Grundsätze kein Unterschied bestehe, ob die sofortige Vollziehung Folge einer gesetzlichen oder behördlichen Anordnung sei.280 Über die Rechtsschutzgewährung kann unabhängig davon, ob man dem Abwägungsmodell folgt oder wie hier eine getrennte Prüfung und kumulative Feststellung der materiellen Rechtsposition sowie der Eilbedürftigkeit befürwortet, nur nach den Umständen des konkreten Falls befunden werden.281 Eine Präjudizierung aufgrund der angeblichen gesetzgeberischen „Vorentscheidung“ stellt – über den Widerspruch zu Art. 19 Abs. 4 GG hinaus – zudem eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dar und verstößt damit auch gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Nicht mit Verfassungsrecht vereinbar ist ferner die vorgeschlagene Entscheidungsfindung in Anlehnung an Güterzuordnungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts. Zunächst erweist sich diese Lösung mit der Unterscheidung nach dem Beurteilungsgrad der „offensichtlichen“ bzw. „offenen“ Erfolgsaussichten aus den bereits unter a) genannten Gründen als problematisch. Im Übrigen bestehen die Einwände, die gegen eine aus § 80 Abs. 1 und 2 VwGO hergeleitete Vorprägung anzuführen sind, hier erst recht, zumal Vorentscheidungen aus Normen abgeleitet werden, die keinerlei Regelungsgehalt im Hinblick auf die für den einstweiligen Rechtsschutz maßgebliche Zeitspanne bis zur Hauptsacheentscheidung aufweisen. Diese Auffassung greift auf die Idee vom „materiellen Zwischenrecht“ zurück,282 wonach das materielle Recht selbst auch Regelungen betreffend die Verhaltensanforderungen für den Zeitraum bis zur endgültigen Vgl. oben 2. b) bb). So explizit BVerfGE 69, 220 (229); BVerfG DVBl. 1999, 163 (165); BVerfG, Beschl. v. 10. 04. 2001 – 1 BvR 1577 / 00. 281 Auf den Einzelfall abstellend auch BVerfGE 35, 382 (401 f.) und 69, 220 (228), jeweils § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO betreffend; ebenso für alle Fälle von § 80 Abs. 2 VwGO G. Scholz, Menger-FS, S. 641 (653); Timmler, S. 59 f., 62. 282 So explizit Pöcker, S. 92; für den verfassungsprozessualen Bereich vgl. auch bereits Schüle, S. 47 ff. 279 280

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Rechtsfindung enthalte. Die Annahme eines solchen Zwischenrechts widerspricht jedoch dem existierenden System des einstweiligen Rechtsschutzes, das dadurch gekennzeichnet ist, dass die Verhaltenspflichten nicht im Gesetz abstrakt vorgeprägt sind, sondern erst im Einzelfall durch richterliche Entscheidung begründet werden.283 Sie koppelt ferner entgegen dem von Art. 19 Abs. 4 GG vorausgesetzten Zusammenhang den Rechtsschutz vom materiellen Recht als seinem Schutzgut ab.284 Mangels entsprechender gesetzlicher Vorgabe einer derartigen Güterzuordnung für den Interimszeitraum, welche die Abweichung von der einzelfallabhängigen Betrachtung rechtfertigte, verstößt eine Entscheidung, die unter der Prämisse einer Bindung an solche materiell- oder verfahrensrechtlichen Vorentscheidungen ergeht, schließlich auch gegen Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG.

d) Zwischenergebnis: Verfassungswidrigkeit der Abwägungslösungen auch aus anderen Gründen Die weitere Betrachtung hat gezeigt, dass die Abwägungslösungen auch aus sonstigen, über die grundsätzliche Problematik der Stellung des materiellen Rechts bei der Eilentscheidung hinausgehenden Gründen abzulehnen sind. Zunächst erweist sich die Erfolgsprognose als untaugliches Kriterium im Rahmen einer Abwägung von Suspensiv- und Vollziehungsinteresse bei § 80 Abs. 5 VwGO. Des Weiteren verstoßen die Möglichkeit zur Wahl des Entscheidungsmaßstabs an sich sowie die Differenzierungen bei den für die Erfolgsprognose in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO herangezogenen Entscheidungskriterien gegen Art. 3 Abs. 1 GG und das Gebot der Rechtssicherheit. Schließlich ist auch eine Entscheidungsfindung in Anlehnung an angebliche gesetzgeberische Vorentscheidungen aus § 80 Abs. 1 und 2 VwGO oder gar aus Güterzuordnungen des materiellen Rechts (im Sinne eines „materiellen Zwischenrechts“) bzw. des Verfahrensrechts mit Art. 3 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG und der Gesetzesbindung nicht zu vereinbaren.

4. Zusammenfassung Im Ergebnis sind die für die Entscheidungsfindung im verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz vorgeschlagenen Abwägungslösungen als verfassungswidrig abzulehnen. Sie werden der grundgesetzlich geforderten Stellung der materiellrechtlichen Prüfung im Eilverfahren nicht gerecht. Die für diese Schlussfolgerung maßgeblichen Gesichtspunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen: 283 Vgl. Leipold, S. 57; ablehnend gegenüber allgemeinen materiellen Stillhalte- oder Leistungspflichten auch Minnerop, S. 55 f.; Rohmeyer, S. 117 ff. 284 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 985. Zum funktionalen Zusammenhang zwischen Rechtsschutz und materiellem Recht vgl. oben § 3 II. 3. a).

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Abwägung setzt voraus, dass eine Vorschrift ausdrücklich oder konkludent zu zweckrationalem Handeln auffordert. Sie findet nur innerhalb der durch zwingende Vorschriften gesetzten Grenzen statt. Im einstweiligen Rechtsschutz ist eine Entscheidungsfindung aufgrund Abwägung, bei der die für die Hauptsache maßgebliche materielle Rechtsposition entweder überhaupt nicht oder nur als einer von mehreren Abwägungsbelangen einbezogen wird, aus den nachstehenden Gründen nicht zulässig: – Eine angesichts der tatbestandlichen Struktur der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO zunächst denkbare Optimierungsaufgabe auf der Rechtsfolgenseite in Form eines Entschließungsermessens besteht nicht. Sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen erfüllt, widerspräche eine darüber hinausgehende Abwägungsbefugnis dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie den Gesetzesbindungspostulaten. Im Übrigen streitet gegen den Charakter der gerichtlichen Eilentscheidung als Ermessensentscheidung die vollumfängliche Prüfungsbefugnis des Beschwerdegerichts. – Ein entsprechendes umfassendes Abwägungsgebot auf der Tatbestandsseite ist ebenfalls abzulehnen. Für § 123 Abs. 1 VwGO folgt dies bereits aus der tatbestandlichen Fassung, welche die getrennte Prüfung und das kumulative Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes vorgibt. Eine Außerachtlassung oder Abwägung des den Anordnungsanspruch bildenden subjektiven Rechts widerspräche Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG, da auf diese Weise die Befriedungsfunktion des einstweiligen Rechtsschutzes und dessen untrennbarer Zusammenhang mit dem materiellen Recht verkannt würden. Der Abwägungslösung zufolge erhielte die geschützte Rechtsposition nämlich lediglich den Stellenwert eines schlichten Abwägungsbelangs, anstatt wie verfassungsrechtlich gefordert als zentrales Bezugsobjekt im Mittelpunkt der Rechtsschutzgewährung zu stehen. – Bei §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO lässt sich ein Abwägungsgebot auf der Tatbestandsseite weder aus dem Wortlaut noch der Gesetzessystematik ableiten. § 80 Abs. 2 VwGO enthält keine Kriterien für die gerichtliche Eilentscheidung; insbesondere kann der Maßstab des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht herangezogen werden, da die sofortige Vollziehung durch die Behörde notwendigerweise einen rechtmäßigen Verwaltungsakt voraussetzt, die Vorschrift somit lediglich das besondere Vollzugsinteresse als hinreichende Bedingung für die Aussetzungsentscheidung normiert. Auch in Anfechtungsfällen ist infolge Art. 19 Abs. 4 GG und der Gesetzesbindung für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes die Prüfung und positive Vorausbeurteilung der Hauptsache gefordert. Die zumindest vorläufige Feststellung der materiellen Rechtslage stellt eine notwendige und von der Frage der Eilbedürftigkeit unabhängige Entscheidungsbedingung dar. Das Erfordernis der vorläufigen Klärung von Rechtsfragen im Eilverfahren wird insbesondere auch bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung augenfällig, wo die Entscheidung notwendigerweise auf jeweils von

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1. Teil: Klärungsbedürftigkeit

Art. 19 Abs. 4 GG geschützte Positionen einwirkt. Eine Außerachtlassung oder Abwägung des subjektiven Rechts ist daher bei §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 VwGO ebenfalls unzulässig. – Auch für einstweilige Anordnungen in Normenkontrollangelegenheiten gemäß § 47 Abs. 6 VwGO ist in Anlehnung an § 123 Abs. 1 VwGO die Feststellung eines Anordnungsanspruchs zu fordern, der vorliegt, wenn eine positive Prognose im Hinblick auf einen Erfolg in der Hauptsache gestellt werden kann. Hier tritt angesichts der Möglichkeit, Rechtsfolgen mit genereller Wirkung anzuordnen, die in Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG verankerte Kontrollfunktion des Verwaltungsprozesses noch stärker in Geltung als bei den übrigen Systemen einstweiligen Rechtsschutzes. In Anbetracht der extensiv ausgeprägten Befriedungsfunktion ist hinsichtlich der Stellung des materiellen Rechts eine von §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 und 123 Abs. 1 VwGO abweichende Behandlung der Rechtsfragen der Hauptsache nicht gerechtfertigt. Eine Außerachtlassung oder Abwägung der subjektiven Rechtsposition des Antragstellers ist somit auch bei § 47 Abs. 6 VwGO mit Verfassungsrecht unvereinbar.

Über den Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG hinaus, die einer Eilentscheidung ohne Einbeziehung der materiellen Rechtslage oder unter Abwägung derselben – insofern als äußere Abwägungsgrenzen – bereits vom Grundsatz her entgegenstehen, erweist sich die Abwägungslösung als inkonsistent und mit Art. 3 Abs. 1 GG sowie dem Prinzip der Rechtssicherheit unvereinbar. Diese Schlussfolgerung liegt insbesondere darin begründet, dass – das materielle Recht (einschließlich des aus einer ex-post-Betrachtung gewonnenen Wahrscheinlichkeitsgrads bezüglich der Erfolgsprognose) bereits prinzipiell keinen tauglichen Abwägungsbelang im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO bildet, mithin eine (u. U. kompensatorische) Vermengung und Abwägung von Erfolgswahrscheinlichkeit und die Eilbedürftigkeit begründenden oder ausschließenden Elementen nicht möglich ist, – hinsichtlich der Wahl des Prüfungs- und Entscheidungsmaßstabs eindeutige Vorgaben fehlen und betreffend Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht gerechtfertigte Differenzierungen bei den Kriterien für die Beurteilung der Erfolgsaussichten vorgenommen werden sowie – eine an gesetzgeberischen „Vorentscheidungen“ aus § 80 Abs. 1 und 2 VwGO oder dem materiellen Recht bzw. Verwaltungsverfahrensrecht ausgerichtete Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz in Anfechtungsfällen unzulässig ist.

§ 5 Verfassungsmäßigkeit der Abwägungslösungen?

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V. Ergebnis: Folgerungen für den Prüfungsmaßstab Aus den unter §§ 3 und 4 gewonnenen Erkenntnissen sowie der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Abwägungslösungen unter § 5 kann als Fazit für den Prüfungsmaßstab im Eilverfahren Folgendes festgehalten werden: Die materielle Rechtslage ist infolge Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG auch im Verfahren des verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes obligatorisches Prüfungs- und Entscheidungskriterium. Die Rechtsfragen der Hauptsache sind im Eilverfahren zumindest vorläufig zu klären und der Entscheidung zugrunde zu legen. Eine Entscheidung, welche auf diese Prüfung von vornherein verzichtet oder die materielle Rechtslage unberücksichtigt lässt, verstößt gegen Verfassungsrecht. Gleichfalls verfassungswidrig sind Eilentscheidungen, bei denen die Hauptsacheprognose als Abwägungsbelang in eine Interessenabwägung eingestellt und je nach Erfolgswahrscheinlichkeit gewichtet wird. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verlangt stattdessen kumulativ eine positive Erfolgsprognose und die Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit der Entscheidung. Dies gilt sowohl im Falle von § 123 Abs. 1 VwGO, wo diese Voraussetzungen tatbestandlich normiert sind, als auch bei §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 und 47 Abs. 6 VwGO. Die beiden Entscheidungskriterien sind getrennt voneinander zu prüfen und festzustellen. Keinesfalls darf die Erfolgsprognose mit Elementen der Eilbedürftigkeit bzw. Dringlichkeit vermengt werden. Die Abwägungslösungen sind folglich abzulehnen. Im Ergebnis ist damit die Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Grundsatz verfassungsrechtlich vorgegeben. Hiervon ausgehend stellt sich nun die Frage, in welchem Umfang und mit welchem Ergebnis die materiellrechtliche Prüfung im Eilverfahren durchzuführen ist und inwieweit die entsprechenden Anforderungen erfüllt werden können. Diese Problematik ist Gegenstand des 2. Teils der Untersuchung.

2. Teil

Klärungsfähigkeit: Umfang der Rechtsprüfung im Eilverfahren § 6 „Summarische Prüfung“: Grundlage für Einschränkungen des Prüfungsumfangs? Bei der Suche nach Antworten auf die Frage, welcher Aufwand bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die Prüfung der für die Hauptsache maßgeblichen Rechtsfragen verwendet werden muss bzw. kann, stößt man in Rechtsprechung und Literatur allenthalben auf den Begriff der „summarischen Prüfung“. Die Verwendung dieses Begriffs beschränkt sich hierbei zum Teil darauf, die (angeblichen) Wesensmerkmale und besonderen Bedingungen des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz pauschal zu umschreiben, ohne dass die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen, insbesondere die für den Umfang der sachlichen oder rechtlichen Prüfung maßgeblichen Kriterien näher dargelegt würden. Teilweise finden sich aber auch mehr oder weniger konkrete Vorgaben im Hinblick auf die Prüfungsintensität im Eilverfahren, die dem „summarischen Charakter“ des Verfahrens zu entnehmen seien. Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über die Verwendung des Begriffs „summarische Prüfung“ und die ihm beigelegte Bedeutung gegeben werden. Anschließend sind die mit der Charakterisierung des Eilverfahrens als „summarisch“ verbundenen Konsequenzen für die Gründlichkeit der Rechtsprüfung zu beurteilen.

I. Die „summarische Prüfung“ und ihre Konsequenzen in Rechtsprechung und Literatur 1. Nicht konkretisierte Obergrenze der Prüfungsintensität Auch soweit keine substanziellen, im Hinblick auf die Prüfungsintensität aufschlussreichen Erläuterungen gegeben werden, suggerieren die Hinweise auf die „summarische Prüfung“ der Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine Beschränkung des materiellrechtlichen Prüfungsumfangs im einstweiligen Rechtsschutz. Dies ist zunächst bereits im Begriff „summarisch“ angelegt, welcher bedeutet, dass

§ 6 „Summarische Prüfung“

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Mehreres gerafft zusammengefasst wird und dabei wichtige Einzelheiten außer Acht bleiben.1 So finden sich oftmals Äußerungen, denen zufolge es sich bei der summarischen um die im Eilverfahren vorgesehene2 bzw. gebotene3 oder auch die allein mögliche Prüfung4 handle. Der „summarische Charakter“ wird hierbei aus dem „Wesen vorläufiger Rechtsschutzgewährung“ gefolgert.5 Die „summarische Prüfung“ markiert dem gemäß jeweils die Obergrenze der Prüfung, wenngleich die Unterschiede in der Terminologie darauf hinzudeuten scheinen, dass im einen Fall die Grenze der Durchdringung der Eilrechtssache im Hinblick auf den Hauptsacheanspruch gleichsam normativ vorgegeben („vorgesehen“, „geboten“) sein soll, während sie sich im anderen Fall („allein möglich“) aus faktischen, mit der besonderen Situation des Eilverfahrens notwendig verbundenen Beschränkungen ergibt. Zugespitzt formuliert, liegt der geringere Prüfungsumfang diesen Auffassungen zufolge daran, dass entweder nicht intensiver geprüft werden muss bzw. darf oder dass das Gericht dies im Eilverfahren nicht kann. Die Einschränkung der Prüfungsintensität wird hierbei nicht allein auf die Tatsachenermittlung bezogen, sondern erstreckt sich vielfach explizit auch auf die rechtliche Seite der Hauptsacheprognose. In diesem Sinne finden sich häufig Formulierungen, die darauf hinweisen, dass das Gericht eine „summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage“ durchzuführen habe oder dass eine solche im konkreten Verfahren durchgeführt worden sei.6 Zum Teil wird das Erfordernis einer lediglich Vgl. Brockhaus, Die Enzyklopädie, 30. Bd., S. 3818. Vgl. BVerfGE 53, 30 (67); ähnlich BVerfGE 69, 315 (340); BVerwG NVwZ 1991, 159 und NVwZ 2002, 1230 (1231): „nur summarische Prüfung“; VGH München, NVwZ-RR 1999, 345: „auf eine summarische Prüfung ausgerichtetes Verfahren“. Von einer summarischen Prüfung als Bestandteil der Interessenabwägung ausgehend auch BVerfG NVwZ 1984, 429; NVwZ 1996, 58 (60). 3 Vgl. etwa BVerfG NVwZ 1987, 403 (404); BVerwG NVwZ 1993, 565 (566); OVG Berlin, DVBl. 1992, 286; OVG Schleswig, NVwZ 1992, 687; OVG Hamburg, NVwZ-RR 1993, 53 (54); VGH Kassel, NVwZ 1993, 204; VGH Mannheim, NVwZ 1995, 716; NVwZ-RR 1996, 262 (263) und VGHBW-Ls 1998, Beilage 9, B 2; OVG Münster, NJW 1996, 2115 f.; VGH München, BayVBl. 1997, 116; OVG Bautzen, NVwZ-RR 1998, 253 (254); Kopp / Schenke, § 80, Rn. 125; Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 136. 4 Vgl. etwa BVerfG NVwZ 1987, 403; OVG Berlin, DVBl. 1992, 286; VGH Kassel, NVwZ 1993, 204; VGH Mannheim, NVwZ 1995, 716; NVwZ-RR 1997, 758 und VGHBWLs 1998, Beilage 9, B 2; OVG Münster, NWVBl. 1996, 5; NVwZ 1997, 1004 und NVwZ-RR 1999, 696; VGH München, NVwZ-RR 1999, 345; OVG Bautzen, SächsVBl. 2000, 85; VG Oldenburg, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 4 B 1538 / 01; für § 80 Abs. 5 VwGO auch Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 81 (anders für § 123, vgl. Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48). 5 Vgl. BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218). 6 Vgl. etwa OVG Hamburg, NVwZ-RR 1994, 587 (588); VGH Mannheim, NVwZ 1995, 716; NVwZ-RR 1996, 262 (263) und VGHBW-Ls 1998, Beilage 7, B 2; OVG Münster, NVwZ-RR 1994, 617 und NJW 1996, 2115; OVG Bautzen, NVWZ-RR 1998, 253 (254); VGH München, NVwZ-RR 2003, 244; VG Oldenburg, Beschl. v. 02. 07. 2001 – 4 B 1538 / 01; Kopp / Schenke, § 80, Rn. 125; Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 136; zustimmend für § 80 Abs. 5 VwGO Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 81 und Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48. 1 2

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

„summarischen Prüfung“ auch ausdrücklich auf die Rechtslage bzw. die Klärung von Rechtsfragen bezogen.7 Abweichend davon soll, wie bereits an anderer Stelle dargelegt,8 nach der Rechtsprechung des BVerfG, das ansonsten ebenfalls vom nur summarischen Charakter der rechtlichen Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeht, in bestimmten Konstellationen bereits hier eine umfassende Prüfung der Sach- und Rechtslage bzw. eine eingehendere rechtliche Prüfung des in der Hauptsache geltend gemachten Anspruchs geboten sein. Ein solcher Ausnahmefall wird angenommen, wenn die Versagung des einstweiligen Rechtsschutzes zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt,9 wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Grundrechtsverletzung droht, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann10, oder wenn das Eilverfahren vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung eines Beteiligten droht11 bzw. eine Vorverlagerung des Rechtsschutzes in das Eilverfahren stattfindet.12 Die aus Art. 19 Abs. 4 GG gefolgerte Forderung nach eingehender Prüfung der Rechtsfragen bei unzumutbaren Nachteilen und im Falle drohender Irreversibilität der Fakten hat Zustimmung gefunden.13 Ebenso wie in den vom BVerfG entschiedenen Fällen wird eine intensivere Rechtsprüfung auch bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO) im Allgemeinen,14 in Baunachbarstreitfällen 15 und bei atomrechtlichen Genehmigungen im Besonderen16 sowie außerdem im Asylrecht17 für erforderlich erachtet.

7 Vgl. BVerfG NVwZ 2002, 1230 (1231); Kopp / Schenke, § 123, Rn. 24. Trotz grundsätzlich gegenteiliger Auffassung im Ergebnis auch Schoch / Schoch, § 80, Rn. 284, der einerseits zwar eine vollständige Klärung von Rechtsfragen fordert (vgl. Rn. 276), andererseits jedoch eine „ordentliche“ rechtliche Prüfung bei unzureichender Tatsachengrundlage nicht für möglich hält und damit aufgrund praktischer Notwendigkeiten von seinem Postulat abrückt. 8 Vgl. oben § 5 III. 1. 9 Vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237). 10 Vgl. BVerfGE 79, 69 (75); 93, 1 (13 f.); 94, 166 (216). 11 Vgl. BVerfGE 69, 315 (363 f.); BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218). 12 Vgl. BVerfGE 67, 43 (62); 89, 113 (117); BVerfG, Beschl. v. 17. 06. 1998 – 1 BvR 2386 / 94. 13 So etwa bei Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 285; § 123, Rn. 122, der andererseits die Klärung schwieriger Rechtsfragen bei Gefahr irreversibler Zustände wiederum für „verboten“ hält, vgl. Schoch / Schoch, § 80, Rn. 284. 14 Vgl. Mampel, DVBl. 1997, 1155 (1156); Sellner, Lerche-FS, S. 824, 826 f. 15 Vgl. VGH München NVwZ 1991, 1002 (1003); BayVBl. 1995, 246; Mampel, DVBl. 1997, 1155 (1156); Schoch / Schoch, § 80, Rn. 286. 16 Vgl. W. Martens, S. 30 f. 17 Vgl. Schoch / Schoch, § 80, Rn. 263; Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 137, jeweils im Anschluss an die verfassungsgerichtliche Entscheidung in BVerfGE 67, 43.

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2. Konkretisierungsversuche Zur näheren Bestimmung dessen, was unter einer „summarischen Prüfung“ zu verstehen ist, sowie der Anforderungen, die sich daraus im Hinblick auf die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergeben, wird häufig das Merkmal der „Glaubhaftmachung“ ins Spiel gebracht. Die Verwendung dieses Begriffs erfolgt hierbei in Anlehnung an §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO, wo er eine Herabsetzung der Erkenntnisanforderungen bedeutet und zwar dergestalt, dass im Hinblick auf das Beweismaß anstatt der in der Hauptsache geforderten vollen richterlichen Überzeugung die bloße „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ genügt.18 Für einstweilige Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO ergibt sich die entsprechende Anwendung der für den zivilprozessualen Arrest und die einstweilige Verfügung geltenden Erkenntnisanforderungen auf den Verwaltungsprozess aus § 123 Abs. 3 VwGO. Sie wird darüber hinaus auch für Eilentscheidungen gemäß § 80 Abs. 5 VwGO19 sowie § 47 Abs. 6 VwGO20 befürwortet. Mit den Kriterien der „Glaubhaftmachung“ und „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ wird somit wiederum auf das Ergebnis der Prüfung, nämlich den nach Abschluss derselben erzielten Beurteilungsgrad abgestellt. Die Stellungnahmen zur „Glaubhaftmachung“ im verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz divergieren allerdings im Hinblick auf das Bezugsobjekt dieser Vorgabe. Zum überwiegenden Teil wird die „Glaubhaftmachung“ bzw. das Erfordernis eines geringeren Überzeugungsgrads – im Gleichklang mit der h. M. zum Beweismaß im Zivilprozess21 – auf Aussagen über Tatsachen beschränkt, die den Anspruch in der Hauptsache begründen.22 Zum Teil ist wiederum ohne diese Unterscheidung pauschal von der „Glaubhaftmachung“ des Anord-

18 Vgl. für den Zivilprozess BGH VersR 1976, 928 (929); BGH NJW 1994, 2898; NJW 1996, 1682; NJW 1998, 1870; NJW-RR 2003, 1218 (1220); Beschl. v. 11. 09. 2003 – IX ZB 37 / 03; Baumbach / Lauterbach / Hartmann, § 294, Rn. 1; Zöller / Greger, § 294, Rn. 1. 19 Vgl. Brühl, JuS 1995, 722 (726); Finkelnburg / Jank, Rn. 975; Kopp / Schenke, § 80, Rn. 125; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 52; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 279. 20 Vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 588 (589); Kopp / Schenke, § 47, Rn. 156. 21 Vgl. MK / Heinze, § 920, Rn. 11; Thomas / Putzo, § 920, Rn. 4, ebenso Rn. 13 vor § 284 und § 294, Rn. 1. 22 Vgl. etwa OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1998, 205; Bender, Menger-FS, S. 657 (661, insbes. Fn. 19); Brühl, JuS 1995, 722 (725 f.); Burkholz, S. 44; Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48; Franzke, NWVBl. 1993, 321 (324); Huba, JuS 1990, 805 (808); 983 (987); Huber, S. 190 (betreffend einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG); Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1566, 1644; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 276; § 123, Rn. 70, 93; Sodan / Ziekow / Puttler, § 80, Rn. 136. Für den Regelfall auch Redeker / von Oertzen § 123, Rn. 18, wo allerdings im Falle besonders schwierig gelagerter Rechtsprobleme eine Ausnahme für denkbar gehalten wird. Ebenfall im Grundsatz Finkelnburg / Jank, Rn. 351, 975; diese fordern jedoch, vgl. Rn. 352, im Hinblick auf die rechtliche Beurteilung keine „Rechtsgewissheit“, sondern nur „mehr als eine bloße Wahrscheinlichkeitsbetrachtung“, so dass auch diesbezüglich nicht der gleiche Überzeugungsgrad wie in der Hauptsache gelten soll.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

nungsanspruchs und -grundes23 die Rede, was – ebenso wie bereits die o. g. Formulierung „summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage“ – mangels entsprechender Differenzierung auf verminderte Anforderungen auch an die Beurteilung der Rechtsfragen der Hauptsache hindeutet. Dies deckt sich mit einer Auffassung zum Arrest- und Verfügungsprozess nach der ZPO, welche die Unterscheidung zwischen tatsächlicher und rechtlicher Prüfung in § 920 Abs. 2 ZPO nicht angelegt sieht und die Reduzierung der Erkenntnisanforderungen daher explizit auch auf die rechtliche Seite des Anspruchs bezieht.24 Weitere Konkretisierungsansätze zur Reduzierung der Prüfungsintensität finden sich dort, wo die Argumentation nicht am erzielten Grad der Überzeugung, mithin dem Ergebnis der (summarischen) Prüfung ansetzt, sondern die zu diesem Ergebnis führende richterlichen Betätigung, d. h. die vom Gericht anzustellenden Tatsachenermittlungen sowie dessen rechtliche Prüfungstätigkeit in den Vordergrund stellt. Im Hinblick auf die rechtliche Prüfung wird hierbei zunächst die Forderung erhoben, das Bestehen der Rechtsposition in der Hauptsache sei (nur) „anzuprüfen“, ohne dass die Folgerungen aus diesem Begriff näher erläutert werden.25 Nach dieser Auffassung scheint der begrenzte Prüfungsumfang somit wiederum von vornherein vorgegeben, ohne dass es auf die Umstände des konkreten Falls ankäme. Eher auf die praktischen Gegebenheiten abstellend wird des Weiteren vertreten, es seien – ebenso wie an die Sachverhaltsermittlung – auch an die Tiefe der rechtlichen Subsumtion und Durchdringung, insbesondere Recherche von Präjudizien und Literaturmeinungen, geringere Anforderungen zu stellen als im Hauptsacheverfahren, ohne dass deshalb von einer oberflächlichen Prüfung gesprochen werden könne.26 Vom Gericht sei daher im Eilverfahren zu verlangen, im Hinblick auf die Rechtslage eine „summarische Schlüssigkeitsprüfung“ anzustellen.27 Der naturgemäß größere Zeitdruck erlaube es nicht, immer die rechtliche Würdigung des Sachverhalts vollständig vorzunehmen.28 Für das Gericht ergebe sich daher der Zwang, faktisch ohne umfassende Gesetzesinterpretation und erschöpfende Subsumtion entscheiden zu müssen.29 Bei unzureichender Tatsachengrundlage sei eine Vgl. BVerfGE 51, 268 (280); 79, 69 (74); BVerfG NVwZ 2002, 1230 (1232). Vgl. Leipold, S. 64 f., 88 f.; Zöller / Vollkommer, § 922, Rn. 6. 25 Vgl. BVerfG NVwZ 1984, 429, das sich bewusst einer Stellungnahme zur Tiefe dieses „Anprüfens“ enthält; Bender, Menger-FS, S. 657 (661); Leipold, S. 192; Lüke, NJW 1978, 81 (85); Maunz / Dürig / Schmidt-Aßmann, Art. 19 IV, Rn. 276 m. w. N. 26 Vgl. Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 81. 27 Vgl. VGH Mannheim, ESVGH 36, 241 (247); Jakobs, VBlBW 1984, 129 (134); Finkelnburg / Jank, Rn. 352. 28 Vgl. Eyermann / J. Schmidt, § 80, Rn. 81; ähnlich bereits Grunsky, ZZP 85 (1972), 359 (362). 29 Vgl. Schoch / Schoch, § 80, Rn. 277 und 284, der damit konzediert, dass in der Praxis von seinem Postulat umfassender rechtlicher Würdigung (vgl. Rn. 276) abgewichen werden könne. 23 24

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„ordentliche“ rechtliche Prüfung nicht möglich, die Rechtsausführungen könnten daher nur kursorisch sein.30 In gleichem Sinne werden an anderer Stelle die Erkenntnismöglichkeiten des Eilverfahrens ebenfalls per se als begrenzt angesehen und die Vertiefung und abschließende Klärung schwieriger Rechtsfragen für unmöglich gehalten.31 In Bezug auf solche komplizierten Rechtsfragen, die sich in der Praxis nicht streng von ihrer Tatsachengrundlage trennen ließen, erlange der „summarische“ Charakter des Eilverfahrens Bedeutung.32 Letztgenannte Ansicht lässt einen weiteren Aspekt der „summarischen Prüfung“ erkennen, nämlich denjenigen der Vorläufigkeit bzw. des mangelnden abschließenden Charakters der Prüfung im einstweiligen Rechtsschutz. Insofern erfolgt eine Inhaltsbestimmung im Wesentlichen in Abgrenzung zum Hauptsacheverfahren. Mit dem Abstellen auf die Vorläufigkeit der rechtlichen Prüfung im Eilverfahren verbindet sich wiederum nicht nur ein Hinweis auf faktisch eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten. Vielmehr wird hieraus eine grundsätzliche Vorgabe geringerer Prüfungstiefe abgeleitet und die – im Zusammenhang mit dem Verfahren auf Zulassung der Beschwerde (§ 146 Abs. 4 VwGO a. F.) wieder aktualisierte – einschränkende Forderung erhoben, eine abschließende Klärung von Rechtsfragen habe nicht im Eilverfahren zu erfolgen, sondern sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.33 Die Rechtsfragen müssten in Anbetracht der im einstweiligen Rechtsschutz bestehenden Möglichkeiten der Rechtserkenntnis nur einer Klärung nähergebracht bzw. einer vorläufigen Klärung zugeführt werden.34 Angesichts der nur vorläufig durchgeführten rechtlichen Prüfung stehe die im Eilverfahren gewonnene Erkenntnis in Gestalt einer „vorläufigen Rechtsüberzeugung“ dann unter dem Vorbehalt eingehender Überprüfung35 bzw. reiferer und besserer Rechtserkenntnis im Hauptsacheverfahren.36

Vgl. Schoch / Schoch, § 80, Rn. 284. Vgl. VGH Mannheim, DVBl. 1993, 508 (509); OVG Münster, NVwZ-RR 1994, 617 und NVwZ-RR 1999, 696; Kuhla / Hüttenbrink, Rn. J 133. 32 Vgl. Kopp / Schenke, § 80, Rn. 125; ähnlich Schoch / Schoch, § 80, Rn. 284. 33 Vgl. Bender, Menger-FS, S. 657 (661) und die in der Einleitung, Fn. 5 Genannten. Entsprechend wurden von den Vertretern dieser Auffassung nur „spezifisch auf das Eilverfahren bezogene Rechtsfragen“ für geeignet gehalten, die Voraussetzungen einer Zulassung der Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 146 Abs. 4 VwGO a. F.) zu erfüllen. Zur Gegenansicht in dieser Frage vgl. oben Einleitung, Fn. 6. 34 Vgl. VGH Kassel, NVwZ 1998, 755; VGH Mannheim NVwZ 1999, 1357. 35 Vgl. Redeker / von Oertzen, § 123, Rn. 18. 36 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1999, 1357; Finkelnburg / Jank, Rn. 352; Jakobs, VBlBW 1984, 129 (134). 30 31

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

II. Bewertung der Konsequenzen für die Intensität der Rechtsprüfung 1. Kritische Stimmen Die dargestellten, mit dem Begriff der „summarischen Prüfung“ verbundenen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Prüfungsintensität und die Erkenntnisanforderungen in rechtlicher Hinsicht sehen sich jeweils Kritik ausgesetzt. Zunächst wird die Ableitung rechtsdogmatischer Konsequenzen aus dem Begriff „summarische Prüfung“ unter Hinweis darauf abgelehnt, es handle sich um keinen Gesetzesbegriff; eine entsprechende verfassungsrechtlich bzw. einfachgesetzlich geregelte Vorgabe eingeschränkter rechtlicher Prüfungstiefe existiere nicht.37 Ein unreflektierter Gebrauch des Begriffs sei schädlich, wenn damit ein Höchstmaß an Prüfungsintensität suggeriert werde. Vielmehr sei zwischen der Behandlung von Rechtsfragen und der Sachverhaltsaufklärung im Eilverfahren zu unterscheiden, weshalb von einer „summarischen Prüfung“ lediglich im Hinblick auf die Feststellung der den Anspruch in der Hauptsache begründenden Tatsachen gesprochen werden könne.38 Unter Berufung auf die erforderliche Unterscheidung zwischen tatsächlicher und rechtlicher Prüfung wird – wiederum in Bezug auf den als Ergebnis der Prüfung erzielten Überzeugungsgrad – das Merkmal „Glaubhaftmachung“ und die damit zusammenhängende Herabsetzung der Anforderungen an das Beweismaß lediglich auf die Tatsachenfeststellungen bezogen und eine Rechtserkenntnis auf Basis von Wahrscheinlichkeitserwägungen als von vornherein prinzipiell unmöglich abgelehnt.39 Diesbezüglich ergeht der Hinweis, Rechtsauffassungen könnten zwar überzeugend vorgetragen, nicht jedoch bewiesen werden; das Gericht habe – iura novit curia – selbst zu entscheiden, ob es den Ausführungen der Beteiligten folge oder nicht.40 Entsprechend sei in rechtlicher Hinsicht, wenngleich aufgrund „summarischer Schlüssigkeitsprüfung“, die volle richterliche Überzeugung41 bzw. die Bildung einer vorläufigen Rechtsüberzeugung42 zu fordern. Auch hinsichtlich der richterlichen Prüfungstätigkeit wird den Schlussfolgerungen aus dem Begriff der „summarischen Prüfung“ widersprochen. Hierzu wird vorgebracht, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes reiche ein bloßes 37 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1314, 1369, 1374; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 275; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (826). 38 Vgl. Brühl, JuS 1995, 722 (725 f.); Huber, S. 190, 192 f.; J. Martens, S. 209, 214; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 275 f.; Uechtritz, BauR 1992, 1 (5). 39 Vgl. die in Fn. 22 Genannten. 40 Vgl. Burkholz, S. 43 f. 41 Vgl. VGH Mannheim, ESVGH 36, 241 (247); Jakobs, VBlBW 1984, 129 (134). 42 Vgl. Finkelnburg / Jank, Rn. 352.

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„Anprüfen“ der Rechtsposition in der Hauptsache nicht aus.43 Vielmehr habe das Gericht auch hier das Bestehen des materiellen Rechts grundsätzlich vollumfänglich zu prüfen und die Rechtsfragen der Hauptsache umfassend zu klären.44 In diesem Zusammenhang wird zugleich die abschließende und nicht nur vorläufige Klärung der entsprechenden Rechtsfragen gefordert.45 Allerdings finden sich auch hier Stimmen, die darauf hinweisen, dass diese rechtsdogmatische Vorgabe in der Praxis nicht stets erfüllbar sei.46 Insofern werden unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Eilverfahrens Konzessionen gemacht, womit die grundsätzliche Forderung umfassender bzw. abschließender rechtlicher Prüfung im Wesentlichen einen Idealzustand beschreibt, der unter dem Vorbehalt des faktisch Möglichen steht.

2. Beurteilung der Schlussfolgerungen aus dem Begriff „summarische Prüfung“ Die gegen den Begriff der „summarischen Prüfung“ und die aus ihm abgeleiteten Konsequenzen für den geforderten und möglichen rechtlichen Prüfungsumfang im Eilverfahren geäußerte Kritik ist berechtigt. Zutreffend ist zunächst der Hinweis, dass der Begriff gesetzlich nicht geregelt ist und daher keine – in der Rechtsordnung fundierten – dogmatischen Schlussfolgerungen zulässt. Für eine ex lege vorgegebene Einschränkung der Gründlichkeit der rechtlichen Prüfung ergeben sich aus dem Verwaltungsprozessrecht im Allgemeinen sowie den Vorschriften der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1 und 47 Abs. 6 VwGO im Besonderen keine Anhaltspunkte. Soweit diesbezüglich das Erfordernis einer „Glaubhaftmachung“ in entsprechender Anwendung von § 920 Abs. 2 ZPO nicht allein auf die tatsächliche, sondern auch auf die rechtliche Prüfung bezogen wird, sei es durch unreflektierten Wortgebrauch oder durch gezielte Einbeziehung auch der Rechtsfragen, kann dem nicht zugestimmt werden. Unabhängig davon, dass mit den prozessualen Erkenntnisanforderungen kein Höchstmaß, sondern lediglich ein Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit vorgegeben ist, der Richter folglich – vorbehaltlich der Beachtung des Gebots zeitangemesse43 Vgl. Erichsen, Jura 1984, 478 (485); Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48; Huba, JuS 1990, 805 (808), Schoch / Schoch, § 80, Rn. 276; § 123, Rn. 122. 44 Vgl. OVG Lüneburg, NVwZ-RR 1998, 205; Brühl, JuS 1975, 722 (725) mit der Einschränkung, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht gefährdet werde; Huba, JuS 1990, 805 (808); J. Martens, S. 209; Schoch / Schoch, Rn. 55 vor § 80; § 80, Rn. 276; für Eilanträge nach § 80 a Abs. 3 VwGO auch Mampel, DVBl. 1997, 1155 (1156 f.); Uechtritz, BauR 1992, 1 (5); für einstweilige Anordnungen nach § 32 BVerfGG Huber, S. 191 ff. 45 So Huba, JuS 1990, 805 (808); Huber, S. 192; Mampel, DVBl. 1997, 1155 (1156); Schoch / Schoch, § 80, Rn. 276; Uechtritz, BauR 1992, 1 (5). 46 Vgl. Huber, S. 192; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 277, 284; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (827), der praktische Beschränkungen der Rechtsprüfung in Verfahren nach § 80 a Abs. 3 VwGO allerdings nur in Ausnahmefälle als gegeben sieht.

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ner Rechtsschutzgewährung – nicht gehindert ist, einen höheren Beurteilungsgrad zu erreichen, finden die Kategorien der Beweiswürdigung auf die Rechtsprüfung keine Anwendung. Zwar sind nach dem Wortlaut des § 920 Abs. 2 ZPO „der Anspruch und der Arrestgrund“ glaubhaft zu machen. Die Glaubhaftmachung und die Zulässigkeit einer Herabsetzung des Beweismaßes kann jedoch von vornherein lediglich für die Tatfrage, nicht aber für Rechtsfragen gelten. Konsequenterweise spricht daher § 294 ZPO – insofern deutlicher als § 920 Abs. 2 ZPO – lediglich von der Glaubhaftmachung einer tatsächlichen Behauptung. Auch die Regelungen des Beweisrechts sind allein auf Tatsachen bezogen.47 Ungeachtet der erst in späterem Zusammenhang zu behandelnden grundsätzlichen Fragestellung, welche Erwartungen an die richterliche Rechtserkenntnis gestellt werden können,48 sind Rechtsfragen außer in den Fällen der § 293 ZPO i. V. m. § 173 VwGO jedenfalls nicht im Sinne des durch die Prozessordnungen vorgegebenen Beweisrechts beweisfähig; die streitentscheidenden Rechtsnormen unterliegen hinsichtlich ihres Bestehens und ihres Inhalts daher nicht der freien Beweiswürdigung.49 Ebenso unterfällt die Feststellung und Auslegung des anwendbaren Rechts nicht der für den Verwaltungsprozess maßgeblichen Regelung des § 86 VwGO betreffend den Untersuchungsgrundsatz und die Mitwirkungslast der Beteiligten.50 Unabhängig davon, welchen Einfluss die von den Beteiligten schriftlich vorgebrachten Rechtsauffassungen oder die Erörterung derselben mit den Beteiligten (§ 104 Abs. 1 VwGO) im konkreten Fall auf die Rechtsfindung des Gerichts ausüben,51 stellt es ein verfassungsrechtliches, aus dem Rechtsstaatsprinzip allgemein und der Gesetzesbindung der Dritten Gewalt (Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG) im Besonderen folgendes Gebot dar, dass das Gericht die erforderliche Rechtserkenntnis selbst gewinnt.52 Es hat daher das anwendbare Recht festzustellen und auszulegen (iura novit curia), ohne dass es diesbezüglich auf das Parteivorbringen und die Überzeugungskraft desselben ankäme.53 Die geforderten Voraussetzungen einer „Glaubhaftmachung“ sowie „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ lassen sich folglich bereits deswegen nicht auf die rechtliche Seite der Prüfung des Anspruchs in der Hauptsache übertragen, weil Rechtsfragen den für die Würdigung der Tatsachenfeststellungen maßgeblichen Beweiskategorien nicht zugänglich sind. Darüber hinaus gilt dies auch aus einem anderen Grund. Wenn nämlich vom Richter „Kenntnis“ des Rechts verlangt wird, 47 s. etwa § 286 Abs. 1 ZPO und die über § 98 VwGO entsprechend anwendbaren Vorschriften der §§ 359 Nr. 1, 371 Abs. 1, 373, 445 ZPO. 48 s. hierzu unten § 8 III. und IV. 49 Vgl. Zöller / Greger, § 286, Rn. 10. 50 Vgl. Eyermann / Geiger, § 86, Rn. 7; Kopp / Schenke, § 86, Rn. 1 a. 51 Zur Informationsgewinnung in rechtlicher Hinsicht s. im Einzelnen unten § 7 II. 2. d) bb). 52 Vgl. auch Kopp / Schenke, § 86, Rn. 1 a; Ule, Verwaltungsprozessrecht, S. 144; Zöller / Greger, § 286, Rn. 10. 53 Vgl. Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48; Larenz, S. 307 f.

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darf er die als Ergebnis seiner Prüfungstätigkeit erzielte Rechtserkenntnis nicht mit der Einschränkung versehen, dass sie lediglich auf Wahrscheinlichkeitserwägungen beruhe. Andernfalls würde er die verfassungsrechtlich von Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG geforderte Bindung seiner Entscheidung an das Gesetz selbst in Frage stellen.54 Eine Entscheidung, die der Richter als nur wahrscheinlich ausgibt, kann schon grundsätzlich nicht als autoritativer staatlicher Akt gelten55 bzw. mit einem Geltungsanspruch verbunden werden.56 Allerdings ist gleichermaßen Vorsicht geboten, sofern in Bezug auf die rechtlichen Erkenntnisanforderungen im Eilverfahren anstelle überwiegender Wahrscheinlichkeit eine „Rechtsüberzeugung“ gefordert wird.57 Unbeschadet der an dieser Stelle nicht zu erörternden Problematik, welcher Beurteilungsgrad in Bezug auf die rechtlichen Informationen erforderlich ist,58 dürfte der Terminus „Überzeugung“ nämlich, die Zulässigkeit seines Gebrauchs einmal vorausgesetzt, jedenfalls nicht im gleichen Sinne wie bei denjenigen Vorschriften verstanden werden, welche das für tatsächliche Behauptungen geltende Beweismaß regeln. Auch die Vorschrift des § 108 Abs. 1 VwGO findet – ebenso wie § 286 Abs. 1 ZPO – nur auf Tatsachenfeststellungen, nicht aber auf die Klärung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen Anwendung.59 Ein Rekurs auf beweisrechtliche Vorschriften und Begriffskategorien erweist sich daher als ungeeignet, um die im Eilverfahren maßgeblichen Anforderungen an das Ergebnis der rechtlichen Prüfung zu bestimmen. Insbesondere stellt er ein untaugliches Mittel dar, um die mit dem Begriff der „summarischen Prüfung“ intendierte Einschränkung der rechtlichen Prüfungstiefe zu begründen. Eine im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren von vornherein verringerte rechtliche Prüfungsintensität im Eilverfahren ist auch nicht verfassungsrechtlich vorgegeben oder dem „Wesen“ des einstweiligen Rechtsschutzes immanent. Wie bereits dargestellt,60 stehen im Verwaltungsprozess die aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Zielvorgaben einer möglichst vollständigen Prüfung einerseits sowie der Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit andererseits in einem Spannungsverhältnis, welches das Gericht im Erkenntnisverfahren aufzulösen hat, indem es den „goldenen Schnitt“ zwischen Gründlichkeit und Zügigkeit findet. Da die mate54 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 265 f., der das Urteil kraft Gesetzes als unter einem Anspruch auf Richtigkeit stehend ansieht. 55 Vgl. Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574). 56 Vgl. zum Geltungsanspruch bei gerichtlichen Entscheidungen unten § 8 II. 2. b) bb) (1) und § 8 IV. 2. a) bb). 57 So etwa VGH Mannheim, ESVGH 36, 241 (247); Finkelnburg / Jank, Rn. 352; Jakobs, VBlBW 1984, 129 (134); vgl. auch Schoch / Schoch, § 80, Rn. 277. 58 Vgl. zur Informationssituation in rechtlicher Hinsicht und dem daraus folgenden Beurteilungsgrad unten § 8 IV. 2. b). 59 Vgl. Ule, Verwaltungsprozessrecht, S. 144. 60 Vgl. oben § 3 II. 3. c).

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rielle Rechtslage, wie im 1. Teil der Untersuchung herausgearbeitet, ein kraft Verfassungsrechts obligatorisches Prüfungs- und Entscheidungskriterium darstellt, bedarf es, ebenso wie im Hauptsacheverfahren, auch im Eilverfahren der Bewältigung dieses für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes charakteristischen Zielkonflikts. Unter diesem Aspekt sind beide Verfahren nicht wesensverschieden, lässt sich folglich auch kein besonderes „Wesen“ des einstweiligen Rechtsschutzes ausmachen. Wie der Zielkonflikt aufgelöst wird, in welchem Umfang die Zielgrößen einer möglichst vollständigen (rechtlichen) Prüfung und eines Verfahrensabschlusses in möglichst kurzer Zeit jeweils verwirklicht werden können oder zurückzutreten haben, in welcher Weise also der Ausgleich zwischen beiden Vorgaben herzustellen ist, kann daher aus Art. 19 Abs. 4 GG auch nicht a priori und pauschal im Sinne einer Zurückstellung nur der Zielgröße möglichst umfassender rechtlichen Prüfung beantwortet werden. Angesichts der oben61 angeführten Beschränkung der Rechtsschutzgarantie auf Ausgewogenheit sowie zeitliche Angemessenheit und der damit verbundenen Absage an einen Anspruch auf sofortige Entscheidung bzw. ein absolutes Beschleunigungsziel im Sinne einer „Beschleunigung um jeden Preis“ lassen sich verfassungsrechtliche Anhaltspunkte für eine solche Zielgewichtung, die in Bezug auf die Gründlichkeit der Prüfung einer Zielunterdrückung62 gleichkäme, nicht erkennen. Zeitangemessenheit sowie Ausgewogenheit des Rechtsschutzes bedeuten vielmehr auch im Eilverfahren die Verpflichtung zum angemessenen Ausgleich zwischen den konkurrierenden Zielvorgaben des Grundgesetzes. Folglich sind aus dem – in erster Linie aus dessen verfassungsrechtlicher Fundierung in Art. 19 Abs. 4 GG, aber auch Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG zu begründenden – „Wesen“ des Eilverfahrens gleichfalls keine Erkenntnisse zu gewinnen, welche die Behauptung stützen könnten, die rechtliche Durchdringung der Materie sei von vornherein zwingend auf eine wie auch immer geartete „Summarietät“ beschränkt. Ebenso wenig aufschlussreich sind Hinweise auf angeblich reduzierte Erkenntnismöglichkeiten im Eilverfahren, denen zufolge die Klärung von (komplizierten) Rechtsfragen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten sei, sowie die nicht näher spezifizierte Maßgabe, die materielle Rechtslage sei nur „anzuprüfen“. Abgesehen davon, dass sich nirgends ein Beleg für die pauschalierende Behauptung unzureichender rechtlicher Erkenntnisbedingungen findet, stehen die im Hinblick auf die richterliche Prüfungstätigkeit aus dem „summarischen“ Charakter des Eilverfahrens gezogenen Schlussfolgerungen in augenfälligem Widerspruch zu der gleichwohl erhobenen Forderung, in bestimmten Konstellationen eine umfassende und eingehende rechtliche Prüfung durchzuführen.63 Unabhängig davon, dass das vom § 3 II. 3. a) und c). Zum Begriff der Zielunterdrückung (bzw. Zieldominanz) als Sonderfall der Gewichtung konfligierender Ziele s. Bamberg / Coenenberg, S. 57; Laux, S. 89; Mag, Entscheidung, S. 37, ders. Grundzüge, S. 38. 63 Vgl. die Nachweise in Fn. 9 bis 17. 61 62

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BVerfG64 bei Zeitmangel gestattete Ausweichen auf eine Folgenabwägung unter gänzlicher Außerachtlassung der materiellen Rechtslage diese Vorgabe wiederum konterkariert, wird hiermit eine eingehende Rechtsprüfung im Eilverfahren doch offenbar als möglich vorausgesetzt und die These von den eingeschränkten rechtlichen Erkenntnisbedingungen zugleich wieder in Frage gestellt.

III. Ergebnis: „Summarische Prüfung“ falscher Ansatz Im Ergebnis lässt sich somit weder dem Verfassungsrecht noch dem Verwaltungsprozessrecht oder dem wie auch immer gearteten „Wesen“ des einstweiligen Rechtsschutzes ein von vornherein eingeschränkter Prüfungsumfang in rechtlicher Hinsicht entnehmen. Soweit mit dem Begriff der „summarischen Prüfung“ die Behauptung einer normativ oder faktisch vorgegebenen Obergrenze im Sinne einer allein gebotenen oder möglichen rechtlichen Prüfungstiefe einhergeht, fehlt hierfür hinsichtlich des „Gebotenen“ die gesetzliche Fundierung und hinsichtlich des „Möglichen“ der Nachweis eingeschränkter rechtlicher Erkenntnisbedingungen im Eilverfahren. Auch ein Rückgriff auf das beweisrechtliche Instrumentarium, insbesondere das Erfordernis einer „Glaubhaftmachung“, erweist sich für die rechtliche Seite der Prüfung als nicht weiterführend. Zur Bestimmung der im Eilverfahren geforderten und realisierbaren rechtlichen Prüfungsintensität ist folglich ein anderer Ansatz zu wählen.

IV. Folgerungen für die Problemlösung Die bisherige Untersuchung hat erbracht, dass Versuche, der Frage der Prüfungsintensität in rechtlicher Hinsicht über den Begriff der „summarischen Prüfung“ und die damit a priori verbundenen Einschränkungen näher zu treten, nicht erfolgversprechend sind. Zur Lösung des Problems bedarf es einer genaueren Analyse sowohl der normativen Anforderungen als auch der faktischen Umstände, unter denen sich die Prüfung des materiellen Rechts durch den Richter vollzieht. Da die zu behandelnden Fragestellungen in ihren Grundzügen in jedem Erkenntnisverfahren auftreten, erscheint es sinnvoll, die Entscheidungsbedingungen zunächst für die (verwaltungs-)gerichtliche Entscheidung im Allgemeinen und unabhängig von der Rechtsschutzform herauszuarbeiten. Im Anschluss daran sind Überlegungen anzustellen, inwieweit die Sondersituation des einstweiligen Rechtsschutzes eine Übertragbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse gestattet. Dies erfordert in einem ersten Schritt die Darstellung des Ablaufs der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung unter besonderer Berücksichtigung der Informati64

7*

In: NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237).

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onsverarbeitung, d. h. der Gewinnung und Auswertung von Informationen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (s. unten § 7). Auf diese Weise sollen zunächst die Stationen der Entscheidungsproduktion und der Vorgang sowie die Quellen der Informationsgewinnung durch das Gericht aufgezeigt werden. Im Anschluss an die Analyse des Entscheidungsablaufs ist zu untersuchen, welche inhaltlichen Anforderungen unter diesen Bedingungen an das Ergebnis der Entscheidung gestellt werden können, insbesondere welche Beschaffenheit die rechtliche Entscheidungsprämisse aufzuweisen hat (s. unten § 8). Die Ableitung der Konsequenzen aus der gerichtlichen Entscheidungssituation erfolgt hierbei im Lichte der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Klärung von Rechtsfragen im Verwaltungsprozess und dient dem Zweck, die Vorgaben der Gesetzesbindungspostulate und die aus Art. 19 Abs. 4 GG gefolgerte Zielgröße einer „vollständigen Prüfung in rechtlicher Hinsicht“ zu präzisieren. Anschließend ist zu erörtern, ob die für die rechtliche Entscheidungsprämisse entwickelten Mindestvoraussetzungen auch im Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz Gültigkeit besitzen und welche Möglichkeiten hier bestehen, das Verfahren zu beschleunigen und gleichwohl die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsprüfung zu erfüllen (s. unten § 9). Um die Frage nach dem im Eilverfahren gebotenen und möglichen rechtlichen Prüfungsumfang beantworten zu können, sind neben methodologischen auch rechtstheoretische, erkenntnistheoretische, (sozial-)psychologische und entscheidungstheoretische Erkenntnisse in die Analyse einzubeziehen. Eine Beschränkung auf das Instrumentarium der Methodenlehre wäre hier nicht zielführend. Die Methodenlehre stellt zwar mit den von ihr entwickelten Auslegungskriterien Hilfsmittel zur Auffindung und Inhaltsbestimmung von Rechtsnormen, mithin zur Beschaffung rechtlicher Informationen zur Verfügung. Zudem hat sie nach zuvor einseitiger Konzentration auf die normative Informationskategorie mittlerweile das Augenmerk verstärkt auch auf die Bildung und Beurteilung des Sachverhalts, also die Tatsacheninformationen gelenkt.65 Ebenso haben anstelle der ursprünglichen Fokussierung auf das deduktive Schema und die Subsumtion als zentralen Akt der Rechtserkenntnis zahlreiche zusätzliche Elemente das Methodenverständnis erheblich erweitert.66 Andererseits führt eine auf die Methodik beschränkte Analyse nicht zu tragfähigen Aussagen zum Ziel der gerichtlichen Entscheidung, zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die rechtliche Entscheidungsprämisse und zur Gründlichkeit der Prüfung. Erst wenn nämlich das mit dem Erkenntnisprozess verbundene Ziel bestimmt ist, können die Hilfsmittel auf dem Weg zu diesem Ziel zur Geltung kommen. Setzt man hingegen das Entscheidungsziel mit der Befolgung von – ih65 Vgl. die entsprechende, 1980 getätigte Feststellung von Eberle / Garstka, Rechtlicher Wandel, S. 123 (135, 147 Fn. 21) unter Hinweis auf die 1975 erschienene 3. Aufl. der Methodenlehre von Larenz. Vgl. auch Koch / Rüßmann, S. 2, 9 f., die 1982 die Problematik der Sachverhaltsermittlungen in der Rechtswissenschaft noch als vernachlässigt ansehen und mit ihrem Beitrag eine entsprechende thematische Erweiterung vornehmen wollen. 66 Vgl. hierzu mit Beispielen Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 2.

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rerseits rechtfertigungsbedürftigen – Metaregeln betreffend das Verhältnis von Auslegungskriterien zueinander67 gleich, droht Methode zum Selbstzweck zu degenerieren und lässt sich überdies der vielfach geäußerten Kritik, die Methodenlehre ermögliche es dem Richter mangels Anleitung und Kontrolle ihrer Anwendung, die Auslegungsregeln gleichsam nach Belieben zur Entscheidungsbegründung heranzuziehen, 68 nicht wirkungsvoller begegnen. Die Gefahr willkürlich motivierter Entscheidungsfindung bliebe nämlich auch im Falle definierter Metaregeln bestehen. Im Übrigen offenbart der Einwand der Beliebigkeit, unabhängig von der Beurteilung seiner Relevanz unter informationellen Gesichtspunkten,69 die Unzulänglichkeit einer Fokussierung auf den klassischen Auslegungskanon und verdeutlicht, dass das methodologische Instrumentarium insbesondere das Phänomen der Wertung bei der Entscheidungsfindung und die mit dieser Wertung zusammenhängenden „informellen“ Einflussfaktoren auf das Entscheidungsergebnis nicht genügend zu erfassen vermag. Die genannten Gründe machen es erforderlich, die Problematik der Bedingungen richterlicher Entscheidungsproduktion und der verfassungsrechtlichen Anforderungen an das Ergebnis der Entscheidung vor einem breiteren Hintergrund der Klärung zuzuführen. So sind entscheidungstheoretische Erkenntnisse einzubeziehen, um den Entscheidungsablauf darzustellen, insbesondere die Aspekte des Informationsstands, der Informationsgewinnung und Informationsauswertung durch den Richter als Entscheidungssubjekt zu erfassen. Entscheidungstheoretische Rationalitätskriterien sind darüber hinaus im Rahmen der Bestimmung des Ziels richterlicher Entscheidung und der Anforderungen an die rechtliche Entscheidungsprämisse fruchtbar zu machen. Dies gilt vornehmlich für die Frage, auf welche Weise der Zielkonflikt zwischen den verfassungsrechtlichen Vorgaben einer sowohl vollständigen als auch zeitangemessenen Prüfung aufzulösen und die unter Berücksichtigung eingeschränkter Möglichkeiten der Zielverwirklichung optimale Lösung aufzufinden ist. Ein Exkurs auf das Gebiet der Erkenntnistheorie ist erforderlich, um rechtstheoretische Vorstellungen von der „richtigen Entscheidung“ im epistemologischen Kontext zu betrachten und auf ihre Plausibilität zu untersuchen, desgleichen, um die Problematik der Wertgebundenheit normativer Erkenntnis zu erfassen. Schließlich ist es im Hinblick auf das Phänomen richterlicher Wertung und die Besonderheiten kollegialer Entscheidungen hilfreich, (sozial-)psychologische Aspekte in die Betrachtung einfließen zu lassen.

67 Vgl. zur Problematik des Fehlens von Metaregeln von Arnim / Brink, S. 257 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 704 ff. 68 Vgl. Eberle / Garstka, Rechtlicher Wandel, S. 135; Esser, S. 7; Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 93 f.; Koch / Rüßmann, S. 171, 176; Kriele, S. 25 f., 314 ff.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 815; Schreiner, Rechtsprechungslehre, S. 329 f.; Sendler, Kriele-FS, S. 457 (479 f.). 69 Vgl. hierzu unten § 7 II. 1. c) und 2. b).

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§ 7 Ablauf der Entscheidungsproduktion im verwaltungsgerichtlichen Verfahren I. Einführung 1. Die gerichtliche Entscheidung als Informationsverarbeitungsprozess a) Ziel der Betrachtung Bevor aus der Entscheidungssituation im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der Hauptsache und des einstweiligen Rechtsschutzes Schlussfolgerungen im Hinblick auf den Umfang und das Ergebnis der rechtlichen Prüfung gezogen werden können, bedarf es zunächst eines Einblicks in den Ablauf der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Allgemeinen. Ziel der Betrachtung ist es, den Gang der Entscheidungsproduktion durch das Gericht nachzuzeichnen. Zu diesem Zweck bietet es sich an, den Schwerpunkt auf die informationellen Aspekte des Entscheidungsablaufs zu legen. Dies rechtfertigt sich daraus, dass juristische, insbesondere gerichtliche Entscheidungen das Ergebnis eines solchen Prozesses der Verarbeitung von Informationen darstellen.70 Gerade für die Kategorie richterlichen Entscheidungshandelns ist es kennzeichnend, dass eine Vielzahl von Informationen in die Entscheidung einfließen und deren Ergebnis beeinflussen.71 Entsprechend nimmt der Informationsgewinnungs- und Informationsauswertungsprozess einen wesentlichen Teil des gerichtlichen Entscheidungsvorgangs ein.72 Im Folgenden soll daher aufgezeigt werden, wodurch sich die Entscheidungssituation in informationeller Hinsicht auszeichnet, in welchen Phasen die Entscheidung abläuft und wie der Richter an die zur Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Seite des Falls erforderlichen Informationen gelangt. Nicht sinnvoll wäre es hierbei, die einzelnen Stationen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens anhand der Vorschriften des 9. und 10. Abschnitts der VwGO abzuhandeln. Diese geben nämlich im Wesentlichen nur den äußeren Gang des Verfahrens anhand von Prozesshandlungen des Gerichts und der Beteiligten wieder und bilden den informationellen Aspekt der Entscheidungsfindung nur unzureichend ab. Zur Darstellung und Analyse der einzelnen Entscheidungsphasen aus der Perspektive des Richters als Entscheidungssubjekt erweist sich die einseitige Orientierung am Prozessrecht und den dort vorgesehenen Prozesshandlungen als nicht hilfreich. Ferner betreffen die Bestimmungen der VwGO fast ausschließlich die Ermittlung und Bewertung der tatsächlichen Informationen.73 Wenn es hingegen um die FraVgl. Kilian, Rechtlicher Wandel, S. 45. Vgl. Eberle / Garstka, Rechtlicher Wandel, S. 123. 72 Vgl. Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (146). 73 So etwa die Vorschriften über die Beweisaufnahme in §§ 96 bis 98 VwGO (i. V. m. §§ 358 bis 444 und §§ 450 bis 494 ZPO) oder die begriffsnotwendig auf Tatsachen bezogene (vgl. hierzu oben § 6 II. 2.) Regelung der Beweiswürdigung in § 108 VwGO. 70 71

§ 7 Ablauf der Entscheidungsproduktion im verwaltungsgerichtlichen Verfahren

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ge geht, auf welche Weise der Richter Zugang zu den entscheidungserheblichen rechtlichen Informationen findet und in welcher Beziehung Tatsachenermittlung und rechtliche Prüfung stehen, geben die gesetzlichen Vorschriften keinen Aufschluss.74 Sie spiegeln somit nur einen Teilausschnitt der richterlichen Vorgehensweise bei der Problemlösung und Entscheidungsfindung wider. Um die Entscheidungssituation und den Gang der Problemlösung aus Sicht des Richters als Entscheidungsträger erschließen zu können, ist es demnach weiterführender, bei der Analyse der gerichtlichen Entscheidung den Aspekt der Informationsverarbeitung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht näher zu untersuchen.

b) Entscheidungstheoretische Aspekte des gerichtlichen Verfahrens Information ist als entscheidungsrelevantes75 oder zweckorientiertes Wissen76 eines Entscheidungssubjekts in einer konkreten Entscheidungssituation zu verstehen. Die Entscheidungssituation im gerichtlichen Erkenntnisverfahren ist regelmäßig dadurch gekennzeichnet, dass der Informationsstand des Entscheidungsträgers zu Beginn des Problemlösungsprozesses in quantitativer und qualitativer Hinsicht unvollkommen ist;77 nur in Ausnahmefällen liegt bereits von Beginn an ein vollkommener Informationsstand vor.78 Zugleich ist die Informationsstruktur aber variabel, d. h. es besteht die Möglichkeit, den Kenntnisstand durch Maßnahmen zur Informationsgewinnung aktiv zu verbessern.79 Deshalb stellt sich für das Entscheidungssubjekt vor der Auswahl einer Handlungsalternative die Frage, ob weitere Informationen zu beschaffen sind oder ob beim gegenwärtigen Informationsstand entschieden werden soll.80 Vor die Lösung des eigentlichen Problems tritt dann regelmäßig eine Informationsentscheidung.81 Nach den Kategorien unterschieden, die in Bezug auf das gerichtliche Erkenntnisverfahren geläufig sind, umfasst der Prozess der Informationsgewinnung tat74 Auch § 104 Abs. 1 VwGO bildet hier nur scheinbar eine Ausnahme, da die Erörterung dem Gericht evtl. zwar nützliche Anregungen liefern kann, dieses die geäußerten Rechtsauffassungen dennoch erst auf ihren Gehalt zu überprüfen und damit die Rechtfindung – aus in der VwGO nicht benannten Quellen – selbst zu leisten hat (iura novit curia), vgl. bereits oben § 6 II. 2. 75 Vgl. Hammann / Erichson, S. 2. 76 Vgl. Mag, Entscheidung, S. 5. 77 Vgl. zu diesen Informationsannahmen Hammann / Erichson, S. 25 f.; Mag, Entscheidung, S. 121 f. Die quantitative Komponente der Unvollkommenheit kann als „Unvollständigkeit“ bezeichnet werden. Die qualitative Komponente umfasst die in negativ-reziprokem Verhältnis zueinander stehenden Zustände der Unbestimmtheit und Unsicherheit. 78 Vgl. hierzu unten II. 1. d). Auch in der allgemeinen Entscheidungstheorie wird der Fall vollkommener Information als Ausnahmefall angesehen, vgl. Laux, S. 9, 63. 79 Vgl. Laux, S. 9, 281; Mag, Grundzüge, S. 8 f. 80 Vgl. Mag, Grundzüge, S. 8 f., 138 ff. 81 Vgl. Hammann / Erichson, S. 25; Mag, Grundzüge, S. 140.

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sächliche (faktische) und rechtliche (präskriptive) Informationen.82 Tatsächliche Informationen sind solche, die über sinnlich wahrnehmbare Vorgänge oder Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit Auskunft geben und für die Entscheidungsfindung potenziell von Bedeutung sind. Dem Bereich der rechtlichen Informationen sind solche Informationen zuzuordnen, die entweder die Rechtsnormen selbst wiedergeben oder zur Auslegung von Rechtsnormen herangezogen werden können.83 Entscheidungstheoretisch gewendet, bezieht sich die Informationsbeschaffung durch das Gericht im Wesentlichen auf zwei Elemente des Entscheidungsfeldes, nämlich zum einen auf die Alternativen (bzw. Handlungsmöglichkeiten oder Aktionen) und zum anderen auf den Zustand (bzw. das Umfeld oder die Umweltsituationen).84 Die Alternativen bilden den vom Entscheidungsträger beeinflussbaren Teil des Entscheidungsfeldes; der Zustand wiederum beeinflusst das Ergebnis der Aktionen, während er selbst von diesen unbeeinflusst bleibt. Überträgt man diese entscheidungstheoretischen Merkmale auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren, so können als Alternativen sämtliche Handlungsmöglichkeiten betrachtet werden, welche die potenziell streitentscheidenden (geschriebenen oder ungeschriebenen) Normen des materiellen oder Prozessrechts dem Gericht eröffnen. Unter Berücksichtigung der Gesetzesbindung des Richters gemäß Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG darf die Verwendung der Begriffe „Alternativen“ oder „Handlungsmöglichkeiten“ hier allerdings nicht im Sinne eines freien oder auch nur gebundenen Auswahlermessens missverstanden werden; gemeint ist vielmehr, dass sich dem Richter zunächst mehrere Alternativen auftun und er im Laufe des Entscheidungsprozesses die informationellen Bedingungen zu schaffen hat, um eine den Gesetzesbindungspostulaten genügende Auswahl treffen zu können. Insofern erweitern die in Erwägung gezogenen Alternativen zunächst den für möglich erachteten Lösungsbereich. Ziel des Informationsverarbeitungsprozesses ist es dann aber gerade, diesen Handlungsbereich wieder einzuschränken und eine Alternativenauswahl zu treffen, die mit der Gesetzesbindung im Einklang steht. Voraussetzung dafür, als Alternative im entscheidungstheoretischen Sinne zu gelten, ist wiederum, dass die Aktionen gemäß dem Prinzip der vollkommenen Alternativenstellung85 im konkreten Fall jeweils alle anderen Alternativen ausschließen, da ansonsten zwischen den Aktionen kein Entscheidungsproblem vorliegt. Dies bedeutet freilich bezogen auf die Prozesssituation, wie sie sich dem Richter als Entscheidungssubjekt darstellt, keine Beschränkung auf lediglich zwei Hand82 Vgl. Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (146) und Kininger, S. 60 f., welche die für die konkrete Rechtsfrage relevanten präskriptiven Informationen auch als „Feinprogramme“ bezeichnen. Vgl. auch Eberle / Garstka, Rechtlicher Wandel, S. 123 (125). 83 Zu den Quellen, aus denen der Richter die entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Informationen bezieht, s. unten II. 2. d). 84 Zum Entscheidungsfeld und seinen Bestandteilen vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 15 ff.; Mag, Grundzüge, S. 26; Wöhe, S. 120 f. 85 Vgl. hierzu Bamberg / Coenenberg, S. 16.

§ 7 Ablauf der Entscheidungsproduktion im verwaltungsgerichtlichen Verfahren

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lungsmöglichkeiten in Gestalt der Stattgabe oder Abweisung der Klage. Der entscheidungstheoretische Alternativenbegriff lässt es zu, auch verschiedene materiell-verwaltungsrechtliche Normen mit gleicher Rechtsfolge, die für die Beurteilung des Verwaltungshandelns von Bedeutung sein können, als jeweils eigenständige Aktionen zu betrachten, sofern es sich um vollkommen alternative Rechtsgründe handelt. Als Beispiel sei die Anfechtungsklage gegen eine ordnungsrechtliche Verfügung genannt, die aus verschiedenen – einander ausschließenden – materiellrechtlichen Rechtsgründen abgewiesen werden kann, aus denen sich jeweils die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts ergibt, weil nämlich entweder eine spezielle ordnungsrechtliche Ermächtigung eingreift oder der Verwaltungsakt subsidiär auf die polizeirechtliche Generalklausel gestützt werden könnte. Gleiches gilt – infolge unterschiedlich weit reichender Rechtskraftwirkung – für die Abweisung wegen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit.86 Ebenso bildet die teilweise Stattgabe bzw. Abweisung neben der vollständigen jeweils eine selbständige Alternative. Freilich ist es möglich, dass sich dem Richter im konkreten Fall nur der minimale Lösungsbereich von zwei Alternativen erschließt, nämlich der antragsgemäßen Stattgabe aus dem in den Primärinformationen genannten Rechtsgrund sowie der Klagabweisung als unbegründet. Im Ergebnis entsprechen die Alternativen als beeinflussbares Element des Entscheidungsfeldes somit der Rechtsfolgenseite der potenziell streitentscheidenden Rechtsnormen. Es handelt sich bei ihnen um einen Teilbereich der präskriptiven Informationen. Da der Zustand den Teil des Entscheidungsfeldes darstellt, der das Ergebnis der Alternativenauswahl beeinflusst, sind ihm – übertragen auf die gerichtliche Entscheidung – diejenigen Informationen zuzuordnen, welche die jeweilige Alternative, d. h. die anzuordnende Rechtsfolge voraussetzt. Dem entspricht in juristischen Kategorien die Tatbestandsseite der Rechtsnormen und der mit dieser korrespondierende Sachverhalt, mithin der verbleibende, besonders bedeutsame Teil der präskriptiven Informationen, sowie die faktischen Informationen.

c) Der Informationsstand am Ende des Suchvorgangs Wenn im gerichtlichen Verfahren zu Beginn des Problemlösungsprozesses die Informationen im Regelfall noch unvollkommen sind und die Informationsgewinnung zum Ziel hat, den Kenntnisstand des Entscheidungsträgers zu verbessern, so stellt sich die Frage, welche Beschaffenheit der Informationsstand nach Abschluss des Suchvorgangs aufweist (bzw. aufweisen muss). Aus entscheidungstheoreti86 Freilich klärt der Richter die Frage der Zulässigkeit nicht zuletzt aus rechtlichen Gründen zuerst ab, so dass eine echte Alternativenstellung im Verhältnis zu den anderen Handlungsmöglichkeiten nur scheinbar besteht. Da sich die Zulässigkeit u. U. aber ebenfalls erst nach Einholung weiterer Informationen beurteilen lässt, kann auch diese Alternative zunächst Gegenstand einer den Informationsprozess steuernden Lösungshypothese darstellen; anders Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (144), welcher die Vorprüfung als eigene Phase der Problemdefinition und der Informationsgewinnung vorschaltet.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

scher Sicht ist hierbei zu unterscheiden, ob es sich um ein vollkommenes oder ein unvollkommenes Informationssystem handelt. In einem vollkommenen Informationssystem, welches bei ökonomischen Entscheidungen den Ausnahmefall bildet, kann aus einer empfangenen Nachricht mit Sicherheit auf den wahren Zustand geschlossen werden.87 Es existieren ebenso viele Nachrichten wie Zustände, und die bedingten Wahrscheinlichkeiten zwischen Nachrichten und Zuständen weisen sämtlich die Werte 0 oder 1 auf. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, so liegt ein unvollkommenes Entscheidungssystem vor.88 Vollkommene Entscheidungssysteme führen stets zu einer Situation der Entscheidung unter Sicherheit bzw. Gewissheit hinsichtlich des Eintretens von Zuständen, während der Einsatz unvollkommener Entscheidungssysteme ausgehend von einer Situation der Entscheidung unter Risiko wieder eine Risikosituation und ausgehend von einer Situation der Entscheidung unter Unsicherheit bzw. Ungewissheit wieder eine ebensolche herbeiführt.89 Obgleich in diesem Zusammenhang mit den Begrifflichkeiten Sicherheit / Unsicherheit bzw. Gewissheit / Ungewissheit teils objektive, teils subjektive Beurteilungsgrade hinsichtlich des Eintretens von Zuständen verwendet werden, definiert die Entscheidungstheorie den herzustellenden Grad der Wahrscheinlichkeit doch subjektiv.90 Dies folgt aus der grundlegenden Prämisse der normativen Entscheidungstheorie, vom Entscheidungsträger lediglich subjektive und nicht objektive Rationalität zu fordern, andernfalls sich die Entscheidungstheorie in den meisten Fällen der Praxis als untauglich erweisen würde.91 Eine Einordnung der gerichtlichen Entscheidungssituation, wie sie sich am Ende des Suchvorgangs darstellt, in die genannten entscheidungstheoretischen Kategorien hat sich zum gegenwärtigen Stand der Betrachtung auf die Tatsacheninformationen zu beschränken. Die Beurteilung der Entscheidungssituation bezogen auf die präskriptiven Informationen muss vorerst außer Betracht bleiben. Diese Einschränkung liegt darin begründet, dass sich positivrechtlich geregelte Normen, denen der geforderte Beurteilungsgrad zu entnehmen ist, nur in Bezug auf die faktischen Informationen finden und diese Regelungen, wie bereits dargelegt,92 nicht auf die rechtliche Seite der Prüfung anwendbar sind. Insbesondere gilt dies für das im Zusammenhang mit der Prüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vertretene Erfordernis einer „Glaubhaftmachung“ und den damit verbundenen reduzierten Beurteilungsgrad der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“. Um den in rechtlicher Hinsicht vorausgesetzten Informationsstand bestimmen zu können, bedarf es einer Präzisierung der aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Zielgröße einer Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 21, 152. Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 21. 89 Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 22. Allgemein zu den drei Kategorien von Entscheidungssituationen Bamberg / Coenenberg, S. 19, S. 128 ff.; Hammann / Erichson, S. 4 f.; Laux, S. 24 f.; Mag, Grundzüge, S. 22 ff. 90 Vgl. Hammann / Erichson, S. 26; Laux, S. 56 ff., 134 ff.; Mag, Grundzüge, S. 22 f. 91 Vgl. hierzu Bamberg / Coenenberg, S. 4; Gäfgen, S. 32 ff.; Kirsch, S. 63 f. 92 Vgl. oben § 6 II. 2. 87 88

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„vollständigen Prüfung in rechtlicher Hinsicht“,93 mithin einer grundsätzlichen Klärung der Frage, welche Anforderungen mit Rücksicht auf die Besonderheiten der gerichtlichen Erkenntnisbedingungen an die rechtliche Prämisse gestellt werden können. Die Beurteilung der präskriptiven Informationslage ist daher einstweilen zurückzustellen und erst im entsprechenden Zusammenhang vorzunehmen.94 Lenkt man den Blick somit auf die faktischen Informationen unter Einbeziehung der Vorgaben des Beweisrechts, so sind in Bezug auf die tatsächliche Prämisse von den entscheidungstheoretischen Endzuständen entweder Entscheidungssituationen unter Gewissheit oder solche unter Risiko denkbar. Den Regelfall bilden Risikosituationen, d. h. es lassen sich (nur) Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Vorliegen bestimmter Tatsachen treffen. Entsprechendes fordern die Regelungen des Prozessrechts zum Beweismaß, die im Übrigen ebenfalls auf die subjektive Perspektive des Richters, also des Entscheidungsträgers abstellen. Sofern wie in § 108 Abs. 1 VwGO (oder § 286 Abs. 1 ZPO) die richterliche Überzeugung gefordert ist, bedeutet dies lediglich einen so hohen Grad von (subjektiver) Wahrscheinlichkeit, dass er den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.95 Unter der Prämisse, dass eine absolute und unumstößliche Gewissheit nicht zu erreichen ist, darf das Gericht nicht darauf abstellen, ob jeder Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausgeschlossen ist. Es wird nur ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit verlangt.96 In den Fällen, wo das Beweismaß durch die Anforderung lediglich einer Glaubhaftmachung herabgesetzt ist, wird, wie bereits an anderer Stelle behandelt,97 nur der Beurteilungsgrad der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ 98 gefordert, so dass hier ebenfalls eine Risikosituation vorliegt. Gewissheitssituationen sind im gerichtlichen Verfahren mit Blick auf die tatsächlichen Informationen der Ausnahmefall. Sie sind etwa dann denkbar, wenn Tatsachen offenkundig oder gerichtsbekannt sind und deswegen keines Beweises bedürfen (§ 291 ZPO i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO), desgleichen, wenn sich das Gericht im Wege des Augenscheins zweifelsfrei vom Vorliegen einer beweisbedürftigen Tatsache überzeugen kann, mithin eine eigene sinnliche Wahrnehmung des Gerichts vorliegt. Dies gilt aber nur, sofern dies hinsichtlich sämtlicher entscheidungserheblicher Fakten möglich ist. Sobald auch nur ein Faktum ermittelt werden muss, dessen Feststellung im Prozess lediglich aufgrund einer Aussage über Tatsachen, beispielsweise im Wege des Urkunden- oder Zeugenbeweises Vgl. oben § 3 II. 3. b). Vgl. unten § 8 IV. 2. b). 95 Vgl. BVerwGE 71, 180 (181); BGHZ 53, 245 (256); BGH NJW 1993, 935 (937); BGH NJW-RR 1994, 567 (568). 96 BVerwGE 71, 180 (181); BGHZ 53, 245 (255 f.); BGH NJW 1993, 935 (937); BGH NJW-RR 1994, 567 (568). 97 Vgl. oben § 6 I. 2. 98 Präzise müsste aufgrund der maßgeblichen subjektiven Perspektive eigentlich davon gesprochen werden, dass der Richter das Vorliegen der Tatsache „für überwiegend wahrscheinlich hält“. 93 94

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

möglich ist, sieht sich der Richter in tatsächlicher Hinsicht insgesamt wieder einer Risikosituation gegenüber. Im Ergebnis lässt sich also festhalten, dass im gerichtlichen Verfahren im Hinblick auf die faktischen Informationen regelmäßig auch zum Zeitpunkt der Entscheidung i. e. S., d. h. der Alternativenauswahl, ein noch unvollkommener Informationsstand vorliegt.

2. Die Phasen der gerichtlichen Entscheidung im Überblick Die richterliche Entscheidung lässt sich in folgende vier Hauptphasen gliedern: (1) Problemdefinition (2) Informationsgewinnung und -auswertung (= Informationsverarbeitung i. e. S.) (3) Alternativenauswahl (= Entscheidung i. e. S.) (4) Förmliche Umsetzung Dieses Ablaufschema ist deutlich kompakter als einige bisher vorgeschlagene Entscheidungsmodelle, die beispielsweise sieben,99 zehn100 oder 13 Phasen101 umfassen. Eine weitere Aufgliederung ist jedoch nicht zweckmäßig, da entweder einzelne in detaillierteren Modellen als eigene Phase dargestellte Operationen in der Praxis zusammenfallen102 oder die dort angegebene Reihenfolge nicht zwingend ist.103 Zum Teil bilden bestimmte dargestellte Phasen keinen Bestandteil der eigentlichen Entscheidung mehr104 oder sind zumindest nicht regelmäßig rele99 So das Ablaufschema von Lautmann, JbRSoz 1 (1970), 381 (396 ff.), welches sich in folgende Phasen gliedert: (1) Aufgabenstellung, (2) Alternativensammlung, (3) Informationssammlung, (4) Bewertung, (5) Auswahl, (6) Ausführung, (7) Nachgefühle. 100 So die – allerdings nur die rechtliche Seite der Problemlösung behandelnden – „Stadien der Rechtsgewinnung“ bei Kriele, S. 162 ff. 101 So das – ebenfalls nur die Rechtsinformationen einbeziehende – „12-Operationen-Modell“ von Adomeit, ZRP 1970, 176 (178 ff.), dessen Phasen wie folgt lauten: (0) Juristische Ortsbestimmung, (1) Textauskunft, (2) systematische Analyse, (3) Motivauskunft, (4) Auskunft über den Meinungsstand, (5) Literatur- und Entscheidungskritik, (6) dogmatische Interpretation, (7) Folgenanalyse, (8) Entscheidungsprognose, (9) Plädoyer, (10) Entscheidungsvorschlag, (11) Entscheidungsakt, (12) dissenting opinion. 102 Beispielsweise erscheint es – im Unterschied zu Lautmann, JbRSoz 1 (1970), 381 (396 ff.) – praxisgerechter, die Sammlung und Bewertung von Informationen bzw. Alternativen zu einer Phase zusammenzufassen; s. hierzu näher unter II. 2. a). Ebenfalls mutet die Aufgliederung der Operationen (1) bis (6) bei Adomeit, ZRP 1970, 176 (178 ff.) etwas gekünstelt an, zumal systematische oder teleologische Argumente in der Praxis zumeist nicht im luftleeren Raum, sondern in der Analyse und Kritik von Rechtsprechung und Literatur erschlossen werden. 103 Dies gilt wiederum für die Operationen (1) bis (6) bei Adomeit, ZRP 1970, 176 (178 ff.). 104 So etwa die Phase (7) bei Lautmann, JbRSoz 1 (1970), 381 (396 ff.).

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vant.105 Im Hinblick auf den informationellen Schwerpunkt der Entscheidungsproduktion lassen sich die wesentlichen Operationen in den obenstehenden vier Phasen abbilden.106 Für die vorgeschlagene Einteilung des Entscheidungsablaufs spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich um eine Entscheidung im Verfahren der Hauptsache oder des einstweiligen Rechtsschutzes handelt, desgleichen, ob die Entscheidung vom Einzelrichter oder einem Kollegium getroffen wird. Unterschiede zwischen Hauptsache- und Eilverfahren bzw. Einzelrichter- und Kollegialentscheidungen können sich allerdings innerhalb der einzelnen Phasen ergeben und sollen dann an der entsprechenden Stelle gesondert Erwähnung finden. Soweit in den nachfolgenden Ausführungen daher ohne weitere Differenzierung vom „Kläger“ bzw. „Beklagten“ die Rede ist, beziehen sich diese in gleichem Maße auf den Antragsteller bzw. Antragsgegner im Eilverfahren. Desgleichen schließen die Begriffe „Richter“ oder „Gericht“ sowohl den Einzelrichter als auch Kollegien ein, sofern die Ausführungen nicht speziell die mit der Besetzung des Spruchkörpers zusammenhängenden Besonderheiten zum Gegenstand haben.

II. Die Entscheidungsphasen im Einzelnen 1. Problemdefinition a) Zielsetzung Die erste Phase der Entscheidungsproduktion besteht in der Problemdefinition durch den Richter. Mit der Definition des Entscheidungsproblems verfolgt der Richter das Ziel, den tatsächlichen und rechtlichen Standort zu bestimmen, weshalb sich die Phase hinsichtlich dieses Elements auch als „juristische Ortsbestimmung“ bezeichnen ließe.107 Die Phase der Problemdefinition beschränkt sich aber nicht auf diese Bestandsaufnahme, sondern zielt außerdem darauf ab, ein Programm zur Lösung des vorgelegten Falls zu entwickeln, welches insbesondere die nachfolgende Informationsgewinnung mit einschließt.108 Hier trifft das Ent105 Dies betrifft etwa die – insbesondere bei Einzelrichterentscheidungen entfallenden – Phasen (8) bis (10) sowie (12) bei Adomeit, ZRP 1970, 176 (178 ff.), worauf dieser auf S. 180 zu Recht hinweist. 106 Ähnlich das bei Kininger, S. 62 abgebildete Entscheidungsmodell, wo sich der Informationsverarbeitungsprozess in die Phasen Problemdefinition, Informationsgewinnungsprozess und Justizsyllogismus gliedert und das Entscheidungssystem mit dem Urteil als Output endet. Ein vergleichbar knappes Modell des Informationsflusses ist auch bei Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (144) dargestellt, wo allerdings der Problemdefinition noch eine Vorprüfung über die Zulässigkeit vorgeschaltet wird, so dass sich fünf Phasen ausmachen lassen (Vorprüfung, Problemdefinition, Informationsgewinnung bezüglich der Tat- und Rechtsfrage, Subsumtion, Ende = Erlass des stattgebenden oder abweisenden Urteils). 107 Diese Bezeichnung trägt die Phase „0“ im Modell von Adomeit, s. Fn. 101. 108 Vgl. Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (145 f.); Kininger, S. 48.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

scheidungssubjekt somit die dem Suchvorgang vorausgehende Informationsentscheidung.109 Der in dieser Entscheidungsphase ermittelte juristische Standort bildet dann den Ausgangspunkt des sich anschließenden Informationsgewinnungsprozesses. b) Primärinformationen als Entscheidungsinput Als Input, der den Entscheidungsprozess in Gang setzt, fungieren die Primärinformationen. Diese finden sich in der Klageschrift. Um eine hinreichende Problemdefinition durchführen zu können, sind allerdings mehr Angaben erforderlich als die in § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genannten Mindestvoraussetzungen für die Zulässigkeit der Klage. Eine Bestimmung des juristischen Standorts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht lässt sich daher sinnvoller Weise nur durchführen, wenn auch die in § 82 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO als Sollvorgaben aufgeführten Angaben und Anlagen des Klägers vorliegen. Insoweit hat das Gericht, sollten diese Informationen noch nicht vorliegen, zur Vorbereitung der Problemdefinition den Kläger erst zur Ergänzung aufzufordern. Da die Herstellung des vollständigen Sachverhalts bereits Teil der Informationsgewinnung ist, fallen darüber hinaus gewonnene Informationen einschließlich des Beklagtenvortrags allerdings nicht mehr in diese Phase.110 Als Entscheidungsinput, der eine Problemdefinition ermöglicht, sind die Ausgangsinformationen des Klägers ausreichend.111

c) Bildung einer Lösungshypothese Liegen die erforderlichen Primärinformationen vor, nimmt der Richter eine tatsächliche und rechtliche Bestandsaufnahme vor und bildet auf Basis des vorgefundenen Informationsmaterials eine erste Lösungshypothese. Dies bedeutet, dass er aufgrund der ihm vorgelegten tatsächlichen Informationen, also der Sachverhaltsschilderung und der beigefügten Beweismittel des Klägers, eine Hypothese im Hinblick auf den möglichen Ausgang des Verfahrens aufstellt. Hierbei lenkt der Richter in einer ersten Annäherung an die Problemlösung seinen Blick auf potenziell streitentscheidende Rechtsnormen, die auf den aus den Primärinformationen gebildeten Rohsachverhalt möglicherweise Anwendung finden, d. h. für den in der Terminologie der klassischen Methodenlehre als Subsumtion bezeichneten Vorgang geeignet sind. Zur Auffindung der in Betracht kommenden Rechtssätze können die rechtlichen Ausführungen des Klägers und die weiteren RechtsinformatioVgl. oben I. 1. b). Anders hinsichtlich des Beklagtenvortrags die für das zivilgerichtliche Verfahren entwickelten Entscheidungsmodelle von Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (144 f.) und Kininger, S. 50 f. Demgegenüber ist zu bedenken, dass bereits aufgrund des Klägervortrags eine Problemdefinition und erste Schritte zur Informationsgewinnung erfolgen können. 111 Vgl. Burkholz, S. 86; J. Martens, S. 161 f. 109 110

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nen, die den beigefügten Unterlagen, insbesondere z. B. dem angefochtenen Verwaltungsakt zu entnehmen sind, hilfreich sein. So sehr allerdings eine gute Aufbereitung des Sachverhalts sowie präzise Rechtsausführungen des Klägers diesen Suchvorgang zu erleichtern und beschleunigen vermögen, ersetzen sie doch nicht die Eigenleistung des Richters bei der rechtlichen Eingrenzung des Streitstoffs und der Bildung der Lösungshypothese.112 Auch in den theoretischen Modellen der Methodenlehre zum Verfahren der Rechtsgewinnung findet die Aufstellung einer Lösungshypothese als erste auf Basis der Primärinformationen durchgeführte Operation des gerichtlichen Entscheidungsgangs bisweilen eine Entsprechung. So soll nach Krieles Theorie der Rechtsgewinnung das „Hin- und Herwandern des Blicks“ in zwei Stufen stattfinden, auf deren erster der Richter eine Normhypothese bildet, die er dann auf der zweiten Stufe anhand der positivrechtlichen Rechtssätze überprüft.113 Bevor der Richter einen Blick auf das Gesetz wirft, hat er die Lösungshypothese also bereits aufgestellt.114 Nach Arthur Kaufmann erfolgt zunächst das Auffinden einer Hypothese aufgrund des hermeneutischen Vorverständnisses, wobei als logischer Schluss die Abduktion Anwendung findet.115 Ebenfalls zeitlich nachfolgend, im Rahmen des hermeneutischen Zirkels und zur Herstellung des Obersatzes, sucht der Richter dann im Wege der Induktion die für den Fall passenden Rechtsnormen auf.116 Den genannten Theorien zufolge wird diese Operation damit in zwei Vorgänge aufgespaltet, so dass der Richter in einem ersten Schritt zwar die Hypothese bildet, dabei allerdings noch keine konkreten Normtatbestände in die Überlegungen einbezieht. Erst in einem zweiten Schritt sollen dann die in Betracht kommenden Rechtsnormen aufgesucht werden. Diese Aufspaltung ist jedoch nicht weiterführend. Zunächst vermittelt sie – ungewollt – ein anderes als das eigentlich beabsichtigte Verständnis von der richterlichen Entscheidungsfindung. Denn die Aufgliederung der Problemdefinition in zwei Operationen, von denen die erste rein auf das Ergebnis ausgerichtet ist und erst die zweite den Blick auf die Rechtsnormen lenkt, könnte als Einladung an den Richter verstanden werden, die Lösungshypothese im Sinne eines ergebnisorientierten Vorurteils (im negativen Sinne)117 ohne frühzeitige rechtliche Rückkoppelung aufzustellen, mithin seine Entscheidung rein intuitiv zu treffen.118 Der Richter könnte dann im Folgenden bestrebt sein, das einmal gefundene Ergebnis bzw. die Iura novit curia, vgl. bereits oben § 6 II. 2. Vgl. Kriele, S. 197 ff. Das „Hin- und Herwandern“ findet auf der ersten Stufe zwischen Lebenssachverhalt und Normhypothese und auf der zweiten Stufe zwischen Normhypothese und Rechtssätzen statt. 114 Vgl. Kriele, S. 163. 115 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 57, 71 (Schema 5). 116 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 56, 71 (Schema 5). 117 Zum Verständnis des Begriffs „Vorurteil“ vgl. Gadamer, S. 275 f. 118 Die Gefahr eines solchen Vorurteils bei der Vorgehensweise der Abduktion sieht auch Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 57. 112 113

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

präferierte Alternative nachträglich argumentativ zu rechtfertigen; dabei dienten Auslegungsmethoden und Dogmatik lediglich dazu, die – ggf. mit Scheingründen versehene und insoweit konstruierte – Begründung mit der Rechtsordnung in Einklang zu bringen. Die Vorgehensweise der intuitiven Entscheidungsfindung mit anschließender konstruierender Begründung hat in der Methodendiskussion während der Weimarer Republik insbesondere in Isay einen exponierten Befürworter gefunden,119 dessen methodisches Konzept auf dem Gedankengebäude der Freirechtslehre120 aufbaut. Diese geistige Strömung verfolgte freilich einen primär auf voluntative und rechtsschöpferische Elemente der Entscheidungsfindung sowie auf die Richterpersönlichkeit ausgerichteten methodischen Ansatz, der das Gesetz und die Gesetzesbindung in den Hintergrund treten ließ. Unbeschadet des unterschiedlichen historischen Kontextes ist die – zum Teil von Richterseite bestätigte – Behauptung verbreitet, dass die heutige gerichtliche Praxis in weitem Umfang ebenfalls auf die oben geschilderte Weise verfahre.121 Die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens wird zum Teil unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 GG122 oder das Erfordernis einer Offenlegung der wahren Entscheidungsgründe123 abgelehnt. Zum Teil wird hieraus aber auch die Konsequenz gezogen, die Entscheidungsbegründung von der Entscheidungsfindung zu trennen und (ggf. unter völliger Ausblendung des Entscheidungsfindungsprozesses) in den Mittelpunkt der methodischen Betrachtung zu stellen.124 Die mit der Aufspaltung der Problemdefinition unweigerlich aufgeworfene Streitfrage erweist sich allerdings bei genauer Betrachtung als für diese Entscheidungsphase nicht relevant, da die Annahme realitätsfremd ist, der Richter als Entscheidungssubjekt stelle seine Lösungshypothese rein intuitiv auf, ohne zugleich bereits im frühesten Entscheidungsstadium die potenziell streitentscheidenden Rechtsnormen in den Blick zu nehmen. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang das juristische Vorverständnis ins Spiel gebracht.125 Dieses zeichnet sich gerade dadurch aus, dass es dem Richter ermöglicht, die relevanten Merkmale des zu entscheidenden Falls und die zu seiner Lösung geeigneten Normen schon unbewusst auszuwählen, zu registrieren und einzuordnen.126 Aufgrund des Vorverständnisses erschließen sich dem juristisch vorgebildeten Entscheidungsträger noch vor BeVgl. Isay, S. 67 ff., 172 ff. Zur Freirechtslehre s. Brink, S. 102 ff.; Larenz, S. 59. 121 Vgl. zu dieser Praxis schon Radbruch, S. 166; ferner Brink, S. 197 f.; Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (147); Heusinger, S. 5; Kriele, S. 25 f.; Lautmann, Justiz, S. 83 ff.; Sambuc, S. 121 f.; Sendler, Simon-FS, S. 113 (143 f.) und Kriele-FS, S. 457 (465 f.). 122 So Larenz, S. 210 f. 123 So Adomeit, ZRP 1970, 176 (180); Sambuc, S. 121 f.; Sendler, Simon-FS, S. 113 (143 f.) und Kriele-FS, S. 457 (479 f.). S. hierzu m. w. N. auch Brink, S. 223 ff. 124 Vgl. etwa Alexy, Argumentation, S. 282; Brink, S. 214 ff.; Koch / Rüßmann, S. 1, 116 ff.; Neumann, Argumentationslehre, S. 4 f. 125 So Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 57, 71 (Schema 5). 126 Vgl. Esser, S. 10. 119 120

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ginn des eigentlichen Informationsgewinnungsprozesses zumindest einzelne, ggf. aber auch bereits sämtliche Alternativen im entscheidungstheoretischen Sinne. Zugleich befähigt es den Richter, unter diesen in einem ersten Erkenntnisakt aufgefundenen Alternativen dergestalt eine vorläufige Auswahl zu treffen, dass im weiteren Gang der Entscheidung (zunächst) nur die infolge des Vorverständnisses für in erster Linie einschlägig gehaltenen Rechtsnormen einer näheren Analyse unterzogen werden und den Ausgangpunkt des Informationsgewinnungsprozesses bilden. Das Vorverständnis leistet folglich einen wichtigen ersten Beitrag dazu, Handlungsmöglichkeiten einerseits zu erkennen und andererseits im Sinne der Einschränkung des Lösungsbereich wieder auszuschließen.127 An dieser Stelle bedarf es (noch) keiner Behandlung der Frage, welche Faktoren in inhaltlicher Hinsicht auf das Ergebnis der Entscheidung von Einfluss sind und welche Schlussfolgerungen daraus für die Erkenntnisleistung im gerichtlichen Verfahren zu ziehen sind.128 Auch ohne vorgängige eingehende Erörterung dieses Problemkomplexes kann jedoch unzweifelhaft davon ausgegangen werden, dass sich richterliche Rechtserkenntnis nicht lediglich auf rein kognitive, intellektuelle und logisch determinierte Denkoperationen beschränken lässt, sondern auch subjektive, volitive und emotionale Elemente einschließt. Diese Einsicht darf allerdings nicht dazu führen, die Phase der Problemdefinition bzw. den gesamten Entscheidungsvorgang in strikt voneinander getrennt ablaufende Phasen aufzugliedern, die entweder nur intellektuell, konstruktiv-subsumtiv geprägt oder nur emotional, durch das „Rechtsgefühl“ dominiert sind.129 Ein derartiges Verständnis vom „Rechtsgefühl“ als einem verselbständigten, vom durch die juristische Vorbildung und Berufserfahrung erworbenen Vorverständnis unabhängigen Wesen, welches letztendlich auch als Korrektiv zu Recht und Gesetz wirken könnte,130 erweist sich nicht nur angesichts Art. 20 Abs. 3 GG als bedenklich. Es lässt auch außer Acht, dass das „Rechtsgefühl“ des Richters seinerseits erst durch im Zuge der vor- bzw. außerjuristischen Formung und anschließend insbesondere durch die juristische 127 Vgl. auch Laux, S. 9, zur Bedeutung des eigenen „Erfahrungsbereiches“ des Entscheiders für die Erkennung von Alternativen sowie oben I. 1. b) und unten 2. a) zum Ziel des Informationsverarbeitungsprozesses in Bezug auf die Erschließung und Eingrenzung des Lösungsbereichs. 128 Zu dieser Frage s. unten § 8 III. 129 So aber etwa Bihler, S. 90 ff., 152 ff., dessen Ansicht zufolge das Ergebnis entweder spontan durch das Rechtsgefühl gefunden und anschließend rational argumentativ legitimiert wird oder aber die Lösung subsumtiv gefunden und anschließend durch das Rechtsgefühl emotional kontrolliert und bestätigt wird. Im ersten Fall liegt Gefühlsdominanz, im zweiten Verstandesdominanz vor. Da Rationalität und Emotionalität übereinstimmen, wird dem Entscheider die Kontrollphase nicht bewusst. Besteht hingegen eine Divergenz zwischen beiden Komponenten, soll nach Bihler die Urteilsbegründung davon abhängen, ob letztlich sein „Verbindlichkeitsgefühl“, d. h. das Gefühl der Bindung an Gesetz und Recht, oder sein Rechtsgefühl die Oberhand behält. 130 Diese wäre Bihlers Modell zufolge die Konsequenz einer Dominanz des Rechtsgefühls über das „Verbindlichkeitsgefühl“ im Falle von Divergenz zwischen Rationalität und Emotionalität.

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Ausbildung und berufliche Tätigkeit erworbene Rechtskenntnisse und Gebotsvorstellungen hervorgebracht wird,131 oder, wie bereits von Rudolf von Ihering ausgesprochen, das Rechtsgefühl seine Nahrung von außen, von den aufgestellten Rechtssätzen und Einrichtungen bezieht und daher nichts als ein „Produkt der Rechtsordnung“ darstellt.132 Das Rechtsgefühl kann daher nicht als rein emotionales Phänomen betrachtet werden, welches lösgelöst von (für seine Entstehung mitbestimmenden) intellektuellen Vorgängen Wirkung entfaltet. Demnach kommt es in der Entscheidungsphase der Problemdefinition als primär kognitiv geprägtes Judiz im Zuge des Vorverständnisses zur Geltung und nicht als von diesem gesonderte emotionale Instanz.133 Festzuhalten bleibt somit der Befund, dass das Vorverständnis stets in engem Zusammenhang mit Normen zum Tragen kommt, die der Richter zu Beginn des Verstehensprozesses mit einer „Sinnerwartung“ belegt; diese Erwartung wiederum findet sich dann idealiter im weiteren Verlauf durch Auslegung der Norm und die damit verbundene Verfeinerung der Lösungshypothese bestätigt.134 Soll die Lösungshypothese aufgrund des Vorverständnisses des Richters gebildet werden, ist dies ohne zumindest näherungsweise rechtliche Einkreisung des Problems anhand zur ersten Orientierung ins Bewusstsein gerückter Rechtsnormen im gerichtlichen Verfahren schwerlich denkbar. Die Aufspaltung des Vorgangs, der zur Bildung einer Lösungshypothese führt, in einen vorausgehenden ergebnisorientierten und einen nachfolgenden normenorientierten Teil ist aus den genannten Gründen nicht nachvollziehbar. Die vom Richter aufgestellte Lösungshypothese steuert in der sich anschließenden zweiten Entscheidungsphase den Prozess der Informationsgewinnung und -auswertung. In der Phase der Problemdefinition wird daher das Informationsgewinnungsprogramm aufgestellt. Vom Ergebnis der Problemdefinition hängt ab, ob und ggf. welche weiteren Tatsachen- und Rechtsinformationen einzuholen sind. Da das Gericht in dieser Phase somit untersucht, ob eine Problemlösung am Maßstab der gebildeten Lösungshypothese bereits auf Basis der Ausgangsinformationen des Klägers möglich ist oder ob weitere Tatsachen- oder Rechtsinformationen zu beschaffen sind, lässt sich die Tätigkeit des Gerichts in diesem Stadium mit der Schlüssigkeitsprüfung im Zivilprozess vergleichen.135 Die Durchführung einer solchen „Schlüssigkeitsprüfung“ im Verwaltungsprozess widerspricht entgegen anderslautenden Stimmen136 nicht dem Untersuchungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 VwGO. Vielmehr stellt sich auch hier die Frage, ob der Vortrag des Klägers zur Lösung des zur Entscheidung gestellten Problems bereits hinreichend ist oder ob 131 132 133 134 135 136

Vgl. Weimar, Psychologische Strukturen, S. 109 f. Vgl. von Ihering, Der Kampf ums Recht, S. 275 (296). Vgl. Esser, S. 31, 140; Weimar, Psychologische Strukturen, S. 109. Vgl. Larenz, S. 207. Vgl. Burkholz, S. 86 f. So Klein / Czajka, S. 9 f., 99; Kopp / Schenke, Rn. 22 vor § 40.

§ 7 Ablauf der Entscheidungsproduktion im verwaltungsgerichtlichen Verfahren

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weitere Ermittlungen anzustellen sind, abgesehen davon, dass auch im Zivilprozess die Verhandlungsmaxime durch § 139 ZPO sowie §§ 142 bis 144, 273 und 448 ZPO eine wichtige Ergänzung (bzw. Einschränkung) erfährt137 und umgekehrt die gerichtliche Aufklärungspflicht im Verwaltungsprozess ebenfalls nicht grenzenlos ist.138 d) Entscheidungsreife ohne weitere Informationsgewinnung in Ausnahmefällen Im Regelfall führt die Problemdefinition angesichts des für das Frühstadium gerichtlicher Entscheidungsfindungsprozesse charakteristischen unvollkommenen Informationsstands139 zu dem Ergebnis, dass eine weitere Informationsgewinnung erforderlich ist. Ausnahmsweise bedarf es jedoch zur Lösung des Problems keiner zusätzlichen Informationen. Dies ist z. B. der Fall, wenn sich die Klage in dieser Entscheidungsphase als unzulässig herausstellt und sich dieser Zustand nicht beheben lässt. Ebenso kann es sich ergeben, dass die konkret vorgefundene Sach- und Rechtslage eindeutig mit einem Präjudiz übereinstimmt und kein Anlass zum Abweichen von der bisherigen Rechtsprechung besteht, oder dass sich dem Richter die Begründetheit bzw. Unbegründetheit der Klage aus einem sonstigen Grund ohne weitere Ermittlungen auf einen Blick erschließt. In diesen Fällen kann er den Entscheidungsfindungsprozess bereits hier abbrechen und direkt zu Phase 3 übergehen, d. h. die Alternativenauswahl treffen. Anstelle einer bloßen Lösungshypothese, die im weiteren Entscheidungsfindungsprozess verfeinert und bestätigt oder abgeändert werden müsste, hat der Richter dann mit der in der Phase der Problemdefinition angesteuerten Rechtsnorm bereits die endgültige Lösung aufgefunden. Der Rechtsstreit ist aus Sicht des Entscheidungsträgers ohne weitergehenden Suchvorgang entscheidungsreif. Auch in diesen Ausnahmefällen ist allerdings der durch Art. 103 Abs. 2 GG und die materiellen Grundrechte sowie die Vorschriften des Verwaltungsprozessrechts (§§ 86 Abs. 2 und 3, 101 Abs. 1 und 2, 104 Abs. 1, 108 Abs. 2 VwGO) vorgegebene Grundsatz rechtlichen Gehörs zu beachten. Insbesondere hat das Gericht, sofern es dem Antrag des Klägers stattgeben will, zuvor regelmäßig die Stellungnahme der anderen Partei einzuholen. Von der Gewährung rechtlichen Gehörs kann das Gericht wiederum in bestimmten Situationen absehen, die u. a. in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes relevant sind, aber auch hier den Ausnahmefall bilden. So ist eine Entscheidung ohne Anhörung des Antragsgegners zulässig, wenn der Schutz gewichtiger Interessen die Überraschung unabweisbar erfor137 Zu Recht weist daher Ule, Verwaltungsprozessrecht, S. 134, darauf hin, dass dem Unterschied zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime zwar theoretisch eine hohe, praktisch jedoch eine nur geringe Bedeutung zukommt. 138 s. zu den Grenzen der Aufklärungspflicht im Eilverfahren unten § 9 II. 1. a) aa). 139 Vgl. oben I. 1. b).

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

dert.140 Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es für die Beurteilung, ob rechtliches Gehör zu gewähren ist, auf die besondere Eilbedürftigkeit sowie den Zweck der Eilmaßnahme an.141 In informationeller Hinsicht ändert diese rechtliche Verpflichtung zur Anhörung nichts daran, dass dem Gericht in den genannten Ausnahmefällen die für die Problemlösung notwendigen Informationen bereits vorliegen. Begreift man Information als entscheidungsrelevantes Wissen,142 so kann die aus rechtlichen Gründen gebotene Gewährung rechtlichen Gehörs den Informationsstand nicht in relevanter Weise erweitern. Sie erfolgt dann lediglich aufgrund verfassungsrechtlicher bzw. einfachgesetzlicher Verpflichtung, leistet hingegen keinen zusätzlichen substanziellen Beitrag zur Entscheidungsfindung.

e) Kollegialentscheidungen: Problemdefinition Aufgabe des Berichterstatters Bei Kollegialentscheidungen fällt die erste Entscheidungsphase der Problemdefinition in den Aufgabenbereich des Berichterstatters. Diesem obliegen die vorbereitenden Tätigkeiten, zu denen es gehört, möglichst frühzeitig das Klagebegehren und den Streitgegenstand zu erkennen sowie die streitentscheidenden Normen aufzufinden.143 Der Berichterstatter bildet demnach auch die Lösungshypothese. Fraglich ist, ob zur Bestimmung dessen, was bei Kollegialentscheidungen unter der Lösungshypothese zu verstehen ist, auf den Informationsstand des Berichterstatters oder sämtlicher Berufsrichter abzustellen ist.144 Im ersten Fall bestünde die Lösungshypothese ebenso wie bei Individualentscheidungen lediglich in der ersten Annäherung des Berichterstatters an die Problemlösung, die dieser aus den Primärinformationen gewinnt. Im zweiten Fall hingegen läge eine (vom Berichterstatter vorbereitete) Lösungshypothese des Kollegiums frühestens dann vor, wenn sämtliche Berufsrichter das Votum des Berichterstatters zur Kenntnis genommen haben, womit der Entscheidungsvorschlag des Berichterstatters zugleich die Lösungshypothese des Kollegiums darstellte. Vorzugswürdig erscheint erstere Annahme. Zwar macht, sofern keine vorgängige Befassung der übrigen Richter mit dem Fall stattgefunden hat, erst das Votum Vgl. BVerfGE 49, 329 (342); BVerfGE 65, 227 (233). Vgl. BVerfGE 65, 227 (234). 142 Vgl. oben I. 1. b). 143 Vgl. hierzu J. Martens, S. 10; Schoch / Ortloff, Rn. 33 vor § 81. 144 Die ehrenamtlichen Richter können hier außer Betracht bleiben, da diese gemäß § 19 VwGO nur bei der mündlichen Verhandlung und der Urteilsfindung mitwirken. Ihre Mitwirkung beschränkt sich somit lediglich auf einen Teil des Entscheidungsprozesses. Sie beginnt, bezogen auf das hier vorgeschlagene Modell, erst inmitten der Phase 2 (mündliche Verhandlung als Teil der Informationsgewinnung) und endet mit Phase 3. In der ersten Phase der Problemdefinition sind die ehrenamtlichen Richter jedenfalls noch nicht beteiligt. 140 141

§ 7 Ablauf der Entscheidungsproduktion im verwaltungsgerichtlichen Verfahren

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dem Kollegium die Problemstellung des Falls zugänglich. Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass das Votum bereits das Ergebnis umfangreicher Informationsgewinnung und -auswertung seitens des Berichterstatters darstellt. Desgleichen dient das Votum selbst den übrigen Berufsrichtern als über die bloße Problemdefinition hinausgehende Quelle der Informationsgewinnung. Beides spricht dafür, das Votum in Phase 2 des Entscheidungsmodells einzuordnen und auf den Informationsstand des Berichterstatters abzustellen. Insofern ergeben sich im Hinblick auf die Bestimmung der Phase der Problemdefinition keine Unterschiede zwischen Einzelrichter- und Kollegialentscheidungen.

2. Informationsgewinnung und -auswertung a) Zielsetzung Der Problemdefinition schließt sich die Phase der Informationsgewinnung und -auswertung, also der Informationsverarbeitung i. e. S. an. Hier setzt der Richter die im vorangegangenen Entscheidungsabschnitt getroffene Informationsentscheidung um. Der Suchvorgang dient dem Zweck, das noch benötigte entscheidungsrelevante Wissen zu erlangen und den zur Lösung vorgelegten Fall entscheidungsreif zu machen. Zugleich sollen die in der Phase der Problemdefinition bereits erkannten sowie evtl. während des Informationsgewinnungsprozesses sich neu erschließenden Alternativen bewertet werden. Die Informationsgewinnung erweitert daher u. U. das Spektrum in Betracht kommender Handlungsmöglichkeiten; in der Folge ist es jedoch ihre Aufgabe, diesen zunächst als möglich erscheinenden Lösungsbereich wieder einzuschränken. Es erscheint sinnvoll, Such- und Bewertungsvorgang nicht als getrennte Verfahrensabschnitte zu betrachten, sondern zu einer Entscheidungsphase zusammenzufassen.145 Dies rechtfertigt sich zum einen daraus, dass die Bewertung von Alternativen im zeitlichen Zusammenhang mit und in wechselseitiger Abhängigkeit von einer zunehmenden Informationsaufnahme erfolgt; d. h. ein bestimmtes Zwischen- oder Endergebnis der Bewertung kann einen weiteren Informationssuchvorgang auslösen, dem sich wiederum eine Bewertung derselben oder anderer Handlungsmöglichkeiten anschließt. Zum anderen führt u. U. erst ein solcher Suchvorgang zur Auffindung einer weiteren Alternative. Die strikte Trennung beider Vorgänge ist daher ebenso wenig praxisgerecht wie die Annahme eines ständigen Hin- und Herspringens zwischen den beiden Phasen.

b) Steuerung durch die Lösungshypothese Gesteuert wird die Informationsgewinnung durch die erste Lösungshypothese, die aufgrund des Vorverständnisses gewonnen wurde. Diese ermöglicht einen ziel145

Anders etwa das Ablaufschema bei Lautmann, JbRSoz 1 (1970), 381 (395 ff.).

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

gerichteten Suchvorgang. Hierbei steht die Lösungshypothese selbst zur Überprüfung an. Die Suche konzentriert sich daher zunächst auf diejenigen Informationen, welche die in der Phase der Problemdefinition in erster Linie für einschlägig gehaltene Alternative bestätigen oder ausschließen können. Die Lösungshypothese ist ebenso wie der Informationsstand variabel. Sie kann im Laufe des Such- und Bewertungsvorgangs zunächst verfeinert und dann bestätigt werden. Ebenso ist es aber möglich, dass die eingangs für zutreffend gehaltene Alternative verworfen wird. Auch können sich während des Informationsgewinnungsprozesses – sei es aufgrund gezielter Suche oder als Zufallsprodukt derselben – neue Alternativen erschließen. Dies führt dann jeweils dazu, dass die Lösungshypothese durch eine andere ersetzt wird, welche dann ihrerseits den weiteren Informationsgewinnungsprozess steuert.146 In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die bereits im Rahmen der ersten Entscheidungsphase147 behandelte Streitfrage zurückzukommen, ob die Entscheidung vom Richter in Wirklichkeit intuitiv gefunden wird und der Vorgang der Informationsgewinnung nur dem Zweck dient, die bevorzugte Alternative nachträglich argumentativ rechtfertigen zu können. Nach der unterstellten richterlichen Praxis verliefe die Suche nach Informationen nicht ergebnisoffen, d. h. der Entscheidungsfindung dienend, sondern lediglich zur Bestätigung einer vorgefassten Meinung und damit nur die Entscheidungsbegründung stützend. Unter dem – bei dieser Untersuchung im Vordergrund der Betrachtung stehenden – informationellen Aspekt der richterlichen Entscheidung zeigt sich jedoch, dass die Fragestellung auch hinsichtlich der Phase der Informationsverarbeitung i. e. S. letztlich keine Relevanz aufweist. Dies ließe sich bereits ganz banal mit dem Hinweis darauf begründen, dass die Beschaffung von Informationen, insbesondere solcher rechtlicher Natur, unabhängig davon erforderlich ist, ob sich der Richter noch auf dem Weg zur Lösung des Problems befindet oder lediglich nach Material sucht, um seine vorgefasste Meinung argumentativ zu untermauern und in der geltenden Rechtsordnung zu verankern. In beiden Fällen bedarf es der Gewinnung und Auswertung von Information, wenngleich mit unterschiedlicher Zielrichtung. Gelingt es dem Richter, sein „Vorurteil“ im Normenwerk der Rechtsordnung bestätigt zu finden, lässt sich diese Vorgehensweise dem Urteil als Produkt seiner Entscheidungstätigkeit auch nicht anmerken. Gelingt dies nicht, ist der Entscheidung allerdings kein Erfolg beschieden, denn „billigungswerte Motive machen schlechte Gründe nicht zu guten“.148 Bei näherem Hinsehen ist die Bedeutung dieses Meinungsstreits auch deswegen als gering einzustufen, weil die – als Konsequenz aus der scheinbaren Beliebigkeit des Vorgehens bei der Entscheidungsfindung propagierte – strikte Trennung des Entdeckungs- vom Begründungszusammenhang149 nicht praxisgerecht ist. Zu 146 147 148 149

Vgl. Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (146). Vgl. oben 1. c). Koch / Rüßmann, S. 1. Vgl. oben 1. c).

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Recht ergeht diesbezüglich der Hinweis, dass die Begründungsstrukturen zugleich eine Anleitung für den Prozess der Entscheidungsfindung darstellen.150 Wenn der Richter weiß, worauf es zur Rechtfertigung der gefundenen Lösung bzw. gewählten Alternative ankommt, wird er seine Suche dem gemäß (auch) auf die begründungsrelevanten Aspekte und die hierfür bedeutsamen Informationen erstrecken. Des Weiteren ist – was ebenfalls für eine Relativierung der aufgeworfenen Problematik spricht – zu bedenken, dass, wie noch zu zeigen sein wird,151 der Prozess der Informationsverarbeitung, auch soweit er als Verfahren zur Entscheidungsfindung aufgefasst wird, nicht ohne Wertungen auskommt; Wertungen schließen wiederum als persönliche Stellungnahmen im Kern stets subjektive Momente ein, so dass – entsprechend dem Stand der Methodenlehre152 – auch unter der Prämisse einer ergebnisoffenen Suche nicht von einer bis ins kleinste Detail kognitiven und logisch determinierten Vorgehensweise bei der Informationsgewinnung und -auswertung ausgegangen werden kann.

c) Zum Zusammenhang von tatsächlicher und rechtlicher Prüfung Im gerichtlichen Erkenntnisverfahren153 hat der Richter für seine Entscheidung eine faktische und eine normative Prämisse zu bilden. Bei der faktischen bzw. tatsächlichen Prämisse handelt es sich, vereinfacht ausgedrückt, um den aus dem Lebenssachverhalt gebildeten entscheidungserheblichen Sachverhalt, bei der normativen bzw. rechtlichen Prämisse um die für den zu entscheidenden Fall ermittelte und ausgelegte Rechtsnorm, einschließlich deren Rechtsfolgenanordnung. Entsprechend können die Informationen, die das Gericht im Laufe des Entscheidungsprozesses sammelt und bewertet, nach juristischen Kategorien unterschieden werden. Die Informationsverarbeitung umfasst dem gemäß, wie bereits erwähnt,154 tatsächliche (faktische) und rechtliche (präskriptive) Informationen. Wenngleich sich die beiden Informationskategorien sowohl methodologisch als auch entscheidungstheoretisch in ihrer Eigenart und hinsichtlich der zu ihrer Auffindung herangezogenen Informationsquellen unterscheiden und insoweit getrennt betrachten lassen,155 ist im Hinblick auf das Entscheidungsergebnis gleichwohl der 150 Vgl. Kriele, S. 220; Uerpmann, S. 285. S. auch Alexy, S. 282, der gleichwohl die strikte Trennung propagiert. 151 s. nachfolgend unter c) und zur Wertung insbesondere § 8 III. 1. c). 152 Vgl. hierzu etwa Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 1 ff., 8. 153 Die Klassifizierung als Erkenntnisverfahren trifft auch für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu, vgl. Leipold, S. 18 f. Infolge der unter § 4 dargestellten Zwecksetzung ist der Hauptsacheanspruch Gegenstand der Begründetheitsprüfung im Eilverfahren, so dass die nachfolgenden Ausführungen auch auf das Eilverfahren übertragbar sind. 154 Vgl. oben I. 1. b). 155 Hierzu näher unter d).

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

enge Zusammenhang zwischen Tatsachenfeststellung und Rechtsprüfung zu beachten. In der traditionellen Methodenlehre war diesbezüglich zwar zunächst das auf Savigny zurückgehende klassische Subsumtionsmodell vorherrschend, welches im Sinne des „Dualismus von Sollen und Sein“ von einer strikten Trennung von Sachverhaltsermittlung und Norminterpretation ausging.156 Diese Vorstellung ist jedoch bald der Erkenntnis gewichen, dass Ober- und Untersatz des Subsumtionsschlusses nicht beziehungslos nebeneinander stehen und unabhängig voneinander gebildet werden können, sondern dass zwischen der vom Richter durchzuführenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Die enge Verflechtung zwischen beiden Vorgängen besteht darin, dass der Richter zum einen aus dem Lebenssachverhalt auf die möglichen Rechtspositionen schließt und zum anderen umgekehrt die relevanten Tatsachen aus dem Lebenssachverhalt im Hinblick auf die für die Entscheidung herangezogenen Normen auswählt.157 Damit findet einerseits eine Selektion des Tatsachenstoffs statt, der mit Rücksicht auf die Möglichkeit einer Subsumtion unter die potenziell einschlägigen Rechtsnormen ausgewählt und gedeutet wird;158 andererseits müssen die Rechtsnormen wiederum in Bezug auf den zu entscheidenden Fall ermittelt und im Lichte der ihrerseits selektierten Tatsachen ausgelegt werden. Hierbei handelt es sich um einen fortlaufenden Prozess, der sich entweder als ein „Experimentieren“ 159 oder als „Hin- und Herwandern des Blicks“160 charakterisieren lässt. Allerdings führt dieser Prozess des Experimentierens oder der Wanderung des Blicks allein noch nicht zu der gewünschten Verbindung zwischen der tatsächlichen und rechtlichen Seite des zur Entscheidung gestellten Problems. Vielmehr läuft er endlos weiter und hält den Richter in einem hermeneutischen Zirkel gefangen, wenn nicht ein zusätzliches Moment hinzutritt, das die Kluft zwischen Sachverhalt und Rechtsnorm zu überbrücken imstande ist. Um festzustellen, wann die tatsächliche und rechtliche Prämisse der Entscheidung übereinstimmen, bedarf es daher einer Wertung des Entscheidungssubjekts.161 Die Feststellung der Übereinstimmung von Sachverhalt und gesetzlichem Tatbestand erfolgt letztlich im Wege wechselseitiger Bewertung, weshalb die richterliche Entscheidung auch als eine wertende Synthese aus Sachverhalt und Rechtsnorm bezeichnet werden könnte.162 Es ist der Punkt zu finden, in welchem beide Prämissen am nächsten beieinander Vgl. hierzu Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 69 (Schema 3), 72 ff.; Rödig, S. 163 f. Vgl. zu dieser Vorgehensweise etwa Eberle / Garstka, Rechtlicher Wandel, S. 123 (134); Esser, S. 53 ff.; Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 72 ff.; Krawietz, Rechtsprechungslehre, S. 517 (527 f.); Larenz, S. 280 ff., 312; Pavcˇnik, S. 20, 77 f., 160 ff.; Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574); Weimar, Rehbinder-Widmungsschrift, S. 169 (176 f.). 158 Vgl. Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (146 f.); Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (112). 159 So Bierling, S. 46 f. 160 So Engisch, S. 15; Kriele, S. 163, 197 ff.; Larenz, S. 281. 161 Vgl. Eberle / Garstka, Rechtlicher Wandel, S. 123 (137 ff.); Esser, S. 79; Larenz, S. 283 ff.; Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574). 162 So Pavcˇnik, S. 20, 94, 152, 162. 156 157

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liegen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass auch durch diese Wertung i. d. R. keine völlige, formale Gleichheit von Sachverhalt und Gesetzestatbestand zu erreichen ist, die genannte Kluft also nicht vollständig überbrückt werden kann.163 Ausnahmen bilden lediglich etwa mathematische Zahlen und Zeichen. Folgerichtig lässt sich in diesem Zusammenhang grundsätzlich auch nicht von einer „Gleichsetzung“ der beiden Entscheidungsprämissen sprechen; es ist allenfalls eine Ähnlichkeit zwischen ihnen feststellbar.164 Die Erkenntnis, dass die richterliche Entscheidung über eine wechselseitige Bewertung der faktischen und präskriptiven Informationen gefunden wird, bedeutet keine unzulässige Vermengung von Tat- und Rechtsfrage, die sich, wie bereits erwähnt, kategorisch und nach der Herkunft der einschlägigen Informationen nach wie vor unterscheiden. Umgekehrt würde hingegen ein Verständnis der Trennung von Tat- und Rechtsfrage in dem Sinne, dass beide Entscheidungsprämissen ohne Wechselbezug gebildet werden könnten oder die Wertung nur bei der Tatfrage zulässig sei und nicht auf die Rechtsfrage durchschlage,165 verkennen, dass dann das maßgebliche Bindeglied zwischen Sachverhalt und Rechtsnorm, welches den Subsumtionsschluss erst ermöglicht, nicht vorhanden wäre. Die Charakterisierung des gerichtlichen Entscheidungsprozesses als einen Wertungen einschließenden Vorgang lässt erkennen, dass sich hieraus Konsequenzen für das Ergebnis der Entscheidung und die Präzisierung des Prozessziels einer möglichst vollständigen rechtlichen Prüfung ergeben müssen. Da in diesem Rahmen jedoch vorerst lediglich der Ablauf der Entscheidung unter informationellen Gesichtspunkten erörtert werden soll, sind die ergebnisbezogenen Folgerungen aus der besonderen Situation der richterlichen Entscheidung zunächst zurückzustellen.166 d) Informationsquellen des Gerichts Wie unter c) dargestellt, besteht zwischen Tatsachenfeststellung und Rechtsprüfung im gerichtlichen Verfahren ein untrennbarer Zusammenhang, der dazu führt, dass die faktischen und präskriptiven Informationen in einem Prozess wechselseitiger Bewertung beider Entscheidungsprämissen gewonnen und ausgewertet werden. Wenngleich diese Prämissen in enger Bezugnahme zueinander hergestellt werden, so entnimmt der Richter die für seine Entscheidung erforderlichen Tatsachen- und Rechtsinformationen doch jeweils unterschiedlichen Quellen. Im Folgenden ist aufzuzeigen, auf welchen Wegen das Gericht Zugang zu den entscheidungserheblichen Informationen findet.

163 164 165 166

Vgl. Larenz, S. 271, Fn. 34. Vgl. Pavcˇnik, S. 11, 154. So etwa Smid, Richterliche Rechtserkenntnis, S. 70, 103, 107 f. Vgl. zu diesem Problemkomplex unten § 8.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

aa) Tatsächliche Informationen Wie bereits dargelegt, geben tatsächliche bzw. faktische Informationen Auskunft über Vorgänge oder Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit.167 Im Hinblick auf die Beschaffung des dieser Kategorie zuzuordnenden entscheidungsrelevanten Wissens erweisen sich die Vorschriften der VwGO durchaus als aufschlussreich. Zentrale Vorgabe für die Sachverhaltsermittlung ist der in § 86 VwGO normierte Untersuchungsgrundsatz. Der Inhalt, vor allem aber die Grenzen dieser gerichtlichen Pflicht sind von großer Bedeutung für die Zuweisung der Verantwortungsbereiche von Gericht und Beteiligten, insbesondere auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.168 Im Zusammenhang mit der Darstellung des Entscheidungsablaufs ist die Abgrenzung der Aufklärungspflicht des Gerichts von der Mitwirkungslast der Beteiligten allerdings weniger von Interesse; vielmehr steht hier die Herkunft der Information, also deren Quelle im Vordergrund. Diesbezüglich verdeutlicht § 86 VwGO zumindest, dass es zur Herstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts in großem Umfang der Heranziehung der Beteiligten bedarf, diese mithin als gewichtige Informationsquelle fungieren. Bedeutsame gesetzliche Regelungen betreffend Tatsacheninformationen enthalten auch §§ 87, 96 Abs. 1 VwGO, denen sich angesichts ihres nichtabschließenden Charakters169 entnehmen lässt, dass eine Beschränkung der Erkenntnisquellen auf einen bestimmten Katalog, vergleichbar etwa dem zivilprozessualen Strengbeweis, nicht besteht. Die faktischen Informationen werden entweder über die Beteiligten oder aus anderen Quellen bezogen, wobei im letzteren Fall die Informationsgewinnung entweder in direkter Kommunikation oder aber nichtkommunikativ stattfindet. Tatsacheninformationen von Seiten der Beteiligten erhält das Gericht u. a. in Form von (spontanen oder als Stellungnahmen angeforderten) schriftsätzlichen Sachverhaltsschilderungen sowie vorgelegten Unterlagen wie z. B. Behördenakten gemäß § 99 Abs. 1 VwGO, Gutachten oder sonstigen Urkunden. Soweit ein Erörterungstermin oder eine mündliche Verhandlung einschließlich Beweisaufnahme durchgeführt wird, liefern die Beteiligten faktische Informationen auch durch mündlichen Vortrag. Weitere Möglichkeiten zur Beschaffung von Tatsacheninformationen stellen fernmündliche oder mittels elektronischer Post übersandte Auskünfte dar. Informationen der Beteiligten liegen dem Gericht im Rechtsstreit in Form der Primärinformationen nicht nur als erstes vor; zumeist werden sie auch im Laufe des Verfahrens vom Gericht mittels Anforderung von Ergänzungen des Klägers bzw. Stellungnahmen des Beklagten vor Informationen aus anderen Quellen eingeholt. Vgl. oben I. 1. b). Vgl. hierzu näher unter § 9 II. 1. a) aa). 169 Das fehlende Ausschlussverhältnis zu anderen Informationsquellen verdeutlichen §§ 87 Abs. 1 Satz 2, 96 Abs. 1 Satz 2 VwGO über „insbesondere“; zu § 87 VwGO vgl. auch BTDrs. 11 / 7030, S. 27. 167 168

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Faktische Informationen aus anderen Quellen, die im Wege der direkten Kommunikation gewonnen werden, bezieht das Gericht über die Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung, etwa im Wege des Zeugen-, Sachverständigen- oder Urkundenbeweises, sowie durch außerhalb der mündlichen Verhandlung eingeholte Sachverständigengutachten und sonstige schriftliche, fernmündliche oder per elektronischer Post übermittelte Auskünfte und Unterlagen. Den (innerhalb des Spruchkörpers) kommunikativ erschlossenen Informationsquellen sind bei Kollegialentscheidungen auch das Votum des Berichterstatters und die Beratungen der Kammer bzw. des Senats zuzuordnen. Hier dient zunächst das Votum als Informationsquelle der übrigen Richter hinsichtlich der Tatsachenlage. Im weiteren Verlauf des Verfahrens führen dann die Beratungen zu einer wechselseitigen Erweiterung des Informationsstandes in tatsächlicher Hinsicht, indem die bereits vorhandenen faktischen Informationen diskursiv bewertet werden. Dies bringt die Bildung des entscheidungserheblichen Sachverhalts insoweit voran, als die bisherigen Sachverhaltsannahmen entweder gefestigt oder mit Zweifeln belegt werden und gleichzeitig der weitere Informationsbedarf festgestellt werden kann. Eine Quelle tatsächlicher Informationen, die nichtkommunikativ erworben werden, bildet die für die Problemlösung relevante (nichtjuristische) Sach- und Fachliteratur. Sie findet sich insbesondere in Monographien, Fachzeitschriften sowie Tagungs- und anderen Sammelbänden. Außer der Sach- und Fachliteratur bieten auch sonstige Medien wie z. B. Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen oder das Internet Wege, um ohne direkte Kommunikation an tatsächliche Informationen zu gelangen. Bei letzteren handelt es sich dann um Fundstellen, die häufig auch den offenkundigen bzw. gerichtsbekannten Informationen zuzuordnendes Faktenwissen vermitteln.

bb) Rechtliche Informationen Rechtliche bzw. präskriptive Informationen umfassen den Bereich derjenigen Informationen, welche entweder die Rechtsnormen selbst wiedergeben oder zur Auslegung der Rechtsnormen herangezogen werden können.170 Aufgrund der Gesetzesbindung gemäß Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG hat sich das Gericht die erforderlichen rechtlichen Informationen selbst zu beschaffen (iura novit curia), worauf bereits hingewiesen wurde.171 Die rechtlichen Ausführungen der Beteiligten, wie sie z. B. in Schriftsätzen oder im Rahmen der Erörterung (§ 104 Abs. 1 VwGO) vorgebracht werden, dienen hierbei allenfalls als Anregungen für eine Recherche des Gerichts; es handelt sich um Rechtsauffassungen, nicht aber Rechtsinformationen. Gleichwohl können sie erheblich verfahrensbeschleunigend wirken, da sie den Blick des Gerichts vielfach zielführend auf die wesentlichen 170 171

Vgl. bereits oben I. 1. b). Vgl. oben § 6 II. 2.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

Streitfragen, Probleme und Lösungsvorschläge lenken. Vorschriften betreffend die Beschaffung der entscheidungserheblichen rechtlichen Kenntnisse sind der VwGO nicht zu entnehmen. Die rechtlichen Informationen bezieht das Gericht aus den Gesetzen und Gesetzesmaterialien, Rechtsprechungsnachweisen sowie der Rechtsliteratur i. w. S. Als eine Quelle präskriptiver Information dienen die Gesetze, also die geschriebenen Rechtsnormen. Der Textnachweis gesamter Gesetze oder zumindest einzelner Vorschriften findet sich in den Gesetzblättern und in Gesetzestextsammlungen, die entweder in schriftlicher Form, in elektronischen Datenbanken oder über das Internet verfügbar sind. Desgleichen ist der Gesetzestext auch in den entsprechenden Kommentaren abgedruckt. Bezogen auf den Methodenkanon, kann der Richter den genannten Quellen die zur grammatikalischen und systematischen Auslegung erforderlichen Informationen entnehmen. Dies legt es idealtypisch nahe, im Informationsgewinnungsprozess zunächst die gesetzlichen Vorschriften aufzusuchen.172 Bezieht man die Operationen in der Phase der Problemdefinition hier mit ein, führt der durch das Vorverständnis geleitete Blick des Richters auf der Suche nach präskriptiven Informationen in der Tat zunächst zu potenziell streitentscheidenden Rechtsnormen als Gegenstand der Lösungshypothese, die dann die nachfolgende Informationssuche steuert.173 Im weiteren Verlauf, insbesondere im Fall der Aufgabe und Ersetzung einer Lösungshypothese, kann der Weg jedoch auch über die anderen Informationsquellen, z. B. Präjudizien oder eine Literaturauffassung, zum Gesetz führen, welches dann vor dem Hintergrund der – auch für diese Rechtsnorm relevanten – gewonnenen Informationen interpretiert wird. Hier zeigt sich erneut, dass Informationsgewinnung und -auswertung nicht als voneinander getrennte und nacheinander ablaufende Prozesse betrachtet werden können, sondern in ein und dieselbe Entscheidungsphase fallen.174 Ergänzend fungieren die in den schriftlich oder über das Internet einsehbaren Parlamentsdrucksachen aufgenommenen Gesetzesmaterialien als präskriptive Informationen, die – wiederum im Sinne des Methodenkanons – Aufschluss über historische und teleologische Kriterien bei der Auslegung der Gesetze geben können. Rechtsprechungsnachweise (wie auch die Rechtsliteratur) zieht das Gericht zur Information über ungeschriebene Rechtsnormen sowie zur Auslegung von (geschriebenen wie ungeschriebenen) Rechtsnormen heran. Für die Darstellung des Informationsverarbeitungsprozesses bedarf es keiner Stellungnahme zur Streitfrage, ob Entscheidungen anderer, vor allem übergeordneter Gerichte, denen präjudizielle Bedeutung zukommt, als Rechtsquellen fungieren und – auch außerhalb entsprechender gesetzlicher Anordnungen – Bindungswirkung entfalten.175 Denn un172 So etwa Adomeit, ZRP 1970, 176 (178); Kriele, S. 165, der allerdings in problematischer Weise die Normhypothese von den gesetzlichen Vorschriften abstrahieren will, s. oben 1. c). 173 Vgl. hierzu oben 1. c). 174 Vgl. bereits oben a).

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abhängig davon lassen sich Präjudizien jedenfalls unproblematisch als „Rechtserkenntnisquelle“ bezeichnen.176 Rechtsprechungsnachweise entnimmt der Verwaltungsrichter beispielsweise den Entscheidungssammlungen des eigenen Gerichts sowie anderer Gerichte, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte. Desgleichen finden sich gerichtliche Entscheidungen in Zeitschriften, elektronischen Datenbanken und im Internet. Weitere Fundstellen für präskriptive Informationen liefert die Rechtsliteratur. Auch aus ihr lassen sich Erkenntnisse über ungeschriebene Rechtsnormen und Anhaltspunkte für die Auslegung von Rechtsnormen entnehmen. Rechtsliteratur soll hier in einem weiteren Sinne verstanden werden und nicht nur schriftliche, sondern auch in elektronischer Form vorliegende Fundstellen umfassen. Klassische Informationsquellen der Rechtsliteratur sind Kommentare, Lehrbücher und sonstige Monographien, Aufsätze, Entscheidungsrezensionen und sonstige Beiträge in Zeitschriften und Sammelbänden. Schließlich unterfallen der Informationskategorie der Rechtsliteratur i. w. S. auch in elektronischen Datenbanken niedergelegte oder im Internet abrufbare Beiträge. Bei Kollegialentscheidungen dient das Votum des Berichterstatters den übrigen Richtern als Informationsquelle auch in rechtlicher Hinsicht. Die nachfolgenden Beratungen, in denen die Lösungshypothese des Berichterstatters überprüft, die präskriptiven Informationen bewertet und nicht einschlägige Entscheidungsalternativen verworfen werden, führen hier ebenfalls dazu, dass sich der Informationsstand der Richter im Laufe des diskursiven Prozesses erweitert. Über diese durch das Prozessrecht vorgesehenen Beratungen innerhalb des für die Entscheidung zuständigen Spruchkörpers hinaus fungiert auch das informelle Gespräch unter Kollegen als Rechtsinformationsquelle des Richters. Solche informellen Gespräche können sich insbesondere bei Einzelrichterentscheidungen als weiterführend erweisen, da hier die o. g. Beratung des Kollegiums entfällt.

e) Folgefragen Die Darstellung der Vorgehensweise des Gerichts bei der Gewinnung der entscheidungserheblichen Informationen hat gezeigt, dass zwischen Tatsachenermittlung und Rechtsprüfung ein enger Zusammenhang insoweit besteht, als die beiden zur Lösung des Entscheidungsproblems aufgestellten Prämissen im Wege wechselseitiger Bewertung gefunden werden, die Entscheidung letztlich in der Bildung einer wertenden Synthese aus beiden Prämissen besteht. Diese Wechselbezüglichkeit hat Auswirkungen auf die Zielrichtung der Informationsgewinnung und die Aus175 Vgl. zu dieser Problematik Kriele, S. 243 ff.; Langenbucher, S. 105 ff. sowie Larenz, S. 430 ff., jeweils m. w. N. 176 So Larenz, S. 432.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

wertung der gefundenen Informationen; sie ist damit auch auf das Resultat der Entscheidung von Einfluss. In inhaltlicher und qualitativer Hinsicht hängt daher die Bildung der rechtlichen Prämisse als Ergebnis der Rechtsprüfung auch vom Zugang zu den entscheidungserheblichen Tatsachen ab. Hinsichtlich der Herkunft der benötigten Informationen wiederum weisen Tatund Rechtsfrage erhebliche Unterschiede auf. Betrachtet man die unter d) angeführten Informationsquellen, so zeigt sich, dass die Gewinnung der tatsächlichen Informationen im Wesentlichen kommunikativ erfolgt, somit in hohem Maße von der Mitwirkung anderer, insbesondere der Beteiligten abhängt. Dies kommt auch in der Regelung des § 86 VwGO deutlich zum Ausdruck, der über die Verpflichtung des Gerichts zur Sachverhaltsermittlung (Untersuchungsgrundsatz) hinaus auch entsprechende Mitwirkungspflichten der Beteiligten vorsieht. Die erforderlichen Rechtsinformationen wiederum kann (und muss) sich der Richter unabhängig von der Mitwirkung anderer und damit in Eigenleistung beschaffen. Dieser Unterschied in der Abhängigkeit von anderen Prozessbeteiligten ist im Hinblick auf die zeitliche Komponente der gerichtlichen Prüfung in Rechnung zu stellen. Wenn gelegentlich der Schwerpunkt der richterlichen Tätigkeit bzw. die Hauptproblematik bei der Falllösung in der Sachverhaltsermittlung gesehen wird,177 impliziert dies zugleich die Annahme eines höheren Zeitaufwandes für die tatsächliche Prüfung im Vergleich zur Klärung der Rechtsfragen. Somit sind die mit der Entscheidungsphase der Informationsgewinnung und -auswertung verbundenen Problembereiche gekennzeichnet und lassen sich die daraus resultierenden Folgefragen ableiten, die im Anschluss an die Darstellung des Entscheidungsablaufs zu erörtern sein werden: Zum einen ist zu klären, welche Konsequenzen der Zusammenhang zwischen Tatsachenfeststellung und Rechtsprüfung sowie die bei der Informationsverarbeitung anzustellende wechselseitige Bewertung für die (geforderte und auch mögliche) Intensität der Klärung von Rechtsfragen und damit für das zu erwartende Entscheidungsergebnis zeitigen. In diesem Problemkomplex tritt folglich der Aspekt der Wertung als Einflussfaktor auf das Ergebnis der rechtlichen Prüfung und damit den Inhalt der Entscheidung als weiteres Element zu der noch offenen Frage hinzu, welche grundsätzlichen Folgerungen sich aus dem die juristische Entscheidungssituation kennzeichnenden Zielkonflikt ergeben.178 Zum anderen wird die Herkunft der entscheidungserheblichen Informationen bei der Betrachtung zu berücksichtigen sein, welche Ansatzpunkte und Möglichkeiten bestehen, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dem Zeitfaktor Rechnung zu tragen.179 177 So bereits Radbruch, S. 153, wonach „auf ein Lot Jurisprudenz ein Zentner Menschenund Lebenskenntnis“ komme; ebenso Alexy, Argumentation, S. 255, 353; Jauernig, S. 78 f.; Kininger, S. 57, 78 m. w. N. Vgl. auch der Hinweis von Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (274), dem zufolge die Bewältigung des Tatsachenmaterials immer mehr zum „neuralgischen Punkt“ gerichtlicher Kontrolltätigkeit werde. 178 Vgl. zu diesem Problemkomplex im Einzelnen unter § 8 III. 179 Vgl. hierzu unter § 9 II.

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3. Alternativenauswahl (= Entscheidung i. e. S.) An die Informationsgewinnung und -auswertung schließt sich als nächste Operation des Richters die Entscheidung i. e. S. an. Sie besteht in der Auswahl der Alternative, bei welcher der Abstand zwischen Sachverhalt und Rechtsnorm, genauer gesprochen zwischen dem Sachverhalt und der Tatbestandsseite der Rechtsnorm, am geringsten ist, die beiden Entscheidungsprämissen also am weitesten übereinstimmen. In der Terminologie der klassischen Methodenlehre entspricht die Alternativenauswahl der Subsumtion im Sinne einer „Gleichsetzung“ von Sachverhalt und Rechtsnorm im Rahmen des Justizsyllogismus. Nach dem hier befürworteten Verständnis der juristischen Entscheidung, die sich nicht in einem beziehungslosen Hin- und Herwandern des Blicks mit anschließender Subsumtion erschöpft, sondern zur Herstellung der Entscheidungsprämissen jeweils Wertungen erfordert,180 kommt die Alternativenauswahl der Herstellung der wertenden Synthese aus Sachverhalt und Rechtsnorm gleich. Die Entscheidung i. e. S. erfolgt zwar im logischen Sinne nach Abschluss der wechselseitigen Bewertung von Tatsachen- und Rechtsinformationen. Sie ist jedoch, sofern sie von einem einzelnen Entscheidungssubjekt getroffen wird, nicht als eigenständiger äußerer Vorgang wahrnehmbar. Beim Einzelrichter ist der Fall nämlich in demselben Augenblick gelöst, in dem der Richter den Prozess der Informationsgewinnung und -auswertung gedanklich abschließt, weil für ihn nun feststeht, bei welcher Alternative die größte Übereinstimmung zwischen dem Sachverhalt und der Tatbestandsseite der Rechtsnorm vorliegt. Die Operation der Alternativenauswahl folgt dann letztendlich nur eine logische Sekunde nach Abschluss der vorangegangenen zweiten Entscheidungsphase. Sie umfasst den Beschluss, die Informationsgewinnung und -auswertung nicht weiter fortzusetzen und die gefundene Lösung förmlich umzusetzen. In psychischer Hinsicht ist der – nicht nach außen in Erscheinung tretende – Moment der Alternativenauswahl mit einer Empfindung der Koinzidenz, dem sog. „Lösungsgefühl“ verbunden.181 Bei Kollegialentscheidungen vollzieht sich die Entscheidung i. e. S. im Gegensatz dazu diskursiv und damit als äußerlich wahrnehmbarer Vorgang. Sie umfasst analog zur Einzelrichtersituation den – hier durch Herstellung eines entsprechenden Einverständnisses oder durch Abstimmung herbeigeführten – Beschluss zum Abbruch der weiteren Informationsgewinnung und -auswertung und zur förmlichen Umsetzung der gefundenen Alternative. Es zeigt sich somit wiederum, dass die Hauptaufgabe des Richters in der Herstellung der beiden Entscheidungsprämissen liegt,182 die nach dem vorliegenden Entscheidungsmodell in der zweiten Phase erfolgt. Der eigentliche Subsumtionsvorgang im Sinne einer „Gleichsetzung“ von Sachverhalt und Rechtsnorm ist hin180 181 182

Vgl. oben 2. c). Vgl. hierzu Weimar, Psychologische Strukturen, S. 82 f., 127 ff. Vgl. Esser, S. 62; Larenz, S. 273 ff.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

gegen von sekundärer Bedeutung, da er lediglich nachvollzieht, was mit der Prämissenbildung im Wege wechselseitiger Bewertung bereits geleistet wurde.183 Vom entscheidungstheoretischen Standpunkt aus lässt sich dementsprechend feststellen, dass der Schwerpunkt der Entscheidungsfindung in der Problemdefinition und der anschließenden Informationsverarbeitung i. e. S. liegt, so dass nach Herstellung der „Inputs“ in Gestalt der Entscheidungsprämissen die wesentlichen Hürden überwunden sind; zur Ausführung des eigentlichen Entscheidungsprogramms in Form des syllogistischen Schlusses geht der Richter erst über, wenn es in Wirklichkeit substanziell nichts mehr zu entscheiden gibt.184

4. Förmliche Umsetzung Aufgrund des in der dritten Entscheidungsphase getroffenen Entschlusses zugunsten einer Handlungsmöglichkeit wird die gefundene Alternative schließlich in der gesetzlich vorgeschriebenen Form umgesetzt. Der letzte Abschnitt der richterlichen Entscheidungsproduktion umfasst mithin sämtliche auf die Alternativenauswahl folgenden Schritte, so eine etwaige Verkündung gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 VwGO und vor allem die Zustellung gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder Abs. 3 VwGO, letztere mit den durch §§ 108 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2, 117, 122 VwGO vorgegebenen Anforderungen an Form und Inhalt. In informationeller Hinsicht sind von den inhaltlichen Vorgaben des § 117 VwGO für die schriftliche Ausarbeitung der Entscheidung neben der Urteilsformel insbesondere Tatbestand und Entscheidungsgründe von Bedeutung. Die Begründungspflicht gilt nicht nur für Urteile; auch Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz in den Fällen der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3 und 123 Abs. 1 VwGO sind gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 VwGO stets zu begründen. Sie unterliegen dann hinsichtlich ihrer Begründung den selben Anforderungen wie Urteile, freilich einschließlich der für diese geltenden Begründungserleichterungen.185 Die Begründungspflicht leitet sich verfassungsrechtlich aus der Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) und dem Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) ab.186 Unter den Funktionen, welche die Begründung ausübt, ist in diesem Rahmen die Informationsfunktion hervorzuheben.187 Dies gilt zunächst in Bezug auf die Beteiligten, welche sich über den der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalt und über den rechtlichen Standpunkt des Gerichts kundig ma183 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 3, der darauf hinweist, dass die Subsumtion qua Deduktion lediglich zur Falsifizierung des Schlusses herangezogen werden kann, sie jedoch keine positive Begründungsleistung zu erbringen imstande ist. 184 Vgl. Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (149); Rittel, Rechtlicher Wandel, S. 55 (58). 185 Vgl. Kopp / Schenke, § 122, Rn. 6. 186 Vgl. BVerfGE 71, 122 (136). 187 Vgl. hierzu Brink, S. 29 f., desgleichen zu den weiteren Funktionen der Begründung unter S. 30 ff.

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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chen können. Über den konkreten Fall hinaus dient die Begründung aber auch der Information anderer Gerichte sowie der Jurisprudenz, da der entschiedene Fall und die hierzu ergangene Begründung entweder selbst präjudiziellen Charakter aufweisen oder aber Aufschluss über die Verwertung anderer Präjudizien, über Argumentationslinien oder aktuelle Entwicklungstendenzen in der Rechtsprechung geben können. Mit der Zustellung des Urteils bzw. Beschlusses ist sodann die Entscheidungsproduktion abgeschlossen.

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung I. Einführung 1. Gegenstand der Betrachtung Im Anschluss an die Darstellung des Ablaufs der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungsproduktion unter schwerpunktmäßiger Berücksichtigung der Informationsverarbeitung ist nun zu erörtern, welche Konsequenzen aus der Sondersituation der gerichtlichen Entscheidung für die Anforderungen an die rechtliche Prüfung abzuleiten sind. Dieser Paragraph widmet sich somit denjenigen Fragestellungen, die für die Beschaffenheit der rechtlichen Prämisse und damit das Ergebnis der Entscheidung in inhaltlicher Hinsicht von Bedeutung sind. Formal betrachtet, ließe sich der Problemkomplex der rechtlichen Prüfungsintensität auch als eine Frage der Vorgehensweise des Richters bei der Entscheidungsproduktion begreifen und damit dem Bereich des Entscheidungsablaufs zuordnen. Allerdings ist der Handlungsaspekt zur Erfassung der Problematik der Prüfungstiefe für sich nicht ergiebig. Anstelle einer Erörterung, welche konkreten Informationsquellen der Richter in welcher Reihenfolge namentlich heranzuziehen hat und wie viel Zeit er auf deren Studium zu verwenden hat, also Fragen, die sich ohnehin nicht pauschal, sondern nur für den Einzelfall beantworten lassen, ist vielmehr das Ziel dieser Tätigkeit, nämlich das vom Richter geforderte und in der Entscheidungssituation von diesem auch leistbare Ergebnis der Prüfung in den Vordergrund zu rücken. Es ist mithin zu bestimmen, welche Anforderungen an die Entscheidung vor dem Hintergrund der Gesetzesbindungspostulate zu stellen sind und damit zugleich eine Präzisierung der durch Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebenen Zielgröße einer „vollständigen Prüfung in rechtlicher Hinsicht“ vorzunehmen.

9 Windoffer

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

2. Bisherige Erkenntnisse und Gang der weiteren Darstellung Aus der bisherigen Untersuchung konnten diverse Erkenntnisse gewonnen werden, die im Rahmen der folgenden Darstellung von Bedeutung sind und weiterführende Fragen aufgeworfen haben, welche nun Anlass zu einer vertiefenden Erörterung geben. Vorab sollen daher jene Aspekte, die hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das vom Richter zu erwartende Prüfungsergebnis einer näheren Betrachtung bedürfen, noch einmal in Erinnerung gerufen werden. Zunächst hat die verfassungsrechtliche Herleitung des materiellrechtlichen Prüfungs- und Entscheidungsmaßstabs erbracht, dass die Anforderungen, die dem durch Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz zu entnehmen sind, nämlich eine möglichst vollständige Prüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht einerseits sowie eine Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit andererseits zu einem Zielkonflikt führen, den der Richter zu bewältigen hat.188 Mit der Zuweisung der Aufgabe an das Gericht, das in den konkurrierenden Zielvorgaben der Verfassung angelegte Spannungsverhältnis aufzulösen, deuten sich Konsequenzen für den zeitlichen Rahmen der Rechtsprüfung und damit auch für das Ergebnis der Entscheidung an. Bei der Erörterung der Folgen aus der gerichtlichen Entscheidungssituation wird des Weiteren der Umstand zu berücksichtigen sein, dass die Herstellung der rechtlichen Prämisse im engen Zusammenhang mit der Sachverhaltsermittlung steht und eine Wertung des Entscheidungsträgers erfordert.189 In diesem Kontext ist auch zu beachten, dass zwar hinsichtlich der faktischen Informationen regelmäßig ein unvollkommener Informationsstand und damit eine Risikosituation vorliegt,190 dass jedoch die für die Bewertung der Tatfrage herangezogenen Begriffskategorien nicht auf die Klärung von Rechtsfragen übertragbar sind. Insbesondere darf das Ergebnis der rechtlichen Prüfung nicht auf Wahrscheinlichkeitsbasis ausgegeben werden.191 Letzteres schließt auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Herstellung der rechtlichen Prämisse aufgrund „Glaubhaftmachung“ sowie „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ aus. Als Ausgangspunkt der nachfolgenden Erörterung, auf welches Ziel hin die rechtliche Prüfung durchgeführt wird, d. h. welche Beschaffenheit die vom Richter aufgestellte rechtliche Prämisse und in der Folge auch das Entscheidungsergebnis aufweisen kann und muss, sollen unter II. Überlegungen im Hinblick auf eine abstrakt vorstellbare Ideallösung angestellt werden, welche die absolute Grenze der Rechtserkenntnis markiert. Hierbei sind zum einen entscheidungstheoretische Rationalitätskriterien für eine optimale Entscheidung und zum anderen in der rechtstheoretischen und rechtsmethodischen Diskussion vertretene Richtigkeits188 189 190 191

Vgl. oben § 3 II. 3. c) und § 6 II. 2. Vgl. oben § 7 II. 2. c) und e). Vgl. oben § 7 I. 1. c). Vgl. oben § 6 II. 2.

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konzeptionen darzustellen. Die zuletzt genannten Ansätze, denen unterschiedliche Vorstellungen von der (einzig) richtigen Lösung zugrunde liegen, sind anschließend (III.) unter Einbeziehung der im vorangegangenen Absatz genannten Faktoren, die diesbezüglich potenzielle Einschränkungen darstellen, auf ihre Realisierbarkeit im gerichtlichen Verfahren zu untersuchen. Anknüpfend an die Beurteilung der vorgeschlagenen Richtigkeitskriterien und die Beantwortung der Folgefrage, ob sich gerichtliche Entscheidungen überhaupt mit einer Richtigkeitserwartung verbinden lassen, können unter IV. schließlich die Anforderungen bestimmt werden, die an die rechtliche Prämisse und das Entscheidungsergebnis vor dem Hintergrund verfassungsrechtlicher Vorgaben einerseits und unter Berücksichtigung der Besonderheiten der prozessualen Erkenntnisbedingungen andererseits zu stellen sind. Die nachfolgende Abhandlung bezieht sich wiederum auf die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Allgemeinen, da die Problematik jegliches Erkenntnisverfahren unabhängig von der Rechtsschutzform betrifft.

II. Das Ideal der optimalen bzw. „richtigen“ Lösung 1. Entscheidungstheoretische Kriterien Zur Beschreibung der gedachten Ideallösung lassen sich zunächst entscheidungstheoretische Kriterien anführen. Gegenstand der normativen (bzw. präskriptiven) Entscheidungstheorie ist die logische Analyse des Entscheidungsverhaltens unter der Prämisse einer rationalen Vorgehensweise des Entscheidungssubjekts.192 Die Analyse erfolgt unter der Voraussetzung, dass mit der Entscheidung eine rationale, d. h. hinsichtlich der Verwirklichung der Zielsetzung optimale Lösung des Entscheidungsproblems angestrebt wird.193 Bezüglich der Anforderungen an die Rationalität des Verhaltens beschränkt sich die Entscheidungstheorie darauf, dass das Entscheidungssubjekt über ein in sich widerspruchsfreies Zielsystem verfügt und sich entsprechend seinem Zielsystem verhält. Insofern wird lediglich formale Rationalität verlangt; es werden hingegen keine substanziellen, inhaltlichen Anforderungen an das Zielsystem gestellt, an denen das Ergebnis der Entscheidung zu messen wäre, mithin keine substanzielle Rationalität.194 Desgleichen ist der Rationalitätsbegriff, wie bereits im Zusammenhang mit der Darstellung der möglichen Entscheidungssituationen im Hinblick auf die tatsächlichen Informationen erwähnt,195 im Sinne der praktiVgl. Bamberg / Coenenberg, S. 1, 3 f.; Wöhe, S. 120. Vgl. Hammann / Erichson, S. 1; Laux, S. 14; Mag, Grundzüge, S. 4, 26. 194 Vgl. zur Unterscheidung von formaler und substanzieller Rationalität Bamberg / Coenenberg, S. 3; Gäfgen, S. 26 ff.; Kirsch, S. 63. 195 s. oben § 7 I. 1. c). 192 193

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schen Verwendbarkeit der entscheidungstheoretischen Regeln subjektiv und nicht objektiv zu verstehen. Die Entscheidung muss also lediglich mit den subjektiv wahrgenommenen Informationen des Entscheidungsträgers übereinstimmen und nicht mit denjenigen, die ein externer Beobachter unter Einbeziehung allen objektiv verfügbaren Wissens ermitteln kann.196 Aus dem Blickwinkel der normativen Entscheidungstheorie stellt das Ideal mithin diejenige Lösung dar, die unter der Prämisse subjektiver und formaler Rationalität zur Verwirklichung der Zielsetzung des Entscheidungsträgers optimal ist.

2. Rechtstheoretische Richtigkeitskonzeptionen Überträgt man das für ökonomische Entscheidungen vorausgesetzte Ideal der Optimalität auf die gerichtliche Entscheidungssituation, könnte die optimale Lösung in einem Entscheidungsergebnis zu sehen sein, welches in einem absoluten Sinne richtig ist. Die Zielsetzung des Richters als Entscheidungsträger könnte also darin liegen, die richtige, und zwar einzig richtige Lösung für den Rechtsstreit aufzufinden. Zur Erreichung dieses Ziels wäre es dann seine Aufgabe, die tatsächliche und rechtliche Entscheidungsprämisse solchermaßen herzustellen, dass der Entscheidungsprozess zu exakt diesem einen Ergebnis führt. In der Tat werden in der rechtstheoretischen und rechtsmethodischen Diskussion, z. T. unter Heranziehung wissenschaftstheoretischer und erkenntnistheoretischer Standpunkte, Überlegungen angestellt, welche die optimale Bewältigung juristischer Entscheidungsprobleme in Gestalt der „richtigen“ oder auch „einzig richtigen“ Lösung betreffen. Allerdings variieren bei den Befürwortern optimaler Lösungen für Rechtsstreitigkeiten die Vorstellungen betreffend Begriff und Funktion dieser richtigen Entscheidung. Eine Trennungslinie verläuft hierbei zwischen der Ansicht, der ein absolutes Richtigkeitsverständnis zugrunde liegt, und den Vertretern einer relativen Auffassung von der richtigen Lösung. Während im ersten Sinne die ontologische Behauptung der Existenz einer verfahrensunabhängig bestehenden einzig richtigen Antwort aufgestellt wird, sehen Letztere die objektiv richtige Lösung lediglich als regulative Idee an und bestimmen die Kriterien für die Feststellung der Richtigkeit einer Lösung intersubjektiv, wobei der Schwerpunkt teils stärker auf prozedurale und teils stärker auf materiale Elemente gelegt wird.

196 Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 4; Gäfgen, S. 32 ff.; Kirsch, S. 63 f.; Laux, S. 56 ff., 134 ff.

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a) Absolutes Richtigkeitsverständnis: Die Existenz einer „einzig richtigen Lösung“ Die Ansicht, wonach für prinzipiell jede Rechtsstreitigkeit, und zwar auch in schwierigen und komplexen Fällen, eine einzig richtige Lösung existiere, wird von Dworkin vertreten.197 Dieser Auffassung liegt die – in Abgrenzung zum Rechtspositivismus angestellte – Erwägung zugrunde, dass auch in solchen Rechtsfällen, die sich nicht aufgrund einer eindeutigen Rechtsregel entscheiden lassen, dem Richter bei der Entscheidungsfindung kein Ermessen zukomme, sondern seine Pflicht darin bestehe, „herauszufinden, welches die Rechte der beiden Seiten sind, und nicht rückwirkend neue Rechte zu erfinden“.198 Dworkin geht also davon aus, dass die Rechte und damit auch die Ideallösung des Falls außerhalb des Erkenntnisverfahrens und unabhängig von diesem bestehen, demzufolge das Verfahren lediglich ihrer Aufdeckung dient. Die richtige Entscheidung soll dann unter Rückgriff auf Prinzipien zu treffen sein, bei denen es sich nach Dworkin um Sätze handelt, die Rechte beschreiben.199 Dworkin hält die Existenzbehauptung von der einzig richtigen Lösung und die Annahme der richterlichen Verpflichtung, diese aufzufinden, trotz der Konzession aufrecht, kein Verfahren zur Ermittlung der Rechte der Beteiligten und damit zur Erbringung des Wahrheitsbeweises betreffend die Aussage über das Bestehen dieser Rechte zur Verfügung stellen zu können.200 Dennoch zeigt Dworkin am Beispiel eines idealen Richters namens Herkules, der sich durch übermenschliche Fertigkeit, Ausbildung, Geduld und Scharfsinn auszeichnet, ferner über viel mehr Zeit verfügt und bedeutend schneller arbeitet als andere Richter, Ansätze zur Entwicklung einer umfassenden Rechtstheorie auf, die es ermöglichte, in jedem Fall den Willen des Gesetzgebers und den Gehalt von Rechtsprinzipien zu ermitteln und damit zur richtigen Lösung zu gelangen.201 Zugleich räumt er wiederum ein, dass für real existierende Richter dieses Ziel nicht erreichbar sei und ihre Rechtstheorie notwendigerweise unvollständig bleibe.202 Auch hält es Dworkin nicht für realistisch, dass ein Jurist in der Auseinandersetzung mit anderen ein Argument zur Verfügung habe, das die übrigen unbedingt überzeuge.203 Im Ergebnis existiert somit nach Dworkins Theorie für jeden Rechtsfall eine einzig richtige Lösung. Diese besteht unabhängig davon, dass kein Verfahren zu ihrer Entdeckung aufgezeigt werden kann und es dem Richter unter den in der 197 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 18, 144 f., 448 ff., 465 f., 529 ff.; ders., Law’s Empire, S. 258 ff. 198 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 144. 199 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 149, 158 f. 200 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 18, 144 f. 201 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 182 ff.; ders., Law’s Empire, S. 239 ff., 265. 202 Vgl. Dworkin, Law’s Empire, S. 265. 203 Vgl. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 18.

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realen Prozesssituation gegebenen Bedingungen nicht möglich ist, eine umfassende Rechtstheorie zu entwickeln. Dennoch ist der Richter grundsätzlich verpflichtet, nach der (objektiv) richtigen Lösung zu suchen, womit Dworkin dieser neben der ontologischen Existenzbehauptung zugleich einen regulativen Charakter zuweist.

b) Relativierungen des Richtigkeitsverständnisses Die Befürworter eines relativen Verständnisses von Richtigkeit lehnen den von Dworkin vertretenen absoluten Richtigkeitsbegriff im Sinne der Existenz einer verfahrensunabhängigen einzig richtigen Lösung ab.204 Diese Ansicht hat allerdings nicht zur Folge, dass dem Kriterium der Richtigkeit jegliche Funktion aberkannt würde. Vielmehr wird dem Ideal der richtigen Antwort, wenngleich mit unterschiedlichem Bedeutungsgehalt, zumindest der Charakter einer regulativen Idee zugesprochen, womit es den Stellenwert einer die Rechtserkenntnis leitenden Zielvorstellung erhält, der ein mit juristischen Aussagen verbundener Anspruch auf Richtigkeit korrespondiert.205 Das bedeutet folglich zwar ein Festhalten an der – wie auch immer definierten – „Richtigkeit“ als Ziel der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten, jedoch unter Relativierung des Richtigkeitsverständnisses. Wenn nun einerseits zumindest das Ziel angestrebt werden soll, die „richtige“ Entscheidung zu finden, andererseits die ontologische These von der Existenz einer objektiv einzig richtigen Lösung abgelehnt wird, so wirft dies für die Vertreter eines relativen Richtigkeitsverständnisses zunächst die Grundsatzfrage auf, ob und inwieweit wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich des Normativen überhaupt möglich sind, in welchem Maße sich die Richtigkeit normativer, d. h. die Existenz und den Inhalt von Rechtsnormen betreffender Aussagen feststellen lässt. Ist das Erkenntnisproblem und das Verständnis von „Richtigkeit“ aus Sicht der relativen Richtigkeitsauffassung geklärt, stellt sich von jenem Standpunkt aus die Folgefrage, nach welchen Merkmalen sich bestimmt, ob bzw. wann die richtige Lösung gefunden wurde. Damit ist die Problematik der Richtigkeitskriterien angesprochen.

aa) Die Grundsatzfrage der Erkenntnis im Bereich des Normativen Mit der Ablehnung eines absoluten Richtigkeitsverständnisses, das sich in der Existenzbehauptung von der einzig richtigen Lösung manifestiert, sehen sich die 204 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 413 f.; Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 17, 19; Kloepfer, JZ 1979, 209 (210 f.); Koller, S. 165 f.; Langenbucher, S. 35 f.; Larenz, S. 314 f.; Pavcˇnik, S. 128 f.; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 316, 318; ders., IRP – Rechtspolitisches Forum, Nr. 15, S. 16. Ablehnend zur Vorstellung einer „einzig richtigen Lösung“ auch Rupp, VVDStRL 34 (1976), 287 f.; Sambuc, S. 42 f. 205 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 413 f., 428 ff.; Koller, S. 165 f.; Langenbucher, S. 38 f.; Larenz, S. 197, 240, 294, 314, 453; Pavcˇnik, S. 129; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 315.

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Vertreter einer relativierten Auffassung von der Ideallösung vor die grundsätzliche Frage nach dem Umfang und den Grenzen der Erkenntnis im Bereich des Normativen gestellt. Weil damit zugleich der allgemeine erkenntnistheoretische Problemkomplex der Wahrheitsfindung in den Wissenschaften angesprochen ist, erfolgt die Erörterung der Frage einer evtl. Sonderstellung normativer Aussagen in einem breiteren epistemologischen Kontext. So wird zur Begründung des relativen Richtigkeitsverständnisses zunächst darauf verwiesen, menschliches Erkennen im Bereich der Wissenschaften sei niemals abgeschlossen, weshalb absolut wahre bzw. richtige dogmatische Lehrsätze im Sinne zeitlos gültiger Erkenntnisse nicht existierten.206 Jegliche Erkenntnis sei zeitgebunden, weshalb keine Aussage oder wissenschaftliche Theorie als endgültig angesehen werden könne.207 Diese Ansicht greift den Grundgedanken des im Wesentlichen von Karl Popper entwickelten Kritischen Rationalismus auf, wonach sich die Gültigkeit wissenschaftlicher Gesetze und Theorien, die nur Hypothesen und Vermutungen darstellen, niemals empirisch verifizieren lassen, selbst wenn sie noch so oft bestätigt würden.208 Sie bleiben demnach stets vorläufige, relative Wahrheiten; die Annahme, zur absoluten und endgültigen Wahrheit gelangt zu sein, wird demgegenüber als unwissenschaftlich abgelehnt.209 Die Existenz und der Inhalt dieser zeitunabhängigen Wahrheit bleibe dem Menschen verborgen.210 Selbst im Bereich der Naturwissenschaften soll angesichts dieser Schwäche des Induktionsschlusses keine positive Begründung einer Theorie möglich sein; auch das naturwissenschaftliche Erfahrungswissen befinde sich „immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums“.211 Sehr wohl hingegen sollen sich wissenschaftliche Aussagen über die Wirklichkeit falsifizieren lassen. Die logische Asymmetrie der Hypothesenprüfung zeige sich daran, dass einerseits auch eine Vielzahl von Bestätigungen die Gültigkeit einer Aussage nicht beweisen könnten, umgekehrt hingegen eine Falsifikation zu ihrer Widerlegung ausreiche.212 Der Kritische Rationalismus sieht konsequenterweise die entscheidende Triebfeder aller Wissenschaft in der Kritik, dem Infragestellen der gefundenen, vermeintlich als sicher erkannten Lösungen; Wissenschaft zielt damit letztlich auf die FalsifizieVgl. Rüthers, IRP – Rechtspolitisches Forum, Nr. 15, S. 17. Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 20 f.; Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (50 f.). 208 Vgl. Popper, Logik der Forschung, S. 14, 18; ders., Objektive Erkenntnis, S. 7, 9, 13 ff., 83. 209 Vgl. Blotevogel, S. 49. 210 Vgl. Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (51), der trotz Anerkennung der (Zeit-)Relativität des Wahrheitsverständnisses allerdings darauf hinweist, dass die Wissenschaft zu ihrem Zeitpunkt zumindest „die Wahrheit ihrer Zeit“ jeweils richtig erkannt habe. 211 So BVerfGE 49, 89 (143), das damit den Standpunkt des Kritischen Rationalismus einnimmt. 212 Vgl. Popper, Logik der Forschung, S. 14 ff.; ebenso Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 21, mit dem Beispiel, dass ein weißer Rabe genüge, um die Gültigkeit der Aussage „Alle Raben sind schwarz“ zu widerlegen. 206 207

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

rung von Theorien und ihre Ersetzung durch bessere Theorien ab.213 In der Folge kann dieser Prozess der Erkenntnis niemals als abgeschlossen betrachtet werden. Diese allgemeinen epistemologischen Einsichten führen in der Richtigkeitsdiskussion zu der Frage, welche Erkenntnisleistung in Bezug auf das geltende Recht, also die Existenz und den Inhalt von Rechtsnormen möglich ist. Da es um die Geltung von Normen geht, entspricht der für empirische, d. h. Tatsachen betreffende Aussagen verwendeten Kategorie der Wahrheit hier diejenige der Richtigkeit.214 Auch in Bezug auf die Geltung und die Inhaltsbestimmung von Rechtsnormen wird angenommen, dass normative Aussagen, dogmatische Sätze und die Auslegung von Gesetzen einem permanenten Wandel unterlägen, mithin ebenfalls zeitgebunden seien.215 Ebenso wird im Hinblick auf normative Sätze eine Falsifizierung für möglich gehalten, d. h. die Feststellung, dass eine bestimmte Lösung einer rechtliche Frage „falsch“ (kritikwürdig, unstimmig, ungerecht) sei.216 Eine Verifizierung scheide allerdings auch hier aus, da es keine Möglichkeit gebe, intersubjektiv nachweisbar die objektiv einzig richtige Lösung zu bestimmen.217 Trotz dieser Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten dürfe sich die Rechtswissenschaft aber nicht mit der Falsifizierung von Aussagen begnügen, sondern sie habe auch eine positive Begründungsleistung zu erbringen.218 Im Hinblick auf die Reichweite der Begründungsleistung stellt sich – über den Aspekt der Zeitrelativität jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnis hinaus – die Problematik des Wertbezugs juristischer Aussagen. Diesbezüglich wird nun dem Wissenschaftsverständnis des Kritischen Rationalismus insoweit widersprochen, als dieser, in Anknüpfung an die bereits vom Positivismus219 und insbesondere Max Weber220 vertretene Position, vom Prinzip der (methodischen) Wertfreiheit der wissenschaftlichen Erkenntnis ausgeht. Das Postulat der Wertfreiheit stützt sich auf die These, eine intersubjektiv nachprüfbare objektive Erkenntnis von Wert213 Vgl. Popper, Objektive Erkenntnis, S. 14 ff., 82; Blotevogel, S. 49 f.; Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (51). 214 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 32; von Arnim / Brink, S. 8, Fn. 35; Habermas, Vorstudien, S. 127 (138, 144 f., 157); Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 15; ders., Rechtsphilosophie, S. 265; Larenz, S. 198. 215 Vgl. R. Dreier, Rechtstheorie 2 (1971), 37 (41); Larenz, S. 314 f.; Rüthers, IRP – Rechtspolitisches Forum, Nr. 15, S. 13, 15; Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (50). 216 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 21; Larenz, S. 240, 452; Rüthers, Rechtstheorie, Rn. 318. 217 Vgl. Langenbucher, S. 35 f.; Larenz, S. 451; Rüthers, IRP – Rechtspolitisches Forum, Nr. 15, S. 16 f.; Rupp, VVDStRL 34 (1976), 287. 218 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 21; Neumann, Rechtsphilosphie, S. 375 (382). 219 Vgl. hierzu Blotevogel, S. 15 ff. 220 Vgl. Weber, Objektivität, in: Gesammelte Aufsätze, S. 146 (149 ff.; 212 ff.); ders., Wertfreiheit, ebd., S. 451 (462), ders., Wissenschaft als Beruf, ebd., S. 524 (542 ff., 551). Zum Wertfreiheitsprinzip in der Wissenschaftslehre Max Webers, in Auseinandersetzung mit dessen Kritikern s. auch Albert, Plädoyer, S. 76 ff. sowie ders., Konstruktion und Kritik, S. 41 ff.

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urteilen sei nicht möglich, weshalb letztere im Begründungszusammenhang der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht zugelassen werden dürften.221 Dem wird nun mit dem Hinweis auf den Unterschied zwischen empirischen, kausal erklärenden Naturwissenschaften einerseits und normativen Verstehenswissenschaften andererseits entgegengehalten, dass im Bereich der Letztgenannten das Subjekt-ObjektSchema keine Gültigkeit habe; damit wird eine Übertragung der in den Naturwissenschaften angenommenen Trennung und Unabhängigkeit des Erkenntnisobjekts vom erkennenden Subjekt auf die normativen Verstehenswissenschaften, mithin auch die Rechtswissenschaft für nicht möglich und zulässig gehalten.222 Die Ablehnung des scientistischen Ansatzes der Naturwissenschaften gründet sich darauf, dass das geltende Recht in dem auf seine Erkenntnis gerichteten Prozess erst entstehe, mithin der Inhalt der Rechtsnormen von den im Erkenntnisprozess getätigten Aussagen über das Recht abhänge.223 Wer einen Sinn verstehen wolle, bringe notwendig sein Vorverständnis mit in den Verstehensprozess ein.224 Unbeschadet dieser Unterscheidung zwischen Naturwissenschaften und normativen Wissenschaften sieht sich das Postulat der Wertfreiheit dem Vorwurf der Praxisferne ausgesetzt, da sich die Ablösung einer Hypothese bzw. Theorie nicht nach rein rationalen Kriterien vollziehe, sondern eher einem „Wechsel von Glaubensüberzeugungen“ gleiche; zudem gingen der Aufgabe einer unbefriedigenden Theorie zunächst Strategien der Verdrängung und Umdeutung voraus, um die Theorie dennoch aufrechterhalten zu können.225 Zu diesen Zweifeln an der idealistischen Vorstellung von der Motivation des Wissenschaftlers tritt ein gegen den Kritischen Rationalismus gerichteter grundsätzlicher Kritikpunkt, nämlich der, dass dieses Wissenschaftskonzept sein Blickfeld im Wesentlichen nur auf den Begründungszusammenhang, nicht aber auf den Entstehungs- und Verwendungszusammenhang wissenschaftlicher Erkenntnisse richte.226 Wenngleich nun eine Erkenntnisleistung und die Möglichkeit einer positiven Begründung im Bereich des Werthaften und damit auch der Rechtsnormen anerkannt wird, so geschieht dies mit der Einschränkung, dass ein Beweis der absoluten, objektiven Wahrheit bzw. Richtigkeit, mithin die Auffindung einer vorgegebenen einzig richtigen Lösung wegen dieses Wertbezugs nicht möglich sein soll. Die Erkenntnisse wiesen hier nicht die gleiche Genauigkeit und logische Stringenz auf wie die Gedankenoperationen der Naturwissenschaften.227 Der Grund für die Unvollkommenheit der Erkenntnis im Bereich des Normativen wird allerdings nicht allein in der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens, sondern Vgl. Albert, Plädoyer, S. 76 (88 f.); ders., Konstruktion und Kritik, S. 41 (51 ff.). Vgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 266 f.; Larenz, S. 195. 223 Vgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 267, 288 f.; Larenz, S. 195. 224 Vgl. hierzu Gadamer, S. 270 ff. 225 Vgl. Blotevogel, S. 54. 226 Vgl. Blotevogel, S. 53 f. 227 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 19; Larenz, S. 240; Rüthers, IRP – Rechtspolitisches Forum, Nr. 15, S. 16 f. 221 222

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bereits in der Verschiedenheit des Erkenntnisgegenstands gesehen. Letzterer sei bei den normativen Wissenschaften, die ihren Blick im Unterschied zu den Naturwissenschaften nicht auf kausale Gesetzmäßigkeiten im Bereich der Materie, sondern auf Fragen des Sinngehalts richteten, nicht mit der Methode der Naturwissenschaften zu erfassen; mangels messbarer, quantifizierbarer „Fakten“ sei keine den Naturwissenschaften vergleichbare Eindeutigkeit der Resultate und damit der Erfassung des Erkenntnisgegenstands zu erwarten, was den Wert der Erkenntnisse aber unberührt lasse.228 Allerdings könne sich die Erkenntnisleistung im Bereich des Normativen angesichts der geringeren Stringenz der Ergebnisse dann nur in begrifflichen Kategorien wie „Vertretbarkeit“, „Plausibilität“, „Stimmigkeit“, „Zweckmäßigkeit“, „Angemessenheit“, „Systemrationalität“, „Sachgerechtigkeit“ etc. bewegen.229 Im Ergebnis sind nach der Auffassung, welche das Postulat der Wertfreiheit für den Begründungszusammenhang im Bereich der normativen Wissenschaften ablehnt, Erkenntnisse über die Existenz und den Inhalt von Normen möglich. Da eine Verifikation mangels Möglichkeit ausscheide, die objektive Richtigkeit normativer Aussagen intersubjektiv nachprüfbar zu begründen, und die Resultate nicht die Stringenz naturwissenschaftlicher Erkenntnisse aufwiesen, ist unter „Richtigkeit“ dieser Ansicht zufolge lediglich zu verstehen, dass die gefundene Lösung vertretbar, plausibel, stimmig etc. ist. bb) Richtigkeitskriterien Nach relativierter Richtigkeitsauffassung kann zwar ein Nachweis der objektiv einzig richtigen Lösung nicht erbracht werden. Auch ohne die Möglichkeit einer empirischen Verifikation wird jedoch an der richtigen Lösung als regulativer Leitidee festgehalten und eine – wenngleich reduzierte – Erkenntnisleistung im Bereich des Normativen bejaht. In der Folge stellt sich für die Vertreter des relativen Verständnisses von der Richtigkeit normativer Aussagen die Frage, nach welchen Kriterien sich bestimmt, ob die richtige Lösung gefunden worden ist. Da eine objektive Begründung derselben infolge Ablehnung der Existenz bzw. Auffindbarkeit einer absoluten, vom Erkenntnisverfahren unabhängigen Ideallösung konsequenterweise ausgeschlossen ist, treten an die Stelle objektiver Richtigkeitskriterien solche intersubjektiver Natur, wobei jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Relation von Aussagen gestellt werden. Die intersubjektiven Richtigkeitsmerkmale weisen zum Teil eine einseitig prozedurale Ausrichtung und zum Teil eine sachlich-inhaltliche Fokussierung auf. Dazwischen liegen Lösungen, die sowohl die formale Rationalität des Diskurses als auch die Rückbindung an materiale Kriterien und in der Rechtsgemeinschaft vorhandene Richtigkeitsvorstellungen fordern. Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 17 ff.; Larenz, S. 196 f. Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 15 f.; Larenz, S. 294; Rüthers, IRP – Rechtspolitisches Forum, Nr. 15, S. 16 f. 228 229

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(1) Diskurstheoretischer Ansatz: Konsens und rationaler Diskurs Eine prozedurale Ausrichtung mit prinzipiell hohen Anforderungen an die Aussagenrelation weist die diskurstheoretische Konzeption der Richtigkeit auf. Grundlage dieses intersubjektiven Wahrheits- und Richtigkeitsverständnisses ist die insbesondere von Habermas geprägte Konsensustheorie der Wahrheit, nach der die Wahrheit von Aussagen über Tatsachen die potenzielle Zustimmung all derer bedingt, mit denen der Sprecher ein Gespräch aufnehmen könnte.230 Gleiches gilt für Aussagen hinsichtlich der Geltung von Normen, bei denen allerdings, wie bereits unter aa) erwähnt, nicht deren Wahrheit, sondern deren Richtigkeit in Rede steht.231 Die vom Sprecher getätigten Behauptungen müssen mit einem Geltungsanspruch verbunden sein, dessen Berechtigung davon abhängt, ob sich über die Aussage ein Konsens herstellen lässt, der Geltungsanspruch also „diskursiv eingelöst“ werden kann.232 Nach der Konsensustheorie bildet der Konsens somit die notwendige und hinreichende Bedingung der Wahrheit bzw. Richtigkeit.233 Aufgrund der zuletzt genannten Annahme, der Konsens der Gesprächsteilnehmer über normative Aussagen stelle ein notwendiges Richtigkeitskriterium dar, sieht sich die auf der Konsensustheorie basierende Diskurstheorie vor das Problem gestellt, dass, so die Kritik, Diskurse keineswegs zwingend zur Übereinstimmung zwischen den Teilnehmern führen müssten.234 Gleichzeitig wird gegen sie vorgebracht, angesichts der Möglichkeit, jederzeit neue Argumente in den Diskurs einzubringen, bilde der einmal erzielte Konsens weder den Schlusspunkt des (prinzipiell endlosen) Diskurses noch sei er notwendigerweise von Bestand; denn neues Vorbringen könnte ihn zusätzlich stützen, aber auch wieder beseitigen.235 Dieser Einwand bringt letztlich die unter aa) dargestellte Konsequenz der Annahmen des Kritischen Rationalismus zum Ausdruck, dass der Prozess der Wahrheitsfindung in der Wissenschaft mangels Möglichkeit einer Verifizierung von Theorien niemals abgeschlossen ist. Diese mit dem Konsensziel verbundene Problematik versucht nun die diskurstheoretische, prozedurale Richtigkeitskonzeption Alexys236 durch eine Differenzierung der Diskurssituationen und des Kriteriums der Richtigkeit zu bewältigen, welche im Endeffekt die Anforderungen an die Relation von Aussagen senkt und den Konsens damit in den Hintergrund treten lässt. Alexy unterscheidet demgemäß Vgl. Habermas, Vorstudien, S. 127 (136 f.). Vgl. Alexy, Argumentation, S. 32; von Arnim / Brink, S. 8, Fn. 35; Habermas, Vorstudien, S. 127 (138, 144 f., 157); Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 15; ders., Rechtsphilosophie, S. 265; Larenz, S. 198. 232 Vgl. Habermas, Vorstudien, S. 127 (135 ff.). 233 Vgl. Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (49). 234 Vgl. Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (58). 235 Vgl. Bihler, S. 86; Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (55 f.); Weinberger, Metatheorie, S. 159 (191). 236 Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 ff.; ders., Argumentation, S. 410 ff. 230 231

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zwischen idealen Diskursen, an denen – ähnlich der von Dworkin beschriebenen Entscheidungsfindung durch Herkules – ideale Teilnehmer unter bestmöglichen Bedingungen237 partizipieren, und realen Diskursen. Die nur regulative Idee der Richtigkeit leitet Alexy aus der Erkenntnis ab, dass auch der ideale Diskurs, dessen Bedingungen lediglich formaler Natur seien, keine Konsensgarantie biete. Dies begründet er damit, dass praktische Diskurse, d. h. solche, welche die Richtigkeit normativer Aussagen beträfen,238 Wertungsfragen zum Gegenstand hätten, weshalb einander ausschließende Richtigkeitsvorstellungen auftreten könnten.239 Während nun solche Widersprüche angesichts fehlender Konsensgarantie des Diskurses zwischen den Teilnehmern möglich seien, bestehe innerhalb des Normensystems einer Person das Postulat der Widerspruchsfreiheit. Infolge dessen verlangt Alexy, obgleich er im Gegensatz zu Dworkin die Annahme der verfahrensunabhängigen Existenz einer einzig richtigen Antwort ablehnt, von den Diskursteilnehmern einen Geltungsanspruch im Sinne der Konsensustheorie, nämlich die Behauptung, dass ihre Antwort die einzig richtige sei. Damit legt er der Diskurstheorie eine absolute prozedurale Konzeption der Richtigkeit zugrunde.240 Da der juristische Diskurs einen Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses darstelle, sei hier ebenfalls ein Geltungsanspruch gefordert;241 allerdings beinhalte dieser bei gerichtlichen Urteilen nicht die Behauptung einer Richtigkeit in dem Sinne, dass die Entscheidung schlechthin richtig sei, sondern nur, dass sie im Rahmen der geltenden Rechtsordnung richtig sei; letzteres sei der Fall, wenn sie unter Beachtung von Gesetz, Präjudiz und Dogmatik rational begründet werden könne.242 Darüber hinaus müsse sich der Geltungsanspruch darauf beziehen, dass sich die Entscheidung auf „vernünftige und gerechte“ Gesetze gründe.243 Im Unterschied zum idealen Diskurs erweitert Alexy bei realen Diskursen den prozeduralen Richtigkeitsbegriff um eine relative Komponente. Dieser relative Begriff der Richtigkeit erlaube die Aussage, dass auch einander widersprechende Lösungen – unbeschadet der regulativen Idee, weiter nach nur einer Antwort zu suchen – relativ auf die durchgeführte Prozedur richtig seien. Die Relativität beziehe sich hierbei auf die Diskursregeln, das Maß ihrer Erfüllung, die Teilnehmer und die Dauer des Diskurses.244 „Richtigkeit“ im relativen Sinne umfasst dann Alexy 237 Der ideale Diskurs ist gemäß Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (113); ders., Argumentation, S. 412, durch folgende Bedingungen gekennzeichnet: Unbegrenzte Zeit, unbegrenzte Teilnehmerschaft, vollkommene Zwanglosigkeit im Wege der Herstellung vollkommener sprachlich-begrifflicher Klarheit, vollkommene empirische Informiertheit, vollkommene Fähigkeit und Bereitschaft zum Rollentausch und vollkommene Vorurteilsfreiheit. 238 Vgl. Habermas, Vorstudien, S. 127 (148); Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 15. 239 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 412 f. 240 Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (122 f.); ders., Argumentation, S. 413 f. 241 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 263 ff., 426 ff. 242 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 264, 272, 429 f. 243 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 433. 244 Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (124 f.); ders., Argumentation, S. 415.

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zufolge den Bereich dessen, was diskursiv möglich ist, also sowohl den Konsens als auch den Dissens.245 Im Ergebnis bedeutet diese Relativierung zum einen, dass mehrere Lösungen richtig sein können. Zum anderen hat sie letztendlich auch zur Konsequenz, dass die wahrheits- bzw. richtigkeitsstiftende Funktion des Konsenses – in Erkenntnis der Grenzen des juristischen Diskurses in der Wirklichkeit – nur noch als Idealvorstellung existiert. Im Endeffekt tritt nach Alexys Auffassung an Stelle des Konsenses als Richtigkeitskriterium damit schon die regelgerechte Durchführung des Diskurses selbst.246 Gegen die Konsensustheorie und das auf ihr aufbauende diskursive Richtigkeitsverständnis wird weiter, nun auf den Konsens bzw. die Durchführung der Prozedur als hinreichendes Richtigkeitskriterium abzielend, eingewandt, damit schaffe man die Möglichkeit, beinahe jede Norm ohne Rücksicht auf ihren materiellen Inhalt als richtig auszuweisen.247 Allein die Herstellung eines formal zustande gekommenen Konsenses und die Rationalität des Diskurses garantierten nicht die inhaltliche Richtigkeit des gefundenen Ergebnisses.248 Diese – über den schlichten Konsens bzw. die Durchführung des Diskurses hinausgehende – Forderung nach „guten Gründen“ wird auch von Vertretern der prozeduralen Theorien bestätigt, die konsequenterweise nicht jeden Konsens bzw. durchgeführten Diskurs als Richtigkeitsgaranten ausreichen lassen.249 So sieht Habermas den Geltungsanspruch nur im Falle eines begründeten, d. h. argumentativ unter den Bedingungen einer idealen Sprechsituation erzielten Konsenses als eingelöst an.250 Bei Alexy ist die Konzeption praktischer Richtigkeit an die Einhaltung der Diskursregeln und damit an ein auf rationalem Wege gefundenes Ergebnis geknüpft.251 Trotz dieser Eingrenzung der Richtigkeitsverbürgung wird dem prozeduralen, diskurstheoretischen Ansatz entgegengehalten, er könne nicht erklären, wie der Konsens bzw. der rationale Diskurs die Wahrheit respektive Richtigkeit eines inhaltlichen „Etwas“, z. B. von Normen, soll erzeugen können, wenn er allein an formale Kriterien geknüpft sei, aber keine Vorgaben bestünden, auf welcher sachlich-inhaltlichen Grundlage das Ergebnis erzielt werden müsse; der rationale Diskurs als solcher sage nämlich nicht, was wahr und richtig sei, desgleichen nicht, was zu tun sei.252 Der mit den Einwänden gegen die Diskurstheorie verbundenen Forderung nach einer Ausrichtung der Richtigkeitskonzeption an materialen Kriterien kommt Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (123 f.); ders., Argumentation, S. 415 f. Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (119 f.). 247 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 22 f.; ders., Rechtsphilosophie, S. 276; Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (56); Weinberger, Metatheorie, S. 159 (193). 248 Vgl. Aarnio, Rechtstheorie 20 (1989), 409 (421); Esser, S. 27 f.; Weinberger, Metatheorie, S. 159 (188 ff.). 249 Vgl. hierzu Tschentscher, Rechtstheorie 34 (2002), 43 (56 f.). 250 Vgl. Habermas, Vorstudien, S. 127 (160 f., 179 f.). 251 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 399 ff. 252 Vgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 276 f., 291 f. 245 246

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

Alexy bewusst nicht nach. Anstatt den Schritt zu Letzteren zu vollziehen, belässt er es dabei, als Verbindungsstück zwischen Prozedur und inhaltlicher Richtigkeit substanzieller normativer Aussagen die Voraussetzung hinreichenden Urteilsvermögens der Teilnehmer zu formulieren. Auf die Prozedur statt auf die sachlichen Gründe sei abzustellen, da sich erst im Prozess der diskursiven Überprüfung zeige, was ein „guter Grund“ sei.253 (2) Rückbindung an sachhaltige Kriterien und Richtigkeitserwartungen Nach anderer Ansicht genügt die formale Rationalität des Entscheidungsergebnisses zur Herstellung einer richtigen Lösung nicht, sondern ist zusätzlich eine Rückbindung an sachhaltige Kriterien und in bestimmtem Umfang auch an die in der Rechtsgemeinschaft vorhandenen Vorstellungen von der richtigen Lösung gefordert. Ausgehend vom Standpunkt, der die Leitidee des Konsenses und dessen Funktion als notwendige und hinreichende Richtigkeitsbedingung ablehnt, erblickt eine Auffassung das Ziel der Rechtserkenntnis nicht in der Akzeptanz der Entscheidung, sondern in ihrer Akzeptabilität, wobei als Zielgruppe die Mehrheit der Mitglieder der rational denkenden Rechtsgemeinschaft254 oder betroffene und interessierte soziale Kreise255 genannt werden. Auch diese Ansicht basiert auf der Überlegung, dass die Entscheidung Wertungen erfordere und allein die Einhaltung methodischer Regeln, die innere logische Konsistenz der Entscheidung sowie die formale Rationalität der Argumentation noch keine auch den materiell-inhaltlichen Anforderungen genügende und als gerecht empfundene Entscheidung garantieren könnten.256 Mit dem Hinwirken auf Akzeptabilität wird der Konsens als Zielvorstellung aufgegeben, der Grundsatz der Intersubjektivität der Wahrheitsfindung allerdings beibehalten, wenngleich in Abschwächung der Anforderungen an die Relation von Aussagen sowie an die Zielgruppe, die nun nicht mehr sämtliche potenzielle Diskurspartner umfasst. Dies zieht insoweit eine Modifizierung des Richtigkeitsverständnisses auch als regulative Idee nach sich, als der „ideologischen Annahme“ von der einzig richtigen Lösung eine Aufgabe und Funktion in der Gesellschaft nun gänzlich abgesprochen wird.257 Zwar darf der Richter damit seine Entscheidung als autoritativen Akt nicht als nur auf Wahrscheinlichkeitsbasis beruhend ausVgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (120 f.). So Aarnio, Rechtstheorie 20 (1989), 409 (422 ff.), der den Standard der Verhaltenssteuerung auf S. 426 wie folgt zusammenfasst: „Begründe deine Auslegungsentscheidung so, dass die Mehrheit der rational argumentierenden Rechtsgemeinschaft deine Position akzeptieren kann.“ 255 So Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (576 f.). 256 Vgl. Aarnio, Rechtstheorie 20 (1989), 409 (420 f.); Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574 ff.). 257 Vgl. Aarnio, Rechtstheorie 20 (1989), 409 (422). 253 254

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geben.258 Dennoch tritt an die Stelle der Richtigkeit als Erkenntnisziel das Streben nach der „bestmöglichen Entscheidung“ mit einer entsprechenden „bestmöglichen Begründung“, welche die Entscheidung ohne die Hintergrunderwartung einer richtigen Lösung in akzeptabler Weise an die Rechtsordnung binden und die o. g. Akzeptierbarkeit erzeugen soll.259 Im Ergebnis stellt damit die (gemessen an den Richtigkeits- und Gerechtigkeitserwartungen der für maßgeblich erachteten Zielgruppe) akzeptable Lösung sowohl das Ziel der Rechtserkenntnis als auch das Höchstmaß dessen dar, was in der prozessualen Entscheidungssituation geleistet werden kann. Eine Rückbindung an sachhaltige Kriterien und die Richtigkeitserwartungen des Publikums befürwortet auch Esser. Obwohl für ihn das Überzeugungsvermögen eine wichtige Funktion bei der Richtigkeitskontrolle einnimmt, begreift Esser die Herstellung von Konsens oder Konsensfähigkeit nicht bereits als sachliche Richtigkeitsgewähr im ontologischen Sinne, sondern nur als Indiz für „soziale Richtigkeit“.260 Ebenso wenig genügen auch seiner Ansicht nach die Verfahrenskorrektheit, die Einhaltung der Regeln der Rechtsfindung sowie die dogmatische Nachvollziehbarkeit, um die Richtigkeit der Entscheidung und den mit ihr erhobenen Anspruch auf Verbindlichkeit zu begründen.261 Vielmehr muss die Entscheidung, will man sie einsichtig, d. h. konsensfähig machen, nicht nur die genannten Eigenschaften aufweisen, sondern sie muss zusätzlich auf sachlich zwingende, evident überzeugende Gründe gestützt werden. Damit bildet für Esser nicht die formale Logik, sondern die Sachlogik das entscheidende Kriterium.262 Anstelle einer schlichten rhetorischen „Kunst des Überzeugens“ fordert er die sachliche Evidenz. Das Urteil muss somit eine nicht mehr bestreitbare Plausibilität aufweisen, und die Argumente sind auf einen Punkt zurückzuführen, der eine weitere Argumentation erübrigt.263 (3) Materialer Ansatz: Sachliche Konvergenz Ebenso wie der am Konsens orientierte prozedurale, diskursive Ansatz stellt die von Arthur Kaufmann vertretene, an materialen Kriterien ausgerichtete Richtigkeitskonzeption der Konvergenztheorie hohe Anforderungen an die Relation von Aussagen, wobei nun allerdings nicht die formale Übereinstimmung, sondern eine solche des sachlichen Gehalts für ausschlaggebend gehalten wird. So rückt Kaufmann in deutlicher Weise vom Konsens als maßgeblichem Wahrheitskriterium ab und stellt die sachlich-inhaltliche Komponente der Übereinstim258 259 260 261 262 263

Vgl. Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574). Vgl. Aarnio, Rechtstheorie 20 (1989), 409 (422, 424). Vgl. Esser, S. 27 f. Vgl. Esser, S. 26, 171. Vgl. Esser, S. 172 ff. Vgl. Esser, S. 27, 173.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

mung in den Mittelpunkt. Zwar hält er ebenso wie die Vertreter des prozeduralen Ansatzes am Prinzip der Intersubjektivität sowie der Wahrheitsfindung im Entscheidungsverfahrens fest und negiert die Existenz einer einzig richtigen Lösung außerhalb dieses Verfahrens. Auch für ihn stellt jedoch die Durchführung der Prozedur noch keine hinreichende Richtigkeitsbedingung dar. So entstehe die Wahrheit zwar im, aber nicht ausschließlich durch das Verfahren.264 Kaufmanns Überlegungen zufolge ist die Richtigkeit einer normativen Aussage dementsprechend nicht im formalen Konsens, sondern in der sachlichen Konvergenz der Erkenntnisse unterschiedlicher Personen zu suchen, die diese unabhängig voneinander gewonnen haben.265 Diese Konvergenztheorie der Wahrheit geht davon aus, die Erkenntnis enthalte jeweils subjektive, meinungshafte Momente einerseits und objektive, sachhaltige Elemente andererseits. Sie betrachtet die Erkenntnis des Normativen damit auch als Produkt des Erkennenden und grenzt sich insofern wiederum von der Korrespondenztheorie ab, der zufolge die Wahrheit einer Aussage in ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu erblicken sei (veritas est adaequatio rei et intellectus).266 Während sich nun die subjektiven Momente, die aus jeweils einer anderen Quelle herrührten, gegenseitig abschwächten oder gar aufhöben, wiesen die objektiven Momente, die aus demselben Seienden hervorgingen, alle auf den Einheitspunkt dieses Seienden hin. Hierdurch bewährten sich die objektiven, sachhaltigen Elemente als begründet.267 Dem Konsens falle in diesem Zusammenhang nur die Aufgabe zu, die Bewährung dieses Sachhaltigen festzustellen. Der Grund für die Wahrheit bzw. Richtigkeit des Konsenses sei aber nicht der Konsens selbst, sondern die Konvergenz als eigentliches Kriterium der Wahrheit bzw. Richtigkeit.268 Damit sucht die Konvergenztheorie die richtige Lösung zwar weiterhin intersubjektiv und über das Entscheidungsverfahren. Maßgeblich ist indes nicht bereits eine rein formal hergestellte Übereinstimmung, sondern eine solche des sachlich-objektiven Gehalts von Erkenntnissen, die verschiedene Subjekte unabhängig voneinander gewonnen haben.

cc) Zusammenfassung Im Ergebnis lässt sich zusammenfassend festhalten, dass für die Vertreter eines relativierten Richtigkeitsverständnisses außerhalb des Entscheidungsverfahrens und unabhängig von diesem keine „einzig richtige Lösung“ existiert. Die richtige Antwort auf rechtliche Fragen erhält jedoch als regulative Idee eine erkenntnisleitende Funktion im Verfahren. In der Folge müssen juristische Aussagen über NorVgl. Kaufmann, Rechtsphilosophie, S. 288 f. Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 23 f.; ders., Rechtsphilosophie, S. 284 f. Zustimmend Deckert, S. 215 ff. 266 Vgl. hierzu Habermas, Vorstudien, S. 127 (132 ff.); Puntel, S. 26 ff. 267 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 23; ders., Rechtsphilosophie, S. 284 f. 268 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 24; ders., Rechtsphilosophie, S. 285. 264 265

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men mit einem Geltungsanspruch verbunden sein, also der Behauptung, dass die gefundene Lösung die richtige sei. Obwohl eine Verifikation der Richtigkeit normativer Aussagen – nicht zuletzt wegen der Zeitgebundenheit jeder wissenschaftlichen Erkenntnis – unmöglich ist, soll die Rechtswissenschaft dennoch zu einer positiven Begründungsleistung imstande sein. Insoweit wird dem Postulat der Wertfreiheit für die normativen Verstehenswissenschaften widersprochen und die strikte Trennung von Erkenntnissubjekt und -objekt mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass das Recht im Verfahren durch einen produktiven Akt des Erkennenden erst entstehe. Infolge des Wertbezugs und des andersartigen Erkenntnisgegenstands wiesen die Ergebnisse überdies nicht die in den Naturwissenschaften erreichbare Genauigkeit und Stringenz auf, weshalb sich die Erkenntnisleistung nur in den Kategorien der „Vertretbarkeit“, „Plausibilität“, „Stimmigkeit“ etc. bewege. Die Richtigkeitskriterien werden dem relativierten Verständnis zufolge intersubjektiv bestimmt, wobei unterschiedlich hohe Anforderungen an die Relation von Aussagen und die avisierte Zielgruppe gestellt werden. Desgleichen variieren die Richtigkeitsvorstellungen zwischen prozedural und material ausgerichteten Ansätzen. Folglich gilt nach der prozeduralen, diskurstheoretischen Konzeption als Richtigkeitskriterium der Konsens aller potenziellen Diskursteilnehmer; gleichwohl können in realen Diskursen – unbeschadet des mit jeder Aussage verbundenen Geltungsanspruchs – mehrere Lösungen relativ auf die durchgeführte Prozedur richtig, weil „diskursiv möglich“ sein. Für die Kritiker des (nur) prozeduralen Ansatzes stellt der Konsens bzw. die Durchführung eines rationalen Diskurses keine notwendige, vor allem aber keine hinreichende Bedingung für die Richtigkeit dar. Sie suchen die Richtigkeit auch oder allein in einer Anbindung an materiale, sachlichinhaltliche Kriterien. Hierbei wird das Erkenntnisziel teilweise in einer akzeptablen, weil im Einklang mit der Rechtsordnung begründeten und an den Richtigkeits- sowie Gerechtigkeitsvorstellungen der Mehrheit der Rechtsgemeinschaft ausgerichteten Lösung oder in einer konsensfähigen, weil auf evidente sachhaltige Gründe gestützten Entscheidung gesehen. Zum Teil wird als maßgebliches Richtigkeitskriterium auch die objektiv-sachliche Konvergenz der Erkenntnisse verschiedener Subjekte betrachtet, die unabhängig voneinander gewonnen wurden.

3. Ergebnis

Ökonomische Entscheidungen sind idealerweise darauf angelegt, die unter der Prämisse subjektiver und formaler Rationalität zur Verwirklichung der Zielsetzung des Entscheidungsträgers optimale Lösung zu finden. Bei juristischen Entscheidungen wird das Optimum in der richtigen Lösung gesehen, wobei hier entweder ein absolutes oder ein relatives Richtigkeitsverständnis zugrunde liegt. Nach absolutem Verständnis existiert eine objektiv einzig richtige Lösung, nach welcher der Richter zu suchen hat, obwohl kein Verfahren zu ihrer Auffindung angegeben wer10 Windoffer

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

den kann. Nach relativem Verständnis besteht die einzig richtige Lösung weder außerhalb des Verfahrens noch lässt sie sich im Prozess verifizieren. Wohl aber hat Richtigkeit die Funktion einer erkenntnisleitenden Idee und müssen normative Aussagen mit einem Geltungsanspruch verbunden sein. Auch können zumindest vertretbare Lösungen positiv begründet werden, wobei sich die „Richtigkeit“ derselben z. T. nach (nur) prozeduralen und z. T. nach (auch) materialen Kriterien bestimmen soll. Im Folgenden wird nun zu untersuchen sein, ob und inwiefern sich im gerichtlichen Verfahren die rechtstheoretischen Vorstellungen im Hinblick auf eine „richtige Lösung“ verwirklichen lassen, ob der Prozess also die Gewähr für in diesem Sinne „richtige“ Entscheidungen bietet und die Kategorie der Richtigkeit somit überhaupt eine taugliche Größenordnung darstellt.

III. Zur Richtigkeitsgewähr gerichtlicher Entscheidungen Zur Beantwortung der Frage nach der Richtigkeitsgewähr gerichtlicher Entscheidungen bedarf es einer Erörterung der Folgen, die sich aus den bisherigen, für die rechtliche Prüfungsintensität und das Prüfungsergebnis für potenziell relevant erachteten Erkenntnissen ergeben. Dies setzt zunächst eine Klärung voraus, welche Einschränkungen die eingangs dieses Paragraphen genannten Faktoren269 im Hinblick auf die Prüfung im gerichtlichen Verfahren mit sich bringen. Sodann sind die Konsequenzen darzustellen, die aus den Besonderheiten der Entscheidungssituation und den mit dieser einhergehenden Grenzen der prozessualen Erkenntnisleistung für die vertretenen Richtigkeitskonzeptionen und die Berechtigung einer Richtigkeitserwartung überhaupt zu ziehen sind.

1. Beschränkungen der Suche nach der richtigen Lösung a) Zielkonflikt zwischen verfassungsrechtlichen Vorgaben Wie im Zusammenhang mit der Ermittlung des für das Eilverfahren vorgegebenen Prüfungsmaßstabs dargelegt,270 erfordert das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG im Verwaltungsprozess sowohl die vollständige Überprüfung des belastenden Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als auch die Gewährung von Rechtsschutz in angemessener Zeit. Dieselbe verfassungsrechtliche Norm gibt somit einerseits eine möglichst umfassende Prüfung des Klagebegehrens vor und fordert andererseits eine angemessene Prozess269 270

Vgl. oben I. 2. Vgl. oben § 3 II. 3. b) und c).

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dauer. Zum Prozessziel einer intensiven tatsächlichen und rechtlichen Prüfung tritt ein weiteres, nämlich das der zeitangemessenen, möglichst zügigen Entscheidung. Der Zeitfaktor ist im gerichtlichen Verfahren von besonderer Bedeutung, da hier naheliegender Weise – im Unterschied etwa zum idealen Diskurs nach Alexys diskurstheoretischer Konzeption271 oder den Erkenntnisbedingungen des Idealrichters Herkules bei Dworkin272 – nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung steht, sondern die Entscheidungsproduktion unter „real-time-Bedingungen“ abläuft.273 Folglich liegt hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die verwaltungsgerichtliche Entscheidung ein Spannungsverhältnis oder – entscheidungstheoretisch gewendet – ein Zielkonflikt vor. Zielkonflikte, auch Zielkonkurrenzen genannt, haben zur Konsequenz, dass sich nicht sämtliche Ziele optimal verwirklichen lassen, vielmehr die Erfüllung eines Ziels nur unter Beeinträchtigung eines anderen möglich ist,274 Maßnahmen zur Erreichung eines Ziels somit eine Abnahme des Zielerreichungsgrads bei einem anderen Ziel bewirken.275 Eine hinsichtlich aller Zielgrößen optimale Lösung ist nicht realisierbar. Es kann allenfalls aus dem Spektrum sämtlicher Handlungsmöglichkeiten die Menge effizienter Alternativen bestimmt werden, aus der dann eine Aktion ausgewählt wird, welche unter Berücksichtigung der o. g. Einschränkungen im Hinblick auf den jeweiligen Zielerreichungsgrad die für das konkrete Entscheidungsproblem optimale Lösung darstellt. Eine Alternative ist effizient, wenn ihr hinsichtlich des Erfüllungsgrads der einen Zielgröße keine andere Handlungsmöglichkeit überlegen ist, ohne dass diese zugleich die andere Zielgröße schlechter verwirklicht.276 Ist die Menge effizienter Lösungen bestimmt, so bedarf es zur Ermittlung des Optimums Entscheidungsregeln, die aufzeigen, wie Mehrfachzielsetzungen in Einfachzielsetzungen umgewandelt werden können.277 Übertragen auf die Situation im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bewirkt der Zielkonflikt, dass der Erfüllungsgrad der Zielgröße „Vollständigkeit der tatsächlichen und rechtlichen Prüfung“ umso geringer ist, je weniger Zeit für die Entscheidung zur Verfügung steht. Umgekehrt bedeutet eine unbegrenzte Suche nach der – unter Zugrundelegung der Position des Kritischen Rationalismus prinzipiell niemals auffindbaren – Wahrheit bzw. Richtigkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt zwangsläufig eine Beeinträchtigung des Prozessziels der Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit. Bezogen auf die beiden aus Art. 19 Abs. 4 GG hergeleiteten konkurrierenden Zielgrößen bildet das Spektrum der möglichen Al271 272 273 274

Vgl. oben II. 2. b) bb) (1). Vgl. oben II. 2. a). Vgl. Hagen, JbRSoz 4 (1976), 138 (143); Kininger, S. 65. Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 53; Hammann / Erichson, S. 1 f.; Mag, Grundzüge,

S. 32. 275 276 277

10*

Vgl. Hopfenbeck, S. 517; Olfert / Rahn, S. 172. Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 54 f.; Laux, S. 80. Vgl. Mag, Entscheidung, S. 37; ders., Grundzüge, S. 37 f.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

ternativen278 somit derjenige Aktionsraum, in dem sowohl die verfassungsrechtlich gebotenen Mindestanforderungen an die Prüfungsintensität erfüllt werden als auch dem Gebot der Zeitangemessenheit der Rechtsschutzgewährung Genüge geleistet wird. Innerhalb dieses Spielraums hat der Richter den „goldenen Schnitt“ aus Gründlichkeit und Zügigkeit zu finden. Dieser „goldene Schnitt“ entspricht dem o. g. entscheidungstheoretischen Optimum bei konfligierenden Zielgrößen. Die Aufgabe des Richters besteht also darin, den Zielkonflikt dadurch zu bewältigen, dass er die optimale Lösung auffindet, wobei „Optimalität“ in diesem Kontext freilich Einbußen beim jeweiligen Zielverwirklichungsgrad impliziert. An dieser Stelle bedarf es noch keiner Erörterung, nach welchen Regeln der Richter die optimale Lösung zu finden hat.279 Wichtig ist zunächst nur die Erkenntnis, dass der Zeitfaktor der Suche nach der Lösung des Rechtsstreits und damit der möglichen Prüfungsintensität auch in Bezug auf die Klärung rechtlicher Fragen eine äußere Grenze setzt. Insofern zeigt sich hier ein besonderer Zeitbezug der richterlichen Entscheidung, und zwar in quantitativer Hinsicht.280 Der Richter muss die Prüfung zwangsläufig an einem bestimmten Punkt abbrechen, obwohl sich ihm möglicherweise noch weitergehende auszuwertende Erkenntnisquellen auftun würden.281 Im Hinblick auf eine effektive (und effiziente) Verwirklichung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Zielgrößen steigt der Entscheidungszwang mit zunehmender Zeitdauer und verbietet einen endlosen Fortgang der Lösungssuche.282 Die Grenze des möglichen Prüfungsaufwands ist dort erreicht, wo eine weitere Verzögerung zu einer (endgültig) irreversiblen Beeinträchtigung der geschützten Rechtsposition führt,283 d. h. die mit der Entscheidung intendierte Durchsetzung des materiellen Rechts nicht mehr zu erreichen ist. Überschreitet der Richter die Grenze, bedeutet dies eine Verletzung des Gebots der Rechtsschutzgewährung in angemessener Zeit und kommt einer unzulässigen Rechtsverweigerung gleich. Das Maß dessen, was an Prüfungsintensität in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht aufgebracht werden kann, bestimmt sich demzufolge nach dem durch die Umstände des konkreten Falls vorgegebenen zeitlichen Rahmen, der das äußere Limit der Erkenntnis bildet. Die Erfüllung beider aus Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlich vorgegebenen Zielgrößen impliziert eine Beschränkung des tatsächlichen und rechtlichen Prüfungsumfangs. 278 Unter „Alternativen“ sind in diesem Zusammenhang die Kombinationen aus den Realisationsgraden beider von Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebenen Zielgrößen zu verstehen. 279 Vgl. hierzu unten IV. 2. a) aa). 280 Im Unterschied zum quantitativen steht der qualitative Zeitbezug, der die Zeitgebundenheit der mit der normativen Erkenntnis verbundenen Wertungen bezeichnet, vgl. hierzu unten 2. a) aa). 281 Vgl. Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48. 282 Vgl. Rödig, S. 31, 161 f.; Sobota, S. 193 f. 283 Zum logischen Vorbehalt gegenüber den Begriffen „Irreversibilität“ und „vollendete Tatsachen“ im Zusammenhang mit der Funktionsbestimmung des Eilverfahrens vgl. oben § 4 I.

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b) Verfügbarkeit tatsächlicher Informationen Als weiterer Einflussfaktor auf die Erkenntnisleistung im gerichtlichen Verfahren ist der Zusammenhang zwischen tatsächlicher und rechtlicher Prüfung, also der Sachverhaltsermittlung einerseits und der Klärung der in der konkreten Entscheidungssituation erheblichen Rechtsfragen andererseits zu nennen.284 Dieser Zusammenhang wird noch darauf hin zu untersuchen sein, welche Folgen er unter Berücksichtigung der Wertbezogenheit richterlicher Erkenntnis zeitigt.285 Unabhängig von der Wertungsfrage kann jedoch bereits an dieser Stelle eine andere Konsequenz der Wechselbezüglichkeit von Tat- und Rechtsfrage festgehalten werden: Sie wirkt sich nämlich schon insofern auf die Erkenntnisleistung im gerichtlichen Verfahren aus, als das Maß, in dem die Umstände der Prozesssituation (z. B. die Mitwirkung und Wahrheitstreue der Beteiligten bzw. Zeugen, der Zeitfaktor etc.) überhaupt einen Zugang zu den Tatsacheninformationen ermöglichen, die rechtliche Würdigung und damit das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst. Auch unter Anlegung der subjektiven Perspektive, die für die Entscheidungstheorie wie auch das Beweisrecht in den Prozessgesetzen maßgeblich ist und die Rationalitätsanforderungen der Entscheidungsfindung einschränkt, liegt, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt,286 in Bezug auf die tatsächliche Seite des Entscheidungsproblems regelmäßig ein Zustand unvollkommener Information und folglich eine Risikosituation vor. Die Verfügbarkeit faktischen Informationsmaterials markiert daher ebenfalls eine äußere Grenze der Erkenntnis des im konkreten Fall geltenden Rechts.

c) Richterliche Wertungen im Erkenntnisverfahren aa) Zur Werturteilsproblematik im Begründungszusammenhang Wie bereits erwähnt, spielen Wertungen im Rahmen der Erkenntnis des geltenden Rechts sowohl außerhalb der prozessrechtlich hierfür vorgesehenen Prozeduren als insbesondere auch bei der Entscheidungsfindung im gerichtlichen Verfahren eine wichtige Rolle. Die Einsicht, dass die mit dem Ziel der Inhaltsbestimmung von Normen durchgeführten Prozeduren auf eine Erkenntnis im Bereich des Werthaften gerichtet sind, demzufolge der Begründungszusammenhang und damit auch das Resultat des Erkenntnisvorgangs von Werturteilen geprägt sei, die das Erkenntnissubjekt in den Vorgang mit einbringe, hat zu der grundsätzlichen Frage geführt, ob hier überhaupt eine wissenschaftliche Erklärungsleistung möglich sei.287 Soweit dies bejaht wird, geschieht das mit dem Hinweis, dass diese Leistung jeden284 285 286 287

Vgl. oben § 7 II. 2. c). Vgl. dazu unten c) bb) (1). Vgl. oben § 7 I. 1. c). Vgl. hierzu oben II. 2. b) aa).

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

falls in Abhängigkeit sowohl von der auf sie hinführenden Prozedur als auch von den Aussagen der an dieser Prozedur teilnehmenden Subjekte erbracht werde. Ohne hier bereits zur Problematik der Wahrheits- bzw. Richtigkeitskriterien Stellung nehmen zu wollen, ist der These zuzustimmen, dass die Erkenntnis des Normativen einen Wertungen des Erkenntnissubjekts einschließenden Prozess darstellt. Das Ergebnis der Ermittlung und Auslegung von Normen erhält notwendigerweise seine Prägung auch durch die Wertvorstellungen des erkennenden Subjekts, welches sich in den Erkenntnisprozess einbringt. Insofern weist die richterliche Erkenntnis einen Wert- und Subjektbezug auf. Geht man freilich vom Postulat methodischer Wertfreiheit aus und erhebt die Forderung einer Trennung des Erkenntnisobjekts vom erkennenden Subjekt, so erscheint es in der Tat auf den ersten Blick fraglich, ob man bei der Suche nach dem Inhalt der für eine gedachte Situation oder für einen konkret zu entscheidenden Einzelfall geltenden Rechtsnormen zu objektivierbaren, intersubjektiv nachprüfbaren Erkenntnissen gelangen kann. Bei näherem Hinsehen wird man jedoch auch im Bereich der scientistischen Wissenschaften bezweifeln müssen, ob es gelingt, den Begründungszusammenhang von Werturteilen freizuhalten, wenn letztere – wie auch die Verfechter der methodischen Werturteilsfreiheit nicht bestreiten – sowohl für den Entdeckungszusammenhang, d. h. die (politisch veranlasste und interessengeleitete) Auswahl der Forschungsfragen, als auch den Verwertungszusammenhang, d. h. die Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse bestimmend sein können.288 Diese Zweifel sind umso stärker angebracht, als die Entscheidung darüber, welche von mehreren aufgestellten Hypothesen den Vorzug verdient, auch bei naturwissenschaftlichen, empirischen Aussagen nicht ohne eine Wertung zu treffen ist.289 Sieht man wissenschaftliche Betätigung als ein auf Werte gegründetes und durch selbige motiviertes Handeln an, so ist schwerlich anzunehmen, dass der – im Hinblick auf die Zielerreichung und die weitere Verwendbarkeit der Ergebnisse entscheidende – Begründungszusammenhang von den Wertvorstellungen unbeeinflusst bleibt. Stellt man somit in Rechnung, dass der Wissenschaftler stets selbst ein Teil der Welt ist, die er erforschen will, lässt sich die Forderung nach einer strikten Trennung der Objekt-Ebene, des Gegenstands der Erkenntnis, von der Meta-Ebene der wissenschaftlichen Methode nicht aufrechterhalten. 290 Hinzu kommt der bereits angeführte weitere Einwand, die Ablösung einer wissenschaftlichen Hypothese bzw. Theorie vollziehe sich nicht rein rational, sondern eher wie ein Wandel von Glaubensüberzeugungen, dem zumal Strategien zur Aufrechterhaltung der ungern aufgegebenen Theorie vorangingen.291 Im Übrigen handelt es sich beim 288 Vgl. im Sinne dieser Beschränkung des Postulats der Wertfreiheit Weber, Wertfreiheit, in: Gesammelte Aufsätze, S. 451 (461 f., 470 ff.). Ebenso Albert, Konstruktion und Kritik, S. 41 (55 ff.), der dessen ungeachtet ebenso wie Max Weber weiterhin von der Wertfreiheit im Begründungszusammenhang ausgeht. 289 Vgl. Blotevogel, S. 54. 290 Vgl. Blotevogel, S. 19. 291 Vgl. oben II. 2. b) aa).

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Gebot der Wertfreiheit selbst um eine normative, auf einem Werturteil beruhenden Forderung;292 diese lässt sich dann aber gleichfalls nicht positiv begründen, wenn auf der Meta-Ebene wissenschaftlicher Methode keine Werturteile zulässig sein sollen. Hält man am strikten Wertfreiheitspostulat im Begründungszusammenhang fest, kann man angesichts des o. g. Wertbezugs jeglicher Forschungstätigkeit keiner wissenschaftlichen Fachrichtung, einschließlich der Naturwissenschaften, eine Erkenntnisleistung zusprechen. Dann erscheint freilich auch jede Suche nach der Wahrheit als von vornherein müßig und rechtfertigt weder den Einsatz von zeitlichen noch sonstigen Ressourcen. Akzeptiert man demgegenüber die Wertgebundenheit auch auf der Meta-Ebene und lässt die Möglichkeit einer – wenngleich unter diversen Vorbehalten stehenden – Erkenntnis für offen, so erhält jedenfalls die Suche nach der (zumindest vorläufigen und relativen) Wahrheit nun aber nicht allein bei den mit empirischen Aussagen befassten Naturwissenschaften, sondern auch im Bereich der nach dem Richtigkeitsgehalt normativer Aussagen suchenden Jurisprudenz sowie Rechtsprechung Legitimität. Die für Theorie und rechtliche Praxis relevante Frage lautet dann nicht mehr, ob im Bereich der Rechtswissenschaft und im gerichtlichen Verfahren theoretisch überhaupt eine Erkenntnisgewinnung möglich oder ob diese prinzipiell ausgeschlossen ist, sondern ob und ggf. wie der Nachweis erbracht werden kann, dass es sich bei dem gefundenen Ergebnis des Erkenntnisprozesses um die richtige Lösung handelt. In diesem Kontext ist dann insbesondere der Tauglichkeit von Kriterien der Richtigkeit im Zusammenhang mit Rechtserkenntnis nachzugehen.293

bb) Einflussfaktoren auf die richterliche Wertung Zur Klärung der Frage nach der Begründungsleistung im Bereich des Rechts genügt es nicht, allein auf die Besonderheiten des Erkenntnisobjekts, d. h. der Normen und der ihnen innewohnenden Werte, hinzuweisen. Da sich die Erkenntnis in einer Prozedur vollzieht, sei es im wissenschaftlichen Diskurs oder im gerichtlichen Verfahren, und das Ergebnis dieser Prozedur von den Werturteilen abhängt, aufgrund deren das Erkenntnissubjekt die Norm und ihren Inhalt begründet, bedarf es in erster Linie einer Betrachtung derjenigen Umstände, die im Rahmen der auf diese Erkenntnis zielenden Prozedur für die Wertung maßgeblich sind. Für die vorliegende Untersuchung, die sich auf das (verwaltungs-)gerichtliche Verfahren beschränkt, sind die Einflussfaktoren von Bedeutung, die sich auf die Wertung des Richters im Prozess und folglich auch auf das Ergebnis der Entscheidung auswirken. Diese Einflussgrößen sollen nachstehend gekennzeichnet werden, freilich ohne damit einen Anspruch auf Vollständigkeit zu verbinden. 292 293

Vgl. Albert, Konstruktion und Kritik, S. 41 (52); Blotevogel, S. 19. s. dazu unten 2.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

(1) Wechselwirkung von Tat- und Rechtsfrage Zunächst ist hier die Wechselwirkung von Tat- und Rechtsfrage zu erwähnen. Dieser Gesichtspunkt erweist sich schon insofern als eine die Erkenntnisleistung beeinflussende Größe, als der Zugang zu Tatsacheninformationen begrenzt ist.294 Über den Aspekt des Zugangs zu Fakten hinaus kommt der Zusammenhang zwischen tatsächlicher und rechtlicher Prüfung aber auch unter besonderer Berücksichtigung der Wertbezogenheit gerichtlicher Erkenntnis zur Geltung. Wie bereits dargelegt, entsteht die richterliche Entscheidung in einem Prozess wechselseitiger Bewertung von Sachverhalt und Rechtsnorm, weshalb sie auch als wertende Synthese aus beiden Entscheidungsprämissen bezeichnet werden kann.295 Der Entscheidungsfindungsprozess gelangt zum Abschluss, wenn der Richter den Punkt größtmöglicher Übereinstimmung von tatsächlicher und rechtlicher Prämisse festgestellt hat. Wo dieser Punkt liegt und welchen Inhalt die Entscheidungsprämissen aufweisen, hängt von den vorangegangenen – ebenfalls wertungsgeleiteten – Operationen ab, welche den Gang der Prüfung, die Suchrichtung bei der Informationsgewinnung, die Bewertung der aufgefundenen Informationen und damit das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen. Der Wechselbezug kommt bereits in der Phase der Problemdefinition zur Geltung, wo der Rohsachverhalt darüber entscheidet, welchen Inhalt die Lösungshypothese erhält. Wenngleich noch vorläufig, bestimmt diese erste rechtliche Qualifikation dann das Informationsgewinnungsprogramm und steuert in der Folge die Suche nach den faktischen und präskriptiven Informationen. Die mit der Lösungshypothese verbundene Eingrenzung des rechtlichen Problemkreises führt zu einer Selektion des Tatsachenmaterials, indem der Richter die faktischen Informationen nach ihrer Relevanz für eine Subsumtion unter die herangezogenen Rechtsnormen auswählt. Umgekehrt hängt die Anwendbarkeit der in Blick genommenen Rechtsvorschriften und die Bewährung der Lösungshypothese davon ab, welche Tatsachengrundlage der Richter hergestellt hat. Suche und Auswahl der für erheblich gehaltenen faktischen und präskriptiven Informationen bestimmen somit die Prüfungsrichtung und üben Einfluss auf den Inhalt der beiden Entscheidungsprämissen aus. Sie zeichnen folglich auch das Ergebnis der abschließenden Wertung vor, mit der das Gericht die Übereinstimmung von Sachverhalt und Rechtsnorm feststellt. Die Lage des Punktes, an dem beide Entscheidungsprämissen die größte Übereinstimmung aufweisen, hängt davon ab, welche Pfade mit den vorangegangenen wechselseitigen Bewertungen beschritten wurden. (2) Das Vorverständnis und die Bedeutung von Fremdwertungen Als weiterer Einflussfaktor, der für die richterlichen Bewertungen leitend ist, lässt sich wiederum das Vorverständnis anführen. Dieses spielt in die o. g. wechselbezügliche Bewertung von tatsächlichen und rechtlichen Informationen mit hinein, 294 295

Vgl. oben b). Vgl. oben § 7 II. 2. c).

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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indem es bereits in der Phase der Problemdefinition die Auffindung der potenziell einschlägigen Normen und damit die Einordnung des zur Lösung gestellten Problems ermöglicht.296 Dadurch beeinflusst es den weiteren Gang der Informationsgewinnung und -auswertung und in der Folge auch die Bildung der Entscheidungsprämissen. Das erkenntnisleitende Vorverständnis hat der Richter zuvörderst durch seine Ausbildung und anschließend vor allem durch seine forensische Tätigkeit erworben, sei es durch die über einen längeren Zeitraum entstandene Erfahrung oder durch eine fachliche Spezialisierung im einem bestimmten Rechtsgebiet. Daneben wirken aber auch persönliche Kenntnisse, Fertigkeiten und Prägungen sowie ggf. sonstige berufliche, z. B. durch verwaltungspraktische Tätigkeit erlangte Einsichten mit hinein. Sie haben zur Herausbildung des Judizes als wichtiges für das Vorverständnis bestimmendes Element geführt, das bei der Bewertung des zur Lösung gestellten Problems zu ersten Weichenstellungen führt. Nachdem nun aber das Judiz als überwiegend kognitiv geprägtes, auf der Rezeption von Rechtskenntnissen und in der Gesellschaft verankerten Gebotsvorstellungen aufbauendes Moment identifiziert297 und die maßgebliche Bedeutung der juristischen Ausbildung und Berufstätigkeit für das Entstehen des Vorverständnisses hervorgehoben wurde, stellt sich freilich die Frage, in welchem Maße die mit der Wertung im Rahmen der juristischen Entscheidung verbundene Stellungnahme noch einen auf autonom gebildeten Wertvorstellungen und persönlichen Eigenschaften des Wertungssubjekts beruhenden „Eigenanteil“ aufweist. Geht man von einem Übergewicht dogmatischer und präjudizieller Vorleistungen von Rechtslehre und Rechtsprechung als Quellen des Vorverständnisses und des Entstehens juristischer Werturteile aus, scheint der subjektspezifische Bereich als Einflussfaktor weitgehend in den Hintergrund gedrängt. An dieser Stelle bedarf es demzufolge einer Klärung der Frage, welchen Charakter die im gerichtlichen Verfahren angestellten Wertungen aufweisen. Aus psychologischer Sicht lassen sich Wertungsvorgänge zunächst nach dem Entstehungsgrund der Werte unterscheiden in unmittelbare und mittelbare Wertungen. Unmittelbare Wertungen sind untrennbar an den Vollzug von körperlichen und geistigen Funktionen geknüpft, mit denen für das Subjekt ein positiver oder negativer Wertton verbunden ist.298 Der Wertton entsteht jedes Mal von Neuem, wenn die Funktion ausgeübt wird, und vergeht, wenn der Vorgang beendet wird. Die Art und Weise, wie die betreffenden Funktionen bewertet werden, variiert je nach den ererbten funktionellen Anlagen und dem Grad ihrer Ausbildung. Mit fortschreitender Reife erweisen sich die der jeweiligen Funktion zugemessenen Werte als zunehmend konstant. Dennoch können sich je nach augenblicklichem physischem oder psychischem Zustand weiterhin Schwankungen ergeben. Bei richterlichen Wertungen zeichnen demnach die individuellen Dispositionen und der momentane persönliche Vgl. oben § 7 II. 2. c). Vgl. oben § 7 II. 1. c). 298 Vgl. Eberhardt, S. 3 f., 10 ff.; ihr folgend Bihler, S. 138 sowie Weimar, Psychologische Strukturen, S. 87. 296 297

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

Zustand nicht nur für Divergenzen bei den Funktionswerten verschiedener Richter, sondern auch für das Maß an Konstanz unmittelbarer Wertungen desselben Richters verantwortlich. Im Unterschied zum unmittelbaren gründet sich das mittelbare Werten auf Wertungen, die das Subjekt im Laufe seines Lebens gebildet hat; es beruht auf Erfahrungen mit unmittelbarem Werten, die es dem Subjekt ermöglichen, ohne nochmalige Ausführung der o. g. Funktionen die Wertung auf andere Gegenstände zu übertragen, denen der gleiche Wertakzent anhaftet.299 Aufgrund des mittelbaren Wertens kommt es, nun bezogen auf das Verhältnis des Subjekts zum Gegenstand, zur Bildung von Eigenwerten und Haftwerten. Eigenwerte bezeichnen Werte eines Gegenstands, der um seiner selbst willen Wert besitzt und daher vom Subjekt bewusst erstrebt wird. Demgegenüber entstehen Haftwerte dadurch, dass der Wertende den einem Gesamtkomplex zukommenden Wertton ohne Kontrolle seines Bewusstseins auf Teilglieder dieses Komplexes überträgt, die das Wertungssubjekt nicht in sich einschließen; da der Wertakzent an diesen Teilgliedern haften bleibt, obwohl keine aktuelle Beziehung zum Subjekt existiert, entsteht der Eindruck, der mit dem Haftwert versehene Gegenstand bilde seinen Wert aus sich heraus.300 Bezogen auf die Situation im gerichtlichen Verfahren bedeutet dies, dass jeglicher Bewusstseinsinhalt des Richters, sämtliche Gegenstände, Vorgänge, Anschauungen, Sitten und Gebräuche seiner Umwelt mit einem Haftwert versehen sein und in der Wertung wie subjektbezügliche Eigenwerte zur Geltung kommen können. Die Umwelt des Wertungssubjekts ist auch für die Entstehung von Werten von immenser Bedeutung, und zwar insoweit, als das Subjekt vielfach Werte nicht aufgrund eigener unmittelbar gewerteter Erfahrungen bildet, sondern fremde Wertungen übernimmt.301 Dieser Prozess der Übernahme von Wertungen anderer beginnt bereits in der Kindheit und ermöglicht dem Subjekt eine Wertbildung ohne die Notwendigkeit eigener Erfahrungen und über den eigenen Erfahrungshorizont hinaus. Sie kann auch dazu führen, dass im Entstehen begriffene Wertungen bestätigt werden. Ebenso können die Anschauungen der Umwelt einen derart starken Einfluss ausüben, dass selbst eine entgegenstehende eigene Erfahrung des Subjekts nicht zur Aufgabe der übernommenen Wertung führt, womit eine eigene Wertung verhindert wird. In der Prozesssituation ist dies der Fall, wenn der Richter sich trotz anfänglicher Tendenz zu einer anderen Auffassung den Anschauungen und Wertvorstellungen unterordnet, die in der Rechtsliteratur oder in der öffentlichen Meinung vorherrschen, desgleichen, wenn er sich die in Präjudizien enthaltenen Werturteile zu eigen macht oder sich bei Kollegialentscheidungen den Wertungen der anderen Richter aus Überzeugung anschließt. Da nun das Vorverständnis und das Judiz des Richters als Einflussgrößen gekennzeichnet worden sind, die wesentlich durch die Aufnahme und Verinnerli299

Vgl. Eberhardt, S. 4 f., 10, 19 f.; Bihler, S. 138 f.; Weimar, Psychologische Strukturen,

S. 90. 300 301

Vgl. Eberhardt, S. 10, 22 ff.; Bihler, S. 139; Weimar, Psychologische Strukturen, S. 90 f. Vgl. Eberhardt, S. 26 ff.; Bihler, S. 139 f.; Weimar, Psychologische Strukturen, S. 91 ff.

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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chung dogmatischer Konstruktionen und Lehrsätze sowie von Präjudizien ausgeprägt wurden, spielen vom Richter übernommene Fremdwertungen, die zur Entstehung von Haftwerten geführt haben, insbesondere für die Beurteilung der rechtlichen Seite des Entscheidungsproblems eine bedeutende Rolle. Sie setzen den Richter in den Stand, den Fall schon bei Durchsicht der Ausgangsinformationen aufgrund des Vorverständnisses unbewusst rechtlich zu qualifizieren und im Normensystem zu verorten, und steuern den weiteren Informationsverarbeitungsprozess sowie die Bildung der Entscheidungsprämissen. Damit scheint die Übernahme von Fremdwertungen aus dem Bereich der Rechtsdogmatik und der Präjudizien, soweit sie im Rahmen des Vorverständnisses zur Wirkung gelangen, eine Rückbindung des Urteils an die Wertvorstellungen der Gesamtrechtsordnung zu ermöglichen. Demgegenüber wird nun allerdings der Versuch unternommen, die maßgebliche Triebfeder für die richterliche Bewertung des Falls und das Ergebnis der Entscheidung in erster Linie in den persönlichen Ansichten und Einstellungen des Richters zu suchen, die dieser infolge seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe bzw. sozialen Schicht ausgebildet hat.302 Diese Auffassung rückt mit der durch Einstellungen geleiteten Fallbeurteilung eine der Wertung aufgrund übernommener Fremdwertungen verwandte Erscheinungsform ins Blickfeld. Gestützt auf die Erkenntnisse der Sozialpsychologie lassen sich Einstellungen beschreiben als einen Bereitschaftszustand, der im Hinblick auf die bewertende Reaktion eines Individuums gegenüber einem Einstellungsobjekt Verhaltenswirksamkeit entfaltet.303 Im Verhältnis zu Werten stellen Einstellungen Repräsentationen geringeren Abstraktionsgrads dar. Sie beruhen – ebenso wie die Bildung von Werten – auf Lernprozessen, die entweder im unmittelbaren Umgang mit einem Objekt ablaufen oder im Wege sozialer Vermittlung zum Erlernen allgemeiner Wertvorstellungen und zu spezifischen Einstellungen geführt haben.304 Nach der o. g. Ansicht nimmt der Richter folglich eine Bewertung aufgrund sozial vermittelter Attitüden vor; bei dieser kommen allerdings nicht Wertvorstellungen und Einstellungen rechtsdogmatischer Natur zum Tragen, welche eine rationale Entscheidungsfindung in Rückbindung an die Regeln und Prinzipien der Rechtsordnung ermöglichen, sondern solche, die durch das in der Umwelt, im sozialen Feld des Richters vorherrschende Wertsystem geprägt sind. Die schichtspezifische Steuerung habe nun zur Folge, dass an Stelle einer Entscheidungslenkung durch das Normgefüge informelle „Strategien der Alttagstheorien“ zur Anwendung kämen; und diese Alltagstheorien führten dann dazu, dass die soziale Wirklichkeit an sich, 302 So etwa Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (113 ff.); Kininger, S. 38 ff., 56 ff.; Weimar, Psychologische Strukturen, S. 186 ff. Zu diesem Phänomen auch Ryffel, S. 350 ff. 303 Zum Begriff der Einstellung vgl. Stroebe / Jonas / Hewstone / Bohner, S. 267 f.; Fischer / Wiswede, S. 208 ff.; Wilpert, Organisationspsychologie, S. 155 (178 f.). Nach dem verbreitet befürworteten „Drei-Komponenten-Modell“ weisen Einstellungen jeweils eine affektive, kognitive und verhaltensbezogene Dimension auf. 304 Vgl. Fischer / Wiswede, S. 221 f.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

insbesondere aber die Lebensverhältnisse der Unterschicht vorurteilsbehaftet und daher unrichtig beurteilt würden.305 Auswirkungen zeigten die Einstellungen zunächst bei der Ermittlung und Bewertung der faktischen Informationen, da sie in die Wahrnehmung und Würdigung von Sachverhaltsaussagen eingingen.306 Sodann kämen sie auch auf der rechtlichen Seite der Prüfung zur Geltung, was angesichts der Ausfüllungsbedürftigkeit und nur begrenzten Steuerungskraft der Rechtsvorschriften insbesondere bei Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen der Fall sei.307 Die Annahme einer heteronomen Steuerung des Richters durch „schichtspezifische“ Vorurteile stellt jedoch eine Behauptung dar, die nicht nur eines Beweises, sondern bereits der Plausibilität entbehrt und daher abzulehnen ist.308 Ebenso wie dem Verdacht einer vorurteilsbehafteten, vom Normgefüge der Rechtsordnung abstrahierten Bildung der Lösungshypothese im Rahmen der Entscheidungsphase der Problemdefinition eine Absage zu erteilen ist,309 gilt dies auch für die Mutmaßung einer gesellschaftlich determinierten Informationsgewinnung und -auswertung. Unabhängig davon, ob es gerechtfertigt ist, die Richterschaft kraft sozialer Herkunft als eine im dargestellten Sinne homogene Gruppe zu klassifizieren, zieht man mit der pauschalen Unterstellung einer durch die einschlägige Gesellschaftsschicht bedingten Fremdsteuerung lediglich die weitere soziale Umwelt in Beracht und blendet das u. U. weitaus stärker wirkende engere soziale Feld aus, in dem sich das Wertungssubjekt bewegt und das eigene, durchaus abweichende Wertvorstellungen hervorgebracht haben kann. Sofern eine für die Ausübung von Rechtsprechung maßgebliche Übernahme von Fremdwertungen in Rede steht, scheint es daher vorzugswürdig, von einer durch die professionelle Ausbildung und Tätigkeit veranlassten Entstehung richterspezifischer Einstellungen auszugehen und diese im Rechtserkenntnisprozess als dominant anzusehen.310 Zwar führt ein solches richtertypisches Vorverständnis – insofern wiederum durch die Zugehörigkeit zu einer speziellen Gruppe bedingt – ebenfalls zu einer (auch) heteronomen Steuerung des Subjekts, die eine Selektion bei der Gewinnung und Bewertung der Sachverhaltsinformationen und die Ausprägung und Anlegung bestimmter Maßstäbe bei der Interpretation von Rechtsnormen nach sich zieht. Die damit verbundene Eigentümlichkeit der Sicht- und Herangehensweise ist allerdings – trotz der perspektivischen Grenzen, die das Verhaftetsein in jeglichem Wertsystem mit sich bringt – umso eher hinnehmbar, als sie auf einem breiten Fundament dogmatischer und präjudizieller Vorleistungen sowie einem eigens gewonnenen Erfahrungsschatz aufbaut. Sie bietet die – in Relation zu anderen Gruppeneinflüssen – Vgl. Kininger, S. 40 f. m. w. N., 56 f. Vgl. Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (113 f.); Kininger, S. 57 f. 307 Vgl. Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (115), der hier die Wirkung in noch stärkerem Maße als bei der Tatfrage als gegeben ansieht; Kininger, S. 56 f. 308 Ablehnend auch Larenz, S. 211; Schünemann, Rechtsprechungslehre, S. 461 (470 f.). 309 Vgl. oben § 7 II. 1. c). 310 Vgl. Schünemann, Rechtsprechungslehre, S. 461 (470 f.). 305 306

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größtmögliche Gewähr für die Rationalität der Entscheidung und eine Rückbindung an die Wertvorstellungen der Rechtsordnung. (3) Besonderheiten bei Kollegialentscheidungen Besonderheiten im Hinblick auf die Einflussfaktoren richterlicher Wertung ergeben sich bei Kollegialentscheidungen, wo sich verschiedenartige gruppenspezifische Effekte auf das Ergebnis der Entscheidung auswirken. So weisen Mitglieder von Kollegien in ihrem Entscheidungsverhalten zunächst eine Tendenz zur Konformität bzw. Uniformität auf.311 Diese äußert sich in dem Streben nach Angleichung und Vereinheitlichung der Meinungen innerhalb des Kollegiums. Unter Berücksichtigung der Einstellung der Gruppenmitglieder kann Konformität auf verschiedene Weise hergestellt werden. Hat sich eine Mehrheitsmeinung gebildet, findet möglicherweise eine einseitige Bewegung eines einzelnen Mitglieds in Richtung auf die Mehrheitsmeinung statt, obwohl dies nicht der Überzeugung des Mitglieds entspricht. Diese Haltung wird als compliance bezeichnet.312 Möglich ist aber auch, dass sich der Einzelne mit der Majorität konform verhält, weil die Gruppe zwischenzeitlich seine Einstellung beeinflusst hat, sei es, dass er der Einsicht in die Richtigkeit bzw. Angemessenheit des geforderten Verhaltens folgt (acceptance)313 oder dass er die verlangte Einstellung bereits verinnerlicht hat (Internalisierung, Konversion).314 Führt die Interaktion in der Gruppe im Bereich von Werturteilen zur acceptance und schließlich zur Verinnerlichung, weil das Mitglied sich den Wertungen der anderen aus Überzeugung anschließt, so liegt eine echte Übernahme von Fremdwertungen vor. Im Fall von compliance übernimmt das Gruppenmitglied die fremde Wertung hingegen nur zum Schein und nach außen hin; eine wirkliche Wertbildung findet bei ihm nicht statt. Konformität kann darüber hinaus auch im Wege eines wechselseitigen Angleichungsprozesses der Auffassungen entstehen; dies führt zu Kompromissen und zugleich zu einer Neutralisation extremer Lösungsansätze.315 Wo eine Kompromissfindung allerdings nicht gelingt, muss letztlich das Mehrheitsprinzip den Ausschlag geben. Ein zweites gruppentypisches Phänomen liegt in einer im Verhältnis zu Einzelentscheidungen gesteigerten Risikofreude.316 Sie führt zu größerer Aufgeschlos311 Vgl. Fischer / Wiswede, S. 583 ff.; Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (117 ff.); Irle, Gruppen- und Lerntheorien, S. 39 (42 ff.); von Nitsch, S. 63 ff.; 74 f.; Stroebe / Jonas / Hewstone / van Avermaet, S. 453 ff.; Weimar, Psychologische Strukturen, S. 210 f. 312 Vgl. Fischer / Wiswede, S. 359; von Nitsch, S. 64; Stroebe / Jonas / Hewstone / van Avermaet, S. 458. 313 Vgl. Fischer / Wiswede, S. 359, Fn. 1, 523 f.; von Nitsch, S. 64. 314 Vgl. Fischer / Wiswede, S. 359, 523 f.; Stroebe / Jonas / Hewstone / van Avermaet, S. 458. 315 Vgl. Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (118); Weimar, Psychologische Strukturen, S. 199, 210. 316 Vgl. Fischer / Wiswede, S. 581 f.; Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (116 f.); von Nitsch, S. 75; a.A. Weimar, Psychologische Strukturen, S. 199.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

senheit gegenüber neuen Lösungen bei der Rechtsfortbildung. Dieser sog. risky shift beruht insbesondere auf dem Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe, der Gruppenkohäsion. Letztere zeichnet schließlich auch für eine dritte besondere Eigenschaft kollektiver Entscheidungsfindung verantwortlich, nämlich eine gesteigerte Immunität gegenüber nicht gruppenkonformen Ansichten und damit zugleich gegen Einflussnahme von außen; im Zuge des sog. ingroup bias kommt es zur Höherbewertung der eigenen Ansichten und Ablehnung dissonanter Meinungen verbunden mit der Tendenz zur „Selbstzensur“ innerhalb der Gruppe.317 (4) Selektive Wahrnehmung, Perseveranz und Entschlussperpetuierung Einige der Wirkungen, welche die Kohäsion bei Kollegialentscheidungen zeitigt, treten allerdings nicht allein innerhalb einer Gruppe auf, sondern beeinflussen auch bei Individualentscheidungen die Wertung und damit das Ergebnis. Zum einen handelt es sich hier um das bereits erwähnte Phänomen der selektiven Wahrnehmung und Auswertung von Informationen, die in der Herausbildung richterspezifischer, das Vorverständnis mitbestimmender Einstellungen ihre Ursache hat. Bei kollektiven Entscheidungen verstärkt sich dieser Effekt, da zusätzlich zur richtertypischen Attitüde auch das Kohäsionsgefühl und der ingroup bias die Wahrnehmung und Bewertung der faktischen und präskriptiven Informationen mitbestimmen.318 Zum anderen zeigen sich weitere, mit der Selektion des Informationsmaterials in enger Verbindung stehende Tendenzen, die gleichermaßen Einzel- wie Gruppenentscheidungen betreffen, nämlich die Neigung zum (u. U. beharrlichen) Festhalten an einmal gefundenen Lösungsansätzen im Laufe des weiteren Verfahrens (Strategie der Perseveranz)319 sowie zur Beibehaltung der gewählten Alternative nach Abschluss des Entscheidungsverfahrens (Entschlussperpetuierung).320 Die Perseveranz hat ihre Ursache im sog. Primacy-Effekt, der bewirkt, dass die zuerst aufgenommenen Informationen den größten Einfluss auf den Gesamteindruck ausüben und dieser durch widerrufende Informationen schwer zu erschüttern ist.321 Perseveranz- und Primacy-Effekt stellen rationalitätsmindernde Inputfehler dar, die zur selektiven Informationsaufnahme führen. Ein der Perseveranz während des Verfahrens ähnlicher Effekt zeigt sich nach Abschluss der Entscheidungsfindung in Gestalt der Perpetuierung, die eine Tendenz zur Wahrnehmung das Ergebnis stützender Informationen auch im Nachgang des Verfahrens zur Folge hat. Die 317 Vgl. Brandstätter, Organisationspsychologie, S. 505 (517); Fischer / Wiswede, S. 565; von Nitsch, S. 75; Stroebe / Jonas / Hewstone / van Avermaet, S. 482 ff.; Weimar, Psychologische Strukturen, S. 199, 201 f. 318 Vgl. von Nitsch, S. 75. 319 Vgl. Kininger, S. 58 f.; Kirsch, S. 121 ff. 320 Vgl. Weimar, Psychologische Strukturen, S. 134 f. 321 Vgl. Fischer / Wiswede, S. 192, 309; Strack, Motivations- und Informationsverarbeitungstheorien, S. 239 (263); Stroebe / Jonas / Hewstone / Fiedler / Bless, S. 136.

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genannten Phänomene stehen allerdings der obigen Annahme einer gesteigerten Risikofreude bei Kollegialentscheidungen nicht entgegen. Da sie Verhaltensweisen beschreiben, die entweder nur innerhalb desselben Entscheidungsfindungsprozesses zur Geltung kommen (Perseveranz) oder sich lediglich auf gleichgelagerte Fallkonstellationen auswirken (Perpetuierung), schließen sie nicht die Bereitschaft aus, bei neu auftauchenden Problemen innovative Lösungswege zu beschreiten. Für die Frage, wie viel Raum nun einem individuellen „Eigenanteil“ des Wertungssubjekts bei der richterlichen Entscheidungsfindung verbleibt, ist ausschlaggebend, in welchem Maße eine Übernahme von richterspezifischen oder auch gesellschaftlichen Fremdwertungen stattgefunden hat und wie weit sich unmittelbare Wertungen und autonom gebildete, von den Fremdwertungen abweichende Haftwerte durchsetzen. Ebenso hängt das Ergebnis der Bewertung des jeweiligen Entscheidungsproblems davon ab, wie intensiv sich Primacy- und Perseveranz-Effekt, Entschlussperpetuierung sowie bei Kollegialentscheidungen die gruppenspezifischen Effekte auswirken und ihrerseits zu einer selektiven Aufnahme und Auswertung der faktischen und präskriptiven Informationen beitragen. Im Bereich der unmittelbaren Wertungen wirken im konkreten Fall daneben in bestimmten Grenzen auch Stimmungslagen, Affektionen und die Tagesform auf den Informationsverarbeitungsprozess ein. Der originär subjektabhängige Anteil an der Wertung kann somit als Einflussfaktor nicht außer Acht gelassen werden.

(5) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Ergebnis der richterlichen Bewertung des zur Entscheidung gestellten Falls von diversen, z. T. miteinander zusammenhängenden Faktoren abhängt. Zunächst bestimmt sich die Richtung des zur Problemlösung eingeschlagenen Kurses infolge der Wechselbezüglichkeit von tatsächlicher und rechtlicher Prüfung nach den bei den jeweils vorangegangenen zur Lösung führenden Schritten getätigten Wertungen. Sie beeinflussen den weiteren Gang der Prüfung und den Inhalt der faktischen sowie normativen Entscheidungsprämisse und damit auch den Punkt, an dem der Richter die größte Übereinstimmung beider Prämissen markieren kann. Im Rahmen dieses wechselseitigen Prozesses der Prämissenbildung beeinflusst das Vorverständnis die Bildung der Lösungshypothese und den weiteren Fortgang der Informationsgewinnung und -auswertung. Für das Entstehen des Vorverständnisses und als Quelle richterlicher Werturteile wiederum sind zu einem erheblichen Anteil Fremdwertungen maßgeblich, die der Richter im Zuge seiner Ausbildung und beruflichen Erfahrung übernommen hat. Der Einfluss durch Rechtsdogmatik und Präjudizien vermittelter richtertypischer Einstellungen ist weitaus höher einzuschätzen als der derjenige der gelegentlich unterstellten gesellschaftsschichtspezifischen Steuerung. Ebenso wie die mit dem richterlichen Vorverständnis verbundene Sicht- und Herangehensweise eine Selektion der faktischen und präskriptiven Informationen be-

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wirkt, begünstigen auch weitere Faktoren wie Primacy-Effekt, Perseveranz und Entschlussperpetuierung eine selektive Informationswahrnehmung und -auswertung. Bei Kollegialentscheidungen kommen zusätzlich gruppenspezifische Phänomene wie Tendenz zur Konformität, gesteigerte Risikofreude und eine gegenüber nicht gruppenkonformen Ansichten abwehrende Haltung zum Tragen. Schließlich verbleibt dennoch als Einflussfaktor ein originär subjektgebundener und damit autonom gesteuerter „Eigenanteil“ an der Wertung. Dessen Bedeutung bestimmt sich danach, in welchem Maße sich unmittelbare Wertungen, eigens gebildete Haftwerte, übernommene Fremdwertungen und die im vorangegangenen Absatz genannten Faktoren jeweils bei der Urteilsbildung durchsetzen. Letztlich hängt der Einfluss autonomer und heteronomer Steuerung bei der Wertung sowohl vom Entscheidungsträger als auch von der konkreten Entscheidungssituation ab.

d) Zwischenergebnis Die obige Darstellung hat erbracht, dass die richterliche Entscheidungsproduktion zum einen unter Bedingungen stattfindet, die der Erkenntnisleistung bereits eine äußere Grenze setzen, und dass sie zum anderen auf Wertungen beruht, auf die wiederum unterschiedliche Faktoren einwirken. Betreffend die Erkenntnisbedingungen ist als äußere Grenze der Lösungssuche im gerichtlichen Verfahren der in Art. 19 Abs. 4 GG angelegte Zielkonflikt zu nennen, der sich bestenfalls nach Effizienzkriterien bewältigen lässt und eine uneingeschränkte Verwirklichung beider konkurrierenden Zielgrößen, nämlich der Vollständigkeit und der Zeitangemessenheit der Prüfung, ausschließt. Als weitere verfahrensbedingte Restriktion ist der Zusammenhang zwischen tatsächlicher und rechtlicher Prüfung zu kennzeichnen, in dessen Folge – unabhängig von Wertungsgesichtspunkten – der Zugang zu faktischen Informationen an sich schon die richterliche Erkenntnis begrenzt. Schließlich kommt bei der Entscheidungsfindung die richterliche Wertung zum Tragen, welche den Gang der Informationsverarbeitung und die Herstellung der Entscheidungsprämissen beeinflusst und ihrerseits je nach Entscheidungsträger und Entscheidungssituation ihrerseits stärker auf autonom oder heteronom gebildeten Werturteilen beruht. Somit stellt sich jede gerichtliche Entscheidung letztlich als ein Produkt des wertenden Subjekts und der konkreten Handlungsbedingungen dar. Ausgehend von den genannten, die Erkenntnisleistung einschränkenden bzw. ihr Ergebnis beeinflussenden Faktoren sind im Folgenden die Konsequenzen für die Verwendbarkeit des Richtigkeitskriteriums im Zusammenhang mit der richterlichen Entscheidungsfindung zu untersuchen.

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2. Konsequenzen für das Kriterium der „Richtigkeit“ Zur Beurteilung, welche Anforderungen an das Ergebnis der rechtlichen Prüfung zu stellen sind und ob die Kategorie der „Richtigkeit“ zur Beschreibung des Prüfungsziels in diesem Kontext ihre Berechtigung hat, soll zunächst auf die bereits vorgestellten, in der Rechtstheorie und Methodenlehre vertretenen Richtigkeitskonzeptionen322 eingegangen werden. Sodann sind die Folgerungen aus dem Ergebnis dieser Bewertung zu erörtern.

a) Absolutes Richtigkeitsverständnis Der insbesondere von Dworkin vertretenen ontologischen These von der Existenz einer einzig richtigen Lösung für jedes Rechtsproblem liegt ein absolutes Richtigkeitsverständnis zugrunde.323 Dworkins theoretischer Ansatz sieht sich von Seiten der Vertreter einer relativierten Auffassung von Richtigkeit berechtigterweise breiter Kritik und Ablehnung ausgesetzt.324 Er lässt sich aus den im Folgenden darzulegenden Gründen nicht aufrechterhalten.

aa) Verkennung des Verfahrens-, Subjekt-, Wert- und Zeitbezugs der Erkenntnis Zunächst ist aus erkenntnistheoretischer und rechtstheoretischer Sicht zu beanstanden, dass nach der absoluten Richtigkeitskonzeption die einzig richtige Entscheidung sowohl von den Verfahren, die die Rechtsordnung zur Verfügung stellt, als auch vom Entscheidungssubjekt selbst losgelöst betrachtet wird. Eine solche Anschauung führt einerseits dazu, dass das Verfahren lediglich der Aufdeckung der bereits vorhandenen Lösung dient und dem Ergebnis des Verfahrens damit nur deklaratorische Funktion zukommt.325 Unabhängig davon, ob diese Aufgabenzuweisung der dem Erkenntnisverfahren durch die Rechtsordnung vorgegebenen Funktion im Übrigen gerecht wird, verkennt die absolute Richtigkeitsauffassung, dass die Prüfung im gerichtlichen Verfahren nicht allein durch faktische Umstände wie den Zugang zu Tatsachen und die zur Verfügung stehende Zeit, sondern bereits durch Rechtsvorschriften des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts beschränkt ist. Wenn nämlich z. B. Präklusionsregeln326 bzw. Revisionsrecht327 die Gewinnung und Auswertung zusätzlicher faktischer Informationen grundsätzlich 322 323 324 325 326 327

s. oben II. 2. Vgl. hierzu oben II. 2. a). Vgl. oben II. 2.b). Vgl. Langenbucher, S. 38; Schulz, Norm und Entscheidung, S. 153 (155). s. etwa §§ 296, 296 a, 530, 531 ZPO und §§ 87 b Abs. 3, 128 a VwGO. s. etwa § 559 ZPO und § 137 Abs. 2 VwGO.

11 Windoffer

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untersagen oder materielles sowie Prozessrecht bei Ermessensentscheidungen und im Bereich der planerischen Abwägung die gerichtliche Kontrolldichte begrenzen,328 so verdeutlicht dies, dass nur die im Verfahren unter den für dieses geltenden einschränkenden Bedingungen gefundene Lösung die „richtige“ darstellen kann und eine außerhalb des Verfahrens bestehende, hiervon abweichende „einzig richtige Lösung“ kraft Gesetzes unberücksichtigt bleiben muss. Zum anderen lässt die absolute Richtigkeitsauffassung außer Betracht, dass das Erkenntnisverfahren im Bereich des Normativen letztlich auf eine Erkenntnis des Inhalts von Werturteilen gerichtet ist und der Begründungszusammenhang notwendigerweise Wertungen einschließt, weshalb das Ergebnis der Prozedur nicht abgelöst vom Entscheidungssubjekt betrachtet werden kann, das sich mit seinen Wertvorstellungen in den Erkenntnisprozess einbringt.329 Die Lösung für das Rechtsproblem entsteht folglich im Verfahren und erhält seine inhaltliche Ausprägung durch das erkennende und wertende Subjekt. Dieser der Rechtserkenntnis und damit dem Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung innewohnende besondere Verfahrensbezug einerseits sowie Subjekt- und Wertbezug andererseits bleiben bei Dworkin unberücksichtigt. Indem sich die Erkenntnisleistung im Bereich des Normativen an das wertende Subjekt knüpft, ist sie darüber hinaus – wie jegliche wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt – zeitgebunden und spiegelt damit den Stand der Forschung, d. h. konkret die Wertvorstellungen zum jeweiligen Zeitpunkt wider.330 Zum Verfahrens-, Subjekt- und Wertbezug tritt folglich wiederum der Zeitbezug der Erkenntnis, und zwar in diesem Zusammenhang nun in seiner qualitativen Komponente. Das im konkreten gerichtlichen Verfahren gefundene Ergebnis steht immer unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis,331 und zwar nicht allein aufgrund der im jeweiligen Verfahren für die Informationsgewinnung und -auswertung nur begrenzt zur Verfügung stehenden Zeit (quantitativer Zeitbezug),332 sondern auch infolge des Wandels der Gesetzesauslegung in der Zeit (qualitativer Zeitbezug).333 Während nun aber auf dem Gebiet der Naturwissenschaften die Existenz einer objektiven Wahrheit nicht per se ausgeschlossen ist, sondern nur ihre positive Begründung an der Begrenztheit menschlichen Erkenntnisvermögens scheitert, so dass man sich mit den „Wahrheiten“ der jeweiligen Zeit begnügen muss, spricht bei der Werterkenntnis deren Subjekt- und Zeitgebundenheit bereits grundsätzlich gegen die Existenz einer einzigen, objektiv und zeitunabhängig richtigen Lösung, die es im Verfahren nur aufzudecken gelte. Insbesondere ist ein Wandel der Wertvorstellungen und der Vgl. hierzu oben § 5 IV. 1. b) und c). Vgl. oben II. 2. b) aa) und III. 1. c) aa). 330 Vgl. oben II. 2. b) aa). 331 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1999, 1357; Alexy, Argumentation, S. 358; Weimar, Psychologische Strukturen, S. 83. 332 Vgl. oben 1. a). 333 Vgl. zur Zeitgebundenheit der Auslegung von Gesetzen Larenz, S. 314 f. 328 329

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Interpretation von Normen nicht notwendig einem Fortschritt in der naturwissenschaftlichen Forschung gleich zu achten, der die Forschergemeinschaft in einem kontinuierlichen Prozess der Wahrheit näher bringt; vielmehr besteht hier in deutlich stärkerem Maße die Möglichkeit (oder Gefahr) einer Rückkehr zu zwischenzeitlich überwunden geglaubten und insofern ehedem für „falsifiziert“ gehaltenen Anschauungen.334 Angesichts der Abhängigkeit des Inhalts von Werturteilen vom erkennenden Subjekt und vom jeweiligen Zeitpunkt der Erkenntnis erweist sich die – in Anbetracht realer Diskurs- und Entscheidungsbedingungen ohnehin rein fiktionale – Konstitution einer umfassenden, stets zur richtigen Lösung führenden Rechtstheorie durch Dworkins Superrichter Herkules schon im Denkansatz als ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Denn auch Herkules würde sich in seinem Erkenntnisprozess im Bereich des Werthaften bewegen, sich mit im vorhandenen Informationsmaterial enthaltenen Werturteilsbekundungen auseinandersetzen müssen und in dem Ergebnis seiner Suche unvermeidlich seine eigenen, ihrerseits durch die Bildung von Haftwerten und die Übernahme von Fremdwertungen entstandenen Wertvorstellungen zum Ausdruck bringen. Mag dieses Ergebnis auf noch so gründlicher Recherche und überzeugender Argumentation beruhen, so bietet doch nicht einmal die Entscheidungsfindung durch den Idealrichter einen Ausweg aus dem Dilemma, dass eine Verifikation der Aussage, die vertretene Lösung stelle die einzig richtige dar, niemals gelingen wird. Auch Herkules’ Methode der Rechtserkenntnis vermag mangels intersubjektiver Nachprüfbarkeit nicht zu verbürgen, dass das gefundene Ergebnis objektiv und ausschließlich richtig ist.335

bb) Konzeptionelle Widersprüche Unabhängig davon jedoch, wie man die im ontologischen Sinne gestellte Existenzfrage letztlich beantwortet, verliert die einzig richtige Lösung in Dworkins rechtstheoretischem Konzept auch als regulative Idee ihre Sinnhaftigkeit. Dies folgt nicht bereits daraus, dass ein gewöhnlicher, nicht über Herkules’ Fähigkeiten verfügender Richter zu ihrer Auffindung außerstande sein soll. Denn insofern befindet sich Dworkin durchaus in Übereinstimmung mit der Position des Kritischen Rationalismus, nämlich dass dem Menschen die letztgültige Wahrheit verborgen bleibe. Ebenso trägt dieses Zugeständnis den oben336 angeführten äußeren Grenzen des Erkenntnisverfahrens Rechnung. Nicht zu beanstanden ist auch die mit richterlichen Entscheidungen verbundene grundsätzliche Leitvorstellung, nach der „einzig richtigen Lösung“ für das Entscheidungsproblem zu suchen. Das Streben nach 334 Insofern ist es bezogen auf den o. g., auch nachfolgend des Öfteren angeführten „Vorbehalt besserer Erkenntnis“ letztlich eine Frage des persönlichen Standpunkts, ob der Fortgang des Wahrheitsfindungsprozesses das Prädikat „besser“ verdient. 335 Vgl. Langenbucher, S. 35 f. 336 1. a) und b).

11*

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

richtigen Antworten auf normative Fragestellungen entspricht der jede wissenschaftliche Betätigung beherrschenden Suche nach Wahrheit. Keineswegs darf hieraus allerdings im Umkehrschluss gefolgert werden, allein diese – gemäß Dworkin dem Richter in der Praxis regelmäßig nicht zugängliche – Ideallösung entspreche den Anforderungen an eine im Sinne von Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG gesetzmäßige Entscheidung. Sofern mit der ontologischen These eine Verpflichtung des Richters verbunden wird, die einzig richtige Antwort zu finden,337 ist dem in Anlehnung an den römischrechtlichen Grundsatz impossibilium nulla est obligatio entgegenzutreten. Auch unter Zugrundelegung der entscheidungstheoretischen Kriterien für eine rationale Entscheidungsfindung338 erweist sich eine Verpflichtung des Richters, die einzig richtige Antwort aufzudecken, als ein widersprüchliches Ansinnen. Ginge man von einer solchen Aufgabenstellung aus, läge das Ziel der Entscheidung darin, sich objektiv rational zu verhalten, nämlich wie Herkules sämtliche objektiv verfügbaren Informationen zu gewinnen und zu verarbeiten und auf diese Weise die Ideallösung aufzufinden. Da jedoch, wie auch Dworkin konzediert, die Möglichkeit ausgeschlossen sein soll, in der Prozesssituation die Zielsetzung eines objektiver Rationalität entsprechenden Zustands zu verwirklichen, bedeutet dies zugleich die Aufgabe der Voraussetzung formaler Entscheidungsrationalität. Wenn der Richter einerseits das Ziel verfolgen muss, die objektiv richtige Lösung zu finden, er andererseits aber von vornherein weiß, dass er dieses Ziel im von ihm durchzuführenden Verfahren der Entscheidungsfindung nicht erreichen kann, besteht zwischen der Zielvorstellung und dem Verhalten des Entscheidungssubjekts eine unüberwindliche Diskrepanz. Der Richter verhält sich wissentlich nicht zielsystemkonform. Insofern bleibt die regulative Idee zwar Leit- oder vielmehr Wunschvorstellung, vermag jedoch nicht als Ziel einer rational zu treffenden Entscheidung zu fungieren. In der Folge der vorstehend genannten entscheidungstheoretischen Diskrepanz wäre der Richter im Übrigen genötigt, nicht allein hinsichtlich der faktischen, sondern auch bezüglich der normativen Entscheidungsprämisse von einer Risikosituation auszugehen. Hierbei hätte der (u. U. eklatant) unvollkommene Informationsstand nicht nur zur Folge, dass in Bezug auf die tatsächlichen Informationen vielfach der geforderte Grad der Überzeugung339 nicht zu erreichen wäre, sondern der Richter wäre überdies gehalten, die rechtliche Prämisse auf Wahrscheinlichkeitsbasis, z. B. aufgrund überwiegender Wahrscheinlichkeit zu bilden und damit für Rechtsfragen unzulässige Beurteilungsgrade340 anlegen zu müssen. Ein Anspruch des Inhalts, dass die gefundene Lösung die einzig richtige darstelle, könnte dann im Übrigen freilich nicht erhoben werden. 337 338 339 340

In diesem Sinne Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 144. Vgl. oben II. 1. Vgl. hierzu oben § 7 I. 1. c). Vgl. oben § 6 II. 2.

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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cc) Ergebnis Dem absoluten Richtigkeitsverständnis, welches Dworkins rechtstheoretischem Konzept zugrunde liegt, kann somit nicht zugestimmt werden. Wie dargelegt, missachtet es den besonderen Verfahrens-, Wert-, Subjekt- und Zeitbezug der Erkenntnis im Bereich des Normativen und lässt mangels Verifizierbarkeit der einzig richtigen Antwort auf rechtliche Fragen eine unüberbrückbare Kluft zwischen Erkenntnisziel und real gegebenen Erkenntnismöglichkeiten entstehen, die den Richter zur bewussten Abweichung von der Vorgabe zielsystemkonformen Verhaltens zwingt. Infolge dieser Diskrepanz ist eine den formalen Rationalitätsanforderungen genügende Entscheidungsfindung ausgeschlossen. Außerdem ist der Richter gezwungen, die rechtliche Prämisse unzulässigerweise als auf Wahrscheinlichkeitserwägungen beruhend auszugeben. Da die einzig richtige Lösung, selbst wenn man ihre Existenz voraussetzte, jedenfalls nicht auffindbar ist, kann sie folglich weder aus entscheidungstheoretischen noch aus verfassungsrechtlichen Gründen das Ziel richterlicher Entscheidungen darstellen. b) Relatives Richtigkeitsverständnis Die relativierten, intersubjektiven Richtigkeitskonzeptionen341 weisen z. T. nachvollziehbare Ansatzpunkte auf, stellen sich jedoch insgesamt ebenfalls als unzulänglich dar. Nicht zu überzeugen vermögen insbesondere die Richtigkeitskriterien des Konsenses und der Konvergenz, die hohe bzw. maximale Anforderungen an die Aussagenrelation stellen. Sie führen ebenso wie das absolute Richtigkeitsverständnis zu entscheidungstheoretischen Widersprüchen und vernachlässigen den qualitativen Zeitbezug sowie den Wert- und Subjektbezug der Erkenntnis. Des Weiteren wird auch mit den intersubjektiven Richtigkeitskriterien im Übrigen eine Auswahl der im Hinblick auf die Aussagenrelation in Betracht gezogenen Zielgruppen getroffen, die keine Zustimmung verdient, oder es wird zu einseitig auf das prozedurale Element der Erkenntnis abgestellt. In der folgenden Darstellung sollen diese Gesichtspunkte bezogen auf die jeweiligen Richtigkeitskonzeptionen näher beleuchtet werden. aa) Mängel des Konsens- und des Konvergenzkriteriums Die von Habermas entwickelte Konsensustheorie und die Konvergenztheorie Arthur Kaufmanns unterscheiden sich dadurch, dass letztere trotz prozeduralen Ausgangspunkts die Richtigkeit maßgeblich auf sachlich-inhaltliche Kriterien stützt, während erstere den rein prozeduralen Standpunkt nicht verlässt. Beide 341

Vgl. oben II. 2. b).

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

Theorien beruhen auf der zutreffenden Annahme, dass dem Entscheidungsverfahren nicht die Aufgabe zufällt, eine außerhalb und unabhängig von ihm bestehende „einzig richtige Lösung“ aufzudecken, sondern dass das Recht in dem auf seine Erkenntnis gerichteten Verfahren erst entsteht. Damit wird der besondere Verfahrensbezug der richterlichen Rechtserkenntnis berücksichtigt. Zugleich trägt die prozedurale bzw. auch-prozedurale Konzeption dem Wertbezug und damit auch dem Subjektbezug der Erkenntnisleistung im gerichtlichen Verfahren zumindest insoweit Rechnung, als sie das Postulat der methodischen Wertfreiheit und das Subjekt-Objekt-Schema im Begründungszusammenhang der Normerkenntnis ablehnt. Genau diesen Wert- und Subjektbezug sowie darüber hinaus auch den qualitativen Zeitbezug lassen beide Theorien allerdings infolge hoher Anforderungen an die Relation der von den Diskursteilnehmern getätigten Aussagen wiederum außer Acht. (1) Richtigkeit kraft Konsenses Gegen das seitens der Konsensustheorie vorgebrachte Richtigkeitskriterium des Konsenses spricht zunächst der qualitative Zeitbezug jeglicher wissenschaftlichen Erkenntnis einschließlich derjenigen der normativen Verstehenswissenschaften. Geht man im Sinne des Kritischen Rationalismus davon aus, dass eine Verifikation von Theorien niemals möglich ist, hilft auch die Übereinstimmung der gesamten Forscher- oder Praktikergemeinschaft darüber nicht hinweg. Lässt man demgegenüber die rein formale Übereinstimmung als Verifikation gelten, gerät man in Erklärungsnot, wenn sich der Konsens, angestoßen durch eine neu ins Gespräch gebrachte Hypothese, wieder auflöst. Unter beiden Prämissen zeigt sich, dass der Konsens nicht geeignet ist, einen Schlusspunkt unter den wissenschaftlichen Diskurs und den Erkenntnisfortschritt zu setzen.342 Abzulehnen als Richtigkeit gewährleistendes Kriterium ist der Konsens auch unter Berücksichtigung der in den Blick genommenen Zielgruppe. Nach der Konsensustheorie ist auf die Zustimmung sämtlicher potenzieller Gesprächsteilnehmer abzustellen.343 Wenn jedoch die Richtigkeit einer Lösung von der Zustimmung aller als notwendige Bedingung abhängt, sind in der Praxis keine richtigen Urteile und Beschlüsse von Gerichten zu erwarten. Die zur Kennzeichnung einer Entscheidung als „richtig“ erforderliche ubiquitäre Übereinstimmung lässt sich nämlich praktisch niemals erreichen. Das geforderte Maximum im Hinblick auf die Aussagenrelation und den avisierten Adressatenkreis führt nun wie bei der absoluten Richtigkeitskonzeption zu einem Widerspruch mit dem entscheidungstheoretischen Gebot formaler Rationalität der Entscheidungsfindung, da auch hier dem Entscheidungsträger ein wissentliches Abweichen von seinem Zielsystem angesonnen wird. Zwar liegt der Mangel an Zielkonformität nicht daran, dass als Ziel der Entscheidung die Entdeckung ei342 343

Vgl. die in Fn. 235 Genannten. Vgl. Habermas, Vorstudien, S. 127 (136 f.).

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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ner bekanntermaßen nicht auffindbaren einzig richtigen Lösung formuliert wird. Dies wäre nur der Fall, wenn mit der Entscheidung ein Geltungsanspruch des Inhalts erhoben würde, das vorgeschlagene Ergebnis stelle das objektiv einzig richtige dar. Die Diskrepanz zwischen Entscheidungsziel und Entscheidungsverhalten ergibt sich jedoch daraus, dass der Richter niemals davon ausgehen kann, über seine Lösung einen allgemeinen Konsens herstellen zu können. Der Grund hierfür liegt wiederum an dem oben344 nachgewiesenen Wert- und Subjektbezug der Rechtserkenntnis. Dieser hat zur Folge, dass – im Unterschied etwa zu mathematischen Berechnungen oder naturwissenschaftlichen Experimenten – auch ceteris paribus345 die Entscheidungsprämissen und der Punkt ihrer größtmöglichen Übereinstimmung, mithin das Ergebnis des Erkenntnisvorgangs von jedem Richter unterschiedlich bestimmt werden können.346 Eine völlig identische Aufklärung und Beurteilung desselben Falls in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch sämtliche potenziellen Rechtsanwender – sowie u. U. sogar durch denselben Richter zu einem späteren Zeitpunkt (qualitativer Zeitbezug) – kann praktisch ausgeschlossen werden.347 Dies gilt vor allem dann, wenn der Richter seine Entscheidung an dogmatischen Konstruktionen, Literaturstimmen oder Präjudizien orientiert, die bekanntermaßen umstritten sind und ggf. sogar mehrheitlich abgelehnt werden. Eine intersubjektive Bestätigung im Sinne eines sowohl zeit- als auch subjektunabhängigen Gleichklangs der Erkenntnisse im Falle einer fiktiven Wiederholung der konkreten Entscheidungssituation unter sonst gleichen Umständen ist im Bereich der Rechtserkenntnis eine realitätsferne Zielvorstellung. Umgekehrt bedeutet Konsens aller, nun als hinreichende Richtigkeitsbedingung verstanden, auch bei Entstehung unter idealen Verfahrensbedingungen sowie guter Begründung keinesfalls, dass zwingend eine nach materiell-inhaltlichen Kriterien vertretbare Lösung gefunden wurde.348 Damit ist schließlich als weiterer evidenter Einwand derjenige einer Überbetonung des Verfahrensbezugs und der mangelnden Rückbindung an sachlich-inhaltliche Kriterien angesprochen, welcher die Unzulänglichkeit des Konsenskriteriums zusätzlich unterstreicht. (2) Richtigkeit kraft sachlicher Konvergenz Anders als die Konsensustheorie berücksichtigt der ebenfalls intersubjektive Richtigkeitsansatz der Konvergenztheorie zwar den materialen Gehalt der Erkenntnisleistung. Jedoch wird auch hier der qualitative Zeitbezug der Erkenntnis verVgl. unter 1. c). „Unter sonst gleichen Umständen“ bedeutet hier, dass die übrigen unter 1. genannten Einflussfaktoren auf das Entscheidungsergebnis, nämlich der quantitative Zeitaspekt und der Zugang zu Tatsacheninformationen, unverändert bleiben und somit derselbe Fall unter identischen äußeren Bedingungen zur Entscheidung gestellt wird. 346 Vgl. Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574). 347 Vgl. Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 20 m. w. N. 348 Vgl. die in Fn. 247 und 248 Genannten. 344 345

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

nachlässigt, da die sachliche Konvergenz, sollte sie einmal erzielt werden, ebenso wie der formale Konsens angesichts der Offenheit des Diskurses für neue Argumente und Lösungsvorschläge keine Aussicht auf dauerhaften Bestand hat. Richtigkeit als Endziel und zugleich Abschluss der Lösungssuche lässt sich auch im Falle der Herstellung von Konvergenz nicht garantieren. Ferner ist zu bezweifeln, dass die vorausgesetzte Intersubjektivität in der Realität wie von der Konvergenztheorie vorgesehen hergestellt wird, nämlich durch unabhängig von anderen erzielte Erkenntnisgewinne.349 Eine solchermaßen verstandene „Unabhängigkeit“ kann jedenfalls für die Rechtsprechung nicht angenommen werden, soweit sie ihre Entscheidung an Präjudizien höherer Instanzen ausrichtet und letzteren dadurch zumindest faktische Bindungswirkung zukommt. Über diese Orientierung an Präjudizien hinaus, die nicht notwendigerweise zu einer echten Übernahme von Fremdwertungen führt, knüpfen die Erkenntnisse vielfach auch an dogmatische Vorarbeiten und Literaturstimmen an, welche als präskriptive Informationen in den Entscheidungsvorgang einfließen und denen ohne tiefgreifende Reflexion zugestimmt wird, so dass auch die „objektiven“ Elemente der Erkenntnis nicht auf einem unabhängigen, d. h. unbeeinflussten Nachvollzug beruhend angesehen werden können. In diesen Kontext spielt zudem wiederum der qualitative Zeitbezug hinein, da der inhaltliche Wandel dieser Vorleistungen auch auf den „objektiven“ Gehalt der konvergierenden Erkenntnisse einwirkt. Gegen das Konvergenzkriterium sind drei weitere Einwände vorzubringen, die dieses als Richtigkeitsmerkmal ebenso in Frage stellen wie das Konsensideal. Zum ersten führt die ins Auge gefasste universale Zielgruppe auch hier dazu, dass mangels in der Praxis erreichbarer sachlicher Übereinstimmung letztlich niemals in diesem Sinne richtige Entscheidungen erzeugt werden könnten. Dies bedeutet – zweitens – zugleich einen Verstoß gegen das Gebot formaler Entscheidungsrationalität und ein Außerachtlassen des Wert- und Subjektbezugs der Rechtserkenntnis, da mit der Konvergenz in einer Rechtsfrage und einem entsprechenden, die Bewährung dieses Sachhaltigen feststellenden Konsens wiederum wissentlich unrealistische Entscheidungsziele angestrebt würden. Drittens – und auch insoweit kann auf die Ausführungen unter (1) verwiesen werden – garantiert ebenso wie die formale auch die inhaltliche Übereinstimmung noch nicht die sachliche Richtigkeit der konvergierenden Erkenntnisse, zumal der Bestand einer evtl. Konvergenz angesichts des qualitativen Zeitbezugs auch und gerade der normativen Erkenntnis stets gefährdet wäre.

349

So aber Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 23 f.; ders., Rechtsphilosophie, S. 284 f.

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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bb) Unzulänglichkeit der übrigen Richtigkeitskriterien Als unzulänglich erweisen sich auch die übrigen Richtigkeitskriterien der Akzeptabilität, der Einsichtigkeit kraft sachlicher Evidenz sowie der diskursiven Konzeption Alexys. (1) Akzeptabilität und Einsichtigkeit kraft sachlicher Evidenz Erblickt man die Richtigkeit einer juristischen Entscheidung in ihrer Akzeptabilität, wie dies von Aarnio350 und Petev351 vertreten wird, oder legt man als Richtigkeitsmerkmal Essers Kriterium der Einsichtigkeit kraft sachlicher Evidenz zugrunde,352 so vermeidet man den Fehler einer Überbetonung des Verfahrensbezugs der Rechtserkenntnis. Indem einer einseitigen Orientierung an der Einhaltung verfahrensrechtlicher, methodischer und formallogischer Regeln sowie der Anforderungen an eine rationale Argumentation eine Absage erteilt wird, kommt hier die zutreffende Erkenntnis zum Tragen, dass die Befolgung dieser Grundsätze bei weitem noch keine hinreichende Bedingung für eine korrekte Entscheidung darstellt. Die Heranziehung sachlich-inhaltlicher Kriterien wird zu Recht für unerlässlich gehalten. Unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Aussagenrelation vermögen beide Konzeptionen jedoch nicht zu überzeugen. Entscheidungstheoretische Einwände betreffen zwar die Idee der Akzeptabilität nur mit Einschränkungen, da hier eine gegenüber der Konsensustheorie und der Konvergenztheorie weitaus realistischere Zielsetzung zugrunde gelegt wird, die den unter aa) angeführten entscheidungstheoretischen Widerspruch dieser Theorien in einer Vielzahl von Fällen vermeiden hilft. Auch wird das Ziel der Akzeptabilität zutreffender Weise nicht mit der Vorstellung verbunden, die einzig richtige Lösung zu vertreten und über das eigene gefundene Ergebnis einen allgemeinen Konsens herstellen zu können. Eine entsprechende Abkehr vom Konsens als Ziel der Entscheidung mit der Folge, entscheidungstheoretisch rationales Verhalten zu ermöglichen, vollzieht Esser freilich nicht, obgleich er die formale Übereinstimmung nicht als Richtigkeitskriterium genügen lässt. Indem nun aber das Konsensziel aufrechterhalten bleibt, ist hier der Herstellung formaler Entscheidungsrationalität grundsätzlich der Weg versperrt. Über den entscheidungstheoretischen Aspekt hinaus sprechen gegen beide Richtigkeitskriterien insbesondere die mit Blick auf die Aussagenrelation in Betracht gezogenen Zielgruppen und die angesonnene Orientierung an deren Richtigkeitserwartungen. Soweit mit dem Konsens Esser zufolge ubiquitäre Zustimmung anzustreben sein soll, kann auf die gegen die Konsensustheorie angeführten Gründe verwiesen werden. In gleicher Weise können aber auch weder die Mehrheit der 350 351 352

In: Rechtstheorie 20 (1989), 409 (422 ff.). In: Rechtsprechungslehre, S. 565 (574 ff.). Vgl. Esser, S. 26 ff., 171 ff.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

Mitglieder der rational denkenden Rechtsgemeinschaft353 noch betroffene und interessierte soziale Kreise354 als Richtschnur herangezogen werden, da – unbeschadet des auch hier zu verzeichnenden Meinungswandels in der Zeit – deren Zustimmung zu einer vorgeschlagenen Lösung eines rechtlichen Problems ebenfalls keine Gewähr für eine Übereinstimmung mit den Regeln und Prinzipien der Rechtsordnung bietet. (2) Richtigkeit kraft „diskursiver Möglichkeit“ Zuletzt kann auch der von Alexy355 vertretenen diskurstheoretischen Konzeption nicht zugestimmt werden. Zwar unterscheidet Alexy zu Recht zwischen den nur theoretisch denkbaren Optimalbedingungen des idealen Diskurses und dem wirklichkeitsnäheren Szenario der realen Diskurssituation. Folgt man seiner umstrittenen These, dass der juristische Diskurs, wie er im gerichtlichen Verfahren stattfindet, einen Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses bildet,356 so kommen die für reale Diskurse maßgeblichen reduzierten Anforderungen an die Aussagenrelation zum Tragen, so dass eine vorgeschlagene Lösung nicht erst im Falle des Konsenses richtig ist, sondern bereits dann, wenn sie ein relativ auf die durchgeführte Prozedur mit ihren einschränkenden Bedingungen diskursiv mögliches Ergebnis darstellt. Mit der Beschränkung im Hinblick auf die Aussagenrelation vermeidet dieses Richtigkeitsverständnis im Unterschied zu den zuvor dargestellten Konzeptionen eine Verletzung des entscheidungstheoretischen Grundsatzes formaler Entscheidungsrationalität sowie die Abhängigkeit von der – entweder von vornherein unerreichbaren oder aber zumindest nicht gewährleisteten – Zustimmung einer universalen oder auch nur einer speziellen Zielgruppe. Ebenso trägt Alexy mit dem Hinweis auf die fehlende Konsensgarantie in Wertungsfragen357 dem Wertbezug der Normerkenntnis Rechnung. Darüber hinaus rückt er mit dem Hinweis auf die Dauer des Diskurses als relativierendes Merkmal358 die Erfüllung seiner Richtigkeitsanforderungen auch vor dem Hintergrund des quantitativen Zeitbezugs nicht von vornherein in unerreichbare Ferne. Wie dargelegt, hat die Betonung der richtigkeitsstiftenden Funktion bereits der Durchführung einer Prozedur unter Beachtung der Diskursregeln359 angesichts des Verzichts auf den Konsens als Ergebnis des Diskurses zwar unabweisbare Vorteile. Zugleich liegt hierin wiederum die Schwäche des diskursiven Richtigkeitsverständnisses, da sich dieses ebenso wie das Konsenskriterium der Konsensustheorie So Aarnio, Rechtstheorie 20 (1989), 409 (422 ff.). So Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (576 f.). 355 In: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 ff. sowie Argumentation, S. 410 ff. 356 Vgl. hierzu Alexy, Argumentation, S. 263 ff. und – in Auseinandersetzung mit seinen Kritikern – S. 426 ff. 357 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 412 f. 358 Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (125); ders., Argumentation, S. 415. 359 Vgl. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (119 f.). 353 354

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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dem berechtigten Einwand einer Überbetonung des Verfahrensbezugs ausgesetzt sieht. Nicht nachvollziehbar ist, warum Alexy, wenn er schon die „diskursive Möglichkeit“ eines Ergebnisses an die Einhaltung der Diskursregeln knüpft, zu denen er u. a. die rationale Begründung am Maßstab von Gesetz, Dogmatik und Präjudizien zählt,360 allein auf die Bewährung solcher „guten Gründe“ im Diskurs abstellt und nicht den materialen Gehalt dieser Gründe selbst als Richtigkeitskriterien betrachtet. Denn zum einen bringt die Bewährung im Verfahren mangels Möglichkeit der empirischen Verifizierung noch keine Richtigkeitsgarantie mit sich. Unabhängig davon wäre eine gedachte objektiv richtige Lösung auch nicht allein deswegen richtig, weil sie in eine Prozedur eingebracht worden wäre und dort die Diskursteilnehmer überzeugt hätte, sondern eben weil sie aufgrund ihres Sachgehalts die beste Antwort auf die Rechtsfrage gäbe. Und zum anderen bedeutet es letztlich eine Verabschiedung der Sonderfallthese, lässt man die Bewährung solcher rationalen, weil u. a. an gesetzliche Bestimmungen, dogmatische Vorarbeiten und eine präjudizielle Spruchpraxis angelehnten Argumente in der Prozedur als Richtigkeitsmerkmal genügen. Wenn es nämlich nur darum geht, dass die vom Diskursbzw. Prozessbeteiligten eingebrachten Argumente einer Überprüfung in diesem Verfahren standhalten, wird der Anspruch auf Richtigkeit sekundär und erlangt strategisches Handeln entscheidende Bedeutung. Damit erwiese sich dann ein wesentlicher gegen die Sonderfallthese vorgebrachter Kritikpunkt als begründet.361 Der unterbliebene Brückenschlag hin zur sachlich-inhaltlichen Seite der Argumente stellt somit die Tauglichkeit des prozeduralen Richtigkeitskriteriums der Diskurstheorie Alexys im Endeffekt wieder in Frage.

cc) Ergebnis Die obige Darstellung hat erbracht, dass auch die relativen Richtigkeitskriterien nicht zu überzeugen vermögen. Ihre Mängel liegen darin, dass sie sich aufgrund der Anforderungen an die Aussagenrelation in Widerspruch zum entscheidungstheoretischen Gebot formaler Rationalität setzen und die Übereinstimmung innerhalb der gewählten Zielgruppe als hinreichende Richtigkeitsvoraussetzung ansehen (so jeweils die Kriterien des Konsenses, der Konvergenz, der sachlichen Evidenz sowie z. T. der Akzeptabilität), den Wert- und Subjektbezug sowie den qualitativen Zeitbezug der Rechtserkenntnis missachten (so die Kriterien des Konsenses und der Konvergenz) oder deren Verfahrensbezug einseitig in den Vordergrund stellen und damit überbetonen (so die Kriterien des Konsenses und des „diskursiv Möglichen“).

360 361

Vgl. Alexy, Argumentation, S. 285, 429 f. Vgl. zu diesem Kritikpunkt Kaufmann, Rechtsgewinnung, S. 96 f.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

c) Folgerungen für die Richtigkeitserwartung Nachdem sich die vorgeschlagenen Richtigkeitskriterien sowohl nach absolutem als auch relativem Verständnis sämtlich als untauglich erwiesen haben, ist nun der Frage nachzugehen, ob an gerichtliche Entscheidungen überhaupt eine Richtigkeitserwartung gestellt werden kann. Wie sich gezeigt hat, steht einer absoluten Richtigkeitsauffassung der Verfahrensbezug, der Wertbezug, der Subjektbezug sowie der Zeitbezug der Rechtserkenntnis entgegen. Desgleichen läuft sie entscheidungstheoretischen Rationalitätsanforderungen zuwider, weshalb sie als Lösungsansatz ausgeschlossen werden kann. Zumindest einige der genannten Mängel sind jeweils auch den relativen Richtigkeitskonzeptionen vorzuhalten. Da letztere allerdings eine Abkehr von der Vorstellung einer verfahrensunabhängigen, objektiv richtigen Lösung vollzogen haben und auf intersubjektive Kriterien abstellen, bewegen sie sich grundsätzlich auf dem einsichtigeren wissenschaftstheoretischen Fundament.362 Dennoch wird die Leistungsfähigkeit des Intersubjektivitätskonzepts letztlich überschätzt. Im Bereich der Rechtserkenntnis, speziell der gerichtlichen Verfahren scheitert es zum einen daran, dass die für maßgeblich erachtete Übereinstimmung innerhalb der Zielgruppe in der Praxis von vornherein nicht erreichbar ist. Auch unter ceteris-paribus-Bedingungen, d. h. unter Ausblendung der äußeren Grenzen des Erkenntnisverfahrens,363 ist eine universelle und dauerhafte intersubjektive Bestätigung eines Ergebnisses angesichts des Wert-, Subjekt- und qualitativen Zeitbezugs der normativen Erkenntnis ausgeschlossen. Denkbar wäre nun allerdings, die maßgebliche Zielgruppe auf einen besonders qualifizierten und autorisierten Adressatenkreis, nämlich die letztinstanzlich zuständigen Berufungs- oder Revisionsgerichte einzugrenzen. Einen gesetzlichen Anhaltspunkt für ein solches autoritatives Verständnis von Richtigkeit böten die auf „Richtigkeit“ bzw. „Unrichtigkeit“ der Entscheidung abstellenden Vorschriften des Rechtsmittelrechts (z. B. §§ 124 Abs. 1 Nr. 1, 144 Abs. 4 VwGO, §§ 513 Abs. 1, 546, 561, 576 Abs. 3, 577 Abs. 3 ZPO). Angesichts der herausragenden Bedeutung höchstrichterlicher Rechtsprechung, die hinsichtlich des Normverständnisses sowie des Inhalts dogmatischer Sätze mit einer letztentscheidenden Autorität ausgestattet ist, bewirken die Verfahrensgesetze, dass de facto weniger die Gesetzesbindung der Gerichte an sich als vielmehr die „Bindung“ der Instanzgerichte an die letztinstanzliche Rechtsprechung einer Sanktion unterliegt.364 Wie der in der Praxis zu beobachtende Wandel auch ober- und höchstgerichtlicher Rechtsprechung zeigt, bietet allerdings auch die Orientierung an der höchstrichterlichen Autorität keinen Ausweg aus der Problematik des Wert-, Subjekt- und Zeitbezugs der Erkenntnis. Hinzu kommt, und hierin liegt das zweite hauptsächliche Manko des intersubjektiven Richtigkeitsver362 363 364

Vgl. zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen oben II. 2. b) aa). Vgl. oben 1. a) und b). Vgl. Rüthers, IRP – Rechtspolitisches Forum, Nr. 15, S. 20 f.

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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ständnisses, dass die Übereinstimmung innerhalb jedweder Zielgruppe mangels Möglichkeit einer endgültigen Verifizierung normativer Erkenntnisse noch keine Gewähr für die sachliche Richtigkeit einer Entscheidung bietet. Intersubjektive Nachprüfbarkeit vermag dem Grundgedanken des Kritischen Rationalismus nach allenfalls eine Annäherung an die objektiv richtige Lösung zu ermöglichen.365 Nicht aufrechterhalten lassen sich die Richtigkeitserwartungen an gerichtliche Entscheidungen sowie die intersubjektiv bestimmten Richtigkeitskriterien auch unter der Prämisse, dass die Erkenntnisleistung im Bereich des Normativen keine den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen vergleichbare Stringenz aufweise.366 Wenn nämlich die bei relativiertem Verständnis als richtig qualifizierten Ergebnisse von Vornherein nur zur Begründung „vertretbarer“, „plausibler“, „stimmiger“, „sachgerechter“ etc. Lösungen ausreichen sollen, wird ein Ausschließlichkeitsverhältnis zu anderen, nicht den definierten Richtigkeitskriterien entsprechenden Lösungen gar nicht erst begründet. Diese können, weil aufgrund ihres Sachgehalts ebenfalls vertretbar, plausibel und stimmig, in gleicher Weise sachlich „richtige“ Lösungen darstellen.367 Hält man jedoch die erreichbare Erkenntnisleistung nicht in dem Maße für zwingend, dass sie jede andere Lösung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließt, so erweist sich die Kategorie der „Richtigkeit“ im Zusammenhang mit normativen Erkenntnissen, insbesondere gerichtlichen Entscheidungen als keine sinnvolle Größenordnung. Diese Problematik erkennt auch Alexy368, der angesichts fehlender Ausschließlichkeit der „relativ richtigen Lösung“ zu Recht die Frage nach der Brauchbarkeit des Richtigkeitskriteriums aufwirft, es allerdings unterlässt, sie konsequent im verneinenden Sinne zu beantworten. Im Ergebnis ist somit ein Nachweis der Richtigkeit einer im gerichtlichen Verfahren gefundenen Lösung nicht möglich. Da sich weder ein absolutes Richtigkeitsverständnis noch relative, intersubjektive Richtigkeitskonzeptionen als weiterführend erweisen, stellt „Richtigkeit“ keine taugliche Kategorie dar, um die mit Gerichtsentscheidungen verbundene Zielgröße zu bestimmen. Ein Verständnis der Gesetzesbindungspostulate gemäß Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG und eine Konkretisierung der aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Vorgabe einer vollständigen Prüfung in rechtlicher Hinsicht dergestalt, dass als Ergebnis der Prüfung die „richtige Lösung“ festzustehen habe, ist folglich abzulehnen.

Vgl. Blotevogel, S. 16. Vgl. zu dieser Annahme oben II. 2. b) aa). 367 In diesem Sinne, wenngleich nur auf die formelle Seite abstellend, die für reale Diskurse entworfene Richtigkeitskonzeption Alexys. 368 In: Recht, Vernunft, Diskurs, S. 109 (125 f.). 365 366

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

IV. Gefordert: Entscheidung lege artis 1. Ausgangslage: Entscheidung lege artis statt „richtiger Lösung“ Um die Vorgaben aus der Gesetzesbindung zu präzisieren und die verfassungsrechtliche Zielgröße „Vollständigkeit der rechtlichen Prüfung“ näher zu bestimmen, muss das geforderte Entscheidungsergebnis auf eine Formel gebracht werden, die den Besonderheiten und einschränkenden Prüfungsbedingungen der gerichtlichen Entscheidungssituation gerecht wird. Die Lösungssuche erfordert mithin eine Berücksichtigung – der Konkurrenz zwischen den durch Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebenen Zielgrößen, die anstelle einer uneingeschränkten Verwirklichung beider Zielvorgaben lediglich ein Optimum i. S. e. effizienten Lösung zulässt und wegen des quantitativen Zeitbezugs gerichtlicher Erkenntnis derselben eine äußere Grenze setzt,369 – des Umstands, dass die Verfügbarkeit von Tatsacheninformationen infolge des Wechselbezugs von tatsächlicher und rechtlicher Prüfung das Ergebnis der letzteren beeinflusst und damit ebenfalls eine äußere Erkenntnisgrenze bildet,370 – des Wert, Subjekt- und qualitativen Zeitbezugs richterlicher Erkenntnis und der auf das Ergebnis der Wertung in inhaltlicher Hinsicht wirkenden Einflussfaktoren371 sowie – der Voraussetzung, dass der Richter seine Entscheidung, will er sie als unter Beachtung der Gesetzesbindung zustande gekommenen autoritativen Akt mit Geltungsanspruch ausgeben, nicht auf eine rechtliche Prämisse stützen kann, die lediglich auf Basis von Wahrscheinlichkeitserwägungen gebildet wurde.372

Die genannten Bedingungen haben zur Folge, dass eine an die gerichtliche Entscheidung gestellte absolute oder intersubjektiv-relative Richtigkeitserwartung nicht erfüllt werden kann. Die Entscheidung stellt ein Produkt des Richters als wertendes Subjekt sowie ein Resultat der jeweiligen Handlungsbedingungen dar, das unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis steht. Anstelle einer richtigen oder gar der einzig richtigen Lösung ist vom Richter aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG lediglich eine Entscheidung gefordert, die er lege artis aus der Rechtsordnung hergeleitet und begründet hat. Welche Beschaffenheit die rechtliche Prämisse aufweisen muss, um den Anforderungen an eine lege artis hergestellte Entscheidung zu genügen, und welche Konsequenzen sich hieraus für die präskriptive Informationslage ergeben, soll im Folgenden erläutert werden. 369 370 371 372

Vgl. oben III. 1. a). Vgl. oben III. 1. b). Vgl. oben III. 1. c). Vgl. oben § 6 II. 2.

§ 8 Anforderungen an das Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung

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2. Anforderungen an eine Entscheidung lege artis a) Beschaffenheit der normativen Prämisse aa) Entscheidungstheoretisches Optimum Wenn als Folge des Zielkonflikts zwischen den verfassungsrechtlichen Vorgaben einer möglichst umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung sowie eines Verfahrensabschlusses in angemessener, d. h. möglichst kurzer Zeit Einbußen bei der Erfüllung beider Zielgrößen hinzunehmen sind und das Entscheidungssubjekt auf ein Optimum im Sinne einer bestimmten effizienten Lösung beschränkt ist, so sind hieraus die Grenzen des Prüfungsumfangs, zugleich aber bis zu einem bestimmten Grad auch Anhaltspunkte für die Anforderungen an die rechtliche Prüfung erkennbar. So bedeutet „Entscheidung lege artis“ zwar nicht, dass der Richter das Unmögliche zu leisten und die Zielvorgaben sowohl einer vollständigen als auch einer zügigen Prüfung uneingeschränkt zu verwirklichen hat. Was nicht zu erreichen ist, wird weder durch Art. 19 Abs. 4 GG noch durch Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG gefordert. Jedoch ist vom Richter zu verlangen, dass er bezogen auf die konkurrierenden Entscheidungsziele eine effiziente Lösung auswählt, und zwar diejenige effiziente Lösung, welche im Hinblick auf den Realisationsgrad beider Zielgrößen das entscheidungstheoretische Optimum darstellt.373 Die Forderung nach einer gerichtlichen Entscheidung lege artis ist somit im Sinne einer optimalen Bewältigung des Zielkonflikts zu verstehen. Angesichts dieser Vorgabe stellt sich nun die Frage, welche Kriterien vom Richter anzulegen sind, um den Zielkonflikt zu lösen und das Optimum aufzufinden. Hierzu stellt die Entscheidungstheorie Regeln zur Verfügung, mit deren Hilfe Mehrfachzielsetzungen in Einfachzielsetzungen umgewandelt werden können. Eine verbreitete Entscheidungsregel bei Zielkonkurrenzen, die auch für gerichtliche Entscheidungen in Erwägung gezogen werden könnte, stellt die Zielgewichtung dar.374 Bei dieser werden den einzelnen Zielgrößen jeweils Gewichtungsfaktoren zugeordnet, deren Summe 1 oder 100% beträgt. Anschließend werden – bezogen auf die jeweilige Alternative – die den einzelnen Zielgrößen gemäß ihrem Erfüllungsgrad zugeordneten Nutzenwerte mit den Gewichtungsfaktoren multipliziert und die so gewichteten Nutzenwerte addiert. Die Alternative mit dem höchsten Gesamtnutzen bildet dann das Optimum. Eine andere, auch für gerichtliche Entscheidungen denkbare Möglichkeit, Zielkonflikte zu lösen, besteht in der Aufstellung einer Rangordnung der Ziele.375 Hierbei wird einem Ziel als Hauptziel der 373 Vgl. hierzu bereits oben III. 1. a). Als effizient gilt demnach eine Alternative, wenn ihr hinsichtlich des Erfüllungsgrads der einen Zielgröße keine andere Handlungsmöglichkeit überlegen ist, ohne dass diese zugleich die andere Zielgröße schlechter verwirklicht. 374 Vgl. Bamberg / Coenenberg, S. 56 f.; Laux, S. 94 ff.; Mag, Entscheidung, S. 37 f.; ders., Grundzüge, S. 38 ff. 375 Vgl. Mag, Entscheidung, S. 38 ff.; ders., Grundzüge, S. 40 ff.; ähnlich Laux, S. 92 ff.: Maximierung einer Zielgröße bei gegebenen Anspruchsniveaus für die anderen Zielgrößen.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

Vorrang eingeräumt und seine Maximierung angestrebt, während hinsichtlich des anderen Ziels, das nunmehr als Nebenbedingung fungiert, lediglich bestimmte Mindestanforderungen zu erfüllen sind, d. h. bestimmte Werte nicht unterschritten werden dürfen. Die optimale Lösung besteht dann in derjenigen Alternative, bei der das Hauptziel den vorteilhaftesten Wert aufweist und zugleich die Mindestanforderungen an die Nebenbedingung nicht unterschritten werden. Übertragen auf die gerichtliche Entscheidungssituation, stellt sich im Hinblick auf eine Zielgewichtung die Frage, ob der Richter Art. 19 Abs. 4 GG Vorgaben für die Bildung der Gewichtungsfaktoren entnehmen kann oder ob die Gewichtung letztlich doch seiner eigenen Wertung überlassen bleibt. Diesbezüglich kann wiederum auf die bisher gewonnene Erkenntnis verwiesen werden, dass der Rechtsschutz ausgewogen und zeitangemessen zu gewähren ist, wobei die geforderte Angemessenheit keine starre Zeitvorgabe impliziert, sondern nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen ist.376 Dies deutet auf einen flexiblen Maßstab hin, der je nach der konkreten Entscheidungssituation anzupassen ist. Zu beachten ist jedoch, dass eine Zielunterdrückung (bzw. Zieldominanz)377 dergestalt, dass der Gewichtungsfaktor für eines der beiden Ziele auf 1 bzw. 100% und für das andere auf 0 bzw. 0% gesetzt wird, als verfassungswidrig anzusehen wäre.378 Im Übrigen ist bei der Bestimmung des Optimums aus mehreren denkbaren (effizienten) Konstellationen dem Richter als Entscheidungssubjekt aufgegeben, die Gewichte im Sinne der Herstellung ausgewogenen Rechtsschutzes nach seiner Wertung zu verteilen. Da ein absolutes, objektives Optimum hinsichtlich der Verwirklichung der beiden verfassungsrechtlichen Zielvorgaben somit nicht existiert, stellt das Optimum als Voraussetzung für eine Entscheidung lege artis eine subjektive Größe dar. Vom Richter wird damit verlangt, dass er als Optimum diejenige effiziente Lösung wählt, die aufgrund seiner am Prinzip ausgewogener Rechtsschutzgewährung ausgerichteten wertenden Gewichtung den höchsten Gesamtnutzenwert erbringt. Bildet der Richter eine Zielrangordnung, so ist es denkbar, dass er entweder das Ziel der umfassenden tatsächlichen sowie rechtlichen Prüfung oder das der möglichst zügigen Entscheidung zum Hauptziel bzw. zur Nebenbedingung bestimmt. Die Bildung einer Rangordnung vermeidet von vornherein die Gefahr der Zielunterdrückung, da auch für die Nebenbedingung Mindestanforderungen zu erfüllen sind.379 Hier kommt die Wertung des Richters darin zum Ausdruck, dass eine Zielgröße zum Hauptziel erkoren wird, sowie darin, wie hoch der Mindestwert für die Erfüllung der anderen Zielgröße als Nebenbedingung angesetzt wird. Vgl. oben § 3 II. 3. c). Vgl. hierzu Bamberg / Coenenberg, S. 57; Laux, S. 89; Mag, Entscheidung, S. 37; ders. Grundzüge, S. 38. 378 Vgl. bereits oben § 6 II. 2. zur Ablehnung einer Zielunterdrückung zu Lasten der Gründlichkeit der Prüfung. 379 Vgl. Mag, Entscheidung, S. 39; ders. Grundzüge, S. 40. 376 377

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Die genannten entscheidungstheoretischen Regeln erweisen sich insofern als nützlich, als sie unterstreichen, dass zur regelgerechten Auflösung des Zielkonflikts als Voraussetzung für eine Entscheidung lege artis anstelle – infolge der Einzelfallabhängigkeit ohnehin nicht mit universeller Wirkung statuierbarer – starrer Vorgaben eine situationsadäquate und Wertungen notwendig einschließende Vorgehensweise erforderlich ist. Wenn es jedoch um die Frage geht, welche Mindestanforderungen an die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einer zeitangemessenen und zugleich möglichst gründlichen Prüfung zu stellen sind, stoßen diese Regeln freilich an ihre Grenzen. Zu einer Bestimmung des Minimums an rechtlichem Prüfungsaufwand als absolute Größe leisten sie nämlich keinen Beitrag. So ist im Falle der Zielgewichtung zu beachten, dass lediglich solche Alternativen in die Betrachtung einbezogen werden können, bei denen diese Untergrenzen nicht unterschritten werden, andernfalls der Richter gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt und bereits aus diesem Grunde keine Entscheidung lege artis vorliegt.380 Die obigen Ausführungen zur Zielgewichtung setzen folglich die Erfüllung der Mindestanforderungen voraus und beziehen sich lediglich auf den innerhalb dieses Rahmens bestehenden Spielraum für eine Zielgewichtung und die damit verbundene richterliche Wertung. Das gleiche gilt für die Bildung einer Zielrangordnung insofern, als die Mindestwerte für die Nebenbedingung nicht unter dem von Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebenen Minimum liegen dürfen und daher nur oberhalb dieser Grenze Raum für eine Anwendung der Entscheidungsregeln und die damit einhergehende Wertung bleibt. Die Frage des Optimums ist deshalb nicht ohne eine Klärung der Vorfrage des Minimums zu beantworten. Für die zeitliche Zielgröße wurden die Mindestanforderungen an anderer Stelle bereits benannt.381 Sie liegen darin, eine Verletzung des Gebots zeitangemessener Rechtsschutzgewährung sowie eine unzulässige Rechtsverweigerung zu vermeiden. Folglich darf der Zeitpunkt, ab dem eine weitere Verzögerung die irreversible Beeinträchtigung der geschützten Rechtsposition zur Folge hat, nicht überschritten werden. Lässt sich das Minimum für die zeitliche Komponente effektiver Rechtsschutzgewährung somit auf eine relativ einfache Formel bringen, ist dies hinsichtlich der rechtlichen Prüfungsintensität, deren Ergebnis die normative Entscheidungsprämisse bildet, nicht möglich. Hierzu bedarf es einer Berücksichtigung diverser materialer Kriterien, wie im Folgenden darzustellen sein wird. Erfüllt die normative Entscheidungsprämisse diese Mindestanforderungen, so ist insoweit dem Gebot effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie der Gesetzesbindung gemäß Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG Genüge getan.

380 381

Vgl. oben III. 1. a). Vgl. oben III. 1. a).

12 Windoffer

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bb) Materiale Kriterien Eine lege artis aus der Rechtsordnung hergeleitete normative Entscheidungsprämisse setzt zunächst voraus, dass unter den in Betracht kommenden Rechtsnormen diejenige ausgewählt wird, bei welcher die Kluft zwischen faktischer und normativer Prämisse weitest möglich überbrückt werden kann. Angesichts des Zusammenhangs von tatsächlicher und rechtlicher Prüfung und des Wertbezugs des zur Herstellung der Prämissen führenden Erkenntnisvorgangs ist hier zu berücksichtigen, dass der Punkt größtmöglicher Übereinstimmung zwischen beiden Prämissen bei jedem Rechtsanwender woanders liegen kann.382 Lege artis bedeutet nicht, dass genau eine bestimmte Lösung zu finden ist. Jedoch muss die normative Entscheidungsprämisse eine logisch fehlerfreie Subsumtion bzw. Synthese aus Sachverhalt und Rechtsnorm zulassen.383 Dazu ist es erforderlich, dass sie eindeutig hergestellt wird, da nur dann eine abschließende Konkretisierung des Sachverhalts und eine zweifels- und widerspruchsfreie logische Ableitung des Ergebnisses aus beiden Entscheidungsprämissen möglich ist. Die Forderung nach Eindeutigkeit der normativen Prämisse schließt es somit – über die bereits genannten Gründe hinaus384 – ebenfalls aus, das Ergebnis der rechtlichen Prüfung auf Wahrscheinlichkeitsbasis auszugeben. Sie wurzelt ihrerseits direkt in Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG, da nur eindeutige rechtliche Prämissen die Wahrung der Gesetzesbindung über die Begründung nachvollziehbar machen385. Unabhängig davon, dass der Richter sich letztlich für eine Alternative entscheidet und u. U. nur einen Rechtsgrund für die Stattgabe oder Abweisung der Klage für ausschlaggebend hält, bedarf es freilich in der Begründung, die alle für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkte enthalten muss,386 ggf. auch einer Auseinandersetzung mit im Laufe des Entscheidungsfindungsprozesses ausgeschiedenen Alternativen. Insbesondere in den Entscheidungsgründen der Bescheidungsurteile ist auf sämtliche umstrittenen spruchreifen Rechtsfragen einzugehen.387 Die normative Prämisse muss ferner universalisierbar sein.388 Damit ist eine Berücksichtigung von Realfolgen nur insoweit möglich, als sie generelle Folgen aus der Geltung bzw. Befolgung der Regel erfasst; eine Orientierung des Entscheidungsergebnisses an individuellen Realfolgen ist demgegenüber ausgeschlossen, sofern im konkreten Fall keine Vorschriften zur Anwendung kommen, die ein anVgl. oben III. 2. b) aa) (1). Vgl. zur „internen Rechtfertigung“ des Urteils und zugleich zu den Grenzen des deduktiven Schemas im Rahmen der Begründung Alexy, Argumentation, S. 273 ff. 384 Vgl. oben § 6 II. 2. 385 Zur verfassungsrechtlichen Herleitung der Begründungspflicht aus Art. 20 Abs. 3 GG und dem Willkürverbot vgl. BVerfGE 71, 122 (136). 386 Vgl. Kopp / Schenke, § 108, Rn. 31; § 117, Rn. 14 jeweils m. w. N. 387 Vgl. Klein / Czajka, S. 238. 388 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 237; Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (574 f.); s. hierzu bereits oben § 5 IV. 1. a). 382 383

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derslautendes Gebot enthalten.389 Liegt die erforderliche Universalisierbarkeit nicht vor, erfolgt die Entscheidungsfindung dezisionistisch und verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG und das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Gebot der Rechtssicherheit. Bei der Auslegung der Rechtsnormen hat sich der Richter der anerkannten Auslegungskriterien zu bedienen. Wenngleich verbindliche (Meta-)Regeln bezüglich einer Rang- und Reihenfolge sowie Gewichtung dieser Kriterien nicht bestehen,390 so ist vom Richter dennoch zu verlangen, dass er die für die jeweilige Auslegungsmethode anzuführenden Gründe berücksichtigt.391 Um die erforderliche Entscheidungsrationalität herzustellen, bedarf es des Weiteren einer Rückbindung der im Rahmen der Auffindung und Auslegung der Rechtsnorm angestellten Wertung an die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen.392 Dies impliziert zugleich eine Beschränkung auf den im vorhandenen Bestand an (rechtlichen) Regeln und Prinzipien zu verankernden Wertungszusammenhang der Rechtsordnung und schließt aus Gründen der Gesetzesbindung, des Demokratieprinzips sowie des Grundsatzes der Gewaltenteilung eine Berücksichtigung rein rechtspolitischer Erwägungen aus.393 Eine rationale Herleitung und Begründung der rechtlichen Entscheidungsprämisse verlangt insbesondere auch, dass der Richter einschlägige dogmatische Sätze in Erwägung zieht, da die Dogmatik nicht lediglich eine Entlastungsfunktion ausübt, sondern einen wesentlichen Beitrag zur geforderten Universalisierbarkeit leistet.394 Will das Gericht infolge der Auseinandersetzung mit dogmatischen Sätzen von diesen abweichen, hat es seine Auffassung nachvollziehbar zu begründen. Gleiches gilt, soweit es einen Satz mit dogmatischem Gehalt aufstellt, da dieser sich – gleich einer Hypothese im Sinne des Kritischen Rationalismus – einer systematischen Überprüfung und Kritik stellen und bewähren muss.395 Ebenso sind die im Rahmen der zeitlichen (und u. U. technischen) Möglichkeiten ermittelbaren Präjudizien übergeordneter und ggf. auch gleichgeordneter Gerichte, die zumindest als Rechtserkenntnisquellen zu qualifizieren sind,396 auf ihre Anwendbarkeit zu überprüfen. Weicht das Gericht von diesen ab, hat es seine Auffassung ebenfalls Vgl. Deckert, S. 109 f.; Esser, S. 146; Sambuc, S. 101 f. Vgl. oben § 6 IV. zu den Grenzen des Methodeninstrumentariums auch im Falle existierender Metaregeln. 391 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 306; Larenz, S. 346. 392 Vgl. BVerfGE 34, 269 (287) für den Bereich richterlicher Rechtsfortbildung. 393 Vgl. BVerfGE 34, 269 (292); 49, 304 (322); Langenbucher, S. 24 f., 37 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 800 f. 394 Vgl. zu den Aufgaben der Dogmatik Aarnio, Denkweisen, S. 33 ff.; Alexy, Argumentation, S. 326 ff.; Esser, S. 90 f.; Petev, Rechtsprechungslehre, S. 565 (571 ff.); Uerpmann, S. 284 f. 395 Vgl. Alexy, Argumentation, S. 320 ff. 396 Vgl. bereits oben § 7 II. 2. d) bb). 389 390

12*

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

zu begründen und im Wertungszusammenhang der Rechtsordnung zu verankern.397 Die genannten Kriterien stellen notwendige Bedingungen für eine Entscheidung lege artis dar, welche die rechtliche Entscheidungsprämisse erfüllen muss. Genügt das Ergebnis der rechtlichen Prüfung diesen Anforderungen, so liegt, sofern im Übrigen die gesetzlichen Vorgaben für die Bildung und Beurteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, insbesondere der Beweisaufnahme und -würdigung befolgt wurden und der Subsumtionsschluss (bzw. die Synthese aus Sachverhalt und Rechtsnorm) keine Fehler aufweist, eine Lösung vor, deren Inhalt als mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG vereinbar anzusehen ist. Da es sich bei den angeführten Kriterien lediglich um Mindestvoraussetzungen handelt, welche die zeitlichen, faktischen und inhaltlichen Grenzen richterlicher Erkenntnis in Rechnung stellen, zeigen sie freilich keinen Weg auf, zur „einzig richtigen Lösung“ zu gelangen. Dies ist jedoch genauso wenig beabsichtigt wie eine Erfüllung der an die Relation von Aussagen geknüpften Richtigkeitsanforderungen der oben398 abgelehnten intersubjektiv-relativen Richtigkeitskonzeptionen. Mit der gerichtlichen Entscheidung kann folglich kein Geltungsanspruch des Inhalts verbunden werden, das gefundene Ergebnis stelle die einzig richtige oder eine relativ richtige, weil im Gegensatz zu anderen Lösungen bestimmte Richtigkeitskriterien erfüllende Lösung dar. Der Geltungsanspruch kann allenfalls in dem Sinne erhoben werden, das Gericht habe seine Entscheidung lege artis, weil im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Herstellung der rechtlichen Prämisse, den gesetzlichen Voraussetzungen an die Bildung und Beurteilung des Sachverhalts sowie den logischen Regeln der Ableitung des Ergebnisses aus beiden Prämissen stehend getroffen und hierbei den Zielkonflikt zwischen den von Art. 19 Abs. 4 GG vorgegebenen Zielgrößen in optimaler Weise bewältigt.

b) Konsequenzen für die präskriptive Informationslage Im Anschluss an die Bestimmung der inhaltlichen Kriterien für eine als lege artis zu qualifizierende rechtliche Entscheidungsprämisse steht nun die Beantwortung der Frage aus, welche Konsequenzen die Beschränkung der Anforderungen an das Ergebnis der rechtlichen Prüfung auf die Beurteilung der präskriptiven Informationslage zeitigt. Diese Problematik ist bis zur Klärung der o. g. Voraussetzungen zurückgestellt worden,399 da die prozessrechtlichen Bestimmungen lediglich die Entscheidungssituation bezüglich der faktischen Informationen betreffen 397 Alexy, Argumentation, S. 355 ff. spricht insoweit von einer Argumentationslast des von Präjudizien abweichenden Gerichts. Vgl. auch BVerfG NVwZ 1993, 975 (976) m. w. N. zur Begründungspflicht letztinstanzlicher Entscheidungen bei Abweichen vom Wortlaut des Gesetzes und seiner bisherigen Auslegung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung 398 III. 2. b). 399 Vgl. oben § 7 I. 1. c).

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und die Übertragung der dort gültigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe auf die Kategorie der Rechtsinformationen abzulehnen ist. Verlangt man unter Berufung auf Verfassungsrecht, dass die gerichtliche Entscheidung als ein der Gesetzesbindung unterliegender autoritativer Akt ausgegeben wird, dessen – oben unter a) bb) spezifizierter – Geltungsanspruch berechtigt ist und daher eingelöst werden kann, fordert man ferner, dass die normative Prämisse eindeutig hergestellt wird, und hält man aus diesen Gründen die Aufstellung einer auf Wahrscheinlichkeitserwägungen gestützten rechtlichen Prämisse für unzulässig, so impliziert dies, dass hinsichtlich der präskriptiven Informationen keine Entscheidung unter Risiko, sondern lediglich eine solche unter Gewissheit gestattet ist. Dies schließt es auch aus, in Anlehnung an den für die Bewertung der tatsächlichen Informationen i. R. d. Beweiswürdigung maßgeblichen Beurteilungsgrad eine „Rechtsüberzeugung“ zu fordern oder genügen zu lassen, da auch in diesem Fall eine Risikosituation vorläge.400 Führen diese z. T. bereits in den vorangegangenen Paragraphen behandelten normativen Erwägungen dazu, dass eine Entscheidung unter Risiko nicht gestattet ist, so hat die neu hinzugewonnene Erkenntnis, dass sich die (einzig) richtige Lösung im gerichtlichen Verfahren nicht bestimmen lässt, zur Konsequenz, dass eine Risikoentscheidung schon theoretisch unmöglich ist. Zwar erscheint das Vorliegen einer Risikosituation auf den ersten Blick plausibel und das Erfordernis einer Gewissheitssituation problematisch, handelt der Richter doch in Kenntnis des Umstands, dass er seine Entscheidung unter verschiedenen mit der Prozesssituation verbundenen einschränkenden Bedingungen treffen muss und das Entscheidungsergebnis zudem auf einer Wertung beruht. Er entscheidet somit in dem Bewusstsein, dass der Erkenntnisprozess im Bereich des Normativen infolge des Wert-, Subjekt- und Zeitbezugs auch unter Idealbedingungen keinen definitiven Abschluss finden kann; dies gilt dann a maiore ad minus erst recht in der diese Bedingungen entbehrenden gerichtlichen Verfahrenssituation. Gerade die Einsicht, im Prozess die (einzig) richtige Lösung nicht bestimmen zu können, schließt es nicht nur unter Zugrundelegung objektiver Maßstäbe, sondern auch aus der subjektiven Perspektive des Richters logisch aus, mit Wahrscheinlichkeiten zu beziffern, zu welchem Grade er sich dieser (unbekannten und unerreichbaren) Wahrheit bzw. Richtigkeit angenähert zu haben wähnt. Zur Lösung des Problems der rechtlichen Informationslage kommt nun allerdings die Erkenntnis zum Tragen, dass vom Richter nicht die Auffindung der „einzig richtigen Lösung“, sondern lediglich die Herstellung einer Entscheidung lege artis gefordert ist, welche in Bezug auf die rechtliche Seite der Prüfung den unter a) bb) genannten Kriterien genügen und den Zielkonflikt optimal bewältigen muss. Hielte man die „einzig richtige Lösung“ für das Ziel der Entscheidung, so müsste der Richter trotz der Beschränkung auf die Voraussetzung subjektiver Rationalität in jeder Lage des Verfahrens davon ausgehen, nicht über sämtliche erforderlichen 400

Vgl. ebenda.

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

Informationen zu verfügen, so dass er niemals unter Gewissheit entscheiden könnte. Da jedoch unter Information im entscheidungstheoretischen Sinne lediglich das aus Sicht des Entscheidungsträgers entscheidungsrelevante bzw. zweckorientierte Wissen zu verstehen ist,401 benötigt der Richter nur dasjenige Wissen über den Zustand,402 welches zur Herstellung einer normativen Prämisse lege artis erforderlich ist. Sein rechtlicher Informationsstand muss es ihm ermöglichen, den unter a) bb) genannten verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die normative Prämisse zu genügen und darüber hinaus das Maß an Vollständigkeit der rechtlichen Prüfung zu erreichen, welches gemäß seiner Zielgewichtung oder Zielrangordnung zur optimalen Bewältigung des Zielkonflikts notwendig ist. Folglich grenzt die Entscheidungsrelevanz bzw. der mit der Entscheidung verfolgte Zweck den Umfang der Informationsgewinnung ein. Sind die zur Bildung einer rechtlichen Prämisse lege artis vom Richter subjektiv für relevant erachteten präskriptiven Informationen vorhanden, liegt bezüglich dieser Komponente, d. h. der rechtlichen Seite der Prüfung, eine Entscheidungssituation unter Gewissheit vor, mag der Richter auch davon ausgehen, dass seine zum Zeitpunkt der Entscheidung i. e. S. erlangte Erkenntnis unter dem Vorbehalt besserer Einsicht im Falle weitergehender Informationsgewinnung steht. Die Forderung nach Gewissheit hinsichtlich der Herstellung einer normativen Entscheidungsprämisse lege artis steht nicht im Widerspruch zur Einsicht, infolge des Zeitfaktors und des Entscheidungszwangs nur eine limitierte Anzahl an Rechtsinformationsquellen auswerten zu können, ergibt sich doch die Reduzierung der Anforderungen an die rechtliche Prämisse gerade als Folge aus dem bei gerichtlichen Entscheidungen bestehenden Zielkonflikt. Gleiches gilt für den Umstand, auf Basis von Tatsacheninformationen entscheiden zu müssen, in Bezug auf deren Wahrheitsgehalt die Schwelle zur absoluten Gewissheit nicht erreicht werden kann. Für die Herstellung der rechtlichen Prämisse in der Ausprägung, die sie zum Zeitpunkt der Entscheidung i. e. S. erhält, sind die faktischen Informationen, sofern das gesetzlich geforderte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit403 erreicht ist, auch bei fehlender Gewissheit als gegeben zugrunde zu legen, ohne dass dies zu Abstrichen bei der Aufstellung der rechtlichen Prämisse führt (bzw. führen darf).

3. Ergebnis Die Erörterung der Anforderungen an das Ergebnis der richterlichen Entscheidung unter besonderer Berücksichtigung der normativen Entscheidungsprämisse Vgl. oben § 7 I. 1. b). Unter den Begriff des Zustands (bzw. des Umfelds oder der Umweltsituationen), d. h. des von den Alternativen unbeeinflusst bleibenden Bereichs des Entscheidungsfeldes, fällt bei gerichtlichen Entscheidungen u. a. der Teil der präskriptiven Informationen, welcher die Tatbestandsseite der Rechtsnormen umfasst, vgl. oben § 7 I. 1. b). 403 Vgl. oben § 7 I. 1. c). 401 402

§ 9 Rechtliche Prüfung lege artis auch im Eilverfahren?

183

hat erbracht, dass die Auffindung der „richtigen Lösung“ nach Maßgabe der vertretenen absoluten oder intersubjektiv-relativen Richtigkeitskonzeptionen weder möglich noch verfassungsrechtlich gefordert ist. Angesichts der Besonderheiten sowie einschränkenden Bedingungen, unter denen gerichtliche Entscheidungen getroffen werden, verlangen Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG vom Richter anstelle des (einzig) richtigen Ergebnisses lediglich eine Entscheidung lege artis. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass sie den materialen Kriterien für die Herstellung der rechtlichen Prämisse, den gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung und Beurteilung des Sachverhalts sowie den logischen Regeln der Ableitung des Ergebnisses aus beiden Prämissen Genüge leistet und hierbei zugleich den Zielkonflikt zwischen den verfassungsrechtlichen Zielgrößen einer möglichst vollständigen sowie zeitangemessenen Prüfung in optimaler Weise bewältigt. Zur Auflösung dieses Zielkonflikts lassen sich starre Vorgaben für die jeweilige Zielerreichung mit universeller Wirkung nicht konstruieren. Stattdessen können Entscheidungsregeln wie die Zielgewichtung oder die Bildung einer Zielrangordnung als flexible Instrumente zur Anwendung kommen, freilich nur in dem durch die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen gesetzten Rahmen. Für die Informationslage in rechtlicher Hinsicht bedeutet der Verzicht auf die Forderung einer richtigen Entscheidung einhergehend mit der Voraussetzung lediglich einer Entscheidung lege artis allerdings nicht, dass der Richter die normative Entscheidungsprämisse auf Wahrscheinlichkeitsbasis ausgeben dürfte. Vielmehr ist hier – im Unterschied zur faktischen Prämisse – eine sich auf die Erfüllung der materialen Kriterien als verfassungsrechtliche Mindeststandards sowie auf die optimale Bewältigung des Zielkonflikts beziehende Gewissheit gefordert.

§ 9 Rechtliche Prüfung lege artis auch im Eilverfahren? Nachdem in § 8, bezogen auf das (verwaltungs-)gerichtliche Verfahren im Allgemeinen, die Anforderungen an das Ergebnis der richterlichen Entscheidung und die Beschaffenheit der rechtlichen Prämisse geklärt worden sind, ist nun die Sonersituation des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob die Prüfung der Rechtsfragen im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren grundsätzlich den gleichen Maßstäben genügen muss wie in der Hauptsache, mithin ob eine Modifikation der für den Verwaltungsprozess im Allgemeinen erarbeiteten Mindestvoraussetzungen angezeigt ist (s. unten I.). Ausgehend von den ermittelten rechtlichen Vorgaben (dem „Müssen“) ist sodann der Aspekt des im Eilverfahren Leistbaren (des „Könnens“) zu beleuchten. In diesem Zusammenhang ist das Blickfeld in

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2. Teil: Klärungsfähigkeit

besonderem Maße auf den Zeitfaktor zu richten und sind Überlegungen anzustellen, welche Kompensationsmöglichkeiten sich ergeben, um einen zügigen Abschluss des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz herbeizuführen und dabei zugleich den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsprüfung genügen zu können (hierzu unter II.).

I. Vorgaben für die Rechtsprüfung 1. Identität der Ausgangslage Zu Beginn des 2. Teils dieser Untersuchung stand die Auseinandersetzung mit der zur Bewältigung des Problems der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren gebotenen Prüfungsintensität herangezogenen Begrifflichkeit, nämlich der „summarischen Prüfung“.404 Mit dieser in Literatur und Rechtsprechung verbreiteten Formel geht die Vorstellung einher, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch die Klärung von Rechtsfragen nur „summarisch“ vornehmen zu können bzw. dürfen.405 Eine Spezifizierung der gegenüber dem Hauptsacheverfahren geringeren rechtlichen Prüfungsintensität knüpft, sofern sie überhaupt vorgenommen wird, entweder am Prüfungsergebnis an, wobei z. T. auch hier die Glaubhaftmachung für ausreichend gehalten wird, oder aber an der zu diesem Ergebnis führenden richterlichen Betätigung.406 Die Erörterung dieser Problematik hat jedoch erbracht, dass eine pauschale Herabsetzung der Anforderungen an die rechtliche Prüfung im Eilverfahren weder verfassungsrechtlich vorgegeben noch dieser Rechtsschutzform notwendigerweise wesensimmanent ist.407 Aus Art. 19 Abs. 4 GG sind zur Bewältigung der Problematik des gebotenen Prüfungsumfangs keine Pauschalformeln wie die „summarische Prüfung“ abzuleiten. Die Garantie effektiven Rechtsschutzes verlangt stattdessen ebenso wie im Hauptsacheverfahren auch im Eilverfahren einen Ausgleich der konkurrierenden Zielgrößen einer möglichst vollständigen und zugleich zeitangemessenen Prüfung. Dem Richter ist im einstweiligen Rechtsschutz in gleicher Weise wie in der Hauptsache aufgegeben, den Zielkonflikt durch Zielgewichtung oder Bildung einer Zielrangordnung zu bewältigen und das entscheidungstheoretische Optimum aufzufinden.408 Eine a priori vorauszusetzende Präferenzregel zugunsten der zeitlichen Komponente dergestalt, dass allein der Realisationsgrad des Ziels einer zügigen Entscheidung Berücksichtigung findet und die Zielgröße der rechtlichen Prüfungsintensität im Sinne einer Zielunterdrückung völlig zurückgestellt werden kann, be404 405 406 407 408

Vgl. oben § 6. Vgl. oben § 6 I. 1. Vgl. oben § 6 I. 2. Vgl. oben § 6 II. 2. Vgl. hierzu oben § 8 IV. 2. a) aa).

§ 9 Rechtliche Prüfung lege artis auch im Eilverfahren?

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steht auch im Eilverfahren nicht. Auch soweit im Falle der Zielgewichtung bei der jeweiligen Verteilung der Gewichtungsfaktoren oder im Falle der Bildung einer Zielrangordnung bei der Bestimmung des Hauptziels und der Festlegung des Mindesterfüllungsgrads für die Nebenbedingung eine gewisse Flexibilität sowie die Möglichkeit einer Wertung besteht, ist deren Spielraum durch die jeweiligen von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG vorgegebenen verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die Vollständigkeit der Prüfung sowie die Zeitangemessenheit der Entscheidung begrenzt. Insofern ist die Ausgangslage in beiden Verfahren identisch.

2. Reduzierung der Mindestanforderungen an die normative Prämisse? Wenn im vorigen Abschnitt die Identität der Ausgangssituation und der daraus resultierenden Aufgabenstellung, nämlich die Auflösung des Zielkonflikts unter Anlegung des flexiblen Instrumentariums der Entscheidungsregeln konstatiert wurde, so liegt im Hinweis auf die durch die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen gesetzten Grenzen zugleich ein möglicher Ansatzpunkt für eine Unterscheidung zwischen Hauptsache- und Eilverfahren in Bezug auf die rechtliche Prüfungsintensität. Es stellt sich nämlich die Frage, ob es im Eilverfahren zulässig oder sogar geboten ist, von der Erfüllung der Voraussetzungen für die Herstellung einer normativen Prämisse lege artis, wie sie für die verwaltungsgerichtliche Entscheidung im Allgemeinen anhand materialer Kriterien bestimmt wurden,409 abzusehen und durch Absenkung der Mindestbedingungen das Spektrum möglicher Alternativen im entscheidungstheoretischen Sinne410 zu erweitern. Eine solche Abweichung nach unten könnte aus zweierlei Gesichtspunkten erforderlich sein: zum einen aufgrund des Zeitfaktors und zum anderen aus einem Grund, der das Verhältnis des Eilverfahrens zur Hauptsache betrifft, nämlich der Gefahr einer faktischen Präjudizierung der Hauptsacheentscheidung.

a) Einwand des Zeitmangels Gegen eine Rechtsprüfung lege artis und für das Erfordernis einer Reduzierung des Minimalstandards, den die rechtlichen Prämisse grundsätzlich zu erfüllen hat, könnte zunächst der Faktor Zeit sprechen. In diesem Sinne ließe sich etwa anführen, andernfalls stünde zu befürchten, dass bei weiterem Zeitablauf die Verwirklichung und Durchsetzung der geschützten materiellen Rechtsposition im Hauptsacheverfahren nicht mehr möglich sei und insoweit eine irreversible Beeinträchtigung drohte. In diesem Fall könnte zeitangemessener Rechtsschutz nicht mehr ge409 410

Vgl. oben § 8 IV. 2. a) bb). Vgl. hierzu oben § 8 III. 1. a), Fn. 278.

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währt und der Mindesterfüllungsgrad hinsichtlich dieser Zielvorgabe nicht erreicht werden. Diese Überlegungen sind insbesondere für die vorgeschlagene Absenkung des Prüfungsniveaus auf die – im Einzelnen unterschiedlich definierte – summarische Prüfung leitend.411 Jedoch ist eine solche Auflösung des Zielkonflikts zu Lasten des Prüfungsziels, soweit sie die Klärung der Rechtsfragen betrifft, bereits aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen. Dies gilt für eine einzelfallabhängige Reduzierung des Mindeststandards für die normative Prämisse in gleichem Maße wie für die Pauschallösung der a priori „gebotenen“ oder „allein möglichen“ summarischen Prüfung.412 Auch im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren sind die Kriterien für eine normative Prämisse lege artis einschließlich der dazu erforderlichen Informationslage zu erfüllen. Abweichungen hiervon verbieten sich aus den gleichen Gründen wie im Hauptsacheverfahren. So wurde bereits herausgearbeitet, dass auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine rechtliche Prämisse, die im Stadium des „Anprüfens“ stehen bleibt und auf Wahrscheinlichkeitsbasis ausgegeben wird, ein ungenügendes Ergebnis darstellt.413 Denn damit würde gegen das Gebot der Eindeutigkeit der rechtlichen Prämisse verstoßen, welches in den Gesetzesbindungspostulaten wurzelt und folglich in jeglichem Erkenntnisverfahren Geltung beansprucht. In der Folge muss der Richter im Eilverfahren hinsichtlich seines präskriptiven Informationsstands und der Voraussetzungen einer normativen Entscheidungsprämisse lege artis gleichermaßen eine Gewissheitssituation herbeiführen. Der Erfüllbarkeit dieser Verpflichtung steht nicht entgegen, dass die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis im nachfolgenden Hauptsacheverfahren steht414 und der Richter sich dessen bewusst ist. Die Gewissheit bezieht sich nämlich auch im Eilverfahren nur auf die für eine normative Prämisse lege artis entscheidungsrelevanten Informationen. Der Vorbehalt besserer Einsicht im Falle gründlicherer Prüfung gilt – wie für die Erkenntnis im Bereich des Normativen schlechthin – für jede gerichtliche Entscheidung.415 In Bezug auf das Verhältnis des Ergebnisses im Eilverfahren zu dem in der Hauptsache stellt der genannte Vorbehalt mithin eine Selbstverständlichkeit dar. In der Vorläufigkeit des Ergebnisses im einstweiligen Rechtsschutz spiegelt sich nichts anderes wider als der quantitative (und ggf. auch qualitative) Zeitbezug der Werterkenntnis im Allgemeinen und der richterlichen Rechtserkenntnis im Besonderen.416 Da die Forderung nach einer Entscheidung lege artis mit einer gewissen Flexibilität im Hinblick auf den ErfülVgl. oben § 6 I. 2. Vgl. hierzu oben § 6 I. 1. 413 Vgl. oben § 6 II. 2. 414 Vgl. zu diesem Vorbehalt im Verhältnis zur Hauptsache Eyermann / Happ, § 123, Rn. 48; Finkelnburg / Jank, Rn. 351 f.; Huba, JuS 1990, 983 (987); Jakobs, VBlBW 1984, 129 (134); Schoch / Schoch, § 80, Rn. 277. 415 Vgl. bereits oben § 8 III. 2. a) aa), IV. 1. und IV. 2. b). 416 Vgl. hierzu oben § 8 III. 1. a) und 2. a) aa). 411 412

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lungsgrad der Zielgröße „Vollständigkeit der Prüfung“ einhergeht, können und müssen Abstriche beim Umfang der eingeholten Rechtsinformationen vom Richter bewusst in Kauf genommen werden. Notwendige aber auch hinreichende Entscheidungsvoraussetzung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist folglich die Gewissheit, dass die normative Prämisse den aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG abzuleitenden Mindestanforderungen genügt und die Rechtsprüfung das zur optimalen Bewältigung des Zielkonflikts erforderliche Maß an Vollständigkeit aufweist.417 Andernfalls kann die Entscheidung nicht als autoritativer Akt mit entsprechendem Geltungsanspruch ausgegeben werden. Gegen eine Absenkung der Mindeststandards für die rechtliche Prüfung sprechen ferner dieselben Gründe, die zur Ablehnung der Abwägungslösung bei den einzelnen Systemen des verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes (§§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1, 47 Abs. 6 VwGO) anzuführen sind.418 Demnach folgt – im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab – zumindest aus der Befriedungsfunktion des Eilrechtsschutzes das Verbot eines gänzlichen Verzichts auf die Erfolgsprognose oder deren Einbeziehung als nur einen Abwägungsbelang von mehreren innerhalb einer Interessen- oder Folgenabwägung. Andernfalls würde der untrennbare Zusammenhang mit dem geschützten subjektiven Recht, dessen Feststellung und Verwirklichung Aufgabe jeglichen Rechtsschutzes ist, missachtet. Dieser Einwand gilt – nun in Bezug auf die Prüfungsintensität – in gleichem Maße für die Frage der Beschaffenheit der normativen Entscheidungsprämisse. Eine Unterschreitung der notwendigen Mindestvoraussetzungen einer rechtlichen Prämisse lege artis im Eilverfahren trägt der zentralen Stellung der materiellen Rechtsposition als Schutzobjekt nicht ausreichend Rechnung. Des Weiteren kommt hier wiederum der gegen die Abwägungslösungen vorgetragene Hinweis auf die Gefahr eines gegen Art. 3 Abs. 1 GG und das Gebot der Rechtssicherheit verstoßenden Dezisionismus bei der Entscheidungsfindung zum Tragen.419 Dies betrifft insbesondere die Rechtsprechung des BVerfG, nach der nicht nur der Prüfungsmaßstab, sondern auch die Prüfungsintensität im Eilverfahren einerseits in Abhängigkeit von Faktoren gesetzt wird, welche auf die Schwere und Irreparabilität der Folgen bzw. die Hauptsachefunktion des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz abstellen,420 bei Hinzutreten des Zeitfaktors andererseits gestattet wird, gänzlich auf eine Prüfung des Hauptsacheanspruchs zu verzichten.421 Die zu bemängelnde Beliebigkeit dieser Entscheidungskriterien äußert sich auch mit Blick auf die zu fordernde rechtliche Prämisse lege artis darin, dass der Zeitfaktor herangezogen werden kann, um anstelle des – nach der Rechtsprechung des BVerfG eigentlich gebotenen – besonders hohen Erfüllungsgrads der 417 418 419 420 421

Vgl. oben § 8 IV. 2. b). Vgl. hierzu oben § 5 IV. 2. b). Vgl. oben § 5 IV. 3. b). Vgl. hierzu oben § 5 III. 1., Fn. 110 bis 113. Vgl. BVerfG NVwZ 1997, 479 (480); NJW 2003, 1236 (1237).

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Zielgröße umfassender rechtlicher Prüfung diese nunmehr vollständig zu unterdrücken und eine schlichte Folgenabwägung durchzuführen. Im selben Zusammenhang wurde übrigens bereits darauf hingewiesen, dass der einer adäquaten rechtlichen Prüfung angeblich entgegenstehende Zeitfaktor gerade für solche Verfahren kennzeichnend ist, in denen dem BVerfG zufolge eine intensive Prüfung des Bestehens der subjektiven Rechtsposition gefordert sein soll.422 Denn Eilverfahren, die geführt werden, weil ansonsten irreversible Grundrechtsverletzungen drohen und ein Abwarten der Hauptsache nicht möglich ist, erhalten doch gerade aufgrund erheblichen Zeitmangels den ihnen zugesprochenen faktischen „Hauptsachecharakter“. Wenn das BVerfG für solche Verfahren grundsätzlich eine umfassende bzw. eingehende rechtliche Prüfung fordert, impliziert dies offenkundig die Annahme, dass das Eilverfahren prinzipiell die Voraussetzungen für die solchermaßen gebotene Prüfungsintensität biete.423 Der letztgenannte Einwand gegen die Rechtsprechung des BVerfG gibt Anlass zu der Frage, welche Relevanz die Problematik einer Unterschreitung der Mindestanforderungen an die rechtliche Prämisse in der Praxis tatsächlich aufweist, d. h. inwieweit in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Notwendigkeit besteht, aufgrund von Zeitnot namentlich auf die Einhaltung der Minimalstandards für die Gewinnung und Auswertung präskriptiver Informationen zu verzichten. Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass der Zeitfaktor in einer Vielzahl von Fällen, die regelmäßig mit der Bewältigung komplizierter Rechtslagen einhergehen, keine entsprechende Bedeutung aufweist. Dies gilt beispielsweise für Eilverfahren, welche durch Planfeststellungen, umwelt- oder atomrechtliche Genehmigungen von Großprojekten veranlasst sind.424 Zudem lassen Eilentscheidungen ausweislich ihrer (ausführlichen) Begründung häufig keine wesentlichen Abstriche bei der rechtlichen Durchdringung des Streitstoffs erkennen. Freilich gestatten entsprechende Beobachtungen aus der gerichtlichen Praxis keine Verallgemeinerung im Sinne einer Relativierung der Problematik, die Mindestanforderungen an die rechtliche Prämisse zu erfüllen; sie stützen umgekehrt aber auch nicht die generalisierende Behauptung, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von vornherein prinzipiell eingeschränkte Erkenntnisbedingungen vorzufinden425 mit der Folge, von einer Rechtsprüfung lege artis absehen zu müssen. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass das Gericht, wie im Rahmen der Darstellung des Ablaufs richterlicher Entscheidungen aufgezeigt, Rechtsinformationen unabhängig von der Mitwirkung der Prozessbeteiligten, im Unterschied zu Tatsacheninformationen somit nichtkommunikativ bezieht,426 was den Vorgang der Informationsbeschaffung deutlich abkürzt. Eine Aufarbeitung des Streitstoffs auch in 422 423 424 425 426

Vgl. oben § 5 IV. 3. b). Vgl. bereits oben § 6 II. 2. Vgl. W. Martens, S. 31; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1315. Vgl. hierzu oben § 6 I. 2. Vgl. oben § 7 II. 2. d) bb).

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rechtlicher Hinsicht durch die Beteiligten wirkt hier zwar verfahrensbeschleunigend, ein Unterbleiben derselben umgekehrt jedoch nicht als Hindernis für die rechtliche Informationsgewinnung. So bieten die von den Beteiligten geäußerten Rechtsauffassungen, wenngleich im wohlverstandenen Eigeninteresse und zielorientiert vorgebracht, zweifelsohne Anregungen im Hinblick auf die Suchrichtung. Der Richter kann regelmäßig aus dem Vortrag des Antragstellers und der beigefügten behördlichen Entscheidung, spätestens aber aus den Behördenakten die wesentlichen rechtlichen Kriterien, Argumente und Lösungsvorschläge zügig herausarbeiten und anhand der oben427 genannten Informationsquellen überprüfen.428 Der Richter ist jedoch, was Rechtsinformationen betrifft, auf Vorarbeiten und Mitwirkungsleistungen der Beteiligten nicht angewiesen. Denn auch der Zusammenhang zwischen tatsächlicher und rechtlicher Prüfung und die Möglichkeit der Gewinnung von Tatsacheninformationen wirken sich nur insoweit auf die rechtliche Prämisse aus, als sie deren Inhalt, also das Ergebnis der Entscheidung beeinflussen. Für den Zugang zu den präskriptiven Informationen selbst erweisen sie sich hingegen als nicht von Bedeutung. Entsprechend sind die Anforderungen an eine lege artis hergestellte rechtliche Prämisse nicht an eine bestimmte tatsächliche Informationslage geknüpft. Freilich befindet letztere infolge der gesetzlichen Anforderungen an die Beweiswürdigung und den hierbei zu erzielenden Überzeugungsgrad darüber, ob der Streitfall entscheidungsreif ist. Angesichts der mit der kommunikativen Informationsgewinnung verbundenen Abhängigkeit von der Mitwirkung der Beteiligten und der u. U. zeitintensiven Inanspruchnahme sonstiger Quellen (z. B. Sachverständiger) liegt hierin ein erhebliches Verzögerungspotenzial. Für die Bildung der rechtlichen Prämisse sind demgegenüber die im jeweiligen Prüfungsstadium verfügbaren Tatsacheninformationen unabhängig vom Beurteilungsgrad als gegeben zugrunde zu legen. Eine rechtliche Prämisse lege artis lässt sich so bereits auf Basis der (u. U. erst noch zu beweisenden) Ausgangsinformationen, der Lösungshypothese und des aus ihr folgenden rechtlichen Informationsgewinnungsprogramms bilden. Lediglich für die Frage, ob die normative Prämisse Bestätigung findet oder – ggf. nach weiterer Informationsgewinnung – abgeändert werden muss, ist der Zugang zu faktischen Informationen von Einfluss. Da eine Absenkung der Mindestvoraussetzungen einer rechtlichen Prämisse lege artis somit nicht zulässig ist, darüber hinaus aber auch die Ursachen von Zeitnot im Eilverfahren nicht primär bei der rechtlichen Seite der Prüfung verortet werden können, sind Ansatzpunkte für die Kompensation des Zeitfaktors und die Beschleunigung des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz an anderer Stelle zu suchen. Ebenda. Vgl. den Hinweis von J. Martens, S. 209, das Gericht sinne auch in der Hauptsache nicht monatelang über Rechtsfragen nach, sondern die rechtliche Bearbeitung vollziehe sich meist in verhältnismäßig kurzer Zeit. So könne dort selbst in schwierigen Streitsachen das Votum in etwa zwei Wochen erstellt und die Erörterung der Berufsrichter in wenigen Tagen abgeschlossen werden. 427 428

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b) Einwand der faktischen Präjudizierung der Hauptsacheentscheidung Aus der Feststellung, dass jede richterliche Entscheidung unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis steht, was folglich auch für die Eilentscheidung im Verhältnis zur Hauptsacheentscheidung gilt, könnte ein zweites Argument abgeleitet werden, welches gegen die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen an eine normative Prämisse lege artis im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ins Feld zu führen wäre. So ließe sich vorbringen, das Erfordernis einer entsprechenden rechtlichen Prämisse schon im Eilverfahren hätte möglicherweise eine faktische Präjudizierung der Hauptsacheentscheidung zur Folge.429 Der Einwand, das Gericht unterliege im nachfolgenden Hauptsacheverfahren psychologischen Zwängen und einer faktischen Selbstbindung, wenn es im Eilverfahren die Erfolgsprognose vornehme, wird verschiedentlich in der Literatur vorgetragen.430 Hierbei dient er zumeist der Untermauerung der Abwägungslösung, richtet sich mithin nicht nur gegen eine bestimmte Prüfungsintensität, sondern bereits gegen den materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab, d. h. die Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen an sich. Die geäußerten Bedenken gegen eine Rechtsprüfung lege artis im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind jedoch unbegründet.431 Zunächst ist der Vollständigkeit halber noch einmal darauf hinzuweisen, dass eine rechtliche Präjudizwirkung für das Hauptsacheverfahren nicht besteht, da im Eilverfahren nicht über den Streitgegenstand der Hauptsache entschieden wird.432 Soweit Folgerungen in Bezug auf den Prüfungsmaßstab und die Prüfungsintensität aus psychologisch bedingten Umständen abzuleiten sein sollen, die den Richter veranlassten, sich faktisch an seine im Eilverfahren vorgenommene rechtliche Bewertung gebunden zu fühlen und damit in der Hauptsache die Rechtsfragen nicht mehr objektiv beurteilen zu können, lässt sich deren Relevanz schon grundsätzlich bezweifeln, sind die Anforderungen an die Prüfung doch allein den in der Rechtsordnung zu verankernden rechtlichen Vorgaben zu entnehmen.433 Ferner weisen die geäußerten Befürchtungen keine Besonderheit speziell des Verhältnisses von einstweiligem Rechtsschutz und Hauptsache auf, die Konsequenzen für Prüfungsmaßstab und Prüfungsumfang im Eilverfahren rechtfertigen würde. Vielmehr beschreibt das dargestellte Phänomen die jeg429 Die Frage der Präjudizierung der Hauptsache ist von der Problematik der „Vorwegnahme“ der Hauptsache zu unterscheiden, welche nicht die Voraussetzungen der Maßnahme im einstweiligen Rechtsschutz, sondern die Irreversibilität der Folgen einer solchen Maßnahme betrifft. Zur Diskussion um die Vorwegnahme der Hauptsache vgl. etwa Finkelnburg / Jank, Rn. 202 ff. 430 Vgl. Leipold, S. 91 f., 191 f.; Limberger, S. 179 ff.; Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34 (1976), 221 (261); Schuy, S. 61 f., 83.; Ule, GewArch 1978, 73 (81). 431 Ablehnend gegenüber dem Argument der Präjudizierung auch Grunsky, JuS 1976, 277 (280); J. Martens, S. 210; W. Martens, S. 29; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1353; Timmler, S. 129 f. 432 Vgl. oben § 4 II. 433 Vgl. auch Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1353; Timmler, S. 130.

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liche Rechtserkenntnis potenziell beeinflussenden Strategien der Perseveranz sowie der Entschlussperpetuierung, welche sowohl innerhalb ein und desselben Erkenntnisprozesses als auch verfahrensübergreifend eine selektive Wahrnehmung präskriptiver (sowie faktischer) Informationen nach sich ziehen können.434 Zudem dürfte die Wahrscheinlichkeit einer entsprechend motivierten und daher präjudizierten Entscheidungsfindung in der Hauptsache nicht nur mindestens ebenso hoch, sondern erheblich höher einzuschätzen sein, wenn die Eilentscheidung lediglich aufgrund Interessen- oder Folgenabwägung getroffen und die materielle Rechtslage – wenn überhaupt – allenfalls „angeprüft“ wird. Beispielhaft kann hierzu die Rechtsprechung des BVerfG in Verfahren auf Erlass einstweiliger Anordnungen im Rahmen von Verfassungsbeschwerden herangezogen werden. Bekanntlich folgt das BVerfG dem Grundtypus der offenen Eilentscheidung. Nach dem für die Verfahren gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG entwickelten Prüfungsmaßstab soll sich die Prüfung auf eine Folgenabwägung anhand der Doppelhypothese beschränken und die materielle Rechtslage, von Fällen der Unzulässigkeit und offensichtlichen Unbegründetheit der Verfassungsbeschwerde abgesehen, grundsätzlich außer Betracht bleiben.435 In diesem Zusammenhang darf nun auf die Ergebnisse der von Berkemann436 angestellten Analyse der Rechtsprechung des BVerfG verwiesen werden, durch die sich bereits früher geäußerte Stellungnahmen zum tatsächlichen Entscheidungsverhalten des Gerichts437 bekräftigt sehen. Demnach habe – vorbehaltlich einer nicht berücksichtigten Dunkelziffer – in 43,23% von 229 untersuchten Anordnungsverfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG eine materiellrechtliche Prüfung stattgefunden.438 Zudem, so Berkemann, habe sich das Ergebnis des Eilverfahrens in der anschließenden Verfassungsbeschwerde in nur 8% aller betrachteten Fälle nicht bestätigt.439 Und nur in zwei Fällen einer reinen Abwägungsentscheidung sei keine inhaltliche Übereinstimmung mit der Hauptsacheentscheidung zu verzeichnen gewesen.440 Sieht man einmal davon ab, dem BVerfG unter Berufung auf die dargestellten Untersuchungsresultate angesichts der auffälligen Ergebniskongruenz auch in den Fällen reiner Abwägungsentscheidungen eine „verdeckte“ summarische Prüfung der Erfolgsaussichten zu unterstellen441 und geht demgegenüber von der Offenlegung der wahren Entscheidungsgründe durch das BVerfG aus, so spricht dies deutVgl. hierzu oben § 8 III. 1. c) bb) (4). St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 91, 70 (74 f.); 92, 126 (129 f.); 93, 181 (186 f.); 94, 334 (347); 99, 57 (66); 104, 23 (28 f.); BVerfG NJW 2003, 2598 f. 436 In: JZ 1993, 161 ff. 437 Vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 487 m. w. N. 438 Vgl. Berkemann, JZ 1993, 161 (167). 439 Vgl. Berkemann, JZ 1993, 161 (169). 440 Vgl. Berkemann, JZ 1993, 161 (170). 441 So Berkemann, JZ 1993, 161 (165, 170 f.), wie auch bereits der Titel seines Aufsatzes; ebenso Huber, S. 33 m. w. N., der die bisher diesbezüglich geäußerten Vermutungen durch die Analyse Berkemanns bestätigt sieht. 434 435

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lich gegen die Annahme, im Fall von Abwägungsentscheidungen sei die „Gefahr“ einer Präjudizierung geringer einzuschätzen. Hier kann das Gericht gleichermaßen geneigt sein, am – wie auch immer gewonnenen – Ergebnis, nämlich einer Entscheidung zugunsten oder zulasten des Antragstellers, festzuhalten. Umgekehrt ist jedoch eine Übereinstimmung mit dem Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache umso wahrscheinlicher, je intensiver der Richter bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Sinne der Befriedungsfunktion und der Minimierung des Rechtsabweichungsintervalls442 eine materiellrechtliche Prüfung vornimmt.443 Außerdem ist zu bedenken, dass sich der Richter gerade im Fall des Abweichens von einer aufgrund bloßer Abwägung getroffenen Eilentscheidung die berechtigte Frage gefallen lassen muss, warum er die materielle Rechtslage nicht bereits frühzeitig angemessen geprüft und berücksichtigt hat. Auf den Einwand der faktischen Präjudizierung der Hauptsache kann somit ebenfalls nicht zurückgegriffen werden, um vom Erfordernis der Herstellung einer rechtlichen Prämisse lege artis im Eilverfahren abzusehen.

c) Ergebnis: Reduzierung der Mindestanforderungen unzulässig Die Untersuchung hat erbracht, dass eine Absenkung der für die gerichtliche Entscheidung im Allgemeinen entwickelten Mindestvoraussetzungen einer normative Prämisse lege artis im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren unzulässig ist. Der Forderung nach einer rechtlichen Prämisse gleicher Mindestqualität im Eilverfahren lässt sich nicht mit dem Hinweis auf den Zeitfaktor entgegentreten. Unabhängig davon ist die Behauptung, im einstweiligen Rechtsschutz von vornherein nur eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten zu unterliegen und eine entsprechende Prüfung der Rechtsfragen aus Zeitgründen nicht durchführen zu können, in dieser Generalität nicht aufrechtzuerhalten, da zum einen das Zeitkontingent fallabhängig variiert und zum anderen der Zugang zu Rechtsinformationen grundsätzlich weniger zeitintensiv ist als derjenige zu tatsächlichen Informationen. Ebenso wenig wie der Zeitfaktor rechtfertigt auch der Einwand der Gefahr einer faktischen Präjudizierung der Hauptsacheentscheidung ein Abweichen von den Mindeststandards an die normative Prämisse. In der Folge müssen, ist die Grenze des Spielraums für eine Reduzierung der rechtlichen Prüfungsintensität im Rahmen der Zielgewichtung bzw. Zielrangordnung einmal erreicht, andere Wege als eine Unterschreitung der aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG abgeleiteten Minimalanforderungen gefunden werden, um den Zielkonflikt optimal zu bewältigen und das Verfahren im Sinne der Zielvorgabe einer zeitangemessenen Entscheidungsfindung zu beschleunigen. 442 443

Vgl. hierzu oben § 4 III. 2. Vgl. J. Martens, S. 210; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (827).

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II. Kompensationsmöglichkeiten im Hinblick auf den Zeitfaktor Bei der Suche nach Möglichkeiten, den Zeitmangel im verwaltungsgerichtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben für die rechtliche Prämisse zu kompensieren, bieten sich im Wesentlichen zwei Ansatzpunkte an. Zum einen ist der Blick auf verfahrensbezogene Faktoren zu richten, d. h. auf Umstände, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem konkreten Verfahren stehen und dessen Dauer beeinflussen. Auf diesen Faktoren soll das Hauptaugenmerk liegen, da sie in der konkreten Entscheidungssituation dem Einfluss des zur Fallbearbeitung berufenen Spruchkörpers grundsätzlich in stärkerem Maße zugänglich sind. Zum anderen sind ergänzend Kompensationsmaßnahmen aufzuzeigen, die im Bereich verfahrensunabhängiger, d. h. solcher Einflussfaktoren ansetzen, welche sich losgelöst vom einzelnen Fall auf die Dauer sämtlicher zu bearbeitender Verfahren auswirken. 1. Verfahrensbezogene Kompensationsmöglichkeiten a) Tatsachenermittlung und Beweiswürdigung In Anbetracht der Erkenntnis, dass die rechtliche Prüfung im Eilverfahren nur innerhalb der durch Verfassungsrecht gesetzten Grenzen eine Möglichkeit bietet, den prozessualen Zielkonflikt im Sinne eines zeitangemessenen Verfahrensabschlusses aufzulösen, ist das Augenmerk nun auf die Herstellung der faktischen Prämisse der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zu richten, die einen wesentlichen verfahrensimmanenten Einflussfaktor auf die Prozessdauer darstellt. Hier zeigen sich Ansatzpunkte für Modifikationen der Anforderungen sowohl bei der Gewinnung der tatsächlichen Informationen, d. h. der Sachverhaltserforschung, als auch bei deren Auswertung, d. h. der Beweiswürdigung. Mit Blick auf die Informationsgewinnung stellt sich die Frage, in welchem Umfang das Gericht Ermittlungen anzustellen hat und welche Mitwirkungslast die Beteiligten bei der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts trifft, desgleichen, welche Wege zur Abkürzung des Ermittlungsvorgangs beschritten werden können. Im Zusammenhang mit der Auswertung der faktischen Informationen wiederum ist die bereits an anderer Stelle444 angeführte Reduzierung der Erkenntnisanforderungen, mithin des bei der Beweiswürdigung herzustellenden Beurteilungsgrads zu nennen.

aa) Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungslast Im Unterschied zum Zivilprozess gilt gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1, 1. HS. VwGO für das verwaltungsgerichtliche Verfahren in der Hauptsache der Untersuchungs444

Vgl. oben § 6 I. 2. und II. sowie § 7 I. 1. c).

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grundsatz, dem gemäß das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat. Die maßgeblichen Gründe für die gerichtliche Pflicht zur Tatsachenermittlung werden in der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie der aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit gesehen, die Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandeln zu kontrollieren und sicherzustellen.445 Somit decken sich die Funktionen des Untersuchungsgrundsatzes mit den verfassungsrechtlich hergeleiteten Aufgaben des Verwaltungsprozesses selbst, nämlich dessen Rechtsschutz- sowie Kontrollfunktion.446 Diese in Art. 19 Abs. 4 GG und der Gesetzesbindung angelegten Hauptfunktionen des Verwaltungsprozesses begründen die Verpflichtung des Gerichts, auch im Eilverfahren die materielle Rechtslage zu prüfen.447 Angesichts des materiellrechtlichen Prüfungsmaßstabs und des geforderten Bezugs zum Hauptsacherecht erscheint es dann folgerichtig, hier ebenfalls von einer Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen in entsprechender Anwendung des § 86 VwGO auszugehen. In diesem Sinne befürwortet die h. M. die grundsätzliche Geltung des Untersuchungsgrundsatzes auch im einstweiligen Rechtsschutz.448 Dies wird auch dann angenommen, wenn aus § 920 Abs. 2 ZPO zumindest für einstweilige Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO eine Pflicht des Antragstellers zur „Glaubhaftmachung“ der entscheidungserheblichen Tatsachen gefordert und damit eine Verlagerung der Aufklärungstätigkeit auf den Antragsteller suggeriert wird.449 Eine den Regeln des Zivilprozesses entsprechende Übertragung der Ermittlungs-, Aufklärungs- und Beweisführungspflicht auf den Kläger bzw. Antragsteller wäre mit den aus Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG abgeleiteten Aufgaben des Verwaltungsprozesses im Allgemeinen und des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens im Besonderen nicht zu vereinbaren. Das auf die richterliche Tatsachenerkenntnis bezogene Erfordernis einer „Glaubhaftmachung“ darf nicht transitiv im Sinne einer Pflicht des Antragstellers verstanden werden, seinerseits die tatsächliche Entscheidungsprämisse und eine entsprechende Informationslage des Gerichts herzustellen. Wenn nun auf der einen Seite die Untersuchungsmaxime unangetastet bleibt, auf der anderen jedoch Wege zur Beschleunigung der Tatsachenermittlung im Eilverfahren gefunden werden müssen, stellt sich die Frage, welchen Beitrag zur Sachaufklärung der um Schutz seiner subjektiven Rechte nachsuchende Antragsteller sowie der Antragsgegner unterhalb der Schwelle einer vollständigen Überbürdung 445 Vgl. Burkholz, S. 60, 62; Eyermann / Geiger, § 86, Rn. 5; Kopp / Schenke, § 86, Rn. 1; Sodan / Ziekow / Höfling / Breustedt, § 86, Rn. 12 ff. 446 Vgl. hierzu oben § 3. 447 Vgl. oben § 4 III. 2. 448 Vgl. etwa Bender, VBlBW 1986, 321 (326); Brühl, JuS 1995, 722 (726); Burkholz, S. 64 f.; Eyermann / Geiger, § 86, Rn. 1 a; Eyermann / Happ, § 123, Rn. 56; Finkelnburg / Jank, Rn. 341; Pietzner / Ronellenfitsch, § 59, Rn. 13; Redeker / von Oertzen, § 123, Rn. 18; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1645 f.; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 280; § 123, Rn. 95; Sellner, Lerche-FS, S. 815 (830); Sodan / Ziekow / Puttler, § 123, Rn. 91. 449 So etwa bei Kopp / Schenke, § 123, Rn. 24; vgl. hierzu auch Burkholz, S. 36 ff. m. w. N.

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der Aufklärungspflicht zu leisten haben. In diesem Sinne bedürfen § 86 Abs. 1 Satz 1, 2. HS. VwGO sowie der von der Rechtsprechung aufgestellte Grundsatz, wonach die Aufklärungspflicht des Gerichts dort endet, wo die Mitwirkungspflicht der Beteiligten einsetzt,450 einer Konkretisierung für das verwaltungsgerichtliche Eilverfahren. Dem gemäß ist zu erwägen, als „kleinere Lösung“ gegenüber einer Außerkraftsetzung des Untersuchungsgrundsatzes diesen zumindest in einem weiteren Umfang immanent bzw. durch konsequente Anwendung vorhandener Beschleunigungsvorschriften zu beschränken und damit eine im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren gesteigerte Mitwirkungsobliegenheit bei der Herstellung der tatsächlichen Prämisse zu statuieren. Diese Verschärfung der Anforderungen an die Mitwirkung der Beteiligten führt auf Seiten des Antragstellers zu einer substantiierten Darlegungslast bereits mit Antragstellung, welche die Übermittlung sämtlicher entscheidungsrelevanter und verfügbarer faktischer Informationen an das Gericht einschließt. Insoweit ist § 82 Abs. 1 Satz 3 VwGO (bzw. § 920 Abs. 1 VwGO)451 im Eilverfahren im wohlverstandenen Interesse des Antragstellers wie eine zwingende Vorschrift zu lesen. Vom Gericht ist zu verlangen, bei unterbliebener Angabe von Tatsachen und Beweismitteln nicht lediglich entsprechend § 82 Abs. 2 Satz 1 VwGO vorzugehen, sondern dem Antragsteller stets in entsprechender Anwendung von § 87 b Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine Ausschlussfrist zu setzen. Die Dauer der Frist bestimmt sich hierbei nach der Eilbedürftigkeit der Sache und der Schwere der nach Zeitablauf für den Antragsteller und evtl. Drittbetroffene eintretenden Folgen. Unterbleibt die angeordnete Mitwirkungsleistung und erlangt das Gericht innerhalb der Frist nicht auf andere Weise, z. B. im Wege der Anforderung der Behördenakten entsprechend § 99 Abs. 1 VwGO, die erforderliche Tatsachenkenntnis, so hat dies u. U. entsprechend § 87 b Abs. 3 VwGO die Ablehnung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz zur Folge. Der Grund für die Ablehnung liegt dann allerdings nicht in der unterbliebenen Mitwirkung selbst,452 sondern darin, dass das Gericht nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen dieser Tatsache ausgehen kann. Bei der Anwendung der Präklusionsregeln sollte zwischen zweipoligen und mehrpoligen Verhältnisses dergestalt differenziert werden, dass in Fällen mit Drittbetroffenheit der Antrag mit Rücksicht auf die Interessen des Dritten stets abzulehnen ist, während dies in zweipoligen Verhältnissen nicht zwingend erforderlich ist. Auf Seiten des Antragsgegners oder sonstiger Beteiligter, z. B. des Beigeladenen bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung, sind Mitwirkungsbeiträge bereits mit 450 Vgl. BVerfG Beschl. v. 07. 04. 1998 – 2 BvR 253 / 96; BVerwG Buchh. 402.24 § 28 AuslG Nr. 31; Buchh. 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 212; NVwZ-RR 1991, 587 (588). 451 Sieht man den Rechtsgrund für eine Verpflichtung des Antragstellers zum Vortrag von Tatsachen bereits in § 920 Abs. 1 ZPO (wie etwa Burkholz, S. 45; Stein / Jonas / Grunsky, § 920, Rn. 7; Thomas / Putzo, § 920, Rn. 1; Zöller / Vollkommer, § 920, Rn. 1), so bleibt diese Vorschrift in ihrer Reichweite nicht hinter § 82 Abs. 1 VwGO zurück. 452 Insofern missverständlich Finkelnburg / Jank, Rn. 341.

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der Zustellung des gegnerischen Antrags ebenfalls unter Setzung einer Ausschlussfrist entsprechend § 87 b Abs. 2 VwGO (i. V. m. der Zustellung entsprechend § 85, 86 Abs. 4 VwGO) anzufordern, deren Dauer sich nach den o. g. Kriterien für eine Fristsetzung gegenüber dem Antragsteller bemisst bzw. die Dauer einer dem Antragsteller konkret gesetzten Frist nicht überschreitet. Kommen der Antragsgegner oder sonstige Beteiligte der Aufforderung des Gerichts nicht nach, so ist § 87 b Abs. 3 VwGO unter Berücksichtigung der Sondersituation des Eilverfahrens wie eine zwingende Vorschrift zu lesen und etwaiges verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Auch in diesem Fall berechtigt wiederum der Umstand der Verspätung allein nicht zu einer (diesmal stattgebenden) Entscheidung. Vielmehr kann dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz nur und erst dann entsprochen werden, wenn das Gericht aufgrund des Vorbringens des Antragstellers und etwaiger weiterer Quellen über die notwendige Tatsachengrundlage für eine Entscheidung im Sinne des Antragstellers verfügt. Ersucht das Gericht einen Beteiligten wegen besonderer Eilbedürftigkeit fernmündlich oder per Fax um Mitteilung von Tatsacheninformationen und wird diese trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit bzw. gesetzlicher Verpflichtung hierzu ernsthaft und endgültig verweigert, so hat die Verletzung der Mitwirkungsobliegenheit auch ohne Zustellung entsprechend § 87 b VwGO i. V. m. § 56 Abs. 1 VwGO zur Konsequenz, dass bei Erreichen des kritischen Zeitpunkts, ab dem ein weiteres Zuwarten aus Rechtsschutzgründen nicht mehr zulässig ist, die Verweigerung zum Nachteil des betreffenden Beteiligten zu berücksichtigen ist, sofern dieser vom Gericht auf die Folgen seines Verhaltens hingewiesen wurde. Insofern kommen hier die allgemeingültigen Folgen verweigerter Mitwirkung453 auch außerhalb eines formal korrekten Vorgehens nach § 87 b VwGO zum Tragen. Im Ergebnis kann ein Beitrag zur Beschleunigung des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz und zur Kompensation des Zeitfaktors bereits dadurch geleistet werden, dass der – den Untersuchungsgrundsatz einschränkenden – Mitwirkungsobliegenheit der Beteiligten ein stärkeres Gewicht beigemessen wird und die Regelungen über die Fristsetzung und den Ausschluss verspäteten Tatsachenvortrags konsequent zur Anwendung kommen.

bb) Beschleunigung der Ermittlungen im Übrigen Nachdem geklärt wurde, welche Einschränkungen der Untersuchungsgrundsatz durch die Mitwirkungslast der Beteiligten erfährt, ist nun der Frage nachzugehen, auf welche Weise das Gericht im Rahmen der bestehenden Aufklärungspflicht seine Ermittlungen mit dem Ziel eines zügigen Verfahrensabschlusses reduzieren oder beschleunigt durchführen kann. Diesbezüglich ist vorab zu betonen, dass die Begrenzung des Ermittlungsaufwands zwar vielfach geboten ist, die VwGO jedoch 453

Vgl. hierzu Kopp / Schenke, § 108, Rn. 17 m. w. N.

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auch bezüglich der Herstellung der faktischen Entscheidungsprämisse keine zwingenden Vorgaben enthält, welche die gerichtliche Sachaufklärung im Sinne einer „nur summarischen Prüfung“ von Vornherein auf einen bestimmten Prüfungsumfang und bestimmte Erkenntnisquellen beschränkten.454 Ein generelles Gebot zur Entscheidung nach Aktenlage455 oder lediglich aufgrund „präsenter“ Beweismittel456 ist dem Verwaltungsprozessrecht nicht zu entnehmen.457 Insofern impliziert die für das Anordnungsverfahren gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO vorgesehene und auch für das Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO in entsprechender Anwendung von § 294 ZPO befürwortete458 Möglichkeit der eidesstattlichen Versicherung nicht die Beschränkung gemäß § 294 Abs. 2 ZPO. Angesichts der Freistellung für Beschlussverfahren gemäß § 101 Abs. 3 VwGO ist es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zulässig, nach pflichtgemäßem Ermessen eine mündliche Verhandlung durchzuführen, für die keine gesetzlich vorgegebenen, sondern nur mit den Umständen des Einzelfalls zusammenhängende Einschränkungen bestehen.459 Daher sind grundsätzlich sämtliche im Hauptsacheverfahren zugänglichen Mittel und Wege der Tatsachenerkenntnis zugelassen.460 Umgekehrt bieten sich dem Gericht im Eilverfahren freilich Möglichkeiten, durch Rückgriff auf kurzfristig verfügbare Informationsquellen die Dauer seiner Ermittlungen zu verringern. In Anbetracht des bei der tatsächlichen Prüfung weit überwiegenden Anteils kommunikativ gewonnener Informationen461 erlangt hier vor allem die Abkürzung der Kommunikationswege, verbunden mit einer Reduzierung der Liegezeiten, Bedeutung. In diesem Sinne kann in komplexeren Verfahren anstelle der gemäß § 101 Abs. 3 VwGO freigestellten mündlichen Verhandlung entsprechend § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO ein Erörterungstermin angesetzt oder aber bei ausreichender Tatsachengrundlage auch ohne Zustimmung der Beteiligten auf eine mündlichen Erörterung gänzlich verzichtet werden. Anstatt einer Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung besteht die Möglichkeit, entsprechend § 98 VwGO i. V. m. § 377 Abs. 3 ZPO schriftliche Zeugenaussagen einzuholen. Zu bedenken ist allerdings, dass bei einem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung oder Erörterung dem Grundsatz rechtlichen Gehörs – freilich innerhalb dessen Vgl. auch Schoch / Schoch, § 80, Rn. 280 f. So etwa VGH Mannheim, NVwZ-RR 1991, 73 (74). 456 So VGH Mannheim, NVwZ-RR 1993, 19; Brühl, JuS 1995, 722 (726); Kopp / Schenke, § 80, Rn. 125. 457 Wie hier Finkelnburg / Jank, Rn. 316, 347, 974; Schoch / Schoch, § 80, Rn. 280. 458 Vgl. etwa VGH Mannheim, VBlBW 1990, 179 (180); Finkelnburg / Jank, Rn. 975; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 52; Schoch / Schoch, § 123, Rn. 279. 459 Vgl. Eyermann / Happ, § 123, Rn. 55; Finkelnburg / Jank, Rn. 316, 971; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 60; § 101, Rn. 8; § 123, Rn. 20; Schoch / Schoch, § 123, Rn. 126. Für eine mündliche Verhandlung als Ausnahmefall VGH Mannheim, NVwZ-RR 1993, 19. 460 Vgl. Finkelnburg / Jank, Rn. 345. 461 Vgl. oben § 7 II. 2. d) aa). 454 455

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Grenzen462 – auf andere Weise Rechnung zu tragen ist, insbesondere durch die (befristete)463 Gelegenheit zur schriftlichen Äußerung. Hält das Gericht eine mündliche Verhandlung oder Erörterung dennoch für unverzichtbar, ist diese notfalls auch am Wochenende durchzuführen.464 Zumeist wird sich allerdings im schriftlichen Verfahren, insbesondere durch zügige Übersendung der Behördenakten entsprechend § 99 Abs. 1 VwGO, eine jedenfalls für das Eilverfahren ausreichende Tatsachengrundlage herstellen lassen, bedenkt man, dass die Akten bereits das Ergebnis einer umfassenden Sachverhaltsermittlung darstellen und auch in der Hauptsache aus prozessökonomischen Gründen vielfach ein Vorgehen nach § 101 Abs. 2 VwGO angezeigt ist.465 Im Falle besonderen Zeitmangels ist im Eilverfahren von der Übersendung von Schriftstücken auf dem Postwege abzusehen und bietet die Einholung fernmündlicher sowie per Telefax oder elektronischer Post übermittelter Tatsacheninformationen, z. B. behördlicher Auskünfte, eine effektive Beschleunigungsoption. Möglichkeiten zur Kompensation des Zeitfaktors im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eröffnen sich somit nicht nur durch eine verstärkte Inanspruchnahme der Mitwirkungsbeiträge der Beteiligten und die Sanktionierung von Verletzungen der Mitwirkungsobliegenheit. Eine Beschleunigung der gerichtlichen Ermittlungstätigkeit lässt sich auch dadurch erzielen, dass das Gericht bei der Tatsachenermittlung die Kommunikationswege verkürzt und auf Informationsquellen zurückgreift, die in kurzer Zeit erschlossen werden können.

cc) Reduzierung der Erkenntnisanforderungen Bei der Herstellung der faktischen Entscheidungsprämisse kommt schließlich die Reduzierung der Erkenntnisanforderungen, d. h. des bei der Beweiswürdigung zu erreichenden Beurteilungsgrads zum Tragen. Wie bereits dargestellt,466 wird nach h. M. mit dem Kriterium der „Glaubhaftmachung“ eine Herabsetzung des Beweismaßes auf den Beurteilungsgrad der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ nicht lediglich gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO für einstweilige Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO, sondern für sämtliche Formen des verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes befürwortet. Eine Tatsache kann demnach der Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn das Gericht das Vorliegen der Tatsache bzw. die Wahrheit der entsprechenden tatsächlichen Vgl. hierzu oben § 7 II. 1. d). Vgl. oben aa). 464 Vgl. BVerfGE 65, 227 (236); Finkelnburg / Jank, Rn. 319; Redeker / von Oertzen, § 80, Rn. 60. 465 Vgl. im Ergebnis auch Finkelnburg / Jank, Rn. 975, wonach im ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren getroffene Feststellungen in Behördenakten als Mittel der Glaubhaftmachung ausreichen können. 466 Vgl. oben § 6 I. 2. 462 463

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Behauptung für wahrscheinlicher hält als ihr Nichtvorliegen bzw. die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung oder – anders gewendet – von einer über 50% liegenden Wahrscheinlichkeit ausgeht.467 Z. T. wird für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit gefordert, dass bezogen auf die Richtigkeit der Tatsachenbehauptung deutlich mehr dafür als dagegen spricht468 bzw. die für das Vorliegen der Tatsache sprechenden Gründe die Zweifel eindeutig überwiegen.469 Unabhängig von inhaltlichen Divergenzen bedeutet die Forderung überwiegender Wahrscheinlichkeit jedenfalls, dass sich der Beurteilungsgrad abstrakt bestimmt. Eine abweichende Auffassung lehnt diese Festlegung auf einen für sämtliche Fälle gleichermaßen geltenden Wahrscheinlichkeitsgrad als willkürlich ab und verlangt demgegenüber, die Erkenntnisanforderungen von den Umständen des Einzelfalls abhängig zu machen und immer wieder neu zu bestimmen.470 Da die Beurteilung, wann eine einstweilige Anordnung erforderlich sei, von der Bedeutung des zu sichernden Rechts und der Intensität der drohenden Beeinträchtigung abhänge, müssten sich diese Faktoren auch auf den hinsichtlich der Tatsachengrundlage herzustellenden Wahrscheinlichkeitsgrad auswirken.471 Hieraus folge, dass an die Wahrscheinlichkeit einer drohenden Beeinträchtigung umso geringere Anforderungen zu stellen seien, je schwerer die geschützten Rechtsgüter betroffen würden und je gewichtiger diese Rechtsgüter seien (und umgekehrt).472 Andererseits müsse die Wahrscheinlichkeit der den Erlass der einstweiligen Anordnung rechtfertigenden Voraussetzungen umso höher sein, je intensiver die Anordnung in Rechte anderer eingreife.473 Einer solchermaßen flexiblen Bestimmung der tatsächlichen Erkenntnisanforderungen kann jedoch nicht zugestimmt werden. Insbesondere vermag diese Lösung der – bei einer Fixierung auf „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ unterstellten – Willkür nicht entgegenzuwirken. Vielmehr setzt sie sich ihrerseits der Gefahr des Dezisionismus in deutlich stärkerem Maße aus, da in diesem Fall nicht allein die Beurteilung, wann der erforderliche Grad an Wahrscheinlichkeit erreicht ist, auf einer subjektiven Einschätzung des Richters beruht, sondern bereits die Festlegung der Erkenntnisanforderungen der notwendigerweise subjektiven Abwägungsentscheidung des Richters überantwortet ist. Sofern der beklagten Praxis eines stereotypen Verweises auf mangelnde überwiegende Wahrscheinlichkeit entgegengewirkt werden soll,474 stellt eine weitere Subjektivierung der Beurteilungskriterien keinen geeigneten Ausweg dar, abgesehen davon, dass die Lösung des Prob467 468 469 470 471 472 473 474

So OLG Köln, Urt. v. 28. 05. 2003 – 5 U 77 / 01. So Finkelnburg / Jank, Rn. 338. So Jakobs, VBlBW 1984, 129 (134). Vgl. Burkholz, S. 83. Vgl. Burkholz, S. 82 ff. Vgl. Burkholz, S. 83. Vgl. Burkholz, S. 84. So Burkholz, S. 85.

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lems einer evtl. unzureichenden Begründungspraxis nicht in der Änderung der Entscheidungskriterien zu suchen ist. Darüber hinaus führt die dargestellte Ansicht in Fällen mit Drittbetroffenheit zu einer unauflöslichen Zielantinomie, wenn einerseits die Schwere der Folgen für den Antragsteller besonders geringe Erkenntnisanforderungen nach sich ziehen, andererseits der Eingriff in die Rechte Dritter wiederum eine besonders hohe Wahrscheinlichkeit der Voraussetzungen für den Erlass der Eilmaßnahme gebieten soll. Im Ergebnis ist daher hinsichtlich des Vorliegens der entscheidungserheblichen Tatsachen ein fixer Beurteilungsgrad anzulegen und am Erfordernis überwiegender Wahrscheinlichkeit festzuhalten. In inhaltlicher Hinsicht sollte diese Anforderung zur Vermeidung unbestimmter Entscheidungsmaßstäbe wörtlich verstanden und bereits dann als erfüllt angesehen werden, wenn das Gericht mit einer über 50% liegenden Wahrscheinlichkeit von der Wahrheit der Tatsachenbehauptung ausgeht. Somit ist eine Kompensation des Zeitfaktors im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren bei der Herstellung der tatsächlichen Prämisse auch durch die Reduzierung der Erkenntnisanforderungen möglich, da das Gericht nicht mit der in der Hauptsache geforderten vollen richterlichen Überzeugung, sondern lediglich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen ausgehen muss.

b) Übertragung auf den Einzelrichter Eine arbeitsorganisatorische Maßnahme zur Ausschöpfung verfahrensimmanenter Beschleunigungspotenziale könnte die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter gemäß § 6 Abs. 1 VwGO darstellen. Diese ist im Unterschied zur Eilentscheidung des Vorsitzenden gemäß bzw. entsprechend § 80 Abs. 8 VwGO nicht an die besondere Dringlichkeit des Falls geknüpft. Mit der Einführung des § 6 VwGO n. F. durch das RPflEntlG verband der Gesetzgeber die Erwartung einer Entlastungs- und Verfahrensbeschleunigungswirkung bei gleichbleibender Qualität der gerichtlichen Entscheidungen475. Der vorgesehene verstärkte Einsatz des Einzelrichters ist auf Kritik gestoßen, die an eben jenen Aspekten der Beschleunigung und Entlastung sowie der Entscheidungsqualität ansetzt. So wird die Erreichung des Entlastungs- und Beschleunigungsziels des Gesetzgebers entweder grundsätzlich476 oder unter Berufung auf geringe Übertragungsquoten in der Praxis477 in Zweifel gezogen. Letzterer, auf die mangelnde Implementierung des § 6 Abs. 1 VwGO abstellende Einwand ist insofern nicht von der 475 476 477

Vgl. BT-Drs. 12 / 1217, S. 54. So Kopp / Schenke, § 6, Rn. 1; Schoch / Stelkens, § 6, Rn. 4. So Eyermann / Geiger, § 6, Rn. 2.

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Hand zu weisen, als eine unzureichende Anwendung des Instruments den Eintritt des mit der Regelung bezweckten Erfolgs zumindest teilweise vereitelt. Die Ursache hierfür ließe sich jedoch durch Einführung des obligatorischen Einzelrichters anstelle der bisherigen Regelung, die als Soll-Vorschrift ausgestaltet ist und die Übertragung nur „in der Regel“ vorsieht (§ 6 Abs. 1 VwGO), beheben. Zugleich könnte für bestimmte Verfahren wie etwa diejenigen des einstweiligen Rechtsschutzes de lege ferenda ein originärer Einzelrichter zwingend vorgegeben werden. Soweit der Einzelrichterentscheidung hingegen prinzipiell ein Beschleunigungspotenzial abgesprochen wird, steht dies freilich im Gegensatz zu rechtstatsächlichen, soziologischen und entscheidungstheoretischen Erkenntnissen zur Dauer von Einzel- und Kollegialentscheidungen. Demnach lässt sich bei der Bewältigung von Aufgaben geringer Komplexität ein zeitlicher Vorteil (wie auch ein Leistungsgewinn) durch Zusammenarbeit in der Gruppe nicht erkennen.478 Vielmehr steigt durch die Beteiligung Mehrerer der Koordinationsaufwand, der etwaige Gruppenvorteile überkompensieren kann,479 unabhängig davon, dass durch die Beteiligung Mehrerer an der Entscheidungsfindung an sich bereits ein erhöhter Gesamtaufwand zu verzeichnen ist.480 Durch Übertragung der Entscheidung auf eine einzelne Person kann somit in Fällen geringerer Problemkomplexität nicht nur ein unmittelbarer Beschleunigungseffekt für das konkrete Verfahren, sondern darüber hinaus eine mittelbare, auf sämtliche Verfahren bezogene Entlastungs- und Beschleunigungswirkung erzielt werden.481 Auf den Inhalt der Entscheidung abstellend wird die Gruppenentscheidung zumindest in schwierigeren Fällen für vorzugswürdig erachtet, da die Arbeitsergebnisse hier eine höhere Qualität aufwiesen;482 desgleichen erzielten Kollegialentscheidungen die größere Akzeptanz.483 Einzelrichterentscheidungen bewirkten demgegenüber infolge Fehlens der Koordinationsfunktion durch die Kammer eine Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung, die sich in einer Erhöhung der Zahl der Rechtsmittel niederschlage.484 Sofern jedoch zur Begründung der unterstellten Qualitäts- und Akzeptanzsteigerung der Entscheidungsfindung im Kollegium die Vgl. Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (109 ff.); Kininger, S. 111; von Nitsch, S. 72 f. Vgl. von Nitsch, S. 73. 480 Vgl. Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (111); Kininger, S. 111. 481 Die Beschleunigungswirkung ist freilich schwer quantifizierbar. Ein Rückgriff auf rechtstatsächliche Erkenntnisse, die bei Einzelrichterentscheidungen im Verhältnis zu Kammerentscheidungen regelmäßig kürzere Bearbeitungsdauern aufweisen (vgl. Arthur Andersen Business Consulting, Anhang 110) führt hier infolge des – als Übertragungsbedingung von § 348 Abs. 1 ZPO a. F. bzw. § 6 Abs. 1 VwGO vorausgesetzten – unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads zu keinen belastbaren Aussagen. 482 Vgl. Hendel, Tatsachenforschung, S. 105 (107 ff.); Kininger, S. 72 f.; von Nitsch, S. 73; OLG Karlsruhe, Pressemitteilung vom 04. 05. 2000, Nr. 2.1. 483 Vgl. OLG Karlsruhe, Pressemitteilung vom 04. 05. 2000, Nr. 2.1. 484 So Eyermann / Geiger, § 6, Rn. 2. 478 479

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gegen Einzelrichterurteile eingelegten Rechtsmittel angeführt werden, sieht sich diese Behauptung durch statistische Erhebungen und rechtstatsächliche Untersuchungen zumindest im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit nicht bestätigt. Ausweislich des dem Gesetzgeber im Vorfeld des Erlasses des Zivilprozessreformgesetzes485 vorliegenden statistischen Materials betrug die Berufungsquote gegen Urteile der Zivilkammer 1995 83%, gegen diejenigen des Einzelrichters hingegen lediglich 39%486. Diese Zahlen streiten somit nicht gegen die Befriedungswirkung von Einzelrichterentscheidungen, sondern umgekehrt für eine höhere Akzeptanz derselben. Zieht man mit Blick auf die Entscheidungsqualität die Bestätigungsquote im Berufungsverfahren heran, so kann auf die Ergebnisse der von Rimmelspacher im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz angestellten rechtstatsächlichen Untersuchung verwiesen werden, denen zufolge bei Berufungen gegen Urteile des Einzelrichters der Anteil stattgebender Berufungsurteile des Oberlandesgerichts niedriger und der Anteil der verwerfenden bzw. zurückweisenden Entscheidungen höher lag als im Durchschnitt sämtlicher Verfahren.487 Anzeichen für eine geringere Qualität von Einzelrichterentscheidungen lassen sich hieraus nicht ableiten.488 Wenngleich sich die wiedergegebenen statistischen und rechtstatsächlichen Erkenntnisse auf den Bereich des Zivilprozesses beschränken und daher Schlussfolgerungen für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur unter Vorbehalt möglich sind, so rechtfertigen sie doch weitaus eher die Annahme positiver Wirkungen durch eine Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter als sie die Behauptung nachteiliger Folgen zu stützen imstande sind. Angesichts des für § 348 Abs. 1 ZPO a. F., dem § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO wortgleich nachgebildet ist, festgestellten unmittelbaren und mittelbaren Beschleunigungs- und Entlastungseffekts bei gleichbleibender Entscheidungsqualität sollte diese Maßnahme auch im Verwaltungsprozess konsequent zur Anwendung kommen. De lege ferenda ist des Weiteren zu erwägen, über die bestehende Regelung in § 6 Abs. 1 VwGO hinaus für sämtliche Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz den originären Einzelrichter einzuführen. Zwar liegt in diesen Rechtssachen freilich nicht stets eine Fallkonstellation geringerer Schwierigkeit und Bedeutung vor. Da sich Gruppenvorteile in komplexen Verfahren jedoch nicht in zeitlicher, sondern „nur“ in qualitativer Hinsicht auswirken, sollten etwaige Qualitätseinbußen bei der tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Hauptsacheanspruchs in Anbetracht des Beschleunigungs- und Entlastungseffekts der Übertragung auf den Einzelrichter in Kauf genommen werden. Dies wäre angesichts des vorläufigen Charakters der Eilentscheidung unter zweierlei Gesichtspunkten vertretbar. Zum einen steht die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nicht allein aus erkenntnistheoretischen Erwägungen, sondern auch aufgrund ihrer Stellung im System des 485 486 487 488

Vom 27. 07. 2001, BGBl. I S. 1887 Vgl. BT-Drs. 14 / 3750, S. 40. Vgl. Rimmelspacher, S. 29, 175. Ebenso BT-Drs. 14 / 3750, S. 40 sowie das Fazit von Rimmelspacher, S. 183, 203.

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verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes von vornherein unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis in der Hauptsache. Mit der Vorläufigkeit geht die Möglichkeit einher, die unter a) genannten Erleichterungen bei der Herstellung der Tatsachengrundlage zu nutzen und im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen489 die rechtliche Prüfungsintensität zu reduzieren. Insofern sind Abstriche bei der Gründlichkeit der Prüfung und damit möglicherweise einhergehende Qualitätsverluste im Sinne einer zeitangemessenen Rechtsschutzgewährung hinzunehmen. Zum anderen ergibt sich aus dem Vorbehalt besserer Erkenntnis, dass in der Hauptsache Abweichungen bei der Tatsachenfeststellung und der rechtlichen Würdigung möglich sind. Würde nun die Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stets vom Einzelrichter und die Hauptsacheentscheidung in schwierigen und grundsätzlich bedeutsamen Fällen vom Kollegium getroffen, so stünde hierdurch zu erwarten, dass sich die Neigungen zu Strategien der Perseveranz und der Entschlussperpetuierung490 verringerten, da keine Personenidentität der Entscheidungssubjekte vorläge. Ebenso ließe sich dem bisweilen zu beobachtenden Hang zur Prüfung und Begründung in einem der Hauptsache adäquaten Umfang491 entgegenwirken und der vorläufige Charakter der Eilentscheidung wahren. Auch in der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter ist folglich eine verfahrensimmanente Möglichkeit zur beschleunigten Erledigung des Eilverfahrens sowie – insofern verfahrensübergreifend – zur Entlastung des Spruchkörpers über den konkreten Fall hinaus zu sehen.

c) Vordringliche Behandlung von Eilsachen Schließlich liegt eine arbeitsorganisatorische Beschleunigungsmaßnahme darin, Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz gegenüber anhängigen Hauptsacheverfahren je nach Dringlichkeit mit zeitlichem Vorrang zu bearbeiten. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob es mangels einschlägiger gesetzlicher Vorgabe mit der richterlichen Unabhängigkeit gemäß Art. 97 Abs. 1 GG, §§ 1 GVG, 25 DRiG vereinbar ist, Richter notfalls im Wege der Dienstaufsicht zu einem entsprechenden Vorgehen anzuhalten. Nach der Spruchpraxis des BGH – Dienstgericht des Bundes – erstreckt sich die richterliche sachliche Unabhängigkeit nur auf die eigentliche Rechtsfindung, nicht aber auf den ordnungsgemäßen Geschäftsablauf, die äußere Form der Erledigung des Amtsgeschäfts oder den – im Gegensatz zum Kernbereich der eigentlichen Rechtsprechung stehenden – Bereich der äußeren Ordnung.492 Außerhalb des Kernbereichs umfasst die Dienstaufsicht gemäß § 26 Abs. 2 DRiG die Befugnis, dem Richter die ordnungswidrige Art der Ausführung 489 490 491 492

Vgl. hierzu oben § 8 IV. und § 9 I. 2. Vgl. zu diesen Strategien oben § 8 III. 1. c) bb) (4). Vgl. hierzu bereits oben I. 2. a). Vgl. BGHZ 90, 41 (45); BGH LM Nr. 39 und Nr. 45 zu § 26 DRiG.

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eines Amtsgeschäfts vorzuhalten und ihn zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung seiner Amtsgeschäfte zu ermahnen. Nicht erlaubt ist es hierbei, den Richter zu ersuchen, bestimmte Verfahren umgehend zu bearbeiten493 oder einzelne Verfahren anderen gleich bearbeitungsbedürftigen vorzuziehen.494 Damit kann der Richter grundsätzlich selbst über die Reihenfolge der Bearbeitung seiner Dienstgeschäfte entscheiden. Insbesondere obliegt es nach der Rechtsprechung des BVerfG dem mit der Sache befassten Gericht, im Rahmen des ihm im Hinblick auf die Verfahrensführung durch die einschlägigen Prozessordnungen eingeräumten Ermessens zu bestimmen, wann im einzelnen Verfahren ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und die Hauptsache entschieden wird.495 Einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf sofortige Entscheidung jeder Hauptsacherechtsfrage gibt es somit nicht. Gleichwohl ist die dienstaufsichtliche Ermahnung zulässig, die Reihenfolge der Bearbeitung nach der jeweiligen Dringlichkeit einzurichten und dabei eine etwa bevorstehende Verjährung zu beachten.496 Da eine Gleichbehandlung folglich nur bei gleich bearbeitungsbedürftigen Verfahren geboten ist, vorrangig bearbeitungsbedürftige, also dringende Verfahren hingegen im Sinne eines ordnungsgemäßen Geschäftsablaufs und einer „unverzögerten Erledigung“ vorzuziehen sind, ist ein entsprechendes, das gerichtliche Ermessen einschränkendes zeitliches Vorrangverhältnis zugunsten der Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz als unproblematisch anzusehen. Insoweit besteht eine den Fällen drohender Verjährung vergleichbare Situation, zugleich aber ein wesentlicher Unterschied zu den übrigen anhängigen Hauptsacheverfahren, welcher die vordringliche Bearbeitung der Eilverfahren rechtfertigt.

2. Verfahrensunabhängige Kompensationsmöglichkeiten In Ergänzung zu den unter 1. genannten verfahrensbezogenen Möglichkeiten zur Kompensation des Zeitmangels im Eilverfahren soll nicht unerwähnt bleiben, dass eine zügige Fallbearbeitung zusätzlich von einer Reihe verfahrensunabhängiger Faktoren abhängt, die sich, wenngleich vom Richter in der konkreten Entscheidungssituation nicht oder nur begrenzt beeinflussbar, losgelöst vom Einzelfall auf die Dauer sämtlicher Verfahren auswirken. Diese Faktoren personeller, arbeitsorganisatorischer und infrastrukturell-technischer Natur bieten ebenfalls Ansatzpunkte für eine beschleunigte Erledigung gerichtlicher Verfahren im Allgemeinen und Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz im Besonderen. Vgl. BGH NJW 1997, 1197 (1198). Vgl. BGH, Urt. v. 16. 09. 1987 – RiZ (R) 5 / 87. 495 Vgl. BVerfGE 55, 349 (369); BVerfG NVwZ-RR 1999, 217 (218). Demgegenüber halten Zöller / Stöber, § 216, Rn. 16 aus Gründen der Gleichbehandlung eine Terminierung in der Reihenfolge der Eingänge für geboten. 496 Vgl. BGH, Urt. v. 16. 09. 1987 – RiZ (R) 5 / 87. 493 494

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Unter Bezugnahme auf – wiederum im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit gewonnene497 – rechtstatsächliche Erkenntnisse lassen sich beispielhaft folgende Einflussfaktoren dieser Art aufzeigen: In personeller Hinsicht ist als verfahrensbeschleunigender Faktor zunächst die Spezialisierung des Richterpersonals zu nennen, die unmittelbar über eine zügigere Bearbeitung und mittelbar über eine Steigerung der Entscheidungsqualität verbunden mit niedrigeren Anfechtungs- und höheren Bestätigungsquoten zur Geltung kommt.498 Über diese individuell personenbezogene Komponente hinaus verringert eine angemessene Personalausstattung den Arbeitsaufwand; kommt es jedoch zu einer hohen Personalfluktuation sowie häufigen Einsatzwechseln, verzögern sich wiederum die Verfahren infolge der damit einhergehenden Einarbeitungsphasen deutlich.499 Mit Blick auf die Arbeitsorganisation wirken sich beispielsweise eine weitgehende Delegation von Entscheidungsbefugnissen, die Existenz von Serviceeinheiten, häufiger Aktenzutrag sowie ein ausgebautes Vordruckwesen vorteilhaft aus; Verzögerungen verursachen demgegenüber hohe räumliche Entfernungen innerhalb des Hauses sowie die Anzahl der Zweigstellen des Gerichts.500 Die technisch-infrastrukturelle Ausstattung und damit vor allem die Qualität des Informationsbeschaffungssystems betreffend lassen sich Beschleunigungseffekte im Bereich der EDV durch den Einsatz von justizspezifischer Software und Bürokommunikationssoftware sowie durch die Vernetzung der IT innerhalb des Gerichts und mit anderen Gerichten erreichen.501 Ergänzend können gerichtseigene Entscheidungen archiviert werden. Voraussetzung für eine effiziente und zeitsparende Informationsbeschaffung und Kommunikation ist freilich das Vorhandensein entsprechender EDV- und Bürogeräte. Ergänzend zur Nutzung elektronischer Datenbanken bietet nicht zuletzt eine gut ausgestattete und erreichbare Hausbibliothek zusätzliche Vorteile im Hinblick auf die Gewinnung der erforderlichen Rechtsinformationen.

497 Diesbezüglich gilt wiederum der Vorbehalt der Übertragbarkeit. Letztere ist hier jedoch kaum anzuzweifeln, da die angeführten personellen, arbeitsorganisatorischen und technisch-infrastrukturellen Aspekte keinen an eine bestimmte Rechtsmaterie und das entsprechende Verfahrensrecht geknüpften spezifischen Bezug aufweisen, sondern als fachgerichtsbarkeitsübergreifende Erfolgsbedingungen anzusehen sind. 498 Vgl. Arthur Andersen Business Consulting, Anhang „Auswertung Einflussfaktoren Gerichte“, S. 1; Kininger, S. 73. 499 Vgl. Arthur Andersen Business Consulting, Anhang „Auswertung Einflussfaktoren Gerichte“, S. 1 f. 500 Vgl. Arthur Andersen Business Consulting, Anhang „Auswertung Einflussfaktoren Gerichte“, S. 1, 3. 501 Vgl. Arthur Andersen Business Consulting, Anhang „Auswertung Einflussfaktoren Gerichte“, S. 3.

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3. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Kompensation des Zeitfaktors bei gleichzeitiger Einhaltung der Mindestanforderungen an die rechtliche Prüfung auf verschiedene Weise möglich ist. Im Vordergrund stehen hierbei zunächst konkret verfahrensbezogene Maßnahmen, da diese dem Einfluss des mit der Sache befassten Richters unmittelbar zugänglich sind. Eine Verfahrensbeschleunigung lässt sich insbesondere im Bereich der Tatsachenermittlung und Beweiswürdigung erreichen, indem bei fortbestehender Geltung der Untersuchungsmaxime die Anforderungen an die Mitwirkungslast der Beteiligten erhöht, Möglichkeiten zur Beschleunigung der Ermittlungen insbesondere durch Abkürzung der Kommunikationswege genutzt und schließlich die Erkenntnisanforderungen hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen auf den Beurteilungsgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit gesenkt werden. Weitere Beschleunigungspotenziale können durch die konsequente Übertragung von Eilverfahren auf den Einzelrichter sowie die zeitlich vordringliche Behandlung dieser Verfahren im Verhältnis zu Hauptsacheverfahren ausgeschöpft werden. Flankierend zu den genannten verfahrensunmittelbaren Möglichkeiten zur Reduzierung des Zeitaufwands lässt sich eine zügige Abwicklung verwaltungsgerichtlicher Verfahren einschließlich derjenigen im einstweiligen Rechtsschutz durch solche Maßnahmen befördern, die unabhängig vom Einzelfall eine Entlastungsund Beschleunigungswirkung für sämtliche Verfahren bewirken können. Ansatzpunkte hierfür bieten sich insbesondere in den Bereichen Personal, Arbeitsorganisation und technisch-infrastrukturelle Ausstattung.

III. Ergebnis Die Erörterung hat ergeben, dass auch in der Sondersituation des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz die Herstellung einer rechtlichen Entscheidungsprämisse lege artis erforderlich ist und die von Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG vorgegebenen Mindestanforderungen an das Ergebnis der rechtlichen Prüfung nicht unterschritten werden dürfen. Zwar steht dem Richter im Eilverfahren bei der Herstellung des Ausgleichs zwischen den konkurrierenden Zielgrößen einer möglichst gründlichen und zugleich zeitangemessenen rechtlichen Prüfung im Rahmen der Zielgewichtung oder Bildung einer Zielrangordnung ein Spielraum zur Verfügung. Eine Reduzierung der rechtlichen Prüfungsintensität ist hier jedoch ebenso wie in der Hauptsache nur innerhalb der durch Verfassungsrecht gesetzten Grenzen zulässig. Da das Zeitkontingent von Fall zu Fall variiert und der Zugang zu Rechtsinformationen grundsätzlich weniger zeitintensiv ist als die Beschaffung faktischer Informationen, lässt sich zudem die generalisierende Behauptung, das Eilverfahren biete keine adäquaten rechtlichen Erkenntnismöglichkeiten, nicht aufrechterhalten.

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Unbeschadet der Frage der Zulässigkeit einer Absenkung der verfassungsrechtlichen Prüfungsanforderungen sind daher auch aus diesem Grunde Ansatzpunkte für eine Kompensation des Zeitfaktors im Eilverfahren an anderer Stelle zu suchen. Zu diesem Zweck eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten, durch verfahrensbezogene und verfahrensunabhängige Beschleunigungsmaßnahmen einen zeitangemessenen Abschluss des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz unter gleichzeitiger Wahrung der Voraussetzungen einer rechtlichen Entscheidungsprämisse lege artis herbeizuführen.

Zusammenfassung § 10 Zusammenfassende Thesen Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich in Thesenform wie folgt zusammenfassen:

I. Zur Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen 1. Die Hauptfunktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit liegen im Schutz subjektiver Rechte und in der objektiven Rechtskontrolle. Sowohl die aus Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitete Rechtsschutzfunktion, die in Gestalt des Gebots effektiven Rechtsschutzes eine vollständige Nachprüfung belastenden Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fordert, als auch die in Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG zu verortende Kontrollfunktion geben jedenfalls für das Hauptsacheverfahren den materiellrechtlichen Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab zwingend vor. 2. Dem verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz kommt in Bezug auf das subjektive Recht als Schutzobjekt sowohl eine Sicherungs- als auch eine interimistische Befriedungsfunktion zu. Es besteht ein untrennbarer Zusammenhang zur geschützten Rechtsposition in der Hauptsache. Da im Zuge der auf Art. 19 Abs. 4 GG und die Gesetzesbindungspostulate der Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG gegründeten Befriedungsfunktion bereits im Eilverfahren Verhaltenspflichten der Beteiligten abschließend festgelegt und ein vorläufiger Zustand endgültig geregelt wird, stellt die materielle Rechtslage auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kraft Verfassungsrechts ein obligatorisches Prüfungs- und Entscheidungskriterium dar. 3. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes verlangt kumulativ und unabhängig voneinander eine (zumindest vorläufige) positive Beurteilung der materiellen Rechtslage und die besondere Eilbedürftigkeit der Maßnahme. Die zu den einzelnen Systemen verwaltungsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes vertretenen Abwägungslösungen, die eine Entscheidungsfindung unter Einbeziehung der materiellen Rechtslage als bloßen Abwägungsbelang oder unter gänzlichem Verzicht auf eine rechtliche Prüfung vorsehen, sind verfassungswidrig.

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Trotz ihrer tatbestandlichen Struktur enthalten die Vorschriften der §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123 Abs. 1 und 47 Abs. 6 VwGO auf der Rechtsfolgenseite kein Optimierungsgebot in Gestalt von Entschließungsermessen. Die Annahme eines Abwägungsgebots auf der Tatbestandsseite ist mit Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 20 Abs. 3, 1 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG unvereinbar, da sie die Befriedungsfunktion und den unmittelbaren Bezug des Eilverfahrens zum subjektiven Recht außer Betracht lässt. Die Abwägungslösungen sind auch deshalb abzulehnen, weil das materielle Recht bzw. die Erfolgsprognose bereits prinzipiell kein für eine Abwägung gegen Elemente der Eilbedürftigkeit taugliches Kriterium darstellt. Des Weiteren fehlen Art. 3 Abs. 1 GG und dem Rechtssicherheitsgebot zuwider eindeutige und einheitliche Vorgaben für den Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab. Das Abstellen auf gesetzgeberische „Vorentscheidungen“ bei der Abwägung schließlich verletzt Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und die Gesetzesbindung.

II. Zur Klärungsfähigkeit von Rechtsfragen 4. Weder aus dem Gesetz noch aus dem „Wesen“ des einstweiligen Rechtsschutzes lässt sich die Vorgabe einer Beschränkung der rechtlichen Prüfungsintensität im Sinne einer nur „summarischen Prüfung“ ableiten. Auch ist die mit dem Kriterium der „Glaubhaftmachung“ verbundene Reduzierung der Erkenntnisanforderungen auf den Beurteilungsgrad der „überwiegenden Wahrscheinlichkeit“ lediglich für die tatsächliche Prüfung denkbar. Aus entscheidungstheoretischer Sicht liegt bei richterlichen Entscheidungen in Bezug auf die tatsächliche Informationslage regelmäßig eine Entscheidungssituation unter Risiko vor. Rechtsfragen sind hingegen den für die Beweiswürdigung maßgeblichen Wahrscheinlichkeitskategorien von vornherein nicht zugänglich. Zudem stellt eine auf Wahrscheinlichkeitsbasis ausgegebene Rechtserkenntnis die Gesetzesbindung in Frage. 5. Tatsächliche und rechtliche Prüfung unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf die Erkenntnisanforderungen, sondern auch hinsichtlich der Informationsgewinnung. Während faktische Informationen im Wesentlichen kommunikativ und unter Einbeziehung der Beteiligten gewonnen werden, muss (und kann) sich das Gericht die präskriptiven Informationen unabhängig von den Beteiligten beschaffen (iura novit curia). Gleichwohl besteht zwischen Tatsachenermittlung und Rechtsprüfung ein enger Zusammenhang insofern, als die tatsächliche und die rechtliche Entscheidungsprämisse jeweils im Wege wechselseitiger Bewertung gebildet werden und das Ergebnis auf einer wertenden Synthese beruht. Diese Wertung des Entscheidungssubjekts ist erforderlich, um aus dem hermeneutischen Zirkel des „Hin- und Herwanderns des Blicks“ auszubrechen. 14 Windoffer

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Zusammenfassung

6. Das Verfassungsrecht verlangt vom Richter nicht die Auffindung der (einzig) richtigen Lösung. Richterliche Entscheidungen laufen unter einschränkenden Bedingungen ab, die eine solche Richtigkeitserwartung ausschließen. Neben äußeren, verfahrensbezogenen Erkenntnisgrenzen wie dem Zeitfaktor und dem Zugang zu Tatsacheninformationen spielen für das Prüfungsergebnis vor allem subjekt- und zeitgebundene Wertungen des Entscheidungsträgers eine maßgebliche Rolle. Die gerichtliche Entscheidung stellt somit ein Produkt des wertenden Entscheidungssubjekts und der konkreten Handlungsbedingungen dar, das stets unter dem Vorbehalt besserer Erkenntnis steht. Entsprechend vermögen die vertretenen Richtigkeitskonzeptionen nicht zu überzeugen. Das absolute Richtigkeitsverständnis, welches von der verfahrensunabhängigen Existenz einer einzig richtigen Lösung ausgeht, lässt den Verfahrens-, Wert-, Subjekt- und Zeitbezug der Rechtserkenntnis außer Acht und verstößt gegen das Prinzip formaler Entscheidungsrationalität. Auch die relativen, intersubjektiv ausgerichteten Richtigkeitsauffassungen sehen sich z. T. denselben Einwänden ausgesetzt und verkennen darüber hinaus, dass die angestrebte Übereinstimmung innerhalb einer bestimmten Zielgruppe keine sachliche Richtigkeit des Ergebnisses garantiert. 7. Vom Richter ist daher anstelle der richtigen Lösung lediglich eine Entscheidung lege artis gefordert. Aus entscheidungstheoretischer Sicht bedeutet dies die Verpflichtung, den Zielkonflikt zwischen den verfassungsrechtlichen Vorgaben möglichst vollständiger und zeitangemessener Prüfung durch Zielgewichtung oder mittels Bildung einer Zielrangordnung optimal zu bewältigen. Bei der Anwendung der Entscheidungsregeln kommt im Hinblick auf den Realisationsgrad beider Zielgrößen ebenfalls eine Wertung des Richters zum Tragen. Die Grenzen des Spielraums bilden freilich verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an die Zielverwirklichung, die nicht unterschritten werden dürfen. Eine normative Entscheidungsprämisse steht folglich nur dann mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und der Gesetzesbindung im Einklang, wenn bestimmte materiale Kriterien erfüllt sind. Notwendige Bedingungen einer rationalen Entscheidung lege artis sind die Eindeutigkeit und Universalisierbarkeit der rechtlichen Prämisse, der Rückgriff auf die anerkannten Auslegungsregeln, die Rückbindung richterlicher Wertungen an den Wertungszusammenhang der Rechtsordnung und die Berücksichtigung von bzw. Auseinandersetzung mit einschlägigen dogmatischen Sätzen sowie Präjudizien. Für die rechtliche Informationslage hat dies zur Konsequenz, dass hinsichtlich des Vorliegens der Mindestvoraussetzungen einer normativen Prämisse lege artis und der im o. g. Sinne optimalen Bewältigung des Zielkonflikts eine Entscheidungssituation unter Gewissheit erforderlich ist. 8. Auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine Unterschreitung der verfassungsrechtlich vorgegebenen Mindestanforderungen an die recht-

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liche Prämisse sowie diesbezüglich ein Abweichen vom Erfordernis einer Gewissheitssituation unzulässig. Die materialen Kriterien schränken hier wie in der Hauptsache den bei der Auflösung des Zielkonflikts zwischen Vollständigkeit und Zeitangemessenheit der rechtlichen Prüfung bestehenden Spielraum ein. Weder der Zeitfaktor noch der Einwand einer Präjudizierung der Hauptsacheentscheidung rechtfertigen eine andere Betrachtungsweise. Abgesehen hiervon findet sich die generalisierende Behauptung, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes von vornherein nur eingeschränkte Erkenntnisbedingungen vorzufinden und daher von einer adäquaten Rechtsprüfung absehen zu müssen, nicht bestätigt, da das Zeitkontingent fallabhängig variiert und sich der Zugang zu Rechtsinformationen grundsätzlich weniger zeitintensiv gestaltet als die Beschaffung von tatsächlichen Informationen. Soweit demnach im Eilverfahren eine Kompensation des Zeitmangels erforderlich ist, bietet insbesondere die tatsächliche Seite der Prüfung in Form einer gesteigerten Mitwirkungslast der Beteiligten, des Rückgriffs auf kurzfristig erreichbare Informationsquellen und der Reduzierung der Erkenntnisanforderungen auf den Beurteilungsgrad überwiegender Wahrscheinlichkeit Ansatzpunkte für einen zügigen Verfahrensabschluss. Eine verfahrensunmittelbare Beschleunigungswirkung lässt sich ferner durch die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter und das Vorziehen von Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz erreichen. Darüber hinaus müssen unabhängig vom einzelnen Fall Potenziale zur Reduzierung des Zeitaufwands in den Bereichen Personal, Arbeitsorganisation und technisch-infrastrukturelle Ausstattung erschlossen und genutzt werden, die einen Entlastungs- und Beschleunigungseffekt für sämtliche Verfahren zur Folge haben.

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Sachverzeichnis Abduktion 111 Abwägung 18, 31, 42, 44 ff., 51 ff., 162, 187, 190 ff., 199, 208 f. – Folgen- 39, 43, 45, 52, 54, 56 ff., 75, 80, 99, 187 f., 191 – Interessen- 19 f., 30, 33, 39, 42, 44, 46 f., 50 ff., 72 ff., 80 f., 83, 87, 187, 191 acceptance 157 Aktion 104 f., 147 f. Alternative 103 ff., 108, 112 f., 115, 117 ff., 125, 127 f., 147 f., 158, 175 ff., 185 Anfechtung(sklage) 37, 46, 59, 67, 74 f., 81, 85 f., 105, 205 Anordnungsanspruch 44, 54 ff., 59, 69 f., 74 ff., 85 f., 91 f. Anordnungsgrund 44, 54 ff., 59, 69 f., 74 f., 77, 85, 91 f. Befriedungsfunktion 37 ff., 43, 68, 70 f., 74, 76, 85 f., 187, 192, 208 f. Begründungszusammenhang 118, 137 f., 149 ff., 162, 166 compliance 157 Dezisionismus, dezisionistisch 62, 80, 179, 187, 199 Diskurstheorie, diskurstheoretisch 139 ff., 145, 147, 170 f. Doppelhypothese 57, 191 Einstellungen 155 ff. einstweilige Anordnung 37, 54 ff., 66, 69, 71, 75 ff., 86, 91, 191, 194, 198 f. Entscheidung unter – Gewissheit / Sicherheit 106 f., 181 ff., 186 f., 210 f. – Risiko 106 ff., 130, 149, 164, 181, 209 – Ungewissheit / Unsicherheit 106 Entscheidungsfeld 104 f.

Entscheidungsprämisse – faktische / tatsächliche 107, 119 f., 132, 152, 159, 164, 178, 183, 193 ff., 209 – normative / rechtliche 18, 21, 62, 100 f., 107, 119 f., 129 ff., 132, 152, 159, 164 f., 174 f., 177 ff., 185 ff., 192 f., 206 f., 209 ff. Entscheidungstheorie / -theoretisch 20, 31, 100 f., 103 ff., 113, 119, 128, 130 ff., 147 ff., 164 ff., 169 ff., 175, 177, 182, 184 f., 201, 209 f. Entschlussperpetuierung 158 ff., 191, 203 Erkenntnis – Subjektbezug der E. 150, 161, 165 ff., 171 f., 181, 210 – Verfahrensbezug der E. 161 f., 165 ff., 169, 171 f., 210 – Wertbezug der E. 150, 161, 165 ff., 171 f., 181, 210 – Zeitbezug der E. 148, 161 f., 165 ff., 170 ff., 181, 186, 210 Erkenntnistheorie / -theoretisch 20, 31, 100 f., 132, 135, 161, 202 Falsifizierung 135 f., 163 Folgenabwägung s. Abwägung Freirechtslehre 112 Geltungsanspruch 97, 139 ff., 145 f., 167, 174, 180 f., 187 Gesetzesbindung 17, 20, 33 ff., 38, 40 f., 59 f., 63, 65, 68, 70, 73, 75 ff., 84 f., 96, 100, 104, 112, 123, 129, 172 ff., 177 ff., 186, 194, 208 ff. Gewaltenteilung 22, 29 f., 34, 179 Glaubhaftmachung 55, 91, 94 ff., 99, 106 f., 130, 184, 194, 198, 209 Gruppenkohäsion 158

224

Sachverzeichnis

Hauptsache – -aussichten / -prognose 18, 44 ff., 70, 76 ff., 86 ff., 89, 91, 187, 190 f., 209 – Präjudizierung der H. 185, 190 ff., 211 – Vorwegnahme der H. 37 Induktion 111, 135 Informationen – faktische / tatsächliche 20 f., 100, 102 ff., 110, 114, 119, 121 ff., 126 f., 130 f., 149, 152, 156, 158 ff., 164, 174, 180 ff., 188 f., 191 ff., 198, 206, 209 f. – präskriptive / rechtliche 20 f., 97, 100, 103 ff., 110, 114, 118 f., 121, 123 ff., 152, 158 f., 168, 174, 180 ff., 186 ff., 191 f., 205 f., 209 ff. – unvollkommene 103, 105 f., 108, 115, 130, 149, 164 – vollkommene 103, 106 ingroup bias 158 Interessenabwägung s. Abwägung Internalisierung 157 Intersubjektivität, intersubjektiv 132, 136, 138 f., 142, 144 f., 150, 163, 165, 167 f., 172 ff., 180, 183, 210 Judiz 114, 153 f. Justizgewährungsanspruch 24 Kollegialentscheidung 109, 116 f., 123, 125, 127, 154, 157 ff., 201 Konsensustheorie 139 ff., 165 ff. Konvergenztheorie 143 f., 165, 167 ff. Konversion 157 Korrespondenztheorie 144 Kritischer Rationalismus 135 f., 139, 147, 163, 166, 173, 179 Lösungshypothese 110 ff., 124 f., 152, 156, 159, 189

primacy effect 158 ff. Rationalität – formale 131 f., 138, 142, 145, 164 ff., 210 – objektive 106, 164 – subjektive 106, 132, 145, 181 – substanzielle 131 rechtliches Gehör 115 f., 197 Rechtsfortbildung 60, 158 Rechtsschutz – Ausgewogenheit des R. 18, 31, 34, 40 f., 98, 176 – Gebot effektiven R. 24 f., 27 ff., 34 ff., 67, 71, 74, 77, 85, 98, 130, 146, 177, 184, 194, 208 – in angemessener Zeit 29 ff., 34, 95 ff., 101, 130, 146 ff., 160, 175 ff., 183 ff., 192 f., 203, 206, 210 f. Rechtssicherheit 28, 33, 62, 65, 77 f., 80 f., 84, 86, 179, 187, 209 Richtigkeit – absolute 132 ff., 145, 161 f., 165 f., 172 ff., 183, 210 – relative 132, 134 f., 138, 140, 144 ff., 161, 165, 171 ff., 177, 180, 183, 210 risky shift 158 selektive Wahrnehmung 158 ff., 191 Sicherungsfunktion 35 f., 39, 208 Sozialpsychologie, sozialpsychologisch 100 f., 155 Streitgegenstand 37, 40 f., 116, 190 Subjekt-Objekt-Schema 137, 166 summarische Prüfung 19 f., 44, 88 ff., 184, 186, 191, 197, 209 Suspensiveffekt 49, 72, 81 ff. Syllogismus, syllogistisch 127 f. Universalisierbarkeit 62, 80, 178 f., 210 Untersuchungsgrundsatz 96, 114, 122, 126, 193 ff.

Normenkontrolle 23, 57 ff., 75 ff., 86 Perseveranz 158 ff., 191, 203 (Rechts-)Positivismus 133, 136 Präjudizien 92, 115, 124 f., 129, 140, 153 ff., 159, 167 f., 171, 179, 210 praktische Konkordanz 60 f.

Verhandlungsmaxime 115 Verifizierung 135 f., 138 f., 145 f., 163, 165 f., 171, 173 Verwaltungsakt – mit Doppelwirkung 28, 53, 59, 74, 85, 90, 195

Sachverzeichnis – sofortige Vollziehung 36 f., 46 ff., 72 f., 78, 82 f., 85 Vorverständnis 111 ff., 117, 124, 137, 152 ff., 158 f. Werte – Eigen- 154 – Haft- 154 f., 159 f., 163 Wertfreiheit 136 ff., 145, 150 f., 166 Wertung 60, 64, 82, 101, 119 ff., 126 f., 130, 140, 142, 149 ff., 162, 170, 174, 176 f., 179 ff., 185, 209 f. – Fremd- 154 ff., 163, 168

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– mittelbare 153 f. – unmittelbare 153 f., 159 f. Zielantinomie 200 Zieldominanz 176 Zielgewichtung 98, 175 ff., 182 ff., 192, 206, 210 Zielkonflikt 17, 21, 31, 34, 98, 101, 126, 130, 146 ff., 160, 175, 177, 180 ff., 192 f., 210 f. Zielrangordnung 175 ff., 182 ff., 192, 206, 210 Zielunterdrückung 98, 176, 184