Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte: Paradigmatische Regelungen des einstweiligen Rechtsschutzes in Deutschland, Frankreich, im Vereinigten Königreich sowie in der EMRK und der Europäischen Gemeinschaft? [1 ed.] 9783428506965, 9783428106967

Die Rechtsordnungen und Rechtstraditionen unterscheiden sich innerhalb der Europäischen Union immer noch erheblich. Die

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German Pages 334 Year 2002

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Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte: Paradigmatische Regelungen des einstweiligen Rechtsschutzes in Deutschland, Frankreich, im Vereinigten Königreich sowie in der EMRK und der Europäischen Gemeinschaft? [1 ed.]
 9783428506965, 9783428106967

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GABRIELE KNüLL

Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard Heß Kristian Kühl, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Martin Nettesheim Wolfgang Graf Vitzthum, Joachim Vogel sämtlich in Tübingen

Band 59

Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen VeiWaltungsakte Paradigmatische Regelungen des einstweiligen Rechtsschutzes in Deutschland, Frankreich, im Vereinigten Königreich sowie in der EMRK und der Europäischen Gemeinschaft?

Von Gabriele Knall

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Knoll, Gabriele: Grundzüge eines europäischen Standards für den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte : paradigmatische Regelungen des einstweiligen Rechtsschutzes in Deutschland, Frankreich, im Vereinigten Königreich sowie in der EMRK und der Europäischen Gemeinschaft? I von Gabriele Knoll. Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht ; Bd. 59) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10696-2

D21 Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany

© 2002 Duncker &

ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-10696-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Vorwort Die vorliegende Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen Ende 2000 als Dissertation vor. Für die Drucklegung konnten Gesetzesänderungen, Literatur und Rechtsprechung noch bis August 2001 eingearbeitet werden. Meinem Doktorvater und Erstgutachter, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann, bin ich fi1r die Betreuung der Arbeit, fi1r seine Gesprächsbereitschaft und ftlr seine Geduld zu großem Dank verpflichtet. Die Aufnahme dieser Abhandlung in der von ihm betreuten Schriftenreihe ist mir eine Ehre und freut mich ganz besonders. Herrn Professor Dr. Michael Ronellenfitsch danke ich fiir die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Herzlich danke ich auch meinen Freunden und Kollegen, die mir den Zugang zu den beiden "fremden" Rechtsordnungen durch geduldige Gespräche erleichterten sowie Herrn Professor Dr. Claus Dieter Classen und Herrn Dierk Thümmel. Mein Dank gilt auch Frau Barbara Benke-Scherer, Frau Catherine Herve-Knoll, Herrn Ralf Baumgärtel, und meinen Brüdern Herrn Professor Dr. Alois Knoll und Herrn Dr. Thomas Knoll. Die Arbeit widme ich meinen Eltern, Frau Christel und Herrn Dr. Alois Knoll, in Dankbarkeit fi1r die Unterstützung, die ich von ihnen fortwährend erhalten habe und erhalte. Gabriele Knoll

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung ................................ .. ............................................................................

23

I. Problemstellung ................... ............................................................................. 23

II. Quo vadis? ... ..... ................ ................................ ................................................ 28 III. Gang der Untersuchung.................................................................................... 29 B. Deutschland...........................................................................................................

32

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes........................................

32

l. Verfassungsrechtliche Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Verwaltungsakte .................................................................................. 32 a) Höchstrichterliche Rechtsprechung........................................................... 33 aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts................................. 33 bb) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts................................

35

b) Meinungen in der Literatur........................................................................ 35 2. Zwischenergebnis...........................................................................................

36

II. Die Verfahrensvoraussetzungen.........................................................................

37

l . Anwendungsbereich....................................................................................... 37 a) Die zweistufige Systematik des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. l Satz l VwGO.............................................................................................

38

aa) Der Regelfall nach der Gesetzessystematik .........................................

38

bb) Die Ausnahmefalle nach der Gesetzessystematik................................

39

b) Die Praxis ..................................................................................................

39

2. Widerspruchs- bzw. Antragsbefugnis.............................................. ............... 40 a) Für den Regelfall: Widerspruchsbefugnis.................................................. 40 b) Für den Ausnahmefall : Antragsbefugnis .. .. .. .. .. .. .. ... .. .. ... .. .. .. ... .. .. .. ... .. .. .. .. . 40 c) Zwischenergebnis ...................................................................................... 41 3. Einleitung des Verfahrens .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... ... .. .. ... .. .. ... .. .. .. .. .. ...... .. .. .. ... .. .. .. .. . 41

8

Inhaltsverzeichnis a) Einleitung durch das Gericht ................ ...... .................. ............... ..............

42

b) Einleitung durch die Behörde....................................................................

42

c) Einleitung durch den Adressaten des Verwaltungsaktes................ ............

42

aa) Regelfall ..............................................................................................

42

bb) Ausnahmebereiche.... .. ........................ ...... ..... .................... ...... ...........

43

d) Zwischenergebnis......................................................................................

43

4. Verfahrensgrundsätze........... ..........................................................................

44

a) Form, Frist und Inhalt des Anfechtungsbehelfs .........................................

44

aa) Gesetzlicher Regelfall ..........................................................................

44

(1) Form..............................................................................................

44

(2) Frist...............................................................................................

45

(3) Inhalt.............................................................................................

45

bb) Ausnahmebereiche ..............................................................................

45

(1) Antrag vor der Behörde.................................................................

45

(2) Antrag vor Gericht.........................................................................

46

(a) Form.........................................................................................

46

(b) Inhalt........................................................................................ 46 (c) Frist..........................................................................................

46

b) Mündliches oder schriftliches rechtliches Gehör.......................................

47

c) Öffentlichkeit............................................................................................. 48 d) Untersuchungs- oder Verhandlungsgrundsatz........................................... 49 aa) Für den Ausnahmefall: Gerichtliches Verfahren.................................

49

bb) Für den Ausnahmefall: Behördliches Verfahren .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. . 50 III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes....... ............................................................................

51

1. Regelfall......................................................... .... ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .... ... .. ... .. . 51 2. Ausnahmeregelungen ............................... ....................................... ......... ......

51

a) Gesetzliche Ausnahmeregelungen .............................................................

52

b) Behördliche Ausnahmeregelungen............. ............................................... 53 3. Ausnahmeregelungen der Ausnahmeregelung: Über die AnordnungRückkehr zur Regel der aufschiebenden Wirkung ......................................... 54

Inhaltsverzeichnis

9

a) Ausnahmeregelung durch behördliches Verfahren und der Maßstab fur die Einzelentscheidung ..... ..... ............... .... ....... ............................ .............. 54 b) Gerichtliche Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und der Maßstab fur die Einzelentscheidung..............................

55

4. Zwischenergebnis...........................................................................................

58

C. Frankreich ............................. .... ................................. .......................................... 59 I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes ........................................

59

1. Verfassungsrechtliche Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Verwaltungsverfugungen..................................................................... 59 a) Institution und Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel und des Conseil d'Etat ............................................................................................ 59 aa) Institution und Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel ..............

59

(I) Der Conseil Constitutionnel als Institution ...................................

59

(2) Zur Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel ......................... 62 (3) Zwischenergebnis..........................................................................

64

bb) Institution und Rechtsprechung des Conseil d'Etat.......................... ... 65 (1) Der Conseil d'Etat als Institution...... ............................................ 65 (2) Zur Rechtsprechung des Conseil d'Etat ........................................ 66 b) Zwischenergebnis......................................................................................

68

2. Meinungen in der Literatur............................................................................

68

II. Die Verfahrensvoraussetzungen.........................................................................

69

1. Anwendungsbereich....................................................................................... 69 a) Regelfall..................................................................................................... 69 aa) Überblick über die Verfahrensarten.....................................................

69

bb) Exkurs: Die Klagearten: recours pour exces de pouvoir und recours de pleine jurisdiction ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. .. .. ... ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. .. .. .. ... .. . 72 cc) Zuständigkeiten ................................................................................... 73 b) Ausnahmeregelung ....................................................................................

74

2. Klage-/Antragsbefugnis..................................................................................

75

a) Das Antragsverfahren ................................................................................

77

b) Zwischenergebnis......................................................................................

78

3. Einleitung des Verfahrens ..............................................................................

78

10

Inhaltsverzeichnis a) Einleitung durch das Gericht........................ .............................................

78

b) Einleitung durch eine Behörde.................................................................. 78 c) Einleitung durch den Adressaten der Verwaltungsverfilgung.......... ..........

78

4. Verfahrensgrundsätze..... ... ..... ...... ....... ...... .. ... ... .. ............................. ..............

79

a) Form, Frist und Inhalt des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz.........

79

aa) Form und Inhalt des Antrages..............................................................

79

bb) Frist.....................................................................................................

80

b) Schriftliches oder mündliches rechtliches Gehör ......................................

80

c) Öffentlichkeit/Ausschluss der Öffentlichkeit.............................................

81

d) Untersuchungs-Nerhandlungsgrundsatz .. .. .. ........................ .. ...................

82

III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes .......... ............................ .... ............................. ............ 83 1. Regel fall.......................... ............................................................................... 83 a) Kein Suspensiveffekt des Rechtsbehelfs....................................................

83

aa) Gesetzliche Regelungen....................................................................... 83 bb) Behördliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung? ....... ..............

84

cc) Generelle gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung? ....

84

dd) Zwischenergebnis................................................................................ 84 b) Gründe und Motive fiir den Verzicht auf den generellen Suspensiveffekt.........................................................................................................

84

c) Meinungen in der Literatur fiir einen Suspensiveffekt............................... 86 2. Ausnahmeregelungen ........ ........ ...... .. .. ........................................... .. ... ..... ......

87

a) Gesetzliche Sonderregelungen...................................................................

88

aa) Der gesetzliche ,,sursis automatique "/"suspension automatique ".....

88

bb) Zwischenergebnis................................................................................

89

cc) Der gerichtliche " sursis automatique "/,, suspension automatique "..... 90 dd) Zwischenergebnis... .............................................................................

92

b) Anordnung des Suspensiveffekts und das Ruhenlassen des Verfahrens....

92

aa) Behördliche Anordnung des Suspensiveffekts und das Ruhenlassen des Verfahrens.....................................................................................

92

bb) Zwischenergebnis................................................................................

94

Inhaltsverzeichnis

11

cc) Rechtslage vor der Verwaltungsreform von 2001: Gerichtliche Anordnung des Suspensiveffekts .............. ....... .... ....................................

94

(1) Die Kompetenz zur gerichtliche11 Anordnung und deren geschichtliche Entwicklung................................................................

94

(2) Richterliches Ermessen im Einzelnen .............................. ...... .........

96

(a) Maßstab der Einzelentscheidung.................................................

96

(b) Tatbestandsmerkmal "schwer wiedergutzumachende Folgen" ...

97

(c) Tatbestandsmerkmal "Gründe, die schwerwiegend erscheinen und die aufschiebende Wirkung rechtfertigen"...........................

98

(d) Dringlichkeit.................................. .............................................

98

(e) Fehlender Anspruch....................................................................

99

dd) Rechtslage nach der Verwaltungsreform von 2001: Gerichtliche Anordnung des Suspensiveffekts......... .............................. .. ...... .........

99

(I) Die Kompetenz zur gerichtlichen Anordnung nach der heutigen Gesetzeslage....................................................................................

99

(2) Richterliches Ermessen im Einzelnen ..................... .... .... ........ .. .... ..

99

(a) Maßstab der Einzelentscheidung..................... ............................

99

(b) Tatbestandsmerkmal der "rechtfertigenden Dringlichkeit" .......

I 00

(c) Tatbestandsmerkmal "ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der (Verwaltungs-) Entscheidung" .. ... .. .. .. ... .. . ... .. .. .. ... .. .. .. .

100

(d) Fehlender Anspruch und Modifikationen durch das Gericht...

101

3. Zusammenfassung ........................................................................................

101

D. Vereinigtes Königreich.......................................................................................

102

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes......................................

I 02

I. Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes in der Verfassung? ............

102

a) Zum Verfassungsbegriff..... .....................................................................

102

b) Rechtsquellen .. . .. ... .. . .. .. . . ... . .. .. .... . ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. ... . ... .. .. .. .. ... .. . .. . ... .. .. .. .

I 04

aa) (Parlaments-) Gesetze........................................................................

104

bb) Richterrecht................................................................................. ......

105

(I) Common Law Proper ....................................................................

I 06

(2) Auslegung der (Parlaments-) Gesetze (Statutes)... ........................

107

cc) Customs ................................ ... ............... ... ... .... ..... ...... .. ... ....... .. ........

108

12

Inhaltsverzeichnis dd) Constitutional Conventions............. ..................................................

108

ee) Zwischenergebnis..............................................................................

109

c) Verfassungsmaximen.................................................................. .............

II 0

aa) Supremacy ofParliament .................................................................

II 0

bb) Rufe ofLaw ........... .............. ................... ................................. ..........

III

cc) Prinzip der Unparteilichkeit der Richter............................................ 113 2. Zwischenergebnis.........................................................................................

114

II. Die Verfahrensvoraussetzungen....................................................................... 114 I. Anwendungsbereich.....................................................................................

114

a) Anerkennung des Verwaltungsrechts als eigenständige Rechtsmaterie...

116

b) Die Ausformung des Rechtsschutzes im Verwaltungsrecht....................

118

aa) Das appeal-Verfahren und das judicial review-Verfahren................

118

bb) Zusammenfassung der Gegenüberstellung des appeal-Verfahrens und desjudicial review-Verfahrens .................................................

119

(I) Das appeal-Verfahren...................................................................

120

(2) Dasjudicial review-Verfahren ......................................................

121

c) Exkurs: Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Recht ...........

123

aa) Abgrenzungskriterien ........................................................................

124

(I) Rechtsprechung ................................ ............................... .. .......... 124 (2) Meinungen in der Literatur..........................................................

126

bb) Abgrenzungskriterium: "Verwaltungsakt"? ......................................

127

d) Ausnahmebereiche, die nicht der Kontrolle durch Gerichte/tribunals unterstehen............................................................................................... 128 aa) Generelle Ausnahmebereiche ............................................................

128

bb) Ausnahmebereiche beim einstweiligen Rechtsschutz .......................

130

2. Klagebefugnis ..............................................................................................

132

a) Das appeal-Verfahren..............................................................................

132

b) Zwischenergebnis....................................................................................

134

c) Dasjudicial review-Verfahren .................................................................

134

d) Zwischenergebnis....................................................................................

138

3. Einleitung des Verfahrens ............................................................................ 138

Inhaltsverzeichnis

13

a) Einleitung durch ein Gericht/administrative tribunal..............................

138

b) Einleitung durch eine Behörde................................................................

138

c) Einleitung durch den Adressaten der Verwaltungsentscheidung... ..........

139

4. Verfahrensgrundsätze..... ..............................................................................

139

a) Form, Inhalt und Frist des Antrages........................................................

139

aa) Form und Inhalt des Antrages............................................................

139

(1) Das appeal-Verfahren............. ....................................................

139

(2) Dasjudicial review-Verfahren....................................................

140

bb) Frist des Antrages..............................................................................

140

(l) Das appeal-Verfahren...................... ...........................................

140

(2) Das judicial review-Verfahren ........................... ........... ..............

141

b) Mündliches oder schriftliches rechtliches Gehör.....................................

142

aa) Das appeal-Verfahren........................................................................

142

bb) Das judicial review-Verfahren..........................................................

142

c) Verhandlungs-/Untersuchungsgrundsatz ...... ..........................................

143

aa) Das appeal-Verfahren........................................................................

143

bb) Das judicial review-Verfahren ............ ... .. .. .. ... ..... ............. .. .... .... ......

144

III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes... ..............................................................................

145

1. Das appeal-Verfahren..................................................................................

145

a) Regel im appeal-Verfahren .....................................................................

145

b) Ausnahmeregelungen .. ..... ...... ..... ...... .... ....... ...... .. .. .. .. .. ..... .. .. ... .. ... .. .. .. ... .

146

aa) Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Gesetzes wegen.........

146

bb) Anordnungsbefugnis des Suspensiveffekts durch das Kontrollorgan 150 cc) Exkurs: Anordnung des Sofortvollzuges (Ausnahmeregelungen zur "Ausnahme")......................................................................................

151

(1) Behördliche Anordnung des Sofortvollzuges..............................

!51

(2) Gerichtliche Anordnung des Sofortvollzuges..............................

!51

dd) Zwischenergebnis..............................................................................

151

2. Dasjudicial review-Verfahren.....................................................................

152

a) Regel imjudicial review-Verfahren.........................................................

!52

14

Inhaltsverzeichnis b) Zwischenergebnis....................................................................................

152

c) Ausnahmeregelungen imjudicial review-Verfahren................................

152

aa) Stay ofproceedings ...........................................................................

152

(1) Automatische gesetzliche oder gesonderte gerichtliche Anordnung?...........................................................................................

153

(2) Der stay ofproceedings und sein Anwendungsbereich ... ... ..........

153

bb) Injunctive, interim oder interlocutory injunction .. .... ...... ..... .............

154

cc) Maßstab: Beim stay ofproceedings und der interlocutory injunction .... ....... .. .. ... .. .... .................... ............ .............. ..... .. ............

!55

dd) Zwischenergebnis..............................................................................

!57

E. Das Recht der Europäischen Gemeinschaft/Union und der Verwaltungsvollzug durch EG/EU-Organe.................................... .. .............................. ......

158

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes ......................................

!58

l. Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft/Union... ..................................................................... 158 a) Der Vertragstext................................................................................. ......

!58

b) Änderungsverfahren fiir den Art. 242 EG-V ...........................................

159

c) Änderung der Satzung und der Verfahrensordnung des Gerichtshofes .. .. . 161 2. Zwischenergebnis zur Einstufung der Normenhierarchie des Art. 242 EG-V...........................................................................................................

162

II. Die Verfahrensvoraussetzungen......... ..............................................................

163

I . Anwendungsbereich ..... .. ......... .... .................... ................ ........ .... ..... ... .........

163

2. Zwischenergebnis.................... .....................................................................

164

3. Antragsbefugnis ...........................................................................................

165

4. Zwischenergebnis.........................................................................................

166

5. Einleitung des Verfahrens ............................................................................

166

a) Einleitung des Verfahrens durch das Gericht (ex officio) ........................

166

b) Einleitung des Verfahrens durch die Kommission..................................

167

c) Einleitung des Verfahrens durch Antrag einer Partei..............................

167

d) Zwischenergebnis....................................................................................

168

6. Verfahrensgrundsätze.......... .... .......... ................ .. ... .. .......... ............ .......... ....

168

a) Form, Inhalt und Frist des Antrages ........................................................

168

Inhaltsverzeichnis aa)Forrn ..................................................................................................

15 168

bb) Inhalt.................................................................................................

168

cc) Frist....................................................................................................

169

b) Schriftliches oder mündliches rechtliches Gehör .......................... ..........

170

c) Untersuchungs- oder Verhandlungsgrundsatz .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .... .. .... .. .. .. .. .. .

170

aa) Rechtsprechung...................................... ...........................................

170

bb) Meinungen in der Literatur .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

171

cc) Speziell im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes...................

172

dd) Zwischenergebnis..............................................................................

172

d) Öffentlichkeit...........................................................................................

172

III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes .................................................................................

173

I. Regel............................................................................................................

173

2. Ausnahmeregelung.......................................................................................

173

a) Zu den einzelnen Tatbestandsmerkmalen ................................................

174

aa) Dringlichkeit......................................................................................

174

(I) Schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden..................

175

(2) Zum Begriff des Schadens...........................................................

175

(3) Interessenahwägung bei der Schadensprüfung ............................

176

bb) Notwendigkeit........... ........................................................................ 177 cc) Glaubhaftmachung.............................................................................

179

b) Anspruch des Antragstellers oder Ermessen des Gerichtes sowie das Ruhen des Verfahrens..............................................................................

180

3. Zwischenergebnis.........................................................................................

180

F. Das Recht der Europäischen GemeinschafUUnion und der Verwaltungsvollzug durch Organe der Mitgliedstaaten.............................................. .........

182

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes ......................................

182

I. Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes im Primärrecht der

Europäischen Gemeinschaft/Union..............................................................

182

a) Der Vertragstext...... ............ .. .. .. .. .. .. ..... .. .. .... .. ........... ..... .... ......... ............. 182 b) Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes............................. 183 aa) Der Verzicht auf die Harrnonisierung .... .. .... .............. .............. ..........

184

16

Inhaltsverzeichnis (1) Zur Rewe-Entscheidung ..............................................................

185

(2) Zur Gamet-Entscheidung.............................................................

185

bb) Zwischenergebnis..............................................................................

186

cc) Der Weg zur Harrnonisierung.................... ........................................

187

( 1) Zur Denkavit italiana-Entscheidung ................ .. .. .... ....... ... .........

187

(2) Zur Express Dairy Foods-Entscheidung .....................................

188

(3) Zur Deutsche Milchkontor-Entscheidung....................................

189

dd) Zwischenergebnis..............................................................................

190

ee) Die "Vergemeinschaftung" des nationalen einstweiligen Rechtsschutzes? .. .. ... .... .. .. ..... .. .. ............ .................. .. .. ...................... ..........

191

(1) Zur Factortame-Entscheidung .....................................................

191

(2) Zwischenergebnis.........................................................................

194

(3) Zur Tafelwein-Entscheidung........................................................

194

(4) Zwischenergebnis.........................................................................

195

(5) Zur Zucketfabrik-Entscheidung ...................................................

196

2. Zwischenergebnis.........................................................................................

198

3. Exkurs: Meinungen in der Literatur zur "Vergemeinschaftung" des einstweiligen Rechtsschutzes...............................................................................

198

II. Die Verfahrensvoraussetzungen....................................................................... 202 1. Anwendungsbereich ........................................ ............................................. 202 2. Antragsbefugnis ................ ................. .......... ..... ............................ ............... 204 3. Verfahrensein1eitung.................................................................................... 205 a) Einleitung des Verfahrens vor Gericht oder vor einer Behörde?............. 205 b) Einleitung des Verfahrens auf Antrag oder von Amts wegen.................. 206 c) Zwischenergebnis.................................................................................... 207 4. Verfahrensgrundsätze................................................................................... 207 a) Form, Inhalt und Frist eines Antrages...................................................... 207 aa) Form und Inhalt eines Antrages......................................................... 207 bb) Frist eines Antrages........................................................................... 208 b) Rechtliches (richterliches) Gehör ............................................................ 209 c) Untersuchungs-/Beibringungsgrundsatz ..................................... ... .......... 210

Inhaltsverzeichnis

17

d) Öffentlichkeit........................................................................................... 210 III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes ..... ............................................................ .............. .. 211 1. Regel............................................................................................................

211

2. Zwischenergebnis.........................................................................................

212

3. Ausnahmen und Maßstab...... ....................................................................... 212 a) Dringlichkeit............................................................................................ 213 b) Schaden................................................................................................... 213 c) Bewertungsmaßstab und Interessenahwägung... ............ .. .. .. .. .. .......... ...... 213 aa) Die Zuckeifabrik-Entscheidung.............. ........................................... 213 bb) Die Atlanta- Entscheidung.................................................................

214

cc) Die T. Port-Entscheidung..................................................................

215

4. Zwischenergebnis.........................................................................................

216

G. Der einstweilige Rechtsschutz in der Europäischen Menschenrechtskonvention...........................................................................................................

217

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes .. .. .. .. .... .. .. .. .. .. .. .... .... .. .. ..

217

1. Die Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)...........................................................

217

a) Die ausdrückliche Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes im Primär- und Sekundärrecht ......................................................................

217

aa) Verankerung im Primärrecht .. .................. ...... .. .................... .............

217

bb) Verankerung im Sekundärrecht......................................................... 217 cc) Zwischenergebnis ..............................................................................

218

dd) Übersicht über die weiteren Prüfungsschritte.......................... .... .. .. ..

218

b) Überblick über die historische Entwicklung des einstweiligen Rechtsschutzes im Primärrecht.................. .... .. .... .. .. .. .. .. ... ... ...... .. ...... .. .... ... .. .....

218

aa) Der Primärvertrag ................................ ... .... .......................... ............. 218 bb) Das 11. Zusatzprotokoll.... ................................................................

219

c) Maßnahmen der Kommission zum einstweiligen Rechtsschutz"inhärente" Verankerung (und Verbindlichkeit) im Primär- oder Sekundärrecht der EMRK? .....................................................................

221

aa) Bisherige Rechtslage- vor dem 11. Zusatzprotokoll - fiir die Maßnahmen der Kommission ................................................................... 221 2 Knoll

18

Inhaltsverzeichnis bb) Rechtsprechung des nicht ständig tagenden Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Verankerung der Maßnahmen der Kom-mission ... .. .. ....... .. ... ....... .. .... ............... .......... .................. ......... 222 ( 1) (Mehrheits-) Entscheidung des nicht ständig tagenden Gerichtshofes für Menschenrechte........................................................... 222 (2) Zwischenergebnis zur (Mehrheits-) Entscheidung des nicht ständigen Gerichtshofes zu den Maßnahmen der Kommission.. ....

225

(3) Minderheitenvotum des nicht ständig tagenden Gerichtshofes zu den Maßnahmen der Kommission..... ..................................... 226 (4) Zwischenergebnis zum Minderheitenvotum des nicht ständigen Gerichtshofs zu den Maßnahmen der Kommission ...........

227

cc) Spruchpraxis der (früheren) Kommission zu "ihren" Maßnahmen.... 227 (1) Mehrheitsmeinung der Kommission zu den einstweiligen Maßnahmen..........................................................................................

227

(2) Zwischenergebnis zur Mehrheitsmeinung der früheren Kommission zu den einstweiligen Maßnahmen........................ ............

229

(3) Minderheitsmeinung der (früheren) Kommission zu den einstweiligen Maßnahmen .................................................................... 229 dd) Meinungen in der Literatur zu den einstweiligen Maßnahmen der Kommission ....... ............ ....................... ........... ................... ... .......... 229 ( 1) Befürwortung der Verbindlichkeit der einstweiligen Maßnahmen der Kommission in der Literatur - nach der früheren Rechtslage................................................................................... 229 (2) Ablehnung der Verbindlichkeit der einstweiligen Maßnahmen der Kommission in der Literatur - nach der früheren Rechtslage

231

d) "Inhärente" Verankerung der einstweiligen Maßnahmen des (nicht ständig tagenden) Gerichtshofes? .......................................................... 231 e) Zwischenergebnis zur "inhärenten" Verankerung der einstweiligen Maßnahmen des (nicht ständigen) Gerichtshofes. ................................... 233 f) Die Folgerungen der bisherigen Rechtsprechung für die "neue" Rechts-lage und für den "neuen" Gerichtshof... .......................................

233

2. Zwischenergebnis zur heutigen Rechtslage..................................................

236

II. Die Verfahrensvoraussetzungen....................................................................... 236 1. Anwendungsbereich ..................................................................................... 236 2. Beschwerdebefugnis................. .......................................... ............. ............. 23 7

Inhaltsverzeichnis

19

3. Einleitung des Verfahrens.................................. ..........................................

241

a) Einleitung des Verfahrens durch das Gesetz............................................

241

b) Einleitung des Verfahrens durch den Gerichtshof (ex officio)................. 241 c) Einleitung des Verfahrens durch einen Antrag........................................

242

4. Verfahrensgrundsätze......... .... .... .................... ... .. .. .. ................ ........ ... ....... ...

242

a) Inhalt, Form und Frist des Antrages........................................................

242

aa) Inhalt und Form des Antrages............................................................

242

bb) Frist des Antrages..............................................................................

243

b) Mündliches oder schriftliches rechtliches Gehör.....................................

243

c) Verhandlungs-/Untersuchungsmaxime ..... ............. ......... ...................... ...

243

d) Öffentlichkeitsprinzip..............................................................................

245

III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes...... ........................................................................... 246 1. Regel .. .. .. ... .. ... .. ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ... .. ... .. .. .. .... .. ..... .. ... .. .. . 246 a) Die Rechtslage und die bisherige Praxis..................................................

246

b) Zwischenergebnis ....................................................................................

246

2. Ausnahmeregelung und Maßstab .................. ................ ...................... ......... 246 a) Maßstab...................................................................................................

247

aa) Außerordentliche Umstände..............................................................

247

bb) Eilbedürftigkeit.. .... .. .. .. .................... .... ........... ... .. ....... .... .. ..... .. ..... .. ..

247

cc) Schaden.............................................................................................

248

b) Erschöpfung der nationalen Rechtsbehelfe mit aufschiebender Wirkung 248 3. Modifikation der Individualbeschwerde: Der Wechsel des zuständigen Organs und die Folgen? ............................................................................... 248 4. Zwischenergebnis.........................................................................................

249

H. Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsordnungen

der Vertragsstaaten sowie der Europäischen Gemeinschaft/Union- Vorgaben beim einstweiligen Rechtsschutz? .............. ...... .. .................. .... .. ........... 250

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes......................................

250

1. Die Hierarchiestufe der Verankerung der EMRK in den innerstaatlichen Rechtsordnungen Deutschlands, Frankreichs und im Vereinigten Königreich sowie in der supranationalen Rechtsordnung der Europäischen Union...........................................................................................................

250

20

Inhaltsverzeichnis a) Zur "Verzahnung" des einstweiligen Rechtsschutzes der EMRK mit den drei innerstaatlichen Rechtsordnungen und der Europäischen Union....................................................................................................... 250 aa) Rang und Geltung der EMRK in den Vertragsstaaten und in der Europäischen Union ..........................................................................

251

(1) Deutschland.................................................................................

252

(2) Frankreich ........ .. ..... .. ... .................. .. ....... ...... .... ........ .............. .. ..

253

(3) Vereinigtes Königreich................................................................ 255 (4) Europäische Union......................................................................

257

bb) Zwischenergebnis.............................................................................. 259 b) Zur Frage der Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes in den einzelnen Schutznormen der EMRK ..................................................... . 260 aa) Art. 6 Abs. 1 EMRK und der einstweilige Rechtsschutz.... ...............

260

bb) Zwischenergebnis..............................................................................

264

cc) Art. 35 EMRK (früher Art. 26 EMRK) und der einstweilige Rechtsschutz................................................................................................ 264 dd) Zwischenergebnis zu Art. 35 EMRK ............... .... .. .. .......... .... .. .. .. ..... 268 ee) Art. 13 EMRK und der einstweilige Rechtsschutz ............................

268

fl) Zwischenergebnis zu Art. 13 EMRK.................. .. .. .... .. ............ .... .. .. ..

270

2. Zwischenergebnis zur Frage der Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes in den nationalen Rechtsordnungen.............................................. 271 II. Die Verfahrensvoraussetzungen....................................................................... 271 1. Anwendungsbereich......... ............................................................................ 271 2. Beschwerdebefugnis... .. ......... .... ...... .. .. .. .. ........... ....... .. .. .... .......... ... ... ........ .. . 272 3. Einleitung des Verfahrens.. ..........................................................................

273

a) Einleitung durch Gericht, Behörde oder Adressaten des Exekutivaktes ..

273

b) Einleitung durch Antrag oder von Amts wegen.......................................

274

4. Verfahrensgrundsätze...................................................................................

275

a) Antragsinhalt/Form/Frist der Beschwerde...............................................

275

b) Mündliches oder schriftliches rechtliches Gehör..................................... 275 c) Öffentlichkeit...........................................................................................

275

d) Untersuchungs- oder Verhandlungsgrundsatz.........................................

275

Inhaltsverzeichnis

21

III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes bzw. der de facto-Gleichstellung........ ....................

276

l. Regel und die "de facto-Ausnahme" ........................ .................... .... .. ........

276

2. Zwischenergebnis.......................................................................................

279

3. Maßstab..................... ................................................................................. 279 4. Zwischenergebnis.......................................................................................

280

J. Thesenartige Zusammenfassung und Paradigmen ...... ..................................... 281 I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes gegen belastende Verwaltungsverfilgungen................... ..................... ...... ............ .................... .....

281

1. Verfassungsrang des einstweiligen Rechtsschutzes in den nationalen Rechts-ordnungen/Einordnung im Primärrecht der Europäischen Gemeinschaft/ Union und der EMRK .............. .... .. .. .. ...................... ....................... 281 2. Einfachgesetzliche Einordnung/Rechtsprechung......................................... 283 II. Die Verfahrensvoraussetzungen....................................................................... 284 1. Anwendungsbereich ...... .......... .... .. .................. ... .. .................. ............. ..... .. ..

284

2. Klage-/Beschwerdebefugnis...... .. ................................................................. 285 3. Einleitung des Verfahrens ............................................................................

286

4. Verfahrensgrundsätze................................................................................... 288 a) Form, Frist und Inhalt des Antrages.............. ..........................................

288

b) Mündliches oder schriftliches rechtliches Gehör/Öffentlichkeit ............. 290 c) Untersuchungs-Nerhandlungsgrundsatz...... .... ..... .. ... ........... .. .. ..............

291

III. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes .. .. .. ... .. ... .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..... .... .. .. .. .. .... .. ... .. .. .. ... .. .... ..

293

1. Regel ............................................................................................................ 295 a) Der gesetzlich vorgesehene Regelfall........ .................... ................ ..........

295

b) Die Rechtswirklichkeit .............................. .... .... ............ ................ ...... .. ..

296

2. Ausnahmeregelungen ......... ........................................... .................. ............. 296 a) Die gesetzliche Anordnung der Vollziehung und die gesetzliche Anordnung des Suspensiveffekts..................................................................

296

b) Die Einzelfallentscheidungen durch die Exekutive und/oder durch die Judikative und das Ruhenlassen des Verfahrens......................................

297

K. Resümee und Ausblick .......................................... .. ...................... :....................

302

Literaturverzeichnis... ....... .......... ...................... ............... ................ ......... ... ...... .....

304

A. Einleitung I. Problemstellung Die Rechtsordnungen und Rechtstraditionen unterscheiden sich innerhalb der Europäischen Union- heutzutage 1 -erheblich. Dies haben die Reaktionen in der einschlägigen Literatur auf die Factortame-Entscheidung2 des Europäischen Gerichtshofes Anfang der 90iger Jahre erneut verdeutlicht. Die Entscheidung bei der es um die Reichweite des einstweiligen Rechtsschutzes im englischen Rechtssystem im Zusammenhang mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht ging - ist in den einzelnen Mitgliedstaaten unter sehr verschiedenen Vorzeichen behandelt und kommentiert worden. Im Vereinigten Königreich stellte die Wissenschaft anlässtich dieser gerichtlichen Entscheidung auch die Frage, ob nun Verfassungsgrundsätze und womöglich die Staatssouveränität untergehen3 . Die französische Literatur4 befasste sich im seihen Zusammenhang insbesondere mit dem Prinzip der Gewaltenteilung und zwar unter dem Aspekt, ob bzw. inwieweit ein "Hineinregieren" der Judikative in das Verwaltungshandeln erlaubt sei. In Deutschland wiederum wurde die Entscheidung überwiegend mit Blick auf die Folgen "lediglich" fiir das Verwaltungsprozessrecht behandelt5 • Der (gerichtliche) einstweilige Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen erfreut sich- jedenfalls in Deutschland- einer zunehmenden Popularität. Statt der ursprünglichen Funktion, nämlich die Effektivität des Endurteils zu sichem6 und die der interimistischen Befriedung7 ist ein Prozess zu beobachten, der bereits als "Flucht in den einstweiligen Rechtsschutz" 8 bezeichnet wird.

10ppermann, JZ 1999, 317, 324 weist daraufhin, dass die Rechtskulturen innerhalb der Europäischen Union an Traditionen anknüpfen können, die bis in die Zeiten Bolognas und des römischen corpus iuris zurückreichen. 2 EuGH vom 19.6.1990, Rs C-213/89 Factortame, Slg. I-1990, S. 2433 ff. Siehe zum Inhalt der Entscheidung ausruhrlieh Kapitel F. dieser Untersuchung. 3 Craig, Yearbook ofEuropean Law 1991,221,234 ff. 4Flauss, S. 81 und 82. 5 Vedder, EWS 1991, 10 ff.; Kopp/Schenke,§ 80 VwGO RN 11 und 95.

6

Volkmar Wagner, S. 6. Schach, VerwA 1991, 145 ff.; Kopp/Schenke,§ 80 VwGO RN I. 8Lehr, Einstweiliger Rechtsschutz in der EurOJ?.äischen Union 1997, S. 43 mit weite7

ren Nachweisen und Hinweisen auf statistische Ubersichten zur Zunahme der Verfah-

24

A. Einleitung

Hinsichtlich der zunehmenden Dauer9 der Hauptsacheverfahren wird von einer "Entthronung" oder auch der Krise 10 des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacherechtsschutzes gesprochen. Zu nennen ist an dieser Stelle allerdings auch ein Erkenntnisprozess filr die Erfordernisse einer dynamischen Industriegesellschaft Dies hatte in Deutschland die Folge, dass bei mehrpoligen Rechtsverhältnissen die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Verwaltungsentscheidungen durch Spezialregelungen zur Ausnahmeregelung modifiziert und damit in ihrer Bedeutung verringert worden ist 11 • An dieser Stelle sind auch die Sonderregelungen fiir den Aufschwung Ost zu erwähnen. So wurde die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe in den Planungs- und Investitionsförderungsgesetzen ausgeschlossen 12 • Diese Tendenz, bei neuen Regelungen die aufschiebende Wirkung durch den deutschen Gesetzgeber auszuschließen oder auch Fristen fiir Eilanträge einzufilhren 13, hatte wiederum die Folge, dass neben der zunehmenden Dauer des Hauptsacheverfahrens eine weitere Ursache fiir die Zunahme des gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes geschaffen wurde. In dem Verzicht der deutschen Rechtsordnung auf die aufschiebende Wirkung der Einlegung des Widerspruchs gegen Verwaltungsakte wird aber auch mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH eine Chance 14 fiir die Harmonisierung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen (belastende) Verwaltungsakte innerhalb der Europäischen Union gesehen 15 • Die fortschreitende In-

rensart "einstweiliger Rechtsschutz". Siehe auch Schoch, DVBI. 1997, 289, 290 mit dem Hinweis, dass die sog. Eilverfahren in der gerichtlichen Praxis mittlerweile eine qualitative und quantitative Bedeutung erlangt haben, die auf vielen Sachgebieten diejenigen der Hauptverfahren erreicht oder sogar übertrifit Ders., in: Schoch!SchmidtAßmann/Pietzner, Vorb. § 80 RN 2 und 3; Classen, Europäisierung S. 117; s. auch Schenke, VerwAch 2000, 587 f. 9Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner Vorb. § 80 RN 5. 10Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner Vorb. § 80 RN 4, der von einer Krise des Hauptsacheverfahrens im Hinblick auf Umfang und Gewicht des vorläufigen Rechtsschutzes spricht. 11 Siehe hierzu im Kapitel "B. Deutschland", Abschnitt "III. Regel-Ausnahme" dieser Abhandlung. Siehe auch Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner Vorb. § 80 RN 3, der aufweitere Rechtsgebiete hinweist. 12Schoch. in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner § 80 RN 131. 13Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner Vorb. § 80 RN 3. 140b ein solcher Verzicht tatsächlich einen Schritt in Richtung Harmonisierung darstellt, soll u.a. in dieser Darstellung untersucht werden. Oppermann, S. 502 RN 1253 ff. weist darauf hin, dass der öffentlich-rechtliche Bereich besonders mit der nationalstaatlichen Souveränität verknüpft ist, woraus sich bremsende Wirkungen ergeben. 15Haibach, DÖV 1996, 60, 61 und 65, der ein konkretes Modell filr die deutsche Verwaltungsgerichtsordnung entwickelt, u.a. mit der Generalklausel "Widerspruch und Anfechtungsklage haben keine aufschiebende Wirkung" und letztere nur in Ausnahmeflillen zulässt; ders., Gemeinschaftsrecht und vorläufiger Rechtsschutz S. 156 ff.; auch Triantafyllou, NVwZ 1992, 129, 133.

I. Problemstellung

25

tegration des Europäischen Binnenrnarktes 16 und Wandel ein rechtlich zusammenwachsendes Europa, geschieht in einem Spannungsfeld, welches u.a. zwei rechtspolitische Ansätze aufweist. Zum einen wird die Harmonisierung und darüber hinaus - die Forderung zur Rechtsvereinheitlichung des materiellen (Verwaltungs-) Rechts 17 sowie in dessen Folge die Angleichung des Verwaltungsverfahrensrechts bis hin zum Verwaltungsprozessrecht18 angestrebt. Der zweite rechtspolitische Ansatz ist die Stärkung des Subsidiaritätsprinzips 19 • Dieses ist mit dem Vertrag von Maastricht 1992 als Ordnungsprinzip fiir die Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission zum Verfassungsprinzip erhoben worden. Bei der Anwendung dieser beiden Grundsätze ist über die Konsequenzen fiir die Verwirklichung der Europäischen Union nachzudenken. Dies begrenzt sich nicht auf die Bedürfnisfrage nach der europäischen Rechtssetzung im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsprinzips, soweit nicht die ausschließliche Gemeinschaftskompetenz vorliegt20. Zwingende Voraussetzung ist bei der Harmonisierungsbestrebung ein Abschätzen, welche trennenden Hindernisse zu überwinden sind, welche Verwurzelung, Rechtstraditionen und rechtliche Konzepte bestehen. Das gleiche verlangt die (Rück-) Verlagerung (allerdings auch die Weiterfiihrung) der Gesetzgebungskompetenz auf die Ebene der Mitgliedstaaten oder auf deren kleinere innerstaatlichen Einheiten als Folge der Umsetzung des Prinzips der Subsidiarität. Das Wissen, welche divergierenden und auch hemmenden Kräfte auf das Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes bis hin zur Union durch die nationalen Rechtstraditionen wirken, ist auch hier notwendig. Diese Kenntrris um die Rechtsordnungen ist heute von zunehmender Bedeutung, da sich beide rechtspolitischen Ansätze in einem gegenüber den Gründerjahren der Europäischen Gemeinschaften stark veränderten Umfeld vollziehen. Aus den relativ homogenen sechs Gründerstaaten von 1957/1958 ist eine Europäische Union mit filnfzehn Mitgliedstaaten erwachsen, die weiterhin

160ppermann,

Einführung zum Europaleitfaden S. 2. Babusiaux, Recueil Dalloz 1998, A-26 ff. 180ppermann, Verfassungsautonomie und supranationale Bindung in der EU S. 131 weist darauf hin, dass über ein europäisches Zivilprozessbuch oder gar ein Zivilgesetzbuch bereits erste Entwürfe vorbereitet werden. Auch wird aufgrund der Europäisierung der nationalen Verwaltungsrechte über die Behördenstruktur in den Mitgliedstaaten nachzudenken sein, s. Armin Dittmann, in: Oppermann/Sander, JZ 1999, 1162, 1163. 19Art. 5 EG-V. Oppermann, JZ 1999, 317, 321 mit dem Hinweis, dass das Subsidiaritätsprinzip als Schutzschild - jedenfalls von Deutschland mit seinen Bundesländern, aber auch in Großbritannien - angesehen wird. 20 0ppermann, Verfassungsautonomie und supranationale Bindung in der EU S. 129. 17Z.B.

26

A. Einleitung

sowohl auf eine immer engere Union2\ aber auch auf deren Erweiterung22 ausgerichtet ist. Unstrittig ist das Gemeinschaftsrecht, insbesondere durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes, "fiir das mitgliedstaatliche Verwaltungsrecht zu einem Flexibilitäts- und Innovationsfaktor ersten Ranges" geworden. Das europäische Gemeinschaftsrecht hat wesentlich stärker als das nationale Recht der Mitgliedstaaten auf eine effektive Durchsetzung des europäischen Allgemeininteresses und auf die Aufrechterhaltung der Einheit der europäischen Rechtsordnung zu drängen23 . So wird bereits die Frage gestellt, inwieweit ausgewählte nationale Rechtsinstitute konkretisiertes Europarecht darstellen24 • Eine generelle Einbahnstraße ist dies allerdings nicht. Neben diesem Hineinwirken des europäischen Rechts auf die nationalen Rechtsordnungen, was auch hinsichtlich des europäischen Sekundärrechts als "krakenartig" zu charakterisieren isr5, hat sich der Europäische Gerichtshof bei der Auffmdung der allgemeinen Rechtsgrundsätze26, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, mehr und mehr zur sogenannten "wertenden" Rechtsvergleichung27 bekannt. Bei dieser Methode werden wesentliche Lücken im EG- bzw. EU-Vertrag nicht einfach durch die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner der mitgliedstaatliehen Rechtsordnungen geschlossen, sondern in Ermittlung der "besten" Lösung, die im nationalen Spektrum auffmdbar ist. Ein solcher Grundsatz muss also in den nationalen Rechtsordnungen gefunden nicht erfunden- werden28 .

21 Satz 1 der Präambel der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, abgedruckt in Abi. EG C 364 vom 18.12.2000 (2000/C 364/08). 220ppermann/Sander, JZ 1999, 1162 ff. zu den einzelnen Hürden in den verschiedenen Rechtsgebieten und der Schwierigkeit der Übernahme des aquis communautaire. Oppermann, JZ 1999, 317 ff. zur Frage der Finalität - auch im Zusammenhang mit der Erweiterung - der EU. 23Bleckmann, DÖV 1993,837, 841. 24Lehr, S. 2; s. auch Buck, S. 23 m.w.N. 250ppermann, Verfassungsautonomie und supranationale Bindung in der EU S. 117, 119. 261m übrigen "findet" der Europäische Gerichtshof die "Grundrechte der Person" in den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten, wobei er auch hier die wertende Rechtsvergleichung anwendet (s. Oppermann, S. 191 RN 496). Bleckmann, DÖV 1993, 837, 838 ff. 270ppermann, Verfassungsautonomie und supranationale Bindung in der EU S. 123 weist darauf hin, dass das europäische Recht Fleisch vom Fleische der nationalen Rechtskulturen sei. 28 0ppermann, Europarecht S. 187 RN 486 mit Nachweis der Rechtsprechung: In diesem Sinne sind als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts beispielsweise wichtige rechtsstaatliche Prinzipien anerkannt, wie der Gedanke der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit, und verschiedene "allgemeine Grundsätze ordentlicher

I. Problemstellung

27

Ein gegenseitiger Einfluss auf horizontaler Ebene - d.h. von nationaler zu nationaler Rechtsordnung - zwischen den Mitgliedstaaten ist ebenfalls zu beobachten. So haben über das Europarecht Elemente der kontinentaleuropäischen Rechtstradition den Weg in das englische Verwaltungsrechtsdenken gefunden. Hier sind die beiden Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu nennen29 • Daneben wird das nationale Verwaltungsrecht weiterhin durch das nationale Verfassungsrecht in ganz erheblichem Maß beeinflusse0 • Das Lösen von Verfassungstraditionen, aber auch von gewachsenen und vertrauten Verwaltungsverfahren oder deren Modifikation stellt naturgemäß gerade für Juristen der einzelnen Mitgliedstaaten eine gesteigerte Herausforderung31 dar. Dieser Austausch zwischen den "Schichten"32, ja der Verzahnung33, der europäischen Rechtsordnungen vollzieht sich in vielfacher Weise, d.h. auf gegenseitiger vertikaler und horizontaler Ebene, aber auch über Querverstrebungen und Rückkopplungen34. Auch hinsichtlich dieser gegenseitigen Beeinflussung35 der nationalen Rechtstraditionen und der supranationalen Rechtsordnung ist die Grundvoraussetzung das Wissen um das "fremde" Rechtssystem und die "fremde" Rechtstradition. Dies ist der erste Schritt zur Erkenntnis, welche Lösungen das andere System bietet und welche "Opfer" und gegebenenfalls in welchem Umfang diese im Fall einer gesetzlichen Änderung - beispielsweise - aus Gründen der Gemeinschaftstreue zu erbringen sind. Dies gilt um so dringlicher als die "Rechtsmassen des europäischen Rechts" auch als "heterogen und unübersichtlich"36 bezeichnet werden und dies sicherlich auch sind.

Verwaltung", wie Vertrauensschutz, rechtliches Gehör (auch in Gestalt der Gelegenheit zur Stellungnahme bei einer beeinträchtigenden Maßnahme). 29Schwarze, DÖV 1996, 771, 774. 30Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht S. 20 RN 12. 31 0ppermann, Verfassungsautonomie und supranationale Bindung in der EU S. 118 erwähnt die Schwierigkeiten, die sich aus den nationalen Gewohnheiten ergeben. 32Schmidt-Aßmann, DVBI. 1993, 924 und 928 nennt vier Schichten: Das Recht der EG-Verwaltung, das Gemeinschaftsverwaltungsrecht (beides bezeichnet er als das Europäische Verwaltungsrecht i.e.S.), das Konventionsverwaltungsrecht (das völkerrechtlich begründete Verwaltungsrecht, z.B. aufgrund der EMRK-Rechtsprechung entstandene Verwaltungsrecht) und das einzelstaatliche Verwaltungsrecht 33Oppermann, Verfassungsautonomie und supranationale Bindung in der EU S. 131. 34Schmidt-Aßmann, DVBI. 1993, 924, 928; ders., in: Europäisierung des allgemeinen Verwaltungsrechts S. 513. 35Ausführlich zu der gegenseitigen Beeinflussung Schwarze, in: Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss S. 124 und 204 ff.; ders., in: Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle S. 205. 36Schmidt-Aßmann, DVBI. 1993,924.

28

A. Einleitung

II. Quo vadis? Soll es nicht bei der Technik der gegenseitigen Anerkennung37 und der Rechtsangleichung durch Richterreche 8 verbleiben, sondern der Forderung und der Entwicklung eines - gemeinschaftsweiten - europäischen Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts nachgekommen werden, wäre zu überlegen, welche Hauptaufgabe diesem - und in deren Folge auch dem einstweiligen Rechtsschutz - zukommen soll. Steht die objektive Rechtskontrolle im Vordergrund, ist dem subjektiv-öffentlichen Rechtsschutz der Vorrang zu geben oder ist einem hybriden System der Vorzug einzuräumen?39 Jedenfalls ist beim ZusammenfUgen der "Europäischen (Teil-) Rechtsordnung" zu einem "runden" einheitlichen Ganzen auch diese Zielvorgabe zu berücksichtigen. Brüche, die zu unstimmigen oder gar unsinnigen Vorgaben in den einzelnen Mitgliedstaaten durch ein "aufgesetztes" einheitliches Modell fUhren, müssen von vornherein vermieden werden40 • Eine weitere Schwierigkeit bei einer möglichen Harmonisierung besteht darin, dass im Einzelnen sicherzustellen ist, dass die entsandten Verhandlungspartner der beteiligten Organisationen und Staaten unter bestimmten Fachbegriffen dasselbe verstehen41 . Wird beispielsweise im Deutschen von "Gerichtskontrolle" gesprochen, ist noch kein spezifischer Rechtsweg festgelegt. Wird dies mit judicial review ins Englische42 übersetzt, ist im englischen Rechtssystem der Weg zum High Court of Justice (einschließlich der spezifischen Voraussetzungen) angesprochen. Auch bei diesen Punkten ist das Wissen um die andere Rechtstradition und Rechtsordnung außerordentlich hilfreich.

37 0ppermann, JZ 1999,317, 324; ders., Europarecht S. 476 RN 1203: Die Europäische Kommission bevorzuge inzwischen einen kumulativen Ansatz ("Neue Strategie"), sie setze also neben die gegenseitige Anerkennung ("Vertrauensprinzip") in bestimmten Bereichen die harmonisierende Rechtsangleichung. 38 0ppermann, Europarecht S. 488 RN 1228. 39Siehe zur Problematik des subjektiven Rechtsschutzes vs. der objektiven Rechtskontrolle in der deutschen Rechtsordnung Krebs S. 191 ff. 40Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner Vorb. § 80 RN 29 verweist auf die bereits erfolgten Friktionen durch die Rechtsprechung des EuGH zur Rechtsschutzgewährung. Siehe zu den verschiedenen Ansätzen des deutschen und des europäischen Verwaltungsrechts Classen, NJW 1995,2457,2458 ff. 41 Schmidt-Aßmann, DVBI. 1993, 924, 928 verweist darauf, dass die Aufnahme einiger Richtlinien des EG-Umweltrechts dem deutschen Recht deshalb so große Schwierigkeiten bereiten, weil sie im Rechtsdenken und in der Rechtssprache ganz von englischen Ansätzen her konzipiert seien. Siehe auch Classen, NJW 1995, 2457. 42Im OS-amerikanischen Rechtssystem wird im Sprachgebrauch mit .,judicia/ review"- zumeist die verfassungsrechtliche Normenkontrolle angesprochen.

III. Gang der Untersuchung

29

111. Gang der Untersuchung Gegenstand der Untersuchung ist die nonnative Bedeutung und die Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes in ausgewählten Rechtsordnungen in Europa. Zielsetzung ist die Gegenüberstellung dieser Rechtsordnungen in drei Kembereichen. Dieses Vorgehen soll dazu dienen, den Ausgangspunkt und das Selbstverständnis fiir den einstweiligen Rechtsschutz in der "eigenen" Rechtsordnung zu ermitteln, um damit die Anforderungen und Erwartungen an den einstweiligen Rechtsschutz innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen ableiten zu können. Im Anschluss daran werden Paradigmen herauskristallisiert Für eine mögliche Harmonisierung oder gar einer Vereinheitlichung dieses Rechtsinstituts, aber auch fiir eine weitere gegenseitige Einflussnahme der Rechtsordnungen, wie dies bereits durch die o.a. Factortame-Entscheidung exemplarisch begonnen wurde, erscheint dies essentiell. Die Untersuchung im Einzelnen: Die Arbeit ist neben dieser Einleitung (A.) in zehn weitere Kapitel eingeteilt (B. bis K.). Die Kapitel zwei bis sieben (B. bis H.) sind je einem Rechtssystem43 gewidmet. Den Anfang bilden die beiden Kapitel über den einstweiligen Rechtsschutz von zwei Gründerstaaten der Europäischen Gemeinschaften, nämlich Deutschland (B.) und Frankreich (C.), die in der kontinental-europäischen Rechtstradition stehen und das römische Recht rezepiert haben. Im vierten Kapitel wird der einstweilige Rechtsschutz im Vereinigten Königreich44 (D.) untersucht, als eines der im common /aw verwurzelten Mitgliedstaaten. Das fiinfte Kapitel befasst sich mit dem einstweiligen Rechtsschutz der Europäischen Gemeinschaft im Fall des Verwaltungsvollzuges durch die EG-Organe (E.). Darauf folgt im sechsten Kapitel die Darstellung, welche Anforderungen die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft beim indirekten Verwaltungsvollzug an den einstweiligen Rechtsschutz der Mitgliedstaaten stellt (F.). Angesprochen wird hier die Vollziehung einer Einzelentscheidung (bzw. deren Aussetzung) der Organe der Europäischen Gemeinschaft durch nationale Institutionen. Diese "Konfliktlinie"45 ist mit Blick auf die Dominanz dieses Verwaltungsvollzuges von besonderem Interesse. Hinsichtlich der angestrebten Erweiterung der Europäischen Union und der Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch die nationalen Institutionen sowie durch die Organe der Europäischen Gemein-

43 Die Untersuchung beschränkt sich auf angewandte bzw. "gelebte" Rechtsordnungen. Die "Reconunendation No. R (89) 8 of the Council of Europe, Conunittee of Ministers on Provisional Court Protection in Administration Matters" wurde nicht berücksichtigt. Zu dieser Kodifikation ausfUhrlieh Lehr, S. 500 ff. 44Zum BegriffVereinigtes Königreich, s. Kapitel D. dieser Untersuchung. 45Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann!Pietzner Vorb. § 80 RN 18.

30

A. Einleitung

schaft als eine der wichtigsten Quellen von materiellen Deterrninanten46- die Grundrechtsgarantien der EMRK gehören zum acquis communautaire47 -, wird im siebten Kapitel (G.) der Frage nachgegangen, welche Anforderungen dieses Vertragswerk an den einstweiligen Rechtsschutz bei anhängigen Verfahren vor dem Gerichtshof fiir Menschenrechte stellt. Daran schließt sich im achten Kapitel (H.) die Darstellung an, ob und welche Erwartungen die Europäische Menschenrechtskonvention an den einstweiligen Rechtsschutz der nationalen Rechtsordnungen der Unterzeichnerstaaten hat. Den Abschluss dieser Arbeit bilden das neunte Kapitel mit dem Aufzeigen von Paradigmen (J.) und einer thesenartigen Zusammenfassung der Arbeit sowie das zehnte Kapitel (K.) mit einem Resümee und Ausblick. Die Untersuchung geht vom abstrakten Modell einer hoheitlich getroffenen Einzelentscheidung der Exekutive gegenüber einer bestimmten Person aus. Dieser wird in diesem Modell eine spezifische Handlung auferlegt, mit deren Regelungsinhalt sie nicht einverstanden ist und deshalb einstweiligen Schutz vor dem Verwaltungsvollzug sucht. Der nach der deutschen Rechtsordnung geprägte und in § 35 VwVfG kodifizierte - enge - Begriff des Verwaltungsaktes soll hier nicht zugrunde gelegt werden. Dieser ist - naturgemäß - in anderen Rechtsordnungen in dieser Weise nicht bekannt. Gegenstand der Untersuchung soll auch nicht die entsprechende Begriffsklärung in den anderen Rechtsordnungen sein. Anhand dieses abstrakten Modells werden die oben erwähnten drei Kernbereiche in den sieben Kapiteln (B. bis H.) untersucht. Diese drei Kernpunkte sind die "Hierarchiestufe", die "Verfahrensvoraussetzungen" und die Kategorisierung des einstweiligen Rechtsschutzes als "Regel oder als Ausnahme" im jeweiligen Rechtssystem. Die Abhandlung folgt einem einheitlichen Schema. Im jeweils ersten Abschnitt "Hierarchiestufe" (1.) der sieben Kapitel (B. bis H.) wird die Frage der normativen Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes untersucht. Hierzu erfolgt die Prüfung, auf welcher Normenebene der einstweilige Rechtsschutz gegen Einzelmaßnahmen der Exekutive in der jeweiligen Rechtsordnung steht,

46Schmidt-Aßmann, DVBI. 1993, 924, 927; ders., Europäisierung des allgemeinen Vetwaltungsrechts S. 513, 515 ff.; s. auch Schwarze, NJW 1992, 1065, 1070 und: Arnold, in: Schwarze/Starcke Vereinheitlichung des Vetwaltungsverfahrensrecht in der EG S. 8. Auch Abschnitt 5 der Präambel in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, abgedruckt in Abi. EG C 364 vom 18.12.2000 (2000/C 364/08), vetweist ausdrücklich auf die Rechte, die sich aus der EMRK ergeben. 47 Vedder, EuR 1996, 309, 316; Beutler, in: GTE Art. F RN 65. Siehe auch Kapitel Kapitel H l.l .a)aa)(4) dieser Untersuchung.

III. Gang der Untersuchung

31

insbesondere ob ihm Verfassungsrang48 zukommt. Anschließend wird im zweiten Abschnitt (li.) die konkrete Ausgestaltung der "Verfahrensvoraussetzung" filr den einstweiligen Rechtsschutz und damit die "Hürden" fiir die jeweils von der Verwaltungsentscheidung betroffenen Person dargestellt. Dieser Abschnitt unterteilt sich in vier Unterpunkte, um näher auf die Reichweite des Anwendungsbereichs (11.1.), auf die Anforderung an die Einleitung des entsprechenden Verfahrens (11.2.), auf die Antrags-/Klagebefugnis (11.3.) und auf die Verfahrensgrundsätze (11.4.) einzugehen. Im dritten Abschnitt eines jeden der sieben Kapitel (B. bis H.) schließt sich die Einordnung des einstweiligen Rechtsschutzes in das Schema "Regel und Ausnahme" (III.) an. Hierbei wird der Maßstab fiir die Einzelentscheidung berücksichtigt, soweit eine solche die Voraussetzung fiir den einstweiligen Rechtsschutz ist. Gegenstand der Untersuchung soll nicht das Aufzeigen des einstweiligen Rechtsschutzes in der gesamten Bandbreite mit den einzelnen Verästelungen in der jeweiligen Rechtsordnung sein. So wurde filr die deutsche Rechtsordnung die Gesetzgebung fiir die Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit beispielsweise nicht berücksichtigt. Untersuchungsgegenstand bleibt das generelle Leitbild der jeweiligen Rechtsordnung.

48Die Prüfung bezieht sich auf die Einstufung des Instituts "einstweiliger Rechtsschutz". Eine Aussage, ob ein individuelles einklagbares Grundrecht gegebenenfalls vorliegt, ist damit nicht verbunden.

B. Deutschland I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes 1. Verfassungsrechtliche Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes' gegen Verwaltungsakte In Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist folgendes Grundrecht festgeschrieben2: "Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen". Übereinstimmend haben Rechtsprechung und Literatur aus dieser verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie den Grundsatz der Effektivität abgeleitee, welcher wiederum die Errichtung des vorläufigen Rechtsschutzes verlangt4• Begründet wird dies u.a. mit der Dauer der gerichtlichen Hauptsacheverfahren.

1Verwendet wird dieser Begriff umfassend, nicht allein bezogen auf den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz, sondern auch auf das behördliche Vorverfahren. 2Statt vieler Schmidt-Aßmann, MDHS Art. 19 RN 273; a. A. Hufen, S. 531, der davon ausgeht, dass erst Art. 19 Abs. 4 GG den Rechtsschutz gewährleistet. Er geht nicht davon aus, dass dieses Recht bereits im "vorstaatlichen" Raum gewährleistet ist. Kritisch ebenso Bettermann, Hypertrophie S. 13 ff.; ders., AöR (96) 1971, 528 ff.; Renck, BayVBI. 1994, 161, 164. 3BVerfGE 35, 263, 274; 35, 382, 401; 37, 150, 153; 38, 57; 40, 272, 275; 46, 166, 178; 51,268, 284; 67, 43, 58; 69, 315, 372; BVerwG Urteil v. 23.6.1988 in Buchholz, Bd. 1 Art 19 GG Nr. 78; vgl. BVerfGE 41, 23, 26; AK.-GG-Wassermann, Art. 19 Abs. 4 GG RN 16 f.; Bauer, S. 98 rn.w.N. in FN. 229; Schoch, VerwA 1991, 145, 148; Schmitt Glaeser, RN 241; Lorenz, Jura 1983, 393 ff.; Redeker, NVwZ 1991, 530; Kopp/Schenke,§ 80 VwGO RN I; Stern, JuS 1981, 343; Hufen, S. 519; Tomuschat, in: PS filr R. Redeker S. 225; Heermann, ThürVBJ. 1993, 190; Ule, DVBI1982, 821,830. 4Schenke, BK Art. 19 Abs. 4 GG RN 412; ders., JZ 1988, 317, 324; SchmidtAßmann, in: MDHS Art. 19 Abs. 4 GG RN 273 ff. mit weiteren Nachweisen; Schach, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner Vorb. § 80 RN 9 spricht von einem Wirksamkeitsgebot, das inhaltlich auf die verfassungsrechtliche Garantie einer wirksamen Kontrolle der Verwaltung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit zureichender Ermächtigungsmacht ausgestattetes Gericht zielt. Sofortige Vollziehung ist bei hoheitlichen Maßnahmen ausnahmsweise zulässig, wenn vorläufiger Rechtsschutz möglich ist. Hendrichs, in: v. Münch 3. Aufl. 1985 Art. 19 RN 53; Krebs, in: v. Münch 5. Aufl. 2000 RN 64, der betont, dass Art. 19 Abs. 4 GG keine Option filr ein bestimmtes Modell vorläufigen Rechtsschutzes enthält; kritisch mit Betonung auf die "Vorläufigkeit" Ule, DVBI. 1982,821, 830; AK-GG-Wassermann, Art. 19 Abs. 4 GG RN 54.

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes

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Ein Rechtsschutz - begrenzt ausschließlich auf das Hauptsacheverfahren - käme in vielen Fällen zu spät, er hätte keine tatsächliche 5 Auswirkung rnehr6 . Die Meinungen klaffen jedoch bei der Frage der Reichweite dieses Grundsatzes der Effektivität sowie bei den damit verbundenen einzelnen Anforderungen an die Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes beim Verwaltungsprozess auseinander. Die Meinungsverschiedenheiten entfachen sich vor allem bei der Frage, ob generell die automatische aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs verlangt ise, oder ob der gesondert angeordnete Suspensiveffekt - nach Einlegung eines Rechtsbehelfs - ausreicht. Einen Überblick hierzu geben die drei nächsten Unterpunkte, in denen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts sowie die verschiedenen Auffassungen in der Literatur dargestellt werden. a) Höchstrichterliche Rechtsprechung

aa) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Bürger einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle, um ihn vor nicht mehr ruckgängig zu machenden hoheitlichen Entscheidungen möglichst zu bewahren. Dies ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts anzustreben, schon allein um " ... ,die Selbstherrlichkeit' der vollziehenden Gewalt im Verhältnis zum Bürger zu beseitigen8". Hierin liege die verfassungsrechtliche Bedeutung des automatisch verbundenen Suspensiveffekts verwaltungsprozessualer Rechtsbehelfe, ohne den der Verwaltungsrechtsschutz wegen der notwendigen Verfahrensdauer häufig hinfällig werden würde9• Im seihen Jahr, 1960, erfolgte die nachstehende Grenzziehung durch das Bundesverfassungsgericht, hiernach " ... gewährleistet Art. 19

5Hufen, S. 531, der im Falle eines verspäteten Rechtsschutzes auch einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG sieht. 6Konsequent hat die Rechtsprechung mit Hinweis auf diese grundgesetzliche Norm beim vorläufigen Rechtsschutz Lücken in einfachgesetzlichen Prozessordnungen geschlossen. Schmidt-Bleibtreu, Art. 19 RN 18 a; Schenke, in: BK Art. 19 Abs. GG RN 414; ders., JZ 1988,317, 324; Schmidt-Aßmann, in: MDHS Art. 19 Abs. 4 RN 14. 7Schmidt-Aßmann, in: MDHS Art. 19 Abs. 4 GG RN 274. 8BVerfG 10, 264, 267; 51, 268, 284 f.; Schach, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, § 80 RN 22 spricht von einem Gegengewicht zur Macht der Verwaltung; Endemann, VBIBW 1994,297. 9BVerfG 51, 268, 284; 35, 263, 274; 35, 382, 401 f.; 46, 166, 177; Leibholz/Rinck!Hesselberger, Art. 19 Abs. 4 RN 449; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1117. 3 Knall

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B. Deutschland

Abs. GG die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im Verwaltungsprozess nicht schlechthin10". Diese Schranke wurde in darauffolgenden Entscheidungen konkretisiert: "Überwiegend öffentliche Belange können es rechtfertigen, den Rechtsanspruch des einzelnen einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten 11 ". Allerdings wird dies wieder eingeschränkt und damit auf die Regel zurückverwiesen: "Dies [der Sofortvollzug] muss die Ausnahme bleiben12" . Das Bundesverfassungsgericht fährt im Zusammenhang mit dieser Einschränkung fort: "Da die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsakte unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG nicht schlechthin und ausnahmslos verfassungsrechtlich garantiert ist, erscheint es auch nicht von Verfassungs wegen geboten, jeden Verwaltungsakt, unabhängig von den besonderen Umständen, dem Suspensiveffekt zu unterstellen. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Bürger im dargelegten Sinne ein verfassungsrechtlich ausreichender effektiver Rechtsschutz gewährt wird, mag dies auch auf andere Weise als durch die (automatisch eintretende oder gerichtlich wiederhergestellte) aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs geschehen 13". Mit dieser anderen Weise spricht das Gericht die - gerichtliche - einstweilige Anordnung 14 an. In zwei weiteren Entscheidungen bezeichnet das Bundesverfassungsgericht wiederum15 den (automatischen) Suspensiveffekt von Rechtsmitteln gegen Verwaltungsakte 16 als "fundamentalen Grundsatz des öffentlichrechtlichen Prozesses".

10BVerfG

II, 232, 233; 67, 43, 58. 35,382, 402; 51,268,284 m. w. N.; 67, 43, 58. 12BVerfG 51,268,284 f. 13 BVerfG 51,268,284 f. 14BVerfG 51, 268, 285 weist auf§ 123 VwGO hin. § 123 Abs. I Satz I VwGO: "Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor der Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte". Die Möglichkeiten des§ 80 VwGO und des§ 123 VwGO sind verfassungsrechtlich grundsätzlich gleichwertig: BVerfG 51, 268, 285 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth Art. 19 GG RN 37. Allgemein zur einstweiligen Anordnung: Vgl. Quaritsch, VerwA (51) 1961, 210 ff. ; Baur, S. l ff, 16 zur Unterscheidung zwischen vorgeschaltetem und nachgeschaltetem einstweiligen Rechtsschutz. 15BVerfG 35,263, 272; BVerfG 69,315, 372; Wahlers, ZBR 1983,354, 357. 16§ 80 Abs. I VwGO. 11 BVerfG

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes

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bb) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 17 Das Bundesverwaltungsgericht bezeichnete bereits 1951 in seinem ersten Band den Suspensiveffekt des Rechtsbehelfs gegen belastende Verwaltungsakte als "ein Wesensmerkmal des im Grundgesetz (Art. 19 Abs. 4 GG) gewährleisteten Verwaltungsrechtsschutzes. Denn ohne den Suspensiveffekt der Klage würde der Verwaltungsrechtsschutz häufig hinfällig werden, weil bei sofortiger Vollziehung des Verwaltungsaktes, in Anbetracht des erfahrungsgemäß sich längere Zeit hinziehenden verwaltungsrechtlichen Verfahrens, vollendete Tatsachen geschaffen würden. Dadurch würde der Zweck der Nachprüfung des Verwaltungsaktes durch unabhängige Gerichte vereitelt, also der vom Verwaltungsakt Betroffene im Ergebnis des verwaltungsrechtlichen Schutzes beraubt werden".

Das Bundesverwaltungsgericht verlangt somit ebenfalls - als Regel - den einstweiligen Rechtsschutz in der Ausgestaltung des - automatischen - Suspensiveffekts. Auch das Bundesverwaltungsgericht anerkennt Einschränkungen dieses Grundsatzes 18.

b) Meinungen in der Literatur Die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 GG und der mit dieser Norm verbundene Grundsatz der Effektivität eine einfachgesetzliche Installierung eines vorläufigen Rechtsschutzes verlangt, wird ungeteilt bejaht. Innerhalb der Literatur sind die Ansichten über das Ausmaß der verfassungsrechtlichen Verankerung des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch gespalten. Teilweise wird es in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung dem Gesetzgeber zugestanden, die Einlegung des Rechtsbehelfs mit einem Suspensiveffekt zu koppeln, eine verfassungsrechtliche Verpflichtung bestehe hierzu nicht 19. Die Verfassungsnorm treffe keine Aussage zur Frage des konkreten Inhalts des von den Gerichten zu gewährenden Rechtsschutzes20 • Das Hineinlesen der aufschiebenden Wirkung in den Art. 19 Abs. 4 GG sei eine Überdehnung des Aussagegehalts dieses Grundrechts21, denn Art. 19 Abs. 4 GG halte keinerlei Aussagen bereit, welche die punktuellen Lösungsmodelle anböten. Art. 19 Abs. 4 GG fordere lediglich die Vermeidung eines Leerlaufens von Hauptsacheentscheidungen, er gebe dem 17BVerwG I, II f.; BVerwG 16, 289, 292 f. ; BVerwG in: DÖV 1973, 785, 786 wiederholt das Bundesverwaltungsgericht die o.a. Rechtsprechung. Siehe auch Scholz, in: FS Menger 641 . 18BVerwG I, 12. 19Schenke, in: BK Art. 19 Abs. 4 GG RN 413 ; ders., JZ 1988,317,325. 20Heftig ablehnend: Bettermann, DVBJ. 1976, 64, 65 ; ders. , AöR (96) 1971, 528, 554; ders., in: Hypertrophie S. 14. 21 Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz, S. 1118 ff. m. w. N.

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B. Deutschland

Gesetzgeber das Wirksamkeitserfordernis als Ziel vor. Das "Wie", also die Wahl der Mittel, stehe dem Gesetzgeber frei22 • Entscheidend sei nicht die Sicherungstechnik, sondern der Sicherungserfolg23 • Hingegen betrachtet eine starke Fraktion in der Literatur den - automatischen - Suspensiveffekt eines Rechtsbehelfs als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie. Der Suspensiveffekt ergänze und komplettiere Widerspruch und Anfechtungsklage und verleihe diesem Effektivitäe4, auch sei er ein fundamentaler Grundsatz des öffentlich-rechtlichen Prozesses. Er stelle den notwendigen Ausgleich dafilr dar, dass die Exekutive beim Erlass von Eingriffsverwaltungsakten in der "Vorhand" sei25• Eine - gerichtliche Aufhebung der aufschiebenden Wirkung sei nur bei überwiegenden Belangen möglich, eine Ausgestaltung des vorläufigen Rechtsschutzes in Form einer ausschließlichen gerichtlichen Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes sei abzulehnen26• Ein einfachgesetzlicher einstweiliger Rechtsschutz, der in die Hand der Verwaltung gelegt ist und ausschließlich von dieser gewährt würde, wird einvernehmlich als nicht ausreichend betrachtee7 • 2. Zwischenergebnis

Der vorläufige Rechtsschutz hat im deutschen Rechtssystem Verfassungsrang, er ist im Grundgesetz verankert. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hält den gesetzlich vorgesehenen automatischen Suspensiveffekt von Rechtsbehelfen gegen Verwaltungsakte filr generell verfassungsrechtlich unabdingbar, wenngleich nicht in jedem Einzelfall filr zwingend notwendig.

Vorläufiger Rechtsschutz S. 1119; Larenz, Jura 1983, 393, 400. in: MDHS Art. 19 Abs. 4 RN 274; Schach, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1120; Schach, in: Schoch/Schmidt-Aßmann!Pietzner § 80 RN 20 weist darauf hin, dass Art. 19 Abs. 4 GG keine bestimmte einfachgesetzliche Regelungstechnik verlangt. 24Schalz, in: FS Menger S. 641; Wahlers, ZBR 1983, 354, 357; Schwerdtner, NVwZ 1987, 473; Schwarze, DVBI. 1987, 1037, 1038; Petermann, DVBI. 1978, 94, 95, dieser weist daraufhin, dass aufgrundder Verankerung im Art. 19 Abs. 4 GG eine weite, keineswegs aber eine einengende Auslegung geboten sei. 25Pietzner/Ronellenfitsch, §51 RN 3; Ranellenjitsch, Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaften S. 139, 143; ders., Staatswissenschaften und Staatspraxis 1993, 683,686. 26Bauer, S. 98; vgl. auch Wiese/er, S. 151; Schwerdtner, NVwZ 1987,473. 21Schmidt-Aßmann, in: MDHS Art. 19 Abs. 4 GG RN 273; Ule, DVBI. 1982, 821, 830. 22Schach,

23Schmidt-Aßmann,

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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II. Die Verfahrensvoraussetzungen 1. Anwendungsbereich Das deutsche Verwaltungsrechtssystem kennt zwei Arten des einstweiligen Rechtsschutzes. Das Aussetzungsverfahren und das Anordnungsverfahren. Die "Wahl" des Verfahrens richtet sich nach der Klageart im Hauptsacheverfahren28. Ist die Anfechtungsklage die richtige Klageart, erfolgt der einstweilige Rechtsschutz durch das Aussetzungsverfahren. Bei allen übrigen Klagearten (Leistungs-, Feststellungs- und Gestaltungsklagen) ist im Allgemeinen das Anordnungsverfahren einschlägig. Die Wahl der Klageart hängt wiederum von der Frage ab, was der Betroffene begehrt. Hat dieser das Ziel, sich gegen ein schlicht hoheitliches Handeln zur Wehr zu setzen oder wünscht er den Erlass eines Verwaltungsaktes29, so ist der einstweilige Rechtsschutz durch das Anordnungsverfahren (nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)) zu suchen. Wendet sich der Adressat gegen einen von einer deutschen Behörde ergangenen30 Verwaltungsakt31 , der fiir ihn nicht etwa eine Begünstigung, sondern eine Belastung32 und/oder eine Einschränkung seiner Rechtsposition darstellt, verhindert das Aussetzungsverfahren (nach§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwG0)33 dessen Vollzug34. Dieses soll Gegenstand der näheren Untersuchung bleiben. Das Anordnungsverfahren wird in dieser Abhandlung nicht näher erläutert.

28Ronellenfitsch, Staatswissenschaft und Staatspraxis 1993, 683, 687; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann!Pietzner § 80 RN 29 weist darauf hin, dass dieses Abgrenzungskriterium nur als Faustregel zu werten sei. 29Schmitt Glaeser, RN 242 ff. mit weiteren Beispielen fur die Abgrenzung zum einstweiligen Rechtsschutz nach§ 123 VwGO. 30Schmitt Glaeser, RN 254; Schmalz RN 1115. 31 Die Legaldefinition gern. § 35 S. I VwVfG des Verwaltungsaktes lautet: "Verwaltungsakt ist jede Verfugung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts triffi und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist". Zu den einzelnen Merkmalen Maurer, S. 161 ff. 32Eine Belastung kann der Adressat durch einen Verwaltungsakt erfahren dessen Inhalt sein kann: (1.) Ein Verbot und Gebot; (2.) ein gestaltender oder (3.) ein feststellender Verwaltungsakt. Siehe auch Schmitt Glaeser, RN 250; Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 6; Ronellenfitsch, Staatswissenschaft- und Staatspraxis 1993, 683, 687. 33 § 80 Abs. I Satz I VwGO: "Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung." 34Zur Frage der Wirksamkeits- bzw. Vollziehbarkeitstheorie: Schmitt Glaeser, RN 250; Pietzner/Ronellenfitsch, § 53 I RN 2 ff. (mit Hinweis auf die vermittelnde Theorie); Erichsen!Klenke, DÖV 1976, 833 ff.; Scholz, G. in: FS Menger 641, 643 ff; Renck, BayVBI. 1994, 161, 162; Daumann, S. 17 ff.

B. Deutschland

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Sogenannte Regierungsakte (staatspolitische Führungsentscheidungen, wie Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers, Kommandoakte, Feststellung des Verteidigungsfalles35) fallen nicht in den Anwendungsbereich des Aussetzungsverfahrens, sie sind nach deutschem Verständnis keine Verwaltungsakte. Auch hier handelt zwar eine deutsche Behörde - weder die Judikatur, noch die Legislatur nimmt eine konkrete Handlung vor - , auch erfolgt ggf. eine Einzelfallregelung. Es mangelt jedoch - zumeist - an einer Regelung gegenüber dem Einzelnen36 ; dieser wird folglich durch den Exekutivakt auch nicht belastet. Mit Blick auf den sachlichen Anwendungsbereich des § 80 Abs. I Satz I VwGO dient dieser dem vorläufigen Rechtsschutz des Einzelnen, wenn der "allgemeine" Verwaltungsgerichtsweg zu beschreiten ist. Dies ist bei allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art der Fall, soweit diese nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen werden37• a) Die zweistufige Systematik des Aussetzungsverfahrens nach§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aa) Der Regelfall nach der Gesetzessystematik In der deutschen Rechtsordnung ist der Rechtsbehelf gegen einen belastenden Verwaltungsakt generell in zwei Stufen eingeteilt. Das Widerspruchsverfahren und das sich gegebenenfalls daran anschließende Gerichtsverfahren, soweit dem Betroffenen im Widerspruchsverfahren nicht abgeholfen worden ist. Das Widerspruchsverfahren ist ein behördliches Vorverfahren 38 und dient neben der Selbstkontrolle der Verwaltung auch der Entlastung der Gerichte; erst in zweiter Linie hat es Rechtsschutzfunktion39 • Es ist zumeist zwingende40 Vor-

Hendrichs, Art. 19 RN 46. in: v. Münch Art. 19 Abs. 4 GG RN 55; AK-GG-Wassermann, Art. 19 Abs. 4 GG RN 30; Vogel, S. 135. 37V gl. § 40 VwGO; zu den einzelnen Abgrenzungstheorien zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, s. Papier, JA 1979, 561, 562 ff.; zur Frage der Rechtswegverweisung in Eilverfahren Holzheuser, DÖV 1994, 807 ff.; zu Bestrebungen einer einheitlichen Verwaltungsprozessordnung Schenke, DÖV 1982, 709 ff. 38Siehe ausführlich Pietzner/Ronellenfitsch, § 25 ff. 39 vgl. Schmitt Glaeser, RN 183. 40Zu den Ausnahmen, s. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO und Pietzner!Ronellenfitsch, § 31 II RN 13 ff. ; insbesondere zur Streichung der beschränkenden Klausel "für besondere Fälle" durch das 6. VwGOÄndG: "Damit ist§ 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu einer unbeschränkten Öffnungsklausel zugunsten der Länder geworden, die als Ausnahme vom verwaltungsprozessualen 35

36Krebs,

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

39

aussetzung filr das Gerichtsverfahren. In der Regel wird gegenüber belastenden Verwaltungsakten vorläufiger Rechtsschutz dadurch gewährt, dass den beiden Rechtsbehelfen Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung zuk:onunt. bb) Die Ausnahmefalle nach der Gesetzessystematik Nach der Gesetzessystematik kommen dem Widerspruch und der Klage nur in Ausnahmetallen keine aufschiebende Wirkung zu. Diese Fälle sind in § 80 Abs. 2 VwGO normiert. Die darauffolgenden Absätze 3, 4 und 5 sind wiederum Kontrollinstrumente dafiir, ob ein Abweichen von der Regel erlaubt41 und der Vollzug der Verwaltungsentscheidung rechtens war. (s. näher Abschnitt III. in diesem Kapitel).

b) Die Praxis Die Sicht in die heutige Rechtswirklichkeit zeigt, dass der "moderne" Gesetzgeber zu einem gesetzlichen Ausschluss des automatischen Suspensiveffekts des Rechtsbehelfs, in diesem Fall des Widerspruchs, tendiert42 (s. näher unten III.2.). Dies hat zur Konsequenz, dass der Rechtsschutzsuchende in besonderer Weise auf den verwaltungsgerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz angewiesen ist43 • Dieser - nach der bisherigen Gesetzessystematik und nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung - weiterhin als Ausnahme zu betrachtenden Fall, gewinnt demnach an Bedeutung. Für den Untersuchungsgegenstand hat dies zur Folge, dass die behördliche bzw. gerichtliche Einzelfallentscheidung ebenfalls in den folgenden Abschnitten zu berücksichtigen ist.

Kodifikationsprinzip weit über das in der Gesetzesbegründung angegebene Ziel, der bereichsspezifische Freistellungen- .... -zu ermöglichen hinausgeht". 41 Scholz, in: FS Menger S. 641, 643. 42Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 65 mit Auflistung einiger wichtiger bundesgesetzliehen Regelungen. 43 Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner Vorb. § 80 RN 3; s. auch den Abschnitt "Regel-Ausnahme" in diesem Kapitel.

40

B. Deutschland

2. Widerspruchs- bzw. Antragsbefugnis44 Einstweiligen Rechtsschutz soll \Uld kann nicht jedermann in der deutschen Rechtsordn\Ulg erlangen. Ein Popularverfahren (Popularwiderspruch45 oder Popularklage) ist unzulässig46• Es soll dem Einzelnen nicht ermöglicht werden, sich zum Wahrer des Allgemeininteresses47 zu machen. Einstweiligen Rechtsschutz kann \Uld soll aber der Adressat einer Verwalt\Ulgsentscheid\Ulg erhalten, der in seinen Rechten beschwert ist. a) Für den Rege/fa//: Widerspruchsbefugnis

Für die Erheb\Ulg des Widerspruchs, also der Einleit\Ulg des behördlichen Vorverfahrens gelten zum einen die Gf\Uldsätze der Antragsbefugnis (s. \Ulten 11.2.b)). Liegen die Voraussetz\Ulgen fiir die Antragsbefugnis vor, ist auch die Widerspruchsbefugnis gegeben. Über diesen Rahmen des "Antragsbefugten" hinaus48 ist der Adressat eines Verwalt\Ulgsaktes zur Erhebung des Widerspruchs befugt, wenn er geltend machen kann, durch eine Ermessensentscheid\Ulg beschwert worden zu sein, er deren Abändef\Ulg wegen Unzweckmäßigkeit begehrt49 und eine andere Lösung fiir ihn gerechter oder auch vorteilhafter wäre. VoraussetZ\Ulg ist aber, dass der Adressat beschwert ist, wenngleich nicht zwingend seine Rechte berührt zu sein haben50• b) Für den Ausnahmefall: Antragsbefugnis51

Das Vorliegen der Antragsbefugnis ist zu prüfen, wenn der einstweilige Rechtsschutz über eine gerichtliche Prüfung erfolgen soll52• Dies erfordert, dass 44Untersucht werden soll hier die Frage der Zulässigkeit des Antrags bzw. der Klage. Nicht nachgegangen wird der Frage der Aktivlegitimation, also der Frage der Begründetheit einer behaupteten Rechtsverletzung. 45Pietzner/Ronellenfitsch, § 35 I RN l. 46Pietzner/Ronellenfitsch, § 35 I RN l. 47Ehlers, VerwA 1993, 139, 140. 48Kopp/Schenke, § 69 VwGO RN 6; Pietzner/Ronellenfitsch, § 35 I, S. 333, diese sind der Ansicht, dass der Kreis der Widerspruchsbefugten größer als der Kreis der Anfechtungsbefugten ist. Ein unzweckmäßiger Verwaltungsakt stelle keine Rechtsverletzung dar, beschwere jedoch. Das Widerspruchsverfahren diene gern. § 68 Abs. 1 VwGO ausdrücklich auch der Überprüfung der Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts. A. A. Erichsen, Jura 1984,478, 482; ders., Jura 1992,645, 649. 49 Woljf-Bachof, III § 161 RN 18. 50Pietzner/Ronellenfitsch, § 35 I RN 3. 51 Die Antragsbefugnis richtet sich nach der Klagebefugnis, s. Pietzner/Ronellenfitsch, §57 II RN 15.

li. Die Verfahrensvoraussetzungen

41

der Schutzbegehrende geltend macht bzw. behauptet "in seinen Rechten verletzt" zu sein. Eine solche Verletzung setzt zum einen ein "subjektiv-öffentliches Recht" voraus. Unter diesem wird jede Rechtslage verstanden, die das objektive Recht- zumindest auch- im Interesse Einzelner schützt53• Somit liegt ein solches subjektives Recht nicht vor, wenn die Rechtslage des Einzelnen auf der Anwendung einer Rechtsnorm beruht, die ausschließlich im öffentlichen Interesse ergangen ist, die konkrete Rechtslage des Einzelnen also nur einen einfachen Reflex darstellt. Zur Geltendmachung der Rechtsverletzungen hat der Kläger zum anderen substantiiert vorzutragen, dass und weshalb er in seinen Rechten verletzt ist. Nach diesen Behauptungen muss die Rechtsverletzung zumindest möglich sein (Möglichkeitstheorie)54• Eine Beeinträchtigung seiner bloß wirtschaftlichen oder anderer Interessen reicht also in keinem Fall aus. Diese vergleichsweise engen Voraussetzungen haben im Fall des Antrages auf gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz vorzuliegen. Für den Adressaten eines Verwaltungsaktes bereitet diese einschränkende Grenzziehung jedoch keine Schwierigkeiten. Es gilt die Adressatentheorie55 . Hiernach kann der Adressat eines Verwaltungsaktes grundsätzlich geltend machen, in seinem Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt zu sein. c) Zwischenergebnis Der Einzelne ist nicht Wahrer des Allgemeininteresses und auch kein Kläger fiir die Wahrung des objektiven Rechts. Der Adressat einer Verwaltungsentscheidung hat geltend zu machen, dass er durch diese beschwert ist. Der Betroffene hat einen Anspruch darauf, von der Behörde beschieden zu werden56 .

3. Einleitung des Verfahrens Hier soll dargelegt werden, durch wen das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eingeleitet werden kann.

52 Siehe

hierzu näher unten im Abschnitt "Regel und Ausnahme". § 42 VwGO RN 43 ff. m. w. N.; Studie der KommissionS. 51. 54BVerwG 3, 237; 39, 345; Finkelnburg/Jank, RN 847; a.A. Kopp/Schenke, § 42 VwGO RN 40 und 79. 55Kopp/Schenke, § 42 VwGO RN 79; ders. § 69 RN 6; a.A. Ehlers, VerwA 1993 , 139, 146. 56 In Form der Abhilfe oder des Widerspruchsbescheids, s. Pietzner/Ronellenfitsch, § 24 RN 17 f. 53Kopp/Schenke,

42

B. Deutschland

a) Einleitung durch das Gericht Die Initiative zur Einleitung eines Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz obliegt nach der deutschen Verwaltungsgerichtsordnung nicht den Gerichten57. Sie können kein Verfahren von Amts wegen einleiten.

b) Einleitung durch die Behörde Nach der Gesetzessystematik58 ist in Ausnahmefallen die Einleitung des Verfahrens auf Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber einem Einzelnen von Amts wegen durch die Behörde59 möglich, d.h. ein Antrag des Adressaten des Verwaltungsaktes wird hier nicht vorausgesetzt60. Von "Ausnahmefiillen" ist insofern zu sprechen, als ein entsprechendes Verfahren nur initiiert werden kann, wenn zuvor entweder durch eine entsprechende gesetzliche Regelung61 oder durch eine vorherige gesonderte (Verwaltungs-) Anordnung62 die automatische aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfes gegen den erlassenen Verwaltungsakt entfallen ist.

c) Einleitung durch den Adressaten des Verwaltungsaktes aa) Regelfall Der - nach der Gesetzessystematik - vorgesehene Regelfal163 erfordert für die Einleitung des vorläufigen Rechtsschutzes durch den Adressaten keinen (gesonderten) Antrag. Will sich der Adressat eines Verwaltungsaktes gegen diesen -umfassend - zur Wehr setzen, hat er generell als ersten Schritt gegenüber der

§51 I S. 271; Eyermann, § 80 VwGO RN 39. 80 Abs. 4 VwGO. 59Behörde ist in diesem Fall die Ausgangsbehörde (Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat) sowie die Widerspruchsbehörde. Zum Begriff der Widerspruchsbehörde: s. § 73 VwGO. 60Eyermann, § 80 VwGO RN 35 (9. Aufl.); Redekerlvon Oertzen, § 80 RN 34; Schmitt Glaeser, RN 272; a.A. Pietzner/Ronellenjitsch, § 55 RN 2, die davon ausgehen, dass § 80 Abs. 4 S. l VwGO dem vorläufigen Rechtsschutz des Einzelnen dient und deshalb voraussetzt, dass überhaupt um Rechtsschutz nachgesucht worden ist. 61 § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO. 62 § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. 63 Soweit der Verwaltungsakt von einer obersten Landes- oder Bundesbehörde erlassen wurde oder durch Gesetz fiir besondere Fälle bestimmt wird, stellt der Anfechtungsrechtsbehelf direkt die Anfechtungsklage dar. In welchen Fällen wiederum der Regelfall der Widerspruchserhebung nicht statthaft ist und in welchen er zwingend vorgeschrieben ist, vgl. § 68 VwGO. 57Bosch/Schmidt,

58 §

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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zuständigen Behörde64 das Aussetzungsverfahren65, wie oben geschildert, durch Erhebung des Anfechtungsrechtsbehelf6 in der Variante des Anfechtungswiderspruchs einzuleiten. bb) Ausnahmebereiche Entfallt der automatische Suspensiveffekt durch Gesetz oder kraft ausdrücklicher67 verwaltungsbehördlicher Anordnung kann der Adressat eines Verwaltungsaktes einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Ausgangsoder bei der Widerspruchsbehörde stellen68, soweit nicht wiederum bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist69. Der Betroffene kann aber auch70 einen Antrag beim Gericht (der Hauptsache 71 ) stellen72 , um ein V erfahren einzuleiten. d) Zwischenergebnis Der (Anfechtungs-) Widerspruch gegen den belastenden Verwaltungsakt gegenüber der zuständigen Behörde ist ausreichend, um den damit verbundenen 64 In § 70 VwGO sind die zuständigen Behörden festgelegt: Ausgangs- bzw. Widerspruchsbehörde. 65Zu den Ausnahmen, vgl. § 68 VwGO. 66Büchner/Schlotterbeck, RN 550. 67§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Hier ist Voraussetzung, dass u.a. im Einzelfall die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse liegt. Diese Anordnung kann nur erfolgen, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im Interesse eines der Beteiligten liegt. Der Behörde (Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde), obliegt die Pflicht das besondere Interesse diese Anordnung (gesondert) schriftlich zu begründen(§ 80 Abs. 3 VwGO). 68 § 80 Abs. 4 VwGO; Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 109; vgl. Schmidt, in: Eyermann, § 80 VwGO RN 49. 69§ 80 Abs. 4 S. I VwGO, vgl. hierzu Pietzner!Ronellenjitsch, § 55 III RN 33. 70Ein bereits gestellter Antrag bei der Behörde schadet nicht, dieser ist aber auch nicht zwingend, Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 109. Eine Ausnahme ist in§ 80 Abs. 6 VwGO vorgesehen: Bei Verwaltungsakten, die Kosten und Abgaben gern. § 80 Abs. 2 Nr. I VwGO betreffen, ist vor dem gerichtlichen Verfahren zwingend ein behördliches Verfahren durchzufiihren. 71 Das Gericht der Hauptsache ist vor Klageerhebung und bis zur Einlegung der Berufung das Verwaltungsgericht erster Instanz. Ist das Hauptsacheverfahren beim Berufungs- oder Revisionsgericht anhängig, so ist dieses sachlich zuständig. Bosch/Schmidt, § 51 II S. 271 ; näher Pietzner!Ronellenjitsch, § 57 II RN 7 ff. 72Der Antrag ist in den Fällen der § 80 Abs. 2 Nr. I bis 3 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu richten.

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Suspensiveffekt auszulösen. Dies ist der gesetzliche RegelfalL Die Einleitung des Verfahrens erfolgt entweder durch den Adressaten oder - in Ausnahmefällen - auch durch die Behörde. 4. Verfahrensgrundsätze a) Form, Frist und Inhalt des Anfechtungsbehelfs

Die Anforderungen73 an den Anfechtungsbehelfhinsichtlich Form, Inhalt und Fristen soll im Folgenden dargestellt werden. aa) Gesetzlicher Regelfall In dem oben dargestellten "gesetzlichen Regelfall" wendet sich der Adressat nicht mit einem gesonderten Antrag, der sich ausschließlich auf den einstweiligen Rechtsschutz bezieht, an die Behörde oder an das Gericht, sondern bewirkt den Suspensiveffekt durch Erhebung eines Anfechtungsbehelfs. Bis zur Klärung der Rechtslage bleibt der Schwebezustand erhalten74 • Welche Verfahrensgrundsätze der "schutzsuchende" Adressat zu beachten hat, um diesen status quo zu erhalten, ist hier näher zu untersuchen. (1) Form

Der Anfechtungsbehelf, im Regelfall der Widerspruch, ist schriftlich oder zur Niederschrift gegenüber der Behörde zu erheben75 • Die Schriftform ist gewahrt, wenn sich aus der Widerspruchsschrift allein oder in Verbindung mit beigefUgten Anlagen hinreichend sicher - ohne Notwendigkeit einer Rückfrage oder Beweiserhebung - ergibt, dass sie vom Widerspruchsfiihrer herrührt und mit dessen Willen in den Verkehr gelangt ise6 . Die Anforderungen an die Schriftform sind also nicht hoch.

73Zur Frage der Folgen bei unzulässigen Rechtsmitteln, vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht RN 956. 74 Pietzner!Rone/lenfitsch, § 53 RN I. 7 ~ach § 70 VwGO ist die zuständige Behörde sowohl die Ausgangsbehörde, als auch die Widerspruchsbehörde. 76Kopp/Schenke, § 70 VwGO RN 2: Beispielsweise ist den Anforderungen genüge getan, wenn im Falle einer maschinenschriftlichen "Unterzeichnung", der Widerspruchsfiihrer außerdem auch im Briefkopf genannt ist.

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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(2) Frist

Der Widerspruch ist fristgebunden. Im Regelfall77 beträgt die Frist einen Monae8 nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. (3) Inhalt

Spezifische Anforderungen an den Widerspruch sieht die gesetzliche Bestimmung nicht vor79. Nach der Rechtsprechung ist es ausreichend, wenn die Erklärung erkennen lässt, dass sich der Widerspruchsfiihrer durch einen bestimmten Verwaltungsakt beschwert fiihlt und eine Nachprüfung begehrt. Weitere Anforderungen werden an den Inhalt des Widerspruchs nicht gestellt. Die Bezeichnung ist frei wählbar, ein bestimmter Antrag oder eine Begründung ist nicht anzufilgen. bb) Ausnahmebereiche Abgehandelt werden hier die Fälle, in denen der Rechtsbehelf nach den gesetzlichen Bestimmungen keine automatische Wirkung zukommt, also eine gesonderte behördliche oder gerichtliche Anordnung zu ergehen hat. (1) Antrag vor der Behörde

Dem Adressaten eines Verwaltungsaktes steht der Weg offen, den einstweiligen Rechtsschutz über die Antragstellung80 gegenüber der Behörde zu suchen. Er hat die Wahl einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Ausgangs- oder bei der Widerspruchsbehörde zu stellen81 , soweit nicht wiederum bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist82 • Diese Möglichkeit besteht in den 77Ist dem Verwaltungsakt keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, so läuft die Frist gern.§ 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr. 78Die Berechnung erfolgt nach§ 57 VwGO i.V.m. § 222 ZPO, §§ 187 ff. BGB. Allerdings: Wird nach dem bereits Klage erhoben ist, das Widerspruchsverfahren nachgeholt, so genügt es zur Wahrung der Widerspruchsfrist, wenn die Klage rechtzeitig während der Widerspruchsfrist erhoben wurde. 79 Pietzner/Ronellenfitsch, §53 lii RN 16. 80Redekerlvon Oertzen, § 80 RN 34; Eyermann, § 80 RN 49. 81 § 80 Abs. 4 VwGO; vgl. Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 65. Diese Aussetzung gern. § 80 Abs. 4 VwGO ist entgegen des anderen Wortlauts von Abs. 4 S. 2 auch bei Verwaltungsakten, die nicht Abgaben oder Kosten betreffen, analog in Abs. 5 S. 4 anwendbar, vgl. Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 65; Eyermann, § 80 VwGO RN 33. 82§ 80 Abs. 4 S. I VwGO, vgl. hierzu Pietzner/Ronellenfitsch, § 56 I RN l.

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Fällen, in denen der automatische Suspensiveffekt des Rechtsbehelfs gesetzlich ausgeschlossen ist; die Behörde also die Vollziehung aussetzen kann. (2) Antrag vor Gericht Falls kein automatischer Suspensiveffekt als Folge der Einlegung des Widerspruchs erfolgt, hat der Adressat auch die Möglichkeit den Weg zum Gericht anzutreten. Im Vergleich zum oben dargestellten Widerspruchsverfahren bzw. gesonderten Antrag vor der Behörde, ist hier ein höheres Maß an die Anforderungen der Förmlichkeiten83 zu verzeichnen. (a) Form Der Antragsteller hat auch hier die Option, den Antrag entweder schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären und zwar beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle84 des Gerichtes der Hauptsache85 • (b) Inhalt Der Antrag hat den Antragsteller, den Antragsgegner und den Gegenstand zu bezeichnen86 • Dieser muss erkennen lassen bzw. angeben, was der Antragsteller begehrt87• Das bedeutet, der Antragsteller hat eine Kennzeichnung der Sache vorzunehmen. Dies hat in der Art und Weise zu erfolgen, dass dem Gericht ermöglicht wird festzustellen, in welcher Angelegenheit der Antrag gestellt wird. Die Bezeichnung des Verwaltungsaktes allein reicht nicht aus. (c) Frist Anträge sind grundsätzlich88 an keine Fristen89 gebunden, die Verwirkung ist praktisch ausgeschlossen90• Soweit nicht anders gesetzlich geregelt, ist es je§ 70 VwGO RN 2. § 81 Abs. 5 Satz I VwGO analog; Finkelnburg/Jank, RN 941. 85Gem. § 81 Abs. I Satz I VwGO analog. 86Gem. § 82 VwGO analog; Büchner/Schlotterbeck, RN 575; Pietzner/Ronellenfitsch, § 57 II RN 14. 87Kopp/Schenke, § 82 VwGO RN 7. 88Eine Ausnahme ist z.B. in § 10 Abs. 3 S. 2 Asylverfahrensgesetz vorgesehen. 89Nach § 80 Abs. 5 VwGO. 90Redeker/von Oertzen, § 80 RN 55, s. aber auch RN 55a. 83Kopp/Schenke,

84Gem.

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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doch erforderlich91 , dass der Antragsteller Widerspruch eingelegt hat, weil erst der Widerspruch die aufschiebende Wirkung auslöst, die vom Gericht angeordnet oder wiederhergestellt werden kann92. b) Mündliches oder schriftliches rechtliches Gehör Relevant sind die folgenden Ausfiihrungen nur fiir die Ausnahmeregelungen fiir die der automatische Suspensiveffekt nicht vorgesehen ist. Abgehandelt wird zunächst das gerichtliche und anschließend das behördliche Verfahren. Verfassungsrechtlich (Art. 103 Abs. I GG) verankert gilt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs in jedem gerichtlichen Verfahren und damit auch im Verwaltungsprozess93. Seinem Wesen nach bedeutet der Anspruch auf rechtliches Gehör die Möglichkeit eines Beteiligten, alle ihm wichtig erscheinenden, auf den konkreten Fall bezogenen Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzubringen. Als die korrespondierende Verpflichtung des Gerichts hat dieses die Ausfiihrung zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen94. Diese grundsätzlich bestehende Anhörungspflicht entfällt nur, wenn der Schutz gewichtiger Interessen die Überraschung eines Beteiligten unabweisbar erfordert95 . Es steht im Ermessen96 des Gerichts, ob es die Anhörung in Form einer mündlichen Verhandlung durchfUhrt oder diese schriftlich ennöglicht. Generell entscheidet das Gericht der Hauptsache, in dringenden Fällen entscheidet der Vorsitzende97. Anders jedoch im Falle des behördlichen Verfahrens: In diesem Fall wird die zuvor angeordnete sofortige Vollziehung "rückgängig" gemacht und zwar durch 91 Gem. § 80 Abs. 6 VwGO; Redeker, NVwZ 1991 , 526, 528: "Dem Gericht darf, ein Aussetzungsantrag, der sich auf§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bezieht erst vorgelegt werden, wenn zunächst ein Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde (teilweise) negativ beschieden wurde". 92Pietzner/Rone/lenfitsch, § 57 II RN 18; Eyermann, § 80 VwGO RN 39. Liegt der gesetzliche Ausnahmefall vor, dass ein Vorverfahren nicht erforderlich ist und ist kein Widerspruch eingelegt worden, kann ein solcher Antrag frühestens mit der Klageerhebung gestellt werden (Redekerlvon Oertzen, § 80 RN 55). 93Schmitt Glaeser, RN 551. 94BVerfG 28, 378, 384; Kopp/Schenke, § 108 VwGO RN 5. 95 Kiargestellt wurde vom BVerfG, dass notfalls bei besonderer Dringlichkeit alle technischen Hilfsmittel einzusetzen sind, vgl. BVerfG 65, 227; BVerfG 49, 329, 342 (hier im Zusammenhang mit der StPO) m. w. N. Die Sicherung gefährdeter Interessen kann die vorherige Anhörung ausschließen; Eyermann, § 108 VwGO RN 13 (sehr zurückhaltend und nur in Bezug auf den einstweiligen Rechtsschutz); BVerfG vom 3.11.1983 NJW 1984,719. 96Gem. § 101 Abs. 3 VwGO erfolgt die Aussetzung bzw. Herstellung der aufschiebenden Wirkung durch Beschluss, nicht durch ein Urteil. 97Gem. § 80 Abs. 8 VwGO.

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die Behörde98 selbst, nicht durch eine dritte, d.h. neutrale Instanz. Das verfassungsmäßige Recht auf Gehör ist auf das gerichtliche Verfahren beschränkt. Auf das Verwaltungsverfahren erstreckt sich der besondere Schutz dieser Verfassungsnorm (Art. 103 GG) nicht. Die Rechtsstaatlichkeit verlangt aber, dass auch im Verwaltungsverfahren dem Betroffenen bei Eingriffsakten grundsätzlich rechtliches Gehör zu gewähren ist99 , wie es auch in § 28 VwVfG 100 (bzw. in den entsprechenden Landesverfahrensgesetzen) festgeschrieben wurde. Der - eingeschränkte - Anwendungsbereich dieses Postulats bzw. der Normen, nämlich im Falle von anstehenden Eingriffen in die Rechtssphäre der Beteiligten, hat zur Folge, dass bei der Aussetzung der sofortigen Vollziehung den Beteiligten nicht zwingend Gehör zu gewähren ist. Es handelt sich um eine Entscheidung zugunsten des Betroffenen, dessen Rechtsposition weder weiter angegriffen, noch weiter belastet, sondern gestärkt wird. Die Behörde kann also die Entscheidungjederzeit vornehmen 101 , eine vorherige Anhörung hat nicht zu erfolgen.

c) Öffentlichkeit Auch hier sind die folgenden Ausfiihrungen nur fiir die o.a. Ausnahmeregelungen relevant: Im Falle des behördlichen Verfahrens besteht wie oben bereits ausgefil.hrt kein Anspruch, persönlich in mündlicher Verhandlung gehört zu werden. Führt das Gericht eine mündliche Verhandlung durch, ist diese grundsätzlich öffentlich 102 . Einschränkungen können nur auf der Grundlage des § 169 ff. Gerichtsverfassungsgesetz 103 erfolgen. Der Ausschluss der Öffentlichkeit ggf. auch fiir einen Teil der Verhandlung - kann u.a. zum Schutz der Privatsphäre104, aus Gründen der Staatssicherheit erfolgen 105, oder wenn die Ge-

98Entweder

durch die Ausgangsbehörde oder durch die Widerspruchsbehörde. § 108 VwGO RN 12 f.; Laubinger, VerwA 1982,60,74. 100§ 28 Abs. I VwVfG: Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den ftlr die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Emerich, DÖV 1985, 396 ff. zur Frage des Anwendungsbereichs des § 28 VwVfG. 101 Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 118; ders., auch§ 80 RN 107. Es ist hier deshalb nicht der strittigen Frage nachzugehen, ob zum einen die Anordnung der sofortigen Vollziehung einen Verwaltungsakt darstellt und ob zum anderen § 28 VwVfG eine direkte analoge oder keine Anwendung findet. Vgl. hierzu Emerich, DÖV 1985, 396 ff.; Ganter, DÖV 1984, 970 ff. 102Öffentlichkeit bedeutet, dass jedermann, insbesondere auch am Verfahren unbeteiligte Personen, der Zutritt zum Gerichtssaal zu gestatten ist, soweit es die örtlichen und räumlichen Verhältnisse erlauben, vgl. Kopp/Schenke, §55 VwGO RN 3. 103 § 55 VwGO verweist aufdas Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). 99Eyermann,

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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fährdung des Lebens, des Leibes oder der Freiheit eines Zeugen 106, ein wichtiges Geschäfts-, Betriebs-, Erfmdungs- oder ein Steuergeheimnis 107 etc. zu befilrchten ist. d) Untersuchungs- oder Verhand/ungsgrundsatz 10s

Im Verwaltungsverfahren 109 und im Verwaltungsprozess 110 herrscht der Untersuchungsgrundsatz. Relevant sind die folgenden Ausfilhrungen lediglich filr die Ausnaluneregelungen. aa) Für den Ausnahmefall: Gerichtliches Verfahren Der Untersuchungsgrundsatz gibt dem Gericht die Erforschung und Klärung des Sachverhalts von Amts wegen auf, die Verhandlungsmaxime 111 ist ausgeschlossen. Würde letzterer gelten, bliebe es den Parteien überlassen die Sammlung der filr die Entscheidung erheblichen Tatsachen vorzunehmen, um sie dem Gericht zu unterbreiten 112• Grund des Vorzugs des Untersuchungsgrundsatzes ist das öffentliche Interesse an der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung113. Der Untersuchungsgrundsatz gilt auch als Folge des Grundsatzes

104§ 105 §

171 b GVG. 172 Nr. 1 GVG.

106§

172 Nr. 1 a GVG. 172 Nr. 2 GVG. tosVon der Dispositionsmaxime, die sich nicht auf die Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen, sondern auf die Befugnis der Parteien bezieht, über den Streitgegenstand und das Prozessrechtsverhältnis zu verfilgen, ist sowohl der Untersuchungs- als auch der Verhandlungsgrundsatz zu unterscheiden. 109§ 24 VwVfG Abs. 1: "Die Behörde ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Sie bestimmt Art und Umfang der Ennittlungen; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden". 110§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO: Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. 111 Zum Begriff Verhand1ungsmaxime, s. Ule/Laubinger, S. 222: Im Gegensatz zur Verhandlungsmaxime liegt das Wesen des Untersuchungsgrundsatzes darin, dass die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt, ohne die das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein. 112Diese Befugnis ist im Zivilprozess gegeben, in dem grundsätzlich der Verhandlungsgrundsatz Geltung hat. Dieser erfahrt jedoch wieder eine Anzahl von Ausnahmen: § 138 (Erklärungspflicht über Tatsachen), § 282 (Rechtzeitigkeit des Vorbringens), § 288 (Gerichtliches Geständnis),§ 293 (Fremdes Recht) etc. der Zivilprozessordnung. 113Kopp/Schenke, § 86 VwGO RN 1 f. 107§

4 Knoll

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der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG 114, hier die Waffengleichheit Die Ermittlungspflicht des Gerichts greift nur in dem Maße Platz, wie die Aufklärung des Sachverhalts erforderlich ist, d.h. wenn und soweit es nach der Rechtsauffassung des Gerichts auf die in Frage stehenden Tatsachen ankommt. Als Erkenntnismittel des Gerichts kommen alle Beweismittel in Betracht, die nach den Grundsätzen der Logik, nach allgemeiner Erfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnis geeignet sind oder sein können, die Überzeugung des Gerichts vom Vorhandensein entscheidungserheblicher Tatsachen und der Richtigkeit einer Beurteilung oder Wertung von Tatsachen zu begründen 115 • Ausdrücklich erwähnt ist als Mittel der Sachverhaltsautklärung das Heranziehen der Beteiligten116 • Diese haben insbesondere die Pflicht, den Prozessstoff umfassend vorzutragen (Prozessforderungspflicht). Als Folge des Untersuchungsgrundsatzes stellt sich nicht die Frage der Behauptungslast und der Beweisfiihrungspflicht (formelle Beweislast) 117• bb) Für den Ausnahmefall: Behördliches Verfahren Das Verwaltungsverfahrensgesetz sieht vor, dass die Behörde zur Ermittlung des fiir ihre Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts von Amts wegen verpflichtet ist. Dieser Grundsatz lehnt sich an die entsprechende Regelung im Verwaltungsprozessrecht an und ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips, insbesondere des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 118•

ll 4 Stelkens, NVwZ 1982, 81 , 83, der auf die Waffengleichheit hinweist: Nur über den Untersuchungsgrundsatz habe der Bürger die Chance, einen Ausgleich zum Übergewicht der Behörde herbeizuführen. 115Kopp/Schenke, § 98 VwGO RN 3. 116Zur Frage der Glaubhaftmachung durch die Beteiligten: vgl. Burkholz, S. 17 ff. 117 Unabhängig von der Frage nach der Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes ist jedoch die Frage der materiellen Beweislast zu beantworten. Wer die Beweislast im Falle der Unerweislichkeit der Tatsachen trägt, wird im deutschen Recht nach der materiellen Rechtslage beurteilt. Diese Frage wird also unabhängig von der Parteirolle beantwortet (s. auch Kopp/Schenke, § 108 VwGO RN II ff.). 118 Kopp/Ramsauer, VwVfG § 24 RN 2.

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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111. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes 1. Regelfall

Prägend filr den einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte ist die generell durch Gesetz festgeschriebene automatische aufschiebende Wirkung 119 des Anfechtungsrechtsbehelfs, gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwG0 120 • Die Norm lautet: Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung.

Der Maßstab fiir den einstweiligen Rechtsschutz wird vom Gesetzgeber insofern vorgegeben. Eine Einzelprüfung bei der die Abwägung von Interessen vorzunehmen wäre, erfolgt also nicht. Dieser Regelfall verlangt demzufolge auch vom Betroffenen der Verwaltungsentscheidung keinerlei spezifische Aktivitäten zur Erlangung der aufschiebenden Wirkung. Weder ein gesonderter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung noch die Glaubhaftmachung einer Rechtsgefährdung ist erforderlich.

2. Ausnahmeregelungen Der mit dem Anfechtungsrechtsbehelfs verbundene - da gesetzlich ausgelöste - automatische Suspensiveffekt des einstweiligen Rechtsschutzes gegen belastende Verwaltungsakte erfährt Ausnahmeregelungen. Das Abkoppeln der automatischen Wirkung vom Anfechtungsbehelf ist vom Gesetzgeber normiert (§ 80 Abs. 2 VwGO). Zwei Kategorien können hierfiir gebildet werden: Der automatische Suspensiveffekt entfallt durch Gesetz 121 (III.2.a)) oder kraft ausdrücklicher 122 verwaltungsbehördlicher Anordnung (III.2.b)). Eine vollständige Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses liegt vor, wenn der Suspensiveffekt von vornherein durch ein Gesetz ausgeschlossen 119Zur

historischen Entwicklung des Suspensiveffekts Wiese/er, S. 95 ff. Verfahren ist vorgesehen für alle belastende Verwaltungsakte, d.h. für solche, die die rechtliche Position des Bürgers verschlechtern; vgl. Kopp/Schenke, § 80 VwGORN6. 121 § 80 Abs. 2 Nr. l bis 3 VwGO. 122§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Hier ist Voraussetzung, dass u.a. im Einzelfall die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse liegt. Diese Anordnung kann nur erfolgen, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im Interesse eines der Beteiligten liegt. Der Behörde (Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde) obliegt die Pflicht das besondere Interesse diese Anordnung (gesondert) schriftlich zu begründen (§ 80 Abs. 3 VwGO). 120Dieses

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ist123 : Wie oben bereits erwähnt, neigt der "moderne" Gesetzgeber (gerade bei mehrpoligen Rechtsverhältnissen) dazu, die aufschiebende Wirkung durch Spezialregelungen zur Ausnahme 124 zu machen, sie sind "fast zur Regel" geworden. Als Ursache wird u.a. die Erkenntnis der Erfordernisse einer dynamischen Industriegesellschaft genannt. Dieser Umdenkungsprozess zeigte sich im besonderen Maße auch in der Anfang 1994 durch die Bundesregierung eingesetzten "Unabhängige Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren" 125• Dies fiihrte anlässlich der 6. Novelle der Verwaltungsgerichtsordnung u.a. zur Ergänzung der Ausschlussbestimmungder aufschiebenden Wirkung im Falle derbundes-oder landesgesetzlichen Regelung, um das Postulat "insbesondere fiir Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätze betreffen"(§ 80 Abs. 2 Nr. 3 a.E.) 126 • Leitbild des Bundesgesetzgebers war bei der Regelung des effektiven Rechtsschutzes jedoch das bipolare Rechtsverhältnis. Der Untersuchungsgegenstand soll sich auch weiterhin auf dieses zweiseitige Rechtsverhältnis beziehen. a) Gesetzliche Ausnahmeregelungen

Der kraft Gesetzes vorgenommene Ausschluss des automatischen Suspensiveffektes ist wiederum in drei Kategorien zu unterteilen. Zwei dieser Kategorien fmden sich unmittelbar in der Verwaltungsgerichtsordnung, nämlich die der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten 127 und die der unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten 128 • Bei der dritten Kategorie wird über die Verwaltungsgerichtsordnung auf (materielle) Bundes- 129 und Landesgesetze 130 verwiesen. § 54 RN 1 und § 55 RN 1. § 54 RN 17; Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 65 mit Auflistung einiger wichtiger bundesgesetzliehen Regelungen. 125Bullinger, Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren S. 189 f. ; s. aber auch die Auflistung der Regelungen bei Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 65. 126Pietzner!Ronellen.fitsch, § 54 IV RN 17, der darauf hinweist, dass dem Zusatz "insbesondere fiir Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätze betreffen" (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 a.E.) keine normative Bedeutung zukommt. 127§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO. 128§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO. 129 § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO. Die 6. Novelle der Verwaltungsgerichtsordnung hat dem Landesgesetzgeber die Kompetenz eingeräumt, den Suspensiveffekt in den Ländergesetzen eigenständig zu regeln. Diese Kompetenz bezieht sich auch auf Vollstreckungsmaßnahmen der Landesbehörden, die bei der Ausfiihrung von Bundesge123Pietzner!Ronel/en.fitsch,

124Pietzner!Ronel/en.fitsch,

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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Die erste Ausnaluneregelung dient nach dem Willen des Gesetzgebers der ordnungsgemäßen Haushaltsplanung. Sie verhindert, dass durch eine große Anzahl von - im nachhinein festgestellten - ungerechtfertigten Rechtsbehelfen den öffentlichen Haushalten die Einnahmequelle entzogen wird 131 • Der gesetzlich angeordnete Sofortvollzug von Polizeiverfiigungen dient den Bedürfnissen der täglichen Polizeiarbeit132• Bundesgesetzliche Regelungen, die die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs explizit ausschließen, fmden sich u.a. im Asyl- und Ausländerrecht, im Wehr- und Zivildienstrecht, im Recht der Gefahrenabwehr, wie Bundesseuchengesetz und Chemiegesetz, sowie in der Sozialgestaltung, ebenso im Umwelt- und Fachplanungsrecht, im Wirtschaftsverwaltungsrecht, im Bau- und Raumordnungsrecht 133 •

b) Behördliche Ausnahmeregelungen Bei der oben erwähnten zweiten Kategorie entfällt der automatische Suspensiveffekt durch eine gesonderte behördliche Anordnung 134• Die Behörde ist- auf gesetzlicher Grundlage - in der Lage, die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anzuordnen. Die Behörde trifft hier eine Güterabwägung. Das besondere öffentliche Vollziehungsinteresse hat die Zurückstellung des individuellen Rechtsschutzinteresses zu rechtfertigen 135 •

setzen erfolgen. Pietzner!Ronellenfitsch, § 54 RN 19 f., auch mit Nennung einzelner Beispiele, insbesondere zum kontrovers diskutierten Ausländerrecht (RN 24 ). Kopp/Schenke,§ 80 VwGO RN 65. 130 § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 68 f. 131Pietzner/Rone/lenfitsch, § 54 RN 2; zu den Begriffen von öffentlichen Abgaben und Kosten: Pietzner!Rone/lenfitsch, § 54 RN 3 ff.; a.A. Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner, § 80 RN 113. 132Gemeint ist mit diesem Begriff die Vollzugspolizei im institutionellen Sinne, d.h. die sogenannte Schutzpolizei. Siehe Pietzner/Ronellenfitsch, § 54 RN 14: Der Begriff Schutzpolizei umfasst wiederum: Kriminal-, Verkehrs-, Wasserschutz-, Bereitschaftsund Grenzpolizei; mit Hinweis darauf, dass auf die Verkehrszeichen die Bestimmung des § 80 Abs. 2 Satz I Nr. 2 VwGO anzuwenden sind. 133Ausführliche Aufstellung mit Hinweis auf die einzelnen Normen s. Pietzner/Ronel/enfitsch, § 54 RN 17 und 18 und Schach, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner § 80 RN 129 ff. mit einzelnen Beispielen in RN 135. 134§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO: Hier ist Voraussetzung, dass u.a. im Einzelfall die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse liegt. Diese Anordnung kann nur erfolgen, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im Interesse eines der Beteiligten liegt. Der Behörde (Ausgangs- oder Widerspruchsbehörde), obliegt die Pflicht das besondere Interesse diese Anordnung (gesondert) schriftlich zu begründen (§ 80 Abs. 3 VwGO). 135Pietzner!Ronellenfitsch, § 55 RN 13; Schenke, VerwAch 2000, 587 ff.

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3. Ausnahmeregelungen der Ausnahmeregelung: Über die Anordnung- Rückkehr zur Regel der aufschiebenden Wirkung

Als ein Gegengewicht zu der oben geschilderten Regelung des gesetzlichen oder behördlichen Ausschlusses des automatischen Suspensiveffekts des Anfechtungsrechtsbehelfs bzw. der Klage ist die Aussetzung durch die behördliche bzw. die gerichtliche Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden vorgesehen. Dies ist als Einzelfallregelung vorgesehen, die als Rückkehr zur Regel zu werten ist. a) Ausnahmeregelung durch behördliches Verfahren und der Maßstab für die Einzelentscheidung

Der Gesetzgeber hat fil.r den Fall der behördlichen Anordnung des Sofortvollzuges im Einzelfall wiederum ein Korrektiv durch das behördliche Aussetzungsverfahren vorgesehen(§ 80 Abs. 4 VwGO). Dieses Verfahren hat zwar in der Praxis eine geringere Bedeutung 136, die Regelung 137 ist jedoch trotzdem zu schildern, zumal nur an dieser Stelle (Abs. 4 Satz 3) das Gesetz einen Maßstab fiir die Einzelfallentscheidung - explizit - vorsieht. Hiernach soll 138 bei der Vollziehung von Anforderungen von Kosten und Abgaben die Aussetzung durch die Behörde erfolgen, wenn ernstliche Zweifel 139 an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, oder

136Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1290. Abgesehen von dem zwingend vorgeschriebenen Aussetzungsantrag nach § 80 Abs. 4 i.V.m. Abs. 6 VwGO; Heydemann, NVwZ 1993,419. 137Bei einem Aussetzungsantrag, der sich auf die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten bezieht, ist zunächst die Anrufung der Behörde vor der Einschaltung des Gerichts grundsätzlich obligatorisch, § 80 Abs. 6 VwGO; Redeker I von Oertzen, § 80 VwGO RN 35. 138Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1307, insbesondere zu den "kann-Befugnissen" bei weniger ernstlichen Zweifeln; FinkelnburgiJank, RN 791 mit dem Hinweis, dass das Wort "soll" nicht bedeute, dass die Widerspruchsbehörde nur bei ernstlichen Zweifeln oder unbilliger Härte aussetzen darf. Sie kann nach ihrem Ermessen stets die Vollziehung aussetzen, also auch bei nur geringen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, " ... wenn die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes offensichtlich ist". Nach Ule, Verwaltungsprozess S. 372 soll "unangebracht" hier bereits als Maßstab ausreichend sein. 139Diese Zweifel liegen vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels im Hauptverfahren mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie der Misserfolg, Redekerlvon Oertzen, § 80 RN 36 m. w. N. der Rechtsprechung. Eine engere Meinung verlangt, dass "ernstliche Zweifel" erst dann zu bejahen seien, wenn der Erfolg des Rechtsmittelruhrers wahrscheinlicher als der Misserfolg ist, vgl. auch OVG Koblenz DVBI. 1984, 1134 ff.; OVG Münster NVwZ 1990, 54; Renck, NVwZ 1992, 338.

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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wenn die Vollziehung für den Kostenverpflichteten eine unbilli~e, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte 1 0 •

Stark umstritten ist die Frage, ob dieser Entscheidungsmaßstab eine Sonderregelung filr Verwaltungsakte, die sich auf Kosten und Abgaben beziehen, darstelle41 oder ob die Behörde 142 diesen auch auf Verwaltungsakte anderer Sachverhalte auszuweiten hat 143. b) Gerichtliche Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und der Maßstab für die Einzelentscheidung Das gerichtliche Aussetzungsverfahren ist in § 80 Abs. 5 VwGO geregelt. Hiernach kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung -

in den Fällen des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (nach § 80 Abs. 2 Nr. 1144 bis 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen,

-

im Fall der behördlichen Anordnung des Sofortvollzuges (nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ganz oder teilweise wiederherstellen.

140Zu den unbestimmten Begriffen, vgl. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1293 ff. und 1300; Wilke, DVBI. 1984, 1136 ff. 141 Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 116: Abs. 4 Satz 3 sei auf andere Fälle nicht anwendbar, auch nicht analog, und enthalte auch keinen allgemeinen, für alle Entscheidungen nach Abs. 4 und 5 des § 80 VwGO maßgeblichen Rechtsgedanken. 142Erichsen, Jura 1984, 478, 485; Büchner/Schlotterbeck, RN 589; Limberger, S. 155; Weitgehend unumstritten ist, dass der in § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO festgeschriebene Maßstab von den Gerichten in Analogie angewendet werden kann, wenn es sich um Verfahren handelt, die einen Kosten- bzw. Abgabenbescheid zum Gegenstand haben; vgl. Schach, VerwAch 1991, 145, 168; Redekerlvon Oertzen, RN 48. 143Zum einen wird vertreten, dass Satz 3 keine Sonderregelung (Eyermann, § 80 VwGO RN 69; Schmidt Glaeser, RN 276; Finkelnburg/Jank, RN 851 ), sondern einen allgemeinen Rechtsgedanken darstelle, wobei auf diesem "Meinungszweig" wiederum eine Zweiteilung stattfindet: - Satz 3 sei auf sämtliche andere Fälle des Abs. 2 anzuwenden (Schmidt Glaeser, RN 276; Finkelnburg/Jank, RN 851; Renck, NVwZ 1992, 338, 339), - Satz 3 sei auf sämtliche Fälle anzuwenden, außer in den Fällen des Abs. 2 Nr. 4. Hier sei eine Abwägung vorzunehmen. Vgl. Schach, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1306. Zum anderen wird in der Bestimmung des Satzes 3 des Abs. 4 eine Sonderregelung gesehen, die aufFälle ohne Bezug zu Kosten und Abgaben nicht übertragbar bzw. nicht analogiefähig sei. Sie sei erkennbar auf die Fälle der Regelungen von Kosten- und Abgabenanforderungen zugeschnitten; sie enthalte auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken. Stattdessen müsse in den anderen Fällen eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Vollziehung und demjenigen an der Aussetzung vorgenommen werden. Stern, JuS 1981, 343, 345, der in Abs. 2 Satz 3 lediglich eine zusätzliche Richtschnur sieht. 144Hier ist die o.a. Sonderregelung für Verwaltungsakte, die Kosten und Abgaben betreffen zu beachten.

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B. Deutschland

Damit wird dem Gericht zwar die EntscheidWlg 145 zugewiesen, gibt ihm aber nach dem Wortlaut keinen Maßstab filr diese EntscheidWlg vor. Eine völlig "freie" EntscheidWlg durch das Gericht lassen jedoch weder der im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Grundsatz der Rechtssicherheit, noch der o.a. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG (Rechtsschutz) zu 146• Vorherrschend war zunächst die Auffassung, dass im Aussetzungsverfahren das Gericht eine Interessenahwägung vorzunehmen habe, die die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren unberücksichtigt zu lassen hat 147• Hier wurden die jeweils drohenden Nachteile gegenübergestellt und die Rechtsstandpunkte des Antragstellers sowie des Antragsgegners jeweils als zutreffend unterstellt. Inzwischen hat sich eine deutliche Abkehr von dieser AuffassWlg vollzogen. Vereinzelt wird sie allerdings noch vertreten148 • Im Grundsatz kennt das deutsche Rechtssystem heute zwei Methoden 149 eine EilentscheidWlg herbeizufiihren: -

Die materiell-akzessorische Methode; hier ergeht die Entscheidung in Erkenntnis der materiellen Rechtslage 150.

-

Die offene Eilentscheidung; hier ergeht die Entscheidung anband einer Interessen abwägung, unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Hauptsache. Der Blick ist auf die Folgen gerichtet, die Nachteile werden miteinander verglichen 151 .

Die materiell-akzessorische Methode fmdet Oberwiegend in den zivil-, finanz- Wld sozialgerichtlichen Aussetzungsverfahren sowie im verwaltWlgsgerichtlichen AnordnWlgsverfahren Anwendung 152• Die offene Eilentscheidung 145Das Gericht hat eine originäre, also eine eigene Ermessensentscheidung. V gl. Renck, BayVBI. 1994, 161, 164; Büchner/Schlotterbeck, RN 581, Stern, JuS 1981, 343, 345; Bosch/Schmitt, S. 234; Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 146; a.A. Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1584, der eine Ermessensentscheidung verneint, dagegen von einer Rechtsentscheidung spricht. 146Pietzner/Ronellenjitsch, §57 II RN 23; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1575; Finkelnburg/Jank, RN 851. 147Leipold, S. 188, 191: Der wahrscheinlichen Rechtswidrigkeit bzw. -mäßigkeit des Verwaltungsaktes kommt "kein entscheidendes Gewicht" zu; SchuncldDe Clerck, § 80 Anm. 5 b aa S. 471; Wiese/er, S. 52; BayVGH BayVBI 1972, 166: " ... grundsätzlich unabhängig von den Erfolgsaussichten des Widerspruchs bzw. der Anfechtungsklage zu entscheiden"; OVG Harnburg DVBI. 1975, 207 "nur ausnahmsweise ist auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache abzustellen"; OVG Lüneburg DVBI. 1966, 275, 277. Siehe auch Pietzner /Ronel/enfitsch, § 58 II RN 20, die darauf hinweisen, dass die "reine Interessenahwägung nur noch sporadisch vertreten wird. 148HessVGH DVBI. 1985, 1184 ff. s. auch Schach, in: Schoch/SchmidtAßmann!Pietzner, § 80 RN 252 mit weiteren Nachweisen. 149Leipold, S. 190; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1576. 150Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann!Pietzner Vorb. § 80 RN 66. 151 Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann!Pietzner § 80 RN 252 f. 152Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann!Pietzner § 80 RN 251.

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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wird zumeist beim verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsverfahren angewandt. In diesem Bereich steht noch die Frage zur Diskussion, an welcher Stelle des Prüfungsabschnittes die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren geprüft bzw. berücksichtigt werden 153 • Teilweise ermitteln die Gerichte die Entscheidung, indem eine umfassende Interessenahwägung vorgenommen wird, in der die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren als ein Teilaspekt bzw. als Prüfungspunkt mit einbezogen wird 154• Vorwiegend wird jedoch eine Zwei-Phasen-Prüfung 155 vorgenommen: In einem ersten Schritt 156 erfolgt die Prüfung, ob das Hauptsacheverfahren als offensichtlich erfolgreich oder offensichtlich erfolglos 157 zu beurteilen ist (Evidenzkontrolle). Führt dieser Filter fUr "offensichtliche" Fälle 15s nicht zu einem Ergebnis, schließt sich die zweite Stufe, die Interessenabwägung, an 159• Letztere Fragestellung bedeutet ein Bewerten der Interessen der Beteiligten. Bei den zweipoligen Rechtsverhältnissen, d.h. der Einzelne steht der öffentlichen Hand gegenüber, herrscht der Grundsatz, dass im Zweifel das private Interesse überwiegt 160• Von dieser Regel werden aber sogleich Ausnahmen typisiert. So streite bei den Verwaltungsakten161 , die die Kosten und Abgaben, die 153Pietzner!Ronellenfitsch, § 5811 RN 2; Kopp/Schenke,§ 80 VwGO RN 146 ff., 152 ff. und insbesondere RN 158 ff.; Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1577 ff. ; Bettermann, DVBI. 1976, 64, 65 ff.; Erichsen, Jura 1984, 478, 486 f. ; Haurand/ Vahle, VR 1992, 117, 120. 1540VG Koblenz NJW 1981, 364; OLG Harnburg JZ 1983, 67, 69; Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 146 ff., 152 ff.; Eyermann, § 80 RN 70 f.; Schoch, VerwAch 1991, 145, 167 mit Nachweis der Rechtsprechung; Schmalz, RN 1136 f. 155Schoch, in: Schoch!Schmidt-Aßmann!Pietzner § 80 RN 253 verwendet die Bezeichnung "Stufensystem". 156Z.T. wird die Prüfung auch innerhalb der Begriffe des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO vorgenommen, vgl. Eyermann, § 80 VwGO RN 69 f. 157Hier wird z.T. auch auf den in § 80 Abs. 3 Satz 4 VwGO enthaltenen "allgemeinen Rechtsgedanken" verwiesen, vgl. Renck, NVwZ 1992, 338, 339. ISSHintergrund dieser Vorgehensweise ist der Gedanke, dass der Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht im überwiegenden Interesse - zum privaten Interesse - stehen kann. Dagegen ist dieses offensichtliche überwiegende Interesse zu bejahen, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Kann diese Frage erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden, so ist eine Interessenahwägung vorzunehmen. 159BVerwG DVBI. 1974, 566; BayVGH DÖV 1981, 185, 186; HessVGH NJW 1984, 1368, 1369; Erichsen, Jura 1984, 487; ablehnend Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz S. 1582 ff., 1586 ff., der die Interessenahwägung fiir dogmatisch nicht haltbar hält und dieser das Modell einer materiell-akzessorischen Entscheidungstindung gegenüberstellt. Er betont u.a., dass der Zeitfaktor nicht die von der h.M. behauptete Rolle spiele. 160Pietzner!Ronellenfitsch, §58 II RN 24. 161 Gem. § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO; Erichsen, Jura 1984, 483, 486; Eyermann, § 80 RN 36. Zum Teil wenden die Gerichte auch den Maßstab des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (s. oben behördliches Verfahren) an.

B. Deutschland

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Polizei- und Allgemeinverfiigungen 162 sowie die Vollziehung in anderen durch Bundesgesetz vorgeschriebenen Fällen betreffen, generell die Vermutung fiir die Vollziehung 163. Im Falle des§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (hier wurde zuvor die sofortige Vollziehung angeordnet) spricht die Vermutung fiir das Verschonungsinteresse164. Beim Abwägungsvorgang werden die konkret relevanten Interessen eingestellt und mit dem Gewicht berücksichtigt, das sie in dem jeweiligen Einzelfall haben. So soll es beispielsweise gerade nicht Sinn der Interessenabwägung sein, Zielrichtungen von Gesetzesnormen und Grundrechten in abstrakter Form abzuwägen 165.

4. Zwischenergebnis Den gesetzlichen Regelfall stellt die mit dem Widerspruch gegen die Verwaltungsentscheidung verbundene aufschiebende Wirkung dar. Dieser wird durch gesetzlich vorgesehene Ausnahmen durchbrochen. Normiert sind diese Ausnahmen in der Verwaltungsgerichtsordnung (bei der Eintreibung von Geldem fiir den Staatshaushalt und bei Polizeiverfiigungen) sowie durch Bestimmungen in den Fachgesetzen. Diese spezialgesetzliche Ausnahmebestimmungen nimmt an Bedeutung zu. Die behördliche Anordnung des Sofortvollzuges ist eine weitere Kategorie, die mit dem Widerspruch verbundene aufschiebende Wirkung aufzuheben. Diese Ausnahmeregelungen können aber wiederum "korrigiert" werden. Zwei Instrumentarien stehen zur Verfiigung, um die Regel der aufschiebenden Wirkung wiederherzustellen, das behördliche und das gerichtliche Verfahren. Für die Methode zur Auffmdung des Maßstabs fiir die Einzelfallentscheidung der Anordnung oder der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung wird eine facettenreiche Palette von Kombinationsmöglichkeiten von der Rechtsprechung und der Literatur präsentiert. Es bildet sich jedoch heraus, dass die h.M. die Eilentscheidung mit der Evidenzkontrolle bevorzugt, wenn selbst innerhalb der Gerichte die Ansichten zwischen den einzelnen Spruchkörpern divergieren. Dies wird u.a. auf eine fehlende integrierende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgefiihrt wenngleich selbst innerhalb der Gerichte die Ansichten zwischen den einzelnen Spruchkörpern divergieren. Dies wird u.a. auf eine fehlende integrierende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zurückgefiihrt. 162Vgl. speziell zur Frage des Sofortvollzuges rechtswidriger polizeilicher Verfügungen Heckmann, VBIBW 1993, 42 ff. 163Pietzner!Ronellenfitsch,

§58 II RN 24.

164Pietzner!Ronellenfitsch, § 58 II RN 24; differenziert Finkelnburg!Jank, RN 645 ff., 653 ff.; a.A. Schoch!Schmidt-Aßmann!Pietzner, RN 125, die der diese Vermutungsregel nur bei einer Pattsituation gelten lässt. 165Kopp/Schenke, § 80 VwGO RN 152.

C. Frankreich I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes 1. Verfassungsrechtliche Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes gegen Verwaltungsverfügungen

Eine explizite Erwähnung des einstweiligen Rechtsschutzes fmdet sich nicht in der französischen Verfassung der V. Republik von 1958. Ob gleichwohl eine verfassungsrechtliche Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes gegeben ist, soll anband der Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel (Verfassungsrat) und des Conseil d'Etat (Staatsrat) - der beiden obersten fiir öffentliches Recht zuständigen Gerichte Frankreichs - untersucht werden. Zunächst ist auf Funktion und Stellung beider Institutionen einzugehen. a) Institution und Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel und des Conseil d'Etat

aa) Institution und Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel (1) Der Conseil Constitutionnel als Institution

Zunächst umstritten, heute aber geklärt, ist der Conseil Constitutionnel (Verfassungsrat) ein mit den anderen europäischen Verfassungsgerichten vergleichbares Organ. Frankreich gehörte zu den Staaten, die lange Zeit die Einfiihrung einer Verfassungsgerichtsbarkeit abgelehnt haben. Mit dem Gewaltenteilungsverständnis, das sich nach der französischen Revolution etablierte, schien die Kontrolle von Rechtsnormen durch die dritte Gewalt unvereinbar 1• Dies hatte

1Die Lehre dieser strikten Trennung wurzelt in der geschichtlichen Erfahrung: In Frankreich gab es bis zur Revolution von 1789 nur die parlaments und die sog. cours souveraines, die als Gerichte fungierten. Deren Richter - sie hatten das Amt entweder erkauft oder geerbt - galten als Gegner der Revolution, auch war es nicht unüblich, dass sich die Richter in die Gesetzgebung und den Verwaltungsablauf einmischten. Um zu verhindern, dass diese Tradition nach der Revolution wieder auflebt, wurde den Gerichten untersagt, gegen den Vollzug von Gesetzen Widerstand zu leisten, vgl. Beclcer P., S. 7 ff. m. w. N; Talion, AJCL 1979, 567 ff.; Schlette, S. 24 ff.; Junker, S. 50 ff.; Jarass, DÖV 1981, 813.

C. Frankreich

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zur Folge, dass bis zum Ende der IV. Republik2 kein (wirksames) Kontrollsystem zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen errichtet wurde3. Mit der Verfassung der V. Republik vom 4. Oktober 1958 jedoch wurde ein neues Organ, der Conseil Constitutionnel, geschaffen4 • Dieser sollte vor allem Machtexzesse der Nationalversammlung künftig verhindern, die nach Auffassung der Regierung de Gaulle und des beratenden Verfassungsausschusses- zum Sturz der IV. Republik gefilhrt hatten. So sind die Volksvertreter beispielsweise nicht davor zurückgeschreckt, die Regierung in von der Verfassung nicht vorgesehenen Fällen zu stürzen5 . Ausgestattet wurde der Conseil Constitutionnel mit der Befugnis die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen6 zu überprüfen. Beschränkt wurde diese Kompetenz auf den Zeitpunkt vor7 der Ausfertigung des Gesetzes8 durch den Staatspräsidenten9 . Zunächst war unklar, ob der Conseil Constitutionnel als Verfassungsgericht zu qualifizieren, oder ob er als ein rein politisches Organ - als eine Art "Dritte Kammer" - zu bewerten ist, die am Schluss des Gesetzgebungsprozesses angerufen werden kann. Heutzutage geht die herrschende Verfassungslehre davon aus, dass es sich nicht lediglich um ein politisches Schiedsorgan zwischen Exekutive und Legislative handelt, sondern dass sich seine Stellung10 und Funktion11 mit der anderer europäischer Verfassungsgerichte vergleichen lässt 12 •

2Von

1946 bis 1958, vgl. näher Auby/Auby, Droit public S. 207 ff. in: StareleiWeber (Hrsg.) S. 311, 313 ff.; ausfUhrlieh zur geschichtlichen Entwicklung Goose, S. 30 ff.; Hänni, S. 78. 4Vgl. insbesondere Art. 56 bis 63 der Verfassung vom 4. Oktober 1958. 5Fromont, in: Starck/Weber (Hrsg.) S. 311. Siehe näher zum historischen Hintergrund Langeron, JZ 1996, 170 ff. 6 Zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Verordnungen fehlt dem Conseil Constitutionnel die Zuständigkeit, vgl. Fromont, DVBI. 1978, 89, 90. 7Ist das Gesetz erst einmal in Kraft, ist es nicht mehr vor Gericht angreifbar, vgl. Fromont, Protection juridictionnelle S. 233 f.; Spies, NVwZ 1990, I 040, 1041. 8Durch die zeitlich enge Begrenzung der Überprüfung der Verfassungsgerichtsbarkeit von Gesetzen wird wiederum die Tradition der Vermeidung einergouvernementdes juges deutlich erkennbar. 9Während die Regelzuständigkeit fiir den Erlass von Rechtsvorschriften in Deutschland beim Parlament liegt, ist sie in Frankreich dem Präsidenten zugeordnet. Das Parlament ist nur in bestimmten, in der Verfassung aufgefiihrten Fällen, zuständig. Sind von einer Regelung die Freiheitsrechte betroffen, liegt die Zuständigkeit allerdings beim Parlament, vgl. Jarass, DÖV 1981,813, 816. 10Diskutiert wird auch die Frage der Bindungswirkung der Urteile des Conseil Constitutionnel. Teilwejse wird von einer inter partes Wirkung ausgegangen. Danach bliebe es dem Conseil d 'Etat unbenommen die gleiche Rechtsfrage in einem anderen Fall anders zu entscheiden (Hänni, S. 86 f.; vgl. zu den einzelnen divergierenden Fällen Vedel, S. 296 f.; Goose, S. 161 ff.). Die wohl h. M. geht jedoch von der allgemeinen Bindungswirkung aus. Hierfiir wird Art. 62 Abs. 2 Satz 2 der Verfassung von 1958 angefiihrt, in der es heißt: 3Fromont,

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes

61

"Eiles [die Entscheidungen der CC, Anm. der Verf.] s'imposent aux pouvoirs publieset a toutes les autorites administratives etjuridictionnesse". Nicht nur die Parteien des Verfahrens, sondern sämtliche öffentliche Gewalten, eingeschlossen der Conseil d'Etat, sind demnach an die Entscheidung des Verfassungsrates gebunden. Allerdings wird die Reichweite der Verfassungsnorm insoweit begrenzt, als dass nur dem Entscheidungstenor und die "Gründe, die ihn tragen und seine Grundlage bilden" die Bindungs- bzw. Rechtskraft zugesprochen wird. (Fromont, in: StareidWeber S. 311, 335; a.A. Müller, AöR 1992, 337, 404.) Dieser fUhrt an, dass die Bindungswirkung fiir den Conseil d'Etat lediglich soweit gegeben sei, als sowohl die Parteien, Verfahrensgegenstand und der Rechtsgrund identisch mit dem Verfahren vor dem Conseil Constitutionnel seien. 11 Die Stellung und Funktion des Conseil Constitutionnel kann in die Zeit vor und nach dem Jahr 1971 eingeteilt werden: Bis 1971 erregte der Conseil Constitutionnel nur einmal, nämlich im Jahre 1962 öffentliches Aufsehen: Staatspräsident de Gaulle wollte eine Verfassungsänderung (Direktwahl des Präsidenten) durch ein Referendum bestätigen lassen, ohne vorher das Vorhaben dem Parlament zu unterbreiten, das fUr Verfassungsänderungen zuständig ist (Art. 89lit. d Verfassung von 1958). Dieses wandte sich an den Conseil Constitutionnel. Dieser erklärte, dass ein Akt, über den der Souverän- das Volk- abgestimmt habe, nicht nachträglich vor dem Conseil Constitutionnel angegriffen werden könne (Decision 6220 DC, Rec. 27, abgedruckt in: Favoreu & Philip, 179 ff.; Spieß, NVwZ 1990, 1040, 1043). Mit seiner Entscheidung vom 16. Juli 1971 (Liberte d'association (DC 44), Rec. 20, abgedruckt in: Favoreu & Philip, 239 ff.; Spieß, NVwZ 1990, 1040, 1044) hat der Conseil Constitutionnel seinen Einfluss entscheidend vergrößert. U. a. wird von einer "zweiten Geburt" des Conseil Constitutionnel gesprochen. Er hat in dieser Entscheidung festgelegt, welche Normen als Kontrollmaßstab fiir die Verfassungsmäßigkeit herangezogen werden. Die Bedeutung dieser Entscheidung liegt weniger im Ergebnis - das Gericht erklärte ein Gesetz, das sich mit der Freiheit zur Gründung von Gesellschaften befasst fUr teilweise verfassungswidrig -, als vielmehr in ihrer Begründung. Die heute geltende Verfassung vom 4. Oktober 1958 beinhaltet keinen Grundrechtskatalog, der beispielsweise mit dem des Grundgesetzes vergleichbar wäre. In der Präambel erklärt jedoch das französische Volk: " ... son attachement aux Droits de I' homme et aux principes de Ia souverainete nationale tel qu'ils ont ete definis par Ja Declaration de 1789 confirmee et completee par Ia preambule, de Ia Constitution de 1946". Übersetzung d. Verf.: ... dass es fiir die Menschenrechte und die Prinzipien der nationalen Souveränität eintritt, wie sie in der Erklärung von 1789 festgelegt und in der Präambel der Verfassung von 1946 bekräftigt und ergänzt wurden. Weder in der Präambel der Verfassung von 1946 noch in der Menschenrechtserklärung ist eine Norm zu finden, die die Vereinigungsfreiheit außerhalb des politischen Lebens regelt. Allerdings beinhaltet die Präambel von 1946 ein Bekenntnis des französischen Volkes zu den fundamentalen Prinzipien, die durch die Gesetze der Republik anerkannt werden ("les principes fondamenteaux reconnus par Ia Jois de Ia Republique", abgedruckt bei Auby!Auby, Droit public S. 146). Zu diesen Prinzipien gehöre auch die Vereinigungsfreiheit, auf die der Conseil Constitutionnel wiederum in seiner Entscheidung über die Freiheiten zur Gründung von Gesellschaften rekurriert. (Spieß , NVwZ 1990, I 040, I 044; Classen, Europäisierung S. 17; ausfUhrlieh auch Goose, S.l 06 ff; zu den FreiheitsrechtenAuby/Auby, Droitpublic S. 137 ff.). 12Favoreu & Philip, Le Conseil Constitutionnel S. 25; Luchaire, RDP 1979, 27 ff.; ausfUhrlieh mit einer Aufzählung der einzelnen Meinungen Davis, AJCL (34) 1986

C. Frankreich

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(2) Zur Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel Der Conseil Constitutionnel hatte sich 1986 zunächst mit dem einstweiligen Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Frage von verfassungsrechtlich zulässigen Zuständigkeitsregelungen auseinander zusetzen. Ein Gesetzentwurf sah vor, dass die Abschiebung von Ausländern nicht mehr - wie seit 1980 gesetzlich geregelt - durch ein Gericht, sondern durch die Verwaltung selbst angeordnet werden konnte 13 • Entgegen den Parlamentariern, die den Verfassungsrat anriefen, sah dieser in der Handlungsweise der Verwaltung keinen Verstoß gegen Art. 66 der Verfassung. Artikel 66 lautet: "Nu! ne peut etre arbitrairement detenu. L'autorite judicaire, gardienne de Ia liberte individuelle, assure Je respect de ce principe dans !es conditions prevues par Ia loi 14". Der Verfassungsrat fuhrte zunächst aus, dass diese Verfassungsnorm gegenüber dem Gesetzgeber kein Verbot ausspreche, die Verwaltung mit den Befugnissen und dem entsprechenden Maßnahmenkatalog auszustatten, die es dieser ermöglicht, einen Ausländer, der sich illegal auf französischem Boden aufhält, zur Ausreise zu bewegen. Eine Verletzung der Verfassungsnorm liege auch deshalb nicht vor, weil der Gesetzentwurf vorsehe, die Verwaltungsentscheidungen der Kontrolle durch das Verwaltungsgericht zu unterwerfen und das dafilr vorgesehene Rechtsmittel mit der "Möglichkeit eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz zu verbinden 15" . Drei Jahre später 16 hatte sich der Verfassungsrat erneut, ebenfalls im Bereich des Ausländerrechts, mit der Frage des einstweiligen Rechtsschutzes zu befassen. Ein Gesetzentwurf sah nunmehr ausdrücklich den einstweiligen Rechtsschutz gegen Abschiebungsanordnungen vor. Zuständig fiir den Vollzugsaufschub sollte jedoch das tribunal de grande instance, das Berufungsgericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit 17, sein. In dieser Zuständigkeitsregelung sah der Conseil Constitutionnel einen Verstoß gegen

S. 45, 57 ff.; Spieß, NVwZ 1990, 1040, 1043; Hänni, S. 79; a.A. Müller, AöR 1992, 337, 402 ff., der nach den einzelnen Aufgabengebieten des Conseil Constitutionnel differenziert. 13Loi n° 86-1025 du 9 septembre 1986, J.O. du 12 septembre 1986, p. 11035. 14Übersetzung d. Verf.: Keiner darfwillkürlich festgenommen werden. Die Justiz als Wahrer der persönlichen Freiheit sichert die Einhaltung dieses Prinzips entsprechend den gesetzlich vorgeschriebenen Bedingungen. 15Decision n° 86-216 DC du 3 septembre 1986, J. 0. du 5 septembre 1986, p. 11791; Genevois, RFDA 1987, S. 120; Classen, DÖV 1993, 227,230 ff.; ders., Europäisierung S. 96.

16Loi n° 89-548 du 2 aout 1989, J.O. du 8 aout 1989, p. 9953; C/assen, Europäisierung S. 96. 17Das tribunal de grande instance entspricht etwa einem Landgericht im deutschen Gerichtssystem, Bangratz, DRiZ 1995, 85.

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes

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den Grundsatz der bonne administration de Ia justice (Prozessökonomie 18). Dieser Grundsatz verlange: " ... l'exercice d'une voie de recours appropriee assure Ia garantie effective des droits des interesses 19".

Der Verfassungsrat betont in seiner Entscheidungsbegründung, dass in diesem Fall der effektive Rechtsschutz nur dann gewährleistet sei, wenn der einstweilige Rechtsschutz auf dem Verwaltungsrechtsweg erlangt werden könne20• Die Gesetzesreform des Wettbewerbsrechts von 1986/87 sah explizit vor, dass das Rechtsmittel gegen die Verhängung einer Geldbuße durch den Conseil de Ia concurrence keine aufschiebende Wirkung21 haben solle. Zu dieser Regelung erfolgte die Klarstellung des Conseil Constitutionnel, dass bei einem schwerwiegenden Eingriff, d.h. in diesem Falle die Verhängung einer erheblichen Geldbuße, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eine garantie essentielle des droits de Ia defense 22 darstelle. Der Conseil Constitutionnel geht hier einen Schritt weiter als in der vorgenannten Entscheidung von 1986. Das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht des Betroffenen sich zu verteidigen, umfasse nicht nur die Möglichkeit den einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen, sondern den erwünschten Schutz auch zu erhalten. Im Jahre 1990 wurde der Conseil Constitutionnel erneut im Zusammenhang mit dem Ausländerrecht23 angerufen. Der Gesetzgeber sah nun eine Regelung vor, die im Falle von Ausweisungsverfiigungen der Einlegung des Rechtsmittels bis zur erstinstanzliehen Gerichtsentscheidung eine aufschiebende Wirkung zukommen lassen sollte. Konkret wurde der Conseil Constitutionnel mit der Frage einiger Parlamentarier konfrontiert, ob der enge Anwendungsbereich einer solchen Regelung nicht gegen das Gleichheitsprinzip verstoße: Ob nicht eine solche Regelung- der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels- auch auf "normale" Verwaltungsakte ausgedehnt werden müsse, und ob nicht auch 18Bangratz, DRiZ 1995, 85, 87; vgl. auch Classen, Europäisierung S. 96 und allgemein S. 13. 19Übersetzung d. Verf.: ... die Einlegung eines geeigneten Rechtsmittels gewährt die Grundrechtssicherung. 20Decision n° 89-261 DC du 28 juillet 1989 in: RFDA 1989, 699; Tsiklitiras, RDP 1992, 679, 685 f.; Classen, DÖV 1993, 227, 231; allgemein zum Verhältnis effektiver und einstweiliger Rechtsschutz Rivero, RFDA 1990, 734, 737. 21 Art. 15 Abs. 3 der Verordnung 86.1243 vom I. Dezember 1986: "Le recours n'est pas suspensif" (J.O. 9. decembre 1986, p. 14773). 22Decision n° 86-224 DC du 23 janvier 1987 du Conseil constitutionnel, 22e. considerant. Abgedruckt in: RFDA 1987, 299, 300. Chapus, Droit administratif gem!ral Bd. I, S. 38 Anm. 67; Vedel/Delvolve, Vol. 2 S. 184; Tsiklitiras, RDP 1992, 690 ff.; Classen, Europäisierung S. 96 f. 23Loi n° 90-34 du 10 janvier 1990, J. 0. du 12 janvier 1990, p. 489.

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C. Frankreich

Franzosen in den Genuss einer solchen Regelung kommen müssten. Der Conseil Constitutionnel entschied, dass die Sonderregelung fiir die Ausweisung von Ausländern keinen Verstoß gegen Werte der Verfassung darstellen würde, sie sei vielmehr wegen der besonderen Verhältnisse im Abschiebungsrecht gerechtfertigr4. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass der Gesetzgeber mit der Verwaltungsrefonn, die zum 1. Januar 2001 in Kraft trat, den sogenannten refere liberte25 eingefUhrt hat. Dieser dient dem Schutz gegen "schwere und offenkundige Verstöße gegen ein Freiheitsrecht" und ermöglicht dem Verwaltungsrichter umfassende Schutzmaßnahmen anzuordnen. (3) Zwischenergebnis

Aus dem Verlangen einer anderen als vom Gesetzgeber vorgenommenen Kompetenzabgrenzung im Zusammenhang mit der Ausfilllung des Grundsatzes der Prozessökonomie in den Entscheidungen von 1986 und 1989 kann m.E. noch keine Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes in der Verfassung abgelesen werden26 • Zusammenfassend kann fiir die Frage nach der Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes in der französischen Verfassung festgehalten werden, dass in Fällen, in denen nach dem Verständnis des Conseil Constitutionnel besonders schwerwiegende Eingriffe - Abschiebung bzw. erhebliche Geldbußen - drohen bzw. angeordnet worden sind, die Verfassung als adäquates Verteidigungsmittel, den Antrag und den Erhalt der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die angegriffene Entscheidung verlangt. Ob darüber hinaus von einer generellen Verankerung des einstweiligen Rechtsschutzes in der französischen Verfassung nach Auffassung des Conseil Constitutionnel auszugehen ist, bleibt abzuwarten27.

24Decision n° 89-266 DC du 9 janvier 1990, J. 0 . du 11 janvier 1990, S. 464; Tsiklitiras, RDP 1992, 679, 689 f.; Classen, DÖV 1993, 227, 230 ff; ders. , Europäisierung S. 96 f. 2 ~äher zu dieser Verwaltungsreform in den folgenden Abschnitten. 26C/assen, DÖV 1993, 227, 231; a.A. Tsiklitiras, RDP 1992, 679, 686 f. 21 Gaudemet, RFDA 1988,420, 426; Genevois, RFDA 1987,287 ff.; Tsiklitiras, RDP 1992, 679, 686 f., der wohl von einem weiteren Umfang der verfassungsrechtlichen Verankerung einstweiligen Rechtsschutzes ausgeht; Classen, DÖV 1993, 227, 230 ff.; allerdings zurückhaltender ders., in: Europäisierung S. 97. Für eine enge Auslegung Long/Weü, u.a. Grands arrets S. 341, die den einstweiligen Rechtsschutz auf bestimmte Bereiche beschränkt sehen.

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes

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bb) Institution und Rechtsprechung des Conseil d'Etat (1) Der Conseil d'Etat als Institution

Der Conseil d'Etat kann auf eine jahrhundertelange28 Tradition zurückblicken und genießt großes Ansehen29• Er hat eine Doppelfunktion, es besteht ein Aufgabendualismus30• Als Ratgeber von Regierung und Verwaltung in Gesetzgebungs-, Verordnungsgebungs- und Vollzugsfragen ist er Verwaltungsbehörde. Er ist jedoch auch das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs31 • Lange Zeit war der Conseil d'Etat nicht nur das oberste, sondern im Wesentlichen auch das einzige Verwaltungsgericht32• Erst mit der Verwaltungsreform von 195333 wurde ein "echter" verwaltungsgerichtlicher Unterbau - die tribunaux administratifs34 - geschaffen. Dieser Unterbau wurde 1987/1989 mit der Errichtung der Berufungsgerichtshöfe - den cours administratives d'appel - auf-

28Zumeist wird der Beginn der Tradition des heutigen Conseil d'Etat mit der Gründung der gleichnamigen Institution von Napoleon Bonaparte durch die von ihm selbst redigierte Verfassung (Art. 52) vom 13. Dezember 1799 angesetzt. Dieser damalige Staatsrat erhielt nach dem Zusammenbruch des Zweiten Kaiserreiches 1872 die Befugnis, selbst Urteile zU fii.llen. Teilweise wird die Tradition des Conseil d'Etat aber auch bis zur Gründung des Conseil du Roi zurückverfolgt. Seit dem 11. Jahrhundert entwickelte sich ein für Rechts-, Verwaltungs- und Finanzfragen sowie allgemeine politische Angelegenheiten zuständiger Beraterstab, der dem König zugeordnet war. Dieser hatte jedoch keine Entscheidungsbefugnis, diese blieb dem König vorbehalten (Massot-Marimbert, S. 7 ff.; Fromont, Protection juridictionnelle S. 887 ff.; Wiener, S. 11 ff.; Jacobini, S. 100; Schlette, S. 23 ff.; Classen, Europäisierung S. 13; Fromont, DVBI. 1978, 89 ff.; Woehrling, NVwZ 1985, 21 f.; ausführlich auch Müller, DRiZ 1983, 210; Jarass, DÖV 1981, 813, 814). 29De Laubadere/Venezia!Gaudemet, Bd. I S. 253 ff. ; Fromont, DVBI. 1978, 89 ff.; Woehrling, NVwZ 1985, 21 ff.; z.T. wird auch davon gesprochen, dass die Gesamtheit des französischen Verwaltungsrechts das Werk des Staatsrates sei, vgl. Fromont, DVBI. 1978,89, 91; Müller, DRiZ 1983,210 ff., 211. 30Es besteht keine personelle oder organisatorische Trennung zwischen den beiden Aufgabengebieten. Bezeichnenderweise bleiben die französischen Verwaltungsrichter Beamte, die allerdings gewohnheitsrechtlich besondere (Unabhängigkeits-) Garantien besitzen, vgl. Woehrling, NVwZ 1985, 21, 22; Fromont, DVBI. 1978, 89, 90; Müller, DRiZ 1983, 210, 212; ders., DRiZ 1989, 218 ff.; näher zur Unabhängigkeit der Verwaltungsrichter Classen, Europäisierung S. 14. 31 Müller, AöR 1992, 337, 338; Schlette, S. 35 ff. 32Der C.E. ist in seiner Zuständigkeit nicht als Revisionsgericht, sondern eher als Berufungsgericht ausgeformt Näher zu Funktion, Aufbau und Verfahren des Gerichts Fromont, DVBI. 1978,89,90. 33 Fromont, DVBI. 1978, 89, 90; Woehrling, NVwZ 1985, 21; ders., in: VBIBW 1994,225 ff; Müller, DRiZ 1983,210,213, 219; Junker, S. 52. 34Vor der Reform von 1953 gab es die sog. consei/s de prefectures; Müller, DRiZ 1983,210, 213; Jarass, DÖV 1981,813,814. 5 Knoll

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C. Frankreich

gestockt35 und somit dem Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit angeglichen. Durch diesen "Umbau" fiel dem Conseil d'itat neben der Beratungsfunktion überwiegend - die Rolle des Revisionsgerichts zu. Vom Selbstverständnis der Gewaltenteilung bleibt er aber auch in dieser - gerichtlichen - Funktion Teil der Verwaltung, die er zu kontrollieren hae6 .

(2) Zur Rechtsprechung des Conseil d'Etat Der Conseil d'Etat betonte 1982 im Urteil Huglo 37 , dass es sich bei der- sofortigen - Vollziehbarkeit der Verwaltungsentscheidungen um Ia regle fondamentale du droit public handelt. Die Anordnung des Suspensiveffekts, die gerade diese elementare Regel zu Fall bringt, müsse ein Verfahrensschritt mit Ausnahmecharakter (caractere exceptionnel) bleiben. Einer großzügigeren Handhabung der Anordnung des Vollzugsaufschubs würde wiederum die regle fondamentale entgegenstehen. Auf diese restriktive Haltung war der Conseil d'Etat jedoch nicht von jeher festgelegt. Eine Verordnung aus dem Jahre 180638 - hier wurde der Verzicht des Suspensiveffekts des Rechtsbehelfs erstmals in Gesetzesform erwähnt - bestätigte die grundsätzlich fehlende aufschiebende Wirkung der Einlegung eines Rechtsbehelfs. Gleichzeitig wurde aber auch festgehalten, dass der Conseil d'Etat die Möglichkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung habe. Es liege lediglich an ihm- dem Conseil d'Etat - eine Abwägung vorzunehmen, um einen Ausgleich zwischen den Allgemeininteressen, welche die Verwaltung mit dem Sofortvollzug der Entscheidung verfolge und den Privatinteressen, die von dieser Entscheidung betroffen sind, zu fmden. Nach dieser Verordnung konnte

35MaBgebend fiir diese Reform ist das Gesetz vom 31.12.1987. Dieses legt jedoch lediglich die grundlegenden Bestimmungen fest und enthält die erforderlichen Verordnungsermächtigungen. Mit Wirkung vom 1.1.1989 sind fiinf Berufungsgerichtshöfe in Verwaltungssachen errichtet worden und zwar mit Sitz in Bordeaux, Lyon, Nancy, Nantes und Paris. Vgl. näher zur Zuständigkeit und Aufbau Müller, DRiZ 1989, 218, 219 ff. Zu dieser Verwaltungsreform Woehrling, VBIBW 1994, 225 ff.; Hospach, NVwZ 1990, 133 ff.; zu dieser Reform allgemein Lang, RFDA 1988, 3 ff. 36Fromont, Rechtsschutz S. 204; Junker, S. 51. 37C.E. Ass., 2. juillet 1982, Huglo et autres, Rec. Lebon, S. 258; auch aufgefiihrt in AJDA 1982, 657; Chapus, Droit administratif generat Bd. I S. 554 Anm. 879; Gaudemet, RFDA 1988,420, 425; Porcell, AJDA 1984, 149; Lavau, RDP 1950, 777, 781; Classen, Europäisierung S. 94; vgl. auch allgemein Pacteau, S. 234; Eisenmann, S. 741 ff.; Peter, RDP 1994, 185, 186; Moreau, S. 213, der im Falle einer anderen Regelung bzw. einer anders lautenden Entscheidung die Funktionsfähigkeit der Verwaltung gefährdet sieht. 38Decret du 22 juillet 1806, article 3; Beguin, RISA 1973, 398 ff.

I. Die Hierarchiestufe des einstweiligen Rechtsschutzes

67

das Verhältnis zwischen dem Sofortvollzug und dem Suspensiveffekt noch als ausgeglichen bezeichnet werden39• Die Haltung, die 1982 durch die oben erwähnte Entscheidung verdeutlicht wurde, hat bereits 1954 der Comrnissaire du Gouvemement40 Laurent formuliert. Die Anordnung des Suspensiveffekts sei als Ausnahmeregelung zu betrachten, zumal durch eine solche Einrichtung das Prinzip der Gewaltenteilung41 geflihrdet werde42 • Die Zurückhaltung des Conseil d'Etat lässt sich auch durch statistisches Material belegen: So wurden in den Jahren 1812 bis 1850 lediglich 43 Anträge, von 1850 bis 1900 gerade 20 Anträge43 und von 1900 bis 1953 nur 14 Anträge44 auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben. Im Jahre 1988 hingegen wurde die jährliche Rate der Anordnungsentscheidungen mit 1.500 angegeben und zwar im Bereich der erstinstanzliehen tribunaux administratifs. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Conseil d'Etat, im Instanzenzug, wesentlich zurückhaltender entscheidet45. Mit einem Brief wies der Vizepräsidenten des Conseil d'Etat46 im Oktober 1997 auf die gegenwärtigen Unzulänglichkeiten der Gesetzeslage beim einstweiligen Rechtsschutz im Verwaltungsrecht hin und schlug die Errichtung einer Arbeitsgruppe vor. Diese sollte die Mängel aufzeigen und Vorschläge zur einfacheren und wirksameren Gesetzesanwendung erarbeiten47 • Diesem Reformprojekt "re/atif au refere devant /es juridictions administratives" stimmte der Senat und die Nationalversammlung Mitte bzw. Ende 1999 zu48 • Die Aufgabenstellung umfasste auch die Erarbeitung einer gesetzlichen Ausgestaltung, die die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes in Zukunft erleichtert. Ein weiterer Grund fiir diese Reform war die Angleichung der Befugnisse des Verwaltungsrichters an die des Zivilrichters49 • Das Gesetz zur NeureRFDA 1988,420, 422; Tsiklitiras, RDP 1992,679,702. Funktion eines solchen Commissaire du Gouvernement, der als Richter die Funktion eines Vertreters des allgemeinen Interesses wahrnimmt und völlig unparteiisch zu sein hat; vgl. näher Woehrling, NVwZ 1985,21,24. 41 Zum Argument der Gewaltenteilung, vgl. Degen, Die Verwaltung 1981, 157, 160; Woehrling, NVwZ 85, 21, 24. 42Zitiert bei Tsiklitiras, RDP 1992, 679, 702 FN 83 f. 43 Tourdias, S. 199. 44Schwarze, DVBI. 1987, 1037, 1040. 45Rivero/Waline, S. 187 RN 223; Gaudemet, RFDP 1988, 420, 422; Skouris, Die Verwaltung 1981,35,38. 46Abgedruckt im Annex Nr. 1 des Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941,954. 41Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur les procedures d 'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941. 48Fromont, in: Gedächtnisschrift fiir Alexander Lüderitz 2000, 173, 180. 49Braibant/Stirn, S. 540. 39 Gaudemet,

40Zur

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C. Frankreich

gelung des einstweiligen Rechtsschutzes im Verwaltungsverfahrensrecht datiert vom 30. Juni 2000 und wurde am 1. Januar 2001 in Kraft gesetzt50. Die Arbeitsgruppe stellte nicht in Frage, dass es sich bei dem generellen Sofortvollzug von Verwaltungsentscheidungen um eine regle fondamentale handelt. Zur Frage der Anwendung des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund einer Verfassungsnorm schweigt der Conseil d'Etat.

b) Zwischenergebnis Nach der Rechtsprechung des Conseil Constitutionnel ist der einstweilige Rechtsschutz gegen Einzelentscheidungen der Verwaltung - jedenfalls in benannten Fällen - gegenüber dem Einzelnen verfassungsrechtlich verankert. Der Conseil d'Etat hat dieser Rechtsprechung nicht widersprochen. Die Arbeitsgruppe, die vom Vizepräsidenten des Conseil d'Etat eingesetzt wurde, betont in ihrem Abschlussbericht - mit ausdrücklichen Bezug auf die Rechtsprechung des Conseil d'Etat den Ausnahmecharakter der aufschiebenden Wirkung. Die sofortige Vollziehbarkeit sei Ia regle fondamentale du droit public51 • Konsequenterweise52 wurde auch mit der Reform 2001 ein neues Rechtsinstitut, der refere liberte, eingefiihrt, der dem Schutz der fundamentalen Rechte des Einzlenen dient.

2. Meinungen in der Literatur Inwieweit die verfassungsrechtlichen Grundsätze nach der Rechtsfigur der aufschiebenden Wirkung verlangen, reduzieren sich innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzung primär53 auf die Fragestellung, ob diese auf die vom Conseil Constitutionnel behandelten beiden Gesetzesbereiche zu beschränken seien54, oder ob die Entscheidungen zum Anlass genommen werden sollten, die vom Conseil Constitutionnel ausgesprochenen Grundsätze auf alle

A.J.D.A 2001, 211. du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941,945, mit Verweis aufdie Entscheidung ,,Huglo" des Conseil d'Etat (CE, Ass., 2. juill. 1982, Huglo et autres, Rec. p. 257). 52Der Bericht der Arbeitsgruppe nimmt jedoch - jedenfalls an dieser Stelle - keinen Bezug auf die Recht~prechung des Conseil Constitutionnel, s. Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur !es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941 , 947 f. 53 Die Reaktionen in der Literatur auf die Urteile des Conseil Constitutionnel waren augenfällig gering. 54 Gaudemet, RFDP 1988, 420, 426; Tsiklitiras, RDP 1992,679,681. 50Labetoulle,

51 Rapport

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

69

streitigen verwaltungsrechtlichen Verfahren auszudehnen bzw. anzuwenden55 . Des weiteren steht die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Rechtsprechung der beiden Gerichte zur Diskussion. Die eine Richtung betont, dass die Entscheidungen bzw. Auffassungen nicht in einem direkt gegensätzlichen Verhältnis stehen. Das eine Gericht verlange die Existenz der Rechtsfigur der aufschiebenden Wirkung in bestimmten Streitsachen aus verfassungsrechtlichen Gründen, das andere Gericht lege lediglich die Tatbestandsvoraussetzungen fest nach denen die aufschiebende Wirkung gewährt werden könne56. Ein Teil der Literatur sah - jedenfalls vor der Verwaltungsreform vom 1. Januar 2001 jedoch eine direkte Konfrontation zwischen den Auffassungen der beiden Gerichte. Der Conseil Constitutionnel verdeutliche den Charakter der aufschiebenden Wirkung. Er habe aufgezeigt, dass der Conseil d'Etat diese Rechtsfigur in ausreichendem Maße zu berücksichtigen habe. Der Conseil d'Etat habe (hatte) eine unzureichende Haltung ·dieser Rechtsprechung gegenüber des Conseil Constitutionnel eingenommen57 •

II. Die Verfahrensvoraussetzungen 1. Anwendungsbereich

a) Regelfall aa) Überblick über die Verfahrensarten Im französischen Verwaltungsprozessrecht waren generell vier procedures d'urgence58 anzutreffen. Dem constat d'urgence zur schnellen Beweissicherung59 und dem refere administratif- angelehnt an das zivilrechtliche Verfahrensrecht - zur einstweiligen Anordnung aller notwendigen Maßnahmen zur Sicherung der Rechte einer Partei. Hinzu kamen die beiden Fallgruppen des sursis a execution. Hier war zwischen dem Vollzugsschutz gegen Justizverwaltungsentscheidungen, dem sursis al'execution des decisions de justice und dem Vollzugsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen, dem sursis al'execution des

55 Chapus. Droit administratifgeneral Bd. l S. 38; Tsiklitiras, RDP 1992,679, 681; vgl. jedoch allgemein zur Frage der Absehbarkeit richterlicher Entscheidungen Vedel, RDP 1989, II, 12 ff. 56Gaudemet, RFDP 1988,420,422. 57 Tsiklitiras, RDP 1992, 679, 681. 58 Chapus, Droit du contentieux adrninistratif S. 812 Anm. I 093. 59Die Reform durch das Gesetz vom 30. Juni 2000 hat diese Rechtsfigur nicht beseitigt, .s. Annex bei Fouletier, RFDA 2000, 984; Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 942.

70

C. Frankreich

desicions administratifs60 zu unterscheiden. Im Jahre 1995 wurde der pouvoir de suspension provisoire d'execution des decisions administratives eingeftlhrt, der dem Richter die Anordnung "erhaltender Maßnahmen filr bestimmte Streitigkeiten fUr den benötigten Zeitraum" ermöglichte61 . Wie oben erwähnt, trat mit der Verwaltungsreform vom I. Januar 2001 62 der Code de justice administrative in Kraft, der neben der Inkraftsetzung der Änderungen zum einstweiligen Rechtsschutz u.a. den Code des tribunaux administratifs und den Code des cours d'appel administratives abgelöst hat. Damit wurden auch zum ersten Mal die bisher "verstreuten" Normen filr den Conseil d 'Etat in einen einheitlichen Kodex aufgenommen. Mit dieser Gesetzesreform wurden nunmehr drei referes d'urgence eingeftlhrt: Der refere-suspension, der refere-irifonction und der refere-conservatoire. Der refere-suspension betrifft die Fälle in denen die Exekutive eine belastenden Entscheidung erlassen hat. Dieser löst den sursis l'execution des desicions administratifab und modifiziert die Voraussetzungen63 :

a

"L. 521-1 Quand une decision administrative, meme de rejet, fait l'object d'une requete en annulation ou en reformation, Je juge des referes, saisi d 'une demande en ce sens, peut ordonner Ia suspension de I'execution de cette decision, ou de certains de ses effets, Iorsque I'urgence Je justifie et qu'il est fait etat d'un moyen propre a creer, en l'etat de l'instruction, un doute serieux quant a Ia Iegalite de Ia decision".

Der refere-injonction, der auch als refere-liberte fondamentale bezeichnet wird, ist eine "völlig neue Verfahensart"64. Dieser "Anordnungs-Rechtsbehelfs"65 dient - auf dessen Antrag - dem Schutz der Freiheitsrechte des Betroffenen: "L. 521-2 Saisi d'une demande en ce sens justifiee par l'urgence, Je juge des referes peut ordonner toutes mesures necessaires a Ia Sauvegarde de Ia liberte fondamentale a laquelle une personne morale de droit public ou un organisme de droit prive charge

60Der ,. sursis" gehörte zu den "procedure d'urgence", obgleich er vor und nicht unterhalb der Kapitelüberschrift "Procedure d'urgence" im code tribunal administratif eingeordnet wurde. 61 Zur Gesetzesergänzung von 1997: s. Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 942. Zu den weiteren Reformen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere zur Übertragung der Kompetenzen auf den Einzelrichter. Siehe Braibant/Stirn, S. 541 . Siehe zur Entwicklung auch Gourdou, R.F.D.A. 1996, 991 ff. 62Im Livre V Le refere ist das Gesetz L. n° 2000-597 du 30 juin 2000 kodifiziert. 63 Ein Bereich wurde jedoch explizit wegen seiner "formalisierter Regelungen" ausgenommen: L. 522-2 droit de timbre im Steuerbereich: Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur les procedures d 'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 950. 64 Touvet, R.F.D.A. 2001,378. 65L. 521-3 bleibt dem Antragsteller jedoch in der ersten Instanz versagt, s. näher Touvet, R.F.D.A. 2001, 378, 388.

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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de Ia gestion d'un service public aurait porte, dans I'exercice d'un de ses pouvoirs, une atteinte grave et manifeste illegale". Der refere-conservatoire ennöglicht die Anordnung einer bestimmten Maßnahme, ohne dass fundamentale Rechte des Einzelnen betroffen ist: "L. 521-3 En cas d'urgence et sur simple requete qui sera recevable meme en

l'absence de decision administrative prealable, le juge des referes peut ordonner toutes autres mesures utiles sans faire obstacle a l'execution d'aucune decision administrative". Die Bestimmung ist allerdings subsidär und verleiht nicht die Befugnis, eine aufschiebende Wirkung eines erlassenen Verwaltungsentscheidung anzuordnen66. Näher einzugehen ist deshalb auf die beiden ersten genannten Nonnen. Voraussetzung fiir den refere-suspension ist ein Antrag auf Aufhebung (annulation) oder auf Änderung (reforma(ion) der Verwaltungsentscheidung ( decision administrative) im Hauptsacheverfahren, welches wiederum zulässig sein muss67. Dies bedeutet, dass der refere-suspension - wie sein "Vorläufer" der sursis a /'execution des desicions administratifs, - weiterhin akzessorisch68 ist. Bei dem entsprechenden Hauptsacheverfahren kann es sich u.a. um den recours pour exces de pouvoir69 , - vergleichbar mit der deutschen Anfechtungsklage auf Aufhebung der Verwaltungsentscheidung gerichtet ist oder auch um bestimmte recours de pleine juridiction70 handeln71 • Das Anordnungsverfahren des referi-injonction (refere-liberte fondamentale) kann aber - und dies ist völlig neu - beantragt werden, ohne dass ein Hauptsacheverfahren anhängig ist72 •

A.J.D.A. 2000, 706, 714. 67 Vandermeeren, A.J.D.A. 2000, 706, 709. 68Siehe Koch J, S. 104 ff. 69Die Klageart "recours pour exces de pouvoir" dient nicht nur dazu, um gegen Verwaltungsakte i.e.S. vorzugehen, sondern auch gegen Akte, die den deutschen Rechtsverordnungen entsprechen, den "reglements". Somit entfällt im französischen Verfahrensrecht der entsprechende separate Weg über die Normenkontrollklage. Vgl. auch Studie der Kommission S. 20; Fromont, Protection juridictionnelle S. 249 ff.; Vedei/Delvolve, Bd. 2 S. 183. 70 Siehe Braibant/Stirn, S. 531. 71 Vandermeeren, A.J.D.A. 2000, 706, 709; s. auch Debbasch/Ricci, S. 423 RN. 522. 72Fromont, in: Gedächtnisschrift für Alexander Lüderitz 2000, 173, 180. 66 Vandermeeren,

72

C. Frankreich

bb) Exkurs: Die Klagearten: recours pour exces de pouvoir und recours de pleine jurisdiction Das (Hauptsache-) Verfahren des recours pour exces de pouvoir hat der Conseil d'Etat gegen belastende Verwaltungsmaßnahmen73 , den acte administratif unilateral faisant grief, entwickele4• Diese müssen einen einseitigen75 , d.h. einen - von der Verwaltung - vollziehbaren76 Charakter aufweisen (acte administratif unilateral oder auch decision executoire11 genannt)78. Das Zuläs-

sigkeitskriterium "acte faisant grief" setzt voraus, dass die angegriffene Verwaltungsentscheidung79 eine Rechtswirkung entfaltet, und dass diese Rechtswirkung gegenüber dem betroffenen Bürger eine Belastung darstellt80. Mit dieser Klageart kann der Verstoß gegen geltendes Recht eingeklagt und daraus folgend die Nichtigkeitserklärung der VerwaltungsverfUgung eingefordert werden81. Diese als "Amtsüberschreitungs-" oder als "Machtüberschreitungsklage" zu übersetzende Klageart ist somit in ihrem Anwendungsbereich mit der deutschen Anfechtungsklage vergleichbar.

In Frankreich ist in weiten Bereichen ein geschriebenes Verwaltungsrecht nicht vorhanden. Das Verwaltungsrecht ist in großem Maße ein von Gerichten geschaffenes Recht. Der recours pour exces de pouvoir, ist eine Klage "allge-

73Zu den einzelnen Voraussetzungen Fromont, Protectionjuridictionnelle S. 227 und 249 ff. Eine Legaldefinition vergleichbar mit§ 35 VwVfD ist nicht vorhanden; in "ordonnance du 31 juin 1945" (Art. 32) wurde festgehalten, dass im Rahmen einer Anfechtungsklage ein Verwaltungsakt immer dann vorliegt, wenn eine Behörde gehandelt hat und dieses Handeln in Rechte Dritter eingreift. Laubadere, geht davon aus, dass eine Definition bisher nicht gefunden wurde, vgl. Bd. I (1980, II. Aufl.) Anm. 374. Junker, S. 61, die eine Eingrenzung vornimmt. 74Zur Darstellung der historischen Entwicklung dieser Verfahrensart Fromont, Protection juridictionnelle S. 224; Peiser, S. 107 f; kurz: Gerstner, S. 57; Schlette, S. 83. 75 Dieses Zulässigkeitskriterium schließt Verwaltungsverträge aus. 76Dieses Kriterium wird vom Conseil d'Etat seit 1970 als Tatbestandsvoraussetzung verlangt: C.E. 23 . 1.1970, Min. des affaires sociales/Amoros, Rec. S. 51 : " ... si cette decision est executoire"; Vedei/Delvolw!, Bd. 2 S. 187; Pacteau, S. 239. 77Zu den "decision executoire", s. Eisenmann, Band 2 S. 743. 18De Laubadere/ Venezia/Gaudemet, S. 430 Anm. 644; Gleizal, AJDA 1975, 381, 383; Junker, S. 65 f; Schlette, S. 80 ff. 7~äher Parini, S.118 ff. 80Debbasch/Ricci, S. 345 Anm. 287. 81 Geltend gemacht werden können im Hinblick auf den Vorwurf der Machtüberschreitung: I. Unvereinbarkeit mit dem geltenden Recht (incompatibi1ite), 2. fehlende gesetzliche Grundlage (vice de Ia loi), 3. Formverstoß (vice de forme), 4. Machtmissbrauch (detoumement de pouvoir); Müller, DRiZ 1983,210, 219; Becker P., S. 29; Studie der Kommission S. 26.

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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meinen Rechts"82, denn diese Klagemöglichkeit besteht von Rechts wegen. Es bedarfkeiner ausdrücklichen Gesetzesvorschrift Als Kernstück der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit kann nur eine formelle Gesetzesbestimmung ihre Ausübung ausschließen83 • Allerdings ist sie nach der vom Conseil d'Etat Ende des letzten Jahrhunderts entwickelten Theorie der "Parallel-Klage" unzulässig, wenn der Kläger über einen anderen Rechtsbehelf verfUgt, der geeignet ist, ein gleichwertiges Ergebnis herbeizufilhren84. Die Klageart der recours de pleine jurisdiction - auch recours de pleine contentieux genannt - dient nicht der "schlichten" Aufhebung der erlassenen Verwaltungsentscheidung, sondern zielt auf den Erlass einer anderen als die von der Verwaltung erlassenen Entscheidung durch das Gericht85 • cc) Zuständigkeiten Ob die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit gegeben ist, richtet sich nach Kriterien, die der Conseil d'Etat und der Cour de Cassation sowie das Gericht filr Kompetenzkonflikte86 (Tribunal des Conflits) entwickelt haben. Hiernach sind Streitigkeiten dann den Verwaltungsgerichten unterworfen, u.a. wenn eine Partei eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist, der Rechtsstreit mit einer öffentlichen Aufgabe im Zusammenhang steht und soweit die beteiligte juristische Person des öffentlichen Rechts bei der in Frage stehende Maßnahme nicht freiwillig Privatrecht angewandt hat87 • Nach diesen Kriterien fallen beispielsweise auch die Staatshaftungs- und die fmanzrechtlichen Verfahren88 in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte, die Sozialgerichtsbarkeit89 hingegen obliegt der Zivilgerichtsbarkeit Statt der "fiskalischen Verwaltung" wird der Begriff des service public verwandt. Der service public ist ebenfalls der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterstellt.

82Fromont, Protection juridictionnelle S. 226; Peiser, S. 105 f.; De Laubaderel Venezia/Gaudemet, S. 442 Anm. 668. 83C.E. 17.2.1950, abgedruckt in: RDP 1951, 478; Studie der Kommission, S. 80. 84Braibant/Stirn, S. 529; Studie der Kommission, S. 8. 85 Siehe näher Braibant/Stirn, S. 531 ff. mit einer Auflistung der einzelnen Verfahrensarten. 8 ~äher Auby/Auby, Droit public S. 909 ff.; Fromont, Protection juridictionnelle S. 228 f.; Hänni, S. 153; Junker, S. 52; Peiser, S. 65 ff.; Wiener, S. 41; Jacobini, S. 103. 81Müller, DRiZ 1983,210, 219; Hänni, S. 154; Studie der Kommission, S. 19. 88 Woehr/ing, NVwZ 1985,21 ,22. 89Fromont, Protection juridictionnelle S. 228 f.

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C. Frankreich

Einem sursis waren die sog. decision negative- Verfiigungen mit einem ablehnenden Inhalt- nicht zugänglich90 . Dies wurde mit der Refonn, die am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist und die Erweiterung des Anwendungsbereiches des einstweiligen Rechtsschutzes zum Ziel hatte91 , geändert. Nunmehr kann eine Negativentscheidung durch einen Antrag auf aufschiebende Wirkung ebenfalls angegriffen werden92•

b) Ausnahmeregelung In sachlicher Hinsicht gilt - nach ständiger Rechtsprechung93 - die Einschränkung, dass die französische Gerichtsbarkeit ihre Zuständigkeit vemeint94 und den Gerichtsschutz fiir Exekutivakte versagt, die als Ausfluss der Regierungsgewalt eine besondere politische Bedeutung haben oder staatsleitende Grundentscheidungen darstellen (sogenannten actes de gouvernemenr5). Zu diesen werden heute96 Handlungen der Exekutive in den Beziehungen zum Parlament97 (u.a. im Gesetzgebungs- und Wahlverfahren), Handlungen zwischen den Verfassungsorganen98 und in auswärtigen Angelegenheiten (u.a. im Hinblick auf völkerrechtliche Verträge und solche französischer Diplomaten im Ausland99), Kriegshandlungen und Gnadenakte des Präsidenten 100 gezählt. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit verneint auch ihre Zuständigkeit fiir die Justizverwaltungsakte101. Der Verwaltungsrichter könne sich nicht in die Tätigkeit der 9°Chapus, Droit du contentieux administratifS. 870 Anm. 1157 f.; Auby!Drago, Teil 2 S. 37 Anm. 951; Flauss, in: Schwarze, (Hrsg.) S. 81; Schwarze, DVBI. 1987, 1039, 1042; Classen, Europäisierung S. 94. Gaudemet, RFDA 1988,420,423. 91 Fouletier, RFDA 2000, 963, 967. 92 Vandermeeren, A.J.D.A. 2000, 706, 710; Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 947; Fouletier, RFDA 2000, 963,967. 93Fromont, Protection juridictionnelle S. 234 spricht von ,jurisprudence tres ancienne". 94Auby/Auby, Droit public S. 330; Fromont, Protection juridictionnelle S. 233 f.; Peiser, S. 107; a.A. Junker, S. 66, die diesen Exekutivakten die Qualität des Verwaltungsakts abspricht. Siehe auch Lerche, in: Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der VerwaltungS. 7 und 31 . 95Braibant/Stirn, S. 527. 96Früher war der Kreis weiter gefasst, s. Studie der Kommission, S. 22; zur historischen Entwicklung Peiser, S. 27 ff. 97Rudolf. Schmidt, S. 81 ff.; Studie der Kommission, S. 24; Peiser, S. 28 f. 98Fromont, Protectionjuridictionnelle S. 234 ff. 99Rudolf. Schmidt S. 90 ff.; Fromont, Protection juridictionnelle S. 235 f.; Peiser, S. 29. 100Hänni, S. 155; Lerche, S. 34. 101Auby/Auby, Droit public S. 330; Fromont, Protection juridictionnelle S. 237 f.; Peiser S. 107.

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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Justizbehörden einmischen. Wegen der fehlenden rechtlichen Wirkung - die Rechtsstellung des Betroffenen wird nicht verändert - sind von der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auch Maßnahmen der Verwaltung ausgenommen, die unter dem Begriff der Dienstanweisung - circulaires, instructions de service - und den internen Verwaltungsmaßnahmen - mesures d'ordre interieurs - zusammengefasst werden102•

2. Klage-/Antragsbefugnis Das Verfahren des rejere-suspension setzt neben dem Antrag eine Antragsbefugnis voraus, soweit nicht anderweitig gesetzlich geregelt. Die Anforderungen an die Antragsbefugnis folgen im Verfahren des refere-suspension denen der Klagebefugnis in den Hauptsacheverfahren. Wählt der Antragsteller filr das Hauptsacheverfahren den recours pour exees de pouvoir ist folgendes zu beachten: Die Funktion des recours pour exees de pouvoir ist nicht primär der Schutz des Einzelnen und die damit verbundene Aufhebung der rechtswidrigen - und rechtsverletzenden - Verwaltungsentscheidung, sondern die - objektive - Kontrolle 103 der Rechtmäßigkeit (legalite) der Verwaltungshandlungen. Die Funktion des Klägers wird als surveillant de l'administration 104 oder auch als denonciateur de l'abus de pouvoir105 bezeichnet. Demzufolge ist weder die Verletzung oder die Möglichkeit einer Verletzung eines subjektiven Rechts oder rechtlich geschützter Interessen erforderlich, um ein Aufhebungsverfahren in Gang zu setzen. Eine Überlastung oder gar Lähmung der Gerichtsbarkeit durch die Anzahl der Klageverfahren galt es auf der anderen Seite zu vermeiden106 . Den Gerichten musste deshalb die Abwehr von Popularklagen ermöglicht werden 107. Des-

102Braibant/Stirn, S. 527 f.; Fromont, Protection juridictionnelle S. 238 ff.; Auby/Auby, Droit public S. 331; Hänni, S. !55; Schielte, S. 83 f. 103Peiser, S. 104, 106; Fromont, Rechtsschutz S. 204; Woehrling, NVwZ 1985, 21, 23; Gerstner, S. 61; Berrang, S. 59; vgl. zu den einzelnen schutzwürdigen Interessen Bleckmann, VerwAch 1958, 213 ff.; vgl. auch Classen, Europäisierung S. 19 mit Verweis aufS. 17 FN 39 mit Nachweis der Rechtsprechung, der im Zusammenhang mit der individualschützenden Funktion des Rechtsschutzes auf das kontrollverstärkende und nicht kontrollbegrenzende Moment hinweist. 104Schwarze, NVwZ 1996, 22, 23 spricht vom "Wächter über die Verwaltung"; Gerstner, S. 64 sieht den Kläger als einen "Informanten" des Gerichts. 105Schwarze, NVwZ 1996,22,23. 106Peiser, S. 109. 107Dieses Erfordernis eines subjektiven Elements wird bereits als eigentlich systemfremd und inkonsequent bezeichnet vgl. Peiser, S. I 09; Chapus, Droit du contentieux adrninistratif S. 139 Anm. 166; Gerstner, S. 64. Zur Frage der Vermeidung der Popu-

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C. Frankreich

halb hat der Conseil d'Etat 108 das Erfordernis des interet pour agir entwickelt. Diese französische Bezeichnung der Klage- bzw. Antragsbefugnis gibt bereits ein Indiz ftlr den Grad, den das französische Recht an diese Anforderung stellt: Der Conseil d'Etat bejaht in seiner Rechtsprechung ein solches interet, wenn dieses personnel und direct ist. Der Kläger hat ein solch hinreichend persönliches und direktes Interesse 109 darzulegen. Er hat nachzuweisen, dass er sich in einem besonderen Verhältnis zu der - angefochtenen - Verwaltungshandlung befmdet 110• Nach der weiten lnterpretation111 des Conseil d'Etat ist es zu bejahen, wenn der Kläger zu einem cercle interet112 gehört. Interessen, die materieller, immaterieller (z.B. moralischer) 113, individueller oder kollektiver114 Natur sind, begründen einen solchen cercle 115 • Um die großzügige Handhabung des Begriffs zu verdeutlichen, sei an dieser Stelle ein Urteil aus dem Jahre 1958 116 erwähnt: Der Conseil d'Etat hatte das interet pour agir eines Campers bejaht, der sich gegen ein von einer Gemeinde ausgesprochenes Campingverbot gewandt hatte, obgleich er sich niemals zuvor in dieser Gemeinde aufgehalten hatte und wo er wohl niemals sein Zelt aufstellen wollte. Ist der recours de pleine jurisdiction ftlr den Antragsteller die Richtige Klageart im Hauptsacheverfahren ist folgendes zu beachten: Zunächst hatte der Conseil d'Etat bei dieser Verfahrensart das interet pour agir bejaht, wenn der larklage: Schwarze, NVwZ 1996, 22, 23; ders., in: DVBI. 1987, 1037, 1038; Gerstner, S. 65; Schlette, S. 84 f. 108Chapus, Droit administratif general Bd. I S. 544 Anm. 867; Berrang, S. 59. 109Chapus, Droit administratif general Bd. I S. 544 Anm. 867; Fromont, Rechtsschutz S. 204 f.; Jarass, DÖV 1981, 813, 82I; Degen, Die Verwaltung 1981, 157, 166. 110Schwarze, NVwZ I996, 22, 23. 111 Chapus, Droit administratif general Bd. I S. 545 Anm. 867 spricht von liberalisme jurisprudentiel. 112Laubadere/ Venezia/Gaudemet, Bd. I S. 426 Anm. 689 (II. Aufl.) und S. 452 ff. Anm. 684 ff. (12. Autl.);Jacobini, S.I05. 113 Als ein ausreichendes immaterielles bzw. moralisches Interesse wurde das Interesse eines ehemaligen Kriegsteilnehmers angesehen, der sich gegen eine Regelung wandte, die die Ausgabe der "carte d'ancien combattant" an Personen ermöglichte, die nicht an militärischen Operationen teilgenommen hatten, vgl. Chapus, Droit administratif general Bd. I S. 545 Anm. 867; Peiser, S. 114. 114Eine altruistische Verbandsklage ist zulässig, wenn die Klage einen Bezug zum Statut oder der Tätigkeit des Verbandes hat. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn diese Klägergruppierung relativ häufig auftritt, zumal der Verband keiner bestimmten juristischen Ausformung bedarf und bei einer Anzahl von zwei Personen bereits ein kollektives Interesse geltend gemacht werden kann, vgl. Chapus, Bd. I Droit administratif general S. 545. f. Anm. 867; Gerstner, S. 66 f.; anders Peiser, S. 110 ff., der wiederum zwischen dem "interet col/ectif", welches das Individuum und das eine Gruppe wahrnimmt, unterscheidet. 115Chapus, Droit administratif general Bd. I S. 544 f. Anm. 867; Peiser, S. 109 ff., Schwarze, NVwZ 1996,22,23. 116C.E. Sect. I4. fevrier I958, abgedruckt in: AJ 195 8, 221 .

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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Kläger ein verletztes Recht (ilfaut pouvoir justifier d'un droit lese) nachweisen konnte. Von dieser "engen" Auffassung ist er aber bereits seit dem Jahre 1951 117 abgekommen und anerkennt nun auch bei dieser Klageart ein interet pour agir, soweit ein interet materief ou moralgeltend gemacht werden kann 118 • Wie oben dargestellt, kann das Anordnungsverfahren des refere-injonction (refere-liberte fondamenta/e) nunmehr beantragt werden, ohne dass ein Rauptsacheverfahren anhängig ist119• Jedenfalls wird der Adressat einer Verwaltungsentscheidung zum Kreis derer gehören, der einen Antrag (demande) fiir den refere-injonction stellen kann. An dieser Stelle ist aber nochmals auf die Verwaltungsverfahrensreform vom 1. Januar 2001 einzugehen. Seit einigen Jahren ist in Frankreich eine graduelle Änderung der Ansicht über die Aufgabenstellung der Verwaltungsgerichte gegenüber der Verwaltung zu verzeichnen. Neben der ausschließlich objektiven Kontrolle, also der Frage nach der Rechtmäßigkeit der Verwaltungsentscheidung, wurde auch zunehmend eine zweite Funktion, nämlich der Schutz des Einzelnen, des Betroffenen von der Verwaltungsentscheidung, gesehen. Diese zweite Funktion wurde sowohl vom Parlament, dem Conseil d'Etat, aber auch ganz entscheidend von der öffentlichen Meinung befiirwortet. Ziel der Verwaltungsverfahrensreform war deshalb u.a. auch die Stärkung des Schutzes des Einzelnen, d.h. in diesem Fall die Stärkung des Antragstellers 120• a) Das Antragsveifahren

Generell (zu den Ausnahmen unten) verlangt das französische Rechtssystem kein durch die Behörde durchgefiihrtes Vorverfahren, sondern einen gesonderten Antrag gegenüber dem zuständigen Gericht, um die Aussetzung des Vollzugs der Verwaltungsentscheidung zu erreichen. Daran hat auch die neueste Reform nichts geändert; fiir den refere-suspension wird ein Antrag - requete -, fiir den refere-injonction wird ein demande verlangt.

11728. juill.

1951, Rec. 473 (arret d'Assemblee Berenger du 28. juillet 1951). S. 286 f. Anm. 308. 119Fromont, in: Gedächtnisschrift fiir Alexander Lüderitz 2000, 173, 180. 12 Fromont, in: Gedächtnisschrift fiir Alexander Lüderitz 2000, 173, 180.

118Debbasch/Ricci,

°

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C. Frankreich

b) Zwischenergebnis

Die Darstellung der Voraussetzung des interet pour agir zeigt auf, dass der Adressat einer Verwaltungsverfugung jedenfalls zum Kreis derer gehören wird, die dieses "Handlungsinteresse" (interet pour agir) geltend machen können 121 • Gleiches gilt fur den Adressaten einer Verwaltungsentscheidung, der ein Verfahren zwecks Erhalt eines refere-injonction einleiten will. 3. Einleitung des Verfahrens

a) Einleitung durch das Gericht

Die Einleitung des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz gegen Verwaltungsverfugungen von Amts wegen durch ein Gericht, ist im französischen Recht nicht vorgesehen. b) Einleitung durch eine Behörde

Ebenso wenig ist die Einleitung des Verfahrens auf Gewährung des Rechtsschutzes durch die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, noch durch die jeweilige Aufsichtsbehörde vorgesehen. Auch im Falle der Anordnung eines sursis administratif (s. unten) handelt zunächst der Adressat der Verwaltungsverfugung und setzt dadurch das behördliche Verfahren in Gang. Eine Sonderstellung nahmen hier nach alter Übung die Präfekten bzw. nunmehr die Repräsentanten des Staates ein (s. unten III.2.b)aa) Behördliche Anordnung des Suspensiveffekts). c) Einleitung durch den Adressaten der Verwaltungsverfügung

Der Adressat einer Verwaltungsverfugung kann generell durch einen gesonderten Antrag beim Verwaltungsgericht das Verfahren auf Aussetzung des Vollzuges der Verfugungen einleiten. Dies dürfte den Regelfall darstellen.

121 Peiser,

S. II 0.

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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4. Verfahrensgrundsätze a) Form, Frist und Inhalt des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz

In diesem Abschnitt werden die einzelnen Erfordernisse der Frist, Form und des Inhalts des Antrages fiir Erhalt des einstweiligen Rechtsschutzes dargestellt. aa) Form und Inhalt des Antrages Die bisherige Rechtslage sah vor, dass der- gesonderte- Antrag zur Einleitung des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes gegen Verwaltungsverfiigungen mit dem Antrag des Hauptsacheverfahrens - zu verbinden ist122 • Die Nichtbeachtung dieser Voraussetzung hatte jedoch nicht zwingend die Unzulässigkeit bzw. Nichtigkeit des Verfahrens zur Folge 123 • Das Gericht konnte nach der Rechtsprechung des Conseil d'Etat dem Antragsteller einen entsprechenden Hinweis geben 124• Neben dem Antrag auf Aussetzung des Vollzugs hatte der Antragsteller schriftlich die Gründe aufzuzeigen, die aus Sicht des Antragstellers die Anordnung des sursis rechtfertigten125 • Ein Verweis auf die Begründung im Antrag der Hauptsache war ebenfalls zulässig 126• Nach der neuen Gesetzeslage ist wiederum vorgesehen, dass der neue rejere /iberte ohne anhängiges Hauptsacheverfahren beantragt werden kann. Zum einen lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass fiir den refere SUspension dies gerade nicht gelten soll, die bisherige Rechtslage also beibehalten werden sollte. Auch weist das neue Gesetz darauf hin, dass die Hauptsache auf der Grundlage des Antrages auf annulation oder reformation entschieden werden soll, falls die aufschiebende Wirkung angeordnet werden soll und zwar innerhalb der mei/leurs delais 127• Auch daraus kann gefolgert werden, dass der Gesetzgeber davon 122Siehe die früheren Art R. 119 C.T.A.- C.A.A. Dieses Erfordernis wurde mit dem decret du 28 janvier 1969 eingeftihrt. Gaudemet, RFDA 1988, 420, 423; Auby/Drago, Bd. 2 S. 38 Anm. 953; Gabolde, S. 198 Anm. 490; Peiser, S. 96, die auch einen separaten Antrag fordern, wenn der Conseil d'Etat als erstinstanzliehen Gericht angerufen wird. 123Debbasch/Ricci,S. 423 Anm. 522. 124C.E. 16 janvier 1970, Ministere de l'Equipement, c/ Blanc, Rec., S. 29 mit dem Hinweis, dass die Nichtbeachtung der Vorschrift der Einreichung eines separaten Antrags kein Verstoß gegen den ordre public sei; Gabolde, S. 198 Anm. 490; Auby!Drago, Teil2 S. 38 Anm. 953. 125 Gaudemet, RFDA 1988,420, 423; Gabold, S.l98 Anm. 491. 126C.E. 19 janvier 1977, S.C. I. de l'Ouest, Rec. S. 29; Gabold, S. 198 Anm. 491. Das Vorbringen von neuen Tatsachen in der mündlichen Verhandlung war in der Regel nicht zulässig, s. Schwarze, DVBI. 1987, 1037, 1039. 127Siehe näher zu den diskutierten Gesetzesvorschlägen Fouletier, RFDA 2000, 963, s. 976.

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ausgeht, dass dem Richter zum Zeitpunkt der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung ein entsprechender Antrag fiir die Hauptsache bereits vorliegt und dieser nicht auf einen solchen gegebenenfalls noch warten muss. bb) Frist Die Rechtsprechung hat bisher erlaubt, den entsprechenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz auch außerhalb der Klagefrist fiir das Hauptsacheverfahren 128 einzureichen, allerdings nur im Falle eines fristgerecht eingeleiteten Hauptsacheverfahrens 129• Der Antrag ist in dem Zeitraum zu stellen, in dem die Anordnung der aufschiebenden Wirkung noch Aussicht auf einen tatsächlichen Erfolg bzw. auf einen tatsächlichen Nutzen hat. Ist die Verwaltungsverfugung bereits vollständig vollstreckt worden, wird folglich der Antrag von den Gerichten nicht mehr als fristgerecht behandelt 130• Eine Änderung wurde durch die neue Gesetzgebung hier nicht eingeflihrt. Es ist aber an dieser Stelle der Vollständigkeit halber zu erwähnen, dass die neue Rechtsfigur des refere liberte gerade keine Hauptsacheverfahren bedarf und somit auch der demande unabhängig von einer möglichen Frist fiir den Hauptantrag gestellt werden kann. b) Schriftliches oder mündliches rechtliches Gehör 131

Vor der Reform vom I. Januar 2001 galt, dass die Parteien ihre Anträge, Rechtsauffassungen und Begründungen ausschließlich in schriftlicher Form vorbringen konnten, nur insoweit wurden sie zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Allerdings galt folgender Grundsatz: Ein mündlicher Vortrag ist lediglich bei ausdrücklich gesetzlicher Grundlage möglich. Die neue Regelung hat folgenden Wortlaut: "L. 522-1 Le juge des referes statue au terme d'une procedure contradictoire ecrite ou orale". Nach dem Wortlaut ist nunmehr der mündliche Vortrag dem schriftlichen gleichgestellt, das mündliche Verfahren sollte nach dem Willen der Arbeitsgruppe eine größere Bedeutung - soweit sich dies mit den Erfordernissen der

128Peiser,

S. 96; Debbasch/Ricci, S. 423 Anm. 522. Teil2 S. 38 Anm. 953. 130Gabolde, S. 199 Anm. 492; Chapus, Droit du contentieux administratif S. 866 f. Anm. 1153; Auby/Drago, Teil 2 S. 38 Anm. 953. 131 Siehe ausfilhrlich zu den verschiedenen Begriffen des "rechtlichen Gehörs" im französischen Recht: Behrendt, S. 4 ff. 129Auby!Drago,

II. Die Verfahrensvoraussetzungen

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notwendigen Verfahrensbeschleunigung vereinbaren lässt - erlangen 132• Inwieweit beide Verfahrensgrundsätze innerhalb eines Verfahrens kombiniert werden dürfen, ergibt sich aus dem Wortlaut nicht. Da aber bisher ein kombiniertes Vorgehen üblich war, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber hier keine Änderung, sondern vielmehr eine Flexibilisierung 133 herbeifUhren wollte und die jeweilige Verfahrensart den Umständen bzw. der Dringlichkeit angepasst werden kann134• c) Öffentlichkeit/Ausschluss der Öffentlichkeit

Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wird als secret bezeichnet. Dieser Grundsatz des Verfahrensablaufes bezieht sich primär auf die - ausschließlich schriftliche Vorbereitung des Verfahr~ns und dem Verbot, die Akten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen 135 • Aus diesem Grund wird das Verfahren auch als semi-secret charakterisiert 136• Für die mündliche Verhandlung eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vor dem Conseil d'Etat ist die Öffentlichkeit seit 1831 137 zugelassen. Dies wurde später auch für die Instanzgerichte 138 übernommen. Durch die Reform vom l. Januar 2001 ist nun die öffentliche Verhandlung ausdrücklich in den Verfahrensbestimmungen vorgesehen: "L. 522- I (al. 2) Lorsqu'il [le juge] est demande de prononcer Ies mesures ... il infonn sans delai Ies parties de Ia date et de !'heure de l'audience publique". Die Arbeitsgruppe, die für die Überarbeitung des einstweiligen Rechtsschutzes eingesetzt wurde (s.o.) weist in ihrem Report ausdrücklich darauf hin, dass nach ihrer Auffassung, der zuständige Richter von Fall zu Fall über die Herstellung der Öffentlichkeit entscheiden können muss. Ihm solle die Entscheidungsbefugnis verbleiben, ob die öffentliche Verhandlung- gerade im Hinblick

132Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941,950. 133 So auch Labetoulle, President de Ia section du contentieux du Conseil d'Etat, A.J.D.A 2001,211. ,134 Vandermeeren, A.J.D.A. 2000, 706, 716; Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d 'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941, 950. 135Bourjol, S. 146; Langavant/Rouault, S. 44 f. 136Debbasch/Ricci, S. 22 Anm. 20. 137Bourjol, S. 146; Müller, DRiZ 1983, 210, 220 ff., der darauf hinweist, dass nur noch bestimmte Steuerverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden. Ebenso Degen, Die Verwaltung 1981, 157, 160. 138Boufjol, S. 146: Das Öffentlichkeitsprinzip besteht vor den tribunaux administratifs seit 1965; Peiser, S. 82; Stirn, RFDA 1988, 432, 434 ff.; Bopp, S. 24.

6 Knall

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auf eine mögliche außerordentliche Dringlichkeit der Entscheidung - notwendig und/oder wünschenswert ist 139 • d) Untersuchungs-/Verhandlungsgrundsatz

Das Verwaltungsgerichtsverfahren untersteht - seit 1889 140 - im Gegensatz zum Zivilverfahren dem Untersuchungsgrundsatz und wird als inquisitoria/141 bezeichnet. Dies ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Nach EinTeichung der Klage bzw. des Antrags liegt die Herrschaft über den äußeren Ablauf des Verfahrens beim Gericht. Zum anderen ist durch den caractere inquisitoire des Verfahrens das Gericht befugt, darüber zu befinden, welche Maßnahmen zur Aufklärung der Sache und Feststellung der Beweise durchgefiihrt werden. Die Parteien haben kein verbindliches Initiativrecht 142, die angebotenen Beweise werden lediglich als Vorschlag betrachtet. Das Gericht kann jedoch nur im Rahmen des Tatsachenvortrags der Parteien den Sachverhalt erforschen und die Beweisaufnahme vornehmen. Die Parteien bestimmen den tatsächlichen Umfang des Verfahrens 143, insoweit bleibt das verwaltungsgerichtliche Verfahren vom Verhandlungsgrundsatz des zivilgerichtliehen Verfahrens geprägt 144•

139Rapport du groupe de travail du Conseil d 'Etat sur /es procedures d 'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941,950. 140Gabolde, S. 223 Anm. 572; Bopp, S. 13. 141 Im Zivilprozess gilt der "caractere accusatoire", vgl. Langavant!Rouault, S. 43 f.; Gabolde, S. 223, der darauf hinweist, dass zumeist das Wort "inquisitoire" als Gegenstück zu "accusatoire" gebraucht wird. Grammatikalisch korrekter sei jedoch "inquisitorial". Soweit vom "caractere contradictoire" des Verwaltungsprozesses gesprochen wird, ist das Anhörungsrecht und das Recht der Verteidigung, sämtliche Beweismittel einzusehen, angesprochen, vgl. Hamaoui, Teil II S. 73; Riede/, EuR 1995, 49, 65 f. ; Debbasch/Ricci, S. 434 Anm. 535. 142Peiser, S. 80; Bopp, S. 42; Lerche in: Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung S. 6. 143Debbasch/Ricci, S. 434 Anm. 535; Peiser, S. 80; Becker P., S. 43 f. 144Gabolde, S. 223 Anm. 572 f. Siehe auch bei Debbasch/Ricci, S.434 Anm. 535 der deutliche Hinweis, dass der Gegensatz zwischen Untersuchung- und Verhandlungsgrundsatz zunehmend abgebaut wird.

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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111. Die Systematik der Regel und Ausnahmen bei der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes 1. Regelfall

a) Kein Suspensiveffekt des Rechtsbehelfs

aa) Gesetzliche Regelungen Das Prinzip der Trennung von Rechtsmittel und aufschiebender Wirkung wurde erstmalig in dem oben (s. l.l.a)bb)(2). Zur Rechtsprechung des Conseil d'Etat) erwähnten decret von 1806145 niedergelegt: "Le recours au Conseil d'Etat n'a pas d'effect suspensif, s'il n'en est autrement ordonne". Diese Formulierung wurde seitdem immer wieder bestätigt, so auch in den entsprechenden Gesetzen von 1872 146, 1940 147 und 1945 148 • Der neue Code de justice administrative von 2001 sieht vor, dass fiir den Conseil d'Etat 149, den cours administratives d'appe/ 150 und den tribunaux administratifs 151 nunmehr 3 des Decret vom 22.7. 1806; Gleizal, AJDA 1975, 381; Tourdias, S. 5. 24 des Decret vom 24. 5. 1872; Tourdias, S. 5. 147Decret vom 18.12.1940; Tourdias, S. 5; Skouris, Die Verwaltung 1981,35,36. 148Art. 48 de l'ordonnance n° 45-1708 du 31 juillet 1945 ist in Verbindung mit art. 54 al. 4 du decret n° 63-766 du 30 juillet 1963 (mod. decret n° 75-291 du 26 aofit 1975, Art. 4, et par decret n° 84-810 du 29 aofit 1984) zu lesen; vgl. De Laubadere/Venezia/Gaudemet, Bd. 1 S. 429 Anm. 644; Woehrling, NVwZ 1985, 21, 24; Schwarze, DVBI. 1987, 1037, 1040; Schielte, S. 62; Schmitz, S. 47; Classen, Europäisierung S. 94 f; kritisch Porcell, AJDA 1984, 149, 152; Gerstner, S. 61. 149Art. 48 des ordonnance n° 45-1708 vom 31. Juli 1945 sah vor: "Sauf dispositions legislatives speciales, Ia requete au Cogseil d'Etat n'a point d'effect suspensif, s'il n'en est autrement ordonne par Je Conseil d'Etat". 150Mit dem Loi n° 87-1127 du 31 decembre 1987 wurden die cours administratifs d'appel errichtet. Vgl. näher zu dieser Verwaltungsreform (einschl. statistischem Überblick) Gentot, RFDA 1990, 349 ff.; Decret 88-707 vom 9.5.1988 verfUgt, dass die Regeln des einstweiligen Rechtsschutzes auf die cours administratifs d'appel angewandt werden. Vgl. näher Stirn, RFDA 1988, 432 ff.; Fromont, Protection juridictionnelle S. 887, 895 zu den durchgefiihrten Verfahren in den Jahren 1982 bis 1983. Im Zuge der Reform des Verwaltungsgerichtsverfahrens im Jahre 1987/89 und der Schaffung der Instanz der cours administratives d'appel wurde durch R. 125 C.T.A. C.A.A. der Ein1egung eines Rechtsbehelfs vor diesen Gerichten ebenfalls die aufschiebende Wirkung abgesprochen: "Le recours devant 1a cour administratif d'appe1 n'a pas d'effet suspensif, s'il n'en est pas autrement ordonne par Ia cour". 151 Die erstinstanzliehen Gerichte - die tribunaux administratifs - handelten vor der Reform von 2001 auf der Grundlage des R. 118 C.T.A. - C.A.A.: "La requete devant Je tribunal administratif n'a point d'effect suspensif, s'il n'en est autrement ordonne par Je tribunal". Diese Bestimmung entsprach inhaltlich der Gesetzesgrundlage fiir den Conseil d'Etat. (C.T.A. - C.A.A: Code des tribunaux administratifs et Cours administratives d'appel war der Verwaltungsprozesskodex vor der Reform von 2001). 145Art. 146Art.

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einheitlich gilt: "Art. L4 Sauf dispositions legislatives speciales, les requetes n'ont pas d'effect suspensif, s'il n'en est autrement ordonne par lajuridiction". Nach dieser gesetzlichen Regelung haben die bei den Verwaltungsgerichten eingelegten Rechtsbehelfen, soweit gesetzlich nicht anders vorgesehen, keine aufschiebende Wirkung, es sei denn, das Gericht ordnet etwas anderes an. bb) Behördliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung? Das Verfahren vor Gericht verlangt zumeist kein behördliches Vorverfahren (s. oben). Dies verbietet dem Adressaten einer behördlichen Entscheidung jedoch nicht, sich zunächst - formlos - an die zuständige Ausgangsbehörde zu wenden und eine rec/amation vorzutragen, um dadurch Abhilfe zu erhalten. Eine aufschiebende Wirkung hat ein solcher Verfahrensschritt nicht. cc) Generelle gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung? Über eine generelle Befugnis, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anzuordnen, verfUgen die Verwaltungsgerichte nicht, wenngleich dies die Norm (. .. s'i/ n'en est autrement ordonne par Ia juridiction) nahelegen. Hierzu näher bei den Ausnahmeregelungen (111.2.). dd) Zwischenergebnis Im gesetzlichen Regelfall ist keine automatische Suspensivwirkung mit der Einlegung eines Rechtsbehelfs verbunden152 . b) Gründe und Motive für den Verzicht auf den generellen Suspensiveffekt Für die traditionelle ablehnende Haltung gegenüber dem Suspensiveffekt von Rechtsmitteln durch den Gesetzgeber werden u.a. folgende Gründe und Motive angefiihrt. Der Verwaltung komme das privi/ege du prea/ab/e zu 153 • Es herrsche die Vermutung der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Verwaltung 154 •

152Auby!Drago, Bd. 2 S. 34 Anm. 945; Gleizal, AJDA 1975, 381; Langavant!Rouault, S. 152; Fromont, RISA 1984, 309, 315; Peiser, S. 82; Studie der Kommission, S.42; Schmitz, S. 47; Eisenmann, S. 74. Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 945. 153Langavant/Rouault, S. 153; Classen, Europäisierung S. 95. 154Etien, RDP 1988, 743, 745; Classen, Europäisierung S. 95.

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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Von der Entstehungsgeschichte der "Anfechtungsklage", dem recours pour exces de pouvoir wird ein weiterer Grund abgeleitet: Der Conseil d'Etat habe diese Klageart ausschließlich als eine a posteriori-Kontrollmöglichkeit entwikkelt und angewandt. Diese Begrenzung auf die ausschließlich nachträgliche Kontrolle ergebe sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung zwischen der Verwaltung und der Judikative. Nach dem französischen Verständnis der Gewaltenteilung stehe es der Judikative bzw. dem einzelnen Richter nicht zu, in den eigentlichen Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Verwaltung einzugreifeniss bzw. in diesen Bereich "hineinzuregieren" 1s6. Weiter gelte fiir die Verwaltungsentscheidung die Vermutung der Notwendigkeit des schnellen Handeins 1s7 und der Dringlichkeit. Die Verwaltung und ihre einzelne Verwaltungsentscheidung diene dem Allgemeinwohl und nicht etwaigen Partikularinteressen, wie Interessen einzelner Personen. Letztere dürften nicht zu Verzögerungen fiihreil 1s8 • Der Suspensiveffekt könne deshalb nur als Ausnahme in Einzelfallen gestattet werden. Als praxisbezogene Einwände gegen den automatischen Suspensiveffekt werden angefiihrt, dass die Rechtsmittel nicht zu einer Lähmung der Exekutive fiihren dürften, die wegen der geringen Anforderung an die Klage- bzw. Antragsbefugnis zahlreich erhoben werden könnten 159, noch dürfe die Bloßstellung der Verwaltung zugelassen werden160. Auch wird auf die Klarheit und die Eleganz des geltenden Systems verwiesen161. Im übrigen habe der Grundsatz der sofortigen Vollziehbarkeit, als Ia regle fondamentale du droit public 162 AllgemeingUltigkeit, d.h. es gelte nicht

iSSTourdias, S. 7 ff. zum historischen Hintergrund; Lavau, RDP 1950, 777, 778 und 779 f.; Auby/Drago, Bd. 2 S. 35 Anm. 878; Gabolde, S. 190 Anm. 471 fasst dieses Modell in der Weise zusammen: Erst wird vollzogen und danach wird diskutiert. Zum Verbot der injonctions vor der Reform von 2001 Classen, Europäisierung S. 20, der auch auf die 1995 durch den Gesetzgeber erfolgten Änderungen hinweist. 1s6V gl. diesen Hinweis von Commissaire du Gouvernement Laurant bei Conclusions sous C.E. I. Octobre 1954, Ministre des Finances et Affaires economiques c/. Credit Cooperatiffoncier, Rec., S. 494, 495; Lavau, RDP 1950,777,779 f. 157Peiser, S. 82. IS 8 Tourdias, S. 7 ff.; Auby/Drago, Bd. 2 S. 35 f. Anm. 878; Schmitz, S. 47; Schwarze, DVBI. 1987, 1037, 1038. 1s9Auby/Drago, Bd. 2 S. 36 Anm. 878; Tourdias, S. 7 ff; Schmitz, S. 47. 160Long/Weil/Braibant, Les grands arr~ts de Ia jurisprudence administrative ( 1984) S. 260; Woehrling, NVwZ 1985,21, 24; Gaudemet, RFDA 1988,420,427. 161 Gaudemet, RFDA 1988,420,422. 162Laubadere/Venezia/Gaudemet, Bd. I S. 428 Anm. 643; Auby/Drago, Bd. 2 S. 32 Anm. 942; Lavau, RDP 1950,777,778 f.; a.A. Gleizal, AJDA 1975,381,382.

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nur fiir den Conseil d'Etat, sondern in derselben restriktiven Weise auch fiir die unterinstanzliehen Gerichte 163 • Diese grundsätzliche Ausrichtung wurde auch durch die Verwaltungsreform von 2001 wieder bestätigt. Zwar wurde die Frage einer generellen aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs, auch unter dem Gesichtspunkt, ob dies nicht Ausdruck eines modernen Gerichtswesens sei, innerhalb der parlamentarischen Auseinandersetzung fiir die Gesetzesreform, gestellt 164• Die Arbeitsgruppe, die vom Vizepräsidenten des Conseil d'Etat zur Erarbeitung der Gesetzesvorschlägen eingesetzt wurde, hat auch die generelle Einfiihrung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen diskutiert. Eine solche aber abgelehnt, u.a. mit dem Hinweis, dass eine solche Regelung weder praktikabel noch wünschenswert sei. Auch sei eine solche von keiner einzigen Person innerhalb des Anhörungsverfahrens gefordert worden. Eine entsprechende Paradigmenänderung wurde mit den oben erwähnten Argumenten verneint: Eine solche würde zu einer Lähmung des Verwaltungsapparates und zu einer Inflation der Klageerhebungen fiihren. Es müsse berücksichtigt werden, dass die Verwaltungsentscheidung im Allgemeininteresse erlassen würden und dies grundsätzlich nach einer sofortigen Vollziehbarkeit verlange 165 • Die Möglichkeit einer mit einemautomatischen - Suspensiveffekt verbundenen Klageerhebung müsse allerdings, wenn auch punktuell, bestehen bleiben 166• Ziel der Arbeitsgruppe war es, den einstweiligen Rechtsschutz in der Weise zu überarbeiten, dass dem Richter ein effektives "Handwerkszeug" zur VerfUgung gestellt wird. Deshalb schlug die Arbeitsgruppe vor, neue Kriterien fiir die Anordnung des Suspensiveffekts einruftihren und damit auch mit der sehr restriktiven Tradition der bisherigen Rechtsprechung zu brechen 167 • Im Wesentlichen wurden die Vorschläge der Arbeitsgruppe durch den Gesetzgeber übernommen.

c) Meinungen in der Literatur für einen Suspensiveffekt Die bisherige restriktive Haltung des Conseil d'Etat erfuhr in der Literatur Kritik. Diese bezog sich zunächst primär auf die fehlende Systematisierung,

163 Laubadere/Venezia/Gaudemet, Bd. I S. 428 Anm. 643. Die Verfechter letzterer Ansicht möchten die Anwendung nicht nur auf den Conseil d'Etat beschränkt wissen, sondern auch auf die unterinstanzliehen Gerichte. 164Fouletier, RFDA 2000, 963, S. 966 f. 165Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941,945. 166Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941,945 f. 167Rapport du groupe de travail du Conseil d 'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000,941,946.

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aber auch auf einzelne Entscheidungen des Conseil d'Etat 168 • In der Literatur wurde insbesondere kritisiert, dass das - frühere - System von der Voraussetzung einer schnell entscheidenden Gerichtsbarkeit ausgehe. In Wirklichkeit sei jedoch eine gewisse Trägheit feststellbar 169• In Anbetracht dieser Voraussetzung sei die einzige Lösung die Umkehrung des Regelwerkes 170 • Die befiirchtete Lähmung der Exekutive werde durch entsprechende Ausnahmeregelungen vermieden171 • Diese Meinung hat sich auch in der Reform von 2001 nicht durchgesetzt, zumal deren moderate neuen Ansätze bereits als "Revolution" und "Umbruch" bezeichnet wurden 172 . 2. Ausnahmeregelungen

Der Gesetzestext, der die aufschiebende Wirkung der Einlegung eines Rechtsbehelfs ausschließt, weist sogleich auf zwei Ausnahmekategorien hin: Sonderregelungen 173 sehen die aufschiebende Wirkung vor (111.2.a)). Die aufschiebende Wirkung erfolgt aufgrundeiner Anordnung (111.2.b)}.

168Kritisiert wurde, dass der Conseil d'Etat entgegen dem Wortlaut des - früheren Art. R. 96 al. 2 C.T.A. - C.A.A. auch dann noch Raum fiir eine richterliche Ermessensentscheidung sah, wenn die (beiden) Tatbestandsvoraussetzungen fiir die Anordnung des sursis vorlagen (C.E. vom 13.2.1976, Association de sauvegarde du quartier NotreDame c/. Departement des Yvelines, abgedruckt in: AJDA 1976, 326); Porcell, AJDA 1984, 149, 150; Skouris, Die Verwaltung 1981, 35, 42 und 45 f. Die Entscheidung Ferrandiz Gil Ortega (CE. Ass., 23 juillet 1974) erfuhr ebenfalls starke Kritik: Inhaltlich waren Fragen der Einreise und der Aufenthalt von Ausländern auf franzt?sischem Boden zu klären. Hervorgerufen wurde die Kritik dadurch, dass der Conseil d'Etat auch dann seine Zuständigkeit als gegeben ansah, wenn das Allgemeinwohl (ordre public) von Interesse ist, obgleich die Hauptsacheentscheidung vor den tribunaux administratifs verhandelt wurde und zu entscheiden war. Diese Entscheidung fiihrte neun Jahre später zur Aufhebung jeglicher Beschränkungen der unteren Verwaltungsgerichte soweit der ordre public betroffen war. 169Vgl. hierzu näher Gleizal, AJDA 1975,381,383 und 387 f.; Auby/Drago, Bd. 2 S. 33 Anm. 943; Woehrling, NVwZ 1985, 21, 25 f. Siehe auch Fouletier, RFDA 2000, 963, s. 963. 170Auby/Drago, Bd. 2. S. 33 f. Anm. 943; Gleizal, AJDA 1975,381,383. 171 Chapus, Bd. I S. 554 Nr. 879; vgl. Gleizal, AJDA 1975,381,383 f.; Peiser, S. 82, der darauf hinweist, dass dieses System trotz der gesetzlichen Ausnahmeregelungen und der gerichtlichen Korrekturmöglichkeiten - nicht näher spezifizierte - Nachteile beinhalte. 172 Fouletier, RFDA 2000, 963 , S. 966, 971: Hier wird er refere liberte als Revolution bezeichnet; Braibant/Stirn, S. 540: " ... cette reforme est un veritable bouleversement". 173Art. 48 de l'ordonnance n° 45-1708 du 31 juillet 1945: "saufdispositions legislatives speciale ... ".

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a) Gesetzliche Sonderregelungen Zunächst ist auf die gesetzliche Ausnahmeregelung einzugehen, bei der wiederum zwei Unterfalle zu unterscheiden sind. Zum einen erfolgt der refere suspension automatisch mit der Einlegung des Rechtsmittels, zum anderen ist der Richter bzw. das Gericht im Fall der Antragstellung gehalten die aufschiebende Wirkung - zumeist innerhalb einer vorgegebenen Frist - anzuordnen. In der französischen Literatur wurden beide Unterfalle bisher als sursis automatique bezeichnet 174 • Die Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Gesetzesreform hatte vorgeschlagen den Begriff sursis a execution nicht mehr zu verwenden und stattdessen durch den Begriff refere suspension zu ersetzt, insbesondere um damit auch den Bruch mit der bisherigen Anwendungspraxis zu dokumentieren. Der Gesetzgeber folgte diesem Vorschlag und hat u.a. die verwendete Terminologie in den Spezialregelungen aktualisiert 175 • aa) Der gesetzliche ,,sursis automatique "/., suspension automatique" Die gesetzlichen Regelungen, welche die aufschiebende Wirkung mit der Einlegung des Rechtsmittels verbinden, sind rar gesät 176 • Als prominentestes wenngleich nicht aktuellstes Beispiel ist der automatische Suspensiveffekt bei Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen- vollstreckbare - Kostenbescheide (etats executoires) 177 aus dem vorletzten Jahrhundert. Der französische Staat verzichtete nach dieser gesetzlichen Regelung hier generell auf die Vollstreckung von Kostenbescheiden 178, soweit der Zahlungspflichtige eine Sicherheitsleistung erbringt. Als weitere Beispiele, die diesen automatische Suspensiveffekt - mit in die gesetzliche Regelung aufgenommen haben bzw. hatten, können folgende genannt werden. Für behördliche Entscheidungen gegenüber Unternehmen, die statt den Sonntagen einen anderen arbeitsfreien Tag wählen und festlegen, wurde im Code du Travail festgelegt: ,,Les recours pour exces de pouvoir presentes devant /es tribunaux administratifs ... ont un effect suspensi/ 79 " . Im

114Langavant/Rouault,

S. 156; Porcell, AJDA 1984, 149. du groupe de travail du Conseil d 'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 946 und 984 ff. 176Gaudemet, AJDA 1982,629,631. 177Art. 4 de 1a 1oi du decembre 1898; Gaudemet, AJDA 1982, 629, 631 ; Studie der Kommission, S. 42. 178Art. 88 du decret du 29 decembre 1962. 179Art. L. 221-8 du Code du Travail. 175Rapport

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Falle eines Zusammenschlusses von Gebietskörperschaften wurde vorgesehen, dass nach dem Code des Communes 180 den Wählern das Recht zukommt, den Ablauf des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht anzufechten. Hierbei wurde gesetzlich vorgesehen: "!es recours ... ont un effect suspensif". Auch im Bereich der Familien- und Sozialhilfe wurde die automatische aufschiebende Wirkung mit der Einlegung des Rechtsbehelfs durch das Gesetz verbunden, allerdings beschränkt auf diejenigen Rechtsbehelfe gegen Verwaltungsentscheidungen, die sich auf "gesperrte" 181 Einkommensteile bezogen182. Legte der Eigentümer eines denkmalgeschützten Gebäudes gegen einen Verwaltungsakt, der ihm eine bestimmte Veränderung an seinem Gebäude vorschreibt, ein Rechtsmittel ein, so wurde mit diesem eine aufschiebende Wirkung verbunden183. Die Entziehungen der Genehmigung zum Betreiben einer Genossenschaft184, einer Versicherungsgesellschaft oder einer societe de capitalisation 185 wurde im Falle der Anfechtung ebenfalls dem automatischen Suspensiveffekt unterworfen. Ebenso die Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen, die die Entschädigung gegenüber Rückkehrern aus den überseeischen Gebieten regeln 186. Eine ähnliche Regelung findet sich in einem Gesetz von 1871, das bei einigen Verwaltungsentscheidungen hinsichtlich Veranschlagungen im Katasterwesen 187 eine automatische aufschiebende Wirkung vorsieht. bb) Zwischenergebnis Unbekannt ist der automatische Eintritt des Suspensiveffekts im Falle der Einlegung eines Rechtsbehelfs in den französischen Verwaltungsgesetzen demzufolge keineswegs. Die vorhandenen gesetzlichen Regelungen müssen jedoch 180Art. L. 112-3 du Code des Communes. 181 Nach deutschem Verständnis handelt es sich um verstrickte Einkommensteile i.S. des § 803 ZPO. 182Art. 132 du Code de Ia Familie et de !'Aide sociale; art. 75 du decret du 2 septerobre 1954, in der Fassung des decret du 16 septerobre 1971 (J.O. 1971, p. 9335, 9338): "Les recours ne sont suspensifs que lorsqu' ils sont diriges contre une decision relative au pecule". 183Art. 9-1 de Ia loi du 31 decembre 1913, ergänzt durch loi du 30 decembre 1966 (abgedruckt im Code administratif): Monuments historiques et sites: "L'arrete de mise en demeure est notifie au propric~taire ... !es recours au tribunal administratif est suspensif'. 184Art. 27 du Code de Ia Mutualite. 185Art. 8 du decret-loi du 14 juin 1938; Studie der Kommission, S. 42 FN 4. 186Art. 64 al. 2 de Ia loi du 15 juillet 1970 des droits a indernnisation des rapatries d'outre-mer (J.O 1970, p. 6651, 6656): "Les recours devant les commissions ... et devant Je Conseil d'Etat contre 1es decisions fixant !es droits a indemnisation ont un caractere suspensif'. 187Art. 88 de Ia loi du 10 aoi'it 1871.

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als Einzelfalle bezeichnet werden. Einige der Gesetze, in denen sie sich wiederfinden, dürften in der praktischen Relevanz auch eher eine untergeordnete Rolle spielen. Eine gewisse Tendenz könnte jedoch zu erkennen sein: Bei der Gewährung bzw. Einziehung von Geldmitteln ist der automatische Suspensiveffekt in mehreren Gesetzen 1ss vorgesehen. cc) Der gerichtliche "sursis automatique"/"suspension automatique" Der Grundsatz des generellen Verzichts auf den Suspensiveffekt wird auch durch die zweite Kategorie, dem gerichtlichen automatische Suspensiveffekt, durchbrochen: Der Richter bzw. das Gericht ist im Falle der Antragstellung gehalten, den sursis, nunmehr den suspension automatique, anzuordnen. Eine solche Bestimmung findet sich beispielsweise in einem Gesetz aus dem Jahre 1982 189, das im Zuge der Verwaltungsreform 2001 in den Code dejustice administrative aufgenommen wurde 190• Beabsichtigen Vertreter der (Zentral-) Regierung (representants de /'Etat) sich gegen Verwaltungsentscheidungen der Kommunen, Departements oder Regionen zu wenden, so ist es den Staatsvertretern freigestellt, vor dem Verwaltungsgericht zu klagen und mit dieser Klage einen Antrag auf einen suspension zu verbinden. Die gerichtliche Prüfungskompetenz beschränkt sich - per Gesetz - auf die Frage, ob die vorgebrachten Klage- bzw. Antragsgründe die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts rechtfertigen. Weder die Frage nach einem eventuellen Nachteil bzw. Schaden ist vom Gericht zu stellen, noch ist eine gerichtliche Ermessensausübung möglich191. Wird durch den Hoheitsakt die Ausübung der liberte publique oder individuelle verletzt 192, hat sich der Präsident des Verwaltungsgerichts- oder der beauftragte Einzelrichter - irmerhalb von 48 Stunden zum Antrag auf Erlass des suspension zu äußern. Liegen die Voraussetzungen vor, ist der Suspensiveffekt

ISSNach Gaudemet, AJDA 1982, 629, 631 ist lediglich die Regelung zu den "etats executoires" eine wirklich wichtige Ausnahme zum Prinzip der fehlenden aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen. 189Loi du mars 1982, art. 3, 46, 69, geändert durch loi du 23 juillet 1982. Loi n° 82213 (J.O. 1982, 730 et suiv.), vgl. näher Melleray, RFDA 1987, 201 ff.; Langavant/Rouault, S. 153; Auby/Drago, Teil 1 S. 39 f. Anm. 955. 190Annex A in: Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 985: Chapitre IV Les regimes specieux de SUSpension, Section I "Ia suspension sur defere", Art. 554- I, Art. L. 2131-6. 191 Etien, RDP 1988,743,752 FN 67. 192Art. 3 (al. 4), Art. 46 (al. 4), Art. 69 (al. 4) du loi du mars 1982 (J.O. 1982, p. 730); Gabolde, S. 205 f. Anm. 517; ausführlich Etien, RDP 1988, 743 ff.; Porcell, AJDA 1984, 149; a.A. Chapus, Droit administratif generat Bd. 1 S. 555 Anm. 880, der eine Voraussetzung - nämlich die Rechtswidrigkeit - für die Anordnung des sursis als ausreichend betrachtet.

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anzuordnen 193 • Vor dieser Gesetzesänderung von 1982 194 konnten die representants de /'Etat die Hoheitsakte der dezentralen Verwaltungseinheiten selbst aufheben. Die "erleichterte" Erlangung des suspension wird als Kompensation filr den Verlust dieser Machtposition angesehen. Konsequenterweise hat der "Privatmann" zwar auch die Möglichkeit einen suspension zu beantragen, ihm gegenüber gilt die Privilegierung nicht, d.h. ihm bleibt der Weg über den Antrag eines "normalen" suspension (s. unten III.2.b)cc) Gerichtliche Anordnung des Suspensiveffekts). Diese Regelung ist ebenfalls unter Bezugnahme auf die o.a. Bestimmungen vorgesehen, soweit Gebietskörperschaften 195 gegen eine Baugenehmigung gerichtlich vorgehen und dies mit einem Antrag auf einen Suspensiveffekt verbinden 196• Als weiteres Beispiel ist das Gesetz aus dem Jahre 1976 zum Schutz der Natur anzufiihren, das nunmehr auch in den Kodex aufgenommen worden ist 197 • Danach sind Anträge auf Genehmigung von umweltgeflihrdenden Bauvorhaben und Anlagen auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung zu stützen 198• Im Falle des Fehlens bzw. der Nichtvorlage 199 eines solchen Gutachtens ist das angerufene Gericht gehalten, dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Genehmigung stattzugeben200• Eine ähnliche Ausnahmeregelung fmdet sich in einem 193Etien, RpP 1988,743,747 f. und 751; Annex A in: Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941,944 und 985 f.: Chapitre IV, Les n!gimes specieux de suspension, Section 1, Ia suspension sur defere, Art. 554- 3, Art. L. 2131-6. 194Etien, RDP 1988, 743 f. 195Handelt es sich bei den Klägern um keine Gebietskörperschaft, sieht das Gesetz fiir die richterliche Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz eine verlängerte Frist von einem Monat vor (L. 421-9 al. 2 Code urbanisme (L. n° 83-663 du 22 juillet 1983)). 196L. 421-9 al. 1 Code urbanisme (L. n° 83-8 du 7 janvier 1983). 197Annex A in: Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 986 f.: Section 2: "La suspension en matiere .... de I' environment". 198Art. 2 (al 11) loi du 10 juillet 1976 Relative a Ia protection de Ia nature, vgl. Porcell, AJDA 1984, 149; Gerstner, S. 62; Gabolde, S. 197 Anm. 489; Chapus, Droit administratif generat Bd. 1 S. 555 Anm. 880; Auby!Drago, Teil I S. 39 Anm. 954. Siehe auch Rapport du groupe de travail du Conseil d 'Etat sur /es procedures d 'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 943 f. 199Festgestellt wird das Fehlen innerhalb eines Verfahrens der procedure d'urgence. Der fehlenden Vorlage ist die "vorgetäuschte" gleichgestellt, vgl. Langavant/Rouault, S. 156 mit Nachweis der Rechtsprechung. 200Art. 2 loi du 10 juillet 1976 Relative a Ia protection de Ja nature: ... Ia juridiction saisie fait droit a Ia demande de sursis a execution de Ia decision attaquee des que cette absence est contastee selon une procedure d'urgence. Gerstner, S. 62 spricht von der Verpflichtung des Gerichts dem Antrag stattzugeben. Nach der Aufnahme in den Kodex, s. Annex A in: Rapport du groupe de travail du Conseil d 'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 986 f. : Section 2: "La suspension en matiere .... de l'environment": Article L. 554-12, Art. 2.

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Gesetz aus dem Jahr 1983 201 , das eine Verstärkung der Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht. Hiernach ist zum einen die Beteiligung der Öffentlichkeit zwingend vorgesehen, wenn die Genehmigung von öffentlichen oder privaten Arbeiten erfolgen soll, die umweltbeeinträchtigend wirken könnten. Eine Ermessensausübung durch das Gericht ist hier ebenfalls nicht gestattet. dd) Zwischenergebnis Das französische Recht kennt den Suspensiveffekt, der - aufgrund einer Norm- automatisch mit der Einlegung eines Rechtsbehelfs bei Gericht verbunden ist. Ebenso ist die Rechtsfigur der gerichtlichen Anordnung einer aufschiebenden Wirkung durch eine gebundene Entscheidung, d.h. ohne Ermessensausübung-, soweit die normierten einzelnen Voraussetzungen durch das Gericht bejaht werden, bekannt. b) Anordnung des Suspensiveffekts und das Ruhenlassen des Verfahrens

aa) Behördliche Anordnung des Suspensiveffekts und das Ruhenlassen des Verfahrens Das behördliche Vorverfahren ist im französischen Recht (wie oben dargestellt) nicht der Regelfall, es ist aber auch nicht unbekannt. Die Ausnahme eines zwingend vorgeschriebenen behördlichen Vorverfahrens wird u.a. an prominenter Stelle praktiziert. So hat der Steuerpflichtige - bevor er den Gerichtsweg einschlägt - eine reclamation vor der Finanzbehörde, dem directeur des services fiscaux 202, zu erheben. Mit dieser kann gegen die rechtliche Grundlage sowie die Höhe des Steuerbescheides gestritten werden. Der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung - einem sursis/suspension administratif - kann mit 201 Art. 6 loi du 12 juillet 1983 Relative a Ia democratisation des enquetes publiques et a Ia protection de l'environnement. Vgl. Chapus, Droit administratif general Bd. I S. 555 Anm. 880; Gerstner, S. 62 f.; Porcell, AJDA 1984, 149 f. Nach der Aufnahme in den Kodex: s. Annex A in: Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d 'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 986 f.: Section 2: "La suspension en matiere ... de l'environment", Art. 554-12- Art. 6. 202Art. L. 277 Livre du Procedure Fiscal; Langavant!Rouault, S. 269; Gabold, S. 206 ff. Anm. S19; zur Entwicklung der aufschiebenden Wirkung im Steuerbereich Dibout, AJDA 1984, 580 ff.; s. auch Lefevre!Pöllath/Rädler, RN 687. Nach der Verwaltungsreform ist dieser einstweilige Rechtsschutz in den Kodex aufgenommen worden "n!fere en matü~re fiscale", verweist aber auch weiterhin auf die speziellen Normen des Steuerverfahrens, s. Annex A in: Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 985: Chapitre II refere en matiere fiscale, Art. L. 552-1, Article 279 und 277.

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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der Beschwerde verbunden werden, soweit eine ausreichende Sicherheitsleistung angeboten wird. Früher hatte der Steuerpflichtige - falls die entsprechenden Voraussetzungen erfullt waren - ein Recht auf die Aussetzung der Vollstreckung der Steuerschuld. Durch eine Gesetzesänderung im Jahre 1981 203 wurde den Finanzbehörden der Ermessensspielraum eingeräumt, den sursis administratif zu gewähren. Der Conseil d'Etat eröffuete dem Steuerschuldner zusätzlich die Möglichkeit eine - gerichtlichen - Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu beantragen. Der Conseil d'Etat argumentiert, dass das Gesetz diesen Weg zwar nicht ausdrücklich vorsieht, es verbiete diesen jedoch auch nicht ausdrücklich204 • Insoweit könne der Steuerschuldner dieses Recht in Anspruch nehrnen205 . Ein weiteres prominentes Beispiel ist ergänzend zur Darstellung beim automatischen Suspensiveffekt zu nennen: Traditionell206 kam den Präfekten207 - als den unmittelbaren Vertretern der (Zentral-) Regierung - im Departement und der region208 - eine Sonderstellung zu. Beide Gebietskörperschaften bzw. Verwaltungseinheiten konnten generell ihre Entscheidungen sofort vollziehen, sobald sie -je nach Art und Inhalt - verkündet oder zugestellt und dem Präfekten vorgelegr09 worden waren. Hatte der Präfekf 10 rechtliche Bedenken, so konnte er u.U. nach Gewährung der Möglichkeit der Nachbesserung durch die zuständige Verwaltungsbehörde Klage erheben211 . Die Klageerhebung verhinderte den Vollzug der angefochtenen Maßnahme nicht, in der Praxis unterblieb jedoch re-

du 3 1 decembre 1981, J.0. 1981 ; Art. L. 277 bis 280 C. T.A. 10 fevrier 1984, Ministre du Budget c/Masse, Rec. S. 209; Langavant/Rouault S. 269 mit Nachweis der Rechtsprechung; Gabolde, S. 206 ff. Anm. 519 ff. 205Annex A in: Rapport du groupe de travail du Conseil d'Etat sur /es procedures d'urgence, in: R.F.D.A. 2000, 941, 985, Article L. 279 zur heutigen Gesetzeslage. 206Vgl. zur veränderten Stellung der Prefects durch das Gesetz von 1982: Müller, NVwZ 1989,623 ff.; Müller-Brandeck-Bocquet, Die Verwaltung 1990,49 ff. 207Zeitweise trugen die Präfekten den Zusatztitel Commissaire de Ia Republique, dieser wurde jedoch 1988 durch Chirac wieder gestrichen. Vgl. näher Müller, NVwZ 1989, 623, 627; ders., DRiZ 1983, 210,213. 208 Diese beiden Gebietskörperschaften haben den Status einer Selbstverwaltungskörperschaft. Kritisch Müller-Brandeck-Bocquet, Die Verwaltung 1990,49 ff., 62 ff. 209Akte der laufenden Verwaltung, Schriftwechsel, innerbehördliche Angelegenheiten und öffentlich-rechtliche Verträge sind dem Präfekten nicht vorzulegen, vgl. Müller, NVwZ 1989,623,628. 210Unbenommen bleibt jedem Betroffenen seinerseits das Verwaltungsgericht anzurufen oder innerhalb von zwei Monaten den Präfekten um Klageerhebung zu bitten. 211 Vgl. hierzu näher Müller, NVwZ 1989, 623, 627 f. 203 Loi

204C.E.,

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gelmäßig die Vollziehung. Andernfalls blieb dem Präfekten der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vor dem Verwaltungsgericht212 • bb) Zwischenergebnis Das französische System kennt die de facto-Gleichstellung mit einem gerichtlichen angeordneten Suspensiveffekt. In diesem Falllässt die Behörde das Verfahren ruhen. Voraussetzung fiir ein solches Verhalten der Behörde ist allerdings, dass eine Institution mit einer herausgehobenen Stellung (wie die der Präfekten) erhebliche Bedenken gegen eine behördliche Entscheidung durch Klageerhebung zum Ausdruck gebracht haben. cc) Rechtslage vor der Verwaltungsreform von 2001: Gerichtliche Anordnung des Suspensiveffekts (1) Die Kompetenz zur gerichtlichen Anordnung und deren geschichtliche Entwicklung

Der Conseil d'Etat hatte zunächst als einziges Gericht die Befugnis den Vollstreckungsaufschub zu gewähren: " ... s'il n'en est autrement ordonne ... 213". Die früheren erstinstanzliehen Verwaltungsgerichte - die conseils de prefectures - waren nicht befugt, die Aussetzung der Vollziehung von Verwaltungsentscheidungen anzuordnen. Im Zuge der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit wurden die tribunaux administratifs errichtet und diesen im Jahr 1953 214 die Kompetenz einer solchen Anordnung verliehen. Im Gegensatz zum Conseil d'Etat, der diese Kompetenz auch weiterhin uneingeschränkt ausüben konnte, durften die tribunaux administratifs keine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz treffen, soweit diese die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Ruhe (interessant le maintien de /'ordere, Ia securite et Ia tranquillite publique) be-

212Einem solchen Antrag war zu entsprechen, wenn nach der Aktenlage die Rechtswidrigkeit zweifelhaft ist; abweichend vom allgemeinen Recht wird nicht vorausgesetzt, dass durch die Vollziehung ein besonderer Nachteil entsteht, siehe auch oben Abschnitt III.2.a)cc). Auby!Drago, S. 39 mit Gesetzesnachweis; Müller, NVwZ 1989, 623, 628. 213Art. 48 de l'ordonnance n° 45-1708 du 31 juillet 1945 war in Verbindung mit art. 54 al. 4 du decret n° 63-766 du 30 juillet 1963 (mod. decret no 75-291 du 26 aofit 1975, Art. 4, et par decret n° 84-810 du 29 aofit 1984) zu lesen; vgl. De Laubadere/ Venezia/Gaudemet, Bd. 1 S. 429 Anm. 644; Gerstner, S. 61; Studie der Kommission, S. 42; Langavant!Rouault, S. 153. 214Durch decret 53-934 du 30 septerobre 1953 (Art 9). Langavant/Rouault, S. 153; Skouris, Die Verwaltung 1981,35, 37; Schwarze, NVwZ 1996,22,27.

III. Die Systematik der Ausgestaltung des einstweiligen Rechtsschutzes

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trafen215 • Diese Begrenzung ist auf die Diskussion in der Assemblee Nationale zurückzufiihren, in der insbesondere auf die Notwendigkeit der schnellen Durchsetzung von Polizeimaßnahmen hingewiesen und deren Bedeutung herausgestellt wurde216 • Entsprechend entschied die Rechtsprechung, dass Polizeimaßnahmen einer Aussetzung durch die erstinstanzliehen Gerichte nicht zugänglich waren217 . In der Praxis hatte dies zur Folge, dass die tribunaux administratifs einen Erlass zum Zwecke der Ausweisung eines Ausländers, eine Aufenthaltsgenehmigung oder den Entzug eines Führerscheins aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nicht vorläufig aussetzen durften218 . Im Jahre 1969 wurde die Aussetzungskompetenz fiir die tribunaux administratifs ausgeweitet. Eine Einschränkung blieb: Entscheidungen, die den ordre public betrafen, waren weiterhin ausgenommen219• Fünf Jahre später löste der Conseil d'Etat mit der Entscheidung Ferrandiz Gil Ortega 220 eine weitere Reform des einstweiligen Rechtsschutzes aus. Der Kläger, Herr Ferrandiz Gil Ortega, hatte einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die an ihn gerichtete Ausweisungsanordnung gestellt und zwar beim - unzuständigen - Conseil d'Etat. Dieser verwies nicht an das zuständige, mit der Hauptsache befasste tribunal administratif, sondern f