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German Pages 550 Year 2003
CHRISTIAN CASCANTE
Rechtsschutz von Privatrechtssubjekten gegen WTO-widrige Maßnahmen in den USA und in der EG
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Burkhard HeB Kristian Kühl, Hans v. Mangoldt Wernhard Möschel, Martin Nettesheim Wolfgang Graf Vitzthum, Joachim Vogel sämtlich in Tübingen
Band 62
Rechtsschutz von Privatrechtssubjekten gegen WTO-widrige Maßnahmen in den USA und in der EG Eine rechtsvergleichende Untersuchung der Section 301 und der EG-Trade Barriers Regulation sowie der unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts in den Rechtsordnungen der USA und der Europäischen Gemeinschaft
Von Christian Cascante
Duncker & Humblot . Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Jahre 1999 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D21 Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme: K1aus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 3-428-10149-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der EberhardKarls-Universität Tübingen im Sommersemester 1999 als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde das Manuskript überarbeitet und fortgeschrieben. Es befindet sich hinsichtlich der Kernaussagen auf dem Stand Januar 2000. Bis zu diesem Zeitpunkt sind auch Literatur und Rechtsprechung berücksichtigt. Um die wesentlichen Entwicklungen bis Ende 2001 nachzuvollziehen, wurden allerdings vereinzelt weitere Änderungen und Ergänzungen vorgenommen. Meinem Doktorvater und Erstgutachter, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Thomas Oppermann, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken für seine Förderung und Unterstützung. In den Jahren meiner Assistententätigkeit an seinem Lehrstuhl habe ich, jenseits seiner akademischen Verdienste, sein Engagement als überzeugter Europäer ebenso bewundert wie seine menschliche, korrekte und stets freundliche Art. Auch Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Graf Vitzthum und Professor Dr. Heinz-Dieter Assmann möchte ich dafür danken, dass Sie mich unterstützt und gefördert haben. Letzterem gebührt zudem Dank für die rasche Erstellung des detaillierten Zweitgutachtens. Teile der vorliegenden Arbeit sind während eines LL.M. Studiums an der University of Chicago Law School entstanden. Mein Dank gebührt insoweit Professor Alan O. Sykes und Professor David P. Currie für intellektuelle sowie dem DAAD und der Rotary Foundation für finanzielle und organisatorische Unterstützung. Nach meiner Rückkehr aus Chicago hat der "Arbeitskreis Wirtschaft und Recht" des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft die Erstellung dieser Dissertation durch ein großzügiges Promotionsstipendium gefördert. Auch dafür schulde ich Dank. Schließlich möchte ich noch meinen Freunden Christine Jacoby und Alexander Schaal dafür danken, dass sie die Mühe auf sich genommen haben, meine zahlreichen Tippfehler aufzuspüren. Am Ende einer langen Liste von Danksagungen stehen die, denen ganz besonderer Dank gebührt. Dies gilt für meine Eltern, die bedingungslos alles für ihre Kinder getan und immer an uns geglaubt haben. Und es gilt genauso für meine Frau Inge, die mich stets liebevoll und geduldig unter-
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Vorwort
stützt hat - auch wenn sie ihre eigene Promotion dafür zurückstellen musste. Meinen Kindern Isabel und Constantin sei gedankt, weil sie ihrem Vater immer wieder vor Augen geführt haben, dass es Wichtigeres gibt als eine juristische Dissertation. In der Zeit, in der diese Arbeit entstand, verstarben innerhalb eines Jahres zwei meiner besten Freunde, Christian Höppner und Martin Quenzel. Seitdem vermisse ich ihren Scharfsinn, ihre konstruktive Kritik und ihren Humor. Ihnen sei diese Dissertation gewidmet. Christian Cascante
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung.......................................................... 21 B. Ein Überblick über das GATT/WTO-Recht.......................... I. Die Rechtsordnung des GAIT 1947. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. Die Welthandelsorganisation (WTO) und das GAIT 1994 .. . ... ...... III. Individualklagerechte im Rahmen des WTO-Abkommens. . . . . . . . . . . ..
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG ........... I. Einführung....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 11. USA: Section 301 des Trade Act von 1974 . . ... . .. ... ... .... .... . .. 1. Einführung................................................... 2. Zweck und Geschichte der Section 301 ... . .. . .. .. . . .. . ... . .. .. .. 3. Die verschiedenen Tatbestandsvarianten der Section 301. . . . . . . . . .. a) Anwendungsbereich der Section 301 ......................... b) Mandatory Action - zwingendes Tätigwerden des USTR gemäß Section 301 Absatz (a) ..................................... aa) Überblick............................................. bb) Alternative 1: "Den Vereinigten Staaten [wird] die Ausübung von Rechten verwehrt ... , die sich aus irgendeinem Handelsabkommen ergeben.". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. cc) Alternative 2: ,,[E]in einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes [verstößt] gegen Bestimmungen eines Handelsabkommens oder [ist] mit diesen unvereinbar." ................................................. dd) Alternative 3: ,,Ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes [ist] zwar nicht unvereinbar mit den Bestimmungen eines Abkommens ... , enthält den Vereinigten Staaten aber Vorteile vor ... , die sich aus diesem Abkommen ergeben." .................................. ee) Alternative 4: "Ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes [ist] nicht zu rechtfertigen ... und führt zu einer Belastung oder Einschränkung des Handels der USA." . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. fi) Ausnahmetatbestand ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Discretionary Action - Tätigwerden im Ermessen des USTR gemäß Section 301 Absatz (b).... . . .. . . .. . .. ... .. . . .. . . .. .. . .. d) "SPECIAL 301" ........................................... e) "SUPER 301" ............................................. 4. Verfahren.................................................... a) Überblick..................................................
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Inhaltsverzeichnis b) Verfahrenseinleitung und -verlauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5. Rechtsschutz................................................. 6. Seetion 301 nach der Uruguay Runde. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. .. III. Die EG-Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren . . . . . . . . . . .. 1. Einführung................................................... 2. Das Neue Handelspolitische Instrument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Die Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren ("Trade Barriers Regulation" - TBR) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Einführung................................................ b) Tatbestandsalternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. aa) Übersicht............................................. (1) Natürliche Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Unternehmen...................................... (3) Juristische Personen oder Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (4) Mitgliedstaaten.................................... bb) Im Einzelnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) "Handelshemmnisse" - Allgemeine Tatbestandsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Anträge im Namen eines Wirtschaftszweigs der Gemeinschaft (Weg "A"). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (4) Anträge im Namen von Unternehmen der Gemeinschaft (Weg "e") ........................................ (5) Anträge von Mitgliedstaaten (Weg "B") .............. c) Verfahren ................................................. d) Rechtsschutz .............................................. e) Erste Erfahrungen und Fazit. ................................ IV. Vergleich der Section 301 mit der TBR ............................. 1. Einführung ................................................... 2. Anwendungsbereich ........................................... 3. Die Tatbestände .............................................. a) Einführung ................................................ b) Verstöße gegen WTO-Recht. ................................ aa) Die Tatbestandsalternativen ............................. bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Abhängigkeit der Tatbestandsvoraussetzungen vom Antragssteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Schädigungserfordernis ............................. c) Verstoß gegen sonstiges Völkerrecht, insbesondere völkerrechtliche Verträge, sogenanntes "Soft Law" und Gewohnheitsrecht. .. d) Das Vorgehen gegen Nichtvertragsparteien wegen Verstößen gegen WTO-Recht oder anderes Völkervertragsrecht ............. e) Vorgehen trotz Rechtmäßigkeit der Handelspraktiken . . . . . . . . . ..
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Inhaltsverzeichnis t) "Ausländische Handelspraktiken" - Nur Maßnahmen des Staates oder auch von Privatunternehmen? ........................... 4. Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Antragsberechtigter Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konsultationen ............................................. c) Einleitung des Untersuchungsverfahrens ...................... d) Internationales Konsultations- und Streitbeilegungsverfahren .... e) Vergeltung ................................................ aa) Rechtmäßigkeit der Vergeltungsmaßnahme? .............. bb) Ermessensentscheidung oder Verpflichtung, Maßnahmen zu ergreifen? ............................................ cc) Glaubwürdigkeit der Vergeltung ......................... 5. Rechtsschutzverfahren (Judicial Review) ......................... 6. Zusammenfassung und Bewertung ..............................
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D. Unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts in den USA und der EG ..... 154 I. Der Begriff der unmittelbaren Wirkung ............................. H. Argumente für und wider die unmittelbare Wirkung .................. 1. Erwägungen zu Gunsten der unmittelbaren Wirkung .............. a) Besserer Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Rechtssicherheit ........................................... c) Effektivität und Durchsetzung der Bestimmungen .............. d) Unmittelbare Wirkung koppelt die Vertragserfüllung vom politischen Willen auf Regierungsebene ab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. e) Akzeptanz ................................................. t) Vorteile bei der Umsetzung und internen Anwendung des Völkerrechts .................................................. 2. Erwägungen gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit. . . . . . . . . . . . .. a) Innere Souveränität. ........................................ b) Äußere Souveränität. ....................................... c) Demokratiedefizit .......................................... d) Durchbrechung der Gewaltenteilung .......................... e) Misstrauen gegen Individualklagerechte ....................... t) Reziprozität als politisches Argument. ........................ 3. Fazit ........................................................ III. Unmittelbare Durchsetzung von WTO-Recht in den USA ............. 1. Völkerrechtliche Verträge im U.S.-amerikanischen Recht ........... a) Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge nach U.S.-amerikanischem Recht ..................................... . . . . . . . .. b) Die Wirkung völkerrechtlicher Verträge im nationalen Recht. . .. c) Die U.S.-amerikanische Doktrin der "self-executing treaty provisions" .................................................... d) Der Begriff "self-executing" im weiteren Verlauf der Untersuchung .....................................................
154 158 158 158 159 159 160 160 161 161 161 163 164 165 165 166 168 168 169 169 173 175 180
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Inhaltsverzeichnis 2. Der Abschluss des WTO-Abkommens und die implementierende Gesetzgebung ................................................. a) Die Streitpunkte in der inneramerikanischen Debatte ........... b) Fast Track ................................................ c) Das Verfahren beim Abschluss des WTO-Abkommens ......... 3. Die unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts ...................... a) Die unmittelbare Wirkung des GATT 1947 ................... aa) Das Kemabkommen ................................... bb) Die Seitenabkommen der Tokyo-Runde .................. (1) Im Konfliktfall geht das Recht der Vereinigten Staaten vor ............................................... (2) Keine Rechtsbehelfe für Einzelne, soweit nicht ausdrücklich vorgesehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Die unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts im U.S.-Recht ..... 4. Rang des WTO-Rechts in der U.S.-amerikanischen Rechtsordnung .. 5. Können sich Privatrechtssubjekte mittelbar auf eine Verpflichtung der U.S.-Organe, dem WTO-Recht gemäß zu handeln, berufen? .... a) Die Ebene der Bundesstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Organe auf Bundesebene .................................... aa) Legislative............................................ bb) Judikative ............................................. cc) Exekutive ............................................. 6. Verbindlichkeit von Entscheidungen der WTO-Streitbeilegungsgremien ........................................................ 7. Fazit: Die Durchsetzung des WTO-Rechts durch Privatrechtssubjekte in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unmittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in der EG .............. 1. Die EG als Vertragspartei der WTO-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die EG als Vertragspartei des GATT 1947 .................... b) Die Uruguay Runde und die Stellung der EG als Vertragspartei der WTO-Abkommen ...................................... aa) Vertragsfähigkeit der EG .............................. . bb) Das WTO-Abkommen: Zuständigkeit der EG oder der Mitgliedstaaten? .......................................... (1) Umfang der aus Art. 133 EGV (= Art. 113 alt EGV) abzuleitenden Kompetenzen ......................... (2) Implizite Kompetenzen ............................. cc) Konsequenzen des Vertragsabschlusses und der innergemeinschaftlichen Kompetenzverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auswirkungen der geteilten Zuständigkeit auf die völkerrechtliche Verbindlichkeit des WTO-Abkommens für die Gemeinschaft ......................................... 2. Das WTO-Recht als integraler Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung ......................................................
181 181 183 185 186 187 187 192 193 193 194 197 199 199 199 199 200 201 202 203 204 206 206 208 209 211 214 216 217 218 220
Inhaltsverzeichnis a) Einleitung ................................................. b) Das GATI 1947 ........................................... c) Das WTO-Abkommen ...................................... aa) GATI 1994 ........................................... bb) GATS und TRIPS als Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wer entscheidet über die Wirkung des WTO-Rechts in der Gemeinschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Judikative oder Legislative? ................................. b) Gerichte in den Mitgliedstaaten oder der EuGH? . . . . . . . . . . . . . . aa) GATI 1994 ........................................... bb) GATS und TRIPS ..................................... c) Fazit ..................................................... 4. Die unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts; das Recht Einzelner, sich vor Gericht auf ~ine Verletzung von WTO-Recht zu berufen. . . a) Die Rechtsprechung des EuGH zum GATI 1947 .............. aa) International Fruit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die GATI-Rechtsprechung des EuGH: Mehr als International Fruit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die einzelnen Argumente in Rechtsprechung und Lehre für und wider eine unmittelbare Wirkung des GATI-Rechts ............ aa) Gelten unterschiedliche Voraussetzungen für die unmittelbare Wirkung bei Normen völkerrechtlicher Verträge und bei Gemeinschaftsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die strukturellen Defizite des GATI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) GATI-Bestimmungen nicht flexibler als Vorschriften des EGV .......................................... (2) Strukturelle Defizite - Der Wortlaut. ................. (3) Strukturelle Defizite - Ausnahmebestimmungen (Waiver) .............................................. (4) Strukturelle Defizite - Schutzmaßnahmen (Safeguards). (a) Das GATI 1947 ............................... (b) Ist Existenz und Ausgestaltung von Schutzmaßnahmen unbeachtlich für die unmittelbare Wirkung? Die Kupferberg Entscheidung des EuGH .......... (c) Schutzmaßnahmen im GATI 1994 ............... (5) Strukturelle Defizite - Das Streitbeilegungsverfahren ... (a) Das Streitbeilegungsverfahren beim GATI 1947 ... (b) Die Stärkung des Streitbeilegungsverfahrens mit Inkrafttreten der WTO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Die Achillesferse des Streitbeilegungsverfahrens Der Durchsetzungsmechanismus ... . . . . . . . . . . . . . . (d) Bewährungsproben für das Streitbeilegungsverfahren: Cuba und Bananen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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221 221 222 222 223 227 227 231 233 233 241 242 242 242 244 252 253 257 257 258 259 260 261 261 263 264 265 266 266 269
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Inhaltsverzeichnis
5.
6.
7. 8. 9.
(e) (Noch) Kein Gerichtsverfahren, aber ein Garant für effektive Streitbeilegung ........................ cc) Der Wille der Vertragsparteien des WTO-Abkornmens ..... dd) Das Reziprozitätsargument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einführung ........................................ (2) Ist das Reziprozitätsargument im WTO-Recht verankert? ............................................. (3) Reziprozität und der EuGH ......................... (4) Ergebnis: Das Reziprozitätsargument. ................ ee) Sichert der EuGH die politische Handlungsfähigkeit der Gemeinschaft oder eröffnet er ihr eine Option zum Vertragsbruch? ............................................... ff) Verbindlichkeit der Entscheidungen der WTO-Gremien. . . . . c) Zusammenfassung und Fazit: Die unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung .............. aa) Das GATT 1994 ....................................... bb) Unmittelbare Wirkung des GATS- und des TRIPS-Abkommens ................................................. Möglichkeiten für Privatrechtssubjekte, mittelbar gegen WTO-widrige Rechtsakte der Gemeinschaft vorzugehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einführung................................................ b) Objektive innergemeinschaftliche Verpflichtung von EG-Organen und Mitgliedstaaten, WTO-Recht zu beachten ................. c) Vorabentscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Recht von Mitgliedstaaten, sich vor dem EuGH auf WTORecht zu berufen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das "Bananen"-Urteil des EuGH ........................ bb) "Unmittelbare Wirkung" als Zulässigkeitsvoraussetzung bei Klagen der Mitgliedstaaten? ............................ cc) Das WTO-Recht als Rechtmäßigkeitsmaßstab im Rahmen des Art. 230 EGV (= Art. 173 alt EGV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klagen gegen GATT -widrige Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klagen von Privatrechtssubjekten ............................ b) Vertragsverletzungsverfahren der Kommission ................. Der Rang des WTO-Rechts in der Gemeinschaftsrechtsordnung .... Fazit: Möglichkeiten von Privatrechtssubjekten, gegen GATT/WTOwidrige Maßnahmen vor dem EuGH vorzugehen ................ . Epilog: Die ersten Entscheidungen des EuGH zur unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts ..................... , ............... a) Das Urteil Portugal/Rat ..................................... b) Die Argumentation des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fazit .....................................................
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Inhaltsverzeichnis
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V. Vergleich und Bewertung ......................................... 1. Die EG und die USA in der Uruguay-Runde und als Vertragsparteien des WTO-Abkommens .................................... 2. Die U.S.-Doktrin der self-executing treaties und das gemeinschaftsrechtliche Konzept der unmittelbaren Wirkung .................. . 3. Die unmittelbare Wirkung ...................................... a) Die unmittelbare Wirkung des GATI 1947 ................... b) Die unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts ................... 4. Die Bindung der Staatsorgane an das WTO-Abkommen nach innerstaatlichem Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rang des WTO-Rechts ........................................ 6. Bewertung: Unmittelbare Wirkung in den USA und der EG. . . . . . . .
325 325 328 331 331 331 332 333 334
E. Schlussbewertung ................................................... 338 F. Thesenartige Zusammenfassung ..................................... I. Section 301 und die Trade Barriers Regulation ...................... 11. Unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts in den USA und der EG ...... 111. Fazit .......................................................... .
342 342 345 352
Anlagen ............................................................... 355 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546
Abkürzungsverzeichnis A A2d ABA ABI. Abs. a.E. a.F. affd affd memo AJIL AKP Ala. Ala.Code ALl AL.R.3d Am. Amend. Am.Jur.2d Anm. Ann. App. App.Div. Ariz. Art.lart. Aufl. Bd.
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BGBI. BISD Bus. BVerfG BVerwG
C.
C.A. Cal. C.C.D .... C.c.P.A. cert. C.F.R.
Atlantic Reporter/ Annotated Atlantic Reporter, Second Series American Bar Association Amtsblatt der EG Absatz am Ende alte Fassung affirmed affirmed memorandum American Journal of International Law Afrikanisch/Karibisch/Pazifisch Alabama Alabama Code American Law Institute American Law Reports, Third Series American Amended/ Amedment American Jurisprudence, Second Series Anmerkung Annotated/ Annotation Appelate/Appeal(s) Appellate Division Arizona Artic1e(s) Auflage Band/Bände Bundesfinanzhof Bundesgesetzblatt Basic Documents and Selected Documents Business Bundesverfassungsgericht Bundesverwaltungsgericht Code Court of Appeal(s) California Circuit Court for the District of ... (Bundesstaat) Court of Customs and Patent Appeals certiorari Code of Federal Regulations
Abkürzungsverzeichnis ch. Cir. CIT Civ./civ. Cl./cl. Cl.Ct. CMLRev Co. Columbia J. Transnat'l L. Comm. Conf. Rep. Cong. Cong. Rec. Corp. Ct. Ct.App. D.C. Dep(t). d.h. Diss. Distr. Div. Doc./doc. DS DSB DSU E E.
ebd. EC Ed./ed. EEC EG EGKS EGKSV
EGV EU EuG EuGH EuR EUV EuZW
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chapter Circuit Court of International Trade (gleichzeitig Entscheidungssammlung) Civil Claims I clause Claims CourtIClaims Court Reporter Common Market Law Review Company Columbia Journal of Transnational Law Commission Conference Report Congress Congressional Record Corporation( s) Court Court of Appeals District Court/District of Columbia Department das heißt Dissertation District Division Document(s) Dispute Settlement Dispute Settlement Body (Streitbeilegungsremium) Dispute Settlement Understanding (Vereinbarung über Regeln zur Beilegung von Streitigkeiten) Entscheidung East(ern) ebenda European Community Edition/Editor(s) European Economic Community Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der EG Europäische Union Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europarecht Vertrag zur Gründung der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
16 EWG EWGV EWS F. f. F.2d F.A.Z. F.Cas. Fed. Cir. Fed.Reg. Fed.R.Serv .2d ff. FG Final Fla. Fn. FS F.Supp. GA GATS GATT gern. GG Gov. GS Harv.L.Rev. H.R. H.Rep./H.R.Rep. Hrsg./Hrsgg. i.d.F. i.d.R. i.E. ILM Int./int./Int'1 Int'l Law. ITC ITO ITR i.V.m. J. JA Jur. JUS J.W.T.
lW.T.L.
Abkürzungsverzeichnis Europäische Wirtschaftgemeinschaft Vertrag zur Gründung der EWG Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Federal/Federal Reporter folgende(r)/(s) Federal Reporter, Second Series Frankfurter Allgemeine Zeitung Federal Cases Court of Appeals of rthe Federal Circuit Federal Register Federal Rules Service, Second Series (Callaghan) fortfolgende Finanzgericht Final Determination Florida Fußnote(n) Festschrift Federal Supplement Generalanwalt General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade gemäß Grundgesetz Government Gedächtnisschrift Harvard Law Review House of Representatives House of Representatives Reports Herausgeber in der Fassung in der Regel im Einzelnen International Legal Materials International International Lawyer International Trade Commission International Trade Organization International Trade Reporter in Verbindung mit Journal Juristische Arbeitsblätter Jurisprudence Juristische Schulung Journal of World Trade Journal of World Trade Law
Abkürzungsverzeichnis
17
Kommission (so zitiert in ihren Dokumenten) KOM Law(s) L. Law & Pol'y Int'l Bus. Law and PQlicy in International Business Lawyers Edition Second Series L.Ed.2d. Leg. Legal/Legislation/Legislature Man. Manual Massachusetts Mass. Mat. Materials Michigan Mich. Michigan International Law Journal Mich. Int' lLJ. Minnesota Law Review Minn. L. Rev. Mio. Millionen m.w.N. mit weiteren Nachweisen N.C. North Carolina North Eastern Reporter N.E. N.E.2d North Eastern Reporter, Second Series neue Fassung n.P. NHI Neues Handelspolitisches Instrument Neue Juristische Wochenschrift NJW No(s). Number(s) Nr. Nummer N.W. North Western Reporter N.W.2d North Western Reporter, Second Series NwJ. Int'l L. & Bus. Northwestern Journal of International Law and Business N.Y. New York/New York Reporter New York Reporter, Second Series N.Y.2d Organization for Economic Cooperation and Development OECD opinion(s) Op./op. P. Pacific Reporter(s) Pacific Reporter, Second Series P.2d Pol. Policy IPolitics Prel. Prelirninary Determination Pres. President pub. public Pub.L. Public Law Publication Publ. Q. Quarterly Rules R. Rec. Record(s) Ref.lref. Reference Regulation( s) Reg. Rep. ReporteriReport Rev. Review IRevised RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Rn. Randnummer(n) 2 Cascante
18 Rs. (verb.) Rs. Rspr. Rspr. Slg. RTDE S. s. Sec./sec. Servo Sess. S.E.W. Slg. So.2d sog. S. Rep. Stat. stat. Sup.Ct. Super. Super.Ct. Supp. S.W. S.w.2d t
TAA Tab. TBR T.I.A.S. TRIPS u.a. UNCTAD UNTS U.S. US/U.S. USA USITC U.S.c. U.S.C.A. U.S. Code Cong. & Ad. News U.S.T. USTR u.s.w. V.
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Abkürzungsverzeichnis Rechtssache (verbundene) Rechtssache Rechtsprechung Rechtsprechungssammlung Revue trimestrielle de droit europeen Senate/Seite(n)/Satz siehe Section(s) Service Session Sociaal Economische Wetgeving Sammlung Southern Reporter, Second Series sogenannte Senate Report Statute(s) statutory(ly) Supreme Court/Superior Court Superior Superior Court Supplement South West Reporter South Western Reporter, Second Series Tonnen Trade Agreements Act Tabelle Trade Barriers Regulation Treaties and other international acts series Agreement on Trade Re1ated Intellectual Property Rights und andere/unter anderem United Nations Conference on Trade and Development United Nations Treaty Series United. States United States/United States Reports United States of America United States International Trade Commission United States Code United States Code Annotated United States Code Congressional and Administrative News United States Treaties and other International Agreements Uni ted States Trade Representative und so weiter versus Virginia Verwaltungsgericht
Abkürzungsverzeichnis Vgl./vgl. VO Vol(s). VwGO W. Wash. W.D. WiSt
WTO
WVRK
Yale L.J. ZaöRV z.B. Ziff.
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vergleiche Verordnung Volume(s) Verwaltungsgerichtsordnung West(ern) Washington Western District Wirtschaftswissenschaftliches Studium World Trade Organization Wiener Vertragsrechtskonvention Yale Law Journal Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Ziffer(n)
A. Einleitung Die industrielle Revolution und die technologische Entwicklung in unserem Jahrhundert haben zu einem ständigen Wachstum des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs geführt. Gleichzeitig ist der Welthandel weniger denn je ein Handel zwischen den Staaten. Vielmehr sind es überwiegend private Akteure, die über die nationalen Grenzen hinweg Produkte und Dienstleistungen kaufen und verkaufen. Von staatlicher Seite errichtete Handelshemmnisse haben daher erhebliche Auswirkungen für einzelne Bürger und Unternehmen. Dennoch bestehen nur in eingeschränktem Maße Rechtsschutzmöglichkeiten für die Betroffenen. Zum maßgeblichen Regelwerk für den Welthandel hat sich in den letzten Jahrzehnten das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATTl) aus dem Jahre 1947 entwickelt. Seit seinem Inkrafttreten hat es zu einem unvergleichbaren Abbau der Handelsschranken auf globaler Ebene beigetragen. Die Handelsbeziehungen sind einem Rechtsregime unterworfen worden, das die Beachtung bestimmter Grundprinzipien gewährleisten will. Mit dem GATT verbindet sich der Versuch, das Recht über die Handelsbeziehungen zwischen den Staaten bestimmen zu lassen und nicht die Macht der beteiligten Akteure. Mit Abschluss des WTO-Abkommens 2 wurden die Grundprinzipien des GATT, die bislang nur auf den Handel mit Waren Anwendung fanden, auch auf den Handel mit Dienstleistungen3 und den Schutz des geistigen Eigentums4 ausgeweitet. Das GATT von 1947 ist durch das GATT 1994 abgelöst worden. Das gesamte Regelwerk hat wesentliche Verbesserungen erfahren. Verfahrensrechte für Privatrechtssubjekte wurden allerdings auch 1 General Agreement on Tariffs and Trade. Deutscher Text des GATT 1947 bei: Benedek, Die Welthandelsorganisation (WTO), S. 64 ff.; in englisch bei: Jackson/ Davey/Sykes, 1995 Documents Supplement to Legal Problems of International Economic Relations (3. Auflage), S. 15 ff.; Kunig/Lau/Meng (Hrsg.), International Economic Law (1989), S. 419. 2 Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), in Kraft getreten am 01. Januar 1995; AbI. EG 1994, L 336, S. 3 ff.; Benedek, WTO, S. 45 ff. 3 Im Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, in englisch: General Agreement on Trade in Services (GATS). 4 Im Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums; in englisch: Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS).
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A. Einleitung
im Rahmen dieser grundlegenden Reform des Welthandelsrechts nicht eingeführt. Einzelnen Bürgern und Unternehmen stehen damit immer noch wenig Möglichkeiten zur Verfügung, um gegen WTO-widrige Handelshemmnisse vorzugehen, wenn sie beispielsweise durch Gesetze wie den U.S.amerikanischen Helms-Burtons-Act beeinträchtigt werden oder durch protektionistische Maßnahmen wie die EG-Bananenmarktverordnung wesentliche wirtschaftliche Nachteile erleiden. Prinzipiell stehen sie vor der folgenden Alternative: 1. Entstehen Nachteile durch Handelsbeschränkungen dritter Staaten, können sie versuchen, mittelbar darauf hinzuwirken, dass ein WTO-Streitbeilegungsverfahren eingeleitet wird, in dem die Übereinstimmung der gerügten Maßnahme mit dem WTO-Recht überprüft wird. 2. Erleiden Bürger und Unternehmen durch Handelsbeschränkungen des eigenen Staates Nachteile, können sie sich vor nationalen Gerichten unmittelbar auf die Verletzungen des WTO-Rechts berufen. Die Erfolgsaussichten hängen dann insbesondere davon ab, ob diese Gerichte eine unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts anerkennen. Diese Arbeit untersucht nach einem kurzen Überblick über das GATIWTO-Recht5 zunächst die Verfahren, die im U.S.-amerikanischen und im EG-Recht zur Verfügung stehen, um WTO-Recht mittelbar durchzusetzen. 6 In den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) können Privatrechtssubjekte im Rahmen des sog. Section 301-Verfahrens des U.S.-Trade Act von 1974 darauf hinwirken, dass eine WTO-widrige Handelsbeschränkung beseitigt wird. Die gleiche Möglichkeit ist in der Europäischen Gemeinschaft (EG) in der Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren (Trade Barriers Regulation - im Folgenden TBR) vorgesehen. Diese handelspolitischen Instrumente sollen nach einer getrennten deskriptiven Darstellung vergleichend gegenübergestellt werden. Im Anschluss wird die unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts zunächst in den USA und anschließend in der Europäischen Gemeinschaft erörtert. Es schließt sich ein Vergleich der unmittelbaren Durchsetzungsmöglichkeiten in der EG und den USA an. 7 In einer abschließenden Schlussbewertung werden dann die erörterten Rechtsschutzmöglichkeiten für Privatrechtssubjekte zusammengefasst und versucht, aus den gewonnen Erkenntnissen Vorschläge für die Zukunft anzuleiten. 8 Das gewählte Thema provoziert grundsätzliche, vorrangige oder auch weiterführende Fragen, die ihrerseits jeweils genügend Stoff für eine wis5 6 7
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Unten Teil B. Unten Teil C. Alles unten Teil D. Unten Teil E.
A. Einleitung
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senschaftliche Arbeit bieten würden. Es war daher unumgänglich, sich auf die vertiefte Untersuchung bestimmter Aspekte und Fragestellungen zu beschränken. So wird zum Beispiel die grundsätzliche Frage des Verhältnisses von Völkerrecht und Landesrecht zwar angesprochen, die Diskussion um das Für und Wider monistischer und dualistischer Ansätze jedoch weder nachvollzogen noch entschieden werden. Im zweiten Hauptteil, bei der Untersuchung der unmittelbaren Wirkung, bemüht sich die Arbeit um eine praxisorientierte Sichtweise in dem Sinne, dass sie nicht in erster Linie das dogmatisch und konzeptionell wünschenswerte Ergebnis darstellt. Vielmehr steht im Vordergrund, was ausgehend von Gesetzeslage und Rechtsprechung vor Gericht durchsetzbar sein könnte. Auf der anderen Seite stellt die Arbeit keinen praktischen Leitfaden für eine Klage dar. Geprüft werden nicht die einzelnen Verfahren mit den entsprechenden Sachurteilsvoraussetzungen. Gegenstand der Untersuchung ist die Frage, ob WTO-Recht vor den Gerichten unmittelbar geltend gemacht werden kann, und nicht, wie dies im Einzelnen geschehen muss. Im Rahmen des WTO-Rechts konzentriert sich die Arbeit auf das GATT 1994. Der Hauptgrund für diesen Schwerpunkt liegt neben der besonderen Relevanz des Abkommens darin, dass im Hinblick auf das GATT 1947 bereits ein Bestand an Entscheidungen und Meinungen vorliegt und darauf aufbauend besser die mit Inkrafttreten des WTO-Rechts herbeigeführten Veränderungen untersucht werden können. Die unmittelbare Wirkung der Bestimmungen des GATS und des TRIPS werden ebenfalls angesprochen, jedoch nicht im Detail untersucht werden.
B. Ein Überblick über das GATT/WTO-Recht I. Die Rechtsordnung des GATT 19479 Noch während des Zweiten Weltkrieges gab es intensive Bemühungen, eine internationale Rechtsordnung zu schaffen, die den Welthandel regeln und disziplinieren sollte. Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen war das Bretton Woods Abkommen von 1944,10 das die Errichtung dreier Institutionen vorsah: die Weltbank (World Bank),11 den Internationalen Währungsfonds (International Monetary Fund - IMF)12 und die Internationale Handelsorganisation (International Trade Organization - ITO). Das GATT war ursprünglich 1947 im Zuge der Vorbereitungen für die Schaffung der ITO und damit als Teil einer umfassenden Regelung des internationalen Handels konzipiert worden. Der Vertrag zur Errichtung der 9 Zum GATI 1947 siehe z.B.: Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht (1990); Beneyto, The EU and WTO, in: EuZW 1996, S. 295 ff.; Berrisch, Der völkerrechtliche Status der EWG im GATI, S. 4 ff.; Curzon, Multilateral Commercial Diplomacy: The General Agreement on Tariffs and Trade and Its Impact on National Commercial Policies and Techniques (1965); Dam, The GATI, Law and International Economic Organization; Hahn, Die Einseitige Aussetzung von GATI Verpflichtungen als Repressalie, S. 15-33; Hudec, The GATI Legal System and World Trade Diplomacy; Jackson, World Trade and the Law of GATI; Jackson, The World Trading System. Law and Policy of International Economic Relations; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations, S. 293 ff.; Jaenicke, Das allgemeine Zoll und Handelsabkommen. Rechtsgrundlagen und Rechtsprobleme, in: 7 Archiv des Völkerrechts (1957/ 58), S. 371 ff.; Lacharriere, The Legal Framework of International Trade, in: Dunkel (Hrsg.), Trade Policies for a better future, S. 95 ff.; Long, Law and its Limitations in the GATI Multilateral Trade System; Petersmann, 30 Jahre Allgemeines Zoll-und Handelsabkommen, in: 19 Archiv des Völkerrechts (1980/81), S. 23 ff.; Senti, GATI - System der Welthandelsordnung (1986). 10 Vgl. Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations, Abschnitt 5.4 ("The Bretton Woods System"), S. 278 ff. Eine Bestandsaufnahme nach 25 Jahre liefert Meier, The Bretton Woods Agreement - 25 Years After, in: 39 Stanford Law Review (1971), S. 235 ff. II Abkommen über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, BGBL 195211, S. 664; UNTS 2, S. 134; UNTS 606, S. 294. 12 Abkommen über den Internationalen Währungsfonds, BGBL 1952 11, S. 638; spätere Fassungen in BGBL 1978 11, S. 15 und BGBL 1991 11, S. 815; UNTS 2, S. 38; UNTS 726, S. 266; ILM 31 (1992), S. 1307.
I. Die Rechtsordnung des GATI 1947
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ITO trat jedoch niemals in Kraft, weil sich der U.S.-Kongress weigerte, den Vertragsentwurf (die sog. "Havanna Charter,,13) zu ratifizieren. 14 Die USA und 21 weitere Staaten waren aber entschlossen, wenigstens dem GATT zu Wirksamkeit zu verhelfen. Um zeitraubende parlamentarische Verfahren in den Vertragsstaaten zu vermeiden, entwarf man ein Protokoll zur Provisorischen Anwendung des GATT,15 das unter erleichterten Voraussetzungen in Kraft gesetzt werden konnte. Man kann es nur als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass das auf diese Weise nach dem Scheitern der ITO am 01.01.1948 "vorläufig" in Kraft getretene GATT über 40 Jahre hinweg Geltung beanspruchte 16 und sich zum maßgeblichen Regelwerk für den internationalen Warenhandel entwickelte. Seine Bedeutung kommt in Beinamen wie "Magna Charta des Welthandels,,17 zum Ausdruck. Im Vergleich zur Havanna Charter 18 war der Regelungsanspruch des GATT bescheiden, sein Anwendungsbereich begrenzt. 19 Das erklärte Ziel war die Senkung der geltenden Zollsätze. Das GATT sollte die Ergebnisse von Verhandlungen zwischen den Staaten wiedergeben, die 1947 an einer Konferenz in Genf teilgenommen hatten. Einige zusätzliche Klauseln sollten verhindern, dass die dort gemachten Zugeständnisse ausgehöhlt wurden. 13 Vnited Nations Conference on Trade and Employment, Havana Charter for an International Trade Organization, Final Act and Related Documents, Havana, Cuba, November 21, 1947, to March 24, 1948, U.N. Doc. ICITO/l/4/l948; U.N. Doc. E/CONF 2178, reprinted in V.S. Department of State, Publ. No. 3206 (1948). 14 Zur Havana Charter und zur Geschichte des GATI vgl. z. B. Jackson/Davey/ Sykes, Legal Problems of International Economic Relations S. 293 ff.; Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht (1990); William A. Brown Jr., The Vnited States and the Restoration of World Trade, S. 15-160 (1950); Williarn Diebold Jr., The End of the ITO (Princeton Essays in International Finance No. 16, 1952); Thomas J. Dillon Jr., The World Trade Organization: A new Legal Order for World Trade?, in: 16 Michigan Journal of International Law (Winter 1995), S. 349 ff., auf S. 351; Richard N. Gardner, Sterling-Dollar Diplomacy in Current Perspective; Hudec, The GATI Legal System and World Trade Diplomacy (1975); Jackson, World Trade and the Law of GATI (1969); Claire Wilcox, A Charter For World Trade (1949). 15 Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade, opened for signature Oct. 30, 1947,61 stat. A2051, 55 V.N.T.S. 308. 16 Jackson/Sykes, Introduction and Overview, in: Jackson/Sykes (Hrsg.), Implementing the Vruguay Round (1997), auf S. 2/3. 17 HailbronneriBierwagen, Das GATI - die Magna Charta des Welthandels, in: JA 1988, S. 318. 18 Die Havanna Charter bestand aus neun Abschnitten (Chapters) und 106 Artikeln, die das gesamte Spektrum des Handels abdeckten. Sie wies Regelungen zum Handel, zum Wettbewerb, zu Entwicklungspolitik und Arbeitsmarktfragen auf. 19 Dillon Jr., The WTO, in: 16 Michigan Journal of Int. Law (1995), S. 349 ff., auf S. 352.
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B. Ein Überblick über das GATI/WTO-Recht
In diesen Klauseln wurden auch das Meistbegünstigungsprinzip (Art. 1)20 und das Diskriminierungsverbot (Art. III)21 verankert, zwei der Grundprinzipien des GAlT. Nach 1947 trafen sich die Vertragsparteien immer wieder zu Verhandlungen und versuchten, auf Grundlage der im GATT niedergelegten Regeln, Handelshindernisse weiter abzubauen?2 Mit vergleichsweise wenigen Bestimmungen erreichte man im Rahmen des GATT in den letzten Jahrzehnten eine massive Reduzierung der Zollsätze. Des Weiteren konnten im Rahmen des GATT-Streitbeilegungsverfahrens zahlreiche Handelskonflikte friedlich und erfolgreich beigelegt werden. 23 Während die Bedeutung des GATT 1947 als Verhandlungsforum und als Motor des Welthandels allgemein anerkannt wurde, blieb der Geltungsanspruch des GATT-Rechts stets umstritten. Dies ist ganz wesentlich den Defiziten des GATT in institutioneller Hinsicht und im Hinblick auf die Verbindlichkeit und Durchsetzbarkeit seiner Bestimmungen zuzuschreiben. Das GATT war nie eine internationale Organisation im engen Sinne und obwohl ihm ein quasi-organisatorischer Status zugebilligt wurde, ist dieses institutionelle Defizit stets ein Thema geblieben. 24 Bis 1994 war die rechtliche Grundlage für die Anwendung des GATT das Protokoll zur provisorischen Anwendung des Abkommens. 25 20 Most Favoured Nation Treatment (MFN): Die Zugeständnisse, die man einer GATI Vertragspartei macht, gelten automatisch für alle anderen, m. a. W. man muss alle Vertragsparteien gleich behandeln. Vgl. JacksonlDavey/Sykes, S. 436 ff. 21 National Treatment (Inländergleichbehandlung): Güter anderer Vertragsparteien dürfen nicht schlechter behandelt werden als nationale Güter. Vgl. Jackson/Davey/ Sykes, S. 436 ff. 22 Die GATI Verhandlungsrunden: 1947 Genf, Schweiz (23 Teilnehmerländer), 1949: Annecy, Frankreich (33 Teilnehmerländer), 1950: Torquay, England (34 Teilnehmerländer), 1954-56: Genf, Schweiz (22 Länder, 2,5 Milliarden V.S. $ Handelsvol.), 1960--62: sog. Dillon Runde (45 Länder, 4,9 Milliarden V.S. $ Handelsvol.), 1962--67: sog. Kennedy Runde (48 Länder, 40 Milliarden V.S. $ Handelsvol.), 1973-79: sog Tokyo Runde (99 Länder, 155 Milliarden V.S. $ Handelsvol.), 198694: sog. Vruguay Runde (über 120 Länder, 3.7 Billionen V.S. $ Handelsvol.). Vgl. Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations S. 314. Auf S. 379 ff. findet sich auch eine anschauliche zusammenfassende Darstellung des Verfahrens bei den Verhandlungen. 23 Vgl. Petersmann, The GATI/WTO Dispute Settlement, S. 66 ff.; Pescatorel Davey/Lowenjeld, Handbook of GATI/WTO Dispute Settlement (ab 1991, ständig aktualisiert). Für die Jahre davor auch Hudec, Enforcing International Trade Law, ab S. 29, Synopse von 207 Fällen zwischen 1948 und 1989 auf S. 417 ff. 24 V gl. Berrisch, Der Status der EWG im GATI, S. 23 ff., 31; Dillon Jr., The WTO, in: 16 Michigan Journal of Int. Law (1995), S. 349 ff., auf S. 352. 25 Jackson/Davey/Sykes, S. 295.
I. Die Rechtsordnung des GATI 1947
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Die Bestimmungen selbst sind häufig als wenig stringent kritisiert und als "soft law" bezeichnet worden. 26 Für den quasi-unverbindlichen Charakter des GATT-Rechts sind dabei mehrere Argumente angeführt worden: Zwar waren die Vertragsparteien grundsätzlich an das GATT als völkerrechtlichen Vertrag gebunden. Diese Verbindlichkeit wurde jedoch durch den unpräzisen Wortlaut des GATT27 und die zahlreichen Ausnahmen, die das Vertragswerk selbst zuließ, erheblich relativiert. So gab es beispielsweise eine "Großvater-Klausel", die vorsah, dass Rechtsakte, die bereits zur Zeit des Abschlusses des GATT in Kraft waren, nicht notwendigerweise den Vorgaben des GATT entsprechen mussten?8 Maßnahmen konnten auf Antrag einer Vertragspartei von der Anwendung des GATT ausgenommen werden?9 Weitere Ausnahmen waren im Vertrag vorgesehen, wenn Zahlungsbilanzschwierigkeiten auftraten,3D für Freihandelszonen und Zollunionen,31 im Zusammenhang mit Maßnahmen, die der nationalen Gesundheit oder Sicherheit dienten 32 oder in Fällen, in denen Importe der heimischen Industrie einer Vertragspartei ernstzunehmende Schäden zufügten. 33 Hinzu kam, dass das GATT weder eine rechtsverbindliche Interpretation der Vertragsbestimmungen34 noch eine gerichtliche Streitbeilegung 35 vorsah. Es wurde zwar ein Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten eingeführt. 36 Dieses ist aber häufig als unzureichend kritisiert worden?7 Im Falle einer Streitigkeit zwischen Vertragsparteien mussten diese zunächst einmal 26 Jackson, The World Trading System, S. 299-308; Jackson, Restructuring the GATI Legal System (1990) S. 91-103; Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law (1991) S. 221-244; Verloren Van Themaat, Strengthening the International Legal Framework of the GATIMTN System: A Comment, in: PetersmannlHilj (Hrsg.), The New GATI Round of Multilateral Trade Negotiations (1991) S. 26/27; Dillon Jr., The WTO, in: 16 Michigan Journal of Int. Law (1995), S. 349 ff., auf S. 354. 27 Petersmann, 30 Jahre Allgemeines Zoll-und Handelsabkommen, in: 19 Archiv des Völkerrechts (1980/81), S. 65. 28 Paragraph 1 (b) of the Protoco1 of Provisiona1 Application. 29 Sog. Waiver; Art. XXV GATI. 30 Art. XII-XIV GATI. 31 Art. XXIV GATI. 32 Art. XX/XXI GATI. 33 Art. XIX GATI (escape clause). 34 Anders z. B. Art. XVIII der IMF-Satzung. 35 Anders noch Art. 93, 96 der Havanna Charter. 36 Vgl. Meng, Streibei1egung im GATI, in: 41 ZaÖRV (1981), S. 69 ff.; Bastl Schmidt, Das GATI Streitschlichtungsverfahren, in: RIW 1991, S. 929 ff. 37 Kohona, Dispute Resolution under the World Trade Organization, in: 28 Journal of World Trade (Heft 2, 1994), S. 23 ff., auf S. 29.
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B. Ein Überblick über das GATT/WTO-Recht
versuchen, den Streit auf dem Verhandlungs wege zu lösen. 38 Erst wenn Konsultationen ohne Erfolg blieben, konnte auf Antrag einer Partei - niemals von Amts wegen - ein aus unabhängigen Experten bestehendes Gremium ("Panel") eingesetzt werden. Im Rahmen eines streng vertraulichen Verfahrens, dessen Regeln zuvor beschlossen wurden, untersuchte das Panel den zugrundeliegenden Sachverhalt. 39 Gegenstand eines Streitbeilegungsverfahrens können dabei bis zum heutigen Tage nicht nur Vertragsverletzungen sein. Art. XXIII GATT bezieht ausdrücklich auch Nachteile mit ein, die einer Vertragspartei durch Maßnahmen einer anderen entstehen, selbst wenn diese Maßnahmen keine Vertragsverletzung darstellen. 4o Während der Untersuchung musste das Panel fortwährend darauf hinwirken, dass sich die streitführenden Parteien einigen. Kam eine Einigung nicht zustande, erstellte das Panel einen schriftlichen Bericht. Dieser enthielt neben einer Darstellung des Sachverhalts und der Argumente der Parteien die "Empfehlungen" des Panels. Der Bericht wurde den Parteien zur Stellungnahme übermittelt und dann dem aus allen Vertragsparteien 41 bestehenden GATT-Rat vorgelegt. Er wurde erst mit Annahme durch den GATT-Rat wirksames sekundäres GATT-Recht. Obwohl Art. XXV Abs. 4 GATT bereits bei einfacher Mehrheit die Annahme vorsah, galt die Entscheidung des Panels nur als angenommen, wenn alle Vertragsparteien d.h. auch die vertragsbrüchige Partei selbst - der Entscheidung des Panels zustimmten. 42 Neben den bereits zuvor erwähnten Charakteristika war es gerade die Ausgestaltung des Streitbeilegungsverfahrens, die zu der Einschätzung führe, bei den GATT-Regeln handele es sich um bloße Programmsätze, die letztlich nicht durchsetzbar seien.43 Diese Bewertung steht allerdings in auffälligem Kontrast zur tatsächlichen Wirkung des GATT. In den Jahren 1948 bis 1995 wurden in über 250 38 Vgl. BastlSchmidt, Das GATT Streitschlichtungsverfahren, in: RIW 1991, S.932. 39 Die Untersuchung muss sich im Rahmen eines zuvor mit den Streitparteien zu vereinbarendem Mandat halten (den "terms of reference"). 40 Man spricht dann von sog. "non-violation complaints". Dazu noch unten Fn. 189. 41 Im GATT 1947 werden die Vertragsparteien in Großbuchstaben geschrieben, wenn die Plenarkonferenz aller Parteien gemeint ist, andernfalls wird die Schreibweise in Kleinbuchstaben gewählt. 42 Vgl. JacksonlDaveylSykes, Legal Problems of International Economic Relations, S. 342. 43 Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S.47: " ... eine Rechtsordnung, die weitgehend auf der freiwilligen Befolgung ihrer Normen beruht."
I. Die Rechtsordnung des GATI 1947
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Fällen Verletzungen des GATT geltend gemacht und nur ganz wenige Verfahren endeten ohne eine (Teil-) Lösung. 44 Die Fälle, in denen Panel Berichte blockiert wurden, nahmen allerdings im Verlauf der 80er Jahre ZU. 45 Dies galt in besonderem Maße für Streitigkeiten im Subventions- und Antidumping Bereich. 46 Es war Punta deI mieren. 48 gelt diese
daher eines der Hauptanliegen der Uruguay-Runde,47 die 1986 in Este ihren Ausgang nahm, das Streitbelegungsverfahren zu reforDas 1994 in Marrakesch geschlossene WTO-Abkommen49 spieBemühungen wider.
44 Im Zeitraum 1948-1987 wurden lediglich 4 Verfahren nicht vom GATI-Rat angenommen und auch diese Streitigkeiten legten die Beteiligten auf der Grundlage des Panel-Berichts bei, vgl. Petersmann, The GATI/WTO-Dispute Settlement System, S. 87 f. und dort Fn.45; auch Hudec, Enforcing International Trade Law, S. 588--608. 4S Petersmann, The GATI/WTO-Dispute Settlement System, S. 89. 46 Petersmann, The GATI/WTO-Dispute Settlement System, S. 88/89. 47 Ausführlich zur Uruguay Runde z. B. Stewart, The Uruguay Round; Bail, Das Profil der neuen Welthandelsordnung: Was bringt die Uruguay Runde?, in: EuzW 1990, S. 434 ff.; Cottier (Hrsg.); GATI-Uruguay Round; Esser, Die Reform des GATI und des Streitschlichtungsverfahrens in den Verhandlungen der Uruguay Runde, in: 91 ZVgIRWiss (1992), S. 365 ff.; Madden/Madeley, Winners and losers - The impact of the GATI Uruguay round on Developing Countries, in: Nord-Süd Aktuell 8, 1994, S. 89 ff.; Schutz, Die Verhandlungsergebnisse der Uruguay Runde des GATI, in: ZfZ 1994, S. 162 ff.; Wartenweiler, Ein Markstein der Weltwirtschaftsgeschichte: Zum Verhandlungsabschluss der Uruguay-Runde, in VN 1994, 87 ff. 48 StolI, Die WTO. Neue Welthandelsorganisation, neue Welthandelsordnung. Ergebnisse der Uruguay-Runde des GATI, in 54 ZaÖRV (1994), S. 241 ff., auf S. 255. Vgl. auch das US-amerikanische Gesetz, das die Verhandlungsziele für Handelsabkommen definiert (19 USCS 2901). Dort heißt es: ,,§ 2901. Overall and principal trade negotiating objectives of the United States (b) principal trading objectives (1) (A) to provide for more effective and expeditious dispute settlemnet and procedures. " 49 Bei juristisch exakter Betrachtungsweise wurde in Marrakesch die Schlussakte über die Ergebnisse der Uruguay Runde unterzeichnet, in der die Staaten übereinkommen, die ausgehandelten Ministererklärungen und Entscheidungen anzunehmen und das WTO-Übereinkommen den für die Zustimmung zuständigen innerstaatlichen Stellen vorzulegen. Das WTO-Übereinkommen selbst ist in Marrakesch ebenfalls von vielen Teilnehmerstaaten unterzeichnet worden, aber häufig unter dem Vorbehalt der Ratifikation, vgl. StolZ, Die WTO, in 54 ZaÖRV (1994), S. 241 ff., auf S. 255.
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B. Ein Überblick über das GATI/WTO-Recht
11. Die Welthandelsorganisation (WTO) und das GATT 199450 Nach sieben Jahren wurden am 15. April 1994 die "komplexesten Wirtschaftsverhandlungen aller Zeiten"Sl mit der Unterzeichnung der Schluss50 Die Literatur zur WTO und zum GATI 1994 ist nicht mehr überschaubar. Eine Auswahl von Titeln: Barth, Die Handelsregeln der neuen Welthandelsorganisation, in NJW 1994, 2811 ff; Beise, Die Welthandelsorganisation; Beise, Vom alten zum neuen GATI - Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Europäische und Internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, S. 179 ff; Davey, Legal Developments in the WTO, in: Proceedings of the 90th Annual Meeting of the American Society of International Law 1996, S. 415 ff.; Demaret, The Metamorphoses of GATI: From the Havana Charter to the World Trade Organization, in: 34 Columbia Journal of Transnational Law (1995), S. 123 ff.; Dillon Jr., The World Trade Organization: A new Legal Order for World Trade?, in: 16 Michigan Journal of International Law (Winter 1995), S. 349 ff.; Frenkel/Bender (Hrsg.), GATI und neue Welthandelsordnung; Großmann/Koopmann/Michaelowa, Die neue Welthandelsorganisation: Schrittmacher für den Welthandel?, in: Wirtschaftsdienst 1994, S. 257 ff.; Hane!, Vom GATI zur WTO, in: Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern 1996, S. 104-110, 138143, 174-177; Hauser/Schanz; Das neue GATI: Die Welthandelsordnung nach Abschluss der Uruguay Runde; Heselhaus, Die Welthandelsorganisation, in: JA 1999, S. 76 ff.; Hoekman, Trade Laws and Institutions: good practice and the WTO; lpsen/Haltern, Rule of law in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen: Die Welthandelsorganisation, in: RIW 1994,717 ff.; Jackson, From GATI to the WTO: Implications for the World Trading System, in: Cottier (Hrsg.) GATI Uruguay Round, Bern 1995, S. 29 ff.; JacksoniDavey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.); Jansen, Die neue Welthandelsorganisation (World Trade Organization - WTO), in: EuZW 1994, Seiten 333 ff.; Lang, The WTO: Is it working?, in: Proceedings of the American Society of International Law 1996; S. 419 ff.; Lowenfeld, Remedies along with rights: Institutional Reform in the new GATI, in: AJIL 1994, S. 477 ff.; Marceau; Transition from GATI to WTO, in: 29 Journal of World Trade (Heft 4, 1995), S. 147 ff.; May, Der erfolgreiche GATI-Abschluss - ein Pyrrhussieg?, in: Europa Archiv 1994, S. 33 ff.; Messerlin, La nouvelle Organisation mondiale du commerce; Oppermann/Beise, Die neue Welthandelsorganisation - ein stabiles Regelwerk für weltweiten Freihandel?, in: Europa Archiv 49 (1994), S. 195 ff.; Petersmann, The Transformation of the World Trading System through the 1994 Agreement Establishing the World Trade Organization, in: 6 European Journal of Intern. Law, (1995), S. 161 ff.; Petersmann, The GATI world trade and legal system after the Uruguay Round; Porges, Introductory remarks. The WTO, in: Proceedings of American Society of International Law 1996, S. 412 ff.;Qureshi, The World Trade Organization; Reich, From Diplomacy to Law: The Juridicization of International Trade Relations, in: 17 Journal of Intern. Law & Bus. (1996/97), S. 775 ff.; Senti, Die neue Welthandelsordnung: Ergebnisse der Uruguay Runde, Chancen und Risiken, in: ORDO, Bd.45 (1994), S.301 ff.; Senti, GATI - WTO, Die neue Welthandelsordnung nach der Uruguay Runde; Senti/Conlan, WTO - Regulation of World Trade after the Uruguay Round; Stewart (Hrsg.), The World Trade Organization: The Multilateral Trade Framework for the 21st Century and U.S. implementing Legislation; StolI, Die WTO, in ZaÖRV 1994, 241 ff.; Suntum, Vom GATI zur WTO - Neue Weichenstellung für den Welthandel? Volks-
11. Die Welthandelsorganisation (WTO) und das GATI 1994
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akte von Marrakesch abgeschlossen,52 die das Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) enthält. 53 Die im Rahmen der Uruguay-Runde unterzeichneten Verträge führen nicht nur zu einer weiteren Reduzierung von Zollsätzen, sondern stellen den Welthandel auf eine neue rechtliche Grundlage. Die wichtigsten Elemente des neuen Welthandelssystems sind a) die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO); b) die Weitergeltung des bisherigen GATI-Rechts (GATI 1947), allerdings mit wesentlichen Ergänzungen und Verbesserungen (daher jetzt als GATI 1994 bezeichnet); c) die Erweiterung des Anwendungsbereichs der GATI-Regeln. Das eigentliche WTO-Übereinkommen schafft lediglich einen institutionellen Rahmen für den Welthandel. 54 Bestandteil des Vertrages sind jedoch auch seine Anhänge, in denen sich wichtige Sachregelungen befinden. Das WTO-Abkommen55 umfasst fünf multilaterale Vertragswerke: - Die Multilateralen Übereinkünfte im Bereich des Warenhandels (insbesondere das GATI 1994)56 im Anhang 1 A; wirtschaftliche Korrespondenz der Adolf Weber Stiftung, Nr.6 (1994); Witt, Vom GATI zur WTO, in: Nord-Süd Aktuell 8, 1994, Seiten 51 ff. SI SO die Worte des Ministerrates der EG; zitiert nach EuGH Gutachten 1194, Sig. 1-5267,5279. 52 Schlussakte über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay Runde, Benedek, WTO, S. 493/94; Final Act embodying the Results of the Uruguay Round of Multilateral Trade Negotiations of April 15, 1994; Legal Instruments - Results of the Uruguay Round Vol. 1,33 I.L.M. S. 1125 (1994). 53 AbI. EG 1994, L 336, S. 3 ff.; Benedek, WTO, S. 45 ff. 54 Daher wird im Folgenden dieses Abkommen als WTO-Rahmenübereinkommen bezeichnet, während mit dem WTO-Abkommen das gesamte Vertragswerk gemeint ist. 55 Im Folgenden ist die Rede von dem WTO-Abkommen, wenn die Gesamtheit der Übereinkommen angesprochen ist, die nach Abschluss der Uruguay Runde geschlossen wurden; dem WTO-Rahmenübereinkommen, wenn das Abkommen gemeint ist, das häufig als WTO-Abkommen bezeichnet wird und das letztlich den Rahmen bildet für die im Anhang dazu erlassenen weiteren Übereinkünfte; spezifisch den jeweiligen Abkommen (z.B. GATI 1994, GATS, TRIPS etc.), wenn einzelne der im Rahmen der Uruguay Runde abgeschlossenen Übereinkünfte gemeint sind. 56 Im Anhang "Sections 301-310 of the Trade Act of 1974" sind u.a. auch enthalten Abkommen zu: Landwirtschaft, gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen, Textilwaren, Technischen Handelshemmnissen, handelsbezogenen Investitionsmaßnahmen, Ursprungsregeln, Einfuhrlizenzverfahren, Subventionen und Schutzmaßnahmen. Vgl. Benedek, Die WTO, Übersicht auf S. 8; einzelne Abkommen auf S. 155 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Document Supplement to
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B. Ein Überblick über das GATI/WTO-Recht
- das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS)57 im Anhang 1 B; - das Übereinkommen über handels bezogene Aspekte geistigen Eigentums (TRIPS)58 im Anhang 1 C; - die Vereinbarung über die Regeln und das Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten59 im Anhang 2; - Regelungen im Hinblick auf einen Mechanismus zur Überprüfung der Handeispolitiken60 im Anhang 3. Zusätzlich enthält es vier plurilaterale Übereinkommen betreffend - das öffentliche Beschaffungswesen61 , - den Handel mit Zivilluftfahrzeugen62 , - den Handel mit Milcherzeugnissen63 , - den Handel mit Rindfleisch. 64 Jedes Land, das der WTO beitreten will, muss sich mit Unterzeichnung des WTO-Abkommens auch allen multilateralen Übereinkünften unterwerfen (sog. "single undertaking approach"). Damit hat ein Ende gefunden, was häufig als "GATI a la carte" bezeichnet worden ist. Früher war es nämlich möglich, ein Abkommen im Rahmen des GATI Gesamtpakets abzuschließen und andere nicht. Ein solches Vorgehen ist nunmehr nur noch Legal Problems of International Economic Relations, Übersicht auf S. 13, die einzelnen Abkommen auf S. 97 ff. 57 General Agreement on Trade in Services. Vgl. Benedek, Die WTO, S. 387 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Document Supplement to Legal Problems of International Economic Relations, S. 304. 58 Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights. Vgl. Benedek, Die Welthandelsorganisation, S. 423 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Document Supplement to Legal Problems of International Economic Relations, S. 335. 59 Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes (Dispute Settlement Understanding). Vgl. Benedek, Die Welthandelsorganisation, S. 459 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Document Supplement, S. 366. 60 Trade Policy Review Mechanism. Vgl. Benedek, Die Welthandelsorganisation, S. 488 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Document Supplement to Legal Problems of International Economic Relations, S. 391. 61 Vgl. Benedek, Die Welthandelsorganisation, S. 495 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Document Supplement to Legal Problems of International Economic Relations, S.395. 62 Vgl. Benedek, Die WTO, S. 527 ff.; Jackson/Davey/Sykes, Document Supplement to Legal Problems of International Economic Relations, S. 391. 63 Mit Wirkung zum 01.01.1998 beendet; vgl. Benedek, Die WTO, S. 9; WTO Press Release vom 30.09.1997. 64 Mit Wirkung zum 01.01.1998 beendet; vgl. Benedek, Die WTO, S. 9; WTO Press Release vom 30.09.1997.
11. Die Welthandelsorganisation (WTO) und das GATT 1994
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bei den plurilateralen Übereinkünften vorstellbar. Verbindlich werden diese Abkommen nur für die Mitglieder, die ihnen .ausdrücklich beitreten. Mit der Gründung der neuen WTO wird dem Regelwerk des Welthandels ein gesicherter institutioneller Rahmen verschafft. Während es beim alten GATT bis zuletzt umstritten war, ob es sich um eine internationale Organisation handelte, ist diese Streitfrage nunmehr bedeutungslos geworden und die völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit der WTO als internationale Organisation unbestritten. Das alte GATT hat seine Bedeutung nicht verloren, sondern wirkt fort als Bestandteil des WTO-Rechts, ist allerdings an wesentlichen Stellen, auf die im Laufe der Arbeit noch eingegangen wird, grundlegend reformiert worden. Darüber hinaus ist aber auch der Anwendungsbereich des WTO-Rechts im Vergleich zum alten GATT wesentlich erweitert worden. So wurden die bislang getrennten Regimes unterworfenen Sektoren der Landwirtschaft und Textilien dem WTO-Recht unterstellt65 und die Grundsätze des GATTRechts auf den Dienstleistungshandel 66 ebenso wie auf den Schutz der geistigen Eigentumsrechte67 übertragen. Bei Streitigkeiten betreffend Regelungen in den multilateralen Abkommen gilt das Streitbeilegungsverfahren, wie es im Anhang 2 zum WTO-Abkommen niedergelegt ist. Zusätzlich findet es für die Parteien, die die plurilateralen Verträge unterzeichnet haben, auch Anwendung bei Auseinandersetzungen, die sich im Zusammenhang mit diesen Verträgen ergeben. 68 Eine der wichtigsten Veränderungen im Vergleich zum früheren GATISystem ist die stärkere Verrechtlichung des Streitbeilegungsverfahrens. 69 Für die Verfahrensentscheidungen ist ein "negatives Konsensprinzip ..7o eingeführt worden, das den Ablauf nahezu automatisiert. So kann gemäß den neuen Bestimmungen die Einrichtung eines Panels und auch die Annahme Dieser Vorgang wird allerdings in einigen Stufen vollzogen. General Agreement on Trade in Services (GATS); Überblick bei StolI, 54 ZaÖRV (1994), S. 241 ff., auf S. 320-333. 67 Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS);Überblick bei StolI, 54 ZaÖRV (1994), S. 241 ff., auf S. 310-320. 68 Eine Übersicht über die anhängigen Verfahren findet sich im World Wide Web unter www.wto.org/dispute/bulletin.html. 69 Anschauliche Graphik zum Verlauf des neuen Verfahrens bei Sittmann, Das Streitbeilegungsverfahren der World Trade Organization (WTO), RIW 1997, S. 753. 70 Benedek, Die WTO, S. 32 in Übereinstimmung mit dem in der englischsprachigen Literatur meist verwendeten Begriff "negative consensus"; anders allerdings Hauser/Schanz, Das neue GATT, S. 244 und Sittmann, Das Streitbeilegungsverfahren der World Trade Organization (WTO), RIW 1997, S. 750: "umgekehrtes Konsensprinzip" . 65 66
3 Cascante
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B. Ein Überblick über das GATT/WTO-Recht
der Entscheidungen in der Sache nur blockiert werden, wenn das WTOStreitbeilegungsgremium, in dem alle interessierten Mitgliedstaaten vertreten sind,71 einheitlich dagegen stimmt. Des Weiteren gelten strenge zeitliche Vorgaben, die garantieren, dass das gesamte Verfahren in einer Zeit durchlaufen wird, die unter dem liegt, was in einem Gerichtsverfahren von vergleichbarer Komplexität zu erwarten wäre. Den Parteien steht jetzt auch ein Rechtsbehelf gegen Entscheidungen des Panels zur Verfügung. Ein neu eingerichtetes, ständiges Berufungsgremium (Appellate Body)72 überpriift das Diktum des Panels73 ausschließlich auf Rechtsfehler74 und trifft innerhalb von 90 Tagen nach Einlegung des Rechtsmittels eine Entscheidung. 75 Erfolgt die Annahme des Berichts des Berufungsgremiums durch das Streitbeilegungsgremium76 - nach dem negativen Konsensprinzip -, soll die unterlegene Vertragspartei innerhalb von höchstens 15 Monaten die geriigten Verstöße abstellen. 77 Geschieht dies nicht, können die Streitparteien Kompensationszahlungen aushandeln. 78 Führt auch dies nicht zu einem Ergebnis, kann die geschädigte Partei vertragliche Konzessionen aussetzen, falls nicht ein entsprechender Antrag einstimmig vom Streitbeilegungsgremium abgelehnt wird. 79 Die Gegenmaßnahmen der obsiegenden Vertragspartei sollen im Ausmaß dem eingetretenen Nachteil entsprechen80 und grundsätzlich dem Sektor entstammen, in dem dieser eingetreten iSt. 81 Erweisen sich solche Maßnahmen jedoch als wirkungslos, sieht das neue Streitbeilegungsverfahren auch die Möglichkeit 71 Tritt der "Allgemeine Rat", das Hauptorgan der WTO, zusammen, um über Streitbeilegungsangelegenheiten zu beraten und zu beschließen, handelt er als "Streitbeilegungsgremium" (Dispute Settlement Body - DSB). Der Allgemeine Rat wiederum setzt sich zusammen aus Vertretern aller interessierten Mitgliedstaaten der WTO. Vgl. Art. VI Abs. 2 WTO-Rahmenübereinkommen, Art. 2 DSU und Benedek, WTO, S. 19. 72 Vgl. Art. 17 DSU. Die Bezeichnung Berufungsgremium hat sich, wohl insbesondere wegen der englischen Origina1bezeichnung, eingebürgert. Richtiger wäre wegen des Prüfungsumfangs - siehe sogleich - allerdings die Bezeichnung als "Revisionsinstanz" . 73 Zu Aufgaben und Zusammensetzung siehe Art. 11 ff. DSU. 74 Die Feststellung der Tatsachen kann zwar nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen werden. Die Streitparteien können aber immerhin die Tatsachenfeststellung des Panels durch eine Überprüfung des Zwischenberichts gern. Art. 15 DSU erreichen. 75 Art. 17 Abs. 5 letzter Satz DSU. 76 D.h. Vertreter aller interessierten Mitgliedstaaten der WTO. 77 Art. 21 Abs. 4 DSU. 78 Art. 22 Abs. 2 Satz 1 DSU. 79 Art. 22 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 6 DSU. 80 Art. 22 Abs. 4 DSU. 81 Art. 22 Abs. 3 a) DSU.
III. Individualklagerechte im Rahmen des WTO-Abkommens
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"sektorübergreifender Vergeltungsmaßnahmen" (cross-retaliation measures) vor. 82 Die ersten Jahre Tätigkeit belegen eindrucksvoll, auf welch breite Akzeptanz das verbesserte Streitbeilegungssystem gestoßen ist. Bis zum August 1997, wenig mehr als zwei 1/2 Jahre nach Inkrafttreten dieser neuen Verfahrensordnung, waren bereits über 100 Streitbeilegungsverfahren initiiert83 und sechs Berichte der Rechtsmittelinstanz veröffentlicht worden. 84 Ende 2001 war die Anzahl auf 242 Streitbeilegungsverfahren und 45 Berichte der Rechtsmittelinstanz angestiegen. 85 Die neue WTO-Rechtsordnung stärkt zweifelsohne die Rolle des Rechts im Internationalen Wirtschafts verkehr. Die Frage ist allerdings, ob diese Stärkung auch einzelnen Privatrechtssubjekten zu besseren Rechtsschutzmöglichkeiten verhilft.
IH. Individualklagerechte im Rahmen des WTO-Abkommens Das GATT 1947 räumte Privatrechtssubjekten im Streitbeilegungsverfahren keine Rechte ein. Einen anderen Ansatz, so könnte man meinen, wählt das neue WTO-Recht, wenn Art. 10 DSU für "Dritte" ein Recht statuiert, ihre Interessen in einem eingeleiteten Streitbeilegungsverfahren geltend zu machen. Diesen Parteien wird ein Anhörungs-, Informations- und Beteiligungsrecht eingeräumt. Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 10 DSU ergibt, sind mit "dritten Parteien" jedoch nicht Unternehmen oder einzelne Bürger gemeint. Art. 10 Absatz 2 sagt ausdrücklich, dass "jedem Mitglied (der WTO) dessen substanzielle Interessen betroffen sind, ein Anhörungsrecht zusteht." Mitglied der WTO können aber nur Staaten, die EG und "gesonderte Zollgebiete" sein. 86 Wie das GATT 1947 sieht daher auch das neue WTO-Recht grundsätzlich keine Beteiligung von Privatrechtssubjekten am Streitbeilegungsverfahren vor. Ebenso wenig wird eine Durchsetzung des WTO-Rechts vor nationalen Gerichten propagiert. Eine Ausnahme enthält allerdings das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen. 87 Art. XX Abs. 6 bestimmt, dass die Vertragsstaaten dieser plurilateralen Übereinkunft ein gerichts- oder gerichtsähnli82 Art. 22 Abs. 3 b) DSU. 83 WTO FOCUS No. 21 August 1997, S. 1. 84.WTO FOCUS No. 21 August 1997, S. 5. 85 www.wto.org/english/prapop_e/dispu_e/dispubase3.htm. 86 Art. XI und Art. XII WTO-Rahmenübereinkommen. 87 Agreement on Government Procurement. Vgl. EG-Abl. 1994, L 336/S. 273; auch EG-Abl. 1996, C 256/S. 2; Benedek, Die WTO, S. 495 ff. 3*
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B. Ein Überblick über das GATT/WTO-Recht
ches Verfahren einrichten müssen, in dem Lieferanten gegen Verletzungen des Übereinkommens vorgehen können. 88 Führt der Rechtsstreit nicht zu einem befriedigendem Ausgang, können die Vertragsstaaten ein WTOStreitbeilegungsverfahren einleiten. 89 Einen ähnlichen Ansatz enthalten die Art. 41 ff. des TRIPS-Abkommen. Auch dort werden die Vertragsstaaten, d.h. hier alle WTO-Mitglieder, verpflichtet, Verfahren einzurichten, "um ein wirksames Vorgehen gegen jede Verletzung von unter dieses Übereinkommen fallenden Rechten des geistigen Eigentums einschließlich Eilverfahren"
zu ermöglichen. Damit wird den Privatrechtssubjekten zwar kein Beteiligungsrecht im WTO-Streitbeilegungsverfahren eingeräumt. Es wird aber zumindest der Versuch unternommen, ihnen Rechtsschutz gegen vertragswidrige Maßnahmen vor den nationalen Gerichten zu garantieren. Die Frage ist lediglich, ob einzelne Bürger und Unternehmen die Einrichtung solcher Verfahren in ihrer nationalen Rechtsordnung werden durchsetzen können. Die Mitgliedstaaten der WTO sind zwar verpflichtet, ihre Rechtsordnungen WTO-konform zu gestalten. Dies allein bedeutet jedoch nicht, dass diese Konformität auch durch Privatrechtssubjekte erzwungen werden kann. Darüber hinaus handelt es sich bei den beiden oben genannten Beispielen bislang um isolierte Fälle einer Weiterentwicklung des Rechtsschutzes für Privatrechtssubjekte im Rahmen der Uruguay-Runde. Weder das GATT noch das GATS enthalten eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Verfahren einzurichten, damit Privatrechtssubjekte gegen Verletzungen dieser Abkommen vorgehen können. Im WTO-Streitbeilegungsverfahren wird Privatrechtssubjekten nach wie vor die Beteiligtenfähigkeit abgesprochen. Es wird ihnen noch nicht einmal die Möglichkeit eingeräumt, beim Panel sog. "Amicus Briefs" einzureichen. 9o Diese in der U.S.-amerikanischen Rechtsordnung verbreitete Praxis gibt jeder am Ausgang eines Prozesses interessierten Partei mit Genehmigung des Gerichts wenigstens das Recht, "als Amicus" Stellung zu nehmen. 91 In einem WTO-Streitbeilegungsverfahren könnten Privatrechts subjekte auf diese Art und Weise tatsächliche oder rechtliche Argumente vortragen, die von den beteiligten Parteien noch nicht 88 Vgl. auch Carrier, Sovereignity under the Agreement on Govemment Procurement in: 6 Minnesota Journal of Global Trade (1997), S. 67 ff., auf S. 991100. 89 Art. XXII des Übereinkommens über das Öffentliche Beschaffungswesen. 90 Schleyer, Power to the People: Allowing Private Parties to Raise Claims Before the WTO Dispute Resolution System, 65 Fordham Law Review (1997), S. 2275 ff., auf S. 2303. 91 Heidenberger, Der "Amicus Curiae Brief', in: RIW 1996, S. 918 f.
III. Individualklagerechte im Rahmen des WTO-Abkommens
37
aufgeworfen wurden. Wie sich im Umkehrschluss aus Art. 10 DSU ergibt, besteht ein solches Recht im WTO-Recht bislang aber noch nicht. 92 Privatrechtssubjekte, die die Einhaltung der WTO-Vorschriften geltendmachend wollen, um ihre Rechte oder Interessen zu schützen, werden daher vorerst nach Möglichkeiten außerhalb des WTO-Streitbeilegungsverfahrens suchen müssen.
92 Entsprechend interessierten Unternehmen oder Einzelpersonen bleibt es allerdings unbenommen, ihre Regierung mit entsprechender Information zu versorgen oder mit Rechtsbeistand zu unterstützen, um dadurch mittelbar den Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen.
c. Mittelbare Durchsetzung
des WTO-Rechts in USA und EG J. Einführung Das Bestreben der Staaten, eigene Produkte vor fremder Konkurrenz zu schützen und Märkte für die heimische Exportindustrie zu erschließen, ist keine Erscheinung des 20. Jahrhunderts. 93 Handelspolitische Mechanismen, die diesem Ziele dienen, sind oft so alt wie die Staaten selbst. Der V.S.-amerikanische Kongress ermächtigte beispielsweise bereits 1794 den ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, George Washington, Maßnahmen gegen Länder zu ergreifen, die amerikanische Exporte diskriminierend behandelten. 94 Betroffen von solchen Entscheidungen waren stets nicht nur staatliche, sondern auch individuelle Interessen. Es ist daher nur konsequent, dass den Privatrechtssubjekten irgendwann ein Antragsrecht eingeräumt wurde, um Verfahren zur Beseitigung von Handelsbarrieren einzuleiten. Erstes Beispiel für ein solches Beteiligungsrecht in dem hier interessierenden Bereich95 war die Section 252 des V.S.-amerikanischen Trade Ex93 Einen kurzen Überblick über die Problematik bietet Lang, Protektionismus, in: Der Bürger im Staat, Heft 2 1991, S. 111 ff.; Bhagwati, Protectionism. Siehe auch die instruktive Auseinandersetzung mit typischen protektionistischen Argumenten bei Jackson/Davey/Sykes, S. 18 ff. Aus juristischer Sicht in dt. Sprache vgl. Petersmann, Protektionismus als Ordnungsproblem, in: 47 Rabe1sZ (1983), S. 478 ff.. Zu den Grenzen, die menschlichen Eingriffen in Wirtschaftsabläufe gesetzt sind vgl. Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, in: Freiburger Studien (1969), S. 249 ff. uno ders., Die Ergebnisse menschlichen Handeins, aber nicht menschlichen Entwurfs, in: Freiburger Studien, S. 97 ff. 94 Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation: Adjudicating the Use of Seetion 301, in: 17 University of Pennsylvania Journal of International Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 241 Fn. 30; Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices - United States and EEC Complaint Procedures, in: 6 Journal of International Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 660; FisherlSteinhardt, Seetion 301 of the Trade Act of 1974: Proteetion for U.S. Exporters of Goods, Services and Capital, in: 14 Law & Policy in International Business (1982), S. 569 ff., auf S. 573. 95 D. h. regional beschränkt auf die EG und die USA und sachlich auf Mechanismen zur Beseitigung von Handelsbarrieren unter Ausschluss von Antidumping und Antisubventionsregelungen.
I. Einführung
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pansion Act von 1962. 96 Geschaffen wurde diese Regelung wegen der Bedenken des Kongresses, die Exekutive könnte die in internationalen Handelsabkommen verankerten Rechte der Vereinigten Staaten nicht aggressiv genug verfo1gen. 97 Der Präsident wurde ermächtigt, Vergeltung zu üben gegen Staaten, deren unfaire Handelspraktiken den amerikanischen Handel behinderten. Privatrechtssubjekte konnten öffentliche Anhörungen beantragen, die sich mit von dritten Staaten errichteten Handelshindernissen beschäftigen sollten. 98 Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) reagierte 1964 auf die U.S.-amerikanische Initiative mit einem ersten Vorschlag für ein Verfahren, das dem Schutz der EWG gegenüber "anomalen Praktiken" von Drittländern dienen sollte. 99 Für den Fall, dass diese Praktiken Interessen eines EWG-Mitgliedsstaates berührten, sollte dieser handelspolitische Maßnahmen ergreifen, die den gemeinsamen Markt möglichst wenig beeinträchtigten. lOo Waren hingegen die Interessen mehrerer Mitgliedstaaten betroffen, sah der Vorschlag vor, dass die Kommission dem Rat einen Vorschlag für geeignete handelspolitische Schutzmaßnahmen unterbreitete, und der Rat über das weitere Vorgehen entscheiden konnte. 101 Anders als bei seinem amerikanischen Gegenstück war im europäischen Recht ein Antragsrecht für private Rechtssubjekte allerdings nicht vorgesehen. 102
Pub. L. No. 87-794; § 252,76 St. 872, 879-880 (1962). Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 671. 98 Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 671 und 672; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, Heidelberg 1989, S. 32; Puckettl Reynolds, Current Development: Rules, Sanctions and Enforcement under Section 301: At Odds with the WTO?, in: American Journal of International Law Vol. 90 (1996), S. 675 ff., auf S. 676; Bronckers, Enforcing WTO Law through the EC Trade Barriers Regulation, 3 International Trade & Regulation (1997), S. 76 ff., auf S. 76; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law: The new EC Trade Barriers Regulation, 33 Common Market Law Review (1996), S. 299 ff., auf S. 300. 99 Vorschlag der Kommission an den Rat vom 26. November 1963 über eine Verordnung, in der gemeinsame Grundsätze und ein gemeinschaftliches Verfahren für den handelspolitischen Schutz der EWG gegenüber anomalen Praktiken von Drittländern festgelegt werden, Sonderbeilage zum Bulletin der EWG Nr. 1(1964). Dort wird bei der Begründung unter 3. ausdrücklich die Section 252 des Trade Expansion Act angesprochen. 100 Art. 4 des Vorschlags vom 26. November 1963. 101 Art. 5 des Vorschlags vom 26. November 1963. 102 Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 76; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 301. 96
97
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
Section 252 führte in 12 Jahren nur zweimal zu Vergeltungsmaßnahmen 103 und blieb damit weit hinter den Erwartungen seine Urheber zurück. In Europa wurde der EWG-Vorschlag nicht weiter verfolgt, weil bei den Mitgliedsländern die Skepsis gegenüber einer solchen Regelung überwog. 104 Zehn Jahre nachdem die EWG ihren Vorschlag lanciert hatte, verabschiedeten die USA Section 301 des Trade Act von 1974. Der dort enthaltene handelspolitische Mechanismus sah ein Antragsrecht für alle interessierten Parteien und damit auch für natürliche und juristische Personen vor. 105 Diese konnten die Einleitung eines Verfahrens gegen ausländische Handelspraktiken beantragen. Gegenstand des Verfahrens war insbesondere die Vereinbarkeit der gerügten Praktiken mit dem GATT. 106 Da bei erfolgreichem Ausgang den Drittstaaten Vergeltungsmaßnahmen drohten, war dies aus der Perspektive vieler Unternehmen ein effektives Mittel, um GATT-Recht mittelbar durchzusetzen und so eigene wirtschaftliche Interessen zu wahren. Die Reaktion der Handelspartner der USA war alles andere als freudig, wurde die Section 301 doch als Giftpfeil in einem unilateralen Arsenal der Amerikaner bewertet. 107 Dennoch vergingen zehn weitere Jahre, bis die Gemeinschaft, auf eine französische Initiative hin,108 die "Europäische Ant103 Presidential Proclarnation No. 3564, 28 Federal Register 13247 (Abschöpfungen der EG auf Geflügelimporte - sog. "Hähnchenkrieg") und Presidential Proclarnation No. 4335, 39 Federal Register 40741 (Kanadische Einfuhrkontingente für Rindfleisch aus den USA). Vgl. auch Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 32; Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 241 Fn. 32. 104 Hilf/Rolf, Das "neue Instrument" der EG, in: RIW 1985, S. 297 ff., auf S. 298; Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 76; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 301. 105 Vgl. Section 302 (a) (1); 19 U.S.c. § 2412 (a) (1); siehe auch weiter unten. 106 Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 45; Fisher/ Steinhardt, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: 14 Law & Policy in Int. Business (1982), S. 569 ff., auf S. 596; Bourgeois/Laurent, Le nouvel instrument de politique commercial - un pas en avant vers l'elimination des obstacles aux echanges internationaux, in: Revue Trimestrielle de Droit Europeenne 1985, S. 41 ff.; auf S.48. 107 Siehe nur die Begründung der Kommission zu ihrem Vorschlag für die Schaffung eines handelspolitischen Instruments KOM 83 (87), S. 1 ff. vom 28.02.1983. 108 Vgl. EG Bulletin Ne. 4 1982; vgl. auch Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 718 ff.; Hilf/Rolf, Das "neue Instrument" der EG, in: RIW 1985, S. 297 ff., auf S. 297; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 37; Bourgeois/Laurent, Le nouvel instrument de politique commercial, RTDE 1985, S. 41 ff., auf S. 43 ff.; Bronckers, Enforcing WTO Law through the
11. USA: Section 301 des Trade Act von 1974
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wort auf die Section 301" verabschiedete, das neue Handelspolitische Instrument (New Commercial Policy Instrument).109 Dieses Mal enthielt auch die europäische Verordnung ein Antragsrecht für Privatrechtssubjekte. 11O Seitdem hat die Section 301 mehrere Änderungen erfahren und das Handelspolitische Instrument der EG ist von einer neuen Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren 111 abgelöst worden. Diese nach geltendem Recht in der EG und den USA bestehenden Handelsschutzinstrumente, mit denen Private auf eine Durchsetzung des WTO-Rechts hinwirken können, sollen im Folgenden gegenübergestellt werden.
11. USA: Section 301 112 des Trade Act von 1974 1. Einführung
Die USA haben per Gesetz zahlreiche Mechanismen geschaffen, mit denen die Regierung auf die Handelspraxis anderer Länder oder ihrer Unternehmen reagieren kann. Zu ihnen zählen Antidumping und Ausgleichszollvorschriften wie Section 303,113 Section 701 114 und Section 731 115 des Tariff Act von 1930,"6 die amerikanische Unternehmen gegen Importe TBR, 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 77; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 30l. 109 Verordnung (EWG) des Rates Ne. 2641184 vom 17. September 1984, Amtsblatt der EG 1984 Ne. L 252/S. 1 ff. 110 Verordnung (EWG) des Rates Nr. 2641184, Art. 3 (Überschrift: Antrag auf Verfahrenseinleitung im Namen von Erzeugern in der Gemeinschaft); im Artikel selbst ist dann vom Handeln "im Namen eines Wirtschaftszweiges der Gemeinschaft" die Rede. III Verordnung (EG) des Rates 3286/94 vom 22. Dezember 1994, Amtsblatt der EG 1994 Nr. L 349/S. 71 ff. IIZ Die Bezeichnung "Section 301" ist etwas irreführend und hat historische Gründe. Ursprünglich konzentrierte sich die Regelung in einem Abschnitt, der Section 301. Inzwischen verteilen sich die relevanten Regelungen nach einigen Gesetzesänderungen und -ergänzungen auf die Abschnitte (Section) 301 bis 310 des Trade Act von 1974. Im Sprachgebrauch hat sich aber die Bezeichnung "Section 301" erhalten. Vgl. dazu Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of International Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 237 Fn. 5. ll3 Section 303 des Tariff Act von 1930, 19 U.S.c. § 1303. 114 Section 701-709 des Tariff Act von 1930, 19 U.S.C. §§ 1671-1671h. 115 Section 731-739 des Tariff Act von 1930, 19 U.S.c. §§ 1673-1673h. 116 Z. T. auch als Smoot-Hawley Act bezeichnet. Dieses Gesetz ist seit seinem Inkrafttreten wegen zahlreicher protektionistischer Bestimmungen heftig kritisiert worden. Richard N. Cooper, Trade Policy and Foreign Policy, schrieb 1987 in Robert M. Stern (Hrsg.) U.S. Trade Policies in achanging World Economy, auf S. 291192: "The most disastrous single mistake any U.S. President has made in in-
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
schützen sollen, die zu unfairen Preisen verkauft oder subventioniert werden. Dazu gehört auch Section 337 des gleichen Gesetzes,l17 nach dem die International Trade Commission gegen unfaire Handelspraktiken privater Parteien auf Antrag oder von Amts wegen vorgehen kann. I 18 Schließlich ist noch die Section 201 des Trade Act von 1974 119 (sog. escape clause) zu nennen, durch die ein Schaden der heimischen Produktion wegen gleichartiger Importe abgewehrt werden SOll.120 Privatrechts subjekte, deren Rechte oder wirtschaftliche Interessen durch Maßnahmen dritter Staaten gefährdet werden, steht die Möglichkeit offen, einen Antrag gemäß Section 301 des Trade Act von 1974 zu stellen, der wichtigsten gesetzlichen Regelung, um Vergeltungsmaßnahmen gegen ausländische Handelspraktiken zu ergreifen, die als "unfair" betrachtet werden. Die Struktur und Funktion der Section 301, ihr handelspolitischer Wert und ihre potentielle Rechtswidrigkeit sind bereits Gegenstand zahlreicher Publikationen gewesen. 12 ! In dieser Arbeit steht die Untersuchung von Geternational relations was Herbert Hoover's signing of the Smoot-Hawley Tariff Act." 117 Section 337 des Tariff Act von 1930, 19 U.S.C. § 1337. 118 Vgl. Kochinke, Außenhandelskl~gen nach § 337 Tariff Act von 1930 in den USA - eine wirksame Waffe in der Hand der Protektionisten, in: RIW 1985, S. 386 ff. 119 Section 201-204 des Trade Act von 1974; 19 U.S.c. §§ 2251-2254. 120 Ganz ähnlich Section 406 des Trade Act von 1974, 19 U.S.C. § 2436, die allerdings auf Importe aus Staatshandelsländern zugeschnitten ist. 121 In deutscher Sprache Vgl. insbesondere: Dirk Petennann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, Heidelberg 1989; Petros C. Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der USA und ihre Vereinbarkeit mit den GATT-Regeln, Stuttgart 1993. In englischer Sprache siehe u.a.: John H. Jackson/ William J. Davey/Alan O. Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.), Chapter 17; Alan O. Sykes, Constructive Unilateral Threats in International Commercial Relations: The limited Case for Section 301, in: 23 Law and Policy in International Business (1992), S. 263 ff.; Alan O. Sykes, Mandatory Retaliation for Breach of Trade Agreements: Some Thoughts on the Strategie Design of Section 301, in: 8 Boston University International Law Journal (1990), S. 301 ff.; Marco CEJ Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices - United States and EEC Complaint Procedures, in: 6 Journal of International Law and Business (1984), S. 651 ff.; Shirley A. Coffield, Using Section 301 of the Trade Act of 1974 as a Response to Foreign Government Trade Actions: When, Why and How, 6 North Carolina Journal of International Law & Commercial Regulation (1981), S. 381 ff.; Bart S. Fisher/Ralph G. Steinhardt IIl., Section 301 of the Trade Act of 1974: Protection for U.S. Exporters for Goods, Services and Capital, in: 14 Law and Policy in International Business (1982), S. 589 ff.; Elisabeth Zoller, Remedies for Unfair Trade: European and Uni ted States Views, in: Cornell International Law Journal (1985), S. 227 ff.; Patricia A. Hansen, Defining Unreasonableness in International Trade: Section 301 of the Trade Act of 1974, in: 96 Yale Law Journal (1987), S. 1122 ff.; Meinhard Hilf, International Trade Disputes and the Individual
11. USA: Section 301 des Trade Act von 1974
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meinsamkeiten und Unterschieden im Vergleich zur Rechtslage in der Gemeinschaft im Vordergrund. Die Section 301 soll daher zunächst vorgestellt werden, einige Details der Regelung allerdings erst später in der Gegenüberstellung zum gemeinschaftsrechtlichen Instrument erörtert werden.
Private Party Involvement in National and International Procedures Regarding Unfair Foreign Trade Practices, in: Aussenwirtschaft 1986, S. 279 ff.; Judith HipplerBellolAlan F. Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Northwestem Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff.; BellolHolmer, Significant Recent Developments in Section 301 Unfair Trade Cases, in: 21 International Law (1987), S. 211 ff.; BellolHolmer, The Post Uruguay Round Future of Section 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATT, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995), S. 473 ff.; BellolHolmer, GATT Dispute Settlement Agreement: Internationalization or Elimination of Section 301?, in: 26 International Law (1992), S. 795 ff.; HolmerlBello, The 1988 Trade Bill: Savior or Scourge of the International Trading System?, in: 23 International Law (1989), S. 523 ff.; Susana Hemandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of International & Comparative Law (1995), S. 213 ff.; Robert E. Hudec, Retaliation against "Unreasonable" Foreign Trade Practices: The new Section 301 and GATT Nullification and Impairment, in: 59 Minnessota Law Review (1975), S. 461 ff.; Robert E. Hudec, Thinking about the New Section 301: Beyond Good and Evil, in: Jagdish Bhagwati/Hugh T. Patrick (Hrsg.), Aggressive Unilateralism: America's 301 Policy and the World Trading System, S. 113 ff.; Wolfgang W. Leirer, Retaliatory Action in United States and European Union Trade Law: A Comparison of Section 301 of the Trade Act of 1974 and Council Regulation 2641184, in: 20 North Carolina Journal of International Law & Commercial Regulation (1994), S. 41 ff.; Gregory T. Nojeim, Foreign Industrial Targeting: Section 301 of the Trade Act 1974 as a Remedy, in: 25 Virginia Journal of International Law (1985), S. 484 ff.; Daniel Partan, Retaliation in United States and European Community Trade Law, in: 8 Boston University International Law Journal (1990), S. 333 ff.; Frank J. Schweitzer, Flash of the Titans: A Picture of Section 301 in the Dispute between Kodak and Fuji and a View toward Dismantling Anticompetitive Practices in the Japanase Distribution System, in: 11 American University Journal of International Law & Policy (1996), S. 847 ff.; Jared R. Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation: Adjudicating the Use of Section 301 before the WTO, in: 17 University of Pennsylvania Journal of International Economic Law (1996), S. 233 ff.; Marjorie A. Winkler, The Omnibus Trade Act of 1988, Section 301: A permissible Enforcement Mechanism or a Violation of the United States' Obligations under International Law, in: 11 Journal of Law & Commerce (1992), S. 283 ff.; Martin Nettesheim, Section 301 oft the Trade Act of 1974: Response to Unfair Foreign Trade practices, in: Grabitz (Hrsg.), U.S. Trade Barriers - a legal analysis (1991), S. 353 ff.; A. Lynne PuckettlWilliam L. Reynolds, Current Development: Rules, Sanctions and Enforcement under Section 301: At Odds with the WTO?, in: American Journal of International Law Vol. 90 (1996), S. 675 ff.; David Palmeter, A Few - Very Few Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff.
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
2. Zweck und Geschichte der Section 301 Zweck der Section 301 des Trade Act von 1974 ist es, bestimmte ausländische Handelspraktiken zu beseitigen und Rechte der Vereinigten Staaten durchzusetzen, die sich aus Handelsabkommen ergeben. 122 Dabei sollen nicht nur wie mit anderen handelspolitischen Instrumenten potentiell schädliche Maßnahmen anderer Staaten abgewehrt werden. Vordringliches Ziel der Section 301 ist vielmehr die Öffnung von Drittmärkten für amerikanische Produkte. 123 Die Wahmehmung der amerikanischen Interessen erfolgt dabei durch die Exekutive. Der U.S.-Handelsbeauftragte (United States Trade Representative - USTR),124 vom Präsidenten eingesetzt, beherrscht das Verfahren, der Präsident selbst kann ihm Weisungen erteilen und ist am Ende des Verfahrens verantwortlich für die gegen andere Staaten zu ergreifenden Maßnahmen. 125 Section 301 enthält eine aus Verfassungsgründen notwendige Ermächtigung des Präsidenten, die Bestimmungen aus Handelsabkommen um- und durchzusetzen. 126 An sich liegt gemäß Art. I § 8 cl. 3 der U.S.-amerikanischen Verfassung die Kompetenz für den Außenhandel bei der Legislative. 127 Der Präsident ist zuständig für die auswärtigen Beziehungen und soll die Einheit der Vereinigten Staaten nach außen repräsentieren. 128 Aus 122 Vgl. die Überschrift zu Title III, Chapter I des Trade Act von 1974, in dem die Section 301 steht: "Enforcement of United States Rights under Trade Agreements and Response to Certain Foreign Trade Practices". Zitiert nach Jackson/Davey/Sykes, 1995 Documents Supplement to Legal Problems of International Economic Relations, S. 993. 123 So Bello/Holmer, The Post Uruguay Round Future of Section 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATT, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995), S. 473 ff., auf S. 476. Beide Autoren arbeiteten jahrelang in der Office des U.S. Trade Representative. 124 Bis 1980 ,,special Trade Representative (STR); vgl. Gary N. Horlick/Clemens J.M. Kochinke, Die Behörde des Handelsbeauftragten der USA, in: RIW 1981, S. 458 f.; Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.), S. 1501151. 125 Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677. 126 Vgl. Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Ruley/ Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 125. 127 Article I, Section 8 lautet: "The Congress shall have Power to lay and collect Taxes, Duties, Imposts and Excises ... To regulate Commerce with foreign nations, ... To make all Laws which shall be necessary and proper for carrying into Execution the foregoing Powers ... ". 128 Art. 11 § 2 cl. 2 der U.S.-amerikanischen Verfassung: "The President shall be Commander in Chief of the Army ... He shall have the Power, by and with the
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Effektivitätsgründen hat sich der Kongress aber dafür entschieden, dem Präsidenten die Aufgabe zu übertragen, gegen "unfaire" Handelspraktiken anderer Staaten vorzugehen. 129 Unmittelbarer Vorgänger 130 der Section 301 war die bereits erwähnte Section 252 des Trade Expansion Act von 1962. 131 Der Präsident konnte danach Einfuhrbeschränkungen erlassen, wenn ausländische Importe in ungerechtfertigter 132 oder unangemessener 133 Weise der amerikanischen Exportindustrie schadeten. Section 252 enthielt aber wichtige Einschränkungen: 134 Die Vorgaben des Völkerrechts waren zu beachten und Vergeltungsmaßnahmen sollten lediglich in Form von Zollerhöhungen vorgenommen werden. 135 Advice and Consent of the Senate, to make Treaties ... ". Die außenpolitischen Kompetenzen des Präsidenten wurden wesentlich gestärkt durch die 1936 ergangene Entscheidung des Supreme Court, in: United States v. Curtiss-Wright, 299 U.S. 304, 57 S. Ct. 216, 81 L. Ed. 255. Vgl. zum Ganzen auch Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, S. 37, 47; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 89. 129 Zu den Kompetenzstreitigkeiten zwischen Legislative und Exekutive im Außenhandelsbereich vgl. Birenbaum, The Omnibus Trade Act of 1988: Trade Law Dialectics, in: 10 University of Pennsylvania Journal of International Business Law (1988), S. 653 ff. 130 Die historischen Ursprünge der Section 301 werden zum Teil bis ins Jahr 1794 zurückdatiert (s.o.). Als wichtiger Ausgangspunkt wird auch das Jahr 1934 genannt, in dem Änderungen des Tariff Act von 1930 ähnliche Befugnisse des Präsidenten begründeten, wie es später die Section 301 tat. Vgl. Fisher/Steinhardt, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: 14 Law & Policy in Int. Business (1982), S. 569 ff., auf S. 573; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 44 Fn.4. 131 Pub. L. No. 87-794; 252, 76 St. 872, 879-880 (1962). 132 "Unjustifiable foreign import restrictions". Zitiert nach Palmeter, A Few Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 124. Siehe auch PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676. 133 "Unreasonable import restrictions". Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 124; PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676. 134 Dieser Umstand, ein anderer Zeitgeist und die geringe praktische Bedeutung des Instruments mögen der Grund sein, warum Section 252 nie einer der Section 301 vergleichbaren Kritik ausgesetzt war. Vgl. dazu auch Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 125. 135 PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676.
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
Section 301 wurde 1974 136 eingeführt, weil der Kongress die Rechte der Vereinigten Staaten durch die zuvor bestehende Regelung nicht offensiv genug vertreten sah. 137 Der Präsident musste internationale Verpflichtungen nun nicht mehr beachten und konnte auf unfaire Handelspraktiken auch mit dem Erlass nicht -tarifarer Handelsmaßnahmen 138 reagieren. 139 Zudem wurden Fristen eingeführt, um den zeitlichen Ablauf des Verfahrens zu straffen, aber auch eine Verpflichtung, Konsultationen mit dem Staat zu führen, dessen Handelspraktiken gerügt wurden. 140 1979 141 und 1984 142 wurde die Section 301 geändert. Einige Begriffe wurden erstmals definiert,143 und ein Recht des USTR begründet, von Amts wegen ein Untersuchungsverfahren einzuleiten. 144 Der Präsident durfte im Rahmen der Vergeltung ausländische Investitionen in den USA mit Beschränkungen belegen. 145 Die wohl einschneidendsten Veränderungen erfolgten 1988 mit Erlass des Omnibus Trade and Competitiveness ACt. 146 Die Herrschaft über das VerTrade Act of 1974, Pub. L. No. 93-618, 301, 88 stat. 2290, 2364-66 (1974). Vgl. Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 33. 138 Der Unterschied spielt eine wichtige Rolle, da tariflire Maßnahmen (d.h. im wesentliche Zölle) marktwirtschaftliche Mechanismen weniger beeinträchtigen, sichtbarer, berechenbarer und besser verhandelbar sind. Vgl. Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.), S. 377. 139 Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676/677. 140 Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677. 141 Trade Agreements Act of 1979, Pub. L. No. 96-39, 901, 93 Stat. 144,295-96 (1979). 142 Trade and Tariff Act of 1984, Pub. L. No. 98-573, 301, 98 Stat. 2948, 3000 (1984). 143 "Unjustifiable", "unreasonable", "discriminatory practices". Definiert in Section 301 (d); 19 U.S.C. § 2411 (d). 144 Section 302 (b); 19 U.S.c. § 2412 (b). 145 Vgl. Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677. 146 Pub. L. No. 100-418, 1301, 102 Stat. 1107, 1164-68 (1988). Vgl. dazu auch Judith Hippler-Bello/ Alan F. Holmer, The Heart of the 1988 Trade Act: A Legislative History of the Amendments to Section 301, in: 25 Standford Journal of International Law (1988), S. 1 ff.; Ashman, The Omnibus Trade and Competitiveness Act of 1988 - The Section 301 Amendments: Insignificant Changes from prior law?, in: 7 Boston Univ. International Law Journal (1989), S. 115 ff.. Auf deutsch siehe Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 95 ff.; Murphy/Dielmann, Der U.S. Omnibus Trade and Competitiveness Act von 1988, in: RIW 1988, S. 929 ff. Ein guter Überblick über die Änderungen findet sich bei Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff. in Fn. 53. 136
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II. USA: Section 301 des Trade Act von 1974
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fahren wurde von dem Präsidenten vollständig auf den U.S.-Handelsbeauftragten (USTR) übertragen. Letzterer trifft seitdem die wesentlichen Entscheidungen, während dem Präsidenten nur noch eine Aufsichts- und Lenkungsfunktion verbleibt. 147 Da es sich beim USTR um einen von dem Präsidenten eingesetzten und dessen Weisungen unterworfenen Beamten handelt,148 drängt sich die Frage auf, welchen Zweck die Legislative mit dieser Änderung verfolgte. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ergibt sich, dass der Kongress die Stellung des Präsidenten schwächen wollte, um die Effektivität des Mechanismus zu stärken. 149 Dazu muss man wissen, dass seit jeher der Kongress die treibende Kraft hinter der Section 301 war. Die Abgeordneten waren der Auffassung, dass die Rechte und Interessen der Vereinigten Staaten durch die Exekutive nicht immer offensiv genug vertreten wurden. 150 Sie befürchteten, ein Präsident könnte den ihm bis dahin zustehenden, weiten Ermessenspielraum in einer Art und Weise nutzen, die den Vorstellungen des Kongresses nicht entsprach. Daher wurde der Spielraum eliminiert und der USTR in manchen Fällen zu obligatorischen Maßnahmen verpflichtet. 151 Darüber hinaus waren die Einflussmöglichkeiten des Kongresses auf den Präsidenten eingeschränkt. Anders als der Handelsbeauftragte musste der Präsident sich für seine Entscheidungen nicht vor dem Kongress rechtfertigen. 152 Während der USTR bislang auf die Entscheidungsgewalt des Präsidenten verweisen konnte, wurde ihm dieser Ausweg nunmehr verschlossen. 153 147 PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677; Mavroidis, Handelspolitische Abwehnnechanismen der EWG und der U.S.A., S. 105. 148 Mavroidis, Handelspolitische Abwehnnechanismen der EWG und der U.S.A., auf S. 105 Fn. 416. 149 PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677. Vgl. auch Mavroidis, Handelspolitische Abwehnnechanismen der EWG und der U.S.A., S. 107 f., der hier einen Kompromiss zwischen Legislative und Exekutive sieht. 150 Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 76; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 300. 151 Einen anderen Erklärungsansatz wählt Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 105/106, der die Trennung zwischen obligatorischem und fakultativem Handeln als Gegenstück zu einem weiten Beurteilungsspielraum der Verwaltung sieht. Das Ganze sei, so Mavroidis, ein Beweis für die Tendenz des Kongresses, den Handel von der Politik abzukoppeln. 152 Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 126/127. 153 Palmeter, ebd.
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
Die Kongressabgeordneten hatten damit durch die Kompetenzverlagerung vom Präsidenten auf den USTR die Entscheidungskompetenz auf das Organ verlagert, auf das sie größeren Druck ausüben konnten. Ihre Absicht war, dass dieser verstärkt handelspolitische Maßnahmen ergreifen solle und um ganz sicher zu gehen, haben sie in manchen Fällen die Entscheidung gesetzlich vorweggenommen. Sie haben sich damit einen größeren Einfluss auf das Section 301-Verfahren gesichert und insgesamt die "Schlagkraft der USA im bilateralen Handelskampf d54 erhöht. Auch andere 1988 eingeführte Neuerungen dokumentieren diese Intention des Kongresses. So wurde beispielsweise bestimmt, dass Maßnahmen zwingend ergriffen werden müssen, wenn die Handelspraktiken einer ausländischen Regierung gegen die Bestimmungen eines mit den USA geschlossenen Handelsabkommens verstoßen. 155 Mit dem Omnibus Trade and Competitiveness Act wurden auch "Special 301" und "Super 301" eingeführt. Was sich hinter diesen Begriffen verbirgt, wird weiter unten genauer erläutert. An dieser Stelle soll der Hinweis darauf genügen, dass diese neuen Tatbestandsalternativen den Anwendungsbereich der Section 301 erweiterten und damit sein Abschreckunspotential erhöhten. 156 Nach dem Abschluss der Uruguay Runde wurde allgemein angenommen, dass die Section 301 wesentlich verändert oder sogar aufgehoben werden würde. Wider Erwarten führten die Reformen von 1994 und 1996 jedoch zu keinen substanziellen Modifikationen. Im Zusammenhang mit der Uruguay Runde gab es lediglich eine erwähnenswerte Einschränkung: zeitgleich mit dem Uruguay Round Agreements Act, das Verpflichtungen aus den WTO Verträgen in nationales Recht umsetzte l57 , erging auch ein sogenanntes Statement of Administrative Action l58 . Diese verwaltungsinterne Richtlinie verpflichtete die Exekutive, bei der Ausübung des in Section 301 eingeräumte Ermessens die völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA zu beachten. 159
154 So PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677. 155 PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677. 156 Dazu im Einzelnen unten. 157 Auszüge bei Jackson/Davey/Sykes, 1995 Documents Supplement, S. 1165 ff. 158 H.R. Doc. No. 103-316. 159 Statement of Administrative Action S. 1; vgl. auch World Trade Organization, Report of the Panel, United States Sections 301-310 of the Trade Act of 1974, WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII. C. 7. 110.
11. USA: Section 301 des Trade Act von 1974
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Am 25. November 1998 initiierte die EG 160 wegen der Section 301 ein Streitbeilegungsverfahren gegen die USA. Einzelheiten dieses Verfahrens werden unten 161 noch näher erörtert. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass ein WTO-Verstoß in den von der EG gerügten Punkten nicht festgestellt wurde. 3. Die verschiedenen Tatbestandsvarianten der Section 301
Man unterscheidet bei der Section 301 grundsätzlich zwischen drei verschiedenen Alternativen: (1) der ursprünglichen Section 301, die sich gegen "unfaire Handelsprakti-
ken" wendet, 162
(2) "Special 301 ", das dem Schutz des geistigen Eigentums dient l63 und
(3) "Super 301", das sich allgemein gegen Länder richtet, die besonders hohe Handelsbarrieren für die amerikanische Exportwirtschaft errichtet haben. 164 Zum Teil wird in diesem Zusammenhang auch noch "Telecommunications 301,,165 genannt. 166 Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Regelung, die die Prinzipien der Section 301 auf den Telekommunikationsmarkt anwendet. Im Folgenden soll zunächst die ursprüngliche Section 301 mit ihren Tatbeständen vorgestellt werden. Dort muss weiter unterschieden werden zwischen den in Absatz (a) und in Absatz (b) geregelten Fällen. Ist einer der Tatbestandsalternativen der Section 301 Absatz (a) erfüllt, muss der USTR nämlich Maßnahmen ergreifen. Anderes gilt hingegen bei Absatz (b), wo das Ergreifen von Maßnahmen in das Ermessen des Handelsbeauftragten gestellt wird.
Genauer: Die Europäischen Gemeinschaften. In Nr. 6. 162 19 U.S.C. §§ 2411-2420 (1998). 163 19 U.S.C. § 2242 (a) (1) (A). 164 19 U.S.C. § 2420 (a) (1) (A) & (B). 165 Section 371-382 des Trade Act von 1974, 19 U.S.C. § §§ 3101-3112. 166 BellolHolmer, The Post Uruguay Round Future of Section 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATT, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995), S. 473 ff., auf S. 477. 160 161
4 Cascante
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
a) Anwendungsbereich der Section 301
Der Begriff "Handel" wie er immer wieder in der Section 301 verwendet wird, beschränkt sich nicht auf den Handel mit Gütern. Das Gesetz stellt vielmehr ausdrücklich klar, dass auch Dienstleistungen erfasst werden, einschließlich des Transfers von Informationen und unabhängig von der Frage, ob die jeweilige Dienstleistung sich auf spezifische Güter bezieht. 167 Dass der Schutz geistigen Eigentums ebenfalls vom Regelungsanspruch der Section 301 erfasst wird, ergibt sich aus der Tatsache, dass dieser Aspekt mehrfach in den folgenden Bestimmungen erwähnt wird und mit "Special 301" ein eigenes Instrument für diesen Bereich geschaffen wurde. 168 Des Weiteren ist mit "Handel" auch jegliche Direktinvestition durch Personen der Vereinigten Staaten gemeint, die Auswirkungen auf den Handel mit Gütern oder Dienstleistungen haben könnte. 169 Damit ist der Anwendungsbereich der Norm jedoch keinesfalls erschöpft. Section 301 Absatz (d) (1) stellt ausdrücklich fest, dass die dort enthaltene Definition des "Handels" beispielhaft und nicht abschließend ist. 170 Der Anwendungsbereich der Section 301 ist damit insgesamt äußerst flexibel und einer dynamischen Interpretation zugänglich. Die Section 301 ermöglichte immer schon ein Vorgehen in Bereichen, die nicht vom GATT 1947 erfasst wurden. 171 Auch nach Abschluss des WTO-Abkommens bestehen jedoch die Diskrepanzen im Anwendungsbe167 Section 301 (d) (1) (A); 19 U.S.C. § § 2411 (d) (1) (A). Anwendungsbeispiele bei Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 661 ff. 168 Section 301 (d) (3) (B) (11) sagt beispielsweise, dass als unangemessene Handelspraktiken Bestimmungen angesehen würden, die einen fairen und gleichen Schutz der Rechte an geistigem Eigentum nicht gewährleisten: 19 U.S.c. § 2411 (d) (1) (A). Special 301 dient ausschließlich dem Schutz geistigen Eigentums. Vgl. Section 182 des Trade Act von 1974; 19 U.S.C. § 2242. Vgl. auch Mavroidis, Handelspolitische. Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 138; Rippler-Bellol Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 662 ff., mit Anwendungsbeispielen. 169 Section 301 (d) (1) (B); 19 U.S.C. § 2411 (d) (1) (B). Anwendungsbeispiele bei Hippler-BellolHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 664/665. 170 Section 301 (d) (1): "The term "Commerce" includes, but is not limited to ... "; 19 U.S.c. § 2411 (d) (1). 171 Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 660; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen" S. 56; PuckettlReynolds, Seetion 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676 ("extra GATT power").
11. USA: Seetion 301 des Trade Act von 1974
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reich fort. Der Anwendungsbereich der Section 301 weist keine klaren Grenzen auf und erstreckt sich nicht nur auf Hindernisse für Investitionen und Marktchancen, sondern lässt auch ein Vorgehen zu aufgrund der Wettbewerbspolitik, den Sozial-Standards oder dem Umgang mit Menschenrechten in Drittstaaten. 172 Die bedenklichen Konsequenzen dieses Umstandes fasste ein Kenner der Materie treffend wie folgt zusammen: "Section 301 can encompass virtually any foreign government practices, unilaterally deemed objectionable by the United States."173
b) Mandatory Action - zwingendes Tätigwerden des USTR gemäß Section 301 Absatz (a)
aa) Überblick Absatz (a), Unterabsatz (1) der Section 301 enthält vier Tatbestandsvarianten. Der USTR muss danach zwingend Maßnahmen ergreifen, wenn (l) den Vereinigten Staaten die Ausübung von Rechten verwehrt wird, die
sich aus irgendeinem Handelsabkommen ergeben; 174
(2) ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes gegen Bestimmungen eines Handelsabkommens verstößt oder mit diesen unvereinbar ist; 175 (3) ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes zwar nicht unvereinbar mit den Bestimmungen eines Abkommens ist, den Vereinigten Staaten aber Vorteile vorenthält, die sich aus diesem Abkommen ergeben;176 (4) ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes
nicht zu rechtfertigen ist l77 und den Handel der USA belastet oder einschränkt. 178
Diese Varianten und die in ihnen verwendeten Begriffe bedürfen näherer Erklärung.
172 Hemandez-Puente, Seetion 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff. auf S. 230. 173 Sykes, Constructive Unilateral Threats, auf S. 313. 174 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (A) (1998). 175 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (B) (i) 1. Alternative (1998). 176 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (B) (i) 2. Alternative (1998). 177 Im Original: "is unjustifiable". 178 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (B) (ii) (1998). 4*
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
bb) Alternative 1: "Den Vereinigten Staaten [wird] die Ausübung von Rechten verwehrt ... , die sich aus irgendeinem Handelsabkommen ergeben. ,,179 Der Begriff "Handelsabkommen" ist vom U.S.-Handelsbeauftragten stets restriktiv ausgelegt worden. Erfasst wurde danach nur das GATT, sowie Handelsabkommen, bei denen die Zustimmung gemäß § 3 Absatz (a) des Trade Agreements Act von 1979 180 vorlag. 181 Grund für diese Auslegung ist die Regelung in Section 303 Absatz (a) Unterabsatz (2) des Trade Act von 1974. 182 Danach muss der USTR bei Untersuchungsverfahren, die sich auf ein Handelsabkommen beziehen, nach Ablauf bestimmter Fristen ein formales Streitbeilegungsverfahren gemäß den Vorschriften des jeweiligen Abkommens einleiten. Manche von den USA abgeschlossenen handelsbezogenen Abkommen verweisen nun aber auf eine Streitbeilegung vor dem Internationalen Gerichtshof. 183 Der USTR 19 U.S.c. § 2411 (a) (1) (A) (1998). 19 U.S.c. § 2503 (a) (1982). 181 Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Corno Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 54/55; Nettesheim, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: Grabitz (Hrsg.), U.S. Trade Barriers - a legal analysis, S. 353 ff., auf S. 362; Hippler-BelioIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirernents, Procedures and Developrnents, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 634. Bei diesem Abkommen handelt es sich im Wesentlichen um die im Rahmen der GATI Tokyo Runde abgeschlossenen Seitenabkommen. Vgl. Hippler-BelioIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., Fn.4 und S. 635. In Fn. 4 nennen diese als Beispiele: Agreement on Implementation of Article VII of the General Agreement on Tariffs and Trade (Customs Valuation), Apr. 12, 1979, T.I.A.S. No. 10,402; Agreement on Government Procurement, Apr. 12, 1979, T.I.A.S, No. 10, 403; Agreement on Import Licensing Procedures, Apr. 12, 1979, 32 U.S.T. 1585, T.I.A.S. No. 9788; Agreement on Technical Barriers to Trade, Apr. 12, 1979, 31 U.S.T. 405, T.I.A.S. No. 9616; Agreement on Interpretation and Application of Articles VI, XVI and XXIII of the General Agreement on Tariffs and Trade (Subsidies and Countervailing Measures), Apr. 12, 1979, 31 U.S.T. 513, T.I.A.S. No 9619; Agreement on Implementation of Article VI of the General Agreement on Tariffs and Trade (Antidumping Measures), Apr. 12, 1979, 31 U.S.T. 4919, T.I.A.S. No. 9650; Agreement on Trade in Civil Aircraft, Apr. 12, 1979, 31 U.S.T. 619, T.I.A.S. No. 9620. Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 55 nannte 1989 als möglichen Maßstab auch die Prinzipien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) zu Beseitigung von Agrariiberschüssen und die Kodizes der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). 182 19 U.S.C. § 2413 (a) (2) (1998). 183 Z.B. Convention of Establishment, Nov. 25, 1959, United States-France, Art. XVI: 2, 11 U.S.T. 2398, T.I.A.S. No 4625; zitiert nach Hippler-BelioIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Develop179 180
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ging stets davon aus, dass der Kongress nicht beabsichtigt hatte, vor dem Erlass von Vergeltungsmaßnahmen im Rahmen der Section 301 eine Erörterung der Handelsstreitigkeiten vor dem IGH zu fordern. Er wählte daher eine Interpretation des Begriffes "Handelsabkommen", die ein solches Verfahren nicht notwendig machte. 184 Übrig blieben damit im Wesentlichen das GATT und seine Seitenabkommen. 185 Nach Inkrafttreten des WTO-Abkommens dürften damit unter "Handelsabkommen" im Wesentlichen alle im Rahmen der Uruguay-Runde abgeschlossenen Übereinkünfte zu verstehen sein. Im Rahmen dieser ersten Alternative der Section 301 ist jeweils zu klären, welche Rechte den Vereinigten Staaten aufgrund der WTO-Abkommen zustehen. Wie oben bereits erwähnt, besteht zudem eine Pflicht, in diesen Fällen ein Konsultations- und Streitbeilegungsverfahrens im Rahmen der WTO durchzuführen. Unter der Geltung des GATT 1947 führten diese Anforderungen wegen der Schwächen des GATT-Streitbeilegungsverfahrens zu einer weitgehenden Bedeutungslosigkeit der ersten Variante. 186 Der erweiterte Anwendungsbereich des WTO-Rechts und die Stärkung des Streitbeilegungsverfahrens könnten hier allerdings in der Zukunft zu einer Veränderung führen. cc) Alternative 2: ,,[E]in einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes [verstößt] gegen Bestimmungen eines Handelsabkommens oder [ist] mit diesen unvereinbar.,,187 Der Unterschied zur ersten Alternative ist hier zum Teil darin gesehen worden, dass dort eine Bindung des USTR an die Konsultations- und Streitbeilegungsverfahren des GATT bestand, bei der zweiten Alternative hingegen nicht. 188 ments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 634 Fn. 4. 184 Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Deve1opments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 634 Fn. 4. 185 Beispiele für Verfahren, in denen Art. I, 11, III, VI, VII, VIII, IX, XI, XII, XIII, XVI GATT sowie die GATT Folgeabkommen als Maßstab für die Rechtmäßigkeit einer Handelspraxis herangezogen wurden, finden sich bei Petennann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 45-55. 186 Petennann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 44. 187 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (B) (i) 1. Alternative (1998). 188 Petennann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 44, der allerdings die zweite und dritte Alternative gemeinsam behandelt (und insoweit im Hinblick auf die dritte Recht hätte) unter Verweis auf J.R. JohnstonlR. Charles, Actions against Foreign Government Trade and Investment Practices: Section 301 of
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
Section 303 (a) (2) bestimmt jedoch: "Wenn die gemäß Section 302 eingeleitete Untersuchung ein Handelsabkommen betrifft ... muss der Handelsbeauftragte unverzüglich entsprechend den Bestimmungen des Abkommens ein Streitbeilegungsverfahren in der Sache beantragen.,,189
Da beide Tatbestandsalternativen sich auf "Handelsabkommen" beziehen, kann der Unterschied zwischen ihnen nicht in der Durchführung eines GATI /WTO Streitbeilegungsverfahrens begründet sein. Erfasst werden sollen von der 2. Tatbestandsvariante direkte und indirekte Rechtsverletzungen, 190 auch in Fällen, in denen die Vereinigten Staaten nicht unmittelbar Rechte aus der entsprechenden Norm herleiten könnten. Hinter diesen Formulierungen versteckt sich die Absicht, eine lückenlose Regelung zu schaffen. In der Praxis wird denn auch auf eine trennscharfe Abgrenzung zur ersten Tatbestandsalternative verzichtet. 191 dd) Alternative 3: "Ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes [ist] zwar nicht unvereinbar mit den Bestimmungen eines Abkommens ... , enthält den Vereinigten Staaten aber Vorteile vor ... , die sich aus diesem Abkommen ergeben.'.I92 Wie bei den ersten beiden Alternativen muss sich der Antrag auf Einleitung eines Verfahrens auch bei dieser Variante auf ein Handelsabkommen im oben definierten Sinne beziehen. Der Unterschied zwischen den ersten beiden und der dritten Alternative besteht allerdings darin, dass es bei den erstgenannten jeweils um im Widerspruch zu Rechtsvorschriften stehende Maßnahmen geht. Diese Alternative hingegen erlaubt Maßnahmen gegen an sich rechtmäßige ausländische Handelspraktiken. 193 Auf den ersten Blick the Trade Act of 1974 as amended, Law & Practice of the United States Regulation and International Trade, New York 1987, auf S. 15, 18. 189 "If the investigation initiated under section 302 involves a trade agreement. .. the Trade Representative shall promptly request proceedings on the matter under the formal dispute settlement procedures provided under such agreement." Hervorhebung vom Verfasser. 190 Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 44 unter Verweis auf VakericslWilsonlWeigel, Antidumping, Countervailing Duty, and other Trade Actions, New York 1987, S. 451. 191 Wie Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 44, zutreffend feststellt, ließe sich diese wohl auch nur schwerlich durchführen. 192 19 U.S.c. § 2411 (a) (1) (B) (i) 2. Alternative (1998). 193 Vgl. Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Econornic Relations (3. Autl), S. 815; Hippler-Bello/Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International
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mag dies befremdlich erscheinen. Die Tatbestandsalternative bewegt sich aber im Rahmen dessen, was im GATT/WTO-Recht seit jeher anerkannt ist. Sowohl im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens als auch der Section 301 können Antragssteller einen Verstoß gegen WTO-Recht geltend machen. Wird der Verstoß in hinreichender Weise belegt, besteht eine widerlegbare Vermutung für die negativen Auswirkungen, d.h. letztlich für "nullification and impairment" der im WTO-Vertrag gemachten Zugeständnisse. 194 Im WTO-Recht kann man jedoch nicht nur einen Rechtsverstoß rügen, sondern auch geltend machen, dass einem im Vertrag angelegte Vorteile vorenthalten werden. In diesem Fall liegt keine Verletzung des Wortlauts der Bestimmungen vor, wohl aber ein Widerspruch zu Sinn und Zweck der Vorschrift (sogenannte "non-violation nullification and impairment,,).195 Die 3. Alternative der Section 301 (a) (1) stellt lediglich klar, dass auch dieser Fall von der U.S.-amerikanischen Regelung erfasst wird. 196 Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 638 mit Anwendungsbeispielen; Nettesheim, Section 301 oft the Trade Act of 1974, in: Grabitz (Hrsg.), U.S. Trade Barriers - a legal analysis, S. 353 ff., auf S. 363; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 57. 194 Vgl. im Rahmen des GATT/WTO Rechts z.B. den GATT Panel Bericht zu United States Taxes on Petroleum and certain imported substances, 34th Supp. BISD 136 (1988), Rn. 5.1.3.: "According to established GATT Practice ... where there is an infringement of the obligations assumed under the General Agreement, the action is considered prima facie to constitute a case of nullification or impairment.". Dies ist nunmehr in Art. 3 Absatz (8) des WTO Dispute Settlement Understanding ausdrücklich festgelegt. Vgl. auch Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.), S. 348 ff. Für Section 301 nochmals ausdrücklich Hippler-Bello-Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements; Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 634. 195 Art. XXIII Abs. 1 (b) GATT; nunmehr auch Art. XXIII Abs. (3) GATS und Art. 26 Abs. (1) der Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Dispute Settlement Understanding-DSU). Vgl. dazu Jackson/Davey/ Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.), S. 357 ff.; Petersmann, Violation and non-violation Complaints in Public International Trade Law, in: 34 German Yearbook of International Law 1992, S. 175 ff., auf S. 196 ff. Bis 1995 kam es im Rahmen des GATT lediglich zu 8 non-violation complaints. Nur in 3 Fällen wurden die Panel Berichte angenommen. Alle Verfahren bezogen sich auf Zollzugeständnisse. Vgl. JacksoniDavey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.), S. 362/363. 196 Beispiel für ein solches Verfahren im Rahmen der Section 301 ist: Florida Citrus Commission and CaliJomia-Arizona Citrus League, Texas Citrus Mutual, Texas Citrus Exchange V. European Communities. Zur Einleitung des Untersuchungsverfahrens gern. Section 301 vgl. 41 Federal Register 52, 567 und 568 (1976), zu Vergeltungsmaßnahmen 50 Federal Register 26, 143 (1985), zur Einstellung der
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Ein Antragsteller, der im Rahmen eines Section 301 Verfahrens die Verletzung von WTO-Vorschriften geltend macht, muss nicht eine Belastung oder Einschränkung der Handelstätigkeit vortragen. Nur wenn er sich gegen eine an sich rechtmäßige Maßnahme wendet, muss er glaubhaft darlegen, dass ihm durch das an sich Verhalten des ausländischen Staates ein Schaden entsteht. 197 Es handelt sich daher um die einzige Alternative die sich auf "Handelsabkommen" bezieht, wo diese Tatbestandsvoraussetzung eine Rolle spielt. 198 ee) Alternative 4: "Ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes [ist] nicht zu rechtfertigen 199 ... und führt zu einer Belastung oder Einschränkung des Handels der USA. ,,200 Section 301 (d) definiert, dass ein Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis "nicht gerechtfertigt" ist, wenn sie gegen internationale Rechte der Vereinigten Staaten verstößt oder mit diesen unvereinbar ist. 201 Während die ersten beiden Alternativen Verstöße gegen Handelsabkommen beinhalten, bezieht sich diese auch auf die Missachtung völkerrechtlicher Verträge, die nicht von der engen Definition für solche Abkommen erfasst sind. 202 So leiteten die Vereinigten Staaten beispielsweise ein Untersuchungsverfahren gegen Korea ein, weil dort amerikanische Versicherungsfirmen gegenüber koreanischen benachteiligt wurden?03 Gestützt wurde das VerfahMaßnahmen 51 Federal Register 30, 146 (1986). Im Rahmen des GATI vgl. z.B. EEC-Payments and subsidies paid to processors and producers of oilseeds and related animal-feed proteins. In diesem Verfahren machten die USA neben einern non violation impairrnent auch eine Verletzung von Art. III: 4 GATI geltend. Der Panel-Bericht wurde am 25. Januar 1990 angenommen und ist in GATI BISD 37S196 (1991) zu finden. In Auszügen abgedruckt auch bei Pescatore/Davey/Lowenfeld, Handbook of WTO/GATI Dispute Settlement, Vol. 2 Case 77. 197 Hippler-BelloIHolmer, Seetion 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Deve10pments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 634 Fn. 4. 198 Diese "burden or restrietion on commerce" spielt bei nicht auf Handelsabkommen bezogenen Tatbestandsalternativen stets eine Rolle. 199 Im Original: "is unjustifiab1e". 200 19 u.s.c. § 2411 (a) (1) (B) (ii) (1998). 201 19 U.S.C. § 2411 (d) (4) (A) (1998). 202 Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 640. 203 Korea's Restrictions on Insurance Services, 50 Federal Register 37, 609 (1985).
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ren auf einen Verstoß gegen ein Abkommen zwischen den USA und Korea,204 das die Anforderungen des USTR an "Handelsabkommen" nicht erfüllte. Darüber hinaus werden von dieser Tatbestandsalternative Fälle erfasst, bei denen Rechtsvorschriften aus Handelsabkommen gegenüber Nicht-Vertragsparteien geltend gemacht werden205 oder international anerkannte Regeln verletzt werden?06 Unter letzteren versteht man sog. soft law 207 oder Prinzipien des Völkerrechts, soweit sie nicht bereits in Übereinkünften verankert sind. 208 Eine nicht gerechtfertigte Handelspraxis führt nur dann zum Erlass handelspolitischer Maßnahmen, wenn sie eine "Belastung oder Einschränkung des amerikanischen Handels,,209 zur Folge hat. 210 Ausreichend ist insoweit die Belastung eines einzelnen Unternehmens. 211 Eine solche "Belastung" wird häufig damit begründet, dass amerikanische Exporte von ausländischen Produkten verdrängt worden sind,212 sei es im Staat, dessen Handels204 Verstoß gegen das Inländergleichbehandlungsgebot des Art. VII des Treaty of Friendship, Commerce and Navigation vom 28. November 1956, 8 U.S.T. 2217, T.I.A.S. No. 3947. 205 Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S.109. 206 Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 56/57 unter Verweis auf VakericslWilsonlWeigel, Antidumping, Countervailing Duty, and other Trade Actions, New York 1987, S. 453. 207 V gl. dazu Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, S. 45 Rn. 68; Seidl Hohenveldem, International Economic "Soft Law", in: 163 Recueil des Cours d'academie de Droit International (1980), S. 165 ff.; Schachter, The Twilight Existence of Nonbinding International Agreements, in: 71 American Journal of International Law (1977), S. 296 ff. 208 FisherlSteinhardt, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: 14 Law & Policy in Int. Business (1982), S. 569 ff., auf S. 597; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 66 f. und 72; Nettesheim, Seetion 301 of the Trade Act of 1974, in: Grabitz (Hrsg.) U.S. Trade Barriers - a legal analysis, S. 353 ff., auf S. 363; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 28; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 57. 209 .. Burdens or restriets United States commerce." Section 301 (a) (1) (B) (ii), 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (B) (ii). Die Unterscheidung zwischen ..trade" (z. B. in ..trade agreement") und ..commerce" ist im amerikanischen Sprachgebrauch nicht immer einheitlich. Gemeint ist hier wohl mit ..Trade" ausschließlich der Außenhandel, während "commerce" der weitergehende Begriff sein dürfte, der jegliche Art von Handel umfasst. 210 Im Sinne einer kausalen Verknüpfung. 211 Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 694; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 62.
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praktiken gerügt werden 213 oder aber in Drittmärkten.114 Weniger häufig werden Anträge auf eine "Einschränkung" des amerikanischen Handels gestütZt. 215 Dies dürfte daran liegen, dass an eine Einschränkung höhere Anforderungen gestellt werden.116 ff) Ausnahmetatbestand Selbst wenn die Voraussetzungen einer der oben genannten Tatbestandsvarianten erfüllt sind, besteht für den Handelsbeauftragten nicht immer eine Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen. Section 301 Absatz (a) Unterabsatz (2) enthält insoweit zahlreiche Ausnahmebestimmungen zu Unterabsatz (1).1 17 Die wichtigsten Fälle, in denen der USTR keine Maßnahmen ergreifen
muss, sind: 218
(1) ein WTO-Panel entscheidet, es liegt keine verbotene Handelspraktik vor; (2) nach Einschätzung des USTR bemüht sich die ausländische Regierung,
die Handelsbarrieren abzubauen;
(3) die ausländische Regierung gesteht eine Kompensation zu; (4) die mögliche Vergeltungsmaßnahme könnte unverhältnismäßig nachteilige Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft haben; (5) eine Vergeltungsmaßnahme könnte die nationale Sicherheit beeinträch-
tigen.
Besonders hervorzuheben ist, dass vom Wortlaut der Vorschrift her ein Handeln des USTR nicht erforderlich, aber dennoch möglich ist, wenn eine WTO-Streitbeilegungsinstanz festgestellt hat, dass die gerügte ausländische Handelspraxis nicht gegen Rechte der USA verstößt. 219 212 Hippler-Bello/Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Deve1opments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 645. 213 Canada Egg, 40 Federal Register 33, 749 (1975-Einleitung des Untersuchungsverfahrens) und 41 Federal Register 9430 (1976-Einstellung des Verfahrens). 214 EC Wheat Flour .Vgl. 40 Federal Register 57, 249. 215 Hippler-Bello/Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 645. 216 Hippler-Bello/Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 645, die betonen, dass der Präsident in den meisten Fällen ohne weitere Unterscheidung festgestellt hätte, dass beides vorliege. 217 19 U.S.c. § 2411 (a) (2). 218 Vgl. Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 677.
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Darüber hinaus bestimmt Section 301 (a) (2) auch, dass Vergeltung nur dann zwingend ist, wenn die mögliche Maßnahme nicht unverhältnismäßig nachteilige Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft haben könnte. 22o Damit wird dem USTR letztlich doch noch ein erhebliches Ermessen bei der Entscheidung über Vergeltungsmaßnahmen eingeräumt.
c) Discretionary Action - Tätigwerden im Ermessen des USTR gemäß Section 301 Absatz (b) Section 301 Absatz (b) stellt anders als die Tatbestandsvarianten in Absatz (a) Unterabsatz (1) die Entscheidung darüber, ob man gegen den ausländischen Handelspartner Maßnahmen ergreift, in das Ennessen des USTR. Dieser weniger stringenten Rechtsfolge entspricht ein sehr weit gefasster Ennächtigungstatbestand. Gemäß Section 301 Absatz (b) kann der USTR Maßnahmen ergreifen, wenn (1) eine Maßnahme, Politik oder Praxis eines ausländischen Staates "unangemessen,,221 oder "diskriminierend" ist, (2) den Handel der Vereinigten Staaten belastet oder einschränkt und (3) ein Tätigwerden von Seiten der Vereinigten Staaten angezeigt ist. 222
"Diskriminierend" sind auch, aber nicht nur, Handelspraktiken, die amerikanischen Gütern, Dienstleistungen oder Investitionen eine Inländerbehandlung oder eine Meistbegünstigung vorenthalten. 223 Solche Handelspraktiken führen zumeist gleichzeitig zu einer Verletzung der Vorschriften des GATT. Die Tatbestandsalternativen schließen sich nicht gegenseitig aus, so dass denkbar wäre, dass wegen dieses Verstoßes parallel nach den ersten Alternativen des Absatzes (a) vorgegangen wird?24 Eigenständige BedeuSection 301 (a) (2) (A); 19 U.S.C. § 2411 (a) (2) (A) (1998). Section 301 (a) (2) (B) (iv); 19 U.S.C. § 2411 (a) (2) (B) (iv) (1998). 221 Im Original: "unreasonable". Die wörtliche Übersetzung wäre daher an sich "unvernünftig". Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, verwendet den Begriff "unangemessen", vgl. S. 58 ff.; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., hingegen entschied sich für "unzumutbar", vgl. S. 111. Auch wenn der Begriff "unzumutbar" (für den USTR) das willkürliche Element ausdrückt, dass diesem Tatbestand anhaftet, geht es eigentlich nicht um Fragen der Zumutbarkeit, sondern eher darum, dass Handelspraktiken "irrational" in dem Sinne sind, dass sie nicht auf plausiblen ökonomischen Erwägungen beruhen, die, natürlich aus amerikanischer Sicht, nachvollziehbar sind. Vorzugswürdig ist daher der Begriff "unangemessen". 222 19 u.s.c. § 2411 (b) (1) und (2) (1998). 223 19 U.S.C. § 2411 (d) (5) (1998). 219 220
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tung erlangt dieser Tatbestand daher eigentlich nur, wenn nicht Mitglieder der WTO betroffen sind. Im Zentrum der Diskussion um die Section 301 steht die Kardinalfrage, wann eine Handelspraxis als "unangemessen" zu betrachten ist. Während früher jegliche Anhaltspunkte für eine Begriffsbestimmung fehlten, gibt es seit Einführung der Legaldefinition 1984 immerhin einen Anhaltspunkt im Gesetz. Im Ergebnis hat sich dadurch jedoch wenig verändert, da auch die Definition jegliche Konturen vermissen lässt. Danach gilt eine Handelspraxis als "unangemessen", wenn sie, obwohl nicht notwendigerweise unvereinbar mit internationalen Rechten der Vereinigten Staaten, in anderer Weise "ungerecht oder unbillig" ist. 225 Klargestellt wird damit lediglich, dass es in dieser Tatbestandsalternative keines Rechtsverstoßes bedarf. Ansonsten ist es aber weitgehend ins Belieben des USTR gestellt, wie er den Begriff der "Unangemessenheit" mit Leben erfüllt. Es handelt sich insoweit nicht um einen, nach deutscher Diktion, unbestimmten Rechtsbegriff, 226 der umfassender richterlicher Kontrolle unterliegen würde. 227 Noch nicht einmal eine Parallele zum Beurteilungsspielraum,228 bei dem in Tatbestandsfragen wenigstens eine eingeschränkte richterliche Kontrolldichte besteht,229 beschreibt die Rechtslage in den USA. Wie später noch erörtert werden wird, sind die amerikanischen Gerichte bei der Überprüfung der Anwendung durch den USTR noch zurückhaltender, was die Weite des Begriffs umso bedenklicher macht. 224 So war es offensichtlich in einem Fall diskriminierender Behandlung durch die Japaner im Hinblick auf amerikanische Seidenimporte. Vgl. 42 Federal Register 11, 935 (1977). Zu einer Entscheidung des GATT-Panels in dieser Sache kam es nicht mehr, weil Japan zuvor die Einschränkung aufhob. Vgl. 43 Federal Register 8876 (1978) und Hippler-BelioIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 643. 225 "An act, policy or practice is unreasonable if the act, policy or practice, while not necessarily in violation of, or inconsistent with, the international legal rights of the United States, is otherwise unfair or inequitable". 19 U.S.c. § 2411 (d) (3) (A) (1998). 226 Z. T. wird auch unterschieden zwischen einem unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum (hier lediglich "unbestimmter Rechtsbegriff' genannt) und einem unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum (im Folgenden "Beurteilungsspielraum"). Vgl. Bachof, Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff, in: JZ 1955, S. 97 ff.; WolfflBachoJlStober, Verwaltungsrecht I (1994), § 31, Rn. 8 ff. zum unbestimmten Rechtsbegriff, Rn. 14 ff. zum Beurteilungsspielraum. 227 Vgl. z.B. BVerfG NJW 1987, S. 3175; BVerwGE 72, 73 ff., auf S. 77; Wolffl BachoJlStober, Verwaltungsrecht I (1994), § 31, Rn. 9. 228 Zu den anerkannten Fallgruppen des Beurteilungsspielraumes im deutschen Recht vgl. WolfflBachoJlStober, Verwaltungsrecht I (1994), § 31, Rn. 19 ff. 229 Vgl. z.B. BVerwGE 75, 275 ff., auf S. 279; auch BVerfGE 84, 34.
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Wenig Hilfestellung bieten insoweit auch die Beispiele für "unangemessene" Maßnahmen in Seetion 301 Absatz (d) (3) (B)?30 Dies zum einen, weil ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die Aufzählung nicht abschließend ist. Zum anderen nähren die Beispiele aber auch eher die Befürchtung, dass hier ein Abweichen von politischen Vorstellungen der Amerikaner bereits ausreichen könnte, um Vergeltungsmaßnahmen zu provozieren. So wird als "unangemessen" beispielsweise eine Politik bezeichnet, die keine Standards für Mindestlöhne und Arbeitsstunden sowie keine Sicherheitsvorschriften für Arbeiter vorsieht?3! Die sozialpolitischen Vorstellungen, die hier zum Ausdruck kommen, kann man als Fundamente eines demokratischen Rechtsstaates westlichen Zuschnitts begrüßen. Die Tatsache allerdings, dass eine Abweichung von diesen Vorstellungen ausreichen könnte, um zum Ziel wirtschaftlicher Vergeltungsmaßnahmen zu werden, stimmt bedenklich. Sie nährt den immer wieder erhobenen Vorwurf, die USA versuchten, anderen Staaten ihre politischen Ideen aufzuzwingen. 232 Eine wichtige Einschränkung enthält insoweit der folgende Absatz, in dem festgestellt wird, dass das Verhalten eines Staates nicht als unangemessen betrachtet wird, wenn der USTR bestimmt, dass der entsprechende Staat Anstrengungen unternimmt, die obengenannten sozialpolitischen Standards einzuführen oder ihre Einführung mit dem Entwicklungsstand des jeweiligen Staates nicht vereinbar ist. 233 Diese "Öffnungsklausel" gewährt Entwicklungsländern und Staaten im Übergang einen Handlungsspielraum. Wie groß dieser letztlich ist, bleibt allerdings der Entscheidung des USTR überlassen. Des Weiteren soll der USTR bei der Beurteilung der "Unangemessenheit" einer Handelspraxis berücksichtigen, ob und inwieweit ausländischen Firmen und Staatsangehörigen in den USA die Möglichkeiten offen stehen, deren Fehlen man im Ausland rügt. 234 Daraus kann man schließen, dass ein 230 Zu diesen Beispielen im Einzelnen siehe Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Corno Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 62 ff. 231 V gl. dazu Ian Charles Ballon, The Irnplications of Making the Denial of International Worker Rights actionable under Section 301 of the Trade Act of 1974, in: 28 Virginia Journal of International Law (1987), S. 89 ff.; Harlan Mandel, In Pursuit of the Missing Link: International Worker Rights and International Trade?, in: 27 Colurnbia Journal of Transnational Law (1989), S. 43 ff. 232 Puckettl Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676: "With increasing frequency the U.S. has used the extra GATI power of Section 301 to impose sanctions on other countries whose trade practices we do not like." 233 Section 301 (d) (3) (C) (i) (I) und (11); 19 U.S.c. § 2411 (d) (3) (C) (i) (I) und (11). 234 Section 301 (d) (3) (D); 19 U.S.C. § 2411 (d) (3) (D).
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
entscheidendes Kriterium für die "Unangemessenheit" fehlende Reziprozität ist. 235 Zwar wird durch die oben erwähnten Regelungen die Unbestimmtheit dieser Tatbestandsalternative etwas relativiert, der Spielraum für den USTR bleibt aber erheblich. So hat denn auch Hudec zutreffend festgestellt, dass der normative Inhalt des Begriffs "unangemessen" nicht definiert werden könne. Diese Tatbestandsvoraussetzung könne letztlich so interpretiert werden, dass jedes Hindernis, das Exporteure verärgert, erfasst wird. 236 Es gibt zahlreiche Beispiele237 für Untersuchungsverfahren wegen "unangemessener" Handelspraktiken. 238 So leitete der USTR 1983 auf dieser Grundlage gegen Argentinien ein Verfahren ein. 239 Die argentinische Regierung hatte der argentinischen Post das Exklusivrecht erteilt, im internationalen Luftfrachtverkehr besonders eilige Handelsdokumente zuzustellen. Diese Praxis hielt der USTR für "unangemessen" und qualifizierte sie als "Belastung für die amerikanische Wirtschaft". Nach Verhandlungen erklärte sich Argentinien bereit, seine Einschränkungen aufzugeben. 24o Festzuhalten bleibt, dass diese Tatbestandsalternative den USTR ermächtigt, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen gegen Staaten, die sich absolut rechtmäßig verhalten. Zwar ist dies beim Vorgehen gemäß Absatz (a) 3. Alternative auch möglich. Während es für die dort geregelten "non-violation nullification"-Fälle aber wenigstens eine entsprechende Regelung im WTO-Recht gibt, fehlt hier jeglicher rechtliche Ansatzpunkt. Die Unbestimmtheit der Tatbestandmerkmale tut ein Übriges, um den Eindruck zu verstärken, dass es sich um einen rein politischen Mechanismus handelt,241 235 Hansen, Defining Unreasonableness in International Trade, in: 96 Yale Law Journal (1987), s. 1122 ff., auf S. 1142; Nettesheim, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: Grabitz (Hrsg.), U.S. Trade Barriers - a legal analysis, S. 353 ff., auf S. 401; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Corno Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 61. 236 Robert E. Hudec, Retaliation against "Unreasonable" Foreign Trade Practices: The new Section 301 and GATT Nullification and Impairment, in: 59 Minnessota Law Review (1975), S. 461 ff., auf S. 521. 237 Vgl. zu weiteren Anwendungsbeispielen Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 113; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Corno Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 62; Hansen, Defining Unreasonableness in International Trade, in: 96 Yale Law Journal (1987), S. 1122 ff., auf S. 1133. 238 Vgl. Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirernents, Procedures and Developrnents, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 641 ff. 239 48 Federal Register 52, 664 (1983). 240 Vgl. Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirernents, Procedures and Developrnents, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 642 Fn. 52.
11. USA: Section 301 des Trade Act von 1974
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bei dem lediglich "political self-restraint" verhindert, dass er willkürlich eingesetzt wird. d) "SPECIAL 301"
Eines der neuen Instrumente, die bei der Gesetzesänderung 1988 eingeführt wurden, war das sogenannte "Special 301" ?42 Die Bezeichnung rührt daher, dass hier ein spezieller Bereich, nämlich der Schutz geistigen Eigentums, Anlass für die Regelung war. Special 301 sieht vor, dass der USTR Staaten daraufhin untersucht, ob ihr Rechtssystem für amerikanische Produkte einen angemessenen Marktzugang 243 und effektiven Schutz der geistigen Eigentumsrechte gewährleistet. 244 Für eine negative Feststellung reicht insoweit aus, dass das betreffende Land bei bilateralen oder multilateralen Verhandlungen mit dem Ziel, geistiges Eigentum zu schützen, einen wesentlichen Fortschritt verhindert oder geschützten Produkten den Marktzugang verweigert. 245 Länder, die den gewählten Standards nicht gerecht werden, werden als "Prioritäts"-Länder vermerkt. 246 Allein diese Einstufung führt dazu, dass ein Verfahren nach Section 301 eingeleitet wird. Der USTR kann allerdings von einer Verfahrenseinleitung absehen, wenn dieser Vorgang den Interessen der USA abträglich wäre. 247 Obwohl zahlreiche Verfahren gemäß Section 301 zum Schutz geistiger Eigentumsrechte eingeleitet wurden, kam es nur einmal zu Vergeltungsmaß241 So wohl auch Nettesheim, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: Grabitz (Hrsg.) U.S. Trade Barriers - a legal analysis, S. 353 ff., auf S. 365. 242 Section 182 des Trade Act von 1974; 19 U.S.c. § 2242. Vgl. zu Special 301 auch: BeliolHolmer, Special 301: Its Requirements, Implementation and Significance, in: 13 Fordham International Law Journal (1989/90), S. 259 ff.; PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 679 ff. 243 Die Überschrift zu der Vorschrift lautet im Original: "Identification of Countries That Deny Adequate Protection, or Market Access, for Intellectual Property Rights." Hervorhebung vom Verfasser. 244 "Adequate and effective protection of intellectual property rights", Section 182 (a) (1) (A); 19 U.S.C. § 2242 (a) (1) (A). 245 PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 679. 246 Section 182 (a) des Trade Act von 1974, wobei Unterabsatz (1) regelt, auf welche Kriterien der USTR bei seiner Untersuchung achten soll und Unterabsatz (2) feststellt, dass die Länder, die den in (1) normierten Voraussetzungen entsprechen, als "Prioritäts-Länder" bezeichnet werden. Vgl. 19 U.S.C. § 2242 (a). 247 Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S.127.
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nabmen?48 In den anderen Fällen wurde zuvor eine Einigung herbeigeführt oder eine Rechtslage hergestellt, die den Vorstellungen der USA entsprach. Die Einführung von "Special 301" hing letztlich mit dem Verlauf der GATI-Uruguay-Runde zusammen. Eines der vordringlichen Ziele der Amerikaner im Rahmen dieser Verhandlungsrunde war es, Standards für den geistigen Eigentumsschutz in die Welthandelsordnung zu integrieren. 249 Special 301 diente insoweit als Druckmittel, um die Verhandlungspartner zu Konzessionen zu bewegen?50 Diese Strategie hat aus amerikanischer Sicht Erfolg gehabt, wie der Abschluss der Übereinkunft über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (TRIPS) beweist. Nach Inkrafttreten des TRIPS-Abkommens ist die Regelung denn auch zumindest gegenüber WTO-Mitgliedem nicht mehr angewendet worden. 251 Trotz vereinzelter Forderungen wurde sie aber auch nicht aufgehoben. Hintergrund dürfte sein, dass man gegenüber Staaten, die (noch) nicht Mitglieder der WTO sind,252 ein Mittel zur Wahrung des Schutzes geistigen Eigentums behalten will. Gleichzeitig sollte "Special 301" die Bereitschaft dieser Staaten erhöhen, dem TRIPS-Abkommen so bald wie möglich beizutreten, werden sie doch vor die W abl gestellt, die unilateralen Entscheidungen des USTR gegen ein multilaterales, geregeltes Streitbeilegungsverfabren einzutauschen. e) "SUPER 301"
Super 30t253 ähnelt in seinem Grundansatz dem Special 301, beschränkt sich aber nicht auf den Schutz geistigen Eigentums. Staaten, die Handels248 Brazilian Pharmaceuticals, 53 Federal Register 41, 551 (1988). Vgl. Puckettl Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AnL (1996), S. 675 ff., auf S.679. 249 Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 127. 250 Palmeter, ebd. 251 Palmeter, ebd. 252 Wie z. B. Russland und China. In einem Konflikt mit China um den Schutz geistigen Eigentums drohten die USA 1996 an, Zölle in Höhe von 1,08 Milliarden Dollar über chinesische Importe zu verhängen, die höchste Summe, die jemals in einem Section 301 Verfahren als Vergeltung angedroht worden war. Vgl. Puckettl Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S.680. 253 Section 310 des Trade Act von 1974; 19 U.S.c. § 2420. Vgl. zu "Super 301": Elizabeth K. King, The Omnibus Trade Bill of 1988: "Super 301" and its effects on the multilateral Trading system under the GATT, in: 12 Univ. of Pennsylvania Journal of International Business Law (1991), S. 245 ff.; PuckettlReynolds, Section 301:
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praktiken verfolgen, deren Beseitigung der amerikanischen Exportwirtschaft ein besonders großes Wachstumspotential eröffnen würde, sollen danach vom USTR identifiziert werden?54 Sie werden dann als "Prioritäts-Länder" auf einer Liste vermerkt,255 die jährlich dem Kongress vorgelegt wird. 256 Die Eintragung löst Verhandlungen mit den betroffenen Ländern aus. 257 Führen diese nicht zu dem gewünschten Ergebnis, folgt eine obligatorische Verfahrenseinleitung gemäß Section 301. 258 Die Anwendung von Super 301 war nur bis 1990 vorgesehen?59 Nachdem die Regelung während der Amtszeit von Präsident Bush ausgelaufen war, wurde sie von der Clinton Administration wieder zu Leben erweckt. 26o Sie war jedoch von Beginn an auch in den USA sehr umstritten. Kritisiert wurde insbesondere, dass es keine anerkannte Methodologie gebe, nach der man unfaire Handelspraktiken quantifizieren könne. Eine Liste der Staaten aufzustellen, die "die größten Handelsbarrieren,,261 aufweisen würden, sei daher willkürlich und richte mehr politischen Schaden als ökonomischen Nutzen an. 262 At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 680 ff.; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 157 ff. 254 Section 310 (a) (1) (B); 19 U.S.C. § 2420 (a) (1) (B). 255 Section 310 (a) (1) (C) und (2); 19 U.S.c. § 2420 (a) (1) (C) und (2). Die Bush Administration nannte 1989 beispielsweise sechs "Prioritäten": • Brazil - import restrictions, 54 Federal Register 26, 135 (1989); • India - insurance market barriers, 54 Federal Register 26, 135 (1989); • India - trade related investment measures, 54 Federal Register 26, 136 (1989); • Japan - govemment procurement of satellites, 54 Federal Register 26, 136 (1989); • Japan - restrictions affecting imports of forest products, 54 Federal Register 26, 137 (1989); • Japan - exc1usionary government procurement of supercomputers, 54 Federal Register 26, 137 (1989). Vgl. BellolHolmer, The Post Uruguay Round Future of Section 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATf, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995), S. 473 ff., auf S. 478; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., s. 158. 256 Section 310 (a) (1) (C); 19 U.S.c. § 2420 (a) (1) (C). 257 Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 157; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 50. 258 Section 310 (b); 19 U.S.C. § 2420 (b). 259 Hemandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff., auf S. 230 Fn. 106. 260 Vgl. Executive Order No. 12,901, 59 Federal Register 10, 727 (1994). 261 "The major barriers and trade distorting practices". So der Wortlaut von Section 310 (a) (2) (A); 19 U.S.C. § 2420 (a) (2) (A). 262 Vgl. PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 680. 5 Cascante
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4. Verfahren
a) Überblick Das in Section 301 vorgesehene Verfahren kann man grob in die folgenden Verfahrensabschnitte einteilen: (1) Antrag einer interessierten Partei263 oder der Handelsbeauftragte befasst sich von Amts wegen mit der Sache,264 gegebenenfalls auf Weisung des Präsidenten?65 (2) Innerstaatliches Konsultationsverfahren. 266
(3) Entscheidung über Einleitung eines Untersuchungsverfahrens?67 (4) Durchführung des Untersuchungsverfahrens. 268 (5) Entscheidung über weiteres Vorgehen: 269
a) Gegebenenfalls Durchführung eines internationalen Konsultationsund Streitbeilegungsverfahrens. 270 b) Gegebenenfalls Vergeltungsmaßnahmen?71 b) Verfahrenseinleitung und -verlauf Section 301 sieht vor, dass ein Verfahren zur Untersuchung möglicher "unfairer" Handelspraktiken entweder auf Initiative des Handelsbeauftragten der Vereinigten Staaten,272 auf Weisung des Präsidenten273 oder auf Antrag einer interessierten Partei eingeleitet werden kann?74 Section 302 (a). Section 302 (b). 265 Das kommt z.B. in Section 301 (a) und (b) zum Ausdruck, wo sich die Weisung des Präsidenten explizit nur auf das Ergreifen von Maßnahmen bezieht. Im Wege eines argumentum a maiore ad minus wird man aber davon ausgehen müssen, dass er auch die Einleitung eines Verfahrens anweisen kann. 266 Nur in Fällen der Einleitung von Amts wegen vorgesehen, Section 302 (b) (1) (B); 19 u.s.c. § 2412 (b) (1) (B). 267 Section 302 (a) (2) bis (4) und (b). 268 Sections 302, 303, 304, 308. 269 Sections 304-307. 270 Section 303, 301 (a) (2) (A). 271 Section 301 (c), 304-307. 272 Section 302 (b). 273 Ausführlicher zu den vier Fällen, in denen das bis 1986 geschehen war, vgl. Hippler-Bello/Holmer, Seetion 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 645 Fn. 75. Zu den weiteren Fällen, in denen es bis 1998 zu einer 263
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Wer als "interessierte Partei" antragsberechtigt ist,275 wird im Code of Federal Regulations definiert: "Any person representing a significant economic interest affected either by the failure of a foreign government to grant United States rights under a trade agreement or by the act, policy or practice complained of in the petition. ,,276
Dazu werden Vereinigungen, die einen Industriezweig vertreten, aber auch Unternehmen und sogar Einzelpersonen gezählt. Bei Unternehmen und Einzelpersonen wird allerdings weniger großzügig geprüft als bei Vereinigungen, die einen Industriezweig vertreten, wenn sie geltend machen, dass die gerügten Handelspraktiken ein bedeutendes wirtschaftliches Interesse ihrerseits beeinträchtigen könnten. 277 In seinem schriftlichen Antrag muss der Antragsteller in substantiierter Form278 • sich selbst und seine Stellung beschreiben, • sein bedeutendes Interesse darlegen, das durch die Handelspraxis betroffen ist, • die Handelspraktiken bezeichnen, die gerügt werden und den Staat, von dem sie ausgehen, • erklären, warum nach Ansicht des Antragsstellers die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen der Section 301 erfüllt sind, • die Auswirkungen der Handelspraktiken auf den AntragssteIler und die Wirtschaft der Vereinigten Staaten beschreiben, • darlegen, ob er bereits im Rahmen anderer Schutzmechanismen Anträge gestellt hat. Verfahrenseinleitung auf Weisung des Präsidenten gekommen ist, vgl. im Anhang die Übersicht über die Seetion 301-Verfahren. 274 Section 302 (a). Zum notwendigen Inhalt des Antrags vgl. Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S.646/647.
275 Der Begriff der "interessierten Partei" in Seetion 301 (d) Absatz (9) bezieht sich hingegen nur auf die in dieser Norm aufgeführten Verfahrensrechte. Vgl. auch Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 75 Fn. 212. 276 15 C.F.R. § 2006.0 (b) (1984). 277 Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 687; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 75. 278 Vgl. Hippler-BelloIHolmer, Seetion 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 646 f.; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 77 f.
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Nach Eingang des Antrags muss der USTR279 innerhalb von 45 Tagen entscheiden, ob das Untersuchungsverfahren eingeleitet wird?80 Im Zusammenhang mit der Antragsstellung bei der Behörde des Handelsbeauftragten kommt es häufig zu Vorbesprechungen über die Erfolgsaussichten der Petition?81 Benötigt der AntragssteIler weitere Informationen, steht ihm ein, inhaltlich allerdings beschränktes, Auskunftsrecht ZU. 282 Damit verbessert sich seine Ausgangsituation gleich in zweierlei Hinsicht. Zum einen kann er mit Hilfe neuer Information seinen Antrag optimieren, zum anderen führt das Auskunftsverlangen manchmal zu einem erwünschten Nebeneffekt. Verfügt der Handelsbeauftragte nämlich nicht selbst über die notwendigen Informationen, wendet er sich an die Behörden des Staates, dessen Handelspraktiken gerügt werden. Allein die Aussicht auf die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens führt so bereits zu handelspolitischen Druck auf den Handelspartner der USA und kann die Aufhebung der gerügten Maßnahme zur Folge haben. 283 Wie bereits erwähnt, wird ein Untersuchungsverfahren gemäß Section 301 nicht nur auf Antrag eingeleitet. Der Handelsbeauftragte kann auch von Amts wegen ein Verfahren einleiten. 284 Darüber hinaus kann der Präsident der Vereinigten Staaten, wie erstmalig 1985 geschehen,285 dem USTR die Weisung zur Einleitung des Verfahrens erteilen. Der Wortlaut der Seetion 301 (a) (1) ist zum Teil so interpretiert worden, dass der USTR zwingend verpflichtet ist, ein Untersuchungsverfahren einzuleiten, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Alternative vorlie279 Das Verfahren im Einzelnen sieht so aus, dass das Section 301 Komitee prüft, ob die Voraussetzungen für den Antrag vorliegen und dann dem Handelsbeauftragten einen Vorschlag unterbreitet, über den dieser innerhalb der genannten Frist zu entscheiden hat. Vgl. Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments. in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 657; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 78. 280 Section 302 (a) Absatz (2); 19 U.S.c. § 2412 (a) (2). 281 Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 76. 282 Section 308 (a); 19 U.S.c. § 2418 (a); zum Umfang dieses Auskunftsrechts siehe die einzelnen Absätze der Section 308 (a) - (c) und auch Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 76. 283 Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 77. 284 Section 302 (b); 19 U.S.c. § 2412 (b) und Section 310 (b); 19 U.S.C. § 2420
(b).
285 Brazil lnformatics, vgl. im Anhang "Section 301 Verfahren" Docket No. 49. Im selben Jahr folgten zwei weitere Verfahren, die der USTR auf Weisung des Präsidenten initiierte: Japan Tobacco Products, Docket No. 50 und Korea lnsurance, Docket No. 51.
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gen. 286 Manche Beobachter räumen dem USTR hingegen stets ein weites Ermessen im Hinblick auf die Verfahrenseinleitung ein. 287 Geht man zunächst einmal vom Wortlaut aus, so spricht Section 301 (a) vom obligatorischen "Ergreifen von Maßnahmen" wie sie "in Absatz (c) autorisiert seien".288 Absatz (c) wiederum beschäftigt sich nur mit der Befugnis, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen, nicht hingegen mit der Einleitung eines Untersuchungsverfahrens.z89 Der Wortlaut der Section 301 (a) weist daher lediglich auf eine Verpflichtung des USTR hin, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, nicht hingegen auf eine obligatorische Verfahrenseinleitung. Denkbar wäre allerdings, dass die obligatorische Verfahrenseinleitung als "Minus" im zwingenden Erlass von Vergeltungsmaßnahmen aufgeht. Das Gesetz sieht vor, dass der USTR in den geregelten Situationen zwingend Maßnahmen ergreift. Es ist Aufgabe des USTR, festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen verwirklicht sind. Die dafür erforderliche Prüfung kann er wiederum nur vornehmen, wenn er zunächst ein Untersuchungsverfahren eingeleitet hat. Vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren, dass es wenig Sinn machen würde, dem USTR in den Fällen, in denen er zwingend Vergeltungsmaßnahmen ergreifen muss, ein weites Ermessen bei der Verfahrenseinleitung zuzubilligen, da er die obligatorische Vergeltung durch Nichteinleitung des Untersuchungsverfahrens blockieren könnte. Vom Sinn und Zweck der Regelung liegt es vielmehr nahe, davon auszugehen, dass der USTR in den Fällen obligatorischer Vergeltung auch dazu verpflichtet ist, ein Untersuchungsverfahren einzuleiten. Ist dieses erst einmal eröffnet und sind die normierten Tatbestandsvoraussetzungen verwirklicht, verbleibt ihm kein Entscheidungsspielraum mehr. Zwingend kann die Verfahrenseinleitung allerdings nur sein, wenn das Gesetz selbst nichts anderes vorsieht. Eine abweichende Regelung könnte insoweit Section 302 enthalten, der die Einleitung von Untersuchungsverfahren regelt. Dort heißt es in Absatz (c) unter der Überschrift "Ermessen": "Bei der Entscheidung, ob eine Untersuchung gemäß Absatz (a) und (b) dieser Section im Hinblick auf einen Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis, wie sie in Section 301 (d) aufgezählt ist, eingeleitet werden soll, steht dem Handelsbeauftragten Ermessen zu bei der Entscheidung, ob Maßnahmen im Rahmen der Sec286 Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der USA, S.108. 287 Im Ergebnis ebenso Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der USA, S. 108. 288 Im Original: Tbe USTR "shall take action authorized in subsection (c) of this section, ... ". 289 Vgl. Section 301 (c), 19 u.s.c. § 2411 (c).
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tion 301 effektiv wären als Reaktion auf einen solchen Akt, eine Politik oder Handelspraxis. ,,290
Dem Handelsbeauftragten wird mit dieser etwas unübersichtlichen Regelung bei der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung Ermessen eingeräumt. Entscheidungskriterium ist die Frage, ob er im Rahmen des Section 301-Verfahrens Maßnahmen ergreifen könnte, die die bestehenden Handelsbarrieren beseitigen würden. Das Gesetz überlässt die Verfahrenseinleitung dem Ermessen des USTR allerdings nur, wenn eine der in Absatz (d) aufgeführten Handelspraktiken Gegenstand des Verfahrens ist. Dort werden "unangemessene,,291, "ungerechtfertigte,,292 und "diskriminierende,,293 Handeispraktiken definiert. Nicht genannt werden hingegen die drei auf "Handelsabkommen" bezogenen Tatbestandsalternativen. Man kann daraus folgern, dass in diesen Fällen kein Ermessen des USTR im Hinblick auf die Verfahrenseinleitung besteht. 294 Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, dass die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens zwingend erfolgen muss, wenn der AntragssteIler geltend macht, (1) den Vereinigten Staaten werde die Ausübung von Rechten verwehrt,
die sich aus irgendeinem Handelsabkommen ergeben, oder295
(2) ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes
würde gegen Bestimmungen eines Handelsabkommens verstoßen oder mit diesen unvereinbar sein, oder96
(3) ein einzelner Akt, eine Politik oder eine Handelspraxis eines Landes
sei zwar nicht unvereinbar mit den Bestimmungen eines Abkommens, enthalte den Vereinigten Staaten aber Vorteile vor, die sich aus diesem Abkommen ergeben.297
290 Section 302 (C); 19 U.S.C. § 2412 (C) im Original: "In determining whether to initiate an investigation under subsection (a) or (b) of this section of any act, policy or practice that is enurnerated in any provision of section 301 (d), the Trade Representative shall have discretion to determine whether action under section 301 would be effective in addressing such act, policy or practice." 291 Section 302 (d) (3). 292 Section 302 (d) (4). 293 Section 302 (d) (5). 294 Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Corno Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 48. A.A. wohl Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirernents, Procedures and Developrnents, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 647, die davon ausgehen, dass der USTR die Einleitung eines Verfahrens stets aus politischen Gründen ablehnen kann. 295 19 U.S.c. § 2411 (a) (1) (A) (1998). 296 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (B) (i) 1. Alternative (1998).
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Dagegen ist im Falle ungerechtfertigter Handelspraktiken zwar die obligatorische Vergeltung vorgeschrieben,298 wegen der Regelung in Section 302 aber nicht die zwingende Einleitung eines Untersuchungsverfahrens. Eine obligatorische Einleitung des Untersuchungsverfahrens ist im Rahmen des "Super 301" vorgesehen. 299 Die Regelung im Hinblick auf das "Special 301" ist hingegen weniger eindeutig. Zwar sieht Section 302 (2) (A) vor, dass ein Verfahren obligatorisch eingeleitet wird. Gemäß Unterabsatz (B) muss der USTR das Verfahren allerdings nicht einleiten, wenn dies "den ökonomischen Interessen der Vereinigten Staaten abträglich wäre. ,,300
Damit wird ein Tatbestand eingeführt, der dem USTR ein weites wirtschaftspolitisches Ermessen einräumt und die zunächst vorgesehene obligatorische Verfahrenseinleitung weitgehend zurücknimmt. 301 Ist ein Verfahren erst einmal eröffnet, wird der Sachverhalt von Amts wegen untersucht und es ist dann Aufgabe des USTR zu bestimmen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer der Alternativen der Section 301 erfüllt sind. Kommt er zu dem Ergebnis, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer der Varianten der Section 301 (a) (1) vorliegen, so muss er Maßnahmen ergreifen. Im Falle der Section 301 (b) steht auch die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein in seinem Ermessen. 302 Entscheidet sich der USTR dafür, ein Untersuchungsverfahren einzuleiten, muss er eine Zusammenfassung der Petition im Federal Register veröffentlichen 303 und den betroffenen Parteien frühest möglich Gelegenheit zur Stellungnahme geben. 304 Bei Einleitung des Verfahrens von Amts wegen ist die Entscheidung des USTR zu veröffentlichen. 305 Fällt die Entscheidung 19 U.S.C. § 2411 (a) (1) (B) (i) 2. Alternative (1998). 19 U.S.c. § 2411 (a) (1) (B) (ii) (1998). 299 Section 310 des Trade Act von 1974; 19 U.S.c. § 2420. 300 Section 302 (2) (B); 19 U.S.C. § 2412 (2) (B). 301 Vgl. auch Mavroidis, Handelspolitische Abwehnnechanisrnen der EWG und der U.S.A., S. 129; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Intern. Law & Corno Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 49. 302 V gl. zu diesem Bereich (mit voneinander abweichenden Auffassungen) Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirernents, Procedures and Developrnents, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 647; Nettesheim, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: Grabitz (Hrsg.), U.S. Trade Barriers - a legal analysis, S. 353 ff., auf S. 368; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Corno Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 48/49. 303 Section 302 (b) (1) (A); 19 U.S.C. § 2412 (b) (1) (A). 304 Section 302 (a) (4); 19 U.S.C. § 2412 (a) (4). 305 Section 302 (b) (1) (A); 19 U.S.C. § 2412 (b) (1) (A). 297 298
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negativ aus, muss er den Antragssteller informieren und seine Entscheidung mit Begründung publizieren. 306 Ein einmal eingeleitetes Untersuchungsverfahren unterliegt dem Offizialprinzip. Privatrechtssubjekte haben keinen direkten Einfluss mehr auf den Verfahrensablauf. 307 Sobald ein Untersuchungsverfahren eingeleitet ist, muss der USTR versuchen, Verhandlungen mit dem Staat aufzunehmen, dessen Handelspraxis gerügt wird?08 In den Fällen, in denen ein Verhalten gerügt wird, das im Widerspruch zu den Bestimmungen eines Handelsabkommens steht oder Vorteile vorenthält, die sich aus einem solchen Abkommen ergeben, gelten zusätzliche Anforderungen. Die Verhandlungen dürfen dann höchstens 150 Tage andauem?09 Ist bis dahin keine einverständliche Lösung erzielt worden, leitet der USTR ein förmliches Streitbeilegungsverfahren ein, soweit das jeweils relevante Handelsabkommen ein solches vorsieht. 310 Bei Verletzungen des WTO-Abkommens ist ein solches Vorgehen daher angezeigt. Auf der Grundlage der im Untersuchungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse und unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Streitbeilegungsverfahrens muss der USTR dann bestimmen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Section 301 erfüllt sind311 und, wenn dies der Fall ist, auch ob3!2 und welche Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden sollen. 313 Geht es um eine mögliche Verletzung von WTO-Recht, sollte seine Entscheidung nicht später als 30 Tage nach Ende des Streitbeilegungsverfahrens 3!4 oder 18 Monate nach Einleitung des Untersuchungs verfahrens erfolgen?!5 Liegt der Entscheidung eine "unangemessene" Handelspraxis gemäß Section 301 Absatz (b) zugrunde, beträgt der Zeitraum 12 Monate?!6 Wird im Rahmen des "Special 301" genannten Verfahrens3!7 ein Verstoß gegen Vorschriften Section 302 (a) (3); 19 U.S.C. § 2412 (a) (3). Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 83. 308 Section 303 (a) (1); 19 U.S.c. § 2413 (a) (1) (1998). 309 Section 303 (a) (2) (B); 19 U.S.c. § 2413 (a) (2) (B) (1998). Andere Fristen könnten sich aus dem jeweiligen Handelsabkommen ergeben: Section 302 (a) (2) (A); 19 U.S.C. § 2413 (a) (2) (A) (1998). 310 Section 303 (a) (2); 19 U.S.C. § 2413 (a) (2) (1998). 311 Section 304 (a) (1) (A); 19 U.S.c. § 2414 (a) (1) (A) (1998). 312 Außer in den Fällen, in denen das Gesetz den USTR dazu verpflichtet, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen. 313 Section 304 (a) (1) (B); 19 U.S.C. § 2414 (a) (1) (B) (1998). Gemäß Section 304 (b) soll allerdings, außer in Eilfällen, zuvor den betroffenen Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und der Rat der gemäß Section 135 eingerichteten Komitees sowie der U.S.-International Trade Commission eingeholt werden. 314 Section 304 (a) (2) (A) (i); 19 U.S.C. § 2414 (a) (2) (A) (i) (1998). 315 Section 304 (a) (2) (A) (ii); 19 U.S.c. § 2414 (a) (2) (B) (1998). 316 Section 304 (a) (2) (B); 19 U.S.C. § 2414 (a) (2) (B) (1998). 306 307
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zum Schutz des geistigen Eigentums, insbesondere des TRIPS gerügt, verkürzt sich diese Frist auf 6 Monate?18 Die getroffenen Entscheidungen müssen im Federal Register veröffentlicht werden. 319 Für den Fall, dass der USTR im Hinblick auf die Tatbestandsverwirklichung eine positive Feststellung trifft, kann der Drittstaat entweder sein Verhalten den Vorgaben des WTO-Abkommens entsprechend umstellen oder aber für eine angemessene Kompensation sorgen?20 Versäumt es der Drittstaat, auf eine der genannten Weisen zu reagieren, muss der USTR bei Erfüllung der in Section 301 (a) normierten Bedingungen zwingend Vergeltungsmaßnahmen ergreifen?21 Im Unterschied dazu stellt Section 301 (b) diese Entscheidung in das Ermessen des USTR. Bis 1988 war dies stets eine Ermessensentscheidung. Um die Effektivität der Seetion 301 zu steigern,322 wurden mit dem Omnibus Trade Act Tatbestände eingeführt, bei denen das Ergreifen von Maßnahmen obligatorisch ist. Danach ist der USTR dazu verpflichtet, gegen Handelspraktiken vorzugehen, wenn einer der Tatbestände der Section 301 Absatz (a) Unterabsatz (1) verwirklicht wird und der Ausnahmetatbestand des Unterabsatzes (2) nicht eingreift. Was die möglichen Vergeltungsmaßnahmen betrifft, so enthält Section 301 zahlreiche Beispiele?23 Während die Absätze (a) und (b) in weiten Teilen die Tatbestandsvoraussetzungen nennen, die erfüllt sein müssen, damit der USTR Maßnahmen ergreifen kann oder muss, ist in Absatz (c) beispielhaft geregelt, welcher Art diese Maßnahmen sein dürfen. 324 Letztlich obliegt es aber dem USTR, einzuschätzen, welche Vergeltungsmaßnahme gemäß Section 301 ein effektives Mittel wäre, um die durch die ausländische Handelspraxis entstehenden Handelsbarrieren zu beseitigen. 325 Bei dieser Einschätzung räumt ihm das Gesetz ein weites Ermessen ein. 326 317 Section 182; 19 U.S.C. § 2242. Vgl. auch Section 302 (b) (2); 19 U.S.C. § 2412 (b) (2) (1998). 318 Section 304 (a) (3) (A); 19 U.S.c. § 2414 (a) (3) (A) (1998). Einschränkungen finden sich in Section 304 (a) (3) (B); 19 U.S.C. § 2414 (a) (3) (B) (1998). 319 Section 304 (c); 19 u.s.c. § 2414 (c) (1998). 320 Vgl. Sections 301 (2),307 (a) (1) (A) i. V. m. 301 (2),307 (a) (1) (B), 306. 321 Section 301 (a) (1); 19 U.S.C. § 2411 (a) (1). 322 Bis 1988 lediglich einmal, gegen Korea im Zusammenhang mit dem Schutz geistiger Eigentumsrechte. Vgl. zur Verfahrenseinleitung 50 Federal Register 45, 883 (1985), zur Verfahrenseinstellung nach Zusagen Koreas vgl. 51 Federal Register 29,445 (1986). 323 Section 301 (c); 19 U.S.C. § 2411 (c) (1998). 324 Genau genommen enthalten die Absätze (a) und (b) der Section 301 insoweit auch bereits gewisse Vorgaben, wenn sie bestimmen: "Actions may be taken ... with respect to trade in any goods or services, or with respect to any other area of pertinent relations with the foreign country."
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Maßnahmen, die im Rahmen von Section 301 Absatz (a) erlassen werden, müssen in ihren Auswirkungen auf den ausländischen Handelspartner stets dem entsprechen, was dem amerikanischen Handel an Schaden zugefügt wurde. 327 Da eine solche Einschränkung für Section 301 Absatz (b) nicht besteht, muss man davon ausgehen, dass hier der Verhältnismäßigkeitsmaßstab nicht gleichennaßen anzuwenden ist. Der USTR kann Maßnahmen, die im Rahmen der Seetion 301 getroffen werden, jederzeit unter den in Sec. 307 (a) (1) genannten Voraussetzungen verändern oder aufueben. Diese Befugnis gilt insbesondere für Fälle, in denen das WTO-Streitbeilegungsgremium keine Verletzung der Rechte der USA feststellt oder bereits eine Einigung mit dem Drittstaat herbeigeführt wurde. 328 Die Wirkung einmal getroffener Vergeltungsmaßnahmen endet automatisch nach Ablauf von 4 Jahren, wenn nicht der ursprüngliche Antragssteller oder eine betroffene Industrie 60 Tage vor Ablauf dieser Frist einen Verlängerungs antrag stellt. 329 Wie oben bereits erwähnt, können die Vereinigten Staaten im Rahmen der Seetion 301 auch dann Vergeltung üben, wenn die Maßnahmen von Drittstaaten den völkerrechtlichen Verpflichtungen vollkommen entsprechen. Darüber hinaus darf auch die gewählte Vergeltungsmaßnahme völkerrechtswidrig sein. Entsprechend ist Section 301 als Ausdruck des rechtslosen Unilateralismus, den das GATI-System zu verhindern gesucht hat, kritisiert worden. 33o
5. Rechtsschutz Weder Section 301 noch die einschlägigen Zuständigkeitsvorschriften amerikanischer Gerichte sehen einen Rechtsweg gegen Entscheidungen im Rahmen des Section 301-Verfahrens vor?3l Da andere gesetzliche Regelungen im handelspolitischen Bereich zum Teil Rechtsschutzbestimmungen 325 Gewisse Einschränkungen enthält Section 301 (c) (5) (A), 19 U.S.c. § 2411 (c) (5) (A), das eine Präferenz für Zölle gegenüber anderen Vergeltungsmaßnahmen ausspricht. 326 Section 302 (c); 19 U.S.c. § 2412 (1998). Vgl. auch PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 678: " ... few limits on the USTR' s discretion in this area." 327 19 U.S.c. § 2411 (a) (3) (1998). 328 Vgl. Seetion 307 (a) (1) (A) i. V.m. Section 301 (a) (2) (A) und (B); 19 U.S.c. § 2417 (a) (1) (A) i. V.m. 19 U.S.C. § 2411 (a) (2) (A) und (B) (1998). 329 Section 307 (c) (1); 19 U.S.C. § 2417 (c) (1) (1998). 330 Vgl. dazu Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems in International Economic Relations, S. 815/816: "The lawless unilateralism that the GATI system was founded to avoid". Die Autoren selbst vertreten allerdings eine wesentlich positivere Ansicht zur Section 301.
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enthalten,332 liegt es nahe, im Umkehrschluss davon auszugehen, dass bei Seetion 301 kein Rechtsschutz besteht. Aufgrund der bestehenden Bestimmungen über den Rechtsschutz in ähnlich gelagerten, handelspolitisch sensiblen Bereichen könnte man grundsätzlich zwar auch an eine Analogie denken. Eine rechtsmethodisch notwendige planwidrige Regelungslücke 333 liegt jedoch nicht vor. Dem Gesetzgeber kann man kaum unterstellen, ihm sei die Fragestellung nicht bewusst gewesen, da bei anderen handelspolitischen Mechanismen Rechtsschutzbestimmungen getroffen wurden. Darüber hinaus entsprach es nach überwiegender Auffassung auch der Absicht des Gesetzgebers, von Rechtsschutzvorschriften bei Section 301 abzusehen?34 Dieser wollte dem USTR bei der Entscheidung, wie gegen die bestehenden Handelsbarrieren vorzugehen sei, ein weites politisches Ermessen zugestehen. 335 Dieser durch Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift indizierten Auffassung schließt sich auch die u.S.-amerikanische Rechtsprechung an, die einer lustitiabilität der Entscheidungen des USTR ablehnend gegenübersteht. Im Antidumping-Bereich existiert zwar ein Klagerecht gegen Entscheidungen der zuständigen Behörden. 336 Dieses beruht jedoch auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung 337 und beschränkt sich auf die dort genannten Fälle. 338 Darüber hinaus ist eine gerichtliche Nachprüfung stets abgelehnt worden. 331 Jackson/Davey/Sykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl), S. 818; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 119; Hippler-Bello/Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 647. 332 Vgl. z. B. Section 303 des Tariff Act von 1930, 19 U.S.C. § 1303, sowie Title VII des gleichen Gesetzes, U.S.C. §§ 1671-1677g, die den Rechtschutz im Antidumpingrecht regeln. 333 Vgl. Larenz, Juristische Methodenlehre, 6. Auf!. (1991), S. 370 ff., 390. 334 Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff., auf S. 684; Fisher/Steinhardt, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: 14 Law & Policy in Int. Business (1982), S. 569 ff., auf S. 578; Hansen, Defining Unreasonableness in International Trade, in: 96 Yale Law Journal (1987), S. 1122 ff., auf S. 1128. 335 Hippler-Bello/Holmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 648. 336 Vgl. Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 120; Vermulst, Judicial Review in Trade Policy Matters in the United States and the European Community: the legalization of International Trade Law, in: Sociaal economische wetgeving (S.E.W.) 1985, S. 347 ff., auf S. 356. 337 Vgl. Section 516A des Tariff Act von 1930; 19 U.S.C. § 1516a - auch abgedruckt bei Jackson/Davey/Sykes, Documents Supplement, S. 780 ff. 338 von Heydebrand und der Lasa, Der gerichtliche Rechtsschutz bei der Einfuhr gedumpter Handelsware in den USA und der EWG, Heidelberg 1986, S. 28; Peter-
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Generell gilt, dass die Judikative das großzügige Ermessen, das der Kongress der Exekutive durch gesetzliche Ermächtigungen im Bereich der Handelspolitik einräumt, für verfassungsgemäß hält 339 und bei Klagen gegen Maßnahmen der Exekutive äußerste Zurückhaltung übt. 34o Grund dafür ist die sogenannte "political question doctrine".341 Nach dieser Doktrin gibt es bestimmte "politische Fragen", die der Überprüfung durch die Judikative entzogen sind. 342 Die Leitentscheidung343 des Supreme Courts zur "political question doctrine" ist Baker v. Carr. 344 Dort nennt das Gericht auch verschiedene Fallgruppen, die als "politisch" qualifiziert und damit rechtlicher Kontrolle nicht unterworfen werden. 345 Obwohl es wenige Fälle gibt, in denen der Supreme Court sich bei seiner Entscheidung auf die "political question doctrine" gestützt hat,346 werden außenhandelspolitische Entscheimann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 120, der in diesem Zusammenhang auch die Gerichtsentscheidungen United States v. Boe, 543 F. 2d 151 (CCPA 1976) und Smith Coronas Group, Consumer Products Division v. U.S., 507 F. Supp. 1015, 1020 (CIT 1980) nennt. 339 Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 121 m.w.N. 340 Robert E. Hudec, Das GATI in der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Meinhard Hilf/Ernst-Ulrich Petersmann (Hrsg.), GATI und EG, S. 243 ff., auf S. 300 ff. m. w. N.; Robert E. Hudec, GATI Legal Status in U.S. Domestic Law, in: HilflJacobslPetersmann (Hrsg.), The European Community and GATT, S. 187 ff., auf S. 245. 341 Im 20. Jahrhundert wiederbelebt wurde die "Political Question Doctrine" von Supreme Court Richter Fe1ix Frankfurter in Colegrove v. Green, 328 U.S. 549 (1946). In Baker v. Carr, 369 U.S. 186 (1962), schränkt der Supreme Court die Anwendung der Doktrin ein (lesenswert die Dissenting Opinion von Frankfurter, 369 U.S. 266-3(0). Zur "political question doctrine" vgl. z. B. Henkin, Is there a Political Question Doctrine?, in: 85 Yale Law Journal (1976), S. 597 ff.; Tribe, American Constitutional Law (2.Aufl.), S. 96 ff.; Nowak/RotundaIYoung, Handbook on Constitutional Law, S. 100 ff.; StonelSeidmanlSunsteinlTushnet, Constitutional Law, S. 106 ff; auch Currie, The Constitution in the Supreme Court - The Second Century 1888-1986, S. 331 und 412 ff. In deutscher Sprache: Currie, Die Verfassung der Vereinigten Staten von Amerika, S. 19 f.; Brugger, Einführung in das Öffentliche Recht der USA, S. 19 ff. 342 Ähnlich wie im Deutschen Recht bei der Frage der richterlichen Kontrolldichte bei Beurteilungsspielraum und Ennessen der Verwaltung und der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist Hintergrund dieser Doktrin der Gedanke der Gewaltenteilung. Vgl. Colegrove v. Green, 328 U.S. 549 auf S. 554; Currie, Die Verfassung der Vereinigten Staten von Amerika, S. 20. 343 Es ist dies allerdings nicht die erste Entscheidung. Die Grundaussage, dass es Fragen gebe, deren Beurteilung der Gerichtsbarkeit entzogen sei, findet sich vielmehr bereits in Marbury v. Madison, 5 U.S. (1 Cranch) 137 auf S. 165 (1803). Die wichtigste Entscheidung in diesem Zusammenhang dürfte Luther v. Borden, 48 U.S. (7 How) 1 (1849) sein. 344 369 U.S. 186 (1962). 345 Zum Ganzen auch Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, S. 210 ff.
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dungen der Exekutivgewalt als ein möglicher Anwendungsfall dieser Theorie betrachtet347 und daher von den Gerichten als grundsätzlich nicht justitiabel angesehen?48 Entsprechend lehnten denn auch Instanzgerichte regelmäßig eine Überprüfung des Abschlusses eines Selbstbeschränkungsabkommens 349 und anderer Handelsbeschränkungen durch den Präsidenten350 ab. Eine eindeutige Stellungnahme des Supreme Court in diesem Sinne gibt es allerdings nicht. 351 Vielmehr stellte der Supreme Court in Baker v. Carr fest, dass es ein Irrtum sei, anzunehmen, dass jeder Fall, der einen Bezug zu auswärtigen Beziehungen aufweise, gerichtlicher Kontrolle entzogen sei. 352 Kernaussage des Brennan Court in Baker v. Carr im Hinblick auf die "political question doctrine" ist, dass politisch und daher nicht justitiabel nur Angelegenheiten sind, die zumindest eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen: • "a textually demonstrable constitutional commitment of the issue to a coordinate political department, • a lack of judicially discoverable and manageable standards for resolving it, • the impossibility of deciding without an initial policy determination of a kind clearly for nonjudicial discretion, 346 Nachdem der Supreme Court in Baker v. Carr die Kriterien etwas genauer definiert hatte, kam es in den folgenden 30 Jahren lediglich zu zwei Entscheidungen, in denen der Supreme Court eine Frage wegen der "political question doctrine" als nicht-justiziabel ansah: Gilligan v. Morgan (Befugnis "of organizing, arrning and disciplining" the Ohio National Guard), 413 V.S. 1 (1973) und Goldwater v. Carter (Befugnis des Präsidenten, einen Vertrag mit Taiwan ohne Genehmigung des Kongress zu kündigen), 444 V.S. 996 (1979). 347 Vgl. Supreme Court in Baker v. Carr, 369 V.S. 186, auf S. 211 f.; auch Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, S. 210, der wiederum u. a. verweist auf Scharpj, Judicial Review and the Political Question: A Functional Analysis, in: 75 Yale Law Journal (1966), S. 517 ff. und Finkelstein, Judicial Self-Limitation, in: 37 Harvard Law Review (1924), S. 338 ff. Henkin stellt allerdings auch auf S. 2131214 und in seinem Aufsatz Is there a political question doctrine, in: 85 Yale Law Journal (1976), S. 597 ff., fest, dass manche Entscheidung, die der "Political Question Doctrine" zugerechnet wird in Anwendung der Verfassung und nicht wegen richterlicher Zurückhaltung entsprechend ausgefallen sei. 348 Vgl. Hudec, Das GATT in der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika, in: HilflPetersmann (Hrsg.), GATT und EG, S. 243 ff., auf S. 300 ff. m. w.N.; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 121 f. 349 Sneaker Circus [nc. v. Carter, 566 F. 2d, 39 (2nd Circuit 1977). 350 Vgl. Hudec, Das GATT in der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika, in: HilflPetersmann (Hrsg.), GATT und EG, S. 243 ff., auf S. 308 mit Nachweisen. 351 Henkin, Foreign Affairs and the Constitution, S. 2131214: "no Supreme Court precedent for extraordinary abstention from judicial review in foreign affairs cases." 352 Baker v. Carr, 369 V.S. 186, auf S. 211 (1962). Vgl. auch NowakJRotundal Young, S. 104.
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• the impossibility of a court's undertaking independent resolution without expressing lack of the respect due coordinate branches of govemment, • an unusual need for unquestioning adherence to a political decision already made, • the potentiality of embarrasment from multifarious pronouncements by various departments on one question. ,,353
Während die erste Kategorie hier nicht eingreift, können die übrigen im Wesentlichen darauf reduziert werden, dass es entweder um die Möglichkeiten der Justiz geht, die Streitigkeit anband klarer Kriterien zu entscheiden oder darum, zu vermeiden, dass die Exekutive durch eine Entscheidung der Gerichte in ihrem außenpolitischen Ansehen Schaden erleidet. 354 Was die Frage der "klaren Kriterien" betrifft, die in der ersten der gerade genannten Alternativen angesprochen wird, so fehlt ein Maßstab für eine richterliche Entscheidung bei der Section 301 allenfalls in den Fällen, in denen es um "unangemessene" Handelspraktiken geht. Soweit es hingegen Verstöße gegen das GATT/WTO-Recht oder andere Handelsabkommen betrifft, finden sich solche Kriterien. Es gibt daher keinen Grund, davon auszugehen, dass hier ein "politischer" Charakter der Entscheidung der gerichtlichen Kontrolle entgegensteht. 355 Es müsste deshalb möglich sein, gegen Entscheidungen des USTR, in denen ihm kein Ermessen eingeräumt ist, sowohl dann vorzugehen, wenn er sich weigert ein Untersuchungsverfahren einzuleiten, als auch dann, wenn er kein Streitbeilegungsverfahren anstrengt. Eine gerichtliche Überprüfung würde jedoch auch in diesen Fällen ausscheiden, wenn eine der anderen "political question"-Fallgruppen eingreift. In Fällen der Verletzung von Handelsabkommen finden meist Verhandlungen zwischen dem Drittstaat und den Vereinigten Staaten statt. Wird ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, ist der USTR zu solchen Konsultationen sogar verpflichtet. Aufgrund des Verlaufs dieser Verhandlungen könnte sich der USTR dazu entscheiden, kein Verfahren einzuleiten oder keine Maßnahmen zu ergreifen. Würde nun eine Privatpartei gegen solche Entscheidungen klagen können, bestünde die Möglichkeit, dass das außenpolitische Ansehen der Exekutive beschädigt würde. Diese Situation entspricht der letzten der in Baker v. Carr genannten Fallgruppen. Eine gerichtliche Kontrolle der materiellen Entscheidungen im Rahmen der Section 301 Baker v. Carr, 369 U.S. 186, auf S. 217 (1962). Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 65. 355 Ebenso Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 66, der darauf verweist, dass U.S.-Gerichte schon des öfteren GATT-Recht ausgelegt und angewendet haben. 353
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scheidet daher nach den bislang zugrunde gelegten Vorgaben der "political question doctrine" aus?56 Allein aus dem Fehlen einer Rechtsschutzbestimmung und der Anwendung der "political question doctrine" bei handelspolitischen Maßnahmen folgt jedoch nicht zwingend, dass gar keine Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen. Diesen Schluss legt zumindest die Rechtsprechung zur Section 201 des Trade Act von 1974357 nahe, einer Norm, die bedeutsame Parallelen zur Section 301 aufweist. Dort werden ebenfalls handelspolitische Maßnahmen geregelt358 und jegliche Bestimmung zum Rechtsschutz fehlt. 359 Im Hinblick auf die Section 201 wurde zwar bestätigt, dass die handelspolitischen Entscheidungen des Präsidenten und ihre Beweggründe einer richterlichen Überprüfung grundsätzlich nicht zugänglich sind. 36o Der Court of International Trade betonte in einem Urteil jedoch, dass eine Überprüfbarkeit der formellen Voraussetzungen einer handelspolitischen Entscheidung nicht ausgeschlossen sei. 361 Dies leuchtet gerade angesichts der auf die "political question doctrine" gestützten Begründung für die richterliche Zurückhaltung ein. "Politisch" sind bei handelspolitischen Mechanismen nämlich die Entscheidungen in der Sache, nicht aber die einzelnen Verfahrensentscheidungen. In derselben Streitigkeit stellte ein obersintanzliches Gericht fest, dass es einer offensichtlich falschen Auslegung der gesetzlichen Grundlage, einer bedeutenden Verletzung der Verfahrens grundsätze oder einer Überschreitung der zuerkannten Befugnisse bedürfe, damit ein Gericht bei Entscheidungen, die im Zusammenhang stehen mit der bereits erwähnten Seetion 201, ein356 Ebenso Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 68. a.A.: EichmannlHorlick, Political Questions in International Trade: Judicial Review of Section 301?, in: 10 Michigan Journal of International Law (1989), S. 735 ff., auf S.755. 357 Section 201 des Trade Act von 1974; 19 U.S.C. § 2251 - abgedruckt in JacksonlDaveylSykes, Documents Supplement, S. 976. 358 Gemäß Section 201 können Importbeschränkungen gegen ausländische Waren verhängt werden, um die heimische Industrie zu schützen, wenn eine Zunahme der Importe einer amerikanischen Industrie Schaden zufügen könnte. Im Original: "If ... an article is being imported into the U.S. in such increased quantities as to be a substantial cause of serious injury or the threat thereof to the domestic industry producing an article like or direct1y competitive ... the President ... shall take all appropriate and feasible action ... ". 359 Vgl. Hudec, Das GATT in der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika, in: HilflPetersmann (Hrsg.), GATT und EG, S. 243 ff., auf S. 306 f.; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 121. 360 Maple Leaf Fish Co. v U.S., 762 F. 2d. 86 ff. (Federal Circuit 1985). 361 Maple Leaf Fish Co. v U.S., 566 F. Supp. 899, 903, 4 ITRD, 2173 (CIT 1983).
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
schreite?62 Womit zugleich gesagt wurde, dass es auch bei handelspolitischen Entscheidungen Grenzen gibt, die zu beachten sind und deren Überschreitung ein Gericht kontrollieren kann. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Ermessen kann in einem Rechtsstaat nie grenzenlose Willkür bedeuten. Die "political question doctrine" will der besser legitimierten Entscheidungsebene ihre eigene Kompetenz sichern, dieser aber nicht einen uneingeschränkten Spielraum zubilligen. Im Rahmen der Seetion 301 ist es bislang in keinem Fall zu einer gerichtlichen Überprüfung einer Entscheidung der Exekutive gekommen 363 und auch in der U.S.-amerikanischen Literatur wird die Frage nach der Justitiabilität im Zusammenhang mit dieser Vorschrift überwiegend negativ beantwortet. 364 Es ist daher schon zweifelhaft, ob in der Praxis Verfahrensrügen wie mangelnde Berücksichtigung des Auskunftsrechts oder des Anhörungserfordernisses vor Gericht nachprüfbar wären. 365 Sobald die Entscheidung des USTR materiellen Gehalt aufweist, besteht für die interessierten Parteien aber mit Sicherheit keine Aussicht auf Kontrolle durch die Judikative.
Maple Leaf Fish Co. v. U.S., 762 F. 2d. 86 (Federal Circuit 1985), auf S. 89. Zur Rechtslage bis 1985: Vermulst, Judicial Review in Trade Policy Matters in the United States and the European Community: the legalization of International Trade Law, in: S.E.W. 1985, S. 347 ff., auf S. 353. Bis 1986: Hilf, International Trade Disputes and the Individual Private Party Involvement in National and International Procedures regarding Unfair Foreign Trade Practices, in: Außenwirtschaft 1986, S. 441 ff., auf S. 458. Bis 1989: Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 119. Bis 1994: Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., S. 64 m. w.N. Bis 1996: JacksonlDaveylSykes, Legal Problems of International Economic Relations (3. Aufl.), S. 818. 364 Vgl. FisherlSteinhardt, Section 301 of the Trade Act of 1974, in: 14 Law & Policy in Int. Business (1982), S. 569 ff., auf S. 578; Hippler-BelloIHolmer, Section 301 of the Trade Act of 1974: Requirements, Procedures and Developments, in: 7 Journal of International Law and Business (1986), S. 633 ff., auf S. 647/648; Hudec, Das GATT in der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika, in: Hilf/Petersmann (Hrsg.), GATT und EG, S. 243 ff., auf S. 301; Hudec, GATT Legal Status in U.S. Domestic Law, in: HilfllacobslPetersmann (Hrsg.), The European Comrnunity and GATT, S. 187 ff., auf S. 243, 248; Zoller, Remedies for Unfair Trade: European and United States Views, in: Cornell International Law Journal (1985), S. 227 ff., auf S. 234. 365 Vgl. dazu Hilf, International Trade Disputes and the Individual Private Party Involvement in National and International Procedures regarding Unfair Foreign Trade Practices, in: Außenwirtschaft 1986, S. 441 ff., auf S. 458; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 123; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Intern. Law & Comrn. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 65. 362
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6. Section 301 nach der Uruguay Runde Von 1974 bis 1996 kam es zu insgesamt 98 Section 301 Verfahren 366 . 28 Anträge auf Einleitung eines Untersuchungsverfahrens wurden abgelehnt. In 56 Fällen kam es zu einer einverständlichen Lösung, in 11 davon allerdings nur nach Androhung einer Vergeltungsmaßnahme. 15 Mal wurde Vergeltung geübt, 5 Mal wurde davon abgesehen, obwohl der Tatbestand von Section 301 erfüllt war. In den restlichen Verfahren stand eine Verhandlungslösung noch aus, lagen die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor oder wurde der Antrag zurückgenommen. 367 Interessanterweise richteten sich gut ein Viertel der oben genannten Verfahren (23) gegen die Europäischen Gemeinschaften, viermal wurden Sanktionen verhängt. 368 Obwohl es auch in den USA nie an kritischen Stimmen zur Section 301 gemangelt hat,369 wird überwiegend die positive handelspolitische Bilanz dieses Instruments, sein Beitrag zur Beseitigung von Handelsbarrieren herausgestrichen. 37o Nach Abschluss der Uruguay Runde bestanden allerdings erhebliche Zweifel, ob Section 301 in seiner bisherigen Form weiterbestehen konnte?7! Ein Grund dafür liegt in Art. XVI Absatz 4 der Übereinkunft zur Errichtung der WTO, der lautet: 366 Bis Dezember 2001 stieg die Zahl auf 121 Verfahren, siehe Übersicht im Anhang. Da viele der Verfahren über Jahre laufen, beschränkt sich die Untersuchung abgeschlossener Verfahren auf die bereits genannte Zahl. 367 Vgl. die Aufstellung bei PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 681. Vgl. auch Sykes, Constructive Unilateral Threats in International Commercial Relations: The Limited Case for Section 301, in: 23 Law & Policy in International Business (1992), S. 263 ff. und Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 139 ff. Für den aktuellen Stand siehe Office of the United States Representative, Section 301, Table of Cases im World Wide Web unter www.ustr.gov/reports/ 30 1report/act301.htm. Im Anhang finden sich alle eingeleiteten Verfahren und alle abgelehnten Anträge zum 31. Dezember 2001. 368 PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 682. 369 Vgl. nur Hemandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff., auf S. 214; PuckettlReynolds, Seetion 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676 m. W.N. 370 Sykes, in: Constructive Unilateral Threats, 23 Law & Policy in International Business (1992), S. 263 ff.; BellolHolmer, The Post Uruguay Round Future of Section 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATT, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995), S. 473 ff., auf S. 477. 6 Cascante
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"Jedes Mitglied stellt sicher, dass seine Gesetze, sonstigen Vorschriften und Verwalt~ngsverfahren mit seinen Verpflichtun~en aufgrund der als Anlage beigefügten Ubereinkommen in Einklang stehen ...37
Section 301 erlaubt Maßnahmen, die im Widerspruch zu den Bestimmungen der WTO-Abkommen stehen. Aus Art. XVI Absatz 4 DSU und dem Grundsatz pacta sunt servanda, könnte man aber entnehmen, dass ein WTO-Mitglied mit WTO-widrigen Maßnahmen noch nicht einmal drohen darf?73 Den USA würde dann nur die Alternative verbleiben, entweder Section 301 in diesem Punkte zu verändern oder aber gänzlich aufzuheben. Die Vereinigten Staaten haben diesem Argument stets entgegengehalten, dass Section 301 zwar einen Verstoß gegen Völkerrecht erlaube, diesen aber nicht fordere, und daher mit WTO-Recht vereinbar sei?74 Mit dieser Argumentation wussten sie sich im Einklang mit mehreren GATT-Panel Entscheidungen. Dort war festgestellt worden, dass Gesetzgebung, die zwingend Verstöße gegen das GATT zur Folge hat, per se, also unabhängig von einem konkreten Anwendungsfall gegen das GATT verstößt. Hingegen seien Gesetze, die einen Verstoß gegen GATT-Recht in das Ermessen eines nationalen Entscheidungsträgers stellen, nicht als solche rechtswidrig, sondern nur ein aufgrund des Gesetzes ergangener, dem GATT-Recht widersprechender Akt. 375 371 Mit dieser Frage beschäftigen sich z. B. Bellol Holmer, GATI Dispute Settlement Agreement: Internationalization or Elimination of Section 301?, in: 26 International Law (1992), S. 795 ff.; Hernandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff.; Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff. 372 Zitiert nach Benedek, Die WTO, S. 55. Im Original: "Each Member shall ensure the conformity of its laws, regulations and administrative procedures with its obligations as provided in the annexed [Uruguay Round] Agreements .... Vgl. JacksonlDaveylSykes, Documents Supplement, S. 12. 373 Vgl. die Zitate zum Standpunkt der EG und Japans bei Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 2741275; Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 129. 374 Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 128. 375 So heißt es im GATI Panel Bericht, angenommen am 04. Oktober 1994, United States - Measures Affecting the Importation, Internal Sale and Use of Tobacco, GATT Doc. DS 44/R, Randnummer 118 (in Auszügen abgedruckt bei Pescatorel DaveylLowenfeld, Handbook of WTO/GA TT Dispute Settlement, Vol. 2 DD 95) zu der Frage, "whether this section of the ... act mandated action inconsistent with Artic1e VIII [GATT] or whether it merely gave the U.S. government discretion to act inconsistently with Artic1e VIII.": " ... the panel recalled, that panels had consist-
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Veränderungen der Section 301 waren auch erhofft worden, weil als Grund für ihre Existenz immer wieder die mangelnde Effektivität des GATI-Streitbeilegungsverfahrens angeführt worden war. 376 Die Amerikaner hatten stets argumentiert, im GATI bestünde ein Durchsetzungsvakuum, weil die Umsetzung von Panel-Entscheidungen von der unterliegenden Partei blockiert werden könne. Der Zweck der Section 301 sei es, dieses Vakuum zu füllen?77 Nach Abschluss der Uruguay Runde stellte sich die Frage, ob die Stärkung des Streitbeilegungsverfahrens dieser Argumentation den Boden entzogen hatte. Die aus den obengenannten Gründen erwartete Anpassung der Section 301 378 blieb jedoch zunächst aus. Die Gesetzesänderungen 1994 und 1996 beliessen das Instrument in seinem Gehalt nahezu unverändert. 379 Im November 1998 initiierte die EG schließlich ein Streitbeilegungsverfahren gegen die Section 301. Wie sehr die Section 301 als Instrument des US-amerikanischen Unilateralismus angesehen wird, lässt sich an der langen Liste der Drittparteien ablesen, die dem Verfahren auf Seiten der EG beitraten. 38o ently ruled that legislation which mandated action inconsistent with the [GATT] ... could be challenged as such, whereas legislation which merely gave the discretion to the executive authority ... to act inconsistently with the [GATT] ... could not be challenged as such; only the actual application of such legislation inconsistent with the General Agreement could be subject to challenge." Ebenso bereits 1987 GATT BISD 34S/136, 160 (U.S.-Taxes on Petroleum); 1990 BISD 37S/132, 198/99 (EEC Import of Parts and Components); BISD 37Sl2OO, 227/228 (ThailandImportation and Internal Taxes on Cigarettes); 1992 BISD 39S1206, 2811282, 289/ 290 (U.S.-A1coholic and Malt Beverages); BISD 39S/128, 152 (U.S.-Non-rubber Footwear from Brazil). 376 Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 687. 377 Puckett/Reynolds, ebd. 378 Silvemum, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 273; Puckett/ Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S.687. 379 Hemandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff., auf S. 215. Eine gute Übersicht über die Veränderungen ergibt sich, wenn man von Lexis Nexis die Section 301-310 in der aktuellen Fassung abruft (United States Code Services 19 U.S.C. § 2411-2420). Im Anhang werden dann stets die letzten Gesetzesänderungen im Wortlaut wiedergegeben. Eine Untersuchung ergibt hier, dass der Wortlaut der Vorschrift 1994 zwar an einigen Stellen verändert wurde, der Inhalt jedoch erhalten geblieben ist. 380 Brasilien, Costa Rica, Dominica, die Dominikanische Repulik, Ecuador, Hong Kong, Indien, Israel, Jamaika, Japan, Kanada, Kolumbien, Südkorea, Kuba, St. Lucia und Thailand. 6*
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Die EG wandte sich mit Ihrem Antrag nur gegen Section 304(a)(2)(A), 305(a) und 306(b). Diese Bestimmungen würden den US Trade Representative zwingen 381 a) festzustellen, ob ein anderes WTO-Mitglied den USA Rechte oder positive Auswirkungen 382 vorenthalte ohne Rücksicht darauf, ob der DSB eine Entscheidung eines WTO-Panels oder der Berufungsinstanz bereits verabschiedet habe; b) festzustellen, ob eine Empfehlung des DSB umgesetzt worden sei, unabhängig davon, ob ein entsprechendes Verfahren nach Artikel 21.5 DSU bereits beendet worden sei; c) festzustellen, welche Maßnahmen er gemäß Section 301 einleiten wolle, wenn Empfehlungen des DSB nicht umgesetzt würden und diese Maßnahmen dann auch zu treffen; dies geschehe jeweils unabhängig davon, ob das im Rahmen der WTO-Streitbeilegung vorgesehene Verfahren (Artikel 21.5 und 22 DSU) bereits abgeschlossen sei; und d) in manchen Fällen Maßnahmen zu ergreifen, die unvereinbar sind mit Artikel I, 11, III, VIII und IX des GATI. Darüber hinaus trug die EG hilfsweise vor, selbst wenn man die Seetion 301 so auslegen könnte, dass Sie es dem USTR erlaube, WTO-konform zu handeln, wäre sie dennoch keine angemessene rechtliche Grundlage 383 für die Umsetzung der WTO-Verpflichtungen der USA. Die Section 301 führe nämlich eine Situation der Bedrohung und der rechtlichen Unbestimmtheit für andere WTO-Mitglieder herbei, die dem Geist und den Prinzipien des WTO-Abkommens widerspreche?84 Dem Abschluss des Abkommens liege das gemeinsame Verständnis der Vertragsparteien zugrunde, dass das multilaterale Handelssystem gestärkt werden solle, dass es sicher und vorhersehbar ausgestaltet werden müsse und dass die Übereinstimmung nationalen Rechts mit dem WTO-Recht zu gewährleisten sei. 385 In seinem Bericht vom 22. Dezember 1999 gab das WTO-Panel der EG recht, und entschied dennoch zu Gunsten der USA. Dabei stellte das Panel zunächst fest, dass es aufgrund der Anträge der EG nicht seine Aufgabe sei, umfassend zu prüfen, ob die Section 301 mit dem WTO-Recht vereinbar sei?86 Insbesondere sei Gegenstand des Verfah381 World Trade Organization, Report of the Panel, United States Sections 301310 of the Trade Act of 1974, WT/DSI52R vom 22. Dezember 1999, III. 3.1; VII.A. 7.3. 382 Im Original: "rights or benefits" 383 Wörtlich: "no sound legal basis". 384 WTIDSI52R vom 22. Dezember 1999, VII.A. 7.5. 385 WT/DSI52R vom 22. Dezember 1999, IV.A. 4.27. 386 WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII.B. 7.13.
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rens weder die Prüfung einer konkreten Maßnahme der USA auf ihre Vereinbarkeit mit dem WTO-Recht, noch habe das Panel die WTO-Vereinbarkeit der Bestimmungen zu prüfen, die es dem USTR erlauben, zu entscheiden, wann eine Angelegenheit vom Anwendungsbereich der WTO-Abkommen erfasst werde. 387 Nachdem es damit den Prüfungsrahmen abgegrenzt hatte, wandte sich das Panel der ersten Vorschrift zu, die gerügt wurde und untersuchte im Detail die Anträge zu Section 304. Dabei wies das WTO-Panel das oben bereits erwähnte Argument zurück, die Section 304 erlaube zwar einen Verstoß gegen WTO-Recht, fordere diesen aber nicht, das sich die USA bei ihrer Argumentation vor dem Panel zu Eigen machte. 388 Section 304 sei unvereinbar mit dem WTO-Recht,389 denn der USTR müsse aufgrund der engen Zeitvorgaben unter Umständen feststellen, ob eine Maßnahme mit WTO-Recht unvereinbar sei, bevor das WTO-Streitbeilegungsverfahren abgeschlossen sei. 390 Das Ermessen, dass dem USTR bei der Bestimmung der Unvereinbarkeit eingeräumt wird, gewährleiste nicht etwa die WTO-vereinbarkeit der Section 304, es sei vielmehr ein Hauptgrund für dessen WTO-widrigkeit. Denn "dieses Ermessen ... schafft ein reales Risiko oder eine Bedrohung für andere Mitgliedstaaten und für Privatrechtssubjekte, dass Maßnahmen ergriffen werden, die an sich gemäß Artikel 23.2(a) DSU verboten wären.,,391
Am Ende einer lesenswerten und konsequenten Argumentation, stellt das Panel abschließend fest, prima facie sei Section 304 mit WTO-Recht unvereinbar und stehe in klarem Widerspruch zu den in Art. 23 DSU niedergelegten Verpflichtungen. Die USA hätten sich in Art. 23 verpflichtet, das WTO-Streitbeilegungsverfahren zu nutzen, den DSU Regeln zu entsprechen und unilaterale Maßnahmen zu unterlassen. Mit der Section 304 würden sich die USA hingegen das Recht vorbehalten, genau solche Maßnahmen zu ergreifen. 392 Der Panel Bericht endet jedoch nicht mit dieser Feststellung. Vielmehr gibt das Panel der Beurteilung eine überraschende Wendung: Das bisherige Zwischenergebnis resultiere aus der Prüfung der gesetzlichen Vorgaben. Aufgrund der besonderen Eigenart der zu prüfenden Bestimmung müsse man aber auch administrative und institutionelle Elemente in die Untersuchung miteinbeziehen. 393 Das weite Ermessen, das Section 304 dem USTR einräume, könne durch verwaltungsinteme Richtlinien so eingeschränkt 387 388 389 390
WT/DS152R WTIDS152R WTIDS152R WTIDS152R 391 WT/DS152R 392 WTIDS152R 393 WTIDS152R
vom vom vom vom vom vom vom
22. 22. 22. 22. 22. 22. 22.
Dezember Dezember Dezember Dezember Dezember Dezember Dezember
1999, 1999, 1999, 1999, 1999, 1999, 1999,
VII.B. 7.13. IV.A. 4.20. VII.C. 7.97. VII.C. 7.96. VII.C. 7.96. VII.C. 7.98. VII.C. 7.96.
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werden, dass letztlich nur noch WTO-konfonnes Handeln ennessensfehlerfrei sei. Genau dies sei im vorliegenden Fall geschehen. 394 Der US-amerikanische Präsident habe dem Kongress im Zusammenhang mit dem Beschluss über den Uruguay Round Agreements Act, der nationalen Gesetzgebung zur Implementierung der Ergebnisse der Uruguay Runde 395 , ein "US Statement of Administrative Action" vorgelegt?96 Diese verwaltungsinterne Richtlinie verpflichte die Exekutive, bei aer Ausübung des in Section 301 eingeräumten Ennessens die völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA zu beachten. 397 Dort heißt es: "Obwohl es die Effektivität der Seetion 301 fördern wird, macht das DSU keine wesentliche Änderung der Seetion 301 notwendig im Hinblick auf Untersuchungen, die eine vermeintliche Verletzung der WTO-Abkommen oder die Beeinträchtigung US-amerikanischer Vorteile gemäß dieser Abkommen bedeuten. In solchen Fällen wird der USTR, • DSU-Verfahren einleiten wie es erforderlich ist nach geltendem Recht; • jegliche Feststellung nach Seetion 301, dass Rechte der USA verletzt oder den USA Vorteile vorenthalten wurden, auf eine Entscheidung des Panels oder des Appelate Body, der WTO-Berufungsinstanz, stützen; • der gegnerischen Partei nach einer für die USA vorteilhaften Entscheidung eines Panels oder einer Berufungsinstanz eine angemessene Zeit einräumen, um die Empfehlungen des Panels umsetzen; und • für den Fall, dass in dieser Zeit die Angelegenheit nicht gelöst werden kann, eine Genehmigung beim Streitbeilegungsgremium (DSB) für Vergeltungsmaßnahmen einholen ...398
Aus Sicht des Panels reichen diese interne Verpflichtung der US-amerikanischen Exekutive und die wiederholten Zusagen der US-amerikanischen Vertreter vor dem Panel, diese Verpflichtung zu beachten399 aus, um die Bedenken, die sich aus der gesetzlichen Regelung der Section 301 ergeben, zu zerstreuen. Auch die Widersprüche, die sich beim Vergleich mit anderen Passagen aus dem Uruguay Round Agreements Act oder dem Statement of Administrative Action selbst ergeben, bringen das Panel nicht mehr von seinem Ergebnis ab. 394 395
4809.
WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII.C. 7.108/7.109. Uruguay Round Agreements Act of 1994, Pub. L. No. 103-465, 108 Stat.
396 The Uruguay Round Agreements Act Statement of Administrative Action, 103d Cong., 2d Sess., H. Doc. 103-316, vol. I, 659 (1994). 397 Statement of Administrative Action S. 1; vgl. auch World Trade Organization, Report of the Panel, United States Sections 301-310 of the Trade Act of 1974, WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII. C. 7. 110. 398 SAA, S. 365-366; zitiert nach WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII.C. 7.112. 399 WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII.C. 7.115.
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So offenbaren zum Beispiel die Beratungen im Gesetzgebungsverfahren von 1994, dass im Zuge der Uruguay-Runde nicht im entferntesten daran gedacht war, Section 301 aufzuheben oder einzuschränken. Beabsichtigt war ganz im Gegenteil eine weitere Stärkung des Instruments. 4OO "Das [mit der Sache befasste] Kommitee möchte sicherstellen, dass die Autorität im Rahmen der Section 301 ein starkes und effektives Instrument der Vereinigten Staaten bleibt, um ihre sich aus Handelsabkommen ergebenden Rechte durchzusetzen und auf andere unfaire ausländische Handelspraktiken zu reagieren. Der Hauptzweck dieser Gesetzesänderung ist es, Section 301 als ein grundlegendes Mittel der Handelspolitik zu stärken ... indem klargestellt wird, dass es sowohl die Verwendung nicht-handelsbezogener Vergeltungsmaßnahmen erlaubt als auch die Verhängung von Handelsbeschränkungen, wenn eine [Handels-]Auseinandersetzung nicht zufrieden stellend beigelegt werden kann. ,,401
Den rechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine Vereinbarkeit der Section 301 mit dem WTO-Recht wurde nur einseitig Rechnung getragen, indem die folgende Regelung eingeführt wurde: "Eine Bestimmung der Uruguay Round Vereinbarungen oder eine Anwendung einer solchen Bestimmung, die mit US-amerikanischem Recht unvereinbar ist, soll keine Wirkung entfalten ... Außerdem soll der Uruguay Round Agreements Act402 nicht so ausgelegt werden, dass er irgendwelche Befugnisse einschränkt, die nach US-amerikanischem Recht, einschließlich der Section 301 des Trade Act von 1974, eingeräumt worden sind ... ,,403
Damit wird unmissverständlich klargestellt, dass bei Konflikten zwischen WTO-Recht und der Section 301, ungeachtet externer Pflichten zu einem 400 Vgl. Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 273 Fn. 192; Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 688. 401 Im Original: "The Committee wishes to ensure that section 301 authority remains a strong and effective means for the United States to enforce its rights under trade agreements and to deal with other foreign unfair trade practices. The basic purpose of the amendment is to strengthen section 301 as a basic trade policy tool ... by clarifying that [it] ... permits the use of non-trade retaliatory measures as well as the imposition of trade restrictions if disputes cannot be satisfactorily resolved." H.R. REP. No. 826, 103rd Congress, 2nd Session 137 (1994), wiedergegeben in U.S.C.C.A.N. 3773, 3909. 402 Zur implementierenden Gesetzgebung zum WTO-Abkommen vgl. Pub. I No. 103-465, 108 Stat. 4809. 403 Im Original: "No provision of the Uruguay Round Agreements, nor the application of any such provision to any person or circumstance, that is inconsistent with any United States law shall have effect. .. Further, nothing in the Uruguay Round Agreements Act shall be construed '" to limit any authority conferred under any United States law, including Section 301 of the Trade Act of 1974 ... "; Section 102 des Uruguay Round Agreements Act of 1994, 19 U.S.c. § 3512.
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völkerrechtskonfonnen Verhalten, letztere vorrangig ist. 404 Nach U.S.-amerikanischem Recht kann die Seetion 301 daher selbst bei einem Verstoß gegen WTO-Recht niemals rechtswidrig sein. Dieser Argumentation begegnet das WTO-Panel in seinem Bericht zur Seetion 301 mit dem Hinweis, dass zwar der Uruguay Round Agreements Act die Befugnisse des USTR, WTO-widrig zu handeln, nicht einschränke, dass aber das Statement of Administrative Action dies getan habe. 405 Die widersprüchlichen Aussagen in dem Statement of Administrative Action seien ebenfalls nicht entscheidend. Bei der Auslegung von Rechtsvorschriften sei man nach US-amerikanischem Recht gehalten, Widersprüche im Einklang mit bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen aufzulösen. 406 Insgesamt gelangt das Panel daher zu dem Ergebnis, dass der Wortlaut der Section 304 zwar als solcher unvereinbar mit WTO-Recht ist, dass man ihn aber gemeinsam mit der verwaltungsinternen Richtlinie betrachten muss, die zu seiner Auslegung erlassen wurde, und die nur eine WTO-konfonne Anwendung zulässt. 407 Im Lichte der gesetzlichen aber auch der anderen relevanten Vorgaben sei die Section 304 und seien auch alle anderen gerügten Vorschriften daher WTO-konfonn. Anders als das Zwischenergebnis wirkt diese Lösung konstruiert und ist nicht überzeugend. Wie das Panel selbst eimäumt, sind die Aussagen in der Verwaltungsrichtlinie widersprüchlich. Die Richtlinie ist zudem jederzeit ohne großen Aufwand zu ändern. Das Gesetz, dass der Richtlinie übergeordnet ist, räumt Section 301 Vorrang vor WTO-Recht ein. Dass das Panel den Inhalt einer in sich widersprüchlichen, leicht veränderbaren verwaltungsinternen Richtlinie ausreichen lässt, um die vorausgegangene eindeutige Feststellung zu relativieren, dass die Seetion 304 gegen WTO-Recht verstoße, ist kaum nachvollziehbar. Auch für die Zukunft können damit die Kritiker der Section 301 keine einschneidende Änderung erwarten. Gerade die immer wieder geäußerte Zusicherung, dass die Seetion 301 auch nach der Uruguay Runde Bestand haben würde, war ein Argument, das vielen Abgeordneten die Zustimmung zum WTO-Abkommen erleichtert hat. 408 Es ist wenig wahrscheinlich, dass 404 Ebenso Hemandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff., auf S.214. 405 WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII.C. 7.112, Fußnote 687. 406 WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII.C. 7.113, Fußnote 688. 407 WTIDS152R vom 22. Dezember 1999, VII.C. 7.131. 408 BellolHolmer, The Post Uruguay Round Future of Seetion 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATI, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995),
H. USA: Section 301 des Trade Act von 1974
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sie ihr wichtigstes handelspolitisches Instrument in absehbarer Zukunft aufgeben werden. Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass Section 301 nach wie vor wichtig sei, um auf Handelspraktiken von Staaten zu reagieren, die nicht Mitglieder der WTO seien, und lange Zeit wurde auch argumentiert, dass das WTO-Abkommen selbst noch gewisse Lücken enthalte. So galten beispielsweise die Bestimmungen des Streitbeilegungsverfahrens, die "non-violation nullification and impairment" Fälle409 betreffen, bis Ende 1999 nicht für Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem TRIPS-Abkommen. 410 Letztlich dürfte ein effizientes WTO-Streitbeilegungsverfahren und ein im Hinblick auf Mitgliederanzahl und Rechtsgebiete erweiterter Anwendungsbereich des WTO-Rechts das beste Argument gegen eine Anwendung der Section 301 sein. 411 Es steht zu hoffen, dass sich die Vereinigten Staaten in Zukunft vermehrt im Rahmen der WTO engagieren und auf eine Stärkung dieses Systems hinarbeiten werden. 412 Die Diskussion um die Section 301 könnte sich dann von selbst erledigen. Bis dahin dürfte die Section 301 allerdings bleiben, was sie seit über 20 Jahren ist: das "erfolgreichste,,413 aber auch umstrittenste414 handelspolitische Instrument der Vereinigten Staaten. S. 473 ff., auf S. 478 stellten bereits im Vorfeld der Annahme des WTO-Abkommens durch den Kongress fest: "As Members of Congress consider the Uruguay Round Agreements, a key question will be how the [... agreements] will affect the use of section 301.. .". 409 Beispiel für einen Fall, in dem die USA Maßnahmen der EG rügte, die zwar nicht gegen GATT-Recht verstießen, aber dennoch unzulässig waren, weil sie den USA einen Vorteil vorenthielten, der ihnen an sich aufgrund des GATT Abkommens zustand, ist "Oilseeds"-GATT Dispute Settlement Panel Report on Payments and Subsidies to Processors and Producers of Oilseeds and Related Animal-Feed Proteins, 37 Supplement B.I.S.D. 86, 125-132 (1990). 410 Art. 64 Absatz 2 TRIPS. Vgl. auch Bello/Holmer, The Post Uruguay Round Future of Section 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATT, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995), S. 473 ff., auf 480. Hemandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff., nennt auf S. 230 als weitere Lücken Human Rights and Labor Standards. 411 So auch Hemandez Puente, Section 301 and the new WTO Dispute Settlement Understanding, in: 2 ILSA Journal of Intern. & Comp. Law (1995), S. 213 ff., auf S. 228. Diese Hoffnung wird genährt durch die Anzahl der Section 301 Verfahren in den letzten Jahren. Bis zum Jahr 2000 wurden insgesamt 119 Verfahren eingeleitet. In 2000 und 2001 wurde jeweils nur noch ein Verfahren initiiert. 412 Genau das erwarten beispielsweise Puckett/Reynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 689. 413 Bello/Holmer, The Post Uruguay Round Future of Section 301, in: Stewart (Hrsg.), The GATT, the WTO and the Uruguay Round Agreements Act (1995),
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
III. Die EG-Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren 1. Einführung
Ähnlich wie die USA verfügt die Europäische Gemeinschaft415 inzwischen über eine Reihe sogenannter Handelsschutzinstrumente.416 Die AntiS. 473 ff., auf S. 477 schreiben: " ... Section 301 ... was more successful in opening markets ... than any developments in the GATT headquarters in Geneva". Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 45: "successful"; Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 241: "a unique weapon in the United States' trade arsenal". Sykes, Constructive Unilateral Threats, S. 266, verweist U. a. darauf, dass es für alle Beteiligten vorteilhaft ist, wenn die USA offenere Märkte erzwingt. In Sykes, Mandatory Retaliation for Breach of Trade Agreements: Some Thoughts on the Strategie Design of Section 301, in: 8 Boston Univ. Intern. Law Journal (1990), S. 301 ff., belegt er auf S. 309 ff. anhand einer SpieltheorieAnalyse den Erfolg der Seetion 301. 414 "Probably the most criticized piece of U.S. trade legislation since the HawleySmoot Tariff Act of 1930". So Robert E. Hudec, Thinking about the New Section 301: Beyond Good and Evil, in: Jagdish Bhagwati/Hugh T. Patrick (Hrsg.), Aggressive Unilateralism: America's 301 Policy and the World Trading System, auf S. 113. Diesen zitierend Palmeter, A Few - Very Few - Kind Words for Section 301, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 123 ff., auf S. 124. Silverman, Multilateral Resolution over Unilateral Retaliation, in: 17 Univ. of Pennsylvania Journal of Int. Economic Law (1996), S. 233 ff., auf S. 251 spricht von "more international condernnation than any other U.S. trade provision". Zur Kritik von japanischer und europäischer Seite siehe PuckettlReynolds, Section 301: At Odds with the WTO?, in: 90 AJIL (1996), S. 675 ff., auf S. 676 m.w.N. in Fn. 11. 415 Wenn im Folgenden von den Europäischen Gemeinschaften die Rede ist, dann sind die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die Europäische Atomgemeinschaft (EurAtom) und die Europäische Gemeinschaft (EG) gemeint. Letztere ist die Nachfolgerin der ehemaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Die Europäische Union (EU) umfasst sowohl die Europäischen Gemeinschaften, als auch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI). Die Europäische Gemeinschaft ist daher Teil der Europäischen Union. Wie im Folgenden noch kurz erläutert werden wird, verfügt aber die EG über die Fähigkeit und die Befugnis, außenhandelspolitisch tätig zu werden und in diesem Bereich Verträge abzuschließen. Die EU verfügt hingegen über keine völkerrechtliche Rechtsflihigkeit. Sie kann daher völkerrechtliche Übereinkünfte weder aushandeln noch abschließen oder etwa als Mitglied einer internationalen Organisation auftreten. Der Begriff der Europäischen Union wird häufig verwendet, um den Prozess fortschreitender Integration hervorzuheben. In dem hier behandelten Kontext ist jedoch aus den gerade genannten Gründen allein der Begriff Europäische Gemeinschaft juristisch korrekt. 416 Die in Art. 131 EGV (= Art. 110 alt EGV) enthaltene Grundsatzentscheidung für eine liberale Handelspolitik steht dem Erlaß von Handelsschutzmaßnahmen
III. Die EG-Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren
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Dumping-Grundverordnung417 ist an Art. VI GATT angelehnt. Ihr Ziel ist es, zu verhindern, dass Waren zu einem niedrigeren Preis in die EG exportiert werden, als zu dem Preis, zu dem man sie üblicherweise in ihrer Heimat vertreibt, und dadurch einem Wirtschaftszweig in der Gemeinschaft Schaden zugefügt wird. 418 Diese in der Praxis relevante Regelung dient auch dem Schutz gegen subventionierte Einfuhren419 und wird flankiert durch die Vorschriften zur Einführung von Schutzmaßnahmen,42o wie sie aufgrund von Art. XVI GATT zulässig sind. Auffangtatbestand in diesem Arsenal zum Schutz von Handel und Produktion der Unternehmen in der EG ist die Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren. 421 Sie räumt Bürgern, Unternehmen und auch Mitgliedstaaten bei der Kommission ein Antragsrecht ein, damit Maßnahmen gegen Drittstaaten, die Handelshemmnisse422 errichtet haben, ergriffen werden. Auf diese Art und Weise können Privatrechtssubjekte mittelbar gegen Verhaltensweisen vorgehen, die mit dem WTO-Recht unvereinbar sind.423 2. Das Neue Handelspolitische Instrument
Vorgänger der Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren (Trade Barriers Regulation - im Folgenden TBRt24 war das sogenannte neue handelspolitische Instrument, das auf der Verordnung des Rates nicht entgegen; Brinker, Die Handelsschutzinstrumente der EG nach Abschluss der Uruguay Runde des GATT, in: WiB 1995, S. 323 ff., auf S. 324; EuGH Urteil Rs 245/91, Edeka, Slg. 19822745, auf S. 2757. 417 Nunmehr Verordnung (EG) 3283/94, AbI. EG 1994, L 349/S. 1 ff.. Früher Verordnung (EWG) Nr. 2423/88 des Rates, AbI. EG 1988 L 209/S. 1 ff., zuletzt geändert und ergänzt durch die Verordnung (EWG) Nr. 521/94 des Rates, AbI. EG 1994 L 66/S. 7 und Verordnung (EWG) 522/94 des Rates, AbI. EG 1994 L 66/S. 10. Davor Verordnung (EWG) Nr. 2176/84, AbI. EG 1984, Nr. 201/S. 1. 418 VgI. Brinker, Die Handelsschutzinstrumente der EG nach Abschluss der Uruguay Runde des GATT, in: WiB 1995, S. 323 ff., auf S. 325 ff. 419 VgI. Art. XVI GATT. 420 Verordnung (EWG) Nr. 288/82 des Rates, AbI. EG 1982 L 35/S. 1. 421 Verordnung (EG) Nr. 3286/94 des Rates vom 31.12.1994 zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsrege1n, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln, AbI. EG 1994 L 349/S. 71. 422 Beispielsweise mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen, soweit sie vom WTO-Recht nicht gedeckt sind, gegen Art III GATT verstoßende restriktive Verwaltungspraktiken, technische Handelshemmnisse, Verletzungen der WTO-Übereinkunft über das öffentliche Beschaffungswesen. VgI. mit weiteren Beispielen Hilf/ Rolf, Das "neue Instrument" der EG, in: RIW 1985, S. 297 ff., auf S. 299-301. 423 Depayre, The Impact of The WTO on Domestic Law and Policy, in: Rutley/ Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 116 ff.
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
Nr. 2641/84425 basierte. Da die TBR eine Weiterentwicklung des handelspolitischen Instruments darstellt, soll dessen Regelungsgehalt kurz skizziert werden. 426 Wegen der Gemeinsamkeiten wird auf eine detaillierte Beschreibung verzichtet, da sich sonst bei der Darstellung der TBR zahlreiche Wiederholungen ergeben würden. Die wichtigsten Unterschiede werden im Laufe der Untersuchung aufgezeigt werden. Die Präambel zur VO 2641/84 beschreibt am besten, warum das neue handelspolitische Instrument geschaffen wurde. 427 Danach war es nach Auffassung des Rates 424 In der bislang sowieso nur spärlich vorhandenen deutschsprachigen Literatur zur Verordnung (EG) 3286/94 hat sich noch kein einheitlicher Name für den Nachfolger des "Neuen handelspolitischen Instruments" herausgebildet. Die englischsprachige Literatur und auch die EG-Veröffentlichungen in Englisch verwenden hingegen einheitlich den Begriff "Trade Barriers Regulation" und die Abkürzung "TBR", die im Folgenden auch zugrunde gelegt werden soll. 425 Verordnung (EWG) Nr. 2641/84 des Rates vom 17. September 1984 zur Stärkung der gemeinsamen Handelspolitik und insbesondere des Schutzes gegen unerlaubte Handelspraktiken, AbI. EG 1984, Nr. L 252/1, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 522/94, AbI. EG Nr. L 66, S. 10. In englischer Sprache: Council Regulation (EEC) No. 2641/84 on the strengthening of the common commercial policy with regard in particular to protection against illicit commercial practices. 426 Allgemein zum "Neuen Handelspolitischen Instrument": Meinhard Hilj/Reinhard Rolf, Das "neue Instrument" der EG, in: RIW 1985, S. 297 ff.; Petermann, Gerichtlicher Rechtsschutz in Verfahren der EG-Kommission gegen "Unerlaubte Handelspraktiken", in: RIW 1990, S. 279 ff.; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, 1989; Steenbergen, The New Commercial Policy Instrument, in: CMLRev 1985, S. 421 ff.; Bourgeois/Laurent, Le nouvel instrument de politique commercial - un pas en avant vers l'elimination des obstacles aux echanges internationaux, in: RTDE 1985, S. 41 ff.; Hilj/Rolf, Das "neue Instrument" der EG, in: RIW 1985, S. 297 ff.; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 23-86; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 69 ff.; Atwood, The EEC's new measures against unfair trade practices in international Trade: Implications for U.S. exporters, in: 19 International Law (1985), S. 361 ff.; Castillo de la Torre, The EEC New Instrument of Trade Policy: some comments on the latest developments, in: 30 CMLRev. (1993), S. 685 ff.; Beekmann, The 1994 Revised Commercial Policy Instrument of the EU, in: 19 World Competition (1995), S. 53 ff.; Ross Denton, The New Commercial Policy Instrument, in: 13 European Law Review (1988), S. 3 ff.; Amold/Bronckers, The EC New Trade Policy Instrument: A brief review of the Application of Regulation 2641/84, in: 2 Leiden Journal of International Law (1989), S. 96 ff.; Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984), S. 651 ff.; Bronckers, Enforcing WTO Law through the EC Trade Barriers Regulation, 3 International Trade & Regulation (1997), S. 76 ff.; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law: The new EC Trade Barriers Regulation, in: 33 Common Market Law Review (1996), S. 299 ff. 427 Zur Entstehungsgeschichte vgI. ausführlich Bronckers, Private Response to Foreign Unfair Trade Practices, in: 6 Journal of Int. Law & Business (1984),
III. Die EG-Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren
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,.. .. von höchster Wichtigkeit ... , die legitimen Interessen der Gemeinschaft in den entsprechenden Gremien, insbesondere im GATI, energisch zu verteidigen, und alles erforderliche zu tun, damit die Gemeinschaft bei der Durchführung ihrer Handelspolitik ebenso schnell und wirksam wie ihre Handelspartner reagieren kann ... ,,428
Der letzte Satz nimmt eindeutig Bezug auf die Rechtslage in den Vereinigten Staaten und bestätigt, dass das neue handelspolitische Instrument als Antwort auf die Section 301 und ihre Anwendung durch die Vereinigten Staaten gedacht war. 429 Gemäß der Präambel der Verordnung war Ziel des neuen handelspolitischen Instruments, Verfahren zu schaffen, die der Gemeinschaft die Möglichkeit geben, • "gegen unerlaubte Handelspraktiken vorzugehen, um die dadurch verursachte Schädigung zu beheben, [und] • die uneingeschränkte Ausübung der Rechte der Gemeinschaft im Hinblick auf die Handelspraktiken der Drittländer sicherzustellen.,,43o
Diese zwei Ziele wurden in Art. 1 nochmals wiederholt und führten in der Gemeinschaftspraxis zu einer Unterscheidung der Wege "A" und "B".431
Im Rahmen des Verfahrens gegen unerlaubte Handelspraktiken (Weg "A") konnten natürliche und juristische Personen, Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit sowie Mitgliedstaaten Anträge zur Einleitung eines Verfahrens bei der Kommission einreichen. 432 Der Kreis derjenigen, die Anträge stellen konnten, erfuhr allerdings eine wichtige Einschränkung durch die weiteren Voraussetzungen, die zu erfüllen waren. Mit Ausnahme der Mitgliedstaaten konnten alle oben genannten Antragsberechtigten nur einen Antrag einreichen, wenn sie im Namen eines
s.
651 ff., auf s. 713-726; Hilj/Rolj, Das "neue Instrument" der EG, in: RIW, 1985, S. 297 ff.; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 36 ff.; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 19-22. 428 Verordnung (EWG) 2641/84, Präambel. 429 Beekmann, The 1994 Revised Commercial Policy Instrument of the EU, in: 19 World Competition (1995), S. 53 ff., auf S. 53; Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 44 und 69; Petermann, Beschränkungen zur Abwehr von Beschränkungen, S. 37. 430 Verordnung (EWG) 2641/84, Präambel. 431 Vgl. EG-Bulletin 4-1984; 2.2.3., 2.2.4.; Hilj/Rolj, "Das "neue Instrument" der EG", in: RIW, 1985, 297 ff. auf S. 299; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 23. 432 Verordnung (EWG) 2641/84, Art. 3 Abs. (1), AbI. EG 1984, Nr. L 252/1, auf
S.2.
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Wirtschaftszweiges handelten. 433 Des Weiteren mussten im schriftlichen Antrag434 Beweismittel für das Vorliegen unerlaubter Handelspraktiken und einer dadurch verursachten Schädigung enthalten sein,435 wobei als Schädigung im Sinne der Verordnung nur bedeutende Schäden galten, die einem Wirtschaftszweig insgesamt drohten. 436 Aufgrund dieser Voraussetzungen war es für einzelne Unternehmer und Unternehmen nahezu unmöglich, einen Antrag mit Aussicht auf Erfolg einzureichen. Voraussetzung für die Einleitung eines Untersuchungsverfahrens war nicht nur, dass die Beweislage ein solches Vorgehen rechtfertigte. Darüber hinaus unternahm die Kommission die erforderlichen Schritte nur, wenn dies im Interesse der Gemeinschaft notwendig war. 437 Die Entscheidung wurde nach Konsultation des aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zusammengesetzten beratenden Ausschusses geflmt. 438 Stellte sich im Untersuchungsverfahren heraus, dass tatsächlich eine unerlaubte Handelspraxis Schäden verursacht hatte, sah die Verordnung die Möglichkeit vor, handelspolitische Maßnahmen zur Beseitigung der Schäden zu ergreifen. 439 Die Mitgliedstaaten konnten nicht nur Anträge stellen, um gegen unerlaubte Handelspraktiken vorzugehen, sondern zudem auch Petitionen einreichen, um die uneingeschränkte Ausübung der Rechte der Gemeinschaft im Hinblick auf die Handelspraktiken der Drittländer sicherzustellen. 44o Anders als Section 301 wurde das neue handelspolitische Instrument niemals als das Hauptmittel akzeptiert, um auf unfaire Handelspraktiken dritter Staaten zu reagieren. 44l Die Mitgliedstaaten machten niemals Gebrauch von Verordnung (EWG) 2641/84, Art. 3 Abs. 1. Verordnung (EWG) 2641/84, Art. 3 Abs. 1. 435 Verordnung (EWG) 2641/84, Art. 3 Abs. (2) Satz 1, AbI. EG 1984, Nr. L 252/1, auf S. 2. 436 Verordnung (EWG) 2641/84, Art. 2 Abs. (3), AbI. EG 1984, Nr. L 252/1, auf S.2. 437 Verordnung (EWG) 2641/84, Art 6 Abs. (1) Satz 1, AbI. EG 1984, Nr. L 252/1, auf S. 2 und 3. 438 Das Konsultationsverfahren war in Art. 5 der Verordnung (EWG) 2641/84 geregelt, die Zusammensetzung des beratenden Ausschusses in Art. 5 Abs. (1); vgl. AbI. EG 1984, Nr. L 252/1, auf S. 3. 439 Verordnung (EWG) 2641/84, Art. 10 Abs. (3), AbI. EG 1984, Nr. L 252/1, auf S. 3. Voraussetzung war allerdings, dass zuvor ein Streitbeilegungsverfahren im Rahmen des GATT durchgeführt worden war: Art. 10 Abs. (2). 440 Verordnung (EWG) Nr. 2641/84, Präambel und Art. 1 b), Art. 4, Art. 5 (2), Art. 10 (1) b), Art. 11 (3), AbI. EG 1984, Nr. L 252/1 ff. 441 Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 302; Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 77; Wolfgang W. Leirer, 433
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ihrem in Art. 4 der VO 2641/84 niedergelegten Antragsrecht. 442 Stattdessen bevorzugten sie das im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik gern. Art. 113 EWGV vorgesehene, weniger formale Verfahren. 443 Ein weiterer Grund für die zögerliche Verwendung des neuen Instruments war, dass es aufgrund seines französischen Ursprungs ein Hauch von Protektionismus umwehte. 444 Aber auch Privatrechts subjekte leiteten nur wenige Verfahren ein. 445 In den zehn Jahren, in denen die Verordnung in Kraft war (1984-1994), setzte sich die Kommission formell nur mit sieben446 Anträgen auseinander. 447 Zwei wies sie zurück, in fünf Fällen leitete sie weitere Untersuchungen mit wechselnden Ergebnissen ein. Im gleichen Zeitraum wurden hingegen in den USA 49 Verfahren gemäß Section 301 initiiert.448 Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 89. 442 So die Kommission, die auch gleich die Begründung liefert: "The second track has never been used, probably because Member States find it easier to raise matters of interest ... through ordinary, less formal community procedures." Zitiert nach Lexis-Nexis, Press Release, Commission of the EC, RAPID November 30, 1994. 443 Bronckers, Enforcing WTO Law through the EC TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 77; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 302. Zum Verfahren über das "Art. 133 EGV (= Art. 113 alt EGV)-Komitee" siehe Depayre, The Impact of the WTO on Domestic Law and Policy, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 116 ff., auf S. 120. Dieses Verfahren ist noch mehr durch politische Erwägungen beeinflusst und steht Privatrechtssubjekten nicht offen. Diese können allerdings auf ihre Regierungen einwirken und dadurch Einfluss auf das Verfahren nehmen. 444 Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 302; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 22; Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 77. 445 Wie Brinker, Die Hande1sschutzinstrumente der EG nach Abschluss der Uruguay Runde des GATT, in: WiB 1995, S. 323 ff., auf S. 328 feststellt, " ... wurde [das neue handelspolitische Instrument] von den Gemeinschaftsunternehmen nicht akzeptiert." Auf S. 329: "Es ist zu hoffen, dass das neue Instrument nicht so unbekannt bleibt wie sein Vorgänger." 446 Wolfgang Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., auf S. 89, spricht von sechs Fällen. Ebenso Beekmann, The 1994 Revised Commercial Policy Instrument of the EU, in: 19 World Competition (1995), S. 53 ff., auf S. 60. Zutreffend hingegen Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 302; Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 77. 447 Zu den Verfahren im Einzelnen siehe Anhang. 448 Wolfgang W. Leirer, Retaliatory Action in the US and EU Trade Law, in: 20 North Carolina Journal of Int. Law & Com. Reg. (1994), S. 41 ff., vermerkt auf
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Es ist immer wieder betont worden, dass diese Zahlen allein ein unvollständiges Bild von der Wirkung der Verordnung vermitteln. 449 Bereits die Drohung mit einer formellen Beschwerde oder mit der Einleitung des vorgeschalteten förmlichen Untersuchungs verfahrens hätte disziplinierende Wirkung gehabt. 45o Auch wenn die Auswirkungen daher schwer quantifizierbar sind, bleibt der Eindruck, dass der Beitrag des neuen handelspolitischen Instruments zur Beseitigung von Handelshindernissen relativ bescheiden gewesen ist. 3. Die Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren ("Trade Barriers Regulation" - TBR)451 a) Einführung
Das neue handelspolitische Instrument wurde 1994 durch die Verordnung (EG) Nr. 3286/94 des Rates "zur Festlegung der Verfahren der Gemeinschaft im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik zur Ausübung der Rechte der Gemeinschaft nach internationalen Handelsregeln, insbesondere den im Rahmen der Welthandelsorganisation vereinbarten Regeln" abgelöst. 452 S. 89 "from July 1975, when the first petition under section 301 of the Trade Act of 1974 was received, until May 1993, the USTR had to deal with ninety-one cases. Out of these ninety-one cases, forty-four were initiated after September 1984, the date of the enactment of Verordnung (EG) 2641/84. In contrast, Verordnung (EG) 2641/84, up to now, [d.h. 1994; der Verf.] has been invoked in not more than six cases." 449 Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 78; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 304; Mavroidis, Handelspolitische Abwehrmechanismen der EWG und der U.S.A., S. 83: "Das NHI kann ausgezeichnete Erfolge vorweisen"; Beekmann, The 1994 Revised Commercial Policy Instrument of the EU, in: 19 World Competition (1995), S. 53 ff., auf S. 61: "Fairly effective." 450 Streinz, Europarecht, 2. Auf!. Rn. 102. 451 Vgl. Ingo Brinker, Die Handelsschutzinstrumente der EG nach Abschluss der Uruguay Runde des GATT, in: WiB 1995, S. 323 ff.; Marco C.E.I. Bronckers, Enforcing WTO Law through the EC Trade Barriers Regulation, in: 3 International Trade & Regulation (1997), S. 76 ff.; Marco C.E.J. Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law: The new EC Trade Barriers Regulation, in: 33 Common Market Law Review (1996), S. 299 ff.; Beekmann, The 1994 Revised Commercial Policy Instrument of the EU, in: 19 World Competition (1995), S. 53 ff. Sehr anschaulich Depayre, The Impact of the WTO on Domestic Law and Policy, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 116 ff. Die EU-Kommission bietet Information zur TBR im Internet an unter: http:/europa.eu.int/en/comm/dgOl/public24.htm.
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Die Verordnung trat am 01. Januar 1995 in Kraft. Sie fand allerdings auch auf Verfahren Anwendung, die vorher eingeleitet worden waren, bei denen aber das Untersuchungsverfahren noch nicht abgeschlossen war. 453 Als Grund für den Erlass der Verordnung wird in der Präambel angeführt, dass "die bei der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 264l/84 gewonnenen Erfahrungen gezeigt ... [haben], dass nach wie vor die Notwendigkeit ... [besteht], gegen die von Drittländern eingeführten oder beibehaltenen Handelshindernisse vorzugehen, und dass sich das Konzept in der Verordnung (EWG) Nr. 264l/84 nicht in vollem Umfang als wirksam erwiesen hat."
Die neue Verordnung ist Bestandteil einer "Gesamtstrategie der Europäischen Union zur wirksamen Öffnung der Märkte von Driuländem".454 Darüber hinaus wurde sie aber auch erlassen, um den veränderten Vorgaben des WTO-Abkommens gerecht zu werden. 455
b) Tatbestandsaltemativen aa) Übersicht Im Rahmen der VO 3286/94 müssen grundsätzlich zwei Tatbestandsalternativen unterschieden werden. 456 Danach soll ein Vorgehen gegen Handelshemmnisse ermöglicht werden, (1) die sich auf den Gemeinschaftsmarkt auswirken und Schäden bei dem
Antragssteller verursachen,457 oder
452 Abl. EG 1994, L 349/S. 71, geändert durch Verordnung (EG) Nr. 356/95 des Rates, Abl. EG 1995 Nr. L 4l/3. 453 Vgl. die Verordnung (EG) Nr. 356/95 des Rates, Abl. EG 1995 Nr. L 4l/3, deren ausschließlicher Zweck darin bestand, diesen Sachverhalt klarzustellen. So geschah es denn auch in den Verfahren IFPl v. Thailand und CIRFS v. Turkey (siehe Anhang), die beide noch im Geltungszeitraum der Verordnung (EWG) 264l/84 eingeleitet wurden, aber erst 1996 und damit im Rahmen der Verordnung (EG) 3286/ 94 zu einem Abschluss kamen. 454 Vgl. die Mitteilung der Kommission: "Welthandel als globale Herausforderung: eine Marktöffnungsstrategie der Europäischen Union", KOM (96) 53 und EGBulletin l/2 1996, auf S. 91, Ziff. 1.4.25; Text auch in Lexis-Nexis: Europe Documents - No. 1976/77, February 21, 1996; auch http.//europa.eu.int/comm/dgOl/ feng.htm. 455 Brinker, Die Handelsschutzinstrumente der EG nach Abschluss der Uruguay Runde des GATT, in: WiB 1995, S. 323 ff.; auf S. 323; Depayre, The Impact of the WTO on Domestic Law and Policy, in: Rutley/Macvay/George (Hrsg.), The WTO and International Trade Regulation, S. 116 ff., auf S. 116. 456 Verordnung (EG) des Rates 3286/94, Art. 1. 457 Verordnung (EG) des Rates 3286/94, Art. 1 a) und Art. 2 (3). 7 Cascante
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C. Mittelbare Durchsetzung des WTO-Rechts in USA und EG
(2) die sich auf den Markt eines Drittstaates auswirken und handelsschädi-
gende Auswirkungen für den AntragssteIler sowie erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Gemeinschaft zur Folge haben. 458
Die Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren sieht weiterhin vor, dass ein Antrag auf Verfahrenseinleitung gestellt werden kann: (1) im Namen eines Wirtschaftszweiges der Gemeinschaft,459
(2) im Namen von Unternehmen der Gemeinschaft460 und (3) von Mitgliedstaaten. 461
Da jedoch nicht jeder der oben erwähnten potentiellen AntragssteIler in bei den Tatbestandsalternativen antragsberechtigt ist, muss je nach AntragssteIler unterschieden werden. Im Folgenden sollen dabei zunächst einmal die Möglichkeiten aufgezeigt werden, die den einzelnen Antragsstellern zustehen, bevor dann die Tatbestandsvoraussetzungen im Detail erörtert werden. (1) Natürliche Personen
Natürliche Personen können einen Antrag auf Verfahrenseinleitung nur stellen, wenn sie im Namen eines Wirtschaftszweiges handeln. 462 In ihrem Antrag müssen sie den Nachweis führen, dass 463 (1) Handelshemmnisse vorliegen, (2) die sich auf den Markt der Gemeinschaft auswirken und dass
(3) ein Wirtschaftszweig der Gemeinschaft geschädigt sein könnte und (4) eine kausale Verknüpfung zwischen Handelshemmnis und Schädigung
vorliegt.
(2) Unternehmen
Unternehmen können, unabhängig davon, ob sie als juristische Personen Rechtspersönlichkeit aufweisen oder nicht,464 eine Verfahrenseinleitung beantragen Verordnung (EG) des Rates 3285/94, Art. I b) und Art. 2 (4). Verordnung (EG) des Rates 3286/94, Art. 3. 460 Verordnung (EG) des Rates 3286/94, Art. 4. 461 Verordnung (EG) des Rates 3286/94, Art. 6. 462 Vgl. den Wortlaut des Art. 3 ("Jede natürliche oder juristische Person ... , die ... ") und des Art. 4 (,,Jedes Unternehmen, sowie jede Vereinigung... "). 463 Verordnung (EG) des Rates 3286/94, Art. 3 (1) und (2). 458 459
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1. nicht im eigenen, aber im Namen eines Wirtschaftszweiges der Gemeinschaft unter den gleichen Voraussetzungen wie natürliche Personen;465 2.
im eigenen Namen oder im Namen mehrerer Unternehmen der Gemeinschaft, wobei dann die folgenden Voraussetzungen erfüllt werden müssen: a) Vorliegen von Handelshemmnissen,466 b) handels schädigende Auswirkungen für die Unternehmen der Gemeinschaft auf dem Markt eines Drittlandes, sowie erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Gemeinschaft,467 c) Kausalität zwischen Handelshemmnis und schädigenden Auswirkungen,468 d) Recht zum Vorgehen gegen das angebliche Handelshemmnis nach den in multi- oder plurilateralen Übereinkünften festgelegten internationalen Handelsregeln. 469
(3) Juristische Personen oder Vereinigungen ohne Rechtspersänlichkeit Für Juristische Personen oder Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit, die keine Unternehmen sind, gelten sinngemäß die zu den Unternehmen gemachten Ausführungen. 47o
(4) Mitgliedstaaten Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union können Anträge auf Verfahrenseinleitung stellen, um die Beseitigung zu begehren, von
464
465
466 467
Verordnung Verordnung Verordnung Verordnung
Art. 2 (4).
(EG) 3286/94, vgl. Art. 4 (1) Satz 1 und Art. 3 (1). (EG) 3286/94, Art. 3 (1). (EG) 3286/94, Art. 4 (1) Satz 1 und (2) Satz 1 i. V.m. Art. 2 (1). (EG) 3286/94, Art. 4 (1) Satz 1 und (2) Satz 1 und 2 i. V.m.
468 Verordnung (EG) 3286/94, Art. 4 (1) Satz 1 ("infolge von") und (2) ("dadurch verursachten"). 469 Verordnung (EG) 3286/94, Art. 4 (1) Satz 2 i. V.m. Art 2 (1) Satz 2. 470 Verordnung (EG) 3286/94, vgl. Art. 3 (1) und 4 (1). 7*
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(a) Handelshemmnissen, • die sich auf den Gemeinschaftsmarkt auswirken und • drohen, dort bei einer Ware oder einer Dienstleistung eines Wirtschaftszweiges der Gemeinschaft eine bedeutende Schädigung • zu verursachen (Kausalität).471 (b) Handelshemmnissen, • die sich auf den Markt eines Drittstaates auswirken und • handelsschädigende Auswirkungen für die Unternehmen der Gemeinschaft auf dem Markt eines Drittlandes, sowie erhebliche Folgen für die Wirtschaft der Gemeinschaft zur Folge haben, • wobei eine kausale Verknüpfung zwischen Handelshemmnis und den schädigenden Auswirkungen bestehen muss. 472 bb) Im Einzelnen (1) Anwendungsbereich
Bereits die Zielrichtung der TBR geht über die des handelspolitischen Instruments hinaus. So sollen nicht nur Handelshemmnisse bekämpft werden, die sich auf den Gemeinsamen Markt auswirken, sondern auch solche, die sich auf den Markt eines Drittlandes auswirken, aber bei Gemeinschaftsunternehmen handelsschädigende Auswirkungen hervorrufen. 473 Auch sonst ist der Anwendungsbereich im Vergleich zur VO 2641/84 erweitert worden. Die Verordnung zur Beseitigung von Handelsbarrieren umfasst nunmehr auch den Handel mit Dienstleistungen und die handelsbezogenen Aspekte des geistigen Eigentums wie sie in den GATS- und TRIPSAbkommen geregelt sind. 474 Obwohl dies nicht ausdrücklich festgelegt ist, ergibt sich das zum einen aus Art. 2 Abs. (2), in dem ein Bezug hergestellt wird zum gesamten WTO-Abkommen, inklusive seiner Anhänge. 475 Des Verordnung (EG) 3286/94, Art. 6 (2) Satz 2 Var. 1. Verordnung (EG) 3286/94, Art. 6 (2) Satz 2 Var. 2. 473 Verordnung (EG) Nr. 3286/94, Art. 1, AbI. EG 1994, L 349/S. 71, auf S. 72. 474 VgI. EuGH Gutachten 1194, WTO, vom 15. November 1994, Slg. 1-5267 ff.; vgI. auch Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 79. Zur Rechtslage bei der Verordnung (EWG) 2641/84. VgI. Hilf/Rolf, Das "neue Instrument" der EG, in: RIW 1985, S. 297 ff., auf S. 304. 475 Art. 2 Abs. (2) der Verordnung (EG) 3286/94 besagt: " ... als "Rechte der Gemeinschaft" ... [gelten] die internationalen Handelsrechte, auf die sie sich aufgrund der internationalen Handelsregeln berufen kann. In diesem Zusammenhang sind die internationalen Handelsregeln in erster Linie diejenigen, die im Rahmen der WTO vereinbart und in den Anhängen zu dem WTO-Übereinkommen festgelegt sind ... ". 471
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Weiteren ist der Begriff der Dienstleistungen mehtfach in der Verordnung erwähnt.476 Wegen der geteilten Außenhandelskompetenzen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten in diesen Bereichen ist dies nicht unproblematisch. 477 So wäre es denkbar, dass ein Antrag auf Einleitung des gemeinschaftsrechtlichen Verfahrens gestellt wird, obwohl an sich die nationale Kompetenz der Mitgliedstaaten betroffen ist. Um solche Konstellationen zu verhindern, war im Vorfeld auch erwogen worden, den Anwendungsbereich der Verordnung ausdrücklich auf Bereiche zu beschränken, für die die Gemeinschaft die Zuständigkeit beanspruchen konnte. 478 Soweit es den Dienstleistungsbereich betrifft, berücksichtigt die Verordnung auch die Problematik in Art. 2 Absatz (8), wo es heißt: "Im Sinne dieser Verordnung gelten als "Dienstleistungen" die Dienstleistungen, für die die Gemeinschaft nach Artikel 113 des [EG-] Vertrags internationale Übereinkünfte schließen kann."
Eine ähnliche Regelung im Hinblick auf das TRIPS fehlt jedoch. Dies könnte man so verstehen, dass der Schutz geistigen Eigentums gar nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen sollte. Internationale Handeisregeln im Sinne der Verordnung sind aber alle im Rahmen der WTO vereinbarten und in den Anhängen zum WTO-Übereinkommen festgelegten Bestimmungen, zu denen ja auch das TRIPS gehört. Man muss daher, wie oben bereits erwähnt, davon ausgehen, dass das TRIPS sehr wohl vom Anwendungsbereich der VO 3286/94 erfasst wird. 479 Eine Möglichkeit, den Kompetenzkonflikt zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten zu lösen, wäre eine rechtsprechungskonforme Anwendung des neuen Instruments unter Wahrung der vom EuGH im Gutachten 1/94 festgelegten Zuständigkeitsverteilung. 48o Das allerdings würde bedeuten, 476 VgL z. B. Art. 2 Abs. (3), (5), (6), (7), (8) der Verordnung (EG) 3286/94, AbI. EG L 349/S.72173. 477 Zu diesem Problem siehe auch Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 79; Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S.307/308. 478 VgL Lexis-Nexis, Press Release, Commission of the EC, RAPID, November 30, 1994 beim Punkt 4. "Legal Basis and Scope of the Instrument". 479 VgL die Information der Kommission im Internet unter http://europa.eu.int/ comm/dg01/public24.htm, wo die Kommission ausdrücklich Rechte an geistigem Eigentum einbezieht. Eine Auffassung, die im Übrigen inzwischen in der Praxis bestätigt worden ist. Siehe dazu gleich. 480 Zu dieser Verteilung vgL EuGH Gutachten 1/94, WTO, vom 15. November 1994, Slg. 1994,1-5267 ff., Ls. 10 und 13-17, insbes. 17 a.E.
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dass bei manchen Verstößen gegen TRIPS-Vorschriften Unternehmen nur ihre Staaten zum Handeln veranlassen könnten. Unter praktischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre das allenfalls die zweitbeste Lösung. Für die Unternehmen in der Gemeinschaft wäre es viel vorteilhafter, wenn anstatt des einzelnen Mitgliedstaates die gesamte Gemeinschaft und ein funktionsfahiges, erprobtes Verfahren hinter der Forderung nach Einhaltung der WTO-Bestimmungen stünden. Ein weiteres Problem ist, dass das WTO-Streitbeilegungsverfahren die Möglichkeit sektorübergreifender Vergeltungsmaßnahmen vorsieht. 481 Überträgt man die im Gutachten 1/94 vom EuGH vorgenommene Kompetenzverteilung auf die TBR, dann könnte die Gemeinschaft beispielsweise bei Verstößen gegen das GATI nicht uneingeschränkt mit handelspolitischen Maßnahmen im Bereich des TRIPS drohen. 482 Das Verfahren könnte dadurch an Abschreckungspotential verlieren. Zwei weitere Argumente sprechen dafür, Verfahren im gesamten Bereich der WTO zuzulassen. Zum einen lässt sich die Abgrenzung der Zuständigkeiten bei den zugrundeliegenden, oft komplexen Sachverhalten nur schwer durchführen. Im Grunde müsste jedes Mal im Vorfeld des Verfahrens eine unabhängige Instanz darüber entscheiden, ob der jeweilige Antrag in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt. 483 Ein solches Vorgehen würde aber die Verfahrensdauer verlängern und wäre der Effektivität des Instruments nicht unbedingt zuträglich. Außerdem würde sich die Frage stellen, wie zu verfahren wäre, wenn gleichzeitig ein Verstoß gegen das GATT und gegen das TRIPS in seinem in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallenden Teil vorliegen würde. Sollte die Gemeinschaft im Anschluss an ein TBR-Verfahren auf internationaler Ebene nur wegen der Verletzung des GATI vorgehen und der Verstoß gegen TRIPS Bestimmungen den Mitgliedstaaten überlassen werden? Darüber hinaus wirken sich Handelshemmnisse im Bereich des geistigen Eigentumsschutzes meist auch auf Warenexporte der Gemeinschaft aus. 484 481 Genauer gesagt unterscheidet Art. 22 Abs. (3) der WTO-Übereinkunft zum Streitbeilegungsverfahren zwischen Vergeltungsmaßnahmen - im selben Sektor und im Hinblick auf dieselbe Übereinkunft, Art. 22 (3) a); - in verschiedenen Sektoren aber unter demselben Übereinkommen, Art. 22 (3) b); - in verschiedenen Sektoren aus unterschiedlichen WTO-Übereinkommen, Art. 22
(3) b).
Deutscher Text abgedruckt bei Benedek, Die WTO, S. 477/478. Vgl. Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 308. 483 So lautete auch der ursprüngliche Vorschlag. Vgl. Lexis-Nexis, Press Release, Commission of the EC, RAPID, November 30, 1994. Die Alternative wäre, die Kommission entscheiden zu lassen und dagegen dann Rechtsmittel zuzulassen. 482
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Allein diese Tatsache sollte ausreichen, um eine Zuständigkeit der Gemeinschaft zu begTÜnden. 485 Die Kommission hat ihren Standpunkt in dieser Frage bereits zum Ausdruck gebracht und klargestellt, dass die TBR Rechte an geistigem Eigentum erfasst, wenn die auf diese Rechte bezogene Regelverletzung Auswirkungen auf den Handel mit Gütern zwischen der EG und einem Drittland hat. 486 Man darf dennoch gespannt sein, welche Auswirkungen die geteilte Zuständigkeit im Dienstleistungsbereich in der Praxis haben wird und wie Gemeinschaft und Mitgliedstaaten sich zu Verfahren mit Bezug auf handelsbezogene Aspekte des geistigen Eigentums stellen werden. Letztlich wäre wünschenswert, dass dieser innergemeinschaftliche Konflikt entschärft wird,487 bevor die Akzeptanz der neuen Verordnung durch die ungewisse Rechtslage Schaden erleidet. Interessanterweise betrafen trotz des weniger offenen Wortlauts schon beim "neuen handelspolitischen Instrument" vier der sieben Verfahren Fragen des geistigen Eigentums488 und eines den Handel mit Dienstleistungen. 489 Die Kommission hatte sich damals auf den Standpunkt gestellt, dass diese Bereiche von Art. 113 EWGV mitumfasst wären. 490 Diese Argumentation ist ihr allerdings nach dem WTO-Gutachten des EuGH verschlossen. Bis Ende 1999 kam es auch im Rahmen der neuen Verordnung zu zwei Verfahren, in denen sich der Antragssteller auf eine Verletzung von Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums berief. 491 Die Kompetenz484 Vgl. Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 308; Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 79. 485 Bronckers, ebd. 486 Vgl. die Information der Kommission zur TBR im Internet unter http://europa.eu.intlcomm/dgOllpublic 24.htm. 487 Ein Ansatz ist der "Verhaltenskodex der Kommisson und der Mitgliedstaaten im Rahmen der WTO", zur Annahme eines Vorschlags durch die Kommission vgl. EU-Bulletin 5-1995, 1.4.16. 488 Vgl. Bronckers, Private Participation in the Enforcement of WTO Law, in: 33 CMLRev (1996), S. 299 ff., auf S. 303; Bronckers, Enforcing WTO Law through the TBR, in: 3 Int. Trade & Reg. (1997), S. 76 ff., auf S. 77. Siehe auch die Übersicht im Anhang. 489 Beekmann, The 1994 Revised Commercial Policy Instrument of the EU, in: 19 World Competition (1995), S. 53 ff., auf S. 68. Das war der Fall ECSA v. Japan (siehe Anhang). 490 Vgl. David Derniray, Intellectual Property and the Extemal Power of the EC: The New Extension, in: 16 Michigan Journal of International Law (1994), S. 187 ff., auf S. 2021203.
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problematik ist dabei allerdings nicht erkennbar thematisiert worden, was für einen pragmatischen Umgang mit der Problematik spricht. (2) "Handelshemmnisse" - Allgemeine Tatbestandsvoraussetzung
Tatbestandsvoraussetzung für die Verfahrenseinleitung in allen Varianten ist stets das Vorliegen eines Handelshemmnisses. Als "Handelshemmnisse" im Sinne der Verordnung 3286/94 gelten dabei Handelspraktiken, gegen die die internationalen Handelsregeln ein Recht zum Vorgehen einräumen. 492 Gemeint sind damit zum einen solche Maßnahmen, die durch internationale Handelsregeln verboten sind. 493 Notwendig ist insoweit also ein Rechtsverstoß, insbesondere gegen die Bestimmungen des WTO-Abkommens. "Recht zum Vorgehen" i. S. d. Verordnung schließt aber nicht nur die materielle, sondern auch die verfahrensrechtliche Seite mit ein. Danach soll es ebenso ausreichen, wenn internationale Handelsregeln das Recht einräumen " ... sich um die Beseitigung der Auswirkungen dieser [gerügten Handels-]Praktik zu bemühen.,,494
Da mit dem ersten Halbsatz verbotene Handelspraktiken erfasst werden, müssten in der zweiten Hälfte Praktiken gemeint sein, die rechtmäßig sind. Andererseits müsste es sich um Handelspraktiken handeln, gegen die man in einem Streitbeilegungsverfahren vorgehen kann. Diese Charakteristika legen nahe, dass der Zweck dieses zweiten Halbsatzes darin besteht, die sogenannten "non violation nullification"-Fälle495 in den Regelungsbereich der Vorschrift mit einzubeziehen. Diese Betrachtungsweise wird im Übrigen auch durch die etwas sonderbare Formulierung im ersten Halbsatz gestützt, die sich auf "vollständig" verbotene Handelspraktiken bezieht. Die "non violation nullification" kann man nämlich je nach Betrachtungsweise auch durchaus als "verboten" anse491 Handelspraktiken Brasiliens beim Handel mit Cognac, vgl. AbI. EG 1997, C. l03/S. 3. Handelspraktiken der USA betreffend die grenzüberschreitende Vergabe der Nutzungsrechte für Musikwerke. Vgl. AbI. EG 1997, C 177/S.5. Siehe auch unten. 492 Verordnung (EG) 3286/94, Art. 2 (1) Satz 1. 493 Verordnung (EG) 3286/94, Art. 2 (1) Satz 2 Var. 1. 494 Verordnung (EG) 3286/94, Art. 2 (1) Satz 2 Var. 2. 495 Zu diesen Fällen siehe bereits oben bei der Section 301.
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hen, weil sie im Rahmen der WTO ja angreifbar und damit nicht erlaubt ist. Sie ist aber nicht rechtswidrig, weshalb der EG-Gesetzgeber wohl auch im ersten Halbsatz den Begriff der "vollständig" verbotenen Praktiken gewählt hat. 496 Unabhängig von solchen Formulierungsschwierigkeiten besteht im Ergebnis Einigkeit, dass mit dem zweiten Halbsatz die "non violation nullification"-Situationen erfasst werden sollen. 497 Damit steht zwar fest, dass im Rahmen der Verordnung auch gegen rechtmäßige Maßnahmen vorgegangen werden kann, soweit sie die Voraussetzungen für eine "non violation nullification" erfüllen. Die Vorschrift enthält allerdings eine bedeutende Einschränkung. Danach besteht ein Recht zu einem Vorgehen nämlich nur dann, wenn "die internationalen Handelsregeln ... der von dieser Praktik betroffenen Partei das Recht geben, sich um die Beseitigung der Auswirkungen dieser Praktik zu bemühen. ,,4