Richtervorlagen in Eilverfahren?: Ein Beitrag zum Verhältnis verfassungsgerichtlicher konkreter Normenkontrollverfahren und »Vorabentscheidungsverfahren« nach Art. 177 EG-Vertrag zu Verfahren des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der VwGO [1 ed.] 9783428487769, 9783428087761

Art. 100 Abs. 1 GG konstituiert eine Aussetzungs- und Vorlagepflicht aller Gerichte, die ein entscheidungserhebliches Ge

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German Pages 429 Year 1997

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Richtervorlagen in Eilverfahren?: Ein Beitrag zum Verhältnis verfassungsgerichtlicher konkreter Normenkontrollverfahren und »Vorabentscheidungsverfahren« nach Art. 177 EG-Vertrag zu Verfahren des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der VwGO [1 ed.]
 9783428487769, 9783428087761

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 719

Richtervorlagen in Eilverfahren? Ein Beitrag zum Verhältnis verfassungsgerichtlicher konkreter Normenkontrollverfahren und „Vorabentscheidungsverfahren“ nach Art. 177 EG-Vertrag zu Verfahren des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der VwGO

Von

Thomas Schmitt

Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS SCHMITT

Richtervorlagen in Eilverfahren?

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 719

Richtervorlagen in Eilverfahren? Ein Beitrag zum Verhältnis verfassungsgerichtlicher konkreter Normenkontrollverfahren und „Vorabentscheidungsverfahren" nach Art. 177 EG-Vertrag zu Verfahren des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der VwGO

Von Thomas Schmitt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schmitt, Thomas: Richtervorlagen in Eilverfahren? : ein Beitrag zum Verhältnis verfassungsgerichtlicher konkreter Normenkontrollverfahren und „Vorabentscheidungsverfahren" nach Art. 177 EG-Vertrag zu Verfahren des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der VwGO / von Thomas Schmitt. Berlin : Duncker und Humblot, 1997 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 719) Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1995 ISBN 3-428-08776-3 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1997 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-08776-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ®

Für Ute

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Dezember 1995 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand Februar 1995; vereinzelt konnten Rechtsprechung und Literatur auch darüber hinaus noch bis zum Januar 1996 Berücksichtigung finden. An dieser Stelle möchte ich allen Dank sagen, die zum Gelingen dieser Arbeit in unterschiedlichster Art und Weise beigetragen haben: Ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schenke für die Inspiration zu diesem Thema, die allzeit menschlich offenherzige Betreuung sowie die anschließende Erstbegutachtung. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Eibe Riedel für die Erstellung des Zweitgutachtens; ebenso Herrn Prof. Dr. Norbert Simon für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe zum Öffentlichen Recht. Mein Dank gilt daneben auch dem Land Baden-Württemberg, das mittels eines Landesgraduierten-Stipendiums zu einem entscheidenden Anteil die finanziellen Voraussetzungen für eine zügige Erarbeitung des Themas sicherstellte. Mit größter Dankbarkeit erfüllt mich schließlich auch die Erinnerung an die mannigfache Unterstützung durch Eltern, Familie, Freunde und Bekannte sowie - vor allen anderen - durch meine Frau Ute. Ohne sie wäre die Erstellung dieser Arbeit nicht möglich gewesen! Allen gilt an dieser Stelle ein von Herzen kommendes: Vergelfs Gott!

Ludwigshafen, den 22. Februar 1996 Thomas Schmitt

Inhaltsverzeichnis 1. Teil

Einführung in die Problematik § 1 Einführung

19 19

A.

Konkrete verfassungsgerichtliche Normenkontrollverfahren - die sog. „Richtervorlagen"

19

B.

Vorläufiger Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten

24

C.

Die Problematik: Richtervorlagen im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes?

27

2. Teil

TatbestandserfUUung von Art 100 Abs. 1GG im Rahmen vorläufiger verwaltungsgerichtlicher Verfahren? § 2 Vorlageberechtigung und -Verpflichtung: Das „Gericht" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 G G .

33 33

A.

Der für Art. 100 Abs. 1 GG maßgebliche „Gerichts-" Begriff - formeller oder materieller „Gerichts-"Begriff?

34

B.

Ergebnis

42

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG A.

43

Begriff und Bezugspunkte der sog. „Entscheidungserheblichkeit"

43

I.

„Entscheidungen" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG

43

II.

Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

44

1.

Die „Entscheidungserheblichkeit" der Norm

44

2.

Die gerichtliche „Überzeugung" von der Verfassungswidrigkeit der Norm

46

a)

Anforderungen an die gerichtliche „Überzeugung"

46

b)

„Entscheidungserheblichkeit" der gerichtlichen Überzeugung

3.

49

a)

Konkrete Normenkontrollen gem. Art. 100 Abs. 1 GG

49

aa) Art. 100 Abs. 1 S. 1 2. Alt. GG - Bundesrecht als Prüfungsgegenstand

50

b)

4.

48

„Entscheidungserheblichkeit" der „Verfassungswidrigkeit"

bb) Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG - Landesrecht als Prüfungsgegenstand

50

Landesverfassungsgerichtliche Normenkontrollverfahren

51

aa) Formelles Landesrecht als Prüfungsgegenstand

51

bb) Materielles Landesrecht als Priifungsgegenstand

51

Die „Entscheidungserheblichkeit" j m Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes

53

10

Inhaltsverzeichnis Β.

„Entscheidungserheblichkeit" insbesondere materiell-rechtlicher Normen im Rahmen verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO? I.

Prüflings- und Entscheidungsmaßstab in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO 1.

2. 3.

4. II.

2.

56

„Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit" i.S.v. § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO

57

a)

Die Prüfungsintensität - Anforderungen an „ernstliche" Zweifel..

57

b)

Der Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab - Zweifel an der „Rechtmäßigkeit"?

63

„Unbillige", nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte i.S.v. § 80 Abs. 4 S. 3,2. Alt. VwGO

67

Konsequenzen für die „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG

70

a)

Fälle „unbilliger Härte"

70

b)

Fälle „ernstlicher Zweifel"

70

aa) Fälle „ernstlicher Zweifel" und „unbilliger Härte"

71

bb) „Reine" „ernstliche Zweifel"

72

(1) „Bloße" Zweifel

73

(2) „Überzeugungs-Überschuß"

73

(3) „Vermutung der Verfassungsmäßigkeit" von Gesetzen?.

75

Zwischenergebnis

Prüfungs- und Entscheidungsmaßstab in den Fällen der §§ 80 Abs. 2 Nrn. 2 - 4 , 1 8 7 Abs. 3 VwGO 1.

55

80 80

Analoge Anwendbarkeit von § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO?

80

a)

Fälle der §§ 80 Abs. 2 Nrn. 2 u. 3,187 Abs. 3 VwGO

81

b)

Fälle von § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO

85

c)

Zwischenergebnis

87

Allgemeine Entscheidungsmaßstäbe für die gerichtliche Entscheidung gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO - „Offene" materiell-inakzessorische Interessenabwägung oder materiell-akzessorische Vorausprüfung?

87

a)

Die sog. „offene" materiell-inakzessorische, interessenabwägende Eilentscheidung

88

b)

Die sog. materiell-akzessorische Prüfung

91

c)

Stellungnahme

94

aa) Interessenabwägung oder materiell-akzessorische Prüfung?..

94

bb) Ausnahmen im Falle drohender Irreparabilität oder schwerwiegender Eingriffe?

112

cc) Berücksichtigung der Erfolgsaussichten?

116

(1) Zulässigkeit einer Berücksichtigung der Erfolgsaussichten im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung?

116

(2) Die berücksichtigungsfähigen Erfolgsaussichten

118

Inhaltsverzeichnis (3) Das Verhältnis zwischen der Erfolgsaussichtenberücksichtigung - v.a. der Evidenzkontrolle - und der Interessenabwägung d) 3.

Zusammenfassung

Konsequenzen für die „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG

123

a)

Fälle „reiner" Interessenabwägung

124

b)

„Evidenz-Fälle"

124

aa) Möglichkeit der Annahme evidenter Verfassungswidrigkeit einer Norm?

124

bb) Fälle evident-erfolgreichen Hauptsacherechtsbehelfs

125

(1) Evidenter Hauptsacheerfolg und ergebniskongruente Interessenabwägung

126

(2) Evidenter Hauptsacheerfolg und ergebnisinkongruente Interessenabwägung

127

cc) Fälle evident-erfolglosen Hauptsacherechtsbehelfs

c) C.

128

(2) Im Einzelfall festzustellende besondere Eilbedürftigkeit (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO)

128

dd) Fälle einer Interessenabwägung incl. der Berücksichtigung von nicht-evidenten Erfolgsaussichten

129

Zwischenergebnis

130

Entscheidungsmaßstäbe für die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gem. § 123 Abs. 1 S. 1 u. 2 VwGO 1.

2.

3. II.

131 134

Entscheidungsmaßstab für die „Sicherungsanordnung" gem. §123 Abs. 1 S. 1 VwGO

134

a)

135

Der Anordnungsanspruch für die Sicherungsanordnung

b)

Der Anordnungsgrund für die Sicherungsanordnung

136

c)

Zwischenergebnis

137

Entscheidungsmaßstab für die „Regelungsanordnung" gem. § 123 Abs. I S . 2 VwGO

137

a)

Der Anordnungsanspruch für die Regelungsanordnung

138

b)

Der Anordnungsgrund für die Regelungsanordnung

Zwischenergebnis

Die Prüfungsintensität - „Glaubhaftmachung" gem. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO

III. Das sog. „Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache" 1.

128

(1) Gesetzlich vermutetes öffentliches Interesse an sofortiger Vollziehung (§§ 80 Abs. 2 Nrn. 2 u. 3,187 Abs. 3 VwGO)

„Entscheidungserheblichkeit" materiell-rechtlicher Normen im Rahmen vorläufiger verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen gem. § 123 Abs. 1 VwGO... I.

122 122

139 142 143 150

Grundsätzliches „Vorwegnahme-Verbot"?

150

a)

151

„Verabschiedung" des Verbots der Hauptsache-Vorwegnahme?..

12

Inhaltsverzeichnis b) c) 2.

Anwendungsbereich des Vorwegnahmeverbots - Anwendbarkeit auf Sicherungs- wie Regelungsanordnungen?

153

Anerkannte Ausnahmen vom „Vorwegnahme-Verbot"

154

Eigenständiger Entscheidungsmaßstab oder abweichende Prüfungsintensität in Fällen ausnahmsweise zulässiger Vorwegnahme?

155

IV. Sonderfall: Die sog. „Leistungs-" oder „Befriedigungsanordnung"

158

V. Zwischenergebnis

160

V I Konsequenzen fiir die „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG 1. 2.

164

„Entscheidungserheblichkeit" materiell-rechtlicher Bestimmungen?...

166

a)

Fälle „bloßer" Glaubhaftmachung

166

b)

3.

,Evidenz-Fälle"

167

aa) Praesumtiv evidenteVerfassungswidrigkeit einer dem Anordnungsanspruch eigentlich entgegenstehenden Norm

168

bb) Praesumtiv evidente Verfassungswidrigkeit einer den Anordnungsanspruch eigentlich begründenden bzw. stützenden materiell-rechtlichen Norm

169

(1) Fälle ergebniskongruenter weiterer AnordnungsgrundPrüfung

170

(2) Fälle ergebnisinkongruenter weiterer AnordnungsgrundPrüfung

171

Ergebnis

D. ,Entscheidungserheblichkeit" materiell-rechtlicher Normen im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 47 Abs. 8 VwGO L

164

„Vermutung für die Verfassungsmäßigkeit der Norm"?

171 172

Maßstab der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gem. § 47 Abs. 8 VwGO.

174

1.

174

2.

,Anlehnung" an § 32 BVerfGG? Der Entscheidungsmaßstab

180

a)

„Zur Abwehr schwerer Nachteile"

181

aa) Der Begriff des „Nachteils" i.S.v. § 47 Abs. 8 VwGO

181

bb) Die „Schwere" des Nachteils

186

»Aus anderen wichtigen Gründen"

187

c)

, JDringend geboten"

189

d)

Die Bedeutung der sog. „Vorbehaltsklausel" des § 47 Abs. 3 VwGO

194

aa) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 47 Abs. 3 VwGO?

196

b)

bb) Beschränkung der Zulässigkeit oder des Prüfungsumfangs oberverwaltungsgerichtlicher Normenkontrolle?

3.

197

cc) Sog. abstrakte" oder konkrete" Betrachtungsweise?

199

dd) Die ,Aussschließlichkeit" i.S.v. § 47 Abs. 3 VwGO

202

ee) Zwischenergebnis zur Bedeutung von § 47 Abs. 3 VwGO

207

Zwischenergebnis zum Entscheidungsmaßstab von § 47 Abs. 8 VwGO..

208

Inhaltsverzeichnis II.

Konsequenzen für die «Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG bzw. i.S. landesrechtlicher konkreter Normenkontroll-Vorschriften 1.

Art. 100 Abs. 1 GG sowie entsprechende landesrechtliche Vorlagevorschriften mit ausschließlich formellen Gesetzen als tauglichem Prüfungsgegenstand a)

b)

208

210

Vorlagen im Rahmen verwaltungsgerichtlicher Normenkontrollen gem. § 47 VwGO? ,

210

aa) „Doppelte Vorlage"? - das Verhältnis zwischen parallelen bundes- und landesrechtlichen Vorlagepflichten

210

Die .Entscheidungserheblichkeit" speziell i.R.v. § 47 Abs. 8 VwGO

213

aa) Evidente Verfassungswidrigkeit einer die untergesetzliche Rechtsvorschrift stützenden, formellen Norm

213

bb) Evidente Verfassungswidrigkeit einer der untergesetzlichen

2.

215

(2) Ergebnisinkongruente Interessenabwägung

215 216

a)

Vorlagen i.R.v. § 47 VwGO?

216

aa) Vorlage der i.R.v. § 47 VwGO unmittelbar angegriffenen untergesetzlichen Rechtsvorschrift?

216

bb) Vorlage einer als Ermächtigungs- bzw. Maßstabsnorm „entscheidungserheblichen" formellen Norm

219

cc) „Zweifach-Vorlage"? - Vorlage sowohl der untergesetzlichen Rechtsvorschrift als auch der formellen Bestimmung?..

220

Die ,Entscheidungserheblichkeit" insbesondere i.R.v. § 47 Abs. 8 VwGO

221

III. Zusammenfassung

222

„Entscheidungserheblichkeit" materiell-rechtlicher Vorschriften im Rahmen „einstweiliger Regelungen" nach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO

223

I. II.

F.

214

(1) Ergebniskongruente Interessenabwägung Landesrechtliche Vorlagevorschriften mit zusätzlich untergesetzlichen Rechtsvorschriften als tauglichen Prüfungsgegenständen

b)

E.

Rechtsvorschrift entgegenstehenden, formellen Norm

Stellung der Vorschrift des § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO im System des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes

223

Der Entscheidungsmaßstab für „einstweilige Regelungen" i.S.v. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO

227

1.

Verfahrensfehler „im engeren Sinne (i.e.S.)"

228

a)

Verfahrensfehler i.S.v. § 46 VwVfG

228

b)

Andere Verfahrensfehler „i.e.S."

229

2.

Verfahrensfehler „im weiteren Sinne (i.w.S.)"

3.

Sonstige ,Eehler"

229 231

4.

Zwischenergebnis

231

ΙΠ. Konsequenzen für die,Entscheidungserheblichkeit" i.S.v.Ait. 100 Abs 1 GG..

232

Zusammenfassung

232

14

Inhaltsverzeichnis 3. Teil

Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des Art 100 Abs. 1 GG im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes

236

§ 4 Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG?

237

A. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG - Rechtsschutz nur nach Maßgabe der Prozeßordnungen? I. Π.

Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als Rechtsweggarantie Ausgestaltung des verfassungsmäßig gewährleisteten Rechtsweges durch das einfache Prozeßrecht

B.

239

ΙΠ. Das sog. „Gebot effektiven Rechtsschutzes"

240

Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und der Rechtsschutz gegen Rechtssetzungsakte

242

I.

242

Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf Rechtssetzungsakte? 1.

Gegner einer Erstreckung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf Rechtssetzungsakte

2.

Befürworter einer Einbeziehung von Rechtssetzungsakten in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

3. Π.

C.

Stellungnahme

249

ΙΠ. Zwischenergebnis

251 251

I.

„Sicherungseifolg"

251

Π.

Die „Sicherungstechnik"

255 256

Gebot effektiven Rechtsschutzes unmittelbar aus den materiellen Grundrechten?.

B. Zwischenergebnis

„In the determination of his civil rights" bzw. „contestations sur ses droits et obligations de caractère civil" - Rechtsstreitigkeiten über Privatrechte..

Π.. „Determination" bzw. „qui décidera" - der

258

263

A. Tatbestandliche Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf vorläufige verwaltungsgerichtliche Entscheidungen I.

258

263

§ 6 Kollision von Art. 100 GG mit Art. 6 Abs. 1 EMRK?

„Entscheidungs"-Begriff

Art. 6 Abs. 1 EMRK

C.

244

Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und die Gewährung vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes

§ 5 Kollision von Art. 100 Abs. 1 GG mit grundrechtsunmittelbaren Rechtsschutzgewährleistungen?

B.

242

245

Folgerungen aus Art. 19 Abs. 4 GG für die Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen Rechtssetzungsakte

ΙΠ. Zwischenergebnis

A.

238 238

264 264

i.S.v. 267

ΙΠ. Zwischenergebnis

268

Konsequenzen etwaiger tatbestandlicher Anwendbarkeit?

268

I.

Innerstaatliche Konsequenzen

268

Π.

Etwaige völkerrechtliche Konsequenzen

Zusammenfassung

270 271

Inhaltsverzeichnis § 7 Ansätze zur Lösung der Kollision zwischen Art 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 GG. A. Vorrang von Art. 100 Abs. 1 GG

271 273

B.

Vorrang von Art. 19 Abs. 4 GG

280

C.

Vermittelnde Lösungsansätze - praktische Konkordanz

283

I.

Keine Aussetzungs- und Vorlagepflicht gem. Art 100 Abs. 1 GG bei gleichzeitiger Gültigkeitsvermutung zugunsten der entscheidungserheblichen Normen

283

Aussetzungs- und Vorlagepflicht gem. Art. 100 Abs. 1 GG und Antrag nach § 32 BVerfGG

286

ΙΠ. Übertragung der Kriterien von § 32 BVerfGG auf entsprechende vorläufige verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzgewährung

287

IV. Ausnahmsweise Vorlagepflicht bei „Vorwegnahme der Hauptsache"

289

Π.

V.

Einzelfallabwägung - insbesondere ausnahmsweises Entfallen grundsätzlicher Vorlagepflicht bei qualifizierten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit entsprechender Normen sowie der Unzumutbarkeit des Abwartens

292

VI. Vorläufige verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzgewährung unter der Bedingung alsbaldiger Hauptsacheeinlegung und entsprechender Vorlage im Rahmen des Hauptsacheverfahrens

295

Vil. Eigener Lösungsansatz: Vorlage in unmittelbarem Anschluß an entsprechende verwaltungsgerichtliche vorläufige Rechtsschutzgewährung

301

1.

„Entscheidungserheblichkeit" - auch noch nach ergangener vorläufiger Rechtsschutzentscheidung? a)

308

Materielle Rechtskraft und Aufhebbarkeit bzw. Abänderbarkeit vorläufiger Rechtsschutzentscheidungen?

308

aa) Materielle Rechtskraft vorläufiger Entscheidungen?

308

bb) Aufhebbarkeit bzw. Abänderbarkeit vorläufiger Entscheidungen?

310

(1) Aufhebbarkeit bzw. Abänderbarkeit vorläufiger Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO - die Regelung des § 8 0 Abs. 7 VwGO

310

(2) Die Regelung des § 113 Abs. 3 S. 3 VwGO

311

(3) Aufhebbarkeit bzw. Abänderbarkeit einstweiliger Anordnungen gem. § 123 Abs. 1 S. 1 u. 2 VwGO?

311

(4) Aufhebung und Abänderung von einstweiligen Anordnungen gem. § 47 Abs. 8 VwGO?

315

(5) Zwischenergebnis

315

cc) Aufhebungs- bzw. Abänderungsbefugnis ex officio?

316

(1) Aufhebung bzw. Abänderung ex officio i.R.v. § 80 Abs. 7 VwGO?

317

(2) Amtswegige Aufhebung und Abänderung i.R.v. § 113 Abs. 3 S. 3 VwGO?

317

(3) Aufhebung bzw. Abänderung von einstweiligen Anordnungen gem. § 123 Abs. 1 S. 1 u. 2 VwGO - von Amts wegen?

318

16

Inhaltsverzeichnis (4) Aufhebung und Abänderung ex officio bei § 47 Abs. 8 VwGO? (5) Zwischenergebnis b) 2.

322

Ergebnis

322

Relevanz etwaiger zwischenzeitlicher Hauptsacheentscheidungen? .Entscheidungserheblichkeit" derselben Norm auch im Hauptsacheverfahren

324

b)

.Entscheidungserheblichkeit" nur im Rahmen des vorläufigen Verfahrens

324

aa) Fälle sich im Hauptsacheverfahren herausstellender fehlender .Entscheidungserheblichkeit" materiell-rechtlicher Normen

325

bb) Fälle der Vorlage von Normen, welche die Zulässigkeit vorläufiger Entscheidungen regeln

332

Zwischenergebnis

333

3.

Wiederaufgreifen der sog. ..Vorbehaltsurteile" des Bundesarbeitsgerichts?

334

4.

Zusammenfassung

338

D. Ergebnis

339

§ 8 Rechtsmittel

339

A. Rechtsmittel des Antragstellers

II.

340

Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes

340

1.

Beschwerdemöglichkeit gem. §§ 146 ff. VwGO

340

2.

Die Möglichkeit der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde - Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG

341

a)

342

Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde aa) Anträge auf Abänderung (analog) §§80 Abs. 7 S. 1, 113 Abs. 3 S. 3 VwGO

343

bb) Möglichkeit der Einlegung entsprechender rechtsbehelfe

344

Hauptsache-

Aussetzungs- und Vorlageentscheidung vor einer vorläufigen Rechtsschutzentscheidung

347

1.

Beschwerdemöglichkeit?

347

2.

Verfassungsbeschwerde?

348

III. Nichtvorlage 1.

§§ 146 ff. VwGO?

2.

Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG?

IV. Zusammenfassung B.

323

a)

c)

I.

322

348 349 349 350

Rechtsmittel anderer Personen

350

I. Verwaltungsträger und der Vertreter des öffentlichen Interesses

350

1.

Beschwerde?

350

2.

Verfassungsbeschwerde?

351

Inhaltsverzeichnis

II.

a)

Vertreter des öffentlichen Interesses

352

b)

Verwaltungsträger

352

Private Dritte

354

III. Zusammenfassung

355

4. Teil

Richtervorlageverfahren im Europäischen Recht

356

§ 9 Exkurs: Europarechtliche Vorlageverpflichtungen im Rahmen sog. „Vorabentscheidungsverfahren" - insbesondere solcher gem. Art. 177 EGV

356

A.

359

Die Ausgangslage - Überblick über die Regelung des Art. 177 EGV I.

II.

Der Vorlagetatbestand

359

1.

359

Die Vorlagesubjekte - der „Gerichts"- Begriff

2.

Die „Entscheidungserheblichkeit"

359

3.

Die vorlagefähigen Fragen

361

a)

„Auslegungs"-Fragen

361

b)

„Gültigkeits"-Fragen

362

Die Rechtsfolge - fakultative bzw. obligatorische Richtervorlagen 1.

2.

364

a)

366

Insbesondere: die „Gültigkeits"-Vorlagen

Der Umfang der Vorlagepflicht im Rahmen von Auslegungsfragen die sog. „acte clair"-Doktrin

III. Vergleich mit Art. 100 Abs. 1 GG bzw. den landesrechtlichen deutschen Richtervorlageverfahren 1.

2.

B.

368 371

Besonderheiten

371

a)

Die Teloi

371

b)

Die vorlagefähigen bzw. -Pflichtigen Fragen und „Gegenstände".

372

c)

Die Entscheidungswirkungen

372

d)

Fazit

Gemeinsamkeiten

374 375

a)

Der Wortlaut

375

b)

Die Verfahrensstruktur

375

aa) Die Vorlage-Subjekte

375

bb) Der Verfahrens-Charakter

376

c) 3.

363

Der Begriff der „letztinstanzlichen Gerichte" - „abstrakte" und „konkrete" Betrachtungsweise

Fazit

Würdigung/Schluß

376 377

Gültigkeits vorlagen und die Gewährung vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes durch die mitgliedstaatlichen Gerichte

377

I.

378

2 Thomas Schmitt

Die Rechtsprechung des EuGH

18

Inhaltsverzeichnis 1. 2.

Π.

Allgemein zur Vorlagepflicht gem. Art. 177 Abs. 3 EGV im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes - die, ,Hoffmann-La Roche"-Entscheidung..

378

Speziell: Gültigkeitsvorlagen im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes? - die „Süderdithmarschen"-Entscheidung

379

Ansichten in der Literatur

383

m . Stellungnahme 1. 2.

386

Das „Ob" vorläufiger Rechtsschutzgewährungsbefugnis seitens der Gerichte der Mitgliedstaaten

386

Das „Wie" bzw. v.a. die Voraussetzungen der vorläufigen Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte der Mitgliedstaaten

390

a)

394

Insbesondere: die - „gleichzeitige" - Vorlagepflicht

IV. Zusammenfassung

400

5. Teil

Schluß § 10 Thesenartige Zusammenfassung

402

Literaturverzeichnis

409

Sachverzeichnis

424

Abkürzungen Als Abkürzungen wurden insbesondere die folgenden verwandt: gem.

gemäß

i.R.v.

im Rahmen von

Rdnr.

Randnummer

u.a.

unter anderem

umfangr.

umfangreich

z.T.

zum Teil

Ansonsten ist, soweit die Abkürzungen nicht ohnehin aus sich selbs selbst heraus verständlich sein sollten, auf folgende Nachschlagewerke zu verweisen: -

DUDEN-Redaktion (Hrsg.): DUDEN. Rechtschreibung der deutschen Sprache und di der Fremdwörter; 20. Auflage, Mannheim/Wien/Zürich, 1991. Wörter;

-

Kirchner, 1993.

Hildebert:

Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin/New Berlind York,

1. Teil

Einführung in die Problematik

§ 1 Einführung A. Konkrete verfassungsgerichtliche Normenkontrollverfahren die sog. „Richtervorlagen" Art. 100 Abs. 1 GG 1 bestimmt: „Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungserichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt." Da die Vorlageberechtigung im Rahmen dieser Vorschrift ausschließlich Gerichten vorbehalten ist, werden solche - in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überaus bedeutsamen2 - Verfahren auch als yJlichtervorlagen" bezeichnet3.

1 1.V.m. § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. BVerfGG - im folgenden wird aus Gründen der Übersichtlichkeit jedoch ausschließlich die Verfassungsbestimmung zitiert. 2 Nach der aktuellen Gesamtstatistik des Bundesverfassungsgerichts für das Jahr 1993 nehmen diese Verfahren nach den Verfassungsbeschwerdeverfahren (und neben den in allen Verfahrensaiten möglichen einstweiligen Anordnungsverfahren) zahlenmäßig den mit deutlichem Abstand weitaus größten Raum ein: Von den 1993 neu eingegangenen Verfahren - insgesamt 5.440 entfielen danach 5.246 auf Verfassungsbeschwerden, 90 auf konkrete Normenkontrollen (sowie 88 auf einstweilige Anordnungsverfahren); 16 Anträge verblieben für sämtliche sonstigen Verfahrensarten (vgl. dort, S. 6). 3 Zur Terminologie statt vieler Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rdnr. 701; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 13 Rdnr. 2. - Daneben kennt das deutsche Recht noch andere „Richtervorlagen" zur Klärung spezifischer Rechtsfragen - vgl. etwa Art. 100 Abs. 2 u. 3 GG, §§ 121 Abs. 2, 132 GVG, §§ 11 Abs. 3, 47 Abs. 5 VwGO - , auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann.

20

1. Teil Einführung in die Problematik

Daneben werden diese Verfahren aber auch wegen des Anlasses zur Überprüfung von Normen im Rahmen eines konkreten Ausgangsrechtsstreits „konkrete Normenkontrollen " genannt4. Dadurch unterscheiden sich solche Verfahren von den sog. „ vorläufiger Rechtsschutz, Rdnrn. 685, 691; Pietzne r/Rone llenfitsch, Assessorexamen, § 57, Rdnr. 31. 67 Zum Problem unzureichender Begründung: Finkelnburg/Jank, vorläufiger Rechtsschutz, Rdnrn. 685, 690; Kopp, VwGO, § 80, Rdnr. 79 (m.w.Nw.); Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 1001; Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 1278 ff. 68 Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 281. 69 S. Finkelnburg/Jank, vorläufiger Rechtsschutz, Rdnrn. 685, 687. 70 So deutlich etwa Finkelnburg/Jank, vorläufiger Rechtsschutz, Rdnrn. 685, 689; Kopp, VwGO, § 80, Rdnr. 79 - Krit. zur Begründung der h.M., im Ergebnis aber ebenso: Schock, vorläufiger Rechtsschutz, S. 1284 ff; Schunck/De Clerck, VwGO, § 80, Anm. 5 aa). 71 Pietzner/Ronellenfitsch, Assessorexamen, § 57, Rdnr. 31. 72 So Rohmeyer, einstweilige Anordnung, S. 148. 73 BVerfGE 9, 89, 97. 74 So z.B. auch BVerfGE 63, 131 (et.alt.), wo dies implizit bejaht wurde.

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

43

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit" i.S.y. Art. 100 Abs. 1 GG A. Begriff und Bezugspunkte der sog. „Entscheidungserheblichkeit"

/. „Entscheidungen" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG Ansatzpunkt für Zweifel hinsichtlich der Möglichkeit, daß auch im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes die Tatbestandsmerkmale des Art. 100 Abs. 1 GG erfüllbar sind, könnte auch die Frage sein, ob es sich bei den Beschlüssen, die in diesem Zusammenhang ergehen, überhaupt um „Entscheidungen" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG handelt75. Unter die gerichtlichen „Entscheidungen" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG werden nach allgemeiner Meinung nicht nur solche Sachentscheidungen gefaßt, welche das Ausgangsverfahren abschließen76, sondern auch „jede ein gerichtliches Verfahren ganz oder einen in den Prozeßgesetzen verselbständigten Verfahrensteil beendende und zwar auch nur vorläufig beendende Gerichtshandlung"77. Das ist nicht nur durch den umfassenden Wortlaut von Art. 100 Abs. 1 GG abgedeckt, sondern entspricht darüber hinaus v.a. auch dem Telos von Art. 100 Abs. 1 GG 7 8 - nämlich dem Schutz des parlamentarischen Gesetzgebers vor Mißachtung seiner Gesetze durch jedes Fachgericht79 sowie Rechtseinheitlichkeit80.

75 Vgl. die entsprechenden Erwägungen etwa von Dietz, § 69 FGO, S. 82; Fuchsloch, NVwZ 1991, S. 442, 443; Stern, in: BK, GG, Art. 100, Rdnr. 159, wonach nur bei echter „Dezision" und nicht bei bloßer „Hinwirkung" auf eine Entscheidung (Rdnrn. 158 f.) von der Möglichkeit einer Tatbestandserfüllung von Art. 100 Abs. 1 GG ausgegangen werden könne. 76 „Primär" dafür offenbar Klein, in: Ulsamer/Clemens, BVerfGG, § 80, Rdnr. 39; s.a. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 13, Rdnr. 18. 77 Guggemoos, Vorlagepflichten, S. 36 - S. auch Degenhart, Staatsrecht, Rdnr. 503; Erichsen, Jura 1982, S. 88, 92; Heinze, DöV 1968, S. 266, 269; Löwer, HdbStR, Bd. II, S. 737, Rdnr. 69 f.; Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 100, Rdnr. 32; Meyer, in: v.Münch, GGK, Art. 100, Rdnr. 26; so selbst Stern, in: BK, GG, Art. 100, Rdnr. 157, der damit seinen grundsätzlichen Einwänden gegen die Qualifizierung vorläufiger Maßnahmen als „Entscheidungen" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG aber selbst den Boden entzieht; ähnlich Bettermann, BVerfG u. GG, Bd. I, S. 323, 355: alle „im Rechtsweg ergehenden Entscheidungen", unabhängig von Form und Verfahrensart; vgl. auch Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu u.a., BVerfGG, § 80, Rdnr. 218. 78 S. hierzu § 2 A. 79 St.Rspr. seit BVerfGE 1, 184, 189 ff. 80 BVerfGE 63, 131, 141.

44

2. Teil Tatbestandserfüllung von Art. 100 Abs. 1 GG

Die vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzverfahren sind selbständige Verfahren 81 zur vorläufigen Sicherung bedrohter Rechte, die ihren Abschluß in entsprechenden Beschlüssen des Verwaltungsgerichts finden. Daraus folgt aber konsequenterweise - entgegen einigen wenigen, ohne nähere Begründung insoweit geäußerten Bedenken82 - , daß vorläufige verwaltungsgerichtliche Beschlüsse grundsätzlich als taugliche „Entscheidungen" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG zu qualifizieren sind83.

IL Die sog. „Entscheidungserheblichkeit

"

1. Die „Entscheidungserheblichkeit" der Norm „Naheliegend" ist es auch, in diesem Zusammenhang insbesondere „die Frage der Entscheidungserheblichkeit der Normgültigkeit in einstweiligen Verfahren näher zu untersuchen"84. Da Art. 100 Abs. 1 GG primär bezweckt, den parlamentarischen Gesetzgeber vor „Mißachtung" seiner Gesetze durch die Fachgerichtsbarkeit zu schützen85, besteht nach ganz herrschender Meinung aufgrund dieser Vorschrift eine Vorlageberechtigung und - Verpflichtung nur für förmliche, nachkonstitutionelle86 (Bundes-)Gesetze87. Außerdem muß es - nach dem eindeutigen Wortlaut von Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG - auf die Gültigkeit eines solchen Gesetzes „bei der Entscheidung ankommen". Das Gesetz bzw. seine Gültigkeit oder Ungültigkeit müssen folglich für die Ausgangsentscheidung „ v.a. kritisch zu der durch den V G H Kassel, DVB1. 1969, S. 557 vorgenommenen Beschränkung der „Rechtsverordnungen" i.S.v. Art. 132 HessVerf auf solche der Landesregierung oder der Landesminister: Schenke, NJW 1978, S. 671, 677/678. 1206 BayVerfGHE 4,63, 69; 22,136,137; 25,27,35; 42,98, 101 (st.Rspr.). 1207

Zur Ungültigkeit „aus anderen Gründen" vgl. § 3 A. II. 3.

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

217

fragt es sich, ob nicht auch insoweit die Möglichkeit einer Richtervorlage nach den genannten landesrechtlichen Bestimmungen besteht1209. Zum Teil wird insoweit auf den Wortlaut der einschlägigen Vorlagevorschriften rekurriert, wonach es regelmäßig „bei der Entscheidung" 1210 auf die Verfassungswidrigkeit der Norm ankommen müsse1211. Insoweit wird betont, entgegen dem Leitbild für Art. 100 Abs. 1 GG 1 2 1 2 handele es sich beim verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren nicht um ein Ausgangsverfahren, in dessen Rahmen die suspekte Norm „anzuwenden" und damit die Verfassungswidrigkeit derselben nur „Inzidentfrage" sei. Vielmehr stelle die Frage der Gültigkeit der im Wege des § 47 VwGO angegriffenen untergesetzlichen Norm „die" Hauptfrage und den Streitgegenstand dieses Verfahrens selbst dar: „Infolgedessen ist hier die Vorlage nicht mit einer Aussetzung des Verfahrens vor dem vorlegenden Gericht gekoppelt, sondern die Vorlage bewirkt den Übergang des Verfahrens auf das Verfassungsgericht. Die Vorlage ist also in Wahrheit eine Verweisung."1213 Eine Vorlage komme in dieser Sachlage aber nicht in Betracht 1214. Diese Ansicht läßt sich aber auf den Wortlaut nur schwerlich stützen: Auch „bei der Entscheidung" der Hauptfrage der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm kommt es auf deren Verfassungsmäßigkeit oder -Widrigkeit an. Der Wortlaut umfaßt sowohl Vorfragen wie auch Hauptfragen 1215.

1208

S. den zweiten Eingangsfall, § 3 D. II. vor 1. Auszuscheiden hat insoweit Hamburg, da Hamburg - wie gesehen - nicht von der Möglichkeit nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht hat. Daher könnte sich die Frage des Verhältnisses zu § 47 VwGO allenfalls noch hinsichtlich der Fälle von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO stellen. Da aber Art. 64 Abs. 2 S. 1 HambVerf und § 44 Abs. 1 VerfGG Vorlagen von Rechtsverordnungen ausdrücklich auf solche aufgrund landesrechtlicher Ermächtigung beschränken, kann sich das Problem einer etwaigen Vorlage der i.R.v. § 47 VwGO angegriffenen Norm hier nicht stellen. 1210 Vgl. stellvertretend etwa Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG; Art. 68 Abs. 1 Nr. 3 BWVerf i.V.m. Art. 100 Abs. 1 GG; Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 BerlVerf i.V.m. § 14 Nr. 5, § 46 VerfGHG; Art. 113 Nr. 3 BbgVerf i.V.m. § 12 Nr. 3, § 42 Abs. 1 VerfGG et alt. - In Bayern erforderte Art. 44 Abs. 1 VerfGHG a.F., daß die betreffende Norm „einschlägig" sein müsse (Vgl. hierzu Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 23, Rdnr. 57). Art. 50 Abs. 1 VfGHG v. 10.5.90 verlangt nunmehr, daß die Vorschrift „für die Entscheidung ... erheblich" ist. Hierin wird man aber kein von den anderen Bundesländern inhaltlich abweichendes Kriterium erblicken können. 1211 S. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 23, Rdnr. 57. 1212 Vgl. BVerfGE 6,222,1. LS u. S. 231. 1213 Bettermann, LVG, Bd. II, S. 467, 502. 1214 So beispielsweise Birk, DVB1. 1978, S. 1661, 163; Eyermann/Fröhler, VwGO, § 47, Rdnr. 8 a; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 23, Rdnr. 57 i.V.m. § 13, Rdnr. 24. 1215 In diesem Sinne ausdrücklich auch Knöpfle, FS BayVGH, S. 187, 201. 1209

218

. Teil Tatbestandserfüllung

Art. 100 Abs. 1 GG

Vom Sinn und Zweck der konstituierten „Verwerfungsmonopole" her kann es zudem „keine Rolle spielen, ob die »Verwerfung4 durch ein anderes Gericht inzidenter oder prinzipaliter erfolgt. Im Gegenteil bei prinzipaler Normenkontrolle muß das Verwerfungsmonopol erst recht respektiert werden"1216. Korrekterweise liegt im übrigen aber auch in der Frage der Verfassungswidrigkeit der angegriffenen untergesetzlichen Rechtsvorschrift letztlich nur eine eng begrenzte „Vorfrage zur Hauptfrage der Gültigkeit der Norm im übrigen"1217, und es handelt sich folglich auch nicht um eine umfassende „Verweisung" oder „Delegation" der eigenen (oberverwaltungsgerichtlichen) Aufgabe. Das Landesverfassungsgericht prüfte nur die Landesverfassungsmäßigkeit (i.e.S.) der Norm 1218 , nicht auch die weitere Rechtmäßigkeit. Daß beim Vorliegen von „Entscheidungserheblichkeit" dieser Frage regelmäßig durch die verfassungsgerichtliche Entscheidung mittelbar die Ausgangsentscheidung inhaltlich „mitentschieden" bzw. determiniert werde, spricht nicht gegen die Vorlage der zu prüfenden Norm 1219 . Denn diese Lage resultiert aus dem Tatbestandsmerkmal der „Entscheidungserheblichkeit" selbst. Daher unterscheidet sich der Fall einer etwaigen Vorlage der mittels § 47 VwGO unmittelbar angegriffenen untergesetzlichen Rechtsvorschrift insoweit auch nicht von allen anderen „unstreitigen" Vorlagefällen, in denen auch je nach verfassungsgerichtlicher Entscheidung zwingend eine „andere Entscheidung" zu ergehen hat, ohne daß dabei von einer „Verweisung" der dem Ausgangsgericht eigentlich obliegenden Aufgabe an das Verfassungsgericht gesprochen wird. Insbesondere in dem Falle, daß sich das Verfassungsgericht den diesbezüglich vorgetragenen Verfassungswidrigkeits-Argumenten des vorlegenden Gerichts nicht anschließen sollte und die Norm für - insoweit - verfassungsmäßig erklärt, wird aber auch deutlich, daß der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung keineswegs jede Bedeutung entzogen würde. Schließlich prüfen die OVG/ V G H die Norm jedenfalls umfassend am gesamten Bundesrecht1220 1 2 2 1 .

1216

So treffend Bettermann, LVG, Bd. II, S. 467, 503 - Ebenso Schenke, Rechtsschutz, S. 288. In dieser Weise zutreffend präzisierend Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 27, Rdnr. 19 (zu Art. 133 HessVerf). 1218 Deutlich insoweit auch Bettermann, LVG, Bd. II, S. 467, 505: zum jeweils zuständigen Verfassungsgericht: „sein Prüfungsmaßstab ist nur die Landesverfassung". - Art. 65 Abs. 2 Nr. 2 HambVerf erstreckt die verfassungsgerichtliche Überprüfung von Rechtsverordnungen zwar auch auf deren Vereinbarkeit mit einfachem Landesrecht, betrifft aber ausschließlich die abstrakte Normenkontrolle. 1219 So aber letztlich Bettermann, LVG, Bd. II, S. 467, 502, dem damit m.E. ein Zirkelschluß unterläuft, wenn er auf diesem Wege die „Entscheidungserheblichkeit" im Rahmen dieser Problematik zu widerlegen sucht. 1220 S. oben § 3 D. I. 2. d) aa). 1217

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

219

Einer etwaigen Vorlage der den Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO bildenden untergesetzlichen Rechtsvorschrift steht insoweit also nichts im Wege.

bb) Vorlage einer als Ermächtigungs- bzw. Maßstabsnorm „ entscheidungserheblichen " formellen Norm Es ist im Verfahren nach § 47 VwGO aber auch nicht ausgeschlossen, daß das OVG/VGH ein als Ermächtigungsgrundlage oder Prüfungsmaßstab relevantes förmliches Gesetz für verfassungswidrig hält, ohne daß dies gleichzeitig auch die praesumtive Verfassungswidrigkeit des verwaltungsgerichtlichen Prüfungsgegenstandes zur Folge hätte 1222 . Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn eine höherrangige, formelle, der angegriffenen untergesetzlichen Rechtsvorschrift eigentlich inhaltlich entgegenstehende Norm nach Ansicht des OVG/VGH verfassungswidrig ist und demzufolge auch die Gültigkeit der untergesetzlichen Norm nicht hindern kann. In diesen Fällen steht, wie in den Ländern, die entsprechend Art. 100 Abs. 1 GG nur eine Vorlage hinsichtlich von formellen Gesetzen kennen1223, einer grundsätzlichen Vorlageberechtigung und -Verpflichtung des OVG/VGH nichts im Wege 1224 : „Von der Verfassungswidrigkeit der »Rechtsvorschrift', über deren ,Gültigkeit' das OVG zu entscheiden hat, ist die Verfassungswidrigkeit des (förmlichen) Gesetzes zu unterscheiden, auf dem die »Rechtsvorschrift4 beruht oder das deren Erlaß oder Inhalt reguliert. Hierfür gelten Art. 100 I GG und die ihm entsprechenden Artikel der Landesverfassungen." 1225

1221 Wenn der Einwand, für konkrete Normenkontrollen seien nur Vorfragen vorlagefahig, dadurch nicht bereits widerlegt wäre, so wäre jedenfalls für § 47 Abs. 8 VwGO zusätzlich auch noch der Gedanke zu beachten, daß sich die für die Hauptsacheentscheidung einer verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle etwa als „Hauptfrage" zu qualifizierende Frage nach der Verfassungsmäßigkeit bzw. -Widrigkeit der angegriffenen Norm jedenfalls im Rahmen der für § 47 Abs. 8 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung mit Evidenzkontrolle lediglich als Vorfrage ausnimmt. 1222

Vgl. § 3 D. II. 1. b) bb). S. diesbezüglich § 3 D. II. 1. 1224 y g j auch Kamp, Normenkontrollverfahren, S. 68; Klein, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, vor §§ 80, Rdnr.25 (mit dem ergänzenden Hinweis, auch eine Vorlage ans BVerwG gem. § 47 Abs. 5 VwGO scheide insoweit aus - BVerwG, DÖV 1991, S. 73 f.); Kopp, VwGO, § 47, Rdnr. 49; Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 406. 1225 Bettermann, LVG, Bd. II, S. 467, 509. 1223

220

. Teil Tatbestandserfüllung

Art. 100 Abs. 1 GG

cc) „Zweifach-Vorlage"? - Vorlage sowohl der untergesetzlichen Rechtsvorschrift als auch der formellen Bestimmung? In den Ländern, welche die Vorlagepflicht erweitert haben, ist es danach schließlich auch möglich, daß das OVG/VGH sowohl die angegriffene, untergesetzliche Vorschrift für verfassungswidrig 1226 hält als auch ein maßgebliches, formelles (Bundes- oder Landes-) Gesetz. Es sieht sich in dieser Lage mit einer „zweifachen" Vorlagepflicht 1227 konfrontiert. Fraglich ist, ob in diesen Fällen in der Tat „zweifach" vorzulegen ist oder ob etwa insoweit ein Vorrang der einen oder anderen Vorlagepflicht anzuerkennen ist 1228 . Wie bei der Frage einer „doppelten" Vorlagepflicht im Falle des Verstoßes eines formellen Landesgesetzes gegen das Grundgesetz wie auch die jeweilige Landesverfassung 1229 ließen sich dabei aber die beiden Vorlagepflichten derart gegeneinander ausspielen, daß - mangels „Entscheidungserheblichkeit" - keine der beiden „Verwerfungsmonopole" gewahrt wäre. Ein Vorrang einer der beiden möglichen Vorlagepflichten scheitert indes an der jeweiligen Eigenstaatlichkeit von Bund und Ländern. Hier wie dort kann dieses „unmögliche Ergebnis" daher in der Tat nur durch eine ggf. „zweifache" Vorlage vermieden werden 1230 .

1226 Zu beachten ist an dieser Stelle, daß es sich um eine „eigenständige" Verfassungswidrigkeit der untergesetzlichen Norm handeln muß. „Bloße" Unvereinbarkeit mit höherrangigem Gesetzesrecht, mithin „Gesetzeswidrigkeit", genügt insoweit nicht. - S. oben § 3 A. II. 3. 1227 Bei formellem Bundesrecht eine Richtervorlage an das BVerfG und eine an das jeweilige Landesverfassungsgericht; bei formellem Landesrecht ggf. „zweifache" Vorlage verschiedener Normen vor das gleiche Landesverfassungsgericht. 1228 p ü r y o r r a n g d e r Vorlage an das Bundesverfassungsgericht - jedenfalls im Falle bundesrechtlicher Ermächtigungsgrundlagen: Groschupf, LVG, Bd. II, S. 85, 95: „Soweit es sich um eine bundesgesetzliche Ermächtigung handelt, muß ... vorrangig geprüft werden, ob die Ermächtigungsnorm gültig ist. Denn wenn auch über Art. 100 Abs. 1 GG hinaus die Verwerfungskompetenz bei Verfassungwidrigkeit von untergesetzlichem Recht mit dem Bundesrecht vereinbar ist, so hat doch die Verwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz Vorrang vor der Kompetenz der Landesverfassungsgerichte zur Verwerfung von Verordnungen, deren Gültigkeit auch nach Landesverfassungsrecht zweifelhaft ist." 1229 S. § 3 D. II. 1. a) aa). 1230 Soweit neben der untergesetzlichen Norm auch ein formelles Landesgesetz vorgelegt werden müßte, läßt sich zwar nicht - entgegen Groschupf \ LVG, Bd. II, S. 85, 95 - auf den föderalen Charakter der Bundesrepublik rekurrieren. Andererseits rechtfertigte in diesen Fällen auch der „höhere Rang" des für die Entscheidung über die Gültigkeit der untergesetzlichen Vorschrift immerhin nur mittelbar relevanten, mithin „ferner stehenden", formellen Landesgesetzes keine Annahme eines Vorrangs gegenüber der „näher stehenden", unmittelbar „entscheidungserheblichen" Klärung der Frage der Verfassungsmäßigkeit oder -Widrigkeit der niederrangigen Vorschrift. Gleiches gilt umgekehrt. Auch hier wäre folglich „zweifach" vorzulegen.

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

221

b) Die „Entscheidungserheblichkeit" insbesondere i.R.v. § 47 Abs. 8 VwGO Zu klären ist danach speziell für das Verfahren der einstweiligen Anordnung gem. § 47 VwGO, ob in den genannten Ländern über den zu Art. 100 Abs. 1 GG und zu den diesem entsprechenden, landesrechtlichen, konkreten Normenenkontrollverfahren erarbeiteten Befund 1231 hinaus Fälle der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der „Entscheidungserheblichkeit" in Erwägung zu ziehen sind, wie dies die Erweiterung der vorlagefähigen Prüfungsgegenstände nahelegt. Abweichend von den zu Art. 100 Abs. 1 GG (etc.) gemachten Ausführungen, sind v.a. die Fälle zu betrachten, in denen das OVG/VGH speziell oder u.a. auch die untergesetzliche Rechtsvorschrift für evident verfassungswidrig erachtet, folglich auch die Erfolgsaussicht eines dagegen angestrengten Normenkontrollverfahrens als auf der Hand liegend ansieht. Allerdings gilt auch hier 1232 , daß selbst vermeintlich offensichtliche Verfassungswidrigkeit der betreffenden Norm noch nicht per se den Erlaß gerade einer vorläufigen Rechtsschutzmaßnahme wie der einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 8 VwGO zu rechtfertigen vermögen. Vielmehr ist stets durch umfassende Interessenabwägung das „dringende Gebotensein" einer solchen Anordnung positiv festzustellen. In diese Interessenabwägung sind praesumtiv offenkundige Erfolgsaussichten in der Hauptsache zwar einzustellen, vermögen diese Interessenabwägung indes nicht zu ersetzen. Auf eine autoritative Feststellung der Verfassungsmäßigkeit oder -Widrigkeit einer Norm kommt es folglich bei der Entscheidung allenfalls dann „unerläßlich" an, wenn ohne die Annahme evidenter Verfassungswidrigkeit entsprechender Normen nach Ansicht des Gerichts eine einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 8 VwGO nicht zu erlassen wäre, d.h. das Gericht ohne Annahme der Verfassungswidrigkeit die erforderliche „besondere Dringlichkeit" verneinen wollte. Nur in diesen Fällen ist eine „Entscheidungserheblichkeit" dieser Normen i.S.d. konkreten Normenkontrollvorschriften denkbar. Möglich wäre dies zudem bei praesumtiv evidenter Verfassungswidrigkeit einer der Rechtmäßigkeit der untergesetzlichen Norm eigentlich entgegenstehenden Rechtsvorschrift und gleichzeitig ergebniswkongruenter Interessenabwägung1233. Folglich kommt auch in den Ländern, welche die konkrete verfassungsgerichtliche Normenkontrolle auch zur Überprüfung untergesetzlicher Rechtsvorschriften vorsehen, eine Vorlage im Zusammenhang mit Verfahren gem. § 47

1231 1232 1233

§ 3 D . II. 1. Vgl. bereits § 3 D. I. 2. c) sowie § 3 D. II. 1. b) aa). S. § 3 D. II. 1. b) bb) (2).

222

. Teil Tatbestandserfüllung

Art. 100 Abs. 1 GG

Abs. 8 VwGO allenfalls in diesen Konstellationen in Betracht. Dies setzt also voraus, daß das OVG/VGH entweder erst aufgrund der Annahme evidenter Verfassungswidrigkeit entsprechender Normen eine einstweilige Anordnung gem. § 47 Abs. 8 VwGO als „dringend geboten" ansieht oder daß das OVG/VGH eine der Gültigkeit der untergesetzlichen Rechtsvorschrift entgegenstehende formelle oder ggf. auch (nur) untergesetzliche, materielle 1234 Norm für offensichtlich verfassungswidrig hält und gerade deswegen die ihm zur Prüfung vorliegende Vorschrift für rechtsgültig und die Hauptsache für aussichtslos erachtet, zugleich jedoch aufgrund der von Erfolgsaussichten losgelösten Interessenabwägung den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 8 VwGO als „dringend geboten" ansieht. Nur in diesen, wohl selten anzutreffenden Fallgestaltungen ist die autoritative Feststellung der Verfassungsmäßigkeit bzw. -Widrigkeit des suspekten formellen Gesetzes bereits im Rahmen vorläufiger Rechtsschutzgewährung nach § 47 Abs. 8 VwGO „unerläßlich", die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der „Entscheidungserheblichkeit" folglich möglich.

III Zusammenfassung Bei Entscheidungen des OVG/VGH über Anträge nach § 47 Abs. 8 VwGO kommt „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG in den Fällen praesumtiver Verfassungswidrigkeit einschlägiger Verfahrensnormen in Betracht; darüber hinaus jedoch allenfalls dort, wo die Entscheidung des Gerichts bei Bejahung drohender „schwerer Nachteile" oder „anderer wichtiger Gründe" von der Verfassungsmäßigkeit bzw. - Widrigkeit einer formellen Norm abhängt. Die ist möglich, wenn das OVG/VGH nur bei Zugrundelegung evidenter Verfassungswidrigkeit entsprechender Normen eine einstweilige Anordnung gem. § 47 Abs. 8 VwGO als „dringend geboten" ansieht. Gleiches gilt etwa auch dann, wenn das Gericht einerseits infolge einer von Erfolgsaussichten unabhängigen Annahme „dringenden Gebotenseins" den Erlaß einer einstweiligen Anordnung befürworten wollte, andererseits aber aufgrund praesumtiv evidenter Verfassungswidrigkeit und Ungültigkeit einer der angegriffenen untergesetzlichen Norm eigentlich entgegenstehenden Norm von evidenter Gültigkeit der angegriffenen untergesetzlichen Norm und damit einhergehender offenkundiger Erfolglosigkeit in der Hauptsache eines etwaigen Normenkontrollverfahrens, ergo insoweit doch vom Fehlen „dringenden Gebotenseins" i.S.v. § 47 Abs. 8 VwGO ausgehen wollte. Nur in diesen Ausnahmefällen kommt - mangels einer alternativen Begründbarkeit desselben Ergebnisses die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der „Entscheidungserheblichkeit" in

1234

In den Ländern, welche die Richtervorlage auf untergesetzliche Vorschriften erweitert haben.

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

223

Betracht. Nur in diesen Fällen zwingt die Annahme von Verfassungswidrigkeit der betreffenden Normen das Gericht zu einer „anderen Entscheidung".

E. „Entscheidungserheblichkeit" materiell-rechtlicher Vorschriften im Rahmen „einstweiliger Regelungen" nach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO Eine vergleichsweise junge Vorschrift vorläufigen Rechtsschutzes nach der VwGO enthält § 113 Abs. 3 S. 2. Diese an § 100 Abs. 2 S. 2 a.F. FGO und § 124 Abs. 3 E-VwPO 1 2 3 5 angelehnte, im Zuge des 4. VwGOÄndG 1236 in die VwGO mit aufgenommene Bestimmung ermöglicht den Erlaß einer „einstweiligen Regelung", d.h. einer „Zwischenregelung"1237 bis zum Erlaß eines neuen Verwaltungsakts, nachdem das Verwaltungsgericht zuvor im Rahmen einer Anfechtungsklage 1238 den früheren, im Wege eines Hauptsacheverfahrens angegriffenen Verwaltungsakt gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO aufgehoben und die Sache zur „weiteren Sachaufklärung" an die Verwaltung zurückverwiesen hat.

/. Stellung der Vorschrift des §113 Abs. 3 S. 2 VwGO im System des vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes Die genannte Vorschrift verweist in ihrer Regelung nicht etwa - wie dies möglich gewesen wäre - auf die bereits erörterten, bei ihrem Erlaß bereits existenten Regelungen vorläufigen Rechtsschutzes nach §§80 Abs. 5, 123 Abs. 1 S. 1 oder 2 oder auch 47 Abs. 8 VwGO.

1235

S. BTDrS 10/3437, S. 133; 11/7030, S. 29 f. - Vgl. nur Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 68; ders., NJW 1991, S. 521, 525; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 3; Stelkens, NVwZ 1991, S. 209, 216. 1236 S. BTDrS 11/7030, S. 30. 1237 So namentlich Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 29; ähnlich aber auch die Terminologie bei Stelkens, NVwZ 1991, S. 209, 217, der insoweit von „Zwischenlösungen" spricht. 1238 ob g 113 Abs 3 VwGO entsprechende Anwendung auf Verpflichtungsklagen finden kann, ist umstritten: Bejahend Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 68 (i.V.m. 83); Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnrn. 282 u. 848. - Ablehnend Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 3; Stelkens, NVwZ 1991, S. 209, 216/217; ihnen folgend OVG Münster, NVwZ-RR 1992, S. 520 u. OVG Hamburg, NVwZ-RR 1993, S. 55. - Zutreffenderweise wird wohl mit Blick auf den exklusiven Wortlaut, die Gesetzessystematik sowie die Entstehungsgeschichte § 113 Abs. 3 VwGO auf Anfechtungsklagen zu beschränken sein. Diese Vorschrift basiert nämlich auf dem ausschließlich für Anfechtungsklagen geltenden § 100 Abs. 3 FGO - dazu etwa Tipke/Kruse, AO u. FGO, § 100 FGO, Rdnr. 17 - sowie dem dessen Regelung aufgreifenden § 124 Abs. 3 EVwPO - s. BTDrS 10/3437, S. 131 u.132 ff. u. zum 4. VwGOÄndG: BTDrS 11/7030, S. 29 f. Die für Verpflichtungsklagen vorgesehene Parallelvorschrift des § 125 Abs. 2 EVwPO wurde hingegen durch das 4. VwGOÄndG nicht mit in die VwGO aufgenommen.

224

. Teil Tatbestandserfüllung

Art. 100 Abs. 1 GG

Die Bezeichnung der zu beantragenden „einstweiligen Regelungen" nach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO könnte allerdings eine gewisse Nähe insbesondere zur Regelungsanordnung gem. § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO nahelegen1239. Mit dieser Vorschrift des § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO verbindet die „einstweiligen Regelungen" nach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO darüber hinaus auch ihre „kreative", d.h. sich nicht etwa auf bloße Abwehr (sofort vollziehbarer) Eingriffe - wie etwa § 80 Abs. 5 oder auch die Sicherungsanordnung gem. § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO - beschränkte Natur. Sie steht freilich auch hier, wie generell im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes1240, im Dienste der Sicherung bzw. Offenhaltung der Entscheidungsfähigkeit in der Hauptsache, wenngleich nicht speziell hinsichtlich einer etwaigen, späteren Entscheidung des Gerichts selbst, sondern auch in bezug auf die Neu-Entscheidung der Verwaltung hinsichtlich des gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO aufgehobenen Verwaltungsakts. Von § 123 Abs. 1 VwGO trennen die vorliegend untersuchten „einstweiligen Regelungen" indes ihre textlich sowie systematisch ausgewiesene Verbindung mit der vorangegangenen Anfechtungsklage, in deren Zusammenhang nach der Regelung des § 123 Abs. 5 VwGO ausdrücklich für Rechtsschutz gem. § 123 VwGO kein Raum ist. Während zudem für § 123 Abs. 1 VwGO regelmäßig etwa ein Rechtsschutzbedürfnis für entsprechende Anträge der beteiligten Behörden zu verneinen sein wird 1241 , kann Gleiches für § 113 Abs. 3 S. 2 nicht angenommen werden: Da die Behörde nämlich nach der Aufhebungsentscheidung des Verwaltungsgerichts gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO - jedenfalls hinsichtlich der Aufhebungsgründe - durch die Rechtsauffassungen des Gerichts gebunden ist 1242 , scheidet danach jedenfalls der Erlaß eines entsprechend, ohne weitere Sachaufklärung in gleicher Weise begründeten Verwaltungsakts aus. Gegenüber den Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO wird man daher Anträgen der „belasteten" - Verwaltung i.R.v. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO höhere Bedeutung beizumessen haben1243. „Einstweilige Regelungen" nach §113 Abs. 3 S. 2 VwGO sind zu Lasten des Bürgers jedenfalls auch möglich, was v.a. die entstehungsgeschichtlich mit zu berücksichtigende steuerrechtliche Literatur bestätigt1244. Diese den Bürger belastende Möglichkeit läßt sich als Kompensation des durch die Aufhebung des belastenden Verwaltungsakts trotz noch nicht ab-

1239 Vgl. auch Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 936 (: „spezielle Form einer einstweiligen Anordnung"). 1240 S. allgemein hierzu Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 121 ff. 1241 Vgl. Kopp, VwGO, § 123, Rdnr. 26 (m.w.Nw.). 1242 S. BTDrS 11/7030, S. 30. - Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 68 c; Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnrn. 26 u. 28. 1243 Soweit dafür nicht entsprechende verwaltungsbehördliche Maßnahmen zur Verfügung stehen und ausreichend sein sollten. 1244 Tipke/Kruse, AO u. FGO, § 100, Tz. 17: solche Regelungen ermöglichten einstweilige Steuerfestsetzungen, „Soweit...voraussichtlich (mindestens) geschuldet".

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

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schließend feststellbarer Rechtslage gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO de lege lata gewissermaßen „überschießenden" Rechtsschutzes rechtfertigen 1245. Aber auch z.G. des Bürgers sind solche „einstweiligen Regelungen" möglich, was deutlich schon das Regelbeispiel des § 113 Abs. 3 S. 2, 2. Alt. VwGO zeigt, wonach das Verwaltungsgericht durch eine „einstweilige Regelung" auch bestimmen könne, daß eine „Leistung zunächst nicht zurückgewährt werden" müsse. Deutlich unterschieden von Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ist schließlich auch die zeitliche Stellung von Anträgen gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO. Solche sind nämlich nicht bereits vor Stellung eines Klageantrags in der Hauptsache möglich, sondern erfolgen nicht nur nach Anhängigkeit, vielmehr sogar nach einer Entscheidung in der Hauptsache1246, nämlich der Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO. Ihre „Vorläufigkeit" bezieht sich vielmehr nur auf ihren eingeschränkten Geltungsanspruch bis zum Erlaß eines neuen Verwaltungsakts1247. Insbesondere die beiden letztgenannten Gesichtspunkte gelten in gleicher Weise für das Verhältnis des Verfahrens gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO gegenüber der Regelung des § 80 Abs. 5 VwGO, mit der es immerhin gewisse textliche Parallelitäten (vgl. etwa § 113 Abs. 3 S. 2, 2. HS VwGO einerseits und § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO andererseits oder die Abänderungsbefiignis gem. §§113 Abs. 3 S. 3 1 2 4 8 und 80 Abs. 7 VwGO) und den Zusammenhang mit einer Anfechtungsklage gemein hat. Abgesehen von der Möglichkeit behördlicher Anträge, welche auch Regelungen zu Lasten des Bürgers beinhalten können, ist - wie gesehen - für § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO erst Raum, wenn ein Verwaltungsakt, gegen den im Falle seiner sofortigen Vollziehbarkeit Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO erstrebt werden könnte, wegen dessen verwaltungsgerichtlicher Aufhebung bereits nicht mehr existiert.

1245 Vgl. auch Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 936: „§ 113 Abs. 3 S. 2 ... steht in systematischem und funktionalen Zusammenhang mit der in § 113 Abs. 3 S. 1 normierten gerichtlichen Aufhebungsbefugnis und dient dem Schutz des Hoheitsträgers, indem sie für diesen die Folgen einer Aufhebung durch Zulassung einer speziellen Form einer einstweiligen Anordnung abmildert." 1246 Entgegen dem Wortlaut und der Regierungsbegründung - BTDrS 11/7030, S. 29 f. - liegt mit einer Entscheidung nach § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO tatsächlich bereits eine „Entscheidung in der Sache" vor, wenngleich keine abschließende. - So zutreffend auch Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 26. 1247 Vgl. hierzu Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnrn. 28 f. 1248 Die sich nach der Systematik auf die einstweiligen Regelungen nach § 113 Abs. 3 S. 2, nicht hingegen auf die Aufhebungsentscheidung nach Satz 1 bezieht - ebenso Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 69 a. - Hierzu näher unter § 7 C. VII. 1.

IS Thomas Schmitt

226

. Teil Tatbestandserfüllung

Art. 100 Abs. 1 GG

Sinn und Zweck der Gesamtregelung des § 113 Abs. 3 VwGO und damit auch dessen Teilregelung des § 113 Abs. 3 S. 2 , ist eine „rationellere Erledigung" des Hauptsacheverfahrens vor den Verwaltungsgerichten 1249 unter „Wahrung der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zwischen Gericht und Verwaltung im gewaltenteilenden Rechtsstaat"1250. Dem Verwaltungsgericht wird damit die Möglichkeit eröffnet, sich von zeitraubenden und personalbindenden Sachaufklärungen - beispielsweise zu Risiken in Bereichen des Atom-, Immissionsschutz- oder Planungsrechts1251 - zu entlasten, die „sachdienlicher" und letztlich aufgabengemäßer von der entsprechenden Fachverwaltung zu besorgen sind 1252 , und sich bei der Entscheidung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO auf eine Aufhebung des Verwaltungsakts zu beschränken sowie auf Antrag hin eine entsprechende „einstweilige Regelung" zu treffen 1253. Letztlich wird dadurch das Gericht zugunsten seiner eigentlichen Rechtssprechungsaufgabe entlastet1254. Das durch die gerichtliche Aufhebung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO entstandene (vorübergehende) „Vakuum" einer rechtlichen Regelung versucht danach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO auf entsprechenden Antrag hin auszufüllen. Dieser Gesamtzusammenhang des § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO unterscheidet diese Regelung deutlich von §§ 80 Abs. 5 und 123 Abs. 1 S. 1 und 2 VwGO. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO etablierte folglich eine eigenständige Regelung und nicht etwa nur spezielle Ausprägung der §§80 Abs. 5 oder 123 Abs. 1 S. 1 oder 2 VwGO 1 2 5 5 . Dies wird man aber auch hinsichtlich der vorliegend primär zu untersuchenden Frage des im Rahmen von vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO zugrundezulegenden Entscheidungsmaßstabs zu berücksichtigen haben.

1249 BTDrS 10/3437, S. 133; 11/7030, S. 29. - Vgl. auch Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 68; Stelkens, NVwZ 1991, S. 209, 216. 1250 Ebenso Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 779; Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 68. 1251 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 779, 780. 1252 Anschaulich insoweit BTDrS 10/3437, S. 133 und BTDrS 11/7030, S. 29 f. 1253 Pointiert zu der Parallelvorschrift des § 100 Abs. 3 FGO Tipke/Kruse, AO u. FGO, § 100 FGO, Rdrn. 17: „Müßten die Gerichte den FÄ (Finanzämtern) einen Teil ihrer Arbeit abnehmen, würden sie quasi zum 'Schuttabladeplatz' für vom FA nicht bewältigte Sachen; sie würden in ihrer Aufgabe, Rechtsschutz zu gewähren, erheblich behindert... Die Gerichte sollen die 'Arbeit' der FÄ nachprüfen, nicht mehr oder weniger übernehmen." 1254 Zum Problem der Verwaltungsgerichte als „Ersatzverwaltung": Stüer, FS Menger, S. 779 ff., v.a. 788 ff. 1255 A.A. wohl Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 29: „spezielle Form der einstweiligen Anordnung" - soweit an dieser Stelle dadurch nicht lediglich zutreffenderweise auf die analoge Rechtsmittelmöglichkeit nach § 146 VwGO verwiesen werden sollte.

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

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IL Der Entscheidungsmaßstab für „einstweilige Regelungen" i.S.v. §113 Abs. 3 S. 2 VwGO Auch für die Regelung von § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO gilt die bereits bekannte, v.a. bzgl. der gerichtlichen Entscheidung i.R.v. § 80 Abs. 5 VwGO geäußerte Kritik an gesetzgeberischen Defiziten hinsichtlich der den Verwaltungsgerichten - gerade nicht - zur Verfügung gestellten Entscheidungskriterien 1256 . Dem Gesetzeswortlaut läßt sich nämlich in der Tat auch hier nicht entnehmen, auf welcher Grundlage das Verwaltungsgericht seine Entscheidungen zu treffen haben soll. Satz 1 von § 113 Abs. 3 VwGO verlangt hinsichtlich der gerichtlichen Verwaltungsakts-Aufhebungs-Entscheidung zum einen die konkrete Unmöglichkeit einer (abschließenden) Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts 1257 und zum anderen die „Sachdienlichkeit" einer entsprechenden Aufhebung auch unter Berücksichtigung der „Belange der Beteiligten" 1258 . Eine solche Aufhebung kommt einerseits also nur in Betracht, wenn die erforderlichen Sachaufklärungen so erheblich sind, daß das Verwaltungsgericht selbst nicht ohne weiteres, vielmehr nur unter beträchtlichem Zeitaufwand und/oder immensem Sach-/Personaleinsatz eine abschließende Klärung herbeiführen könnte, die Entscheidung mithin ergehen muß, „obwohl das Gericht wegen der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen noch nicht abschließend beurteilen kann, ob und in welchem Umfang der Verwaltungsakt rechtswidrig ist" 1259 . Andererseits rechtfertigt sich eine Aufhebung der behördlichen Verwaltungsakts-Entscheidung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO v.a. unter dem Aspekt der Gewaltenteilung bzw. Funktionentrennung auch nur dort, wo für das Verwaltungsgericht schon jetzt erkennbar ist, daß der Verwaltungsakt „so wie erlassen" jedenfalls „rechtswidrig ist, daß er aber aus anderen Gründen dennoch rechtmäßig sein kann"1260. Folglich kommt eine - die Ausgangslage für eine Entscheidung gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO bildende - Aufhebung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO nur in Betracht, soweit das Gericht zwar von der Rechtswidrigkeit des erlassenen, 1256 1257 1258

Statt aller Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 1556,1574. Vgl. BTDrS 10/3437, S. 134 und BTDrS 11/7030, S. 30. Hierzu BTDrS 10/3437, S. 133 und BTDrS 11/7030, S. 29.

1259 B 1260

T D R S

IG/3437, S. 133 und BTDrS 11/7030, S. 30.

RedekerAon Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 25; ebenso Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 779.

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. Teil Tatbestandserfüllung

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nicht aber auch schon von einer generellen rechtlichen Unzulässigkeit der hierdurch ausgesprochenen Rechtsfolgenanordnung ausgeht. Diese Sachlage ist nun aber insbesondere möglich, wo Verfahrensfehler 1261 vorliegen bzw. wo z.B. das Unterlassen weiterer Entscheidungsrelevanter Sachaufklärung durch die Verwaltung zwar der Rechtmäßigkeit des erlassenen, nicht jedoch jedwedem zu erlassenden Verwaltungsakt entgegensteht.

1. Verfahrensfehler ,4m engeren Sinne (i.e.S.)" Beanstandet das Verwaltungsgericht Verfahrensfehler „i.e.S.", d.h. sich nur auf die formelle Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns auswirkende Mängel, und soll der Verwaltungsakt deswegen gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO aufgehoben werden, so muß differenziert werden:

a) Verfahrensfehler i.S.v. § 46 VwVfG Soweit bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen der Vorschrift des § 46 VwVfG lediglich ein Verfahrensfehler i.S. dieser Norm gegeben sein sollte, muß beachtet werden, daß - unabhängig vom Streit um die richtig zu bestimmende Rechtsfolge von § 46 VwVfG 1 2 6 2 - insoweit jedenfalls ein Aufhebungsanspruch des Betroffenen unumstrittenermaßen ausgeschlossen ist. Demzufolge könnte auch in diesen Fällen nicht von einer Notwendigkeit „erheblicher ... weiterer Sachaufklärung" i.S.v. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO ausgegangen werden. Soweit sogar die Möglichkeit subjektiver Rechtsverletzung verneint wird, könnte in solchen Fällen außerdem bereits ein abschlägiges Urteil gem. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ergehen. Für eine Aufhebung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO ist daneben kein Raum, erst recht für untrennbar damit zusammenhängende „einstweilige Regelungen" gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO.

1261

„Wesentliche Verfahrensmangel" müssen entgegen dem Vorbild von § 100 Abs. 2 S. 2 a.F. FGO nicht stets vorliegen: so ausdrücklich BTDrS 10/3437, S. 133 u. 11/7030, S. 30; vgl. auch Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 25. - Vgl. auch für die FGO: Tipke/Kruse, AO u. FGO, § 100, Rdnr. 17: „§ 100 I I I 1 setzt nicht voraus, daß die Behörde wesentliche Verfahrensfehler begangen hat (so noch § 100 I I 2 a.F.). Es reicht z.B. auch aus, daß das Gericht die Rechtslage anders beurteilt als die Behörde und daß dadurch weitere Ermittlungen notwendig werden." 1262 S. hierzu etwa Kopp, VwVfG, § 46, Rdnr. 7; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnrn. 326 f. u. 809 (m.w.Nw.).

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

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b)Andere Verfahrensfehler „i.e.S." Soweit § 46 VwVfG - beispielsweise aufgrund des Vorliegens eines Ermessensverwaltungsaktes1263 - nicht zur Anwendung kommen sollte, das Gericht aber lediglich einen Verfahrensfehler (i.e.S.) bejaht, wird man schwerlich von der Notwendigkeit „weiterer Sachaufklärung" sprechen können. Vielmehr setzt § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO ersichtlich gerade voraus, daß sich etwaige Fehler beim Erlaß des angegriffenen Verwaltungsakts jedenfalls auch auf die materiell-rechtliche Beurteilung desselben ausgewirkt haben müssen. Beispielsweise ist dies dort denkbar, wo „es zu einem Verfahrensfehler gekommen ist, der gleichzeitig die Behörde veranlaßt hat, von der an sich erforderlichen Sachaufklärung abzusehen"1264, d.h. also, wo etwa aufgrund unterbliebener Anhörung Beteiligter oder durch „Unterlassen gebotener Einholung eines Sachverständigengutachtens"1265 die Einbeziehung aller Ermessens- bzw. Abwägungserheblicher Belange unterblieben ist. Andere „reine" Verfahrensfehler - z.B. fehlende behördliche Beratung gem. §15 VwVfG oder Akteneinsichtsgewährung nach § 29 VwVfG - erfüllen den Tatbestand des Ausnahme-Tatbestands1266 des § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO nicht, mithin auch nicht die Voraussetzung zum Erlaß „einstweiliger Regelungen" gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO. Für eine etwaige analoge Anwendung besteht aber weder Raum noch Anlaß.

2. Verfahrensfehler „im weiteren Sinne (i.w.S.)" Wirkt sich ein seitens des Verwaltungsgerichts angenommener Verfahrensfehler im Rahmen des Verwaltungsverfahrens 1267, insbesondere etwa die notwendige Anhörung Beteiligter gem. § 28 VwVfG, hingegen derart auf die materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungskakts aus - „Verfahrensfehler i.w.S." - , daß entsprechend § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO eine „weitere Sachaufklärung" zur 1263

Vgl. statt aller Kopp, VwVfG, § 46, Rdnr. 24. Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 25; vgl. auch Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 780. 1265 Tipke/Kruse, AO u. FGO, § 100, Rdnr. 17. 1266 So mit Nachdruck die Regierungsbegründung: BTDrS 10/3437, S. 133 und BTDrS 11/7030, S. 29 f.: „in besonders gelagerten Fällen". 1267 Vgl. BTDrS 10/3437, S. 133: „Das Gericht kann sich nach Satz 1 auf die Aufhebung des Verwaltungsakts und der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf nur beschränken, wenn im Verwaltungsverfahren die erforderliche Sachaufklärung unterblieben ist, was nicht auf einem Verschulden der Behörde beruhen muß." 1264

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. Teil Tatbestandserfüllung

Art. 100 Abs. 1 GG

abschließenden Rechtslagenbeurteilung erforderlich ist 1268 , so rechtfertigt sich nach dieser Vorschrift eine Aufhebung, und es entsteht Raum für „einstweilige Regelungen" gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO. Für den diesen „Regelungen" zugrundeliegenden Entscheidungsmaßstab ergeben sich aber aus den vorliegend dargestellten systematischen Erwägungen folgende „Eckpunkte": Zwar steht der Berücksichtigung der materiell-rechtlichen Rechtslage und damit etwaiger Erfolgsaussichten in einer abermaligen, späteren Hauptsacheklage, soweit sich solche bereits absehen lassen sollten, per se nichts entgegen. Die Annahme einer evidenten Rechtslage verbietet sich hingegen aus logischen Gründen, da ansonsten - mangels Erforderlichkeit „erheblicher ... weiterer Sachaufklärung" zur Beurteilung der materiellen Rechtslage - keine Aufhebungs-Entscheidung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO in Frage gekommen wäre, die § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO aber zwingend voraussetzt. Im übrigen legt § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO aus systematischen Gründen auch für die „einstweiligen Regelungen" nach Satz 2 die „Berücksichtigung der Belange der Beteiligten" und damit letztlich eine umfassende Interessenabwägung nahe. In diese können dann die vorstehend erörterten Erfolgsaussichten freilich unterhalb der „Evidenz-Schwelle" - eingestellt werden. Dieser von den Regelungen der §§ 80 Abs. 5 und 123 Abs. 1 S. 1 und 2 VwGO - jedenfalls in Nuancen - abweichende Entscheidungsmaßstab entspricht auch der eigenständigen Stellung von § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO im System vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes nach der VwGO 1 2 6 9 . Überdies rechtfertigt sie sich aus der - nach Baur vorzunehmenden1270 - Qualifizierung der Regelung des § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO als sog. „sekundärem" Rechtsschutz. Schließlich ergehen vor Erlaß einer entsprechenden einstweiligen Anordnung zum einen der angegriffene Verwaltungsakt seitens der Behörde und zum anderen die Verwaltungsakts-Aufhebungs-Entscheidung durch das Verwaltungsgericht gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO, mithin zwei „autoritative Rechtslagenentscheidungen", wenngleich erstere nicht durch einen unbeteiligten Dritten und letztere nur aufgrund partieller Rechtswidrigkeitsfeststellung erfolgen. Jedenfalls rechtfertigt sich von daher - gem. Baur 1271 - eher eine Hintanstellung der kraft Natur der Sache - s. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO - ohnehin nicht abschließend klärbaren Frage nach der bestehenden Rechtslage.

1268 Tipke/Kruse, AO u. FGO, § 100, Rdnr. 17: „Unabhängig davon, ob das FA bereits etwas aufgeklärt hat und wieviel es bereits aufgeklärt hat: entscheidend ist, ob die noch erforderlichen Ermittlungen nach Art und Umfang erheblich sind." 1269

Vgl. § 3 Ε. I. S. Studien, S. 8 ff., 9 f. - Vgl. auch bereits § 3 C. vor I. 1271 Studien, S. 14 ff., 20: grundsätzlich sei bei sekundärem einstweiligen Rechtsschutz für eine materiell-rechtliche Prüfung kein Raum. 1270

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

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3. Sonstige „Fehler" Wenngleich die zuletzt genannte Fallgruppe wohl die vom Gesetzgeber primär bedachte, „typische Fallgestaltung"1272 umschreiben dürfte, kommt entsprechend dem ausdrücklichen Abweichen vom Vorbild des § 100 Abs. 2 S. 2 FGO a.F. sowie nach dem expliziten Wunsch des Gesetzgebers1273 eine Tatbestandserfüllung bzgl. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO - und mithin als Voraussetzung für „einstweilige Regelungen" nach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO - darüber hinaus auch in Betracht, wo etwa eine Ermessensentscheidung erging, „bei der die Behörde eine Tatbestandsvoraussetzung verkannt hat, die aber, sollte sich eine andere Voraussetzung als gegeben herausstellen, dennoch im Ergebnis rechtmäßig sein kann"1274. Gleiches gilt zudem etwa bei Ermessensnichtgebrauch oder „Es reicht beispielsweise auch aus, daß das Gericht die Rechtslage, die Anlaß für weitere Ermittlungen sein kann, anders beurteilt als die Verwaltung"1275. Soweit in diesen Fällen nach richterlichem Dafürhalten die abschließende Rechtslagenbeurteilung eine weitere „erhebliche ... Sachaufklärung" erforderlich machen sollte, und diese zudem „sachdienlich" besser von der Verwaltung zu besorgen sein sollte, kommt demnach ebenfalls eine Aufhebung und Zurückverweisung gem. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO und nachfolgend der Erlaß „einstweiliger Regelungen" gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO in Betracht. Hinsichtlich des Entscheidungsmaßstabs gelten dabei die zu den „Verfahrensfehlern i.w.S." dargestellten Grundsätze entsprechend.

4. Zwischenergebnis Als Entscheidungsmaßstab für den gerichtlichen Erlaß „einstweiliger Regelungen" gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO kommt eine Abwägung der „Belange der Beteiligten" (vgl. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO), d.h. eine umfassende Interessenabwägung in Betracht, in die materiell-rechtliche Gesichtspunkte miteinfließen können1276. Die Annahme einer evidenten Rechtslage seitens des Gerichts scheidet jedoch aus systematischen Gründen - vgl. § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO aus.

1272

So Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 25. 1273 B T D r S jo/3437, S. 133; 11/7030, S. 30: „Anders als im geltenden § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Feststellung wesentlicher Verfahrensmängel nicht erforderlich." 127 4 Redeker/von Oertzen, VwGO, § 113, Rdnr. 25. 1275 B T D r S n/7030, S. 30; ähnlich bereits BTDrS 10/3437, S. 133. 1276 Ähnlich Kopp, VwGO, § 113, Rdnr. 69 a, durch „analoge Anwendung der Grundsätze des § 80, insbesondere auch hins. der zu treffenden Int. -abwägung."

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. Teil Tatbestandserfüllung

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Art. 100 Abs. 1 GG

Konsequenzen für die „Entscheidungserheblichkeit i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG

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Die die vorliegende Untersuchung an dieser Stelle bestimmende Fragestellung nach der „Entscheidungserheblichkeit" von Normen im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes ist im Falle des § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO in Übereinstimmung mit den bereits erörterten Fallgestalltungen1277 danach wie folgt zu beantworten: Alle für die Zulässigkeit des entsprechenden Verfahrens relevanten Vorschriften - primär also § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO selbst - sind als „Entscheidungserheblich" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG anzusehen. Materiell-rechtliche, die Entscheidung in der entsprechenden - durch die Aufhebung und Zurückverweisung beendeten1278, aber auch auf den Erlaß des neuen Verwaltungsakts abermals eingelegten - Anfechtungsklage maßgebliche Normen, werden hingegen im Rahmen von Entscheidungen gem. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO nicht angewandt. Auf etwaige materiell-rechtliche Erwägungen i.S. etwa bereits absehbarer Hauptsache-Erfolgsaussichten kommt es „bei der Entscheidung" nicht entscheidend an. Sie sind als Topoi allenfalls im Rahmen einer umfassenden Abwägung der „Belange der Beteiligten" berücksichtigungsfähig. Die Annahme von evidenter Rechtslage, die die „einstweiligen Regelungen" ggf. in der einen oder anderen Richtung bestimmen könnten, scheidet i.R.v. § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO aufgrund des Zusammenhangs mit der eine solche Annahme ausschließenden Regelung des § 113 Abs. 3 S. 1 VwGO aus. „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG kommt also bei „einstweiligen Regelungen" nach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO nur hinsichtlich der für die Zulässigkeit des Antrags maßgeblichen Normen, nicht hingegen bzgl. etwaiger, für die Begründetheit entsprechender Hauptsacheverfahren der Anfechtungsklage bestimmender materiell-rechtlicher Normen in Betracht.

F. Zusammenfassung Vorläufige verwaltungsgerichtliche Rechtsschutzmaßnahmen fallen unter den von Art. 100 Abs. 1 GG vorausgesetzten „Gerichts"- bzw. Rechtsprechungsbegriff 219. Unter „Entscheidungen" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG sind alle ein gerichtliches Verfahren ganz oder einen in den Prozeßgesetzen verselbständigten Ver1277

Vgl. § 3 Β. I. 3., II. 3., § 3 C. VI. und § 3 D. II. Deutlich insoweit BTDrS 11/7030, S. 30: „Die gerichtliche Entscheidung nach Absatz 3 beendet prozessual die Instanz, auch wenn sie in der Sache nicht abschließend ist." 1279 Vgl. §2. 1278

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

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fahrensteil ggf. auch nur vorläufig beendende Gerichtshandlungen zu verstehen, folglich auch solche vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes 1280 . Bei diesen Entscheidungen muß es aber gem. Art. 100 Abs. 1 GG auf die Gültigkeit einer Norm „ankommen", diesselbe muß als „EntscheidungserAefe//cA" qualifiziert werden können. Dies ist im Hinblick auf die Aufgabenverteilung zwischen den Fachgerichten einerseits und dem Bundesverfassungsgericht andererseits entsprechend dem Grundgedanken der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit 1281 allerdings nur zu bejahen, wo die jeweiligen Annahmen von Gültigkeit bzw. Ungültigkeit durch das entscheidungsberufene Gericht zu einer „anderen Entscheidung" zwingen 1282 , folglich etwa grundsätzlich nicht bei alternativer Begründbarkeit desselben Ergebnisses. Dementsprechend kann bzgl. der Möglichkeit der Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG im Rahmen vorläufiger verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen Folgendes festgehalten werden: „Entscheidungserheblich" sind jedenfalls alle die Zulässigkeit bzw. das Verfahren regelnden Vorschriften vorläufigen Rechtsschutzes - insbesondere also etwa §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 3, 123, 47 Abs. 8, 113 Abs. 3 S. 2 VwGO. Materiell-rechtliche, die entsprechenden Hauptsache-Entscheidungen determinierende Vorschriften können demgegenüber aufgrund den nach einfachem Recht zu bestimmenden1283 und vorstehend herausgearbeiteten Entscheidungsmaßstäben für die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen nur ausnahmsweise als solcherart „entscheidungserheblich" im Rahmen vorläufigen Rechtsschutzes qualifiziert werden: Im Rahmen der Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 - bzw. § 80 a Abs. 3 VwGO ist dies dann möglich, wenn in den Fällen der §§80 Abs. 2 Nrn. 2 - 4 , 187 Abs. 3 VwGO das Gericht aufgrund der Annahme evidenter Verfassungswidrigkeit einer den Verwaltungsakt eigentlich stützenden Norm auch von evidentem - potentiellem - Hauptsacheerfolg des Antragstellers im Rahmen einer Anfechtungsklage ausgeht. Zudem muß aber auch eine alternative Be-

1280

S. hierzu § 3 Α. I. S. etwa BVerfGE 47,146, 154; 55, 244, 247; 77, 381, 401 (m.w.Nw.); NJW 1992, S. 2749, 2750. - Überzogen ist es, diesen Topos generell als „Vorlage-verhindernden Grundsatz" (so Sachs, JuS 1993, S. 419) zu apostrophieren, da - wie gezeigt werden konnte - die Tatbestandserfüllung trotzdem keineswegs ausgeschlossen ist. Erst recht gilt dies für die vorliegend nicht näher zu erörternden Hauptsache verfahren. 1282 S. § 3 A. II. 1283 S. § 3 A. II. 1281

234

. Teil Tatbestandserfüllung

Art. 100 Abs. 1 GG

gründbarkeit desselben Ergebnisses im Wege einer unabhängig von der Erfolgsaussichten-Prognose durchgeführten Interessenabwägung ausscheiden1284. Entsprechendes gilt in den Konstellationen der §§ 80 Abs. 2 Nrn. 2 u. 3, 187 Abs. 3 VwGO - d.h. gesetzlich vermuteter, besonderer Dringlichkeit - bei Bejahung offensichtlicher Mißerfolgsaussichten aufgrund der Annahme der Verfassungswidrigkeit einer der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts eigentlich entgegenstehenden Norm. Bei §§80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ist dies hingegen wegen § 80 Abs. 3 VwGO grundsätzlich nicht möglich, da stets ein besonderes öffentliches oder privates Dritt-Interesse gerade an sofortiger Vollziehung des Verwaltungsakts in jedem Einzelfall positiv festgestellt werden muß. Denkbar ist „Entscheidungserheblichkeit" in diesen Fällen allenfalls, wenn nach richterlicher Überzeugung im Einzelfall die angenommene Verfassungswidrigkeit eine notwendige Bedingung für die gerichtliche „Aussetzungs"-Entscheidung darstellen sollte - mit anderen Worten „das Zünglein an der Waage" darstellen sollte. §§ 80 Abs. 5 i.V.m. 80 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4 S. 3 VwGO schließen in den Fällen sofortiger Vollziehbarkeit bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten aufgrund der de lege lata für eine diesbezügliche Aussetzungsentscheidung hinreichenden „ernstlichen Zweifel" eine Tatbestandserfüllung der „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG stets aus 1285 . Bei Entscheidungen über den Erlaß von Sicherungs- bzw. Regelungsanordnungen gem. § 123 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 VwGO kann angesichts der kraft gesetzgeberischer Entscheidung ausdrücklich stets zu fordernden kumulativen Tatbestandsmerkmale von lediglich glaubhaft zu machenden Anordnungsanspruch sowie Anordnungsgrund nur selten von „Entscheidungserheblichkeit" obgenannter materiell-rechtlicher Vorschriften i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG gesprochen werden 1286; dies etwa dann, wenn das Gericht im Einzelfall ohne Annahme evidenter Verfassungswidrigkeit einer dem Anordnungsanspruch eigentlich entgegenstehenden Norm die erforderliche „Dringlichkeit" verneinen müßte; oder etwa auch dann, wenn das Gericht ausschließlich aufgrund praesumtiv evidenter Verfassungswidrigkeit einer den Anordnungs-Anspruch eigentlich begründenden bzw. stützenden Norm den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gem. § 123 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 VwGO ablehnen müßte. Hinsichtlich von Entscheidungen des OVG/VGH über Anträge nach § 47 Abs. 8 VwGO kommt eine solche „Entscheidungserheblichkeit" ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das OVG/VGH entweder erst aufgrund der Annahme evidenter Verfassungswidrigkeit entsprechender Normen und daraus resultierender Begründetheit eines etwaigen Hauptsache-Normenkontrollverfahrens 1284 s. § 3 β. II. 3. - v.a. - d). S. § 3 Β. I. 4.

1285

1286 s

§

3c

V I

3

§ 3 Die sog. „Entscheidungserheblichkeit"

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von „dringendem Gebotensein" einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 8 VwGO glaubt ausgehen zu können oder aber, wenn das Gericht trotz vorheriger Bejahung des Drohens „schwerer Nachteile" oder „anderer wichtiger Gründe" und Annahme einer - von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache abstrahierten - besonderen Dringlichkeit dennoch vom Fehlen „dringenden Gebotenseins" i.S.v. § 47 Abs. 8 VwGO ausgehen will; und zwar, weil es ein etwaiges Hauptsache-Normenkontrollverfahren gem. § 47 Abs. 1 VwGO aufgrund praesumtiv evidenter Verfassungswidrigkeit eines der angegriffenen untergesetzlichen Norm eigentlich entgegenstehenden höherrangigen Gesetzes, und daher wegen evidenter Gültigkeit der angegriffenen untergesetzlichen Norm für offensichtlich erfolglos hält 1287 . Gleiches gilt für jene Länder, welche die Vorlagepflicht über Art. 100 Abs. 1 GG hinaus auch auf nur-materielle (Landes-) Gesetze erstreckt haben, falls das OVG/VGH nur aufgrund des Aspekts vermeintlich offensichtlicher Verfassungswidrigkeit der im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren anzugreifenden, aber auch selbst vorlagefähigen Norm von der für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 8 VwGO erforderlichen besonderen Dringlichkeit glaubt ausgehen zu können. Mangels der aus systematischen Gründen ausgeschlossenen Möglichkeit einer Annahme evidenter Rechtslage ist schließlich im Zuge des Erlasses „einstweiliger Regelungen" nach § 113 Abs. 3 S. 2 VwGO die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der „Entscheidungserheblichkeit" i.S.v. Art. 100 Abs. 1 GG bzgl. voraussichtlich für eine etwaige - abermalige - Anfechtungsklage maßgeblichen materiell-rechtlichen Normen generell ausgeschlossen1288.

1287 1288

S. § 3 D. III. S. § 3 E. III.

3. Teil Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des Art. 100 Abs. 1 GG im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes Kommt es bei verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidungen also jedenfalls für die Beurteilung der Zulässigkeit sowie mitunter auch für die Begründetheit - auf die Gültigkeit bzw. Ungültigkeit bestimmter (formeller, nachkonstitutioneller)1 Gesetze an, so ist nach dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 GG das Ausgangsverfahren „auszusetzen und wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichts des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetzs handelt." Dann gilt aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: „Soweit das allgemeine Prozeßrecht keine Möglichkeiten enthalten sollte, ohne Beeinträchtigung der Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts den Parteien im Ausgangsverfahren zu helfen,"2 und das zur Entscheidung berufene Verwaltungsgericht eine entsprechende Rechtsnorm mit höherrangigem Recht für unvereinbar hält, so „kann es sein Verfahren nur noch in einer Weise fördern, nämlich durch Aussetzung und Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht; jede andere das Verfahren weiterführende Entscheidung verbietet Art. 100 GG. ... Art. 100 Abs. 1 GG enthält demnach - prozeßrechtlich formuliert - ein zwingendes Verfahrenshindemi s besonderer Art"3. 1 D.h. Vorschriften, wie Art. 100 AbS. 1 GG sie fordert bzw. Vorschriften, die den Art. 100 AbS. 1 GG parallelen, insoweit z.T. indes partiell divergierenden landesrechtlichen Verfahren entsprechen. - Siehe bereits § 1 A. 2 BVerfGE 34, 320, 323. 3 So BVerfGE 34, 320 (Leitsatz) und S. 324 gegen ein „Vorbehaltsurteil" des BAG (Vgl. hierzu eingehend § 7 C. VII. 3.). - Vgl. etwa auch Beihge, NJW 1973, S. 2100; Klein, £., in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rdnrn. 695, 708, 707; Klein, H., in: Umbach/Clemens, BVerfGG, vor

§ 4 Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

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Eine solche Aussetzungs- und Vorlagepflicht 4 vor das jeweils zuständige Verfassungsgericht drohte in Eilverfahren durch die dadurch hervorgerufene zeitliche Verzögerung 5 die Möglichkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu unterlaufen, d.h. gänzlich unmöglich zu machen6. Ein Konflikt mit der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zeichnet sich insoweit ab.

§ 4 Kollision zwischen Art 100 Abs. 1 GG und Art 19 Abs. 4 S. 1 GG? Eine Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG setzte zunächst die Anwendbarkeit beider Vorschriften auf die gleichen Sachverhalte voraus. Denn nur sofern beide Vorschriften tatbestandlich anzuwenden sein sollten und zugleich in ihren Rechtsfolgen zu unvereinbaren Ergebnissen kommen sollten, könnte in der Tat von einer Kollisionslage ausgegangen werden7. Die - jedenfalls auch bestehende - Möglichkeit der Tatbestandserfüllung und mithin Anwendbarkeit des Art. 100 Abs. 1 GG im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes wurde bereits festgestellt 8. Zu klären bleibt demnach zunächst, inwieweit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf die vorliegend untersuchten Fallkonstellationen Anwendung findet und ggf. sodann, ob aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG inhaltliche Vorgaben für etwaige Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor den Verwaltungsgerichten abzuleiten sind.

§80, Rdnr. 25; eingehend Pestalozzi JuS 1981, S.649, 651; Stern, in: BK, GG, Art. 100, Rdnr. 195 (: „Entscheidungssperre"); Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu u.a., BVerfGG, § 80, Rdnrn. 283 (: „auferlegte Sperre") u. 287. - Kritisch zum Terminus „Verfahrenshindernis besonderer Art" aber Bettermann, BVerfG u. GG, Bd. I, S. 323, 368. 4 Die bloße rechtliche Möglichkeit einer Vorlage, ohne korrespondierende Verpflichtung der Gerichte - wie etwa in Art. 177 AbS. 2 EGV (hierzu unter § 9) kennt das deutsche Recht nicht. Vgl. insoweit aber auch Kopp, VwGO, § 123, Rdnr. 19, der sich diesbezüglich erkennbar zu unrecht auf die Entscheidung BVerfG, BayVBl. 1983, S. 465 beruft (dort ist im übrigen nur der erste amtliche Leitsatz abgedruckt - vollständig abgedruckt ist die Entscheidung aber in der amtlichen Sammlung Bd. 63, S. 131; S. dort v.a. S. 141). 5 S. nur Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 1599. 6 So deutlich Schenke, Rechtsschutz, S. 345. 7 Nach Larenz, Methodenlehre, S. 266 ff., S. 267 (Fn 25) empfiehlt sich „als zusammenfassender Ausdruck für alle Fälle des Zusammentreffens mehrerer Rechtssätze ... der Ausdruck .Normen-Konkurrenz'." - Abweichungen in der Sache ergeben sich daraus jedoch nicht. 8 Vgl. eingehend § 2 u. 3.

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3. Teil Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des Art. 100 Abs. 1 GG

A. Art 19 Abs. 4 S. 1 GG Rechtsschutz nur nach Maßgabe der Prozeßordnungen? Eine Kollisionslage zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG müßte von vornherein ausscheiden, wenn man letztgenannter Vorschrift ausschließlich Bedeutung nach Maßgabe der Prozeßordnungen zubilligte. Denn als eine auf alle Verfahrensordnungen einwirkende verfassungsrechtliche Vorschrift 9 modifizierte danach ggf. Art. 100 Abs. 1 GG nur den bestehenden, von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als solchen aber vom Betroffenen „hinzunehmenden" Rechtsweg. Es gilt daher zunächst den Gewährleistungsgehalt von Art. 19 Abs. 4 GG etwas näher zu betrachten.

I. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG als Rechtsweggarantie Nach dem Wortlaut von Art. 19 Abs. 4 Sätze 1 u. 2 GG garantiert diese Vorschrift jedermann das „Offenstehen des Rechtsweges", jedenfalls desjenigen vor die ordentlichen Gerichte10, soweit der Antragsteller eine Verletzung in seinen Rechten durch die öffentliche Gewalt geltend macht. Diese Regelung stellt danach nicht nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates - etwa i.S. eines Gesetzgebungsauftrags 11 - zur Vorhaltung von Rechtsschutz und damit zur Einrichtung einer Gerichtsbarkeit überhaupt dar, sondern enthält vielmehr ein eigenständiges subjektives Grundrecht auf Individualrechtsschutz12 i.S. einer Verbürgung des Zugangs, eines Verfahrens und einer gerichtlichen Entscheidung für den Einzelnen13. Soweit danach der Gesetzgeber untätig bliebe, d.h. keinen Rechtsweg zur Verfügung stellte, oder aber etwa bereits geschaffene Rechtswege sperrte 14, käme ein unmittelbarer Rückgriff auf die Gewährleistung Art. 19 Abs. 4 GG in Betracht15.

9

S. nur BVerfGE 47,146,155. Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 2/3 spricht davon, daß die praktische Bedeutung dieser Subsidiaritätsregelung spätestens seit Einführung der Generalklausel des § 40 AbS. 1 VwGO „gen Null tendieren" dürfte. 11 Dazu statt vieler Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 999 ff.(m.w.Nw.). 12 Statt aller Krebs, in: v.Münch/Kunig, GGK, Art. 19, Rdnr. 49; sowie Lorenz, AöR Bd. 105 (1980), S. 623,633: „Recht auf Rechtsschutz ... Inhalt einer selbständigen Verbürgung". 13 S. Goerlich, Grundrechte, S. 328; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 1079. 14 BVerfGE 22,49, 81 f.; 27, 297, 310. - Hierzu Lorenz, Rechtsschutz, S. 254, 286. 15 So Lorenz, Rechtsschutz, S. 254 u. 286; Schenke, Rechtsschutz, 414; ders., Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 1064; Schmidt-Aßmann, Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 273 (m.w.Nw.). - Vgl. auch Bethge, KritV 1990, S. 9, 12 f. 10

§ 4 Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

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Ein umfassender Gesetzesvorbehalt i.R.v. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG hinsichtlich des „Ob" der Gewährung von Individualrechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt, wie ihn letztlich eine nur nach Maßgabe der Prozeßordnungen anzuerkennende ,»Rechtsweggarantie"16 darstellte, läßt sich insoweit jedenfalls mit dem Wortlaut nicht vereinbaren, ließe vielmehr dieses „formelle Hauptgrundrecht" 17 weitgehend leerlaufen 18. Das „Ob" einer Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG entsprechenden Rechtsweges ist folglich „absolut" gewährleistet und nicht nur nach Maßgabe der jeweiligen Prozeßordnungen. Dem stünde indessen die Vorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG im Rahmen vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes auch nicht entgegen. Die dadurch bewirkte Verzögerung vorläufiger Rechtsschutzgewährung änderte nichts am grundsätzlichen „Offenstehen" eines entsprechenden Rechtsweges. Die Frage einer etwaigen Vorlagepflicht in den hier erörterten Fallkonstellationen betrifft vielmehr das „Wie", d.h. die Ausgestaltung des unstreitig gewährleisteten Rechtsweges.

IL Ausgestaltung des verfassungsmäßig gewährleisteten durch das einfache Prozeßrecht

Rechtsweges

Demgegenüber enthält der Wortlaut von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG hinsichtlich des „Wie" der Ausgestaltung des somit verfassungskräftig garantierten Rechtsweges „keine aus sich heraus vollziehbare Aussage; um Wirklichkeit und Wirksamkeit zu gewinnen, bedarf es vielmehr der Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der den als Schutzeinrichtung garantierten Rechtsweg, auch den subsidiär und unmittelbar garantierten ordentlichen, erst einmal zur Verfügung zu stellen hat. Der Gesetzgeber muß hier also nicht nur in seiner, ihm allgemein obliegenden, begrenzenden und ausgestaltenden Funktion tätig werden, sondern er ist schon zu der davorliegenden Prägung des Gesetzesrechts berufen." 19 Insoweit ist es daher grundsätzlich möglich, auf den „rechts- bzw. normgeprägten Schutzbereich" von Art. 19 Abs. 4 GG zu verweisen20, demzufolge 16

Eingehend Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 229 ff. Bethge, KritV 1990, S. 9, 12; Finkelnburg, FG BVerwG, S. 169, 170; Schenke, Rechtsschutz, S. 101. 18 Zutreffend Schenke, Rechtsschutz, S. 101. - A.A. BVerwG, DöV 1965, S. 169. 19 Lorenz, Rechtsschutz, S. 253/254. 20 So v.a. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnrn. 1080, 1096 f. - S. aber auch BVerwG, DöV 1965, S. 169. - Vgl. hierzu auch Lorenz, Rechtsschutz, S. 255: es sei festzuhalten, daß „Rechtsschutz prinzipiell nur unter den von den geltenden Verfahrensordnungen gestellten Voraussetzungen gefordert werden kann." (S. auch S. 285); derS. AöR Bd. 105 (1980), S. 623, 634 f.; Schoch, 17

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3. Teil Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des Art. 100 Abs. 1 GG

Art. 19 Abs. 4 GG keine bestimmte Ausgestaltung des Rechtsweges - beispielsweise etwa i.S. eines Instanzenzuges21 - determiniere. Vielmehr überläßt Art. 19 Abs. 4 GG in der Tat die nähere Ausgestaltung dieses Rechtsweges den jeweiligen Prozeßordnungen22. Dementsprechend können aber auch „Die mit der Etablierung eines geordneten Verfahrens notwendig einhergehenden Belastungen für den rechtsschutzsuchenden einzelnen, die am Maßstab eines rein theoretisch abstrakt vorgestellten Denkmodells »Rechtsschutz4 als Erschwerungen erscheinen, ... nicht etwa als Beschränkungen des Rechtsschutzes (nach Art. 19 Abs. 4 GG) qualifiziert werden"23. Hinsichtlich der Ausgestaltung, d.h. für das „Wie" der Gewährung von Individualrechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt, besitzt der Gesetzgeber sonach einen weiten Regelungsspielraum24. Art. 19 Abs. 4 GG wird insoweit also grundsätzlich erst durch die jeweilige Prozeßordnung konkretisiert, hier somit maßgeblich durch die - durch Art. 100 Abs. 1 GG modifizierte - Verwaltungsgerichtsordnung.

III. Das sog. „Gebot effektiven

Rechtsschutzes"

Das bloße „Offenstehen des Rechtsweges" alleine wäre für den Betroffenen jedoch offensichtlich wirkungslos, wenn die Gerichte inhaltlich nicht prüfen müßten oder aber beliebig viel Zeit dafür in Anspruch nehmen könnten25. Daher garantiert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und nach der insoweit zustimmenden Lehre 26 Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

vorläufiger Rechtsschutz, S. 1000 u. 1606; vgl. auch Jarass, in Jarass/Pieroth, GG, Art. 19, Rdnr. 30 a; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 338. 21 BVerfGE 4, 74, 95 f.; 11, 232, 233; 28, 21, 36; 40, 272, 274 f.; 45, 363, 375; 54, 143, 143; 65,76, 90; 78,7,19 (st.Rspr.). - S. auch hierzu Schenke, in: BK, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 58 f. 22 S. nur BVerfGE 40, 272, 274 f.; NJW 1994, S. 160. 23 Lorenz, Rechtsschutz, S. 253/254. - Sowie Pieroth/Schlink, Grundrechte, 9. Auflage, 1993, Rdnrn. 1094 u. 1111; ähnlich 10. Auflage, 1994, Rdnrn. 1080,1096 f. 24 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19, Rdnrn. 30 a u. 39. 25 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 1092. 26 Kritik wird diesbezüglich allenfalls insoweit geäußert, als das „Gebot effektiven Rechtsschutzes" qua extensiver Handhabung und zu weitreichenden „Deduktionen" quasi „inflationär" bemüht werde: Lorenz, Rechtsschutz, S. 150 (Fn. 84); ders., AöR Bd. 105 (1980), S. 623, 636 ff. (: zur Effektivität als „Leerformel"); Papier, HdbStR, Bd. VI, S. 1234 ff., Rdnrn. 8 u. 52; kritisch auch zur „Überdehnung des Prinzips der Rechtsschutzeffektivität" sowie dem bisweilen darüber hinaus zudem auch abgeleiteten allgemeinen Verrechtlichungsgebot: Schenke, JZ 1988, S. 317, 325/326; v.a. aber Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 3 , 4 u. 5; eingehend ders., NVwZ 1983, S. 1, 2 u. 6, der im übrigen stattdessen für den Terminus „Gebot ausgewogenen Rechtsschutzes"plädiert; ihm insoweit folgend Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 186 f. u. 1013 ff.

§ 4 Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

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nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit,... die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes"27, „nicht

i.S. gewisser „Mindestrechtsschutzstandards"28. Mit anderen Worten: Art. 19 Abs. 4 GG „gewährleistet auch den substantiellen Anspruch des Bürgers auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle"29. „Denn nur so kann - dies ist der unausgesprochene Sinn dieses ... axiomatisch gebrauchten Satzes - die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ihren Zweck, Rechtsschutz - und das ist vor allem auch Grundrechtsschutz - ... zu gewähren, erfüllen. Effektivität des Rechtsschutzes heißt aus der Sicht des Art. 19 Abs. 4 GG tatsächlich wirksamer Rechtsschutz, der, wie es das BVerfG formuliert, umfassend und möglichst lückenlos ist"30. Dieser Anspruch auf „effektiven Rechtsschutz" stellt eine eigenständige grundrechtliche Verbürgung dar 31. Danach darf aber die Beschreitung des Rechtsweges nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert werden. Denn Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet auch die Effektivität des Rechtsschutzes i.S. eines Anspruchs auf eine „wirksame gerichtliche Kontrolle" 32.

27 St.Rspr.; S. etwa BVerfGE 35, 263, 274; 35, 382,401; 40, 237, 265 f.; 40, 272, 274 f.; 41, 23, 26; 46, 166, 178; 51, 268, 284; 65, 1, 70; 81, 123, 129; 84, 34, 49. - Zur „Effektivität als Rechtsbegriff 4 , insbesondere auch zum „Gebot effektiven Rechtsschutzes" S. etwa H. -W. Arndt, Praktikabilität und Effizienz, S. 102 ff., 105 ff.und 137 ff.; oder statt vieler beispielsweise auch Lorenz, AöR Bd. 105 (1980), S. 623,633 ff. 28 Krebs, in: v.Miinch/Kunig, GGK, Art. 19, Rdnr. 64; ebenso Schmidt-Aßmann, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 14(: „verfassungsfester Mindestrechtsschutzstandard"). - Eingehend auch Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 990 ff., 994 ff. 29 BVerfGE 40, 272, 274 f.; 41, 23, 26; 60, 253, 296 f.; 65, 1, 70; 77, 275, 284; 81, 123, 129; 84, 34,49; 84, 59,77; NJW 1994, S. 160; NJW 1995, S. 2477. 30 Finkelnburg, FG BVerwG, S. 169, 170. 31 S. etwa Bethge, KritV 1990, S. 9, 9 u. 17 f.; Bettermann, Grundrechte, Bd. m/2, S. 779,783; Finkelnburg, FG BVerwG, S. 169, 170; Finkelnburg/Jank, vorläufiger Rechtsschutz, Rdnr. 3 (: „Rang einer grundrechtlich gewährleisteten Verfahrensgarantie"); Goerlich, Grundrechte, S. 324 u. 328; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 338; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 19, Rdnrn. 19 (: „Leistungsrecht"); Krebs, in: v.Münch /Kunig, GGK, Art. 19, Rdnrn. 49 u. 62; Lorenz, AöR Bd. 105 (1980), S. 623, 624 u. 633 sowie 641 f.; Schenke, in: BK, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 383 ff., 412 ff.(: „ein dem status positivus zuzuordnendes Recht"); ders., JZ 1988, S. 317, 319, 322, 324; im Ergebnis ebenso, wenngleich differenzierend: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 262 ff; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Brockmeyer, GG, Art. 19, Rdnr. 16 (m.w.Nw.). 32 S. BVerfGE 32, 305, 309; 37, 93, 96; 40, 237, 256 f.; 40, 272, 274 f.; 41, 23, 26; 43, 95, 98; 78, 88, 89; 84, 34, 49 (m.w.Nw.) - S. auch Finkelnburg, FG BVerwG, S. 169, 170; Goerlich, Grundrechte, S. 328: insoweit unterliege Ait. 19 AbS. 4 S. 1 GG zwar grundsätzlich „der Ausgestaltung durch die einzelnen Verfahrensordnungen", aber nur, „soweit deren Hürden angemessen

16 Thomas Schmitt

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3. Teil Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des Art. 100 Abs. 1 GG

Jedenfalls insoweit ist folglich auch ein bestimmtes „Wie" - i.S.v. nicht zu unterschreitenden „Mindestbedingungen"33 - der Ausgestaltung des Individualrechtsschutzes gegen Akte öffentlicher Gewalt von Art. 19 Abs. 4 GG vorgegeben und nicht nur nach Maßgabe der Prozeßordnungen, sondern vielmehr „absolut"34 verfassungskräftig gewährleistet.

B. Art 19 Abs. 4 S. 1 GG und der Rechtsschutz gegen Rechtssetzungsakte Wendet sich der Betroffene im Rahmen eines Antrags nach §§ 47 Abs. 8, 80 Abs. 5, 113 Abs. 3 S. 2, 123 Abs. 1 S. 1 oder 2 VwGO gegen die Gültigkeit einer Norm oder kommt das zur Entscheidung berufene Verwaltungsgericht von sich aus aufgrund seines „Prüfungsrechts" 35 zur Überzeugung, eine für die Entscheidung maßgebliche Vorschrift sei mit höherrangigem Recht unvereinbar, so stellt sich dies letztlich wie in Hauptsacheverfahren, in denen die Gültigkeit und damit die Anwendbarkeit gesetzlicher Bestimmungen vorfrageweise relevant werden, als ein Fall des - inzidenten - Rechtsschutzes gegen Rechtssetzungsakte36 dar. Inwieweit solcher Rechtsschutz gegen Rechtssetzungsakte Art. 19 Abs. 4 GG überhaupt unterfällt, ist nach wie vor umstritten.

/. Anwendbarkeit

von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf Rechtssetzungsakte?

1. Gegner einer Erstreckung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auf Rechtssetzungsakte Namentlich das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederholt gegen eine Einbeziehung des Rechtsschutzes gegen Rechtssetzungsakte - und dabei insbe-

sind. Effektiver Rechtsschutz muß gewahrt bleiben"; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 338; eingehend hierzu auch Lorenz, AöR Bd. 105 (1980), S. 623,631 f. 33 So Goerlich, Grundrechte, S. 328 oder auch S. 325 (:„Grenzfunktion"). - Zu diesen „Mindeststandards" auch eingehend Schoch, vorläufiger Rechtsschutz, S. 999 ff., 1001; Wieseler, vorläufiger Rechtsschutz, S. 197. 34 Goerlich, Grundrechte, S. 328. 35 S. bereits § 1 A. 36 Hierzu etwa Bettermann, Grundrechte, Bd. III/2, S. 779 ff.; v.Engelhardt, Der Rechtsschutz gegen Rechtsnormen; Krebs, in: v.Münch/Kunig, GGK, Art. 19, Rdnr. 56; Lorenz, Rechtsschutz, S. 162 ff.; v.Mangoldt/Klein, GG, Art. 19, Anm. V I I 2 d; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 1083 (differenzierend zwischen nur-materieller und formeller Gesetzgebung); eingehend Schenke, Rechtsschutz; sowie ders., in: BK, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdrn. 249 ff.; ders., Verwaltungsprozeßrecht, Rdnrn. 1059 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 93 ff.; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Brockmeyer, GG, Art. 19, Rdnr. 26; Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 37 ff.

§ 4 Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

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sondere hinsichtlich formeller Gesetze37 - in den Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG ausgesprochen38. Zur Stützung seiner Ansicht hat es darauf verwiesen, „die Gesetzgebung gehört nicht zur »öffentlichen Gewalt4 im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG"39, vielmehr rechne dazu ausschließlich die Verwaltung 40. Dies werde nämlich durch die Regelungen der Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 100 GG sowie - seit der Verfassungsnovelle vom 29. 1. 1969 (BGBl. I, S. 97) Art. 93 Abs. 1 Nrn. 4 a und b GG deutlich, die den Rechtsschutz gegen bzw. genauer die richterliche Überprüfung von Rechtssetzungsakten abschließend geregelt hätten41. Andernfalls könne womöglich auch ein einfaches, ordentliches Gericht gem. Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG über die Gültigkeit einer Norm verbindlich befinden 42. Nach Art. 20 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG solle das Gesetz aber Grundlage und nicht Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen sein43. Außerdem gewähre Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz auch nur nach Maßgabe der Rechtsordnungen44. Zuletzt widerspräche ein (unmittelbarer) Rechtsschutz gegen Rechtssetzungsakte auch der - bereits in der konstitutionellen Monarchie nachweisbaren - Verfassungstradition 45.

37 Vgl. BVerfGE 45, 297, 334 (offengelassen hinsichtlich untergesetzlichen Vorschriften) einerseits, aber auch £ 1, 91, 97 andererseits (für eine Einbeziehung untergesetzlicher Vorschriften). - Ausdrücklich für eine Einbeziehung solcher Rechtsnormen in Art. 19 AbS. 4 GG nunmehr: BVerwGE 80, 355, 361 u. N V w Z 1990, S. 162, 163. 38 BVerfGE 24, 33,49 ff.; 24, 367,401; 31, 364, 367 f.; 45, 297, 334. 39 So grundlegend BVerfGE 24, 33,49. 40 BVerfGE 15, 275,280; 24, 33,49. - Finkelnburg, FG BVerwG, S. 169,170. 41 BVerfGE 24,33, 50; S. auch 45,297, 334. - Offengelassen von Bethge, KritV 1990, S. 9, 13. - Vgl. insoweit aber auch Bettermann, Grundrechte, Bd. ΙΠ/2, S. 779, 789; sowie auch dens., AöR Bd. 86 (1961), S. 129, 155; Erichsen, Staats- und Verfassungsgerichtsbarkeit, I, S. 50; Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 337; offengelassen demgegenüber aber von v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 19, Anm. V I I 2 d; Schmidt-Bleibtreu, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Brockmeyer, Art. 19, Rdnr. 26. 42 BVerfGE 24, 33,49/50. - Friesenhahn, FG Verfassungsgerichtshof Österreich, S. 103, 125. 43 BVerfGE 24, 33,50. - Friesenhahn, FG Verfassungsgerichtshof Österreich, S. 103, 125. 44 BVerwG, DöV 1965, S. 169. 45 So BVerfGE 24, 33, 49/50. - S. auch Bethge, KritV 1990, S. 9, 13.

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3. Teil Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des At. 100 Abs. 1 GG

2. Befürworter einer Einbeziehung von Rechtssetzungsakten in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG Demgegenüber wird in der Literatur zunehmend46 eine Anwendbarkeit von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG auch auf Rechtssetzungsakte befürwortet 47. Dafür wird zunächst auf den weiten Wortlaut von Art. 19 Abs. 4 GG — „öffentliche Gewalt" - verwiesen48. „Der Begriff der öffentlichen Gewalt umfaßt nach dem gängigen Sprachgebrauch auch die Gesetzgebung, in welcher sie die hoheitlichen Gewalt des Staates in einer ganz spezifischen, Privaten grundsätzlich verschlossenen Weise artikuliert/*49 Dieser Wortlaut sei zudem insoweit identisch mit Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG 50 . Dort sei aber die Einbeziehung von Rechtssetzungsakten unumstritten. Auch die systematisch-teleologische Auslegung von Art. 19 Abs. 4 GG spreche angesichts von dessen Stellung am Ende des den Grundrechten gewidmeten 1. Grundgesetz-Abschnitts51 eindeutig für eine Erstreckung von Art. 19 Abs. 4 GG auf Rechtssetzungsakte. Schließlich diene diese Vorschrift der „Effektuierung des materiellen Rechts" - v.a., wenngleich nicht ausschließlich in Form der Grundrechte - „durch Rechtsschutz"52. Die Grundrechte schützten aber gem. Art. 1 Abs. 3 GG ausdrücklich auch vor der Gesetzgebung53 und eben nicht nur vor Akten der Verwaltung. Bereits die anzuerkennende subjektive Rechtsqualität der materiellen Grundrechte54 spreche angesichts der bzgl. „subjektiver Rechte" - unabhängig von terminologischen Nuancen inhaltlich - nahezu einhellig vertretenen „Kombinationstheorie", wonach dafür als Essentialia ein rechtlich geschütztes Interesse 46 Vgl. v.a. die Zusammenstellungen bei Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 1063; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 93; Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Ait. 19, Rdnrn. 37 u. 39. 47 So etwa Krebs, in: v.Münch/Kunig, GGK, Art. 19, Rdnr. 56; Schenke, Rechtsschutz, S. 28 ff.; ders. y in: BK, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 249 ff.; ders., VerwArch Bd. 82 (1991), S. 307, 313 ff.; ders. y Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 1063; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 93 ff.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, § 20 IV 5 f.; Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Ait. 19, Rdnr. 38. 48 Vgl. Krebs, in: v.Münch/Kunig, GGK, Art. 19, Rdnr. 56; Schenke, Rechtsschutz, S. 19 (mit umfangreichen Nachweisen; vgl. Fn. 4), S. 29 ff.; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 93; Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Art. 19, Rdnr. 37. 49 Schenke, VerwArch Bd. 82 (1991), S. 307,313/314. 50 So Schenke, Rechtsschutz, S. 33; ders., VerwArch Bd. 82 (1991), S. 307, 314; ebenso Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Art. 19, Rdnr. 37. 51 Dazu Schenke, Rechtsschutz, S. 35 f. 52 Lorenz, Rechtsschutz, S. 151; ders., Jura 1983, S. 393, 395; sowie auch Bethge, KritV 1990, S. 11. 53 So ausdrücklich Schenke, Rechtsschutz, S. 37 u. 61 f.; ders., VerwArch Bd. 82 (1991), S. 307, 314; sowie Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Art. 19, Rdnr. 37. 54 Vgl. stellvertretend Stern, Staatsrecht, Bd. III/2, S. 1796 ff.u. 1815 ff.

§ 4 Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

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sowie eine entsprechende Rechtsmacht zu dessen Verteidigung bestehen müßten55, zudem für einen Rechtsschutz gegen Rechtssetzungsakte56. Auch ein Verweis auf den Rechtsschutz gegen entsprechende Vollzugsakte stelle demgegenüber nicht ausnahmslos eine den materiellen Grundrechten hinreichend Rechnung tragende Alternative dar 57. Schließlich könne aber auch nur diese Ansicht etwaige gravierende Rechtsschutzlücken vermeiden. Denn im modernen Sozialstaat grundgesetzlicher Prägung seien Gesetz und Verwaltungsakt58 weitgehend austauschbar. Erfasse daher Art. 19 Abs. 4 GG keine Rechtssetzungsakte, so stelle dies eine empfindliche „offene Flanke des Rechtsschutzes"59 dar. Wenn danach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG also „nicht dadurch ausgehöhlt werden soll, daß die öffentliche Gewalt zur Vermeidung gerichtlicher Kontrolle in das Gebiet der Rechtssetzung ausweicht, ist daher in teleologischer Auslegung des Art. 19 Abs. 4 der überwiegenden Meinung in der Literatur dahin zu folgen, daß auch Akte der Rechtssetzung unter die ,öffentliche Gewalt* im Sinne dieser Vorschrift fallen 1*60.

3. Stellungnahme Die grammatikalische Auslegung von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG legt in der Tat - angesichts der Wortlaut-„Weite" hinsichtlich der „öffentlichen Gewalt" eine Erfassung auch der Rechtssetzung nahe61. Dies wird durch die synonyme Wortwahl des Verfassungsgesetzgebers i.R.v. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG zusätzlich gestützt. „Eine restriktivere Interpretation des umfassenden Wortlauts ließe sich" danach aber „nur dann rechtfertigen, wenn zwingende verfassungssystematische Gründe dies erforderten"62. 55

Hierzu Schenke, Rechtsschutz, S. 58 ff., 73 ff.; Lorenz, Rechtsschutz, S. 51 ff. Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. ΙΠ/2, S. 1816. So Schenke, Rechtsschutz, S. 39 ff.; S. auch Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 93. 58 Vgl. Schenke, Rechtsschutz, S. 55 f.; ders., VerwArch Bd. 82 (1991), S. 307, 314 sowie Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 93. 59 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 1063. 60 Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Art. 19, Rdnr. 38. 61 So neben den soeben genannten Autoren übrigens ausdrücklich auch BVerwGE 80, 355, 361 (freilich im Ergebnis primär nur für untergesetzliche Rechtsvorschriften, was hinsichtlich der grammatikalischen Auslegung indes keinen Unterschied rechtfertigt). - Vgl. auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 1083; sowie Schwerdtfeger, öffentliches Recht, Rdnr. 394, der bzgl. untergesetzlicher Normen von einer dementsprechenden, ganz herrschenden Meinung spricht. 62 So Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 93, der zugleich feststellt:„Dies ist jedoch nicht der Fall." 56 57

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3. Teil Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des Ait. 100 Abs. 1 GG

Die systematische Stellung des Art. 19 Abs. 4 GG am Ende des durch Art. 1 eingeleiteten, den materiellen Grundrechtsverbürgungen gewidmeten 1. Grundgesetz-Teiles spricht ebenfalls deutlich für eine Erstreckung des Art. 19 Abs. 4 GG auf Rechtssetzungsakte; stellt Art. 1 Abs. 3 GG - worauf zutreffend verwiesen wird 63 - doch ausdrücklich auch die Bindung der Gesetzgebung an die (materiellen) Grundrechte klar 64. Für eine Exemtion der Gesetzgebung aus Art. 19 Abs. 4 GG fehlt aber jeglicher Anhaltspunkt65. Fraglich ist jedoch, ob nicht die speziellen Rechtssatz-Überprüfungsmöglichkeiten der Art. 93 Abs. 1 Nrn. 2,4 a und b, sowie Art. 100 GG als abschließende Kodifikationen anzusehen und mithin argumentum e contrario gegen die Einbeziehung der Rechtssetzung in Art. 19 Abs. 4 GG sprechen66. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 100 GG stellen beides objektive Verfahren der prinzipalen - wenngleich einerseits abstrakten, andererseits konkreten - Normenkontrolle dar 67, die als solche nicht dem Individualrechtsschutz, sondern „ganz anderen Zwecken dienen**68. Dies wird bereits an der fehlenden Beteiligtenstellung der Betroffenen - vgl. etwa für das Verfahren des Art. 100 GG die bloße »Äußerungsmöglichkeit" der Parteien des Ausgangsrechtsstreits gem. § 82 Abs. 3 BVerfGG - deutlich69. Objektive Kontrolle darf den subjektiven Rechtsschutz aber nicht substituieren 70. Art. 100 GG bezweckt zudem primär den Autoritätsschutz des parlamentarischen Gesetzgebers71 und „rückt die Frage nach dem adäquaten Verfahren und derrichtigenEntscheidungsinstanz in den Vordergrund"72. Diese Vorschrift verfolgt danach vor allem „gewaltenteilende" bzw. kompetenzrechtliche Ziele, indem es zwar nicht die richterliche Prüfungsbefugnis,

63

Vgl. oben § 4 Β. I. 2. Was z.B. auch Bettermann, Grundrechte, Bd. III/2, S. 779, 789 anerkennt. 65 Es überrascht, wenn BVerfGE 24, 33, 49 f. demgegenüber einen ausdrücklichen Hinweis für die Einbeziehung der Rechtssetzung in Art. 19 AbS. 4 GG fordert. 66 So - wie gesehen - etwa BVerfGE 24, 33, 49/50. 67 Deutlich statt aller Stern, Staatsrecht, Bd. IH/2, S. 1263/1264. - Zur Terminologie: S. Bettermann, ZZP Bd. 72 (1959), S. 32, 34 f.; ihm folgend auch Schenke, Rechtsschutz, S. 26 (Fn. 22). S. auch schon § 1 A. 68 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 93. - S. auch Lorenz, Rechtsschutz, S. 166; Schenke, VerwArch Bd. 82 (1991), S. 307, 315; Wassermann, in: Wassermann, AK, GG, Art. 19, Rdnr. 38. - Zum Telos speziell von Art. 100 AbS. 1 GG: S. § 2 A. 69 Insoweit zutreffend bereits Stern, in: BK, GG, Art. 100, Rdnrn. 4 u. 190; ders., Staatsrecht, Bd. IH/2, S. 1265. 7 0 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnrn. 7 ff., 9. 71 Vgl. insoweit v.a. § 2 A. - Stern, Staatsrecht, Bd. IH/2, S. 1262 (m.umfangr. Nw.). 7 2 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 AbS. 4, Rdnr. 94. 64

§ 4 Kollision zwischen Art. 100 Abs. 1 GG und Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG

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wohl aber die Verwerfungsbefugnis für bestimmte Rechtssätze beim Verfassungsgericht konzentriert 73. Ein Umkehrschluß, argumentum e contrario, i.S. eines im übrigen, d.h. neben diesen bzw. durch diese Vorschriften bewußt ausgeschlossenen Rechtsschutzes gegen Rechtssetzungsakte, läßt sich mithin keineswegs ziehen74. Aber auch der Vorschrift des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG, welche unstreitig dem subjektiven Individualrechtsschutz verpflichtet ist, läßt sich schwerlich etwas dafür entnehmen, die Gesetzgebung unterfalle grundsätzlich nicht der „öffentlichen Gewalt" i.S.d. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG. Denn zum einen wurde bereits vor Einführung dieser Vorschrift aus Art. 19 Abs. 4 GG ein Rechtsschutz gegen Rechtssetzungsakte abgeleitet. Zum anderen kann „Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a und b GG, der quasi als Kompensation der mit der Notstandsverfassung eingeführten Grundrechtsbeschränkungen eine Aufwertung der verfahrensmäßigen Stellung des Bürgers bezweckte, ... nicht eine derart restriktive, den Rechtsschutz einengende Tendenz entnommen werden"75. Dem verfassungsändernden Gesetzgeber war vielmehr an einer „Ausweitung des Rechtsschutzes" gelegen. Schließlich verblieben neben Art. 93 Abs. 1 Nrn. 4 a u. b GG noch maßgebliche, mit der rechtsschutzfreundlichen Gesamtkonzeption des Grundgesetzes aber nicht zu vereinbarende Rechtsschutzlücken76, sodaß sich ein Rekurs auf Art. 19 Abs. 4 GG keineswegs erübrigt. Zu beachten ist hinsichtlich der Verfassungsbeschwerde etwa auch, daß „dieser verfassungsgerichtliche Rechtsbehelf nach ganz h.M. nur institutionell garantiert ist. Der Beschwerdeführer besitzt damit aber selbst dann kein Recht auf die Prüfung der Begründetheit seiner Verfassungsbeschwerde, wenn der angegriffene Hoheitsakt eine Grundrechtsverletzung darstellt"77. Zutreffender Ansicht nach stellen Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a und b GG besondere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und damit nur spezielle, keineswegs aber abschließende Rechtsbehelfe zur Verfügung. Im Gegenteil kann danach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG „geradezu als Widerlegung der These vom Ausschluß der Gesetzgebung aus dem Schutzbereich des Art. 19 Abs. 4" 78 angesehen werden. Es erscheint zuletzt aber auch fraglich, ob Rechtssätze wirklich - wie dies von den Gegnern der Einbeziehung der Rechtssetzung in Art. 19 Abs. 4 GG zur 73 74 75 76 77 78

Lorenz, Rechtsschutz, S. 166. - S. auch v.Mutius, VerwArch Bd. 68 (1977), S. 197, 208. S. etwa Lorenz, Rechtsschutz, S. 166; Schenke, Rechtsschutz, S. 97 f. Schenke, Rechtsschutz, S. 96/97. Vgl. hierzu Schenke, Rechtsschutz, S. 313 ff. Schenke, VerwArch Bd. 82 (1991), S. 307, 316 (m.w.Nw.). So Lorenz, Rechtsschutz, S. 167.

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3. Teil Rechtsfolgen etwaiger Tatbestandserfüllung des Art. 100 Abs. 1 GG

Stützung ihrer Ansicht vertreten wird - generell nur einer prinzipalen Normenkontrolle zugänglich sind79, die dann ausschließlich in den genannten Verfahren zu bewerkstelligen sei, da andernfalls die Gefahr bestehe, daß einfache, ordentliche Gerichte eine Norm allgemeinverbindlich für nichtig erklären könnten. Damit wird indes vorausgesetzt, was es noch getrennt zu untersuchen gilt 80 , nämlich, ob nicht auch eine inzidente Normenkontrolle dem Rechtsschutzauftrag des Art. 19 Abs. 4 GG genügte81. Selbst wenn man es im Ergebnis ablehnte, den ordentlichen Gerichten die Befugnis zuzugestehen, ein Gesetz mit Allgemeinverbindlichkeit „auf eine Individualklage hin für nichtig zu erklären" besagt dies noch „nichts gegen ein durch Art. 19 Abs. 4 GG garantiertes Recht des einzelnen, auch gegenüber Rechtsverletzungen durch solche Herrschaftsakte um gerichtlichen Schutz nachzusuchen"82. Den Vorschriften von Art. 20 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG läßt sich entgegen dem entsprechenden Vorbringen der Gegner einer Einbeziehung von Gesetzgebung in Art. 19 Abs. 4 GG schließlich auch nicht entnehmen, Gerichte könnten generell nur aufgrund von Rechtssätzen judizieren, sie hingegen nicht selbst als Gegenstand überprüfen. Ansonsten wäre bereits Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 a GG mit diesen grundlegenden - vgl. Art. 79 Abs. 3 GG - Verfassungsbestimmungen unvereinbar, was jedoch von keiner Seite vertreten wird. Diese positivistische, aus Art. 20 Abs. 3 GG, d.h. v.a. der Bindung der Rechtssprechung an „