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German Pages [248] Year 1964
Ole Modalsli · Das Gericht nach den Werken
OLE
MODALSLI
Das Gericht nach den Werken Ein Beitrag zu Luthers Lehre vom Gesetz
GÖTTINGEN · VANDENHOECK & R U P R E C H T . 1963
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Band 13
Gedruckt mit Unterstützung von Norges almenvitenskapelige forskningsrâd. — (c) Vandenhoeck & R u p r e c h t , Göttingen 1963. Printed in N o r w a y . — O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto· oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. D r u c k : H a r a l d L y c h e & Co., D r a m m e n , Norwegen 8140
Dem Gedächtnis meines Vaters
Geleitwort Herr Lektor Ole Modalsli hat mich gebeten, seinem Buch über das Gericht nach den Werken in Luthers Theologie und Verkündigung einige einführenden Worte auf den Weg zu geben. Ich tue dies gern in dankbarer Erinnerung an manche Stunden gemeinsamen Fragens und Nachdenkens über das Thema, das der Verfasser sich vorgesetzt hat. Der Lutherarbeiten gibt es genug, und doch füllt das vorliegende Werk eine wirkliche Lücke aus. Die Frage des Gerichtes nach den Werken wurde bisher meist nur vom Neuen Testament her kritisch an Luther und die Grundlinien seiner Theologie herangetragen. Der Verfasser geht der Frage nach, wie Luther selbst sich mit diesem kritischen Problem auseinandergesetzt hat, und vor allem, wie er über Gerichtstexte gepredigt hat. Daraus wird eine umfassende Studie zum GesetzesbegrifF Luthers und ich glaube, daß es dem Verfasser gelungen ist, Züge ans Licht zu stellen, die bisher unerkannt gebheben waren. Persönlich begrüße ich diese Arbeit besonders dankbar als eine wichtige, auch kritische Ergänzung eigener Studien. Ich wünsche dem Buch einen guten und gesegneten Erfolg. Buckenhof b. Erlangen, den 7. Februar 1962. Wilfried Joest
Einleitung Die unmittelbare Veranlassung dieser Lutherstudie ist die feinsinnige und tiefschürfende Arbeit von Wilfried Joest : »Gesetz und Freiheit. Das Problem des tertius usus legis bei Luther und die neutestamentliche Parainese« (Göttingen 1951). Joest stellt bei Luther zwei konsequent durchgeführte Gedankenreihen fest : die eine entfaltet die Rechtfertigung durch den Glauben, die andere dient zur Beschreibung der progressiven Heiligung. Joest weist nach, daß diese beiden Aspekte mit dem Gesamtzeugnis der wichtigsten Schriften des Neuen Testaments übereinstimmen; gleichzeitig findet er im Neuen Testament nicht nur die eschatologische Geltung der Rechtfertigung durch den Glauben bezeugt, sondern auch den Gedanken der Heiligung mit sachlicher Konsequenz bis zu einem eschatologischen Gericht nach den Werken durchgeführt. Joest richtet die Frage an die Synoptiker und an Luther, »ob das Werk als Frucht des Glaubens die letzte Entscheidung Gottes mitbedingt, oder ob es auf dem Boden und in der Kraft der vollzogenen Entscheidung als Frucht erwächst —• überspitzt ausgedrückt: ob es die Frucht des Glaubens ist, weil dieser Rechtfertigung hat, oder ob es Frucht des Glaubens sein muß, damit er Rechtfertigung erlange«. Sein Ergebnis ist: »Luther vertritt das erste Glied dieser Alternative ; die synoptische Verkündigung fordert mit großem Ernst zum Glauben die Frucht hinzu um des Bestehens im Gerichte willen«. Bei Paulus findet Joest beide Alternativen. Dasselbe gilt von den johanneischen Schriften und dem Hebräerbrief, ja, letztlich auch von den Synoptikern. In ungefähr allen neutestamentlichen Schriften bilden die Aussagen über Glaube und Werke, Rechtfertigung durch den Glauben und Gericht nach den Werken einerseits einen geradlinigen, positiven Zusammenhang, andererseits stehen sie in einem dialektischen Widerspruch, der von Joest als existenzielle Einheit des Widersprechenden interpretiert wird. Die neutestamentliche Paränese hat also den indikativischen Charakter des Evangeliums und — im Gegensatz zu Luther, der den Werken keinerlei Geltung zuschreibt in loco iustificationis — den konditionalen Charakter des Gesetzes1. 1
Gesetz und Freiheit S. 157. 165, 136, 177.
10 In seiner sehr positiven Besprechung von »Gesetz und Freiheit« redet Lauri Haikola von dem »reformatorischen Ausgleichsversuch, nach dem nicht die Werke, sondern die Echtheit des Glaubens im Endgericht gerichtet werden« 2 . Ebenso urteilt Walther von Loewenich in seiner wertvollen Untersuchung »Luther als Ausleger der Synoptiker«, Luther sei »der relativen Selbständigkeit der Werke neben dem Glauben bei den Synoptikern nicht ganz gerecht geworden. Das Gericht nach den Werken wird von ihm dogmatisch systematisiert und als Gericht nach dem in den Werken wirksamen Glauben interpretiert« 3 . Diese Beurteilungen der Lehre Luthers vom Gericht bestätigt der Aufsatz von Paul Althaus, »Liebe und Heilsgewißheit bei M. Luther; 1. Joh. 4, 17a in der Auslegung Luthers«. In Übereinstimmung mit den Predigtreferaten bei von Loewenich weist Althaus nach, daß Luther sich durchaus bemüht, die neutestamentliche Verkündigung von einem Jüngsten Gericht nach den Werken unverkürzt aufzunehmen; da nach Althaus Luther jedoch diesem Gericht nur eine Geltung coram hominibus zuschreibt 4 , bestätigt sich der Eindruck, daß bei Luther der letzte Ernst der biblischen Rede vom Gericht nach den Werken trotz allem nicht zur Geltung kommt. Die Bedeutung dieser Fragen ist durch von Loewenich in seinem kategorischen Urteil angedeutet : »Die bei den Synoptikern vorauszusetzende 'Realdialektik' zwischen Glaube und Werken, die auch Paulus nicht fremd ist, hat Luther nicht erkannt. Ihre Erfassung wird erst in unseren Tagen als eine Aufgabe für ein Gespräch zwischen den Konfessionen sichtbar« 5 . Damit ist prägnant gesagt, um was es in der vorliegenden Untersuchung geht. Zunächst war zu untersuchen, wie Luther die im Neuen Testament bezeugte Lehre vom eschatologischen Gericht nach den Werken verstanden hat. Gehören die Werke in die Rechtfertigung? Welches Verhältnis besteht zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und dem Gericht nach den Werken? Da dem Gericht bei Luther keineswegs ein bloß theoretisch-spekulatives Interesse zukommt, mußte weiterhin untersucht werden, wie sich in der Verkündigung und Lehre Luthers das Gericht nach den Werken existenziell auswirkt, m.a.W., wie der ethisch verantwortliche Mensch dem Gericht gegenübersteht, es in vorgreifenden, zeitlichen Gerichtskatastrophen erfährt und es im Gewissen empfindet. Damit war es erforderlich, auf die Luthersche Gesetzesproblematik einzugehen und sie zu durchdenken. Um die durch Joest aus dem Neuen Testament an Luther gestellten Fragen zu beantworten, mußte ich denselben Weg wie Joest gehen, erst an Luther, dann an das Neue Testament. Nachdem Luthers Anschauungen geklärt waren, mußten sie also an der hl. Schrift 2
Svensk teologisk kvartalskrift (SvTK) III, 1953 S. 191 ff. Luther als Ausleger der Synoptiker S. 253; vgl. S. 168 Anm. 1 bezüglich der Übereinstimmung mit Joest. 4 Festschrift für J. Lortz I S. 76 f. = Althaus, Die Theologie Martin Luthers S. 378. 6 A.a.O. S. 253. 3
11 geprüft werden. Im Zusammenhang damit wurden einige aktuelle Fragen und Vorwürfe berücksichtigt, die an bzw. gegen Luther gerichtet worden sind. Hauptquellen für die Untersuchung waren die Predigten des reifen Reformators über die Gerichtsperikopen, die meisten in Rörerschen Nachschriften. Besonders interessant und ergiebig waren die einzigartigen fünf Predigten über 1. Joh. 4, 16—21, die Luther im Juni und Juli 1532 in Wittenberg hielt®. In ständiger seelsorgerlicher Beziehung auf die geängsteten wie auf die selbstsicheren Gewissen bemüht sich Luther in diesen Predigten um die rechte Auslegung der Schriftworte von einem Gericht nach den Werken und von einer Freimütigkeit durch die Werke am Tage des Gerichts. Bemerkenswert ist, daß er unter Festhalten an der Rechtfertigung durch den Glauben zugleich den Werken eine bedingt entscheidende Bedeutung zuschreibt. Auch die einzige überlieferte Predigt Luthers über Mt. 25, 31—46 aus dem Jahre 1537 ist für unsere Überlegung bedeutungsvoll7. Diese Verse sind auch sonst in seinen Predigten und Lehrschriften sehr oft zitiert und berücksichtigt worden. Der Gerichtsgedanke wird weiterhin beleuchtet durch prinzipielle Aussagen Luthers über das Verhältnis zwischen Glaube und Liebe, Evangelium und Gesetz, die sich in den Predigten reichlich finden. Ich habe mich zugleich bemüht, möglichst intensiv die mehr wissenschaftlichen Lehrschriften Luthers zu befragen, da ihnen die grössere Zuverlässigkeit und der größere Wert zuerkannt werden muß8. Das gilt besonders vom Großen Galaterbriefkommentar (und den Disputationen) der dreißiger Jahre, den reformatorischen Hauptschriften einschließlich der Katechismen der zwanziger Jahre, dem Kleinen Galaterbriefkommentar und dem Römerbriefkommentar. Auch die fragmentarischen Skizzen zur Schrift De loco iustificationis (1530) und die skizzenhaften Annotationes in aliquot Capita Matthaei (1538) wurden herangezogen. Berücksichtigt wurden zugleich Vorworte und Randglossen zur Deutschen Bibel, Briefe und Tischreden. In meiner Darstellung habe ich besonderen Wert darauf gelegt, den Prediger Luther zu Worte kommen zu lassen ; darum die vielen Zitate im Text. 6 WA 36, 4 1 6 ^ 7 7 , Rörer (Hs. 1532) und Cruciger (Druck 1533). Zit. »Etliche schöne Predigten«. Zu diesen Predigten siehe besonders W. von Loewenich, Luther und das Johanneische Christentum, und P. Althaus, Liebe und Heilsgewißheit . . . 7 WA 45, 324—329 (Rörer) vgl. Crucigers Sommerpostille 1533, WA 22, 410—423. Dieser Predigt liegt die Nachschrift Rörers zugrunde. 8 Vgl. W. Maurer, Von der Freiheit eines Christenmenschen S. 9: »Manche landläufigen Verkürzungen im herkömmlichen Lutherbilde, manche Verradikalisierungen in der modernen Lutherinterpretation haben darin ihre Ursache, daß jene Unterschiede zwischen dem publizistischen und dem wissenschaftlich theologischen Schaffen des Reformators übersehen wurden«. Die Bevorzugung der Lehrschriften vor den Predigten als Quellen scheint mir jedoch insofern einer Einschränkung zu bedürfen, als auch jene sehr oft durch die Polemik bestimmt sind und deshalb die Polarität der Aspekte oft schärfer und einseitiger als die Predigten zur Geltung bringen. Demgegenüber stellt der Prediger Luther die biblische Wahrheit und das Christenleben häufiger unter einem Gesamtheitsaspekt dar.
12 Nach der grundlegenden Durcharbeitung meines Themas kam mir 1960 in Heidelberg die Habilitationsschrift von Dr. Albrecht Peters »Glaube und Werke im Gericht. Eine Studie zur biblischen Verwurzelung der Rechtfertigungslehre Luthers« (Maschinenschr. Heidelberg 1959) zu Gesicht, die ebenfalls bei Joest anknüpft und eine der unseren verwandte Fragestellung behandelt. Da die Peterssche Arbeit nach meinem Besuch in Heidelberg umgearbeitet wurde und erst nach der Vollendung meines Manuskriptes im Frühjahr 1962 im Druck vorlag, mußte eine ausführliche Erörterung ihrer Ergebnisse leider unterbleiben. Nur in Anmerkungen habe ich jeweils auf das Buch hingewiesen. — Dr. Peters' sehr wertvolle Untersuchung hat ihren theologischen Ort vor der meinigen und ist mit sachlichem Recht vor dieser erschienen — wie die Titel der beiden Arbeiten andeuten und wie es durch Peters' schließliche Titelformulierung noch klarer zum Vorschein kommt : »Glaube und Werk. Luthers Rechtfertigungslehre im Lichte der Heiligen Schrift«. Freilich laufen beide Untersuchungen teilweise parallel; Peters legt aber den Schwerpunkt seiner Darstellung auf die Rechtfertigungslehre und die »klassische« Gesetz-Evangelium-Problematik, während der Akzent der vorliegenden Arbeit auf dem Gericht nach den Werken und den damit verbundenen Problemen in Hinblick auf das Gesetz bzw. die evangelische Gerichtsparänese liegt. Dabei sind bei mir hauptsächlich andere Aspekte als bei Peters gewählt und eine Reihe wichtiger Themen behandelt, die nicht durch ihn untersucht sind. Wie Peters' möchte auch meine Arbeit Wichtiges beitragen zu brennenden Fagen und zum aktuellen Gespräch innerhalb der Kirche. Schon seit Jahren beschäftigten mich die Fragen der Rechtfertigung und Heiligung. Als ein Ergebnis meiner Arbeiten erschien das Buch »Evangeliet om helliggjorelsen« — Das Evangelium von der Heiligung — (Oslo 1952 u. 1955). Luthers Schriften habe ich dabei meistens in der Walch-Ausgabe und den kleinen Studienausgaben benutzt. Angeregt und bereichert wurde mein Lutherstudium durch die deutsche und die skandinavische Lutherforschung. Besonders erwähnt seien die beiden dänischen Arbeiten von R. Prenter: Spiritus Creator und von S. Lerfeldt: Den kristnes kamp — Mortificatio carnis, die mich in die besondere, durch W. Joest weiter herausgearbeitete Problematik eingeführt haben. Das Thema der vorliegenden Arbeit wurde formuliert in Beratung mit Herrn Professor Dr. W. Joest in Erlangen, der mit großem Interesse die Arbeit beratend und anregend begleitet hat und dem ich aufs herzlichste für alle mir geleistete Hilfe danke. Ebenso danke ich den Erlanger Professoren P. Althaus, W. Künneth, W. von Loewenich und W. Maurer für mannigfache Anregungen und Ratschläge. Meine erste Reise nach Erlangen war finanziert durch ein mir von »Professor O. Hallesby og hustrus legat« gewährtes Stipendium. Die Fortsetzung und Fertigstellung der Arbeit wurden ermögücht teils durch ein Scholarship des Weltrates der Kirchen einschließlich eines Stipendiums der Inneren Mission und des Hilfswerks der EKD, teils durch
13 Stipendien von »Norges almenvitenskapelige forskningsräd«. In Erlangen durfte ich im Theologenheim des Martin Luther-Bundes wohnen. Einen Monat war ich in Schaeffergârden in Kopenhagen mit einem Stipendium des »Fondet for dansk-norsk samarbeid«. Die Drucklegung wurde durch einen bedeutenden Zuschuß von Norges almenvitenskapelige forskningsräd ermöglicht. Für alle Stipendien und Zuschüsse sei hier ein sehr herzlicher Dank gesagt. Ich danke auch Herrn Vikar Fritz Scheen, der die sprachliche Korrektur vornahm, und Herrn Dr. Ivar Asheim, der das Manuskript durchlas und mir wertvolle Ratschläge gab. Besonders verpflichtet weiß ich mich dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen, der die Arbeit in der Serie FKDG erscheinen ließ. In großer Dankesschuld stehe ich bei meiner lieben Frau für ihre nie ermüdende, mannigfache Unterstützung, Anregung und ihren tüchtigen Dienst bei der Anfertigung des Manuskriptes. Ich möchte diese Arbeit dem Gedächtnis meines Vaters, des begnadeten Laienpredigers S. O. Modalsli (1867—1919) widmen. Erinnere ich mich seiner, so kommen mir die bei Luther mehrmals zitierten Worte des Propheten Daniel in den Sinn: »Die Lehrer aber werden leuchten wie des Himmels Glanz, und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich«. Asker, den 1. September 1962. Ole Modalsli
INHALT Geleitwort Einleitung A.
7 9 Rechtfertigung durch den Glauben Gericht nach den Werken
und
I. Der integrale Aspekt des Christen als Glaubenden und Wirkenden angesichts des Gerichts 1. Der Glaube und die Liebeswerke als Voraussetzungen des Bestehens im Gericht 2. Die Zuordnung der Liebe und der Werke zum Glauben 3. Rechtfertigung auf Grund des Glaubens und der Liebeswerke? (Auseinandersetzung mit Karl Holl)
II. Die Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis 1. Die zeitlose Geltung der Rechtfertigung durch den Glauben 2. Rechtfertigung durch den in den Werken inkarnierten Glauben 3. Die Bedeutung der Werke f ü r die Heilsgewißheit und f ü r die Bewahrung zur Seligkeit
III. Das Gericht nach den Werken extra locum iustificationis . . . 1. 2. 3. 4. 5.
Locus iustificationis und locus iudicii operum Luthers Predigt vom Gericht nach den Werken am Jüngsten Tag . . . . Die zehn Gebote als Maßstab im Gericht nach den Werken Das Gericht nach den Werken unter dem Aspekt coram Deo erga homines Die Problematisierung des Gerichts nach den Werken durch die bleibende Sündigkeit des Gerechtfertigten 6. Die Frage nach der Notwendigkeit der Werke zur Seligkeit 7. Der Entscheidungscharakter des Gerichts nach den Werken
17 17 21 27
34 34 39 44
52 52 58 62 65 73 83 89
B. D a s G e r i c h t n a c h d e n W e r k e n als a k t u e l l e Erf a h r u n g u n d als e t h i s c h e r A n s p r u c h I. Luthers nahe Erwartung des Jüngsten Gerichts
97
II. Die zeitlichen Gerichte Gottes als vorgreifende Realoffenbarungen des eschatologischen Gerichts
102
III. Das Gesetz als existenzielle Aktualisierung des Gerichts
112
1. Das Gericht nach den Werken als ethischer Anspruch im Sinne des 1. usus legis 2. Das sündenüberführende Gericht durchs Gesetz im Bereich der Werke
112 117
16 IV. Christus als Richter und als König 1. Christus iudex 2. Christus rex
128 128 134
V. Luthers Unterscheidung zwischen Evangelium bzw. Glaubensgebot in loco und Gesetz extra locum iustificationis
138
VI. Freiheit und Gesetz
148
1. Die existenzielle Beziehung des in Kraft der Rechtfertigung geschehenden Liebesdienstes auf das Gericht nach den Werken 2. Die evangelische Gerichtsparänese 3. Die Geltung der 10 Gebote 4. Der Christ als simul iustus et peccator angesichts des Gerichts. Z u m Problem des tertius usus legis
148 152 155 169
V I I . Luthers Beurteilung des römischen Verständnisses des Christus iudex und der eschatologischen Heilsbedingung
178
V I I I . Locus iustificationis und locus iudicii operum bei einigen Nachfolgern Luthers
185
C. Locus i u s t i f i c a t i o n i s u n d locus i u d i c i i o p e r u m in d e r hl. S c h r i f t I. Das Gericht nach den Werken im Neuen Testament II. Die Rechtfertigung durch den Glauben I I I . Glaubensbund und gebotene Werke im Alten Testament . . .
195 200 209
IV. Das Verhältnis zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und Gericht nach den Werken im Neuen Testament
215
V. Prinzipielles zur Lehre und Verkündigung des Gesetzes und des Gerichts
225
1. Zur Begriffs- und Relationsbestimmung des Gesetzes 2. Über die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Evangelium in loco und Gesetz extra locum iustificationis 3. Die Aufgabe des Gesetzes 4. Zur Predigt des Gesetzes und des Gerichts
Personenregister Sachregister Quellen Literatur
225 228 228 230
233 235 238 239
Α.
RECHTFERTIGUNG
DURCH NACH
DEN
DEN
GLAUBEN
UND
GERICHT
WERKEN
I. Der integrale Aspekt des Christen als Glaubenden und Wirkenden angesichts des Gerichts 1. Der Glaube und die Liebeswerke als Voraussetzungen
des Bestehens im Gericht
Die Rechtfertigung ist für Luther die souveräne Gerichtshandlung Gottes, in der er einen Sünder für gerecht erklärt; sie ist iustificatio impii 1 . Sie geschieht ohne alles Verdienst von seiten des Menschen, der durch das in der Kraft des Heiligen Geistes den Glauben schaffende Wort und durch die Sakramente in die Lebensgemeinschaft mit Christus eingeschlossen wird 2 . Nur in Christus ist es möglich, vor Gott gerecht zu werden ; ja, Christus selbst ist in seiner Person unsere Gerechtigkeit vor Gott 3 . Als Wort des allmächtigen Gottes schafft die Gerechtsprechung zugleich eine reale Gerechtigkeit, die durch den Glauben und die Liebe gekennzeichnet ist. Diese Gerechtigkeit wird Gott in der Auferstehung der Toten zur Vollendung führen 4 . I n diesem Zusammenhang sagt Holl mit Recht: »Gott nimmt den Menschen, den er in das Verhältnis zu sich hereinzieht, nicht an, um ihn zu lassen, wie er ist, sondern um ihn umzuschaffen zu einem wirklich Gerechten. Durch Christus und den heiligen Geist vollzieht er dieses Werk. Und als der Allmächtige kommt Gott sicher zum Ziel« 5 . Gemäß dieser Definition der Rechtfertigung als 1 WA 56, 269,1 f. (Römerbrief 1515—16 Rom. 4, 7) sumus iusti . . . ex sola Dei reputatione. Z. 9 f. intrinsece et ex nobis impii semper. Vgl. Z. 25 ff.; 271, 29 ff. 2 Bek. 511, 45 ff. (Kl. Kat. 3. Glaubensart.) der heilige Geist hat mich durchs Evangelion berufen; vgl. WA 7, 218, 26 f. (Eine kurze Form . . . 1520) ; 17 I 436, 2 (Pred. 1525) ; 117, 4 f. Haec fides non crescit in hortis nostris, sed spiritus sanctus dat hanc. — Bezügl. Taufe und Abendmahl siehe Bek. 515, 20 ff.; 520, 22 ff. 3 WA 40 I 284, 4 ff. (Gal.brief 1531, Gal. 2, 20) in negotio iustificationis müssen wir bey samen bleiben. Mirabilis ratio loquendi: totum, quod in me vitae, gratiae, salutis, est ipsius Christi per conglutinationem, inhaesionem fidei, per quam reddimur quasi unum corpus in spiritu. 4 WA 39 I 83, 39 f. (3. Thesenreihe üb. Rom. 3, 28, 1536) Hanc fidem comitatur initium creaturae novae, et pugna contra carnis peccatum. 7, 30, 5 f. (Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520) Es ist und bleybt auff erden nur ein anheben und zu nehmen, wilchs wirt in yhener weit volnbracht. Vgl. 39 I 203, 18 f. (Prom. disp. v. Palladius u. Tilemann, 1537). 6 Gesammelte Aufsätze I S. 124 Anm. 2.
2
18 Gerechterklärung und Gerechtmachung® wundert es uns nicht, daß Luther mit der gesamten kirchlichen Tradition den Glauben und die Liebe als Merkmale des Christenstandes, als Inhalt des göttlichen Gebotes und als Bedingungen des Bestehens im Gericht ansieht. Durch Glauben und Liebe in ihrer Einheit sind wir wahrhaftige Christen, denn so wie wir durch den Glauben in Gott bleiben und er in uns, so verbindet uns nach der Schrift auch gleicherweise die Liebe mit Gott7. Darauf kommt es an, »ob du rechtschaffen gegleubt und eines rechtgleubigen werck gethan hast« 8 . Wer den Glauben und die Liebe hat, kann zuversichtlich sein angesichts des Todes und des Jüngsten Gerichts: qui exercet fidem et facit bona opera, habet vitam aeternam 9 . Die Aufgabe der Predigt ist es, allein Christus zu verkündigen. Dieser Grundsatz wird aber so erklärt : »nihil praedicandum nisi Iesum, hoc est : fidem in Iesum et charitatem in fratres«10. Nach diesen beiden Momenten des Glaubens und der Liebe sollen alle Lehren wie auch der Christenstand des einzelnen Menschen beurteilt werden: »Qui ista 2 servat, est Christianus, qui non, potest dici, sed non est, quia ista 2 lassen sich nicht scheiden : vel fructus oportet sequatur vel fides non recta. Das ist Summa omnium Evangeliorum«. So sagt Luther in der Predigt über Mk. 7,31 if., 153411. Ebenso heißt es in der Predigt über Lk. 10,25-37, 1537, kurz und kategorisch: »qui credit et exercet charitatem, est Christianus«12. In der Kirchenpostille 1522 wird in Anknüpfung an Mt. 25,1 if. betont: »In diszen tzweien steht das gantz chrystlich leben. Glaub got, Hylff deynem 6 WA 39 I 83, 40 carnis peccatum . . . eadem fide Christi et ignoscitur et vincitur. Vgl. P. Althaus zu dieser Stelle (Die Gerechtigkeit des Menschen vor Gott S. 35) : »Es ist bekannt, daß damals und noch in Melanchthons Apologie das Wort iustificare zugleich f ü r das Gerechtsprechen und das Gerechtmachen, f ü r Gottes neues Urteil über den Menschen wie f ü r sein Neuschaffen des Menschen, f ü r die neue Geltung wie f ü r das neue Sein des Menschen gebraucht wurde, für die Versetzung in die Geltungsgerechtigkeit wie f ü r die Begründung der Seinsgerechtigkeit«. Siehe auch W. Matthias, Imputative und sanative Rechtfertigung S. 137, wo WA 8, 114, 16ff. (Rat. Latom. confut. 1521 ) so kommentiert wird : »Luther vergleicht die duo bona des Evangeliums mit zwei sehr starken und aufs beste ausgerüsteten Festungen, die Gott um die Christen gebaut habe, damit ihnen die Sünde nicht zur Verdammnis werde, und beschreibt sie inhaltlich mit Christus als Sühnopfer und mit der Gabe der Freiheit von der Herrschaft der Sünde«. ' WA 36, 447, 7 ff. (Rörer) Qui credit, quod filius dei Iesus, deus, manet. Et qui manet in charitate, per fidem in deo manemus ec. et per charitatem. Es sthet beides da. Vgl. 448, 17 ff. (Cruciger) Wie reimet sich das zusamen? Ist es denn beides war? das wir durch den glauben j n n Gott bleiben, und er jnn uns, und auch durch die liebe? J a es ist beides war. 8 WA 36, 444, 35 (Cruciger) vgl. Z. 9 f. (Rörer) Ibi wird sichs finden, an recte crediderim et charitatem exhibuerim. » WA 40 I I 162, 2 f. (Gal.brief 1531 Gal. 6, 8) vgl. 36, 451, 5 f. (Rörer) Ideo etiam iactamus opera bona, quod etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit. 10 WA 11, 221, 23 f. (Pred. 1523 Rörer). Die Darstellung ist in diesem Kapitel durch von Loewenich, L. als Ausleger der Synoptiker S. 177 ff. besonders beeinflußt. 11 WA 37, 507, 10 ff. (Rörer) ; 11, 221, 35 f. (Pred. 1523 Rörer Lk. 2, 12 ff.) Quando haec duo habetis, potestis iudicare omnes doctrinas. 173, 32 (Lk. 17, 11 ff.) in eo (Euangelio) vita Christiana depicta, quae in fide et charitate consistit. » WA 45, 132, 7 (Pred. 1537 Rörer Lk. 10, 23 ff.).
19 nechsten« 1 3 . I n die einheitliche Formel »Glaube und Liebe« sind also auch die guten Werke mit eingeschlossen. Glaube u n d Liebeswerke bilden eine organische Einheit, die die eine, unteilbare Gerechtigkeit ausmacht 1 4 . Dieser Einheit von Glauben u n d Liebeswerken entspricht die Forderung des göttlichen Gebotes, d a ß wir an Gott glauben, Gott u n d den Nächsten lieben sollen 15 . Auch diese Forderung ist eine. Die Gebote werden erfüllt weder durch einen Glauben, der ohne die Liebeswerke ist, noch durch Werke, die nicht aus Glauben geschehen. Glaube u n d Werke sind eben »unum in omnibus praeceptis, quia omnia praecepta u t r u n q u e requirunt« 1 6 . Alles, was Christus uns geboten hat, läßt sich also zusammenfassen in »haec praecepta de fide et charitate, et praesertim de charitate« 1 7 . Diese hinzugefügte Hervorhebung der Liebe kann nicht verwundern. I n einer Predigt über 1. Kor. 13 in der Fastenpostille 1525 heißt es, daß »die liebe so nöttig da bey seyn mus, das auch der glaube, der doch berge versetzte, nichts were on liebe, wo es muglich were, das er on liebe seyn künde« 1 8 . I n dieser Predigt wird 1. Kor. 13,2 als ein zugespitzter hypothetischer Ausdruck verstanden: Selbst wenn m a n einmal einen Glauben ohne Liebe annehmen wollte, so würde doch dieser Glaube zur Gerechtigkeit nichts nützen. J a , auch wahrer Glaube ginge sofort verloren, fiele der Gläubige aus der Liebe. Ein liebloser Heilsglaube ist ein Widerspruch in sich selbst 19 . Demgemäß heißt es 1532 in »Etliche schöne Predigten«, m a n müsse zur Freimütigkeit im Tode u n d a m Jüngsten T a g beides haben, »den Glauben gegen Gott rein u n d unverseret u n d die Liebe gegen dem nehesten von rechtschaffenem hertzen« 2 0 . Ebenso gehört 1528 in der Predigt über Mt. 22,2 ff. zum hochzeitlichen Kleid neben dem Glauben mit Nachdruck der treue Vollzug der Liebeswerke im jeweiligen S t a n d : »quando . . . fidit deo et facit quod pertinet ad vocationem. Ille habet vestitum nuptialem. Si vero abutitur sua conditione zu seiner wollust . . ., Non habet vestem nuptialem, ghet nicht unter Christo . . . Sic durch u n d durch heist das das hochzeitlich kleid an h a b e n : in Christianitate facere quemque suam vocationem« 2 1 . O h n e Hochzeitskleid besteht 13
WA 10 III 361, 13 f. WA 30 II 659, 5 (De loco iustificationis 1530) est una Iusticia simplex fidei et operum. 15 Bek. 560, 10 ff.; 508, 22 ff. 16 WA 38,648,25 (Annotationes in aliquot capita Matthaei 1538). Der Quellenwert dieser Schrift ist zwar besonders fraglich, siehe 38, 443 ff. » WA 17 I 98, 11 (Pred. 1525 Rörer Mt. 28, 20). 18 WA 17 II 165, 10 ff. 19 In 1525 wird diese Auslegung erwogen neben der Deutung des lieblosen Glaubens als einer gottgewirkten Ausrüstung zum Dienst im Amt, die auch Ungläubigen zugeteilt werden möchte (WA 17 II 164, 25 ff.). Siehe besonders P. Althaus: » . . . und hätte allen Glauben . . . «, Elert-Gedenkschrift S. 128 ff. = Die Theologie M. Luthers S. 357 ff. 20 WA 36, 447, 33 ff. (Cruciger). 21 WA 27, 388, 1 ff. 10 ff. (Rörer). 14
20 niemand, das ist beidemal gleich wahr, wenn auch in der Auslegung 1528 der Ton auf den Werken, in der Predigt 1531 aber auf dem Glauben liegt 22 . Luther findet in diesem Text die ganze christliche Lehre abgebildet »glaub, lieb und opera« 23 . Die Jungfrauen müssen sowohl ihre Lampen als auch Öl haben : »durch die lampen wirt uns bedeut eyn außwendig ding unnd leiblich Übung. Aber die lampen mitt sampt dem öll seind die inwendige reich tum mit dem waren glauben« 24 . Wer ohne die Liebe stirbt, ist also ebenso verloren wie derjenige, der ohne den Glauben dieses Leben verläßt. Sorgfältig muß darum jeder Prediger sowohl die Worte der hl. Schrift, die den Glauben »führen«, als auch die Worte, die die Werke fordern, beachten: »oportet fiant exhortationes tales: qui exercet fidem et facit bona opera, habet vitam aeternam« 2 5 . Alle sollen wissen, daß derjenige, der im Reich Christi sein will, muß »thun, wie er thut« 26 . Es ist das untrügliche Merkmal der wahren Christen, daß sie den rechten Weg, »die mittel strasse« in Glauben und Liebe gehen, dagegen die Welt will »entweder gar nichts thun und wircken oder nicht gleuben, Feret jmer zur seiten aus, das sie entweder den glauben odder die liebe lessetfaren« 27 . Wer also leben will wie die Leute der Welt, kann nicht in das Reich Gottes kommen. Dies wird auch mit der Aussage Jesu Mt. 25,31 ff. begründet, »den Christus am jüngsten tag wird sagen« 28 . »Hi inveniuntur, qui recte credant, qui tales, faciunt ista opera. Nam credens, quod per Christum liberatus ab ira, libenter dat, hat freundlich hertz etiam erga inimicos, si etiam not leiden mit essen, trincken, gern dabit omnia. Qui dem so ist et videt se credere in Christum et invenitur in tali vita, is sit letus, quia letum iudicium« 29 . Luther redet hier in Einklang mit J a k . 2,13: die Barmherzigkeit rühmt sich wider das Gericht. Wenn in vielerlei zeitlichen Anfechtungen und besonders in der Todesnot der Glaube und die Liebe auf die Probe gestellt werden, droht denen die völlige Verzweiflung, die weder wahrhaftig geglaubt noch geliebt haben 30 . Auch wenn man den Glauben hat, ist es bei Versagen des Liebesdienstes in der letzten Lebensstunde »difficile, das sich einer sol schwingen auff die blosse gnade gots« 31 . Dem angefochtenen Gewissen können dagegen die guten Werke eine wesentliche Hilfe bieten. Die 22 W A 34 I I 343, 1 ff. (Rörer) Q u o d fidem non habent, ergo nec opera haben, quia qui non rechtschaffen credit in Iesum Christum, non diligit. 23 W A 27, 390, 4. 24 W A 10 I I I 356, 6 ff. (Pred. 1522). 25 W A 40 II 162, 2 f. (Gal.brief 1531 Gal. 6, 8). 26 W A 12, 685, 16 f. (Pred. 1523 M t . 18, 23 ff.). 27 W A 36, 447, 29 ff. (Cruciger) vgl. Z. 5 ff. (Rörer) Si dicitur: oportet sola fide salvemur, t u m nolunt facere opera. Si econtra ec. wil semper den holtz weg ghen. — Siehe besonders Günter J a c o b , Das Bild vom »Weg in der Mitte« . . . 28 W A 12, 685, 19 f. (Pred. 1523). 29 W A 45, 327, 14 ff. (Pred. 1537 Rörer M t . 25, 31 ff.). 30 W A 36, 455, 22 ff. (Rörer) Q u i non potest iactare, quod bona fecerit und verloren bona opera et passus, der wird ym höchsten r h u m nichts haben. 456, 7 f. Das ist der gering r h u m in operibus, et tarnen oportet eum nos habere. 31 Ebd. 446, 12 f. (Rörer) vgl. Z. 36 ff. (Cruciger;.
21 wahren Liebeswerke sollen »mir ein freydig hertz machen, q u a n d o mors herghet et iudicium, ut dicere possim : Ich h a b dennoch meinem nechsten dis u n d das gethan« 3 2 . Wer durch Glauben u n d Liebeswerke in dem durch Gesetz, Leiden und Verfolgung herbeigeführten, existenziell erlebten Jüngsten Gericht besteht, der wird auch am Jüngsten T a g bestehen, »denn es kömpt doch dahin, das sich das gewissen als fur Gott verantworten mus, das, wer aida bestehet, der bestehet auch am jüngsten gericht« 3 3 . Die im Jüngsten Gericht angewendeten Maßstäbe zur Beurteilung sind also die den Glauben u n d die Werke fordernden Gebote Gottes 34 . Die hier wiedergegebenen Gedanken mögen vorläufig genügen u m aufzuweisen, daß auch bei Luther im Einklang mit der hl. Schrift nicht nur der Glaube sondern auch die Liebe und die Werke auf das Jüngste Gericht bezogen werden. Walther von Loewenich mag die Gedanken vieler Herzen aussprechen, wenn er zugesteht, » m a n ist doch einigermaßen überrascht, wenn m a n . . . Luthers Predigten hernimmt und liest, wie Luther das Christsein immer und immer wieder auf die Formel ' Glaube und Liebe' bringt. . . Geradezu überwältigend ist die Anzahl von Stellen, an denen das christliche Leben in einfacher Addition als Glaube u n d Liebe beschrieben wird« 3 5 . Besonders befremdlich wird es vielen sein, wie Luther diese Formel auf das Jüngste Gericht bezieht — so wie es z. B. in der Predigt über das Gleichnis vom reichen M a n n u n d armen Lazarus kategorisch geschieht: »Haec tarnen duo vult gestrackts haben, fidem et charitatem, illa wird er foddern gestreng« 36 . Die Zentralfrage besteht darin, wie Luther diesen Gedanken einer doppelten Voraussetzung für die göttliche Anerkennung des Menschen im existenziellen Gegenüber u n d am Jüngsten T a g durchgeführt hat. Bevor wir der Beantwortung dieser Frage nähertreten, müssen wir jedoch das gegenseitige Verhältnis zwischen Glauben u n d Liebe bzw. den Liebeswerken untersuchen.
2. Die Zuordnung der Liebe und der Werke zum Glauben I m »Sermon von den guten Werken« 1520 wird die Liebe als Voraussetzung des Glaubens beschrieben. Die Liebe, wie sie im Evangelium vom Kreuz Christi geoffenbart u n d durch den Heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossen worden ist, ist die Quelle des Glaubens : »der glaub . . . m u ß 32
Ebd. 445, 1 f. (Rörer). Ebd. 444, 18 (Cruciger) vgl. Z. 3 ff. (Rörer) : Crédité recte et videte, ut non tantum ore credatis, sed ut talis sit, quae exhibeat se charitate, ut quando semel den kopff herhalten vel das sterben auffm bett, tum wird sich conscientia nicht kunnen schmucken, quia da wirds ernst werden. 34 Ebd. 451, 5 f. (Rörer) Ideo etiam iactamus opera bona, quod etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit. 450, 6 f. (Rörer) Si ego non haberem istam gloriam, So musten die X gebot nicht recht sein. 446, 5 f. (Rörer) Istam gloriam mus ich auch bringen, vel deus wird mir freundlich nicht zw sprechen. Vgl. Bek. 642, 5 ff; 645, 36 ff. 35 Luther als Ausleger der Synoptiker S. 185 f. 36 W A 11, 127, 11 f. (Pred. 1523 Rörer Lk. 16, 19 ff.). 33
22 auß dem blut, w u n d e n u n n d sterben Christi quellen und fliessen, In wilchem ßo du siehst, das dir got ßo hold ist, das er auch seinen sun f u r dich gibt, m u ß dein hertz suß und got w i d d e r u m b hold werden, u n d also die zuvorsicht auß lauter gunst und lieb herwachßen, gottis gegen dir und deiner gegen got« 3 7 . L u t h e r erkennt also klar, d a ß der G l a u b e n u r d a n n i m Herzen geschaffen w e r d e n kann, w e n n der Gotteshaß durch die Liebe Christi ü b e r w u n d e n wird. Unser G l a u b e ist genauso wie unsere Liebe W i r k u n g dieser im Evangelium geoffenbarten Liebe Christi 3 8 . W e n n L u t h e r derart eine fides charitate f o r m a t a lehrt, so liegt die Betonung völlig auf Christi eigener, im W o r t geoffenbarten und durch den Geist gegenwärtigen Liebe, die den gläubigen Empfang des Evangeliums v o n Christus als unserer » f r e m d e n « Gerechtigkeit ermöglicht. D a aber der G l a u b e erklärt w i r d als fides ex auditu, als das durchs Hören des Evangeliums geschenkte Empfangen dieses Wortes 3 9 bzw. als die durch den Geist gewirkte Zuversicht zu dem im Evangelium sich darbietenden Christus p r o nobis crucifixus 4 0 , so ist es klar, d a ß die durch den Geist gegenwärtige Liebe d a d u r c h unsere Liebe zu Christus wird, d a ß sie geglaubt wird. D e m g e m ä ß ersetzt Luther die scholastische Formel fides charitate f o r m a t a durch die Formulierung Christus f o r m a fidei41 und ordnet unsere Liebe d e m G l a u b e n zu 4 2 . Eben als »die Haltung reinen " WA 6, 216, 29 ff. 38 WA 10 III 101, 14 ff. (Pred. 1522) Christus, der durch den Glauben aufgenommen werden muß, lebet auch in der Liebe. So spricht Paulus zun Galatern (c.2.V.20) : »Ich lebe, doch nun nicht ich« etc. Wer demnach Christum liebet, der bricht die Ehe nicht: er stihlet auch nicht, weil er den Nächsten liebet. Denn das Evangelium sagt nichts denn: Glaube; und alsdenn wird alles andere von selbst fließen und folgen. 56,474, 10 ff. (Rom.brief 1515—16 Rom. 12,20) Sic enim et Deus convertit, quos convertit, per intuitum suae bonitatis. Et iste est solus modus vere convertendi, Seil, per amorem et benignitatem. Nam qui minis et terrore converti tur, Nunquam Vere convertitur, Si maneat in ea conversionis forma, Quia timor facit odisse conversorem suum. Qui autem amore convertitur, totus contra se ardet et irascitur sibi plus, quam ille posset in eum irasci, displicens vehementer sibi. Et huic tandem non est opus prohibitione, custodia, satisfactione. Amor ille omnia eum docebit. Vgl. Κ. Holl zur Stelle, a.a.O. S. 121 : »Luther geht dort von dem Gedanken aus, daß Güte allein den Zugang zum Herzen findet. Auch Gott kann, wenn er den Menschen bekehren will, dies nur auf solchem Wege erreichen. Aber indem er ihm den 'Anblick seiner Güte' schenkt, bringt er den Menschen zu sich selbst und zieht er ihn unwiderstehlich in seine Bahn«. 39 WA 40 I 580. 15 f. (Gal.brief 1535 Gal. 4, 6) nihil plane habemus, quod nos erigat et sustentet, nisi nudum verbum. 344, 4 f. (1531 Gal. 3 , 2 ) Si vult, ut solum auditu donum aeeipiatur, aeeipiam et sim gratus pro isto dono. Ζ. 10 Christianus non fit operando sed audiendo. Vgl. 42, 469, 23 ff; 43, 202, 3 I f f . ; T R 5, 280, 4 f. — P. Bühler kommentiert (Die Anfechtung.. . S. 98) : »Darum heißt es: nudum verbum. nur das Wort allein hilft, und nur durch das bloße Hören, solo auditu wird einem diese Hilfe zuteil; ja, Luther kann, um die Passivität bei diesem Vorgang zu betonen, drastisch sagen, man müsse nur schnarchen und das Wort hören und dieses Geschenk annehmen«. Siehe weiter E. Bizer, Fides ex auditu S. 147 ff. 10 WA 40 I 336, 25 f. (1535 Gal. 3,2) Nos sola fide in Christum sine operibus iustificari, Solo auditu fidei spiritum sanctum dari ad vocem Evangelii, non ad vocem vel opus legis. 300, 20 (Gal. 2,20) cur non dicerem me iustum propter iustitiam Christi, praesertim cum audiam eum dilexisse me et tradidisse seipsum pro me? 41 Ebd. 229, 27 (Gal. 2, 16) Sicut Sophistae dicunt charitatem formare et imbuere fidem, Sic nos dieimus Christum formare et imbuere fidem vel formam esse fidei. Vgl. Z. 2 f. 8 ff. 12 f. 18 ff. 42 WA 49, 784, 16 (Pred. 1545 Rörer 1. Joh. 4, 16 ff.) Charitas sequitur veram fidem.
23 Ergreifens und Empfangens, fides apprehensiva 43 , die sich Christi Gerechtigkeit zueignet« 44 ist der Glaube die Voraussetzung für den ständigen Empfang der Liebe, so wie wiederum der Glaube verloren geht, wenn er nicht in der Liebe geübt wird 45 . Luther bekämpft also deshalb die fides charitate formata, weil er den rechtfertigenden Glauben als auf Christus selbst gerichtet versteht — den Christus, der im Wort geoffenbart wird als unsere »fremde« Gerechtigkeit und als die Quelle der guten Werke 48 —, während ihm die scholastische Formel den Blick auf den Glauben als eine eingegossene, inhaerente Qualität zu richten scheint 47 . Luther hat nicht die metaphysische und psychologische Einheit von Glauben und Liebe in Frage gestellt48, sondern vielmehr das Ohr, Auge und Herz von einer egozentrischen Betrachtung weggelenkt und sie hingewiesen auf den Empfang Christi und den Dienst am Nächsten 49 . Indem der Glaube Christus umfaßt als den »fels, da man butter unnd honig auß seugt« 50 , ja, indem der Glaube kraft des Heiligen Geistes in der Liebe Christi zu mir und zu meinem Nächsten lebt, ist er »eyn WA 39 I 45, 21 (Thesen de fide 1535) fides apprehensiva . . . Christi. P. Althaus, Liebe und Heilsgewißheit... S. 71 (Die Theologie M. Luthers S. 373). WA 34 I 168, 13 ff. (Pred. 1531 Rörer 1. Kor. 13) qui fidem habet et non utitur charitate, amisit fidem, si etiam mirabilia fecerit per fidem, quia fides bringt charitatem mit. 46 WA 2, 146, 14 ff. (Sermo de duplici iustitia 1519) qui credit in Christo, haeret in Christo, estque unum cum Christo, habens eandem iusticiam cum ipso . . . Et haec iusticia est prima, fundamentum, causa, origo omnis iusticiae propriae seu actualis. WA 39 I 83, 24 f. (3. Thesenreihe über Rom. 3, 28 1536) iustitiam Christi... extra nos et aliena nobis. 47 WA 40 I 286, 17 ff. (Gal.brief 1535 Gal. 2, 20) Ergo fides illa non est otiosa qualitas, sed tanta est eius magnitudo, ut obscuret et prorsus tollat ista stultissima somnia doctrinae Sophisticae de Actione fidei formatae et charitatis, de meritis, de dignitate aut qualitate nostra etc. 48 Luther will die unlösbare Einheit von Glauben und Liebeswerken behaupten im Gegensatz zu den scholastischen Theologen, die »den glauben gesetzt haben nit über, szunder neben andere tugent, unnd ym ein eigen werck geben, abgesundert von allen wercken der ander tugent« (WA 6, 206, 20 ff. Von den guten Werken 1520). Aus diesem Verständnis des Glaubens als eines Werkes neben anderen Werken folgt, daß die Scholastiker den Glauben und die Werke vermischen, indem sie sowohl die Rechtfertigung durch den Glauben allein als auch die Rechtfertigung durch die Werke allein verleugnen: »adsuant fidem operibus, et dicant, nec opera sola, nec solam fidem iustificare« (WA 43, 253, 38 f. Genesis 1535—1545) vgl. 255, 37. Ebenso streng wie Luther zwischen Glauben und Werken unterscheidet (WA 43, 255, 39 solam fidem iustificantem praedicamus, quia sola benedicitur, opera . . . sunt fructus benedictae personae), betont er ihre untrennbare Einheit : »non est admittenda separatio Iustitiae Fidei et operum, quasi sint duae diversae Iusticiae more Sophistarum (WA 30 II 659, 4 f.). Vgl. Peters, Glaube und Werk S. 178. 49 WA 10 1 1, 377, 8 ff. (Kirchenpost. 1522 Gal. 4, 1 ff.) Darumb sollen eyns Christen werck nit gericht seyn auff vordienst, wie eynß knechtis, ßondern auff nutz und durfft der andern, das er yhe nit yhm selb, ßondern nur seynem nehisten hie auff erde lebe und wirck, darynnen er gewißlich auch gott tzu ehren lebet unnd wirckt; denn er hatt durch seynen glawben fur sich selb schon gnug und ist reych, voll und selig. 34 I 453, 4 f. (Pred. 1531 Rörer) Qui est Christianus, est cum corde suo hin auff gerissen und ist yhm ex suis äugen genomen non solum, quicquid in terris, sed vita, sanctitas. Vgl. R . Bring, Das Verhältnis von Glauben und Werken . . . S. 27: »eine Gewißheit, bei der der Mensch ' über seinen eigenen Augenschein hinausgeführt wird', sodaß er sein Vertrauen auf das Wort setzt«. 80 WA 6, 216, 38 (Von den guten Werken 1520). 43 44
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24 lebendig, schefftig, thettig, mechtig ding . . . , das unmuglich ist, das er nicht on unterlas solt gutts wircken, Er fraget auch nicht, ob gutte werck zu thun sind, sondern ehe man fragt, hat er sie than, und ist ymer ym thun« 5 1 . Es ist nicht verwunderlich, daß Luther den Glauben als das höchste Werk bezeichnen kann, da j a durch den rechtfertigenden Glauben die Liebe Christi in uns kräftig ist und alle guten Werke wirkt. So heißt es im »Sermon von den guten Werken«: »Das erste und höchste, aller edlist gut werck ist der glaube in Christum . . . Dan in diesem werck müssen alle werck gan und yrer gutheit einfluß gleich wie ein lehen von ym empfangen« 52 . Nach Luther sind deshalb auch nur die aus dem Glauben geschehenden Werke gut 53 . Es ist darum der größte Irrtum, den Glauben auf eine Linie mit anderen Tugenden zu setzen und ihn als ein Werk neben anderen Werken zu betrachten. Als ihr Haupt und ihre Quelle ist der Glaube von den Werken des Glaubens streng zu unterscheiden. So zeigen die eben angeführten Stellen aus dem »Sermon von den guten Werken«, daß der rechtfertigende Glaube nur uneigentlich ein Werk genannt wird. Er wird in ähnlicher Weise ein Werk genannt, wie das Glaubensgebot u. U. zum Gesetz gerechnet wird; wie die anderen Gebote aus dem 1. Gebot »fließen«, so die Werke aus dem Glauben 54 . Nach einer strengeren Definition wird indessen weder der Glaube als Werk angesehen 55 noch das Glaubensgebot zum Gesetz gerechnet 56 . Mit Recht sagt darum H. Iwand, »sobald aber der Glaube selbst ein Werk genannt wird, ist damit nicht mehr Glaube am Begriffe Werk, sondern Werk am Begriffe Glauben definiert« 57 . Wenn der Glaube als Werk bezeichnet wird, werden dadurch die rechten Werke als Früchte des Glaubens charakterisiert. Etwas anderes ist es, daß, einmal abgesehen von 51 WADB 7, 10, 9 ff. (Vorrede zum Römerbrief 1522) ; weiter Z. 16 ff. Glawb ist eyn lebendige erwegene zuuersicht auff Gottis gnade, so gewis, das er tausent mal druber sturbe, Und solch zuuersicht und erkentnis Gütlicher gnaden, macht frolich, trotzig und lustig gegen Gott, und alle Creaturn, wilchs der heylig geyst thut ym glawben, Do her on zwang, willig und lustig wirt yderman guttis zu thun, yderman zu dienen, allerley zu leyden, Gott zu liebe und lob, der yhm solch gnad ertzeygt hat, also, das unmuglich ist werck vom glawben scheyden, also unmuglich, als brennen und leuchten vom fewr mag gescheyden werden. 62 WA 6, 204, 25. 31 f. 53 Ebd. 205, 6 Sih da, alle die selben werck gahn ausserhalb dem glauben, darumb sein sie nichts und gantz todt. 206, 5 ff. Sich da aber, warumb ich den glauben ßo hoch hebe, alle werck hinein tzihe, und alle werck furwirff die nit erauß fliessen. 64 WA 6, 209, 35 ff. wie diß gebot das aller erst, höchst, best ist, auß welchem die andern alle fliessen, in yhm gan und nach yhm gericht und gemessigt werden, alßo ist auch sein werck (das ist der glaub odder zuvorsicht zu gottis hulden zu aller zeit) das aller erst, höchst, beste, auß welchem alle andere flissen, ghan, bleyben, gericht unnd gemessiget werden mussenn. 55 WA 39 I 207, 12 ff. (Prom. disp. v. Palladius u. Tilemann 1537) Non est admittendum, quod fides opus vocetur, quia in scripturis manifesta est distinctio. 208, 20 fides in quantum est opus, non iustificat. Vgl. W A T R 6, 152, 22. 66 WA 40 I 426, 29 ff. (1535 Gal. 3, 12) lex pertinet ad facere, fides autem non est huius generis, sed omnino diversum quiddam quod requiritur, antequam Lex fiat. 57 H . J . Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube S. 12.
25 der Frage nach der Rechtfertigung (einschließlich der Gerechtmachung), sich der Glaube auch als eine Gnadengabe zum Dienst am Nächsten betrachten läßt. Unter diesem Gesichtspunkt läßt er sich nach dem Nutzen für den Nächsten messen und mit anderen geistigen Gaben vergleichen. In diesem Zusammenhang gilt nicht der Glaube, sondern die in mancherlei Werken dienende Liebe als größte Gabe 58 . In völliger Übereinstimmung mit den aus dem »Sermon von den guten Werken« angeführten Gedanken äußert sich Luther 1525 in der Fastenpostille in einer Predigt über Rom. 13, 8 ff., ohne allerdings den Glauben als Werk zu bezeichnen. Es wird sehr klar veranschaulicht, wie der Glaube und die Liebe das ganze Gesetz Gottes erfüllen. Luther benützt hier die scholastische Distinktion zwischen impletio legis effectiva und formalis. Die Liebe erfüllt das Gesetz formaliter, nämlich durch sich selbst; sie ist die Erfüllung des Gesetzes. Der Glaube erfüllt das Gesetz effective, indem er das Erforderte vermittelt und darreicht ; er gibt die Erfüllung. Dies wird erläutert durch das Bild vom Krug, der durch den Schenk mit Wasser erfüllt wird. Sowohl vom Schenk als vom Wasser kann gesagt werden, daß sie den Krug füllen — der Schenk durchs Wasser, das Wasser durch sich selbst 59 . Durch den Glauben wird also die Liebe geschenkt, die wie der Glaube Gabe des Heiligen Geistes ist und kraft welcher wir Gott und seine Gebote lieben und halten 60 . Damit sind prinzipiell auch die einzelnen guten Werke geschaffen: »fides facit personam gratam et 1. facit arborem, ergo etiam poma« 6 1 . Das Evangelium erweist sich als schöpferisches Gotteswort darin, daß es, durch den Heiligen Geist ins Herz gepflanzt, wächst, herausbricht und sich zu erkennen gibt durch Liebeswerke, die Früchte und Beweise des Glaubens sind 62 . Der Glaube tut »sponte et hilariter« so gewiß gute Werke, wie die
58 WA 17 II 100, 26 f. (Fastenpost. 1525 Rom. 13, 8 ff.) Die liebe aber ist das heubt, der brunn und gemeyne tugent aller tugent. 171, 14 ff. (1. Kor. 13) der glaube hat alleyne mit Gott ym hertzen ynn diesem leben zu thun. Die liebe aber hat mit Gott und aller wellt ewiglich zu thun. (Nichts deste weniger, gleich wie Christus unmeslich, besser, wirdiger und thewrer ist denn die Christenheyt, ob er wol kleyner und eyn eynzele person ist, so ist auch der glaube besser, wirdiger und theurer denn die liebe, ob er wol kürtzer weret und mit eynem eynzelen Gott umbgeht.) 59 WA 17 II 98, 18 ff.; TR 5, 369, 19 f. Dilectio est plenitudo legis formaliter, fides autem est plenitudo legis effective. Vgl. WA 34 I 141, 13 (Pred. 1531 Rörer Rom. 13,8) dilectio est plenitudo. Sic implet dilectio legem wie die opffel den korb. Sed per fidem Gal. V. 60 WA 34 I 466, 13 ff. (Pred. 1531 Rörer Apg. 2, 1 ff) ad hoc servit spiritus sanctus: cum non possimus praestare 10 praecepta, ut dicat veniens: das sol dir geschenkt werden et dabo gäbe, ut incipias diligere et servare 10 praecepta. 36, 436, 6 (Rörer) Charitas non est scientia humana, sed donum spiritus sancti. 61 WA 34 I 141, l f . (Pred. 1531 Rörer Rom. 13, 8 ff); vgl. 142, 10 f. credo in Christum, quae facit personam gut, et similiter apfelbaum et fert fructus. 62 Ebd. 165, 11 (1. Kor. 13) Si adest fides, so wird er erausbrechen mit liebe, ut sequitur. 166, 3 ff. Tale cor mus quellen ex fide, si non, fides non est vera. Si non es aliter affectus quam ante cognitionem, non putes te Christianum und selig. 16 f. fides non est otiosa res in corde dormiens. 167, 11 f. Si vera fides, non potest talem bosheit thun, quia donum est spiritus sancti.
26 Sonne scheint und 3 plus 7 gleich 10 ist63. Durch den Glauben bzw. den Unglauben wird also die ganze Person bestimmt. Sich auf Ausdrücke aus der mittelalterlichen Logik und Metaphysik berufend, spricht Luther von der necessitas consequens seu immutabilis64, »laut der ein Sosein mit sich selbst identisch ist und seinen inneren Gesetzen folgt« 65 . Wie die Person ist, so sind die Werke; durch ihre Werke charakterisiert sich die Person. Werden also die Werke gelobt, wird die Person gelobt; ebenso wird die Person angefochten, wenn die Werke angegriffen werden. In der Auslegung von Mt. 16, 27 in »Enarrationes in aliquot capita Matthaei« 1538 polemisiert Luther gegen diejenigen, die folgern: »Gott vergilt nach den Werken, also sind es die Werke, die rechtfertigen oder verdammen« 66 . Durch einen solchen Gedankengang werden nach Luthers Meinung das Werk und der Wirkende geschieden, da das Werk als eine selbständige Größe betrachtet wird, die an sich Rechtfertigung oder Verdammnis verdient67. Luther kann das Werk nur in unlösbarem Zusammenhang mit der Person fassen. Diese Einheit findet er eben in Mt. 16, 27 bezeugt. Es heißt nicht, daß die Werke ihren Lohn bekommen ; den Lohn bekommt vielmehr der Wirkende nach seiner Tätigkeit — einer Tätigkeit, die der Qualität der Person entspricht. Jeder ist, bevor er Werke tut, immer schon entweder gut oder böse68. Dementsprechend werden auch die Gebote verstanden. Wenn die Liebeswerke gefordert
63 WA 39 I 46, 28 ff. Fatemur opera bona fidem sequi debere, imo non debere, sed sponte sequi, sicut arbor bona non debet bonus fructus parere, sed sponte facit. T R 6, 153, 6 ff. (Aurifabers Samml.) Wie nicht recht gesagt wird: Die Sonne soll scheinen, ein guter Baum soll gute Früchte bringen, drei und sieben sollen zehen sein. Denn die Sonne soll nicht scheinen, sondern sie thuts ungeheißen von Natur, denn sie ist dazu geschaffen ; also ein guter Baum bringet ohn das gute Früchte ; drei und sieben sind vorhin zehen, sollens nicht erst werden. Daß also hie nicht geredt wird, was geschehen oder sein soll, sondern was allbereit jtzt geschieht und ist. Vgl. WA 2,596, 11 ff. (1519 Gal. 5, 23) ; 6, 207, 3 ff. (Von den guten Werken 1520). 61 W A T R 6, 150, 33 ff. (Aurifabers Samml., dt. = Förstemann und Bindseil D. M. Luthers Tischreden od. Coloquia I I 149 f.) iustitia operum »necessaria est, sed non necessitate legali seu coactionis, sed necessitate gratuita seu consequentiae seu immutabilitatis. Sicut sol necessario lucet, si est sol«. 65 R. Hermann, Luthers Rechtfertigungslehre und ihre Bedeutung. Gesammelte Studien . . . S. 376 f. ( = ZSTh 1950—52 S. 281). Ebd. : »Das ist die bekannte necessitas immutabilitatis, die, an klassische Philosopheme angelehnt, als innere Notwendigkeit f ü r alles Sein, zu sich selber zu stehen, wiedergegeben werden mag«. ββ WA 38, 647, 24 ff. (Annotat. in aliquot capita Matthaei 1538) Vitiosissimum igitur argumentum est : Deus reddit secundum opera, Ergo opera iustificant vel damnant. " Ebd. Ζ. 26 ff. illud verbum ' opera' est compositum, includens fidem seu rationem fidelem, per quam fiunt opera, etc. At ipsi dividunt istud compositum, et sola opera seu partem compositi opponunt fidei, et per opera volunt salvari. 68 Ebd. Z. 31 ff. coniungit opera cum persona, et facit tale compositum ex operante et operibus, quod non sit dividendum. Ñon enim dicit: Reddet cuilibet operi, sed sic dicit: Reddet unicuique secundum opera sua. Unicuique, inquit, id est, qualis fuerit persona operans, talem accipiet mercedem. Quare non opera, sed operans recipiet mercedem. Operans vero est, qui ante opus vel bonus vel malus est. 2, 492, 20 (1519 Gal. 2, 16) Regula Apostoli est haec: Non opera implent legem, sed impletio legis facit opera. Non iusta faciendo iustus fit, sed factus iustus facit iusta. Prior est iusticia plenitudoque legis, antequam fiant opera, cum haec ex illa fluant.
27 werden, wird in Wirklichkeit der ganze Mensch gefordert, der sich in Liebe dem Nächsten schenkt, weil er durch den Glauben in Gott ist und bleibt 68 . 3. Rechtfertigung auf Grund des Glaubens und der A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Karl
Liebeswerke? Holl
Als scheinbar selbstverständliche Konsequenz des bisher Gesagten könnte die Behauptung aufgestellt werden, mit dem Glauben zusammen gehörten die Früchte des Glaubens, die Liebe und die Werke, in den locus iustificationis, in dem nach der vor Gott geltenden Gerechtigkeit gefragt wird. Karl Holl behauptet das in seiner Lutherdeutung sehr entschieden: »Wenn Gott den Sünder in dem Moment, in dem er nur Sünder ist, für gerecht erklärt, so antizipiert er das Resultat, zu dem er selbst den Menschen führen wird. Sein Rechtfertigungsurteil ist analytisch«. »Wie der große Künstler in dem rohen Marmorblock schon die fertige Statue erblickt, so sieht Gott in dem Sünder, den er rechtfertigt, bereits den Gerechten, den er aus ihm gestalten wird. Darum kann Luther ebensogut sagen: Gott rechtfertigt den Sünder: wie: Gott rechtfertigt den Gerechten. Oder, wenn die Schulausdrücke verwendet werden sollen, das Rechtfertigungsurteil kann bei ihm das eine Mal synthetisch, das andere Mal analytisch lauten, ohne daß hierdurch ein Widerspruch entstünde. Aber die letztere Form ist in Luthers Sinn die theologisch genauere« 70 . Nach Holl ist die Gerechtsprechung bei Luther heute proleptisch analytisch, am Jüngsten Tag tatsächlich analytisch, da er die Luthersche Gesamtformel Glaube und Liebe auf den locus iustificationis bezieht als prinzipielle Grundlage der Gerechterklärung. Das Rechtfertigungsurteil beruht einmal auf der von Gott gewirkten Heiligung, die in Glauben, Reue und Demut besteht 71 — und weiter auf der Liebe72 und der tatsächlich vom Menschen in der Kraft des Glaubens durch Werke geleisteten Gesetzeserfüllung73. Auch der Glaube hat seine Geltung vor Gott als gottgewirkter neuer Gehorsam 74 . Überhaupt wird das Rechtfertigungsurteil auf die tatsächliche Gerechtigkeit der Christen bezogen. Rechtfertigungsurteil und Gericht nach den Werken werden in eins gesehen und tatsächlich identifiziert 75 . 89
WA 30 II 661, 23 ff. (De loco Iustificationis 1530) Date est secundae personae verbum, ergo requirit personam totam, non opus solum. Persona autem est homo maxime secundum cor et animum. 10 I 1, 327, 18 f. (Kirchenpost. 1522 Gal. 4, 1 ff.) Gott sihet auff die person, ßo sihet Cain auff die werck. Gott will die werck umb der person willen belonenn. 339, 9 f. 12 f. fur gott muß die person zuuor gutt seyn vor den wercken . . . Gott richtet die werck nach der person. 70 Κ. Holl, Ges. Aufs. I S. 124 Anm. 2; S. 125. " Ebd. S. 126 f. 72 Ebd. S. 122. 73 Ebd. S. 118 Luther denkt »bei der von Gott geforderten Gesetzeserfüllung nicht an eine nur ' angeeignete', sondern an eine tatsächlich vom Menschen selbst geleistete«. 74 Ebd. S. 119 der Glaube bedeutet »den Gehorsam des Menschen gegenüber der auf ihn zielenden Gnadenabsicht«. 76 Ebd. S. 122.
28 Das Verhältnis zwischen iustum reputare und iustum efficere —• beides ist im Begriff iustificare enthalten76 — bestimmt Holl als das von Mittel und Zweck77. Die Gerechterklärung schafft die reale Gerechtigkeit, die in der Auferstehung vollendet wird und die der wirkliche Grund der Gerechterklärung ist. Die iustificatio impii ist gleichsam, um Holls Bild zu benützen, die Arbeitsweise Gottes, mittels derer er den Heiligen aus dem Sünder heraus gestaltet. Der vollendete Gerechte verhält sich zum iustificator wie die fertige Statue zum Künstler. Wie der rohe Marmorblock allein um der Statue willen dem Künstler wertvoll ist, so ist auch der durch den Glauben Gerechte wegen des aus ihm noch zu gestaltenden völlig Gerechten Gott wohlgefällig. Die ganze Zeit steht das fertige Werk vor Gottes Auge. Bis dahin ist allerdings die in Christi Versöhnung begründete göttliche Vergebung nötig. Also hat Luther, sagt Holl, »über die Grundlage der Rechtfertigung verschieden gedacht«: »das eine Mal ist es die Heiligung, das andre Mal die Versöhnung in Christo« 78 . Demgemäß kann das Rechtfertigungsurteil sowohl analytisch wie synthetisch lauten. Für Holl ist der analytische der wichtigere und theologisch genauere Aspekt des göttlichen Urteils. Die in der Versöhnung begründete Vergebung und die synthetische Rechtfertigung sind die Mittel, durch die der eigentliche Grund zur Gerechterklärung, die reale Gerechtigkeit, gelegt wird. In ähnlicher Weise behauptet auch R . Seeberg, nach Luther stütze sich die Gerechterklärung des Sünders durch Gott propter Christum zugleich auf die angefangene Gerechtigkeit. Wenn beim reifen Luther der Glaube allein als Grund der imputatio genannt werde, so geschehe das, weil »der Glaube ja nichts anderes als der Hauptbestandteil jener Beziehungen zu Gott ist, im Hinblick auf welche oder auch auf den sie wirkenden und erhaltenden Christus der Mensch für gerecht erklärt wird.« Das heißt: die imputatio geschieht zwar propter Christum, aber nur auf Grund der in uns begonnenen realen Gerechtigkeit79. Mit diesen Gedanken wird die Anschauung des Andreas Oslander wieder aufgenommen: »Es rechtfertigt aber allein der glaube und alles, was aus dem glauben volgt, nemlich die recht gottlich lieb und alle werck der liebe« 80 . Im Anschluß an Holl behauptet auch R . Bring, das ganze aus dem Glauben fließende Tun des Menschen gehöre zu der von Gott geschenkten Gerechtigkeit, die coram Deo gilt. In den Werken des Glaubens sei Christus wirksam als der gewaltige Streiter und Held. Eben dieser Kampf geschehe in loco iustificationis, wo die reputatio ausfülle, was an realer Gerechtigkeit noch mangele81. Als Beleg für die Begründung der göttlichen Gerechterklärung in der "> Ebd. S. 127; vgl. oben A Anm. 6 u. 51. " Ebd. S. 123. 78 N K Z 1923 S. 50 ff. '» Dogmengeschichte I V S. 130 f. 315. 80 A. Oslander, Heilsweg 42 b (Zit. nach Hirsch, Die Theol. des A. Oslander.. .). 81 SvTK 1930, S. 180 (übers.).
29 in der Zeit begonnenen und in der Ewigkeit vollendeten Heiligung führt Holl das Gleichnis vom Arzt und Genesenden in der Römerbriefvorlesung an. Es heißt in den Scholien zu Rom. 4, 7 f., der Arzt erkläre den Kranken für gesund, da er gewiß sei, daß er ihn heilen werde, weil er ihn schon zu heilen begonnen und ihm die Krankheit nicht zum Tode angerechnet habe 82 . Wir geben Holl darin völlig Recht, daß in diesem Gleichnis die reale Genesung zur Grundlage der ärztlichen Erklärung gehört. Das göttliche Rechtfertigungsurteil wird mit einem proleptischen Gesundheitsattest verglichen, das auf Grund der gewiß zu erwartenden Genesung ausgestellt wird. Indessen hebt Luther in der Anwendung des Bildes Sachmomente hervor, die den Rahmen des Gleichnisses sprengen. Im Zentrum seines Blickfeldes steht in Wirklichkeit nicht die Heiligung und auch nicht die Beurteilung des Tatbestandes, sondern die Geltung und Kraft der göttlichen Gerechterklärung und Verheißung. Gott gegenüber bleibt der Christ sein Leben lang »peccator re vera, sed iustus ex reputatione et promissione Dei certa, quod liberei ab ilio, donec perfecte sanet« 83 . In der Anwendung des Bildes findet sich bei Luther statt der durch Holl hervorgehobenen Begründung der Gesundheitserklärung durch die gewiß eintreffende Genesung der Gedanke, die Heiligung sei die gewisse Folge der göttlichen Gerechterklärung 84 . Als einen weiteren Beleg für seine Auffassung hebt Holl eine Stelle aus der »Assertio omnium articulorum« hervor: »interim favor dei nos suscipit et sustinet, non imputans ad mortem quod reliquum est peccati in nobis, licet vere peccatum sit et imputari possit, donec efficiamur perfecte nova creatura: ad finem enim purgationis patris misericordia respicit, propter quem intermedias peccati immunditias statuii misericorditer ignoscere, donec penitus aboleantur«. Hier sei, kommentiert Holl, unmißverständlich gesagt, daß 1. Gottes Rechtfertigungsurteil durch das Ziel, das er dabei im Auge hat, bestimmt sei, daß 2. dieses Urteil einen Entschluß, einen Willensakt Gottes darstelle, dessen Grund die von Gott beabsichtigte »Reinigung« des Menschen bilde 85 . Hierzu ist indessen zu bemerken, daß die Imputation, die Luther hier anscheinend in der Vollendung der Heiligung begründet sein läßt, tatsächlich mit der in der Rechtfertigung zugesprochenen Vergebung identisch ist, die nach der gesamten Theologie Luthers im Christus pro nobis crucifixus ihren wirklichen Grund hat 86 . Diese Vergebung begleitet die Heiligung des Christen bis zur Vollendung am Jüngsten Tag, und gilt —• da die 82
WA 56, 272, 9ff".(Rom. 4,7). Vgl. Holl a.a.O. S. 124. WA 56, 272, 17 ff. WA 56, 272, 11 ff. 85 WA 7, 109, 26 ff. (Assertio omnium articulorum . . . 1520). Holl a.a.O. S. 124 Anm. 2. 89 WA 7, 109, 34 ff. etsi sit peccatum in eis, non nocet, duplici iure, Primo, quia sunt per fidem in Christo Iesu, quo mediatore eis ignoscitur quicquid peccati inest. Secundo, quia non secundum carnem ambulant, id est, pugnant contra peccatum, ut extinguant, quo studio, quia inviti habent peccatum in se, pro non habentibus deus illos habet, non tarnen nisi gratuita misericordia. 83
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30 Rechtfertigung, wie ihre realen Wirkungen erweisen, wirklich ist — bis die Vergebung nicht mehr vonnöten ist, da die Gerechtmachung vollendet ist87. Erst auf Grund dieser zeitlos geltenden iustificatio propter Christum hat der in den von Holl angeführten Stellen ausgedrückte Gedanke der barmherzigen Beurteilung und der Vergebung propter inceptam purgationem bzw. curationem seinen Platz. Die Stärke der Holischen Lutherinterpretation ist die energische Hervorhebung verschiedener Aspekte der Lutherschen Lehre von Rechtfertigung, Heiligung und Gericht. Ihre Schwäche indessen liegt darin, daß sie diese Aspekte vermischt. Durch den Gedanken der realen Gerechtmachung werden bei Holl die Rechtfertigung durch den Glauben und ein eschatologisches Gericht nach dem Tatbestand so verbunden: »mag die Vollendung auch erst an der Schwelle zum Jenseits erfolgen, daß sie erfolgt, steht für Luther fest. Der Mensch wird tatsächlich vor Gott gerecht. So gerecht, daß er im Gericht bestehen kann. Gerecht jedoch in dem Sinn, wie Luther das Wort versteht, d. h. durchläutert von der Gottesliebe und vollkommen eins mit Gott« 88 . Holl sieht ein, daß diese Aussage im Sinne einer doppelten Rechtfertigung verstanden werden kann. Er weist jedoch diesen Gedanken ab, und versucht die beiden Gedankenreihen der Rechtfertigung durch den Glauben und eines Gerichts nach dem Tatbestand auf einen Nenner zu bringen 89 . Dadurch entsteht die »neue Konstruktion der lutherischen Rechtfertigungslehre« (W. Walther), in der die Wirkung der göttlichen Gerechterklärung zugleich als Grund dieser Erklärung gilt. Indem aber die Rechtfertigung einseitig als Mittel zur Heiligung und zum Bestehen in einem Jüngsten Gericht nach dem Tatbestand angesehen und inhaltlich mit der Gerichtsforderung identifiziert wird, geht das Eigentümliche der Lutherschen Rechtfertigungslehre, die zeitlose Geltung der Rechtfertigung durch den Glauben und die exklusive Geltung des Glaubens in loco iustificationis als Zuversicht auf die »fremde« Gerechtigkeit Christi verloren 90 . 87 WA 8, 106, 6ff".(Rat. Latom. confut. 1521) Huic fidei et iustitiae comes est gratia seu misericordia, favor dei, contra iram, quae peccati comes est, ut omnis qui credit in Christum, habeat deum propitium. Z. 30 Ita veritas ex Christo in nos fluens fides est, gratia fidem comitatur ob gratiam Christi. — Von gratia als comes fidei et iustitiae siehe besonders S. Lerfeldt, Den kristnes kamp S. 94 f. : »Gratia ist immer der übergeordnete Begriff" und kann nicht prinzipiell, dogmatisch als 'Begleiter' des Glaubens betrachtet werden. Im Kampf des Lebens aber erfährt man es, als sei gratia der Begleiter des donum, da der Christ durch die Gabe, d.h. durch die mortificado carnis als die Seinsform des Glaubens, von der Gnade vergewissert wird« (übers.). Mit Recht polemisiert Lerfeldt gegen diejenigen, die die angeführten Stellen als Ausdrücke eines Ringens zwischen einer Prädestinations- und einer Versöhnungslinie in der Theologie Luthers verstehen, so R. Hermann, Luthers These . . . S. 83 — 108 ff.; R. Prenter, Spiritus creator S. 58 ff. (dt. S. 49). 88 Holl a.a.O. S. 122. 89 Ebd. »Luther weiß nichts von dem schwachen Fündlein einer zweimaligen Rechtfertigung . . . Er meint also offenbar in den beiden sich widersprechenden Sätzen ein und dasselbe Urteil Gottes«. 90 Zur Kritik der Holischen Rechtfertigungslehre siehe besonders W. Walther, NKZ 1923 S. 50 ff.; A. Nygren, SvTK 1925 S. 105 ff.; Fr. Gogarten, Theologie und Wissenschaft. Christi. Welt 1924; Heinr. Hermelink in: Die neuere Lutherforschung NF
31 Trotz seiner starken Betonung der realen Gerechtigkeit des Gerechtfertigten erkennt auch Holl, daß der Gerechtfertigte in dieser Zeit coram Deo immer ein impius bleibt 91 . — Nach Luthers Theologie der Schöpfung bedeutet dies, daß in bezug auf Gottes Rechtfertigung als creatio ex nihilo der noch nicht Gerechtfertigte Sünder und der schon Gerechtfertigte prinzipiell auf einer Linie stehen. Unter diesem Aspekt besteht ein grundsätzlicher Unterschied nicht zwischen peccator und iustus, sondern zwischen peccator und peccator. Luther betont nämlich, dieses nihil sei nicht der Sünder an und für sich, sondern derjenige, der vor Gott als ein überführter Sünder steht92. Allein als ein in loco iustificationis »redactus in nihilum« ist der Sünder die materia für Gottes iustificatio93. Das ist die Bedeutung der Buße als Erkenntnis der Sünde. In ihr ist der Sünder in der Wahrheit, obwohl nicht so in der Wahrheit, als ob er wegen der Buße gerecht erklärt werden könnte. Der Bußfertige erkennt sich vielmehr als Lügner, der nicht recht Buße tun kann. Der Bußfertige ist so in der Wahrheit, daß er sich als unbußfertig erkennt94. Die Bedeutung der Sündenerkenntnis Hegt in dem Eingeständnis des Menschen, er bedürfe der Gerechtigkeit Christi, weil er die Verdammnis verdient habe 95 . Auch die Buße gehört also nicht so in den locus iustificationis, daß sie als Grund der Gerechterklärung betrachtet wird, sondern nur so, daß in ihr der Mensch vor Gott steht, zitternd und hoffend, völlig darauf angewiesen, zu hören, zu empfangen und zu leiden was Gott sagt, gibt Jg. 7, 1935 S. 63 ff, 131 ff.; Johs. von Walter, Die Theologie Luthers S. 189 f.; R. Hermann, Beobachtungen zu Luthers Rechtfertigungslehre. Ges. Studien 1960 S. 77 ff. ( = R. Seeberg-Festschrift I 1929 S. 239 ff.). 91 A.a.O. S. 122 »Freilich geschieht das Letzte erst im Tod. Bei Lebzeiten wird, nach dem Psalmwort (Ps. 143, 2), niemand vor Gott gerecht«. — Johs. von Walter trifft also nicht Holl mit seiner Kritik (Die Theologie Luthers S. 189 f.) : »Luther kennt keine vollendete Heiligung des Menschen in diesem Leben. Immer muß der Gerechte sich als Sünder ansehen«. 92 WA 40 I 534, 29 ff. (1535 Gal. 3, 24 f.) cum totus mundus in peccato positus sit, opus est isto ministerio legis, ut peccatum revelet, alioqui sine eo nemo posset pervenire ad iustitiam. Vgl. D. Löfgren, Die Theologie der Schöpfung S. 287 ff. 63 WA 1, 428, 1 ff. (Decern praecepta 1518) nihil nobis relictum est nisi peccatum, stulticia, malicia, perditio et confusio, ac per hoc non possumus nobis in ullo piacere aut idolum facere, redacti in nihilum, ex quo et venimus, remanente solo deo omnia in omnibus. 40 I I 363, 7 f. (Enarratio Psalmi L I 1532 V. 5) Confide, quia vult tales, qui sentiunt peccatum, quia alias neminem salvaret. Vgl. G. Ebeling, Erwägungen zur Lehre vom Gesetz S. 306 ( = Wort und Glaube S. 293) : »Der peccator aber ist nach Luther die materia legis. Darum gilt als Grundregel für unser Thema : 'Si vis disputare de lege, materiam legis accipe, quae est peccator 5 , 40 I 535, 1 «. 91 WA 56,216, 18 ff. (Rom. 3,7) Ita et de veritate dicendum, Quod non ideo Veritas Dei glorificatur, quia mentior, Sed quia agnosco, quod sum mendax et cesso esse mendax, dum veritatem, que ex Deo est, amplector, ut per illam et non per meam verax efficiar, ut sic cesset gloriatio mea in me; Sed Deus solus glorificetur in me, qui solus verificavit me sive veracem fecit, Cum etiam Veritas mea coram ipso sit mendacium. Vgl. 3, 431, 9 ff. (Diet, super Ps. 1513—16) Quare si in illis gemere non potes, geme saltern quod gemere non potes, plora quod plorare non potes, tristis esto quod tristis esse non potes, humillare quod humilis esse non potes, time quod timere non potes, et sic de aliis, si forte vel hoc divina misericordia respiciat et magnificet sese super te. — Siehe A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung S. 61 und 33. 96 WA 3, 29, 9 ff. (Diet, super Ps. 1513—16) »Iudicium« est sententia damnationis et est proprie, quando quis seipsum accusat, detestatur et condemnat.
32 und tut. Ohne Verdienst und Würdigkeit steht der Sünder in seiner Zerknirschung vor Gott. Auch die Demut bildet nicht den Grund für das Rechtfertigungsurteil Gottes. Die Notwendigkeit der Sündenerkenntnis für die Rechtfertigung liegt für Luther darin begründet, daß in der Rechtfertigung eben die zu rechtfertigende Person, der Sünder, anwesend sein muß, nicht eine andere Person, ζ. B. ein Gerechter96. Die Sündenerkenntnis ist also notwendig als die materia, in der uns Gott erretten will : »Dolor de peccato et lex sunt necessaria ad iustificationem, scilicet materialiter. Nam ich werde dabey sein materialiter«97. Diese Feststellung gilt von der Buße, soweit sie die Wirkung des — durch Gesetz und Evangelium verkündigten — Gesetzes ist. In der Buße ist indessen nach Luther auch das opus proprium des Evangeliums wirksam und schafft Hoffnung auf Christus ; sonst würde die Sündenerkenntnis zur Verzweiflung führen 98 . Zur wahren Buße gehört also auch die Hoffnung auf Gottes Gnade und die beginnende Liebe99. Darum können humilitas, confessio peccati und iustificatio Dei in sermonibus suis mit dem Glauben auf eine Linie gesetzt werden als Wirkungen des allmächtigen Wortes und als Grundlage der göttlichen iustificatio — so wie es Holl in bezug auf den jungen Luther nachgewiesen hat100. Weil beim jungen Reformator die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium, Christus iudex und Christus iustificator, Glauben und Werken noch nicht in völliger Konsequenz durchgeführt ist101, redet Luther z. B. in der Römerbriefvorlesung einfach vom ganzen Prozeß der Buße als Gottes rechtfertigendem Werk durchs Wort unter verschiedenen Aspekten: humiliatio, confessio, resignado in infernum bzw. in voluntatem Dei, iustificatio Dei in sermonibus suis102. Weil das 96 W A 39 I 452, 1 ff. (2. Antinomerdisp. 1538) Poenitentia quoad p a r t e m est lex . . . I t a q u e requiritur ad iustificationem materialiter . . . Sed nos loquimur hic de effectu: An sit necessaria effective, et respondetur : Q u o d non, ut supra. Materialiter m u l t a sunt necessaria. " Ebd. Ζ. 2 ff. Vgl. G. Ljunggren, Synd och skuld . . . S. 358: »Das 'ethisch' gute oder böse Gewissen ist . . . das M e d i u m , durch das unsere Ewigkeitsrelation uns bewußt wird« (übers.). 98 W A 39 I 346, 26 ff. (1. Thesenreihe geg. die Antin. 1537) Evangelion coepit docere. poenitentiam n o n oportere t a n t u m desperationem esse. Sed poenitentes debere spem concipere. Vgl. 4. Thesenreihe 1538, T h . 6—12, 39 I 352, 18 ff. 99 Ebd. 345, 16 f. (1537) Poenitentia o m n i u m testimonio et vero est dolor de peccato cum adiuncto proposito melioris vitae. 346, 28 f. poenitentes debere spem concipere, et sic ex amore dei peccatum odisse, id quod est vere propositum b o n u m . 100 Holl kommentiert (a.a.O. S. 127) W A 56,227, 18 ff. so: » D a r n a c h sind die Wendungen propter fidem, propter confessionem, propter humilitatem mit d e m eben erwähnten Ausdruck propter ineeptam curationem vollkommen gleichwertig u n d ganz ebenso zu ergänzen. Gott, der mit den G a b e n des Glaubens, der Demut, der Reue, den Grundstein im Menschen gelegt hat, n i m m t sie schon f ü r das ganze Gebäude, das er errichten wird, u n d d a r u m kann er über das noch Schadhafte hinwegsehen«. 101 W A 3, 463, 26 ff. (Diet, super Ps. 1513—16). Vgl. E. Bizer, Fides ex auditu S. 150 f. F. Loofs macht darauf Aufmerksam (Leitfaden S. 766), d a ß Luther seit der Vorrede zum Römerbrief 1522 gratia u n d d o n u m so unterscheidet, d a ß in der Rechtfertigung der G l a u b e n u r in betracht kommt als auf Gottes H u l d , die er zu uns trägt, gerichtet. Vgl. S. Lerfeldt a.a.O. S. 92 f. u n d siehe unseren Zusatz S. 246. 102 W A 3 , 458, 4 f . (Diet. 1513—16) iustitiaDei est t o t a h e c : s c i l i c e t s e s e i n p r o f u n d u m humillare. Talis enim venit in altissimum: quia descendit in profundissimum prius.
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wirkende Wort nicht nur das Gesetz, sondern vornehmlich das Evangelium ist, ist die Wirkung des Wortes aber in den verschiedenen Aspekten vor allem der Glaube 103 . Wir werden gerecht, indem wir, vom Wort überwältigt, Gott für gerecht halten in seinem Gericht und seiner Gnade und indem er also in uns gerecht wird. Diese iustificatio Dei passiva ist mit dem Glauben und unserer Rechtfertigung durch Gott identisch104. Dasselbe gilt für die mit der iustificatio Dei passiva sachlich identischen Begriffe humilitas und confessio. Nur auf den Glauben bezogen, gelten Demut und Reue als Grundlage der Gerechterklärung. Der ganze Gedankengang ist bei Luther christozentrisch bestimmt. Letztlich ist auch in der Römerbriefvorlesung Christus allein der Grund unserer Rechtfertigung; er wird in der humilitas, confessio, iustificatio Dei und resignatio in infernum als unsere Gerechtigkeit vor Gott erfaßt 105 . Holl versteht die Wendungen propter fidem, propter humilitatem, propter confessionem und propter inceptam curationem so, daß es hier unterschiedslos um ein göttliches Rechtfertigungsurteil aufgrund der begonnenen realen Gerechtigkeit gehe, wie in einem analytischen Gericht. Bei Luther sind indessen diese Wendungen eindeutig auf den Glauben bezogen und haben den schon vorher fertigen Begriff der iustitia Dei passiva, nämlich Christus pro nobis, zur Voraussetzung106. Sie besagen, daß der Gerechte allein im Glauben an Christus seine Gerechtigkeit hat. Eben dieser Glaube ist und bleibt das rettende Geheimnis des seine Sünden demütig bekennenden Christen, der coram Deo ein nihil ist und bleibt107. Die durch Holl geprägte Lutherforschung hat viele wertvolle Beobachtungen gemacht. Bedeutungsvoll ist die Betonung der schöpferischen Kraft der göttlichen Gerechterklärung; wichtig ist die Betrachtung des Gerechtfertigten nach seiner ethischen Seite und der damit zusammenhängende Aspekt der Rechtfertigung als Vollendung der begonnenen 6, 117, 18 (Tessaradecas consolatoria 1520) Confessio enim peccati, quia Veritas est, iustificat et sanctificat. 56, 388, 1 If. (Rom. 8, 28) resignant ad infernum pro Dei volúntate, U t in hora mortis fit fortasse multis. 212, 26 ff. tune Iustificatur Deus in sermonibus suis, quando sermo eius a nobis Iustus et verax reputatur et suscipitur, quod fit per fidem in eloquia eius. 103 W A 56, 225, 15 ff. (Rom. 3,4) Deus Iustificatur in sermonibus i.e. dum creditur ei in evangelio de impletione promissi, ut verax et Iustus habeatur. — Gott wird »in nobis« gerecht, indem wir unsere Sünde bekennen, 214, 19 ff. Wichtig ist Gyllenkroks Bemerkung a.a.O. S. 60 f. : »Es ist ein Merkmal der Römerbriefvorlesung, daß die iustificatio Dei so stark an den Glauben statt an das Sündenbekenntnis, und die iustitia Dei an die Verheißung statt an das richtende Gesetz gebunden ist«. 104 WA 56, 221, 32 f. (Rom. 3, 7) agnitio peccati compulit me, ut Deus Iustificaretur in me (i.e. ut ei crederem et sic me Iustificaret). 105 Ebd. 298, 29 ff. (Rom. 5,2) Utrunque sit necessarium Seil, fidem quidem habere. Sed tarnen Christum adhuc simul ineternum habere, in tali fide mediatorem. Vgl. 299, 8 ff. 106 Siehe Gyllenkrok a.a.O. S. 55—64. 105 Die für Holl grundlegende Stelle war W A 56, 22, 25 ff. (Rom. 2, 13) : Non enim, quia Iustus est, ideo reputatur a Deo, Sed quia reputatur a Deo, ideo Iustus est . . . Nullus autem reputatur Iustus, nisi qui legem opere implet. Nullus autem implet, nisi qui in Christum credit. — Holl sieht hier einen harten Widerspruch (a.a.O. S. 117): »Jetzt also heißt es, Gott 'rechtfertige' denjenigen, der das Gesetz erfüllt, d.h. der
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34 Gerechtigkeit. Am entscheidenden Punkt wird indessen Luther von dieser Richtung falsch interpretiert: Bei Luther gehört trotz aller realen Gerechtigkeit allein der durch den Glauben ergriffene Christus in den absoluten locus iustificationis, in dem es direkt um Leben und Tod, Gnade und Zorn geht. Von der Rechtfertigung durch den Glauben sind alle guten Früchte abhängig; dieser Rechtfertigung völlig untergeordnet bleibt auch die positive Beurteilung der guten Werke sowohl in der Zeit als auch im Gericht am Jüngsten Tag. Wir werden im folgenden die Unzulänglichkeit der Hollschen Lutherinterpretation nachweisen, indem •wir unsere Untersuchung weiterführen unter den beiden Aspekten der zeitlosen Geltung der Rechtfertigung sola fide und der Rechtfertigung durch den in den Werken inkarnierten Glauben.
II. Die Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis 1. Die zeitlose Geltung der Rechtfertigung
durch den Glauben
In der »Disputatio de homine« 1536 gibt Luther eine theologische Definition seines Menschenbildes durch den Satz, der Mensch werde durch den Glauben gerechtfertigt : »Paulus Rom. 3 . . . breviter hominis definitionem colligit, dicens, Hominem iustificari fide«108. Diese Definition bezieht sich hier auf den sündigen Menschen, der durch Christus zur ewigen Herrlichkeit geführt werden soll: »quidquid vocatur Homo, sub peccato. Quare homo huius vitae est pura materia Dei ad futurae formae suae vitam« 109 . Der Mensch wird also, wie E. Wolf bemerkt, »primär unter eschatologischem Aspekt in der aus Paulus übernommenen Gegenüberstellung 'alter Mensch — neuer Mensch' angesehen«110. In der Rechtfertigung beginnt die Wiederherstellung des ursprünglichen, vollkommenen Gottesbildes111, wie Holl es stark betont hat. Dies getatsächlich gerecht ist, während vorher gesagt war, er rechtfertige den, der tatsächlich nicht gerecht ist«. Dieser Widerspruch beruht auf einer Vermischung der Aspekte. Mit Recht sagt Gyllenkrok in bezug auf die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt (a.a.O. S. 119 Anm. 1 ) : »Niemals rechtfertigt Gott irgendjemanden, der tatsächlich gerecht ist. Dieser vermeintlich tatsächlich Gerechte ist ja der, welcher seine Gerechtigkeit im Glauben an Christus hat!« Vgl. 56, 63, 11 f. (Rom. 6, 23) gratia donum autem Dei vita aeterna: in Christo Ihesu, domino nostro, i.e. que est Christo personaliter et per fidem eius in nobis participanter ac imputabiliter. 108 WA 39 I 176, 33 ff. (Disp. de homine 1536). Vgl. D. Löfgren, Die Theologie der Schöpfung . . . S. 62 zur Stelle: »Wenn Luther den Menschen von dem her, was er ohne Gottes Gnade ist (peccator), und dem, was er durch Gottes Heilshandeln wird (iustus) betrachtet, so wird die Rechtfertigung sola fide als eine kurze Zusammenfassung dessen gesehen, was der konkrete Mensch 'coram Deo' ist«. 109 Ebd. 177, 2 ff. 110 E. Wolf, Das Problem des neuen Menschen im Protestantismus. EvTh Jg. 11 1951—52 S. 345 ff. 111 WA 39 I 177. 9 f. Talis est homo in hac vita ad futuram formam suam (materia), cum reformata et perfecta fuerit imago Dei.
35 schieht durch Gottes iustificatio im Sinne einer creatio ex nihilo 112 . Es wäre eine blasphemische Verleugnung der Gottheit Gottes, wenn der Mensch vor Gott Werke aufrechnen wollte, als vermesse er sich, sein eigener iustificator zu sein: »Du hast dich nicht selbst geschaffen, und willst doch die zweite Kreatur in dir schaffen? Das ist die falsche Einbildung von Gott und unserem Werk« 113 . Mit der »zweiten Kreatur« meint Luther den neuen Menschen, der nach Eph. 4, 24 »nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit«. Wer sich anmaßt, selbst Urheber dieses Lebens in Gerechtigkeit zu sein, prätendiert, Schöpfer zu sein. Der Mensch der Selbstrechtfertigung muß also scheitern und weiterhin muß »dieser Mensch der anspruchsvollen religiösen Leistung dem Gericht des alleinigen Schöpfers verfallen« 114 . Allein durch den Glauben an Gott ist es möglich, sein Wohlgefallen z u finden. Wird diese Glaubensgewißheit pervertiert zu einem Selbstvertrauen auf Grund der in uns erschaffenen Gerechtigkeit, so geraten wir wiederum in ein Konkurrenzverhältnis zu Gott; »das Leben vor Gott wird zum Angriff auf Gottes Gottheit, wenn es nicht in jedem Augenblick als Leben von Gott verstanden und gelebt wird« 115 . Es ist das Wesen des Glaubens, daß er wirkliche creatura ist und dennoch auf Gott allein vertraut 116 . Eben als Vertrauen auf Gott gerechtfertigt der Glaube 117 . Daß er dadurch das erste Gebot erfüllt, bedeutet nicht, daß er an sich vor Gott besteht ; allein um Christi, des Versöhners willen, besteht der Glaube 118 . Mit ihm ist der Gläubige dermaßen »ein Kuchen«, daß in causa
na W A 40 I 131, 4 f. (1531 Gal. 1, 12) Gott kan m a n zu viel nicht geben; quibus (sc. hominibus) adimimus omnem iusticiam et tribuimus creatori qui facit ex nihilo.. 40 I I I 154, 15 ff. (In X V . Ps. graduum 1532—33 Ps. 125, 1) Deum delectat ex tenebria lucem, ex nihilo facere etc. Sic creavit omnia. Sic iuvat desertos, iustificat peccatores,. vivificat mortuos, salvat damnatos. Ergo qui consentit eius naturae et obtemperat, is rectus vir. us W A 40 I I 466, 3 f. (Enarr. Ps. L I 1532 V. 20) Ipse non fecisti te, et secundan* creaturam vis in te creare ? Est imaginatio falsa de deo et opere nostro. 114 E. Wolf, Martin Luther. Das Evangelium und die Religion (Peregrinatio S. 20). 116 P. Althaus, Gottes Gottheit als Sinn der Rechtfertigungslehre Luthers S. 1 ff. Vgl. ders. Paulus und Luther über den Menschen S. 105, wo auf die folgenden Steilem hingewiesen ist: 39 I 48, 22 ff; 40 I I 466, 1 ff; 31 I 244, 18 ff. 116 W A 10 I 1 231, 16 ff. (Kirchenpost. 1522 J o h . 1, 1—14) Die gotliche gepurt ist nu nichts anderß, denn der glaub . . . Wenn denn nu das Euangelium kompt . . . (232, 4:) da geht a u ß seyn alltis liecht, unnd geht ynn eyn newes liecht, der glawbe . . . . Sihe, ßo ist er new gepornn a u ß gott durch das Euangelium, ynn wilchem er bleybt,, u n d lessit seyn liecht und dunckel faren. — D. Löfgren kommentiert (a.a.O. S. 289) : »Der Glaube, der nicht auf irgend etwas Geschaffenes vertraut, sondern einzig auf d e n Schöpfer, der nicht das Werk des Menschen ansieht, sondern das Werk Gottes, ist also· die Schöpfung Gottes durch die Offenbarung im Evangelium. Glaube ist nicht b l o ß 'cognitio', sondern a u c h ' c r e a t u r a ' « . 117 WADB 7, 43 (Randglosse zu R o m . 4, 15 ff.) Wer Gott gleubet der gibt j m seine Ehre, als das er warhafftig, allmechtig, weise, gut sey. Also erfüllet der glaube die ersten, drey Gebot, vnd macht den Menschen gerecht fur Gott, Das ist denn der rechte Gottesdienst. ne W A 8, 112, 1 ff. (Latom. 1521) Ecce fides non satis, sed fides, quae se sub alas. Christi recondat et in illius iustitia glorietur. Vgl. 56, 298, 24 — 299, 16 (Rom. 5, 2 ) .
36 iustificationis zwischen Christus und dem Ich des Glaubenden nicht unterschieden werden kann 119 . Auch der sündlose Adam sollte nicht durch seinen Gehorsam gegen das ihm gegebene Gebot seine Gerechtigkeit vor Gott gewinnen. Adam war rectus und fromm geschaffen; er hatte die recta fides120. Zweifellos bedeuten solche Aussagen, daß Adam nach der Anschauung Luthers eine ontische Güte, eine reale Gerechtigkeit besaß, kraft welcher es ihm natürlich war, auf Gott als seinen iustificator zu vertrauen 121 . Eben auf diesen Glauben wird die Rechtfertigung Adams zunächst bezogen122. Solche Überlegungen über die Gerechtigkeit des sündlosen Menschen sind für Luther nicht bloß theoretische Spekulationen. Sie dienen der Hervorhebung der Gottheit Gottes und der Bewahrung der Glaubensgerechtigkeit in allen Anfechtungen 123 . Es könnte paradoxal klingen, daß der durch Christus gewirkte und auf Christus gerichtete Glaube eine reale creatura ist und dennoch nicht als inhaerente Qualität die Grundlage der göttlichen Gerechterklärung bildet. Es muß in diesem Zusammenhang betont werden, daß die iustificatio wie die göttliche creatio überhaupt eine ständige creatio ex nihilo sind, und daß in diesem Zusammenhang auch der wiedergeborene und geheiligte Mensch als ein nihil betrachtet wird. Nihil bezeichnet nämlich nicht eindeutig ein leeres Nichts; sowohl der geschaffene Erdenkloß, aus welchem Gott den Menschen schafft, als auch der geschaffene Mensch und die reale Gerechtigkeit des Christen sind als Objekte der fortgesetzten göttlichen Schöpfung bzw. Rechtfertigung ein nihil124. Creare, recreare und conservare stehen für Luther nebeneinander. Weder in bezug auf die Schöpfung noch auf die Erhaltung der Welt und des neuen Menschen ist Gott zu vergleichen mit einem Zimmermann, der ein Haus baut und es dann sich selbst überläßt. Gott bleibt so bei 119 WA 10 I 1, 74, 17 f. (Kirchenpost. 1522 Lk. 2, 1 ff.) Er liebt, ßo glewben wyr, da wirt eyn kuch auß. 40 I 285, 15 f. (1535 Gal. 2, 20) Q_uare si in causa iustificationis discernís personam Christi et tuam, tum es in lege. 284, 20 ff. (1535 Gal. 2, 20) quantum attinet ad iustificationem, oportet Christus et me esse coniunctissimos, ut ipse in me vivat et ego in ilio. 285, 5 (1531 Gal. 2, 20) fides facit ex te et Christo quasi unam personam. 546, 6 ff. (1531 Gal. 3, 28) oportet Christum et fidem coniungi. Et oportet nos in coelo versari et Christum in corde. Es ghet nicht speculative sed realiter zu. Vgl. A Anm. 3. la» W A 24, 72, 4 (1527 Gen. 2, 16) Adam rectus a Deo conditus. 87, 10 f. 121 YYA 42, 124, 4 ff. (Genesis 1535—45 Gen. 3,7) iusticiam . . . fuisse vere naturalem, ita ut natura Adae esset diligere Deum, credere Deo. Vgl. E. Seeberg, Studien zu Luthers Genesisvorlesung S. 76. 122 W A 42, 122, 13 f. (Gen. 3,6) fons iusticiae et radix est fides. Et Satan primum abducit a fide ad incredulitatem. 115, 40 (Gen. 3, 1) arguit Adam cum suis posteris victurum fuisse edam in integra natura in fide. Vgl. 3, 331. 3 (Diet, super Ps. 1513—16) iustitia est credere deo. 123 W A 24, 86, 2 f. (Gen. 3, 1 ) Curat Deus fidem ubique prae omnibus. 124 W A 39 I 470, 1 ff. (2. Antinomerdisp. 1538) nihil et omnia sunt unsers herrgots materia. Nam ipse ex omnibus facit nihil et ex nihil facit omnia. Haec opera sunt creatoris, non nostra . . . Deus destruit omnia et ex nihilo facit hominem et deinde iustificat.
37 s e i n e m G e s c h ö p f , d a ß es in i h m b l e i b t u n d in i h m seinen B e s t a n d h a t . D e m g e m ä ß w i r d b e i L u t h e r d i e f o r t g e s e t z t e iustificatio i m m e r i m S i n n e d e r c r e a t i o ex nihilo als iustificatio i m p i i b e t r a c h t e t 1 2 5 u n d z u g l e i c h als die E r g ä n z u n g der schon vorfindlichen realen Gerechtigkeit126. D i e B e s t i m m u n g des C h r i s t e n als ein nihil i n b e z u g a u f G o t t e s R e c h t fertigungsurteil bedeutet indessen keine V e r n e i n u n g der menschlichen Persönlichkeit, e b e n s o w e n i g wie d i e r e d u c t i o a d n i h i l u m als A u f l ö s u n g der Person mißverstanden werden darf. Vielmehr wird m a n durch das v e r n i c h t e n d e W e r k d e s G e s e t z e s sich seiner V e r a n t w o r t l i c h k e i t v o r G o t t u n d d e n M e n s c h e n b e w u ß t 1 2 7 . E b e n s o b e d e u t e t d i e B e s t i m m u n g des C h r i s t e n als nihil in b e z u g a u f G o t t e s G e r e c h t e r k l ä r u n g k e i n e V e r l e u g n u n g d e r W i e d e r g e b u r t u n d d e r r e a l e n G e r e c h t i g k e i t des C h r i s t e n , d e r ein reales W a c h s t u m d u r c h m a c h t bis er in d e r A u f e r s t e h u n g v o l l k o m m e n wird. iza W A 45, 97, 21 ff. (Pred. 1537 Rörer Rom. 11, 36) anfang, mittel und ende ist von Gott . . . In im bleibts, et hats ein bestand. Quando ipse cessât, nihil fit, et si non incrementum dat, auch verlorn, es mus alles per et in (Gott) . . . Homo non potest medium facere . . . Sic totus mundus potest nihil. . . Sic creavit mundum, non ut faber aut sutor calceum, nihil curat, an domus ab aquis rapiatur, igni comburatur. Sed quando aliquid creavit, non abit, sed manet, conservât, gubernat, ut incepit, quando vero consummatum, manet in ipso. — Vgl. J . Haar, Initium . . . S. 37: »Dem bildlichen Vergleich des Weltschöpfers mit einem Zimmermann, der ein Haus baut, es aber dann nicht stehen läßt, wie etwa ein menschlicher Berufszimmermann, sondern dabei bleibt (21, 521, 21 f. Crue. Sommerpost. 1544), entspricht für die'neue Creatur' das Bild vom barmherzigen Samariter, ' der den halb lebendigen menschen auff sein thier legt, weyn unnd ole ynn seyn wunden goß und dem stalknecht befalh, sein zu warten' (7, 337, 15 ff. Grund und Ursach . . . 1521)«. G. Ljunggren betont (a.a.O. S. 291 f.), besonders auf die Taufe hinweisend (Bek. 704, 33 ff. ; 707, 26 ff.), die Erhaltung der Gläubigen sei eine ständige Neugeburt : »conservatio rei sit eius continuata creatio. Sed creare est semper novum facere« (WA 1, 563, 7 f. (Resol, disp. de indulg. virt. 1518). Der Christ muß »semper redire ad prineipium«, indem er als alter Mensch stirbt und zu neuer Gestalt aufersteht. Bei dem Unbekehrten wie bei dem schon Bekehrten bedeutet iustificatio eine grundsätzliche Erneuerung : Nulla est dissimilitudo, quia tantum ex impio fit pius. Impii ergo et renati iustificatio non differunt, quia ambo opus habent misericordia (39 II 228, 20 ff.. Prom.disp. v. Marbach 1543). Der Gläubige ist hinsichtlich seines alten Menschen totaliter peccator und muß durch dasselbe Wunder erneuert werden wie der Unbekehrte. —· Ungeachtet des durch Holl richtig behaupteten ethischen Aspekts der Rechtfertigung als eines realen Umschaffungsprozesses, behauptet eben dieser mit Recht zugleich den Gedanken als »etwas vom tiefsten und wahrsten in Luthers Rechtfertigungs- und Sündenlehre«, »daß der Christ immer wieder in dieselbe Lage gerät, in der er sich beim ersten Ergreifen der Sündenvergebung befand« (NKZ 1924 S. 172). Unter »religiösem« Aspekt ist die Rechtfertigung prinzipiell zeitlos, so daß jeder Augenblick dem anderen gleich ist und eine totale renovatio bedeutet. 126 WA 40 I 364, 8 f. (1531 Gal. 3, 6) fides ergo incipit, reputatio perficit usque ad ilium diem. 39 I 314, 5 (de veste nupt. 1537) fides est vicaria et supplet id, quod deest charitati. 204, 6 f. Interim fovemur in sinu Dei, tanquam initium creaturae novae, Donee perficiamur in resurrectione a mortuis. 127 WA 10 III 1, 7 ff. (Invocavitpredigten 1522) Wir seindt allsampt zu dem tod gefodert und wirt keyner für den andern sterben, Sonder ein yglicher in eygner person für sich mit dem todt kempffen. In die oren künden wir woll schreyen. Aber ein yeglicher muß für sich selber geschickt sein in der zeyt des todts. Vgl. Holl, Ges. Aufs. I S. 18: »So entspringt ihm aus dem Gerichtsgedanken das strenge Bewußtsein der Selbstverantwortung, der ganz persönlichen Haftbarkeit : für sich, für sein Glauben wie wie für sein Leben . . . Es ist bezeichnend . . . , daß Luther auch später noch, wenn er das persönliche Verantwortungsgefühl wecken will, immer auf das jüngste Gericht zurückgreift«.
38 Der Hauptaspekt der Lutherschen Rechtfertigungslehre besteht in der Gewißheit, der gläubige Sünder sei in und propter Christus schon am ewigen Ziel, wie es in den frohen Worten Luthers über die Entdeckung des Evangeliums angedeutet ist: »Iustus ex fide vivit. Hic me prorsus renatum esse sensi, et apertis portis in ipsam paradisum intrasse«128. Der durch den Glauben Gerechte ist schon im Himmel129, mit dem Gericht fertig : »wer da glaubt an gotes sun, der wirdt nitt gericht werden, dann gotes gericht wirt niemandt entlauffen und kaine werck werden vor gotes gericht besteen. Aber der da glaubet an den sun gots, der ist schon durchs gericht getrungen in das leben«130. Mit klaren Worten sagt Luther, daß nach Joh. 3, 18 durch den Glauben das in Mt. 25, 41 ff. erwähnte verdammende Gericht aufgehoben ist131. Solche Worte sind nicht als überspitzte Ausdrücke zu betrachten. Es ist die frohe Gewißheit Luthers, daß die Gläubigen weder im Tod noch im Gericht von Christus geschieden werden sollen. Sie ruhen im Tod in Christi Schoß, gehalten und bewahrt durch sein Wort, und werden in Christus am Jüngsten Tag auferstehen132. Sie sollen nicht erst von Christus abgesondert, in einem Haufen mit den Ungläubigen vor dem Richtstuhl versammelt werden, um nach bestandenem Gericht nach den Werken zu seiner Rechten zu stehen. Schon unmittelbar in der Auferstehung ist die große Trennung geschehen: »Von den vier Winden kommen alle, die Böcke dorthin, die Schafe hierher«. Die Schafe stehen schon zur Rechten Christi und sollen sich nicht fürchten oder erschrekken133. Die Ungläubigen dagegen leben mit ihrem Gewissen im Bereich der Werke und der Gebote wegen der Sünde unter dem verdammenden 128 WA 54, 186, 8 ff. (Praefatio 1545). is« WA 34 I 472, 15 ff. (Pfingstpred. 1531 Rörer) Per hanc fidem sum cum eo et ipse mecum et per hoc sumus schon droben. Si est Christianus in coelo, oportet sit liber a peccatis nec est mortuus, cum sedeat cum Christo in regno celorum. Item non est subiectus satanae, morti ec. 130 WA 10 I I I 273, 13 ff. (Pred. 1522 Lk. 10, 38 ff). Vgl. 47, 99, 3 ff. 13 ff. ist W A 47 ; 102, 20 ff. (Ausleg. 1538 Joh. 3, 18) der gleubige ist durch Christum schon aus dem Gerichte, das bereit vorhanden ist . . . Und du darffst dich dan nicht furchten, das Christus am Jüngsten tage zu dir sagen wurde : Gehe hin in die ewige verdamniss, sondern sprechen: 'kommet hehr, ir gebenedeieten meines vaters'ec. Wen wir das kundten in unser hertz fassen, welch eine freude wurden wir drinnen anrichten, das man das jüngste Gerichte nicht furchten wurde. Den das wortt (' Gehet, ihr Vermaledeieten') ist todt und stehet das wortt über mir: Kommet, ihr Gebenedeieten ec. Vgl. 34 I 474, 15 ff. 132 WA 10 I I I 191, 24 ff. (Pred. 1522 Lk. 16, 19 ff.) Alßo sind alle Vetter fur Christus gepurt ynn den schoß Abrahe gefaren, das ist sie sind am sterben mit festem glawben an dißem spruch Gottis blieben und ynn das selbige wortt entschlaffen, gefasset unnd bewaret als ynn eynem schoß, und schlaffen auch noch drynnen biß an den iungsten tag . . . gleych wie auch wyr wenn wyr sterben uns erwegen und ergeben müssen mitt starckem glawben ynn das wortt Christi, da er sagt 'Wer an mich glewbt, der wirt nymer sterben' . . . , und alßo drauff sterben, entschlaffen und ynn Christus schoß gefasset und bewaret werden, biß an den iungsten tag. —• Vgl. P. Althaus zur Stelle (Luthers Gedanken über die letzten Dinge S. 14) : »'Christi Schoß' ist bei Luther das gleiche wie das Wort von Christus, das Evangelium, an das wir uns im Sterben halten, wie schon die Väter vor Christus«. 133 WA 45, 325, 11 ff. (Pred. 1537 Mt. 25, 31 ff.) vgl. 37,207, 32 (Pred. 1533 Lk. 21, 25 ff.) Qui sic accipit, ist jnn einn augenblick da hin, j n n der sonn.
39 Gesetz. Wegen ihres Unglaubens bleiben sie auch am Jüngsten Tag in diesem Bereich, so wie es Luther 1525 anschaulich ausführt in der zweiten Leichpredigt bei der Bestattung des Kurfürsten Friedrich des Weisen : »die gottlosen werden auff der erden hie nidden bleyben, nicht hynauff gezuckt werden«134. In der Predigt über Mt. 25, 31 if. führt Luther 1537 über die Böcke das Gegenteil dessen aus, was über die Schafe gesagt wird, d.h. die Böcke stehen zur Linken des Herrn mit Furcht und Schrecken135. Schon vor dem Gericht stehen sie dort, wegen ihres Unglaubens verdammt, außerhalb der Gnade Gottes, im Bereich des Gesetzes. Nach Luther gilt also in Leben und Tod, in Auferstehung und Gericht allein der Glaube an Jesus Christus in loco iustificationis136. Die Rechtfertigung sola fide wird nicht von einem Gericht nach der realen Gerechtigkeit schlechthin abgelöst137. In loco iustificationis gilt auch am Tage des Gerichts Christus als die alleinige Gerechtigkeit des Christen vor Gott138. »Die Rechtfertigung in der Bedeutung iustum imputare gehört einer zeitlosen Ebene, wo alle Differenzen zwischen dem Nun und der Zukunft aufgehoben sind«139.
2. Rechtfertigung
durch den in den Werken inkarnierten
Glauben
In Anknüpfung an Gal. 3,10 sagt Luther im Großen Galaterbriefkommentar, die hl. Schrift rede nicht nur vom Glauben ohne Werke, sondern auch vom Glauben in seiner Einheit mit den durch ihn gewirkten Werken. Ähnlich einem Gärtner, der sowohl von dem Baume selbst als auch von dem Baume voller Früchte sprechen kann, redet auch die Schrift bald vom nackten Glauben, bald von demselben, in den Werken inkarnierten Glauben140. Diese Redeweise erklärt, daß die Schrift bisweilen scheinbar eine Rechtfertigung durch die Werke lehrt. Als Belege nennt Luther: WA 17 I 225, 9 f. (Pred. 1525 1. Thess. 4, 16). 136 WA 45, 325, 11. 136 WA 39'l 225, 3 ff. (Prom. disp. v. Palladius u. Tilemann 1537) Novitas nostra est quidem necessaria, sed non ad salutem, non ad iustificationem nostram. Ad salutem seu iustificationem nostram necessaria est sola misericordia Dei, quae apprehenditur fide. Ideo dicimus, nos sola fide iustificari. Paulus non est iustificatus sua novitate. 137 Ebd. 94, 37 ff. (Disp. de iustif. 1536) Remissio peccatorum non est praetereuntis operis aut actionis, sed perpetuo durantis. Incipit enim remissio peccatorum in baptismo, et durât nobiscum usque ad mortem, donee resurgamus a mortuis et inducat nos in vitam aeternam. las WA. 36, 450, 4 (Pred. 1532 Rörer) Coram deo nihil mea gloriatio nisi Christus. 2, 694, 2 f. 7 ff. (Sermo ν. der Bereitung zum Sterben 1519) glaub macht wirdig . . . Gott gibt dir umb deyner wirdickeit willen nichts. Vgl. H. Bornkamm, Luthers geistige Welt S. 139: »'Glaube macht würdig'. Dies allein hält stand in der alles entdekkenden, barmherzig-unbarmherzigen Klarheit des Todes«. 139 G. Ljunggren a.a.O. S. 354. no W A 40 ι 414, 25 ff. (1535 Gal. 3, 10) Ut enim . . . Hortulanus de arbore vel nuda vel gestante fruetum loquitur, Ita et Spiritus sanctus in Scriptura varie de fide loquitur. 131
40 Gal. 5,6 Fides per dilectionem efficax Tit. 1,15 Omnia munda mundis Mt. 19,17 Si vis in vitam ingredi, serva mandata Dei Gal. 3,12 Qui fecerit haec, vivet in eis Ps. 34,15 Declina a malo et fac bonum Dan. 4, 24 Redime peccata tua Eleemosynis Lk. 10, 28 Fac hoc, et vives141. Nach Luther gebieten diese Worte zuerst den rechtfertigenden Glauben, dann die Werke, die aus dem Glauben fließen142. Gott hat allein an solchen Werken Wohlgefallen, die mit dem Glauben unlösbar verbunden sind143. Die Rechtfertigung aber bzw. die Verheißung des Lebens werden stets auf den Glauben bezogen, der sich seinem Wesen nach unter den gebotenen Werken befindet. Der Gerechte soll durch sein Werk leben, weil es ein Glaubenswerk ist, d.h., weil in ihm der Glaube inkarniert ist: »Permittamus igitur Spiritui sancto, ut loquatur in Scripturis vel de fide abstracta, nuda, simplici, vel de concreta, composita, incarnata; Omnia sunt fidei quae operibus tribuuntur« 144 . »Fides perpetuo vivificai, iustificat, non manet otiosa, sed incarnatur et fit homo« 145 . Diesem inkarnierten Glauben wird die Gerechtsprechung erteilt. Derart kann Luther einer Lehre von der Rechtfertigung durch Werke sehr nahekommen — ja, er spricht sie tatsächlich aus: »ut vere dicitur de Christo homine, quod creavit omnia, ita tribuitur etiam iustificatio fidei incarnatae seu fideli facere« 146 . Der inkarnierte Glaube, das gläubige Tun rechtfertigt! Durch die Rede von dem in Werken inkarnierten Glauben wird die Mißdeutung des Lutherschen sola fide im Sinne eines sterilen Glaubens abgewiesen. Die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben allein bleibt dabei jedoch unangetastet. Dem wahren Glauben wird alles gegeben. Wie vom Jesuskind in der Krippe nur wegen seiner göttlichen Natur gesagt wird, es sei Schöpfer des Himmels und der Erde, so wird dem gläubigen Tun nur wegen des Glaubens die Rechtfertigung zuteil. Im Blick auf die Rechtfertigung gelten die Werke als Glaube 147 . Es steht 111
Ebd. 415, 17 ff. Ebd. 415, 20 ff. 143 W A 30 I I 659, 5 ff. (De loco iustificationis 1530) est u n a Iusticia simplex fidei et o p e r u m , sicut Deus et homo u n a persona, et a n i m a et corpus unus homo. 144 W A 40 I 417, 12 ff. (1535 Gal. 3, 10). Vgl. 425, 24 ff. (Gal. 3, 12) Loquitur Paulus perpetuo de iis qui moraliter facere legem volunt, non Theologice. Q u i d q u i d autem de bonis operibus Theologicis dicitur, simpliciter soli fidei tribuitur. W A 40 I 415, 22 ff. (1535 Gal. 3, 10) U t cum dicit: ' F a c hoc, et vives', hoc v u l t : I d est: cogita p r i m u m , u t sis fidel is, habeas rectam rationem et b o n a m voluntatem, id est, fidem in Christum et ea habita opereris. Vgl. 30 I I 659, 32 ff. nec fides expectat opera, ut iustificet per ea, sed opera expectant fidem, ut iustificentur per earn, U t fides sit activa iusticia operum et opera sint passiva iustitia fidei. 145 Ebd. 426, 11 f. (1531 Gal. 3, 12). 146 Ebd. 416, 24 f. n7 W A 30 I I 659, 16 ff. per ipsam fidem fit, ut operemur, et ita fides ceu crassescit opere et fit fere palpabilis, q u e m a d m o d u m Divinitas sola Christum et D o m i n u m facit, sed tamen assumpta carne crassescit et fit palpabilis. — Vgl. zur Sache R . Seeberg, Dogmengeschichte I V S. 297. 142
41 also für Luther hinsichtlich aller Inkarnierungen des Glaubens unerschütterlich fest: In loco iustificationis gilt der Glaube allein. »Est ergo fides Fac totum (ut ita loquar) in operibus« 148 . Dieselben Gedanken finden wir schon in der Römerbriefvorlesung 1515—16, die Holl als wichtigste Quelle seiner Lutherdeutung ansah. Nach den Worten Karl Holls besteht in dieser Vorlesung ein harter Widerspruch zwischen iustificatio impii und dem Satz : nullus autem imputatur iustus nisi qui legem opere implet 149 . Dieser nach Augustin wiedergegebene Satz umschreibt Rom. 2,13: factores legis iustificabuntur. Nach Luther sind diese Täter des Gesetzes nicht ex operibus legis, sondern ex fide und bekommen das ewige Leben fideliter operando et sánete vivendo150. Besteht also Holls Deutung zu recht, nach der die göttliche Gerechterklärung im strengen Sinne auf den Glaubenswerken bzw. der realen Heiligung gründet? Gerade dieser Gedanke wird von Luther energisch abgelehnt. Die Rechtfertigung wird auch in der Römerbriefvorlesung ausschließlich auf den Glauben bezogen151. Es erhebt sich unwillkürlich die Frage, wie diese Beziehung möglich sei? Die Römerbriefstelle sagt ja ausdrücklich, diejenigen würden gerecht, die das Gesetz tun. Die Erklärung enthält der Gedanke vom inkarnierten Glauben: Weil der Glaube immer zu guten Werken führt und unter den Werken gefunden wird, können die Gläubigen factores legis, fideliter operantes, sánete viventes genannt werden. So werden die wahren Christen nach ihren Früchten bezeichnet, indem ihr Geheimnis der Glaube ist. Umgekehrt, weil niemand das Gesetz erfüllt, der nicht an Christus glaubt und durch diesen Glauben gerecht ist, heißt es folgerichtig: nullus autem reputatur iustus, nisi qui legem opere implet. Dieser Bedingungssatz besagt nicht, der Glaube rechtfertige erst durch die hinzukommenden Werke; er drückt nach Luther vielmehr die Tatsache aus, daß es niemanden gibt, der durch den Glauben gerecht ist und dann nicht das Gesetz durch Werke erfüllt und als factor legis charakterisiert werden kann. Als Gerechtigkeit vor Gott gilt trotzdem der Glaube allein, so wie es bei G. Ljunggren treffend in bezug auf das absolute Gegenüber zu Gott heißt: »In loco iustificationis ist es darum kein Problem mehr, wie Luther einmal sagen kann, daß Gott den Sünder rechtfertigt, dann, daß er den Gerechten rechtfertigt. Daß Gott den Gerechten rechtfertigt ist ja nur eine Umschreibung des Satzes, daß die Rechtfertigung durch den Glauben geschieht, und, daß derjenige, der glaubt, eo ipso gerecht ist«152. Entsprechend interpretiert Luther auch Rom. 2,7. Suchte man durch 118
WA 40 I 417, 18 (1535 Gal. 3, 10) vgl. 418, 10.30. WA 56, 22, 26 f. (Rom. 2, 13). Holl a.a.O. S. 117. WA 56,201, 13 (Rom. 2, 13); 291, 16; 21,3 vgl. Z. 16 non autem operatur bonum ni in fide. 151 Ebd. 22, 25 f. (Rom. 2, 13) Non enim, quia Iustus est, ideo reputatur a Deo, sed quia reputatur a Deo, ideo Iustus est. Vgl. 41, 1 fF. 162 A.a.O. S. 357; vgl. E. Schott, Fleisch u. Geist. . . S. 94. 119
150
42 die Werke, sie seien eigene Leistungen oder Früchte des Glaubens, vor Gott gerecht zu werden, befände man sich schon mitten in der Gefahr der Vermessenheit, durch die die »opera gratiae mutentur in opera legis et Iustitia Dei in Iustitiam hominum« 153 . Gott will im Glauben gesucht werden; weil die Heiden das nicht tun, können ihre Werke, obwohl sie teilweise gut sind, vor Gott nicht bestehen. Ihre das Gesetz äußerlich erfüllenden Werke können tatsächlich die Strafe nur vermindern 154 . Die eigentliche Sünde auch der Heiden richtet sich gegen das erste Gebot. Auch von ihnen wird der Glaube verlangt. Daß sie eine gewisse Gotteserkenntnis besitzen, zeigen ihre Religionen, so wie ihre Werke jedenfalls teilweise zeigen, daß sie sich im Gewissen vor Gott verantwortlich wissen155. Dennoch suchen sie nicht die Ehre Gottes; das beweisen ihre Götzenverehrung 156 . Allerdings gibt es Ausnahmen; Luther nennt Hiob, Naeman und Jetro als Beispiele für Heiden, die in einem mit ihrer Erkenntnis übereinstimmenden Glauben die Ehre Gottes gesucht haben und dadurch vor Gott als gerecht gegolten haben 157 . Das ewige Leben wird ohne Ansehen der Person dem Glauben gegeben und soll deshalb gesucht werden durch Glauben, im Gebet und unter geduldigem Dienst am Nächsten. Nur diejenigen suchen Gott, die seine Herrlichkeit in der Hoffnung auf seine Barmherzigkeit und nicht im Vertrauen auf die Werke suchen. Der Gedanke des inkarnierten Glaubens wird hier auf den suchenden Glauben bezogen: die dienenden Werke sind Anzeichen dafür, daß es dem Gläubigen ernst ist mit seiner Suche nach Gottes Wohlgefallen durch den rechtfertigenden Glauben unter Gebet und Hören des Wortes 158 . In diesem Zusammenhang redet Luther in der Römerbriefvorlesung von einer dispositio ad gratiam 159 . Diese dispositio muß im Lichte des Gedankens unserer iustificatio Dei in sermonibus suis (iustificatio Dei passiva) so verstanden werden, daß wir Gott in
WA 56, 259, 9 f. (Rom. 3, 21). Ebd. 202, 24 (Rom. 2, 14) Licet enim aliqua opera legis bona fecerint, propter que in die Iudicii excusabuntur a maiore poena, adhuc tarnen probantur egere gratia et misericordia Christi, C u m nec Iudaeis proderit, quod exteriora legis obseruauerint. 156 WA 56, 177, 1 ff. (Rom. 1, 20) Nunc C u m teneant, Q u o d Inuisibilis quidem sit diuinitas (quam in multos tarnen deos distribuerunt), Q u o d qui earn habeat, sit Inuisibilis, sit immortalis, sit potens, sit Sapiens, sit Iustus, Sit clemens inuocantibus, C u m ergo haec adeo certe teneant, Q u o d etiam operibus profiteantur, sc. Inuocando, colendo, adorando eos, in quibus diuinitatem esse putabant, certissime sequitur, Q u o d notitiam seu notionem diuinitatis habuerunt, Q u a e sine dubio ex Deo in illis est. 156 Ebd. 177, 8 ff. (Rom. 1, 20) In hoc ergo errauerunt, Q u o d hanc diuinitatem non nudam reliquerunt et coluerunt, Sed earn mutauerunt et applicuerunt pro votis et desyderiis suis. Vgl. 179, 5 ff. 167 WA 56, 198, 25 ff. 33 ff. (Rom. 2,12) Potest dici, quod omnes eiusmodi per singularem preuentionem misericordiae Dei donati sunt lumine et gratia, quantum pro isto statu eis sat erat ad salutem, U t lob, Naaman, Ietro etc. 168 WA 56, 254, 30 ff. (Rom. 3, 20) Bona sunt illa opera, quia non in ipsa confidunt, Sed per ea ad Iustificationem se parant, in qua sola confidunt Iustitiam suam futuram. Q u i autem sic operantur, sub lege non sunt, Q u i a desyderant gratiam et odiunt, quod peccatores sunt. 159 Ebd. 254, 23 f. Q u i a qui sic operatur, U t per ea ad gratiam Iustificationis se disponat, iam aliquo modo Iustus est. 153 164
43 seinen Worten rechtfertigen, indem wir ihn geduldig in guten Werken suchen 160 . Unter allen Umständen bleibt der Grundsatz der iustificatio sola fide bestehen. Weder entsteht der Glaube durch die Werke noch werden wir um der den Glauben begleitenden Werke willen gerechtfertigt. Auch wenn wir daran festhalten, daß der suchende Glaube das Evangelium betend hört und die Werke des Gesetzes dienend tut, und daß der gottgewirkte Glaube Gottes Wohlgefallen hat und dem Nächsten in wahrer Liebe dient, so gilt es noch einmal klarzustellen, daß der Glaube allein rechtfertigt. Die Zuordnung der Werke zum Glauben ist zunächst ontologisch begründet. Es ist schlechterdings unmöglich, an Christus zu glauben, ohne daß aus dem Glauben gute Werke folgen. Der rechtfertigende Glaube ist Zuversicht auf den handelnden Herrn, der Fleisch wird, die Sünde der Welt trägt, leidet, stirbt, aufersteht, seinen Geist sendet, durch seine Gemeinde zu den Völkern geht und seine seligmachenden Liebeswerke fortsetzt. Durch sein Wort und den Heiligen Geist bemächtigt er sich unser, macht uns mit ihm eins und einig und führt uns auf die Wege der Gerechtigkeit. Er zeigt uns seine Liebe zu den Menschen und macht uns durch den Glauben dieser Liebe teilhaftig. Darum befindet sich der Glaube immer mitten unter seinen Werken. Demgemäß heißt es 1536 in der Disputation mit Melanchthon über die Rechtfertigung treffend, obwohl mit zu groteskem Humor: »Nicht, daß Werk die Seligkeit zu Wege bringen oder erlangen; sondern daß sie da und zugegen sind dem Glauben, der die Gerechtigkeit erlanget, wie ich von Noth wegen werde gegenwärtig müssen sein zu meiner Seligkeit. ' Ich werde auch dabei sein', sagt jener Gesell, da man ihn henken sollte und andere Leute sehr nach dem Galgen liefen und eileten« 161 . Diese Rede von der lebendigen Bewegtheit des Glaubens ist eine ernste Warnung vor falscher Sicherheit und quietistischer Ruhe, ohne daß der Grundsatz des sola fide aufgehoben oder problematisiert würde. Es ist falsch zu sagen, bei Luther mache es keinen Unterschied, »ob an die fortdauernde Genugtuung Christi vor Gott oder an die fortgehende Verwirklichung des Guten, das er in uns begonnen, als Grund der Sündenvergebung gedacht wird« 162 . Es besteht zweifellos ein grundsätzlicher Unterschied! Allerdings, »immer wird der Glaube dabei als fiducia in Wirkung sein« 163 ; in loco iustificationis darf sich aber die fiducia ausschließlich auf den Christus pro nobis stützen. Allein dieser Glaube besteht vor Gott, weil Christus allein vor Gott besteht; allein durch diese fiducia ist zugleich der Heilige Geist wirksam 164 . leo Vgl Gyllenkrok a.a.O. S. 62 : »Wenn wir aktiv Gott und sein Wort als gerecht anerkennen, ist seine Gerechtigkeit wirksam in uns, und ohne diese von Gott ausgehende Aktivität könnten wir ihn nicht gerechtfertigen oder an ihn glauben, was ein und dieselbe Sache ist«. is! VVATR 6, 152, 14 ff. (Aurifaber). Dasselbe in genauerer Begrifflichkeit 39 I 96, 2 ff. Vgl. 209, 20, wo Augustin zitiert ist: Qui creavit te sine te, non salvabit te sine te: Oportet me adesse. 162 163 R. Seeberg a.a.O. S. 307. Ebd.
44 Durch den Gedanken vom inkarnierten Glauben wird also die Luthersche Rechtfertigungslehre nicht nachträglich in Frage gestellt. Vielmehr hebt jener Gedanke die Realität der imputierten Gerechtigkeit bzw. der realen Gegenwart Christi hervor. Die Tatsache, daß der Glaube immer seine Früchte in guten Werken trägt, ist ein Zeugnis von der Kraft dessen, der als iustificator im Glauben wirksam ist. Um des Glaubens willen wird zugestanden, Gott habe Wohlgefallen an den Werken, ja er belohne sie sogar: »Quid igitur mirum, si illi fidei incarnatae, hoc est, operanti, qualis fuit Abelis, vel operibus fidelibus promittuntur merita ac praemia?« 165
3. Die Bedeutung der Werke für die Heilsgewißheit und für die Bewahrung zur Seligkeit
1. Die guten Werke gehören bei Luther nicht in den locus iustificationis und werden im Hinblick auf die ewige Rechtfertigung streng vom Glauben unterschieden. Dennoch haben sie für die Heilsgewißheit größte Bedeutung. Als Früchte der göttlichen Gnade, durch den Heiligen Geist gewirkt, bestätigen sie die Realität der göttlichen Gerechtsprechung und die Echtheit des Glaubens. Wenn man die Kraft des Christus praesens im Dienst am Nächsten und im Kampf gegen die Sünde wahrnimmt, hat man eine empirische Grundlage für die aposteriorische Schlußfolgerung, man sei der göttlichen Gerechtigkeit teilhaftig 166 . Zwar ist der rechtfertigende Glaube argumentum non apparentium; er richtet sich auf den verborgenen, nur im Wort offenbaren Gott, der eben durchs Wort den Glauben schafft. Dem Glauben sind jedoch nicht nur eine transzendentale, imputierte Gerechtigkeit und das zukünftige Heil verheißen, sondern auch Glaubensfrüchte und unter diesen vor allem Liebeswerke167. Ein Glaube, der den Gläubigen nicht verwandelt, ist darum Wahn und Traum 168 , während die Liebeswerke die Verheißung 164 WA 37, 408, 15 ff. (Pred. 1534 Rörer Act. 2, 15 ff.) Qui vult habere bonam conscientiam, debet se erquicken in isto nomine : Iesu Christe, tu qui sedes ad dexteras patris, qui es mortuus et verus deus, erquicke mir meine seel. 407, 12 ff. Semper effundit spiritum, baptisat, hilfft ex omnibus noten, remittit peccata et dat salutem omnibus, qui eum invocant et in eum credunt. 165 W A 40 ι 415, 25 f. (1535 Gal. 3, 10). Ιββ WA 39 I 114, 28 ff. (Disp. de iustif. 1536) Vera fides non est otiosa. Ergo ex effectu aut posteriori possumus concludere et cognoscere eos, qui veram fidem habent. Siehe besonders G. Ljunggren a.a.O. S. 361 und P. Althaus, Liebe und Heilsgewißheit . . . S. 72 ff. = Die Theologie M. Luthers S. 375 f. lev W A 2, 732, 2 ff. (Sermo ν. dem Sakr. der Taufe 1519) das man diß alles festiglich glaub, das das sacrament nit allein bedeut den todt unnd auffersteeung am Jüngsten tag, durch wilche der mensch new werd ewiglich an sund zu leben, ßondern das es auch gewißlich dasselb anhebe und wirck und unß mit gott vorpyndet. 733, 35 f. Gleubstu, ßo hastu. 30 II 663, 5 opera fidei signa sunt et fructus iusticiae. Vgl. 43, 255, 40 f.; 42, 122, 12 f.; 56, 117, 28 f. íes WADB 7, 9, 30 ff. (Römerbrief-Vorrede 1546) Glaube ist nicht der menschliche wahn und trawm, den etliche fur glauben halten. Und wenn sie sehen, das keine besserung des Lebens noch gute werck folgen, und doch vom glauben viel hören und
45 bestätigen, den Glauben und die Hoffnung stärken und bewähren. Die Werke sind »ein gewisses zaychen und wie ein sigel an einem brieff gedruckt, damit ich sicher sey, das der glaub recht sey. Ursach : findt ich in meinem hertzen, das das werck daherfleüßt auß lieb, so bin ich gewiß das mein glaub rechtgeschaffen sey«169. Hinsichtlich der Bedeutung der Liebeswerke für die Heilsgewißheit weist Luther sehr oft auf 2. Pet. 1,10 hin: »satagite ut per bona opera certam vestram vocationem et electionem faciatis«. Mehrmals wird diese Stelle mit Stellen aus dem 1. Johannesbrief zusammengestellt. So wird 1543 in der Promotionsdisputation von Nopp und Bachofen die Stelle mit 1. Joh. 4,17 verbunden : »Charitas est testimonium fidei et facit, nos fiduciam habere et certo statuere de misericordia Dei, et nos iubemur, nostram vocationem firmam facere bonis operibus«. Luther folgert: »Et tunc apparet, nos habere fidem, cum opera sequuntur, wenn kein werck da sein, so ist fides gar verlhorenn, sicut et fructus sunt testimonia arboris« 170 . Ebenso wird 1527 in den Vorlesungen über den 1. Johannesbrief 2. Pet. 1,10 mit 1. Joh. 3,18 f. zusammengestellt. Die Bruderliebe erscheint als »testimonium externum de vocatione nostra ut Petrus, i.e. stabilimur, quod sumus in veritate, quia ex synceritate et veritate diligimus fratrem utcunque infirmum. . . . Et per illam certificationem possumus suadere corda nostra illam fidem nobisipsis«. »Magna consolatio«, fügt Luther hinzu 171 . Dasselbe wird 1537 in der Zirkulardisputation de veste nuptiale gesagt. Gott »requirit opera et charitatem . . . ut nos et alii certificemur istis bonis operibus, nos certe credere« 172 . Auch Rom. 10,10 versteht Luther in Übereinstimmung mit 2. Pet. 1,10. Es ist keine Rede davon, zum ewigen Heil sei mehr nötig als zur Rechtfertigung : »Si iustus est, salvus est. Nam iustitia nihil aliud est quam salus«173. Weil es aber zum Wesen des Glaubens gehört, daß er »herausbricht durch die Liebe«174, wird allein ein Glaube, der in Bekenntnis und Werken bekannt wird, zum Ziel führen 175 . Demgemäß wird auch Dan. 4,24 »Redime peccata tua Eleemosynis« erklärt als eine den Glauben voraussetzende Paränese, die die Frucht des Glaubens als Zeugnis und Bekenntnis des Glaubens vorschreibt176. reden können, fallen sie in den jrthumb, und sprechen, Der glaube sey nicht gnug, Man müsse werck thun, sol man frum und selig werden. WA 10 III 355, 19 ff. (Pred. 1522 Mt. 25, 1 ff.), besonders Z. 24 f. Dieser glaub ist ein creatur des menschenn, darumb ist er gleich wie der schäum auffdem wasser oder der gest auff dem bösen bier. Vgl. 36, 443, 3 ff. (Pred. 1532 Rörer) nemo tarn Euangelicus ut isti hypocritae, quia putant tantum fidem consistere in verbis, non in charitate. WA 10 III 225, 35 ff. (Pred. 1522 Lk. 6, 36 ff). 170 WA 39 II 248, 11 ff. 1,1 WA 20, 715, 16 ff 172 WA 39 I 300, 9 ff. 173 Ebd. 323, 8 ff. 174 Siehe A Anm. 62. 175 WA 39 I 323, 1 ff. (Rom. 10, 10) est dictum in modum sequelae, quod credens confiteatur salutem, donee in re earn apprehendat, et si hoc sequeretur ex loco Pauli, tum idem possem dicere de reliquis operibus, nam confessio includit omnia opera. 176 WA 30 II 662,24 (De loco iustificationis 1530)'redime'verbum consilii est et
46 Ein besonders untrügliches Zeichen des Glaubens ist die Feindesliebe. Dem Zusatz zur fünften Bitte des Vaterunsers Mt. 6,14 f. entsprechend ist die Gewißheit hinsichtlich der Vergebung Gottes an die eigene Bereitschaft geknüpft, dem Nächsten zu vergeben: »Die Vergebung der sunde . . . geschieht zweyerley: Ein mal durchs Euangelion und wort Gottes, welchs empfangen wird jnwendig j m hertzen fur Gott durch denn glawben, Zum andern eusserlich durch die werck, davon 2. Petri 1. sagt, . . . thut vleis ewern beruff . . . fest zu machen ec. . . . Also jst hie auch die eusserliche Vergebung, so jeh mit der that erzeige, ein gewis zeichen das jeh Vergebung der sünde bey Gott habe« 177 . Dasselbe gilt von Lk. 6,36 f. : »So ich vergib, so macht mich das vergeben gewiß, das mein glaub rechtgeschaffen sey, und versichert mich und beweyst meinen glauben« 178 . Besonders eindringlich werden in »Etliche schöne Predigten« die vergebende und tätige Liebe und überhaupt alle Werke der wahren Liebe hervorgehoben als Zeichen des Glaubens: »Sic enim Christianus vivit, si vere credit. Si fides sic non facit, tum signum, quod non recte credit« 179 . So wichtig sind die guten Werke für die Glaubensgewißheit, daß Luther meint, man könne überhaupt nicht wissen, ob man den wahren Glauben habe, wenn die verheißenen Glaubensfrüchte nicht zu spüren seien. Ein tatsächlich vorhandener, aber der Werke entbehrender Glaube ist einem Menschen nach Luther ebenso unnütz, wie wenn jemand einen Kasten voll Gulden hätte und wüßte es nicht 180 . Überaus schwer wird der Glaube angefochten, wenn das Gewissen wegen böser Werke zu recht angeklagt wird: »Alibi bin ich ein Christ gewest, quam nihil exhibui fidei, quid tum fiet? fides, Charitas et tota vita wird hin fallen« 181 . Es gilt, daß man »so lebe gegen jderman und seine liebe übe und beweise, das niemand ein klage auffj n bringen möge, damit er sein gewissen möge erschrecken odder verzagt machen« 182 . Die Versuchung zu verzweifeln wird unsagbar schwer, wenn man keinem Menschen in christlicher Liebe geholfen hat. Dem Glauben sind j a gute Früchte versprochen; was soll man also antworten, wenn man von schlechten Früchten überführt wird? Es ist dann sehr wohl möglich oder sogar wahrscheinlich, daß man einen toten Glauben hat 183 . Jedenfalls ist es unmöglich, einen freudigen Glauben zu haben, und doch im Dienst am Nächsten zu versagen. Es ist also für den Glauben sehr bedeutungsvoll, daß man durch pareneticum, quod fidem praesupponit, remitti posse peccata et docet fruetum huius fidei, seil, opera quae testentur et confiteantur hanc fidem esse veram. Requirit Deus fidem foris confiteri, hoc fit operibus. WA 32, 423, 15 ff. 28 f. (Wochenpred. 1530—32 Mt. 6, 14 f.). "« WA 10 I I I 226, 3 ff. (Pred. 1522 Lk. 6, 36 ff). "» WA 36, 442, 12 f. vgl. 45, 327, 14 ff. " · WA 10 III 226, 9 ff. 181 WA 36, 445, 3 ff. (Rörer) vgl. 470, 12 ff. 182 Ebd. 363, 11 ff. (Pred. 1532 1. Tim. 1, 5 ff). íes WA 36, 442, 13 f. (Rörer) Si fides sic non facit, tum signum, quod non recte credit. DB 7, 11, 12 f. (Römerbrief-Vorrede 1522) Wer aber nicht solche werck thut, der ist ein glaubloser Mensch.
47 gute Werke sich »entlediget der furcht von der weit«184. Luther sagt, es könne allzu schwer werden, mitten unter allen Anklagen in der Todesnot, »das sich einer sol schwingen auffdie blosse gnade gots«185. Die Anklagen von Seiten der Menschen, des Teufels, des eigenen Gewissens, des Wortes, ja Gottes selbst können allein durch einen starken Glauben überwunden werden; sehr fraglich ist es, ob ein fruchtloser und schwacher, durch. Faulheit und Bosheit gehemmter Glaube bestehen kann 186 . Gott fordert also das Bekenntnis des Glaubens in Worten und Werken. Er fordert es, weil es notwendig zum Wesen des Glaubens gehört, solche Früchte zu tragen. Sie müssen getan werden ; sie dürfen nicht unterbunden werden, denn dadurch werden wir nicht nur unseres Glaubens ungewiß, sondern bekämpfen und verlieren ihn 187 . Dagegen dient das Bekenntnis in Wort und Werken zur Unterstützung und Bekräftigung des Glaubens in den Anfechtungen und Kämpfen des Christen. Ohne selbst in den locus iustificationis zu gehören, leisten die guten Werke so dem rechtfertigenden Glauben eine unentbehrliche Hilfe. Indem sie den Gnadenstand bezeugen, sind sie Grund der Heilsgewißheit — freilich nicht Realgrund, sondern Erkenntnisgrund 188 . 2. Eine nicht weniger unentbehrliche Hilfe leisten die Werke dem Glauben, indem sie ihn durch dauernde Übung stärken zur Treue bis in den Tod 189 . Allein der bewährte Glaube vermag gegen die Anklagen und den Zweifel, die ihm begegnen, zu bestehen. Der Glaube gewinnt an Stärke, wenn er durch die Liebe wirksam ist mit Wort und Werk gegen den Widerstand des eigenen Fleisches und trotz Undankbarkeit, Haß und Verfolgung von Seiten der Welt. Immer streitet der alte Adam mit seinem Unglauben und seiner Selbstliebe gegen den Glauben und das 184
WA 36, 472, 1 f. (Rörer). WA 36, 447, 1 (Rörcr). 186 Ebd. 445, 6 Satan dicet: quid de fide? tarnen nunquam fecisti opus, quo fides ec. 446, 5 f. Istam gloriam mus ich auch bringen, vel deus wird mir freundlich nicht zw sprechen. 187 W A 4 2 j 669, 29 ff. (1535—45 Gen. 17, 23 ff.) fides ociosa, quae non exercetur, moritur et extinguitur cito, . . . Qui autem in assiduo fidei exercitio progreditur, is concludit: non sum in exercitu contra Christum. 188 G. Ljunggren a.a.O. S. 361. Gegen die Behauptung M. Lackmanns (Sola fide S. 104), durch die Verneinung der Geltung der Werke in loco iustificationis leugne Luther die Bedeutung des menschlichen Tuns für die »Selbstgewißheit des Gerechtfertigten«, siehe P. Althaus, Die lutherische Rechtfertigungslehre . . . S. 24: »Es gibt nach Luther keine christliche Heilsgewißheit, die für sich selbst nicht des Handelns im Glauben bedürfte. Das gute Werk hat bei den Reformatoren eine entscheidende Bedeutung für die Heilsgewißheit, nämlich für die Gewißheit des Glaubens um sich selbst, daß er nicht Anmaßung und Einbildung, sondern aus der Wahrheit sei«. In diesem Zusammenhang kann Luther die Werke den Sakramenten vergleichen. Wie in der Taufe das Wasser und im Abendmahl Brot und Wein, sind im alltäglichen Christenleben die Werke dem Glauben Zeichen der göttlichen Gnade, die den Glauben stärken : »er nimpt solch werck und stellet eine verheissung drauff, das mans mit guten ehren mocht ein Sacrament nennen den glawben da durch zustercken, Gleich Als die Tauffe« (WA 32, 424, 8 ff. Wochenpred. Mt. 5—7 1530—32). Siehe Peters a.a.O. S. 111 f. 189 WA 42, 669, 22 ff. iusta persona facit iusta opera, et tarnen opera hoc praestant, ut fides in eis exerceatur, et per ea quasi augescat et pinguescat. — Zum Abschnitt siehe besonders S. Lerfeldt, Den kristnes kamp S. 222 ff. 185
48 Leiden und ist d a d u r c h dem Teufel ein gefährlicher Bundesgenosse 1 9 0 . Die Versuchung ist oft über die M a ß e n schwer; sie übersteigt unsere eigenen K r ä f t e und kann nicht mit Hilfe der bereits empfangenen G a b e n Gottes gemeistert werden. Das soll indessen nicht zur V e r z w e i f l u n g f ü h r e n ; vielmehr dürfen w i r uns i m m e r wieder als Zitternde und V e r zweifelnde unter Christi Flügel stellen und in Zuversicht zu seiner K r a f t weiter kämpfen, indem w i r an Gottes W o r t festhalten 1 9 1 . W e n n also auch d e m schwachen G l a u b e n die ganze Gerechtigkeit Christi imputiert w i r d 1 9 2 , so k a n n doch n u r der geübte und b e w ä h r t e G l a u b e in den Drangsalen ausharren. Luther verweist auf die zehn Aussätzigen: nur einer beharrte bis ans Ende 1 9 3 . V o r allem gilt es, den G l a u b e n zu stärken durch die Ü b u n g der Gebote der 1. Tafel in Hören und Studieren des Wortes, in Gebet und Lobgesang 1 9 4 und zugleich durch die Ü b u n g der Gebote der 2. Tafel in unverdrossenem Liebesdienst ohne Rücksicht auf D a n k oder U n d a n k der Menschen 1 9 5 . Geschieht dies nicht, so w i r d der G l a u b e bald verloren gehen 1 9 6 . Z w a r bleibt auch von dem geübten G l a u b e n in den großen S t ü r m e n n u r eine fiduciola, ein gemitulus übrig, der indessen desto kräftiger gen Himmel ruft und gestärkt aus dem Streit herauskommt 1 9 7 . 190 WA 34 I 564, 36 f. (Pred. 1531) Donec manet Tentatio, non es firmus, quia tentatio venit a Satana, mundo, carne. Si dominus non quotidie da mit sterckt, Incipit quidem fides, sed oportet nos wachsen durch eytel Sturmwind. Z. 10 f. ne sinas fidem ein faule gedanken, sed ein kempffer, qui ligt zu feld. 191 WA 8, 114, 39 (Rat. Latom. confut. 1521) ut sub alas eius trementes, desperantes, anhelantes sese recipiant. 34 I 565, 19 ff. heret in verbo et sic gravida statim . . . quanquam infirme ergreiffen, das verbum dei ist drumb nicht schwach. Ζ. 31 f. Fides talis est, quae sich helt an verbum dei, quod est omnipotens et deus facit, quae loquitur. 192 WA 11. 200, 4 f. (Pred. 1523 Joh. 4, 47 ff".) in tentacione videtur, quam parva sit fides, tarnen deus vult pro fide imputare. Ζ. 9 f. Si maximam habeo fidem, et ille parvam, er hat so vil als ich, wie wol ich yn stercker hab. 193 WA 8, 368, 27 (Ev. v. den zehn Aussätzigen 1521); vgl. 370, 30 ff. es geschieht alles darumb, das wir nit ym weichen anfang und milchglawben bleyben, ßondern wachßen und ymer tzu nehmen, biß das wir auch den starcken weyn trincken mugen und alßo truncken werden unnd voll geystis, das wir nit allein gutt, ehre und freund, ßondern auch den todt und die helle vorachten und ubirwinden. 194 WA 10 II 25, 17 ff. (Von beider Gestalt 1522) Hab doch ich selbs wol drey iar mich geerbeytet, ehe ich auß des Bapsts gesetzen meyn gewissen erlößet hab mit teglicher ubung des Euangeli ynn predigen, leßen, trachten, disputiern, schreyben unnd hören, wie sollt denn der gemeyn man ßo schnei erauß tzu bringen seyn? Vgl. Bek. 547, 29 ff. (Gr.Kat.); WA 6, 230, 10 f. 17 I 429, 13 ff. (Pred 1525 Eph. 3, 14 ff.) Wyr solten Got on unterlas ynn oren ligen, tag und nacht seufftzen und flehen, das er dem wort wolt krafft geben ym hertzen zu wircken. 6, 223, 22 ff. (Von den guten Werken 1520) durch solchs werck (sc. durch Anrufen des Namens Gottes in allen Nöten) wirt der mensch gewar und erferet, was gottis name sey, wie mechtig er ist zuhelffen allen, die yhn anruffen, und wechst da durch fast seher die zuvorsicht und glaub. Vgl. 232, 13 ff. beten . . . und darinnen den glauben und zuvorsicht zu got alßo üben. 217, 26 ff. gottis namen ehren . . . hilfft seher den glauben stercken und mehren. 195 WA 14, 22, 29 f. (2. Ep. Petri . . . 1523) Wiewol die selben (die Früchte des Glaubens) dem nehisten gehören . . . , so bleybt doch auch die frucht nicht aussen, das der glawbe dadurch stercker wird. lee WA 8, 371, 5 f. (Ev. v. den sehn Aussätzigen 1531) wer anfehet tzu glawben unnd will nitt ymer tzu nehmen unnd wachßen, dem wirt sie genommen unnd eynem andern geben. 197 w A 44, 80, 10 ff. (1535—45 Gen. 32, 6 ff.) reliqua est aliqua fiduciola, aliquod suspiriolum, gemitulus aliquis, qui est minimus in oculis tuis, sed maximus in auribus
49 So wächst der Glaube, indem »Gott die ¿einen ymer füret von einem glauben ynn ein andern, schlegt ymer ein new stück fur zu ubung, besserung u n d zunemen des glaubens von tag zu tag, D a r u m b leben wir auch auff erden« 1 9 8 . So wie das Fleisch die concupiscentia vermehrt durch die Ü b u n g seiner Werke, so stärkt der Glaube sich selbst durch seine Werke 199 . Durch solche tägliche Ü b u n g wird der Glaube immer besser in den Stand gesetzt, dem Nächsten zu dienen. Mit der Rechtfertigung hängt die Ü b u n g des Glaubens in Werken insofern zusammen, als der bewährte Glaube in allen Anfechtungen u n d Nöten an Christus festhält, während der ungeübte Glaube die H o f f n u n g fahren läßt u n d verzweifelt, wenn die Stürme rasen und die Wellen gegen das Schifflein rollen. D a r u m m a h n t Luther: »exerce, ut fiducia fortis fiat, ut possit vincere wellen« 200 . M a n darf nicht den Glauben »lassen ruwen u n d still ligen, weyl er also geschickt ist, das er von treyben und üben ymer mehr und mehr krefftig wird« 2 0 1 . Die Ü b u n g des Glaubens in den Werken ist also von großer Bedeutung f ü r die H o f f n u n g auf das ewige Heil ; erstens deshalb, weil die Liebeswerke von der Echtheit unseres Glaubens zeugen; zweitens, weil die Ü b u n g des Glaubens durch Werke den Glauben stärkt. Die Bewährung des Glaubens in vergangenen Drangsalen begründet d a r u m die Hoffnung, d a ß wir auch kommende Prüfungen durch Christus bestehen werden 2 0 2 . Sehr schön heißt es bei P. Althaus: »für die Rechtfertigung vor Gott kommen die Werke, also auch die Liebe nicht in Betracht, wohl aber f ü r den Glauben an die Rechtfertigung, nämlich für seine Gewißheit, rechter Glaube zu sein, u n d f ü r seine Kraft. Vor Gott kann unsere Liebe nach Luther schon deshalb nicht gebracht werden, weil sie unvollkommen bleibt, der Mensch aber einer völligen Gerechtigkeit vor Gott bedarf. Der Mensch kann u n d soll überhaupt nichts als Leistung oder Qualität vor Gott bringen. Er ist Gott recht allein in der H a l t u n g reinen E m p fangens. Die Zuordnung der Liebe zum Glauben hat also nicht den Sinn, dem Glauben über das bloße Empfangen hinaus doch noch eine ethische Qualität einzugießen. Er ist u n d bleibt nichts als Empfangen, Bereitschaft f ü r Gottes Verheißung und T a t . Aber das ist die Frage, ob er wirklich, wie er meint, empfängt oder nicht u n d es sich nur einbildet, sich selbst u n d andere täuscht. Das Empfangen der Liebe Gottes zeigt sich notwendig darin, d a ß der Mensch n u n in der Liebe lebt, daß er — Dei, et clamor exuperans omnes clamores, qui implet coelum et terram, ut non possit ferre Deus, quin exaudiat et respondeat: »Quid clamas?« Orat igitur Iacob gemitu inenarrabili. Vgl. 79, 20 ff. i»e W A 24, 335, 36 ff. (In Gen. Deklamat. 1527 Gen. 18). 199 WA 6, 95, 2 ff. (Resol, disp. de fide 1520) sicut opera carnis augent concupiscentiam carnis, ita opera fidei fidem augent, imo fides äuget seipsam per opera sua. 200 WA 36, 467, 7 ff. 201 W A 1 4 ; 23, 7 f. (1523 2. Petr. 1, 10). 202 WA 20, 716, 3 ff. (1527 1. Joh. 3, 19 u. 2. Petr. 1, 10) Stabilitur fides ipsa fructu, usu, ecercitio, alioqui fides est seer schwach. Exercenda fides, ut liberetur a mala conscientia, ut serviat fratri, tum volare in misericordiam dei i.e. possumus consolari et erigere corda nostra coram eo, ut fiduciam habeamus.
50 wie Luther sich ausdrückt — »mit der Tat sagt«, daß er glaubt und das Heil empfangen hat. So stehen Glaube und Liebe bei Luther in Disjunktion, wenn es um die Frage geht, wodurch der Mensch vor Gott gerecht werde ; aber in Konjunktion, wenn gefragt wird, ob der Glaube, mit dem der Mensch die Rechtfertigung empfangen soll, konkret bei ihm rechter Glaube sei, nämlich wirkliches Empfangen der Liebe Gottes«203. 3. Auch das Wort vom Gericht nach den Werken bestätigt u. U. die Glaubensgewißheit. Indem Luther die vielen Stellen der hl. Schrift nicht übersehen hat, die ein Gericht nach den Werken am Jüngsten Tag klar bezeugen, hat er diese Texte auf die mit strenger Konsequenz durchgefürte Rechtfertigungslehre bezogen. Er legt sie so aus, im Endgericht überführe uns Gott mittels der Werke, ob wir geglaubt haben oder nicht. So heißt es in den Predigten über den 1. Petrusbrief (1522—23): »Was wyr gelerei haben, wie der glawb alleyn fur Got rechtfertig machet, ist on zweyffel war, syntemal es so klar ist auß der schrifft, das man es nicht leucken kan. Das nu hie der Apostel sagt, das Got nach den wercken richtet, ist auch war. Aber dafür soll mans gewisslich halten, wo der glawb nicht ist, das da auch keyn gut werck konde sein, Und widerumb, das da keyn glawb sey, wo nicht gutte werck sind. Darumb schleuß den glawben und die gutte werck zu samen, das also ynn den beyden die summa des gantzen Christlichen lebens stehe. Wie du nu lebst, so wirt es dyr gehen, darnach wirt dich Gott richten. Darumb ob uns Gott wol nach den wercken richtet, so bleybt dennoch das war, das die werck alleyn früchte sind des glawbens, bey wilchen man sihet, wo glawb oder unglawb ist. Drumb wirtt dich Gott auß den wercken urteylen und ubirtzeugen, das du glewbt odder nicht glewbt hast« 204 . P. Althaus kommentiert diese Stelle so: »Hier kommen die Werke offenbar nicht nur subjektiv für die Heilsgewißheit des Christen auf Erden, sondern auch objektiv für Gottes Handeln mit dem Menschen im kommenden Gerichte in Betracht« 205 . Diese These darf indessen nicht so verstanden werden, als ob die Werke im Gericht am Jüngsten Tag in den locus iustificationis gehörten. Die Aufgabe der Werke bezüglich der Rechtfertigung beschränkt sich auch dann darauf, den Glauben oder den Unglauben zu bezeugen und zu bestätigen. Damit wird keineswegs der Ernst der Frage nach den Werken am Tage des Gerichts abgeschwächt. Da die Werke unauflöslich dem Glauben bzw. Unglauben zugeordnet sind, stellen sie untrügliche Zeichen und Zeugen dar. Ein liebloser Glaube besteht keineswegs im Gericht 206 . — Z. T. durch K. Holl angeregt, haben wir die Luthersche Rechtfertigungslehre in ihren Hauptzügen untersucht, um herauszufinden, welche Rolle Tatbestand und Werke hier spielen im existenziellen 203
Liebe und Heilsgewißheit . . . S. 74 = Die Theologie M. Luthers S. 376. 204 W A i2, 289, 26 ff. (Ausleg. 1. Petr.brief Cruciger 1523 1. Petr. 1, 17). 205 A.a.O. S. 25. 2oe Vgl ρ Althaus, Die christliche Wahrheit S. 643 f.
51 Gegenüber zu Gott und im Gericht am Jüngsten Tag. Vergebens haben wir nach Belegen dafür gesucht, daß den Werken eine absolut entscheidende Bedeutung innerhalb der Rechtfertigung zukommt. Nie wird die Rechtfertigung durch den Glauben mit einem Rechtfertigungsurteil auf Grund des Tatbestandes und der Werke identifiziert oder durch das Gericht nach den Werken abgelöst. Auch im Gericht am Jüngsten Tag ist die absolute Gerechterklärung Gottes nicht direkt auf den Tatbestand oder auf die Werke bezogen207. Mit strengster Konsequenz ist bei Luther die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben durchgeführt. Sola fide geschehen die Gerechterklärung und die Gerechtmachung. Auf den Glauben allein wird die Gerechterklärung bezogen, auch wenn der Glaube in den gebotenen Liebeswerken inkarniert ist. Auch im Gericht am Jüngsten Tag besteht der Mensch vor Gott allein kraft der dem Glauben imputierten Gerechtigkeit Christi. Die positive Bedeutung der Werke bezüglich der vor Gott geltenden Gerechtigkeit beschränkt sich auf die Bezeugung und Stärkung des rechtfertigenden Glaubens. Auch im Jüngsten Gericht besteht die Aufgabe der Werke darin, die Echtheit des Glaubens zu bestätigen bzw. den Unglauben zu enthüllen. Die Rede vom Gericht nach den Werken darf die ewige Geltung der Glaubensgerechtigkeit nicht aufheben. Insofern das Gericht nach den Werken auf den locus iustificationis bezogen wird, müssen wir den Lutherforschern recht geben, die behaupten, das Gericht nach den Werken sei von Luther »dogmatisch systematisiert und als Gericht nach dem in den Werken virksamen Glauben interpretiert« worden 208 . Ebenso muß die Hollsche Auffassung, Luther sehe im Rechtfertigungsurteil prinzipiell ein analytisches Gericht, als widerlegt gelten. In loco iustificationis gilt das »analytische« Gericht nach den Werken nur insofern, als es die zeitlos geltende Rechtfertigung durch den Glauben bestätigt. Das eschatologische Gericht nach den Werken hat indessen bei Luther zugleich eine relativ selbständige Bedeutung neben der Rechtfertigung durch den Glauben, d. h. extra locum iustificationis. Es gibt bei Luther auch die von Holl behauptete Betrachtungsweise, nach der die Rechtfertigung durch den Glauben uns für das eschatologische Gericht nach dem Tatbestand, oder richtiger, nach den Werken qualifiziert. Dieser Aspekt tritt aber in den durch Holl angeführten Stellen des jüngeren Reformators kaum hervor, sondern wird besonders stark in den Predigten seit den Kirchenvisitationen hervorgehoben und im Großen Galaterbriefkommentar und in anderen Lehrschriften bezeugt.
207 WA 36, 448, 2 ff. (Rörer) Sic sunt discernenda opus et fides, quando kompt zu der heubtfreydigkeit erga deum, Ibi fides zw schwach et Charitas. 450, 4 Coram deo nihil mea gloriatio nisi Christus. Vgl. 451, 4 f. 208 Siehe oben die Einleitung S. 10.
52 III. Das Gericht nach den Werken extra locum iustificationis 1. Locus iustificationis
und locus iudicii
operum
Zweierlei prägt Luther unermüdlich seinen Zuhörern und Lesern ein, erstens die unlösbare Einheit von Glauben und Liebeswerken, zweitens die Unterscheidung zwischen Glauben und Werken hinsichtlich der Gerechtigkeit vor Gott. Im Blick auf die Zuordnung der Werke zum Glauben besteht eine unlösbare Einheit zwischen Glauben und Werken, die von Luther mit der Einheit zwischen göttlicher und menschlicher Natur in Christus verglichen wird. In diesem Vergleich entspricht der Glaube der göttUchen Natur Christi, weil durch den Glauben der Mensch auf Gott bezogen ist209. Wie die ganze Person Christi in all ihrem Wirken völlig von seiner Gottheit bestimmt war, so ist auch der Christ in allen seinen Werken vom Glauben bestimmt210. Wie aber Christus nicht nur nach der göttlichen, sondern auch nach der menschlichen Seite seiner Person zu betrachten ist, so ist der Christ nicht nur nach dem Glauben sondern auch nach der »ethischen« Seite, nach den Werken zu betrachten211. So wie Christus, der gerechte Sohn Gottes, sich auch durch seine Werke als Gerechter erwies, so wird ebenfalls der durch den Glauben gerechte Christ durch seine Werke für gerecht befunden. Diese Rechtfertigung durch die Werke ist aber der Rechtfertigung durch den Glauben völlig nach- und untergeordnet212. Demgemäß betont Luther in De servo arbitrio die Gerechtigkeit des freien Willens dürfe nicht Gerechtigkeit vermengt werden, und behauptet zeitlose Geltung dieser Distinktion: »Loquimur
gegenüber Erasmus, mit der christlichen die prinzipielle und autem hic non de
209 γγΑ 30 I I 659, 13 ff. (Die zitierten Stellen werden in Übersetzung wiedergegeben nach R . H e r m a n n , Zu Luthers Lehre von Sünde und Rechtfertigung S. 60 = Ges. Stud. S. 423) : Da aber der Glaube von Natur vor den Werken ist, so sagen wir mit Recht, daß wir sola fide gerechtfertigt werden. Denn daß wir glauben, geschieht nicht durch die Werke, da sie noch nicht sind oder geschehen, sondern durch das Wort, das Gnade zusagt (promittit) und die Glaubenden als wohlgefällig und selig erklärt und ihre Sünden als vergeben. 210 Ebd. Z. 16 Dann kommt es eben durch den Glauben selbst zustande, d a ß wir handeln, 211 Ebd. Z. 16 ff. und so wird der Glaube gleichsam (sc. wie der menschliche Leib crassescit) stark und wird fast tastbar (palpabilis), wie die Gottheit (sc. Christi, etwa = göttliche Natur) allein zum Herren und Christ macht (Divinitas sola Christum et Dominum facit), aber doch durch die caro assumpta (also durch die Aufnahme der menschlichen Natur) »stark« (crassescit) und tastbar wird, wie es 1. J o h . 1 heißt: »Das Wort, das wir betastet haben (palpavimus) und was in nobis (in uns oder unter uns? Kombination von 1. Joh. 1, 1 und J o h . 1, 14) Wohnung gemacht hat (habitavit). 212 Ebd. Z. 22 ff. Wir werden also nicht »um der aus dem Glauben folgenden Werke willen« gerechtfertigt, nicht »um unser selbst willen«, sondern »aufgrund (ex) des Glaubens selbst. . . u m Christi willen« ex ipsa fide propter Christum. Wie wir nicht »um der zukünftigen Werke willen praedestiniert werden«, so werden wir auch »nicht u m der zukünftigen Werke des Glaubens willen gerechtfertigt. Vielmehr wie die Gnade die Praedestination mancher Werke bewirkt, sie selber ohne Werk erwählend und die zu rechtfertigenden und (dann) tätig werdenden (Menschen) berufend, so bewirkt der Glaube die Werke, er selbst ohne Werke rechtfertigend und die Sünde (schon) zerstörend vor den Werken«.
53 homine primo solum, sed de quolibet, quamvis parum referai de primo vel aliis quibuslibet intelligas«213. Die vor Gott geltende Gerechtigkeit ist immer die Gerechtigkeit des Glaubens gewesen. Diese Gerechtigkeit verleiht den Werken ihre Güte, die von den Menschen, dem eigenen Gewissen und auch bei Gott anerkannt und erkannt wird. Trotz des kategorischen Satzes Karl Holls, »Luther weiß nichts von dem schwachen Fündlein einer zweimaligen Rechtfertigung«214, redet Luther klar und prinzipiell so : »Duplex in scripturis traditur iustificatio, altera fidei coram Deo, altera operum coram mundo«215. Neben der iustificatio primo ordine, nämlich durch den Glauben, gibt es eine iustificatio secundo ordine, nämlich durch die Liebeswerke216. Auf diese beiden iustificationes mag die Hollsche Unterscheidung zwischen synthetischem und analytischem Gericht bezogen werden. Interessant und bedeutsam ist in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung Luthers mit dem Jakobusbrief in den Genesisvorlesungen 1535—45. Luther unterscheidet hier zwischen esse bzw. fieri iustum und cognoscere iustum. Gerecht werden und sein ist nur möglich sola fide, so wie die hl. Schrift bezeugt, Abraham sei vor der Prüfung Gen. 22 durch den Glauben gerecht gewesen: »Abraham fuit iustus fide, antequam cognoscitur a Deo talis«. Das cognoscere iustum geschieht dagegen auf Grund des Gehorsams im gebotenen Werk: »iustificatus fide, ut supra cap. 15. de Abrahamo dictum est, cognoscitur iustus ex fructibus et operibus«217. Für Luther ist der Stein des Anstoßes, daß Jakobus, jedenfalls wie Luther ihn in Übereinstimmung mit der traditionellen scholastischen Interpretation meinte verstehen zu müssen, die Alleingeltung der Rechtfertigung durch den Glauben in loco iustificationis verleugnet, ja, daß er gegen die klaren Worte Gen. 15,6 die Rechtfertigung durch den Glauben verneint218. Luther urteilt in der Vorrede zum Jakobusbrief: 213 WA 18, 675 25 f.: Wir reden aber hier nicht von dem ersten Menschen allein, sondern von jedem beliebigen, wie wenig es auch darauf ankommt, ob man es vom ersten oder beliebigen andern versteht (Br. Jordahns Übers.). Vgl. 5, 396, 31 f. (Op. in Psalm. 1519—21) Itaque in fide omnia opera sunt aequalia, utcunque sese obtulerint. Ipsa enim sola est opus operum omnium (das Werk aller Werke). — Mit Recht sagt L. Haikola (Gesetz und Evangelium . . . S. 87), auf diese beiden Stellen hinweisend, Luther habe kein Interesse daran, »in bezug auf das Verhältnis von Glaubensgerechtigkeit und Gesetzesgerechtigkeit einen prinzipiellen Unterschied zwischen status corruptionis und status integritatis zu machen«. »Die Gerechtigkeit des Gesetzes hat niemals als Gerechtigkeit vor Gott gegolten«. 214 Siehe oben A Anm. 89. 215 WA 39 I 208, 9 f. (Prom. disp. v. Pallad. u. Tilem.) vgl. Z. 10 (rechts) Mulier haec bis pronuntiatur iusta, primo coram Deo : Fides tua etc. Secundo coram Phariseo. cui ostendit fidem mulieris, ut sint fructus fidei et certa signa. 216 Vgl. peccatum 1. et 2. ordine WA 40 II 145, 8 ff. (1531 Gal. 6,2) und duplex fiducia 36 454 9 ff 217 WA 43, 231, 36 f.; 232, 4 ff. (Gen. 22, 12). Holls Rechtfertigungsbegriff umfaßt diese beiden Aspekte : »Rechtfertigung bedeutet die Anerkennung des Menschen durch Gott« (a.a.O. S. 114). 218 WA 43. 231, 32 ff. Quia dicitur: »Nunc video te iustum«, vult inde colligere. quod prius non fuerit iustus. Vgl. C Anm. 35—36.
54 »Er hat wollen denen wehren, die auff den glauben on werck sich verliessen, u n d ist der sachen zu schwach gewesen, Wil es mit dem Gesetz treiben ausrichten, das die Apostel mit reitzen zur Liebe ausrichten« 2 1 8 . Luther sieht das Evangelium von der Rechtfertigung durch den Glauben verleugnet u n d n u r das Gesetz übrig bleiben. Luthers Polemik gegen Jakobus ist also nicht pedantisch gegen dessen formalen Sprachgebrauch gerichtet. Er gesteht zu, f ü r die R e d e von einer Rechtfertigung durch Werke könnte »eine glose funden werden« 2 2 0 . Er selbst folgt in Anknüpfung an 1. Kor. 4,4 Paulus in der Anwendung des Begriffes justificare auch f ü r anerkennende Beurteilung seiner Werke durch Gott, also im Sinne der Rechtfertigung secundo ordine 2 2 1 . U m diese Anerkennung der vorfindlichen Gerechtigkeit in den Liebeswerken geht es in dem schon 1523 in der Predigt über Lk. 16,19 ff. bezeugte iuditium dei de operibus venientibus ex fide vera222. Ebenso heißt es in Annot a t i o n s in aliquot capita Matthaei, d a ß in Mt. 16,27 »Christus non de iustificatione loquatur, sed de tribunali suo, in quo iudicabit iustos et impíos. N o n enim, quomodo iusti fiamus, hic docet, sed, quomodo examinandi sint iusti et iniusti, n u m iusti aut iniusti fuerint« 2 2 3 . I n loco iustificationis gilt der Glaube allein. K r a f t der Zuordnung der Werke zum Glauben (und infolge der christologischen Analogie) bilden aber die Gerechtigkeit des Glaubens u n d die der Werke eine unlösbare Einheit u n d besteht eine prinzipielle Übereinstimmung zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben u n d der Gerechtigkeit in den Werken : «Iustificata autem persona fide, so geschieht denn das gantze auch, scilicet, quod iustus es, et bona opera facis. . . Hic sunt duo diversa, fides et opera, Et tarnen sunt u n u m in omnibus praeeeptis, quia omnia praeeepta u t r u n q u e requirunt« 2 2 4 . Diese Übereinstimmung wird im Gericht a m Jüngsten T a g offenbar werden : »wenn das stündlin kömpt, s o . . . . findet sich fein, ob du rechtschaffen gegleubt und eines rechtgleubigen werck gethan hast« 225 . Dieses Verhältnis zwischen Glauben 219
WADB 7, 387, 13 ff., 1546. So verstehe ich die Aussage WADB 7,385, 14 ff (1546/1522): Ob nu dieser Epistel wol möchte geholffen, und solcher Gerechtigkeit der werck eine glose funden werden, kan man doch sie darinne nicht schützen, das sie den spruch Mose Gen. X V (welcher allein von Abrahams glauben, und nicht von seinen wercken sagt, wie jn S. Paulus Rom. IV füret) doch auff die werck zeucht. 221 WA 36, 450, 1 ff. (Rörer) »Nihil quidem mihi conscius, sed non in hoc«. Sed einer ist droben ec. cum isto wil ich nicht yns recht ghen, sed cum hominibus, et tarnen coram deo, ut in die iudieii. Vgl. 465, 11; 471, 10 f. — Ich verstehe die zitierte Stelle so, daß Luther die Wendung »sed non in hoc iustificatus sum« (1. Kor. 4,4) zwar zunächst auf den locus iustificationis bezieht, wo die Werke keine Geltung haben, demnächst aber zugleich auf die Beurteilung der Werke durch Gott im Gericht. Luther anerkennt die Hoffnung, der Christ werde als Wirkender im Gericht nach den Werken gerechtfertigt d.h. anerkannt. 222 WA 11, 129, 4 f. (Rörer). 223 WA 38, 645, 19 ff. 224 Ebd. 648, 22 ff. Vgl. 30 II 659, 5 ff. 16 est una Iustiticia simplex fidei et operum.. . Tum per ipsam fidem fit, ut operemur. 225 WA 36, 444, 34 (Cruciger) vgl. Z. 9 f. (Rörer) quando das stundlein kompt, . . . wird sichs finden, an recte crediderim et charitatem exhibuerim. 220
55 und Werken gilt auch im Blick auf den sündlosen A d a m . Seine Gerechtigkeit war eine durch Gott geschenkte Glaubensgerechtigkeit, die seinen Werken ihre Güte verüeh. Demgemäß war der Sündenfall zwar ein Gesetzesbruch, vor allem aber Abfall vom Glauben 2 2 6 . So unbedingt ist bei Luther die Vor- und Uberordnung des Glaubens, daß im absoluten Gegenüber mit Gott der Mensch ausschließlich als Gläubiger oder Ungläubiger betrachtet wird. Nur sekundär werden die Werke und das Gericht nach den Werken auf das Gottesverhältnis bezogen. Es ist bei Luther also eine prinzipielle Unterscheidung festzustellen zwischen den beiden existenziell-eschatologischen Begriffen des locus iustificationis in absolutem Sinn und des locus iudicii operum221. I n den locus iustificationis gehört das 1. Gebot als Glaubensgebot, in den locus iudicii operum die 10 Gebote der Liebe sowie das Paradiesgebot 2 2 8 . V o n dem zuletzt geäußerten Gedanken her ist es zu verstehen, daß Luther es prinzipiell verneint, eine wirkliche Erfüllung des Gesetzes könne die vor Gott geltende Gerechtigkeit bewirken: »et iam, si quis faceret legem, tarnen per hoc non iustus est, quia alius est finis legis, quam iustificatio« 2 2 9 . Es hat Gott gefallen uns durch den Glauben gerecht zu m a c h e n ; die Aufgabe des Gesetzes ist es, uns zum Dienst am Nächsten zu reizen bzw. der Sünde zu überführen 2 3 0 . Es ist das Zeichen der Gesetzlichkeit, daß sie mit dem Gesetz und den Werken »zu hoch k o m m t « und durch sie vor Gott gerechtfertigt werden will: »lex wil gethan sein, wil etwas gethan sein gegen Gott. W e n yhr hoch kompt cum lege et operibus, non sunt fides sed facere« 2 3 1 . Dieser pervertierte usus legis ist Merkmal des Unglaubens und der Werkgerechtigkeit. Auch der Gläubige weiß freilich, daß er nach seinen in den 226 WA 42, 122, 23 f. (1535—1545 Gen. 3, 7) primo fidem tentât, et a verbo abducit. Deinde sequitur peccata contra secundam tabulam. 227 Die Berechtigung dieser unserer Begriffsbildung erweisen besonders deutlich die oben Anm. 222 und 223 angeführten Stellen. G. Ljunggren nützt die Wendung locus perfectionis (a.a.O. S. 360) ; vgl. die Beziehung der Vermahnung bei O. Tiililä (Laki kristityn elämässä S. 52—56) auf den locus sanctificationis, siehe L. Haikola, Usus legis S. 11 Anm. 17. — In den locus operum gehören also der ethische Fortschritt bzw. die Dienstbarkeit des Christen. Hier, extra locum iustificationis, hat der PartialAspekt des simul seine theologische Relevanz. Das ist bei W. Link, Das Ringen Luthers . . . S. 84, wie durchgehend in den Luther-Interpretationen, nicht genügend beachtet. 228 WA 30 I I 663, 39 f. (De loco iust. 1530) Fide secundum 1. praeceptum habita filii Dei sumus. 16, 463, 8 f. (Ex.pred. 1524—27 Ex. 2 0 , 2 ) Von dem Glauben und keinem andern wercke haben wir den namen, das wir Christgleubig heyssen. 30 II 661, 21 f. Iustitia vero coram hominibus sunt opera, quae eciam Deus exigit, Sed non ut iustificent, vgl. 667, 10 ff.; 42, 82, 9 f. (Gen. 2, 16 f.) Iusto non est lex posita; Adam fuit iustus; ergo ei non fuit posita lex, sed tantum admonitio quaedam fuit; vgl. 81,19ff. 229 WA 39 I 213, 6 ff. (Prom.disp. v. Pallad. u. Tilem. 1537) vgl. 238, 6 ff. nulli unquam homini unquam dabit neque vult dare vitam aeternam propter ulla opera, quantumvis speciosa et magna et secundum legem divinam facta. 230 W A 40 ι 552, 13 ff. (1531 Gal. 4, 1 f.) Usu civili arceri a furto, homicidio, adulterio, scorto. Das ist rudis usus. Qui sic arcentur lege, sunt subiecti legi, lex dominatur eis. Servitus Theologica : quod lex me accusat coram Deo, facit me pallidum, paventem, tristem. 231 Ebd. 425, 12 ff. (1531 Gal. 3, 12).
56 Geboten befohlenen Werken gerichtet werden soll, aber vor allem, daß im absoluten locus iustificationis allein Christus vor Gott gilt. Zwar heißt es in der Zirkulardisputation de veste nuptiali, 1537, »Charitas... iustificat. . . in futura vita, ubi erit perfecta Charitas« 232 . Dieser Satz besagt, in der Herrlichkeit sei Christus nicht mehr als unsere »fremde« Gerechtigkeit vor Gott vonnöten. Dazu kommt, daß in der Ewigkeit jeder Unterschied zwischen Glauben und Liebe aufgehoben ist und damit auch die Unterscheidung zwischen locus iustificationis und locus iudicii operum irrelevant wird. Wenn also das Jüngste Gericht sachlich in das regnum gloriae gehörte, dann wäre das Verhältnis zwischen der eschatologischen Rechtfertigung und dem Gericht nach den Werken kein Problem, da an diesem Tag eine völlige Übereinstimmung zwischen imputierter und tatsächlicher Gerechtigkeit bestehen würde 233 . Obwohl aber Luther meint, die Vollendung der Heiligung in der Auferstehung geschehe schon vor dem Gericht 234 , so gehört für ihn das Gericht doch sachlich in die Zeit. Es geschieht am Jüngsten Tag, zurückschauend auf die Werke, die bei Leibesleben geschehen sind. Eben darum wird in der Auslegung von Gal. 6,5, wo Luther das eschatologische Gericht nach den Werken bezeugt findet, mit einem Porro observandum est, festgestellt: »nos hic non versari in loco iustificationis« 235 — wir sind nicht an dem existenziellen »Ort«, an dem wir vor Gott in absolutem Sinne stehend, begnadigt oder verdammt werden. Diese Feststellung ist ihm so überaus wichtig, weil es nur so möglich ist, mit der conscientia in evangelio dem Jüngsten Gericht entgegen zu gehen 236 . Dennoch wird dadurch das in loco iudicii operum stattfindende Gericht nicht aufgehoben. In seinem theologischen System nimmt also Luther nicht eine Umdeutung vor, die die Worte der Schrift vom Gericht nach den Werken entleert oder gar aufhebt. Vielmehr gibt er eine echte Analyse der These, nach der wir durch Glauben und Liebe im Gericht bestehen. Der als Überschrift unseres 2. Kapitels angeführte Satz, »Der Glaube und die Liebeswerke als Voraussetzungen des Bestehens im Gericht«, ist 232 WA 39 I 319, 15 f. vgl. 203, 30 f. (Prom.disp. v. Pallad. u. Tilemann) Cessabit enim tune et ipsa fides, reputatio Dei et remissio peccatorum, cum universo spiritus ministerio. 233 w e n n das Gericht in diesem Sinne als ein Gericht nach dem Tatbestand verstanden wird, wird nur die Ernsthaftigkeit der Gerichtsparänese zum Problem, vgl. z.B. H. Braun, Gerichtsgedanke . . . S. 76 : »bei Paulus : Sicherheit des Heils, verbunden mit der Erwartung einer von Gott gewirkten und gewährleisteten Vollendung, daher Unbetontheit und Uneigentlichkeit der Gerichtsparänese«. 234 WA 39 I 204, 7 perficiamur in resurrectione a mortuis, vgl. 252, 8 ff. 235 w A 40 II 154, 25 ff. (1535 Gal. 6, 5) Porro observandum est nos hic non versari in loco iustificationis, ubi nihil valet nisi mera gratia et remissio peccatorum, quae sola fide suscipitur. — Dieser Satz aus dem durch Rörer bearbeiteten Drucktext entspricht sachlich ganz der Rörerschen Nachschrift, ebd. Z. 7 ff. appareo coram iudice, scio, quod diligenter feci, quia factum secundum vocationem. Seimus remissionem peccatorum solle ghen super omnia opera . . . Quando venit ad conscientiam, nihil; tarnen scire debeo, opus meum factum in veritate et synceritate et vocatione divina. ase WA 40 I 469, 3 f. 6 ff. (1531 Gal. 3, 17) lex et promissio . . . hart bey ein ander sein in uno corpore, animo, sed distinetae in affectu: conscientia frey zu halten in coelo, regno promissionis.
57 im Sinne Luthers so zu erklären: Der Glaube allein gilt als Voraussetzung des Bestehens coram Deo in loco iustificationis; coram Deo in loco iudicii operum haben die Werke ihre Geltung. Im Einklang mit dieser prinzipiellen Unterscheidung wird von Luther die ganze hl. Schrift interpretiert. Bedeutungsvoll ist es, daß Luther sein Verständnis von Evangelium und Gesetz gewöhnlich so darstellt, daß allein das Evangelium in den locus iustificationis gehöre 237 . Damit hängt sein Kampf gegen die lex in conscientia zusammen 238 , aber zugleich auch, daß er göttliche Gebote auf den sündlosen Adam bezieht. Denn ein extra locum iustificationis geltendes Gesetz ist mit dem Evangelium unter Umständen wohl vereinbar! Seit dem Sündenfall besteht nicht der Glaube an sich vor Gott; er gilt als Gerechtigkeit allein deshalb, weil er auf Christus gegründet ist 239 . Auch die etwaige Anerkennung der Heiden durch Gott leitet sich gleicherweise aus der göttlichen Gnade in Christus ab 240 . Demgemäß redet Luther von einer duplex fiducia, einmal durch den Glauben an Christus, der die Sünde der Welt getragen hat, zum andern durch die wahren Liebeswerke. Dies wird in »Etliche schöne Predigten« so ausgedrückt : »Mit dem glauben rhumen wir gegen Gott und heben seinen zorn auff und trotzen drauff, quod baptizatus in Iesum Christum«. »Coram deo nihil mea gloriatio nisi Christus«. Daneben sollen die guten Werke »etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit«. »Si ego non haber em istam gloriam, So musten die X gebot nicht recht sein«. 241 An dieser bei Luther streng durchgeführten Unterscheidung scheitert die oben angeführte, durch A. Osiander, K. Holl und R. Seeberg vertretene Identifikation von Rechtfertigungsurteil durch den Glauben und Gericht nach den Werken endgültig. Indessen hat unsere Untersuchung auch erwiesen, wie naheliegend diese Identifikation ist.
237 W A 40 I 466, 9 (1531 Gal. 3, 17) Ideo promissio est supra legem, sicut est ante legem. 240, 16 ff. (1535 Gal. 2, 16) Haec fides sine et ante charitatem iustificat. Concedimus, docendum quoque esse de bonis operibus et charitate, Sed suo tempore et loco . . . extra hunc capitalem articulum. Hic autem Status caussae est, Qua re iustificemur et vitam aeternam consequamur. Hic respondemus cum Paulo Sola fide in Christum nos pronuntiari iustos, non operibus legis aut charitate. 557, 2 ff. (1531 Gal. 4, 3) Paulus hic versatur in loco iustificationis. Alia disputatio de lege et iustificatione. E t . . . in isto loco . . . conscientia nihil debet speculari et scire nisi unum ilium Christum. 238 Ebd. 558, 3 ff. (1531 Gal. 4, 3) Si enim velis legem colere in conscientia, est cultus omnium (malorum). Ideo quando Moses vult terrere conscientiam, die: tu es hereticus et erger quam Teufel et P a b s t . . . Si extra locum iustificationis, extollenda lex omnibus modis. Est lex sancta, iusta, divina. 239 W A 8, 112, 1 f. (Rat.Latom.confut) Ecce fides non satis, sed fides, quae se sub alas Christi recondat et in illius iustitia glorietur. 240 W A 56, 198, 33 ff. (Rom. 2, 12) Quicquid autem defuit eis (in quo per ignorantiam inuincibilem excusantur), sine dubio Deus in sustentatione suppleuit, ut per Christum futurum perficeretur. 241 W A 36, 450, 9 f. 4 ; 451, 5 f.; 450, 6 f. (Rörer).
58 2. Luthers Predigt vom Gericht nach den Werken am Jüngsten Tag Wir besitzen von Luther leider nur eine einzige Predigt über Mt. 25,31 ff. 242 In dieser Predigt macht Luther es sehr klar, daß es im großen Gericht über die Völker am Jüngsten Tag um unsere Dienstbereitschaft gegenüber dem Nächsten geht. Er versteht die Perikope so, »Istud Evangelium lautet von eitel operibus, quia etiam praedicandum de bonis operibus. Das ist kurtz und gut«. Mit Zustimmung wird 2. Kor. 5,10 zitiert: »Omnes coram tribunali Christi, ut quisque accipiat, quod meruit in corporali, es sey gutes vel böses«. Christus soll als Weltrichter alle Menschen nach ihren Werken prüfen und das letzte, entscheidende Wort aussprechen. Dramatisch wird in der Predigt das Gericht geschildert : Christus wird am Jüngsten Tag herabkommen mit großer, unaussprechlicher Majestät und Herrlichkeit. Das ganze Engelsheer wird zugegen sein, und er selbst, der Herr aller Engel, in ihrer Mitte. Von den vier Winden kommen alle, »bocke da her, schafe hie. Qui bocke, qui non fecerunt bona opera. Econtra«. Wohl dem, der in christlichem Glauben und christlicher Liebe das Gute getan hat! »Is sit letus, quia letum iudicium : veni, tu unus minimus, du hast durst gelitten vel dedisti aliis beneficium et exercuisti opera charitatis, tu verus Christianus« 243 . Mit Leidenschaft wird in den Gerichtspredigten Luthers die Notwendigkeit der Werke eingeprägt. Speziell ist die tätige Feindesliebe geeignet, das christliche Herz zu beweisen: Das Werk tut allein ein Christ, kein Heid. Die Heiden sind dabei stehen geblieben, daß sie Gutes mit Gutem vergelten; die Christen aber sollen wissen: »Si vos non melius, so werdet ir nicht j n n den himel komen« 244 . Es ist nur ein Stündchen, so kommt der Jüngste T a g ; dann wird alles geoffenbart. Wie eitel schreckliche Donnerschläge wird das Gericht gesprochen: Alle die hassen, sind Totschläger und Mörder und geraten unter Gottes Zorn 245 . Es gibt keine Hoffnung noch Hilfe für diejenigen, die nicht in der Nachfolge Christi Sünden vergeben können 246 . Es genügt auch nicht, daß man dem Feind vergibt, so schwer das sein mag — die Liebe ist nur dann echt, wenn man dem, dem man vergeben hat, auch wohltut. Ein jeder soll wissen, daß er im Gericht nicht bestehen wird, wenn er nicht seinem Feind vergibt und wohltut 247 . 242 W A 45, 324, 19 ff. (Pred. 1537 Rörer) vgl. 22, 410—423 (Crucigers Sommerpost.). 243 WA 45, 324, 23 f. 31 f.; 325, 1—13; 327, 17 ff. 211 WA 37, 100, 16 ff. (Pred. 1533 Rörer Lk. 6, 36). 245 WA 34 I 525, 3 f. 8 ff. 17 f. (Pred. 1531 Rörer 1. Joh. 3, 14 f.) Charitas non solum in corde, sed ut ore, manu, Consilio adiuvem fratrem . . . Das sind eitel schreckliche grosse donerschleg, quod ii, qui hassen, sind eitel todschleger und morder . . . Epilogus est et fulmen contra omnes, qui odiunt homines. Das syndt morder und boßewichter und sollen go tes zcorn gewartten. 246 WA 36, 226, 18 f. (Pred. 1532 Lk. 14, 42) Si non potes ferre remissionem peccatorum, so ist kein hülff mher zu hoffen. Drumb ist der zorn so gros. 247 WA 37, 114, 31 ff. (Pred. 1533 Rörer Mt. 5, 20) Multos vidi, et sunt, die vergeben wol, sed wenn sie sollen dem dienen, cui remiserunt, so sind es eitel wacken, die liegen, das sie niemand heben kan, Das ist die schalkeit, da Christus von saget, Sed er sagt ein
59 Auch das Zeugnis des Nächsten soll nach Lk. 16,9 am Tage des Gerichts gehört werden: »wenn ir sterbet et darbet und must das gut da hinden lassen, 'habeatis, qui vos recipiant in aeterna tabernacula', Quia illi, quibus illa beneficia exhibita sunt, werden am jüngsten tag zeugen sein et dicent: das stuck brods, rocke, hause hat mir der geben, Lieber HErr, er hat den glauben wol beweiset, Diese freunde werden es thun und uns jnn himel helffen, wenn wir darben« 248 . Mit leuchtenden Farben wird geschildert, wie am Jüngsten Tag »die armen heiligen herumb stehen und klagen über die geitzigen. Die reichen aber, die geholffen haben, werden mit grossen ehren bestehen«. Hier ist in der Tat von konkreten guten Werken die Rede. Hier wird nach den Werken gerichtet: »Ergo erit iudicium tune: Non dederunt, das sie sollen in ignem« 249 . So redet der Herr wider den Geiz; beweisen wir in tätiger Nächstenliebe den Glauben, so werden wir Zeugen vor Gott haben. Wer aus dem Mammon einen Abgott macht und das eigene Gut allein zu eigenem Nutzen und Vergnügen braucht, wird am Jüngsten Tag keinen Freund finden, der ihm bestätigen kann, er habe in Werken seinen Glauben bewiesen. Im Gegenteil, er wird hören, daß sein Glaube nur eine leere Hülse gewesen ist. »Das wird die frucht und lohn sein des schendlichen geitz«250. Neben dem Verhalten zu den Feinden ist die Haltung zu der Sache des Evangeliums besonders aufschlußreich und entscheidend. 1537, in der Predigt über Mt. 25,31 ff. wird Christus als der Richter dargestellt, der besonders danach richtet, wie sich der Mensch zu der Sache des Evangeliums gestellt hat. Die Aussichten für Luthers Zeitgenossen sind schlecht : Man hungert das Evangelium aus. Seit der neuen Offenbarung des Evangeliums sind die Christen ärger als unter dem Papst; dies ist ein Zeichen, daß der Jüngste Tag bald kommen wird251. Obwohl Luther in dieser Predigt mit Leidenschaft von der Hilfsbereitschaft gegenüber der Kirche redet, dürfen wir daraus nicht schließen, er habe die in Mt. 25,31 ff. geforderten guten Werke auf die speziell »christlichen« begrenzt. In der Festpostille 1527 heißt es z.B.: »Drumb so ist nu das das zaichen, darbey wir gewiß erkennen sollen, ob die gepurt des Herrn Christi in uns krefftig sey, wenn wir uns unsers nechsten not annemen. Und das ist auch das zeichen, das er am Jüngsten gericht fodern und ansehen wirt, wenn ehr sprechen wirt zu denen, die sollichs nicht gethan stücklin dazu und steckt den Riegel fur die thuer, quod taies non intrabunt in regnum caelorum. Vgl. 27, 272, 9 f. (Pred. 1528 Rörer Mt. 5, 25) Si non condonas et non benefacis, So wird er dich »ludici« i.e. Christo tradere. 248 WA 37, 128, 18 ff. (Pred. 1533 Rörer Lk. 16, 9). 218 Ebd. 129, 7 ff. 250 Ebd. 129, 26 ff. 251 WA 45, 326, 3 ff. (Rörer 1537) Sic deteriores post Euangelium quam ante. So schendlich, unbarmherzige leute post Euangelium, ut etiam Euangelium aushungern . . . Vos non alitis Christum i.e. praedicatores und scholares, mendicos, quid dicetis in extremo die? Vgl. 328, 34 ff.
60 haben : ' Ich byn hungerig gewesen, und j r habt mich nicht gespeyset' « 252 . »Da hast du Christum in deinem nehesten, dem solt du dienen unnd guts thun, dann was du deinem nehesten thust, der da not leydet und in elend stecket, das hast du dem herren Christo selbs gethon, wie er am jüngsten tage sprechen wirt zu den außerweiten« 253 . In den Wochenpredigten über Mt. 5—7 werden die in Mt. 25,31 ff. bezeugten Werke als diejenigen verstanden, »die ein jglicher gegen dem andern thun sol, aus der liebe«, während in Mt. 5,16 die Rede ist »allermeist von dem rechten Christlichen werck, als rechtschaffen leren, den glauben treiben und darinn unterrichten« 254 . Luther preist die Barmherzigkeit, die den Sündern vergibt (Mt. 5,7) und gegen die Notleidenden wohltätig ist (Mt. 25,31 ff.) : »Wol euch die j r barmhertzig seid, denn jr werdet widder eitel barmhertzigkeit finden beide hie und dort, und solche barmhertzigkeit, die alle menschliche wolthat und barmhertzigkeit unausprechlich weit ubertrifft . . . Weh und verflucht sind die unbarmhertzigen, denn j n sol auch keine barmhertzigkeit widderfaren«. Auf Jak. 2,13 hinweisend sagt Luther weiter, daß »wer nicht barmhertzigkeit erzeigen noch haben will, eitel zorn und ewige ungnad uberkome« 255 . Am Jüngsten Tag wird Christus unsere barmherzigen oder unbarmherzigen Werke betrachten, als wären sie ihm selbst erwiesen worden 256 . Das bedeutet nicht, Christus denke an sich selbst und suche für sich selbst unsere Dienste. Er ist die Liebe und identifiziert sich deshalb mit unserem Nächsten in seiner Not; darum ist der Dienst am Nächsten Gottesdienst und die Bosheit dem Nächsten gegenüber Sünde gegen Gott. Eben darum ist, wie H . Bornkamm den Lutherschen Gerichtsgedanken und Gerichtsernst wiedergibt, gegen ihn »alle Schuld gerichtet, die wir auf uns geladen haben und mit der wir zunächst Menschen getroffen haben. Denn hier gilt die einfache Gleichung, die Luthers ganze Theologie beherrscht: 'Gottesdienst ist, so man dem Nächsten dienet' 257 . Was wir also dem Nächsten versagt haben, haben wir Gott versagt. Es ist schon zum grauen, dieser Enthüllung entgegengehen zu müssen« 258 . Weil der Richter keinerlei Dienste für sich selbst fordert und nicht das Eigene sucht, wird jede Lauheit und Bosheit dem Nächsten asa
17 n 330, 7 ff. (Roths Festpost. 1527). Ebd. 303, 29 ff., vgl. 296, 36 ff; 276, 17 ff. 254 W A 32, 353, 31 ff (Wochenpred. 1530—32 M t . 5, 16). 255 Ebd. 323, 10 ff. 19 f. 31 f. (Mt. 5, 7). 256 Ebd. 323, 32 ff. (Mt. 5, 7) »Es wird gar ein unbarmhertzig gericht ü b e r den gehen, der nicht barmhertzigkeit gethan h a t « , D a r u m b auch Christus a m jüngsten tage solch unbarmhertzigkeit allein f ü r das hoheste wird anzihen als widder j n selbs gethan alles was wir aus unbarmhertzigkeit gethan haben, u n d selbs den fluch über sie sprechen »Ich bin hungerig, durstig gewesen, und j r h a b t mich nicht gespeisset noch getrencket« ec. » d a r u m b gehet hin j r verfluchten j n n das ewige hellische f e u r « etc. E r warnet u n d vermanet uns treulich aus lauter gnaden u n d barmhertzigkeit, wer das nicht will haben, der wele den fluch und ewig verdamnis. Vgl. 22, 416, 33 ff. 257 W A 23, 358, 16 f. ( O b m a n vor dem sterben fliehen möge 1527) Gotts dienst ist freylich, so m a n d e m nehesten dienet. 258 H . Bornkamm, Luthers geistige Welt S. 137. 253
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61 gegenüber so grauenhaft. Wegen des brennenden Eifers des Richters um seine und unsere Brüder ist das Gericht so ernsthaft, der Segensgruß so herrlich, der Zorn so furchtbar 259 . Ohne die Werke der Liebe am Jüngsten Tag erscheinen zu müssen, das bedeutet Furcht und Pein, wenn die Anklagen uns ins Gewissen treffen. Wer nicht dem Nächsten gedient hat, »mus marter haben, quia conscientia ist das groste Kreuz auff erden«. Das Herz wird »blöde und zappelt«; es »schmeltzt im leib weg ut sal in aqua«. »Es martert einen, ut dicat: Ich hab dennoch nicht recht gethan« 260 . Mit dieser Gewissensnot vor dem Nächsten zu stehen, dem man Unrecht getan und hilflos gelassen hat, in quälender Furcht vor Gott, der sich eifrig um meinen Nächsten sorgt — das ist das Gericht, das den Bösen erwartet 261 . Im Gericht geht es also nicht allein um den Glauben, sondern um die Liebe und die Werke. Eine volle Liebe ist nötig, sagt Luther, eine Liebe, die ein freudiges Herz im Gericht geben kann. Man soll in der Todesstunde sagen können : Ich habe meinen Glauben vor der Welt bekannt ; niemand bin ich im Herzen Feind. Ich habe gemäß dem Vaterunser meinen Schuldigern vergeben, und meinem Nächsten geholfen nach dem Wort des Evangeliums: gebet, so wird euch gegeben. So hat Moses zu den Juden geredet, ja auch zu Gott; so auch Samuel und David. Diesen Ruhm muß ich auch bringen, fügt Luther hinzu — sonst wird Gott nicht freundlich zu mir sprechen262. Daß solches Reden bei Luther nicht nur eine hypothetische Möglichkeit bezeichnet, zeigt die häufige Bezeugung seiner eigenen Treue und Liebe im Dienst am Nächsten unter vielerlei Leiden. Wir nennen als ein Beispiel die ernste und feierliche Erklärung in Adversus execrabilem Antichristi bullam 1520 : »Quod si quis fraternum hoc monitorium meum contempserit, sciat me esse mundum a sanguine suo et in extremo iuditio Christi excusatum. Nihil enim omisi, quod charitati Christianae d e b u i . . . Et sicut ipsi me excommunicant pro sacrilega haeresi sua, ita eos rursus ego excommunico pro sancta veritate dei. Christus Iudex viderit, utra excommunicatio apud eum valeat, Amen« 263 . So zuversichtlich und kühn redet Luther von seinem Dienst und beruft sich dabei auf Christus iudex, vor dem sich jeder verantworten muß »an seinem sterben und Jüngsten Tag« 264 . Dieselbe Betonung des treuen Dienstes am Wort im Hinblick auf das Gericht finden wir 1535 im Großen Galaterbriefkommentar in der Auslegung von Gal. 6,4 f.: »In agone enim mortis et novissimo Iudicio nihil proderit tibi, quod alii te laudaverint, Nam onus tuum alii non portabunt, sed tu stabis ad Tribunal Christi et solus portabis onus t u u m . . . Ac 'in ilio die, quo iudicabit Dominus occulta hominum', stabit testimonium conscientiae 4 5 ) 3 2 7 , 24 ff. ; 326, 22 f. WA 36, 477, 4 f.; 471, 3; 466, 12; 471, 4 f. (Rörer). 261 γγΑ 45 327, 39 f. 262 WA 36', 444' 10 ff.; 445, 1 0 - 4 4 6 , 6 (Rörer). 263 WA 6, 612, 15 ff. 21 ff. (Adv. execrab. Antichristi bullam 1520). 264 WA 6, 617, 6 (Wider die Bulle des Endchrists 1520).
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62 pro te aut contra te, Contra te, si habueris gloriam in aliis, Pro te, si earn habueris in temetipso, hoc est, si conscientia tua testimonium tibi praebuerit, quod probe et fideliter administraveris ministerium verbi, spectando tantum gloriam Dei et salutem animarum, Vel tuum officium secundum vocationem recte feceris. Et illa verba : ' Unusquisque portabit iudicuum suum', satis vehementia sunt, quae certe perterrefacere nos deberent, ne inanis gloriae cupidi essemus«265. Wie in den Predigten behauptet Luther also auch in dieser Lehrschrift in wohlerwogener Begrifflichkeit die Notwendigkeit eines guten Gewissens hinsichtlich der von Gott befohlenen Werke : »Hoc conscientiae testimonio de ministerio recte administrato et vita etiam bene peracta nobis opus est. Eatenus igitur gloriari debemus de operibus, quatenus scimus ea mandata a Deo et ei grata esse. Unusquisque enim in extremo iudicio portabit onus suum« 266 . Obwohl die Werke in eben aufgezeigter Weise eine Rolle im Gericht spielen, schielen nach Luther die wahren Christen nicht nach Ehre und Lohn, wenn sie ihre Liebeswerke tun, ebensowenig wie Christus am Tage des Gerichts das Eigene sucht. Die Liebe hilft dem Nächsten, eben um zu helfen, nicht um dadurch etwas bei Gott zu erlangen. Bescheiden und verborgen sind die Werke der Christen; umsonst, ja verloren ist oft ihre Liebestätigkeit267, Der Herr jedoch sieht alles, empfängt es als ihm gegeben und wird am Jüngsten Tag zeugen : Kommet ihr, die ihr Gutes getan habt, ins ewige Leben. Den Rock, den du diesem gegeben hast, hast du mir angezogen. — Welche Ehre für meinen schäbigen Rock! So nimmt sich Gott alles dessen an, was wir den Armen getan haben. Reichlich, ja hundertfältig wird er es vergelten268.
3. Die zehn Gebote als Maßstab
im Gericht nach den Werken
Das Gebot der Liebe, das in dem doppelten Liebesgebot ausgedrückt und in den zehn Geboten konkretisiert ist, bildet im Gericht nach den Werken den Maßstab 269 . Die Gebote der ersten Tafel gebieten die Liebe aes WA 40 II 154, 13 ff. (1531 Gal. 6, 5). "· Ebd. 155, 21 ff. 287 WA 10 I 1, 377, 8 ff. (Kirchenpost. 1522 Gal. 4, 1—7; siehe oben A Anm. 49). Vgl. 304, 7 ff. (Sir 15, 1—6). Bezügl. der verlorenen Liebe siehe 32, 404, 7 ff (Ausleg. der Bergpred. 1532); 36, 435, 32 ff. und 455, 12 ff. (1. Joh. 4, 16 ff. 1532); 37, 148, 1 ff. (Pred. 1533 Rörer Lk. 17, 11 ff.). Vgl. A. Nygren, Die Bedeutung Luthers für den christlichen Liebesgedanken S. 126 f. und: Den kristna kärlekstanken . . . II S. 550 f.; dazu G. Wingren, Luthers lära om kalleisen S. 182—84 (dt. S. 111—113). 268 W A 27, 304, 1 ff. (Pred. 1528 Rörer Lk. 16, 1 ff.) Vos habetis testimonium in die extremo: quicquid fecistis miseris, Christo fecistis, et pro nobis stabit, dicet: noli timere. Hic est pañis, vestís, qua ec. das wird ein ehr sein coram omnibus sanctis et creaturis, das mein schebichter rock sol ein fest draus machen, das die son sol davor finster werden. 303, 20 f. Christus vult in extremo iuditio: tunicam quam dedisti huic, mihi induisti. 303, 34 f. O sol wir der Ehrn werd sein, ut dicat Christus in extremo die : Hanc vestem mihi dedit, ut de Martino. Siehe weiter 20,514,5 (Pred. 1526 Rörer Mt. 25, 4) und 32, 409, 17 ff. (Wochenpred. 1530—32 Mt. 6, 1 ff). 289 Siehe A Anm. 252—265 vgl. Bek. 644, 4 ff; 645, 36 ff. (Gr.Kat. 1529).
63 zu Gott. Diese Liebe ist der wahre Kultus. Wer Gott liebt, gibt ihm in all seinem T u n die ihm gebührende Ehre. In Not u n d unter Verfolgung tut er das Gute u n d leidet geduldig. Die Liebe achtet Gott höher als alle Kreaturen u n d alle Sünden. Die Liebe hofft auf Gott ; die Liebe glaubt™. 1527 in der Auslegung von 1. Johs. 4,17 wird die Liebe, die die Furcht vertreibt u n d im Jüngsten Gericht bestehen wird, als die Liebe zu Gott gedeutet: »lila est Charitas, eo tendit haec fides, quando cognovimus deum charitatem et eum diligimus, quod etiam possimus habere fiduciam in ipsum in die iudicii, a quo tremit totus mundus et i n f e r n u s . . . Veri habent charitatem deinde fiduciam, quia quod amant, non fugiunt, sed accedunt ad deum« 2 7 1 . Diese D e u t u n g der Liebe scheint die Meinung von 1. Johs. 4,17 richtiger wiederzugeben als die von 1532, wo die Liebe, die eine Freudigkeit a m Jüngsten T a g gibt, als die tätige Nächstenliebe bestimmt wird, »quae suavis u n d freundlich bleibt erga feind u n d freund« 2 7 2 . J e d o c h gibt es f ü r Luther eine, ganze, unteilbare Liebe, die sich sowohl auf Gott wie auf den Menschen richtet 273 . Es ist daher folgerichtig, daß Luther, wenn er hier von einer Freimütigkeit am Jüngsten T a g durch die Liebe zu Gott redet, auch später der tätigen Nächstenliebe dieselbe Bedeutung beimißt. I n der Fastenpostille 1525, in der Predigt über R o m . 13,8 ff., in der nur die Gebote der 2. Tafel als Inhalt des Gesetzes genannt werden, fragt L u t h e r : wie kann die Nächstenliebe die Erfüllung des Gesetzes sein, wenn wir j a Gott über alle Ding, auch über den Nächsten lieben sollen? Die Antwort ist, daß auch die Liebe zu Gott in den Werken an den Menschen verwirklicht wird. F ü r sich selbst bedarf Gott unserer Liebesdienste nicht. »Er darff nicht mehr, denn das m a n yhm gleube u n d fur Gott hallte« 274 . Sein Wille ist es, uns durch den Glauben zu erretten u n d zu guten Menschen zu machen, die in wahrer Liebe den Menschen dienen. Gott will geliebt werden »ynn hunger u n d kummer, ynn ungluck und schänden, das also alle werck der liebe gerichtet sollen sein auff die elenden nottdurfftigen nehesten« 275 . Auch die Gebote der 1. 2,0
WA 37, 529, 22 f. (Pred. 1534 Rörer Lk. 10, 23 ff) Hiob tantisper amabat deum, donec ei benefaceret dicens: wie Gott wil, so wil ich auch. 34 II 180, 6 ff (Pred. 1531 Rörer Lk. 10,27 f.) quando fido Christo, debeo diligere.deum non lingua solum, sed toto corde debeo eum praedicare, fateri verbum suum, suam misericordiam preisen. Tum begegnet mir, quod Satan, mundus feind et mihi adversabitur. Bek. 507, 42 f. (Kl.Kat. 1529) Gott über alle Ding . . . lieben. WA 6, 210, 6 ff (Von den guten Werken 1520) Ja, wan wirs recht ansehn, ßo ist die lieb das erst odder yhe zu gleich mit dem glauben. Dan ich mocht gotte nit trawen, wen ich nit gedecht, er wolle mir gunstig und holt sein, dadurch ich yhm widder holt und bewegt werd, ym hertzlich zutrawen und alles guttis zu ym vorsehen. 271 WA 20, 757, 10 ff; 761, 7 ff (Rörer 1. Joh. 4, 17 f.). 272 WA 36, 443, 5 (Rörer). 273 WA 20, 514, 8 ff (Pred. 1526 Rörer Mt. 22, 34 ff; 25, 40) servio deo da mit, quod servio proximo . . . Quando do vestem proximo, dedi deo, quia unum praeceptum »dilige me« et »proximum«, er schmeltzt haec duo praecepta in unum et facit ein werck. 271 WA 17 II 99, 5 f. 276 Ebd. 99, 16 ff Vgl. 11, 189, 7 ff. (Pred. 1523 Rörer Mt. 22, 34 ff) ich bin dir zu hoch . . . dedi me tibi in proximo tuo, hunc dilige et me diliges.
64 Tafel werden auf den Nächsten bezogen. Unser Gottesdienst geschieht ihm zum Dienst, »das der nehist da durch bekeret und zu Gott bracht werde. U n d heysset doch auch alles Gottes liebe und geschieht auch Gott zu liebe, aber alleyn dem nehisten zu nutz und gut« 276 . So hat Gott »uns damit zu dem nehisten geweyset, das wyr dem selben thun, was wyr yhm thun wollten« 277 . Die Nächstenliebe tut Christus einen so köstlichen Dienst, als ob ihm selbst gedient würde. Und wer Christus liebt, den liebt auch der Vater. Dies Letztere wird besonders in Verbindung mit der rechten Predigt gesagt. Gerade um den Menschen zu helfen, muß der Prediger Gott und sein Wort über alles lieben 278 . Unter allen dienenden Werken hat der Dienst am Wort einen besonderen Rang. Durch diesen Dienst werden die Gebote der 1. Tafel erfüllt, da dem Nächsten zur Seligkeit geholfen wird. Dieser Dienst ist das rechte christliche Werk: »die andern geringem werck . . . bleiben allein unter den leuten und gehören j n n die andern tafel der zehen gebot; diese aber gehen j n n den ersten dreyen hohen gepotten, die Gottes ehre, namen und wort betreffen, Und da2u müssen wol beweret und durchleutert werden durch Verfolgung und leiden, das sie bestehen« 279 . Weil der selbstlose Dienst mit Wort und Werken von den Menschen mit Undank und Verfolgung belohnt wird, ist das Leiden ein Merkmal des wahren Dieners Gottes. »Leyden leyden, Creutz Creutz ist der Christen recht, des und keyn anders« 281 . Auf dieses Leiden werden die mit dem Gericht verknüpften evangelischen Verheißungen besonders bezogen. Gott will in der Herrlichkeit alles reichlich belohnen 281 . Die Gerichtspredigt und die Auslegung der Gebote geschehen bei Luther in völligem Einklang mit der Kreuzestheologie. Christus hat sich seiner göttlichen Gestalt entäußert und die Knechtsgestalt angenommen, damit er unsere Liebe zu sich herunter ziehe und auf den Nächsten hefte 282 . In den Menschen will er geliebt und geehrt sein, unter Leiden und Kreuz, und als der mit den hilfsbedürftigen Menschen identifizierte W A 17 II 99, 6 ff". (Fastenpost. 1525 Rom. 13, 8 ff.). " Ebd. 99, 4 f. ' W A 36, 339, 10 (1532 Rörer Mt. 22, 34 ff.) si amas proximum, so hastu mir so einen kostlichen guten dienst gethan, ac si me amares. Ist ein wunderliche lere, das das sein dienst sey, yhm selbs gethan, quod fit proximo. Sic in novissimo die : quando vidi te esurire? Ibi dicet: »Quicquid minimo fecistis, mihi« ec. 178, 7 ff. (1532 Rörer Joh. 14, 23) Gott gebe, es gehe, wie es wolle, es ist yhm zu ehren angefangen und nicht den leuten. Z. 15 f. Also mus die liebe aus dem glauben fliessen, . . . und wenn sich die weit schon mürrisch druber stellt, sagt er: wolt yhr nicht lachen, so zürnet, gilt mir gleich so viel. "» WA 32, 354, 15 ff. (Wochenpred. 1530—32 Mt. 5, 16; 25, 31 ff). 280 WA 18, 310, 10 f. (Ermahnung zum Frieden 1525) vgl. 36, 436, 2 f. (Rörer) pro meo beneficio acquisivi eitel undanck und schand. 32, 394, 4 f. (Mt. 5, 38 ff.) jnn Christus reich heisst es allerley leiden, vergeben und guts fur böses vergelten. 281 WA 30 II 667, 27 ff (De loco iustif. 1530 Lk. 14, 14; 2. Kor. 1, 14; 2. Tim. 4, 8; Lk. 16, 9; Mt. 25, 35) Non dicuntur de Iustificatione, quod per ea opera iustificemur, sed sunt promissiones operum, quae iam iusti faciunt hic, et non aeeipiunt promissiones mercedis, ideo in futuro aeeipient. Z. 35 Si enim in hac vita praemiantur, quanto magis in futuro? 282 WA 17 II 99. 28 ff. 2
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65 und absolut solidarische Menschensohn wird er einen j e d e n nach den Werken richten. Die Leidensethik wird also in unlösbarem Zusammenhang mit der Inkarnation u n d dem Kreuz Christi gesehen. Die mit Drangsal u n d Kreuz verbundene tätige Liebe zu den Menschen ist der rechte Prüfstein dafür, ob m a n wirklich an die göttliche Menschwerdung glaubt: » D a r u m b wer nicht bereyt ist im herczen seynem nechsten mitt allem dem, das er vormag, zcu helifen, der . . . weyß auch und vorstedt nicht, was das heisse: Gottes sun ist menschs worden« 2 8 3 . Es kommt also am Tage des Gerichts wirklich darauf an, d a ß m a n die zehn Gebote gehalten u n d andere darin unterwiesen hat — Gott zu fürchten, die Werke des Glaubens zu tun, dem Nächsten zu Gute zu beten und Gottes Wort zu erhalten, die Eltern zu ehren, das Amt in Liebe u n d Treue zu erfüllen, Freund und Feind in aller Not zu helfen, die Ehe zu halten, nicht zu stehlen usw. Wer in wahrer Liebe die zehn Gebote gehalten hat, kann am Jüngsten T a g zuversichtlich sein : »Ideo etiam iactamus opera bona, quod etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit«. »Si ego non haberem istam gloriam, So musten die X gebot nicht recht sein« 284 . Wir müssen also feststellen, d a ß Luther, neben der Rechtfertigung ohne Werke allein aus Gnade durch den Glauben, wirklich ein Gericht nach den in den 10 Geboten befohlenen Werken als auch dem Glaubenden bevorstehend verkündigt. Seine Predigten über die Gerichtstexte beweisen, wie tief er den Ernst des großen Gerichts über die Menschen nach ihren Werken erkannt hat. Er hört das Wort Gottes von Lohn u n d Strafe für die Werke u n d vom Gericht am Jüngsten T a g angesichts aller Menschen reden 285 , u n d hört er nicht zugleich, daß Gott im Jüngsten Gericht nach den Werken über das große Entweder-Oder entscheiden wird? 2 8 6 Durch diese Lehre vom Gericht bekommen Luthers Verkündigung und Theologie tiefe Spannungen, und es ist besonders bedeutungsvoll zu sehen, wie ernst es ihm mit den Werken im Gericht ist, ohne d a ß die grundlegende Lehre von der Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis dadurch verleugnet wird. 4. Das Gericht nach den Werken unter dem Aspekt coram Deo erga homines U m die Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis hervorzuheben, schreibt Luther sehr häufig dem Gericht nach den Werken eine Geltung coram hominibus zu. Schon vom Paradiesgebot galt, sagt Luther in den Genesispredigten 1527, daß es dem als gerecht erschaffenen A d a m 283
WA 9, 533, 3 ff. (Pred. 1520 Polianders Samml. Phil. 2, 5 ff.). WA 36, 450, 7 ff.; 451, 5 f.; 450, 6 f. (Rörer). Vgl. Peters a.a.O. S. 114: »Im Endgericht wird nicht allein nach den Werken der barmherzigen Liebe gefragt, sondern nach dem Gehorsam in allen zehn Geboten«. 285 WA 36, 451, 7 452, 3. 28β W A 45 ; 325, 13 (Pred." 1537 Mt. 25, 31 ff.) Qui bocke, qui non fecerunt bona opera. Econtra. 36, 446, 5 f. (Rörer) Istam gloriam mus ich auch bringen, vel deus wird mir freundlich nicht zw sprechen. 442, 13. Siehe A Anm. 243—266. 294
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66 als Zeichen vor den Menschen gegeben sei. Dadurch sollte sichtbar werden, daß Adam einen Herrn hatte 287 . Nach dem Gehorsam gegen dieses Gebot sollten die Menschen untereinander beurteilen können, daß sie gerecht seien. Demgemäß unterscheidet Luther zwischen der Geltung des in den 10 Geboten bezeugten Glaubens coram Deo und der Geltung der in den Geboten geforderten Werke coram hominibus 288 . Ebenso wird der Begriff duplex iustificatio so erklärt, die iustificatio primo ordine gelte coram Deo, die iustificatio secundo ordine aber coram hominibus289. Die Formel coram hominibus bezieht sich zunächst buchstäblich auf die Mitmenschen. Der Christ soll und kann in foro politico vor der Welt unsträflich sein290. Wer im Beruf den Menschen dient mit Wort und Werken, soll wissen, daß er ihnen gegenüber gerecht ist. Ein Pochen auf die Gerechtigkeit der Werke coram hominibus kann um der Wahrheit willen notwendig sein. Wenn die Christen wegen ihres Glaubensbekenntnisses und der Verkündigung des Wortes von der Welt als Ketzer und Übeltäter angeklagt werden, sollen sie sich verteidigen können unter Hinweis auf ihre rechte Lehre und ihre von Gott befohlenen, guten Werke. So haben sich die alttestamentlichen Frommen vor ihren Widersachern gerühmt; das lesen wir von Abraham und Hiob, Moses und Samuel, David und Hiskia, Jesaja und Jeremía. So hat sich auch der Apostel Paulus vor den Menschen verteidigt291. Überhaupt haben es die Apostel wegen der Widersacher für nötig gehalten, sich selbst zu rühmen ; sie haben »gepucht und geschart, das einer meynen (könnte), sie seyen toi«292. So wird es auch jedem Christen notwendig sein, sich gegenüber der argen und lügnerischen Welt zu verteidigen. »Durch rechtschaffene opera, die man greifft« bringt die Liebe die verklagenden Stimmen zum Schweigen und darf getrost sein293. Der Christ weiß freilich, daß er nie ohne Sünde seine Werke tut; dennoch soll er zusehen, daß er nicht so vor den Menschen Buße tut, daß die Wahrheit verleugnet wird. Es ist ein Unterschied, ob man von den Feinden des Evangeliums mit Unrecht als Verfälscher des Wortes Gottes angeklagt wird, oder ob man von rechten Christen wegen be287 W A 24, 72, 15 ff. (In Genesis Declamai. 1527 Gen. 2, 17) vgl. Z. 4 f. praeceptum . . . signum erat, ut sciret se habere Deum. Vgl. 42, 82, 41 ff. 2β8 WA 30 II 661, 19 ff. (De loco iustif. 1530) Puritas autem cordis est iusticia coram Deo, quia ille respicit cor, Patet quod iustificamur absque operibus sola fide. Iusticia vero coram hominibus sunt opera, quae eciam Deus exigit, Sed non ut iustificent. Vgl. 36, 450, 4 ff ; 454, 9 ff. 289 39 I 93, 6 ff. (Disp. de iustificatione 1536) Christus enim pronuntiat utramque iustitiam, iustos coram Deo occulte in spiritu et iustos coram hominibus aperte. Ergo duplex est iustificatio. Vgl. A Anm. 215—216. 280 39 I 230, 7 ff. (Pallad, u. Tilem.) Duplex enim est forum, politicum et theologicum. Iam Deus longe aliter iudicat, quam mundus. Politicum ius est contentum mea qualicunque civili et externa iustitia. 291 WA 36, 635, 11 ff. (Pred. 1532 Rörer 1. Kor. 15, 35) ; 5, 517, 1 ff (Op. in Psalmos 1519—21); 36, 446, 1 ff; 451, 8 ff; 452, 6 ff.; 456, 6 ff. 282 Ebd. 476, 7 f. 283 Ebd. 455, 6 ff. vgl. 466, 3 ff. ; 470, 5 ff. ; 474, 3 ff.
67 stimmter Mängel im Berufsdienst gestraft wird. Man muß den Maßstab der Ankläger beachten und demgemäß antworten. Hierin liegt das Berechtigte in der Behauptung Svend Lerfeldts, daß die Gerechtigkeit der Werke, auf welche die Christen coram hominibus pochen, nur einem »nach menschlichem Maßstab guten Gewissen« entspreche ; die Werke sind gerecht »im Verhältnis zu der Norm, die die Widersacher anwenden« 294 . Der Welt, dem Papst und den Schwärmern gegenüber pocht Luther auf das »gut Register« der Werke295, und er kann bedauern, er habe sich zu tief gedemütigt, als er zu Worms seine Lehre dem kaiserlichen Gericht unterstellte oder als er dem englischen König Heinrich V I I I . auf den Rat seines Kurfürsten einen allzu demütigen Brief schickte: » I c h habe leyder die vermanung Christi nicht gehalten Matt. V I I . das ich die perlen nicht fur die sew wurffe« 296 . Zwar gebührt mir, bekennt Luther, »nichts denn der hellen abgrund, das weis ich gewislich, so es gestrenge gericht wird. Aber meins ampts und lere halben, und so fern mein leben der selbigen gleich ist, warte nur niemand keiner gedult noch demut, sonderlich die tyrannen und Verfolger des Evangeüi. Denn da sollen sie mich fur einen lebendigen heiligen halten, da sol nicht anders aus werden« 297 . Ein sehr wichtiger Aspekt in den Gerichtspredigten Luthers liegt darin, daß wir am Jüngsten Tag vor den Menschen stehen und uns dann klar dessen erinnern werden, was wir ihnen getan und nicht getan haben und was wir ihnen hätten tun sollen. Ein eingehendes juristisches Verfahren ist darum am Tage des Gerichts kaum nötig. Das Verborgene des Herzens wird uns selbst und jedermann unmittelbar offenbar sein298. Unter diesem Gesichtspunkt besteht die Aufgabe des Gerichts darin, die ewige Scheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen zu bestätigen nach dem Maßstab der Liebeswerke, der auch den Menschen feststellbar ist. Während der Glaube ein Geheimnis zwischen dem Einzelnen und Gott bleibt, sind die Werke den Menschen offenbare Zeichen des Christenstandes bzw. des sündigen Selbststandes. Der Aspekt coram hominibus wird indessen bei Luther nicht nur auf die Menschen bezogen. Die Forderung, die Werke sollten coram hominibus bestehen, ist nicht auf das beschränkt, was nach menschlichem Ermessen zu verlangen ist. Maßstab sind die Gebote Gottes. Und indem 294 S. Lerfeldt, Den kristnes kamp S. 245 (übers.). Lerfeldt weist auf W A 8, 81, 1 ff. hin : in psalterio et aliis locis passim invocant sancti iudicium dei pro causa sua contra adversarios. 295 W A 36, 474, 3 f. (Rörer) Ich wil in extremo die dir ein gut register bringen bonorum operum et disputare cum diabolo, duce Georgio. Vgl. 23, 29, 12 ff. (Auf des Königs zu England Lästerschrift... 1527). 286 W A 10 I I 233, 19 ff. (Antwort. . . auf König Heinrichs Buch 1522); 23, 31, 11 f. 297 Ebd. 34, 2 ff. 2»8 W A 45, 325, 17 fiet in 1 momento, quia omnium corda aperta. 33, 492, 29 ff. (Wochenpred. 1530—32 Joh. 7, 52) wie alhier Christus anfehet, also wirdts am Jüngsten tage auch zugehen. Ehr wirdt nicht viel urtteil feilen, sondern sie werden diese gewissen mit sich öffentlich bringen, die sie itzt haben, das hertze wirdt da gahr offenbar sein, wie ehr sich itzt hie heimlich verdampt und wie es alhier zugehet.
68 in die Formel coram hominibus auch die Mächte, d. h. die Engel und der Satan miteinbegriffen werden, bekommt der Aspekt eine kosmische Perspektive 299 . Die Werke sollen bestehen können angesichts der Engel, die die Gebote tiefer erkennen als die Welt, und angesichts des Teufels, dessen Anklagen zwar oft lügnerisch sind, der aber am furchtbarsten ist, wenn er mit Recht auf grobe oder subtile Sünden gegen die Gebote Gottes hinweisen kann. Dann stimmt das Gewissen dem Urteil des Teufels in der Erkenntnis zu, daß Gott selbst durchs Gesetz die Anklage erhebt 300 . Und wiewohl es eine teuflische Anmaßung ist, in loco iustificationis vor Gott auf seine guten Werke zu pochen, erkennt Luther es als recht an, daß der Gläubige durch Christus gerecht, auch mit seinen Werken zuversichtlich vor Gott steht. In der direkten Verlängerung des Aspektes »coram hominibus« finden wir darum bei Luther eine Relationsbestimmung »coram Deo«, die von dem »coram Deo« im Sinne des absoluten Gegenüber zu Gott in loco iustificationis unterschieden wird 301 . D a ß dies relative »coram Deo« für Luther den Hauptaspekt des Gerichts nach den Werken angibt, erweisen die meisten von den oben angeführten Gerichtsstellen. Das Gericht ist Gottes, nicht der Menschen. In den Annotationes in aliquot capita Matthaei heißt es zu 16,27, alle menschlichen Richter sähen nur auf das Äußere und könnten nicht recht zwischen wahrer und falscher Frömmigkeit unterscheiden und darum weder die Sünde gegen das 1. Gebot noch die anderen geheimen Sünden des Herzens richten. »Es ist ein bettlerisch gericht, und nicht das a,b,c vom gericht Gottes«. Das Gericht nach den Werken muß also »sublimiter« verstanden werden. Christus wird viele Werke verurteilen, die nach dem Maßstab dieser Welt anerkennenswert und lobenswürdig sind, und er wird Werke anerkennen, die in dieser Welt verworfen werden. Der von der Welt verbannte J o h a n n Hus wird von Christus heiliggesprochen ! Auf diese Weise ruft uns Christus vom falschen Frieden der Welt weg. Er kommt zum Gericht; seinem tribunal gloriae kann niemand entgehen 302 . 29β W A 36 ; 445 ; β (Rörer) Satan dicet: quid de fide? tarnen nunquam fecisti opus, quo fides ec. 452, 2 f. etiam oportet habeam gloriationem, ad quam dicant angeli, Christianitas et mundus esse rectam. 300 W A T R 1, 277, 7 ff (1533 Veit Dietrich) Diabolus schlegt eim verbum auff den k o p f f . . . : Deus dicit te, quia legem non feceris, esse damnatum ; respondeo : Dixit etiam, ut vivam. — Der durchs Gesetz anklagende Gott wird als eine Maske des Satans angesehen, insofern er dem Glauben widerspricht; insofern man aber durch die Anklage vor Gott gestellt und auf Christus gewiesen wird, hat man es im Gesetz mit Gott zu schaffen. Gott klagt im Gesetz an auf das Evangelium, auf Christus hin. Siehe P. Bühler, Die Anfechtung S. 49 f. soi WA 36, 450, 2 ff. cum isto (Deo) wil ich nicht yns recht ghen, sed cum hominibus, et tarnen coram deo, ut in die iudicii. 451, 5 f. Ideo etiam iactamus opera bona, quod etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit. 452, 7 Sic coram deo, sed non erga deum, der rhum fidei est alia. 455, 3 Etiam fur Gott, non gegen Gott, sollen auch trotzen und ein hochmut und stoltz haben gegen die schendlich weit. 302 W A 38, 645, 1—13; 644, 19—23. Vgl. von Loewenich, . . . Synoptiker S. 196 und Peters a.a.O. S. 124: »Luther trennt nicht nur alles irdisch-menschliche Richten von dem ewigen Gerichte Gottes, er hebt diese Spannung hinein in das Jüngste Gericht selber, auch hier bleiben die Werke und erhalten ihren Ruhm oder ihre Strafe«.
69 Es ist dem Lutherschen Gerichtsgedanken eigentümlich, daß die Relationsbestimmungen coram Deo und coram hominibus nicht nur gegensätzlich, sondern unter Umständen zugleich alternierend angeführt werden können. Wir haben die Stelle aus »Etliche schöne Predigten« gesehen, in der Luther in Anknüpfung an 1. Kor. 4,4 sagt, er wolle sich nicht vor Gott rechtfertigen, sondern vor den Menschen, und dennoch fortfährt: »et tarnen coram Deo, ut in die iudicii«. »Ideo etiam iactamus opera bona, quod etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit«. Wenn wir am Tage des Gerichts vor Gott stehen, so sollen wir seine Gebote gehalten haben; und so wahr Gott seine Gebote anerkennt, wird er auch unsere Werke, die dieser Norm entsprechen, gutheißen und rühmen: »Si ego non haberem istam gloriam, so musten die X gebot nicht recht sein«303. Indem wir also das Berechtigte in der durch Lerfeldt vertretenen Interpretation anerkennen, müssen wir zugleich feststellen, daß dieser die Formel »coram hominibus« allzu anthropozentrisch verstanden hat. Das Gericht nach den Werken wird bei Luther nicht so verharmlost, als ob wir es im Blick auf unsere Werke nur mit den Menschen und ihren Maßstäben zu tun hätten. Eben Gott gegenüber behauptet Luther eine »duplex fiducia« im Gericht. Einmal haben wir einen Ruhm, »den höchsten an unserm herrn Christo und heiland, das unser fiduciam da hinsetzen endlich, quando omnia feylen an operibus et verdinst, qui portavit peccata nostra in corpore. Das ist der heubt rhum und der höchste trotzte, drauff wir baptizati et in quo mori ec.« Zum andern haben wir einen Ruhm, »Etiam fur Gott, non gegen Gott, sollen auch trotzen und ein hochmut und stoltz haben gegen die schendlich welt. Got dixit hanc veram charitatem et perfectam rechtschaffen, quae non geferbet sey, sed yhr tugent hab erzeiget durch rechtschaffene opera, die man greifft, ut in die extremo habeamus et dicere possimus : hoc et hoc feci, passus, non me ultus, malum pro malo, sed non solum amicum dilexi, sed etiam inimicum, optimum feci. Den trotz wollen wir bringen fur das jungst gericht contra mundum, qui magna opera Christi blasphemat, ideo non agnoscuntur bona opera nostra, sed blasphemantur et dicuntur diabolica«. Als Beispiel nennt Luther, daß »das leiden Lazari mus auch fur Gots gericht gerhumbt werden« 304 . Der Aspekt coram hominibus wird also gemäß der Kreuzestheologie auf Gott bzw. Christus bezogen. Er ist letzlich der Herr, der nach den Werken richtet. Er will, daß ihm in den Menschen gedient werden und wird deshalb am Jüngsten Tag danach fragen und richten, ob wir, durch den Glauben gerecht, seinem Liebeswillen entsprechend gehandelt haben. Die 1532 über 1. Joh. 4,16 f. gehaltenen Predigten bezeugen besonders klar, daß wir mit unseren Werken im Gericht vor Gott bzw. Christus stehen werden. Er ist der Richter, nicht die Menschen. Obwohl vor ihm, d.h. gegen seinen Zorn, allein der Glaube an den Christus pro nobis 303 304
WA 36, 450, 3 f.; 451, 5 f.; 450, 6 f. WA 36, 454, 9 ff.; 455, 19 f. (Rörer).
70 Geltung hat, bestizt der Christ vor ihm doch auch eine Zuversicht durch die Liebe, und dies gerade dann, wenn er von allen Menschen verurteilt wird. Wir finden in diesen Predigten folgende Gesichtspunkte im Blick auf die Geltung der Werke im Gericht : 1. Coram Deo = erga Deum, gegen Gott; hier haben die Werke keine Geltung. 2. Coram hominibus = erga homines, contra mundum, gegen die Welt; hier gelten die Werke gegen alle falschen Anklagen. 3. Coram hominibus = coram angelis, christianitate et mundo; hier werden die guten Werke besonders durch alle guten Mächte anerkannt und gelobt. 4. Coram Deo, contra (bzw. erga) mundum = für Gott, gegen die Welt; hier beruft man sich mit seinen Werken auf den göttlichen Richter gegen die falschen Anklagen der Welt. 5. Coram Deo in iudicio = coram Deo, non erga Deum. Diese Formel entspricht der Beziehung der Werke und des Gerichts nach den Werken auf Gott extra locum iustificationis305. In seiner Analyse dieser Predigten betont P. Althaus den Aspekt coram Deo contra mundum, wobei er Luther so versteht, daß wir es im Gericht nach den Werken mit den Menschen und ihren Forderungen zu tun haben, mit Gott jedoch als Zuschauer und Zeugen : »Der Christ kann sich seiner Berufserfüllung in der Liebe wohl den Mächten und Menschen gegenüber coram Deo, im Angesichte Gottes rühmen, aber niemals erga Deum, Gott gegenüber, in seinem Verhältnis zu Gott. Denn vor den Geboten, wie Gott selbst sie auslegt, besteht kein Mensch. Luther unterscheidet also scharf ein zwiefaches Soll in Gottes Geboten, nämlich das, was Gott von uns erwartet, und das, was mein Nächster und die Welt von mir erwarten kann — Gott der Herr hat mehr zu fordern als mein Nächster und die Welt. Es macht einen himmelweiten Unterschied, ob ich es mit Gott zu tun habe oder mit meinem Nächsten, mit den Menschen und Mächten, die mich verklagen... So kann ich auf mein Liebeshandeln nur den Menschen und Mächten gegenüber pochen, nicht Gott gegenüber« 306 . Das berechtigte Anliegen dieser Interpretation liegt klar zu Tage. Es ist indessen sehr fraglich, ob dem Lutherschen Aspekt des Gerichts nach den Werken coram Deo, non erga Deum bzw. coram Deo, erga homines durch diese Deutung genüge getan ist. Luther sagt nicht nur, das Gericht geschehe coram hominibus vor Gott als Zeugen, sondern vielmehr, es finde coram Deo statt, mit den Menschen und dem Gewissen als Zeugen : »Ideo etiam iactamus opera bona, quod
305
Die Belege für die fünf Punkte sind 1. WA 36, 448, 3; 449, 1 ; 452, 4; 453, 6; 447, 2; 450, 9. 2. 452, 8; 453, 6 f.; 455, 4. 9. 3. 448, 8 ff.; 452, 3. 8 f. 4. 455, 3 f. 9 f. vgl. 8, 81, 1 ff. 5. 450, 3; 451,5 f; 452, 7. 3oe Liebe und Heilsgewißheit . . . S. 76 = Die Theologie M. Luthers S. 378.
71 etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit... Sic coram deo, sed non erga deum, der rhum fidei est alia« 307 . Die Formel coram Deo, non erga Deum besagt, daß wir vor Gott mit unseren Werken getrost sind, obwohl die Werke nicht gegen Gottes Zorn bestehen können. In gleicher Weise ist die Formel coram Deo, erga homines der Ausdruck dafür, daß wir mit unseren Werken vor Gott bestehen, auch gegen die Anklagen von seiten der Welt und des Teufels. Gegen die Vorwürfe der Menschen pochen wir vor Gottes Angesicht darauf, daß wir ihnen nach den Geboten Gottes gedient haben. Vor Gott haben wir so trotz aller Anklagen eine Zuversicht durch die Werke. Es geht bei Luther in diesem Zusammenhang nicht nur um den Unterschied zwischen dem, »was Gott von uns erwartet, und das, was mein Nächster und die Welt von mir erwarten kann«. Es geht vielmehr um den Unterschied zwischen der absoluten Gesetzesforderung Gottes und seiner barmherzigen Beurteilung der gebotenen Werke unter der Gnade. In beiden Fällen hat Luther es mit Gott zu tun, einmal in loco iustificationis, zum andern in loco iudicii operum. In weiteren Ausführungen über 1. Joh. 4,16 f. hat Luther die Stelle auf den locus iustificationis bezogen, indem er die Liebe und die Werke als Zeichen des Glaubens bzw. als inkarnierten Glauben betrachtet. Diese Tatsache erklärt, wieso Luther 1545, in seiner letzten Predigt über diesen Text, die Relationsbestimmung erga Deum auch im Blick auf die Zuversicht durch die Werke angesichts des Gerichts gebraucht 308 — im Gegensatz zu den Predigten 1532, wo den Werken eben erga bzw. contra Deum jede Geltung abgesprochen wird. Dieser Gegensatz ist wichtig. In den Predigten 1532 werden die Werke als konkrete Dienste am Nächsten ins Auge gefaßt und auf Gott bezogen. Obwohl die guten Werke Früchte des Glaubens sind, werden sie hier eben als Werke betrachtet. Unter diesem Aspekt haben sie keine Geltung gegen Gottes Zorn; sie gelten aber unter der Gnade vor dem Herrn (coram deo, sed non erga deum), der sich mit den Menschen identifiziert hat und jedes wahre Liebeswerk, als gegen ihn gerichtet, anerkennt. In der Predigt 1545 aber werden die Liebe und die Werke auf die Rechtfertigung bezogen. Sie gelten erga Deum, da sie als Zeichen und Repräsentation des rechtfertigenden Glaubens betrachtet werden. Wir schließen uns P. Althaus an, der den unvollständigen Satz: »Si non hanc fiduciam erga Deum in iuditio extremo et te etc. scio, quod non vana fides« so ergänzt: »wenn ich nicht durch den Beweis meines Glaubens mit der Tat Gewißheit um seine Echtheit und damit Zuversicht im Blicke auf Gott und auf dich, meinen Nächsten hätte, so wäre ich verloren« 309 . Diese Interpretation entspricht der oben zitierten Aussage 307 WA 36, 451,5 f.; 452, 7. Gut formuliert H. Olsson (Grundproblemet . . . I S. 60) : »Eben dadurch, daß er den Nächsten vertritt, tritt Gott als der Richter hervor«. sos WA 49, 784, 18 (Rörer) Si non hanc fiduciam erga Deum in iuditio extremo et te ec. scio, quod non vana fides. 309 A.a.O. S. 84. Auch in dieser Predigt steht erga im üblen sinne: vor, gegen.
72 Luthers vom J a h r e 1543 : »Charitas est testimonium fidei et facit, nos fiduciam habere et certo statuere de misericordia Dei, et nos iubemur, nostram vocationem firmam facere bonis operibus. Et tunc apparet, nos habere fidem, cum opera sequuntur, wenn kein werck da sein, so ist fides gar verlhorenn, sicut et fructus sunt testimonia arboris« 310 . Unter diesem Aspekt gewähren die Liebeswerke tatsächlich eine Zuversicht auch gegen den gerechten Zorn Gottes, da sie das Kriterium für die Echtheit des eigenen Glaubens an das Evangelium sind. Auf den Unterschied zwischen diesen Auslegungen und den Predigten aus dem J a h r e 1532 hinweisend, urteilt P. Althaus: »Auch hier stehen, wie 1532, Gott u n d der Nächste nebeneinander, aber nicht so, daß die aus dem Liebesbeweis des Glaubens fließende Zuversicht n u r dem Nächsten gegenüber von Gewicht wäre; nein, auch die Zuversicht Gott gegenüber hängt an der Liebe. Die Unterscheidung von 1532 ist nicht wiedergekehrt. Luther legt den Text jetzt in seinem echten Sinne aus« 311 . Richtig ist, daß die letzten Stellen dem Lutherschen Hauptaspekt der Rechtfertigung sola fide entsprechen, unter welchem die Werke als die Kriterien des wahren Glaubens betrachtet werden. Wenn aber die theozentrische Orientierung auch der Predigten von 1532 u n d die hier bezeugte Ergänzung des Aspektes des locus iustificationis durch den Aspekt des locus iudicii operum erkannt ist, wird zugleich einsichtig, daß die eine Betrachtungsweise nicht gegen die andere ausgespielt werden kann. In Wirklichkeit gibt erst die gebührende Beachtung beider Aspekte die Luthersche Auflassung von den neutestamentlichen Gerichtsstellen angemessen wieder. Der reife Luther selbst meint gar nicht, dadurch, daß er die Werke als Zeichen des Glaubens auf den locus iustificationis bezieht, den Inhalt der biblischen Worte von den Werken u n d vom Gericht nach den Werken ausgeschöpft zu haben. Es steht ihm vielmehr als hermeneutisches Prinzip fest, d a ß diese Worte prinzipiell sowohl auf den locus iustificationis als auch auf den locus iudicii operum bezogen werden müssen. So geben die angeführten Interpretationen von 1543 u n d 1545 eine Analyse des Wortes 1. J o h . 4,16 f. im Blick auf den Hauptaspekt des locus iustificationis, während 1532 »Etliche schöne Predigten« besonders eine Analyse hinsichtlich des locus iudicii operum geben. Zusammen verleihen also diese Interpretationen dem ganzen Lutherschen Verständnis der Gerichtsstellen Ausdruck. Der Aspekt des locus iustificationis wird durch den Gesichtspunkt des locus iudicii operum ergänzt, und die Polarität dieser Aspekte wird durch die Formel coram Deo — coram hominibus aufs stärkste hervorgehoben. Indessen ist genau zu beachten, d a ß Luther in allen analysierenden Teilaspekten immer zugleich am einheitlichen Totalaspekt festgehalten hat. I m Jüngsten Gericht wird jeder Mensch als totus homo vor dem 310 311
WA 39 II 248, 11 ff. A.a.O. S. 84 vgl. S. 72 f. 83.
73 H e r r n stehen, als innerer u n d äußerer Mensch, als Gläubiger bzw. Ungläubiger mit den seiner Glaubenshaltung entsprechenden Werken 3 1 2 . Es bedeutet keineswegs eine Auflösung oder Lockerung der Einheit zwischen dem Glauben u n d den Liebeswerken, wenn Luther in der theologischen Analyse diese Begriffe streng unterscheidet. Die Unterscheidung soll die Glaubensgemeinschaft mit Christus und das getroste Gewissen wahren, weil der f ü r uns gekreuzigte Heiland allein durch den Glauben ergriffen wird. Weiter soll die Unterscheidung dazu dienen, daß wir die guten Werke im Blick auf die Menschen tun und nicht als Mittel zur Versöhnung mit Gott. D a r u m müssen der Glaube und die Werke, obwohl sie eine unlösbare Einheit bilden, so weit von einander unterschieden werden wie der Himmel und die Erde 3 1 3 . Zugleich kann Luther von dem Glauben u n d der Liebe als notwendig zum Ghristsein gehörend reden, ohne in Widerspruch mit sich selbst zu geraten. Ein Festhalten nur an dem einen oder anderen der Aspekte des locus iustificationis u n d des locus iudicii operum ist also mit einer rechten Lutherinterpretation unvereinbar 3 1 4 .
5. Die Problematisierung des Gerichts nach den Werken durch die bleibende Sündigkeit des Gerechtfertigten Paul Althaus folgt der Meinung u n d dem Wortlaut Luthers, wenn er seinen Satz : »Der Christ kann sich seiner Berufserfüllung in der Liebe wohl den Mächten u n d Menschen gegenüber coram Deo, im Angesichte Gottes rühmen«, so fortsetzt: »aber niemals erga Deum, Gott gegenüber, in seinem Verhältnis zu Gott. D e n n vor den Geboten, wie Gott selbst sie auslegt, besteht kein Mensch« 3 1 5 . W e n n ein Christ seine vom Heiligen Geist durch den Glauben gewirkten und durch die Gebote gewiesenen Werke coram Deo prüft, kann er sie nicht als wirklich gut anerkennen —denn Gott kann dies nicht ! Auch die Frömmigkeit des wahren Christen besteht nicht, »wenn Gottes gericht daher gehet und stehen widder 312
Siehe oben A I 1—2. W A 30 II 664, 36 — 665, 8 (De loco iustif. 1530). 311 W A 38, 644, 16 — 648, 28 in der Auslegung von Mt. 16, 27 betont Luther. Christus rede hier nicht von der Rechtfertigung, sondern »de tribunali suo, in quo iudicabit iustos et impíos. Non enim, quomodo iusti fiamus, hic docet, sed, quomodo examinandi sint iusti et iniusti, num iusti aut iniusti fuerint«. Zu kategorisch folgert von Loewenich (a.a.O. S. 196) aus der theologischen »Ortsbestimmung« der Werke und des Gerichts nach den Werken extra locum iustificationis, Luther wehre sich hier »gegen eine Exegese, die aus dem Wortlaut von Mt. 16, 27 ein Gericht nach den Werken herausliest«. Auf einer Verkürzung des Lutherschen Aspektes des locus iudicii operum beruht es auch, wenn L. Haikola summarisch redet vom »reformatorischen Ausgleichsversuch, nach dem nicht die Werke, sondern die Echtheit des Glaubens im Endgericht gerichtet werden« (SvTK Hf. 3, 1953 S. 193). 315 A.a.O. S. 76 = Die Theologie M. Luthers S. 378. Vgl. Peters a.a.O. S. 183: Auch Luther »freut sich auf das Offenbarwerden des Herzensgehorsams vor Gottes Richtstuhl und auf das ihm zuteilwerdende Lob, doch darunter liegt für ihn die unheimliche Tiefe der Sündenversklavtheit allen Menschseins«. 313
74 seinen zorn, dadurch alle mein leben und thun zur helle verdampt sein müste« 316 . Im Blick auf diesen Gerichtszorn hat Luther sein Leben lang an seinem 1521 in »Grund und Ursach aller Artikeln« ausgesprochenen Urteil festgehalten: »Ein gut werck, auffs beste gethan, ist ein teglich sund nach der barmhertzickeit, und ein todsund nach dem gestrengen gericht gottes«317. In der Schrift wider Latomus wird diese Behauptung eingehend begründet. Auch am Christen und seinem Wirken haftet Sünde. Wenn der Christ Glaubenswerke tut, wirkt die ihm noch anhaftende Sünde verderblich mit: »Homo bene facit, ergo peccai, quia homo bene faciens est subiectum et peccatum eius passio«318. Die Sünde wird zwar durch die Gnade beherrscht, ist jedoch immer noch da. Auch in den guten Werken ist sie gegenwärtig und bewirkt, daß der Christ wie sein Werk in sich verdammlich ist. Darum wird der Christ heftig angefochten, wenn die Zeit der Prüfung hereinbricht: »Iustum ergo simul et iniustum vastat furor et iudicii rigor, sola misericordia servai quicunque servantur«: allein die Barmherzigkeit bewahrt einen jeglichen, der bewahrt wird! 319 Weiter heißt es: »Es steht, wie gesagt, fest: ein gutes Werk ist seiner Natur nach unrein, wenn es nicht unter der Wolke der Gnade steht — allein durch die verzeihende Barmherzigkeit wird es für rein und Lobes und Rühmes wert gehalten... Wären sie nicht wirklich unrein und böse, dann würde der gerechte Richter nicht so mit ihnen verfahren. Daran erkennen wir, wie reich die Gnade Gottes über uns ist, wie Unwürdigen er seine Huld schenkt«320. Wenn es »zum Treffen kommt«, wagt niemand, weder für sein eigenes Werk noch für die guten Werke anderer einzutreten und zu behaupten, sie seien ohne Fehl321. Luther bezieht zwar die tiefe Sündennot Jesajas (Kap. 64,4) auf die Situation der tiefen Anfechtung; in der Auslegung jedoch folgert er: »Stat, inquam, opus bonum natura sua esse immundum, ablata nube gratiae, quod sola misericordia ignoscente purum, laude et gloria dignum habetur« 322 . Nur die iustitia Christi extra nos besteht letztlich coram Deo, da auch der Glaube an sich nicht vor Gott besteht. Nur in Christus und um seinetwillen gilt der Glaube als Gerechtigkeit: »Ecce 316
WA 36, 448, 24—31 (Cruciger) vgl. 448, 2 f. (Rörer) ; 451, 4 f. »» WA 7, 439, 7 f. (Grund und Ursach . . . 1521) vgl. 433, 17 ff. 318 WA 8, 77, 17 ff. (Rat. Latom. confutatio 1521) »der Mensch tut Gutes, also sündigt er, denn der Mensch, der Gutes tut, ist das Subjekt und die Sünde ist seine wesenhafte Eigenschaft (Wesenseigentümlichkeit)« (R. Fricks Übers.). Vgl. 77, 9 ff.; 91, 31 ff. 319 Ebd. 68, 40 ff. vgl. 68, 18 isto irae et ruentis iustitiae tempore. 320 Ebd. 69, 4 ff. 9 ff. (Die Übersetzung hier und im folgenden nach R. Frick in der Münchenerausgabe der Werke Luthers, Ergänzungsreihe B. 6). 321 Ebd. 81, 19 f. pro opere suo bono, quod sine omni vicio sit, quis audeat mori ? 322 Ebd. 69, 4 f. vgl. 114, 36 ff: Die Sophisten sind nur darauf bedacht, daß sie diese Sünde verkleinern, die (doch) Gott so groß macht, daß er will, man solle ihm (seinem Zorn) seinen Sohn entgegenstellen, ja er will durch dies über die Maßen harte Gericht alle Menschen zu Christus drängen und treiben, daß sie unter seinen Flügeln zitternd, verzweifelt, aufseufzend sich bergen. — Siehe überhaupt die Auslegung von Rom. 7 in Rat. Latom. WA 8, 99 ff.
75 fides non satis, sed fides, quae se sub alas Christi recondat et in illius iustitia glorietur« 323 . »Quando kompt zu der heubtfreydigkeyt erga deum, Ibi fides zw schwach et Charitas. Si mecum vult rechten und mein lieb ansehen« 324 . Allein weil er auf Christus gerichtet ist, besteht der Glaube vor Gott, um deswillen, den er greift : »Ibi nheme ich den man Christus Jesus und in zwisschen mir und deum. Das ist die allergroste fiducia, dies auein thut, quia nihil habeo, darauff ich trotz quam Christum, ut supra: 'qui bekennet' ec.«325 Auch die Formel simul peccator et iustus scheint zunächst alle begonnene reale Gerechtigkeit der Christen zu verneinen. Der Christ ist »peccator re vera, sed iustus ex reputatione« 328 . Jedoch hat kraft dieser göttlichen reputatio die reale Gerechtmachung, die Genesung aus der Krankheit der Sünde in uns bereits begonnen. Demgemäß fährt Luther in dem eben zitierten Satz fort : »et promissione Dei certa, quod liberei ab ilio, donee perfecte sanet«. Wir haben »initium iustitiae«; »Samaritanus noster Christus . . . ineepit sanare promissa perfectissima sanitate in vitam eternam« 327 . Zwar werden auch diese Worte oft gedeutet als eine Verleugnung unserer begonnenen realen Gerechtigkeit. So will Johs. von Walter sie in seiner Auseinandersetzung mit K. Holl ausschließlich auf die Vollendung in der Auferstehung am Jüngsten Tag beziehen, indem er ein exklusives Entweder-Oder behauptet : »ist unter der sanatio wirklich die Heiligung in dieser Zeitlichkeit zu verstehen? Wie wenn wir bei der sanatio an die Seligkeit im Jenseits zu denken hätten?« 328 Jedoch wie für Holl besteht auch für Luther dieses Entweder-Oder nicht. Das Ausgezeichnete in Holls Lutherinterpretation besteht darin, daß er die beiden Seiten so scharf gesehen hat, die iustificatio impii und die begonnene reale Frömmigkeit des Gerechtfertigten, der dennoch sein Leben lang coram Deo ein impius bleibt 329 . Nun wird allerdings K. Holl und R. Seeberg von R. Prenter vorgeworfen, sie identifizierten den Fortschritt der Heiligung mit der realen, fortschreitenden Gerechtmachung. Da Prenter den Christen überwiegend unter dem absoluten Gesichtspunkt des locus iustificationis sieht, bedeutet Heiligung für ihn ausschließlich, alles Eigene zu verlieren und immer wieder von vorn anzufangen: »proficere, hoc est semper a novo ineipere« 330 . Als »Realitäten« betrachtet, sind sowohl der Glaube als auch die iustitia actualis problematisch. Sie sind nämlich je nach der »aktuellen Betrachtungsweise« bald Geist, bald Fleisch, und in der Situation der Anfechtung wird das Wachsen in der »realen« Gerechtig323 321 325 328
Ebd. 112, 1 f. WA 36, 448, 2 f. (Rörer). Ebd. Z. 4 fT. vgl. A Anm. 207. WA 56, 272, 17 f. (Rom. 4, 7). 32 ' Ebd. Z. 18 f. 20, 11 ff. 328 J. von Walter a.a.O. S. 189. 329 Siehe oben A Anm. 137—138. 330 WA 56, 486, 7 (Rom. 13, 11). Siehe R. Prenter a.a.O. S. 89; 94; 99 ff.; 112 (dt. 75; 79; 84 ff.; 95).
76 keit als Betrug enthüllt 331 . Sehr klar wird hier ausgedrückt, was in loco iustificationis gilt. Hier heißt Heiligung, sich selbst als den ganz Unheiligen, Gott als den allein Heiligen und Christus als den für mich Heiligen zu bekennen 332 . Indessen muß man bei allem Richtigen, das Prenter in diesem Zusammenhang ausführt, eine gewisse Überbetonung der Bedeutung der »aktuellen Betrachtungsweise« feststellen. Weder die Geltung der iustitia Christi noch die Realität der Glaubensfrüchte sind in dem Maße von der aktuellen Betrachtungsweise abhängig, daß der Glaube und die begonnene reale Gerechtigkeit sofort Fleisch würden, wenn eine fleischliche Selbstbetrachtung im Augenblick die Oberhand gewinnt. Das Werk Christi in uns und durch uns, der Glaube und die tätige Liebe, sind nicht wie ein flüchtiger Schatten, der je nach unserer Blickrichtung da ist oder sofort verschwindet 333 . A. Gyllenkrok führt R. Seeberg gegen Prenter als Zeuge für eine mehr reale Gerechtigkeit bei Luther an: »diese Gerechtmachung wird in uns nur real, sofern und soweit wir sie gläubig hinnehmen, und daher ist diese Gerechtigkeit auch eine Gerechtigkeit des Glaubens. Diese von Gott gewirkte und gegebene Gerechtigkeit ist aber der Grund und die Ursache der zweiten Gerechtigkeit, d.h. der aktiven Lebensgerechtigkeit, die sich in guten Werken darstellt« 334 . U. E. ist aber auch diese Formulierung nicht glücklich. Wir müssen Prenter darin recht geben, daß sie bedenklich an die Rede von der fides charitate formata erinnert 335 . Es ist j a nach Luther gerade ein großer Fehler der scholastischen Theologie, daß sie sich die eingegossene Liebe als einen Besitz vorstellt, kraft welcher der Christ hinfort von sich aus seine Werke tun kann 336 . Der Gedanke Luthers dagegen ist, daß trotz aller eingegossenen Liebe der Christus praesens selbst mit seiner eigenen Liebe die Kraft und Quelle unseres Liebesdienstes bleibt. Bei aller Anerkennung dessen, was Christus bereits in uns geschaffen hat, bleibt nach Luther der Christ in seiner Existenz vor Gott und in seinem Wirken in völliger Abhängigkeit vom lebendigen Herrn 337 . Diese Betrachtung widerspricht aber nicht der Realität der begonnenen Gerechtigkeit. Vielmehr wird diese durch den Gedanken an den anEbd. S. 98 (dt. 83). Siehe W. Joest, Ges. u. Freih. S. 60. Joest weist auf WA 40 II 348, 25 ff; 376, 19 ff. und 2, 490, 36 ff. hin. 333 Siehe vor allem die starken Worte in der Vorrede zum Römerbrief von der Realität und Kraft des Glaubens, oben A Anm. 51. — Die Anfechtungen, die alle begonnene Gerechtigkeit total vernichten, sind in Rat. Latom. confut. zunächst auf die außergewöhnlichen Gerichtszeiten bezogen (WA 8, 67, 32 ff. Jes. 64, 4 ff). Luther redet durchgehend von einer begonnenen Güte der Gläubigen, die freilich keine Geltung hat in loco iustificationis. 3 3 1 A. Gyllenkrok, Rechtfertigung und Heiligung S. 106 Anm. 4 ; R . Seeberg, Dogmengeschichte I V S. 297. 3 3 5 R . Prenter a.a.O. S. 124 Anm. 284; dt. S. 103 f. Anm. 263 (S. 331). 336 WA 40 II 64, 32 ff. (1535 Gal. 5, 14) cogitatio Sophistarum, . . . charitatem esse qualitatem inhaerentem animo, qua homo elicit motum cordis vel actum, qui vocatur bene velie. 337 Vgl. Κ . Holl a.a.O. S. 70 Anm. 2 : »Der wirklich an Christus Glaubende hat Christus als Gegenwärtigen in sich . . . als Quelle der Kraft im K a m p f wider die Sünde«. Holl weist u.a. auf 30 II 621, 17 ff. hin: daher Christus heisst der Herr 331 332
77 wesenden Herrn bestätigt und zur Entfaltung gebracht. Demgemäß macht Gyllenkrok gegen Prenter geltend, die Tatsache, daß Christus Subjekt des Glaubens ist, schließe nicht aus, daß der Glaube und die neue Liebesgesinnung zugleich psychologische Realitäten seien338. Zwar genügt unsere reale Frömmigkeit nicht zur Gerechtigkeit vor Gott, und gewiß können die Anfechtungen so unerträglich schwer werden, daß alle unsere Tugenden der Bosheit unserer Herzen völlig weichen. Mit vollem Recht bemerkt L. Haikola, »ein eindeutiges Wachsen in quantitativem Sinne von geringer zu grösser ist also nicht möglich. Ein neues Gericht Gottes kann plötzlich alle reale Heiligung ruinieren, die der Christ durch die Übung des Glaubens bisher erreicht hatte« 339 . Dennoch ist damit nicht gesagt, daß unsere begonnene reale Gerechtigkeit ein Betrug sei — ebensowenig, möchten wir hinzufügen, wie ein zeitweiliges Uberhandnehmen einer Krankheit die begonnene Genesung als einen T r u g entschleiert. Für die Realität der Lebensgerechtigkeit der Gläubigen sollen die, denen die Gläubigen geholfen haben, am Jüngsten T a g Zeugen sein! Nicht nur das gläubige Hinfliehen zu Christus, sondern zugleich auch der in Glaubensgemeinschaft mit Christus stattfindende Liebesdienst am Nächsten ist und bezeugt unsere reale Gerechtigkeit, die im Gericht am Jüngsten Tag offenbar werden soll. Es geht in der referierten Diskussion um das rechte Verständnis der christlichen Gerechtigkeit im Lichte der Lutherschen »Theologie der Schöpfung«. Prenter betont die bleibende Nichtigkeit des Christen dem göttlichen iustificator gegenüber 340 . Auch dann, wenn die Heiligung nicht nur als ständiges Hinfliehen des Sünders zu Christus, sondern zugleich als Austreibung der Sünde durch Christus und Bewegung der Liebe zum Nächsten hin definiert wird, wird von Prenter ein wirkliches Wachstum einer realen Gerechtigkeit bei den Christen geleugnet 341 . Nach ihm sind die Werke der Christen mit denjenigen der Weltmenschen prinzipiell identisch, obwohl aus der Befreiung vom Gesetz eine Spon-
Zebaoth, das ist ein Gott der heerfart odder heerscharen, der j m e r krieget und j n n uns zu felde ligt. — Die oben zitierte Aussage von R . Seeberg kann so gedeutet werden, als ob er die Gerechtmachung durch den Glauben so verstehe, d a ß der Christ kraft dieser Erneuerung d e m Nächsten dienen könne, während bei Luther eben der durch den Glauben real Geheiligte in seinem Wirken von d e m mit seiner Liebe anwesenden Christus völlig abhängig ist. (Vielleicht geht es aber mehr u m einen Unterschied in d e r Betonung). Vgl. W. Joest, Paulus u n d das Luthersche Simul . . . S. 308: Luther k a n n »die reale Heiligungsmacht der G n a d e und die Aktivierung des Christen in Christus, . . . in dem Augenblick, in dem sie in eine Selbstaussage des Menschen eingefangen werden möchte«, nicht anders aussprechen als so: »nicht ich, sondern Christus f ü r mich, mit mir, über mir — ich also als der von Schritt zu Schritt auf ihn Hoffende. Diese Weise des Glaubens, von seiner eigenen Gerechtigkeit zu wissen, ist f ü r L u t h e r nicht ein Absehen von der realen Heiligungsmacht der Gnade, sondern ihr unmittelbarer Vollzug und Ausdruck«. 338 A. Gyllenkrok a . a . O . S. 108 vgl. 105. 339 L. Haikola, Usus legis S. 140 A n m . 98. 340 R . Prenter a.a.O. S. 89 (dt. S. 75). 341 Ebd. S. 94 (98; 101); 262; 120 (285); 256 (dt. S. 79 f. (83; 85); 231; 100 f. (251); 226).
78 taneität und Freiheit des Wirkens folgt 342 . Christus wirkt durch uns, ohne daß wir dadurch als Personen besser werden. Die Wirksamkeit des Spiritus creator bzw. des durch den Geist anwesenden lebendigen Christus scheint bei Prenter nahezu ausschließlich funktionell gefaßt zu sein : wir werden durch ihn bewegt 343 . Die große Sünde der scholastischen und der pietistischen Theologie besteht darin, daß der Geist schon hier in der Zeit als creator einer realen Gerechtigkeit angesehen wird 344 . Das bleibende Gegenüber von creator und nihil bestimmt den ganzen Gedankengang. In Gegensatz zu Prenter betont A. Gyllenkrok die reale creatio, die in der Rechtfertigung stattfindet, und das nachfolgende reale Wachstum des Glaubens und der Liebe. Diese iustitia secunda, die im Vergleich mit Christus ein nihil ist, ist dennoch an sich eine unleugbare neue creatura, und das proficere ist nicht nur ein immer wiederholter Anfang, sondern hat zugleich einen realen Sinn. Beim Christen, der sowohl an der »Gesundheit« wie auch an der »Krankheit« teil hat, gibt es ein wirkliches Fortschreiten der Heiligung345. —• In Wirklichkeit verleihen beide Aspekte des Christen, einmal das nihil, dann die reale neue creatura, zusammen der Lutherschen Anschauung Ausdruck. Wie bei Luther das Geschöpf im Lichte des 1. Glaubensartikels als non nihil und nihil zugleich betrachtet wird, so wird der Christ im Lichte des 3. Artikels als initium novae creaturae und als peccator bestimmt 346 . Es ist der real geschaffene Glaube, der auf Christus gerichtet ist und um Christi willen rechtfertigt, und es ist eine wirkliche Liebe, die in der Ebd. S. 267 Anm. 97; 126 ff. (266) (dt. S. 373 Anm. 95; 105 f.; 235). Ebd. S. 269; 262 (dt. 237; 231 f.). Ebd. S. 111 (dt. S. 94). A. Gyllenkrok a.a.O. S. 104—111; 121—123. Gyllenkrok betont, auf A. Hardeland (Luthers Darstellung des Rechtfertigungsbewußtseins . . . ThStKr 92, 1919) hinweisend, gegen R. Hermann (Luthers These . . . S. 257), J . Haar (Initium . . . S. 80), R. Josefson ( ö d m j u k h e t . . . S. 172) und Prenter (Spiritus Creator S. 89 f. dt. S. 75 f.), daß der terminus a quo von dem das ständige a novo incipere ausgeht, sich ständig nach vorne verschiebt: terminus, qui in isto instanti est ad quem, ipse in sequent! instanti est terminus a quo (WA 4, 364, 20 f.). Die übliche Interpretation von incipere die davon ausgeht, daß der Christ immer wieder von demselben Punkt aus anzufangen hat, ist falsch (S. 112). Profectus ist nicht nur ein Zeitbegriff, sondern auch ein Maßbegriff (S. 121). Zwar verbleibt in bezug auf den absoluten locus iustificationis angesichts des göttlichen Schöpfers alle angefangene und fortgeschrittene reale Gerechtigkeit ein nihil. »Und dennoch! Dieses'Nichts' gilt nur im Vergleich mit Christus. Wenn wir statt dessen den Christenmenschen am Leben anderer Menschen messen und auf die Vollendung hinblicken, finden wir, daß er doch die Erstlingsgabe des Geistes, d.h. hier: die iustitia secunda, besitzt. Und 'haec iustitia perficit priorem, quia semper laborat, ut Adam perdatur et destruatur corpus peccati' (WA 2, 147, 12 f.)« (a.a.O. S. 107). U. E. hat in bezug auf die ethische Betrachtung extra locum iustificationis die durch Gyllenkrok betonte reale profectio ihr Recht und seine Kritik ist teilweise berechtigt. Der Gedanke der realen profectio wird aber z. B. auch von R. Hermann richtig erkannt, siehe seinen Aufsatz, Zu Luthers Lehre von Sünde und Rechtfertigung, Ges. Studien 1960 S. 423: »Gewiß ist für Luther der Christ immer im Werden und das Werden bedeutet auch ein Wachsen; die Gerechtigkeit des Glaubenden ist 'angefangene' Gerechtigkeit. Aber wie das Werden sich nie ohne stetes Rückgreifen auf die Taufe vollzieht, so bleibt es trotz des Fortschreitens für Luther doch bis zum Tode, verglichen mit der Vollendung ein 'Anfang'«. Siehe auch E. Ellwein, Vom neuen Leben . . . S. 93 f. und B. Hägglund, De homine S. 348—361. 318 Siehe oben A Anm. 125. 312
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79 Glaubensgemeinschaft mit Christus geschaffen, erhalten und vermehrt wird und dem Nächsten dient. Luther verleugnet den Charakter des Christen als realer creatura weder im Sinne des 1. noch des 3. Glaubensartikels. Es ist aber eben der Christ, der als nova creatura Lust an den Geboten Gottes hat, der in loco iustificationis als ein nihil völlig auf die fremde Gerechtigkeit Christi angewiesen ist und der auch in seinem Wirken von dem durch den Geist anwesenden Christus völlig abhängig ist. Kraft der schon in der Zeit wirksamen realen Schöpferkraft Christi entsteht durch den Geist ein tatsächlicher Unterschied zwischen den Werken der Gläubigen und der Ungläubigen. Gegenüber der ständig wiederholten Behauptung, es bestehe hier kein grundsätzlicher Unterschied347, weisen wir darauf hin, daß nach Luther die christliche Liebe eine Dimension hat, die ihre Werke von den Werken der Welt klar unterscheidet. Der Christ tut wirklich die einem rechten, geistlichen Verständnis der Gebote entsprechenden Werke. Die Eigenart der christlichen Liebe erweist sich darin, daß sie wirklich dem Feind vergibt und ihm wohltut. Das tut der Ungläubige nicht. Die christliche Liebe identifiziert sich mit allen Notleidenden und besonders mit denen, die in der Nachfolge und dem Dienst Christi hilfsbedürftig sind, auch und gerade dann, wenn sie von der Welt verachtet, benachteiligt und verfolgt sind. Auch das tut nur der Christ348. Allein der wahre Christ kann weiterhin das Wort recht verstehen und verkündigen und also im Gericht mit Ehren bestehen349. Faktisch und praktisch gibt es bei Luther den Gedanken einer »besonderen, 'christlichen' Sittlichkeit, die allein bekehrte Menschen zu verwirklichen vermögen« •— ein Gedanke, den Prenter als pietistisch ablehnt350. Eben weil diese Sittlichkeit die allgemeine, in den Geboten Gottes befohlene ist, soll der tatsächliche Unterschied zwischen der Erfüllung der Gebote durch die Gläubigen und die Ungläubigen am Tage des Gerichts offenbar werden. Es muß zwar so sein, daß in der tiefen Anfechtung kein Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen zu bestehen scheint. Coram se will Gott keinen Menschenruhm dulden. Hier soll der Christ wie der 347 Siehe Prenter a.a.O. S. 266 f. (dt. 235 f.) ; R . Bring, Förhällandet meli, tro och gärningar S. 35—54 (dt. S. 39—49). 348 W A 32, 424, 3 f. (Wochenpred. 1530—32 Mt. 6, 14 f.) Das werck thue jch von natur nicht, sondern fule mich durch Gottes gnade anders denn zuvor. — Es ist das Merkmal der Feindesliebe, daß sie dem Nächsten nicht nur vergibt, sondern ihm wohltut, siehe oben A Anm. 244—247. Obwohl für Luther das Gebot Gottes ohne Unterschied allen Menschen gilt, besteht bei ihm eben im äußeren Leben und nicht nur in der Gesinnung ein wirklicher Unterschied zwischen der Gebotserfüllung der Gläubigen und derjenigen der Ungläubigen, siehe W A 11, 128, 2 f. (Pred. 1523 Rörer Lk. 16, 19 ff.) Fides non est in eo, ergo deum non cognoscit. Si deum non cognoscit, nec proximum curat. Z. 16 fides in homine facit, ut serviat omnibus. Ζ. 26 Dives ist unfruntlicher quam canis, qui non est credulus, ist erger dann ein hund. Z. 29 f. Hoc est dei iuditium de omnibus qui christiani non sunt. Vgl. 45, 328, 5 ff. besonders Z. 7 : impii volunt excusati esse. 349 W A 32, 353, 38 f. (Wochenpred. 1530—32 Mt. 5, 14 ff.) Christum recht leren und bekennen ist nicht muglich on den glauben, wie Paulus I. Kor. 12 sagt. 350 Prenter a.a.O. S. 266 (dt. 235).
80 Nichtchrist gerichtet werden, um von der reinen Gnade Hilfe zu erlangen. Aber wenn das gesagt ist, so gilt auch, daß der Christ in festem Glauben an Christus freimütig das gute Werk am Nächsten tut und sich nicht vom Teufel in Verzweiflung stürzen läßt. Ein Christ soll seine Sünde nicht zu viel betrachten 3 5 1 ; das hieße, dem Teufel Waffen in die Hände geben. Gegenüber dem Teufel soll man vielmehr auf seiner Gerechtigkeit und seinen guten Werken nach den Geboten Gottes trotzen 352 . Obwohl also unsere Werke nur wegen der uns imputierten Gerechtigkeit Christi vor Gott als gerecht gelten, haben sie zugleich in und durch Christus eine Güte, die nicht verleugnet werden darf. Nicht nur die anhaftende Sünde, sondern vor allem auch die heiligende Kraft des Heiligen Geistes ist in den Christen durch den Glauben wirksam und treibt zu guten Werken. Wenn diese Werke auch sündig sind, so sind sie doch zugleich gut. Abgesehen von der Sündhaftigkeit — und kraft der Vergebung dürfen wir davon absehen — sind die Werke kraft des Heiligen Geistes gottgefällige Liebeswerke 353 . Nur auf diese Weise waren nach Luther die Werke auch der Apostel gerecht. Auch ihre Liebe war an sich nicht vollkommen vor Gott, nicht einmal die des Apostels der Liebe. Mit dem Satz »darin ist die Liebe völlig bei uns« sagt auch Johannes nicht, seine Liebe könne an sich gegen Gottes Zorn bestehen. »Völlig« bedeutet hier, die Liebe sei echt, da sie die Gebote Gottes erfüllt in wahrer, tätiger Liebe. Voll von solcher Liebe sollen wir gefunden werden, wie volle Nüsse, nicht als leere, trügerische Hülsen 354 . Es ist dem Christen mögüch, eine solche Liebe zu haben, die dem Nächsten einen vollen, heilsamen Dienst tut. Diese Liebe ist es, die eine Freudigkeit vor Gott im Gericht gibt neben der eigentlichen Freimütigkeit, die der Glaube empfängt, indem er sich auf Christus gründet. In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, daß Luther sich energisch gegen den Gedanken wendet, das Gesetz fordere eine göttliche Liebesqualität, nicht eine in Wahrheit menschliche Liebe, die einfach dadurch gekennzeichnet ist, daß sie dem Nächsten dient 355 . Ebenso polemisiert er gegen den Gedanken, Gott vergleiche im Gericht sein Leben mit dem unseren. Es wäre sinnlos, das ewige Leben mit dem zeitlich-vergänglichen zu vergleichen; Gott prüft vielmehr, was unser
asi W A 2, 687, 18 f. (Sermo von der bereytung zum sterben 1519) Die sund wechst u n d wirt groß auch durch yhr zuvill ansehen u n d zu tieff bedencken. 352 W A 36, 445, 10 — 446, 10 (Rörer). 353 Siehe besonders die starke Betonung sowohl der K r a f t der G n a d e als der Realität d e r Restsünde in R a t . L a t o m . confut. (WA 8, 93, 3 ff.) : N o n ergo dicendum, quod baptismus n o n tollat omnia peccata, vere omnia tollit, non secundum substantiam, sed p l u r i m u m secundum substantiam et totum secundum vires eius, simul quottidie etiam tollens secundum substantiam, ut evacuetur. — Vgl. besonders 89, 1 ff. 354 W A 36, 445, 9 f.; 444, 10 ff. 445, 6 ff. (Rörer). 355 W A 40 I 227, 27 ff. (1535 Gal. 2, 16) exigit, ut in charitate legem facias, non n a t u r a l i q u a m habes, sed supernaturali et divina q u a m ipse dat. Q u i d hoc alius est, q u a m ex Deo facere t y r a n n u m et carnificem, qui hoc exigit a nobis, quod praestare non possumus ?
81 ist!356 Mit solchen Aussagen meint Luther nicht etwa, eigene Gesetzeswerke seien genügend. Das Anliegen Luthers ist es, den Gedanken zu widerlegen, als ob man durch eigene Kräfte das Gesetz insofern erfüllen könne, daß man die geforderten Werke tue — Gott aber mehr, nämlich die göttliche Liebesqualität, fordere 357 . Gegen diesen Gedanken, den Luther unethisch und empörend findet, behauptet er voller Ernst, kein Mensch diene ohne den Glauben wirklich dem Nächsten; nicht Gott, sondern gerade der Nächste leide Schaden durch die mangelnde Liebe. Im äußerlichen Dienst und Werk überragt der Gläubige den Ungläubigen bei weitem, und gerade dadurch, daß dem Nächsten geholfen wird, erreicht das Gesetz unter diesem Aspekt sein Ziel358. Derselbe Luther also, der für den Gedanken eifert, die Werke der Christen seien nichts anderes als der allgemeine Dienst, den jedermann tut, behauptet sehr entschieden, nur die Gläubigen vollbrächten wirklich diese Werke. Besonders gilt das gegenüber den Feinden und denen, die in der Nachfolge Christi verachtet und notleidend sind. Der Gedanke, der Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen als Wirkenden bestehe prinzipiell nur in der Gesinnung, stellt also eine grobe Verzeichnung der Anschauung Luthers dar. Kraft der Zuordnung der Werke zum Glauben geschehen die guten Werke konsekutiv von der Rechtfertigung her, aus einem gereinigten, guten Gewissen und in christlicher Liebe zu den Menschen. Wegen der anhaftenden Sünde und des dadurch verursachten Versagens bedürfen sie der Vergebung; aber eben in der göttlichen Vergebung ist wiederum die siegreiche Wirksamkeit Christi in uns begründet 359 . Das gute Gewissen angesichts Gottes und der Menschen im Gericht nach den Werken beruht also auf der Realität der göttlichen Vergebung und auf der Wirksamkeit der Liebe kraft des Heiligen Geistes360. Diese doppelte Beziehung der Werke des Christen auf Gott findet in der schon mehrmals zitierten Stelle aus »Etliche schöne Predigten« prägnanten Ausdruck: 356 WA 8, 128, 22 ff. (Rat. Latom. confut. 1521) Iudicium dei opus dei est, quo non suam vitam comparai nobis, sed nostra examinai, alioqui quae absurditas, ut aeterna vita comparetur momentanae? 357 WA 40 I 228, 21 (1535 Gal. 2, 16) quia Deus non sit contentus legem impleri a nobis secundum substantiam facti, sed velit earn impleri etiam secundum intentionem praecipientis, Ideo cogat nos scriptura sancta habere habitum supernaturalen, e coelo infusum, qui est Charitas, Quam dixerunt esse formalem iustitiam, formantem et ornantem fidem facientemque, ut ea iustificet . . . Haec sunt Scholasticorum somnia. Vgl. Thomas, Summa theologiae 1, II q 114 a 2 Resp. : nulla natura creata est sufficiens principium actus meritorii vitae aeternae, nisi superadditur aliquid supernaturale donum, quod gratia dicitur. Ebd. a 4 ad tert. fidei actus non est meritorius, nisi fides per dilectionem operetur. 358 WA. 40 I 241, 14 ff. (1535 Gal. 2, 16) Postea, quando aperuerit ostium et egreditur sponsus . . . Ibi tum incipiunt opera et Charitas. 40 II 38, 27 Christianum facit fides efficax per Charitatem. 359 WA 39 I 83, 40 (3. Thesenreihe üb. Rom. 3, 28 1536) (peccatum) eadem fide Christi et ignoscitur et vincitur. 40 I 287, 31 ff. (1535 Gal. 2, 20). 360 WA 39 I 83, 20 ff. intercedente et sanctificante nostrum initium iustitiae Christo advocato et sacerdote nostro. Cuius iustitia, cum sit sine vitio et nobis umbraculum contra aestum irae Dei factum, non sinit nostram inceptam iustitiam damnari.
82 »quando tu vis glosirn X praecepta, nolo gloriari, sed oppono Ihesum Christum. Ideo etiam iactamus opera bona, quod etiam fiduciam bringen coram deo in iudicio, quia deus praecipit« 361 . Luther kennt wirklich ein berechtigtes Pochen auf Werke, die in Glauben und Liebe geschehen sind. Recht verstanden ist es möglich, angesichts des Todes und des Jüngsten Gerichts vor Gott und der ganzen Welt zu sagen: »Ich habe Gott lob also gelebt, das mein nehester nicht über mich klagen kan, ich hab ja niemand gestolen, gehasset, geraubt, gelestert, sondern jderman guts gethan, soviel ich vermocht habe« 362 . Mit starken Worten beschreibt Luther in der Schrift wider Latomus die siegesgewissen Fortschritte des Glaubens gegenüber der Sünde: »So haben wir unserseits, nachdem wir in das Reich des Glaubens gerufen sind durch die Gnade der Taufe, das Reich der Sünde in unserer Gewalt, alle seine Kräfte sind zerschlagen, nur daß in den Gliedern die Reste bleiben, die dawider murren und ihres vernichteten Geschlechtes Geist und Natur vertreten, die müssen wir auf eigene Faust austilgen —- es wird aber (vollends) geschehen, wenn unser David, nachdem sein Reich gefestigt ist, gesessen ist auf dem Throne seiner Herrlichkeit« 383 . Ja, Luther kann sagen, der Christ, der durch den Glauben an der göttlichen Liebe teilhat, sei im Herzen ganz und gar durchgottet und demgemäß gegen den Nächsten wohltätig364. Außerhalb des absoluten Gesichtspunktes des coram Deo gibt es also, in der Sicht Gottes und dem Glauben der Christen, durch die Gnade und Gabe Gottes einen grundsätzlichen Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen. Das wird im Jüngsten Gericht offenbar werden. Die Aufgabe des Gerichts nach den Werken liegt eben darin, vor der ganzen Welt den Unterschied aufzudecken zwischen Glauben und Unglauben, christlicher Liebe und Liebe der Welt, Heiligem Geist und Weltgeist, gutem Baum und schlechtem Baum, kurz : zwischen gut und böse. An diesem Tage werden die Kinder Gottes offenbar, indem die vorher verborgenen Früchte des Glaubens, die verlorene Liebe und überhaupt alles, was sie ihrem Nächsten getan haben, von Gott vor der ganzen Welt enthüllt werden — seiner Herrlichkeit zur Ehre, auch den Christen zum Ruhm. Diese freilich durch die Geltung der göttlichen Vergebung bedingte Betrachtung der durch Christus gewirkten Liebeswerke als wirklich gut ist bei Luther reichlich bezeugt365. Die so begründete reale 361
WA 36, 451, 4 ff. (Rörer). WA 36, 445, 15 ff. (Cruciger); 445, 10 ff. (Rörer). 363 WA 8, 89, 6 ff. (R. Fricks Übers.). 364 WA 10 I 1, 100, 17 ff. (Kirchenpost. 1522) Gottis kinder sind wyr durch den glawben . . . Aber gotte synd wyr durch die liebe, die unß gegen unßernn nehisten wolthettig macht, denn gottlich natur ist nit anderß denn eytell wolthettickeyt. 36, 437, 6 ff. (Pred. 1532 Rörer) Si sic vivis, das ist Gottlich leben, das heist Gott selber, wie künde ers hoher preisen ? Si dicit : kanstu deinem nehisten zu gut halten sein sehenden, schalkeit ec. Si kanst yhm freundlich bleiben, fecisti ut ein Gott, qui est in te. 438, 4 Si potes habere cor dulce, es deus, maior omnibus creaturis. Vgl. 7, 66, 34 ff. (Tractatus de liberiate 1520) sumus alter alterius Christus. 365 Z.B. WA 8, 93, 3 ff. ; 67, 33 f. ; 114, 28 ff. ; 36, 518, 5 ff. 362
83 Gerechtigkeit der Christen zu bestreiten, wäre eine Fehlinterpretation der Formel simul peccator et iustus und müßte im Lichte der Lutherschen Theologie als eine Verleugnung der Verheißung und Kraft Christi beurteilt werden. Das wäre eine noch schlechtere Theologie als diejenige des Latomus, der (nur) die durch uns Menschen bedingte Sündhaftigkeit der Liebeswerke verneinte.
6. Die Frage nach der Notwendigkeit
der Werke zur
Seligkeit
Im Blick auf den locus iustificationis kennt Luther keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der Rechtfertigung in der Zeit und der Erlangung der künftigen Seligkeit. Allein der Glaube an den Christus pro nobis crucifixus empfängt die Vergebung der Sünden in der Buße und in der Todesstunde. Die Werke gehören auch im Blick auf das Gericht am Jüngsten Tag nicht in den locus iustificationis. Die Werke in unsere Rechtfertigung, und zwar am Jüngsten Tag sowohl als in der Zeit, einzumischen, ist eine Kränkung der Ehre Gottes als iustificator und des Amtes Christi als Versöhner. Wenn die durch Christus erworbene Gnade nur dazu diene, uns zu befähigen, die zur Seligkeit geforderten Werke zu vollbringen, dann sei, sagt Luther, Christus das kleinere, uns aber das größere Werk zugeteilt. Nein, indem Christus uns die Vergebung der Sünden verdiente, hat er uns die ewige Seligkeit erworben 366 . In der Behauptung, die Werke seien heilsnotwendig in loco iustificationis, läge aber auch eine Verletzung des Nächsten, da der Mensch dann im Dienst am Nächsten auch das Eigene suchen müßte. Also ist die Frage nach der Notwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit im Sinne der Lutherschen Kreuzestheologie zunächst so zu beantworten: Die guten Werke sind notwendig zur Seligkeit für den Nächsten! Ihm wird durch unseren Liebesdienst für Zeit und Ewigkeit geholfen; er muß durch unsere Versäumnisse schicksalsschwere Verluste leiden367. Wie den Nächsten, so wird man aber auch sich selbst durch Lieblosigkeit ins Verderben führen. Der rechtfertigende Glaube kann nicht trotz vorsätzlicher Sünden bestehen. Er wird bekämpft und getötet, wenn er nicht in guten Werken inkarnieren darf; ja, der Glaube wird schon verleugnet durch jemanden, der sich einem selbstsüchtigen Leben hingibt. Es gehört nämlich zum Wesen des Glaubens, unaufhörlich gute Werke zu wirken368. se» W A 30 II 670, 1 ff. (De loco Iustif. 1530) (Zur These:) Christus in hoc est necessarius, ut graciam meruerit, qua nos in operibus usi mereamur vitam aeternam, Respondetur: Et tunc Christus minus fecit, nos maius. Imo si Christus remissionem peccatorum meruit, simul vitam nobis meruit. »·' WA 10 III 226, 20 f. (Pred. 1522 Lk. 6, 36 f.) In dem werden sie aber gelobt und gepreyset, das sie von nöten seind dem nechsten. 2, 650, 7 f. (Contra malignum I. Eccii iudicium . . . 1519) Non sunt necessaria, immo sunt noxia opera legis cuiuscunque, Sed necessaria sunt et salubria opera bona quaecunque. see WA 8, 371, 5 ff. (Ev. v. den zehn Aussätzigen 1521) wer anfehet tzu glawben unnd will nitt ymer tzu nehmen unnd wachßen, dem wirt sie genommen unnd eynem
84 Auf diese »naturnotwendige« Zuordnung der Werke zum Glauben weist Luther wiederholt hin, wenn er in Disputationen und Tischreden die Frage von der Notwendigkeit der guten Werke zur Seligkeit behandelt. Der rechtfertigende Glaube bringt ebenso notwendig die guten Werke hervor wie der gute Baum die guten Früchte. Unter ontologischem Aspekt sind die guten Werke beim wahren Glauben ebenso notwendig anwesend, wie der Mensch als Gottes Geschöpf und als Sünder bei der Rechtfertigung notwendig anwesend sein muß 369 . In diesem Zusammenhang kann Luther die Notwendigkeit der Werke zur Seligkeit klar behaupten : »opera sunt necessaria ad salutem, sed non causant salutem, quia fides sola dat vitam« 370 . Die Werke sind nicht notwendig in loco iustificationis, aber sie sind vom wahren Glauben nicht zu trennen: »iustitia operum necessaria est, sed non necessitate legali seu coactionis, sed necessitate gratuita seu consequentiae seu immutabilitatis«. Es geht also um eine »Noth der Sache und Folge, die da beschlossen und unwandelbar ist« 371 . Kraft der Gemeinschaft mit dem lebendigen Herrn sind die Werke notwendige Begleiter des Glaubens in Leben und Tod, und auch in der Auferstehung am Jüngsten Tag werden sie sich finden. Dennoch wird nur dem Glauben und zwar allein um Christi willen die Gerechterklärung zugesprochen und der Zutritt zur ewigen Seligkeit geöffnet. Ja, in Wirklichkeit hat die »naturnotwendige« Anwesenheit der guten Werke beim seligmachenden Glauben eben darin ihren Grund, daß der Glaube Christus ergreift als seine Gerechtigkeit und die Quelle aller guten Früchte und sich seiner allein tröstet, abgesehen von »omnibus operibus, bonis et malis, legibus omnibus, conscientiis malis«372. Allein durch diesen Glauben lebt und wirkt nämlich Christus in uns durch den Heiligen Geist373. andern geben. 50, 600, 8 ff. (Von den Konziliis u n d Kirchen 1539) unser Antinomi sehen nicht, das sie Christum predigen on und wider den Heiligen Geist, weil sie die Leute wollen lassen in j r e m alten wesen bleiben u n d gleich wol selig sprechen, So doch die Consequentz das wil, das ein Christ sol den Heiligen Geist haben und neu leben f ü r e n , oder wissen, das er keinen Christum habe. Vgl. oben A A n m . 51. 369 W A 39 I 96, 4 (Disp. de iustif. 1536) H o m o peccator si volet salvari, necesse est ut adsit, vgl. oben A Anm. 161. 370 W A 39 I 96, 6 ff. 3,1 Siehe oben A A n m . 64—65 und R . Bring, Förh. meli, tro och gärningar . . . S. 142 f. (dt. S. 97 f.). 372 W A 40 I I 12, 8 f. (1531 Gal. 5, 2). Vgl. 30 II 663, 3 ff. (De loco Iustif. 1530) Ergo fides et incredulitas hic clare cernuntur opera praecedere. Si praecedunt, ergo fides ante opera iustificat. Incredulitas ante opera d a m n a t . 373 W A 40 I 283, 3 ff. (1531 Gal. 2, 20) ' E g o vivo' quidem sonat personaliter, quasi suam personam inspiciat; mox ergo corrigit, quod habeat g r a t i a m : sed ' n o n ego'. Quis i l l e ' e g o ' ? qui debet operari, qui est una persona distincta a Christo: pertineo ad infern u m , legem. Sed quod Christus sit mea forma, sicut paries informatur albedine. Sic t a m proprie et inhesive, ut albedo in pariete, sic Christus manet in m e et ista vita vivit in me, et vita qua vivo, est Christus. Vgl. P. Althaus, Die lutherische Rechtfertigungslehre . . . S. 21 : »Es ist klar, d a ß das neue Leben als ' Seinsethos', als Indikativ ('wir lieben, denn er h a t uns zuerst geliebt', 1. J o h . 4, 19) auf das Heil allein so bezogen ist: es gründet in dem geschenkten Heil; es ist ein Leben in diesem Heil, nämlich in der Liebe, die Gott selber ist. Das eben ist das Heil, zu diesem Leben freigemacht sein. Von einer' Heilsbedeutung' des christlichen Handelns kann hier also nicht gesprochen werden, sondern n u r umgekehrt von einer Heilsbegründetheit u n d von dem Heilscharakter des neuen Lebens «.
85 Wenn Luther also bezüglich der Rechtfertigung vor Gott sowohl in der Zeit als auch am Jüngsten Tag die Alleingeltung des Glaubens behauptet, so lehrt er eine ontologische Notwendigkeit der Liebeswerke als Begleiter des rechtfertigenden Glaubens auf dem Weg zur ewigen Seligkeit. Immer wieder beantwortet er die Frage nach der Notwendigkeit der Werke zur Seligkeit mit einem »Nein«; in loco iustificationis muß solus Christus, sola fides gelten. Immer wieder weist er aber zugleich auf die ontologisch notwendige Anwesenheit der guten Werke beim rechtfertigenden Glauben hin. Mit dieser Argumentation verfolgt Luther das unaufgebbare Hauptinteresse: der Glaube, von dem alle Gerechtigkeit vor Gott und alle guten Werke abhängen, muß rein erhalten werden. Die Werke dürfen weder vom Glauben isoliert noch zu Nebenbedingungen der Christusgemeinschaft werden. Weil aber viele Menschen Vorwände für ihre Faulheit und Verantwortungslosigkeit suchen, will Luther keinen Zweifel darüber bestehen lassen, daß die Werke auch um der eigenen Seligkeit willen nicht vernachlässigt werden dürfen. In der Disputation de iustificatione 1536 heißt es: »Propter hypocritas dicendum est, quod bona opera sint etiam necessaria ad salutem. Oportet operari« 374 . Diejenigen, die sich gegen die Liebe Christi zum Nächsten verhärten, sollen wissen, daß sie sich dadurch auch gegen den rechtfertigenden Glauben versperren. Wer dem Nächsten den schuldigen Dienst nicht leisten will, widersteht dadurch überhaupt dem Heiligen Geist und behält nur einen Scheinglauben. Der Zusammenhang zwischen wahrem Glauben und guten Werken ist unlösbar. Dennoch, fährt Luther fort, gehört nur der Glaube in den locus iustificationis: »Tarnen non sequitur, quod opera ideo salvant, nisi valde necesse intelligamus, quod oporteat esse internam et externam salutem sive iustitiam. Opera salvant externe, hoc est, testantur nos esse iustos, et fidem esse in homine, quae interne salvai, ut Paulus inquit: Corde creditur ad iustitiam, ore fit confessio ad salutem. Externa salvatio ut fructus ostendit arborem bonam, ostendit fidem adesse«375. In der Lutherdeutung wie auch in der Auslegung des Neuen Testamentes werden wir durch das Wort 1. Kor. 3,15 vor die bedeutsame Frage gestellt, ob die Lehre von einem Gericht nach den Werken sich letztlich restlos in die Dialektik zwischen Gottes Gesetz und Evangelium einfügt. Wird am Jüngsten Tag nur deshalb über die Werke gerichtet, um einerseits die Rettung durch den rechtfertigenden Glauben als freies, völlig unverdientes Geschenk hervorzuheben, und um andererseits die Berechtigung der die Ungläubigen treffenden Verdammnis zu bestätigen ? Kann das Wort : »Kommt her, ihr Gesegneten«, auch solchen Gläubigen zugesprochen werden, die dieses Leben verlassen haben, ohne zu einem Leben voll des barmherzigen Liebesdienstes gekommen zu sein ? 374 WA 39 I 96, 8 f. vgl. 254, 27 ff. Estque necessario effectue fidei et fructus et fit ad salutem, non meretur salutem. Estque necessario effectue in christiano, qui iam salvus est in fide et spe et tarnen tendit in ista spe ad salutem revelandam. 375 Ebd. 96, 9 ff.
86 Die Formulierung der letzten Frage deutet die einzig mögliche Luthersche Antwort an: durch den wahren Glauben ist der Mensch ohne weiteres »in eo vitae genere« des Liebesdienstes376. Das der eschatologischen Rechtfertigung durch den Glauben unterstellte Gericht nach den Werken kann unmöglich einen wahren Glauben finden, der nicht zugleich der Gabe der wirksamen Liebe teilhaftig worden ist. Zwar bestehen unter den durch den Glauben Begnadigten allerlei Unterschiede in bezug auf Gnadengaben, Heiligung und Dienstbarkeit, und auch »mit der Gabe eines einzigen (guten) Werkes« bleibt der Gläubige »doch als Ganzer unter der Gnade« 377 . Es ist aber zu bemerken, daß Luther nicht sagt, man könne unter der Gnade sein, auch ohne eine einzige Gabe zu erhalten. Die Gnade und die Gabe lassen sich nicht scheiden. Demgemäß heißt es in den Predigten Luthers über Mt. 22, 2—14, jeder Christ habe das hochzeitliche Kleid, andernfalls sei er kein Christ. Das gilt, ob nun das Kleid allein auf den Glauben 378 oder auf den Glauben und die Liebeswerke zugleich bezogen wird379. Weder dasjenige Kirchenglied, das den Glauben bekennt, ohne die Liebe zu haben, noch dasjenige, das ohne Glauben wohltut, kann am Jüngsten Tag bestehen. Luther bezieht 1. Kor. 3,15 auf Lehrer, die nicht das lautere Gotteswort verkündigt haben. Seine Randglossen zur Stelle sind wohl so zu verstehen, daß solche Prediger dennoch selig werden, wenn sie im wahren Glauben sind; im Gewissen aber werden sie furchtbar leiden, so wie wenn jemand vor Gericht ein Verbrechen erkennen und zugestehen muß 380 . Damit hat Luther jedoch nicht gesagt, diese Irrlehrer seien ohne alle Liebeswerke. Kraft der grenzenlosen Barmherzigkeit Gottes ist es auch möglich, noch in der letzten Lebensstunde zum rechtfertigenden Glauben zu kommen 381 . Auch dann begleitet das gute Werk den Glauben. Es erhebt sich die Frage, ob auch für denjenigen die Möglichkeit gegeben ist, im Gericht nach den Werken zu bestehen, der erst dann zum Glauben kommt, wenn er nicht mehr imstande ist, ein Wort des Bekenntnisses 3,6
Ebd. 303, 15 ff. vgl. oben A Anm. 179. WA 8, 107, 8.10 f. Diversus et multiformis est in donis suis . . . uno dono unius operis sub gratia to tus manet. 378 WA 37, 182, 7 (Pred. 1533 Rörer Mt. 22, 2 ff.); vgl. 39 I 265, 3 ff. (De veste nupt. 1537). 379 Siehe oben Anm. 21—22. seo WADB 7, 95 (Randglosse 1522—1546) : (Gold, silber) Das ist von predigen und leren gesagt, die zu des glaubens besserung oder geringerung geleret werden. Nu bestehet keine lere im sterben, Jüngsten tag und allen nöten, es wird verzeret, Es sey denn lauter Gottes wort, Das befindet sich alles im Gewissen wol. — Siehe auch die Neue Glosse zu 1. Kor. 3, 15 (ebd. unten) in Bibelausgaben von 1534 (NT seit 1530) bis 1540: (Gestrafft) Das ist, gebusset wie einer fur Gericht die busse geben mus. asi WA 29, 572, 11 f. (Pred. 1529 Poach Mt. 9, 1 ff.) Et si nunquam fecissem bonum opus, tarnen credo articulum Remissionis peccatorum. Ibi nihil videndum quam remissio peccatorum. Vgl. 2, 694, 30 f. (Sermon von der Bereitung . . . 1519) Es ist besser, ich sey unwirdig, dan das gott nit wahrhafftig gehalten werde, heb dich, teuffeil, ßo du mir anders sagst. 377
87 auszusprechen? Es entspricht der völligen Unterordnung dieses Gerichts unter die Rechtfertigung, daß Luther eine solche Frage, soweit wir sehen, nicht gestellt hat. Ihm ist es völlig klar, daß jeder, der in einem wahren Glauben an Christus dieses Leben verläßt, selig wird. Immerhin hält aber Luther an den beiden Hauptlinien seiner Theologie fest. Wo der Glaube ist, da ist auch der Liebesdienst; wer am Jüngsten Tag als durch den Glauben gerecht gefunden wird, der wird auch als gut gefunden werden. Bezeichnend sind Luthers Aussagen von der Liebe des armen Lazarus, der ja wegen seiner Krankheit keinen äußerlichen Dienst zu üben imstande war. Daß Lazarus dennoch die rechte, tätige Nächstenliebe hatte, weiß Luther, obwohl im Gleichnis kein Wort davon gesagt ist; aus der Tatsache, daß Lazarus selig wurde, folgert er ohne weiteres, jener habe den rechtfertigenden Glauben und damit auch die wahre Nächstenliebe gehabt. Aus seinem Glauben »folget nu die ander tugent, nemlich die liebe zum nehisten, das er auch willig und bereytt geweßen ist yderman zu dienen. Aber weyl er arm und elend ist, hatt er nichts da mit er dienen kund. Darumb wirt seyn gutter will fur die thatt gerechnet« 382 . Bedeutet nun diese Aussage, daß Luther die scholastische Vorstellung von der ruhenden, den Werken zugrundeliegenden Liebesqualität im Herzen angenommen hat — eine Vorstellung, die er sonst als eine Nichtigkeit bekämpft? 383 Nein, vielmehr hält Luther auch hier an seiner Anschauung fest, der gemäß die Liebe Wirksamkeit ist, wenn sie überhaupt die Bezeichnung »Liebe« verdient. Unmittelbar fährt er nämlich fort: »Aber dißen mangel leypliches diensts erstattet er gar reychlich durch eyn geystlichen dienst«. Wie der Schächer am Kreuz in seinem Elend ist auch der arme Lazarus aller Welt ein Exempel des Glaubens, der Hoffnung, der Geduld und der dienenden Liebe. Wie nämlich der Übeltäter durch sein Bekenntnis ein herrliches Liebeswerk tat, so der arme Lazarus in Fürbitte für den reichen geizigen Mann, vor dessen Tür er sterbend lag384. Es ändert nichts am Wesen der Liebe als Tätigkeit, wenn ihre sichtbare Wirksamkeit durch die Umstände unterbunden ist..Auch wenn die Hände gebunden sind wie diejenigen des Schächers am Kreuz, findet die Liebe ihren Weg zum Dienst durch des Mundes Bekenntnis. Und auch wenn ein helfendes Wort des Bekenntnisses den Nächsten wegen der körperlichen Schwäche des Gläubigen oder wegen der räumlichen Entfernung nicht erreichen kann, besteht doch die Möglichkeit des Liebesdienstes in Fürbitte und geduldigem Leiden. Auf Grund solcher Beobachtungen dürfen wir als Auffassung Luthers feststellen, daß auch dem in der Todesstunde durch wahre Buße empfangenen, rechtfertigenden Glauben die wohltätige Liebe geschenkt wird, daß also jeder, der am Tage des Gerichts durch den Glauben zur 382
WA 10 III 186, 18 ff. (Pred. 1522 Lk. 16, 19—31). Siehe oben A Anm. 336. 384 Lk. 16, 19 ff: WA 10 III 186,21 f. (1522); 4 6 , 4 6 0 , 4 (1538 Rörer) manet in fide, spe et patientia. 12, 594, 29 (1523) er hat für in gebetten. 383
88 Rechten Christi steht, in Wahrheit zur seligen Schar der Wohltäter gehört und deshalb vom göttlichen Richter freundlich angeredet werden wird. Die Frage nach der Notwendigkeit der Werke im Gericht ist also prinzipiell beantwortet durch den Hinweis auf die von Luther unermüdlich behauptete notwendige Zuordnung der guten Werke zum wahren Glauben. Stets behält die Rechtfertigungslehre ihre vorherrschende Stellung im theologischen System. Es hieß in einer angeführten Stelle aus der Disputation de iustificatione 1536: »opera sunt necessaria ad salutem, sed non causant salutem, quia fides sola dat vitam«. Diese These ist nicht so zu verstehen, als wäre es der Hauptinhalt der iustificatio sola fide, daß sie salutem causat, indem in ihr die guten Werke gewirkt werden, die das Bestehen im Gericht nach den Werken ermöglichen. Wäre es so, dann würde die Gerechterklärung zu einem Instrument der Gerechtmachung entwertet, zu einer dem Gericht nach den Werken untergeordneten Nothilfe, deren Bedeutung allein darin bestände, daß sie die Erfüllung des Gesetzes durch gute Werke und das Bestehen im Gericht nach den Werken ermöglichte —• ein Gedankengang, den Luther in den bekannten Worten dieser Disputation mit Entrüstung ablehnt: »Volunt nos esse perfectiores nostro salvatore per hoc, quod operibus tribuatur, id quod maximum est, Christo et fidei, id quod est minimum... Christum requiramus ad iustificationem tamquam ad minimam causam, deinde ad salutem nostram obedientiam tamquam maximam causam«385. Freilich spielt der hier abgelehnte Aspekt der Rechtfertigung, daß nämlich in der Rechtfertigung die tätige Liebe geschaffen wird und dadurch die Anerkennung der Werke im Gericht ermöglicht wird, auch bei Luther eine große Rolle. Der Hauptaspekt ist und bleibt jedoch, was die Ehre Christi als unsere Gerechtigkeit vor Gott fordert und was die These »fides sola dat vitam«, recht verstanden, besagt: der Gläubige ist durch die göttliche Gerechterklärung schon im Reiche Gottes, hat das verdammende Gericht schon hinter sich, ist schon selig386. Die Uberordnung der Rechtfertigung durch den. Glauben über das Gericht nach den Werken entspricht der Herrlichkeit des Evangeliums und bestätigt die geschehene Erlösung des Gewissens vom Gesetz. Aber weil die Gerechterklärung ein so herrliches und mächtiges Gotteswort ist, ist sie
W A 39 I 94, 22 ff. vgl. oben A Anm. 370. 386 40 j i 3 ; 3 ff (1531 Gal. 5, 1) Et hec est incomprehensibilis, ut ceterae libertates sint stilla, guttula ad maiestatem theoligicae libertatis: Esse liberum ab ira dei, deum non esse iratum nec fore inaeternum iudicem sed faventem. 6, 5 loco irati dei habeo propicium in eternum. 341, 17 ff. (1532—38 Ps. 51, 3). Siehe überhaupt 40 I I 3—6; 341 f.; 15, 703,31 u. 12,675,9. Auf diese Stellen hinweisend konkludiert S. von Engeström (Förlätelsetanken . . . S. 79) : » D i e Vergebung bedeutet dann zugleich Befreiung von ewigem Gericht und Erteilung ewigen Lebens. Die Vergebung der Sünden und ewiges Leben sind — vom Gesichtspunkt des Menschen — synonyme Begriffe« (übers.). 385
89 zugleich auch Gerechtmachung und schließt die anerkennende Beurteilung im Gericht nach den Werken ein387. Die Frage nach der Notwendigkeit der Werke zur Seligkeit wird also von Luther so beantwortet: 1. Die guten Werke sind notwendig für den Nächsten, auch zur Seligkeit. 2. Die Notwendigkeit der Werke für die eigene Seligkeit wird bejaht unter negativem Aspekt: die vorsätzliche Unterlassung des schuldigen Liebesdienstes ist ein Nein zur Liebe Christi und widerstreitet und tötet den Glauben. 3. Die Notwendigkeit der Werke für die eigene Seligkeit wird bejaht unter ontologischem Gesichtspunkt, indem der wahre Glaube seinem Wesen nach immer in guten Werken wirksam ist. 4. Die Notwendigkeit der guten Werke für die eigene Seligkeit wird behauptet unter paränetischem Gesichtspunkt. Niemand darf denken, daß ein Glaube, der nicht in guten Werken seine Frucht trägt, selig machen kann. 5. Bei aller Anerkennung der Verschiedenheit der den Gläubigen geschenkten Gaben und der bei ihnen zu findenden Treue, hält Luther an einer prinzipiellen Entsprechung zwischen rechtfertigendem Glauben und guten Werken, zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und anerkennender Beurteilung im Gericht nach den Werken fest. 6. Weil trotz allem an der Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis festgehalten wird, kann der Gläubige die Hoffnung auf die Seligkeit auch dann behalten, wenn er in der Anfechtung wegen seines mangelhaften Dienstes zum Tode verurteilt wird; ja, es bleibt die Möglichkeit bestehen, immer und noch in der letzten Lebensstunde durch den Glauben aufs Neue zu beginnen und selig zu werden.
7. Der Entscheidungscharakter
des Gerichts nach den Werken
1. D i e r e l a t i v e E n t s c h e i d u n g ü b e r L o h n u n d S t r a f e Man könnte fragen, wozu das Gericht nach den Werken dienen soll, wenn die Entscheidung über das ewige Heil schon durch den Glauben bzw. den Unglauben gefallen ist. Gott kennt ja die Seinen durch den Glauben und bedarf keines Gerichtsverfahrens mit Anhörung von Zeugen. Eine Antwort ist darin zu sehen, daß im Gericht über Stufen der Seligkeit und Verdammnis entschieden werden soll. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und dem Gericht nach den Werken recht einfach: nach Glauben oder Unglauben wird über Heil und Verderben entschieden, nach den Werken wird ein besonderer Lohn gewährt oder 3S7 W A 40 ι 447, 21 ff. (1535 Gal. 3, 13) Manifestum est ergo solam fidem iustificare. Fide autem nobis iustificatis, egredimur in vitam activam. Vgl. 265, 4 ff. und oben A A n m . 281.
90 eine besondere Strafe verhängt. So energisch Luther gegen den Gedanken der verdienstlichen Werke in bezug auf den locus iustificationis kämpft, ebenso bestimmt behauptet er den Lohn der guten Werke extra locum iustificationis. Es ist seine Anschauung, daß der Herr in seiner großen Sorge um die Menschen jede dem Menschen erwiesene Wohltat im Gedächtnis behält und den Wohltätern ihren Lohn verheißt, gleichgültig, ob die Werke durch Gläubige oder Ungläubige getan werden. Die Belohnung kann sowohl zeitlich wie ewig sein. Weil aber allein der Glaube die Seligkeit erlangt, werden die Ungläubigen nur mit zeitlichem Lohn gesegnet388. Als Worte, die zunächst vom zeitlichen Segen sprechen, nennt Luther in den Skizzen zur Schrift »De loco iustificationis« 1530: Eph. 6,2 f. Honora patrem et matrem, ut sis longevivus Lk. 11,41 Date eleemosinam et ecce omnia munda vobis Rom. 4,2 Si Abraham ex operibus iustus est, habet gloriam 2. Kor. 1,12 Gloria nostra haec: conscienciae nostrae testimonium quod 1. Kor. 9,15 Mori malim quam ut quis meam gloriam evacuet Rom. 10,5 Iusticia legis dicit: Homo, qui facit ea, vivet Lk. 6,38 Date et dabitur vobis. Eadem mensura Mt. 6,4 Date Eleemosinam et Pater reddet in manifesto Rom. 13,3 Fac bonum et habebis laudem ex ilio. Zu Lk. 11,41 und Mt. 6,4 hat Luther hinzugefügt: in terra; zu Rom. 13,3: in hoc seculo389. Daß die göttliche Vergeltung dennoch nicht auf diese Zeit beschränkt ist, zeigt die unmittelbare Fortsetzung Z. 10 ff.: »Haec similiaque testimonia loquuntur de iusticia operum, quam Deus exigit et hic vult servari ac remunerai temporaliter impiis, At aeternaliter piis«. Demgemäß sieht der Christ in allen irdischen Segnungen und Gerichtshandlungen Gottes das Jüngste Gericht schon wirksam390. Das Leben der Christen im Glauben an Gottes Verheißungen aber ist ein Leben unter dem Kreuz. Luther hat die im Menschenleben waltenden Widersprüche sehr klar erkannt. Es liegt ihm fern, ein zeitliches Mißgeschick als Zeugnis göttlicher Ungunst anzusehen; er weiß wohl, daß es in dieser Welt oft den Ungläubigen gut geht. Es ist ihm kein Anstoß, daß die Christen trotz der reichen Segensverheißungen mehr als andere Menschen allerlei Unrecht und Leiden dulden müssen. Er erkennt klar, daß wegen des Teufels und seiner Lakaien die Kinder Gottes ihr Leben einbüßen müssen, um die Krone des Lebens zu erlangen 391 .
ssa WA 30 II 670, 26 ff. (De loco iustif. 1530) meremur alia multa bona, sive hic, sive in futuro. Paulus plus omnibus laboravit, sed nihilo plus habet de iustificatione et gracia, plus habebit gloriae et honoris ab operibus suis. Sic nos semper non contra opera et praemia, sed contra merita graciae et iustificationis pugnamus. 389 Ebd. 667, 35 ff. 10 ff. 390 Bek. 598, 10 ff; 599, 18 ff. 42 ff sei WA 43, 617, 33 (Gen. 29, 1 ff.) Qui enim non est Crucianus, . . . non est Christianus. Vgl. Bek. 677, 14 ff.; 10 I 1, 675, 22 ff; 38, 361, 7 ff
91 Bald aber wird der Jüngste Tag einbrechen. Dann werden alle Widersprüche zwischen Segen und Erfolg, zwischen Fluch und Unglück aufgehoben sein. Christus wird gerecht richten und allen seinem Worte gemäß vergelten. Darum soll der Christ unter allem Kreuz und Mißerfolg seine Hoffnung auf den lieben Jüngsten Tag setzen. Alle Verheißungen weisen letztlich auf die Ewigkeit und werden in ihr ganz erfüllt. Erst dann werden die guten Täter ihren vollen Lohn und die Krone des Lebens empfangen, welche Gott denen verheißen hat, die ihn liebhaben 392 . Diese auf die Ewigkeit bezogene Verheißung sieht Luther besonders klar in den folgenden Worten bezeugt : Lk. 14,14 Retribuetur in resurrectione iustorum 2. Kor. 1,14 In gloriam meam (ait Paulus) in die illa 2. Tim. 4,8 Reddet mihi coronam iusticiae Lk. 16,9 Recipiant vos in aeterna tabernacula Mt. 25,35 Esurivi et dedistis mihi manducare Mt. 16,27 Tunc reddet unicuique secundum opera sua393. Diese Worte sind wahrhaftige, den guten Tätern geltende Verheißungen. Weil die Frommen in diesem Leben den verheißenen Lohn oft nicht empfangen können, sollen sie im zukünftigen Leben desto reichlicher belohnt werden: »Primum observandum est, quod in hac vita non fit retributio uUa verae pietati vel impietati, Sed reservatur ad tribunal Christi. . . Secundum, Qui vult esse pius, hoc statuat, ut in futuro spem suam expectet«394. Obwohl wir alle vor Gott unsere Nichtigkeit erkennen müssen, sind wir doch seiner Liebe teilhaftig und werden nach unserem Liebesdienst ein jeder seinen speziellen Gnadenlohn empfangen. Wie in der Kirche wohl alle den gemeinsamen Glauben haben, und doch einzelne durch ihre Gaben die anderen überragen, so wird es auch in der Auferstehung sein. Luther kennt freilich keine Ehre und keinen Lohn im Gericht, die das übersteigen, was dem einzelnen gemäß der natürlichen Ausrüstung und der zugeteilten geistigen Gaben von Gott zugedacht ist, ebensowenig wie er überschüssig gute Werke kennt. Eben der durch Gott bestimmte Rang in der Herrlichkeit wird dem treuen Diener als Gnadenlohn gegeben395. Die den Gaben und der Treue entsprechende Herrlichkeit wird auch am Auferstehungsleib sichtbar. Obwohl die Leiber aller Christen in der Auferstehung der ewigen Herrlichkeit teilhaftig werden, wird diese Herrlichkeit am Leib der treuen Diener mit besonderem Glanz scheinen. 392 WA 53, 401, 35 ff. (Vorrede zu Urb. Rhegius 1542) Ideo oremus Deum, ut quam primum illucescat ille dies Ecclesiae laetissimus, quo Christus palam se ostendet mundo et resuscitatis mortuis diabolum et impíos in aeternas poenas abiiciet et glorificabit coetum, qui in magnis aerumnis in hac vita Euangelio obtemperavit. 383 WA 30 II 667, 21 ff. (De loco Iustif. 1530) und 38, 644, 30 (Annotat. Mt. 1538). 384 Ebd. 644, 30 ff. 36 ff. 396 WA 30 II 668, 11 ff. Et alia opera remunerabuntur, ut sedeant super XII thronos etc., ut non solum sint salvi, ex fide (quae sola iustificat et salvat), sed eciam secundum suum quisque laborem illic regnet in ipsa vita et salute, singulari quodam dono, sicut hic in Ecclesia ultra fidem communem quilibet singulari suo dono aliis praestat, ita et resurrectio mortuorum.
92 Gleich dem Angesicht Christi, das auf dem Berge Tabor strahlte wie die Sonne, sollen auch die Leiber der treuen Diener wie die hellsten Sterne leuchten 396 . Welcher Mensch aber erhöht wird und welcher erniedrigt, das steht dennoch letztlich in Gottes Hand 3 9 7 . Gewiß ist, daß derjenige verworfen wird, der auch im Dienst am Nächsten die Gnade Gottes verdienen will und nur den eigenen Lohn sucht 398 . Christus eifert um den Nächsten, und wer in seiner Nachfolge steht, betet und strebt danach, daß den anderen geholfen werde, ohne das Eigene zu suchen. Niemand darf damit rechnen, bevorzugt zu sein. Viele, die jetzt die Ersten sind, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein 399 . Jeder soll seinem Nächsten seinen Gaben gemäß dienen in dem Bewußtsein, daß jeder nur sein eigenes T u n verantworten soll400. Obwohl es in der Kirche nur einen Glauben und nur eine vor Gott geltende Gerechtigkeit gibt, finden sich dennoch verschiedene Gaben, Unterschiede in der Treue und verschiedener Lohn. Die Kinder Gottes sind »im Glauben gleich, in der Ehr ungleich« 401 . Besonders, wenn der Liebesdienst des Christen mit Leiden und Undank gelohnt wird, soll die göttliche Verheißung zur Geduld im guten Werk helfen. Sehr schön heißt es im Beschluß der Wochenpredigten über Mt. 5—7: »wer am meisten erbeitet und leidet, sol auch deste herrlicher Vergeltung haben« 402 . »Gott wil uns. . . feste machen durch solche schone verheissung, das wir nicht undanck, hass, neid und Verachtung der weit ansehen, Sondern j n ansehen, der da spricht : Ich bin dein Gott, Wil dir die weit nicht dancken und nimpt dir ehr, gut, leib und leben druber, so halte dich an mich und tröste dich des, das jch noch einen himel habe und soviel drinnen, das jch dirs wol vergelten kan und zehen mal mehr denn man dir jtzt nemen kan« 403 . Unter Leiden und Kreuz weichen indessen die Gedanken an relative Belohnung und Vergeltung der einen großen, alle Herrlichkeit überragenden Hauptsache: Ich werde bald meinen Erlöser sehen. Er ist mein überaus großer Lohn! »Umb des willen wil ich alles thuen und 396 WA 36, 635, 6 ff. (Pred. 1532 1. Kor. 15, 34 f.) hoc corpus manebit, . . . sed clarius sole. Et tarnen erit differentia viri, mulieris, ut hic vixerunt, das Paulus sey gewest Apostel, Esaias, quod plus fecerit quam lonas, Et quod Sara sit etwas sonderlich, sive Eva, Rachel, Lea etwas prae aliis mulieribus. 636, 4 ff. Propheta Esaia percussit Regem Assyriae, das wird leuchten. Mulier venit mit yhren ehren, quod bene educavit liberos. In fide gleich, in der ehr ungleich. W A T R 6, 153, 1 ff. (Aurifabers Samml.) ein Sterne ubertrifft den andern nach der Klarheit, aber Gott liebet nicht weniger den Stern Saturni denn die Sonne und Mond. 397 WA 11, 12, 21 ff. (Pred. 1523 Mt. 20, 1 ff.) »quod rectum est, dabo tibi et iniuriam tibi non facio« ec. quod stet nude in manu dei et nemo vermessen sei, quod sua iusticia deo acceptus sit. 398 Ebd. 19, 36 f. (Lk. 8, 4 ff.) Vides ergo, quomodo Euangelium omnibus adversatur operibus, per quae volumus deum nobis demereri. 399 Ebd. 13, 35 »Novissimi« 1. locus est terribilis, 2us est consolatorius . . . Isti loci serviunt ad humiliationem nostri et exaltationem in deum. 400 A Anm. 266. 101 WA 36, 636, 5. 402 WA 32, 543, 37 f. (Wochenpred. 1530—32 Mt. 5, 12; 19, 29; Hebr. 10, 35). 403 Ebd. 541, 39 ff.
93 leiden, der mirs so reichlich verheisset und spricht: Ob du wol zuvor on das durch Christum allen schätz j m himel und mehr denn gnug hast, Doch wil jch dir noch mehr geben zur zugäbe: das du das himelreich offenbarlich habst und Christum, den du jtzt j m glawben hast, sichtiglich anschawest jnn ewiger herrlichkeit und freude, soviel mehr du jtzt leidest und erbeitest« 404 . Es gehört also zur Theologie des Kreuzes sowohl das Leiden in der Nachfolge Christi als auch die Hoffnung auf den Gnadenlohn, der uns in der zukünftigen Herrlichkeit erwartet. Der beherrschende Gedanke ist jedoch, daß wir Christus selbst von Angesicht zu Angesicht in seiner Herrlichkeit sehen werden und ewig bei ihm bleiben dürfen. Die selige Hoffnung der Gläubigen besteht in allem Leiden darin, Christus entgegen zu gehen und ihm in der Auferstehung bald zu begegnen 405 . Auch der Gottlose, der nicht in der Glaubensgemeinschaft mit Christus seinem Nächsten gedient hat, geht dem Gericht entgegen und wird seine Vergeltung finden. Welches furchtbare Feuer wird es sein, wenn wir im Tod und am Tage des Gerichts der Menschen gedenken und ansichtig werden, denen durch unsere Versäumnis und Bosheit nicht geholfen worden ist! 406 Die evangelische Erkenntnis hilft denen nicht, die die Diener am Wort haben hungern und die Kirchen wüst stehen lassen. »Multo tieffer in hell« sollen solche Heuchler ihren Lohn finden407. Im ewigen Gerichtsfeuer werden sie durch die verdammende Anklage ihres eigenen Gewissens gemartert werden 408 . Auf diese Gewissensnot sind die Worte von der ewigen Vergeltung zu beziehen: womit jemand sündigt, damit wird er auch gestraft 409 . Wie aber in der Herrlichkeit der Lohn letztlich der Herr selbst ist, so besteht auch im verdammenden Gericht das eigentlich Furchtbare darin, daß der Verurteilte hören muß : »Weiche von mir«, und also mit seinem anklagenden Gewissen von Gott ewig geschieden wird 410 . 2. D i e s e k u n d ä r e E n t s c h e i d u n g n a c h d e n W e r k e n ü b e r d a s große E n t w e d e r - O d e r Wie die hl. Schrift, so lehrt auch Luther, das Gericht nach den Werken trage nicht nur relativen Charakter, sondern bedeute eine absolute Scheidung zwischen Guten und Bösen. Das Gericht geschieht um der Menschen und der Mächte willen : alle sollen erkennen, daß Gott in seiner Entscheidung gerecht ist und daß die in seiner Sorge für die Menschen begründeten Verheißungen und Gerichtsdrohungen wahrhaftig sind. Ebd. 542, 8 ff. WA 17 I 225, 4—14 (Pred. 1525 1. Thess. 4, 13 ff.). 406 Siehe oben A I I I 2. 107 WA 45, 326, 21 ff (1537 Rörer Mt. 25, 31). «β WA 11, 130,20 (Pred. 1523 Lk. 16, 19) sequentia omnia secum in conscientia loquitur, wer es versaumbt in disem leben, es ist der iamer und hertzenleyt, wen gottes gericht anghen, neque quis sentit nisi experiatur. Vgl. 5, 590, 26 (Op. in Psalm. 1519— 1521) neque enim dies iudicii ad momentum durabit. io» W A 4 1 ; 299, 7 ff. (Pred. 1535 Rörer Ps. 110, 5) Abraham thut ims zur straffe, zeiget im nichts nisi Lazarum. Per quae quis peccat, per illa punitur. 410 WA 45, 325, 14 ff. (Pred. 1537 Mt. 25, 31). 404
405
94 Die in Gottes Erbarmen und rechtfertigendem Handeln begründete Zugehörigkeit der Gotteskinder zu Gottes Reich erweist sich gerade in ihrer Liebestätigkeit, die die Menschen bezeugen werden, denen zugute sie geschehen ist. Im Gericht soll also offenbar werden, was die ganze Kreuzestheologie bezeugt, daß der Herr nicht das Seine sucht. Der Herr hat gesagt, daß diejenigen, die den Menschen Gutes tun, zum Leben eingehen sollen, während die Bösen unter der Verdammnis bleiben sollen. Demgemäß soll am Jüngsten Tag in vollem Ernst nach den Werken gerichtet werden; dabei wird es zugleich offenbar werden, daß diejenigen, die das Gute getan haben, mit den wahren Gläubigen identisch sind411. Nicht den Glauben ergänzend oder ersetzend, sondern ihm untergeordnet und ihn bestätigend entscheiden die Werke im Jüngsten Gericht das große Entweder-Oder. Nach dem Maßstab der Liebe werden die Werke bewertet, gelobt oder verdammt; je nach den Werken werden wir, die Personen, als selig oder unselig gefunden. So heißt es bei Luther über Johann Hus, er solle am Jüngsten Tag vor der ganzen Welt, speziell angesichts seiner Ankläger und Mörder als gerecht dargestellt werden. Dagegen werden diejenigen, die sich selbst gerechtfertigt haben, verdammt, weil sie — nach göttlichem Urteil — Hus nicht wegen, sondern trotz seiner Werke richten konnten: »Ideo ego quoque contra, reddam ei secundum opera sua et salvabo, Et illis secundum opera sua, et damnabo eos«. Sowohl bei Hus als auch bei seinen Gegnern besteht also eine genaue Übereinstimmung zwischen dem, was sie glauben, und dem, was sie bekennen und tun 412 . Luthers Bestimmung des Verhältnisses zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und dem Gericht nach den Werken läßt sich durch zwei parallele Linien veranschaulichen. Was auf der unteren Linie der Werke stattfindet, ist prinzipiell durch das bedingt und entspricht dem, was auf der oberen Linie des Glaubens gilt und geschieht. Die theologische Unterscheidung zwischen der Rechtfertigung in loco iustificationis und dem Gericht extra locum iustificationis darf nicht nur als eine in der Zeit geltende verstanden werden. Auch am Jüngsten Tag, wenn nach den Werken gerichtet wird, gilt bei Gott Christus als die Gerechtigkeit der Gläubigen. Durch diese Gleichzeitigkeit der eschatologischen Rechtfertigung bzw. Verdammnis um des Glaubens bzw. Unglaubens willen und des Gerichts nach den Werken wird letzterem seine angemessene Bedeutung zuteil. Da nach der Anschauung Luthers die Werke als Zeichen des Glaubens bzw. des Unglaubens anzusehen sind, ist die im Gericht nach den Werken stattfindende Entscheidung prinzipiell als 411 WA 34 II 178, 9 ff. (Pred. 1531 Rörer Lk. 10, 23) In extremo die . . . wird deus Zeugnis nemen ex tuo ore, dicens: scisti diligendum et proximum, cur non fecisti? Et discernet inter eos, qui sciunt et faciunt. Videat igitur quisque, quomodo vivat. 45, 325, 13 Qui bocke, qui non fecerunt bona opera. Econtra. 327, 14 f. hi inveniuntur, qui recte credant, qui tales, faciunt ista opera. Vgl. 36, 446, 5 f.; 442, 13 f.; 451, 7 ff. 412 WA 38, 645, 10 ff.
95 eine Bestätigung der schon stattgefundenen existenziellen Entscheidung zu bestimmen. Gemäß der unumkehrbaren Zuordnung der Werke zum Glauben ist das Gericht nach den Werken der im Glauben bzw. Unglauben geschehenen Entscheidung zugeordnet; wegen der absoluten Überordnung der Rechtfertigung durch den Glauben über das Gericht nach den Werken ist das Bestehen in diesem Gericht trotz der dem Gläubigen anhaftenden Sünde möglich. In seinen Gerichtspredigten macht Luther unermüdlich auf den notwendigen Zusammenhang zwischen dem rechtfertigenden Glauben und den Liebeswerken aufmerksam. Daß er den Ernst des Gerichts nach den Werken keineswegs abschwächt, zeigen eben diese Predigten. Für Gläubige wie für Ungläubige hat dieses Gericht seinen entsetzlichen Ernst. So sieht Luther im Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus den Armen wegen seiner Güte mit Ehre bestehen, während dem reichen Mann nach Luther das Wort Mt. 25,42 gilt: »Ich bin hungrig gewesen, und du hast mich nicht gespeist«. Es besteht bei Luther kein Zweifel darüber, daß ein prinzipieller Zusammenhang besteht zwischen Glauben, guten Werken und Anerkennung im Gericht, bzw. zwischen Unglauben, bösen Werken und Verwerfung 413 . Um die Luthersche Anschauung des Gerichts zu beleuchten, vergleichen wir das eschatologische Gericht nach den Werken mit einem irdischen Gerichtsverfahren. Obwohl in foro nach konkreten Werken, nicht nach der absoluten Prüfung der Person in ihrem Herzenszentrum gerichtet wird, ergeht das Urteil doch über die Person. Dabei betrachtet jeder die Werke, nach denen der Angeklagte gerichtet wird, als Anzeichen der Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit der Person, die immer vor den Werken vorliegt und die im eigenen Gewissen bzw. Gott letztlich erkennbar ist. Weiter läßt sich das Verhältnis zwischen der Rechtfertigung und dem Jüngsten Gericht vergleichen mit der Prüfung eines Baumes einerseits nach seiner Art, seinem Wuchs und der Stelle, an der er steht, andererseits nach seinen Früchten. Es ist keinesfalls widersinnig, daß beide Prüfungen ernsthaft geschehen und beiden entscheidende Bedeutung zugemessen wird. So läßt es sich wegen des unauflöslichen Zusammenhangs zwischen der Person und ihren Handlungen, zwischen dem Glauben und den Liebeswerken wohl vereinbaren mit der eschatologischen Geltung der Rechtfertigung sola fide, daß bei Luther der Dienst am Nächsten als für die Ewigkeit entscheidend dargestellt wird 414 . Indem dem Gericht nach den Werken extra locum iustificationis sein Platz angewiesen wird, behält letztlich auch das durchs Evangelium abgelöste und aufgehobene Gerichtswort noch einen Platz hinter und jenseits des Evangeliums. Auch die durch den Glauben Gerechten, die in der Auferstehung unmittelbar zur Rechten Christi stehen werden, sollen im Gericht nach den Werken geprüft werden. Durch diesen Ge413 414
Siehe oben A Anm. 348. WA 38, 647, 5 f. 31 ff.
96 danken wird ohne Einschränkung des Evangeliums der Ernst der Gerichtsverkündigung unterstrichen. Wäre durch die Rechtfertigung die eschatologische Prüfung der Werke völlig aufgehoben, dann läge es sehr nahe, das Gericht und auch das Gesetz als bloß hypothetische Vorstellungen und Worte zu denken. Für Luther steht es fest, daß auch der durch den Glauben Gerechte die Offenbarung seiner Werke und ihrer Prüfung nach Gottes 10 Geboten im Gericht am Jüngsten Tag entgegen geht. Die Frage ist nun, ob nicht auf diese Weise trotz allem das neue Leben der Gläubigen dennoch unter die Forderung des Gesetzes gestellt wird, und ob nicht die Hoffnung auf die Seligkeit, j a sogar der Glaube an Christus unter den Schatten des Gesetzes als des letzten Wortes Gottes geraten muß. Diese Frage, die von außerordentlicher, seelsorgerlicher Tragweite ist, werden wir im folgenden zu beantworten suchen, indem wir prüfen, wie nach Luther das Gericht nach den Werken sich existenziell auswirkt im Gewissen und Handeln derer, die ihm entgegen gehen. Erst wenn dieser existenzielle Aspekt des Gerichts untersucht ist, können wir unsere Studie als vollendet ansehen. Für Luther hat j a das Gericht kein spekulatives Interesse 415 . Obwohl man nicht von einer Entmythologisierung der biblischen Gerichtstexte bei Luther reden kann, liegt für ihn immer großer Nachdruck auf der in der Zeit stattfindenden existenziellen Konfrontierung des einzelnen mit dem Gericht — damit er im Glauben bleiben, dem Nächsten dienen und am Jüngsten Tag mit Freude bestehen könne.
«s WA 11, 44, 17 (Pred. 1523 Mt. 15, 21 ff.) Quando credit homo se damnatum, hoc est extremum iuditium. — Über den existenziellen Charakter der Theologie Luthers überhaupt siehe z. B. L. Pinomaa, Der existenzielle Charakter der Theologie Luthers S. 3 ff.
Β. D A S G E R I C H T N A C H D E N W E R K E N A L S A K T U E L L E U N D ALS ETHISCHER
ERFAHRUNG
ANSPRUCH
I. Luthers nahe Erwartung des Jüngsten Gerichts Das Jüngste Gericht als das große endgeschichtliche Ereignis und Christus als der gerechte Weltenrichter waren für die mittelalterliche Frömmigkeit große, die Gewissen ergreifende Grundwahrheiten. Der Gerichtsgedanke war in der Regel mit apokalyptischen Vorstellungen verbunden. Das Gericht sollte durch bestimmte endgeschichtliche Begebenheiten angekündigt werden 1 . Besonders durch Augustin war das in der Johannesapokalypse bezeugte, dem Jüngsten Gericht vorausgehende tausendjährige Reich kirchengeschichtlich umgedeutet worden 2 . Die 1000 Jahre wurden als die Zeit zwischen Erscheinung und Wiederkunft Christi verstanden. Die Erwartung der Wiederkunft Christi zum Gericht und damit des Untergangs der Welt verdichtete sich folglich gegen Ende des Jahrtausends und dann zum Jahr 1033. Als dieser Termin überschritten war, erhielt die chiliastische Auslegung der Apokalypse neuen Antrieb. Doch bestand die Gerichtsstimmung und die Weltuntergangserwartung weiter und wirkte auf die religiösen Bewegungen ein. Auch die Apokalyptik lebte mit dem Ende des 10. Jahrhunderts wieder auf und bewirkte ζ. B. bei Petrus Lombardus eine noch stärkere Betonung des Endgerichts 3 . Von dieser Gerichtserwartung ist nun Luther besonders beeinflußt. Für ihn als angefochtenen Jüngling und Mönch war das Jüngste Gericht, in dem er vor Gott stehen und nach seinen Werken gerichtet werden sollte, das wichtigste und wirklichste aller Ereignisse. Das Richten war ihm die zentrale Aufgabe und der Richter wesentliches Attribut Christi. Speziell in Lebensgefahr wurde das Gericht wirklich erlebt; überhaupt ist es dem angefochtenen Gewissen eigentümlich, daß Todesnot, Tod und Jüngstes 1
Siehe J. Köstlin, Beiträge zur Eschatologie der Reformatoren; H. Preuss, Die Vorstellungen vom Antichrist; Sabine Förster, Das Jüngste Gericht bei Luther; W. von Loewenich, Luther als Ausleger der Synoptiker S. 201 ff. 2 Augustin hat diese Gedanken von dem Kommentar zur Johannesapokalypse des Donatisten Ticonius übernommen, siehe RGG 3. Aufl., Bd.I, Sp. 1652. 3 Vgl. Hermelink und Maurer, Handbuch der Kirchengeschichte III: Reformation und Gegenreformation S. 53. 4
98 Gericht in eins gefaßt und erlebt werden. Die Klage des Mönchs: mea culpa! entspricht diesem existenziellen Gerichtserlebnis. Für Luther ist das Jüngste Gericht seinem Wesen nach nichts anders als das, was er im Gewissen fühlt 4 . Die gegenwärtige Wirklichkeit des Gerichts im Gewissen hebt aber nicht das Gericht am Jüngsten Tag auf. Vielmehr entsprechen dem furchtbaren existenziellen Erlebnis des Gerichts die dramatische Schilderung der eschatologischen Gerichtsszene und die Verkündigung der herrlichen, unerwarteten Ankunft des Herrn in den Wolken. Die starke apokalyptische Spannung im allgemeinen Zeitbewußtsein hat Luther in besonderem Maße geteilt. Das wundert nicht; ganz natürlich hängen mit dem Glauben an das reale, endgeschichtliche, bald einzutreffende Gericht apokalyptische Vorstellungen zusammen 5 . Dem konkreten Gericht am Jüngsten Tage gehen konkrete geschichtliche Ereignisse voraus; das hatte Luther aus der hl. Schrift gelernt. Die besten Beispiele bilden seine Predigten über den Text am 2. Adventssontag, Luk. 21, 25ff. 6 Luther sagt, man könne ein ganzes Buch füllen mit den Zeichen, die unter uns geschehen sind und auf das bevorstehende Weltende hindeuten 7 . Schlüssel zur Deutung der außergewöhnlichen Ereignisse am Himmel, wie der Kometen und des vermehrten Sternenfalls sind ihm sowohl astrologische Vorstellungen als auch Bibelworte. In dieselbe Richtung deuten gewaltige Stürme und Überschwemmungen 8 . Die Naturkatastrophen werden meist als natürliche Vorgänge verstanden, die Gott seit Beginn der Welt zu Zeichen bestimmt hat. Luther kennt jedoch auch direkt wunderbare Ereignisse, die wider alle mathematica sind, wie die vom Himmel fallenden Kreuze und das dem Tiber entstiegene Untier 9 . Man soll indessen nicht allerlei Mirakel ' WA 40 I 298, 28 ff. (Galaterbrief 1531, Gal. 2, 20) pestilentibus illis opinionibus, quibus a puero sic imbutus eram, ut conterritus palluerim audito tantum nomine Christi, quia persuasus eram eum esse iudicem. Vgl. 11, 44, 17; 10 I 2, 102, 1 ff. (Adventspostille 1522); 5 , 2 0 4 , 1—8 (Operationes in Psalmos 1519—21). Siehe E. Vogelsang, Der angefochtene Christus S. 36 Anm. 22 und P. Bühler, Die Anfechtung . . . S. 52 Anm. 162. 5 Luther lag eine prinzipielle Enthistorisierung des neutestamentlichen Kerygmas ebenso fern wie eine Entapokalyptisierung der Eschatologie, die in neuerer Theologie geltend gemacht wird, siehe z.B. P. Althaus, Die christliche Wahrheit S. 682 und R . Prenter, Skabelse og Genlosning, Dogmatik II S. 595 ff. (dt. Schöpfung und Erlösung II S. 517 ff.) vgl. die Rezension durch W. Lohff in T h L Z 10, 1960, Sp. 734: »Prenter möchte geradezu eine 'Entapokalyptisierung der Eschatologie' fordern«. 6 Predigten über Lk. 21, 25 ff. : WA 7, 487 ff. (Lat. Adventspostille 1521) ; WA 10 I 2, 93 ff. (Adv.post. 1522); 11, 207 ff. (1523 Rörer); 17 I 481 ff. (1525 Rörer); 20, 580 ff. (1526 Rörer); 21, 15 ff. (Roths Winterpostille 1528. Vorlage nicht nachzuweisen); 27, 445 ff. (1528 Rörer); 29, 617 ff. (1529 Rörer); 32, 226 ff. (1530 Rörer); 34 II 459 ff. (1531 Rörer); 36, 379 ff. (1532 Rörer); 37, 204 ff. (1533—34 Rörer) = 52, 16 ff. (Hauspostille 1544); 45, 335 ff. (1537 Rörer). Zum Folgenden siehe besonders von Loewenich, . . . Synoptiker S. 201 ff. 7 WA 32, 228, 15 — 229, 15; 27, 450, 10 ff; 37, 205, 4 ff; 616, 1 ff. 8 WA 10 I 2, 104, 3—105, 12. 9 WA 37, 204, 2 a principio mundi. Ζ. 28 ff duplicia signa, . . . ob sie wol naturaliter zugehen, sinds doch gleichwol zeichen. Sed alia sunt, quae non praesciuntur, die plötzlich her fallen wider alle mathematica. 11, 207, 14 ff. ; 1 0 1 2 , 99, 15 ff. ; 105, 7 ff.
99 erwarten. Das gesteigerte Maß der natürlichen Ereignisse sind die verheißenen Zeichen, die der Glaube erkennt, während für die Welt auch die offenbaren Zeichen verborgen bleiben10. Darum wird der Jüngste Tag wie ein Fallstrick kommen. Das gilt auch dem gewissesten Zeichen des nahen Endes: der »Greuel der Verwüstung« — die Verkehrung von Gottesdienst und Gotteswort11. Neben dem Papst und seinen sophistischen Theologen verfinstern die Schwärmer das göttliche Licht 12 . Der Antichrist ist schon in der Weltarena gegenwärtig und zwar unter zwei Gestalten — der des Sultans und der des Papstes13. Wohl ist das Joch des Papstes schon gebrochen ; das hilft aber nicht, wenn das Volk nicht glaubt. Nie waren die Menschen so irdisch gesinnt wie jetzt; kaum jemand kümmert sich um sein Heil 14 . Die Bauern wie der Adel verachten das Evangelium 15 . Diese Zeichen in der Volkswelt reden ihre deutliche Sprache : die Welt ist alt geworden, leidet am Altersgeiz18 und ist wegen Unglaubens für das Gericht bereit. Wenn das Volk so weitermacht, wird es den Türken übergeben 17 — und dann ist der Jüngste Tag nicht fern 18 . Den Zeitpunkt seiner Wiederkunft hat Jesus nicht bestimmt, damit wir immer bereit sein sollten19. Zwar nimmt Luther an, es werde Einzelne geben, denen Gott die Zeit offenbaren wolle, so wie dem greisen Simeon sein Ende vorhergesagt wurde 20 . Luther selbst aber beruft sich auf keine besonderen Offenbarungen. Dennoch stellt er über den Zeitpunkt des Weltendes Berechnungen an. Er schließt sich dem alten jüdischen Gedanken an, die Welt solle etwa 6000 Jahre währen. Nach der von Melanchthon bearbeiteten Weltchronik Carions arbeitet er seine »Supputatio annorum mundi« aus21. Hier entspricht das Jahr 1540 nach Christus dem Jahre 5500 der Welt. Dies bedeutet indessen nicht, daß man erst nach Jahr10
WA 17 I, 481, 13 ff.; 10 I 2, 93, 21 ff. WA 10 I 2, 97, 9 ff. und 29, 615, 1 ff. (Mt. 25, 15 ff.). WA 32, 229, 11—230, 6. 13 WA 39 II 62, 1 f. (Zirkulardisp. üb. Mt. 19, 21, 1539) imminere diem extremum, qui perdat bestiam, Turcam et monstrum papam. 21 ff. Longe aliud de papa quam de tyrannis cogitandum, quod principaliter totius mundi animas petit, sicut Turca totius mundi corpora, quia sunt duae bestiae in novissimo tempore, quas sequetur dies novissima. Vgl. 47, 611, 1 ff. 14 WA 29, 619, 9 ff. homines nunquam tarn solliciti pro victu et mundano regno ut iam . . . Sic facit mundus, weils ein alter greys ist worden. 20, 582, 17 ff. Et hoc vocat signum sui adventus, quod . . . etiam deteriores reddi homines, quia der zwang hat auffgehort sub Papa, iam non urget Euangelium, ergo nemo curat. 16 WA 45, 338, 26. 16 WA 37, 616, 29 ff. » WA 45, 328, 36; 329, 10.16 (Pred. 1537 Rörer Mt. 25, 31 ff). 18 WA 46, 498, 7 ff. (Pred. 1538 Rörer Lk. 10, 23 ff). Z. 9 Germania vastata cogito extremum diem non longe abesse. 18 WA 20, 544, 2 ff. (Pred. 1526 Rörer Mt. 9, 18). 20 WA 11, 16, 10 ff. (Pred. 1523 Rörer Lk. 2, 22 ff.). 21 1541, vergrößerte Ausgabe 1545. Johannes Carion (1499—1537), Mathematiker und Astrolog am Hofe des Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg, ließ seinen Lehrer Melanchthon das Manuskript seiner Weltchronik überprüfen, die 1532 unter dem Titel erschien, »Chronica, durch Magistrum Johan Carion fleissig zusamen gezogen, meniglich nützlich zu lesen«. Siehe WA 53, 13 Anm. I; 22, 1 ff.; 170 f. und dazu E. Staehelin, Die Verkündigung des Reiches Gottes in der Kirche Jesu Christi IV, S. 65 f. Über Carion siehe WA 53, 10; 50, 143 f. 11 12
100 hunderten das Weltende erwarten kann. Das 6. Jahrtausend wird nicht erfüllt werden, so wie auch die drei Tage des Todes Christi nicht erfüllt wurden. Christus ist schon mitten im 3. Tage auferstanden; demgemäß ist auch seine Wiederkunft nun um die Mitte des 6. Millenniums zu erwarten22. Der Herr wird gewiß vor der Zeit kommen und zum Ende eilen23. Darum rechnet Luther damit, der Jüngste Tag stehe unmittelbar vor der Tür, da die Welt ihm als reif für das Gericht erscheint. Ja, Luther hofft von ganzem Herzen, daß »diem illum imminere« 24 . Die Wiederkunft Christi zum Weltgericht ist ihm der große Freudentag, da an ihm das Reich Gottes in ewiger Herrlichkeit errichtet werden soll25. So grundlegend ist die Einstellung Luthers zum Gericht durch seine neue evangelische Erkenntnis verwandelt worden. Er, den vorher ein rauschendes Blatt vor dem Gericht zittern ließ und dessen Gewissen durch den Gedanken an den zornigen Richter geprägt war26, er erhofft nun zuversichtlich das Heil für sich selbst und die ganze gläubige Gemeinde Christi 27, obschon er immer noch den großen Gerichtsernst erkennt. Den Ungläubigen und Bösen wird der Jüngste Tag wie Gift sein; ihnen wird Christus nur als verdammender Richter erscheinen28. Auch für die Bekenner des Glaubens besteht die Gefahr des Selbstbetruges ; ein Glaube, der nicht seine guten Früchte trägt, ist ein Scheinglaube, der nicht im Gericht bestehen wird29. Die im wahren Glauben Bewahrten sollen aber gewiß am Jüngsten Tag von allem Leiden erlöst werden und je nach ihren Werken ihren ewigen Gnadenlohn bekommen 30 . Von
22 W A 53, 171, 1 ff. vgl. 47, 621, 17 ff. (Ausi. v. M t . 18—24 1537—1540) Die weit h a t n u n gestanden funff tausend funff h u n d e r t u n d etzliche j h a r , n u n sol i m sechs tausendten j h a r das ende kommen, und wird dasselbige letzte tausend j h a r nicht erfüllet werden. Den Gott pflegt also zu thun, wie in der aufferstehung Christi, Gleich in der helffte des dritten tages, do stehet er von den todten auff. Wie, wen auch mit der helffte des sechs tausendten jhars der jüngste tag kerne? Den der Papst feit, der Turcke stehet noch, aber nicht lange, so lebet die weit im sause . . . Also sollen wir halten vom jüngsten tage u n d auch gleuben. Aber die andern, als die gottlosen, wen sie sehen werden die schwartze wolcken, werden sie sagen: Ej, hastu nicht zuvor eine schwartze wolcke gesehen oder gehört d o n n e r n ? 23 W A 53, 13, 22 f. 24 WAB 4 nr. 1042, 8 ff. (Brief a n Nik. H a u s m a n n 1526) Vere dicis, m u n d u m ruere, spero et ego diem illum imminere illustrationis adventus m a g n i Dei, Adeo fervent, ardent, movent, cadunt, ruunt, fremunt omnia ubique. 25 Vgl. Sabine Förster a.a.O. S. 12 : »Je toller es zugeht, desto verständlicher erscheint es ihm, wollte der jüngste T a g 'herzuplatzen' u n d alle Verwicklungen lösen, desto herzlicher klingt das kleine Stoßgebet: k o m m lieber jüngster T a g ! « 28 Siehe P. Bühler, Die Anfechtung . . . S. 39 A n m . 89: »folium sonans nach Lev. 2 6 , 3 6 ; 1,557, 11 = Gl. 1,56, 19; 3, 168, 15; 6, 166, 16; 12,443, 12 = Cl. 7,389, 17; 19, 226, 15; 42, 554, 8; 45, 563, 15; 45, 629, 26; 49, 18, 22«; vgl. Günter J a c o b , Der Gewissensbegriff . . . S. 27. 27 W A 37, 206, 15 ff; 45, 341, 1 ff. 28 W A 17 1 485, 30 ff Euangelium hoc suave piis, a m a r u m impiis. Letus erit adventus, quia erit 'vestra redemptio', vos letemini, alii expavefiant. 29 W A 36, 443, 1 ff. (Pred. 1532 Rörer). 30 W A 10 I 2, 110, 10 ff. (Adv.post. 1522 Lk. 21, 25 ff); 32,409, 17 ff; 410, 19 ff; 412, 30 (1530—32 M t . 6, 1 ff).
101 Herzen ersehnt Luther den Anbruch dieses Tages; darum sein immer wiederkehrendes Gebet: Komm, lieber jüngster Tag! 31 Wie aber Paulus 2. Thess. 2 die Gemeinden davor gewarnt hat, in Erwartung des nahen Gerichts den nüchternen Liebesdienst am Nächsten zu vernachlässigen, so schließt auch die starke Naherwartung Luthers nicht die verantwortliche Arbeit im Blick auf die irdische Zukunft aus32. Er ruft unermüdlich zur Errichtung von Schulen und Kirchen auf; die Kinder sollen erzogen und junge Männer für den zukünftigen Dienst im geistüchen und weltlichen Regiment ausgebildet werden33. Gegen die drohende Türkengefahr soll gerüstet werden34. Die Welt kann noch lange bestehen und noch viele in das Gnadenreich kommen 35 . Die apokalyptischen Vorstellungen finden sich in den Predigten Luthers nur, wenn die vorliegenden Perikopentexte es veranlassen. Sie dienen der Anschaulichkeit und der Aktualisierung des Gerichtsgedankens. Wo die Gerichtstexte keine apokalyptischen Gedanken enthalten, geschieht in der Predigt die Aktualisierung des Gerichts nur durch die Verkündigung des Evangeliums und des Gesetzes, wobei das Evangelium den rechtfertigenden Glauben schenkt und das Gesetz zur Buße treibt und zum Wirken reizt36. Wie er selbst ein Pilger ist, auf dem Wege zur Begegnung mit Christus, dem Herrn der Herrlichkeit, so zielt Luther in seinen Predigten darauf ab, daß seine Zuhörer in rechter Weise auf dieselbe Zukunft ausgerichtet werden. Sie werden dem erhöhten, zu existenzieller Entscheidung aufrufenden Herrn gegenübergestellt und zugleich mit dem zukünftigen 31 W A 36, 379, 28 ff. (Pred. 1532 Rörer Lk. 21, 25 ff.) cum dextera m a n u et toto corde sollen wir sein in expectatione huius diei, quando veniet in einer herrlichen majestet. WAB 10 Nr. 3966, 21 ff. (1544 an Mörlin) O tempora! O Sathan! Veni, veni, Domine Iesu, veni! Tempus faciendi, Domine, Amen. 6 Nr. 2043, 6 f. (1533 an Spalatin) Quid speremus aut petamus aliud, q u a m ut veniat Iudex ille et redemptor noster? 10 Nr. 3855, 6 f. ( 1543 an Jonas) Deus misereatur nostri et acceleret diem ilium redemptionis. 9 Nr. 3450, 11 ff. (1540 an Lauterbach) Orandus est Dominus pro ilio die illustrationis suae, ut q u a m citissime veniat. Veni, Domine Iesu, Amen. 9 Nr. 3512, 17 (1540 a n Katharina) kom, (lieber jüngster) Tag, Amen. 32 Siehe Sabine Förster a.a.O. S. 66 ff.; vgl. K . Holl, Ges. Aufs. I S. 336 A n m . 3: »der eschatologische Gedanke wirkt bei Luther immer nur spornend, nie hemmend«. 33 W A 45, 326, 5 ff. (Pred. 1537 Mt. 2 5 , 3 1 ff.); 15,43, 19 ff. (An die Ratherren aller Städte . . . 1524). 34 Der Krieg wider die Türken durfte nicht als ein Kreuzzug angesehen werden. Wird m a n u m der Sache Christi willen gegen die Türken Krieg führen, wird Gott nur Niederlage geben (WA 30 I I 113, 9 ff.). Der Kampf m u ß durch das weltliche Amt, nicht durch die Kirche geführt werden (133, 7 ff.) : »Also solt aber ein Legat auffm Reichstage mit den Reichsstenden handeln, Gotts gebot furhalten und eine unvermeydliche not draus machen und sagen: Lieben herrn, Keyser und Fürsten, Wolt yhr Keyser und Fürsten sein, so thut als Keyser und Fürsten oder der Turcke wirds euch leren durch Gots zorn und ungnade. Deüdschland odder Keyserthum ist euch von Gott gegeben und befolhen, das yhrs schützen, regiern, raten und helffen solt und nicht allein solt, sondern auch müsset bey verlierung ewer Seelen Seligkeit und göttlicher hulden und gnaden«. Siehe H . Buchanan, Luther and the Turks 1519—1529 S. 154. 35 Bek. 674, 1 f. (Gr. K a t . 2. Bitte). 36 Schöne Beispiele sind die fünf Predigten 1532 über 1. J o h . 4, 16 ff., W A 36, 416—474 (Rörer und Cruciger) und die Predigt über Mt. 25, 31 ff., W A 45, 324—329 (1537 Rörer, vgl. Crucigers Bearbeitung in der Sommerpostille 1544, W A 22, 410— 423).
102 Richter aller Menschen konfrontiert, dem Richter, der wahren Liebesdienst am Nächsten fordert, der aber vor allem auch am Jüngsten Tag seinen Gläubigen der Heiland sein wird. Immerhin ist der »Sitz im Leben« des Gerichtsgedankens und der Gerichtspredigt bei Luther das Herz und Gewissen des dem Dienst am Nächsten geweihten Wanderers zur Ewigkeit. Er verkündigt den jetzigen Zorn und das drohende Gericht, die er selbst zutiefst erkennt ; weiterhin ruft er, selbst durchs Evangelium getrost, zur glaubenden Teilnahme an der in Christus geoffenbarten Gerechtigkeit Gottes und zum Liebesdienst, der zur Freimütigkeit am Tage des Gerichts beitragen wird.
II. Die zeitlichen Gerichte Gottes als vorgreifende Realoffenbarungen des eschatologischen Gerichts Das Jüngste Gericht ist schon vorgreifend wirksam in den zeitlichen Gerichtskatastrophen, die als Realoffenbarungen des göttlichen Richterwillens zu betrachten sind37. Als existenzielle Erfahrungen und als Vorzeichen des Endgerichts dienen diese Katastrophen zur Warnung vor der Sünde, als Mahnungen zum Gesetzesgehorsam und als Antriebe zur Buße. 1. Christus, der über die Völker herrscht, ist mit dem im 1. Glaubensartikel bezeugten Gott, dem Schöpfer und Erhalter der Welt identisch38. Als Herr der Völker hält Christus schon hier in der Zeit Gericht und nimmt so das eschatologische Gericht partiell vorweg. Schon hier werden die »Guten« mit Frieden und Wohlfahrt gesegnet. Dem Liebeswillen Gottes entsprechend wird der hilfsbereite Dienst am Nächsten seinen Lohn finden: wenn dieser Lohn dem Ungläubigen wegen seines Unglaubens nicht in der Ewigkeit erstattet werden kann, so wenigstens in der Zeit39. In bezug auf den Beruf und die Werke kann Luther gewissermaßen auch von einem Gefallen Gottes an den Ungläubigen reden, so wie er die gute Obrigkeit als Ausdruck und Diener dieser Güte ansieht: »Denn Gott gibt und erhalt uns durch sie als durch unsere Eltern Nahrung, Haus und Hof, Schutz und Sicherheit« 40 . Normalerweise soll es einen großen Unterschied geben zwischen dem zeitlichen Schicksal der rechtschaffenen und der verbrecherischen Menschen, Familien und Völker: »Die Frommen aber und Gehorsamen 37 WA 40 II 228, 18 ff. (Enarratici Ps. II 1532/1546 Ps. 2, 5 Dr.) iudicia Dei non sunt abscondita, cernitur in clara luce tandem ira Dei, quem impii dormire putant nec iudicant attendere, quid ipsi moliantur. Exempla ante oculos sunt (Römerreich, Assyrien, Babylon). 39 WA 54, 67, 12 ff. (Von den letzten Worten Davids 1543) Ja Jhesus Nasarenus, am Creutz für uns gestorben, ist der Gott, der in dem Ersten Gebot spricht : »Ich der Herr bin dein Gott«. Vgl. Z. Iff.; 46, 733, 11 ff. (Ausi. Joh. 1—2 1538 Joh. 2, 13 ff.) Christus . . . zeiget . . . an, das er ein Herr sey, der beide Regiment in seiner hand hab. 39 WA 30 II 667, 11 f. (De loco Iustif. 1530) rémunérât temporaliter impiis, At aeternaliter piis. Neglectam punit. Vgl. A Anm. 388. » Bek. 599, 5 ff.; 594, 32 ff. (Gr. Kat. 1529).
103 haben den Segen, daß sie lange in guter Ruge leben und ihr Kindskind sehen . . . 'ins dritte und vierde Gelied'. Wie man auch erfähret, daß, wo feine, alte Geschlechte sind, die da wohl stehen und viel Kinder haben, freilich daher kommen, daß ihr etliche wohlgezogen und ihre Eltern fur Augen haben gehabt. Wiederümb stehet geschrieben von den Gottlosen Psal. 109: 'Seine Nachkommen müssen ausgerotten werden, und ihr Name musse in einem Gelied untergehen'. Derhalben lasse Dir's gesagt sein, wie groß Ding es ist bei Gott iimb den Gehorsam, weil er ihn so hoch setzet, ihm selbs so wohl gefallen lässet und reichlich belohnet, dazu so strenge darüber hält zu strafen, die dawider tuen« 41 . Diese Verheißungen und Drohungen gelten auch dem Verhalten der Obrigkeit gegenüber, da die weltliche Obrigkeit mit ihren Gesetzen und ihrem Schwert das Instrument des göttlichen Richterwillens ist42. In »Ein Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern«, 1525, sagt Luther, daß die weltliche Obrigkeit, »wilchs ist nichts denn Göttlichs zorns diener über die bösen und eyn rechter vorlaufft der hellen und ewiges todtes, soll nicht barmhertzig, sondern strenge, ernst und zornig seyn ynn seynem ampt und werck«43. Luther knüpft hier an alttestamentliche Gedanken an, indem er auf Ex. 21,14 und Hebr. 10,28 hinweist. Luther sieht freilich ein, daß der obrigkeitliche Gebrauch des Schwertes scheinbar ein unchristliches und liebewidriges Werk ist. Besonders gilt das vom Krieg, der die schwerste Plage auf Erden wäre — wenn nur die Menschen fromm und friedlich wären. Weil aber die Menschen in ihrer Bosheit sich allerlei Übergriffe zuschulden kommen lassen, kann ein Verteidigungskrieg das kleinere Übel sein im Vergleich mit dem ständigen Unfrieden, der dann einreißt, wenn die Obrigkeit das Schwert nicht führen kann oder will. In Wirklichkeit tut die Obrigkeit durch das Schwert ein Werk der Liebe, indem sie die Guten schützt und den Bösen eine Schranke setzt44. Die Königsherrschaft Gottes »zur Linken« bewährt sich wesentlich in 41 Ebd. 595, 27 ff. — Freilich erkennt Luther, auch he dnische Völker können gut gedeihen: indicat Moses benedictionem corporalem, quae contigit Esaù . . . Quia est ortus de sanguine summi Patriarchae, neque quicquam amisit praeter promissionem seminis (WA 44, 215, 18 ff. 1535—1545 Gen. 36, 2 ff). Vgl. Fr. Lau zur Stelle (Das Heil des Volkes und das Evangelium S. 9): »Man kann heute sagen hören: naives Heidentum kann äußerlich gedeihen, ein vom Evangelium abgefallenes Volk muß auch äußerlich zugrunde gehen. Der Satz trifft wohl das Rechte; dennoch wollen wir nicht übersehen, daß Luther von einzelnen Volksschicksalen zu wissen glaubt, da das Volk die Christusverheißung beiseitegeworfen und dennoch seinen äußeren Wohlstand behalten hat«. Ebd. S. 21 : »Es gibt für Gott kein Muß . . . Dennoch mag stehen bleiben, was Luther sagt : so ewiger und zeitlicher Segen zusammen sind, da werden die Leute auch beider zusammen verlustig gehen« (:Ita confirmata est benedictio corporalis huius tribus, quam retinuerunt, donec habuerunt spiritualem, ea vero finita amiserunt etiam fundos et possessionem, atque in Assyriam translati sunt, WA 44, 784, 29 ff. Gen. 49, 14 ff). « Bek. 596, 17 ff. 43 WA 18, 389, 31 ff. 44 WA 30 II'554, i 5 f. (Kinder zur Schule halten 1530) das welltlich regiment erhellt zeitlichen und vergenglichen friede recht und leben. 555, 1 f.; 19, 626, 15 ff. (Ob Kriegsleute . . . 1526).
104 der dauernden Erhaltung und Ordnung der Welt; dadurch werden die äußeren Möglichkeiten zur Verkündigung des glaubenwirkenden Evangeliums geschaffen 45 und weiterhin auch die in Selbstsucht und Eigenliebe lebenden Menschen zum Dienst am Nächsten gezwungen 46 . Darum ist es, je nach Gabe und Berufung, auch Pflicht der Christen, politische Aufgaben zu erfüllen und die Gerichte Gottes durch Ausübung weltlicher Macht an den Verbrechern zu vollziehen47. Prinzipiell gilt, daß die Kinder Gottes selbst nicht der weltlichen Obrigkeit bedürfen 48 . Insofern sie aber noch Sünder sind, muß die Obrigkeit auch ihnen zu rechtschaffenem Leben helfen. Es ereignet sich nämlich immer wieder, daß Christen, der Verführung des Teufels unterliegend, sich gegen die Gebote Gottes verfehlen und die Stütze durch die lex civilis nötig haben. Die Christen können auch gegen die bürgerlichen Gesetze verstoßen. Die prinzipielle Aussage Luthers, Christus sei nicht den Christen, sondern der Welt ein iudex, wird also dahingehend ergänzt: insofern die Christen noch Sünder sind, ist er auch ihnen ein Richter durchs Gesetz und das weltliche Amt, gleichwie sie der Belehrung und Weisung durchs geistliche Amt bedürfen 49 . Luther erkennt ebenfalls die großen ethischen Unterschiede, die unter den Weltmenschen bestehen50. Ihre Werke reichen von der liebevollen Sorge um die Kinder bis zu den Gewalttaten der Tyrannen und Antichristen. Gott belohnt und straft die Täter, je nachdem ihre Werke den Menschen nützen oder schaden, indem er in großer Geduld gegenüber der Lieblosigkeit und dem Unglauben der Herzen Nachsicht übt 51 . Nach dem Willen Gottes werden wir in Zucht gehalten durch die Unsicherheit des Lebens und durch die mühevolle Arbeit um das tägliche Brot auf
" WA 40 II 287, 27 ff. (Enarr. Ps. II 1532/1546 V. 11) Reges . . . debent. . . hunc Regem revereri et eum audire ac suas leges secundum huius Regis verbum moderari, hoc est, nihil statuere, quod Verbo Christi contrarium est. 23, 9, 24 ff. (Vorrede z. Joh. Lichtenbergers Weissagung 1527) Weil Gott die gottlosen ynn welltlicher öbirkeit durch sich und seine Engel regirt . . . allermeist umb seines worts willen, das es muge gepredigt werden, wilchs nicht kondte geschehen, wo nicht fride ynn landen were. 4β WA 19, 629, 22 ff. (Ob Kriegsleute . . . 1526) ein weltlich regiment durchs schwerd, auff das die ienigen, so durchs wort nicht wollen frum und gerecht werden zum ewigen leben, dennoch durch solch weltlich regiment gedrungen werden, frum und gerecht zu sein für der weit. 47 WA 30 II, 560, 30 ff. (Kinder zur Schule halten 1530) ein grosse ehre sein, wenn du sehest deinen son einen Engel jm Reich und einen Apostel des Keisers, da zu einen eckstein und grundfest des zeitlichen frides auff erden. 561, 1 ff. 48 WA 11, 271, 3 f. (Von weltlicher Oberkeit 1523) Es ist unter den Christen keyn uberster denn nur Christus selber ünd alleyn. 49 WA 6, 410, 5 ff. (An den christl. Adel 1520). 20, 688, 34 ff. (1527 1. Joh. 2, 27) Necessaria repetitio, propter insidias Satanae. 50 39 I 101, 14 ff. (Disp. de iustif. 1536) Sic Cicero et Scipio vocantur etiam iusti, . . . quamquam eorum studia et opera sunt peccata, quia persona non placet Deo, tarnen minus atrocia sunt, minusque nocent, quam externa ilia politica flagitia. Alia est enim iniquitas boni magistratus licet impii, quae remuneratur divinitus, nec coram mundo est iniquitas, et alia latronis et perversorum hominum. 51 WA 56, 262, 17 (Rom. 3, 24 f.) in patientia tulit, non puniens.
105 dieser Erde, die wegen des göttlichen Fluches über die Sünde Dornen und Disteln trägt52. 2. In den bisher angeführten Lutherstellen sind die zeitlichen Gerichte Gottes besonders auf die Weltmenschen als Sünder gegen die Gebote der 2. Tafel bezogen. Indessen legt Luther den größten Nachdruck auf den Unglauben und die Gotteslästerung als die eigentlichen Ursachen für die furchtbaren Gerichte Gottes über die Weltmenschen. Das große geschichtliche Beispiel für die göttlichen Gerichte über den Unglauben ist das jüdische Volk. Obwohl die Juden in moralischer Hinsicht besser als andere Leute waren, gerieten sie, die sie in der entscheidenden Stunde den Sohn Gottes im Unglauben ablehnten, als Gotteslästerer unter den Gerichtszorn. Indem sie Christus ablehnten, lehnten sie zugleich seinen Vater ab, ja, ihr Gott erwies sich als ein Abgott, der zur Gerechtigkeit die eigenen Gesetzeswerke fordert und nicht den Sünder durch den Glauben rechtfertigt. Die Zerstörung Jerusalems und die Zerstreuung des jüdischen Volkes ist das große historische Paradigma der Gerichte Gottes über die verwegenen Ungläubigen zu allen Zeiten53. Dasselbe Gericht sieht Luther wegen der Verwerfung des Evangeliums über das Papsttum schon hereingebrochen54. Auch über das deutsche Vaterland wird dasselbe göttliche Gericht kommen, wenn das Volk in dieser Zeit der Gnade nicht den lauteren Glauben annimmt55. Auch die einzelnen sind besonders wegen des Unglaubens den zeitlichen Gerichten Gottes anheimgefallen56. Ein besonders schweres Gewicht bekommt die Gerichtsdrohung für die Gewissen dadurch, daß auch die Sünden gegen die Gebote der 2. Tafel, auf das 1. Gebot bezogen, als Abgötterei bestraft werden57. In der großen Furcht Luthers vor dem göttlichen Zorn über den lästernden Unglauben Hegt der Grund, weshalb er seinen Fürsten dringend davor warnt, die Juden innerhalb seines Gebietes zu dulden58. Tiefe Enttäuschungen erlebte er bei seinen Anstrengungen, die Juden für « WA 24, 105, 15 ff. (Ausleg. Genesis 1527 Cruciger Gen. 3, 17 f.); Z. 19 Summa, das er uns also ym zawm wil halten. 53 WA 53, 418, 29 (Von den Juden und ihren Lügen 1543) Ich bin zwar kein Jude, aber ich dencke mit ernst nicht gern an solchen grausamen zorn Gottes über dis volck, denn ich erschrecke dafür, das mirs durch leib und leben gehet, Was wils werden mit dem ewigen Zorn in der Helle über falsche Christen und alle ungleubigen? — Siehe H. Bornkamm, Luther und das Alte Testament S. 64 ff. 54 Bek. 568, 24 ff. (Gr. Kat.) Denn er alle Abgötterei von Anfang her gar ausgerottet hat und ümb ihrewillen beide Heiden und Jüden, wie er auch bei heutigem Tage allen falschen Gottesdienst stürzet, daß endlich alle, so darin bleiben, müssen untergehen. 65 WA 34 II 84, 7 ff. (Pred. 1531 Rörer Lk. 19, 41) ; 15, 32, 7 ff. (An die Ratherren 1524) Gottis wort und gnade ist ein farender platz regen, der nicht wider kompt, wo er eyn mal gewesen ist. Er ist bey den Juden gewest, aber hyn ist hyn, sie haben nu nichts. Paulus bracht yhn ynn kriechen land. Hyn ist auch hyn, nu haben sie den Türcken. Rom und latinisch land hat yhn auch gehabt, hyn ist hyn, sie haben nu den Bapst. Und yhr deutschen dürfft nicht dencken, das yhr yhn ewig haben werdet, Denn der undanck und Verachtung wird yhn nicht lassen bleyben. Drumb greyff zu und hallt zu, wer greyffen und hallten kan, faule hende müssen eyn bösses jar haben. 6« Bek. 568, 8 ff.; 569, 37 ff. " Ebd. 641, 46 ff; 644, 1 ff. 68 WA 53, 526, 11 ff; 538, 9 ff. (Von den Juden . . . 1543). Siehe E. Vogelsang, Luthers Kampf gegen die Juden S. 29.
106 den christlichen Glauben zu gewinnen; statt der Bekehrung der Juden erfährt er, daß jüdischer Aberglaube und jüdischer Glaube sich unter die Christen einschleichen. Darum scheint Luther eine radikale Scheidung von Juden und Christen um des inneren Lebens der Kirche willen je länger desto dringlicher59. Aus demselben Grund hat er der Obrigkeit die Pflicht zugeschrieben, die römische Messe als öffentliche Gotteslästerung abzuschaffen. Da die Messe als ein Werk Gott dargebracht wird, wird das Evangelium von der Rechtfertigung durch den Glauben verleugnet und Christus als der alleinige Versöhner gelästert60. Dieser Lästerung muß ein Ende gemacht werden61, damit nicht eine vernichtende Strafe über das Land komme. Eben um die furchtbaren Gerichte Gottes zu vermeiden, hat der Staat »selbstverständlich gegen Gottesleugnung und Lästerung einzuschreiten und der Gottesverehrung, so wenig er über sie zu verfügen hat, Schutz zu gewähren. Das gehört zu seinem eigensten Auftrag, gegen den er sich nicht versündigen darf, ohne sich Gottes Strafe zuzuziehen« 62 . Luther befürwortet also die »scharfe Barmherzigkeit«63, die in der Kirche seit Augustin eine so schicksalsschwere Rolle gespielt hat. Er hat aus den päpstlichen Anschlägen gegen sein eigenes Leben nicht die Folgerung gezogen, die staatliche Verbannung dürfe 69 In der Schrift »Daß Jesus Christus ein geborner Jude sei« (1523) nahm Luther von dem Antisemitismus scharfen Abstand : »Wenn die Apostel, die auch Juden waren, also hetten mit uns heyden gehandelt, wie wyr heyden mit den Juden, es were nie keyn Christen unter den heyden worden« (WA 11, 315, 19 ff.). Diese Toleranz war nicht durch die mögliche Volksbekehrung der Juden bedingt, obwohl Luther auf Christianisierung einzelner Juden hoffte : »Haben sie denn mit uns heyden so bruderlich gehandelt, so sollen wyr widderumb bruderlich mit den Juden handeln, ob wyr etlich bekeren mochten, denn wyr sind auch selb noch nicht alle hynan, schweyg denn hyn über« (315, 21 ff.). Luthers Anerkennung der Juden fand indessen ihre Grenze als er den Eindruck bekam, der jüdische Glaube würde propagiert. Diese Propaganda war ihm wie z.B. die öffentliche römische Messe Verführung zur Sünde gegen das 1. Gebot, zu falschem, verdammlichem Glauben. Die größte Gefahr sah er in der jüdischen Gesetzlichkeit, die er im Schwärmertum wirksam fand, weiter im Einfluß der jüdischen Hebraisten an der Universität, die zu »judenzen« angefangen hatten. Auch der kabbalistische Aberglaube war in die Christenheit eingedrungen, WA 24, 1,21 ff. (Ausi. Genesis 1527); 53, 614, 10 ff. (Vom Schern Hamphoras 1543). — Die Forderung der »scharfen Barmherzigkeit« ist mit barmherzigem Mitleiden verbunden: Und verstehe wohl, was S. Paulus meinet (Rom. 9, 2), Das j m sein hertz wehe thu, wenn er an sie gedenckt, Weichs ich acht auch einem jglichen Christen geschehe, der mit ernst dran dencket (53, 541, 16 ff. Von den Juden . . .). Wenn er wahrhaftige Judenchristen findet, wendet er ihnen besondere Liebe und Fürsorge zu (TR 5, 83, 4 ff. 1540) : amo Judeos, si resipiscunt; vgl. die Briefe an und über den Judenchristen Bernhard (WAB 3 Nr. 629; 7 Nr. 2223, 25 ff.). Immer ist bei Luther zwischen Person und Sache genau unterschieden (vgl. WA 19, 595, 24—597, 5 Vier tröstliche Psalmen . . . 1526 Ps. 109). Die Gerichte Gottes sind im verwegenen, öffentlich bekannten Unglauben begründet. Siehe E. Vogelsang a.a.O. S. 17; 22—24; 31, woher diese Hinweise genommen sind so wie die meisten von den folgenden zur Judenfrage. e ° WA 18, 29, 27 ff. (Vom Greuel der Stillmesse 1525) vgl. 11, 449, 3 ff. Siehe C. F. Wislöff, Nattverd og messe S. 81 u. 53. 61 WA 8, 680, 11 ff. (Eine treue Vermahnung 1522) nit das man itzt solt die Pfaffen todten, wilchs on nott ist, sondern nur mit Worten vorpietten und drob mit gewalt halten, was sie treyben ubir und widder das Evangelium. 62 H. Bornkamm, Luthers geistige Welt S. 248f. 63 WA 53,522,35; 529, 32 ff.; 541,26 (Von den Juden . . .). »Der Ausdruck erinnert an Luthers zentraltheologischen Begriff der ira misericordiae dei« (E. Vogelsang a.a.O. S. 30 Anm. 1).
107 gegen Andersgläubige nicht gebraucht werden. Freilich läßt sich der Glaube nicht erzwingen, und keine irdische Macht darf über die Gewissen herrschen64. Gegenüber den öffentlichen, verstockten Christusverleugnern darf indessen auch die bürgerliche Regierung keine Duldsamkeit üben. Das würde gleichbedeutend damit sein, den Antichristen in seiner verführerischen Wirksamkeit zu tolerieren. Eine derartige Toleranz ist Luther fremd ; vielmehr sieht er es als unvermeidlich und notwendig an, den K a m p f zwischen Christus und Antichrist auch in der gegenseitigen Verbannung auszukämpfen 65 . Es besteht also bei Luther eine Entsprechung zwischen der Beziehung des Gerichts auf die Menschen als Wirkende und dem Eingreifen der Obrigkeit gegen die verführerische Wirksamkeit der Christusverleugner. Der Eingriff erfolgt nicht schon aufgrund des im 1. Gebot verbotenen Unglaubens, sondern erst wenn die in diesem Gebot verbotene Abgötterei öffentlich betrieben wird. Da Luther die Verfolger des Evangeliums als Todsünder betrachtet, kann er sie als so völlig dem göttlichen Gericht überlassen ansehen, daß er sagt, man solle nicht mehr für sie beten 66 . Eine solche Aussage findet sich jedoch nicht in bezug auf die Juden. Obwohl seine Versuche, sie für den Christusglauben zu gewinnen, gescheitert sind, finden wir noch aus dem Jahre 1543 diese von wahrem Mitleid und christlicher Liebe zeugende Fürbitte: «Ah Gott, Himlischer Vater, wende dich und lasse deines zorns über sie gnug gewest und ein ende sein, umb deines lieben Sons willen, Amen« 6 7 . Voll tiefer Besorgnis sieht Luther auch der Möglichkeit ins Auge, daß es dem deutschen Volk einmal gehen könne wie vorher den Juden 6 8 . Das Geschick des Volkes wird bestimmt durch sein Verhältnis zum Worte Gottes : ob dieses in den Kirchen gehört und in den Schulen und Häusern gelernt wird und vor allem ob das Evangelium wahrhaftig geglaubt und in wahrer Liebe im Dienst am Nächsten bewährt wird 69 . In Übereinstimmung mit seinem Gedanken vom inkarnierten Glauben bezieht Luther den mit dem 1. Gebot verbundenen Segen und Fluch auf alle Werke, in denen sich der Glaube bzw. der Unglaube verkörpert 70 . In den Katechismuspredigten 1528 und in den Katechismen 1529 wird eindringlich betont, die göttliche Strafandrohung und Segensverheißung 64 WA 18, 299, 18 f. (Ermahnung zum Frieden 1525) obirkeyt soll nicht weren, was ydermann leren und gleuben will, es sey Euangelion odder lügen. 66 Siehe Vogelsang a.a.O. S. 30. ·« WA 51, 570, 23 ff. (Wider Hans Worst 1541). 67 WA 53, 541, 22 ff. 68 Ebd. 522, 23 ff. 69 WA 45, 328, 25 — 39; 329, 18 (Pred. 1537 Rörer Mt. 25, 31). Vgl. Vogelsang a.a.O. S. 19: »Der Anblick des Zornes Gottes über das jüdische Volk verwehrt dem Christen jede leiseste Regung von Überheblichkeit oder wehleidigem Mitleid oder auch von Schadenfreude . . . Von Luthers ersten bis zu den letzten Äußerungen zur Judenfrage zieht sich wie ein roter Faden hindurch die scharfe Warnung . . . Rom. 11, 20 ff. 'Daß wir nicht zuletzt in solchen und noch ärgeren Zorn fallen!' Der Juden Fall und Verstörung ist eine furchtbare, eine schauerliche Mahnung«. 70 Bek. 643, 24 ff.
108 gelte in der Zeit, und in den Predigten wird das eschatologische Gericht immer stärker auf die gebotenen Werke bezogen. Der Grund für diese scharfe Betonung der Gerichte Gottes in der Zeit und am Jüngsten Tag liegt offenbar in den entmutigenden Ergebnissen der Kirchenvisitationen 71 . Den Gemeinden und besonders der Jugend soll durch die Einprägung der göttlichen Drohungen und Verheißungen die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber den Geboten eingeschärft werden 72 . Jeder Mensch soll verantwortlich mit seinen dem inneren Grundverhalten in Glauben oder Unglauben entsprechenden Werken vor Gott gestellt werden 73 . Es ist die eigentliche Aufgabe der Kirche, eine Dienerin des göttlichen Segenswillens zu sein. Im Namen Gottes muß die Kirche aber auch das verdammende Gesetz predigen. Auch die Eltern, die Lehrer und die weltliche Obrigkeit haben die Pflicht, auf verschiedene Weise Diener nicht nur des göttlichen Segens sondern auch des Fluches zu sein. Den Eltern ist die Rute, der Obrigkeit das Schwert in die Hand gegeben, damit die Menschen wohl erzogen werden und in Frieden leben können 74 . 3. Indessen ist jede konkrete Obrigkeit, durch die Gott sein weltliches Regiment führen will, ihm wegen der Sünde mehr oder wenig widerspenstig, da auch sie selbst von der Bosheit geprägt ist, der sie steuern soll. Immer wieder geschieht es, daß die Bösen und die Tyrannen über die Guten triumphieren. Statt Gottes Diener zu sein, können weltliche Obrigkeiten und sogar geistliche Amtsträger zu Dienern der Bosheit und des Teufels pervertieren, die den Dienern der göttlichen Wahrheit Widerstand leisten und sie verfolgen, wie ein wahnsinniger Hausvater sein eigenes Haus zerstört75. Der Papst widersteht dem Evangelium und der Türke droht der ganzen Christenheit 76 ; beide verfolgen die Diener Christi, so wie die Mächtigen dieser Welt ehemals Christus kreuzigten 77 . Das Leben der Christen im Glauben an Gottes Verheißungen ist folglich ein Leben unter dem Kreuz 78 . Dennoch ist es nicht der Wille Gottes, daß die Untertanen sich aufrührerisch erheben oder daß die Herrschaft Christi sich in einer Theokratie realisiert, die alle Menschen äußerlich unter Christus zwingt. Das Regiment Christi ist zu führen »in veritate, mansuetudine, iustitia spirituali« — in wahrhaftiger und 71
Ebd. 501, 4 ff. Ebd. 642, 1 ff. Ebd. 642, 45 ff. Vgl. die Gerichtsdrohung über diejenigen, die den Katechismus nicht lehren und lernen und also gegen das 1. Gebot sündigen : Gott wird sie »schrecklich drumb strafen« (Bek. 505, 19 ff; 503, 33 ff.). 74 Bek. 623, 14 ff. 594, 32 ff.; 596, 16 ff; 599, 18 ff. WA 30 II 554, 30 ff. (Kinder zur Schule halten 1530). 75 WA 45, 535, 8—13 (Ausleg. Joh. 14—15 1537 Cruciger); 37, 332, 22 ff. (Pred. 1534 Rörer Mt. 26, 57) passio facta . . . per Kaiser und Bapst . . . , Semper occisi ab iis duabus Maiestatibus. 27, 43, 26—34. 76 Β Anm. 13. Zuletzt sieht Luther nur im Papsttum den eigentlichen Antichrist, der sich über das Wort Gottes erhebt und sich in Christi Statt setzt, 53, 395, 4 ff. (Verleg.des Alkoran . . . 1542); 50, 217, 23 ff. (Schmalk. Art.). 77 WA 30 II 194, 12 ff (Heerpredigt wider den Türken 1529). 78 A Anm. 391. 72
73
109 sanftmütiger geistlicher Gerechtigkeit, unter Widerstand und Kreuzesleiden79. Das Reich Christi ist deshalb ewig, weil es nicht auf weltliche Macht gegründet, sondern vom Herrn selbst geschaffen ist und erhalten wird durch das Wort und den Heiligen Geist80. Indessen wird Gott noch zusehen, daß die tyrannische Obrigkeit zu gegebener Zeit durch andere Tyrannen oder direkt durch den Odem seines Mundes ihre Strafe findet81. So ist das Jüngste Gericht Gottes mit seinem doppelten Ausgang in Errettung und Verdammnis täglich, besonders in schweren Schicksalszeiten, offensichtlich am Werk. Obwohl also Gott nicht zur Unzeit gegen die Bösen vorgeht, ist der göttliche Fluch über die Bösen unaufhörlich wirksam. Ihre Sünden führen zu immer neuen Sünden, die schließlich ihre Täter verderben; ihre Bosheit wird durch andere Menschen mit immer größerer Bosheit vergolten. Schließlich wird das Maß ihrer Sünden voll sein und der göttliche Gerichtszorn in die Zeit einschlagen; nach Ex. 20,5 f. wird er schon in der 3. oder 4. Generation der Gottesverächter eintreffen. Wie Gott sollen darum auch die Kinder Gottes mit Geduld die Bösen einstweilen in dem Wissen ertragen, daß ihnen nur eine kurze Zeit gegeben ist zur Bekehrung bzw. bis zur Reife der Sünde 82 . So sieht der Christ in allen irdischen Gerichtstaten Gottes über die Bösen das Jüngste Gericht wirksam. Wie zeitliche Segnungen im Lichte der göttlichen Verheißungen als Strahlen der ewigen Herrlichkeit erfaßt werden, so gelten die Katastrophen über die Gottlosen als Schatten der ewigen Finsternis83. Bald jedoch wird der Jüngste Tag hereinbrechen. Dann werden alle Widersprüche zwischen Segen und Erfolg, zwischen Fluch und Unglück aufgehoben sein. Christus wird gerecht richten und allen nach seinem Worte vergelten. Darum soll der Christ unter allem Kreuz und Mißerfolg seine Hoffnung auf den lieben Jüngsten Tag setzen, indem er mit guten Werken dem Nächsten dient. Mit Vollgeltung sind alle Verheißungen auf die Ewigkeit gerichtet. Erst dann werden die
79 WA 3, 262, 38 ff. (Diet, super Ps. 1513—16); 36 386 3 ff. (Pred. 1532 Rörer Mt. 11, 2 ff.) halt ich mich an den Regem Iesum Christum, der das ampt sol füren blinde sehen zu machen, elende hertzen zu trösten. Non est ad hoc ordinatus, ut nos suspendat et radbreche, sed, das er die blöden sol retten, auffrichten und trösten. 387, 3 ff. Christus sit rex consolationis, quanquam non damnat das gestrenge regiment, Ist sein lincks reich, das auffhoren sol, Sed das ewig ist das recht. Vgl. Hauspost. 1544, WA 52, 26, 6 ff. Siehe J. Heckel, Lex . . . S. 39, und weiter H. Hermelink, Zu Luthers Gedanken über Idealgemeinden . . . S. 285 : »Das Reich Christi ist die wahre Kirche des Geistes, kenntlich am Evangelium und Sakrament und an der Theologie des Kreuzes (7, 720, 32 ff; 243, 22 ff; 252, 4 ff; 148, 23 f.). Äußerlich unscheinbar und verworfen, inwendig voll Freud, Trost und Mut (239, 12 f.). Leiden und Verfolgung ist das rechte Wesen des christlichen Volks (281, 35) . . . 'Ego non habeo aliud contra papae regnum robustius argumentum, quam quod sine cruce régnât' (7, 148, 28 f.)«. 80 WA 3, 17, 36 f. (Diet. sup. Ps. 1513—16) Christus non vult vi et violentia suum regnum constare, quia tunc non constaret. 81 WA 18,329, 31 ff (Ermahnung zum Frieden 1525); 19, 360, 12—27 (Ausi. Habakuk 1526). 82 Bek. 621, 12 ff; 622,21 ff. 83 A Anm. 390.
110 guten Täter ihren vollen Lohn und die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat denen, die ihn liebhaben 84 . 4. Das letzte Ziel der zeitlichen Gerichte Gottes besteht nicht nur darin, die Menschen zum Gehorsam gegen die Gebote Gottes zu bewegen und dazu im Sinne der Sintflut eine notwendige Reinigung des Menschengeschlechtes durch Bestrafung und Vernichtung der Bösen zu bewirken. Wesentlich zielen alle Gerichte Gottes darauf ab, die Sünder zur Buße vor Gottes Angesicht zu treiben. Nun könnte man auf Grund der von Luther stark betonten zeitlichen Verheißungen des Gesetzes denken, der im bürgerlichen Sinne gute Mensch, und besonders der wahre Christ, könne hoffen, daß ihm göttliche Strafgerichte erspart werden. Es steht ja für Luther infolge des in Rom. 2,6 ausgedrückten Grundsatzes: »qui reddet unicuique secundum opera eius«, fest, daß Gott keine Werke straft, die ganz ohne Sünde sind85. Die Christen aber sind gut; sie sind nicht nur scheinbar, sondern tatsächlich gerecht. In der Schrift wider Latomus wird mit Worten wie Ps. 44,18, Hiob 1,8 und Jer. 49,12 die reale Gerechtigkeit der Gläubigen hervorgehoben. In ihrem Gewissen und vor den Menschen können die Frommen ihre Unschuld bezeugen und sagen: wir »haben doch nicht untreulich in deinem Bunde gehandelt. Unser Herz ist nicht abgefallen noch unser Gang gewichen von Deinem Weg« 86 . Diese reale Gerechtigkeit besteht aber nicht vor Gott in loco iustificationis. Auch dem gerechten Menschen haftet die Sünde noch an. Darum ist Gott gerecht, wenn er auch über ihn wie über alle Sünder seine schweren Gerichte kommen läßt. Schon aus der Tatsache, daß vernichtende Gerichte auch über die besten Kinder Gottes kommen, läßt sich also erweisen, daß auch ihre guten Werke nicht vor Gott bestehen 87 . Dazu kommt, daß durch die Gerichte Gottes die Hoffnung auf Gott und die Liebe zu Gott zutiefst erschüttert werden. Niemand vermag unter dem Gericht Gott zu loben oder anzurufen, sondern nur zu wehklagen in seiner Bedrängnis. So sinkt zur Zeit des Zorns alle Gerechtigkeit dahin. All unsere Gerechtigkeit erscheint befleckt und wird zugleich mit den Sünden der Bösen bestraft. Wir werden unserer Bosheit preisgegeben und bekommen, was unsere Sünden wert sind. Wir alle sind unrein. In solchen Zeiten wird der Zorn Gottes so groß erlebt, als sei alle Gerechtigkeit aller Frommen lauter Sünde und Unreinheit. Gott erscheint als der unerbittliche Richter, den man nur fürchten kann. »Alle also sündigen wir vor ihm, wenn er richtet, und gehen unter, wenn er zürnt, die wir doch, wenn seine Barmherzigkeit uns deckt, unschuldig und fromm sind« 88 . Die Ursache solcher Gerichte ist unsere Sünde, die in den ruhigen 84
Β Anm. 31; A Anm. 394. WA 8, 66, 33 f. (Rat. Latom. confut.) Cum autem iudicium eius sit verax et iustum, non damnat opera, quae prorsus sunt inculpabilia, nulli enim facit iniuriam, sed sicut scriptum est ' Reddit. . . ' ; 69, 9 f. 86 Ebd. 67, 18 f. 23 ff. 87 Ebd. 66, 35 ff; 67, 13 f. 88 Ebd. 67, 32 ff. (zit. nach der Münchenerausg., Frick). 85
Ill Zeiten wegen der göttlichen Barmherzigkeit geduldet und verziehen wird, die aber dennoch zu Zeiten geoffenbart und gezüchtigt werden muß. Diese Züchtigung geschieht in der bestimmten Absicht, die Luther mit Jer. 30,11 so ausdrückt : »Züchtigen will ich dich im Gericht, daß du dich nicht für unschuldig haltest« 89 . Auch der Christ, der vor den Menschen und dem eigenen Gewissen unschuldig ist und dessen Gerechtigkeit Luther Realität zuschreibt, muß seiner Ungerechtigkeit und Schuld vor Gott überführt werden. Die vernichtenden Gerichte Gottes scheinen denjenigen, die sie treffen, völlig im Dienst des Todes und des Unterganges zu stehen. Ihre eigentliche Aufgabe aber ist es, uns für den Empfang des göttlichen Heils zu bereiten und unserer Bewahrung im Heil zu dienen, indem sie die eigene Herrlichkeit und das falsche Selbstvertrauen vernichten 90 . Diese göttliche Absicht der zeitlichen Gerichtskatastrophen wird durchs Wort erkannt und muß gepredigt werden, damit die geängsteten Gewissen nicht in Verzweiflung stürzen. Sie sollen wissen, daß die Gerichte auf Christus und den Glauben hin geschehen. Wenn aber jemand mit Latomus die Sündhaftigkeit der guten Werke verleugnet, wird diese göttliche Weisheit verworfen und die Christen sowohl der Furcht Gottes als auch der Hoffnung beraubt 91 . Die zeitlichen Gerichte Gottes, die in normalen Zeiten, in denen die Barmherzigkeit herrscht, nicht die Guten, sondern allein die Bösen strafen, werden also zu furchtbaren Anfechtungen für die Gotteskinder, da in den Zeiten des Zorns jeder Unterschied zwischen Guten und Bösen aufgehoben zu sein scheint. Die Gerichtsdrohungen und Verheißungen, die sonst zu verantwortungsvollem Dienst am Nächsten reizen, werden in den besonderen Gerichtszeiten als lähmende, in die Verzweiflung führende Worte des erzürnten Richters erfahren. Indem also die Frommen gerichtet werden, weil sie Sünder sind, wird ihre Sünde durch diese Gerichte wiederum vermehrt. In seinem Richten verfolgt Gott indessen immer das Ziel, uns zu Christus zu treiben. Auf ganz besonderer Weise wird der leibliche Tod mit dem Jüngsten Gericht in eins gesehen. In der Todesnot empfindet das Gewissen das Gericht in seinem furchtbaren Ernst. Der Grund dieser Gewissensnot besteht darin, daß mit dem Tod die Gnadenzeit zu Ende ist und wir im Tod an die Ewigkeit stoßen. Obwohl bei Luther (wie bei Paulus) die beiden Linien der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag unausgeglichen nebeneinander herlaufen 92 , ist 89
Ebd. 67, 31 f. Ebd. 66, 38 f. Haec est via docendi timoris et spei in deum; 69, 10 ff. 81 Ebd. 66, 38 ff. 82, 6 ff. 02 Luther verleugnet nicht den traditionellen Gedanken von der bewußten Existenz der Verstorbenen in Christus bzw. außer Christus. Da er aber den Zwischenzustand einem Schlaf vergleicht und den Mangel der Toten an Organen zum Reden und Handeln betont, liegt das Gewicht auf ihrem Ruhen im Wort Gottes und auf der Auferstehung am Jüngsten Tag. Siehe Althaus, Luthers Gedanken über die letzten Dinge S. 15—17 und von Loewenich, Synoptiker S. 287. 90
112 ihm die Tatsache einleuchtend und eindeutig, daß es nach dem Tode keine Zeit mehr gibt. Wie man nach einer ganz durchschlafenen Nacht erwacht und fragt, ob es schon Morgen ist, so werden am Jüngsten Tag sogar Adam und die alten Väter aufstehen »gleich als weren sie vor einer halben stundt noch im leben gewest«93. Wir haben gesehen, wie in »Etliche schöne Predigten« 1. Joh. 4,16 f. auch auf die Todesnot bezogen wird. Im Tod erfährt man im Gewissen das Jüngste Gericht, da man wie Jakob am Jabbok mit Gott kämpfen muß bis man zuletzt »außer sich selbst« ist, indem die Sinne, das Gehör, das Gesicht und das Gefühl vergehen94. Diese Gewissensnot ist durch die Erkenntnis des Gerichts bedingt. Demjenigen, der nichts von Gott weiß, wird der Tod nicht so schrecklich95. Der Gedanke an den Ernst des Todes soll uns an die Notwendigkeit des wahren Glaubens, der vergebenden Gesinnung und des helfenden Dienstes am Nächsten erinnern. Dadurch ist es möglich, dem Tod und dem Gericht zuversichtlich entgegenzugehen96.
III. Das Gesetz als existenzielle Aktualisierung des Gerichts 1. Das Gericht nach den Werken als ethischer Anspruch im Sinne des 1. usus legis
Die Deutung der zeitlichen Gerichtskatastrophen findet Luther in der hl. Schrift. Dadurch erkennt er diese Gerichte als Vorzeichen des Jüngsten Gerichts. Durchs Wort erkennt er zugleich, daß das Jüngste Gericht uns jeden Augenblick direkt existenziell betrifft, da ein dringender Anruf von ihm ausgeht. Luther hört, was in den Gerichtsworten der hl. Schrift über die entscheidende Bedeutung der Werke gesagt wird und vernimmt den mächtigen Anstoß zum Liebesdienst, der vom Gerichtswort ausgeht: »est vermanung und starck und gros ad bene operandum«. So heißt es in der Predigt über Mt. 25,31 ff., 1537, wo auch die Gerichtsstelle 2. Kor. 5,10 zitiert wird: »Omnes coram tribunali Christi, ut quisque accipiat, quod meruit in corporali, es sey gutes vel böses«. Über die Aufgabe der Mt. 25,31 ff. auslegenden Predigt besteht kein Zweifel: »Istud Euangelium lautet von eitel operibus, quia etiam praedicandum de bonis operibus. Das ist kurtz und gut« 97 . Luther sieht die Auslegung dieser Perikope als eine nicht weniger 93 WA 12, 596, 26 ff. (Pred. 1523 Lk. 16, 19 ff.); 10 III 194, 10 (Pred. 1522 Lk. 16, 19 ff.); 40 III 525, 21 (In X V Psalmos graduum 1532—33 Ps. 132, 11). 94 WA 5, 202, 25 (Op. in Ps. 1519—1521) in exstasi illa suprema, ubi nemo audit, videt, sentit. Vgl. 44, 103, 16 (1535—45 Gen. 32, 25 ff). Zu diesen Stellen siehe P. Bühler a.a.O..S. 55 Anm. 177 und die dort angegebene Literatur. 95 WA 40 III 487, 6 ff (Enarratio Psalmi X C 1534—35 Rörer) Non de temporali morte, — Summum nec metuas diem nec optes, — sed ponit aeternam mortem, quia obiicit iram dei. Vgl. P. Althaus (Luthers Wort vom Ende und Ziel des Menschen, S. 100) zur Stelle: »Ohne den Schrecken unter Gottes Zorn wäre der Tod wahrhaftig eine Art Schlaf«. 9 « WA 36, 443, 6 ff ; 445, 10 ff. 97 WA 45, 324, 25 f. 31 f. 23 f.
113 wesentliche Aufgabe an als die Auslegung der zentralen evangelischen Texte. Es ist ihm klar, daß die Ermahnung zu Werken und die Verkündigung des Gerichts nicht weniger notwendig ist seit der Neuentdeckung des Evangeliums98. Das klare Wort von der Rechtfertigung durch den Glauben erfordert eben diese komplementäre Verkündigung". Der vom Gericht ausgehende Anruf ist mit dem Gesetz identisch. Das Gesetz ist existenziell verkündigtes Gericht. Im folgenden werden wir unter diesem Gesichtspunkt das Gesetz nach seinem Begriff und in seinen Wirkungen untersuchen, wie Luther es versteht, da wir meinen, auf diese Weise Wichtiges zum Verständnis der Lehre und der Verkündigung Luthers von Gesetz und Evangelium erheben zu können. a. Justifia
civilis
Der vom Gericht im Gesetz ausgehende Anspruch gebietet dem Menschen, im Glauben, der durchs Evangelium geschenkt und im Hören aufs Evangelium gesucht wird, den befohlenen Dienst am Nächsten zu tun 100 . Die Tatsache, daß im Gericht bzw. im Gesetz die Werke des Glaubens verlangt werden, bedeutet nun aber nicht, daß die guten Werke nur von den Gläubigen gefordert sind, geschweige denn, daß Gott den Gläubigen andere Gebote gesetzt hat als den Ungläubigen. Auch der Ungläubige darf den befohlenen Dienst nicht versäumen 101 . Luther betrachtet die Werke der Ungläubigen keineswegs als unnütz und bedeutungslos. Dem Nächsten muß gedient werden, selbst wenn das einzige Motiv des Handelns in Gottes Befehl und seiner Drohung mit der Verdammnis besteht : »Si non moveris benefitio, 1. praecepto, promissione, furcht dich fur der hell, minatur enim' Qua mensura'« 102 . Luther weist hier auf Mt. 7,2 b hin: »mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden«. Wo der Dienst am Nächsten fehlt, da wird der Gerichtszorn vermehrt und das Los der Bösen in der Verdammnis, der sie durch ihren Unglauben verfallen sind, noch verschärft 103 . Da aber die lieblosen Werke das ungläubige Herz verraten, wird der faule und böse Knecht schlechthin mit der Hölle als der für seine Werke gerechten Strafe bedroht. Sowohl die relative wie die absolute Vergeltung der bösen Werke wird also als Motiv zum Dienst am Nächsten angeführt. Wer keine Liebeswerke tut, wird verloren gehen. Zugleich gibt es Grade in der Pein wie in der Seligkeit. Wer sich nicht von der Seligkeit locken läßt, sollte doch wenigstens davor erschrecken, seine Unseligkeit noch zu verschlimmern. A. Koeberle redet also in voller Übereinstimmung mit Luther, wenn er 98
A Anm. 251. Ebd. 324, 24 f. Alia Euangelia tantum de fide, sed mus beides sein. io» W A 40 ι 4i5 ; 22 ff. (1535 Gal. 3, 10) 'Fac hoc, et vives', . . . : cogita primum, ut sis fidelis, habeas... fidem in Christum et ea habita opereris. Vgl. A Anm. 144. 101 WA 17 I 123, 3 (Pred. 1525 1. Tim. 1, 8 ff.) qui Christum non habent, cohercendi sunt legibus. 102 W A 27, 252, 21 ff. (Pred. 1528 Rörer Lk. 6, 36 ff). ios W A 4 1 ) 299, 19 ff. 34 I 562, 6 f. (Pred. 1535 u. 1531 Rörer Lk. 16, 19 ff). 99
114 sagt: »Gott fordert, daß man ihm dient, geschieht es niçht in der quellenden Kraft dankbarer Liebe, dann in der heiligen Zucht des Gehorsams«104. In unserem Zusammenhang müssen wir hinzufügen: und selbst wenn das Werk nicht in heiligem Gehorsam geschieht, dem Nächsten soll in jedem Falle geholfen werden. Wenn man schon kein anderes Motiv für den Dienst kennt, dann soll man die befohlenen Werke wenigstens deshalb tun, weil es eine Hölle gibt. Das soll uns u. a. die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus lehren. Diese Furcht vor der Verdammnis und dieser Zwang des Gesetzes sind nicht nutzlos. Sie gehören vielmehr zu den tragenden Grundpfeilern unserer ganzen Weltordnung: »Si non esset infernus, pena ec. nullus faceret bonum« 105 . Der Aufruf zum konkreten Dienst am Nächsten liegt Luther sehr stark am Herzen, wenn seine Predigttexte von den Werken und vom Gericht handeln. Um seine Zuhörer zum Wirken zu bewegen, droht er in großem Ernst mit Gericht und Gesetz, so wie er mit dem Evangelium und den Verheißungen des Lohnes zum Dienen reizt. Wie die Drohung mit der Strafe so wird also auch die Verheißung des Lohnes als Motiv des Dienstes von Luther angeführt : »Iam si non esset praeceptum, tarnen vel ipsae promissiones ad misericordiam exercendam nos allicere debebant« 106 . Diese Verheißung des Lohnes wird freilich für den, der im Unglauben verharrt, auf einen zeitlichen Segen beschränkt. 107 . In der Ewigkeit können die guten Werke der Ungläubigen nur eine Milderung des schuldbewußten Gewissens bringen. Auch darin erweist sich Gott als der gerechte Richter, daß er das Anerkennenswerte selbst des Menschen ernstnimmt und belohnt, den er wegen des Unglaubens und der daraus folgenden selbstsüchtigen Werke verdammen muß. Durch die Predigt des Gesetzes, das den Lohn und den Segen der guten und den Fluch über die bösen Werke verkündigt, wird das Jüngste Gericht existenziell aktualisiert. Diese Predigt trägt ihre bedeutsamen Früchte im menschlichen Gemeinschaftsleben. Auch wo der Glaube fehlt, wirkt das Gesetz die von Luther unter Umständen hoch geschätzte bürgerliche Gerechtigkeit. Ihre grundlegenden Ordnungen sind Gottes rechte Werke, und das Bemühen der Menschen, Gottes Gebote zu halten, dient dazu, daß diese Welt bestehen und daß das Wort Gottes gepredigt werden kann. Mit großem Eifer weist darum Luther die Beschuldigung ab, er rede geringschätzig von den Werken. Schon die zeitliche Bedeutung der Werke ist zu Gutem wie Bösem überaus groß108. Der zeitliche 104
Rechtfertigung und Heiligung S. 196. WA 11, 48, 13 f. (Pred. 1523, Rörer 8.—10. Gebot). Vgl. jedoch Luthers Aussage vom Liebesdienst der Kinder Gottes, WA 18,694, 17 ff. : Filii autem Dei gratuita volúntate faciunt bonum, nullum praemium quaerentes sed solam gloriam et voluntatem Dei, parati bonum facere, si, per impossibile, ñeque regnum ñeque infernus esset. ios W A 27, 253, 16 f. (Pred. 1528 Lk. 6, 36 ff.). 10 ' Β Anm. 39. ios W A 40 ι 479, 4 ff.; 480, 1 ff. (1531 Gal. 3, 19); 40 III 408, 11 f. (In X V Ps. graduum 1532—33 Ps. 132, 9) est iustitia politica, non personalis, qua iustus meis operibus. 2, 489, 30 ff. (1519 Gal. 2, 16) Haec est iusticia servilis, mercennaria, ficta, speciosa, externa, temporalis, mundana, humana, quae ad futuram gloriam nihil pro105
115 Lohn und Segen der guten Werke ist ebensowenig geringzuschätzen wie die ewige Pein des bösen Gewissens, die die Ewigkeit der Ungläubigen verbittern wird. Unter zeitlichem wie unter ewigem Aspekt ist es also besser, Heuchler und Scheinchrist zu sein, als schroffer und verwegener Übeltäter 109 . Eine äußerliche Imitation der im Gesetz befohlenen Werke gehört also bei Luther zu den Wirkungen des Gerichtsgedankens und der Gesetzespredigt. Zu dieser Wirkung des Gesetzes können nicht nur die Werke der 2. Tafel sondern auch der Glaube und die Werke der 1. Tafel gehören im Sinne eines äußerlichen Anschlusses an die evangelische Lehre und der Teilnahme am Gottesdienst und an der Erhaltung des Wortes. Diese äußerliche Gerechtigkeit entspricht der Erkenntnis des Gesetzes »tecta facie«. Wie auf dem Berge Tabor Christus und Moses unter der Wolke verhüllt waren, so werden sie auch heute von den meisten Menschen nur mit zugedecktem Angesicht gesehen110. Es ist nach Luther wohl möglich, die christliche Lehre einschließlich der Ethik als gewissensverpflichtende Lebensanschauung existenziell angenommen zu haben, ohne daß »die Decke« abgetan worden ist111. In den Raum der natürlichen iustitia civilis können sogar die evangelischen Prinzipien der sola fides — sola Charitas eingeordnet werden, ohne daß die theologische, geistliche Kluft zwischen Gesetz und Evangelium angesichts des Gerichts Gottes existenziell empfunden, geschweige denn durch wahren Glauben überbrückt worden ist. So wie alle anderen Ideologien kann auch diese Auffassung des Christentums als Idee, als Lebensanschauung, durch welche man ohne weiteres leben kann, in das Grundschema des natürlichen Menschen eingeordnet werden. Der Mensch kann eine solche Imitation des Christentums zuwege bringen, indem er kraft des liberum arbitrium tut, was er vermag. Auf diese Weise wird der Mensch gerecht »ad extra, ab operibus, ex propriis viribus«112. b. Gesetz und
Gesetzeswerke
Da das Gesetz opera ex fide fordert, sollte die Meinung als ein Mißverständnis charakterisiert werden, das Gesetz fordere »eigene« Werke. Da dest, sed in hac vita recipit mercedem, gloriam, divitias, honorem, potentiam, amicitiam, sanitatem aut certe pacem ac tranquillitatem minusque malorum quam ii, qui secus agunt. 109 WA 11, 41, 29 f. (Pred. 1523 Rörer 4 . - 6 . Gebot) Melius est, ut habeamus hypocritas quam praefractos et audentes omnia mala ec. 110 WA 8, 70, 22 ff.; 71, 7 ff. (Rat. Latom. confut. 1521). m WA 41, 434, 32 f. (Pred. 1535 Rörer Mt. 17, 4) Ii discipuli Mosis zugedeckt . . . Externe so from, ut pro Sanctis intueantur; vgl. 18 ff.; 435, 3 f. Die selbigen heiligen Schelk kennet am meisten, quando Euangelium praedicatur. 40 I 285, 2 ff. (1531 Gal. 2, 20) Si inspicio personam meam, tum habeo fidem, ut Sophistae dicunt, tum etc., i.e. vivo ego in me i.e. mortuus apud deum . . . Ipsi histórica fide credunt in Christum ut Turca (: Wer seinen Glauben betrachtet und sich damit begnügen läßt, hat nur einen historischen Glauben. Der wahre Glaube hängt allein an Christus!). 112 WA 2, 489, 23 ff. 32 (1519 Gal. 2, 15). Vgl. Ebeling (Erwägungen . . . S. 304 = Wort u. Glaube S. 291) : »Jede Religion oder Weltanschauung, auch eine atheistische, aber auch das aus dem Glauben in religiöse Ideologie verkehrte Christentum — haben die gemeinsame Struktur des Gesetzes«.
116 es aber immer nur die Alternative zwischen dem Glauben mit seiner Gerechtigkeit und seinen Werken und der Gesetzlichkeit gibt, ist derjenige, der nicht durch das Hören des Evangeliums den Glauben empfängt und dann dem Nächsten im Glauben dient, notwendig auf eigene Werke gewiesen. Mit einem Bild vom Autofahren dürfen wir sagen, das Gesetz fordere von uns, im »Gang« des Evangeliums zu fahren, indem wir in Christus durch den Glauben gerecht sind und in seiner Liebe dem Nächsten dienen. Auch wenn wir diesen »Gang« nicht »eingeschaltet« haben, fordert das Gesetz trotzdem, daß wir die gebotenen Werke tun sollen, und verflucht uns, weil wir es nicht tun. Solange wir nicht durch die Kraft des Heiligen Geistes zum Glauben umkehren, bleibt uns also nichts übrig als der Versuch, durch eigene Möglichkeiten die Forderung des Gesetzes zu erfüllen. Außerhalb der evangelischen Glaubensgemeinschaft mit Christus sind wir also tatsächlich genötigt, im »Gang« des Gesetzes zu »fahren«, bis wir durch Gottes Gnade auf dem »Gang« des Evangeliums »umgeschaltet« werden. Diese Umschaltung wird durch die vernichtende Erfahrung der eigenen Sünde und Unfähigkeit vorbereitet113. Obwohl wir nur im Glauben rechte, lebendige Werke tun können, sind wir doch verpflichtet, solange wir ohne den Glauben sind, eigene, tote Werke zu tun — unter der Gerichtsdrohung, daß wir beim Versagen im Dienst am Nächsten unsere Verdammnis immer noch verschärfen. Trotz unserer eigenen Unfähigkeit läßt nämlich das Gesetz keinen prinzipiellen Quietismus und keine praktische Passivität zu. Auch eine bloß äußerliche Wirkung der christlichen Predigt und Lehre hat ihren großen Wert. Dennoch hat der Prediger seine Aufgabe verfehlt, wenn er sich mit dieser Wirkung begnügt und nicht weiterzielt. Er wird dann seine Gemeinde in die Verderbnis führen und riskiert, selbst wegen seiner falschen Predigt verdammt zu werden, wie es mit großem Gerichtsernst heißt in der Predigt Luthers über 2. Kor. 3,8 f., 1535: »Da 113 Diese W i r k u n g des Gesetzes ist f ü r L u t h e r praecipuus usus legis. N a c h K a r l Barth ist der bleibende Anspruch des Gebotes an den Glaubenden das wesentlichste A m t des Gesetzes: nicht das Gesetz als solches u n d von sich aus wird d e m Menschen z u m Verderben, sondern die es mißbrauchende Sünde ( K D I V 1, S. 654). Auch nach Luther gebietet das Gesetz prinzipiell, wie O . Wolff (Die H a u p t t y p e n . . . S. 102, Gesetz u. Ev. S. 136—148) richtig beobachtet hat, vom Gnadenzuspruch des 1. Gebotes her. Dennoch schießt Gollwitzer (Zur Einheit . . . S. 301) übers Ziel hinaus mit seiner Feststellung : »Schriftgrund f ü r die Vorstellung, d a ß Gott selbst in einem ' a n d e r n W o r t ' eine Forderung an den Menschen richte, die der von Luther beim 1. Gebot richtig gesehenen Grundforderung diametral widerspricht u n d den Menschen auf seine Leistung verweist, k a n n nicht aufgezeigt werden . . . Jenes gesetzliche Gesetz ist Ausdruck der Sünde, opinio legis«. Barth, Wolff u. Gollwitzer gegenüber m u ß festgestellt werden: es ist Gottes Wille, d a ß derjenige, der nicht im Glauben das Gute tut, es dennoch u n d zwar unter d e m Fluch t u n soll. Mit Recht h a t Luther Gal. 3, 23 so verstanden, siehe W A 40 I 519, 11 f. (1531): Lex civiliter cohercet m a n u m . Postea etiam theologice concludit i.e. career theologicus est . . . — D e m Ungläubigen h a t Gott also selbst »das Gesetz des Leistens u n d der reziproken Vergeltung gegeben, u n d er selbst setzt es im Evangelium außer K r a f t « (Joest a.a.O. S. 205). I m Einklang mit Luther fügen wir aber auch h i n z u : u n d verleiht ihm dennoch eine bleibende, positive Geltung extra locum iustificationis.
117 kompt ir immer zu hell, quia in Ecclesiis meis verhult Mosen praedicatis i. e. facitis meros hypocritas, qui sollen from, erbar leben füren, sollen sich drauff lassen und vermessen heilig«114. Obgleich Luther die römische Kirche lobt wegen der äußerlichen Zucht, die in ihr besser sei als in den jungen evangelischen Gemeiden115, sieht er es als die große und verdammliche Sünde dieser Kirche an, daß sie Christus »verhüllt« predigt 116 und die Menschen lehrt, das heuchlerische Herz mit einem äußerlich guten Leben zu verdecken117. Angesichts der Lage der Christenheit erkennt Luther mit tiefer Sorge und verkündigt mit großem Ernst, die Menschen müßten zu wahrem Glauben und christlichem Leben bekehrt werden, sonst werde das Gericht bald über das Vaterland kommen 118 .
2. Das siindeniiberfiihrende Gericht durchs Gesetz im Bereich der Werke
a. D i e Ü b e r f ü h r u n g d e r L i e b l o s i g k e i t . Es ist eine richtige Beobachtung, daß auch die Predigten, in denen Luther trostreich von einer »Freudigkeit« durch gute Werke am Jüngsten Tag redet, zugleich Worte des richtenden Gesetzes sind. In »Etliche schöne Predigten« heißt es so zu 1. Joh. 4,17 : »ipse loquitur semper contra pseudochristianos«119. Diese sündenüberführende Aufgabe der evangelischen Gerichtsparänese hebt Henrik Ivarsson besonders stark hervor: »Der Ton liegt immer stark auf der negativen Seite, auf dem Vorwurf, auf der Hervorhebung des Ausbleibens der Werke, als Beweis des Unglaubens . . . Diese Predigt kann kaum ein anderes Ergebnis haben, als daß das Heil aufs neue fraglich wird, nachdem das Evangelium und die Vermahnung gepredigt worden sind«120. Die Gerichtsparänese will unsere Sicherheit treffen und die Gewißheit anfechten. Die Werke bestehen nicht coram Deo, und auch coram hominibus bleibt der Christ vieles schuldig und muß oft um Vergebung bitten. Allein auf Grund der Vergebung ist eine »Freudigkeit« durch die Liebeswerke möglich. Die wesentlichste Aufgabe der Gerichts- und Gesetzespredigt liegt also für Luther darin, durch die Überführung des Sünders wahre Buße zu bewirken. So liegt auch 1537 in der Predigt über Mt. 25,31 ff. die Betonung besonders auf der an die Heuchler gerichteten Vermahnung zur Buße. Was hilft alles Pochen auf den Glauben, wenn man die guten Werke, etwa die Erhaltung des Evangeliums, vernachlässigt? Was wollen solche Lügner am Jüngsten Tag sagen ? Sie haben den Tod vor Augen und gehen dem Gericht entgegen und dennoch widerstreiten sie Christus, da sie seinem Exempel nicht folgen wollen. Ihr Glaube wird ihnen nicht m
(Rörer) vgl. Z. 13 und 436, 1 ff WA 45, 325, 37 f. 116 WA 8, 71, 1 ff. 8 ff. 117 WA 10 I 2, 156, 17 (Adv.post. 1522 Mt. 11,2) deckt den allten schalck ym hertzen mitt solchem schonen leben. 118 WA 45, 329, 1 ff. 118 WA 36, 443, 1 f.; 45, 327, 32. 120 H. Ivarsson a.a.O. S. 143 (übers.). 115
W A 4 1 j 4 3 5 ) 3 8 ff
118 helfen; im Gegenteil, wegen des ihnen anvertrauten evangelischen Lichtes werden sie desto tiefer in die Hölle gestürzt werden 121 . Eine relative und eine absolute Betrachtung der Werke sind in den Gerichtspredigten Luthers aufs engste verknüpft. Zugleich mit der Betonung des größeren oder geringeren Lohnes bzw. der Strafe wird mit besonderem Nachdruck an die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit der Verdammung wegen der Vernachlässigung der guten Werke erinnert. Streng werden diejenigen, die sich ihre Gerechtigkeit nur einbilden, die selbstsicheren Heuchler zur Buße aufgerufen 122 . Diese »praesumptiosi sancti« wollen wie alle Weltmenschen immer auf das pochen, was sie aus sich selbst haben, seien es die Werke oder sei es die Bejahung des lauteren Evangeliums. Niemand ist so von seinem Christsein überzeugt wie die neuen Heuchler, die das Evangelium von der Rechtfertigung durch den Glauben kennen, deren Glaube aber nur in Worten besteht123. Sorglos und selbstsicher singt man vom Evangelium und vom Glauben — aber Luther hört diesen Gesang nur sehr bekümmert. Wer die Kraft des Wortes und des Glaubens erfahren hat, kennt auch die wahren Früchte des Glaubens. Diese neuen Heuchler sind aber diejenigen, von welchen Jakobus redet: sie hören nur und tun nichts. Also betrügen sie sich selbst124. Luther sagt sehr deutlich, daß er die Pervertierung der Lehre von der Rechtfertigung sola fide zu einer vermessenen Selbstsicherheit als eine noch größere Gefahr ansieht als die Werkheiligkeit125. Hier wird die furchtbare und schicksalbestimmende Doppelsünde begangen: auf das Evangelium pochend, verweigert der Mensch den geschuldeten Dienst am Nächsten, und zugleich versperrt er sein Gewissen gegen das Wort, das zur Buße vor Gott führen soll126. Solche Erscheinungen innerhalb der evangelischen Gemeinden fechten Luther bis zur schweren Verzweiflung an. Er fragt sich, ob es vielleicht besser gewesen wäre, wenn die Christenheit äußerlich unter dem Papst geblieben und das Evangelium nur für die durch die falsche Werklehre erschrockenen Gewissen gepredigt worden wäre127. 121
WA 45, 326, 5 f. 29 ff. 22. WA 36, 443, 1 vgl. 41, 435, 30 f. (Pred. 1535 Rörer Mt. 17, 4). 123 WA 36 442 14 f. ; 443 3 f. 124 WA 4l', 73,' 18 ff. (Pred. 1535 Rörer Jac. 1, 21 ff.) Ut hodie: Euangelium, Euangelium, fides, fides. Ich frag nichts darnach. Non canatur mihi ista cantilena. Qui expertus, quae sit potentia verbi et fidei, non sic dicit. Sed de quibus Iacobus, tantum audiunt, non factores, qui seipsos decipiunt. 125 WA 30 II 675, 26 ff. (De loco Iustif. 1530) nihil pestilencius 1. praesumptione fidei 2. praesumptione noticiae Euangelii. 126 WA 36, 447, 5 ff. Si dicitur : oportet sola fide salvemur, tum nolunt facere opera. Si econtra ec. wil semper den holtz weg ghen. 127 WATR 2, 178, 4 (1532) Si ego haberem iam euangelium incipere, ich wolt mich anders drein schickhen. Vulgus velim sub papatu relinquere et tantum desperatis et anxiis conscientiis clam succurrere. Ideo praedicatorem oportet cognovisse mundum, et non talis, qualis ego monachus fui, qui putabam mundum tarn probum, ut mox audito euangelio accurrere deberet; sed contrarium fit. —• Siehe G. Heintze a. a. O. S. 62 f. und die dort angeführte Literatur. 122
119 Tiefe Besorgnis flößen ihm auch die Antinomer ein, die nur durchs Evangelium Buße predigen wollen. Ihre Anschauung ist wohl verständlich; sie haben von Luther gelernt, die Sünde gegen das Evangelium sei die schwerste, die eigentliche Sünde, und Luther sagt selbst, er habe früher, als die Welt durch die Gesetzlichkeit der Papstkirche »plus satis perterrefactus« war, das Evangelium ebenso einseitig und mit denselben Worten gepredigt wie nun die Antinomer 128 . Er erkennt indessen klar, daß es nicht genügt, die Welt zur Buße zu rufen durch den Vorwurf der Sünde gegen den im Evangelium sich darbietenden Sohn Gottes. Die Gewissen müssen durch konkrete Gebote und Verpflichtungen angegriffen werden, um zur Verantwortlichkeit und Sündenerkenntnis dem göttlichen Richter gegenüber erweckt zu werden. Als Beispiele nennt Luther Adam, David und Paulus sowie Paulus' sündenüberführende Argumentation in Rom. 3,9—24129. Er sieht ein, daß die ganze Buße ihre Realität verüert, wenn dies konkret sündenüberführende Werk des Gesetzes versäumt und gehindert wird. Die Krankheit der Sünde und des Todes bleibt dann verborgen 130 . Luther findet es bezeichnend, daß Jesus den reichen Jüngling und den gerechten Pharisäer auf die Armen und Elenden hinweist, als er ihnen zur Buße helfen will. Der Jüngling sagt, »das ehr die Gebott alle gehalten hab, und will volkomen sein, so ehr doch nicht so viel über das hertz bringen kan, das ehr die zeittlichen guter verkeuffen und den armen geben wolte, und lesset eher Gott und das himelreich und will zum Teuffei fharen und lesset den Nehesten auch hungers sterben« 131 . Mitten in unseren irdischen Relationen trifft uns das richtende Gesetz. Es trifft uns nach Mt. 25,31 ff. in unserem Verhältnis zu den Hungrigen, Nackten, Kranken und Gefangenen. Den eigenen Familienangehörigen soll zuerst geholfen werden; einen besonderen Raum in der Sorge Gottes um die Menschen haben die Glaubensgenossen, besonders die Diener des Wortes132. Damit ist jedoch für die Liebe keine Grenze gezogen. Indem Gott den Liebesdienst am Nächsten fordert, wird die ganze Person im Gewissen in Anspruch genommen. Indem die Werke gerichtet 128 WA 39 I 571, 11 ff. (3. Antin. disp. 1538) nos sub initium causae huius coepimus strenue docere Evangelium et utebamur etiam istis verbis, quibus nunc Antinomi. Sed longe diversa ratio fuit tunc temporis, quam hodie. T u m mundus erat plus satis perterrefactus. 574, 5 ff. Iam certo isti nostri volunt praedicare conciones saeculi contritorum in saeculo securorum. Id quod certe non est recte secare verbum Dei, sed lacerare et dissipare et perdere animas. 129 W A 39 I 347, 9 ff. (Antinomerthesen). leo WA 47, 752, 11 f. 753, 2 ff. (Pred. 1539 Rörer Jak. 1, 17 ff.) vgl. TR 4, 67, 25ff. (1538). m WA 47, 347, 17 ff. (Ausi. Mt. 1537—40 Mt. 19, 21). 132 W A 26, 87, 3 ff. (Ausi. 1. Timotheusbrief 1528 1. Tim. 5, 8) Sicut vidua peccat neglectis suis filiis, parentibus, quod deo acceptum, Sic omnis Christianus generaliter est infidelis, qui suos non curat quo ad corpus et animam. 40 II 164, 1 ff. 7 f. (1531 Gal. 6, 10) exhortatur ad alendos pastores et largiendam eleemosynam omnibus. Erit tempus, quod non poteritis, U t si venit tempus hereticorum, tum omnia facta sunt perdita . . . ' Domésticos' : qui sunt in nostra societate fidei, sunt fideles, 1. ministri verbi, postea alii creduli.
120 werden, wird die ganze Person gerichtet. In »De loco iustificationis«, 1530, wird das Wort »Date eleemosinam et omnia munda vobis« so kommentiert: »Date est secundae personae verbum, ergo requirit personam totam, non opus solum. Persona autem est homo maxime secundum cor et animum«. »Ergo 'date' non significat opera, sed corde puro et recto dare, vel opera facere« 133 . Ebenso heißt es in »Annotationes in aliquot capita Matthaei«, 1538: »Deus reddit unicuique secundum opera, Item: Hoc fac et vives, et similia . . . Haec dieta esse nihil aliud, nisi praecepta Dei, que totum hominem totamque vitam exigunt«134. Gott fragt also nach dem Täter, wenn er nach den Werken fragt. Wenn er die Werke richtet, richtet er die Person, die die Werke getan oder versäumt hat 135 . Die Gebote Gottes nehmen das Gewissen gefangen, fordern den wahren Liebesdienst der ganzen Person und stellen uns vor das Gesicht Gottes: Was hast du deinem Nächsten, meinem Menschen, getan? 136 Wieder sehen wir, daß die Liebe zu Gott und zu den Menschen eine ist. Das Fehlen der Nächstenliebe ist mit dem Mangel an Gottesliebe identisch. Von den anderen Geboten geht also ein Treiben und Dringen zum ersten Gebot aus, dessen Erfüllung in allen Geboten und Situationen gefordert wird. Die Verurteilung durch die Gebote der zweiten Tafel schließt mit eisernem Zwang auch die Verurteilung durch das erste Gebot mit ein. Wir werden des Mangels an Gottesliebe, ja des Gotteshasses überführt. In dieser Lage versucht das schuldbewußte Gewissen, vor Gott zu fliehen wie Adam und Kain. Wenn es jedoch mit Gott konfrontiert wird, muß die Frage nach der Gerechtigkeit vor Gott das einzige große Hauptanliegen werden. Der Mensch ist ja »in media morte et medio inferno«. Das Jüngste Gericht ist existenziell hereingebrochen. So wie Adam »fugit a Deo et abscondit se« und damit »seipsum condemnat et peccatum suum prodit«, so »impii in extremo iudicio condemnabunt seipsos, cum revelabuntur tenebrae cordium humanorum et tanquam in apertis libris legentur singulorum malefacta« 137 . Wie soll der Mensch vor Gott bestehen? Es bleibt die Möglichkeit, durch gesteigerten Dienst am Nächsten zu versuchen, sich vor Gott zu rechtfertigen. Und man kann der teuflischen Versuchung unterliegen, Gott besondere Opfer bringen zu wollen auf Kosten des Nächsten 138 . Es ist darum überaus wichtig, daß das Gesetz recht gepredigt wird. Wir dürfen nicht zu selbsterwählten Werken fliehen. Wir sollen den zehn Geboten Gottes gehorsam sein 133
WA 30 II 661, 10. 23 ff. 12 f. WA 38, 647, 19 ff. Vgl. A Anm. 66—69. 135 W A 42, 129, 21 f. (1535—45 Gen. 3, 8 f.) ' Vocavit eum' . . . ad iudicium. Queritur autem hic de persona. 17 II 97, 11 ff. (Fast.post. 1525 Rom. 13, 8 ff.) Nu ist des gesetzs art, das es die person angreyfft und foddert solch gute werck von yhr. 136 W A 45, 325, 14 ff. (Pred. 1537 Mt. 25, 31 ff.) Hie stehet, wie zu gehen und was urteil sein wird. 'Gehe hin in das ewig feur, vos in eternam vitam, quia fecistis bona, quod mihi fecistis, et vos alii nachgelassen, quod mihi nachgelassen. 137 WA 42, 127, 30 ff; 129, 13 ff. 16; 131, 30 f.; 130, 31 (Gen. 3, 8 ff). 138 Ebd. 121, 23 ff. (Gen. 3, 4 ff). 134
121 und dem Nächsten dienen. In der Schule der gebotenen Werke sollen wir den Mitmenschen dienen und dadurch nicht nur einzelne äußerliche Fähigkeiten, sondern uns selbst im Lichte Gottes erkennen lernen — so wie wir am Jüngsten Tag vor Gott stehen werden. b. D i e Ü b e r f ü h r u n g des U n g l a u b e n s . Durchs Gesetz werden wir wegen unserer bösen Werke nicht nur der Lieblosigkeit überführt, sondern vor allem des Unglaubens, der die Quelle aller schlechten Früchte ist. In Einklang mit dem Gedanken, daß die gebotenen Werke Zeichen des Glaubens sind, kann Luther sagen, Gott fordere im Gesetz eigentlich den Glauben und sehe in allen Werken nach dem Glauben 139 . Eben im Bereich der konkreten Werke, die das Gesetz gebietet, wird also der Glaube gefordert und der Unglaube entschleiert und bestraft. Nicht nur die Verachtung des Gesetzes, sondern auch die Gesetzlichkeit ist Sünde. Es ist der große Irrtum des natürlichen Menschen, daß er darnach trachtet, eine eigene Gerechtigkeit vor Gott aufzurichten; ja es ist der Satan, der den Menschen immer wieder dazu verführt, sein zu wollen »wie Gott« (Gen. 3,5) : auch wir sollen wie Gott in uns selbst die Gerechtigkeit besitzen und aus uns selbst heraus leben können. Wenn der Teufel uns von Christus weg zu unserem Glauben und unseren Werken lockt, will er uns damit der einzig möglichen Gerechtigkeit des Menschen vor Gott berauben 140 . Durch die Christusoffenbarung erkennen wir aber diese Grundsünde aller Menschenherzen : wir wollen aus uns selbst leben und unsere eigene Gerechtigkeit vor Gott aufrichten — wenn es möglich wäre, sogar durch die Gnade und Hilfe Gottes. Eben auf diese Sünde hat Gott reagiert auf die doppelte Weise, die durch Gesetz und Evangelium gekennzeichnet ist, mit Zorn und Fluch außer Christus und mit Rechtfertigung durch den Glauben in Christus, der stellvertretend den Zorn und den Fluch durchlitten hat 141 . Das Ziel und die abschließende Vollendung dieser satisfactio ist nicht, daß wir diesen Glauben selbst 139 γyA 30 II 676, 17 f. (De loco Iustif. 1530) in lege Dei est promissio et comminatio exigens fidem cordis veram. 42, 116, 41 f. (1535—45, Gen. 3, 2 f.) sicut promissio exigit fidem, Ita etiam comminatio exigit fidem. 10 1 1. 339, 14 ff. (Kirchenpost. 1522 Gal. 4, 1—7) Nu aber das erste gepott ym gesetz foddert und gepeutt : Wyr sollen eynen gott ehren und haben, das ist: aufFyhn trawen, bawen und vorlassen, wilchs ist eyn rechter glawbe, der gottis kinder macht. 140 E. Ellwein, Gesetz und Evangelium, 1933, S. 27: »Unter dem Zwang des Gewissens wird 'der Enthusiasmus' angefacht, der 'sticket jnn Adam und seinen Kindern von anfang bis zu ende der weit, von dem alten Trachen jnn sie gestifftet und gegifftet' (WA 50, 246, 20ff".= Bek. 455, 27 ff.). Es ist der Wahn sich selber Gott und damit wie Gott sein zu wollen«. 141 WA 56, 255, 23 ff. (Rom. 3, 22) Die Stelle wird von E. Wolf so wiedergegeben (Peregrinatio S. 123) : »Wir glauben, daß wir durch Gott gerechtfertigt werden müssen, aber wir wollen das selbst erlangen durch Gebet, Flehen und Bekennen. Christum wollen wir nicht, denn Gott kann uns seine Gerechtigkeit ohne Christus geben«. Daraufist aber zu entgegnen »Gott will das nicht, denn auch Christus ist Gott. Die Gerechtigkeit wird nur durch den Christusglauben gegeben. So hat Gott es angeordnet«. — 40 I 226, 14 ff. (1535 Gal. 2, 16) (Sophistae) charitati, quae est opus et donum secundum legem . . . tribuunt iustitiam formalem et dicunt eam esse dignam vita aeterna. 229, 28 ff. fide apprehensus et in corde habitans Christus est iustitia Christiana propter quam Deus nos reputat iustos et donat vitam aeternam (vgl. Z. 8 ff.).
122 leisten. Wenn wir durch Gottes Gesetz und Evangelium wegen der Lieblosigkeit und des Unglaubens gerichtet werden, werden wir nicht durch Gott auf eigene Werke und auf eigenen Glauben hingewiesen. Der Glaube, den das Gesetz und das Evangelium »exigit«, ist eben derjenige, der durch Gottes rechtfertigende Gnadenwort gewirkt wird 142 . Wenn durchs Evangelium das Gericht über den Unglauben verkündigt wird, wird Christus als der Erlöser vom verdammenden Gericht und als Urheber des Glaubens durchs evangelische Wort herausgestellt. Wir dürfen zu Christus kommen, der durchs Wort uns ganz nahe ist, in Ohr und Herz. Gott selbst lädt uns zu Christus ein und zieht uns zu ihm, schenkt den Glauben und wirkt die Glaubensfrüchte durch seinen Heiligen Geist. In Christus sind wir also von der Verpflichtung der eigenen, toten Werke befreit, und zwar nicht zur Passivität, sondern zur wahren Wirksamkeit des Glaubens. Diese Glaubenstätigkeit ist im Gesetz geboten. Weder das Gesetz noch das Evangelium fordern uns also auf, den Glauben selbst zu schaffen, noch, kraft unserer eigenen Liebe den Liebesdienst zu leisten. Der geforderte Glaube ist der von Gott gewirkte, und die im Gesetz geforderten Werke sind diejenigen, die durch den Glauben geschaffen werden. Folglich sollten der wahre Glaube und die echten Liebeswerke eigentlich nicht vom Gesetz angegriffen werden; der Unglaube und die eigenen Werke dagegen werden gerichtet. Weil aber unser Glaube immer unvollkommen und die Liebeswerke immer mangelhaft sind, richtet sich das Gesetz immer auch gegen sie. Da wahrer Glaube gute Früchte trägt, wird ein Christ heftig angefochten, dessen Werke nicht unzweideutig gut sind. Weil der rechte Glaube durch Christus immer neue Liebeswerke hervorbringt, muß ein Grundfehler im Verhältnis zu Gott in Christus vorliegen, wenn der Mensch dem Bruder nicht recht mit guten Werken hilft. Die Werke zeugen gegen ihn und zeigen, daß der Glaube in der Prüfung nicht besteht143. Hier werden die Werke in Beziehung zur Rechtfertigung gesetzt, insofern nach dem inkarnierten Glauben gefragt wird. Das heißt nicht, daß eine fides charitate formata im scholastischen Sinne gefordert wird; die Frage gilt der gottgewirkten Zuversicht zu der »fremden« Gerechtigkeit Christi. Weil die guten Früchte fehlen, wird nach dem rechtfertigenden Glauben gefragt, der die guten Früchte trägt. Mitten im Bereich der Werke, vom Gesetz verhaftet, stehen wir somit vor Gott, der in loco iustificationis den Glauben de necessitate salutis fordert. Wenn der Glaube so von den Werken her angegriffen wird, gerät er ins Schwanken. Ein Glaube, der schlechte Früchte trägt, kann ja nicht unanfechtbar sein. So wird das existenzielle Gericht nach den 10 Geboten 142 WA 40 I 164, 4 (1531 Gal. 2, 4 f.) fides per se opus divinum in corde, quod ideo iustificat, quia apprehendit ipsum salvatorem. na w Á 45, 327, 14 f. hi inveniuntur, qui recte credant, qui tales, faciunt ista opera. 36, 442, 12 ff. Sic enim Christianus vivit, si vere credit. Si fides sic non facit, tum Signum, quod non recte credit. Vgl. 443. 6 ff.; 445, 3 ff.; 37, 105, 14 f. (Pred. 1533 Rörer Lk. 6, 36 f.).
123 in loco iudicii operum aufs engste mit dem Gericht nach dem 1. Gebot in loco iustificationis verknüpft. Erst dadurch wird das Gericht gänzlich unerträglich. Solange nur die Werke angegriffen werden, kann der Mensch ja immer wegen der Barmherzigkeit Gottes auf eine künftige Buße und Verbesserung hoffen; wenn aber Gott den Glauben angreift und wir ohne Schutz stehen gegen Gesetz, Gericht, Teufel und Zorn Gottes, dann vergeht alle Hoffnung und es droht die Gefahr der Verzweiflung144. Dies Gericht Gottes über die Sünde wird durchs Exempel und Kreuz Christi bestätigt. Die Buße wird gepredigt im Namen Christi, der uns geliebt hat und der um unserer Sünden willen hat sterben müssen. Angesichts seiner Nächstenliebe sollen wir unsere Selbstsucht erkennen und eingestehen, und aus seinem Vertrauen zum Vater in allen Werken, Leiden und Anfechtungen sollen wir unseren Unglauben erkennen lernen. In Christi furchtbarer Gewissensnot, die er in Gethsemane um unserer Sünden willen erlitt, sollen wir die endgültige Bestätigung unserer Schuld und des Zornes Gottes sehen. Was Christus am Kreuz an unserer Statt gelitten hat, ist das Gericht, das wir uns durch unsere Sünden verdient haben 145 . Unter diesem Gerichtszorn stehen wir heute wie am Jüngsten Tag, wenn wir extra Christum ohne den wahren Glauben und die Liebe sind. Unter diesem Zorn bleiben wir, wenn wir nicht aus der Predigt des Evangeliums den rechtfertigenden Glauben empfangen146. So verkündigt Luther durch das Evangelium im doppelten Sinn das Gesetz, einmal als die Forderung der Liebeswerke nach den 10 Geboten bzw. dem Exempel Christi147, zweitens, wie wir eben gesehen haben, als die Forderung zum Glauben an das rettende Evangelium vom Christus pro nobis crucifixus. Nach Luther ist also die Grundforderung des Gesetzes eben der Glaube, der auch in den Geboten der 2. Tafel vorausgesetzt ist und der alle Gebote und Werke erfüllt und tut. So heißt es im Großen Katechismus zum 1. Gebot: »Also verstehest Du nu leichtlich, was und wieviel dies Gepot fodert, nämlich das ganze Herz des Menschen und alle Zuversicht auf Gott allein und niemand anders«. »Siehe, da hast Du nu, was die m WATR 1,200,24 ff. (V. Dietrich 1533) Reliqua peccata secundae tabulae afferunt contritionem secum et spem poenitentiae; die haben noch obiectum misericordiae, das Gott gnedig sey, sed prima tabula, die schertzt nit. 115 WA 9, 652, 3 ff. (Polianders Samml. 1519—1521) Also richtet dieße bedenckung des leydens Christi eben das auß, das das gesetzs thut, darvon Paulus sagt ' Per legem cognitio peccati' et 'lex iram operatur'. Das machet, das der mensch erkenneth sein elend, wie ers vorwircket hath gegen goth, und sichet den grossen zcorn, der übersieh gehet, und soll mit dem streytten, den nymanth uberwinden mag. Darumb muß er flihen, dan es ist nicht muglich, das ers konde leyden. 40 I 433, 3 ff. (1531 Gal. 3, 13). uè W A 47, 101, 5 (Ausi. Joh. 3—4 1538 Joh. 3, 17) Bin ich aber neidisch . . . gehe also hin und sage dan : O, Gott hat seinen Sohn nicht gesanth, das er die weit richte, da wirstu es wohl sehen, du gehörst nicht dahin, bist nicht in der liebe des vaters, sondern undter des vaters zorn und liebest die Finsterniss und bist ausser Christo und der liebe des vaters. 40 I 281, 15 ff. (1531 Gal. 2, 20) Solum moritur, crucifigitur in illis qui credunt in Christum; alias regnat et vivit lex et mors in toto mundo. 147 W A 40 I 424, 1 f. (1531 Gal. 3, 12) lex . . . nihil aliud quam praeeipere charitatem . . . Charitas ergo opus legis, ergo Charitas non est ex fide . . . Seponere autem legem a fide, etiam charitatem et omnia, quae sunt legis, et retiñere solam ipsam fidem.
124 rechte Ehre und Gottesdienst ist, so Gott gefället, welchen er auch gepeut bei ewigem Zorn, nämlich, daß das Herz kein andern Trost noch Zuversicht wisse denn zu ihm« 148 . Demgemäß heißt es in der Kirchenpostille 1522, das Gesetz fordere vor allem den Glauben und es sei das große gesetzliche Mißverständnis, daß der Glaube nicht vom Gesetz erfordert werde149. Es ist also dem Glauben und den Werken gemeinsam, daß beide im Gesetz geboten sind und im Gericht gefordert werden. Da beide unter Androhung des Zorns befohlen werden, kann niemand bezweifeln, daß sie dem ernsten Willen Gottes entsprechen, so wie es 1538 in der Annotat i o n s in aliquot capita Matthaei ausgedruckt ist : »Hic sunt duo diversa, fides et opera, Et tarnen sunt unum in omnibus praeceptis, quia omnia praecepta utrunque requirunt« 150 . Auch die zwei Testamente werden in ihrer Unterschiedlichkeit zugleich zusammengehalten und zwar dadurch, daß der in allen Geboten geforderte Glaube eben der Heilsglaube ist, der im Alten wie im Neuen Testament prinzipiell derselbe ist. Der im Gesetz gebotene Glaube ist eigentlich nichts als die rechtfertigende Zuversicht zu Christus, so wie die im Gesetz geforderte Liebe mit der Liebe Christi identisch ist151. Das Evangelium schenkt, was im Gesetz geboten ist und im Gericht gefordert wird : die Gerechtigkeit des Glaubens und die Liebe, die in den gebotenen Werken wirksam ist. Durchs Evangelium wird das ganze Gegenüber des Menschen mit dem göttlichen Richter unter das Zeichen der Gnade und der Verheißung gestellt. Das Bestehen vor Gott im Gericht ist die Gabe des Evangeliums, durch welches der Heilige Geist den Glauben und die Früchte des Glaubens wirkt. Unter diesem Aspekt ist also das Verhältnis zwischen Gesetz und Evangelium als eine völlige Entsprechung zu bestimmen. Aus dieser genauen Entsprechung des Gesetzes und des Evangeliums folgt, daß das Gesetz nur durchs Evangelium sein letztes, absolut tötendes Wort reden kann. Nicht durch das Liebesgebot im Sinne der 10 Gebote und des Exempels Christi und auch nicht durch das Wort vom Zorn, der am Kreuz Christi offenbar geworden ist, sondern erst durch das Evangelium in eigentlichem Sinn wird die Undankbarkeit, die Bosheit und der Unglaube des Herzens enthüllt, erkennt der Mensch, wie unwillig er diese seligmachende Botschaft Gottes empfängt. Die Tötung durchs Gesetz geschieht so, daß wir, durch die Gebote im Bereich der 148
Bek. S. 562, 39 ff.; 563, 28 ff. W A 10 I 1, 340, 2 ff. (Kirchenpost. 1522 Gal. 4, 1 ff.) eynen solchen glawben, den das gepott foddertt, ya, die werck leyden noch erkennen solchen glawben nit, . . . wissen auch nitt, das er vom gesetz erforddert wirtt. 150 W A 38, 648, 24 ff. ; vgl. A A n m . 16. 151 VVA 28, 600, 9 ff. (1529 Rörer Deut. 5, 6 f.) credere in Christum in novo testamento, q u a n q u a m et in vetere. 601, 9 Et Christus hic ist gefast u t c. 18 (Deut. 18, 15) u t ilium expectent vgl. 604, 10; 599, 4 f . ; 40 I 401, 16 ff. (1535 Gal. 3, 10) Evangeliu m . . . credendum est; ea vox promissionis A b r a h a e affert Christum, quo fide apprehenso mox d o n a t u r Spiritus sanctus propter Christum. T u m diligitur Deus et proximus, bona opera fiunt, fertur crux. H o c t a n d e m est vere Legem facere. 149
125 Werke verhaftet, vor Gott gestellt werden, der nach dem Glauben fragt. Durch die Verkündigung des Evangeliums werden wir mit dem gekreuzigten Christus gleichzeitig. Als der Lebendige ist er bei uns anwesend mit aller Gnade und Gabe, die er uns gewonnen hat, als er am Kreuz für uns den Zorn erlitt. Diesem Christus gegenüber erkennen wir nicht nur den Zorn, der wegen der Sünden der Vergangenheit über uns ist, sondern vor allem den Zorn, den wir verdient haben wegen unserer Trägheit zum Glauben 152 . Gerade wenn das Evangelium und die evangelische Vermahnung verkündigt werden, können wir folglich zutiefst angefochten werden. Diese Anfechtung trifft den Christen wie den Nichtchristen, denn keiner hat vollkommenen Glauben noch vollkommene Liebe153. Oft greift das Gericht den Christen noch schwerer als den Nichtchristen an, denn dieser verschanzt sich hinter seinen eigenen Werken und findet irgendwie einen Grund der Hoffnung, während der wahre Christ alle eigene Gerechtigkeit aufgegeben und sich den Händen des Herrn überlassen hat. Obwohl in der Anfechtung tief verborgen, mehrt auch die Liebe den Schmerz der Anfechtung. »Der rohe grosse hauffe« gerät überhaupt nicht in diesen Jammer, sondern »gemeyniglich die vernunfftigisten und tzartisten seelen, und gut trewhertzigen menschen, die ßonst niemant gern unrecht thetten und erbarlich leben« 154 . In diesem überaus schweren tempus legis kennt und weiß auch der angefochtene Christ sich in der Macht der Sünde, deren Kraft das Gesetz ist155; wegen der Sünde wird das Herz mit feurigen Pfeilen getroffen, wenn Gottes Gericht durch das Gesetz existenziell erlebt wird 156 . Das Evangelium wird übertönt und nur die Anklage und das Gericht werden gehört: »conscientia pavefit, videt legem accusatricem«157. »Putamus, praesertim durante tentatione, diabolum horribiliter contra nos rugiré, coelum mugiré, terram tremere, omnia collapsura esse, omnes creaturas minari malum, infernum aperiri ac velie nos isa W A 5 , 2 0 3 , 1 ff. (Op. in Psalmos 1519—21 Ps. 6 , 2 ) Reprehensio autem ista cordis in spiritu est pavor ille et horror conscientiae a facie iudicii dei, q u a Christus pro nobis laboravit in horto. 153 W A 10 I 1, 339, 16 ff. (Kirchenpost. 1522 Gal. 4, 1 ff.) So sihestu u n d erkennist durch ditz gesetz klerlich die sund y n n dißem Cayn, nemlich seynen unglawben, desselben gleychen fulistu auch y n n dyr selb, ob d u glewbist oder nit, wilchs on solch gesetz niemant fulen noch erkennen mocht. 151 W A 10 I 2, 102, 23 ff. (Adventpost. 1522 Lk. 21, 25 ff). 155 W A 5, 604, 12 f. (Op. in Ps. 1519—1521 Ps. 22) V e r u m in hoc quoque a nobis Christus differì : nos enim, magis autem damnati, h a n c peccati et legis iram sic ferimus, ut simul peccemus. 40 I 282, 9 f. (1531 Gai. 2, 20) facile fit: peccato veniente, tribulatione, morte, sumus taies, statim in sinum nostrum respicimus et sic perimus vel contristamur. 3 6 , 6 9 1 , 11 ff (Pred. 1532 Rörer 1. Kor. 15,56) D u securus, sed veniente lege es plenus peccatis, q u a n d o vides so viel spies auff dich gericht, mustu sterben. 689, 7 ff. Peccatum wer (wäre) mat, krafftlos, nihil faceret nisi lex, wen das auff ghet, peccatum fit starck. Vgl. Z. 25 ff. 156 W A 18, 493, 2 ff. (Die 7 Busspsalmen 1525 Ps. 38, 3) die pfeile Gottes u n d zornige Sprüche m a c h e n kegenwertig die sunde y m hertzen. 15 ' W A 40 I 531, 4 (1531 Gal. 3, 24).
126 deglutire« 158 . »Nihil praeterea vides quam legem, peccatum, terrorem, tristitiam, desperationem, mortem, infernum et diabolum« 159 . Anfechtung heißt »custodiri et concludi sub lege«160. Das ist das »proprium officium« des Gesetzes : »nos reos facere, humillare, occidere, ad infernum deducere et omnia nobis auferre« 161 . Selbst eine durch und durch evangelische Predigt kann vom Gesetz absorbiert werden 162 , so daß wir nur Unglaube, Selbstsucht, Zorn und Gericht erkennen. Ja, Christus pro nobis wird Christus pro iis qui digni sunt, ut Petrus et Paulus163. Das Wort von Gott, der zu Christus zieht, schlägt wie ein Blitz ein: dein Glaube ist nur ein selbstgemachter Scheinglaube, nicht von Gott gewirkt164. So geschieht immer wieder durch das Evangelium eine noch gesteigerte Gesetzespredigt. Die Tiefe unserer Sünde wird am entsetzlichsten offenbar, wenn wir mit Lauheit und verstocktem Unglauben anhören, wenn uns in Christi Namen Vergebung der Sünden verkündigt wird. Dadurch widerstehen wir dem Heiligen Geist. Das ist die größte aller Sünden 165 . So erleben wir existenziell das Jüngste Gericht unter den beiden Aspekten: wegen des Unglaubens ohne Gerechtigkeit vor Gott, und wegen der Selbstsucht ohne eigene Möglichkeiten, den Menschen zu dienen, so wie ihnen nach Gottes Willen gedient werden soll. Das ist der peinigende career theologicus166 : existenziell unter dem Gericht Gottes in loco iustificationis, und zugleich in Blick auf die Zukunft ohne Hoffnung in loco iudicii operum. Was auch den Tod so schwer macht, ist das Gesetz Gottes, das der Stachel des Todes ist. Darum wird auch außerhalb der Todesstunde die geistige Todesnot schwer erfahren. Immer gilt das »media vita in morte sumus«, da erstens ja das leibliche Leben ständig 168
Ebd. 583, 10 (1535 Gal. 4, 6). Ebd. 525, 24 f. (1535 Gal. 3, 23). Ebd. 521, 27 (1535 Gal. 3, 23). 161 Ebd. 529, 11 f. (1535 Gal. 3, 23). 162 Ebd. 527, 24 ff. Nihil magis coniunctum est quam timor et fiducia, Lex et Evangelium, peccatum et gratia; tarn coniuncta enim sunt, ut alterum ab altero absorbeatur. íes \VA 40 I 86, 4 ff. (1531 Gal. 1, 4) Christus mortuus; sed quando addendum pronomen, da spert sichs: Petrus et Paulus fuerunt digni. Z. 9 ff. (1535) Facile dixeris et credideris Christum Dei fìlium traditum esse pro peccatis Petri, Pauli et aliorum Sanctorum quos dignos fuisse iudicamus hac gratia. Sed difficillimum est, ut Tu qui indignum te iudicas hac Gratia, ex corde dicas et credas Christum traditum pro tuis multis et magnis peccatis. 164 WA 5, 622, 5 ff. (Op. in Ps. 1519—21 Ps. 22, 8 f.) an fides sua sit ex deo piantata vel ex naturalibus simulata. i»6 W A 40 ι 300, 7 f. (1531 Gal. 2,21) Est horrendissimum peccatum non velie iustificari per Christum. Quid gravius quam abiicere gratiam dei? . . . Non satis peccavimus, quod transgressores legis, num peccatum peccatorum addamus, ut etiam gratiam abiiciamus? Ergo non est peccatum supra peccatum negationis Christi. 34 II 93, 6 ff. (Pred. 1531 Rörer Lk. 19, 41) Ipsi non sunt frey der straff, qui peccant in legem, multoplus in spiritum sanctum et Euangelium. Ideo iste contemptus Euangelii ist weit über all sund, quae fiunt contra legem. Vgl. H. Ivarsson a.a.O. S. 57: »Die Schwierigkeit die Vergebung zu glauben, die die ständige Nötigung und Reizung zum Glauben notwendig macht, ist Sünde, ja die tiefe und eigentliche Sünde« (übers.). ιββ WA 40 I 521, 35 f. (1535 Gal. 3, 23) cum sic carcere legis concluditur, nusquam patet ei exitus, sed apparet ei istam angustiam subinde augeri usque in infinitum. Siehe ebd. S. 520—523. 169
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127 bedroht ist167, und weil wir zweitens immer wieder gerichtet und so in die absolute Ausweglosigkeit geführt werden — wie das zitternde Volk Israel vor dem Sinai168 und wie Adam nach dem Sündenfall, dem die ganze Welt zu eng geworden war169. Durch Gottes Gericht wird unsere Existenz wie im Tod so auch während des ganzen Leibeslebens, auf das Nun beschränkt — auf das absolut unteilbare punctum mathematicum 170 . Obwohl die Todesfurcht und die Begegnung mit dem Zorn Gottes für den Menschen ein schreckliches Erleben darstellen, so ist diese Erfahrung doch keineswegs ein Unglück. Vielmehr soll man um die Gnade bitten, noch in der Gnadenzeit in diese Enge geführt zu werden 171 . Da nämlich der im 1. Gebot erforderte Glaube die Zuversicht zu Christus pro nobis crucifixus et resurrectus ist, kann das Gesetz sein tötendes Werk vollziehen, ohne uns in hoffnungslose Verzweiflung zu stürzen172. Nach der göttlichen Absicht soll in tempore evangelii das Gesetz dem Evangelium weichen 173 . Durchs Evangelium, das das eigentliche Wort Gottes ist, wird der Glaube geschenkt; darum soll der Sünder nicht nur das Gesetz hören; in aller Anfechtung und Drangsal darf er seine Aufmerksamkeit auf das verkündigte Evangelium mit der Bitte richten, daß der Heilige Geist den Glauben schaffe. Dem Ungläubigen wird das Evangelium von der Vergebung propter Christum durch die Kraft des Heiligen Geistes verkündigt; allein darum birgt es Hoffnung für den Hoffnungslosen174. ιβ7 YVATR 3, 185, 22 f. (1532 Cordatus' Samml.) Media vita in morte sumus, quia varii sunt morbi, multi exitiales casus nobis imminentes. 168 WA 16, 418, 2 f. (1524—1527 Rörer Ex. 19, 14 ff.) Sicut fuit das ansehen in monte, Sic est in corde intus omnium. Synai indicavit et deus per hunc indicavit, quid cor sentiat, quando lege tangitur . . . Ita cor hominis adfectum, ut deum habeat pro diabolo, stockmeister. 169 Ebd. Z. 9 f. audit deum in conscientia et fugit ut Adam in paradiso, cui erat mundus angustus. 170 WA 40 I I I 573, 12 f. (Enarratio Psalmi X C 1534—35 Rörer V. 12) Hoc, quod vivimus, est punctus, unitas, futurus punctus non est, praeteritus non est. Non habemus nisi Nunc. 171 Ebd. Z. 5 ff. da gratiam, ut dies nostros numeremus. Non, ut numeremus praefinitum tempus, sed brevitatem, calamitatem, vitam et singulis momentis impendentem mortem, i. e. eternam et iram divinam. Ergo orandum, ut homo terreatur timore mortis et tremore erga deum, qui in infinitum irascetur . . . (Ζ. 11 :) da nobis gratiam, ut videamus, quam paucissimi dies, ut fiamus Mathematici. Vgl. ebd. 559, 8; 572, 4. 172 Bek. 569, 32 ff. vgl. Β Anm. 151. na WA 40 I 209, 24 ff. (1535 Gal. 2, 14) cum terret Lex et peccatum accusat et concutit conscientiam, tunc dicas: Est tempus moriendi, est tempus vivendi, Est tempus legem audiendi, est tempus legem contemnendi, Est tempus Evangelium audiendi, est tempus nesciendi Evangelium. Iam Lex abeat et Evangelium veniat, quia iam non est tempus audiendi legem, sed Evangelium. 524, 32 ff. ; 525, 22 ff. ; 557, 20 ff. 174 WA 5, 204, 34 ff. (Op. in Psalmos 1519—21 Ps. 6, 2) sciendum, quod talia passis huius psalmi doctrina diligentissime servanda est, ut non evagentur, non querulentur. non querant solatia hominum, sed apud sese consistant, manum dei ferant et cum propheta nusquam convertantur nisi ad dominum dicentes ' Domine, ne in furore tuo arguas me'. Vgl. H. Iwand, Rechtfertigungslehre und Christusglaube, S. 109: »Gleichzeitig, da Gott in uns sein Gericht übt, steht er neben uns, anschaulich, vorstellbar, und unser geängstetes Herz kann vor Gott in Gott flüchten«. Siehe auch die bekannte ethisierende Formulierung bei K. Holl, a.a.O. S. 74: »Ein Gebot ergreift er als das
128 Wie also Gott durchs Gesetz den Menschen zum punctum mathematicum der Buße reduziert, so führt er ihn durchs Evangelium zum punctum mathematicum des Glaubens — zu einer Gerechtigkeit, die unteilbar und absolut ist und die höchste Gewißheit verleiht: »quia Christus 'peccatum non fecit', propter eum reputamur iusti absolute in fide. Illic attingemus punctum mathematicum arripiendo iustitiam, ubi nihil herens vitii in nostra iustitia, nihil herebit formidinis. Omnia absolutissime et indivisibiliter pura, summa securitas«175. Gerade diejenigen, die wissen: media vita in morte sumus, können also um Christi Willen zuversichtlich singen: media morte in vita sumus176. In Christus weicht die lähmende Wirkung des Gerichts der aktiven Liebestätigkeit im Glauben, die in Freudigkeit angesichts des Gerichts geschieht und wiederum dem Glauben eine Hilfe leistet zur Freimütigkeit im Tod und am Jüngsten Tag 177 .
IV. Christus als Richter und als König 1. Christus iudex
In seiner Erörterung der Vorstellung von Christus als Richter betont Luther unermüdlich, Christus sei eigentlich kein Richter 178 . Denn Christus kommt nicht mit der Gerichtsdrohung des Gesetzes, um die Gewissen zu verfinstern, sondern als das Licht, »so zum ewigen Leben und Seligkeit leuchtet«. Er ist der Arzt, der nicht gekommen ist, um zu töten, sondern um lebendig zu machen; er ist der gute König, der zu Letzte, gerade das Gebot, das ihn richtet — denn im ersten Gebot faßt sich die ganze Verpflichtung gegen Gott zusammen, die Verpflichtung, der er nicht genügt hat: alle seine Sünde war ja als Ichsucht zuletzt Unglaube und Undank! — und er ergreift es, um es zunächst aufrichtig zusamt dem daraus sich ergebenden Gericht zu bejahen«. Im Sinne Luthers formuliert H. Ivarsson, a.a.O. S. 57: »Der Unglaube oder der Widerstand gegen das Evangelium, die Luthers Predigten ständig als ihre Aufgabe zu überwinden stellt, impliziert eine Gottesrelation, die allein durch die erneuerte Vergebung geändert werden kann. Das Evangelium ist eine Botschaft, die wegen des Widerstands, der gegen ihre Annahme erhoben wird, ständig zum Glauben reizt, und dabei ist es das charakteristische . . daß . . . die Lösung von der Sünde . . . dann geschieht, wenn das Evangelium im Glauben empfangen wird : ' Wie du glewbist, so geschieht dyr', ' glawbstus, so hastus auch'« (übers.). 176 W A 40 I i 527,8 fr. (Praelectio in ps. 45, 1532, V. 7 Rörer). Vgl. W. Eiert, Morphologie . . . I, S. 72 f. und T. F. Torrance, Die Eschatologie der Reformation, S. 345 : »Weil die christliche Existenz an dem Punkt gefunden wird, wo sich diese zwei Zeiten oder zwei Welten treffen, kann Luther vom Glauben sogar als vom 'Mathematischen Punkt' sprechen«. 176 WA 40 III 496, 16 ff. (Enarratio Ps. X C 1534 Veit Dietrich) Legis vox terret, cum occinit securis: Media vita in morte sumus. At Euangelii vox iterum erigit et canit: Media morte in vita sumus. ! " WA 36, 449, 2 ff. 178 401 533, 14 f. (1535 Gal. 3,24) Lex enim paedagogus est non in alium legislatorem qui bona opera exigit, sed in Christum Iustificatorem et Salvatorem. 40 II 13, 13 ff. (Gal. 5, 2) si Christus specie irati Iudicis aut legislatoris apparuerit, qui exigit rationem transactae vitae, certo sciamus eum furiosum esse diabolum, non Christum. 34 I 467, 1 (Pred. 1531 Rörer Act. 2, 1 ff.) non iudicem, sed salvatorem. 40 I 298, 24—35 (Gal. 2, 20).
129 seinem Volk kommt, um es von den wütenden und verdammenden Tyrannen zu erlösen179. Freilich muß der Arzt zum Zwecke der Rettung den Kranken seiner Krankheit, der König die Tyrannisierten ihrer Gefangenschaft überführen. Die Gerichtskatastrophen, die Übeltaten und der Tod müssen als Symptome der Knechtschaft unter der Sünde, dem Teufel und dem Zorn Gottes erklärt und erkannt werden. Ja, schon die Ankunft des Arztes wirkt auf den Kranken als ein die Krankheit bestätigendes Gericht, so wie ein Licht ein Gericht über die Finsternis ist180. Und wenn der Kranke seine ernste Lage nicht erkennen will, kann der gute Arzt überaus ernst von der Krankheit zum Tode reden. Eben im Interesse der Errettung muß er den Sorglosen erschrecken und ihn jeder falschen Hoffnung berauben 181 . Die naheliegende Reaktion des gefallenen Menschen auf diesen das Todesurteil bestätigenden Christus besteht darin, Christus als zornigen Richter zu fürchten und zu hassen182. Um den Sünder in diesem ungläubigen Zustand zu verhärten, versucht der Teufel, das Richten als die eigentliche Aufgabe des Herrn darzustellen, indem er uns seine schöne Farbe aus den Augen zieht und schwarze Farbe darüber streicht183. Aus dem das Leben rettenden Arzt wird einer, der nur Lebensregeln und verdammende Worte gibt; aus dem Heilmittel wird ein Gift, aus der Gnade das Gesetz, aus Christus wird Moses184. Diese Darstellung von Christus ist um so gefährlicher, als sie an eine in der hl. Schrift bezeugte Wahrheit anknüpft. Indem aber das nach der Schrift zentrale und eigentliche Anliegen Christi, sein opus proprium verleugnet und sein opus alienum isoliert als Hauptsache dargestellt wird, erscheint das Bild Christi in teuflischer Verfälschung 185 . Zwar ist die Predigt vom Christus 179
W A 33, 543, 5 ff; 546, 35 ff. (Wochenpred. 1531 J o h . 8, 15 f.) ; 10 I 2, 27, 23 f. (Adventpost. 1522 M t . 2 1 , 5 ) . 180 W A 33, 544, 17 ff. (Joh. 8, 16) alle weit ist in blindheit . . . ich bin allein das liecht. Heist das nicht gericht? vgl. 542, 12. 181 W A 34 I 306, 3 f. (Pred. 1531 R ö r e r Lk. 24, 36 ff.) Oportet prius credas, quod quicquid extra Christum, sit d a m n a t u m y n n a b g r u n d der hellen. Vgl. Z. 16; 315, 5 f.; 316, 1. 182 40 I 298, 29 f. (1535 Gal. 2 , 2 0 ) conterritus palluerim audito t a n t u m nomine Christi, quia persuasus e r a m eum esse iudicem. 43, 654, 3 ff. (1535—45 Gen. 30, 1) Tentatus in fide et spe n o n sentit fidem et spem, non videtur sibi credere aut sperare, sed prorsus esse impius. Q u i vexatur desperatione et fremitu adversus D e u m , q u â n d o alio modo aliquid administrât Deus, q u a m nos praescripseramus, is sentit s u m m a m offensionem et indignationem adversus D e u m , non videtur ullam scintillam fidei aut spei habere. Vgl. 47, 590, 1 ff. isa W A 47 ; 277, 9 f. (Ausi. M t . 18—24 1537—1540 M t . 18, 11). 184 W A 33, 547, 4 f. (Wochenpred. 1531 J o h . 8, 16) der krancke wil ihnen bei sich nicht leiden als einen artzt. So m a g Ers ihme also haben. 1, 333, 31 ff. (Sermo de digna praeparat. 1518) ex Christo Mosen fecerint, ex gratia legem, ex remedio venenum, d u m Christum falso imaginantur exactorem magis q u a m largitorem, ultorem magis q u a m propitiatorem et in s u m m a d a m m a t o r e m magis q u a m salvatorem. 40 I 90, 3 f. (Gal. 1 , 4 ) ; 561, 7 ff. (Gal. 4, 5). íes 40 I 93, 1 ff. (1531 Gal. 1, 4) Si sic Christum mediatorem admitto iudicem, t u m eum amisi. Sic p a r t e m Christi proponit, non totum, viciât econtra Christi definitionem, talis n e q u a m est diabolus. 36, 296, 8 ff. (Pred. 1532 R ö r e r Lk. 15) Satan sol einem Christum so einbilden ut Iudicem, . . . et furt nomine Christi unter Mosen. 5
130 iudex notwendig, um den Christus iustificator hervorzuheben und ihm Gehör zu verschaffen. Die Reihenfolge iudex — iustificator bzw. Gesetz — Evangelium bedeutet jedoch nicht, das Evangelium dürfe nicht präsentiert werden, bevor das Gesetz sein Werk ausgerichtet hat und der überführte Sünder als die materia der göttlichen iustificatio bereitet ist. So wie der Arzt sich zunächst als Arzt präsentiert und dann erst die Diagnose stellt, beginnt Luther sehr oft seine Predigten so, daß er Christus als Versöhner und iustificator verkündigt. Eben wenn die Versöhnungstat der Liebe Gottes in Christus gepredigt wird, wird zugleich unsere tiefste Sünde geoffenbart 186 . Die absolute Uberordnung des Evangeliums über das Gesetz sieht Luther in der Verkündigung Christi klar bezeugt. Obwohl schon der Prolog zum mosaischen Dekalog und die alttestamentliche Heilsgeschichte überhaupt die Vorordnung des Evangeliums und des Glaubens vor dem Gesetz und den Werken bezeugen, sieht Luther einen großen Unterschied zwischen der Gesetzesverkündigung Moses' und Christi. Moses fügt dem den Vätern geoffenbarten Evangelium das Gesetz unter solchem Drohen und Schrecken hinzu, daß auch die Kinder Gottes in die Gefahr geraten, vom Licht in die Dunkelheit, von der Freiheit in die Knechtschaft geführt zu werden. Ja, es war wirklich die Aufgabe des mosaischen Gesetzes, den Kindern die Freiheit zu beschränken und sie so wie Knechte zu züchtigen 187 . Moses verleugnet wohlgemerkt die Rechtfertigung durch den Glauben nicht; sie wird von ihm mit klaren Worten bezeugt188. Er macht es aber schwer, an der Gerechtigkeit des Glaubens festzuhalten, da seine Verkündigung von dem richtenden Gesetz ihr Gepräge empfängt. Er sagt : »ich gepiete, ich vorpiete, drewet und schreckt daneben mit grewlichem straffen und penen«. Der Unterschied zwischen der Verkündigung Moses' und Christi besteht nicht einfach darin, daß Christus zum Unterschied von Moses nur das Evangelium verkündigt. Auch er predigt Gesetz: er sagt »was tzu thun und lassen sey« und »was den ubelthettern und wolthettern begegnen werd« 189 . Jedoch auch seine Verkündigung des Gesetzes und Gerichts ist von der beherrschenden Stellung des Evangeliums geprägt. Bevor er z. B. in der Bergpredigt das Gesetz auslegt, beginnt er mit den Selig189 Siehe G. Heintze, Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium. Heintze betont, daß bei Luther die eine und eigentliche Aufgabe der Predigt, Christus zu verkündigen ist: nihil nisi Christus praedicandus (WA 16, 113, 7 vgl. 15, 533, 18; 555, 31; Heintze a.a.O. S. 68). Meistens verfährt Luther nach dem Schema, Christus zuerst als donum bzw. als sacramentum und darauf als exemplum zu verkündigen (S. 255). Von der Versöhnungstat Christi her wird der Zorn Gottes verkündigt und unsere Sünde aufgedeckt: simul dum nomen et opera dei praedicantur, etiam ignominia et vanitas hominum praedicantur (WA 5, 657, 24 f., Heintze a.a.O. S. 69). Vgl. H. Ivarsson: Predikans Uppgift S. 71 : »Man bekommt ein richtigeres Bild von der reformatorischen Predigt, wenn man vom lösenden Werk, von der Bekämpfung des Gesetzes ausgeht« (übers.). Siehe bei Ivarsson besonders S. 69 ff., vgl. jedoch auch Heintze a.a.O. S. 52 ff. 187 WA 40 I 549, 31 ff. (1535 Gal. 4, 1 ff). 188 WADB 7, 385, 12 ff. (Vorrede zum Jakobusbrief). 189 WA 10 I 1, 13, 15 ff. 11 f. (Kirchenpost. 1522, Ein klein Unterricht).
131 preisungen, und wenn er danach die einzelnen Gebote auslegt, geschieht auch das »lieblich und fruntlich«. Christus »treybt unnd tzwingt niemant, J a auch ßo senffte leret, das er mehr reytzet denn gepeutt«. In der Nachfolge Christi treiben auch die Apostel nicht das Gesetz auf dieselbe Weise wie Moses, sondern sagen: »Ich vormane, ich bitte, ich flehe«190. Die Gesetzesverkündigung Christi ist überhaupt durch die Tatsache bestimmt, daß er in die Welt gekommen ist, nicht um zu richten, sondern um selig zu machen. Sein Ziel ist, die Menschen zum Glauben zu rufen und im Glauben zu bewahren. Auch seine Gerichtsverkündigung nimmt darum Rücksicht auf die Gewissen, die den evangelischen Trost behalten sollen. Dies milde Gepräge ist der neutestamentlichen Gesetzesverkündigung überhaupt eigentümlich und darf nicht ohne weiteres als Beleg für einen 3. usus legis bei Luther verstanden werden 191 . Die Hauptsache ist für Luther die Beobachtung, daß im Neuen Testament das Evangelium vorherrscht, und daß die Gesetzespredigt eine dem Evangelium dienende Aufgabe hat und nicht den Glauben vernichten darf. Die Sündenerkenntnis ist Ziel der Predigt des Gesetzes, nicht aber Bedingung des gläubigen Hinfliehens zu Christus. Jedoch auch wenn Christus das Gesetz predigt, wird jeder, der nicht im evangelischen Glauben gegründet ist, im Gewissen zutiefst erschrekken. Ja, in tempore legis erkennt auch der erfahrene Christ allein den Christus iudex. Dadurch erkennen Christ wie Nichtchrist, daß sie in sich selbst Sünder und außer Christus verdammt sind192. Immer aber zielt Christus und mit ihm der rechte Prediger darauf, die Sünde groß, die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Christi jedoch gleichzeitig noch größer zu machen, wie es schön gesagt wird in einer Osterpredigt 1531 : »Ergo Christus wils nicht haben, ut mich fur yhm entsetze. Sed si erschrocken cor habeo, wird er fro, ut ad me veniat et dicat : Si es territus et malas cogitationes de me, las fallen . . . venio, ut te tröste«193. So sagt er den erschrockenen Herzen, die sein Wort hören und bewahren. Geschieht es aber, daß Christus und seine Gerechtigkeit nicht empfangen werden, so bleibt nur das verdammende Gericht übrig. Wird der 190 Ebd. 13, 10. 12 f. 15; 32, 305, 7 ff. (Wochenpred. 1530 Mt. 5, 3). 17 II 8, 31 ff.; 6, 4.; 9, 5 f.; 110, 31 f. (Fastenpostille 1525). Siehe Ivarsson a.a.O. S. 116; 120. 191 Siehe Haikola, Usus legis S. 130 f. 192 WA 34 I 305, 17 f. (Pred. 1531 Lk. 24, 36 ff.) Es muß allczeyt eyn glauben do seyn, ut hic, si video Christum esse iudicem tocius mundi, das die besten und frumbsten alle verdampt seyn. 8, 68, 18 ff. isto irae et ruentis iustitiae tempore etiam iustitias nostras universas pollutas ducis punisque simul cum peccatis aliorum et cum malo involvis, allidens nos in manu iniquitatis nostrae, sinens nobis fieri, quod peccata meruerunt. Vgl. R. Hermann, Ges. Stud. S. 327 f. : »Mit dem opus alienum, dem fremden, auch befremdlichen Werk, damit er dann zu seinem eigentlichen komme, ist gerade Gottes gerichtliches Handeln gemeint. Zugrunde liegen besonders . . . Jes. 28, 21 und 1 Sam. 2, 6 . . . Luther hat es oft beschrieben, wie Gott gerade dem entgegen handelt, was der Mensch erwartet und wünscht. Er schlägt, indem er heilt . . . Ja, Luther wagt den Satz : ' Gott kann nicht Gott sein, er muß zuvor ein Teufel werden' . . . (und) wir 'können nicht Gottes Kinder werden, wir werden denn zuvor des Teufels Kinder'«. 193 WA 34 I 314, 19 ff. (Rörer Lk. 24, 36).
132 Arzt abgelehnt, dann muß er dem Todkranken in allem Ernst die Wahrheit sagen : »Ich rede zwar mit dir als ein Artzt, aber du zwingest mich, das ich mus ein Richter sein und dir sagen mus, du werdest sterben« 194 . Dem sich gegen den Arzt Verhärtenden wird die sachliche Diagnose, die nur im Dienst der Heilung gestellt ist, zu einem vernichtenden Todesurteil. Auf diese Weise wird der rettende Heiland zum verdammenden Richter 195 . Infolge der Zuordnung der Werke zum Glauben bzw. Unglauben wird derjenige, der sich gegen das Evangeüum verhärtet, in seiner Bosheit bleiben und Christus in seinen Gliedern verachten und widerstehen196. Wer in loco iustificationis durch den Unglauben Christus als iustificator ablehnt, macht ihn also selbst zum Richter und wird ihn auch in loco iudicii operum als den verdammenden Richter finden197. Obwohl Luther die Vorstellung vom Christus iudex scharf ablehnt, wenn sie sich isoliert in den Vordergrund drängt und das Bild des iustificator verdunkelt, so kann er sie unter den beschriebenen Umständen doch klar bejahen. Faktisch stimmt sein Christusbild mit der über der Pforte zum Schwarzen Kloster in Wittenberg befindlichen plastischen Darstellung von Christus überein, der auf dem Regenbogen thront und zu dessen Rechten die weiße Lilie, das Symbol der Reinheit der Seligen, zur Linken aber das Schwert, das Symbol des verdammenden Gerichts sich befinden198. Freilich hat Luther dies Reliefbild verworfen, weil er die Lilie als Rute mißdeutete ; er sagt aber ausdrücklich, das Bild wäre richtig, wenn die Rute und das Schwert zu derselben Seite hinausgingen, nämlich über die Verdammten. Diesen Gedanken findet er Jes. 11,4 und Ps. 10,15 bezeugt199. Für diejenigen, die nicht durch den Glauben gerecht sind, ist der Gedanke an den kommenden Christus widerlich und unerträglich. Sie hoffen, dieser Richter werde nie kommen. Sie wissen, daß sie dann voller Schanden dastehen werden; sie haben die Werke der Barmherzigkeit nicht getan und sich dennoch entschuldigen wollen. Nur dem Namen nach sind sie Christen gewesen, also werden sie aus Ersten Letzte. Unter diesem Gesichtspunkt also ist die Vorstellung von Christus als Richter gar nicht falsch. Durch unseren Unglauben und die ihm folgenden Werke können wir ihn wirklich zum verdammenden Richter machen 200 . 191
WA 33, 546, 40 ff. (Wochenpred. 1531 Joh. 8, 16) ; 542, 1 f. 25 f. Ebd. 545, 16 ff. wilt du unsern Herr Gott nicht, so behalt den Teufel, und das Ampt, das sonst nicht gesetzet ist zu richten, sondern zu helffen und zu trösten, das wird gezwungen, das es richten sol. 196 Noch einmal WA 45, 327, 14f.; 36, 442, 12 f.; 445, 22 ff. WA 8, 678 Anm. (Eine treue Vermahnung 1522). 198 Ebd. 8, 677, 25 ff. vgl. 34 I 76, 9 ff. (Pred. 1531 Rörer Ps. 110, 2). 199 WA 37, 150, 30 (Pred. 1533 Rörer Lk. 7, 11 ff.) metuunt extremum diem, quia sie haben bose, verzagte hertzen. 45, 327, 27—33. 200 Während dem Angefochtenen die Vorstellung von Christus iudex ein teuflischer Betrug ist, soll derjenige der sich im Unglauben verstockt, wissen, daß ihm Christus wircklich der Richter ist, WA 37, 150, 30 f. (Pred. 1533 Rörer Lk. 7, 11 ff.) Tu autem dicas Christum esse iudicem super incrédulos. 151, 4, 12 ff ; 40 I 92, 9 f. (1531 Gal. 1,4) Verum quidem, quod Christus est futurus iudex, non possum negare. 1,5
133 Auch die Christen aber kennen Christus als den Richter. Ihre Anfechtungen werden nicht nur auf den Teufel, sondern auf Gott bezogen. Diese Bezogenheit der Anfechtung auf den Christus iudex wird durch ihre göttliche Absicht bestätigt. Wenn das tempus legis dem tempus evangelii weicht und wir als überführte Sünder zu dem Christus iustificator fliehen, erkennen wir, daß Gott selbst in der Anfechtung ein gutes und notwendiges Werk getan hat 201 . Indem wir also das göttliche Ziel der Anfechtung erkennen, erkennen wir auch Gott als das eigentliche Subjekt der Anfechtung. Ja, wir verstehen das Richteramt Christi als das im Dienst des Christus iustificator stehende opus alienum, so wie die ernste Diagnose des guten Arztes im Dienst des Lebens kundgetan wird202. Obwohl wir also wissen, daß nicht nur der Teufel, sondern auch der Herr selbst uns immer wieder durchs Gesetz anficht, sollen wir dennoch gegen den Teufel, gegen das Eindringen des verdammenden Gesetzes ins Gewissen bzw. gegen den den Christus iustificator verdrängenden Christus iudex in dem Bewußtsein ankämpfen, daß Gott uns die Gnade gönnt, während der Teufel uns Christus rauben will. Vereinfacht läßt sich der Sachverhalt etwa so erklären: Nach dem eigentlichen Willen Gottes sollen wir immer mit der conscientia in evangelio leben, auch unter vielerlei Anfechtungen von Seiten des Teufels und der Welt her, ja selbst dann, wenn Gott selbst scheinbar seine Absicht mit uns wandelt. Da nun wegen der Schwachheit des Glaubens und der Wirksamkeit des Teufels immer wieder das Gesetz im Gewissen die Oberhand gewinnt, ficht Gott selbst den Menschen an, um ihn zu Christus zu treiben 203 . Daher erkennen wir die Anfechtung als das Werk nicht nur des Teufels, sondern auch des göttlichen Richters. Luthers Kampf gegen die Vorstellung von Christus als iudex gilt also der teuflischen Verfälschung des Bildes Christi, die darin besteht, daß sein opus alienum als seine Hauptaufgabe dargestellt wird. In diesem Licht ist es zu verstehen, wenn Luther sagt, wir seien es, die Christus fälschlich zu einem legislator und iudex, zu einem neuen Moses machen. 201 WA 40 I 525, 15 ff. (1535 Gal. 3, 23) Idem certamen experitur unusquisque Christianus. Multae horae sunt, in quibus cum Deo rixor et impatienter ei repugno. Mihi ira et iudicium Dei displicet. Ipsi vicissim displicet mea impatientia, murmurado etc. Hocque tempus legis est, sub quo Christianus secundum carnem semper est. Vgl. Β Anm. 173. 15, 417, 8 ff. (Pred. 1524 Rörer Lk. 2, 41 ff.) Qui potest tentationem ferre, ut agnoscat Deum, habet consolationem et tantum, ut dominus prope sit ei. Vgl. H. Bornkamm zur Stelle (Christus und das 1. Gebot in der Anfechtung bei Luther, S. 475) : »Die Rettung besteht also darin, daß der Mensch die Anfechtung so erträgt, daß er Gott in ihr erkennt; dann ist er getröstet und Christus ihm nahe«. 202 W A 40 m 584, 12 ff. (Enarratio Ps. X C 1534—35 Rörer) Aliquando arrogat sibi opus: mortificare. 'Ego occido et vivere fació'. Sed tarnen Esaias ita distinguit dicens: Non opera dei, 'aliena', non propria. Cogitur tamen propter nostram superbiam dicere: 'suum' opus, iubet enim diabolum nos excarnificare, ne etc. Vgl. ebd. Ζ. 31 f. (Veit Dietrich) Esaias haec distinguit et dicit Quaedam esse opera Dei, sed aliena, quaedam autem propria. 203 W A 40 i 517, H f. (1531 Gal. 3, 23) lex . . . occidit, reos facit, Sed deus, qui earn constituit, utitur hoc effectu legis in bonum usum; vgl. Ζ. 13 ff.
134 Ja, das Bild von Christus als legislator und iudex ist eine Maske des Satans, durch die er unsere Herzen erschreckt und zum Versagen führt 204 . In aller Anfechtung soll man gegen die »pestilens opinio de Christo legislatore« kämpfen und daran verbissen festhalten (mordicus tenere), daß Christus nicht gekommen ist, um zu fordern, zu richten und zu strafen205. Mit solchen Worten meint Luther nicht, der Christus iudex sei nur eine falsche Vorstellung, die als Lüge einfach durch bessere Erkenntnis beseitigt werden könne. Allein durch die Begegnung mit dem persönlichen Christus iustificator wird der Christus iudex überwunden, indem wir gegen das anklagende Gesetz am Evangelium festhalten 206 . Eben dies Christusverständnis ist es, dem die Luthersche Gesetzesdefinition dienen soll. Das Gesetz mit seinem Fluch wird durch Christus iudex bejaht und soll dennoch dem Evangelium von Christus iustificator weichen. Wenn aber das Evangelium abgelehnt wird, bleibt der Fluch des Gesetzes bzw. Christus iudex. Es besteht also dasselbe Verhältnis zwischen Christus als iudex und als iustificator wie zwischen Gesetz und Evangelium. 2. Christus rex
Christus bewährt sein Königtum nicht darin, daß er seinem Volk andauerndes irdisches Wohlergehen schenkt, während er die Gottlosen sichtbar straft. Luther lehnt den Gedanken als heidnische Klugheit ab, als ob eine feste, nachrechenbare Verbindung zwischen Frömmigkeit und zeitlicher Wohlfahrt, Gottlosigkeit und zeitlichem Mißgeschick bestehe. Es ist »turcica praedicatio: Cogitant deum esse sicut patremfamilias, si puer from, dat apfel, econtra ruten . . . deum esse principem im land . . . , qui from, dem gibt er, et econtra: wer bose ist, den strafft er. Sic praedicant Turcae et Iudei« 207 . Dies bedeutet nicht, daß Luther dem Vergeltungsgedanken jede Berechtigung abspricht; mit klaren Worten haben wir diesen Gedanken auch bei ihm, im Großen Katechismus z. B. bejaht gefunden 208 . Indessen wird dieser Gedanke durchkreuzt vom Gedanken an das Kreuz Christi und das Kreuz der Christen : Danach ist die christliche Botschaft nicht Verheißung zeitlicher Wohlfahrt, sondern 201 WA 40 II 13, 2 f. (1531 Gal. 5,2) (diabolus) sub larva Christi cor nostrum divexat. 20, 755, 18 f. (1527 1. Joh. 4, 16); 36,297, 6 (Pred. 1532 Rörer Lk. 15); TR 6, 88 25 ff. (Aurif. Samml.). m W A 40 ι 298, 22 ff. (1535 Gal. 2, 20); 91, 23 ff. (1535 Gal. 1, 4). 2οβ WATR 6, 24, 38 ff. (Aurif. Samml.). — Die Wendung : Christum iudicem facere, kann einmal auf das gesetzliche Mißverständnis des schwachen Glaubens bezogen werden: »macht uns unfrid in conscientia et facit Christum iudicem« (WA 34 II 478, 1 f. Pred. 1531 Rörer Lk. 21, 25); dann kann die Wendung auf den Abfall vom Glauben bezogen werden, wodurch Christus wirklich der Richter wird: »behut unß, das wir deyn kinder bleyben, und nit vorschulden, das wir auß dir allerliebsten vater eynen erschrecklichen richter und uns selb auß kinder tzu feynden machen« (WA 7, 220, 22 ff. Eine kurze Form des Vaterunsers 1520). 207 WA 45, 92, 1 (Pred. 1537 Rörer Rom. 11, 33 ff.); vgl. die Bearb. in Crucigers Sommerpost. WA 21, 512, 17 ff. Siehe C. Stange, Das Ende aller Dinge S. 157, und R. Hermann, Ges. Studien S. 325. 208 Siehe Β Anm. 70—74.
135 wesentlich Wort vom Kreuz, durch das Christus den Gläubigen die Gnade Gottes erworben hat und das die Christen nun als ihr eigenes auf sich nehmen und unter Gottes Wohlgefallen und Segen tragen 209 . In guten und bösen Zeiten schafft, erhält und regiert Christus als der allmächtige und gnädige König sein Volk durchs Evangelium und den Heiligen Geist 210 . Das Evangelium ist das »scepter seyniß künigreychs« 211 . Sein Volk steht in demselben Verhältnis zu Gott wie dieser König selbst; seine Gerechtigkeit ist ihre Gerechtigkeit; die Gunst des Vaters über ihm waltet auch über ihnen 212 . Kraft seines Sieges hat auch sein Volk den Sieg über Sünde und Welt, Tod und Teufel 213 . Die Christen haben das Gericht schon hinter sich und sind auf dem Weg zur Offenbarung der Kinder Gottes in Herrlichkeit 214 . Vom Gesetz frei, sponte und hilariter tun sie ihre Werke; auch das weisende Wort brauchen sie eigentlich nicht; weder eine weltliche noch eine geistliche Obrigkeit ist ihnen nötig 215 . Es gibt zwischen Christus und seinen Gläubigen überhaupt keine vermittelnden Zwischeninstanzen; kein Mensch und auch kein Gesetz dürfen hier dazwischenkommen 216 . Im Reich der Gnade ist Christus als König das Haupt seines Volkes, und zwar in geistlich-organischem Sinn. Die Jünger sind die Glieder seines Leibes, mit ihm innerlich verbunden in einem Geist und darum mit ihm eins und einig 217 . Demgemäß heißt regnum, wie es Johs. Heckel richtig gesehen hat, »erstens die Königswürde des Hauptes (rex), zweitens dessen Regiment als lebensspendendes Einwirken auf die Glieder des mystischen Leibes (influxus capitis in membra), drittens das Königsvolk der Gläubigen, die ihrem Haupt freiwillig folgen« 218 . An die Stelle des 209 A Anm. 391 vgl. WA 45, 92, 10 ff. (Pred. 1537 Rörer Rom. 11, 33 ff.) pater . . . habet istam cogitationem ab eterno, quod filius . . . venire et crucifigi. . . Nos . . . nihil aliud praedicamus quam dei filium . . . ideo dicimur heretici et impii. 210 WA 11, 252, 35 f. (Von weltl. Oberkeit 1523) er ist ein könig über Christen und regirt on gesetz alleyn durch seynen heyligen geyst. — Dies regnum Christi ist mit dem Reich Gottes zur Rechten, dem regnum gratiae identisch, 36, 385, 7 ff. Siehe J . Heckel, Lex charitatis S. 43 und von Loewenich, . . . Synoptiker S. 208 ff. 211 WA 10 I 1, 176, 18 (Kirchenpost. 1522 Hebr. 1, 1 ff). Vgl. G. Forck, Die Königsherrschaft . . . S. 35 f. 212 A Anm. 119. ais WA 40 I 439, 26 (1535 Gal. 3, 13) Sic in Christo vincitur, occiditur et sepelitur universum Peccatum et manet victrix et regnatrix Iustitia in aeternum. 2 U Siehe A Anm. 130—131. ais WA 39 I 321, 13 ff. (de veste nupt. 1537) fides non potest esse otiosa. Ñeque tunc amplius dicitur requiri, sed sponte facere. 2, 499, 20 ff. (1519 Gal. 2, 19) Lex spiritus est, quae nullis prorsus scribitur literis. 6, 207, 4 ff. (Von den guten Werken 1520) nit darff eines lerers guter werck, sondern was ym furkumpt, das thut er, und ist alles wolgethan. 11,271, 3 f. (Von weltl. Oberkeit 1523) Es ist unter den Christen keyn uberster denn nur Christus selber und alleyn. 7, 578, 22 ff. (Magnificat 1521) in der schrifft kein geistlich ubirkeit noch gewalt ist, sondern nur dienstparkeit und unterkeit. 216 WA 11, 263, 14 f. (Von weltl. Oberkeit 1523) Die seele auß aller menschen hand genomen und alleyne unter Gottis gewallt gestellet. 217 WA 2, 743, 11 ff. (Serm. v. Sakr. des Leichnams Christi 1519). Bek. 657, 26 ff. 218 J . Heckel, Im Irrgarten der Zwei-Reiche-Lehre S. 6 f., wo auf WA 6, 298, 6; 207, 1; 3, 335, 31; 299, 2; 11, 22; 295, 29; 2, 314, 11 hingewiesen ist. Vgl. 40 II 244, 24 ff. (Enarr. Ps. II 1532/1546 V. 7) Haec satis clara Regni Christi definido et propria differentia est . . . a mundi regno. H. Hesse kommentiert (»Reges eos virga fer-
136 durch die dominierende Stellung des Gesetzes geprägten Begriffes Christus iudex tritt bei Luther also der vom Evangelium her bestimmte Begriff Christus rex. Unermüdlich schärft Luther ein: Christus ist nicht legislator und iudex, sondern rex, salvator und caput seiner Gemeinde. Auch am Jüngsten Tag wird Christus seine Kinder nicht nach der strengen Gerechtigkeit richten. Wenn er sein Volk zur Seligkeit führt und im Gericht ihre Werke anerkennt, geschieht das unter dem Vorzeichen des in seinem Reich dominierenden Evangeliums. Vor Gott gilt auch am Tage des Gerichts Christus allein als unsere im Glauben ergriffene Gerechtigkeit, ohne ihn würden alle verdammt werden 219 . Auch die Liebeswerke, die Früchte des vom verdammenden Gesetz und Gericht befreienden Glaubens sind, taugen nicht als Gerechtigkeit vor Gott. Wenn er dennoch unsere Liebeswerke im »iudicium dei de operibus venientibus ex fide vera« anerkennt und lobt, so tut er Ähnliches wie jener Arzt, der kraft seiner selbst den Patienten für gesund erklärt und danach die Gesundheitszeichen feststellt, oder wie ein guter König, der sein aufrührerisches Volk in Langmut erträgt und ihm vergibt und dann die begonnenen guten Werke lobt220. Wenn Luther in bezug auf dieses der göttlichen Gerechterklärung untergeordnete iudicium Christus als Richter seiner Gläubigen bezeichnet, geschieht das in demselben Sinne, in dem er von der evangelischen Paränese als vom Gesetz reden kann: iudex wie lex sind dabei ihrer eigentlich richterlichen und gesetzlichen Funktionen rea . . . « S. 57) : »Weil Christi Königsamt nicht verwechselt werden darf mit dem Amt aller anderer Könige auf Erden . . . kann er jene Verse . . . nicht so auslegen, wie es ihrem Wortsinn entsprechend eigentlich geschehen müßte ; vielmehr muß er sie deuten auf jenes Amt, das der König Jesus Christus allein innehat: das Amt der Doctrina.« Auf 227, 26—29 f. (Ps. 2, 10) hinweisend betont Hesse zugleich, die Könige der Welt werden aufgefordert, sich von Christus weisen zu lassen »suo in loco consistere«. Das heißt 1. die Grenzen ihrer Macht erkennen (ebd. 280, 32 ff.); 2. sich dem Reich Christi nicht feindlich entgegenzustellen. 219 WA 27, 303, 2 ff. (Pred. 1528 Rörer Lk. 16, 1 ff.) Ibi veniet in extremum iudicium. T u credidisti in me et ex ista fide venit, ut erbarmst esurientes ec. da ists beydes bey einander et oportet, ut detur animae das heubtstuck . . . Sic oportet prius sit fides in corde, per quam reconcilietur Christus et deus, . . . sequantur opera et faciamus coram mundo et in extremo die coram omnibus creaturis. 220 Siehe A Anm. 82—86. Wenn der Mensch durch den Glauben in loco iustificationis gerecht ist, ist auch in bezug auf den locus iudicii operum eine reale Gerechtigkeit begonnen. Dieser Aspekt ist bei G. Ljunggren (a.a.O. S. 361 f., übers.) klar herausgearbeitet: »Während in loco iustificationis der Glaube, der Christus umfaßt, als ein und alles erscheint, tritt unter sittlichem Aspekt dieser Gedanke hervor als ein Komplement zu dem, was wir de facto sind. Es ist dann natürlich, von der imputatio als einem 'Teil' und von dem neuen Gehorsam als einem anderen 'Teil' der Rechtfertigung zu reden und die imputatio ein ' Ubersehen' dessen, was noch dem Glauben mangelt an Umfassung des Christus, bedeuten zu lassen. In diesem Zusammenhang gründet also die imputatio auf einer göttlichen prolepsis des Endziels und auf einer Annahme dessen, der bloß in fieri sanctus ist, als sei er schon in facto sanctus (:WA 40 I 364, 24 ff. Concludimus . . . , iustitiam quidem incipere per fidem ac per eam nos habere primitias spiritus, sed quia fides infirma est, eam non perfici sine imputatione Dei. Quare fides iustitiam incipit, imputatio perficit usque ad diem Christi). Da wir bloß 'einen Teil des Gesetzes' erfüllen, muß zugleich die non-imputatio Gottes hinzukommen (Disp. 397 (WA 39 I 468, 15 f.)). 'Fides est vicaria et supplet id, quod deest charitati' (Disp. 220 (39 I 314, 5 f.))«. Mit Recht macht Ljunggren auf die Übereinstimmung dieser Gedanken mit der römischen Auffassung des Verhältnisses zwischen
137 entkleidet221. Auch im Jüngsten Gericht nach den Werken werden diejenigen, die Christus im Glauben empfangen haben, ihn als den Heiland finden: »Am Jüngsten tage wird er richten, aber als ein Heiland, der mir helffen wird von meinen feinden«222. Die Offenbarung des Christus iudex ist also nie das letzte Ziel Gottes in unseren Anfechtungen. Das Ziel ist immer, daß wir vom Christus iudex zum Christus iustificator fliehen, durch ihn dem Nächsten dienen und den lieben Jüngsten Tag zu erwarten lernen sollen. Diesen Trost sollen die Christen in allen Leiden haben. Christus wird unter Kreuz und Anfechtung als der gnädige und allmächtige Heiland sein Volk zum Sieg über den Tod und alle Verdammnis führen 223 und sich letztüch offenbaren zur ewigen Seligkeit der verfolgten Kinder Gottes224. Er wird im Gericht ihre Werke anerkennen und einem jeden die den Gaben und der Treue entsprechende Ehre und Herrlichkeit verleihen. Vergebung und Rechtfertigung aufmerksam, und zugleich auf den grundsätzlichen Unterschied der Orientierung dieses Aspekts bei Luther von der römischen Betrachtung sowohl als von der Holischen Lutherinterpretation, die ja beide die Aspekte coram Deo und coram hominibus grundsätzlich vermischen. 221 WA 17 I 221, 5 ff. (Pred. 1525 1. Thess. 4, 15 ff.) Disser richter, der mit solcher gewalt komen w i r d , . . . der wird eyn bruder, vater und patron seyn der Christen. 39 I 474, 8 ff. (2. antinomerdisp. 1538) Lex est iam valde mitigata per iustificationem, quam habemus propter Christum, nec deberet ita terrere iustificatos . . . Inde fit, quod saepe terrentur, qui non deberent, vitio diaboli. 222 WA 33, 540, 16 f. (Wochenpred. 1531 Joh. 8, 15) vgl. Z. 37 ff. 223 WA 36, 580, 4 ff. (Pred. 1532 Rörer 1. Kor. 15, 26) Non est is vir, qui lust und freud zu zürnen . . . , sed ideo factus Rex, ut sich legen zu feld mit aller macht contra novissimum hostem. 49, 579, 10 (Pred. 1544 Rörer Offbg. 12, 7 ff.) Nos vocati ad exercitum, da Christus feldheubtman, unter die sind wir eingeschrieben und sollen fechten contra Diabolum. 583, 4 Sic nostra vita nihil aliud quam pugna. Vgl. Günter Jacob, Der Gewissensbegriff S. 52: »Der Christ vermag Satan zu sagen, daß er nicht gegen ihn, sondern gegen den barmherzigen Gott gesündigt habe (40 I I 378, 9). Der 'also jämerlich einsam' vor dem Satan stehende Mensch soll aus dem, was das Gewissen sagt, hinausgehen und sich zu Christus wenden (29,264,6 f.) Durch das In-Sein im Wort (haerere in verbo) bricht er durch die begegnenden Mächte durch. Die fides als das In-Sein im Wort ist zugleich der Durchbruch durch diese Mächte (29, 333, 6) «. Siehe besonders 29, 264, 8 f.; 333, 12 f. — In seinem Aufsatz »Christus und das 1. Gebot in der Anfechtung bei Luther« stellt H. Bornkamm die Sache so dar, daß die Anfechtung bei Luther zunächst als ein Werk Satans erfahren wird; danach aber wird sie, indem sie durch den Glauben überwunden wird, als ein Werk Gottes verstanden; siehe besonders S. 457. Diese These, die wir durch die Formel Satan — Gott wiedergeben, kann u. E. unter Umständen auch umgekehrt werden : Gott — Satan, und auch umgestellt werden: Gott — Gott und Satan — Satan. Nicht an sich, sondern allein in Verbindung mit dem Ziel ist bei Luther das Subjekt der Anfechtung eindeutig der Teufel oder Gott. Noch stärker als H. Bornkamm vereinfacht G. Wingren die Sache, wenn er gegen Bornkamm formuliert: »So lange Gottes Zorn hinter der Anfechtung steht, gibt es . . . keine Rettung aus derselben. Die Befreiung ist gerade gegeben mit der Einsicht, daß es nur der Teufel war, der Gottes Wort f ü r einen wieder einmal verdreht hat.« (Luthers lära om kalleisen S. 96 Anm. 17; dt. S. 175 Anm. 17). Es ist ein sehr wichtiger Gesichtspunkt, daß der Teufel ständig versucht, gegen den Willen Gottes die Gotteskinder anzufechten, und daß dieser Versuchung im Namen Christi widerstanden werden soll. Auch wenn der göttliche Zorn wirklich am Werk ist (und der Teufel das Gerichtsfeuer anfacht), soll der Glaube gegen die Anfechtung kämpfen, indem er vom verdammenden Gott bzw. Christus iudex zu Christus iustificator flieht. Es gehört zum Geheimnis des Evangeliums, daß Gott seinen Zorn offenbart auf Christus hin. Eben wenn Gottes Zorn hinter der Anfechtung steht, gibt es die Rettung vor ihm! Vgl. P. Bühler S. 44 ff. und besonders S. 51 f. 224 WA 17 I 221, 1 ff.; 225, 7 ff; 226, 15 ff. (Pred. 1525 1. Thess. 4, 13 ff).
138 V. Luthers Unterscheidung zwischen Evangelium bzw. Glaubensgebot in loco und Gesetz extra locum iustificationis 1. Die beiden Definitionen des Gesetzes
In den Katechismen hat Luther in Einklang mit 1. Joh. 3,23 das göttliche Gebot als die Forderung nach Glauben und Werken definiert. An dieser Definition des gebietenden Willens Gottes hat er immer festgehalten. Demgemäß kann er sagen, Gott fordere im Gesetz zum Bestehen im Gericht den Glauben und die Liebeswerke. Daß zum Bestehen im Gericht vor Gott bzw. zur Erfüllung des Gesetzes Glaube und Werke in bestimmter Zuordnung gefordert werden, entspringt notwendig dem Wesen des Christenstandes als Gotteskindschaft. Unter diesem Aspekt ist der Glaube die Hauptforderung des Gesetzes; das Verhältnis zwischen Evangelium und Gesetz ist so zu bestimmen, daß das Evangelium den Glauben und die Glaubenswerke verkündigt, die es schenkt und wirkt, während das Gesetz gebietet, daß dieser Glaube empfangen und diese Werke getan werden 225 . Dennoch betont Luther immer wieder, das Gesetz fordere die Liebeswerke und nicht direkt den rechtfertigenden Glauben 226 . Das dem Gesetz Eigentümliche besteht darin, daß es eigentlich nicht in loco, sondern extra locum iustificationis redet 227 . Es ist möglich, daß diese Definition des Gesetzes mit dem tieferen Verständnis von Ex. 20,2 ff. zusammenhängt, das Luther in seinem am 30. Juni 1530 von der Coburg an Jonas gerichteten Brief erwähnt. Luther hat erkannt, daß im Prolog zum Dekalog V. 2 das Evangelium, der Glaube und damit die Gerechtigkeit schon vorhanden sind 228. Das die Werke fordernde Gesetz ist diesem Evangelium und dieser Gerechtigkeit später hinzugefügt, ohne diese aufzuheben oder zu beschränken 229 . Moses hat schon—und zwar vor aas WA 56, 338, 18 ff. (Rom. 7, 6) Lex precipit Charitatem et Ihesum Christum habendum, sed Euangelium offert et exhibet utrunque. Siehe oben Β III 2, 2 (Anm. 139; 148—152, vgl. A Anm. 15—16). aas WA 40 I 424, 4 ff. (1531 Gal. 3, 12) seponere autem legem a fide, etiam charitatem et omnia, quae sunt legis, et retiñere solam ipsam fidem. Z. 9 fides est aliud quam lex, quia promissio aliud quam lex. 425, 1 ff. fides solum haeret in promissione . . . lex et facere versatur in faciendo et dando deo. Abel offerens facit etc. 426, 29 ff. (1535) lex pertinet ad facere, fides autem non est huius generis, sed omnino diversum quiddam quod requiritur, antequam Lex fiat. Vgl. A Anm. 237. 227 WA 30 II 665, 3 ff. (De loco iustif. 1530) Nemo enim potest negare, cum aliud sit promissio, aliud lex, et alterum sine altero esse, et efficere quod sui officii est . . . fidem iustificare, opera implere legem, Coniunguntur autem ambo, et sic reddunt hominem perfectum intus et foris, coram Deo et hominibus. 228 WAB 5 Nr. 1610, 26 ff. Ego hie factus sum novus diseipulus decalogi . . . et coepi iuducare, decalogum esse dialecticam evangelii et evangelium rhetoricam decalogi, habereque Christum omnia Mosi, sed Mosen non omnia Christi. — Mit J. Meyer verstehen wir diese Stelle dahin, daß der Prolog zum Dekalog das Evangelium gleichsam in nuce und noch nicht in voller Entfaltung bietet, aber doch schon wesentlich Evangelium ist; vgl. die Erklärungen zur Stelle WAB 5, 410. Siche J. Meyer, Hist. Komm, zu Luthers kleinem Katechismus S. 164 f. 229 WA 40 I 465, 18 ff. (1535 Gal. 3, 17) Lex ergo quae venit . . . post promissionem, non sustulit eam neque . . . aliquid derogasset ei. Vgl. 426, 10 f.; 467, 4 f.
139 dem Gesetz — das Evangelium gepredigt. Ex. 20,2 ist nicht lex, sondern promissio, und zwar »omnium promissionum fons et omnis religionis et sapienciae caput, Euangelium Christum promissum complectens« 230 . J . Meyer sieht das Neue in diesem Brief darin, »daß in der bedingungslosen promissio keimhaft das ganze Evangelium erschaut wird, da der Prolog das Verhältnis des Menschen zu Gott als reines Gnadenverhältnis kennzeichnet« 231 . Schon längst hat aber Luther erkannt, Gott habe mit seiner Verheißung »Ego sum tuus Deus« dem Volk des alten Bundes sich selbst angeboten, so wie er sich heute in Christus darbietet 232 . Da das Gesetz der evangeüschen Verheißung hinzugefügt ist, liegt der Gedanke sehr nahe, das Gesetz sei vor allem als Forderung zum Glauben an diese Verheißung zu verstehen; das Gesetz gebiete zu empfangen, was Gott im Evangelium schenkt. Es würde so ein echt logisch-sachliches Gegenüber von Evangelium und Gesetz bestehen. Wir haben schon gesehen, daß Luther das Gesetz so definieren kann. Es ist aber zunächst überraschend, daß der reife Reformator dieses Verständnis des Gesetzes in seiner eigentlichen Gesetzesdefinition ablehnt. Besonders eindringlich wird nach 1530 die Definition des Gesetzes als der Forderung nach der Liebe und den Werken betont; obwohl das Gesetz den Glauben voraussetzt und ihn indirekt fordert, ist es falsch, das Gesetz mit seiner Androhung des Fluches mit dem Glaubensgebot zu identifizieren. Im Lichte der Gesetzesdefinition z. B. des Großen Galaterbriefkommentars besteht das im Brief an Jonas 1530 bezeugte neue Verständnis von Ex. 20,2 ff. darin: Luther hat nun eingesehen, daß das in Ex. 20,2 enthaltene Glaubensgebot nicht zur eigentlichen Gesetzesforderung gehört. Das Evangelium, das schon im Alten Testament bekannt war und in Christus voll geoffenbart worden ist als das Wort Gottes, das den über den Unglauben herrschenden Zorn beseitigt hat, hat seine Geltung vor und außer dem Gesetz — während das Gesetz, das über den Menschen als Missetäter den Fluch ausspricht, extra locum iustificationis gilt. Schon in Ex. 20,2 wird also in bezug auf den locus iustificationis Gott 230 W A 30 II 358, 2 ff. (Gl. zum Dekal. 1530). Zur Interpunktion siehe J . Meyer, Das 1. Gebot bei Luther, Monatschr. f. Pastoraltheologie 1917 S. 362. 2 3 1 J . Meyer, Hist. Komm, zu Luthers kleinem Katechismus S. 165 vgl. 164. 232 W A 28, 599, 4 ff. (Deut.pred. 1529 Rörer Dt. 5, 6) Ideo dominus nent sich Got selber, den soltu ehren, anbeten, qui te ex Aegypto . . . Sic ego praedico Christianis : Tu habes Salvatorem Christum, hic pro te mortuus, redemit a morte. — Siehe W. Rupprecht, Luthers Deuteronomiumpredigten S. 72, wo weiter auf 28, 749, 17 ff.; 617, 20 f.; 621, 19 f.; 685, 15 ff.; 689, 28 ff. hingewiesen ist. — Gegen J . Meyer betont A. Hardeland (Das 1. Hauptstück im kleinen Katechismus . . . S. 123 f.) mit Recht, daß schon der junge Reformator den Evangeliumscharakter von Ex. 2 0 , 2 erkannt hat: W A 5, 394, 20 ff. (Op. in Ps. 1519—21) inter praecepta dei summum, maximum et primum esse id, quod in decalogo Mosi primo loco poni tur 'Ego dominus deus tuus'. Vgl. 1, 400, 2 ff. (Decern praecepta . . . 1518). — Gemäß der ursprünglichen Gesetzesdefinition Luthers versteht Hardeland das Gesetz als die Forderung nach Glauben und Werken, vgl. 5, 171, 13 ff. in primo praecepto credere et sperare et diligere deum non monemur, hortamur, allicimur tantum, sed sub omnium maxima poena et culpa iubemur. — Auch nach 1530 erkennt Luther, daß der aus dem Zorn befreiende Glaube unter der Feststellung geboten wird, daß der Zorn über dem Unglauben bleibt. Nichtsdestoweniger hat er nun klar eingesehen, daß das Evangelium extra et ante legem redet.
140 bezeugt als der seinen Zorn überwindende iustificator. Der Glaube ist kein im Gesetz gefordertes Werk; er ist vielmehr das freie Geschenk Gottes durchs Wort, das zwar geboten ist, aber unabhängig von dem später hinzugefügten Gesetz. Durch diese Erkenntnis wird nun der Himmel Martin Luthers noch heller und klarer also vorher. Tatsächlich hat Luther die Gebote des Dekalogs als dem Paradiesgebot (Gen. 3) entsprechend verstanden. Dies Gebot gehörte nicht in den locus iustificationis, es befahl nicht den Glauben, es setzte vielmehr ein Zeichen, an dem Adam als Gläubiger zu erkennen war233. Luther versteht also das mosaische Gesetz so, daß es, das Evangelium und den Glauben voraussetzend, bestimmte Liebeshandlungen und Liebeswerke gebiete. Das proprium des ersten Gebotes als Gesetz ist nicht das im Dekalog enthaltene Glaubensgebot, sondern die konkrete Forderung, der Mensch solle keinen Abgott haben 234 . Die Definition des Gesetzes als Forderung der Werke, die im Dienst am Nächsten getan werden sollen, entspricht dem Verständnis des Jüngsten Gerichts nach den Werken als der Beurteilung des Menschen als Wirkenden. Es geht im Gesetz wie im Gericht nach den Werken um das konkrete Verhalten zum Nächsten. Das Gesetz gehört in den locus (iudicii) operum ; es fordert die iustitia secundo ordine. In neuerer alttestamentlicher Forschung wird betont, daß der Rechtfertigung durch den Glauben das mosaische Gesetz im Sinne des 3. usus legis hinzugefügt sei, um das Leben der Gotteskinder zu regeln235. Dies erkennt auch Luther; er sieht aber zugleich in Einklang mit Paulus, daß das weisende, die Freiheit beschränkende Gesetz nicht wegen der Gotteskinder als Glaubender, sondern wegen ihrer Sündigkeit gegeben wurde, d. h. vornehmlich, um die Sünde zu offenbaren 236 . 233 W A 24, 7 2 , 4 ff. (In Genesin Declam. 1527 Gen. 2, 16) A d a m rectus a Deo conditus erat corpore et anima, sed signum erat, ut sciret se habere D e u m . V u l t se Deus agnosci in suo praecepto : potuit fieri peccator in hoc praecepto, non iustus. 234 Es ist schwer festzustellen, wie die Randglosse zum Dekalog, 1530, W A 30 I I 358, 5 ff. zu verstehen ist : »Hoc est proprie p r i m u m praeceptum, quia nihil praecipitur, dicens: Ego sum dominus deus tuus«. G e m ä ß der häufig bezeugten Definition des 1. Gebotes als promissio könnte die Stelle auf den Prolog zu beziehen sein: das eigentliche 1. Gebot sei die evangelische Verheißung u n d das darin eingeschlossene Glaubensgebot (vgl. Β A n m . 108; d a z u Holl, a.a.O. S. 73 f.). Wahrscheinlich ist aber, d a ß die Randglosse zu dem folgenden Text ' N o n sint tibi dij alij' als 2. Glosse gezählt werden m u ß , siehe W A 30 I 637 A n m . 2 u n d J . Meyer a . a . O . S. 164: »Hoc (nämlich das Abgöttereiverbot) est proprie (im Unterschied vom Prolog) p r i m u m praeceptum, quia nihil praecipitur loco ( ? in der Hdschr. ein schwer zu entzifferndes Zeichen, das Albrecht als Ί ' liest u n d mit 'loco' deutet): Dicens: Ego sum dominus deus tuus«. Also : weil im Prolog kein Werk geboten wird, ist Ex. 20, 3 das eigentliche 1. Gebot des Gesetzes. — Schön wird das 1. J o h . 3, 23 bezeugte Glaubensgebot d u r c h Althaus (Gebot u. Gesetz S. 12) so kommentiert: »Es ist freilich gut, den Begriff Gebot immer wieder durch den Wechsel mit ' A u f r u f ' , ' A u f g e b o t ' vom 'Gesetz' abzurücken u n d in seinem urständlichen Sinne als Kehrseite des Angebotes deutlich zu m a c h e n « . 236 Siehe C I I I . 236 w A 40 1466, 27 ff. (1535 Gal. 3, 17) rectissime fecit Deus, quod promissionem tarn longo tempore ante legem dedit . . . Denique d a t a opera etiam praevenit promissionibus legem. 517, 3 ff. (1531 Gal. 3, 23) N o n fuit hoc intentio principalis, ut lex d a r e t u r t a n t u m ad m o r t e m et d a m n a r e t . Id quod est v e r b u m dei, quod monstrat vitam, n o n
141 Wie verhält sich aber diese Interpretation zu Gal. 3, wo nicht nur die Nicht-Erfüllung des Gesetzes die Verfluchung bedingt (V. 10), sondern auch seine Erfüllung das Leben verspricht (V. 12) ? Diese Verse versteht Luther in Einklang mit 3,15—18 so, daß das Leben eigentlich dem Glauben, der Tod eigentlich dem Unglauben zugesprochen sind. Das hinzugefügte Gesetz soll nicht eine neue Bedingung für das Leben einführen, sondern die Werke anzeigen, in welchen der Glaube sich inkarnieren darf und soll. Wenn der Glaube recht ist, wird er sich seiner Natur nach da befinden, wo es ihm Gott geboten hat. Darum ist die an das Gesetz geknüpfte Verheißung mit der dem Glauben zugesprochenen prinzipiell identisch und wird den befohlenen Werken zugeschrieben, weil in ihnen der Glaube inkarniert ist. Dementsprechend ist die an das Gesetz geknüpfte Verfluchung mit derjenigen identisch, die der Unglaube verdient hat. Segen und Fluch können aber bei Luther auch direkt auf die Menschen als Wirkenden bezogen werden. Unter diesem Aspekt sind der Segen und der Fluch des Gesetzes prinzipiell von der Verheißung des Lebens und der Bestätigung des Zorns, die in der Verkündigung des Evangeliums enthalten sind, zu unterscheiden. Direkt gehören die an das Gesetz geknüpfte Verheißung des Lebens und die Drohung des Todes in den locus (iudicii) operum. Da aber ihre absolute Geltung durch den in loco iustificationis geltenden Glauben bzw. Unglauben bedingt ist, besteht eine prinzipielle Entsprechung zwischen der Lebensverheißung bzw. der Zornesbestätigung des Evangeliums und der Verheißung bzw. der Todesandrohung des Gesetzes. Wo der Unglaube herrscht, wird der Mensch gegen das Eindringen des Fluches in das Gewissen keinen Schutz haben; vielmehr wird der in loco iustificationis geltende göttliche Zorn über dem Unglauben durch den Fluch über den Missetaten um so deutlicher erkannt 237 . Es ist kaum ein Zufall, daß die Lehre vom Gericht nach den Werken bei Luther erst in den Jahren seit 1530 fertig ausgearbeitet worden ist. Das neue Verständnis des Unterschieds zwischen evangelischer Verheißung und gebietender Forderung in Ex. 20,2 ff. ist eben mit der grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Glauben und Rechtfertigung in loco iustificationis einerseits und Werken und Gericht nach den Werken extra locum iustificationis andererseits identisch. Diese Unterscheidung ist besonders in den Galaterbriefvorlesungen 1531 und in »Etliche schöne Predigten« 1532 mit streng sachlicher Konsequenz durchgeführt. Geschieden sind aber die beiden Aspekte nicht. Es entspricht dem Verständnis des Gesetzes als eines der Verheißung hinzugefügten Gotteswortes, wenn Luther sagt, das Gesetz fordere die Werke des Glauest mihi facta mors, sed ad hoc servivit, ut aperiret peccatum, quale et quantum sit. 534, 13 (1535 Gal. 3, 24) Civilis usus ipsius bonus est et necessarius, Theologicus vero praecipuus et summus est. 237 Vgl. oben A II 2 (Anm. 140—145) und A I I I 1 (Anm. 211—230).
142 bens. Zugleich ist es folgerichtig, daß das Gesetz indirekt den Glauben fordert, ja, daß der Glaube die eigentliche Forderung des Gesetzes ist. Mit derselben Logik könne man ζ. B. von einem Apfelbaum sagen, es gehe im Herbst um das Obst, und dennoch setzt diese Forderung nach Früchten voraus, daß der Baum lebendig ist. Die Gebote dienen also als Anzeichen der vorfindlichen Gerechtigkeit des Glaubens bzw. der Ungerechtigkeit des Unglaubens. Ganz auf dieselbe Weise wie vom Gesetz redet Luther vom Gericht nach den Werken. Auch hier geht es direkt um die Werke, um den Dienst am Nächsten. Aber nur die Werke werden bestehen, die aus Glauben geschehen sind238. Auch hier geht es also letztlich um den Glauben, so wie auch am Jüngsten Tag der Glaube allein im absoluten Gegenüber mit Gott die Geltung hat 239 . Es wird also durch die neue Definition des Gesetzes weder bestritten, daß der Glaube geboten ist, noch, daß der Unglaube die eigentlich verdammende Sünde ist, die durchs Glaubensgebot gestraft wird. Die neue Definition ist vielmehr als Analyse des früheren, den ganzen gebietenden Gotteswillen umfassenden Gesetzesbegriffs zu verstehen und ändert tatsächlich nichts an dem, was oben über das sündenüberführende Werk des Gesetzes als Glaubensgebotes entwickelt wurde. 2. Der Sinn der Definition
des Gesetzes als der Forderung der
Werke
Gegenüber dem gesetzlichen Mißverständnis des Gesetzes und des Gerichts, der Mensch werde durch Werke vor Gott gerecht, betont Luther also, Gott fordere zur Gerechtigkeit allein den Glauben und zum Dienst am Nächsten die Werke des Glaubens. Nur wenn der Mensch nicht den Glauben empfängt und nicht im Glauben dient, müssen die eigenen Gesetzeswerke als die subsidiäre Forderung des Gesetzes geleistet werden. Nun steht aber die iustitia primo ordine absolut in Gottes Hand. Er allein kann durchs Wort den Glauben wirken, während die iustitia secundo ordine durch unsere cooperatio mit Gott im Glauben zustande gebracht wird. Durch die Erkenntnis der Notwendigkeit des Glaubens sind wir also völlig auf den erwählenden Gott gewiesen. Zum eigentlichen Sinn der Lutherschen Gesetzesdefinition gehört es also, daß wir in loco iustificationis, wo der Glaube allein gilt, vor den prädestinierenden, alleinwirkenden Gott gestellt werden, während wir in loco iudicii operum unter dem im Gesetz die Werke fordernden und den Fluch aussprechenden Gott stehen. Dieser einige Gott hat sich in Christus geoffenbart als der zum Heil Erwählende und vom Fluch des Gesetzes Erlösende240. 239 " « A A n m . 222. A III. 240 W A 40 I 557, 3 ff. (1531 Gal. 4, 3) Alia disputatio de lege et iustificatione. Et q u a n t u m est in isto loco, debet loqui de lege ut re vilissima, quia non potest satis viliter, odiose de lege doceri, quando tractamus hunc locum, quia hie conscientia nihil debet
143 Es ist für Luther sehr bedeutungsvoll, daß der göttliche Fluch im Gesetz — gemäß der Definition des Gesetzes als der Forderung der Werke — ausdrücklich über den Sünder als Wirkenden ausgesprochen ist. Auch das läßt sich durch einen Vergleich mit der Sündenfallsgeschichte erläutern. Luther ist es sehr wichtig, daß in Gen. 3 der Fluch Gottes wegen der Sünde nur über die Schlange, den Acker und das leibliche Leben der Menschen ausgesprochen wird241, während in loco iustificationis dem durch den Unglauben den geistüchen Tod gestorbenen Menschen nicht der Fluch, sondern die evangelische Verheißung zugesagt wird242. Durch die Gesetzgebung auf dem Sinai wird der göttliche Fluch verschärft, da er auch direkt auf das Gewissen des Menschen bezogen wird: »Moses vult terrere conscientiam« 243 . Diese Beziehung des Fluches auf uns als Wirkende, als Missetäter, hat eine mehrfache Bedeutung. Sie dient der Konkretheit der Sündenerkenntnis und der Buße, sie läßt den Zugang zu der Gnade Gottes durch den Glauben offen, und sie verwehrt, daß wir uns zu teuflischen Anfechtungen über Erwählung und Prädestination verführen und durch Spekulationen über Gottes geheimen Willen in die Verzweiflung führen lassen. Durchs Gesetz auf den Nächsten hingewiesen und wegen der Sünde gegen den Bruder verflucht, finden wir nämlich den Grund der göttlichen Ungnade bei uns selbst und nicht beim unergründlichen Gott, und durchs Evangelium aufs Kreuz Christi gewiesen finden wir den erwählenden Gott nicht als verhüllten numinosen praedestinator, sondern als geofFenbarten propitiator und iustificator244. Durch den speculari et scire nisi unum ilium Christum. Ideo summis viribus amolienda lex et conculcanda. 558, 15 ff. (Gal. 4, 3) si permiseris legem in conscientia dominari in loco gratiae, hoc est tunc, cum tibi res est cum peccato et morte vincendis coram Deo, revera nihil aliud est lex quam omnium malorum, haeresum et blasphemiarum sentina, quia tantum auget peccatum, accusat, terret, minatur mortem, ostendit Deum iratum iudicem qui damnet peccatores. Vgl. E. Erikstein, Luthers Praedestinationslehre . . . S. 165: »Zu den Voraussetzungen dieses Glaubens . . . gehören negativ und menschlicherseits, daß der Mensch in seiner Geschöpflichkeit, die weiterhin von der Sünde und dem Teufel bestimmt und beherrscht ist, sich selbst weder retten will noch kann, und positiv von Seiten Gottes, daß er das Heil schafft, und zwar in einem souveränen Akt. Auf dieses Grundverhältnis ist der Glaube die Antwort in Abkehr von allen menschlichen Stützen und in Hinwendung zu dem erwählenden Gott«. 241 WA 24, 107, 6—108, 3 (Gen. 3, 9); 120, 4 ff. (Gen. 3, 24); 42, 136, 24 ff. 32 ff. (Gen. 3, 14); 142, 1 ff. (Gen. 3, 15). «s WA 24, 108, 5; 112,9—11 (Gen.. 3, 15); 42, 143, 4 ff. (Gen. 3,15). 243 WA 40 I 558, 4 (1531 Gal. 4, 3). Über die Bedeutung des ausgesprochenen Fluches siehe WA 24, 2, 32 ff. (wie sich . . . ynn Mosen sollen schicken, 1527). Vgl. H. Lamparter, Das theologische Gewicht des Dekalogs S. 20 f. 214 W A T R 2, 227, 21 ff. (1532 Schlaginhaufens Nachschr.) Doctor Staupitius mihi dixit: Wenn man will de praedestinatione disputirn, so were es besser, man dechte nicht dran, sondern hebe an a vulneribus Christi, und bilde dir den Christum wol ein, so ist praedestinatio schon hinweckh, quia Deus praevidit Filium suum passurum propter peccatores. Qui credit hoc, der sols sein; qui non credit, der sols nicht sein. Z. 30 Weitter dicit Deus ad me: Ego te baptisavi et accepi te in filium meum propter Christum. 5, 294, 27 Deus enim non venit de coelo, ut te de praedestinatione incertum faceret a ut faciat te contemnere sacramenta. 295, 4 Si hoc credis, tunc es in numero suorum eiectorum . . . wen du revelatum nimmbst, wirt er dir den absconditum mit pringen. 296, 31 ff. Wiltu aber wissen, was ich heimlichs in meinem rad hab, das soll
144 Glauben an Christus vor Gott gerecht, wird der Christ wiederum durch seinen, den Geboten Gottes entsprechenden Wandel seiner Erwählung vergewissert245. Um die Menschen der Welt kämpfen also Segen und Zorn, Leben und Tod, Christus iustificator und Christus iudex. Das in bezug auf den locus iustificationis ausgesprochene verbum proprium Gottes ist aber nicht das Wort vom Zorn, sondern die evangelische Verheißung. Ebenso klar wie das göttliche Wort im Bereich der Werke den Fluch ausspricht, ruft Gott in loco iustificationis durchs Evangelium denjenigen Menschen zum Glauben auf, der außer Christus unter dem Zorn ist und bleibt und keine Hilfe gegen den Fluch des Gesetzes findet. In dieser Zeit der Gnade dürfen wir das Evangelium von Christus hören, der zwar auch der Richter ist, der aber geoffenbart ist, um uns vom Fluch des Gesetzes zu befreien. Er ist das Licht der Welt, die Sonne der Gerechtigkeit, die vor den Menschen scheint, die in der Finsternis wandeln 246 . Zu Christus darf der Sünder trotz des Fluches des Gesetzes seine Augen erheben: »contra impetum suorum peccatorum assuescat oculos sursum levare et contra conscientiam deum invocare« 247 . Das ist möglich, weil über uns der Fluch noch nicht in loco iustificationis ausgesprochen ist, und weil der Heilige Geist durchs Evangelium den Glauben schafft, der Christus als den Versöhner ergreift248. »Der Glaube, und zwar der spiritus fidei, also nicht ein menschlicher Glaube, bricht durch die Finsternis hindurch und findet den gnädigen Herrn« 249 . In der Lutherschen Gesetz-Evangelium-Dialektik finden wir also einerseits das Gesetz, das extra locum iustificationis die Werke des Glaubens gebietet, die getan werden sollen, und in loco iudicii operum den Fluch ausspricht, und andererseits das Evangelium, durch das der in loco iustificationis geltende rechtfertigende Glaube geschenkt wird. Nach diesen Definitionen besteht also in der Dialektik zwischen Gesetz und dir mein liber Son anzeigen. Einen absconditum müssen wir haben, aber wir sollen nit darnach greiffen, sonst brechen wir den hals. Gott will, du solt sein angenemer son sein, quia credis in Filium eius. Vgl. W A 5, 173, 34 ff. (Op. in Ps. 1519—21 Ps. 5, 12) Quando ergo his praeceptis dei prohibetur cura ista curiosa operum dei, quae nobis ostensa sunt esse supra captum et sensum nostrum et incomprehensibilia iudicia eius, cum timore in praeceptis dei potius occupari debemus, ut in eum speremus cum fiducia, et haec studia impossibilia diabolo in caput suum vertere. 245 W A 14, 23, 10—19 (1523—24 2. Pet. 1, 10). Vgl. Erdm. Schott, Fleisch u. Geist . . . S. 83: »Die Erwählungslehre und Alleinwirksamkeitslehre stehen etwa in einer Linie mit dem heilsamen Gebrauch des Gesetzes«. 246 W A 42 ; 142, 10 ff. (Gen. 3, 15) In eo autem sol consolationis antea quasi tenebrie quibusdam caliginosarum nubium involutus supra nubes attollitur, et iucundissimo lumine territa corda aspicit : Quod Adam et Heua non solum non audiunt sibi maledici sicut serpenti, Sed quod audiunt se constituí tanquam in acie contra damnatum hostem idque spe auxilii, quod eis laturus sit Filius Dei, Semen mulieris. W A 5, 93, 36 f. (Op. in Psalmos 1519—21 Ps. 3, 8). 248 Bek. 512, 2 ff. (KI.Kat. 1529). 3 3 , 6 1 2 , 3 6 (Wochenpred. 1531 Joh. 8 , 2 8 ) gebe uns den heiligen geist, der do machet, das man gleubet an das wortt. 39 I 277, 30 ff. (Zirkulardisp. de veste nupt. 1537) Deus . . . resuscitat nos et suo sancto Spiritu per ministerium verbi accendit in nobis fidem. 6, 216, 15 (V.d.guten Werken 1520) (glaub) allein auß Iesu christo, umbsunst vorsprachen und geben. Vgl. A Anm. 2. 249 H. Beintker, Die Überwindung der Anfechtung S. 172.
145 Evangelium keine genaue logische und sachliche Entsprechung. Das eigentlich entsprechende Gegenüber des Evangeliums ist das Gesetz, definiert als die Forderung des Glaubens — eine Definition, die bei Luther zwar reichlich bezeugt ist, die aber nicht auf die Gesetz-Evangelium-Dialektik ζ. B. des Großen Galaterbriefkommentars zu beziehen ist. Indessen wird, wenn das Gesetz das Versagen im Dienst und die mangelnde Liebe straft, zugleich der Unglaube als die Quelle der Bosheit unzweideutig entschleiert. Obwohl also der ausgesprochene Fluch des Gesetzes auf den Sünder als Wirkenden bezogen ist, wird durch das Gesetz auch die Sünde des Unglaubens erkannt. Indirekt redet also auch das Gesetz in loco iustificationis, und es besteht folglich doch in der Lutherschen Gesetz-Evangelium-Dialektik faktisch und praktisch eine logische und sachliche Entsprechung zwischen dem existenziell verdammenden Gericht nach den Werken bzw. dem Gesetz und dem evangelischen Zuspruch der Rechtfertigung durch den Glauben. Wenn das Gesetz das verdammende Gericht über die bösen Werke ausspricht, straft es dadurch zugleich den Unglauben und führt zum Kreuz Christi, wo das Gerichtsurteil mit unheimlichem Ernst vollstreckt worden ist250. Daß dies pro nobis geschehen ist, ist aber die Botschaft des Evangeliums251. Zu dem rechtfertigenden Glauben an Christus als den Erlöser vom verdammenden Gericht und als unsere Gerechtigkeit vor Gott führt also letztlich allein das Evangelium, wie es Luther im Großen Galaterbriefkommentar so ausdrückt: »Evangelium facit ex lege paedagogum in Christum« 252 . Allein durchs Evangelium vom Kreuz Christi wird der durchs Gesetz seiner Todesschuld überführte Mensch mit Christus gekreuzigt und stirbt so dem Gesetz, indem er in Christus sein Leben findet. Im Glauben an Christus ist also die Person prinzipiell als alter Mensch unter dem Gesetz gestorben und als neuer Mensch in Christus auferstanden 253 . 250 W A 9, 652, 3 ff. (Pred. 1519—21 Polianders Samml.) Also richtet dieße bedenckung des leydens Christi eben das auß, das das gesetzs thut, darvon Paulus sagt ' Per legem cognitio peccati' et ' lex iram operatur'. Das machet, das der mensch erkenneth sein elend, wie ers vorwircket hath gegen goth, und sichet den grossen zcorn, der übersieh gehet, und soll mit dem streytten, den nymanth uberwinden mag. — Siehe G. Heintze a.a.O. S. 229 f. asi WA 40 I 435, 1 ff. (1531 Gal. 3, 13) Est innocens quidem, sed eius innocentia premitur peccatis totius mundi, quia simul reus omnium peccatorum mundi. Quaecunque ego male gessi, sic propria Christi, ut ipse gessisset. 437, 5 ff. 252 WA 39 I 446, 22 (2. Antin.disp. 1538) ; vgl. Ζ. 3 f. Euangelium sua virtute facit ex latrone paedagogum et rapit illum occisum per legem et reducit ad Christum, id quod non fecit lex. Siehe Η. J . Iwand, Die Predigt des Gesetzes S. 55 : »Die Gesetzespredigt muß glaubenweckende und glaubwürdige Verkündigung sein. Das kann sie aber nur dann, wenn sie selbst schon von Jesus Christus herkommt. Nur die Gesetzespredigt, die von ihm herkommt, führt zu ihm hin; sie ist nur glaubwürdig, wenn sie sich im Kreislauf des Gesetzes hält. Jedes andere Gesetzesverständnis muß da enden, wo das Gesetzesverständnis der Juden endete: 'Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben' (Joh. 19, 7)«. 253 W A 40 ι 270, 24 ff. (1535 Gal. 2, 19) cum in Christum credo, resurgo cum ilio et morior meo sepulchro, id est legi quae me captivum tenebat, Estque Lex iam vacua, evasi carcerem et sepulchrum meum, id est legem. Ideo iam amplius non habet ius accusandi et retinendi me, quia ego resurrexi.
146 In Luthers Verständnis Gottes bzw. Christi als iustificator hat seine Gesetzesdefinition, die sich besonders auf Gal. 3,12 gründet, ihren sachlichen Grund. Christus ist zunächst Heiland, nicht Richter. Der Glaube ist göttliche Gabe, nicht durch uns zu leistendes Werk. Von der Rechtfertigung durch den Glauben als Gottes eigenem Gnadenwerk her ist also das Gesetz als die Forderung der Werke und nicht des Glaubens zu verstehen. Durch dies Gesetzesverständnis wird nicht der göttliche Zorn über den Unglauben verleugnet, vielmehr die den Zorn überwindende, im Versöhner geofíenbarte Liebe Gottes aufs stärkste hervorgehoben. Die Gesetzesdefinition wird als ein Ausdruck göttlicher Seelsorge verstanden. Um dem Glauben an die Verheißung Raum zu bewahren, wurde nach dem Sündenfall der Fluch nur auf den Acker und den Leib direkt bezogen und auch auf dem Sinai der Fluch nur in bezug auf den locus operum ausgesprochen254. Dennoch bestätigt das Gesetz die Verdammnis desjenigen, der den Glauben nicht empfangen und nicht im Glauben dienen will, wie Christus letztlich dem verhärteten Ungläubigen verdammender Richter wird. Für Luther entspringt also die Unterscheidung zwischen Evangelium und Gesetz, zwischen Christus iustificator und Christus iudex und zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und Gericht nach den Werken denselben Motiven. Sämtliche Unterscheidungen sind als von tiefem Verständnis zeugende theologisch-seelsorgerliche Analysen neutestamentlicher Begriffe zu verstehen. Die Interpretationen geschehen von der grundlegenden Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben her und zwar so, daß der Inhalt der biblischen Begriffe nicht verflüchtigt wird — trotz aller leidenschaftlichen Polemik gegen die gängige Lehre von Christus iudex und trotz der Ortsbestimmung des Gesetzes, der Werke und des Gerichts nach den Werken extra locum iustificationis. In seinen Predigten folgt Luther keiner festen Regel für die Reihenfolge von Evangelium und Gesetz255. Auch die strenge Unterscheidung 254 Die Betonung der paulinischen Gesetzesdefinition hängt bei Luther auch mit seiner Versöhnungslehre zusammen. Obwohl trotz der Versöhnung der Zorn »außer Christus« besteht und über dem Unglauben bleibt, liegt für Luther der Nachdruck darauf, daß Gott in Christus uns als Versöhner, als glaubenschenkender iustificator begegnet. Insofern empfängt das Gesetz »seine Geltungsbegrenzung vom Evangelium, d.h. vom Kommen Christi her.« (Zur Formulierung, kaum aber zum Gedankengang vgl. O. Hof, L's Lehre v. Gesetz u. Evangelium S. 165). 255 Luthers Predigten sind meistens Auslegungen vorliegender Texte, wobei die rechte Unterscheidung von Evangelium und Gesetz, Glauben und Werken, nicht eine formale Reihenfolge ihm wichtig ist. Obwohl Luther die Reihenfolge Evangelium — Gesetz als die heilsgeschichtlich richtige ansieht (siehe Β Anm. 236), ringt er in seinen Predigten mit den Zuhörern, immer wieder bald Gesetz, bald Evangelium verkündigend, vgl. G. Heintze, Luthers Predigt von Gesetz und Evangelium, S. 50—65. — C.F.W. Walther behauptet in seinem seelsorgerlich sehr wertvollen Buch, Die rechte Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium S. 82 ff"., es sei ein Merkmal der rechten Predigt, daß erst das Gesetz und dann das Evangelium verkündigt wird (These VII). Eine solche formale Predigtregel läßt sich nicht bei Luther feststellen. •—• E. Kinder, Gottes Gebote und Gottes Gnade . . . , gibt u. E. —· abgesehen davon, daß
147 zwischen Glauben und Werken, locus iustificationis und locus iudicii operum wird nicht immer betont. Er kann die beiden Aspekte sogar in eins sehen. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Unterscheidung keine seelsorgerliche Bedeutung hat, oder genauer, wenn Luther aus seelsorgerlichen Gründen den einheitlichen Aspekt hervorhebt 256 . Die beiden Aspekte sind wohl auch in eins gesehen, wenn Luther den Grundsatz von der Rechtfertigung durch die Liebe prinzipiell anerkennt 257 . Dann wird die vollkommene Liebe im Gegensatz zu der durch die Sünde notwendig gemachten fides Iesu Christi auf die Rechtfertigung belogen 258 . In Wirklichkeit aber wird dadurch gesagt, daß in der Herrlichkeit wie im Urständ die Zuversicht und die Werke ohne Sünde sind und ohne Christus crucifixus rechtfertigen. Nach einer streng analysierenden Begrifflichkeit muß indessen auch die ursprüngliche Rechtfertigung durch die Liebe als eine sekundäre verstanden werden, da auch vor Einbruch der Sünde die Gerechtigkeit zunächst im Glauben bestand. Zweifellos hat der Satz: »fides salvai, sed opera etiam consecutive salvant«, bei Luther auch abgesehen von der Sünde eine prinzipielle Geltung 259 . Da in statu integritatis bzw. perfectionis eine vollkommene Übereinstimmung besteht zwischen Glauben und Werken, ist hier die Unterscheidung zwischen locus iustificationis und locus iudicii operum eigentlich irrelevant. Derjenige, der den volkommenen Glauben (iustitia primo ordine) hat, hat dadurch zugleich die vollkommene Liebe (iustitia secundo ordine) ; hier kann man also ebensogut sagen, der Glaube rechtfertige, wie, die Liebe mache gerecht. Nur so verstanden wird der Gedanke vom Gesetz als prinzipiellem Heilsweg durch Luther bejaht. Gesetz und Evangelium werden von Luther sowohl fest zusammengehalten als streng unterschieden. Mit derselben Konsequenz und Leidenschaft, mit der er an der unteilbaren Einheit von Glauben und Liebeswerken festhält, behauptet er die Geltung des Glaubens in loco iustificationis und der Werke extra locum iustificationis. Diese beiden er die prinzipielle Unterscheidung zwischen Glaubensgebot und Gesetz nicht mitmacht — eine gute Darstellung der Lutherschen Gesetz-Evangelium-Problematik und -Dialektik. Dasselbe gilt der instruktiven Abhandlung von E. Schlink, Gesetz und Evangelium als kontroverstheologisches Problem. KuD Hf. 1, 1961 S. 1 ff. 256 Gutes Beispiel ist die mehrmals zitierte Stelle WA 30 II 659, 4 ff. (De loco Iustif. 1530) Proinde non est admittenda separatio Iustitiae Fidei et operum, quasi sint duae diversae Iusticiae more Sophistarum. Sed est una Iusticia simplex fidei et operum, Sicut Deus et homo una persona, et anima et corpus unus homo. Si enim separes, mox periit fides et opera remanent: hyprocrisis dupliciter impia. Si enim opera sunt, ex fide sunt et fiunt. Si fides est, ipsa prodit et operatur. Siehe A l l (Anm. 14). 257 W A 3 9 ι 3 i 5 ; 3.5 ( d e veste nupt. 1537) A r g u m . : qui habet charitatem, iustificatur . . . R e s p . : S i vere et perfecte dilexerit, quod . . . in hac vita non fit. V g l . 3 1 9 , 15 f. Charitas . . . iustificat . . . in futura vita, ubi erit perfecta Charitas. 268
Ebd. 301, 3 ff. (de veste nupt.) Angeli non iustificantur, sed sunt iusti creati. Si haberemus earn charitatem erga Deum et hominem, essemus etiam iusti, sed quia earn non habemus, iustificamur fide et exspectamus eam in spe. Angeli sunt revera iusti Deo creante, sed nos sumus imputatione iusti et initium iustitiae propter eum, in quem credimus, accipimus. Vgl. A Anm. 126. 269 WA 39 I 325, 4 (de veste nupt. Rom. 10, 10). Vgl. A Anm. 122 u. 115.
148 Aspekte sind im Gedanken an den göttlichen iustificator und die durch diesen Gedanken bestimmte Anthropologie begründet. Gott schafft durchs Evangelium die einheitüche Gerechtigkeit des Glaubens und der Liebe. Dennoch wird die Gerechterklärung auf die im Glauben bestehende Gottesrelation bezogen, während die durch den Glauben geschaffenen Werke, die zugleich im Gesetz befohlen sind und durch eine cooperatio mit Gott im Glauben geschehen, extra locum iustificationis anerkannt und belohnt werden sollen260.
VI. Freiheit und Gesetz 1. Die existenzielle Beziehung des in Kraft der Rechtfertigung Liebesdienstes auf das Gericht nach den Werken
geschehenden
In der Rechtfertigungslehre Luthers wird das Jüngste Gericht völlig existenziell gefaßt: hic et nunc geschieht die ewige Entscheidung im Glauben bzw. Unglauben. Der Gläubige hat, so wahr er im Glauben bleibt, das in Mt. 25,41 ff. geschilderte, verdammende Gericht hinter sich261 — obwohl dieses Gericht noch in wiederholten Anfechtungen und in der Todesnot erlebt wird. In der Rechtfertigung wird die Person geschaffen, die gute Werke tut, weil sie durch den Glauben in Christus ist. Kraft der Glaubensgemeinschaft mit Christus tut der Christ die guten Werke nicht final auf die Rechtfertigung hin, sondern konsekutiv von der Rechtfertigung her 262 . Wo dieser evangelische Glaube ist, da sind das Gesetz wie das Jüngste Gericht prinzipiell überwunden. Denn da ist das Gesetz schon durch Christus (coram Deo) erfüllt und wird täglich durch Liebeswerke (coram hominibus) erfüllt. 260 30 I I 663, 4 (De loco Iustif.) fides ante opera iustificat. 659, 8 Si enim opera sunt, ex fide sunt et fiunt. 663, 5 opera fidei signa sunt et fructus iusticiae. 667, 10 iusticia operum, q u a m Deus exigit et hic vult servari ac rémunérât temporaliter impiis, At aeternaliter piis. — I n bezug auf den locus iustificationis sagt Hof (Luthers Lehre von Ges. u. Ev. S. 150) mit R e c h t : »Das Evangelium kennt keine Vor- u n d keine N a c h bedingungen der Rechtfertigung. Wird i h m Gesetz beigemischt, so 'wird eitel Gesetz daraus'«. Vielleicht könnte aber in bezug auf den loc. iud. op. der Begriff Nachbedingung hinlänglich sein. — In Übereinstimmung mit seiner Definition des Gesetzes als der Forderung einer Leistung erkennt W . Matthias (Der anthropologische Sinn der Formel Gesetz u n d Evangelium. E v T h 1962 S. 410 ff.) die Korrespondenz zwischen Gesetz u n d Symptom des unerfahrbaren sündigen Seins u n d Wesens einerseits, zwischen Evangelium u n d sündigem Sein und Wesen, sündiger N a t u r andererseits. Weder enthüllt das Gesetz die eigentliche Sünde noch beschreibt es die eigentliche, vor Gott geltende Gerechtigkeit. D e m g e m ä ß verwirft M . die durch das Gesetz bestimmte Formel der F C : »hominem in sua n a t u r a . . . Deo probari«, und behält die evangelische Wend u n g Luthers : »hominem iustificari fide«, als die causa finalis des Menschen (cfr. oben A A n m . 108). D a aber die F C wie die Katechismen den weiteren Gesetzesbegriff vertritt (: das Gesetz fordert G l a u b e n u n d Liebeswerke, Bek. 957, 14—27), ist es fraglich, ob M . ' Kritik ganz berechtigt ist. Der Glaube bzw. die d e m G l a u b e n imputierte Gerechtigkeit ist primäre, die Liebe bzw. die reale Gerechtigkeit ist sekundäre causa finalis des Menschen. 261 A Anm. 131. 262 Siehe Joest, Ges. u. Freih. S. 32 ff.
149 Diese Erfüllung geschieht nicht durch eigene mühselige Versuche, dem Buchstaben des Gesetzes Genüge zu tun, bzw. durch eigene imitatio Christi. Der Glaube ist Leben in Christus, Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist ; er erfüllt das Gesetz auf eine Weise, die höher ist als alle Vorschriften: »Also sind alle Christen durch den geyst und glawben aller ding genaturt, das sie wol und recht thun mehr denn man sie mit allen gesetzen leren kan, und dürffen fur sich selbs keyns gesetzs noch rechts«263. Das Gesetz ist Buchstabe, der Werke fordert; im Glauben wirkt der Heilige Geist einen spontanen, lebendigen Liebeswillen, der Gottes Gebot erfüllt und die Begierde des Fleisches tötet. Der Christ braucht kein Gesetz, um zum Liebesdienst gezwungen zu werden 264 . Den Christen unter das Gesetz zu legen, wäre ebenso sinnlos, wie wenn man geböte, daß drei plus sieben zehn geben, ein schon fertiges Haus gebaut werden solle, oder einer Jungfrau, Jungfrau zu werden 265 . Der Glaube ist darum getrost auch angesichts des Gerichts nach den Werken. Er sieht die Verheißung an; er glaubt, daß die Liebe durch den Heiligen Geist geschenkt wird und daß die guten Werke »frolich und frey« aus dem Glauben hervorgehen werden 266 . Unermüdlich hebt Luther die Spontaneität und den selbstlosen Liebescharakter der guten Werke hervor. Die Werke des wahren Christen geschehen nicht um des Lohnes bzw. der Strafe willen; die Seligkeit wird nicht durch Werke gesucht. Die Liebe tut in völlig freier Güte das, was ihr vorkommt, so wie ein Baum seine Früchte fallen läßt, und völlig verliert267. Diese verlorene Liebe tut viel mehr als das, was sich in Worte einfangen und bestimmen läßt ; ihre Werke werden weder gezählt noch mit Namen genannt 268 . Sie übertrifft völlig, was durch den Buchstaben des Gesetzes ausgedrückt wird. Darum kennen die Gerechten ihre guten Werke nicht, die am Jüngsten Tag gelobt werden 269 . Das Gericht am Jüngsten Tag geschieht den Gläubigen nicht zur Verdammnis; in ihm werden vielmehr die Kinder Gottes offenbar mit ihren guten Werken und bekommen ihren Gnadenlohn. Freilich gelten die Werke nur um der imputatio willen als gerecht. Die Rechtfertigung schließt jedoch ein, daß durch die Kraft des Heiligen Geistes reale Liebeswerke geschaffen werden, die gerechtfertigt werden können. Diese Werke und ihre Anerkennung im Gericht gehören zu der 263 WA 11, 250, 18 ff. (Von weltlicher Oberkeit 1523). asi VVA 2, 499, 34 ff. (1519 Gal. 2, 19) Lex literae est quaecunque scribitur literis, dicitur verbis, cogitatur cogitationibus. Z. 20 ff. Lex spiritus est, quae nullis prorsus scribitur literis, nullis profertur verbis, nullis cogitatur cogitationibus: sed est ipsa viva voluntas vitaque experimental is, vgl. 25 f. 265 WA 2, 596, 15 ff. (1519 Gal. 5, 23) vgl. 11. 250, 15 ff. 266 WA 6, 207, 28 (Von den guten Werken 1520). 267 WA 10 I I I 279, 18 (Pred. 1522 Lk. 16, 1 ff.); 34 II 329, 6 (Pred. 1531 Rörer Mt. 22, 39) ; 24, 111, 36 (1527 Gen. 3, 15); 36, 455, 14 f. verliere tua bona opera. Sicut bonae pomi amittunt fructus et praebent eos pessimis nebulonibus, et sues comedunt. Siehe A Anm. 267. 268 WA 10 I 2, 38, 8 f. (Adv.post. 1522 Mt. 21, 1—9). 26» W A 45) 328, 18.
150 dem Glauben gegebenen evangelischen Verheißung. Christus wird am Tage des Gerichts die gläubigen Wohltäter so anreden: »veni, tu unus minimus, du hast durst gelitten vel dedisti aliis beneficium et exercuisti opera charitatis, tu verus Christianus« 270 . Diese lobende Anerkennung Christi ist für Luther das Wesentlichste an dem den guten Tätern verheißenen Lohn. Die Hoffnung auf diese fröhliche Begegnung mit Christus reizt immer neu zum Liebesdienst : »Sol das nicht eim ein hertz machen, quando quid dat proximo, certo seit Christo dedisse? Christus vult in extremo iuditio : tunicam quam dedisti huic, mihi i n d u i s t i . . . Si Christus esset hic et non haberet tunicam, omnes darem, ja es must mir sanfft sein et nihil schier wolt an sehen, quam quod haberem den rhum, quod mea veste tectus et ipse testaretur in extremo iuditio. Si crederent: quam frolich wurden servire proximo« 271 . Bei aller Unterschiedlichkeit und Relativität des Lohnes bleibt für Luther die Hauptsache die Hoffnung, daß wir Christus selbst sehen werden. Dieser Gedanke ist der höchste Trost in allem Leiden 272 . Tatsächlich finden wir in solchen Worten bei Luther eine positive Beziehung des neuen Menschen aufs Gericht. Eben der Glaube und die Liebe werden durch diesen fröhlichen Gerichtsgedanken ermuntert und gestärkt. Es ist Lohn für die Arbeit im Herrn. Christus wird uns als treue Diener freundlich anreden, wenn wir ihn nach vollendetem Dienst und Leiden in seiner ewigen Herrlichkeit und Freude sehen dürfen. Diese freundliche Anrede Christi und alle andere gnädige Belohnung im Gericht nach den Werken gehört zum Evangelium und wird zum Trost verkündigt, zum Trost, der dann unentbehrlich ist, wenn unser Liebesdienst scheinbar vergebens geleistet wird. Und weil die Sünde allen guten Werken anhaftet, taucht nicht selten der verzweifelte Gedanke auf, die Gnade Gottes an uns sei vergeblich gewesen. Der Glaube darf jedoch auch dann getrost sein, denn wie Paulus dürfen auch wir so beten und bekennen: »Coram te sum peccator, sed quia ingrato mundo servivi, propter hoc dabit mihi coronam, quanquam per hoc non salvatur, aber der rhum, die Chron, herlichkeit und ehr wird da sein, ut dicatur: das hastu dennoch gethan« 273 . Sehr schön wird dasselbe in der Predigt über Mt. 25,31 ff. gesagt: »Bonus expectat et gemit, ut veniat in ista gloria ad istam gloriosum, ut audiat: 'Venite, benedicti, aeeipite regnum'«. Dieses Urteil erwarten wir, sagt Luther, weil der Teufel uns drückt, das Fleisch dem Glauben widersteht, weiter auch tyrannische Bischöfe, Adlige und Nachbarn uns widerstehen. Wir sehen so viel Jammer, daß wir müde werden und rufen : Komm und befrei uns ! So können diejenigen, die in der Gnade stehen und hier bedrängt werden, mit Freude und gutem Gewissen den Jüngsten Tag erwarten : »Q,ui dem so ist et videt se cre-
270 271 2,2 273
Ebd. 327, 18ff",vgl. A Anm. 283 u. 262. WA 27, 303, 19ff".34 f. (Pred. 1528 Rörer Lk. 16, 1 ff".). A Anm. 404—405. WA 36, 462, 3 ff. (Rörer).
151 dere in Christum et invenitur in tali vita, is sit letus, quia letum iudicium« 274 . Durch diese Verheißung wird der Christ, der jetzt dem Nächsten dient, zugleich auf die Zukunft hingewiesen, wie es in »De loco iustificationis« heißt : »Nach der Schrift soll auf verschiedene Weise von den Werken gelehrt werden. Auch Belohnungen müssen notwendig zugesprochen werden. Wenn nämlich das Werk lediglich gefordert würde, dann wäre es so wie die Tiere, die nur gezwungen werden, ohne irgend einen Gedanken für die Zukunft zu haben. Der Mensch soll auf die Zukunft hin gebildet werden. Das geschieht nicht durchs Gesetz, sondern durch die Verheißungen. Sonst würde der Menchs als ein bloß sterblicher erscheinen«275. Diese Richtung auf die Zukunft hin gehört also nach Luther zum wahren Menschsein. Es läßt sich daher kaum leugnen, daß nach Luther die Liebeswerke konsekutiv von der Rechtfertigung her geschehen und zugleich auf das Jüngste Gericht nach den Werken bezogen werden. Luther bemüht sich aber sehr sorgfältig, eine Verschiebung des Schwerpunktes zu vermeiden. Die Belohnung der Werke am Jüngsten Tag ist bei ihm kein Hauptmotiv des Liebesdienstes im Glauben. Seine Anschauung ist vielmehr diese : in dieser Welt, wo die Liebe verloren und Gutes mit Bösem vergolten wird, geschieht der Liebesdienst am Nächsten im Lichte der Verheißung des ewigen Lohnes. Die Motive des Liebesdienstes sind erstens, daß Christus für uns gestorben und auferstanden ist und in uns lebt, zweitens, daß unser Nächster des Dienstes bedarf. Die Verheißungen der Anerkennung der Werke im Gericht dient der Sicherheit im Handeln; wir dürfen wissen, daß wir im Dienst am Nächsten nach den 10 Geboten Gott gefällige Werke tun. Der durch die am Kreuz geoffenbarte Liebe Christi motivierte Dienst erhält indessen auch dadurch, daß er im Lichte der Verheißungen geschieht, Anreiz und Antrieb. Luther erkennt, daß die von der Welt verachteten und verfolgten Christen auch das Wort von der Anerkennung und dem Lohn ihres scheinbar verlorenen Liebeswerkes im Gericht nötig haben, um im Dienst nicht müde zu werden. 271
WA 45, 327, 8—20. WA 30 II 669, 24 ff. (De loco Iustif. 1530, übers.). Vgl. 18, 695, 8 ff. verba mercedis, dum significant, quid futurum sit, sunt vice exhortationis et comminationis, quibus pii excitantur, consolantur et eriguntur ad pergendum, perseverandum et vincendum in bonis faciendis et malis ferendis, ne fatigentur aut frangantur. — Uber Luthers unerbittlichen Kampf gegen das fleischliche Schielen auf den Lohn, siehe die ausgezeichnete Darstellung bei Peters, a.a.O. S. 192—199. Vielleicht zu kategorisch bemerkt Peters zu Mt. 19, 27 f. (S. 200) : »Nach Luthers Theologie hätte man an dieser Stelle ein klares Nein des Herrn, eine ausdrückliche Zurückweisung Petri erwarten müssen, etwa in dem Sinne : Frage nicht nach Lohn für dich«. Mehrmals scheinen mir bei Peters die Unterschiede zwischen Luther und dem Neuen Testament übertrieben zu werden. Die Gründe sind m.E. teils, der Luthersche Aspekt des locus iudicii operum kommet auch bei ihm zu kurz, teils, er begrenzet mit mehreren neueren Exegeten die theologische Tragweite neutestamentlicher Aussagen. Peters zitiert z.B. Bultmanns existenzialistische, anthropozentrische Auslegung von Lk. 17, 13 (: der Lohnmotiv ist primitiver Ausdruck dafür, sein werdendes Selbst zu gewinnen sei das legitime Motiv des sittlichen Handelns) und folgert: »In den Worten Bultmanns . . . ist das Reflektieren auf uns selbst nicht überwunden. Sie bestätigen uns noch einmal: an diesem Punkte treibt Luther die Aussagen des Neuen Testamentes eindeutig weiter« (S. 206). 276
152 Die Quelle und das Hauptmotiv der guten Werke bleibt das Evangelium vom Christus pro nobis crucifixus. Die am Kreuz dem Nächsten erwiesene Liebe Christi treibt zur Nachfolge. Am stärksten jedoch treibt das Wort vom Christus pro me. Weil ich nämlich nur wegen meiner eigenen Lieblosigkeit und meines Unglaubens existenziell getötet werden kann, ist es zugleich allein durch das Wort vom Christus pro me crucifixus möglich, daß ich zu Liebestätigkeit neu geschaffen werde276. Allein durch dieses Zentrum des Evangeliums kann meine Selbstsucht überwunden werden, indem ich durch Christi Tod und Auferstehung »e conspectu meo« hinausgeführt werde. Das Wort vom Christus pro nobis dient nun wiederum dazu, den Blick auf Christus und zugleich auf den Nächsten gerichtet zu halten ·— eine Blickrichtung, deren Berechtigung auch durchs Wort vom Gericht nach den Werken bestätigt wird. 2. Die evangelische
Gerichtsparänese
Die guten Werke des Glaubens geschehen spontan, aber durch Personen, die sich als verantwortlich erkennen und von den ewigen Konsequenzen ihres Liebesdienstes wissen. Schon die Tatsache, daß aus dem Gedanken an die frohe Begegnung mit Christus am Tage des Gerichts eine Reizung zum Liebesdienst ausgeht, beseitigt die Vorstellung des Fruchttragens als eines automatischen Vorgangs, ohne der dem Glauben zugesprochenen Verheißung der Frucht zu widersprechen. Dasselbe gilt der Aktualisierung dieses Gerichtsgedankens in der evangelischen Gerichtsparänese. Auch diese geschieht in Einklang mit der Verheißung der Glaubensfrüchte und der Anerkennung im Gericht, die dem bewußten, verantwortlichen Christen gegeben ist; ja, die evangelische Gerichtsparänese gehört zur Verwirklichung der Verheißung. Der in der Glaubensgemeinschaft mit Christus stehende Christ ist mit seinem Herrn in dessen Heils- und Hilfswillen einig und gebraucht in bewußter Verantwortlichkeit seine Glieder als Instrumente dieses Willens, durch die evangelischen Vermahnungen und Verheißungen angereizt 277 . So werden die Verheißungen der Frucht erfüllt und die Anerkennung im Gericht nach den Werken erreicht. " s W A 17 I I 97, 9 ff. (Fastenpost. 1525 Rörer R o m . 13, 8 ff.); 40 I 299, 9 f. (1531, Gal. 2, 20) ; 86, 2 ff. ; 91, 4 f. — G. Wingren weist (L. 's lära om kalleisen S. 244; dt. S. 147 f.) auf die oft wiederkehrende These Luthers hin, d a ß »die ganze Kunst des Glaubens in einer rechten Anwendung der Pronomina besteht (WA 40 I 85, 26 — 86, 22; 91, 16 — 23; 299, 21 — 34). Derjenige, welcher nur so allgemeinhin an christliche Aussagen glaubt, der merkt niemals deren Kraft. Wenn ich aber das Wort auf meine Sünde, meine Leiden, meinen T o d anwende — dann strömt die ganze Kraft des Wortes in mich hinein u n d wird dort eine Wirklichkeit, was sie nicht war, solange kein Glaube vorhanden war«. » ' W A 17 I 106, 3 ff. (Pred. 1525 Rörer 1. T i m . 1, 3 ff.) Opera zihe auff erden et pertinent in corpus vel proximum, fide in celum veharis et nihil operare. In operibus dico ea facienda, quae castigent corpus, das er nit securus sey. Z. 10 Sic servo omnes leges et tarnen ne apicem habeo in corde,. . . quia debeo mich schicken in voluntatem et utilitatem proximi.
153 Diese Vermahnungen sind göttliche Befehle. Die Imperativische Form der Paraklese ändert jedoch nicht ihren evangelischen Charakter. Es ist dem Glauben und der Liebe vielmehr eine Hilfe, daß die Werke befohlen werden, wie auch das Evangelium selbst in der Form des Imperativs verkündigt werden kann. Luther hat das erste Gebot als einen Befehl zum Glauben verstanden : »Sich, das ist das werck des ersten gebots, da geboten ist ' Du solt nit andere gotter haben', das ist ßo vil gesagt ' dieweil ich allein got bin, soltu zu mir allein dein gantze zuvorsicht, traw unnd glauben setzen, und auff niemandt anders'« 278 . Bemerkenswert ist, daß die Ermahnung zum Glauben dieselben Verben gebraucht wie die Aufforderung zur Liebestätigkeit. Zum Glauben »frundtlich lockt« und »reytzet« das Evangelium; es »foddert«, »exigit« den Glauben 279 . Christus und die Apostel »ermanen«, »locken« und »reytzen« aus dem Reichtum der im Evangelium geschenkten Gabe dem Nächsten mitzuteilen280. Der Glaube darf nicht nur ein noëtischer oder transzendentaler sein, die Liebe keine eingebildete qualitas. Der ganze Mensch soll aus dem Wesen des Unglaubens, aus der Welt des Gesetzes ins Reich und Wesen des Glaubens gerettet werden — aus dem Wesen der Werkgerechtigkeit und Selbstsucht ins Wesen der Glaubensgerechtigkeit und der tätigen Nächstenliebe gewandelt werden. Diesem transitus dienen die Gebote. Mit Recht unterscheidet jedoch K. Thieme zwischen dem als reine promissio verstandenen Prolog des ersten Gebotes und den eigentlichen Geboten. »Evangelium in der Form des Gebots« ist nur eine Hilfsform, nicht, wie von K. Barth behauptet, die eigentliche Form des Evangeliums281. Die Paränese ist als schöpferische charakterisiert worden. Dieses Prädikat muß sorgfältig erklärt werden. Mit Recht versteht H. Ivarsson den Begriff so, daß die Paränese die Liebeswerke fördere, die nicht vorgeschrieben oder geregelt sind, sondern ständig das Wohl des Nächsten in den verschiedenen aktuellen Situationen suchen : »ut doctrina fidei sit fruchtbar, ideo semper admonere debemus« 282 . Dasselbe gilt von Christus als Exempel. Christus ist nicht das Vorbild eines durch statutarische Gesetze fest geregelten Ethos, sondern einer Liebe, die in schöpferischer Freiheit dem Nächsten dient 283 . Es ist aber für Luther überaus wichtig, daß die schöpferischen Liebes278
W A 6, 209, 24 ff. 37 ff. (Von den guten Werken 1520). ' W A 10 I 2, 23, 12; 22, 16 (Adv.post. 1522 M t . 21, 1 ff); 15, 783, 31 (Pred. 1524 Rörer). 280 W A 18, 693, 1 f. (De servo arbitrio 1525); 17 I I 9, 5; 110, 31 (Fastenpost. 1525); 32, 211, 1 f. (Pred. 1530 R ö r e r R o m . 13, 11 ff.); siehe H . Ivarsson a . a . O . S. 36; 116; 119. 281 Siehe G. Heintze a . a . O . S. 122 u n d P. Althaus, Gebot und Gesetz S. 25. 282 W A 34 I I 299, 12 (Pred. 1531 R ö r e r E p h . 4, 1 ff); H . Ivarsson a . a . O . S. 123 f. 283 W A 2, 500, 3 (1519 Gal. 2, 19) lex spiritus est id, quod lex literae requirit. 17 I I 94, 29 ff. (Fastenpost. 1525 R o m . 13, 8 ff.) D e n n es kan wol eynerley gesetz auff eyne zeyt d e m nehisten nutz, auff eyn ander zeyt schedlich seyn, d a r u m b soils gehen nach des nehisten nutz. 2 9
154 werke nicht einfach durch die Gebote als göttliche Befehle geschaffen werden. Allein das Evangelium vom Christus pro nobis ist die Kraft Gottes, die den Glauben und die Liebe und damit auch prinzipiell die Liebeswerke schafft 284 . Indem aber die evangelische Vermahnung unter Hinweis auf die Gnade und Liebe Christi, von der Rechtfertigung in Christus her geschieht, ist in ihr Christus selbst als die Kraft des Evangeliums wirksam. Im Dienst der durchs Evangelium geoffenbarten und ständig neu geschenkten Liebe verweisen die Gebote den Gläubigen an die Bedürfnisse des Nächsten und helfen dazu, ihm die Liebe Christi »auszuteilen« 285 . Wie die guten Werke des Glaubens geschieht also auch die evangelische Paränese bei Luther konsekutiv von der Rechtfertigung her, nicht final auf die Rechtfertigung hin und dennoch im Lichte der an das eschatologische Gericht nach den Werken verknüpften Verheißung. Nach Luthers Verständnis berücksichtigen die neutestamentlichen Paränesen also den Umstand, daß die Gewissen durch den Glauben »schon aus dem Gericht« »im Himmel« sind, und daß die evangelische Gemeinschaft mit Christus nicht verfinstert werden soll. Gerade denjenigen, der an der Glaubensgerechtigkeit festhält, soll die Paränese zum Liebesdienst am Nächsten »reytzen und locken«. Demgemäß wird das, was über den Unterschied zwischen der Gesetzesverkündigung bei Moses und bei Christus im allgemeinen gilt, mit vollem Recht besonders auf die evangelische Paränese bezogen. Bekommt durch die Vorherrschaft des Evangeliums in der Verkündigung Christi auch die eigentliche Gesetzespredigt ein gemildertes Gepräge, so gilt doch vor allem von der speziellen evangelischen Vermahnung, daß Christus in ihr »ßo senffte leret, das er mehr reytzet denn gepeutt« 286 . Solange die zeitlose Gültigkeit der dem Glauben imputierten Gerechtigkeit dem Christen außer Zweifel steht, wird durch die Forderung guter Werke und den Gedanken an die Begegnung mit Christus im Gericht am Jüngsten T a g nicht notwendig der Blick auf Christus und 284 WA 39 I 449, 7 ff. (2. Antin.disp. 1538) Lex Dei est bona et sermo vivus . . . , sed ego carnalis sum . . . Itaque non iustificat ñeque vivificai me, quia materia est mala . . . Ita ultro Deus est bonus . . . , attamen non bonificai omnes homines. 450, 1 ff. Itaque coactus dominus Deus pater aliquod nobis remedium . . . afferre, nempe filium suum, in quo omnes, quotquot sunt, sanctificantur, vivificantur et bonificantur, boni, vivi ac sancti fiunt. 285 Ivarsson a.a.O. S. 121. 286 WA 10 I 1, 13, 12 f.; 18, 692, 20ff. (De servo arb. 1525) Nam in novo testamento praedicatur Euangelion . . . Deinde exhortationes sequuntur, quae iam iustificatos et misericordiam consecutos excitent, ut strenui sint in fructibus donatae iustitiae et spiritus, charitatemque exerceant bonis operibus. Vgl. 17 II 8, 34f.; 6, 4 f . ; 110, 9 ff. 32 ff. (Fast.post. 1525 Rörer Rom. 13, 8 ff); siehe H. Ivarsson a.a.O. S. 119. Schön heißt es bei P. Althaus a.a.O. S. 26 : »das Gebot ist in der Tat ein Moment des Evangeliums selbst : als Ruf, die geschenkte Freiheit zu ergreifen, in und aus der Liebe Gottes zu leben . . . Insofern begegnet das Evangelium uns in der Tat notwendig in der Gestalt des Gebotes, aber dieses Gebot ist selber Evangelium, nämlich Ermächtigung, jetzt und hier handelnd aus der Liebe Gottes und damit in ihr zu leben, ' Gnadenimperativ' (Eiert)«. Vgl. W. Eiert, Zwischen Gnade und Ungnade S. 132 ff. (gegen K . Barth).
155 den Nächsten verfinstert. Vielmehr wird gerade durch die rechte evangelische Paränese der Blick auf den Christus pro nobis und von ihm her auf den Nächsten hin gerichtet, damit wir, in der Liebe Christi bleibend und dienend, ein freudiges Herz und ein gutes Gewissen angesichts des Gerichts haben dürfen. Es bedeutet keinen Perfektionismus, wenn wir von einem guten Gewissen angesichts des Gerichts reden. Das gute Gewissen ist durch die Vergebung Gottes um Christi willen bedingt. Auch das gute Gewissen vor den Menschen ist dadurch bedingt, daß man seine Mängel einsieht und in Demut »Vergebung begeret und bittet von jderman, wo er nicht rein und völlig gnug than hat odder noch thun kan« 287 . Ständig meldet sich auch der Schrecken des Gesetzes an, so daß der Mensch sich wieder vor dem Richter sieht. Jedoch verzeichnet W. Eiert die Lage des Christen, wenn er sagt: »Wenn der tertius usus besagen soll, daß wir das Gesetz jemals ohne die Drohungen vernehmen konnten, so ist es eine reine Fiktion. Es gibt keine Lage, in der es seine Anklägerfunktion nicht ausübte. Infolgedessen läßt sich von dem das Gewissen bedrückenden usus proprius auch kein harmloser tertius usus abspalten« 288 . So wahr es ist, daß das Gesetz immer anklagt, es ist zugleich wahr, daß das Evangelium das Gewissen so weit beherrschen und die Blickrichtung auf Christus und den Nächsten lenken kann, daß der Christ zeitweise seine Schuld vergißt und nur im Glauben und im Dienste lebt, selbst wenn er die Gebote hört und weiß, daß man dem Gericht nach den Werken entgegen geht. Mit Recht behauptet Hillerdal, Eiert sehe dies nicht ein, weil der Ausgangspunkt seiner Überlegungen der Gesetzesbegriff sei, nicht aber die Taten der Liebe, zu denen der Glaube treibt und die der Glaube fordert 289 . Uberaus wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß es schon infolge des Lutherschen Gesetzesbegriffes dem in bezug auf den locus iustificationis durchs Evangelium getrosten Gewissen wohl möglich ist, in loco iudicii operum die Gebote Gottes zu hören und ihnen zu folgen, ohne daß die Furcht vor dem Gericht im Gewissen die Oberhand gewinnt.
3. Die Geltung der 10 Gebote
a. D e k a l o g u n d c h r i s t l i c h e F r e i h e i t . Der in der schöpferischen Freiheit des Evangeliums lebende Christ hat an einem Gemeinschaftsleben teil, das durch Gesetze geregelt sein muß —· z.B. durch das Gesetz Mose oder den Sachsenspiegel. In Freiheit läßt der Christ seine iustitia civilis durch das Gesetz (in seinem usus civilis) bestimmen: »Est autem libertas non carnis sed spiritus. In carne enim nulla debet esse libertas. Debemus enim subiecti esse parentibus, magistratibus et in summa 287 288 289
WA 36, 364, 2 f. vgl. 371, 31 ff. W. Eiert, Das christliche Ethos S. 391. G. Hillerdal, Gehorsam . . . S. 297.
156 omnium servi esse«. Lex »valet enim ad disciplinan! carnis et ad civiles mores«290. Das Gewissen behält also seine Freiheit in Christus, und die Liebe sieht ihre verantwortliche Aufgabe in der Volksgemeinschaft, in der das Gesetz die äußerliche Ordnung erhält. Nach R. Bring folgt aus dem Glauben eine durch die undefinierbare Liebe gewirkte wahre Gesinnungsethik, die streng von dem durch das rationale ius civilis geordnete, äußerliche Gemeinschaftsleben zu unterscheiden ist. Das rationale Gesetz regelt die iustitia civilis, definiert aber die Liebe nicht. Denn obwohl die Liebe in freier Güte Knechtsgestalt annimmt und diese Gebote befolgt, können die dem Knecht geltenden Gebote nicht über die Liebe bestimmen. Folglich ist nach Bring der usus civilis der einzig mögliche, direkt positive Brauch des Gesetzes. Die Liebe selbst in rationalen Geboten zu fixieren, würde ihr die schöpferische Spontaneität rauben. Etwas ganz anderes ist es, um der Liebe willen menschliche, relative Rechtsregeln zu halten. Es ist eben liebevoll, das Recht anzuwenden, das man für nötig hält 291 . Diese richtige Auffassung des Verhältnisses der christlichen Liebe zu den Menschengeboten wird von Bring auch auf die 10 Gebote bezogen. Insofern diese als konkrete Weisungen betrachtet werden, gelten sie nur als menschlich-relative Regeln im Bereich der iustitia civilis292. Wie der Glaube kann auch die im Glauben wirksame, von Gott ausgehende Liebe nicht psychologisiert oder definiert werden. Die Liebe und ihre iustitia actualis durch Gebote zu definieren, hieße, Gott beherrschen zu wollen293. Diese Gedanken werden von dem Bring-Schüler A. Siirala weitergeführt in seiner eingehenden Analyse »Gottes Gebot bei Martin Luther«. Siirala erkennt, daß Luther auch von den Geboten der zweiten Tafel als von Gottes Geboten spricht. Indem er aber zwischen dem Charakter der 10 Gebote als menschlich-relativer Satzung und als göttlicher Anrede unterscheidet, sieht er ihre Aufgabe als Wort Gottes ausschließlich darin, den Menschen unter Gott zu stellen, der in den Geboten spricht. Wenn wir so vor Gott gestellt werden, zerbrechen alle Gesetze und alle Gesetzeserfüllung, und Gott schafft selbst die Erfüllung seiner Gebote, indem er den Menschen durch sein Regieren zum Leben in Christus befreit 294 . Dabei wird der menschlich-relative Charakter der Gebote als Weisungen offenbar: »Luther liest aus den Geboten der zweiten Tafel nicht bestimmte Regeln für das Verhältnis zum Nächsten heraus. Sie
290
W A 25, 323, 4 ff.; 252, 7 f. (1532—34 Jes. 52, 2 ff.; 40, 3 ff.). R. Bring, Förhällandet mellan tro och gärningar inom Luthersk teologi S. 187— 191; 196; dt. Das Verhältnis von Glauben und Werken . . . S. 127—129; 132. 292 A.a.O. S. 193 ff; dt. 130 ff. Vgl. E. Troeltsch (Die Soziallehren . . . S. 496 ff), der die bei Luther gegen Ende der 20-er Jahre stattgefundene Akzentverschiebung so interpretiert, daß nun »die Bergpredigt zum Dekalog heruntergedeutet wird«. 293 Bring a.a.O. S. 238 ff; 193 (dt. 157 ff; 130). 294 A. Siirala, Gottes Gebot . . . S. 267 ff. und besonders S. 295 ff Vgl. R. Bring, Att lyda bibeln S. 42 f. 291
157 sind nicht als eine Beschreibung der T a t e n der Liebe zu verstehen« 2 9 5 . Siirala sieht also den göttlichen Charakter der Gebote allein auf das bezogen, was in den locus iustificationis gehört — durch sie geschieht die Offenbarung einerseits des Zorns, andererseits des Evangeliums, das als Christi Auslegung der Gebote bestimmt wird 296 . Es ist offenbar, d a ß diese Interpretationen in ihren Hauptzügen genuin Lutherschen Gedanken entsprechen und sich auf klare Lutherworte stützen können. Es ist j a für Luther ein Hauptanliegen, daß der Christ, durch den Glauben von allen Gesetzen frei, in spontaner Liebe, auf überschwengliche durch Buchstaben u n d Wörter unbeschreibliche Weise den Willen Gottes tut 2 9 7 . Es ist d a r u m nicht erstaunlich, d a ß Luther so verstanden wird, als ob es keine konkret weisenden Gebote geben könne, die mit göttlicher Autorität das Leben der Gläubigen regeln. Wie sollte es überhaupt denkbar sein, den vom Gesetz befreiten Christen einem weisenden göttlichen Gesetz zu unterstellen, ja, den in christlicher Freiheit »im H i m m e l « lebenden Christen mit konkreten Geboten zu konfrontieren, die als Beurteilungsmaßstab in einem eschatologischen Gericht nach den Werken dienen sollen ? Dennoch stellen die oben wiedergegebenen Interpretationen eine Verkürzung der Gedanken Luthers dar. I m Großen Katechismus wird eben die konkret weisende Aufgabe der 10 Gebote Gottes besonders stark betont 2 9 8 u n d auch ihre Beziehung aufs Gericht über unsere Werke bestätigt, freilich vornehmlich auf die zeitlichen Gerichte Gottes 299 . Luthers sorgfältige Erklärungen zu den einzelnen Geboten erweisen, d a ß er sie eben auch als ethische Normen im Sinne gewissensverpflichtender Gebote Gottes betrachtet hat, die von den alttestamentlichen u n d den bloß menschlichen Geboten zu unterscheiden sind. b. D e k a l o g u n d l e x n a t u r a l i s . Prinzipiell entsprechen nach Luther die neutestamentlich interpretierten 10 Gebote der lex naturalis, die mit der lex charitatis identisch ist 300 u n d die kraft der Schöpfung in aller Menschen Gewissen eingeschrieben ist. Auf dieser Universalität des göttlichen Gesetzes beruht die Universalität des göttlichen Gerichts.
295 A.a.O. S. 333, besonders Anm. 270; vgl. S. 337 Anm. 288 wo die Formulierung W. Dress' (Die zehn Gebote . . . S. 217: »Und wir dürfen wohl folgern: die Zehn Gebote im Katechismus der Christenheit sind nichts anderes als eine Zusammenfassung dessen, was im alttestamentlichen Dekalog dem natürlichen Gesetz entspricht«) abgelehnt wird. 296 A.a.O. S. 305. 297 Β Anm. 264. 29 » Bek. 586, 35 ff.; 587, 41 ff.; 588, 39 ff.; 590, 24 ff.; 609, 30 ff.; 612, 13 ff.; 622, 21 ff.; 626, 43 ff.; 628, 21 ff.; 633, 45 ff. 299 Bek. 590, 40 ff.; 594, 48 ff.; 610, 25; 615, 42; 619, 41 ; 644, 3 ff. seo WA 2, 580, 18 ff. (1519 Gal. 5, 14) una est lex, quae transit per omnia sécula, omnibus nota hominibus, scripta in omnium cordibus, nec excusabilem relinquit ullum ab initio usque ad finem . . . quam spiritus dictât in cordibus omnium sine intermissione.
158 Gottes Gerichtszorn wird durch »des Gesetzes empfindliche Predigt im Gewissen« 301 erkannt und erstreckt sich auf J u d e n wie Heiden 302 . Die Volloffenbarung dieses universalen Gesetzes findet Luther, gemäß seiner theologia crucis, in der im Leben und Sterben Christi verwirklichten Liebe und in dem an seinem Kreuz durchlittenen Zorn 303 . Er versteht das Wort Christi vom neuen Gebot, wir sollten einander lieben, wie er uns geliebt habe, nicht so, daß nun eine die lex naturalis transzendierende, einem göttlichen, auf übernatürliche Zwecke gerichteten Gesetz entsprechende Liebe gefordert wird. So wird die Sache in der scholastischen Theologie verstanden, vgl. ihre Unterscheidung zwischen der Erfüllung des Gesetzes »secundum substantiam« und »secundum intentionem praecipientis« 304 . Luther weist energisch den Gedanken ab, ein der Gottheit geltendes Gebot sei auf Menschen zu beziehen, sowie auch die Meinung, wir würden nach dem für das göttliche Leben geltenden Maßstab gerichtet. Gottes Wille und Gebot ist es vielmehr, daß wir dem Nächsten in einer wahrhaft menschlichen Liebe dienen sollen305. Eben diese vom inkarnierten Sohn Gottes verwirklichte Liebe wird in der lex charitatis gefordert. Neue Gebote hat Christus nicht gegeben; vielmehr hat er die vielen Gebote des Alten Testamentes und der rabbinischen Traditionen beseitigt und nur das mit der lex naturalis identische Liebesgebot behalten. »Die lex naturae bedeutet j a eben: 'Liebe deynen nehisten wie dich selbst', und auch die 'christliche Liebe' wird umgekehrt durch den Hinweis auf die Goldene Regel beschrieben« 306 . Das göttliche Gesetz ist universal und wird in der Herrlichkeit durch die vollkommene Liebe recht erfüllt 307 . Insofern möchte man bei Luther 301 WA 50, 471, 23 ff. (Wider die Antinomer 1539) das Gesetz ist jns hertzen grund geschrieben, das nicht möglich ist weg zu nemen, wie man wol sihet j n n den klag Psalmen, da die lieben Heiligen den zorn Gottes nicht tragen können, welchs nichts anders sein kan denn des Gesetzes empfindliche predigt im gewissen. U n d der Teuffei weis auch wol, das nicht müglich ist, das Gesetz aus den hertzen weg zu nemen, wie S. Paulus Rom. am andern cap. zeuget, Das die Heiden, so durch Mosen das Gesetz nicht empfangen, und also kein Gesetz haben, Dennoch sie selbs jr Gesetz sind, als die da müssen bezeugen, Es sey des Gesetzes werck j n n jren hertzen geschrieben. Vgl. A Anm. 154—157. 302 Siehe Bornkamm, Luther und das Alte Testament S. 110 f. 303 W A 2 , 141, 10 ff.; 137, 12 ff. (Sermo v. d. Betrachtung des Leidens Christi 1519); vgl. Heintze a.a.O. S. 219 ff. 304 A Anm. 357. 305 A Anm 355 356. 306 E. Wolf, Peregrinado S. 202: WA 18, 80, 23; 51, 393, 2; dazu 11, 279, 19: die natur leret, wie die liebe thut, das ich thun soll, was ich myr wollt gethan haben. —• Über Luthers einheitliche Gesetzesauffassung siehe besonders M. Schloemann, Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther. S. dokumentiert, »daß Luther niemals sagt oder meint, das gepredigte Gesetz stelle andere und höhere Forderungen über das natürliche Gesetz hinaus« (S. 107). Ebenso redet Ebeling (Erwägungen . . . S. 302 = Wort u. Glaube S. 288), auf WA 39 I 540, 1 ff. hinweisend, nicht von einer nova lex, die als etwas zusätzlich zum Menschsein Hinzutretendes verstanden werden könnte, sondern von einer renovata lex, »die dasjenige neu zur Sprache bringt, was schon von jeher gesagt ist«. Siehe auch H. Olsson, Die Lehre Luthers vom Gesetz S. 54 und H . M . Müller, Das christliche Liebesgebot . . . S. 182. 307 Β Anm. 257.
159 den Gedanken der lex aeterna feststellen. Jedoch fehlt bei Luther die lex aeterna-Lehre, die ein wesentliches Stück der scholastischen Tradition ist308. Die lex naturalis gründet nach Luther nicht auf einem ewigen, ruhenden Prinzip ; hinter ihr steht vielmehr direkt der lebendig wirkende Gott, der ständig um den jedem Augenblick und jeder Situation angemessenen Liebesdienst am Nächsten eifert309. Nach dem Sündenfall aber erkennt der natürliche Mensch diesen wahren Sinn der lex naturalis weder klar, noch leistet er ihr Gehorsam, obwohl sie die Voraussetzung und Anknüpfung der Gesetzespredigt bildet310. Allein durchs Evangelium wird durch den Geist der das Gesetz in Wahrheit erfüllende Wille geschaffen; nur die durch den Heiligen Geist Erleuchteten können den wahren Sinn des göttlichen Gesetzes erfassen. »Erst die vom Glauben erleuchtete Vernunft erkennt, daß das göttliche Gesetz im Geist, und nicht nach dem Buchstaben erfüllt werden will. Das göttliche Gesetz ist universal und ewig, das menschliche hingegen, das nur das äußere Gemeinleben der Menschen ordnet und vor dem Richterstuhl der irdischen Gerechtigkeit rechtmäßiges Verhalten fordert, ist ' dem Wandel der Personen, des Raumes und der Zeit unterworfen'« 311 . c. D e k a l o g u n d lex C h r i s t i . Weil die im Gesetz geforderte Liebe durch Christus dargestellt und verwirklicht ist und durch seinen Geist geschenkt wird, wird die lex charitatis auch lex Christi genannt. Gegen die Gleichsetzung von lex charitatis und lex Christi sind jedoch starke Einwände gerichtet worden. E. Wolf weist (a.a.O. S.201) auf WA 8, 458,20ff. hin: »Christi Gesetz . . . ist eben der Glaube, der als eine lebendige und geistige Flamme durch den heiligen Geist in die Herzen geschrieben ist und das will, tut, ja selbst ist, was das Gesetz Mosis als Wort vorschreibt und fordert«. Er kommentiert: »Es ist wichtig, sich gegenüber der üblichen Gleichsetzung der lex Christi mit dem ' christlichen Liebesgebot' diese Aussage festzuhalten: Christi Gesetz ist der 30» Wolf a.a.O. S. 192. Eine gewisse Entsprechung zwischen Luthers »auf die Welt in Raum und Zeit bezogener . . . depotenzierter' lex aeterna« und dem Ockhamismus ist bei E. Wolf vage angedeutet (a.a.O. S. 200). sos WA 20, 163, 14—22 (Annotationes in Eclesiasten 1532) Non ergo fac tua Consilia vel studia sed quod invenerit manus tua. Hoc est, mane in certo opere oblato et mandato a Deo relictis iis, quae te conantur impedire. Sicut Sauli Samuel dixit : Mutaberis in alium virum et quod invenerit manus tua, hoc fac ec. Non praescripsit illi ullam legem sed quaecunque res sese obtulerit, ea acceptanda, ibi laborandum est. Sic et hic Salomon docet: semper urge id, quod prae manibus est et tuae vocationis. Es praedicator vel minister verbi Dei, mane in lectione scripturae et docendi officio, noli rapi in aliud, donee Dominus te rapuerit. Quidquid enim Dominus non dixerit aut iusserit, nihil proderit. — Bemerke die Betonung sowohl des Gehorsams gegen die Gebote Gottes als auch der Freiheit zum spontanen Handeln, eine Haltung, die dem Charakter Gottes als Geber und als Herr der Gebote entspricht. Über die Frage von Gott und das »Stundelein« siehe J. Haar, Initium S. 14—22 und G. Wingren, Luthers lära om kallelsen S. 164; 223—241 ; 248 (dt. S. 101 f; 135—146; 149 f.) ; vgl. K. Holl a.a.O. S. 223—227. 310 Über das Verhältnis zwischen natürlicher Gesetzeserkenntnis und geoffenbarten Gesetz und Evangelium siehe die ausgezeichnete Analyse von WA 18, 659, 25 ff. (De servo arb. 1525) bei A. Siirala, Gottes Gebot . . . S. 56 ff. 62 ff. 311 E. Wolf a.a.O. S. 192. Wolf weist auf J. Heckel, Initia iuris ecclesiastici . . . S. 20 hin.
160 Glaube«. Nichtsdestoweniger gibt Luther im Großen Galaterbriefkommentar in der Auslegung von Gal. 6,2 eben jene Definition: lex Christi est lex charitatis312. In Wirklichkeit sind beide Definitionen wohl überlegt. Der durch den Geist Christi geschenkte Glaube ist das in die Herzen geschriebene Gesetz, ist die reale Erfüllung dessen, was das Gesetz Mose bzw. lex charitatis fordert. Lex Christi ist die lex spiritus, die aktiv und effektiv die lex charitatis erfüllt313. Diese Definition entspricht dem Aspekt des Christus als des in uns Lebenden und Wirkenden. — Christus ist aber zugleich unser Vorbild, und diesem Aspekt entspricht die zweite Definition der lex Christi bei Luther: lex Christi est lex charitatis. Unter diesem Gesichtspunkt liegen Gesetz Christi und Exempel Christi, Liebesgebot, Goldene Regel und lex naturalis auf einer Linie314. Durch diese Begriffsbestimmungen wird bei Luther zur Abwehr der theologia gloriae der Liebesdienst am Nächsten unter dem Kreuz als das Gebot Gottes aufs Stärkste betont. Weil die natürliche Erkenntnis des Gesetzes verfinstert ist, muß es durch das Wort Gottes neu eingeprägt werden, so wie es z.B. durch Moses geschah315. Das Gesetz Mose ist aber zugleich jüdisches Volksgesetz316. Darum ist sein Dekalog auch nicht universell verpflichtend; er ist zunächst ein Teil dieses jüdischen Volksgesetzes317. Was über die lex naturalis hinaus geht, ist im Neuen Testament abgetan, so daß nur die 312 W A 40 I I 144, 16 (1535); vgl. Z. 1 ff. (1531) ' L e x ' , i.e. charitatis. Christus, ubi redemit nos et fecit nos ecclesiam suam, — q u a m legem tulit ? ' Diligite invicem, m a n d a t u m m e u m d o vobis'. 313 A A n m . 59. 314 Der Satz, »lex Christi est lex charitatis« könnte so verstanden werden, er beziehe sich nicht auf das Gesetz als weisendes Gebot, sondern auf die inhaltliche, reale Erf ü l l u n g des Gesetzes. F ü r die zweite Interpretation redet die Formulierung 40 I I 145, 7 (Hs.) »portare onera . . . q u i non vult, nihil intelligit de lege Christi«. Es geht also u m ein den Willen bestimmendes Verständnis der lex Christi; d a m i t wird der Begriff lex Christi mit der im Glauben ergriffenen Liebe Christi tatsächlich identisch. D a ß in der lex Christi dennoch auch das gebietende und weisende Gebot mit enthalten ist, zeigt nicht n u r der d u r c h R ö r e r bearbeitete Drucktext (145, 17 ff. proponit Paulus Christianis legem Christi, q u a admonet eos, u t alii aliorum onera portent), sondern auch die entsprechende Handschrift (145, 6 f. Ibi est lex Christi: portare onera; vgl. 144, 1 ff. (siehe Β A n m . 312) 7 f. portare debeo). Von d e m d u r c h das v e r d a m m e n d e Gesetz bestimmten Begriff des Christus legislator wird bei Luther die lex Christi scharf unterschieden: »si peccatum vergit contra Christum, das ist nicht de 'lege Christi' geredt, sed de Christo legislatore« (145, 9 f.). D. h., wenn j e m a n d in verwegen e m U n g l a u b e n gegen Christus sündigt (cfr. ' Q u i perseveranter peccat' 145 11), d a n n ist die angemessene H a l t u n g diesem Menschen gegenüber nicht die d u r c h den Begriff der lex Christi definierte vergebende Duldsamkeit, sondern die durch den Christus legislator bestimmte H a l t u n g der Verurteilung. Die lex Christi entspricht also bei L u t h e r d e m d u r c h das Evangelium bestimmten Begriff des Christus rex, nicht den d u r c h das Gesetz bestimmten Begriffen Christus iudex u n d Christus legislator. 315 W A 18, 81, 18 ff. (Wid. die h i m m l . Propheten 1525) W a r u m b hellt u n d leret m a n denn die zehen gepot? A n t w o r t : D a r u m b , das die naturlichen gesetze nyrgent so feyn, u n d ordenlich sind verfasset als y n n Mose, D r u m b nympt m a n billich das exempel von Mose. ais W A T R 6, 128, 7 f. (Samml. Aurifabers) Moses Gesetz verbunden u n d verpflichten n u r das jüdisch Volk an d e m Orte, den Gott erwählet hatte. 317 W A 16, 373, 2 f. (wie sich die Christen in Mosen sollen schicken, Rörer 1525) Mose ghet mich nicht an. Si admitto u n a m legem, oportet totam a d m i t t a m , t u m sequeretur, ut nos circumcideremur.
161 »gemeynen naturlichen gesetze durch alle lande gehen und bleyben, als elitern ehren, nicht morden, nicht ehe brechen, Gott dienen ec. Darümb las man Mose der Juden Sachssenspiegel seyn, und uns Heyden unverworren damit« 318 . Zwar können wir viel von Moses lernen, aber unser Gewissen verpflichtet er nur, soweit er »mit dem natürlichen Gesetz übereinstimmt«. Unser Gesetzgeber ist Moses nicht; was bei ihm dem natürlichen Gesetz zugehört, stammt ja nicht von ihm; er ist nicht autor, sondern »interpres et illustrator legum scriptarum in mentibus omnium hominum« 319 . Im Neuen Testament ist das mosaische Gesetz erhellt und gereinigt worden. Die »vielen dekaloge« des NT entsprechen völlig der lex naturalis. Das gilt nach der Meinung Luthers auch für die zehn Gebote der Katechismen. Wie konsequent Luther die Reinigung des mosaischen Dekalogs im Sinne des Neuen Testaments durchgeführt hat, zeigt besonders klar seine Auslegung des dritten Gebotes. Der wöchentliche Ruhetag war zur Zeit Luthers sowohl kirchliches als auch bürgerliches Gebot, und Luther ist davon überzeugt, daß er zu den Schöpfungsordnungen gehöre. Adam hat im Paradies den Ruhetag gehabt 320 . Obwohl Luther also in der Wochenordnung einen natürlichen Rhythmus der Arbeit und Ruhe erkennt, darf das Ruhetagsgebot nicht der gewissensverpflichtenden lex naturalis zugeschrieben werden 321 . Die Gewissen verpflichten darf das dritte Gebot nur so weit, als es uns gebietet, das Wort Gottes zu hören. Das ist göttliches Gebot und gehört zum esse der Liebe in dieser Welt322. Diese Auslegung des dritten Gebotes zeigt, wie sorgfältig die zehn Gebote bei Luther von allem der evangelischen Freiheit Widerstrebenden gereinigt sind. Demgemäß kann das jüdische Bilderverbot im neutestamentlichen Dekalog keinen Platz haben 323 . Dagegen behält die auch bei Moses zu findende Auslegung des fünften Gebotes ihre Geltung, daß die Obrigkeit mit Recht und Gewalt die Bosheit züchtigen soll. Das Gebot an die Obrigkeit, das Schwert zu führen, ist für Luther notwendige Konsequenz des fünften Gebotes in seiner positiven Form : Du sollst das Leben schützen324. Neue Gebote hat Christus nicht gegeben; er hat vielmehr die vielen Gebote beseitigt und prinzipiell nur das Liebesgebot behalten. Dieses eine 318
WA 18, 81, 12 ff. (Wider die himmlischen Propheten, 1525). WA 39 I 454, 4.15 f. (2. Antin.disp. 1538). 16, 424, 4 f. (Ex. 20, 2 Rörer) nolumus, nisi leges eius concordent cum naturalibus legibus. Sat legum habemus in novo testamento. Vgl. 394, 4 ff. — Zur Frage vom rechten Verständnis des mosaischen Gesetzes siehe besonders H. Bornkamm, Luther und das Alte Testament, S. 107 ff., W. Beyer, Glaube und Recht im Denken Luthers LuJ 1935 S. 69 ff., G. Merz, Gesetz Gottes u. Volksnomos . . . LuJ 1934 S. 51 ff., P. Husfeldt, Studien z. Problem . . . S. 11. 320 WA 11, 38, 7 ff. 12 ff. 31 f. (Pred. 1523 Rörer 3. Gebot). 321 Bek. 580, 20 ff. 40 ff.; 582, 42 ff.; WA 16, 477, 3 ff.; 478, 5 ff. (Exod. pred. 1525 Bugenhagen—Rörer 3. Gebot). 322 Bek. 508 11ff.• 585 11 ff. 323 WA 16,424, 4 f.; 437, 7 f.; 441, 3 ff. (Exod.pred. 1525 Rörer). 324 Bek. 606, 24 ff. WA 27, 247, 16 f. (Pred. 1528 Rörer Lk. 6, 36 ff.). 319
6
162 Gebot ist durch sein Wort, Leben und Leiden intensiviert und extensiviert und zugleich in verschiedenen praktischen Beziehungen angewandt und ausgelegt worden. Sowohl die Bergpredigt als auch die »vielen Dekaloge« des Neuen Testaments sind nichts als konkrete Auslegungen des einen Liebesgebotes. Besonders klar wird das Liebesgebot erklärt durch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Christus hebt alle konventionellen und gesetzlichen Begrenzungen der hilfsbereiten Verantwortlichkeit auf. Scharf werden diejenigen zur Sache gerufen, die dem Dienst am Heiligtum den Vorrang vor dem Dienst am Nächsten geben. Christus ist selbst der barmherzige Samariter, der sich unseres Jammers annimmt, uns »an seinem Leib trägt« und uns in seine Kirche führt. In seiner Nachfolge müssen wir bleiben, wenn wir ins Leben eingehen sollen325. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der lex naturalis im Urständ und in bezug auf die Christen in dieser Welt der Sünde besteht darin, daß das Gesetz eine lex crucis ist328. Die Liebe findet ihren Weg zum Nächsten allein durch die Kreuzigung des selbstischen Willens, und der Dienst mit dem wahren Wort Gottes und mit guten Werken gegenüber den Feinden erregt den Haß der bösen Welt327. Wie Christus wird auch seinen Nachfolgern das Kreuz durch den Teufel und die Menschen und auch durch Gott aufgelegt328. Immer wieder betont Luther, daß der Jünger in der Welt zum Leiden berufen ist. Ständig steht der Christ in der Wahl zwischen leidensvoller Berufstreue und zwischen dem Versagen im Dienst, dem ein strenges Gericht folgt. Wer schweigt, wenn das Evangeüum angegriffen wird, kann seinen Glauben verlieren und also verloren gehen329. Am Tage des Gerichts wird von seiner Hand das Blut des Nächsten gefordert. Dagegen wird derjenige, der im evangelischen Glauben bleibt und Christus vor den Menschen bekennt, am Tage des Gerichts freimütig sein330. Das Leben der Christen ist also nicht gegen Unheil und Leiden geschützt; vielmehr treibt die Liebe zu einem Dienst, der mit allerlei Mißgeschick verbunden ist, da sie in ihrer Freiheit nicht den bequemen Weg, sondern das wahre Wohl des Nächsten sucht. Auf diesem leidensvollen Weg wird sie auch durch Gebote angetrieben. Obwohl die Liebe 326 WA 10 I 2, 364, 19 f. (Sommerpost. 1526 Lk. 10, 23 ff.) ; 20, 484, 31 ff. (Pred. 1526 Rörer Lk. 10, 23 ff.); 52, 457, 30 ff.; 463, 10 ff; 461, 18 ff. (Hauspost. 1544 Lk. 10, 23 f.). Vgl. E. Seeberg, Luthers Theologie . . . II S. 185. 326 Siehe F. Lau, Leges charitatis S. 79. 327 WA 32, 354, 15 ff. (Wochenpred. 1530 Mt. 5, 16; 25, 31 ff). 328 Ebd. 547, 32 ff. (Pred. 1530 Anhang) der Teufel . . . hasset die kinder Gottes . . . Christus heiliget mit seinem anriiren alle leiden . . . seiner Gleubigen . . . So aber jemand das Creutz (so im Gott aufflegt) nicht tragen wil, den zwingt niemand, der mag jmer hinfaren und Christum verleugnen. 329 WA 10 II, 18, 1 ff. (Von beider Gestalt. . . 1522). sao W A 26, 500, 21 ff. (Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis, 1528) Ich weis, was ich rede, fule auch wol, was mirs gilt auff des herrn Jhesu Christi zukunfft am iüngsten gericht. 6, 612, 15 (Adv. execrab. Antichristi bull. 1520) Q_uod si quis fraternum hoc monitorium meum contempserit, sciat me esse mundum a sanguine suo et in extremo iuditio Christi excusatum. Vgl. oben S.61.
163 größer ist als alle Gesetze, wird sie dennoch auch wirklich durch göttliche Gebote unterstützt und gewiesen — so wie die Herrlichkeit Christi größer ist als alle beschreibenden Worte und dennoch durch Worte beschrieben wird. Die 10 Gebote und die spontane christliche Liebestätigkeit sind zu trennen und zu identifizieren »sicut signum et signatum, sicut verbum et res«331. Die bezeichnete Sache ist in bezug auf den locus iustificationis Christus pro nobis, in bezug auf den locus iudicii operum aber eben die christliche Liebestätigkeit. Sind diese »res« erreicht, so bedarf man eigentlich nicht mehr der Gebote332. Dennoch bleibt die Entsprechung zwischen den buchstäblichen Geboten und den Werken des Glaubens333; ebenso bleiben die Gebote bestehen als Anzeichen der vorfindlichen, alle Gebote überragenden Gerechtigkeit des Gerechtfertigten und sollen als solche Anzeichen auch am Jüngsten Tag ihre Geltung haben334. d. D e k a l o g und neuer M e n s c h . Es ist bekanntlich eine für Luther sehr wichtige Tatsache, daß »dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist« (1. Tim. 1,9). Unermüdlich schärft er ein, das Gesetz sei auf den Ungläubigen und Bösen und auf den Christen als alten Menschen, nicht aber auf den Christen als neuen Menschen bezogen335. Das bedeutet aber nicht, daß Luther überhaupt keine auch auf den neuen Menschen bezogenen Gebote kennt. Das dem ersten, sündlosen Menschen gegebene weisende Gebot war freilich keine lex in eigentlichem Sinn, sondern nur sai WA 2, 500, 6 f. (1519 Gal. 2, 19) Lex literae et lex spiritus différant, sicut signum et signatum, sicut verbum et res, vgl. Joest, Ges. u. Freih. S. 108: »So ist das Gesetz . . . dem Glauben nicht ein Zeichen der Unfreiheit und Beschränkung, sondern es bezeugt ihm umgekehrt gerade Reichtum, Fülle und Weite des Lebens, das ihm geschenkt ist«. —· Lex spiritus bezeichnet das neue Leben der spontanen Liebestätigkeit im Glauben, das durchs Evangelium gewirkt wird, ist aber kaum mit dem Evangelium identisch. Anders Prenter S. 83 (dt. 69 f) : Gesetz (lex literae) und Evangelium (lex spiritus) unterscheiden sich nämlich wie das Zeichen vom Bezeichneten und wie das Wort von der Sache. Vgl. Siirala S. 45 Anm. 83. ·— »Die 10 Gebote« bezeichnen im folgenden diese Gebote so, wie sie in Luthers Katechismen ausgelegt sind. 332 WA 2, 50Ò, 7 f. Ideo obtenta re iam signo non est opus : itaque neque iusto lex est posita. 833 Ebd. 500, 17 omnis lex literae est spiritualis . . . ; 498,10 ff. Igitur necessaria sunt praecepta, non ut per opera eorum iustificemur, sed ut iam iusti sciamus, qua ratione spiritus noster carnem crucifigat et in rebus huius vitae dirigat, ne caro insolescat et ruptis frenis sessorem spiritum fidei excutiat. 334 W A 27, 368, 7 ff. (Pred. 1528 Rörer Mt. 22, 34) Er setzt mancherley gepot, dominus, es ist yhm nicht drumb zu thun, sed vult tentare et occasionem dare, an diligatur. Cum ergo videt aliquem ex unlustigen willen, quod deus praecipit, Ibi praeceptum adest ut signum, quod deum non diligat. Si vero facit mit sprangen, Ibi iterum sihet er die werck nicht so an als cor. 369, 6 f. Scito omnia praecepta ergo esse posita zur erfarung der selben lieb. 336 W A ¡7 J 122, 7 ff. (Pred. 1525 Rörer 1. Tim. 1, 8 ff.) dividendus in veterem et novum, qui debet unverwyrret sein lege, vetus semper sol getriben werden lege. 134, 22 ff. Nach dem geist ist kein gesetz da, nach dem fleisch ist gesetz da, denn das thuet nicht, was es thuen sol, Der geist aber thuet es alles. 40 I 526, 2 f. (1531 Gal. 3, 23) Christianus est divisus in 2 tempora: quatenus caro, est sub lege; quatenus spiritus, est sub Evangelio. 235, 3 f. (Gal. 2, 16) in quantum Christianus, est supra omnem legem. 235, 8 ff. Christianus, in quantum Christianus, liber ab omnibus legibus, nulli legi subiectus, nec intus, nec foris. 236, 4 Christianus omnis constituitur dominus super omnes leges.
164 eine »admonitio«. Nichtsdestoweniger war dies Gebot gewissensverpflichtend, so wie auch der durch den Schöpfer im Herzen eingeschriebene Gotteswillen verpflichtend ist, der inhaltlich mit der lex naturalis, dem Liebesgebot und den 10 Geboten prinzipiell identisch ist. Dieser Wille Gottes bildet auch nach dem Fall den weisenden Inhalt des Gesetzes ; er ist wegen der Sünde mit der Anklage und Strafandrohung verbunden. Diese lex exatrix, accusans, reos agens steht zum Evangelium in polarem Gegensatz und kommt an ihm zu ihrem Ende, während das Gesetz nach seinem Inhalt durchs Evangelium bestätigt und zu Stand und Wesen gebracht wird. Gelegentlich redet Luther von einem »leeren Gesetz«, das sogar die Engel kennen könnten, d.h. ein Gesetz das nicht verdammt, weil nichts verdammliches vorhanden ist336. Dem sündlosen Adam war wirklich ein Gebot gegeben, dem er »summa volúntate ac laetitia« folgte337. Demgemäß sagt Luther: »non sumus liberi a lege humano more . . . quo lex tollitur et mutatur, sed divino et theologico quo nos mutamur et ex hostibus legis efficimur amici legis«338. Als neuer Mensch liebt der Christ die Gebote Gottes, und weil er sie hebt, ist ihre bleibende Verbindlichkeit mit dem Bleiben des Gewissens im Evangelium und mit der evangelischen Freiheit wohl vereinbar. Die 10 Gebote sind ja eben die Konkretisierung des einen Liebesgebotes, das der christlichen Freiheit entspricht und dessen Erfüllung in Christus verheißen ist. Tatsächlich entspricht die Rede Luthers von der »vacua lex . . . ut angeli de ea loqui possunt« einer Beziehung der 10 Gebote auf den Christen eben als neuen Menschen. Wie der sündlose Adam soll auch der Christ als neuer Mensch kein Schwärmer sein, sondern darf im Hören auf Gottes klare Worte dem Nächsten dienen. Daß die 10 Gebote dennoch keineswegs die wahre Liebe beschränken sollen, zeigt besonders deutlich ein Vergleich mit dem Paradiesgebot: dieses sollte ja nur vor Gott und den Menschen ein Zeichen der Liebe des als gerecht geschaffenen Menschen sein. Wie das Leben so ist auch die Liebe reicher als alle weisenden Gebote339. Da aber kraft der Schöpfung in den Menschen auf gewisse Ordnungen hinzielende Anlagen liegen, ist dem Menschenleben eine gewisse Kon336 WA 39 I 434, 1 fT. (2. Antin.disp. 1538) de vacua lege. 8, 608, 17 ff. (De votis monasticis 1521) pia conscientia . . . libera est ab omnibus operibus, non quidem faciendis, sed accusantibus et defendentibus. Siehe Joest, Das Verhältnis der Unterscheidung . . . S. 82 f. vgl. Ges. u. Freih S. 20. 33 ' WA 39 I 364, 10 ff. (1. Antin.disp. 1537). 338 WA 2, 574, 34 ff. (1519 Gal. 5, 13). 339 WA 4, 647, 6 ff. (Sermo de assumptione B. Mariae Virginis 1517?) Accensa autem volúntate iam nihil est, quod lex iubeat, quin plura facere sit parata. Et facta est amicitia inter legem et ipsam. — Siehe Hillerdal, Gehorsam . . . S. 392 ff. Zur positiven Beziehung des Gesetzes auf den Christen auch als neuen Menschen vgl. Joest, Ges. u. Freih. S. 109: »Sofern der Christ aber eben im Augenblick des Kampfes auch glaubend in Christus sich birgt und in Ihm auf die andere Seite der Front gestellt ist, wird das Gesetz . . . zu dem Wort, das sein eigenstes Wesen und Wollen ausspricht und an jenen konkreten Auftreffstellen zur Verwirklichung in den Bereich des 'Fleisches' hineinruft«. Joest weist auf E. Seeberg, Luthers Theologie II S. 414 f. hin: »Aus der Forderung wird eine Offenbarung; aus dem Schrecken wird eine Gabe, die Richtung weist . . . Davon ist die andere Aufgabe des Gesetzes zu unterscheiden«.
165 stanz verliehen340, der die durch den Schöpfer und Herrn der Welt gegebenen 10 Gebote entsprechen. Darum findet in den Weisungen der 10 Gebote die spontane christliche Liebe die unbegrenzte Freiheit zum guten Handeln. Durch diese Gebote sowie durch alle neutestamentlichen »Dekaloge« ist sowohl der libertinistischen Willkür als dem legaüstischen Moralismus die Freiheit verweigert341. Auch die 10 Gebote sind nämlich so zu befolgen, daß die wahre Liebe immer vorherrscht. Das Verhältnis zwischen der schöpferischen Freiheit der Liebe, die alle Gebote meistert, und den 10 Geboten als konkret weisendem Wort sieht Luther als eine Spannung, die in den 10 Geboten als mandata Dei selbst vorausgesetzt ist und Ausdruck findet — und also nicht nur als einen Unterschied zwischen iustitia actualis und Menschengeboten342. e. Das erste Gebot und die G e b o t e . Werden die Gebote recht interpretiert, so stellt das 1. Gebot das alle übrigen Gebote bestimmende Prinzip dar. Ohne Glaube und Liebe wird kein Gebot erfüllt; jedes Gebot will in aller Konkretheit so erfüllt werden, daß das 1. Gebot erfüllt wird343. Die durch die 10 Gebote geschehende Paränese ist Entfaltung des 1. Gebotes, Konkretion der Forderung nach Glauben und Liebe. Das bedeutet, daß in jeder auftretenden Situation die Gebote als ein lebendiger Organismus verstanden und in christlicher Weisheit befolgt werden sollen. In den Katechismen hat jedes Gebot seine durch Gott im Wort
340 Vgl. L. Haikola, Usus legis S. 148: »Die Erfahrung zeigt jedoch, daß dem menschlichen Leben eine gewisse Konstanz eignet und daß es deswegen gewisse Gesetze gibt, die eine mehr oder weniger weittragende Allgemeingültigkeit besitzen. Luther zählt bekanntlich die Zehn Gebote zu diesen allgemeingültigen Gesetzen«. Haikola bestreitet jedoch den 3. usus der 10 Gebote wie Eiert, der unterstreicht, daß »für Luther der Rahmen der Schöpfungsordnung keineswegs in jeder Hinsicht eine stabile Größe ist« (Morphologie II S. 49). Siehe weiter Elerts Aufsätze: Gesetz und Evangelium in: Zwischen Gnade und Ungnade, 1948, und Eine theologische Fälschung zur Lehre vom Tertius usus legis, Z R G G 1948, Hf. 2, Sp. 168 ff.; dazu R. Bring, Gesetz und Evangelium und der dritte Gebrauch des Gesetzes, und : Das Verhältnis von Glauben und Werken . . . ; L. Pinomaa, Der existenzielle Charakter . . . und G. Ebeling, Zur Lehre vom triplex usus legis . . . . an WA 39 I 47, 38 f. (Thesen de fide 1535) necesse est etiam propter vagos spiritus, certis mandatis et scriptis apostolorum adhaerere, ne laceretur ecclesia. 36, 18, 8 f. (Pred. 1532 Rörer Gal. 3, 23 ff.) Non sic must X praecepta halten, ut Euangelium unterghen et econtra, es mangelt, ut discernas recte. 342 Allein wenn der tertius usus im Sinne eines steifen Ethos verstanden wird, ist er — wie Bring (Das Verhältnis von Glauben und Werken . . . S. 157 f., schwed. S. 238 f. vgl. Β Anm. 291) und Pinomaa (a.a.O. S. 160) behaupten — mit dem existenziellen Charakter der Lutherschen Theologie unvereinbar. Tatsächlich lehrt Luther schon 1520 im Sermon von den guten Werken den tertius usus praecepti, vgl. P. Husfeldt, Studien zum Problem des Gesetzes . . . S. 66—74. 343 Bek. 643, 24 ff. ; WA 6, 204, 25 ff. 31 f. ; 209, 24 ff. 36 f. (Von den guten Werken 1520). Vgl. W. Maurer, Von der Freiheit . . . S. 78: Der Glaube »erfüllt das erste und damit alle Gebote, — das ist der gemeinsame Grundgedanke des Stückes aus der Psalmenvorlesung und des Sermones. Indem der Glaube Gottes Geboten nachkommt, überwindet er in der Verbindung mit Christus die Spannung von Freiheit und Notwendigkeit —· diese These ist schon in der Psalmenauslegung programmatisch ausgesprochen und wird dann im Freiheitstraktat im einzelnen durchgeführt. Das Christusmysterium in einer das altkirchliche Verständnis positiv aufnehmenden und weiterführenden Fassung steht darum im Mittelpunkt des Traktates«.
166 bestätigte Geltung, dabei ist das 1. Gebot organisierendes Prinzip 344 . Obwohl in der Erfüllung der Gebote die Liebe stets den Vorrang besitzt vor allen anderen Gesichtspunkten, so begründet dieser Vorrang doch keineswegs eine allgemeine Problematisierung und Entgöttlichung der 10 Gebote — ebensowenig, dürfen wir sagen, wie das Vorfahrtsrecht der Feuerwehr und des Krankenwagens die Verkehrsregeln allgemein aufhebt. Es ist für Luther eben das Merkmal der Gebote Gottes, daß in ihnen ausdrücklich das 1. Gebot des Glaubens und der Liebe den anderen Geboten vor- und übergeordnet ist. Der Aufweis der Billigkeit, der in aller Gesetzesanwendung notwendig ist, um die durch den Satz »summum ius summa iniuria« angedeutete Gefahr zu vermeiden, ist im göttlichen Dekalog durch die Vorordnung des 1. Gebotes prinzipiell gefordert 345 . Das 1. Gebot lehrt uns die übrigen Gebote so zu halten, daß wir in der Einhaltung der Ordnungen und im Dienst am Nächsten immer die wirkliche Gerechtigkeit, das wahre Wohl der Menschen suchen. Wenn es dann notwendig wird, gegen ein konkretes Gebot zu handeln, so muß sich diese Handlung aus dem ersten Gebot klar legitimieren lassen, weil Gott allein Herr seiner Gebote ist. Wir haben diese Fragen so eingehend behandelt, weil Luther die 10 Gebote als den Maßstab im Gericht verstanden wissen will. Die Alleingeltung des im 1. Gebot bezeugten Glaubens in loco iustificationis begründet die Heilsgewißheit und die Unterordnung der anderen Gebote. Durch den Glauben zu Freunden des Gesetzes neugeschaffen, sind wir mit der überaus verantwortungsvollen Aufgabe betraut, die jeweils rechte Anwendung der 10 Gebote zu finden. Die selbstlose Liebe einerseits und die relative Konstanz der Ordnungen andererseits ergeben, daß die christliche Gemeinde nicht durch prinzipielle Willkür in Verwirrung gerät, sondern in zuversichtlicher Eintracht und zugleich in einem lebendig bewegten Frieden leben darf. Im 1. Gebot ist der Schutz
844 W A 10 I 2, 392, 1 ff. (Roths Sommerpost. 1526 Lk. 14, 1 ff.) Liebe gibt urlaub auch über ein öffentlich gebot Gotes. 403, 19 f. (Mt. 22, 34 ff.) wenn das gesatz wider die liebe tringet, so höret es auff unnd soll kain gesatz mer sein, wo aber kain hindernis ist, da ist die haltung des gesatz ein antzeigung der liebe, die im hertzenn verborgenn ligt, Denn darumb gebraucht man der gesatze, auff das die liebe an jnen beweiset were, Wenn sie aber one Verletzung des nechsten nicht künden gehalten werden, so wil Got, man soll sie auffheben und wegnemen. 404, 23 ff. Got, der wil seine gepot gehaltten haben, und das man sie mer achten soll denn der menschen gepot, unnd das alle gepot in der liebe herunder geen sollen. 17 II 91, 11 (Fastenpost. 1525) U n d were das alles noch zu leyden und eyn sondere gnade, wo solch gesetz und lere alle wurden gezogen und gehandeilt nach dem heubtgesetz, regel und mas der liebe, wie die heylige schrifft thut, wilche auch viel und mancherley gesetz gibt, aber allesamt ynn die liebe zeucht und fasset, der liebe auch die selbe alle unterwirfft. Vgl. 10 I 2, 393, 28—40; 394, 16ff. 28 ff.; 395, 5 ff. 28 ff; 396, 17 ff; 398, 32 ff. (Sommerpost. 1526 Lk. 14, 1—11) Liebe und not maistern alle gesatze. 846 Bek. 644, 17 ff.; W A 8, 66, 1 f. (Rat. Latom. confut. 1521); 10 I 2, 174, 13 ff. (Adv.post. 1522 Phil. 4, 4 ff.). Siehe Haikola, Usus legis S. 149 Anm. 21.
167 vor herzloser Gesetzlichkeit und in den konkreten Weisungen die Hilfe gegen schwärmerische Auflösung der Ordnungen gegeben346. Auch der kühne Satz Luthers, »wir werden neue Dekaloge machen« 347 , widerspricht nicht der Geltung der 10 Gebote als weisender Gottesworte. Wer ein »perfectus Christianus plenus spritu« ist, wird Dekaloge machen, die bei aller Freiheit doch in völliger sachlicher Übereinstimmung mit den Dekalogen der Evangelien und Episteln sind, die ja nach Luther im schönsten Einklang miteinander stehen348. Im praktischen Vollzug bedeutet der Satz, »wir werden neue Dekaloge machen« zunächst, daß wir durch den Heiligen Geist die neutestamentlichen Dekaloge als das Gesetz der Freiheit erkennen und ihnen von Herzen zustimmen 349 . Sie beschreiben eben Wege der schöpferischen Liebe und geben dieser Liebe die Vorfahrt. Darin liegt es auch begründet, daß wir im spontanen, konkreten Liebesdienst am Nächsten erkennen können, wie unsere Werke mit den 10 Geboten in Übereinstimmung sind, und daß wir hoffen dürfen, unser alltägliches Werk werde im Jüngsten Gericht bestehen350. f. D a s H a l t e n d e r G e b o t e . Die Werke also, die der Dekalog gebietet, verheißt das Evangelium. Indem die 10 Gebote den Weg der christlichen Liebe andeuten, geschieht durch sie ein »usus practicus evangelii«351. Der Glaube aber erkennt, daß die evangelische Verheißung erfüllt wird; die Früchte des Glaubens bleiben nicht aus; dem Nächsten wird wirklich geholfen; der Christ soll im Gericht nach den in den 10 Geboten befohlenen Werken nicht zuschanden werden. Wie die Heiligen des Alten und Neuen Testamentes kennt auch Luther eine freudige Liebe zu den Geboten Gottes und besitzt eine nüchtern zuversichtliche Erkenntnis des hilfreichen Dienstes, den er durch Gottes Gnade seinem Nächsten tut 352 . Nun ist das Gebot für alle Menschen dasselbe: die lex naturalis, die mit den 10 Geboten prinzipiell identisch ist. Daher ist es wohl verständlich, wenn behauptet wird, die Kinderpflege eines armen Dienstmädchens oder die gewöhnlichen, alltäglichen häuslichen Arbeiten, die der eine Nachbar dem anderen tut, seien, gleichgültig ob sie aus Glauben geschehen oder nicht, immer gleich zu bewerten 353 . Für Luther allerdings 84β WA 51, 211, 36 (Ausleg. Ps. 101 1534 35). 317 WA 39'i 47,'27 (Thesen de fide 1535) Imo novos Decálogos faciemus. 348 Ebd. 47, 25 ff. 33 ff. 349 Ebd. 47, 37 ff. 350 WA 36, 450, 19 (Cruciger); 451, 5 (Rörer). 351 Siehe die eingehende und überzeugende Begründung für einen usus evangelicus praecepti bei Joest, Ges. u. Freih. S. 109—133. Joest gibt Eiert, Bring, Pinomaa insofern recht, wenn sie den tertius usus legis für Luther ablehnen : »Von einem — wie auch immer abgeschwächten — Fortwirken des Gesetzes als Heilsbedingung weiß Luther nichts. Die lex, die der Christ lieb hat und erfüllt, ist von der lex, die den Sünder verklagt und richtet, durch den Abgrund einer völligen Umkehrung des Gottesverhältnisses geschieden . . . Das Gebot als dem Sünder gesagt ist Gesetz in ganzer Schärfe; das Gebot als dem Glauben an Christus gesagt, als Parainese, ist Paraklese, Zuspruch, Evangelium in vollem Maß« (a.a.O. S. 133). 362 Siehe A III 5, Anm. 358—365. 363 Siehe B. Benktson, Lagens ämbete S. 68.
168 ist es eigentümlich, daß gerade im Bereich der Werke, in dem nach den Geboten kein prinzipieller Unterschied besteht, der große Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen offenbar wird. Weil die Welt nicht die Gerechtigkeit empfangen hat, kann sie auch nicht in voller Liebe dem Nächsten dienen. Sie tut wohl Gutes, wird aber immer eigene unnütze Werke erdenken, um sich Gerechtigkeit vor Gott zu verdienen 354 . Indem sie Gottes Gebot verlassen, meinen die Menschen in erhabenen, verehrungswürdigen Werken Gott zu lieben und zu dienen, gaffen in den Himmel und wollen sich den Zugang erzwingen355. Andere hören vom Glauben und von der evangelischen Freiheit und wollen deswegen nichts tun. Wegen der Selbstsucht der Menschen kommt die Welt immer von der rechten Bahn ab und geht den Holzweg356. Darum wird die allgemeine iustitia civilis immer die Neigung haben, die Liebesverpflichtung einzuschränken und das Gebot Gottes zu entkräften. Als er Lazarus nicht half, fiel es z.B. dem reichen Mann nicht ein, er könne böse sein. Dies ist bezeichnend. Wer Gott nicht kennt, kümmert sich nicht um die Menschen. Dies ist Gottes Urteil über alle, die nicht Christen sind. Der Glaube allein macht willig zum Dienst an allen Menschen. Dem Nichtchristen besonders fremd ist es, dem Feind zu vergeben oder ihm gar wie einem Freunde wohlzutun. Dies kann letztlich nur der Christ357. Prinzipiell ist der Christ befreit von der Sünde, die Werke als Mittel zur Erlangung der eigenen Gerechtigkeit zu mißbrauchen. Darum kann er alle Werke, die im Dienst am Nächsten geschehen, gleich hochschätzen. Er entzieht den Menschen seinen Dienst weder, um Gott besondere Werke zu bringen, noch, um sich selbst das Leben bequem zu machen. Der Unterschied zwischen Christ und Nichtchrist kommt daran zum Vorschein, daß der Christ das tut, wozu alle verpflichtet sind. Der christliche Nachbar also dient dem Nächsten mit allerlei praktischen Hausarbeiten; er hilft Freund und Feind ohne Unterschied; er dient ihnen zugleich mit dem Wort Gottes, indem er nach Vermögen die Diener am Worte ernährt, Kirchen und Schulen unterstützt und den Nächsten ermahnt. Das Dienstmädchen trägt, wenn es christlich ist, Sorge um das ganze Kind, in Pflege, Fürbitte und Erziehung. In den konkreten Werken kommt zum Vorschein, daß der Christ sich um den ganzen Menschen sorgt, indem er mit Vergebung und Fürbitte, Wort und Tat Freund und Feind dient. Das, sagt Luther, tut der Ungläubige nicht. Im Bereich des Dienstes am Nächsten nach den 10 Geboten besteht für Luther zwischen Christ und Nichtchrist ein so tiefer Unterschied, daß er am Jüngsten Tag als überzeugendes Zeugnis der grundsätzlichen
351
Bek. 639, 20 ff.; 640, 31 ff. 355 W A 17 II 99, 22 ff. (Fastenpost. 1525). 366 WA 36, 447, 5 ff. 3 " Siehe A III 5 (Anm. 348).
169 Verschiedenheit gläubiger und ungläubiger Menschen dienen soll. Deshalb geht von den 10 Geboten immer neu ein existenzieller Zuspruch auch an die durch den Glauben Gerechtfertigten aus358.
4. Der Christ als simul iustus et peccator angesichts des Gerichts Zum P r o b l e m des tertius usus legis
a. D i e T ö t u n g des F l e i s c h e s . In der Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann über die guten Werke lautet Luthers These 39: Oportet enim corpus castigari et in servitutem redigi, et carnem cum vitiis suis mortifican et crucifigi359. — Diese Unterscheidung zwischen corpus und caro ist bedeutungsvoll. Die Bestimmung des Menschen als caro bezieht sich auf seine Stellung Gott gegenüber, während der Begriff corpus den Menschen als Wirkenden bezeichnet. Als caro wird der natürliche Mensch seiner angeborenen geistigen Grundrichtung nach bezeichnet; als caro gilt auch der Christ insofern, als er noch natürlicher bzw. alter Mensch ist. Das Merkmal des Menschen als caro ist der gottwidrige Wille zur Selbstbehauptung und Eigenmächtigkeit vor Gott, dessen Ehre als creator und iustificator die caro verleugnet 360 . Die caro versucht ständig, den Glauben an die »fremde« Gerechtigkeit Christi abzuschütteln, so wie ein widerspenstiges Pferd den Reiter aus dem Sattel werfen will361. Der alte Mensch will aus sich selbst als gerecht gelten. Wenn dies nicht durch eigene Werke gelingt, so hofft der Mensch desto mehr, vermittels der Gnade eine inhaerente Gerechtigkeit zu erlangen, die vor Gott bestehen kann. Luther erkennt hier ein typisches Merkmal des Fleisches. Sein Kampf gegen die fides charitate formata ist darin begründet, daß diese als eine eingegossene, die Person qualifizierende Gnade betrachtet wird, kraft welcher der Mensch befähigt wird, aus sich selbst zu leben und zu bestehen362. Durch das Evangelium und den Glauben hat der alte Mensch seine Geltung vor Gott verloren und wird vom neuen Menschen überwunden und beherrscht 363 . Die Formel conscientia in evangelio, caro in lege besagt, daß der Christ als neuer Mensch durch den Glauben in Christus lebt, während er als alter Mensch unter dem Todesurteil des Gesetzes 358 WA 7, 65, 10 f. 32 ff. (Tractatus de liberiate 1520); vgl. Bek. 642, 22 ff.; 644, 17 ff. (646, 10 ff.; 661, 35 ff.). 358 WA 39 I 204, 23 ff. (Prom.disp. v. Pallad. u. Tilem.). 360 Siehe R. Hermann, Luthers These . . . S. 216 ff.; H. J. Iwand, Rechtfertigungslehre u. Christusglaube S. 118; W. Joest, Gesetz u. Freiheit S. 101 ff.; R. Prenter, Spiritus creator S. 254 ff. (dt. 225 ff.) ; P. Althaus, siehe oben A Anm. 115. 381 WA 10 I 2, 18, 16 (Adv.post. 1522 Rom. 13, 11 ff.); 12, 282, 20 (Ausleg. 1. Pet. 1523). 382 WA 40 I 228, 24 f. (1535 Gal. 2, 16) Charitas . . . dixerunt esse formalem iustitiam, formantem et ornantem fidem facientemque, ut ea iustificet. 237, 6 ff. 40 II 64, 32 ff. (1535 Gal. 5, 14) cogitatio Sophistarum . . . charitatem esse qualitatem inhaerentem animo, qua homo elicit motum cordis vel actum (A Anm. 336). 363 WA 8, 93, 8 ff. (Rat.Latom.confut. 1521); 125, 13 ff.
170 bleibt 364 . Dieser Formel entspricht die Bestimmung des Christen als simul iustus et peccator: der alte Mensch bleibt das ganze Erdenleben hindurch in uns potentiell gegenwärtig, oder richtiger, unsere Person an sich, losgelöst vom Glauben an Christus, ist weiterhin als alter Mensch zu betrachten 365 . Die Person also, die vom Evangelium und Glauben her als neuer Mensch gilt, ist ihrem Tatbestand nach zugleich als alter Mensch qualifiziert. Unter diesen Umständen kann das Gewissen des Christen nur dadurch gegen die Gewalt des Gesetzes im Evangelium bleiben, daß Christus selbst, der Gegenstand des Glaubens, zugleich der Urheber des Glaubens ist und im Glauben anwesend bleibt366. Gegen die fides charitate formata setzt Luther Christus selbst als die forma des Glaubens und das eigentliche Subjekt des Liebesdienstes367. Letzten Endes ist er allein der Sieger über den alten Menschen, das Gesetz und das verdammende Gericht 368 , so wie er auch der Grund unserer Freimütigkeit vor Gott ist im existenziellen Gegenüber und am Jüngsten Tag 369 . Darum bedeutet das Leben in Christus den Tod des alten Menschen370. Zugleich folgt daraus, daß der Glaube verzagt und der alte Mensch mit seiner Verzweiflung übermächtig wird, wenn Christus im tempus legis sein Antlitz verbirgt 371 . Aus dem simul iustus et peccator folgt, daß zugleich mit dem Evangelium immer auch das Gesetz mit seinem Fluch im Gewissen wirkt. Dies verdammende Gericht wird durch den Glauben bejaht und zugleich auch beherrscht in Kraft des Evangeliums. Der Glaube überwindet normalerweise den gesetzlichen Willen zur Selbstbehauptung und zum eigenmächtigen Leben durch das Sein und Wirken in Christus. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Verkündigung des Gesetzes ebensowenig wie die evangelische Vermahnung eine Botschaft bringt, die der Christ als neuer Mensch nicht schon vorher prinzipiell erkennt und bejaht. Wenn das richtende Wort Gottes den ganzen 361
Die Begriffe wechseln; statt conscientia kann spiritus, statt Evangelium coelum oder Christus gesagt werden. Die Formel conscientia in coelo bzw. in evangelio ist mit dem Sein in Christus identisch, vgl. Günter Jacob, Das Bild vom »Weg in der Mitte« . . . S. 49: »Das In-Sein in Christus ist identisch mit dem Sein der conscientia in coelo«. Jacob weist hin auf 40 I 469, 6; 15, 551, 20; 20, 320, 2; 34 I 453, 4; 40 I 208, 1. ses -y^A 8, 91, 35 ff.; 56, 272, 17 ff. 3ββ A Anni. 119 vgl. WA 40 I 233, 3 (Gal. 2, 16). Siehe R. Prenter a.a.O. S. 241 Anm. 22 und S. 62; dt. S. 363 Anm. 22 u. S. 51. 8β7 W A 40 I 229, 8 ff. (1531 Gal. 2, 16) Sicut vos dicitis charitatem ipsam imbuere fidem, Sic dieimus nos Christum esse formam istius fidei. 868 40 I 235, 5 ff. (1531 Gal. 2, 16) oportet Christianus her fare et respiciat Christum; tunc habet in suo corde eum qui est victor mortis, peccati, qui habet legem in manu et dicit: Tu mors, lex et peccatum, sitis damnata. Postea lex veniat in carnem. 290, 28 ff. (1535 Gal. 2, 20) (fide) regnat Christus cum suo spiritu sancto, qui iam videt, audit, loquitur, operatur, patitur et simpliciter omnia agit in ipso, etiamsi caro reluctetur. 538, 11; 550, 7 ff.; 337, 10 ff. 869 WA 36, 450, 4; 40 I 229, 28 ff. (1535 Gal. 2, 16). »70 WA40 1287,30 ff. (1535 Gal. 2 20) Paulus mortuus e s t . . . Christus in eo loquitur, operatur et exercet omnes actiones. 288, 29 f. non vivo ex carne vel secundum carnem, sed in fide, ex fide et secundum fidem. 871 WA 40 I 493, 14 ff. (1535 Gal. 3, 19).
171 Menschen verdammt, spricht es ein Urteil aus, dem der Glaube von seinem Standort bei Christus her schon zugestimmt hat 372 . Ebenso wird der Glaube durch die Vermahnung zum Liebesdienst an das erinnert, wozu er in Christus schon bereit ist373. Trotz der Gerichtspredigt ist es folglich — von besonderen Zeiten des Gesetzes abgesehen •—• möglich, getrost zu bleiben und dem Nächsten zu dienen ohne in Gesetzlichkeit zu geraten. b. D i e K n e c h t u n g des L e i b e s . Während es in der These 39 der Disputation von Palladius und Tilemann 1537 von der caro hieß, sie solle getötet und gekreuzigt werden, wurde vom corpus gesagt, es müsse gezüchtigt und in die Knechtschaft zurückgebracht werden. Corpus ist der Christ als Wirkender. Das corpus, das von Natur durch die caro bestimmt und beherrscht ist, soll nun nolens volens im Dienst der Liebe Christi am Nächsten stehen374. Durch Christus überwindet der Glaube den Widerstand der caro und zwingt das corpus zur Dienstbarkeit wie ein Reiter das Pferd. Dem Reiter gebührt die Freiheit, dem Pferd die Knechtschaft; Freiheit des Pferdes wäre Knechtschaft des Reiters. Das Evangelium kann nur dem Reiter gelten; für das Pferd ist das Gesetz bestimmt. Nicht der Reiter, nur das Pferd muß einen Zaum haben und mit fester Hand gesteuert werden: non equiti sed equo frenum debetur 375 . Auf diese Weise kann der Glaube bewahrt und dem Nächsten geholfen werden, indem wir trotz des Widerstandes des Fleisches die Liebe immer nur »verlieren«, die Werke frei umsonst tun und die Wahrheit sagen, obwohl der Lohn aus Undank, Feindschaft und Verfolgung besteht376. Die Formel conscientia in evangelio, corpus in lege besagt, daß der unter dem Evangelium lebende Christ für seinen »auswendigen Menschen« das Gesetz braucht und ihn so zum Gehorsam zwingt. Das Gesetz wird hier »unter dem Gewissen« vom Christen selbst gebraucht, der durch den Glauben mit dem Gewissen frei vom Gesetz im Himmel lebt 377 . 372 WA 40 I 209, 28 ff. (1535 Gal. 2, 14) At nihil boni fecisti, imo graviter peccasti. Concedo, sed remissionem peccatorum per Christum habeo . . . Extra causam vero conscientiae, quando externa officia fieri debent, . . . non est tempus tum audiendi Evangelium, sed legem, ibi servito vocationi. Sic Lex cum asino manet in valle Et Evangelium cum Isaac in monte. 873 Β Anm. 286. 371 Vgl. Joest a.a.O. S. 102: »Die caro, die hier der conscientia gegenüberstellt wird, ist nicht mehr schlechthin der 'fleischliche' Mensch, sondern der Mensch dieses irdischen, leiblichen Lebens in einem gleichsam neutraleren Sinne«. Cfr. Haikola, Usus legis S. 99 Anm. 46. 875 WA 2,498, 10 ff. vgl. 34 II 198, 7 ff. (1531 Rörer Gal. 5, 16) quisque sentit carnem, sed sol ym den zaum ynn das maul legen und sporn in die Seiten. Certe equus, wens nicht im zaum fasst, so ghets, ut vult. 7, 60, 3 ff. (De lib. christ. 1520) curandum, ut corpus ieiuniis, vigiliis, laboribus aliisque disciplinis moderatis exerceatur et spiritui subdatur ut homini interiori et fidei obediat et conformis sit, nec ei rebellet aut ipsum impediat. — Über die castigatio corporis bei Luther siehe B. Hägglund, De homine S. 312 (Anm. 63) u. 353—355. 876 WA 34 I 568, 15 f. (Pred. 1531 Rörer Lk. 1, 46 ff.) si ego domino volo servire mea praedicatione, mundus non vult nec potest pati. 37, 113, 6 (Pred. 1533 Rörer Mt. 5, 20). 8,7 G. Wingren, Luthers lära om kallelsen S. 70 (dt. S. 50).
172 c. G e r i c h t s p a r ä n e s e u n d n e u e r M e n s c h . Auf Grund von 1. Tim. 1,9 behauptet Luther, der Christ als neuer Mensch bedürfe keiner Gebote. Allein um der bleibenden Sündigkeit willen und der daraus folgenden Tendenzen zur Gesetzlichkeit, Faulheit und Schwärmerei sind die Vermahnungen notwendig378. Damit ist aber keineswegs gesagt, es sei prinzipiell und immer nur der Christ als alter Mensch, der durch die evangelische Gerichtsparänese angeredet wird. Dem neuen Menschen, der vom alten Menschen tödlich bedroht ist, wäre nicht dadurch geholfen, daß durch die göttliche Anrede der Christ prinzipiell als alter Mensch wiederhergestellt würde. Dann würde die Vermahnung eine grundsätzliche Suspendierung des neuen Menschen ausrichten. Man darf nicht aus der Tatsache, daß der Christ als neuer Mensch keiner Gebote bedarf, folgern, daß er auch keine Vermahnung dulde. Obwohl vielmehr die Paränese wegen des alten Menschen notwendig ist, wendet sie sich doch prinzipiell an den Christen als neuen Menschen als die tröstende und bittende Entfaltung der im Evangelium geoffenbarten, durch den heiligen Geist bei uns anwesenden Liebe Christi zum Nächsten379. Die Vermahnung geschieht also auf Grund der uns Kraft des Todes und der Auferstehung Christi geschenkten Befreiung von dem zur Eigenmächtigkeit und Selbsttätigkeit verbannenden Gesetz und zielt darauf, den Christen als neuen Menschen zu befestigen und zu aktivieren. Dasselbe gilt in diesem Zusammenhang von der Verkündigung des eschatologischen Gerichts nach den Werken, das in der evangelischen Paränese aktualisiert wird. Diese Verkündigung geschieht in der Absicht, die ganze Existenz des glaubenden und wirkenden Christen bis hin zum Gericht am Jüngsten Tag durchs Evangelium zu umschließen und zu tragen. Im Himmel lebend, frei vom Gesetz, wird der Christ angereizt, gegen den Widerstand des Fleisches den Glauben in Liebeswerken inkarnieren zu lassen. 378
W A 39 I 204, 18 ff. (Prom.disp. v. Pallad. u. Tilem.). Vgl. oben Β A n m . 286; weiter E. Schlink, Gesetz und Paraklese S. 329 und Althaus, Die Theologie M . Luthers S. 238: »Luther gebraucht die Formel Melanchthons nicht . . . v o m tertius usus legis. Aber der Sache nach findet dieser sich auch bei ihm. D i e Gestalt, die Gottes Gesetz gegenüber d e m Sünder annimmt, ist für Luther . . . nicht die erste und daher auch nicht die einzig mögliche Gestalt und Bedeutung des Gesetzes. Weiß er doch v o n Gottes Gesetz schon i m Urständ — wie sollte er es nicht auch i m Christenstand kennen, und zwar nicht nur i m Sinne des usus theologicus, . . . sondern ais forma exercendi bona opera«. V g l . oben Β V I 3 d (Anm. 340; 342). A n diese Problemlage vorbei argumentiert Pinomaa (Der existenzielle Charakter . . . S. 178) gegen den tertius usus : »Wie aber kann Gott eine Gesetzeserfüllung fordern, die weder zur iustitia civilis (coram hominibus) noch zur iustitia actualis (coram Deo) führt ? . . . U n d gerade eine Gerechtigkeit vor Gott liegt i m 3. usus legis einbegriffen. Sonst hat dieser usus keinen Sinn«. — N a c h Luther haben die Gebote Gottes eine positiv bestätigende Aufgabe für den die allgemeine iustitia civilis transzendierenden Liebesdienst am Nächsten, der im Glauben und nicht nur kraft des liberum arbitrium geschieht. — Gegen lib. arb. als Subjekt der iustitia civilis der Christen weist Gogarten (Sittlichkeit u. Glaube . . . S. 239) auf W A 18, 763, 1 ff. (De servo arb.) hin: Ibi est incredulitas, ibi inobedientia, ibi sacrilegia, ibi blasphemia erga Deum, ibi crudelitas et immisericordia erga proximum, ibi amor sui in omnibus rebus Dei et hominum. Sic habes gloriam et potentiam liberi arbitrij. 379
173 Diese Beziehung des Gerichts nach den Werken auf den neuen Menschen gibt dem Liebesdienst die notwendige Ausrichtung auf die Ewigkeit. Die evangelische Gerichtsparänese ruft zum Glauben und zu verantwortlichem Dienst im Glauben, indem sie den Blick des Christen von dem Leiden und der Undankbarkeit dieser Welt auf die selige Begegnung mit Christus am Jüngsten Tag richtet. Der neue Mensch darf also nicht ausschließlich als ein transzendentales Ich angesehen werden. Der neue Mensch ist für Luther eben der konkrete und ganze Christ, insofern er dem Evangelium glaubt und in der Liebe Christi tätig ist. Eben dieser Mensch, der durch den Glauben konstituiert ist, wird prinzipiell durch die Vermahnung zum Dienst gerufen. Nachdem der alte Mensch durch den leiblichen Tod und die Auferstehung am Jüngsten Tag endgültig abgelegt worden ist, wird dieser neue Mensch in der Auferstehung als vollkommen vor dem Herrn dargestellt werden und den seinen Taten angemessenen, ewigen Lohn bekommen. Es ist sehr wichtig darauf hinzuweisen, daß die Vermahnungen wirklich einen positiven Liebesdienst fördern und hervorrufen und daß die von Christus im Gericht ausgesprochene lobende Anerkennung sich tatsächlich auf die geschehenen Werke stützen wird. Die zur Rechten Christi Stehenden werden wahrhaftig die sein, die bis zu ihrem leiblichen Tode der durch die tätige Liebe bestimmten Gemeinde Christi angehörten. So positiv kann bei Luther die Beziehung der Christen auf das Jüngste Gericht nach den Werken beschrieben werden; ein so optimistisches Gepräge kann bei ihm die evangelische Gerichtsparänese haben 380 . d. G l a u b e n s w e r k e u n d G e s e t z e s w e r k e z u g l e i c h . Weil aber der Christ simul iustus et peccator ist, sind die Gebote Gottes im Gewissen fortwährend wirksam nicht nur als evangelische Vermahnung, sondern zugleich als treibendes und verdammendes Gesetz. Obwohl die Gesetzlichkeit prinzipiell besiegt ist, bleibt sie noch gegenwärtig, gleich ob das Gesetz verkündigt wird oder nicht. In der 4. Antinomerdisputation heißt es, es sei wohl möglich, das Gesetz nach der Grammatik und dem toten Buchstaben zu entfernen, wie man etwas an einer Tafel Geschriebenes auslöscht. Wer aber, fragt Luther, »tollet illam viventem insculptam in cordibus . . ., quod idem est cum lege?« Das Gesetz läßt sich einfach nicht aus dem Gewissen austilgen, weil es schon von der Schöpfung her als Gebot und von dem Sündenfall her als verdammendes Gericht in die Herzen geschrieben ist381. V I 1—2. WA 39 I 352, 5 f. (Antinomerthesen 1538). Vgl. H. Ivarsson a.a.O. S. 58: »Wegen der Sünde wird nämlich das Gesetz und der Zorn nimmer ein überholter Zustand, der durch einen mehr wahrhaftigen oder ' stabilen' Gnadenstand ersetzt wird. Der Zorn und das verdammende Gesetz ist dagegen eine ständig anwesende Realität«, und E. Vogelsang, Der angefochtene . . . S. 18: »Gottes stets gegenwärtiges Gericht ist des Menschen stete Angefochtenheit.« — Obwohl der durch die evangelische Vermahnung Angeredete nicht prinzipiell der Christ als alter Mensch ist, ist das Ergebnis dieser Anrede allzu oft, daß der Christ als alter Mensch auf sie antwortet, da die Herrschaft der caro im Gewissen durch die bleibende Gesetzlichkeit wiedererrichtet wird. Dann hilft die Ver380 B
381
174 Nach Luther darf das Gesetz auch nicht verblassen; es soll vielmehr durch die Verkündigung in der Kirche ständig aufs Neue lebendig gemacht werden 382 . Daß es im Gewissen immer zugegen ist, ergibt sich auch daraus, daß es dominiert, sobald Christus sein Antlitz verbirgt 383 . Darum wird das Prinzip der conscientia in evangelio in diesem Leben nie völlig verwirklicht. Die lex, die im Gewissen durchs Evangelium überwunden ist, ist immer noch in conscientia; folglich ist auch die conscientia, die in evangelio ist, zugleich noch in lege. Aus diesem adhuc lex in conscientia folgt, daß der Dienst am Nächsten nicht nur unter dem Hauptaspekt der Glaubenswerke betrachtet werden kann, sondern auch unter dem Nebenaspekt der Gesetzeswerke angesehen werden muß. So heißt es in der Promotionsdisputation von Palladius und Tilemann, »soweit wir im Fleische sind und den Leib der Sünde haben«, sind wir »unter dem Gesetz und tun die Werke des Gesetzes«. Zugleich gilt, daß wir frei vom Gesetz sind, »soweit wir gerecht sind und nach dem Geist leben«, weil »den Gerechten kein Gesetz gegeben ist«. Während also der Christ als alter Mensch, als caro, unter dem Gesetz bleibt, wird er zugleich als neuer Mensch, als Geist, als »der Anfang der neuen Schöpfung«, »in Gottes Schoß gehegt« und ist vom Gesetz befreit 384 . Ihm ist das Gesetz nur so wie das Paradiesgebot dem sündlosen Adam eine freundliche admonitio 385 . Aus dem simul iustus et peccator folgt also, daß die Werke der Christen Glaubenswerke und Gesetzeswerke zugleich sind. D a aber die Gesetzlichkeit um Christi willen vergeben wird, sind die Werke Gott wohlgefällig und finden ihren Ruhm im Gericht. Immer bleibt also der Christ von Christus abhängig — von der unio, der imputatio, dem spiritus sanctus, und bleibt dadurch, trotz aller Gesetzlichkeit und Anklage, im Himmel, über dem Gesetz und wendet selbst das Gesetz als Zügel für seine Glieder an. e. E v a n g e l i u m u n d G e s e t z i m G e w i s s e n . Im Leben, im Tod und am Jüngsten T a g wird der Glaube derer, die bewahrt werden, trotz des sie richtenden Gewissens und trotz des sie richtenden Nächsten in Christus seine Gerechtigkeit haben und zugleich die Anerkennung seiner Liebeswerke finden. Wer also durchs Evangelium getröstet ist, der sei getrost! Das evangelische Wort ist uns gegeben, damit wir es behalten dürfen und die Heilsgewißheit haben. Wenn der Teufel, die Menschen, das Gewissen und das Gesetz uns anfechten und uns das Evangelium nehmen wollen, »da ists zeit, ut stoltz werde und heisse S. Peter ein Teufel, Mosen beseits, da er hin gehört, et Pharisaeos stultos. Et wer hie
mahnung dem neuen Menschen indirekt, indem der alte Mensch in seiner tätigen Antwort auf die göttliche Anrede seine Bosheit entschleiert. In bezug auf den alten Menschen ist die evangelische Paränese also tötendes Gesetz. 382 W A 39 I 356, 19 f.; 357, 29 f. (Antinomerthesen 1538). ass WA 40 I 559, 1 (1531 Gal. 4, 3) Absente eo (Christo) dominatur (lex). 3 8 4 W A 39 I 204, These 37, 36 u. 31 (Pallad. u. Tilem.). 3 8 6 A Anm. 228.
175 hoffertig kan sein, der thus mit freuden« 386 . Ich »krich ex feld peccati in Christum und heng mich an Christus hals und krich in Tauff et articulum : Natus, in die hole verkrich« 387 . Luther warnt sogar davor, die negative Seite der täglichen Buße allzu ernsthaft und tief zu üben: »Die sund wechst und wirt groß auch durch yhr zuvill ansehen und zu tieff bedencken«. Freilich gilt diese Warnung der Todesstunde; anders ist es »am leben, da wir solten des todts, der sund, der helle bild stetig voraugen haben« 388 . Jedoch hat der oben zitierte Satz auch im Leben seine Geltung. Der Teufel ist immer wirksam als des Glaubens Feind, und das Gesetz widerspricht dem Evangelium im Gewissen. Lassen wir das Evangelium fahren, werden wir sofort vom Gesetz eingekerkert und damit vom Teufel überwältigt. Darum sollen wir, so weit es uns möglich ist, am evangelischen Wort festhalten und es nicht ohne Kampf fahren lassen389. Sehr vereinfacht darf zur Klärung der Sache dieses Bild benützt werden : Ein Junge sitzt bei seinem Vater auf dem Wagen. Er darf die Zügel halten, denn er ist mit dem Vater über den Weg einig, und er versteht, das Pferd zu lenken. An den Wagen ist hinten ein störrischer junger Ochse gebunden. Alle diese Motive sind in dem Christen wirksam : der freie Sohn, das knechtische Pferd, der unbändige Ochse. Ja, der ganze Christ (totus homo) ist unter den verschiedenen Aspekten der Sohn (novus homo, spiritus), der Ochse, der selbst leben und regieren will (caro) und das Pferd, das nach eigenem Belieben gehen will (corpus). Was tut nun der Junge ? Er sitzt bei dem Vater, er berücksichtigt den Weg, er lenkt das Pferd — und läßt den Ochsen einen Ochsen sein, obwohl er störrisch ist und versucht, den Wagen umzustürzen. Wegen des Ochsen ist es dem Jungen nicht leicht, den Wagen recht zu führen. Der Vater aber ist da mit seiner Hilfe, und die Heimat, das Ziel und der Lohn ihrer Reise, lockt und reizt. Hören wir Luther! »Dem Pferde, nicht dem Reiter gebührt der Zaum«. »Ob zu weilen der wagen nicht gleich ghet, schad nicht, ghet gleich wol nicht den holtz weg, sed bleibt ynn der rechten ban . . . Qui se exercet in charitate, der hat einen forteil, quod possit fidere erga proximum, mundum et iudicium extremum« 390 .
88e WA 36, 285, 3 ff. (Pred. 1532 Rörer Lk. 15, 1—10) vgl. 40 I 208, 5 f. (1531 Gal. 2, 14) quando peccatum et lex venit in conscientiam, so stosst man alle beide buben hin aus : nescio de lege et peccato. — Vgl. G. Jacob, Gewissensbegr. S. 52 : »In der conscientia ist Christus von Sünde, Tod und Gesetz auferstanden. Er steht jenseits von allem, was die humana conscientia beschweren kann. Der Christ hört die lex nicht mehr als zornigen Anruf, der in seine Existenz einbricht (WA 29, 284, 10). Jenseits der terrena iustitia hat er seine Gerechtigkeit in Christus, so daß lex nicht mehr dás Gewissen angeht, 29, 289, 7«. 387 WA 36, 285, 1 f. (Pred. 1532 Rörer Lk. 15, 1—10); 17 II 105, 20 ff. (Fastenpost. 1525 Mt. 8, 23 ff.) 888 WA 2, 687, 18 f. (Bereitung zum Sterben 1519). 889 Β Anm. 173. 890 WA 36, 473, 1 ff.
176 Weil der Christ immer simul iustus et peccator bleibt, ist neben dem liebevollen Inkarnierungswillen des Glaubens zugleich der selbstische Leistungswille der Gesetzlichkeit in demselben Gewissen immer wirksam und prägt alle Werke mit. Auf Grund dieser Feststellung stellen wir die folgenden Thesen auf: 1. Das treibende Motiv der Glaubenswerke ist das durch den Heiligen Geist bezeugte Evangelium in seiner Fülle; kraft der bleibenden lex in conscientia ist zugleich das Gesetz ein treibendes Motiv der Dienstbarkeit des Christen. 2. Die Glaubenswerke geschehen konsekutiv von der rechtfertigenden Glaubensgemeinschaft mit Christus her; kraft der Gesetzlichkeit geschehen sie aber zugleich konsekutiv von der eigenen eingebildeten Liebesqualität her. 3. Die Glaubenswerke haben den einen Zweck: dem Nächsten um der Liebe Christi willen auf jede Weise zu helfen; der alte Mensch wird von dem durch den Glauben herrschenden neuen Menschen gezwungen, diesem Zweck zu dienen. Die Gesetzlichkeit mißbraucht indessen diesen Liebesdienst zur Errichtung einer eigenen Gerechtigkeit. 4. Ohne ihren evangelischen Charakter zu verlieren, haben die Glaubenswerke eine Beziehung auf die am Jüngsten Tag bevorstehende Begegnung mit Christus, der die Liebeswerke loben und belohnen wird. An solche evangelischen Gedanken knüpfen die gesetzlichen Motive an. Indem die Gesetzlichkeit des alten Menschen durch Werke Verdienste und Gerechtigkeit erlangen will, wird die Tätigkeit auch eines Christen egoistisch und widergöttlich pervertiert. 5. Dem Glauben ist es klar, daß nur das Evangelium in den locus iustificationis gehört und daß die Werke dem Nächsten umsonst gegeben werden; der drohenden Gesetzlichkeit wegen aber muß immer neu verkündigt werden, daß die Werke um des Nächsten willen von Gott gefordert werden, daß dagegen die Rechtfertigung durch das Hören des Evangeliums gesucht werden soll. 6. Die evangelische Gerichtsparänese ist an den konkreten Christen gerichtet, und zwar vornehmlich wegen des alten Menschen, der den klaren Blick des Glaubens verfinstert und den Willen verunreinigt. Durch die Vermahnung wird der Blick des Christen auf den Christus pro nobis, der dem Glauben die Liebe schenkt, und auf die Nöte des Nächsten gerichtet. 7. Obwohl die evangelische Gerichtsparänese vornehmlich um des alten Menschen willen notwendig ist, richtet sie sich prinzipiell an den Christen als neuen Menschen. Eben als neuer Mensch soll der Christ durch die Paränese aufgerichtet werden, indem er an das erinnert und zu dem aufgerufen wird, was er in Christus hat, weiß und will. Dadurch fördert die evangelische Gerichtsparänese die Übung im Glauben und in den Werken und dient der Tötung des Fleisches und vertieft die Gleichförmigkeit mit Christus. 8. Durch die Paränese wird der Christ unvermeidlich auch als alter
177 Mensch aktiviert. Weil der Christ noch Sünder ist, wirkt die evangelische Vermahnung auch als spezifische Gesetzespredigt. Durch die Paränese geschehen also zugleich ein usus evangelicus und ein usus legalis praecepti. 9. Da die Paränese um des alten Menschen willen geschieht und den Christen immer zugleich als alten Menschen trifft, ist es verständlich, daß Luther den usus civilis legis und die evangelische Vermahnung in eins sieht als den primus usus legis ; dies um so mehr, als er sich beinahe immer genötigt sieht, seine Zuhörer zugleich als Scheinchristen anzureden. Die beiden Gebrauchsweisen des Gesetzes sind ihm 1. usus civilis (externus), 2. usus spiritualis (celestis)390a. 10. Luthers Lehre von duplex usus legis darf nicht als eine prinzipielle und sachliche Ablehnung des usus evangelicus praecepti verstanden werden. Man darf nicht vergessen, daß Luther hervorzuheben sich bemüht, wie Christus die Gebote vom Evangelium her verkündigt, damit der Glaube erhalten werde und dienen solle. Dadurch ist bei Luther tertius usus im Sinne des usus evangelicus praecepti tatsächlich bezeugt. 11. Die Werke des Christen, Gesetzeswerke und Glaubenswerke in einem, haben eine andere Dimension als die Werke der Ungläubigen. Wegen der Dominanz des Glaubens müssen den Glaubenswerken die Gesetzeswerke folgen und formal gleichgeformt werden. Die evangelische Gerichtsparänese dient also gleichzeitig einer evangelischen conformitas Christi und einer gesetzlichen imitatio Christi, die nicht von einander zu trennen sind. Weil der Christ als neuer und alter Mensch eine wirkende Einheit bildet, sind seine guten Werke, auch als Gesetzeswerke betrachtet, prinzipiell »besser« und dem Nächsten nützlicher als ob sie durch dieselbe Person aus Unglauben und reiner Gesetzlichkeit ohne die Liebe Christi getan würden. 12. Man könnte hier von einem echten tertius usus legis reden, einem usus der Gebote Gottes, der in seinen Wirkungen den allgemeinen usus civilis übertrifft. In bezug auf den alten Menschen liegt aber dieser usus legis prinzipiell auf einer Linie mit dem allgemeinen usus civilis, wenn auch auf einer Verlängerung dieser Linie. 13. In bezug auf den neuen Menschen ist dieser usus legis von jenem usus prinzipiell zu unterscheiden. Er entspricht der conscientia in coelo und der vacua lex, der Zuordnung der Liebe zum Glauben und dem konsekutiven Charakter der Werke von der Rechtfertigung her. In bezug auf den neuen Menschen bezeichnet die Paränese also einen den usus legalis transzendierenden tertius usus. 14. Indem Luther vom duplex usus legis redet, bezieht er die ganze weisende Aufgabe der Gebote auf den primus usus. Im Sinne Luthers muß aber dieser usus unter drei Aspekten gesehen werden, und zwar in 390a WA 40 I 491, 1 ff. (1531 Gal. 3, 19) Duplicem dixi usum: civilem . . . ; alterum celestem. Cfr. 551; 556 (Gal. 4,1—3); 11, 31, 30 ff. (Pred. 1523 1. Gebot Rörer) duplicem esse usum praeceptorum : externum, qui urget ad externa opera, qui utilis est, quia pauci sunt, qui spiritualiter utuntur lege, 2. spiritualis.
178 bezug auf den Ungläubigen, auf den Gläubigen als alten Menschen und auf den Gläubigen als neuen Menschen. Da der Christ als alter Mensch gezwungen wird, mitzuwirken an den Werken des neuen Menschen, die diejenigen des Ungläubigen übertreffen, könnte man in bezug auf den Christen als simul novus et vetus homo von einem tertius usus legis reden. Weil aber Luther nicht den Begriff lex wohl aber praeceptum auf den neuen Menschen beziehen kann, empfiehlt es sich in bezug auf den konkreten Christen als neuen und alten Menschen in einem von einem tertius usus praecepti zu reden, von einem evangelischen und gesetzlichen Gebrauch der Gebote also, zum Unterschied vom allgemeinen usus civilis und vom usus theologicus, die ein eindeutig gesetzliches Gepräge tragen. 15. Gemäß der Unterscheidung zwischen dem locus iustificationis und dem locus iudicii operum soll in der Predigt das Evangelium auf den Glauben, die Gebote auf die Werke bezogen werden. Eben weil die Werke in den locus iudicii operum und nicht in den locus iustificationis gehören, ist es für den Prediger eine wichtige Aufgabe zu verkündigen, daß es dem Glaubenden um Christi willen möglich und recht ist, mit der conscientia in evangelio das Gesetz zu hören, die gebotenen Werke in spontaner Liebe zu tun und dem Gericht nach den Werken freimütig entgegen zu gehen.
V I I . Luthers Beurteilung des römischen Verständnisses des Christus iudex und der eschatologischen Heilsbedingung Noch heute ist über der Pforte zum Schwarzen Kloster in Wittenberg das Reliefbild zu sehen, das Luther mehrmals erwähnt — das Bild von Christus als Richter auf dem Regenbogen sitzend. Seine Interpretation hat ihr Gepräge durch die gesetzliche Grundhaltung bekommen, infolge derer er, im Gewitter vor dem entfernt erhöhten Richter zitternd, die heilige Anna um Hilfe anruft und sein Mönchsgelübde ablegt — eine Grundhaltung, die ihn dann in immer schwerere Anfechtungen geführt hat 391 . Dieses Mißverständnis erscheint uns als Bestätigung seiner bekannten Worte im Großen Katechismus, unser Gottesbild werde von unserem Glauben bestimmt. Die Frage ist nun, ob Luther der römischen Kirche nicht grobes Unrecht tut, wenn er ihre Lehre gemäß seiner Deutung der erwähnten Christusdarstellung versteht und sie auf eine Linie mit der Religion der Türken setzt, weil sie dem Gewissen angeblich Christus einseitig als den Richter vorstelle: »Münch, Turcken . . . confugiunt ad opera ex Christo facientes iudicem . . . über die Christen de vita, das ist der leidige Teufel, Machen böser ding aus Christo denn aus dem tod. Ideo sic metuunt 391 Siehe Β IV 1 (Anm. 198). Zum Erlebnis 2. Juli 1505 siehe Hermelink u. Maurer, Handbuch der Kirchengeschichte III S. 77 f. und die dort angeführten Quellen.
179 extremum diem, quia sie haben bose, verzagte hertzen« 392 . Auf die Frage, ob Luther mit solchen Worten der römischen Kirche seiner Zeit Unrecht tue, ist erstens zu beantworten, daß diese seine negative Beurteilung nicht auf Unkenntnis der Spannweite und Inhaltsfülle der römischen Lehre beruht. Ihm ist wohl bekannt, daß sämtliche Hauptbegriffe und Hauptstellen des Neuen Testaments ins römische Lehrsystem einbezogen sind. Christus wird demgemäß zwar als iudex, zugleich aber auch als salvator, iustificator, sanctificator und glorificator anerkannt. Luther weiß, daß diese Kirche ihre Glieder nicht einfach auf sich selbst und die eigenen Werke weist, sondern vor allem auf Christus und sein Heilswerk, auf die sakramentale Gnade Christi in Taufe, Abendmal und Buße — eine Gnade, die auch in den Geboten und in den guten Werken wirksam ist393. Wie also ist Luther zu seinem Urteil gekommen, die römische Lehre sei von der Vorstellung des Christus iudex völlig beherrscht ? Den grundlegenden Fehler der römischen Kirche sieht Luther darin, daß die ganze Kirchenlehre, auch die Lehre von Christus als salvator, als iustificator, sanctificator und glorificator darauf abzielt, uns das Bestehen vor Christus dem iudex zu ermöglichen, der uns am Jüngsten Tag nach unserem Tatbestand und den Werken richten soll. Indem dies Gericht als in den locus iustificationis gehörend dargestellt wird, wird es dem Gewissen die zentrale, entscheidende Hauptfrage, wie der Mensch bestehen kann vor dem Christus iudex, der zwar nicht nur gerecht, sondern auch barmherzig ist und der uns durch sein Heilswerk und seine Gnade auf die Begegnung mit ihm, dem Richter, am Jüngsten Tag vorbereitet. Das pelagianische Vertrauen auf die eigene Gerechtigkeit und die eigenen Werke hat die römische Kirche prinzipiell abgelehnt 394 . So bedeuten z.B. nach Thomas Worte wie Dan. 4,24: redime peccata tua Eleemosynis nicht, daß man einfach durch Werke vor Christus iudex bestehen kann. Das Verdienst des ewigen Lebens kommt nur der durch die Gnade eingegossenen Liebe zu. Allein kraft dieser göttlichen Liebesqualität sind die Tugenden und freiwilligen Werke verdienstlich 396 . In den Tugenden und Werken muß Gott also seinen Heiligen Geist sehen, W A 37, 150, 24 ff. 28 f. (Pred. 1533 Rörer Lk. 7, 11 ff.). Siehe z.B. K. A. Meissinger, Der katholische Luther S. 69 ff, vgl. das Schlußwort der Disputatio contra scholasticam theologiam 1517: »In his nihil dicere volumus nec dixisse nos credimus, quod non sit catholicae ecclesiae et ecclesiasticis doctoribus consentaneum« (WA I 228, 34 ff.). Man darf nicht vergessen, daß Luther die römische Theologie von innen erkannte und daß es ihm um die rechte Interpretation der allgemein anerkannten Formeln, Schriftstellen und Dogmen sowie des gesamten Schriftzeugnisses ging. 394 Vgl. die Verurteilung des Pelagius durch Papst Zosimus' Epistola tractoria 418 und das Konzil von Ephesus 431. Auch Erasmus nimmt von Pelagius Abstand, De libero arbitrio S. 81, 30 ff. 395 Thomas, Summa, 1, II q 114 a 4 Resp. : meritum vitae aeternae primo pertinet ad charitatem, ad alias autem virtutes secundario, secundum quod earum actus a charitate imperantur . . . etiam secundum quod ad rationem meriti requiritur, quod sit voluntarium, principaliter meritum charitati attribuitur. 392
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180 »qui est sufficiens causa vitae aeternae« 396 . Nur kraft der fides charitate formata ist es möglich, durch Barmherzigkeitswerke Sünden auszutilgen397. Nach Thomas fordert Dan. 4,24 also zunächst, daß man Christus nicht hindere, sondern durch die Wahrheit im Wort fides und durch die sakramentale Gnade die die fides formende Charitas empfange. Die Ausgangsposition des Christen auf dem Wege zur ewigen Seligkeit wird nach der römischen Lehre, so wie Luther sie richtig wiedergibt, dadurch geschaffen, daß in der Taufe die Erbsünde ausgetilgt wird, indem der Seele die Qualität der Gnade auf Grund der durch Christus geschehenen Versöhnung mitgeteilt wird 398 . Auf dieser innewohnenden Liebesqualität, die durch die sakramentale Gnade erneuert und vermehrt wird, gründet die Hoffnung auf ewige Seligkeit399. Nur wenn die Werke nach der Kraft und Würde der Gnade Gottes betrachtet werden und wenn man Gott als das eigentliche, die Werke wirkende Subjekt gelten läßt, sind diese merita de condigno, die Sünde tilgen und verdienstlich sind400. Durch die wahren Liebeswerke wird so die eingegossene Gnade vermehrt, während sie durch die venialen Werksünden vermindert und durch die peccata mortalia vernichtet wird 401 . Auf die verschieden abgewogenen Bestimmungen des Verhältnisses zwischen der Gnade und dem freien Willen bei den verschiedenen scholastischen Richtungen in bezug auf die Heiligung, die Werke und das Bestehen im Gericht geht Luther nicht näher ein. Der wesentliche Einwand Luthers gegen die scholastische Theologie überhaupt ist der, daß sie die Hoffnung der Seligkeit auf die, allerdings durch die Gnade gewirkte, uns innewohnende Gerechtigkeit und das liberatum arbitrium gründet. Besonders wichtig ist in unserem Zusammenhang Luthers Auseinandersetzung mit der Anschauung des Erasmus, die er in der Disputation de iustificatione, 1536, so wiedergibt: Erasmus unterscheidet zwischen Glauben und Werken so, daß der Glaube in diesem Leben anfangsweise die Sünde austilgt ; danach aber erlangen die Werke 398
Ebd. a 3 ad tert. Ebd. III 2 (Tertiae partis supplementum) q 89 a 6 Resp. : qui aedificant super fidei fundamentum . . . ita . . . quod nihil Christo praeponent, sed student peccata eleemosynis redimere . . . 398 Ebd. 1, II q 113 a 1 Resp.: iustificatio passive accepta importât motum ad iustitiam, sicut et calefactio motum ad calorem. Ebd. ad tert., vocatio refertur ad auxilium Dei interius moventis, et excitantis mentem ad deserendum peccatum, quae quidem motio Dei non est ipsa remissio peccati, sed causa eius. 399 Ebd. III q 79 a 5 ad primum: sacramentum baptismi directe ordinatur ad remissionem poenae, et culpae; . . . baptismus datur homini quasi commorienti Christo; Eucharistia autem quasi nutriendo, et perficiendo per Christum. Ebd. a 6 ad tert.: licet hoc sacramentum non directe ordinetur ad diminutionem fomitis, diminuii tarnen fomitem ex quadam consequentia, inquantum äuget charitatem . . . Directe autem confirmât cor hominis in bono, per quod etiam praeservatur homo a peccato. 400 Ebd. 1, II q 114 a 3 Resp. : si autem loquamur de opere meritorio, secundum quod procedit ex gratia Spiritus Sancti, sic est meritorium vitae aeternae ex condigno. Vgl. ebd. ad secundum. 401 Ebd. 1, II q 113 a 2 Resp. Effectus autem divinae dilectionis in nobis, qui per peccatum tollitur, est gratia, qua homo fit dignus vita aeterna, a qua peccatum mortale excludit. 397
181 als Verdienste das ewige Heil. Er unterscheidet also zwischen der Rechtfertigung, die durch den Glauben erlangt wird, und dem ewigen Heil, das durch Werke erreicht wird. Diese Vorstellung aber ist nach Luthers Urteil absurd, weil sie Christus als den Heiland ansieht nur in bezug auf den Beginn, nicht aber in Bezug auf die Vollendung (inchoative et non perfective). Man will uns besser als unseren Heiland machen, indem man den Werken zuteilt, was das größte ist, und Christus und dem Glauben, was das kleinste ist. Obwohl Christus uns die Vergebung der Sünden verdient, müssen wir uns also selbst das ewige Heil erringen (salvare). Wir bedürfen also Christi zu der Rechtfertigung als dem kleinsten Anliegen, danach aber unseres Gehorsams zum Heil als dem größten Anliegen. Luthers Haupteinwand gegen Erasmus' Fassung der Lehre von der doppelten Rechtfertigung (durch den Glauben und durch die Werke) geht dahin, daß sie Christus seiner Ehre beraube, da sie behaupte, er errette uns allein von der Erbsünde, während wir danach durch uns selbst vollkommen sein sollen402. — Ist nun dies Verständnis der Lehre des Erasmus richtig? In De libero arbitrio diatribe sagt Erasmus : »wir lassen uns mit denjenigen nicht ein, die behaupten, der Glaube sei vielmehr der Anfang unserer Seligkeit, als das Ende« 403 . »Das ganze Werk bleibt ein Werk Gottes, ohne den wir nichts ausrichten können; was der freie Wille dabei tut, ist etwas ganz Geringes«404. Sowohl der Anfang wie die Vollendung werden der Gnade allein zugeschrieben; der dazwischenliegende Fortgang geschieht durch eine cooperario zwischen der Gnade als der Hauptursache und dem durch die göttliche Gnade befreiten Willen405. Auch die cooperatio mit der Gnade ist also eine Gabe Gottes406. Die Bemerkung des Paulus l.Kor. 15,10: »non ego autem, sed gratia Dei mecum« soll jeden eigenen Ruhm ausschließen, nicht aber seine eigene Teilnahme am Werk verleugnen. Wenn wir uns selbst als unnütze Knechte beurteilen, rühmt Gott uns als treue Diener 407 . Die Gnade hilft also unserem Willen, daß wir vollbringen, was wir wollen408. Erasmus redet hier in Übereinstimmung mit Thomas, der von merita de condigno in bezug auf unsere Werke allein unter dem Gesichtspunkt redet, daß sie Wirkungen der göttlichen Gnade sind; zugleich werden dieselben Werke als merita de congruo betrachtet, insofern sie kraft des durch die Gnade befreiten Willens geschehen409. Erasmus und Thomas 402
WA 30 I 94, 2 ff. 15 ff. 21 ff. 28 ff (Disp. de iustif. 1536). De lib. arb. S. 81, 17 f. Ebd. 82, 10 f. 405 Ebd. 82, 27 ff; 83, 7 ff. 406 Ebd. 82, 11 ff. 407 Ebd. 72, 30 ff 408 Ebd. 75, 16 ff. 409 Thomas, Summa, 1, I l q 1 1 4 a 6 Resp. : opus nostrum habet rationem meriti ex duobus: primo quidem ex vi motionis divinae: et sie meretur aliquis ex condigno: alio modo habet rationem meriti, secundum quod procedit ex libero arbitrio, inquantum voluntarle aliquid facimus : et ex hac parte est meritum congrui ; quia congruum est, ut, dum homo bene utitur sua virtute, Deus secundum superexcellentem virtutem excellentius operetur. 403
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182 gemeinsam ist also, daß sie der Gnade zwar alles, dem durch die Gnade befreiten Willen aber dennoch einen kleinen Anteil bei der Erlangung des ewigen Heils zuschreiben. Der scharfe Einwand Luthers richtet sich nun dagegen, daß die Gnade und das liberatum arbitrium so verstanden werden, daß der Christ kraft der empfangenen Gaben imstande ist, von sich selbst her etwas für die Erlangung des ewigen Heils Notwendiges zu leisten 410 . Nun lehrt indessen auch Luther, die Mitwirkung unseres Willens bei den Werken sei notwendig 411 . Sein eigentlicher Einwand gegen Erasmus aber besteht darin, daß dieser die Werke des durch die Gnade befreiten Willens als zur Seligkeit notwendig ansieht, da er die Alleingeltung des durch den Glauben empfangenen Christus in loco iustificationis verleugnet. Dadurch sieht Luther das getroste Gewissen und die Heilsgewißheit verloren gehen. Die Zuversicht des Gläubigen ist Christus also nur insofern, als er Ursache aller Gnade und Werke ist; auf Christus allein, auf den Christus pro nobis crucifixus darf man jedoch nicht ausschließlich seine ganze Hoffnung setzen! Gegen diese Theologie richtet Luther seinen Angriff, um der Ehre Christi und der Seelen Seligkeit willen: Die Vergebung der Sünden ist kein vorübergehendes Werk, sondern immerwährendes Geschehen. Sie beginnt in der Taufe und begleitet uns bis zum Tode, j a bis wir vom Tode auferstehen, und führt uns in das ewige Leben. So leben wir immer unter der Vergebung der Sünden, indem Christus uns in Wahrheit ständig von unseren Sünden befreit 412 . Luther sieht in der scholastischen Theologie die Vorstellung von Christus als Richter beibehalten, während gleichzeitig Christus als unsere ewige Gerechtigkeit verleugnet wird; hierin findet er den Grund dafür, daß in dieser Theologie einerseits eine Abschwächung des Gerichtsernstes, andererseits die Hinzufügung neuer Trostgründe notwendig geworden sind. Statt in der Hilfe, die Gott durchs Evangelium von Christus als unserer 110 WA 39 ι 94, 15 ff. Concludit (Erasmus), se posse suis operibus mereri salutem aeternam, quasi per fidem iustificationem et per opera salutem consequeremur. i n W A 4 0 m 590, 13 f. (Enarratio Psalmi X C 1534—35 Ps. 90, 17) Ibi etiam nos operamur, sumus non solum passivi, sed etiam cooperativi. — Siehe besonders die Münchenerausg., Ergänzungsreihe I ( M . L . , Daß der freie Wille nichts sei) S. 309 ff. (Erläuterungen d. H . J . Iwand und Bruno Jordahn). 412 Von dieser Ansicht her ist die überspitzte Wiedergabe der Gedanken des Erasmus zu verstehen : »Erasmus . . . ita distinguit fidem et opera : Fides sola inchoat remissionem peccatorum, opera autem impétrant salutem« (WA 39 I 94, 2 ff.). Vgl. B. Lohse in Evangelisches Kirchenlexikon 1959 Bd. I I I S. 107: »Freilich hat Pelagius' Lehre trotz ihrer Verdammung immer wieder Einfluß ausgeübt, nicht zuletzt auf Erasmus«. H . Bornkamm beurteilt (Erasmus und Luther, L u J 1959 S. 14): »Erasmus hatte im Grunde nur eine Waffe : die Rechnung muß aufgehen, es muß ein vernünftiges Bild von Gott und dem Menschen herauskommen, in dem beiden Seiten ihr Recht wird: Ein Stück Freiheit und ein Stück Gnade, schwere Sünde und doch auch die Möglichkeit zu guten, wenn auch nicht vollkommenen Werken, eine Verantwortlichkeit, die Gottes Lohn und Strafe erwarten muß, viel menschliche Schwäche, aber doch auch die Möglichkeit, sich vor Gott Verdienste zu erwerben . . . E r hat nur der Gnade ein stärkeres Gewicht gegeben als früher; darin hat er etwas von der reformatorischen Theologie gelernt . . . Die ganze Tradition des abendländischen Rationalismus, die auch an den Synthesen der Scholastik mitgewirkt hatte, führte auf Erasmus hin und läuft von ihm her bis heute«.
183 Gerechtigkeit durch den Glauben uns gegeben hat, besteht die Hilfe der römischen Theologen teilweise darin, daß sie die Sünde und den Gerichtsernst abschwächen413. Zwar denken sie hoch von der gerechtmachenden Kraft der sakramentalen Gnade; indem sie aber die fomes peccati nach der Taufe nicht als wirkliche Sünde verstehen414, verleugnen sie die Alleingeltung Christi als unsere Gerechtigkeit vor Gott415. Da also die Größe der Sünde nicht erkannt und darum auch der Ernst des Gerichtes nicht recht eingesehen wird, ist es der römischen Kirche möglich, in loco iustificationis Christus als den Richter darzustellen, der den aus unseren Werken und Gottes Gnade sich ergebenden Tatbestand beurteilt. Weiterhin sieht Luther den vernichtenden Gerichtsernst abgeschwächt durch die Unterscheidung zwischen Geboten und Räten 416 , sowie durch die Betonung der innewohnenden Qualität der Gnade, der fides charitate formata bzw. des guten Willens, der an die Stelle der Werke treten kann417. Auf diese Weise wird ein abgewogenes Verhältnis zwischen Christus iustificator und Christus iudex erzielt, kraft dessen ein nicht allzu schwer angefochtenes Gewissen einen modus vivendi finden kann. Es ist indessen prinzipiell unmöglich, eine wirkliche Heilsgewißheit und ein getrostes Gewissen angesichts des Richters zu erlangen, solange das durch die lex in conscientia bestimmte Grundschema nicht grundsätzlich aufgelöst worden ist. Die Unruhe des nie befriedeten Gewissens treibt dazu, Menschengebote zu erlassen und die Heiligen als Fürbitter 413 WA 39 I 350, 8 ff. (3. Antin.disp. 1538) Poenitentia Papistarum . . . est de aliquo vel aliquibus peccatis actualibus dolere et satisfacere, postea esse securum de aliis peccatis seu originali peccato. 34 I 305, 16 ff. (Pred. 1531 Lk. 24, 36 ff.) Quis novit incredulitatem et impietatem cordis esse peccatum ? . . . Ergo crede hoc esse peccatum et te habere deum iudicem, qui te fulmine prosternet. . . Hoc Papistae non credunt, ergo non possunt contricionem accipere et non indigent consolacione. 306, 20 Ita si Carthusianus ec. non videt peccatum, non indiget Christo. Sed tum vere cor est contritum, ut nullum asilum habeat, das es muß fallen von allen trost und Zuversicht et econtra possit dicere: Hie ist eyttel Bunde. Hebe ich an eyn gut gedancken, gebet, wercke, ßo ists Bunde, nihil nisi peccatum et videt deum iudicem. Von dem donnerschlage hebt sich vera contricio. 411YVA 8, 57, 3 f. (Rat. Lat. confut. 1521) Peccatum post baptismum remanet. — Gegen diesen Satz hat Latomus Gregor angeführt (Z. 9 f.) : »Nihil ergo remanet de peccati sui contagione, quem totum mundum fatetur ipse qui redemit« (Also bleibt nichts von der Befleckung seiner Sünde bei dem, den der Erlöser selbst f ü r ganz rein erklärt). 39 I 346, 13 f. (1. Antinomerdisp. 1537) Originale vero post baptismum ne peccatum quidem esse cogitaverunt, praesertim in prima tabula. us WA β, 112, 18 ff. de fine concordamus, esse scilicet innoxium (post baptismum), sed nequaquam de causa ipsa. Nam ipsi naturae tribuunt, quod gratiae dei est . . . Deinde securos faciunt homines . . . Minuunt etiam mysterii Christi notitiam. I l l , 36 AT. Paulus mira diligentia quoties fidem Christi praedicat, sic praedicat, ut non tantum per ilium aut ab ilio sit iustitia, sed etiam in ilium. 416 WA 11, 148, 35 (Pred. 1523 Rörer Mt. 5, 20) Nostri theologi dixerunt: si haec praedicatio est vera, tum omnes sunt damnati, sed deus tarn immisericors non est . . . Dixerunt ergo non esse praeceptum, sed consilium pro perfectis. 32, 229, 27 — 300, 10 (Wochenpred. 1530—32 Mt. 5, 1). 417 WA 17 II 98, 28 (Fast.post. 1525 Rom. 13, 8 ff.) der Sophisten trewme, die von der liebe also reden, das sie von eynander scheyden die eusserliche werck und die ynnerliche gunst und sprechen, die liebe sey eyn ynnerliche gunst und habe den nehisten lieb, wenn sie yhm ynnerlich guts gönnet, die werck heyssen sie aber der liebe frucht . . . Das las faren.
184 bei Christus anzurufen; so sagt Luther: »Nos constituentes Christum iudicem quaesivimus matrem paracletam« 418 . Auch die Lehre vom Fegefeuer dient dem Ausgleich der Spannung zwischen Hoffnung und angesichts des Richters geängstetem Gewissen, eine Lehre, die wiederum durch Meßopfer, Heiligenverehrung und Ablaß abgeschwächt wird. Bei alledem geht es um die Gewissen, d. h. einerseits um ihren Trost, andererseits um ihrer Beherrschung durch Gesetz und Menschengebote 419 . Trotz aller Abschwächungen, Milderungen und Hilfsgedanken wird aber an der Grundforderung der Gesetzeserfüllung zum Bestehen vor Gott in loco iustificationis prinzipiell festgehalten. Ja, eben durch die die in der hl. Schrift bezeugten Wahrheiten transzendierenden Vorstellungen wird das durch die Wendungen lex in conscientia, conscientia in lege gekennzeichnete Grundverhältnis beibehalten und bestätigt420. Nun findet eben im Gewissen der Kampf zwischen Gott und Satan, zwischen Freiheit und Knechtschaft, zwischen Evangelium und Gesetz statt. Da Luther das theologische System der römischen Kirche so versteht, daß das Gewissen nicht vom Gesetz befreit werden kann, kommt er zu dem Urteil, daß die von der römischen Theologie belehrten Gewissen Christus nur als den Richter kennen. Demgemäß kennzeichnet er das Verhältnis zwischen der römischen Lehre und seiner eigenen durch den Gegensatz zwischen Christus iudex und Christus iustificator. Wie dennoch die Lehre vom Christus iustificator in der römischen Lehre eine grundlegende Rolle spielt, so auch in seiner eigenen die Vorstellung vom Christus iudex. Der Unterschied und der Gegensatz zwischen der römischen Kirchenlehre und der Theologie Martin Luthers bestehen also nicht einfach darin, daß die eine oder die andere gewisse Schriftstellen und biblische Begriffe übersehen oder beiseite geschoben hätten. Es geht vielmehr in beiden Lehren um die Interpretation der einzelnen Bibelstellen und um die Gesamtkonzeption der ganzen hl. Schrift. Ein sehr wesentlicher Unterschied kommt in den Lehren vom Jüngsten Gericht zum Vorschein. Die römische Theologie sieht das ganze Christenleben als eine Bewegung von der iustificatio impii her zur Anerkennung im Jüngsten Gericht hin, bei dem in loco iustificationis nach dem Tatbestand und den Werken gerichtet wird. Luther erkennt dieselbe Bewegung, und auch für ihn ist das Jüngste Gericht von furchtbarem Ernst. Da er aber die zeitlose Alleingeltung Christi und des Glaubens in loco iustificationis erkannt hat, kann er freimütig sein im Angesichte Gottes, die guten Werke im 118 WA 20, 637, 22 (1527 Rörer 1. Joh. 2, 2) vgl. 635, 15 ff. ; 42, 134, 29 ff. (1535—45 Gen. 3, 13); 51, 128, 12 ff. (Pred. 1546 Rörer Rom. 12, 3). 419 Bek. 420, 1 ff. (Fegefeuer); 416, 11 ff. (Meßopfer); 424, 10 ff. (Heiligenverehrung); 428, 12 ff. (Gehorsam gegen den Papst de necessitate salutis); 433, 9 f. conscientia ist bei ihn nichts. 420 E. Wolf, Peregrinatio S. 109: »Das Papsttum ist für Luther der 'Zusatz', das additamentum, der »Zusetzer«, der Leviathan, der durch seine gesetzlichen Zusätze zum Wort Gottes die Gewissen knechtet. Dem Reformator aber geht es um die Befreiung des Gewissens durch die Predigt des Evangeliums«.
185 Glaubensgemeinschaft mit Christus tun, sie den Menschen umsonst geben — und also als Glaubender auch in bezug auf das extra locum iustificationis stattfindende Gericht nach den Werken getrost sein. Zugleich bleibt aber auch bei Luther die Furcht : in bezug auf den locus iustificationis, daß der Glaube sich als nicht echt, nicht in Wahrheit auf Christus gerichtet entpuppen sollte, in bezug auf den locus iudicii operum, daß die Werke sich nicht als rechte, dienstbare Liebeswerke erweisen sollten. Auch die Möglichkeit besteht, daß jemandes Werke verworfen werden, der den Glauben bewahrt hat; in dem Falle wird das Gericht ein furchtbares Feuer sein. Trotz der Formel coram Deo — coram hominibus, die die Polarität der beiden Aspekte hervorheben soll, hat es der Christ als unteilbare Persönlichkeit, als Glaubender und als Wirkender mit Gott zu tun. Unter allen theologischen Analysen hat Luther nicht die einheitlichen, zusammenbindenden Aspekte aus dem Auge verloren. So wie er in seinen christologischen Analysen entschieden an der Einheit der Person Christi festgehalten hat, so auch an der unlösbaren Einheit von Glauben und Liebeswerken, Rechtfertigung und Gericht, indem der locus iustificationis und der locus iudicii operum unter einheitlichem Aspekt gesehen werden. Da aber in der lutherischen Kirche und Theologie der Aspekt des locus iudicii operum zweifellos zu kurz gekommen ist, ist es verständlich, daß Luther vorgeworfen wird, er habe nicht auf die ganze hl. Schrift gehört 421 . Es ist verständlich, daß die römische Theologie, die den Gerichtsernst bei weitem nicht so tief und schwer erkannt hat, Luthers leidenschaftliche Betonung der Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis als eine krankhafte Einseitigkeit ansieht, die in » pusillanimi tas« begründet ist 422. Wir meinen aber erwiesen zu haben, daß man bei Luther wesentliche Sachmomente des Schriftzeugnisses von Glauben, Werken und Gericht kaum vermissen wird, und werden unten zu prüfen versuchen, ob er die Schrift recht interpretiert hat. Zunächst werden wir aber kurz untersuchen, wie die beiden Lutherschen Hauptaspekte bei einigen seiner Nachfolger verstanden wurden.
V I I I . Locus iustificationis u n d locus iudicii o p e r u m bei einigen Nachfolgern Luthers Unter den Nachfolgern Luthers sind die oben ausgeführten Fragen in verschiedenen Verbindungen immer wieder behandelt worden. Auf irgendwelche Weise stehen die meisten von den unter den Lutheranern diskutierten Problemen im Zusammenhang mit den Fragen nach dem 421 Siehe z.B. J. Lortz, Die Reformation in Deutschland I, S. 162: »Das ist entscheidend : der sich so restlos gefangen geben wollte an Gottes Wort, ist doch nie im Vollsinn Hörer gewesen . . . Luther ist von der Wurzel her subjektivistisch angelegt«. Vgl. ebd. S. 190 f.; 399 f. 422 So auch Fr. Heiler, Luthers Bedeutung für die christliche Kirche S. 149.
186 Verhältnis zwischen Glauben und Werken in bezug auf den locus iustificationis. Das gilt z.B. auch von den Diskussionen über den ursprünglichen Heilsweg und über den tertius usus legis423. Bei Andreas Oslander (1498—1552) sind sehr wichtige Luthersche Gedanken gewahrt. Er hat erkannt, daß Glaube und Werke, Rechtfertigung als Sündenvergebung und Gerechtmachung, wie auch das beurteilende Gericht eigentlich in die Lehre von der Rechtfertigung durch Gott gehören424. Wie Luther sieht Oslander das ganze Christenleben im Lichte des gemäß der evangelischen Verheißung lebendig anwesenden und schaffenden Iustificator. Der Gedanke ist deshalb sehr naheliegend, alles, was zum theologischen Inhalt des Begriffes iustificatio gehört, gelte zugleich als heilsnotwendig im absoluten Gegenüber mit Gott. Indem Oslander diese Folgerung zieht, unterscheidet er sich aber von Luther, und die Grundlinie seiner Theologie wird prinzipiell dieselbe wie die römische : die iustificatio im Sinne der Sündenvergebung wird Grundlage und Vorstufe der Gerechtmachung, die die eigentliche iustificatio ist425 und uns zum Bestehen vor Gott qualifiziert: »dieselbigen werk, die also der heilig geist in uns wirkt, gelten allein vor gottes gericht und behalten uns im ewigen leben« 426 . Trotz des lebhaften Bewußtseins der bleibenden Sünde kann der Christ, meint Oslander, dennoch getrost sein, weil er, durch den Glauben mit Christus vereinigt, der göttlichen Natur bzw. des Heiligen Geistes teilhaftig ist. Die göttliche Gesinnung, die die Gerechtigkeit des Christen ist, ist sowohl schon empfangenes Glaubensgut als auch eschatologisches Hoffnungsgut 427 . Mit Recht sagt E. Hirsch zu WA 2,490,32—491,20, daß diese Lutherstelle »alle Gesichtspunkte enthält, unter die Oslander seine Rechtfertigungslehre überhaupt gestellt hat« 428 . Dennoch besteht zwischen Oslander und Luther der grundsätzliche Unterschied, daß Oslander im Gegensatz zu Luther behauptet, die reale Gerechtigkeit des Gerechtfertigten und das Gericht nach den Werken gehören in den absoluten locus iustificationis. Da Luther erkennt, daß das Gericht auf die während des Leibeslebens geschehenen Werke bezogen ist, die niemals makellos sind, 423
Siehe besonders L. Haikola, Gesetz und Evangelium . . . S. 3 f., ders., Usus legis S. 13 und W. Joest a.a.O. S. 45 ff. Zum ganzen Kapitel siehe außer verschiedenen dogmengeschichtlichen Darstellungen J. Seehawer, Zur Lehre vom Brauch des Gesetzes . . . und besonders Schlüsselburg, Catalogus haereticorum IV. 424 Vgl. die Untersuchungen durch W. F. Schmidt in seiner Ausgabe der hauptsächlich durch Oslander ausgearbeiteten »Die Fränkischen Bekenntnisse«, I S. 120 f. 125 Ebd. S. 148. 428 A. Oslander, Der erste Nürnberger ev. Ratschlag, siehe W. F. Schmidt II S. 421. 427 Schlüsselburg, Catal. Haeret. IV Liber sextus, S. 50: Lex postulat Dilectionem: Dilectio autem est Deus ipse. Ergo iusticia quam lex requirit, nihil aliud est, quam si lex diceret : Tu debes esse templum Dei, Deus debet in te vivere, esse iusticia et sanctificatio. — Vgl. Osiandri Thesen 24. Okt. 1550, Th. 31 (nach E. Hirsch, Die Theologie des A. Oslander S. 79) : »Reconciliari autem deo est Christo uniri, ex eo renasci, ilium in nobis et nos in ilio esse, per ilium vivere, eiusdemque in nobis inhabitantis iustitia iustos censeri«. Confessio Q.. 3 b (nach Hirsch a.a.O. S. 65 Anm. 49) : »propter iustitiam Christi quae in nobis est deus illud non vult observare«. 428 A.a.O. S. 55.
187 hilft ihm das Bewußtsein, Gott werde die Gerechtmachung vollenden, nicht zu einem guten Gewissen im absoluten Gegenüber mit Gott 429 . Für Luther wie für Melanchthon und die Gnesiolutheraner ist es klar, daß auch am Tage des Gerichts Christus als unsere »fremde« Gerechtigkeit gelten muß, wenn wir nicht verloren sein sollen430. Auch darin stimmt Melanchthon mit Luther überein, daß durch die Rechtfertigung im Glaubenden neues Leben geschaffen wird431, und daß organische Einheit von Rechtfertigung und Erneuerung besteht, deren Subjekt Christus ist432. Hirsch schießt also übers Ziel hinaus mit seinem Vorwurf, Melanchthon habe von vornherein darauf verzichtet, eine Einheit von Rechtfertigungs- und Erneuerungswillen in Gott nachzuweisen433. Ganz anders als bei Melanchthon ist aber bei Luther die ganze Anthropologie theologisch und christozentrisch bestimmt. Rechtfertigung und Dienst am Nächsten werden zusammengehalten durch den Christus praesens, der faktisch als direktes Subjekt der Werke dessen erfaßt wird, der im Glauben zum Dienst am Nächsten sich hingibt. Bei Melanchthon ist die entsprechende Lehre von den guten Werken mehr psychologisierend von der durch den Geist geschaffenen neuen Liebesgesinnung her orientiert. Die in der Wiedergeburt verliehene und durch das Evangelium ständig erneuerte Liebe wird gleichsam ein Mittelglied zwischen Rechtfertigung und Liebesdienst: durch das rechtfertigende Wort werden gutes Gewissen und neue geistige Kräfte gegeben, durch die die guten Werke geschehen434. Die lebendige, direkte Christusbezogenheit der Liebeswerke wird abgeschwächt, da der durch Christus erneuerte Mensch als relativ selbständig verstanden wird. Dadurch bekommt bei ihm das debet eine mehr zentrale Stellung als bei Luther 435 , und der tertius usus, der bei Luther u.E. zwar am Rande seiner Glaubensethik vorliegt, bekommt bei Melanchthon einen zentralen Platz in der Lehre von den guten Werken 436 . 429 Auch Oslander erkennt, daß »die gerechtfertigung hebt an im menschen, wann er anfähet zu glauben und wird vollendt, wann er gestorben ist« (Pred. über Rom. 6, 5—1, 1551 nach E. Hirsch a.a.O. S. 63). 430 Siehe bes. Bek. 190—191 (einschließl. S. 190 Anm. 2) und 782, 14 ff. 481 Bek. 186, 30 ff.; Corp.ref. 15, 859, 16 ff.; 895, 35 f. (III. Enarratio Rom.) verissimum est, in remissione peccatorum fieri renovationem. 869, 45 f. ; 860, 6 f. quae iusticia cum fide accipitur, simul fit vivificatio. Vgl. A Anm. 42. 60—62. 432 Corp.ref. 12, 434, 28 ff. (Prop. LXXXI) sumus iusti, id est, habentes remissionem peccatorum . . . propter mediatorem, . . . et simul habentes ipsum qui in nobis est efficax, et vivificat nos ad vitam aeternam. 433 Die Theologie des A. Osiander . . . S. 233. 434 Corp.ref. 28, 387, 4 (III. rep. Conf. Aug.). Vgl. 397, 5 ff. motus bonos, fidem, dilectionem dei, veram Invocationem, spem, castitatem et alias virtutes in cordibus âcccndit 436 Bek. 191, 31 f.; 197, 48 f.; 199, 1 f. (Apol.) bona opera sequi fidem debeant. Siehe ähnliche Aussagen bei Luther, WA 27, 302, 10 f. (Pred. 1538 Rörer Lk. 16, 1 ff.) ante omnia adsit fides, quae tarnen non debet manere sine operibus. 20, 704, 3 f. (1527 Rörer 1. Joh. 3, 7) oportet fructus fidei sequi spiritum sanctum. — Solche Lutherworte sind aber im Lichte der A Anm. 63 angeführten Stellen zu interpretieren. 436 Corp.ref. 21,406, 36 ff. (Loci, sec.) Tertium officium legis in his, qui sunt fide iusti, est, ut et doceat eos de bonis operibus, quaenam opera Deo placeant, et praecipiat certa opera, in quibus obedientiam erga Deum exerceant. — Aus dieser Stelle ist, wie
188 Auch der Luthersche Gerichtsgedanke ist bei Melanchthon abgeschwächt worden. Wie die Notwendigkeit der guten Werke nicht vornehmlich im Bedürfnis des Nächsten begründet wird437, wird auch das Jüngste Gericht im Sinne der ernsten Begegnung mit dem Nächsten angesichts des göttlichen Richters kaum erfaßt. Nur zweifach werden die guten Werke auf das Gericht bezogen, erstens sind ihnen zeitliche und, wenn im Glauben geschehen, ewige Belohnungen verheißen438, zweitens sind sie zur Bewahrung des Glaubens notwendig 439 . Letzterer Gedanke wird durch den Melanchthonschüler Georg Major weitergeführt und so formuliert: »bona opera sunt necessaria ad retinendam salutem« — als bewahrende Ursache zur Seligkeit440. Da diese These auf der Synode von Eisenach 1556 behandelt und verworfen wurde, rückte die Frage des Gerichts nach den Werken unter neuen Aspekten in den Vordergrund : Waren die guten Werke ursprünglich notwendig zum Behalten der Seligkeit? Gehörte im Urständ, um mit unseren Begriffen die Frage zu umschreiben, der locus iudicii operum in den locus iustificationis ? Die Hauptthese der Synode bejaht diese Frage : »bona opera sunt necessaria ad salutem in doctrina legis abstractive et de idea«. Die These, die als eine Einigungsformel zustande kam, besagt, daß der aus Gottes Gnade als vollkommen gerecht geschaffene Adam durch Gesetzesgehorsam die Seligkeit bewahren sollte. Er besaß Gott gegenüber Selbständigkeit in einer vom Gesetz bestimmten objektiven Ordnung, an die Gott und Menschen gebunden waren und die die Seligkeit von der vollkommenen Gesetzesleistung in juridischer Weise abhängig machte. Oslander, Philippisten und Gnesiolutheraner waren darin einig, die ursprüngliche Eiert (Eine theologische Fälschung . . . ) erwiesen hat, die den tertius usus bezeugende These der zweiten Antinomerdisputation Luthers (WA 39, 485, 22 ff.) nahezu wörtlich ausgeschrieben. 437 Corp.ref. 21, 435, 41 ff. (Loci, sec.) causas, quae nos ad benefaciendum accendere debent: necessitatem (quia mandatum dei, 432, 15; nec fides potest consistere cum mala conscientia, 432, 26 f.), dignitatem bonorum operum, praemia, exercitium fidei.—• Wohl am schärfsten wird der Abstand Melanchthons von Luther durch Bring (Das Verhältnis zwischen Glauben und Werken . . . S. 82; schwed. S. 119) betont: »durch den Gedanken an den Beistand des Geistes« werden »die egozentrisch gedachte Erlösung oder die moralistisch gedachten Werke potenziert«. Mehr vorsichtig urteilt G. Hammann (Nomismus und Antinomismus . . . S. 149 f.) : »Nur als Gefälle, als Bewegung auf das hin, was wir bei ihm selber vielleicht noch gar nicht in ganzer Endgültigkeit antreffen, dürfen wir diese Veränderung verstehen (das sei denen gegenüber gesagt, die Luther und Melanchthon in dogmatischer Weise auseinanderreißen wollen). U n d doch ist es durch ihn zu einer neuen, eigenständigen Theologie gekommen (das sei gegenüber denen gesagt, die zwischen beiden Männern harmonisieren möchten)«. Vgl. Maurer, Lex spiritualis bei Melanchthon bis 1521, Elert-Gedenkschrift S. 197. Meine Darstellung ist in diesem Abschnitt besonders durch Hägglund, De homine S. 385—387 geprägt. 438 Bek. 198, 12 ff. (Apol.); Corp.ref. 21, 433, 43 ff. (Loci, sec.); 15, 576 (II. Comm. in Rom.) phrasin 1 egis esse, reddet iuxta opera, id est, reddet iustis praemia, iniustis poenas. Sed qui sint iusti docet Evangelium, et quomodo opera placeant Deo. 439 Bek. 316, 12 ff.; Corp.ref. 21,432, 35 ff. diligentiam bene operandi in nobis acuere debent, ut beneficium Dei retineamus vgl. Z. 26 f. (oben Anm. 437). Ähnliche Sätze bei Luther, siehe A Anm. 45 u. 187. 440 Siehe Bek. S. 946 Anm. 5; dazu besonders L. Haikola, Gesetz und Evangelium . . . S. 334.
189 und prinzipielle Heilsbedingung sei das Bestehen vor Gott durch die im Gesetz gebotenen Werke441. Die Eisenacher-Formel stimmt zweifellos formal mit den vielen Lutherstellen überein, die unter einheitlichem Gesichtspunkt den Glauben und die Liebeswerke als Forderungen Gottes und Inhalt des Gesetzes bezeichnen. Zu kurz kommt aber der dominierende Gedanke Luthers, daß Gott immer, und auch in bezug auf den sündlosen Adam, den Glauben als die vor ihm eigentlich geltende Gerechtigkeit angesehen hat, und zugleich, daß die gebotenen Werke eigentlich immer nur indirekt in den locus iustificationis gehören und gehört haben. Mit Recht protestiert Poach gegen die Einbettung der Rechtfertigung als Gnaden- und Nachlaßakt in ein grundlegend vorgegebenes Rechtsschema. Das Evangelium ist nicht der Gesetzesordnung untergeordnet und löst sie nicht ab; es liegt auf einer anderen, höheren Ebene: »Salus vero, hoc est remissio peccatorum et iustificatio est quiddam extra legem et alienum a lege per Christum parta« 442 . Gemäß genuin Lutherschen Gedanken erkennt Poach zugleich, daß der Gläubige kraft des Heiligen Geistes den Willen Gottes nicht als geforderte Leistung, sondern spontan und frei verwirklicht. Dies Gottesverhältnis ist das ursprüngliche, das Gesetz ist sekundär und zwischeneingekommen443. An diese Gedanken anknüpfend kam es bei Anton Otho, Michael Neander und Andreas Musculus zur Bestreitung des tertius usus legis. Kraft seiner Willenseinheit mit Gott ist der Gläubige über das Gesetz erhaben. Ihm ist nach 1. Tim. 1,9, das Luther unermüdlich einprägte, kein Gesetz gegeben. Nur weil der Christ zugleich Sünder ist, ist das Gesetz in seinem 1. und 2. usus auch auf ihn bezogen444. — Wenn die Antinomer diese Folgerungen aus 1. Tim. 1,9 ziehen, befinden sie sich in prinzipiellem Einklang mit Luther. Mit Recht protestieren sie gegen die 441 Siehe L. Haikola, Usus legis S. 14 und W. Joest a.a.O. S. 49. Oslander formuliert (in »Bekenntnis«) : »Ich halte das des Menschen Gerechtigkeit vor dem Fall und jetzt und der Engeln sey ein volkömliche gehorsam gegen dem Gesetz und Willen Gottes« (Siehe Preger I S. 225 und L. Haikola, Gesetz u. Evangelium S. 84). In Flacius' Behauptung, in statu corruptionis schließen Glaubensgerechtigkeit und Gesetzesgerechtigkeit einander total aus, aber im Urstande herrsche kein solches Ausschließlichkeitsverhältnis (vgl. Haikola a.a.O. S. 79 f.), kann er sich mit einigem Recht auf Luther stützen, siehe oben Β V, Anm. 257—259. Die Bestimmung des Glaubens bei Flacius als zur ursprünglichen Gesetzesforderung gehörend, hat indessen wesentlich zum juristischen Gepräge der Orthodoxie beigetragen. Auf WA 40141 ff. hinweisend führt Haikola mit Recht gegen Flacius an, »der innere Mensch, das Gewissen, gehört dem Himmel an und hat es mit der Gerechtigkeit des Glaubens (iustitia passiva) zu tun, bei der man von aller Gesetzlichkeit absehen muß« (a.a.O. S. 85). 442 Schlüsselburg, Cat. haeret. IV Liber quartus S. 341 f. ; J. Seehawer a.a.O. S. 23, vgl. Joest a.a.O. S. 50. 443 Vgl. jedoch Luthers prinzipielle Bejahung der Rechtfertigung durch die Liebe in statu perfectionis, Β Anm. 257. 444 Schlüsselburg a.a.O. S. 64; Joest a.a.O. S. 50 f.; vgl. J. Mörlin, Disputationes tres pro tertio usu Legis contra fanaticos (2. disp. Th. 37; Schlüsselburg a.a.O. S. 74) : Qui dicit haec ad primum usum legis pertinere, ille dicit inter renatos et non renatos, inter paedagogiam vel externam obedientiam, et internos veros motus cordis, excitatos per spiritum sanctum, inter opera legis, et opera gratiae: deniq; inter veterem et novum, carnalem et spiritualem hominem nihil interesse.
190 Einbettung der Gerechtigkeit des Christen in ein vorgegebenes Rechtsu n d Gesetzesschema. Prägnant wird das berechtigte Anliegen der Antinomer durch L. Haikola in seiner Studie Usus legis (S. 152) ausgedrückt: »Luther war wirklich der Meinung, der neue Gehorsam des Christen überschreite alle von jeglicher objektiven Gesetzesordnung gezogenen Grenzen, sei n u n jene O r d n u n g menschlichen oder göttlichen Ursprungs. Gerade weil die christliche Liebe mehr hat und mehr tut, als irgendeine Gesetzesordnung fordert, ist es i h m ein Anliegen, das freie Recht der Liebe zum Zerbrechen gegebener und zum Aufstellen neuer Gesetzesordnungen zu betonen. Die 'Antinomisten' sind an diesem Punkte Luthers treue Nachfolger gewesen«. — Gegenüber einer verhärteten, die absolute Vorordnung des Glaubens u n d die souveräne Freiheit der Liebe zu unbeschränktem guten Handeln verleugnenden juristischen Gesetzesauffassung, müssen sie Recht behalten. Haikola sieht indessen auch in dem Gedanken eines tertius usus legis ein berechtigtes Interesse wahrgenommen: »Wenn m a n mit der Lehre vom usus tertius legis nur meint, daß die Ethik des Christen als eines neuen Menschen, sowohl in der Gesinnung wie im Handeln, viel mehr ist als das gewöhnliche ' bürgerliche' H a n d e l n im Amt u n d unter dem Zwang des Amtes, so steht diese Lehre in Übereinstimmung mit den Intentionen Luthers« (ebd.). I n der T a t kommt Haikola unserem Luther-Verständnis sehr nahe, wenn er, freilich unter Abweisung des tertius usus, das T u n des Glaubens als zum geistlichen Gebrauch des Gesetzes gehörend darstellt : in seinem geistlichen Gebrauch macht das Gesetz eine doppelte Bewegung, es »führt von der menschlichen Unvollkommenheit zu Christi Vollkommenheit u n d von Christi Vollkommenheit zurück zum Mangel u n d der Not des Nächsten. Bei beiden Bewegungen handelt es sich u m den gleichen geistlichen Gebrauch, der den Heiligen Geist u n d den Glauben zum Subjekt hat« 4 4 5 . — I n d e m die letzte Bewegung in Verbindung mit dem Gesetz gebracht wird, ist in Wirklichkeit das Gebot auch in eine positive Beziehung zum Christen als neuem Menschen gekommen. D a m i t ist das Schema der Antinomer gesprengt, die Übereinstimmung mit Luther aber beibehalten. D a d u r c h ist aber tatsächlich auch das wesentliche Interesse der Vertreter des tertius usus legis wahrgenommen. Der Unterschied zwischen Luther u n d den Antinomern liegt darin, d a ß diese alles, was Luther über die Freiheit vom Gesetz sagt, ohne weiteres auf die 10 Gebote als weisende Gottesworte beziehen, während Luther z.B. in bezug auf den sündlosen A d a m keinen Gegensatz findet zwischen seiner völligen Freiheit vom Gesetz u n d seiner Verpflichtung auf das weisende Gebot Gottes. Wir meinen die Anschauung Luthers so formulieren zu können : in bezug auf den Christen als neuen Menschen zeigen die 10 Gebote die überschwengliche Liebestätigkeit prinzipiell nachträglich an, während die Gebote in bezug auf den alten Menschen die Werke 446
L. Haikola, Usus legis S. 144.
191 prinzipiell im voraus anzeigen. Da aber die Gebote um des alten Menschen willen verkündigt werden, bevor die Werke getan sind, werden sie von dem Christen als neuem Menschen gehört, interpretiert und auf überschwengliche Weise verwirklicht, wobei der auswendige bzw. alte Mensch zum Gehorsam gezwungen wird. Es besteht für Luther nicht nur derselbe Unterschied, sondern auch dieselbe Identität zwischen lex literae und lex spiritus, zwischen den 10 Geboten im buchstäblichen Verständnis und christlich-spontaner Liebestätigkeit, wie zwischen evangelischem Wort und dem lebendigen Christus selbst. Der Einwand Mörlins gegen die Antinomer, sie machten den neuen Menschen zu einem Mystiker und Schwärmer, die ohne das Wort Gottes handelten, ist im Sinne Luthers berechtigt 446 . Ihm ist es wesentlich, daß der Christ gebotene Werke tun darf. Eben indem der Christ in wahrer christlichen Freiheit den Geboten gemäß wandelt und dem Nächsten dient, dabei die Gebote immer durch den Geist im Lichte des 1. Gebotes interpretierend, darf er wissen, daß er Gott gefällige Werke tut 447 . Das berechtigte Anliegen der Antinomer gegenüber den Orthodoxen darf indessen nicht übersehen werden. Die Orthodoxen standen in der Gefahr, das christliche Ethos zu verhärten, indem sie Werke regelten und den schuldigen Dienst übersehbar machten und rubrizierten 448 . Den Hauptaspekt Luthers haben die Antinomer klar gesehen: in loco fidei, wenn er mit und in Christus im Himmel lebt, ist der Christ unmittelbar mit Christus konform. Gegen die Antinomer muß aber gesagt werden, daß es dem Christen auch eine Freude und Stütze ist, in den Geboten Gottes die Werke bestätigt zu finden, die er unmittelbar tut. Eben der Christ, der selbst neue Dekaloge machen kann, findet in den Dekalogen des Neuen Testaments das weisende Wort Gottes, das nur im Geist recht verstanden werden kann. Die Gebote dürfen nicht zur Begrenzung der Liebestätigkeit führen, da sie auch als Weisungen nur exemplifizierende Zeugnisse der christlichen Liebestätigkeit sind, die keineswegs in einer Kartei erschöpfend verzeichnet werden kann. Die Einseitigkeiten sowohl der Orthodoxen als auch der Antinomisten hängen großenteils damit zusammen, daß sie die 10 Gebote nicht im Sinne Luthers verstanden haben. Hat man die Alleingeltung des Evangeliums und des Glaubens in loco iustificationis erkannt, so wird der Bezug der konkreten Gebote Gottes auf die Gläubigen in loco iudicii operum oft
446 Siehe die angeführten Quellen, Bek. 963 Anm. 1. Zur Frage siehe Haikola, Usus legis S. 79; Joest a.a.O. S. 52 Anm. 140. 447 Wie wir gesehen haben, meint Luther in den zehn Geboten der Katechismen das wahre und bleibende christliche Ethos darzustellen, indem die Gebote des mosaischen Dekalogs im Sinne des Neuen Testaments umgebildet und interpretiert worden sind als ein Organismus, der durch das 1. Gebot bestimmt ist. Daß die einzelnen Gebote unter Umständen der Liebe weichen müssen, meinen wir im Sinne Luthers erklärt zu haben durch den Vergleich mit dem Vorfahrtsrecht besonderer Kraftfahrzeuge, das keine prinzipielle Aufhebung der Verkehrsgesetze bedeutet. 448 Haikola a.a.O. S. 77.
192 übersehen449. Wenn man dagegen beide Seiten erkennt, wird leicht ihr Unterschied nivelliert. Wir haben gesehen, daß bei Luther ursprünglich und prinzipiell der Glaube allein in absolutem Sinn heilsnotwendig ist und daß die in den 10 Geboten befohlenen Werke sekundär und untergeordnet heilsnotwendig sind, als Zeichen der Gerechtigkeit. Weiter sind sie notwendig in bezug auf den Nächsten und also auf den locus iudicii operum. Luther will also weder wie die Orthodoxen Glaube und Liebe ursprünglich auf eine Stufe stellen in bezug auf den locus iustificationis, noch wie die Antinomer die 10 Gebote Gottes als bleibend geltende Weisungen nur auf die Christen als alte Menschen und auf die Ungläubigen beziehen. Überaus wichtig ist auch der Unterschied zwischen Luther und Flacius, der darin besteht, daß bei Flacius der Aspekt des locus iudicii operum tatsächlich zu kurz kommt. Zwar werden in Einklang mit Luther die guten Werke in ihrem Bezug auf den locus iustificationis als Zeichen des (eigenen) Glaubens gesehen. Der schicksalsschwere Mangel der Theologie des Flacius aber besteht darin, daß die Werke nicht wie bei Luther zugleich und zunächst abgesehen vom locus iustificationis, eben in loco (iudicii) operum als Liebesdienst am Nächsten, angesehen und beurteilt werden. Ein sehr wesentliches Moment der Lutherschen theologia crucis ist hier vernachlässigt worden. Statt durchs Evangelium sich selbst aus dem Blick verloren zu haben und auf den Nächsten gewiesen zu sein, eine Haltung, die durch die an das Gericht nach den Werken geknüpfte Verheißung bestätigt wird, werden die Werke bei Flacius ziemlich einseitig als anfechtende Zeichen des Noch-Sünder-Seins betrachtet. Dadurch hat Flacius, urteilt L. Haikola, »wirksam dazu beigetragen, daß das ständige Kreisen um das Ich, seine Anfechtungen und seine Tröstung, zum Kennzeichen der 'lutherischen' Frömmigkeit wurde . . . Wenn das Hauptinteresse in der Ethik des neuen Menschen, wie Flacius sie beschreibt, darauf ausgeht, getröstete Affekten zu erwerben, dann bleibt nicht viel Zeit für die Beschäftigung, deren Richtpunkt der Nächste ist. Der Nächste ist ein sehr unwesentlicher Begriff in der Ethik des Flacius«450. Diese Kritik trifft nicht ohne weiteres das Frömmigkeitsleben des Luthertums, das ja die tätige Nächstenliebe den 10 Geboten gemäß stark betont und dessen Be416 Ein kaum zu übertreffendes Beispiel bietet die schon mehrmals zitierte Dissertation des A. Siirala, Gottes Gebot . . . Nach Siirala gehört der Aspekt der 10 Gebote als konkreter Weisungen nicht zum göttlichen Charakter der Gebote. Tatsächlich ist seine Anschauung, daß die Gebote allein in loco iustificationis als Worte Gottes reden, nämlich im Sinne des usus elenchticus, während sie, insofern sie konkrete Weisungen geben, als relative Menschengebote zu verstehen sind. Es ist verständlich, daß solche Konsequenzen aus der Lutherschen Relationsbestimmung des Gesetzes und der Werke extra locum iustificationis bzw. coram hominibus gezogen werden. Vgl. auch die Kritik R. Brings gegen De liberiate Christiana (in: Das Verhältnis zwischen Glauben und Werken . . . S. 161—164; schwed. S. 245—250), daß Luther nicht zwischen iustitia actualis und iustitia civilis unterscheidet. Dieselbe Kritik möchte Bring gegen die Katechismen gerichtet haben. In Wirklichkeit kennt Luther keinen prinzipiellen Unterschied zwischen spontaner iustitia actualis und den recht verstandenen Weisungen der 10 Gebote G o t t e s . 450 Gesetz u. Evangelium . . . S. 336.
193 rufsethik eben auf den Nächsten hin orientiert geblieben ist. Selbstverständlich liegt in den Bekenntnisschriften die Betonung auf der Unterscheidung zwischen dem locus iustificationis und dem locus oper u m ; auch der Aspekt des locus iudicii operum ist in der Lehre von dem ewigen Lohn der Glaubenswerke behalten (Bek. 230,4f.; 950,23f.). Gemäß der zeitlosen Geltung der Rechtfertigung durch den Glauben und der Verheißung der Glaubensfrüchte, sind auf diese Weise die Werke der Gläubigen auf den mit dem Nächsten sich identifizierenden Christus den Richter bezogen. Wegen Christi darf der Christ die begangenen Sünden vergessen und dem Gericht entgegengehen in der Hoffnung, er werde von jetzt an dem Nächsten nützlich sein. J a , eine frohe Begegnung mit dem Nächsten am Tage des Gerichts kann nach Luther allein derjenige erwarten, dessen Gewissen heute durch den Christus iustificator und seine Verheißung beherrscht wird. Grauenhaft kann aber der Jüngste Tag werden, wenn heute statt des Wortes von Christus, seiner iustitia aliena und der Kraft seines Geistes, der Gedanke an den Gerichtszorn über die vergangenen Sünden im Gewissen herrscht und die tätige Liebe lähmt und verdrängt. I n den Formeln der genannten Bekenntnisschriften sind also den Intentionen Luthers Ausdruck gegeben, und es fragt sich, ob nicht in der evangelischen Kirche eine noch frohere Heilsgewißheit sich erhalten hätte, noch mehr selbstloser Dienst hätte geleistet und auch viel Verwirrung hätte vermieden werden können, wenn der Glaube und die Werke immer geübt wären gemäß der Lutherschen Betonung des Glaubens in loco iustificationis und der Werke in loco iudicii operum und zugleich der persönlich-dynamischen Einheit, die in Christus und in uns zwischen diesen Aspekten besteht 451 .
451 Über das durchgehend geringe Interesse für diese Probleme in der lutherischen Theologie des 19. Jahrhunderts siehe R. C. Schultz, Gesetz und Evangelium in der lutherischen Theologie des 19. Jahrhunderts.
7
G. L O C U S
IUSTIFICATIONIS
UND HL.
LOCUS
IUDICII
OPERUM
IN
DER
SCHRIFT
I. Das Gericht nach den Werken im Neuen Testament Das gesamte Neue Testament bezeugt, daß allen Menschen ein Gericht bevorsteht, in dem Gott ohne Ansehen der Person nach den Werken richten wird 1 . Bei Paulus sind besonders klar die Stellen 2. Kor. 5,10; Rom. 14,10; Gal. 6,7—9; Kol. 3,25; Eph. 6,8; l . K o r . 4 , 4 f . ; 3,15. Ebenso Joh. 5,29; Offb. 20,12; 22,12; vgl. 1. Joh. 3,7; 4,17. Bei den Synoptikern werden dem, der im Endgericht bestehen will, die Werke geboten; so in der Bergpredigt Mt. 5,22. 26. 29f.; 7, lf. 21—23. 24—27, in der Jüngerrede Mt. 16,27, in den Gleichnissen vom Himmelreich und von der Wiederkunft Mt. 13,24—30.47—50; 25,1—13.14—30, und besonders eindringlich 25,31—46. Uber Knechte erfolgt das Gericht nach ihren Dienst, Mt. 24,45—51. In Mt. 10,32 f. wird das öffentliche Bekenntnis zu Jesus als Heilsbedingung gefordert; die Verleugnung vor den Menschen ist Ursache der Verdammnis, vgl. auch Mt. 25,14—30. Auch den werkgerechten Schriftgelehrten wird das Gericht nach den Werken verkündigt, Mk. 12,40. Jesus hat keineswegs den Lohngedanken abgewiesen mit seinen Worten Mt. 20,16: Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten, vgl. 19,30. Vielmehr wird eben in diesem Textzusammenhang von Jesus die Berechtigung der Frage des Petrus nach dem Lohn anerkannt, 19,27 if. Ein Anrecht auf Lohn hat in der Nachfolge Jesu der Jünger freilich nicht; auch wenn er alles getan hat, was ihm befohlen ist, soll er sich als unnützen Knecht betrachten (Lk. 17,10). Dennoch soll der treue Diener wissen, daß im Himmel für die Arbeit Lohn bereit ist; zugleich soll er sich aber daran erinnern, daß durch selbstische Lohnsucht alles verloren werden kann. Jesus ist der Herr des Lebens, der Anteil an seinem Leben gewährt und die ewige Herrlichkeit verspricht. Niemals hat er zu blindem Gehorsam ohne Aussichten für die Zukunft aufgefordert. Wenn auch seine Nachfolge den Verlust des leiblichen Lebens bedeuten kann, wird der Jünger 1
Außer den Wörterbüchern und Kommentaren weise ich besonders auf die sorgfältige Untersuchung W. Joests, Gesetz und Freiheit S. 155 ff. hin, und ebenso auf den Aufsatz H. Graffmanns, Das Gericht nach den Werken im Matthäusevangelium, durch den in diesem Kapitel meine Darstellung stark geprägt ist.
196 doch das ewige Leben behalten und eine vielfältige Vergeltung erfahren (Mt. 10,39fr.; 16,25ίΤ.; 5,12; 19,29). Wer über Wenigem getreu gewesen ist, wird über Vieles gesetzt (Mt. 24,46f.; 25,21—23). Wer einem der Repräsentanten Jesu einen Dienst tut, erhält Anteil a m Lohne dessen, dem er geholfen hat (Mt. 10,40—42). Ü b e r h a u p t segnet und lohnt Gott nach seiner ihm eigenen Güte und Gerechtigkeit über alle Erwartungen. An diesen L o h n darf der J ü n g e r denken, wenn er »die Last des Tages u n d die Hitze« trägt (Mt. 20,12). U n t e r mühseliger Arbeit, unter Leiden u n d Verfolgung soll er seine Hoffnung auf den H e r r n setzen u n d auf die Vergeltung, die Gott versprochen hat. Luther hat zweifellos den Lohngedanken der Evangelien recht verstanden, wenn er 1530 in De loco iustificationis schreibt, durch die zugesprochenen Verheißungen der zukünftigen Belohnungen solle der Mensch auf die Zukunft hin gebildet werden (ad f u t u r a erudiri oportet) 2 . Zuversichtlich auf die ewige Vergelt u n g in der Herrlichkeit ausgerichtet, sollen die J ü n g e r Jesu ihrem Nächsten dienen, ohne in selbstische Lohnsucht zu geraten. Selbstisches Verhalten hat keine Verheißung. »Das Begehren des göttlichen Lohnes ist d a r u m noch längst nicht etwa nur Verfeinerung der Selbstsucht, die auf klügerer Berechnung ruht als das Beifallsuchen bei den Menschen. Es ist im Gegenteil Verzicht auf alle Berechnung, reines Vertrauen auf Gott, das alle handgreifliche Sicherheit preisgibt u n d an den unsichtbaren Gott glaubt. Es handelt sich hier also u m eine Klugheit, die mit .dem, was wir sonst Klugheit nennen, nicht viel mehr als den N a m e n gemein hat« 3 . Wer im Dienst versagt, riskiert nicht nur den Verlust des Lohnes; es geht ihm ans L e b e n : Der Baum, der keine guten Früchte bringt, verfällt der Axt (Mt. 3,1—12 vgl. 21,18f.). Wer unbarmherzig richtet, wird selbst gerichtet; wer verleugnet, wird wiederum verleugnet; wer nicht vergibt, erlangt keine Vergebung (Mt. 7,lf.; 10,33; 6,15; 18,35). I n bezug auf das Verhältnis zwischen Glaube u n d Werken im Matthäusevangelium formuliert H . G r a f f m a n n : »Der Glaube ist nicht nur die Wurzel jedes guten Werkes, sondern Werke sind zugleich auch seine Probe u n d Bewährung, seine 'Nachbedingung', könnte m a n im Gegensatz zu ' Vorbedingung' sagen« 4 . Wegen ihrer Mißverständlichkeit sollte m a n jedoch die Bezeichnung »Nachbedingung« vermeiden, obwohl nicht n u r nach den Synoptikern, sondern auch nach J o h a n n e s u n d Paulus im Endgericht die Werke beurteilt werden sollen (Joh. 5,29; 2. Kor. 5,10). Wie Jakobus kämpft auch Paulus gegen das Mißverständnis, die Rechtfertigung durch den Glauben bedeute die völlige A u f h e b u n g des Gerichts nach den Werken. Nach R o m . 2,15f. ist dieses Gericht wesentlicher Bestandteil der paulinischen Predigt, u n d Stellen wie 2. Kor. 5,9f. 2 Siehe Β VI 1 (Anm. 275). Das Zitat folgt dieser Unterscheidung: Aliud ergo est Operibus iustificari et salvum fieri generaliter (et) Operibus praemia contingere specialiter. 3 Graffmann a.a.O. S. 129. 4 Ebd. S. 132. Vgl. Joest a.a.O. S. 242 und 229 und seine wertvollen Bemerkungen zu Graffmann, Anm. 38 und 45 (S. 229 f.).
197 und 1. Kor. 9,16—27 bezeugen, daß auch Paulus die Furcht angesichts des göttlichen Gerichts nach den Werken gekannt hat und ihm die Möglichkeit einer Verdammung des Menschen aufgrund der Untreue im Dienst bewußt war. Der Jakobusbrief empfängt seine wesentliche Prägung vom Gedanken an unsere Begegnung mit Gott im zukünftigen Gericht nach den Werken5. Dieser Aspekt beherrscht den Gedankengang und bestimmt den Gebrauch und die Bedeutung der Begriffe. Die Adressaten des Briefes sind getaufte Christen (2,7), die als das wahre Israel bezeichnet werden (1,1). Aus 2,19 darf man kaum folgern, daß sie nur einen toten assensus-Glauben hatten. Durch das Wort der Wahrheit gezeugt (1,18), sind sie vielmehr gläubige Kinder Gottes (1,3)®. Sie stehen aber in großer Gefahr, da sie die Notwendigkeit der guten Werke nicht erkennen, nicht mit Ernst gegen alle Sünden kämpfen und nicht in der Liebe dem Nächsten dienen (2, Iff.). In eindringlicher Auseinandersetzung mit denjenigen, die allein von der Gerechtigkeit durch den Glauben wissen wollen, wird sehr entschieden die Notwendigkeit der Liebeswerke behauptet, sowohl im Blick auf den Jüngsten Tag als auch auf das existenzielle Gericht durch Gottes Wort in der Zeit (1,4.12.22—27; 2,12—14.21,24f. u.s.w.). Δικαιωθήνοα ες έργων (2,21) bedeutet gerecht befunden werden durch die Werke, die Gott prüfen und nach denen er urteilen wird; σώζειν (2,14) bezieht sich auf die Erlangung des ewigen Heils im Gericht, in dem nach den Werken gefragt wird (2,13)7. Die dem Urteil zugrundeliegenden Maßstäbe sind das die Liebe und die Werke fordernde Gesetz bzw. das mit dem Liebesgebot identische Gesetz der Freiheit (2,8—14 vgl. 1,25). Der Herr, der dies Gesetz gegeben hat und danach richten wird (4,12), steht schon vor der Tür (5,8f.). Das ganze neue Testament bezeugt also, daß auch den Gläubigen ein Gericht bevorsteht, in dem nach den Werken gefragt wird. Jakobus, der besonders von diesem Gericht her argumentiert, behauptet, der Glaube werde durch die Werke erst vollkommen (2,22). Unter diesem Aspekt wird die Rechtfertigung durch Werke als das Ziel der Rechtfertigung durch den Glauben bestimmt (2,23)8. Jakobus betrachtet das Christenleben von der Gerechtmachung her und auf das Gericht hin und stellt deshalb zutreffend die Rechtfertigung durch den Glauben als eine »anfängliche« Rechtfertigung und ein »Vorspiel« dar 9 , das die geforderten Werke ermöglicht und schafft, sie jedoch nicht ohne das bewußte 5 A. Schlatter, Der Brief des Jakobus, 1932 S. 37: »Deutlich zeigt der Brief, daß ihre Eschatologie das ihren Willen formende Motiv gewesen ist«. 6 So A. Schlatter, ihm folgend M. Lackmann, Sola fide S. 19 Anm. 1 ; anders Joest a.a.O. S. 164. ' Treffend formuliert A. Schlatter a.a.O. S. 185 : »Nicht der Glaube rühmt sich gegen das Gericht, sondern die Barmherzigkeit«. 8 Von der Unmöglichkeit des Gerichts nach dem Glauben allein, siehe E. Hirsch, Schöpfung und Sünde . . . S. 111. 9 Godet zu Rom. 2, 13 und Zahn zu Gal. 5, 5, vgl. Joest a.a.O. S. 173. Zur Rechtfertigungslehre des Jakobus siehe unten C II.
198 Handeln des Christen hervorbringt. Diesen Aspekt haben wir auch bei Paulus gefunden. Auch er leistet selbst und fordert von seinen Gemeinden verantwortungsvolle Arbeit; auch er kennt die Furcht vor dem Herrn angesichts des Gerichts nach den Werken (Phil. 2,12f.; 2. Kor. 5,10f.). Daß die Werke im Gericht anerkannt werden, ist ihm weder eine unausweichbar eintretende Folge des rechtfertigenden Glaubens noch eine bloß hypothetische Möglichkeit. Im Blick auf seine im Gericht Gottes zu prüfende Wirksamkeit kennt Paulus sowohl die tiefe Furcht als auch das gute Gewissen. Und indem er seine Werke nach dem Nutzen für den Nächsten und im Lichte der Gnade Christi betrachtet, sieht er dem Urteil Gottes zuversichtlich entgegen. Er ist in die Liebe Christi eingeschlossen und weiß sich in der Gewalt dieser Liebe 10 , ohne ständig auf sein inneres Leben zu blicken und seine eigenen Kräfte zu messen (2. Kor. 12,9; Rom. 7,4; 2. Kor. 5,14). Er läßt das Sein in Christus seine Wirksamkeit bestimmen und vergibt deshalb den Feinden, verkündigt das Wort, dient und hilft den Menschen unter Undank und Verfolgung (1. Kor. 4,11 ff.; 2. Kor. 11,23if.). In diesem Dienst ist er sich keiner Untreue bewußt (1. Kor. 4,4 vgl. 15,10; 2. Kor. 1,12—14; 2. Tim. 4,7 ff.). Indem er freilich seine Unzulänglichkeit zum Richten erkennt, rechnet er zuversichtlich damit, daß der göttliche Richter seine Werke anerkennen werde 11 . Paulus ist deshalb auf Christus und den Nächsten ausgerichtet, weil er in das Gnadenreich Christi gehört. Vom verdammenden Gesetz befreit, lebt er weder in falschem Selbstvertrauen noch in der Verzweiflung, weil er nicht mehr auf eigene Möglichkeiten angewiesen und beschränkt ist (Rom. 7,4; Gal. 2,19). Er lebt und dient in und mit Christus, j a , Christus lebt in ihm durch den Glauben und dient durch ihn (Phil. 4,13; Gal. 2,20). Darum ist die Freimütigkeit angesichts des Gerichts, die wir bei Luther konstatiert haben, bei Paulus besonders klar ausgesprochen. Der treue Diener hat ein gutes Gewissen in bezug auf seine Werke und im Blick auf das Jüngste Gericht. Unter diesem Aspekt ist der Lobpreis auf Christus, nicht die Selbstanklage berechtigt, da alles — außer Christus und dem Nächsten — aus seinem Blickfeld verschwindet 12 . Indem Paulus als Wirkender dem Gericht entgegen geht, setzt er dennoch sein Vertrauen auf den für ihn gekreuzigten Herrn und ist allein unter Christi Gnade mit seinen Werken zuversichtlich (2. Kor. 5,10—21 vgl. Rom. 8,1 ff.; 33ff.; Gal. 2,20f.). Die Anerkennung der P. Althaus, Paulus und Luther über den Menschen S. 86. Vgl. Luthers Umschreibung von 2. Kor. 1, 14 in »Etliche schöne Predigten«, W A 36, 449, 6 ff. : Ir seid mein rhum, freude in die Iudicii, da wil ich euch fur stellen, ut dicatis : vos praedicavistis mihi Euangelium mit aller trew. — Gleichfalls bezieht Luther (ebd. 450, 1 ff.) die Wendung 1. Kor. 4, 4, »ich bin mir nichts bewußt« auf die richterliche Beurteilung der Werke am Jüngsten T a g . Nachdem er gesagt hat, er werde nicht vor Gott auf sine Werke pochen, sondern vor den Menschen, fährt er fort, »et tarnen coram deo, ut in die iudicii« — wenn nicht in loco iustificationis, so doch also in loco iudicii operum! 12 Vgl. R . Bring, Förh. meli, tro och gärningar . . . S. 21 (dt. S. 27); siehe oben A Anm. 49. 10
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199 Werke am Jüngsten Tag geschieht so wie der ganze Liebesdienst der Christen im Lichte des Kreuzes Christi. Der Lauf des Apostels ist nicht der eines Sündlosen, sondern eines, der von den Abgründen der eigenen Existenz (Rom. 8,7; Gal. 5,17; Rom. 7,14ff. 13 ) und des Gerichtszorns der göttlichen Liebe (2. Kor. 5,10f.) weiß, dem aber durch diese Liebe vergeben ist und der, ihrer durch den Glauben teilhaftig, den Menschen so dient, daß er von keinen Berufsversäumnissen weiß (2. Kor. 5,14; 13 Aufgrund der zuversichtlichen Aussagen des Paulus über seinen Dienst bezieht P. Althaus (a.a.O. S. 87) Rom. 7, 14 ff. prinzipiell auf den noch nicht gerechtfertigten und meint, Paulus habe die »Begierden« als solche noch nicht f ü r Sünde angesehen : »'Sünden' aber sind erst die offenkundigen Rückfälle in die 'Werke des Fleisches', wie Paulus sie aufzählt. Von hier aus verstehen wir, daß Paulus das Christenleben zuversichtlich ansieht und gewiß ist, daß es vollkommen und unsträflich f ü r den Tag Jesu Christi werden kann«. A. Nygren (Pauli brev till romarna S. 290 ff; dt. S. 208 ff.) führt f ü r die augustinisch-lutherische Auffassung von Rom. 7, 14—25 an, 1. die Praesenzform (gegen die Meinung, die Althaus ohne Begründung behauptet, daß Paulus dennoch deutlich von etwas Vergangenem redet), 2. die Ubereinstimmung des Menschen mit dem geistigen Gesetz, die Paulus sonst (was auch Althaus und W. Kümmel zugestehen) nie auf den natürlichen Menschen bezieht, 3. Paulus rede nicht hier im allgemeinen vom Menschen im Widerspruch (so Althaus), sondern vom Menschen, der wirklich das Gute will, dem es aber nicht gelingt. — Für dieselbe Grundauffassung von Rom. 7, 14—25 führt O. Moe (Apostelen Paulus's brev til romerne, Oslo 1932 S. 292 f.) letztlich die Parallele 1. Johs. 1—2 und 3—5 an: »Zunächst warnt nämlich Johannes gegen den Irrtum, daß die Gläubigen nicht Sünde haben noch Sünde begehen (1,7 — 2, 2), und demnächst behauptet er ebenso bestimmt, daß der Wiedergeborene nicht Sünde tut noch sündigen kann (3, 9; 5, 18). Allein auf dem Hintergrund der ersten Aussagereihe ist die letzte gegen das Mißverständnis der Sündlosigkeit gesichert. So auch in Rom. 7 und 8, wo Kap. 7 1. J o h . 1—2, und Kap. 8 1. Joh. 3—5 entsprechen«. Indem Rom. 7, 14 ff. als »das Selbstbekenntnis des christlichen Apostels« verstanden wird, »wird es deutlich, daß er den Pharisäismus in jeder Form überwunden hat, nicht nur den jüdischen, sondern auch den christlichen« (übers.). Vgl. Olaf Moe, Zur Frage der sittlichen Selbstbeurteilung des Apostels Paulus, ZSTh 1940, S. 484. — U. E. ist die im Leben des Christen herrschende Spannung nicht nur diejenige »zwischen Willen und Tat, zwischen Willen und Ausführung« (Nygren a.a.O. S. 214 vgl. Althaus' Kritik T h L Z 1952, Sp. 478), sondern vielmehr auch die, wie Luther es sieht, zwischen »inwendigem Menschen« und »auswendigem Menschen« — einschließlich z. B. der Spannung zwischen evangelischer Spontaneität und fleischlicher Gesetzlichkeit. Vgl. Luthers Randglossen zu Rom. 7, 15—20, WADB 7, 51 (1522/1546): »Thun heisset hie nicht das werck volnbringen, sondern die lüste fülen, das sie sich regen. Volnbringen aber ist, on lust leben, gantz rein, das geschieht nicht in diesem Leben«. »Inwendiger mensch, heisst hie der geist aus gnaden geboren, welcher in den Heiligen streitet wider den eusserlichen, das ist, vernunfft, sinn und alles was natur am Menschen ist«. —- Rom. 7 begründet, daß jeder Mensch, um Gott Frucht bringen zu können, dem Gesetz gestorben sein muß (V. 4) ; ja, daß jeder Christ, weil in ihm die Sünde noch wirksam ist, völlig auf Christus angewiesen ist (V. 23 ff). Gerade dann, wenn Paulus von der Befreiung von der Sünde und dem sieghaften Leben im Geist redet (Rom. 6 und 8) hält er es f ü r notwendig zu präzisieren, daß weder der natürliche Mensch noch der Wiedergeborene aus sich selbst leben können (Rom. 7, 5 ff. 14 ff). Das Leben und Wirken ist vielmehr nur möglich in der Glaubensgemeinschaft mit Christus, die einem die dauernde Befreiung vom Gesetz gewährt und also von der Gewissensverpflichtung zum Leben aus eigener Kraft entbindet. Im Dienst am Nächsten vor den göttlichen Richter gestellt, geht also Paulus in Rom. 7—8 so wie in 2. Kor. 5, 10—25 zunächst den Gang zum Kreuz Christi; mit ihm gekreuzigt und auferstanden, geht er, dem Nächsten dienend, dem Gericht zuversichtlich entgegen. Rom. 7 ist also kaum als eine Parenthese zu verstehen, die »die längst erwartete und vorbereitete Antwort auf die Frage« gibt: »Welchen Dienst tut das Gesetz?« (O. Michel, Der Brief an die Römer, Gött. 1955. S. 152 Anm. 5). Rom. 7 gibt vielmehr die notwendige Begründing f ü r das völlige Angewiesensein des Christen auf den lebendigen Herrn, vgl. V. 1—4.
200 1. Kor. 4,4). So lebt und dient der Christ, der im Geist wandelt, d.h., der in seinem Sein vor Gott und in seinem Wirken unter den Menschen seine Zuversicht auf Christus selbst setzt, der durch den Glauben kräftig wirksam ist (Rom. 8,1 ff.; Gal. 2,19f. Kol. 1,29) 14 .
II. Die Rechtfertigung durch den Glauben Es ist sehr bedeutungsvoll, daß der ganze Abschnitt Rom. 6,1 bis 8,30, der den Sieg des Christen über die Sünde und ihre Folgen behandelt, vom Gedanken der Rechtfertigung durch den Glauben umgeben ist, 3,21— 5,21 und 8,31—39. Nicht nur zum Beginn des Christenstandes, sondern prinzipiell und überhaupt ist die Rechtfertigung, wie die Beispiele Abrahams und Davids Rom. 4 zeigen, iustificatio impii. Auch der in Christus durch den Geist siegreiche Christ wird letztlich auf den göttlichen iustificator gewiesen, auf den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, der uns bei Gott vertritt, 8,33f. Im Neuen Testament bezeichnet die Rechtfertigung durch den Glauben die Gerichtshandlung Gottes, durch die er den Sünder gerecht erklärt (Rom. 3,21 ff. ; 4,1 ff. ; Gal. 2,16; 3,1 ff.) und ihn dadurch zugleich anfangsweise gerecht macht (Rom. 5,5; Gal. 4,6 vgl. Rom. 4,17) 1 5 . Im Begriff des durch Christus geschenkten Lebens sind diese beiden Aspekte verbunden (Kol. 2,13; Eph. 2,5; passim.) Die Rechtfertigung aus Glauben ist im Gegensatz zum gerechten Gericht im gewöhnlichen Sinne immer Gerechterklärung des Ungerechten (Rom. 4,5) und kann deshalb keinesfalls als analytisches Urteil bezeichnet werden: »die Verwendung des Rechtsbegriffs soll einzig herausstellen, daß Gott keine wahllos14 Vgl. Joest, Paulus und das Luthersche Simul . . . S. 282 : »Die πίστις ist πίστις ΊησοΟ Χρίστου, d.h. nicht der Glaube als Haltung oder Akt'an sich', sondern der auferstandene Christus ist es, der der christlichen Existenz Kontinuitäts- und Seinscharakter gibt, sie'bleiben' und'wachsen' läßt«. — Die Lage des in Rom. 7, 14 ff. redenden Menschen versteht Joest so (a.a.O. S. 291) : »das dort redende Ich ist undialektisch in der Gewalt der Sünde, sein dem Gesetz zustimmender νους ist zu ohnmächtiger Gefangenschaft verurteilt«. Da Joest bei Paulus nur eine praktische und nie eine dogmatische Formulierung des simul iustus et peccator findet und Rom. 7, 14 ff. als Kampfaussagen und nicht als Seinsaussagen versteht, bezieht er die Stelle auf den Menschen, der aus sich selbst lebt (das gilt auch dem Christen insofern der Glaube im Kampf unterliegt) — ein Leben also, das besiegt wird, wenn man wieder in Christus den Sieg ergreift, wodurch man von seiner Begierde und dem hinter ihr stehenden Sündersein getrennt wird. Die Frage ist aber u. E. noch, ob auch der in Christus sieghafte Christ seine Werke, wenn er sie betrachtet, wegen der anhaftenden Sünde nicht anerkennen kann, sondern mitten im Glaubenssieg noch als Sünder allein auf Christus selbst seine Hoffnung setzen muß. U.E. stellen Rom. 7, 14 ff. und Rom. 8, 1 ff. die zwei »Seiten« des als simul peccator et iustus in Christus kämpfenden Christen dar, und zwar so, daß Rom. 7, 14 ff. nicht dem realen progressus, Rom. 8 nicht der bleibenden Sündigkeit widersprechen — wobei es zugleich völlig klar ist, daß Christus der Sieger ist und daß der in ihm wirksame Geist des Lebens die Restsünde letztlich austreiben wird (Rom. 8, 1—4). 15 Siehe z.B. K. Barth, Römerbrief, 1922, S. 78 und W. Joest a.a.O. S. 275 : »Gerechtsprechung und Gerechtwerden, Rechtfertigung und 'Heiligung' sind also für Paulus eine Einheit im Werke Gottes, so allerdings, daß das gerechtsprechende Urteil die begründende Macht ist, die die reale Lebenswirkung in sich schließt«.
201 willkürliche, sondern vielmehr eine heilig-normmäßige und bundesgemäße Gnade übt, die mit seinem höchsten Recht in vollem Einklang steht«16. Die Rechtfertigung geschieht auf Grund des Todes und der Auferstehung Christi, der für uns zum Ungerechten gemacht wurde (2. Kor. 5,21 ; Gal. 3,13). Wir werden Christus dadurch einverleibt, daß der Heilige Geist vermittels des Evangeliums den Glauben in uns wirkt (Rom. 10,17; Eph. 2,8—10). In bezug auf die Rechtfertigung kommt dieser Glaube nur soweit in Betracht, als er Bezogenheit auf den im Evangelium bezeugten Christus ist17. Weil Christus, der nur durch den Glauben ergriffen werden kann, allein unsere Gerechtigkeit vor Gott ist und bleibt, besteht das entscheidende Hauptanliegen immer darin, daß wir in Christus und seiner Gerechtigkeit gefunden werden (Phil. 3,8if.). So wie im Judentum hat auch im Neuen Testament die Rechtfertigung einen forensisch-eschatologischen Sinn. Es geht um die göttliche Anerkennung am Jüngsten Tag18. Indem wir jedoch jetzt gerechtfertigt werden, geschieht das Jüngste Gericht existenziell : wir werden zur Verdammnis verurteilt, um wiederum als verlorene Sünder durch den Glauben gerecht zu werden. Gott spricht also schon jetzt sein eschatologisches Urteil über den Glaubenden: Der durch den Glauben Gerechte soll leben ! wie A. Nygren das Thema des Römerbriefs übersetzt und als ordnendes Prinzip des ganzen Briefes versteht. Die forensisch-eschatologische Rechtfertigung, die für den Juden ein Hoffnungsgut ist, ist für Paulus gegenwärtige, auf das eschatologische Heilsgeschehen in Christus gegründete Wirklichkeit19. Darum heißt es von dem durch den Glauben Gerechten sowohl, er sei in der Gnade Gottes, als auch, er habe auf Grund der göttlichen Verheißung die gewisse Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, Rom. 5,1 f. Diese Lehre von der eschatologischen Rechtfertigung durch den Glauben wird nicht nur durch den Parallelbegriff υιοθεσία bei Paulus bestätigt (Gal. 4,5), sondern auch bei Johannes durch die Lehre von dem für die Ewigkeit entscheidenden existenziellen Gericht nach dem Glauben bzw. Unglauben bezeugt. Wer an Christus glaubt, führt damit eine eschatologische Existenz ; wiewohl noch Iv τ φ κόσμω ist er doch nicht mehr έκ τοϋ κόσμου (17,11.14.16). Er ist schon durch das Gericht hindurchgegangen und ins Leben hinübergeschritten (3,18; 5,24); den Tod hat er schon hinter sich und das Leben ist ihm gegeben (8,51; 11,25f.; 3,36; 6,40.47; l.Joh. 5,12) 20 . Auch 1. Joh. 4,17 ist kaum so zu verstehen, daß die Zuversicht durch die Liebe angesichts des Gerichts eine Stufe bezeichnet, die das NochSünder-Sein und die Vertröstung auf den Versöhner und Fürsprecher beim Vater ablöst (vgl. l.Joh. 4,9f.; 1,8; 2,lf.). Auch darin besteht kaum G. Schrenk, ThW II S. 207, 36 ff. » Ebd. S. 210, 4 ff. 18 Ebd. S. 207, 18 ff.; 210,42 ff. 19 R. Bultmann, Theol. des NT S. 279. 20 F. Büchsei, ThW III S. 939, 18 ff; 943, 1 ff.; Bultmann a.a.O. S. 430.
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202 ein Unterschied zwischen Paulus und Johannes, daß der Christ zugleich Sünder bleibt und allein durch Christus vor Gott besteht. Wie in Rom. 3,21—5,21 ist in l.Joh. 1,1—2,2 die bleibende Grundlage angegeben, auf der der Christ, trotz der bleibenden Sünde, durch Christus seine Werke tut und den Sieg gewinnt. Gegen die Anklagen des Gesetzes gilt als letzte Verteidigung nur der Hinweis auf Christus selbst. Auch nach Jakobus bedarf der Christ der Vergebung der Sünden (3,2), so wie nach den Synoptikern die 5. Bitte des Vaterunsers bleibend zum christlichen Gebet gehört (Mt. 6,12; Lk. 11,4). Mit Johannes und Paulus bezeugen auch die Synoptiker den durch Christus geschenkten Frieden mit Gott. Jesus, den Paulus unseren Frieden nennt, entläßt die Verängstigten, die an ihn glauben, in Frieden (Lk. 7,50; 8,48), während das Nein zu ihm die Fried!osigkeit bedeutet (Lk. 10,8ff.; 19,42)21. Christus spricht gläubigen Sündern, sogar dem Übeltäter am Kreuz, das Himmelreich zu (Lk. 15,1 if.; 23,43). Das direkte Verhältnis zu Jesus als für die Ewigkeit entscheidend bezeugen Stellen wie Mt. 11,20—24; 12,32; 12,41f.; 21,37ff.22 Tatsächlich spielt bei den Synoptikern die Person Jesu dieselbe entscheidende Rolle wie bei Johannes und Paulus, ja, wie im Alten Testament der sich offenbarende Herr selbst. Das Gericht, das ausschließlich Gott selbst zukommt, ist in die Hände des Menschensohnes gegeben. Das bezeugt Mt. 7,22f.; 16,27; 25,31—46; 26,64 ebenso eindeutig wie Joh. 5,25—29 und Rom. 2,16; 14,9—12; 2. Tim. 4,8. Ja, je nach ihrem Verhältnis zu Christus in Glauben oder Unglauben scheiden sich die Menschen, wie sie sich im alten Bund schieden an dem im ersten Gebot sich bezeugenden Gott (Phil. 2,1 Of. ; Joh. 3,36; 5,23; l . J o h . 2,23; Apg. 4,12; Ex. 20,1—6). Diese Aussagen sind nicht so zu verstehen, als bestünde Jesu eigentliche Aufgabe darin, die Geister zu scheiden. Er ist gekommen, um vom verdammenden Gericht zu erretten, um Heil und Frieden zu bringen (Rom. 5,Iff.; Eph. 2,14ff.; Joh. 3,17; 10,10f.; 12,47; Lk. 2,14). Sein Gerichtswort steht im Dienst dieses Heils (Lk. 19,41fr.; Joh. 16,8ff.; Rom. 3,19). Eben darum verkündigt er es so ernsthaft. Zum Gerichtsernst gehört auch die Tatsache, daß viele Menschen unter dem Zorn bleiben, weil sie sich nicht retten lassen wollen (Joh. 3,36; 2. Thess. l,8f.). Besonders deutlich wird dies von Johannes gesagt; in 5,24 wird in loco iustificationis dem Glauben allein Geltung zugestanden. Daneben wird dennoch bei Johannes wie bei den Synoptikern nach den Werken gerichtet und über das ewige Schicksal entschieden, Joh. 5,29; Mt. 25,36fr.; Mk. 8,34ff.; Lk. 12,35ff.23 Die Rechtfertigung durch den 21
E. Stauffer, Die theologie des N T S. 123. Büchsei, T h W III S. 937, 11—22. 23 H. -D. Wendland, Die Mitte . . . S. 29 : »Paulus nimmt wie das biblische Denken überhaupt den Menschen als Handelnden ernst. Der Mensch ist Täter, er ist faßbar und greifbar in seinem Werke und darum bei diesem zu behaften. Das gehört zum ' Existenziellen' der paulinischen Anthropologie. D e m Gesagten entsprechen Rom. 2, 5—12 u. 22
203 Glauben, die im Blick auf dies Gericht nach den Werken als eine »anfängliche« Rechtfertigung und ein »Vorspiel« angesehen wird, wird also in der hl. Schrift zugleich und zunächst unter einem weiteren Aspekt gesehen. Sie gilt in loco iustificationis als ein eschatologisches Perfektum, das alle Werke und auch das eschatologische Gericht nach den Werken umklammert 24 . »Δικαίωσις heißt eben . . . voll und rund: eschatologischer Freispruch« 25 . Wenn man die neutestamentliche Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben und dem Gericht nach den Werken auf eine einheitliche Formel bringen will, muß man also sehr behutsam sein. Die Behauptung, das Werk gehöre in die Rechtfertigung 26 , ist insofern richtig, als damit der theologische locus de iustificatione gemeint ist; denn es gehört ja zur neutestamentlichen Lehre, daß die gnädige Gerechterklärung zugleich die Liebeswerke schafft (Eph. 2,8—10; 1. Kor. 15,10; 2. Kor. 5,14f.). Auch ist der Satz richtig, wenn er auf die Beurteilung der Werke im Gericht bezogen ist. Ebenfalls ist es recht zu behaupten, zum Christsein gehöre es notwendig, Christus und den Glauben, die Liebe und die Werke zu haben; — so hat es auch Luther ausgesprochen: »lex precipit Charitatem et Ihesum Christum habendum« 27 . Während bei den Synoptikern neben der Notwendigkeit der Werke zum Bestehen im Gericht auch die Alleingeltung Christi und des Glaubens in loco iustificationis bezeugt ist, ist es fraglich, ob der letzte Gedanke bei Jakobus zu konstatieren ist. Seine Stellung zur Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben ist das eigentliche Problem des Jakobusbriefes, nicht seine Lehre von der Rechtfertigung durch Werke, die im ganzen Neuen Testament ihre Parallele findet, und für die auch Luther zugesteht, man könne im übrigen NT als Beleg »eine Glose finden«28. Die Frage ist, ob Jakobus die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben, die zum Gemeingut der apostolischen Gemeinden gehörte (Gal. 2), und die schon im Alten Testament bezeugt war (Gen. 15,6), verloren hat. Formal ist diese Lehre freilich auch bei ihm bezeugt, indem Gen. 15,6 in 2,23 zitiert ist. Wie aber versteht er die angeführte Stelle? Ist Gen. 15,6 in Jak. 2,23 im Sinne eines Schriftbeweises für die Rechtfertigung durch Glauben und Werke angeführt? M. Dibelius, der die Stelle so versteht, postuliert eine inhaltliche Übereinstimmung zwischen der Rechtfertigung durch Werke 2,21 f. und der Rechtfertigung durch den Glauben V. 23: es muß in V. 23 = Gen. 15,6 von Glauben 16: Das Endgericht, das hier ausdrücklich 'gerechtes' Gericht heißt, vergilt nach den Werken. Paulus bewegt sich damit ganz in der Linie Jesu : auch dieser fordert das wirkliche Tun des göttlichen Willens und verkündigt das Gericht nach diesem Tun. (Mt. 7, 7 ff. 16—27; 25, 31—46)«. 24 Siehe Schrenk, ThW II S. 222, 4 ff. 25 W. Joest, Ges. u. Freih. S. 173. 26 M. Lackmann, Sola fide S. 14. 27 WA 56, 338, 18 f. (B Anm. 225). 28 Siehe oben A Anm. 220.
204 und Werken die Rede sein, denn »die These des Jakobus, daß der berühmte Abrahamsglaube nur als ein Faktor neben den Werken zu gelten habe, muß durch V. 23 bewiesen werden« 29 . Diese Interpretation findet Dibelius im Judentum vorgebildet, indem hier die Formel έλογίσθη είζ δικαιοσυνην auf den Glauben und auf die Werke bezogen wird 30 . In der rabbinischen Literatur wird der Glaube als Glaubensgehorsam verstanden; das Moment der Treue tritt oft hervor. Der Glaube ist ein Werk oder eine Lebenshaltung, die die Werke in sich schließt31. Daraus folgert Dibelius, der Verfasser des Jakobusbriefes habe den Gehorsam aus Gen. 22 in dem Gen. 15,6 bezeugten Glauben als Grund der Gerechtsprechung schon beschlossen gefunden. Dibelius stellt fest, »diese Übereinstimmung zwischen synagogaler Exegese und der Interpretation, zu der uns unser Text geradezu zwingt, liefert den schlagenden Beweis für die Abhängigkeit des Abschnitts von der jüdischen Bibelerklärung« 32 . Indessen ist ein solcher Hinweis auf das Judentum zur Begründung einer prinzipiellen Identität zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und der Rechtfertigung durch Werke kaum überzeugend. Diese Begriffe werden nämlich im Judentum nicht als prinzipiell identisch angesehen, obwohl der Glaube als ein »Werk« angesehen wird. Es ist eben dem Judentum eigentümlich, daß bald der Glaube, bald die Werke als Grundlage der göttlichen Gerechterklärung angesehen werden, formal gesehen etwa so wie wir es im Neuen Testament der Sache nach gefunden haben, und wie es z.B. auch im Clemensbrief bezeugt ist33. Vom Judentum her sollte der Jakobusbrief eher so verstanden werden, daß auch er die beiden Rechtfertigungsweisen bezeugt. 29 M . Dibelius, Der Brief des Jakobus S. 154, wo es weiter heißt: »in dem zweiten Glied des Spruches, in Ιλογίσθη, muß ein Hinweis auf die Werke liegen. Nur dann hat der Verf. ein Recht, sich auf den Spruch zu berufen, und dann fügt sich das dritte Glied zwanglos an: dem Glauben und den Werken verdankt Abraham seine Ehrenstellung als Freund Gottes«. 30 Siehe L X X Gen. 15, 6; Ps. 105, 31 und 1. Makkab. 2, 52. 31 Dibelius a.a.O. S. 155. 32 Ebd. S. 154. 33 Siehe die Hinweise zu Mechilta 33 b, zu R. Simeon Bar Abba und zu Philo bei Schlatter, Der Glaube im NT S. 72. Schlatter weist nach, daß in der palästinensischen wie in der griechischen synagogalen Tradition, in L X X wie bei Philo die Formel Gen. 15, 6 eindeutig auf den Glauben bezogen wird. Der Glaube wird als Vertrauen auf die göttliche Verheißung, als die grundlegende Tugend betrachtet; er ist das Abbild einer Tugend, die Gott selbst besitzt. Wie Abrahams Glaube wird auch sein Gehorsam zur Gerechtigkeit gerechnet (1. Makk. 2, 52), so wie die Formel λογίζεσθ-at είς δικαιοσυνην auch auf den Eifer des Pineas bezogen wird (Ps. 106, 31). So wird auch in 1. Cl. einerseits die Rechtfertigung durch den Glauben bezeugt (32, 4 Auch wir, die wir durch seinen Willen in Jesus Christus berufen sind, werden nicht durch uns selber gerecht, auch nicht durch unsere . . . Frömmigkeit oder durch die Werke, die wir in Herzensreinheit vollbringen, sondern durch den Glauben, durch den . . . Gott alle von Anfang an gerechtfertigt hat), andererseits die Rechtfertigung durch Werke (30, 3 Schließen wir uns also jenen an, denen von Gott die Gnade gegeben ist; . . . rechtfertigen wir uns durch Werke und nicht durch Worte). Tatsächlich ist auch hier einmal der Glaube, dann die Werke als Grundlage der Rechtfertigung angeführt, ohne daß diese beiden Aspekte vermischt werden dürfen. Vielmehr scheint die Rechtfertigung durch den Glauben der Paränese ( rechtfertigen wir uns durch Werke) zugrunde zu liegen. Man darf kaum aus 30, 3 schließen, daß 32, 4 und 10, 1 f. 6 nur als eine »formale Verbeugung gegen Paulus« anzusehen ist (so Eva Aleith, Paulusverständnis . . . S. 4).
205 Eine doppelte Rechtfertigung scheint freilich durch J a k . 2,24 ausgeschlossen zu sein 34 . Nun ist es jedoch klar, daß V. 24 in Einklang mit dem ganzen Brief auf das Jüngste Gericht abzielt, in dem es eben um den Glauben und die Werke geht. Daraus läßt sich aber nicht ohne weiteres schließen, der Brief unterschlage die in Gen. 15,6 bezeugte Rechtfertigung durch den Glauben. Es bestünde z.B. die Möglichkeit, daß der Verfasser Gen. 15,6 auf eine angfängliche Rechtfertigung bezogen hätte, die zur Rechtfertigung des Gläubigen im Jüngsten Gericht durch Werke ergänzt werden müßte; so hat wohl die Vulgata die Stelle verstanden 35 . Einem solchen Gedankengang sich nähernd, schließen mehrere Ausleger, die dem Glauben zugesprochene Gerechtigkeit Abrahams sei im Sinne einer prophetischen Weissagung eine vorläufig gehalt- und gestaltlose, leere und nichtige gewesen, die durch die später folgende, in Gen. 22 bezeugte Erfüllung ihre eigentliche Realität bekommen hätte 36 . Es ist aber zu fragen, ob diese Interpretation nicht zu weitgehende Folgerungen zieht aus der Ergänzungsbedürftigkeit des Glaubens hinsichtlich des Gerichts. Es würde tatsächlich in bestem Einklang mit biblischem, jüdischem und nachapostolischem Sprachgebrauch stehen, wenn auch die in J a k . 2,23 bezeugte Rechtfertigung durch den Glauben verstanden würde als »eine in sich abgeschlossene göttliche Gnadenerweisung, durch welche derselbe wegen seines Glaubens nach dem göttlichen Urteil als ein Gerechter vor Gott galt« 3 7 . Die Anführung von Gen. 15,6 bei Jakobus könnte dann folgenden Sinn haben: wie der rechtfertigende Glaube Abrahams erst in Verbindung mit seinen Werken als Grundlage der Anerkennung in der späteren richterlichen Beurteilung gelten konnte, so bildet unser Glaube erst in Verbindung mit den Werken die Grundlage der anerkennenden Beurteilung Gottes im Jüngsten Gericht. Wir können unsere Interpretation von J a k . 2,23 wie folgt skizzieren: das Schriftwort Gen. 15,6 wurde erfüllt, indem in der nachfolgenden Probe die Gerechtigkeit Abrahams ihre Realität erwies (Gen. 22 ; J a k . 2,21 f.). Durch diesen Gehorsam, in welchem der Glaube sein Ziel erreichte und vollkommen wurde (V. 22), wurde der durch den Glauben gerechte Abraham zugleich durch die Werke gerechtfertigt (V. 21) und als ein Freund Gottes anerkannt (V. 23). Aus der nachfolgenden Rechtfertigung durch Werke darf man nicht schließen, die in 2,23 bezeugte Rechtfertigung durch den Glauben sei durch die nachfolgenden oder im 34 Das betonte μόνον 2, 24 ist έκ πίστεως adjektivisch hinzugefügt und ist nicht direkt auf ουκ zu beziehen. 35 Vgl. Vulgata, wo επληρώθη 2, 23 durch suppleta übersetzt ist. Der Gedankengang ist augenscheinlich, daß der Glaube in Blick auf das Gericht durch Werke vollständig gemacht werden muß. In der Vulgata sind die gewöhnlichen Schriftbeweise durch impletur bzw. adimpletur angeführt. 36 So Windisch, K o m m , zum Jakobusbrief, 1930, S. 19; vgl. A. Schlatter, Der Brief des Jakobus 1932 S. 203; Fr. Hauck, Der Brief des Jakobus, 1926, S. 139 und N T D 3, 1935 S. 147 f. 37 D. Erdmann, Der Brief des Jakobus, Berlin 1881, S. 206 f. Vgl. Heidland, Die Anrechnung . . . S. 108 Anm. 141 : »die enge Verbindung von Gn 15, 6 mit Gn 22 in der jüdischen Tradition zeigt, daß Gn 15, 6 ' überhistorisch' als ' Spruch' über das ganze Leben Abrahams verstanden wurde«.
206 Keim anwesenden Werke bedingt. Folge und Grund dürfen nicht verwechselt werden. Auch darf nicht gefolgert werden, daß die in Gen. 15,6 bezeugte Rechtfertigung vorläufig leer und nichtig gewesen sei. Vielmehr erwies die nachfolgende Erfüllung im konkreten Gehorsam, daß Gen. 15,6 ein wahrhaftiges Gotteswort war. Das Verhältnis zwischen Gen. 15,6 und Gen. 22 entspricht also bei Jakobus kaum nur dem Verhältnis zwischen Weissagung und Erfüllung, sondern zugleich dem zwischen Schöpfung (creatio) und nachfolgender Wirksamkeit des Geschöpfes — vgl. den bei Jakobus bezeugten Gedanken an Gott als den Schöpfer der Christen durchs Wort (1,18). Diese Stelle legt die Vermutung sehr nahe, daß auch bei Jakobus die Rechtfertigung durch den Glauben mit der Schöpfung, die Rechtfertigung durch Werke mit der anerkennenden Beurteilung des Geschöpfes zu vergleichen ist. Es ist für die Interpretation des Jakobusbriefes wichtig zu bemerken, daß er auf das Gericht nach den Werken hin (2,13 ff.) vom Glauben her (2,17ff.) denkt und argumentiert, wenn er die Gläubigen zum Liebesdienst am Nächsten ruft. Der Satz des Jakobus 2,24, »daß der Mensch durch die Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein« ist zu verstehen als die Konklusion dieser doppelten Argumentation. Im Lichte des Gerichts nach den Werken besagt der Satz, daß zum Glauben die Werke hinzukommen müssen (2,21 f.); im Lichte der Rechtfertigung durch den Glauben besagt der Satz, daß ein Glaube, der allein und nicht unter seinen Werken existieren will, sich selbst tötet und nicht rechtfertigen kann (2,17.20) — sowie Abraham seinen Glauben verleugnet hätte, wenn er mit seinem Glauben und seinem Sohn zu Hause geblieben wäre, statt Gottes Wort befolgend den Opfergang auf den Moria anzutreten. Möglicherweise gibt es bei Jakobus implizite die verschiedenen Aspekte, die wir bei Luther gefunden haben: die Rechtfertigung durch den Glauben (2,23 vgl. 1,18); die Rechtfertigung durch den in den Werken inkarnierten Glauben (2,18.22); die Rechtfertigung durch Werke (die Anerkennung der tatsächlichen Gerechtigkeit, 2,21); das Gericht nach den Werken (2,13). Unter den verschiedenen Gesichtspunkten der Argumentation verliert der Verfasser nie die Gesamtschau aus den Augen und gibt immer wieder prägnante Konklusionen, die die unlösbare und notwendige Einheit von Glauben und Werken im Christenleben und angesichts des Gerichts bezeugen, z.B. I,3f.l2.22.25; 2,24. Darin befindet er sich in Einklang mit den anderen neutestamentlichen Zeugen, denen wiederum auch Luther folgt, indem er in allen einseitigen Analysen an der Ganzheit der christlichen Gerechtigkeit festhält, an der unlösbaren Einheit von Glauben und Werken und an der Notwendigkeit der tätigen Liebe, um im Gericht nach den Werken anerkannt zu werden 38 . 38 Siehe besonders oben A I — III. Vgl. die drei ineinandergeschobenen Sichtweisen, die Peters (a.a.O. S. 230 f.) bei Jakobus feststellt: »die Frage nach der Präsentierbarkeit des Glaubens an seinen Werken (V. 18), die damit angerissene Frage nach der anthropologischen Verbindung von Glaube und Werk im Handelnden, die Frage nach dem Zueinander von Glauben und Tun im Urteil Gottes«.
207 Indem wir nun annehmen, auch Jakobus habe in Gen. 15,6 die Rechtfertigung durch den Glauben bezeugt gefunden, behaupten wir nicht, er erkenne diese Rechtfertigung auch in ihrer zeitlosen Geltung. Es muß indessen an die prinzipielle Unmöglichkeit erinnert werden, aus dem, was in loco iudicii operum gesagt und argumentiert wird, sichere Folgerungen zu ziehen in bezug auf das, was im absoluten locus iustificationis Geltung hat. Jedenfalls darf man das Fehlen des Aspektes der zeitlosen Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis, j a , auch die mögliche Polemik gegen diese Lehre bei Jakobus nicht als ein entscheidendes Argument gegen diese von Paulus vertretene Lehre ausspielen 39 . Der Jakobusbrief ist eine praktisch-paränetische Schrift, die zu den Antilegomena gehört, und darf nicht gegen die theologischen Zentralaussagen der paulinischen und johanneischen Schriften ins Feld geführt werden. Es ist jedoch festzuhalten, daß auch bei Jakobus der Christenstand durch eine göttliche creatio durchs Wort zustande kommt (1,18), und daß das Rechtfertigungsurteil im Gericht durch die Vergebung der Sünden bedingt ist (3,2; 5,15f.). An diesem Punkt läßt sich in Verfolgung der übrigen neutestamentlichen Aussagen darstellen, wie Christus die bleibende Grundlage des göttlichen Wohlgefallens an den Gläubigen ist. Die Betrachtung des Christenstandes als Bewegung von der Rechtfertigung her und aufs Gericht nach den Werken hin hat in der Kirche bis heute eine sehr große Rolle gespielt, teilweise auf Kosten des Aspekts der existenziell-eschatologischen Rechtfertigung durch den Glauben. So wird in der römischen Theologie die iustificatio als die durch Gott geschehende reale Gerechtmachung bestimmt, durch welche die fides charitate formata zustande kommt, die im Gericht entscheidend ist. Indem dieser Glaube als Teil und Repräsentation der durch die göttliche Gnade gewirkten Liebe bzw. der Werke betrachtet wird, wird es möglich, sowohl die Worte von der Rechtfertigung durch den Glauben als auch diejenigen vom Gericht nach den Werken auf denselben Glauben zu beziehen und auf einen Nenner zu bringen 40 . In dasselbe Schema gehört tatsächlich die Theologie A. Oslanders. Verwandte Gesichtspunkte sind durch A. Schlatter in der neutestamentlichen evangelischen Theologie mit Erfolg geltend gemacht worden. Besonders energisch ist neuerdings M. Lackmann dafür eingetreten, daß die Werke in die Rechtfertigung, und zwar in den existenziellen locus iustificationis gehören 41 . 39 Das muß gesagt werden können, gleich ob der Jakobusbrief als eine frühe oder als eine späte Schrift zu bestimmen ist, und gleich ob die Polemik gegen den Gedanken, man könne im eschatologischen Gericht bestehen durch den Glauben allein, in Einklang mit Paulus und Johannes zu interpretieren ist, oder ob man sie als einen grundsätzlichen Widerspruch gegen den Gedanken der eschatologischen Geltung der Rechtfertigung durch den Glauben verstehen muß. — Einen bewußten Gegensatz gegen paulinische Sätze sehen in Jak. 2, 14 ff. z.B. Gräfe (Die Stellung . . . des Jakobusbriefes . . . S. 32), Soucek (Zu den Problemen . . . S. 467), vgl. Joest (Ges. u. Freih. S. 187); dagegen E. Lohse (Glaube und Werke S. 8 u. 21 f.). 40 Siehe oben Β V I I (Anm. 395—400) vgl. unten C Anm. 43 u. 46. 11 M. Lackmann, Sola fide S. 14.
208 Dies bedeutet nicht, daß Lackmann die Formel iustificatio sola fide beseitigen will. Vielmehr hält er an dieser Wendung in folgender Deutung fest : der Glaube rechtfertigt, da durch ihn der Mensch Christus gleichzeitig wird, ihm vertraut und in dienende Bewegung gesetzt wird 42 . Sehr entschieden tritt der katholische Theologe H. Küng für die Formel iustificatio sola fide ein und verweist dabei auf die Formulierung des Thomas : »Non est ergo in eis (sc. in praeceptis decalogi) spes iustificationis, sed in sola fide; arbitramur iustificari hominem per fidem sine operibus legis (Rom. 3,28) «43. Die Wendung iustificatio sola fide scheint überhaupt als eine verheißungsvolle Einigungsformel gelten zu können. Als entscheidender Punkt in der Interpretation des Neuen Testaments sowie im Gespräch zwischen den Konfessionen bleibt jedoch die Frage bestehen, wie diese Formel zu verstehen ist, besonders inwiefern Christus, durch den Glauben empfangen, die Alleingeltung behält in loco iustificationis als unsere iustitia aliena. Bei Thomas geht es in der eschatologischen Rechtfertigung um die Beurteilung des Tatbestandes, da seine Rechtfertigungslehre durch den Aspekt des Gerichts nach den Werken beeinflußt worden ist : »meritum vitae aeternae primo pertinet ad charitatem, ad alias autem virtutes secundario, secundum quod earum actus a charitate imperantur« 44 . Ein ähnliches Denkschema findet sich bei M. Lackmann, nach dem der rettende Glaube »durch eine Koexistenz von Glaubenshingabe und Glaubenshandeln beschrieben wird« 45 . Sowohl die fides charitate formata wie auch dieser Begriff des tätigen Glaubens sind aber in bezug auf die Rechtfertigung als ein »tertium quid« zu betrachten, das durch eine Kombination der besonders bei Paulus unterschiedenen Aspekte der Rechtfertigung durch den Glauben und des Gerichts nach den Werken zustande gekommen ist46. 42
A . a . O . S. 11 f. 14; 124 f. H . K ü n g , Rechtfertigung S. 244; Thomas, Commentarla III S. 59 zu 1. T i m . 1,8: Apostolus videtur loqui de moralibus . . . H o r u m legitimus usus est, ut homo non attribuat eis plus q u a m quod in eis continetur. Data est lex ut cognoscatur peccatum . . . N o n est ergo in eis spes iustificationis, sed in sola fide . . . 44 Β A n m . 395. 45 Lackmann, Zur reformatorischen Rechtfertigungslehre S. 107 Anm. 19. Unter denselben Aspekten wird bei A. Schlatter die Rechtfertigung gesehen: »Gerecht bei Gott ist der, dessen Verhalten Gott als d e m Recht gemäß, als die Erfüllung des Gebotenen billigt. Das Urteil, das diese Anerkennung und Bestätigung ausspricht, ist das δικαιοΰν« (Gottes Gerechtigkeit . . . S. 87, zu R o m . 2, 13). Lackmann deutet eine Kombination von der paulinischen und der jakobischen Rechtfertigungslehre an: »Wie, wenn wir das Evangelium des Paulus erst als Gottes Evangelium verstünden, w e n n wir das Erlangen von Gottes Wohlgefallen 'ohne des Gesetzes Werke allein durch den Glauben' (Rom. 3, 28) nicht mit Ausschluß, sondern mit Einschluß von Jak. 2, 24 'auf Grund von Werken, nicht allein auf Grund von Glauben' zu verstehen möchten?« (a.a.O. S. 61). 46 E. Käsemann macht (Aus der neutestamentlichen Arbeit der letzten Jahre S. 212) gegen Lackmann geltend: »Was uns von der Ansicht des Verf. scheidet, ist nicht die Betonung des Werkes in Zusammenhang der Rechtfertigungslehre, sondern das sed etiam Melanchthons, das weder sola fide noch 'allein nach den Werken' zu sagen erlaubt und, wie m a n sich auch dagegen sträubt, Synergismus heraufführt. Das wird sehr deutlich daran, daß der Verf. aufs höchste darüber entsetzt ist, wenn Luther das 43
209 Bei Paulus wird die Gerechterklärung durch den Glauben auf das Jüngste Gericht bezogen, ohne mit dem Aspekt der Beurteilung der Werke im Gericht vermischt zu werden. Andererseits beruht die Anerkennung der Werke im Gericht auf dem Glauben; die Werke müssen Glaubenswerke sein. Dennoch gehören sie nicht in den absoluten locus iustificationis (Gal. 3) und sie geschehen nicht sola fide, sondern durch eine cooperatio mit Gott im Glauben (1. Kor. 15,10; Phil. 2,12f.). Indem es im Neuen Testament wie bei Luther im Gericht wirklich um die konkret dienenden Werke geht (Mt. 25,31 ff.; Joh. 5,29; 2. Kor. 5,10; O f f b . 20,12; 22,12), wird mit scharfer Ausschließlichkeit das »sola fide« auch auf die eschatologische Rechtfertigung coram Deo bezogen (Rom. 1,17; 3,28; Joh. 5,24). Der Unterschied zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und dem Gericht nach den Werken sowie auch die Vor- und Überordnung der ersten vor und über die letzte, wird bei Paulus, wie wir gesehen haben, beleuchtet und begründet durch Hinweise aufs Alte Testament (Gal. 3; Rom. 4; 9—11). Unter Heranziehung einiger Forschungsergebnisse innerhalb der neueren alttestamentlichen Theologie werden wir im folgenden das Verhältnis zwischen dem locus iustificationis und dem locus iudicii operum beleuchten 47 .
III. Glaubensbund und gebotene Werke im Alten Testament Der prinzipielle Unterschied zwischen locus iustificationis und locus iudicii operum ist schon im Alten Testament vorgebildet. Alles, was im mosaischen Gesetz gefordert wird, ist dem von Gott durch seine gnädige Segensverheißung aufgerichteten Gnadenbund prinzipiell nachgeordnet. Das Gesetz wird nicht dargestellt als eine voraussetzungslos und allgemein dastehende Größe, von der aus es die beiden Möglichkeiten von Erfüllung und Nicht-Erfüllung, von guten und bösen Werken, von Lohn und sola fide sogar den Früchten des Geistes gegenüber geltend m a c h t . Aber Luther argumentiert hier völlig paulinisch . . . Das Evangelium . . . steht u n d fällt mit d e m sola fide u n d extra nos, das selbst in d e m ' in Christus' u n d ' Christus in uns' nicht aufgehoben ist, sondern gerade dort a m schärfsten gesetzt wird«. — I n der römischen Theologie ist der auf Christus bezogene Glaube sowohl göttliche Q u a l i t ä t als auch gebotenes Werk, u n d bildet eben in seiner Einheit als Geschenk und Werk die Grundlage der Gerechterklärung (vgl. M . Schmaus I S. 55: »der G l a u b e ist ein Geschenk Gottes, eine vom hl. Geist bewirkte T a t des menschlichen Geistes«), E. Wolf konkludiert in seiner Darstellung des katholischen Glaubensbegriffs, » m a n bleibt auf der Grundlinie der tridentinischen Theologie der cooperatio hominis c u m Deo auch dort, wo m a n das ' P n e u m a tische' des Glaubens stark hervorhebt« (Peregrinatio S. 126). Siehe jedoch H . K ü n g , Rechtfertigung, S. 243 ff. ; dazu aber die Fragen, die E. Schott a n K ü n g gestellt h a t Einig in der Rechtfertigungslehre? S. 17 ff. u n d dazu R . H e r m a n n , Art. Rechtfertigung I I I Dogmatisch, R G G 3 Sp. 844 f. 47 I n seiner Rezension von W . Joest, Gesetz u n d Freiheit ( R K Z N r . 16 f. 1953) verm i ß t M . R o h k r ä m e r die H e r a n z i e h u n g der neueren alttestamentlichen Theologie. Besonders weil nicht n u r Paulus sondern auch J a k o b u s vom A T her argumentiert, wissen wir uns verpflichtet, das A T zu hören, umso mehr als M . L a c k m a n n das A T f ü r seine Anschauung a n f ü h r t (Sola fide S. 47 ff. vgl. Z u r reformatorischen Rechtf.lehre S. 57).
210 Strafe, von Segen und Fluch in gleicher Weise gäbe48. Das Vorwort zum Dekalog zeigt, daß Gottes freie Heilstat das primäre und die Forderung an die Heilsgemeinde das sekundäre ist. Die Voraussetzung der Gebote ist der göttliche Zuspruch : Ich bin der Herr dein Gott (Ex. 20,2 ; Dt. 5,6). Die indikativische Heilszusage ist der Ausrufung des Dekalogs eindeutig vorgeordnet 49 . M. Noth weist auf Dt. 7,6 hin, wo die freie Erwählung des Volkes bezeugt wird. Jahwe hat den Vätern Bund und Bundestreue geschworen, einen Schwur, den er halten will und aufgrund dessen er das Volk mit Leben und Reichtum segnen will. In Dt. 7,12 b—14 »wird der angekündigte Segen also eindeutig ausschließlich mit der längst ergangenen Verheißung in Verbindung gebracht ohne Rücksicht auf das erst daraufhin gegebene Gesetz«50. »In Wirklichkeit ist der in Dt. 28 scheinbar erst für die künftige Erfüllung des Gesetzes in Aussicht gestellte Segen schon vor dem Gesetz und seiner Erfüllung da ; denn er beruht auf einer vorher gegebenen göttlichen Verheißung« 51 . Der Segen ist ganz bedingungslos verheißen; seine Verwirklichung ist also nicht erst durch Israels Gehorsamsleistung bedingt 52 . Noth weist besonders auf Gen. 12,1 if.; 15,9ff.; Lev. 26; Dt. 12,7.15; 15,4.6; 16,17; 26,15; 29,9ff.; Jer. 34,18 f. Welchen Sinn hat dann noch die den 10 Geboten angefügte Verheißung: welcher Mensch dieselben tut, der wird dadurch leben (Lev. 18,5) ? Diese Verheißung besagt nicht, und zwar nicht einmal hypothetisch, daß der Bund auf irgendeinen ethischen Perfektionismus gegründet sei. Wer nicht im Vertrauen die gnädige Bundesverheißung Gottes annimmt, kann nicht aufgrund von Werken den Segen erhalten. Jede Tat muß vielmehr aus dem Bundessegen Gottes her geschehen. »Von diesem Gesetz aus gibt es nur eine menschliche Möglichkeit eigenen, unabhängigen Handelns, das ist Übertretung, Abfall und damit Fluch und 48
M . Noth, Gesammelte Studien, 1957, S. 171. G. von R a d , Theologie des A T I S. 195 f. Vgl. H . L a m p a r t e r , Das theologische Gewicht des Dekalogs S. 26 : » D e m Sinaibund geht der A b r a h a m s b u n d voraus, welcher allein auf der Korrelation von Glaube u n d Verheißung b e r u h t « ; weiter Fr. Baumgärtel ( T h L Z 1954 Sp. 208) : »' Ich bin der H e r r dein Gott', darauf r u h t der alte Bund u n d das ist die Verheißung, die auf den alten Bund gelegt ist«. Ders., Verheißung S. 15: »Das, was Paulus in R ö . 4 a n Gen. 15, 6 so eindringlich klarmacht, das gilt von d e m W a h r werden dieser alttestamentlichen Verheißungen : nicht nach Schuldigkeit auf G r u n d der eigenen Leistung, sondern aus der G n a d e Gottes als sein Geschenk«. Siehe dazu den sehr bedeutsamen Abschnitt »Die Gesetzeskritik des Apostels als ein innerjüdisches P r o b l e m « bei Schoeps, Paulus S. 299—314, wo dieser jüdische Religionshistoriker die »Heimholung des Ketzers« befürwortet: »Die Frage geht darauf hinaus, ob d e m T u n der Gesetze nicht eine H a l t u n g des Glaubens vorangehen müsse. Nicht des paulinischen Glaubens an einen erschienenen Messias, sondern des Glaubens a n den Gott vom Sinai, ehe Gehorsam gegen seine Willenskundgebungen möglich w i r d « (S. 300 vgl. 314). 50 M . N o t h a . a . O . S. 166. « Ebd. S. 165. 62 Ebd. Vgl. E. Würthwein, Der Sinn des Gesetzes i m A T , Z T h K 1958, S. 267: »Der Imperativ folgt aus d e m Indikativ. Deshalb wird der Bund geschlossen, die Gemeinschaft gewährt, — im Sinne des Deuteronomiums : das L a n d mit seinem R e i c h t u m geschenkt, noch bevor Israel in der Erfüllung des Gesetzes sich bewähren konnte«. 49
211 Gericht. Und so stehen die, die mit des Gesetzes Werken umgehen, in der Tat unter dem Fluch« 53 . Darum heißt es negativ: Verflucht sei, wer nicht die Worte dieser Tora erfüllt, daß er darnach tue (Dt. 27,26) ! Damit ist sowohl gesagt, daß eine absichtliche Übertretung des Gesetzes ein Zeichen der Gottesverachtung ist, die das erste Gebot bricht und den Abfall vom Bund bedeutet, als auch, daß derjenige, der nicht im Glaubensbund steht, das erste Gebot schon grundsätzlich gebrochen hat. Das Grundlegende und Entscheidende besteht darin, daß man die Bundeszusage Gottes im Glauben annimmt. Wer das aber tut, nimmt damit auch das Bundeszeichen und den Bundesgehorsam an. Ebenso ist die Verachtung dieser gebotenen Zeichen gleichbedeutend mit der ungläubigen Gottesverachtung. Darum steht die Gemeinde im Hören des Gesetzes faktisch immer vor der Entscheidung zwischen Leben und Tod. Diesem Verständnis des Gesetzes gemäß sind die an alttestamentliche Stellen anklingenden Worte des Paulus zu verstehen: ή εντολή ή είς ζωήν (Rom. 7,10); ó ποιήσας αυτά ζήσετοα έν αΰτοΐς (Gal. 3,12). Solche Worte versprechen das Leben all denen, die, durch den Glauben gerecht, den Geboten gemäß wandeln, wobei der dem Gebotsgehorsam zugesprochene Segen ebenderselbe ist, der dem Bundesglauben verheißen ist. Dieser Glaube ist keine bloße Meinung oder Idee ; er ist auf den lebendigen, sich offenbarenden Gott gerichtet; er handelt wie Abraham, der im Glauben in das Land auszog, das Gott ihm zeigte, in Frömmigkeit vor Gott wandelte und die vorgeschriebenen Riten vollzog, den Moria bestieg und auf dem Altar das Opfer zu bringen bereit war, das Gott geboten hatte. Die göttlichen Befehle und Gesetze waren nicht in der Absicht gegeben, daß der Glaube durch Werke ergänzt werden sollte, um die Gerechtigkeit und den Segen zu erlangen. Vielmehr sollte der Glaube, der zur Gerechtigkeit vor Gott gerechnet wurde, sich als ein echter, auf Gott gerichteter bewähren, indem er sich am befohlenen Ort befand. Der Luthersche Gedanke, nach dem der Glaube in allen Inkarnierungen derselbe rechtfertigende Glaube bleibt, scheint dem Hauptaspekt dieser Texte zu entsprechen, vgl. die Interpretation des Hebräerbriefs 11,8—17, wo der Glaube im Gehorsam des Abraham betont wird. Auch im Alten Testament besagt also der Satz: »der Mensch, der es tut, wird dadurch leben« (Gal. 3,12; vgl. Lev. 18,5), daß derjenige, der durch den Glauben im Gnadenbund steht und diesen Glauben in den gebotenen Werken und Riten leben läßt, von Gott anerkannt wird und vor seinem Angesicht bleiben darf. Indem die alttestamentlichen Frommen als Gläubige die von Gott befohlenen Werke tun, sind sie getrost angesichts Gottes und pochen zuversichtlich auf ihre Gesetzestreue und Gesetzesliebe. Die Quellen zeigen zwar, daß die Frommen fehlen können und keinerlei ethische Vollkommenheit besitzen. Dennoch leben sie unter der Gnade und " M. Noth a.a.O. S. 171.
212 gemäß den Geboten mit gutem Gewissen Gott und den Menschen gegenüber 54 . Die Formel »tue das, so wirst du leben« (Lk. 10,28) hat im Alten Testament ursprünglich eine ganz andere Bedeutung als im gesetzlichen Gesetzesverständnis der Pharisäer. Bei diesen ging die Überordnung der Glaubensgerechtigkeit verloren. »An Stelle der älteren Auffassung, wonach die Forderung aus der gewährten Gottesgemeinschaft folgt, tritt der Gedanke, daß die Gottesgemeinschaft überhaupt nur mit Hilfe des Gesetzes erlangt werden kann. Damit gewann dieses absolute Bedeutung und wurde zur Grundlage des Gottesverhältnisses . . . 'Der geborene Jude muß sich doch noch selbst zum Juden machen' (Wellhausen) — eben durch das Gesetz, indem nun sittliche, rechtliche, kultische u.a. Forderungen das gleiche Gewicht erhalten. Das ' Gesetz' im theologischen Sinne ist nun da« 55 . Die Werke sind auf Kosten des Glaubens an die Bundesverheißung ins Zentrum des Blickfeldes gerückt und bestimmen den ganzen theologischen Gedankengang und das Gewissen — so wie es ähnlich auch später in der Kirche geschah. Mit diesem Gesetzesverständnis wird die Auseinandersetzung im Neuen Testament großenteils geführt. Ursprünglich aber wird das alttestamentliche Gesetz unter dem Aspekt des tertius usus legis gesehen. Es bietet die Haltungen und die Werke der Liebe zu Gott (Dt. 6,5) und zu den Menschen (Lev. 19,18) an, in welchen der Glaube sich zu erkennen gibt und inkarnieren läßt. Ein wesentlicher Aspekt des Gesetzes besteht darin, daß es ein Ausdruck der göttlichen Sorge um die Menschen ist, denen geholfen werden soll (Mich. 6,8; Jes. 58,6ff.; Hes. 18,5ff.). Paulus sieht es als eine seiner Hauptaufgaben an, die ursprüngliche Unterscheidung zwischen Glaubensbund und Werken des Gehorsams klar zu machen. Indem er dem Satz »tue das, so wirst du leben« zustimmt, hebt er stark hervor, daß dieser Satz — versteht man ihn gemäß der in ihm sich aussprechenden Absicht Gottes — nicht die Rechtfertigung durch den Glauben aufheben oder problematisieren soll (Gal. 3,17). Allein unter der Voraussetzung des rechtfertigenden Glaubens kann man vom Gesetz in einem uneigentlichen Sinn als Heilsweg reden: auf dem Weg zum ewigen Heil tun die durch den Glauben Gerechten ihre dienenden, vom Gesetz beschriebenen Werke 56 . Durch dieses Verständnis des Gesetzes wird die logische Spannung aufgelöst zwischen dem Satz: die das Gesetz tun, werden gerechtfertigt (Rom. 2,13), und der Behauptung : das Gesetz ist nicht zur Gerechtigkeit gegeben (Gal. 3,17 if. ; Rom. 5,20). Die existenzielle Spannung aber bleibt. Es ist überhaupt für 54 Siehe die von Luther mit Zustimmung angeführten Stellen, Gen. 22; Hiob 31; Num. 16, 15; 1. Sam. 12, 3; Ps. 18, 21; Jes. 38, 3; Jer. 18, 30, vgl. A Anm. 291. 55 E. Würthwein a.a.O. S. 268 vgl. W. Gutbrod, T h W IV S. 1064, 14 ff". 56 Siehe G. Schrenk, T h W II S. 549, 3—8: Das Halten der Gebote Gottes ist bei Paulus »die im neuen Wesen des Geistes auf Grund des Glaubens sich vollziehende Erfüllung der Liebesforderung (Gl 5, 6), die nicht im Natürlichen gründet, sondern als Neuschöpfung durch Christus geschenkt wird (Gl 6, 15). Das liegt durchaus in der Linie dessen, was nach der joh. Fassung die καινή εντολή bedeutet«.
213 Paulus typisch, daß die existenzielle Spannung neben logischer Klarheit besteht und tatsächlich auf logischer Klarheit beruht. Eben indem das Gesetz in voller Klarheit als der Glaubensgerechtigkeit hinzugefügtes weisendes Gebot verkündigt wird, richtet es indessen nach Paulus sein sündenüberführendes Werk aus (Gal. 3,19). So war es auch im alten Bund der Fall. Wenn die Herrlichkeit des Gesetzgebers spürbar wurde und wenn Sünde, Anfechtung, Not und Tod die Oberhand nahmen, dann zitterten sowohl Gläubige als auch Ungläubige. Statt eines harmonischen Nacheinanders von Bundesverheißung und Gesetzgebung, finden wir in den Quellen oft eine unheimliche Furcht bezeugt, wenn Gott im Gesetz redete. Dies kommt besonders stark zum Vorschein in den Schilderungen der Gesetzgebung (Ex. 19,16-—18; 20,19; Dt. 4,11—24). Und in den großen Anfechtungen der Frommen in ihrem Ringen mit Gott wird dann und wann der grundlegende Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium in derselben Tiefe wie bei Paulus erkannt (Jes. 6,Iff.; 64,5ff.; besonders Ps. 51)57. Letztlich beruht auch hier alles auf der göttlichen Vergebung und Gnade. Schon im Alten Testament sollten durch den Ernst des Gesetzes sowohl eine oberflächlich-sichere Berufung auf den Bund als auch eine Selbstsicherung gegen Gott durch Hinwendung zu den Gesetzeswerken vermieden werden. Das Gesetz richtet sich im Sinne des 2. usus legis gegen den Orthodoxismus und gegen die Werkgerechtigkeit. Es gilt, vor Gott Buße zu tun und die Gottesgerechtigkeit im Glauben durch die Vergebung der Sünden zu suchen. Dieser 2. usus legis geschieht eben auch dann, wenn das Gesetz hauptsächlich im Sinne des 3. bzw. des 1. usus gebraucht wird58. Trotz grundsätzlicher Übereinstimmung darf jedoch der Unterschied zwischen altem und neuem Bund nicht bagatellisiert werden. Durch die äußerlichen Satzungen des mosaischen Gesetzes wurden die alttestamentlichen Frommen in ihrem Liebesdienst begrenzt 59 , und durch die furchterregenden Gesetzesdrohungen wurde der im Glauben an die Bundesverheißung gegründete Trost des Gewissens erschüttert. Darum war im alten Bund die neutestamentliche Freiheit des Gewissens vor 57
Siehe besonders EvTh 1951, S. 187 ff.: E. Baumann, Der 139. Psalm — ein Bekenntnis der Metanoia, und S. 471 ff.: H. Jänicke, Futurum exactum. Eine Bibelarbeit über Psalm 13 . . . — Baumann kommentiert den 139. Psalm so (S. 188): »Diese Grundempfindung ist . . . fraglos (vgl. insbesondere V. 7—12) eine Klage, eine Beschwerde, fast eine Anklage über eine als unerträglich empfundene Lage. Diese Lage wird deutlich beschrieben als eine Haft (V. 5 !), eine Bevormundung (V. 2 f.), ein Verhör (V. 4). Wer seine Lage nicht mehr ertragen kann, sucht zu entfliehen (V. 7 ff.)«. Ebenso Jänicke (S. 472) : »Der Sitz im Leben dieser Psalmen war da, wo sie 'sassen', im Gefängnis sassen . . . Nur dilettantische Betrachtung und Mangel an Erfahrung wird behaupten können, daß in stilisierter Form sich nur erdichtete Anfechtung ausspreche und keine echte Not«. 68 Vgl. die Gesetzgebung Ex. 20, die Verkündigung der Propheten z. B. Jes. 1, 16ff.; 58, 6 ff. und des Täufers Mt. 3; Lk. 3. Bei den Synoptikern besonders die Bergpredigt. 59 Freilich schränkten die Juden die Bewegungsfreiheit der Liebe ungesetzlich ein; Jesus bestätigte, daß das Liebesgebot (Lev. 19, 18) alle Gebote auch des AT regeln sollte (Lk. 10, 29 ff; Mt. 12, 1 ff).
214 Gott nicht zu gewinnen. Tatsächlich war die Einheit zwischen Bundesverheißung und Gesetz, Glauben und Werken, locus iustificationis und locus iudicii operum klarer erkannt als deren Unterschied (vgl. Gal. 3,23ff.; 4,1 f.)60. Durch Christus ist die Befreiung vom mosaischen Gesetz geschehen (Gal. 4,4f.). Es ist die besondere Aufgabe des Paulus, diese Freiheit vom Gesetz zu erklären; die johanneischen Schriften und der Hebräerbrief tragen wichtige Gesichtspunkte zu dieser Klärung bei. Freiheit vom Gesetz bedeutet erstens, daß die Alleingeltung des Glaubens bzw. der dem Glauben imputierten Gerechtigkeit Christi in loco iustificationis klar zum Vorschein gekommen ist, auf Grund des Gerichtes, das im Sterben Jesu vollzogen ist (Gal. 2,19f.; 3,13.25f.; Rom. 3,24f.; 7,4), während in den Zeiten vor Christus die Sünde Gegenstand einer πάρεσις (Rom. 3,25f.) war, einer Amnestie auf Christus hin. Zweitens bedeutet die Freiheit, daß der Gläubige in seinem Gewissen nicht mehr an die statutarischen, dem Nächsten unnützen Gebote gebunden ist. Nachdem der Geist ausgegossen ist, ist der christlichen Liebe eine unbeschränkte Freiheit zum Dienst am Nächsten gewährt (Hebr. 9,9—14; Gal. 4,1 ff.; 5,6). Übrig bleibt das Liebesgebot, die lex Christi, die lex libertatis (Rom. 13,8—10; Gal. 6,2; Jak. 1,25; 2,12), durch die der unmittelbare Liebeswille des Geistes bestätigt und ihm freies Wirkungsfeld gewährt wird. Die christliche Liebe läßt sich indessen auch in gewissen Grundhaltungen definieren, so wie auch die Welt Gottes eine gewisse Konstanz der Ordnungen hat. Darum ist auch im neuen Bund eine bleibend verpflichtende Geltung konkreter Weisungen möglich, so wie z.B. die 10 Gebote im Neuen Testament ausgelegt sind (Rom. 13,9; Gal. 5,14. 19ff.; Eph. 6,2if.). Eben in seinem Verständnis dieser Gebote hat Luther zum Unterschied von den Schwärmern einerseits die absolute Freiheit der Liebe, andererseits die bleibende Geltung göttlicher Weisungen im Sinne des Neuen Testaments erkannt 61 . Der prinzipielle Unterschied zwischen locus iustificationis und locus iudicii operum ist schon im Alten Testament vorgebildet. Diese unsere These meinen wir durch mehrere alttestamentliche Forscher bestätigt 60 Mit Recht betont W. Zimmerli gegen ein einseitig »evangelisches« Verständnis des alttestamentlichen Bundes (ThLZ 1960 Nr. 7 Sp. 494): »Die Erwählung Israels ist nicht denkbar ohne die Gültigkeit seines Gottesrechtes und das in ihm verborgen drohende Gericht. In schriller Dissonanz bricht hier die Dialektik der barmherzigen göttlichen Erwählung und des heiligen Eiferns Gottes um sein Recht auf«. U. E. besteht prinzipiell insofern dasselbe Verhältnis zwischen locus iustificationis und locus iudicii operum im Alten wie in Neuen Bund, als der Bundesgläubige die Gebote erfüllt. Die prinzipielle Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis wird aber erst durch das neutestamentliche Evangelium klar erhellt, vgl. Zimmerli a.a.O. Sp. 497. Auch im Neuen Bund darf aber das sola fide nicht zu einer Vernachlässigung der Werke führen. Der Dienst am Nächsten ist das neutestamentliche frei-spontane »Bundeszeichen«, das beim wahren Glauben nicht ausbleibt. 61 Der Satz des H. Gerdes (Luthers Streit mit den Schwärmern . . . S. 115) : »3. usus führt ins Schwärmertum« ist allzu summarisch. In bezug auf die Schwärmer ist der Satz richtig, da sie das Gesetz gesetzlich verstanden und gebrauchten. Unter Umständen aber führt auch die Bestreitung des 3. usus ins Schwärmertum.
215 gefunden zu haben. Zwar behält Paulus auch darin Recht, daß im alten Bund das Gesetz die Gewissen knechtete. Den grundsätzlichen Unterschied zwischen Glaubensbund und Gesetz sieht Paulus jedoch klar bezeugt, wenn er die Abrahamsgeschichte mit den Berichten vom Sinaibund vergleicht (Gal. 3). Auch bei der mosaischen Gesetzgebung ist den beiden Aspekten deutlich Ausdruck gegeben (Ex. 20,2ff. vgl. Gal. 3,17). Mit Recht behauptet also Paulus, daß durch seine Unterscheidung zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und den gebotenen Werken das Alte Testament erhellt werden kann (Rom. 4; Gal. 3; 4,21—31). Seine Behauptung, die anderen Apostel und der Herrenbruder Jakobus hätten seine Lehre gutheißen, verlangt, daß auch die übrigen neutestamentlichen Offenbarungszeugnisse durch das dem Paulus anvertraute Licht erhellt werden können, wenn sie apostolisch sind (Gal. 1—2). Auch in dieser Hinsicht hat Luther eine richtige Beobachtung gemacht.
IV. Das Verhältnis zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und Gericht nach den Werken im Neuen Testament Es ist in der heutigen theologischen Situation sehr bedeutsam, daß die ein Gericht nach den Werken bezeugenden Worte der hl. Schrift in ihrem Unterschied von den die Rechtfertigung durch den Glauben bezeugenden Worten sorgfältig analysiert werden, so wie es bei W. Joest geschehen ist. Joest stellt als Ergebnis seiner Untersuchung einen logisch kontradiktorischen Widerspruch im Neuen Testament fest, indem er die beiden Aspekte auf den locus iustificationis bezieht 62 . A. Nygren dagegen, der ebenfalls besonders klar den grundsätzlichen Unterschied zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und Gericht nach den Werken erkannt hat, interpretiert die Gerichtsstellen in Einklang mit Luther so, daß das Gericht nach den Werken nicht in den absoluten locus iusti62 Ges. u. Freih. S. 173: »Es bleibt bei einem Widerspruch, der durch die Hintereinanderschaltung zweier systematisch aufeinander bezogener Gerichtsakte weder so noch so gelöst werden kann«. Joest folgt E. Schlink, der (z. B. im Aufsatz Gesetz und Paraklese, Antwort 1956, S. 328) ein echt antithetisches Gegenüber in loco iustificationis feststellt nicht nur zwischen den beiden Urteilen Freispruch und Verdammnis innerhalb der Gerichtsankündigung, sondern auch zwischen der Gerichtsankündigung selbst und dem Evangelium als der Botschaft von der Rechtfertigung des glaubenden Sünders. Das Wort vom Gericht nach den Werken redet also eben in demselben locus wie das Evangelium, das das Rechtfertigungsurteil und damit den eschatologischen Freispruch zuspricht! Auch auf Gemeindeglieder, die im Glauben sterben, müsse demgemäß nach Schlink der Satz bezogen werden, »Paulus rechnet damit, daß am kommenden Tage des Gerichts Glieder der Gemeinde auf Grund ihrer Werke verdammt werden, und nennt als Richter nicht nur Gott, sondern auch Jesus Christus, also denselben, der die Gerechtigkeit der Glaubenden ist«. »Wird doch Christus nicht nur als die Gerechtigkeit der Glaubenden, sondern auch als Richter der Werke der Glaubenden verkündigt. Diese Antithese hat Paulus nicht logisch aufgelöst, und sie läßt sich auch nicht logisch auflösen«.
216 ficationis gehört63. Dadurch wird bei ihm so wie bei Luther der logische Widerspruch aufgelöst, die existenzielle Spannung aber beibehalten und vielleicht noch intensiviert. Zur Klärung des Verhältnisses zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und Gericht nach den Werken im Neuen Testament führen wir folgendes an: 1. Das Verhältnis zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und dem eschatologischen Gericht entspricht in der hl. Schrift dem Verhältnis zwischen Bundesverheißung bzw. Evangelium, die den Glauben schaffen, und dem Gesetz (lex charitatis, lex libertatis), das Werke gebietet. Wie die Gebote dem göttlichen Zuspruch der Gnade zugeordnet sind (Ex. 20; Mt. 5), so die Werke dem Glauben (Joh. 14,12; 2. Kor.4,13; Gal. 5,6; 1. Thess. 2,13) und das Gericht nach den Werken der Rechtfertigung durch den Glauben (Rom. 5,1—5 vgl. 2. Kor. 5,1—10). Folglich besteht eine prinzipielle Übereinstimmung zwischen der in und nach dem Glauben geschehenden Rechtfertigung und dem Urteil, das im Gericht nach dem Maßstab des Liebesgebotes ausgesprochen wird (Joh. 5,24.29; Rom. 5,1.5; 1. Joh. 4,15ff.). Diese Tatsache erklärt, daß das Neue Testament, indem es zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und dem Gericht nach den Werken unterscheidet, dennoch von beiden behauptet, in ihnen werde über das ewige Schicksal entschieden (Joh. 5,24.29; 2. Kor. 5, 21.10). 2. Der Glaube und die Werke werden indessen nicht gleicherweise auf die ewige Scheidung zwischen Gerechten und Ungerechten bezogen. Wie die Werke dem Glauben, so ist das Gericht nach den Werken der Recht63 Der Römerbrief S. 97 f. (Pauli brev till romarna S. 134 f.) »Aber soll denn nach Paulus der Mensch nicht auf Grund seines Glaubens oder Unglaubens gerichtet werden? Auch diese Frage beruht auf einem Verkennen der paulinischen Auffassung. Der Glaube ist f ü r ihn keine Leistung, die vom Menschen anstelle der Werke gefordert würde . . . Paulus kann ohne Bedenken von einem Gericht über die Werke des Menschen sprechen, einfach aus dem Grunde, weil dieses Wort — um Luthers Ausdruck anzuwenden — nicht in ' loco iustificationis' steht . . . Paulus hat Gesetz und Evangelium nicht auf solche Weise miteinander verbunden, daß das Gesetz den eigentlichen Willen Gottes enthielte, das zu erfüllen wir indessen keine Möglichkeit hätten, und daß Gott uns deshalb sein Evangelium gegeben habe, damit wir mit seiner Hilfe das Gesetz erfüllen möchten und auf Grund der mit dieser Unterstützung geleisteten Werke nun als rechtfertig gerichtet werden könnten . . . Dieses an Christus glauben, ' i n Christus' leben und durch ihn Anteil haben an dem neuen Äon ist schon an sich vollkommene Gerechtigkeit . . . Doch davon spricht er noch nicht in diesem Zusammenhang und zwar aus guten Gründen. . . . Leider ist es jedoch Tradition geworden, daß man im Anschluß an diesen Textabschnitt die Gerichtsgedanken des Paulus seiner Verkündigung der Rechtfertigung durch den Glauben gegenüberstellt. Die Folge davon ist im Allgemeinen eine Abschwächung des Gerichtsgedankens oder des Rechtfertigungsgedankens oder gar beider gewesen«. — Wie Nygren argumentiert auch Luther, wenn er zu seiner Auslegung von Mt. 16, 27 einen Exkurs über Glaube und Werke hinzufügt (WA 38, 645, 23 ff. Annotationes in aliquot capita Matthäi 1538): In Abwehr der Sophisten »nostri monendi sint, ut locus huiusmodi, ad iustificationem non pertinentes, negent ad causam iustificationis pertinere, et in hoc fortiter stent et perseverent«. Vgl. auch die Beobachtung H. Brauns, Gerichtsgedanke . . . S. 61 : in 2. Kor. 5, 9 f. ordnet Paulus »das Streben, dem Herrn wohlzugefallen, völlig dem Verlangen nach Gemeinschaft mit Christus unter, sodaß die Sicherheit um die Erfüllung dieses Verlangens auch durch die strenge Gerichtsnorm kaum getrübt scheint«.
217 fertigung durch den Glauben zu- und untergeordnet. Die absolut entscheidende Bedeutung wird dem Glauben zugeteilt. Schon der Sünder, der in der Zeit zum Glauben kommt, ist mit dem verdammenden Gericht prinzipiell fertig und hat das ewige Leben im Reich Christi (Joh. 5,24). Der durch den Glauben Gerechtfertigte hat Heilsgewißheit (Rom. 5,1; 1. Joh. 3,lf.). Im absoluten Gegenüber mit Gott werden nicht die Werke des Glaubens als seine etwa notwendige Ergänzung gefordert. Das wird von Paulus (Rom. 1,17; 3,28; Gal. 2,15 ff.) und Johannes (5,24) klar gesagt. Auch die Synoptiker bezeugen die volle Aufnahme ins Reich Gottes durch die gläubige Hinwendung des Sünders zum Vater (Lk. 15; 18,13f.) bzw. zu Christus (Mt. 9,Iff.; 16,16f.; Lk. 23,42f.). Weil aber der Glaube bis zum Tod in Gefahr steht, gelangt die Heilsgewißheit im Glauben in der Zeit nicht zu unanfechtbarer Sicherheit. Es besteht die Gefahr der Selbsttäuschung, des Glaubensverlustes durch fleischliche Sicherheit oder durch Versagen in Versuchung und Verfolgung (Mt. 13,20; 25; Rom. 11,20; 1. Kor. 10; Offb. 3,llf.). Es besteht die Möglichkeit der Tötung des Glaubens durch Verhärtung gegen die Liebe Christi, die zur Inkarnierung des Glaubens in Liebesdienst am Nächsten treibt (1. Joh. 3,17). 3. Erst in der Herrlichkeit wird eine vollkommene Übereinstimmung bestehen zwischen der imputierten Gerechtigkeit und der tatsächlichen Heiligkeit (1.Joh. 3,2; Rom.8,29). Es ist naheliegend, diese vollendete Heiligung der Christen als die Grundlage der Anerkennung im Gericht nach den Werken anzusehen 64 . Indessen läßt es sich nicht mit den Quellen vereinbaren, dies Gericht auf die eschatologische Heiligkeit zu beziehen. Die das Gericht nach den Werken bezeugenden neutestamentlichen Stellen beziehen sich sämtlich auf das, was der Mensch im Leibesleben getan oder nicht getan hat. So wird in Mt. 25,31 ff. gemäß 10,40 if. gesagt, daß die zur Rechten Christi Stehenden denverfolgten und notleidenden Jüngern Christi gedient haben. Ebenso ist auch Mt. 6,12 die vergebende und dienende Feindesliebe ein Merkmal der wahren Christen, sowie die Sorge um die Rettung der Sünder (Lk. 15). Im Gericht nach den Werken wird also wirklich nach den Werken gefragt (siehe weiter Rom. 13,8—14,12; 1. Thess. 3,12f.; Offb. 20,12; 22,12). Auch unter diesem Gesichtspunkt steht aber das Gericht im Zeichen 61 So. H . Braun, a.a.O. S. 60: »Das objektive Sprechen über ein möglicherweise doppeltes Gericht« wird »zur Hoffnung auf ein die Vollendung der Christen anerkennendes Gericht«. Ebd. S. 66: »Der Befund der Gerichtsstellen selber z e i g t u n s : Paulus erwartet von Gott, nicht von menschlicher Leistung, die Vollendung bis auf den T a g des Herrn«. V g l . H . Conzelmann, R G G 3 II Sp. 1421: »Rechtfertigung allein (!) aus Glauben und Gericht (!) nach Werken bilden einen in sich einheitlichen Gedanken«. P. Althaus formuliert (Zum Verständnis der Rechtfertigung S. 38) : »Wie steht es u m die künftige Rechtfertigung beim Endgerichte? Als Urteil über die Beschaffenheit des Menschen wird Gottes künftiges Urteil analytisch sein: es ergeht über den, den Gott durch den T o d hindurch ganz entsündigt und für sich geheiligt hat. Als Urteil über die Schuldigkeit des Menschen wird es in Ewigkeit niemals analytisch. Sein Gewesensein kann von seinem Sein nicht verschlungen werden. D i e Ewigkeit löscht die Geschichte nicht aus«.
218 des Glaubens und der Hoffnung. Die geforderten Werke sind dem Glauben verheißen und werden durch den Geist gewirkt (Gal. 5,22; Joh. 15). Darum besteht schon in dieser Zeit ein grundsätzlicher Unterschied zwischen guten und bösen Menschen (z.B. Eph. 2,1 ff.; 1. Joh. 2,9ff.; Mt. 7,16ff.). Das soll am Jüngsten Tag offenbar werden, wenn jeder Mensch nach seinen Werken gerichtet wird. 4. Wegen der Geltung der dem Glauben imputierten Gerechtigkeit und wegen der Zuordnung der Werke zum Glauben (Joh. 7,38; 14,12; Gal. 5,22) ist das Bestehen im Gericht nach den Werken dem Glauben zugesprochen (Gal. 5,23; Joh. 15,5—8) und wird das Gericht zum Trost verkündigt (2. Thess. 1,3ff.; Phil. 1,28). Der Gedanke an die Anerkennung und freundliche Zusage Christi im Gericht soll dem Gläubigen unter dem Kreuz eine notwendige Hilfe leisten gegen das Versagen des Glaubens und der Liebe. Die Verheißung der Glaubensfrüchte macht jedoch nicht die ständige Vergebung der Sünden unnötig (Mt. 6,12f.; 1. Joh. 1,8—2,2) und hebt weder die Überordnung des Glaubens über die Werke auf noch die Rechtfertigung durch den Glauben über das Gericht (Rom. 5,Iff.; 8,34—39). Infolge dieser Vorordnung der Rechtfertigung durch den Glauben darf der Christ mit seinen dienenden Werken trotz der ihm anhaftenden Sünde zuversichtlich dem Jüngsten Gericht entgegengehen. Den Faulen, Selbstsicheren und Ungläubigen soll indessen die Gerichtspredigt eine eindringliche Mahnung zur Bekehrung sein (Mt. 24,45—51 ; 25,14—46; Lk. 16,19ff.). 5. Auch die Gläubigen bedürfen der Vermahnung. Wegen der psychologischen Freiheit und wegen der trügerischen Macht der Sünde und des Teufels besteht für sie die ständige Gefahr der Lässigkeit im Dienst und der Verkehrung der Lehre. Der gläubige Christ, der kraft des Geistes spontan das gute Werk tun »muß« (1. Kor. 9,16), kann dennoch der Liebe Christi zum Nächsten widerstehen und die göttliche Botschaft verfälschen (Gal. 5,13; l,7cfr. 1. Kor. 3,12ff.). Inwiefern verkündigt also Paulus das Gericht nach den Werken »im Einklang mit seiner Rechtfertigungslehre«? So fragt Joest und fährt fort: »Besteht hier nicht schon bei Paulus selbst ein Widerspruch, der nicht systematischgedanklich zur Deckung gebracht werden kann; ein Zweiklang, der eben nicht zum Einklang wird, es sei denn auf der Ebene einer harmonisierenden Interpretation, die überhaupt keine reinen Klänge mehr hört?« 65 Die Antwort, die wir aus dem Neuen Testament hören, läßt sich folgendermaßen skizzieren: gedanklich besteht dasselbe Verhältnis der Zuordnung zwischen Rechtfertigung durch den Glauben und Gericht nach den Werken wie zwischen dem Glauben und den Werken. Hier besteht kein logischer Widerspruch. Auch existenziell besteht im Lichte der göttlichen Verheißung Harmonie zwischen Rechtfertigung und Gericht, eine Harmonie jedoch, die durch die Hingabe des ganzen Herzens zum Dienst am Nächsten in der Kraft Christi bedingt ist. Dem 65
W. Joest, Ges. und Freih. S. 229 Anm. 38.
219 Selbstischen und Faulen wird das Verhältnis zwischen Rechtfertigung und Gericht zu einer fürchterlichen Disharmonie (1. Kor. 3,11—15)ββ. 6. Die Diskrepanz zwischen Glauben und Nächstenliebe kann im Jüngsten Gericht kaum eine absolute sein. Niemand wird nach 1. Kor. 13 aufgrund seines Glaubens im Gericht bestehen, ohne zugleich auch der wahren Nächstenliebe teilhaftig zu sein. Der lieblose Glaube ist tot und errettet nicht. Die Prediger, die selig werden, obschon sie durch falsche Lehre die Zuhörer ins Verderben geführt haben, sind nach 1. Kor. 3,11 f. selbst auf dem Grund des Glaubens geblieben und dadurch wohl auch in der Liebe (vgl. Rom. 5,1.5; Gal. 3,1 ff.). Ein liebloses Verhalten gegenüber dem Nächsten und ein Verlassen der heilsamen Lehre ist aber nie ohne Gefahr für den eigenen Glaubensstand (Mt. 6,15; 18,28ff.; 1. Tim. 4,16; Gal. 1,8f.). Obwohl kein gutes Werk den Glauben schaffen kann (Gal. 3,1 ff.), können die bösen Werke den Glauben töten. Die Schrift bezeugt, daß mit der Liebe zusammen im praktischen Leben immer auch der Glaube ertötet wird ( l . T i m . 1,19; 6,10; Rom. 8,13; l.Joh. 3,17). Die Gabe ist eine: der ganze Christus durch den Geist; das Gebot ist eines, daß wir ihm glauben und dem Nächsten dienen sollen (l.Joh. 3,23f.); eines ist letztlich auch das Gericht, durch das Gläubige und Ungläubige gehen müssen •—• die Gläubigen jedoch, auch wenn es durch furchtbares Gerichtsfeuer geht, ohne von der Liebe Christi geschieden zu werden (Rom. 8,33—39). Trotz 1. Kor. 3,15 bleibt die Grundwahrheit, daß in bezug auf das Gericht nach den Werken die tätige Liebe als notwendig zu behaupten ist. Man muß »in eo vitae genere« gefunden werden, wie es Luther sagt67, vgl. 1. Kor. 13; Rom. 5,5. Die freundliche Zusage Christi Mt. 25,34ff., die an alle Geretteten gerichtet wird, soll wahrhaftig sein. Nach dem Axiom, daß ein guter Baum gute Früchte trägt, wird der Übeltäter als ein außer Christus Stehender verurteilt (Mt. 7,17f.; Joh. 15,1 ff.). Da H. Braun das Gericht auf die eschatologische Heiligkeit bezieht und also das Bestehen im Gericht völlig im Lichte der göttlichen Alleinwirkung sieht, scheint ihm der entsetzliche Ernst des Gerichts und der Paränese eine Inkonsequenz zu sein68. Aus 1. Kor. 5,5 schließt er im 68
A Anm. 380. A Anm. 376. — J. Gottschick (Paulinismus u. Reformation S. 457) behauptet, »daß in der überlieferten Lehre des Luthertums das Gegenstück zu den Sätzen des Paulus fehlt, nach denen der Christ unbeschadet seiner Zuversicht auf Gottes heiligende und vollendende Gnade zur sittlichen Arbeit durch die Furcht, sonst im Gericht nicht zu bestehen, und durch die Hoffnung, dadurch das ewige Leben im künftigen Gottesreich zu erlangen, angespornt werden soll«. Bei Luther fehlt dies Gegenstück tatsächlich nicht; ein Blick auf Gottschicks Formulierungen bestätigt aber die Notwendigkeit der durch Luther unternommenen eingehenden Analyse dieser paulinischen Sätze. 68 H. Braun a.a.O. S. 96. Vgl. W. Joest a.a.O. S. 234 Anm. 74: »Braun macht einen hoffnungsvollen Ansatz zum Durchbruch durch alle exegetischen Vermittlungsversuche in Richtung einer klaren Erkenntnis der innerpaulinischen Paradoxie. Aber er hält dieser Paradoxie nicht stand. Zuletzt unternimmt auch er den Versuch einer Vermittlung (die Forderung nur der Maßstab für Gottes eigenes Werk im Menschen, der Lohn ist Gnadenlohn, der Gottes eigenes Wirken krönt), und macht die freibleibende Spitze dogmatisch unwirksam, indem er sie auf uneigentliche Restbestande innerhalb des paulinischen Denkens abstellt«. 67
220 Blick auf Gottes Allmacht und die Erziehungsstrafen (1. Kor. 11,29—34), auch dem schlimmsten Sünder unter den Brüdern sei das endgültige Heil sicher 69 . — Es ist zwar richtig, daß die Gerichtsparänese des Paulus von zuversichtlicher Hoffnung geprägt ist; da es aber im Gericht um die im Leibesleben geschehenen Werke geht, und da der Apostel das Versagen vieler Christen sieht, muß er in seiner Paränese oft die ernstesten Töne anschlagen (1. Kor. 6,9f.; 10,1—12; 15,34; Gal. 5,19—21; Eph. 5,5). 7. Worte wie 1. Kor. 3,15 und 5,5 bezeugen freilich, daß im Gericht »die Forderung nicht mit der unerbittlichen Strenge des Gesetzes durchgeführt wird (Gal. 3,10) — dann würde überhaupt kein Mensch bestehen können — sondern in der Barmherzigkeit, die darin verbürgt ist, daß eben der Richter der Heilsmittler ist (Rom. 2,16)« 7 0 . Bedeutet nun diese barmherzige Beurteilung der Glaubenswerke, daß es nach Paulus trotz allem ein Ansehen der Person vor Gott gibt ? Als Antwort ist erstens festzustellen, daß Rom. 2,9f. mit Mt. 25,34 ff. darin übereinstimmt, daß es im Gericht nach den Werken nur einen, allen Menschen geltenden Maßstab gibt. Es ist aber in den Gerichtsstellen kaum von einem Perfektionismus die Rede, sondern von dem prinzipiellen Unterschied zwischen denen, die, durch den Glauben der Liebe Christi teilhaftig, Freund und Feind von Herzen wohltun und zum ewigen Leben helfen wollen, und denen, die durch den Unglauben sich gegen diese Liebe versperrt haben und ohne sie ihre Werke tun. Eben diese Zuordnung der Liebeswerke zum Glauben und die der toten und bösen Werke zum Unglauben entspricht der Gerechtigkeit und Unparteilichkeit in der göttlichen Beurteilung der Menschen (Joh. 5,24.29 ; 15,1 ff. ; Rom. 5,1.5) 71 . Es könnte zwar als Ungerechtigkeit erscheinen, wenn der Irrlehrer und der schändliche Ehebrecher bei Bekehrung in der elften Stunde angenommen werden, während der Brave, Sittliche, Wohltätige wegen des Unglaubens verworfen wird (Gal. 3,10). Auf einen solchen Einwand hat Jesus die prinzipielle Antwort gegeben : entscheidend ist nicht die Dauer des Dienstes, sondern daß man in den Liebesdienst hineingekommen ist (Mt. 20). Nach dem Gesamttenor des ganzen Neuen Testaments heißt das gerecht und ohne Unterschied gerichtet, wenn Gott denjenigen, der in der Liebe die 10 Gebote hält, im Gericht bestehen läßt, auch wenn er in der letzten Stunde damit begonnen hat — während derjenige, der ohne diese Liebe zum Gericht kommt, mit allen Werken nicht bestehen kann. 8. Der Gerichtsernst wird nicht aufgehoben durch die barmherzige Beurteilung der Glaubenswerke im Gericht. Es ist den neutestamentlichen Zeugen ein höchst erschreckender Gedanke, am Tage des Gerichts vor Christus offenbar zu werden als Diener, die den Liebeswillen des Herrn 69 H. Braun a.a.O. S. 68 u. 50; vgl. Fr. Büchsei, ThW III S. 939, 3 ff.: »Für die Gläubigen ist Paulus der Errettung im Endgericht gewiß R 8, 31—39, sogar für den Blutschänder 1 Κ 5, 5«. 70 Olaf Moe, Ap. Paulus's brev til romerne, 1932, S. 94 (übers.). 71 Moe nimmt prinzipiell an, auf Luther WA 56, 198, 25 ff. hinweisend, daß auch Heiden nach Rom. 2, 7 im Gericht bestehen und ewiges Leben erlangen können.
221 nicht verwirklicht haben (Rom. 14,15; 1. Kor. 8,11; 3,11—15 vgl. Mt. 18,6). Die Möglichkeit besteht, daß wir am Tage des Gerichts, selbst durch den Glauben gerettet, vor Menschen stehen müssen, die wir durch Versäumnisse, Bosheit und Irrlehre in Not haben bleiben lassen oder ins Verderben geführt haben. Im Gericht wird jedes Gewissen in der ewigen Klarheit recht urteilen (Rom. 2,15f.). Kein barmherziger Schleier des Vergessens wird über die Vergangenheit gezogen. Die bösen Werke und Versäumnisse werden in der Begegnung mit den Menschen vor Gottes Angesicht als erschütternde Anklagen aktualisiert. Die grauenhafte Not, die in der Anfechtung und der Todesstunde das Gewissen ergreifen kann, wird am Tage des Gerichts am schwersten erlebt werden — wenn dem Nächsten nicht gedient worden ist. Gewiß, »es ist schon zum Grauen, dieser Enthüllung entgegengehen zu müssen«72. Auch ein Paulus und ein Petrus kennen Furcht und Zittern (2. Kor. 5,11 ; 1. Kor. 9,27; Phil. 2,12; 1. Pet. 1,17). Mit Recht sagt H. Braun, es »geht die Stufenfolge der Vergeltung für die christlichen Lehrer vom Lohn über die Rettung ohne Lohn unter Bestrafung bis zum eigenen Verderben ; in den Worten vom Selbstverwerflichwerden, von dem Wettlauf im Stadion unter Einsatz aller Kräfte und vom vergeblichen Empfang der Gnade zittert ein schwer zu überhörender Ernst« 73 . Möglicherweise ist Mt. 25,34—40 so zu verstehen, daß Christus selbst am Tage des Gerichts nicht die Versäumnisse und Sünden der Gläubigen erwähnen wird, sondern nur endgültig sein anerkennendes Wort aussprechen wird über alle zu seiner Rechten stehenden Gläubigen, weil sie alle der dienenden Liebe teilhaftig gewesen sind. Bedeutet die göttliche Vergebung, daß Christus auch am Tage des Gerichts die vergebenen Sünden nicht hervorziehen wird ? Wird also das den faulen und haeretischen Gläubigen treffende Gerichtsfeuer allein vom eigenen Gewissen ausgehen in der Begegnung mit den Menschen im Angesichte des Herrn — gemäß der Auslegung Luthers von Gal. 6,4f. (S. 61 f.) ? Jedenfalls scheinen die Quellen einen Unterschied zu machen zwischen Christus als dem Heiland und Anerkenner und als dem rügenden Richter, der der Lutherschen Unterscheidung zwischen dem opus proprium und dem opus alienum Christi entspricht. Die Furcht und das Zittern in Blick auf die Begegnung mit dem Christus iudex im Gericht wohnen in aller Christen Herzen (2. Kor. 5,11; Phil. 2,12), und dennoch ist die Haupteinstellung angesichts des Gerichts das getroste Gewissen und die zuversichtliche Hoffnung auf die Anerkennung der Person und auch des Dienstes um Christi willen, der uns zur Gerechtigkeit vor Gott gegeben ist (1. Joh. 4,17; 1. Thess. 2,19; 2. Tim. 4 , 7 f f ; Phil. 2,16; 3,9; 2. Kor. 5,21). Man könnte jedoch fragen, wie die Ewigkeit werden soll für diejenigen, dessen Werke verbrennen, während der Glaube bewahrt wird, der also durchs Gericht so wie durchs Feuer gelangt. Bleibt ihm 72 73
H. Bornkamm. Siehe oben A Anm. 258. H. Braun a.a.O. S. 62.
222 auch in der Herrlichkeit ein ewiges Leiden im Gewissen, das Leiden der Liebe, die versagt hat? Ist es in der Herrlichkeit möglich, selig zu sein, auch wenn man die Ursache der Verdammnis eines anderen gewesen ist? Wer der vollkommenen Liebe teilhaftig ist, möchte j a lieber selbst verworfen sein (Rom. 9,1 ff.) ! Die angeführten Stellen aus der hl. Schrift zeigen die Berechtigung dieser Frage; sie wird aber kaum beantwortet. Was uns geoffenbart ist, sollte genügen als Antrieb zum Glauben und zum Liebesdienst im Beruf, in Mission und in verschiedensten Hilfsdiensten (2. Kor. 5,9ff.; Mt. 20; 25; 1. Joh. 2—5; der Jakobusbrief). 9. Es ist klar bezeugt, daß in der Herrlichkeit nicht alle Gläubigen gleich sein werden. Einige werden volles Lob und den ihnen gebührenden Rang bekommen (Mt. 19,28), andere werden trotz lange dauernden Dienstes wegen ihrer Selbstsucht denen gleich, die in der letzten Lebensstunde ins Reich eintreten (Mt. 19,30—20,16; 1. Kor. 3,1 Iff.). Bedeutet dieser Gedanke, daß die neutestamentliche Rede vom ewigen Lohn im Gericht eine egozentrische auf das eigene Wohl gerichtete Haltung fördert? Nicht ego-, sondern zunächst theozentrisch, danach proximozentrisch. Es läßt sich zwar nicht leugnen, daß nach dem Neuen Testament Gott sich einem jeden bezeugt als der Gott, der eifrig um des einzelnen, um mein Heil besorgt ist (Lk. 15; Rom. 3,19ff.; 2. Kor. 5,20f.; Phil. 2,12f.; 3,7ff.). Zugleich ist aber die neutestamentliche Rede vom Lohn im Gericht an der Liebe Christi zum Nächsten orientiert. Es gilt, dem Nächsten zu dienen, weil es der Wille Gottes ist, und diesem Willen folgend, das entsprechende Lob und den angemessenen Rang zu bekommen (Mt. 25,14ff.). Der Gerichtsgedanke entspricht dem göttlichen Heilswillen. Gott will mich zur Herrlichkeit führen, mich dienstbar machen, mir ein gutes Gewissen geben und mich freundlich anreden. Diesem Willen darf ich mich mit Furcht und Freude übergeben. Indem ich dadurch seiner Liebe teilhaftig werde, bin ich mit ihm darüber einig, daß ich wie Christus und Paulus lieber mich selbst als meinen Nächsten verworfen sehen würde (Mt. 27,46; Rom. 9,3). Unter diesem Aspekt ist die Hauptsache am Lohn weder das gute Gewissen noch die freundliche Anrede Christi, sondern die durch das gute Gewissen und die freundliche Anrede Christi bezeugte Tatsache, daß dem Nächsten (durch uns) geholfen worden ist (Mt. 25,34ff.). Auch Lk. 16,9 ist wie das Gleichnis V. 1—8 keine Vermahnung zur Werkgerechtigkeit und zu selbstischer Lohnsucht. Wer klug ist, sieht ein, daß es nicht das eigene, sondern das Wohl des Nächsten zu suchen gilt; am Jüngsten Tag soll offenbar werden, daß bzw. ob der Nächste unsere Hilfe gefunden hat. Allein durch selbstverleugnende christliche Liebe kann der ewige Lohn erlangt werden. Das »ut finale« von Lk. 16,9 sagt tatsächlich, daß wir in unserer Bezogenheit auf den Jüngsten Tag nicht uns selbst, sondern den Nächsten im Lichte der Liebe Christi zu sehen und ihm zu dienen berufen sind. Dieser evangelische Gerichtsgedanke soll besonders den verfolgten Christen zu geduldigem Ausharren in Glauben und Liebesdienst verkündigt werden; der Jüngste Tag soll offenbaren, daß ihr
223 Dienst nicht vergebens ist, und er wird das Kreuz mit der ewigen Herrlichkeit vertauschen. 10. Die beiden Aspekte des Glaubens und der Werke heben weder die Einheit der Person und des Werkes Christi noch die Einheit der Person und der Werke des Christen auf. Christus ist iustificator, legislator und iudex (Rom. 10,4; Gal. 2,16; Joh. 13,33; 14,15—21; 2. Kor. 5,10; 2. Tim. 4,8). Der Christ ist gerecht erklärt und wird in der Glaubensgemeinschaft mit Christus immer mehr gerecht gemacht, indem er, dem Nächsten dienend, dem Gericht entgegengeht. Demjenigen aber, der wegen seines Unglaubens schon gerichtet ist (Joh. 3,18), fehlt auch die Liebe, und er wird deshalb im Gericht nach den Werken verurteilt, weil er Christus in seinen Gliedern nicht gedient hat (Mt. 25,41 ff.). Auch das 2. Thess. 1,8 bezeugte Gericht »über die, so Gott nicht erkennen, und über die, so nicht gehorsam sind dem Evangelium« ist zugleich im [Sinne der neutestamentlichen Kreuzestheologie auf die konkrete Bosheit der Ungläubigen gegen die Gotteskinder bezogen (V. 3ff.). Man darf also nicht Christus und den Glauben gegen die christliche Verantwortlichkeit für den Nächsten ausspielen. Christus ist ganz in seiner Liebe ; wer ihn im Glauben als Heiland haben will, muß ihn auch in seiner Liebe zu den anderen Menschen empfangen (1. Joh. 4,12). Ebenso ist der Christ als Glaubender und Wirkender eine Person ; wer an die Liebe Christi glaubt, ist zugleich durch den Heiligen Geist seiner Liebe teilhaftig und dient dem Nächsten. Es geht darum um das Heil, wenn die ganze Person nach ihrem Verhältnis zum Nächsten beurteilt wird (Mt. 25,31 ff. vgl. J o h . 5,29), so wie es um das Heil geht, wenn die Person gerichtet wird nach ihrer Bezogenheit auf Christus in Glauben oder Unglauben (Joh. 3,18.36; 5,24). 11. Wie bei Luther läßt sich im Neuen Testament das Verhältnis zwischen der Rechtfertigung durch den Glauben und dem Gericht nach den Werken graphisch darstellen durch zwei Parallelen, von welchen die eine Christus, den ewigen Grund, und den Glauben, der auf ihm ruht, bezeichnet, und die andere die Werke. Das Verhältnis läßt sich auch, gemäß dem Verhältnis zwischen Person und Werk (vgl. Baum und Frucht), mit zwei konzentrischen Kreisen vergleichen. Wegen der Zuordnung der Liebe zum Glauben (Rom. 5,1.5; J o h . 15,1 ff.; Mt. 7,17f.) wird immer eine Entsprechung zwischen den Parallelen bzw. den Kreisen bestehen. Eben darum bestätigt und stärkt die Liebe die Heilsgewißheit, wie Luther in seinen Predigten über 1. Joh. 4,17 so stark betont 74 . Auch 1. Kor. 3,15 bestätigt in Wirklichkeit die Einheit der Person und die enge Verknüpfung des Glaubens mit den 74 Siehe zu 1. J o h . 4, 17 Fr. Hauck in Das Neue Testament Deutsch, Göttingen 1949: »Der Apostel begründet dies Sicherheitsgefühl im Besonderen damit, daß der Fromme durch die Liebe mitten in der Welt Christus ähnlich geworden ist. Nicht den Abstand, in dem er hinter Christus zurückbleibt, sondern die Gleichheit, die er mit ihm erreicht, faßt er gläubig-frohbewußt ins Auge«. Vgl. zur Stelle Bernh. Weiß, Das Neue Testament Bd. 3, Leipzig 1902 S. 386, und Fr. Büchsei, Theol. Handkomm, zum N T . Die Johannesbriefe, Leipzig 1933 S. 73.
224 Werken: bei der Verurteilung des im Beruf geleisteten Dienstes muß auch der durch den Glauben Gerechtfertigte das Gerichtsfeuer leiden. Dennoch ist dem wahren Glauben die Verheißung gegeben, daß er doch gerettet werden soll. Wer aber kann wissen, ob sein Glaube bewahrt wird, wenn er statt der Wahrheit die Lüge verkündigt und im Liebesdienst versagt? Und welcher Gläubige vermag den Gedanken leichtzunehmen, daß er durch Faulheit und Versagen Ursache der Verdammnis seines Bruders werden kann? 12. Durch die Gerichtsworte des Neuen Testaments wird die persönliche Verantwortlichkeit stark hervorgehoben. Gerade indem wir völlig auf Christus und seinen Geist angewiesen sind, um der wahren Nächstenliebe teilhaftig zu bleiben, besteht doch zugleich die Notwendigkeit unserer selbstüberwindenden, mühevollen Arbeit. Im Glauben an den durch den Geist anwesenden Christus, der die Liebeswerke wirkt, sollen alle Kräfte mobilisiert werden in Dienstbarkeit und geduldigem Leiden (Phil. 2,12—17). Paulus bezeugt, daß der Glaube und die Liebe über das Fleisch den Sieg behalten müssen, sollen sie nicht im Gericht verworfen werden (1. Kor. 9,27). Am Ende seines Lebens hat er die Gewißheit, sein Glaube habe sich im Liebesdienst bewährt und er werde die Krone der Gerechtigkeit erlangen (2. Tim. 4,7). Das Ziel wird indessen nur von denen erreicht, die recht kämpfen (2. Tim. 2,5). Wenn Paulus auf seine Christen sieht, ist er oft tief besorgt und erkennt die Möglichkeit, daß einige an den Werken sowie am Glauben scheitern könnten (2. Kor. 12,20; Gal. 4,11). Seine Gerichtsparänese aber ist überwiegend hoffnungsvoll in der Zuversicht zum Herrn und im Blick auf die Geduld der Christen in den Werken unter allerlei Leiden (1. Kor. 1,8f.; Phil. 1,6; 2. Kor. 7,3f.; Rom. 8,28ff.). »Vollendung der Christen, nicht Errettung durch Mühe und Not erwartet Paulus als das Normale« 75 . Wer aber im Gericht als böse erfunden wird, wird auch nicht als Gläubiger erfunden, denn ein lieb- und werkloser Glaube ist tot (1. Kor. 13,2 vgl. Mt. 7,21 ff.; Jak. 2,17). 13. 1. Kor. 3,11—-15 hat eine doppelte seelsorgerliche Bedeutung. Die Furcht angesichts des Gerichts soll zu erneuertem Glauben und Dienst führen (vgl. 2. Kor. 5,9ff.). Zugleich soll hier das Evangelium gehört werden: in der tiefsten Anfechtung darf man glaubend zu Christus fliehen und in der Zuversicht, daß dessen Werk gilt, der Begegnung mit ihm am Jüngsten Tag entgegengehen. Wer bei ihm bleibt, soll nicht zu Schanden werden bei seiner Zukunft (1. Joh. 2,28; 1. Pet. 2,6). 1. Kor. 3,15 zeigt also wie Mt. 19,30—20,16 warnend die Möglichkeit auf, durch Verhärtung gegenüber der Wahrheit und Liebe verlorenzugehen, es lädt aber zugleich ein zu neuem Beginn, zu »semper a novo incipere«. Diese Feststellung ist darin begründet, daß Christus unaufhörlich unsere Gerechtigkeit vor Gott ist, sowahr wir durch den Glauben in ihm bleiben bzw. zu ihm kommen (Phil. 3,8ff.), und zugleich darin, daß der Heilige 75
H. Braun a.a.O. S. 90 vgl. S. 59 f.
225 Geist sein den Glauben und die Liebeswerke schaffendes Werk ständig von Innen her tut (Rom. 8,Iff. 26ff.; Eph. 3,16f.; 1. Thess. 5,23). 14. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß Luther mit seiner prinzipiellen Unterscheidung zwischen locus iustificationis und locus iudicii operum die rechte neutestamentliche Scheidelinie gezogen hat zwischen Evangelium und Gesetz, Glauben und Werken, eschatologischer Rechtfertigung durch den Glauben und eschatologischem Gericht nach den Werken. Durch diese prinzipielle Unterscheidung bekommen der Gerichtsgedanke und die gesamte Gesetz-Evangelium-Dialektik ihren rechten Sinn. Die logisch-sachliche Distinktion dient der existenziellen Spannung, der Übung des Glaubens und der Tätigkeit im Werk. Nicht trotz, sondern kraft dieser Distinktion ist Luther »Vollhörer« der hl. Schrift. Alle wesentlichen Lehrkomponenten des Neuen Testaments haben in seinem System ihren organischen Platz, auch diejenige des Jakobusbriefes. Die Polemik der römischen und spiritualistischen Theologen gegen Luther beruhte prinzipiell darauf, daß sie seine Distinktion nicht anerkannten. Um das rechte Verständnis des Verhältnisses zwischen Glauben und Werken geht auch heute noch großenteils das interkonfessionelle Gespräch. Auch die große Verwirrung innerhalb der evangelischen Exegese und Bibeltheologie hat einen wesentlichen Grund darin, daß man die Luthersche Unterscheidung nicht mehr meint billigen zu können. Es ist darauf hinzuweisen, daß Luther mit seiner Behauptung der Alleingeltung des Glaubens in loco iustificationis keineswegs die Bedeutung der Werke und den Ernst des Gerichts bagatellisiert hat. Luther hat erkannt, wie Prediger und Zuhörer durchs Gerichtswort über die Werke bis in die innerste Seele gegeißelt werden (Mt. 25; Hebr. 12,6ff.; 1. Kor. 3,11 ff.). Dennoch soll vor Gott im tiefsten Grunde Christus allein bestehen und gelten — und wir in ihm durch den nackten Glauben (1. Kor. 3,11.15). Wird dies nicht jeder letztlich einsehen und anerkennen, der Lk. 15 und 23,40 ff.; Rom. 1,17; 4,5 und 2. Kor. 5,21 kennt und der in Psalm 51 und Rom. 7 zu Hause ist? Und wer wäre da nicht zu Hause?
V. Prinzipielles zur Lehre und Verkündigung des Gesetzes und des Gerichts Als Ergebnis unserer Untersuchung stellen wir einige Thesen über das Gesetz auf: 1. Zur
Begriffs-
und Relationsbestimmung
des Gesetzes
1. Der gebietende Wille Gottes hat sich nach dem Zeugnis der hl. Schrift geoffenbart als Forderung nach Glauben und Liebeswerken (Gal. 5,6; 1. Joh. 3,23). Entsprechend definiert Luther z.B. in den Katechismen das Gesetz. 8
226 2. Das Gesetz bezeugt den Zorn Gottes, der über uns als Ungläubige und Missetäter entbrannt ist. 3. Durchs Evangelium wird geoffenbart, daß der erzürnte Gott vor allem der Gott der Liebe ist, der das Heil des Menschen will und der sich zunächst als iustificator geoffenbart hat. Durch das Glaubensgebot wird der Mensch auf den erwählenden Gott hingewiesen, der allein den Glauben schaffen kann, während die die Liebeswerke gebietenden Gebote durch unsere cooperatio mit Gott im Glauben erfüllt werden. 4. Zum Unterschied von der evangelischen Verheißung, durch welche Gott den rechtfertigenden Glauben schenkt (Gen. 12; 15; Ex. 20,2; Gal. 3), wird das Gesetz in der hl. Schrift definiert als die Forderung der Liebe und der Werke, die der Mensch tun soll (Ex. 20,3ff.; Gal. 3,1 If. 17). Diese Gesetzesdefinition wird von Luther im Großen Galaterbriefkommentar besonders stark betont (WA 40 I 425f.). 5. Die erste Definition des Gesetzes ist als integrale Zusammenfassung des gebietenden Willens Gottes zu verstehen; die zweite, theologisch genauere Definition entsteht durch die analysierende Interpretation der Gebote Gottes 76 . 6. Durch die Definition des Gesetzes als der Forderung der Liebeswerke wird weder die Forderung nach dem Glauben noch der Zorn über den Unglauben verleugnet; auch bedeutet diese Definition nicht eine Beschränkung der Kreuzesanfechtung und der Versöhnungstat Christi. Die Geltungs- und Begriffsbegrenzung des Gesetzes ist vielmehr vom Evangelium bzw. vom Christus iustificator her zu verstehen. 7. Durchs Gesetz bzw. das Beispiel Christi wird der göttliche Zorn über uns als lieblosen Tätern geoffenbart; durchs Kreuz Christi wird der Zorn über uns besonders als Ungläubigen erkannt. Obwohl am Kreuz Christi der numinose Deus absconditus furchtbar erfahren wird, ist es die eigentliche Aufgabe des Wortes vom Kreuz, Gott zu offenbaren als den zum Heil erwählenden, die Sünde sühnenden und vergebenden, den Glauben und die Liebe schenkenden Heiland. , e Nach der letzten Gesetzesdefinition ist das Evangelium prinzipiell vor dem Gesetz. Darin behält K a r l Barth recht. Falsch ist aber seine Behauptung, das Gesetz sei schlechthin die Form des Evangeliums. Obwohl das Evangelium in der Form des Gebotes verkündigt werden kann, ist das Gesetz eigentlich die Form und der Inhalt des mit der Segensverheißung und der Fluchesandrohung verbundenen Wortes, das prinzipiell in loco iudicii operum redet. Zur Unterscheidung zwischen Zorn und Fluch siehe Fr. Sieffert, Der Brief an die Galater, Meyers Kommentarwerk, Gött. 1899 S. 178 zu Gal. 3, 10: »Der hier gemeinte Fluch ist also nicht bloß die göttliche οργή und vollzieht sich nicht erst im ewigen Tode, sondern er besteht und vollzieht sich in der Unterwerfung unter die Herrschaft des zunächst als Ende des irdischen Lebens gedachten Todes, durch welche aber ein vor und nach demselben andauernder Todeszustand hervorgerufen wird . . . Falsch ist es, unter dem Fluche bloß den geistlichen T o d zu verstehen«. In der neueren Exegese werden Zorn und Fluch in eins gesehen und zwar, wegen der Zuordnung der durchs Gesetz verfluchten bösen Werke zum Unglauben, insofern mit Recht, vgl. z.B. Fr. Büchsei, T h W B I S. 4 5 0 , 2 8 : » D a ß Sünder-Sein besagt, schon jetzt unter dem Zorn, unter dem Verdammen Gottes stehen, nicht nur dem Zorn und der Verdammung entgegengehen, ist im Worte vom Fluche des Gesetzes ausgedrückt. Weil so im Fluche des Gesetzes οργή und κατάκριμα schon jetzt auf der Menscheit lasten, gibt es Vergebung nur durch einen eigentlichen Loskauf vom Fluch des Gesetzes«.
227 8. Heilsgeschichtlich wurde das die Liebeswerke fordernde Gesetz dem Gnadenbund hinzugefügt. Entsprechend folgen in der Bergpredigt die Vermahnungen den Seligpreisungen und in den paulinischen Briefen die Paränese dem gnädigen Zuspruch des Heils propter Christum (Ex. 20,2ff.; Mt. 5,Iff.; Lk. 6,20ff.; Rom. 12,Iff.; Gal. 5,13ff.; Eph. 4,1 ff.). 9. Das Alte und das Neue Testament bezeugen, die Rechtfertigung geschehe durch den Glauben, während die Ungnade den Unglauben treffe. Dieser Grundsatz der iustificatio sola fide gilt auch am Jüngsten Tag (Gen. 15,6; Hab. 2,4; Jes. 30,15; 7,9; Joh. 5,24; 3,18). Zugleich wird in beiden Testamenten bezeugt, derjenige, der die im Gesetz befohlenen Werke tut, solle leben, während derjenige, der sie unterläßt, verflucht sei. Auch dieser Grundsatz gilt im Jüngsten Gericht (Lev. 18,5; Gal. 3,12; Joh. 5,29; 2. Kor. 5,10). 10. Da das Gesetz die Werke gebietet, in denen der Glaube sich inkarniert, ist der an das Gesetz geknüpfte Segen prinzipiell derselbe wie derjenige, der im Evangelium dem Glauben zugesprochen ist. Ebenso entspricht der Fluch, der im Gesetz über den Missetäter ausgesprochen wird, dem göttlichen Zorn über den Ungläubigen. 11. Die an das Gesetz geknüpfte Verheißung, »der Mensch, der es tut, wird dadurch leben« (Gal. 3,12; Lev. 18,5) und die Drohung des Fluches (Gal. 3,10; Dt. 27,26) werden durch Luther mit Recht (unter dem Aspekt des inkarnierten Glaubens) auf den locus iustificationis bezogen : ein Glaube, der nicht in der Liebe tätig ist, ist tot und rechtfertigt nicht (1. Kor. 13,2; Jak. 2,17.26). Zugleich werden die Verheißung und der Fluch unter dem Aspekt des Dienstes am Nächsten auf den locus iudicii operum bezogen: wer im Glauben dem Nächsten dient, wird nach seinen Werken als gerecht anerkannt; wer nicht dient, wird durchs Gesetz gestraft und verflucht (Mt. 18,35; 25,31—46; Rom. 2,13; 2. Kor. 5,10; Jak. 2,13.24). 12. Gal. 3,12 besagt also nicht, die Werke könnten an die Stelle des Glaubens treten, auch nicht, die Werke hätten ursprünglich und prinzipiell die Bedeutung gehabt, die dem Glauben in bezug auf die Rechtfertigung zukommt. 13. Weil das Gesetz den Unglauben als die Quelle der bösen Werke entlarvt, indem es diese bestraft, besteht trotz der scharfen Unterscheidung eine echte Korrelation zwischen dem verdammenden Gesetz und dem glaubenschaffenden, seligmachenden Evangelium. 14. Zugleich besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Evangelium und Gesetz, da einerseits das Evangelium durch die Gabe des Heiligen Geistes die vom Gesetz geforderten Liebeswerke prinzipiell schafft, und da andererseits die im Gesetz gebotenen Werke die Glaubensgerechtigkeit voraussetzen (Joh. 15; Gal. 3). 15. Infolge des dynamischen Zusammenhangs zwischen Glauben bzw. Unglauben und Werken besteht prinzipiell eine Parallele zwischen locus iustificationis und locus iudicii operum.
228 16. Wegen dieser Parallelität, die in statu perfectionis eine absolute ist, kann man mit gewissem Recht von der lex charitatis bzw. vom Glauben und der Liebe als prinzipiellem Heilsweg reden. 2.
Uber die Bedeutung
der Unterscheidung zwischen Evangelium
in loco und
Gesetz extra locum iustificationis
17. Durch die scharfe Unterscheidung zwischen Evangelium und Gesetz ist zunächst das Evangelium vor Entstellung geschützt. Das Gesetz hebt die ewig geltende Gerechtigkeit, die uns durch den Glauben propter Christum imputiert wird, nicht auf noch widerspricht es ihr (Gal. 3,15ff.). 18. In dieser scharfen Unterscheidung tut sich die göttliche Barmherzigkeit kund: der in klaren Worten über den sündigen Menschen ausgesprochene Fluch Gottes ist zunächst auf den Menschen als Wirkenden bezogen, während das Evangelium von der Befreiung vom Fluch des Gesetzes und vom Zorn über den Unglauben als das »eigentliche« Wort Gottes dem Menschen als vor Gott Existierendem verkündigt wird. 19. Durch die scharfe Unterscheidung zwischen Evangelium und Gesetz wird also gesagt, dem Sünder sei der Zutritt zur Gnade Gottes nicht durchs Gesetz versperrt. Trotz des Fluches dürfen wir zu Gott in Christus fliehen, dessen Gnade mächtiger ist als die Anklage des Gesetzes. 20. Durch diese scharfe Unterscheidung werden uns die anfechtenden Gedanken über Erwählung und Prädestination verwehrt. Durchs Gesetz ficht uns Gott zunächst im Bereich der Werke an; er urteilt über uns nach dem Verhältnis zum Nächsten. 21. Durch die scharfe Unterscheidung zwischen Evangelium und Gesetz ist es uns prinzipiell möglich, im Glauben zu bleiben, auch wenn wir das Gesetz hören. 22. Gemäß dieser Unterscheidung wird zugleich zwischen Rechtfertigung durch den Glauben in loco iustificationis und Gericht nach den Werken extra locum iustificationis unterschieden und zwar so, daß die Möglichkeit offen bleibt, unter Umständen durch den Glauben selig zu werden, auch wenn das Lebenswerk im Gericht verurteilt wird. 3. Die Aufgabe des Gesetzes
23. Luther hat Wesentliches über die Aufgabe des Gesetzes herausgestellt, wenn er vom Paradiesgebot sagt, es sei ein Zeichen, daß Adam einen Gott habe (WA 24,72,5). Auch das mosaische Gesetz wurde zum Zeichen der Glaubensgerechtigkeit gegeben (vgl. Rom. 4,11). 24. Die Gerechtigkeit, die im Glauben besteht, wird offenbar, wenn der Mensch den Geboten Gottes Gehorsam leistet, indem er sie vom 1. Gebot und der Forderung der Nächstenliebe her interpretiert (Rom. 13,8ff.; Mt. 22,37f.; Lk. 10,27—37; Mk. 3,1 ff).
229 25. Das Gesetz enthüllt die wahre Gerechtigkeit des Glaubens dadurch, daß es die Werke gebietet, die der göttlichen Sorge um die Menschen entsprechen und die der durch den Glauben Gerechte unmittelbar tut. 26. Der starke und lebendige Glaube erfüllt das Gesetz über alle buchstäblichen Vorschriften hinaus. Wo aber der Glaube fehlt, werden die Gebote Gottes entweder verachtet oder in einer die Liebe zu Gott und den Menschen verletzenden Weise erfüllt (Mt. 23,23f.; Lk. 10,25ff.). In letztem Fall müssen die dienenden Werke uns durchs Gesetz abgezwungen werden, ohne daß dadurch der Fluch des Gesetzes aufgehoben wird. 27. Da wir ohne den Glauben nicht recht für den Nächsten sorgen und unter dem Fluch des Gesetzes sind, ist der usus elenchticus, der im Dienste des Glaubens auf Christus hin geschieht, der praecipuus usus legis (Rom. 3,20; 5,20; Gal. 3,24). 28. Wenn das Gesetz die Person richtet, die gebotswidrige, lieblose Werke tut, trifft es diese Person in ihrer tiefsten Wurzel, in ihrem Unglauben und eigenmächtigen Leben, die die Quellen der bösen Werke sind (Mt. 15,19f.; Eph. 5,5). 29. Auch bei dem Gläubigen setzt sich diese Gesetzespredigt fort, obwohl ihm die evangelische Verheißung das Bestehen im Gericht nach den Werken prinzipiell zuspricht (2. Kor. 5,10 im Lichte von V. 14; Joh. 5,29 im Lichte von 5,24 und 15,4 ff. 16), und die Gebote als freundliche Mahnungen dem in Christus erneuerten Willen entsprechen (Rom. 12,1 ff.; 1. Thess. 5,14—24; 2. Thess. 2,13—17). Weil der Christ noch Sünder ist (Hebr. 12,1; 1. Joh. 1,8), wird auch ihm das Gesetz und das Wort vom Gericht nach den Werken zur Anfechtung. 30. Als Wort des verdammenden Gesetzes gehört das Gericht nach den Werken in das »klassische« Gesetz-Evangelium-Schema, und stellt auch im Leben der Gläubigen den Gnadenstand in Frage und nötigt den Christen als völlig Verurteilter von Christus sein Heil neu zu empfangen (vgl. oben CII, 1. Abschnitt) 77 . 31. Als verdammendes Gesetz aktualisieren das Gebot und das Wort vom Gericht nur das, was im Gewissen aller Menschen schon vorher vorhanden und wirksam ist (Rom. 2,14f.). Wenn diese »lex in conscientia« durchs Evangelium beherrscht wird, ist es prinzipiell möglich, am Evangelium festzuhalten, auch wenn die Wirksamkeit des Gesetzes im Gewissen durch die Predigt gesteigert wird (Gal. 3,15ff.). 32. Zu Joests Thesen, »wenn Paulus das Gesetz predigt, auch wenn er es 2. Kor. 5,9f. unter dem Namen Christi dem Christen predigt, dann gilt das Gesetz. Und wenn er die Gnade predigt, dann gilt ebenso die " Ges. u. Freih. S. 179. Joest kommentiert: »Ich sehe nur eine Möglichkeit des Verständnisses: Paulus hat das Fortwirken des nomos am Christen zwar nicht gelehrt, er hat vielmehr gelehrt, daß an Christus der nomos endgültig zu Ende kommt ; und er hat damit bezeugt, daß das Evangelium das letzte Wort hat. Aber er hat Gesetzespredigt auch im Namen Christi und am Christen praktiziert, und hat damit bezeugt, daß das Wissen um das Evangelium als letztes Wort nicht ein verfügbarer Besitz ist, sondern daß dieses letzte Wort ein zu-kommendes Ereignis ist und bleibt, das nie etwas anderes ist als in actu Rettung aus gegenwärtiger höchster Gefahr«.
230 Gnade« 78 ist also zu ergänzen: so wahr nach Paulus der Christ zugleich Geist und Fleisch ist (Gal. 5,17), sind das Gnadenwort und das Gerichtswort immer gleichzeitig im Gewissen anwesend, beide als wahre Gottesworte geltend und bejaht, jenes aber prinzipiell vorherrschend, dieses untergeordnet. Auch wenn die Gebote und das Gericht im Namen Christi gepredigt und empfangen werden, soll der Christ wissen, daß er am Evangelium festhalten darf (Rom. 8,34). 33. Im Wort wird der Christus iustificator stärker betont als der Christus iudex. Größer ist der Verteidiger als der Ankläger (Rom. 8,33) ; höhere Geltung hat die Rechtfertigung durch den Glauben als das Gericht nach den Werken (1. Kor. 3,11—15cfr. 2. Kor. 5,10.21). Wenn auch mit Furcht und Zittern, geht darum der Christ dem Jüngsten Gericht mit dem Blick auf Christus und auf den Nächsten entgegen, Christus vertrauend und lobend, dem Nächsten dienend, sich selbst, seine Sünde und Schwachheit erkennend, bekennend und um Christi willen vergessend (vgl. Rom. 8,31—39).
4. ίζμτ Predigt
des Gesetzes und des Gerichts
34. Das Gesetz und das Gericht nach den Werken sollen so gepredigt werden, daß das Wort vom Gericht nach den Werken der Gesetzespredigt Wucht und Ernst verleiht (Mt. 25,31 if.; Rom. 14,10ff.; Gal. 6,1 if.). 35. Sie (sc. das Gesetz und das Gericht nach den Werken) sollen in Verbindung mit dem Wort von Christus so gepredigt werden, daß jeder Mensch seinen Nächsten im Lichte der Liebe Christi sieht und zum Dienst in seiner Nachfolge aufgefordert wird (Gal. 6,2; 1. Petr. 1,17if.; Lk. 10,33 if.). 36. Sie sollen im Sinne des Neuen Testaments und der Katechismen Luthers so gepredigt werden, daß der Liebe die volle Bewegungsfreiheit gegeben wird und alttestamentlichen Geboten, die nicht notwendig im Liebesgebot eingeschlossen sind, keine Geltung zugeschrieben wird (Gal. 5,6; Rom. 13,8if.). 37. Sie sollen so gepredigt werden, daß der Mensch einsieht, er müsse die gebotenen Werke tun, und eben im konkreten Dienst am Nächsten seine Sünde zu erkennen beginnt (Lk. 10,37; Rom. 7,15if.). 38. Sie sollen in Verbindung mit dem Evangelium so gepredigt werden, daß der Gottlose es als seine eigentliche Sünde gegen Gott und den Menschen erkennen kann, daß er die Gnade Christi verachtet und dem Nächsten nicht durch Christus dient (Joh. 16,9; 15,5f.). 39. Sie sollen so gepredigt werden, daß der im Gesetz versprochene Segen im Lichte des durch das Evangelium verheißenen Segens und der im Gesetz drohende Fluch im Lichte des über den Unglauben herrschenden Zorns erkannt werden (Gal. 3,10; Joh. 3,36). 78
A.a.O. S. 179 f.
231 40. Sie sollen so gepredigt werden, daß der Sünder in die Ausweglosigkeit vor Gott geführt wird, wenn er den Fluch des Gesetzes über die bösen Werke und den göttliche^ Zorn über den Unglauben durchs Kreuz Christi erkennt (Rom. 1—3; Apg. 2,36f.). 41. Sie sollen so gepredigt werden, daß eingesehen wird, der göttliche Fluch über uns als lieblose Täter sei schon ausgesprochen, während der ewige Fluch über uns als Ungläubige und Verächter der Gnade noch nicht ausgesprochen ist (Hebr. 2,2f. vgl. Lk. 19,41 f.; Apg. 13,40f.). (Freilich besteht der Zorn extra Christum; allein in Christus ist die Gnade, Joh. 3,18.36. Weil aber Christus das eigentliche Wort Gottes zu uns ist, wird das verdammende Wort in loco iustificationis erst dann gesagt, wenn Christus endgültig abgewiesen ist, cfr. 2. Thess. 1,8; Hebr. 10,29; Mt. 12,31 f.). 42. Sie sollen gepredigt werden, wobei die absolute Sündennot als das Ziel der Gesetzespredigt, nicht aber als Bedingung des gläubigen Hinfliehens zu Christus anzusehen ist (Rom. 5,20; Gal. 3,15) 79 . 43. Sie sollen gepredigt werden auf Christus hin, der als der Erretter vom Fluch des Gesetzes im Wort dem einzelnen Herzen nahe ist und durchs Wort den Glauben schafft in demjenigen, der das Evangelium hört (Rom. 10,5—17; Gal. 3,1 ff.; Joh. 5,25). 44. Sie sollen gepredigt werden auf Christus hin, der die Liebe schenkt und eine Gesetzeserfüllung verspricht und ermöglicht, die unter der Gnade heute und im Jüngsten Gericht durch Gott anerkannt wird (Rom. 5,5; Gal. 5,22ff.). 45. Sie sollen so gepredigt werden, daß die Tür des Glaubens immer offen bleibt, damit der Sünder immer zu Christus kommen (Mt. 11,28 ; Lk. 15; Joh. 7,37) und auch der schwache Christ im Glauben bleiben darf, während er die Gesetzespredigt hört und zum Liebesdienst gereizt wird (1. Joh. 2,1 f.). 46. Sie sollen gepredigt werden in dem Bewußtsein, daß die Rede von den Werken und vom Glauben zunächst eine strafende Aufgabe ausrichtet. Weil diese Wirkung des Gesetzes notwendig ist, soll der Prediger auch direkt darauf abzielen, indem er die Werke und das Gericht predigt zur Bestrafung der Selbstsucht, den Glauben aber verkündigt zur Bestrafung des Unglaubens (Mt. 5—7; 11,20—30; Joh. 5,40ff.; 16,8). 47. Das Gesetz und das Gericht nach den Werken können unter Umständen so gepredigt werden, daß man, von der zeitlos geltenden Rechtfertigung durch den Glauben ausgehend, die Werke und das Gericht nach den Werken verkündigt im Lichte der Zuordnung der Werke zum Glauben und der an die Werke angeknüpften Verheißungen — zur Reizung zum Liebesdienst, zum Trost unter dem Kreuz und zur
,e Vgl. Asmussen, Ges. u. Ev. S. 33: »Wissen wir um eine so freie und vorbehaltlose Verkündigung der Gnade, daß wir die Rettung zu bezeugen wagen, ehe die Notwendigkeit einer Rettung überhaupt an unserem Horizont aufgetaucht ist?«
232 Drohung und Anfechtung 80 . Eben durch den usus evangelicus praecepti kann so zugleich der 1. und 2. usus der Gebote ausgerichtet werden. 48. Sie sollen gepredigt werden, ohne daß man für die praktische Predigtdisposition aus der hl. Schrift feste Regeln herausliest, obwohl nach der Bibel tatsächlich zuerst das Evangelium gepredigt wurde (Gal. 3,15; Mt. 5,1 ff.; Lk. 4,16 ff. vgl. Gen. 3,15). Es ist jedoch eine gute Regel, daß der Prediger sich sofort legitimiert als einer, der die göttliche Hilfe bringt. Auch darin ist Luther vorbildlich, daß er in seiner Predigttätigkeit nicht durch ein formales Nacheinander von Gesetz und Evangelium gebunden gewesen ist. 49. Sie sollen gepredigt werden in der Erkenntnis, daß das Gesetz und das Gericht nach den Werken schon vorher mehr oder weniger klar erkannt sind (Rom. 2,14—16), während das Evangelium ein den Menschen fremdes Wort ist (Rom. 16,25f.; 1. Kor. 2,8ff.); das Evangelium zu verkündigen ist das eigentliche Ziel der Predigt. 50. Obwohl es unvermeidbar ist, daß in Zeiten besonderer Anfechtung das Gesetz im Gewissen die Oberhand gewinnt, soll das Wort Gottes prinzipiell so verkündigt werden, daß das Evangelium im Gewissen behalten werden kann, auch wenn das die Werke gebietende Gesetz und das Gericht nach den Werken gepredigt werden. Dies geschieht nicht durch eine Abschwächung der Gesetzesforderung noch durch eine Verharmlosung des Gerichtsernstes, sondern durch ihre volle Verkündigung im Lichte des Fluches und des Zornes, die Christus pro nobis am Kreuz durchlitten hat, und also im Lichte der überschwenglichen Herrlichkeit des Evangeliums. Das Evangelium schließt auch die Verheißung ein, der Glaube werde die guten Werke hervorbringen, die Gott im Gericht anerkennen und belohnen will. Diese Verheißung soll gewiß erfüllt werden an demjenigen, der in Zuversicht zum anwesenden Herrn Christus seinem Nächsten dient (2. Kor. 12,9; Gal. 2,20; 2. Tim. 4,7f.).
80 Vgl. H. -D. Wendland, Ethik und Eschatologie in der Theologie des Paulus (NKZ 1930 S. 779) : »Der Gerichtsgedanke reinigt den Glauben von aller Selbsterhöhung — zum Schutze der Gnade, der Rechtfertigung, des Glaubens, und damit bedeutet er zugleich die Reinigung des Ethos«.
PERSONENREGISTER Albrecht 140 Aleith 204 Althaus 10f., 18f., 23, 35, 38, 44, 47, 49f., 70-73, 84, 98, l l l f . , 140, 153f., 169, 172, 198f., 217 Asmussen 231 Augustin 41, 97, 106, 246 Barth 116, 154, 200, 226 Baumann 213 Baumgärtel 210 Beintker 144 Benktson 167 Beyer 161 Bizer 22, 32, 246 Bornkamm, H. 39, 60, 105f., 133, 137, 158, 161, 182, 221, 246 Braun 56, 216f., 219f., 221 Bring 23, 28, 79, 84, 156, 165, 167, 188, 192, 198 Buchanan 101 Büchsei 201f., 220, 223f., 226 Bühler 22, 68, 98, 100, 112, 137 Bultmann 151, 201 Carion 99 Conzelmann 217 Dibelius 204 Dress 157 Ebeling 31, 115, 158, 165 Eiert 128, 154f., 165, 167, 188 Ellwein 78, 121 Engeström, von 88 Erasmus 52, 180 ff. Erdmann 205 Erikstein 143 Flacius 189, 192 Förster 97, lOOf. Forck 135 Gerdes 214 Godet 197 Gogarten 30, 172 Gollwitzer 116
Gottschick 219 Gräfe 207 Graffmann 195f. Gutbrod 212 Gyllenkrok 31, 33f., 43, 76-78 Haar 37, 78, 159 Hägglund 78, 171, 188 Haikola 10, 53, 55, 73, 77, 131, 165f., 171, 186, 188-192 Hammann 188 Hardeland 78, 139 Hauck 205, 223 Heckel 109, 135, 159 Heidland 205 Heiler 185 Heintze 118, 130, 145f., 153, 158 Hermann 26, 30f., 52, 78, 131, 134, 169, 209 Hermelink 30, 97, 109, 178 Hesse 135f. Hillerdal 155, 164 Hirsch 186f., 197 Hof 146, 148 Holl 22, 27-34, 37,41, 50f., 53, 57, 75f., 101, 127, 137, 140, 159, 246 Husfeldt 161, 165 Ivarsson 117, 126, 128, 130f., 153f., 173 Iwand 24, 127, 145, 169, 182 Jacob 20, 100, 137, 170, 175 Jänicke 213 Joest 9, 12, 76f., 116, 148, 163f., 167,169,171, 186, 189, 191, 195ff., 200, 203, 207,209, 215, 218f., 229f. Josefson 78 Käsemann 208 Kinder 146 Köberle 113f. Köstlin 97 Kümmel 199
Küng 208f. Lackmann 47, 197, 203, 207ff. Lamparter 143, 210 Lau 103, 162 Lerfeldt 12, 30, 32, 47, 67, 69 Link 55 Ljunggren 32, 37, 39, 44, 47, 55, 136 Löfgren 31, 34f. Loewenich, von 10f., 18, 21,68, 73, 97f., 111, 135 Lohff 98 Lohse 182, 207 Loofs 32 Lortz 185 Major 188 Matthias 18, 148 Maurer 11, 97, 165, 178, 188 Meissinger 179 Melanchthon 18, 99, 187f. Merz 161 Meyer 138ff. Michel 199 Moe 199, 220 Mörlin 189, 191 Müller 158 Musculus 189 Neander 189 Noth 21 Of. Nygren 30, 62, 199, 215f. Olsson 71, 158 Oslander 28, 57, 186-189, 207 Otho 189 Peters 12, 23, 47, 65, 68, 73, 151, 206, 246 Pinomaa 96, 165, 167, 172 Poach 189 Preger 189 Prenter 12, 30, 75, 79, 98, 163, 169f. Preuss 97 Rad, von 210 Rohkrämer 209
234 Rupprecht 139 Schlatter 197, 204f., 207f. Schlink 147, 172, 215 Schloemann 158 Schlüsselburg 186, 189 Schmaus 209 Schoeps 210 Schott 41, 144, 209 Schrenk 201, 203, 212 Schultz 193 Seeberg, E. 36, 162, 164 Seeberg, R. 28, 40, 43, 57, 75ff. Seehawer 186, 189 Sieffert 226
Siirala 156f., 163, 192 Soucek 207 Staehelin 99 Stange 134 Stauffer 202 Thieme 153 Thomas 179-181, 208 Ticonius 97 Tiililä 55 Torrance 128 Troeltsch 156 Vogelsang 98, 105f., 107, 173 Walter 31, 75
Walther, C. F. W. 146 Walther, W. 30 Wellhausen 59 Weiß, B. 223 Wendland 202, 232 Windisch 205 Wingren 62, 137, 152, 159, 171 Wisl0ff 106
Wolf 34f., 121, 158f., 184, 209 Wolff 116 Würthwein 210f. Zahn 197 Zimmerli 214
SACHREGISTER
Adam 36, 55ff., 65f., 112, 120, 127, 140, 161, 164, 174, 188ff., 228 Anfechtung 20, 36, 46f., 74, 77, 79,97, 118,122f., 125ff., 133, 137, 148, 192, 213, 221, 232 Antichrist 99, (104) 107 Antinomer 119, 189ff. Anthropologie 34f., 52f., 148, 187, 202, 206 Apokalyptik 97-101 Barmherzigkeit Gottes 74, 86, 123 — nach Jak. 2,13: 20, 60 — scharfe 106 Bergpredigt 130, 227 Beurteilung 30, 54, 71, 206, 220
Billigkeit 166 Blatt, rauschendes 100 Buße 31f., 83, 101, 110, 117ff., 123, 143, 175 career theologicus 116, 126 caro (cfr. Mensch, alter) 169fF., 174 christologische Analogie 40, 52, 54, 65 Christus Arzt 29, 128-133, 136 — auf dem Regenbogen 132, 178 — creator 40 — exemplum 123f., 130, 153, 226 — forma fidei 22 — iudex 32, 58f., 61, 69, 97, 100, 104, 109, 128137, 144, 178-184, 193, 221, 230 — iustificator 32, 44, 77, 130,133f., 137, 144,146, 193, 226, 230 — legislator 133f., 136 — non iudex (Moses) 104, 129, 133f., 146 — praedicandus 18, 130 — praesens 44 — pro nobis 22, 29, 43, 126f., 232
— rex 128, 134-136 concupiscentia 49, 185 conscientia (cfr. Gewissen) das groste Kreuz 61 — incoelo 154, 171, 177 — in evangelio 56, 133, 169, 171, 174, 178 — in lege 174, 184 — Moses terret 143 cooperatio 142, 148, 181, 209, 226 coram Deo 28, 31, 33, 57 coram hominibus 10, 6570, 110 coram Deo -— coram hominibus 65-73, 117, 148, 185 corpus 169, 171 creatio ex nihilo 31, 35ff. creatura 35f., 78f. nova, initium novae 78f. — secunda 35 Dan. 4,24 (27): 45, 179 debere, debet 26, 155, 187 Dekaloge, neue 167, 191 Demut (humilitas) 27, 32f. Deus absconditus 142ff., 226 Deutschland 105, 117 Dienst am Nächsten 23, 25, 44, 55, 58, 60f., 65, 80f., 83, 95, 102, 104, 11 Iff., 116, 119f., 137, 142, 151, 155, 158, 168, 174, 187, 214, 218, 222, 227f., 232 Dispositio ad gratiam 42 durchgottet 82 e conspectu suo (23) 152 (198) Evangelium s. Gesetz u. Εν. Feindesliebe 46, 58, 79, 81, 196 fides argum. non apparentium 44 — charitate formata 22f., 76, 122, 169, 180, 183, 208
— ex auditu 22, 113 (122) — sola 43, 115, 202, 208f., 227, passim. fiducia duplex (cfr. Glaube) 57, 69 Fluch 109, 141, 143f., 146, 210f., 226-232 Freiheit christliche 164, 191 — psychologische 218 — schöpferische 153 Gebot(e) (cfr. Dekaloge) das eine 19, 219 — das erste 35, 42, 55, 106, 140, 153 — der ersten Tafel 64 •— der zweiten Tafel 105 — die zehn 55, 57, 62-65, 96, 140, 155-169, 192, 214, 220, 228. — drittes 161 — erstes und Gebote 24, 120, 122f., 165ff. — im Paradies 55, 65f., 140, 161, 164, 174, 228 — Maßstab s. d. — und neuer Mensch 172-178, 190 — zum Leben 211 Gerechtigkeit (cfr. iustitia) fremde 22, 30,44,56, 74, 79, 136, 169, 193,214 — reale 28, 33f., 37, 75-77, 82f., 110 — unteilbare 19, 59 Gerechtmachung 17f., 27, 30, 75f., 88f., 186, 200 Gericht (cfr. iudicium) analytisches? 27f., 33, 51, 200, 217 — Ernst des 60, 221, 225, 232 — existenzielles 21, 54, 96, 98, 112ff., 125f., 148 —• nach dem Tatbestand ? 30, 179, 208, 217 — nach 1. Kor. 3,11-15: 85f., 219f., 223ff., passim — nach Mt. 25, 3Iff.: 20, 38f.,58ff.,95, 112f., 119, 148, 150, 217, 219f.
236 — schon geschehen 38, 88, 135, 201 — zeitliches 10, 102-112 Gericht nach den Werken (cfr. Rechtfertigung u. Gericht) 9ff., 50f., 5882, 88-96, 137, 141, 149, 152f., 179, 188, 195-230 passim. — extra locum iustificationis 51-54, 70, 83, 95, 146, 195, 199 — u. neuer Mensch 150, 172f. Gesetz (cfr. lex) weitere Definition des 123f., 138f., 225 — engere Definition des 138-147, 226 — der Freiheit 167 — der Sünde Kraft 125 — extra locum iustificationis 138-148, 228 — Forderung des 63f., 122, 141f. — Freiheit vom 135, 214 — Liebe zum 164, 211 — Mose 155, 160f., 209f., 213 — Universalität des 157f. — Ziel des 81, 120, 140 — Zügel der Glieder 174 Gesetz — Evangelium: Dialektik 85, 134, 144f., 227-232 — Entsprechung 124, 227-232 — Reihenfolge 130, 146f., 232 — Unterschied 130, 146, 213, 227-232 Gesetzespredigt durchs Evangelium 122f., 126 — Mose u. Christi 130f. Gesetzeswerke 115f., 173f. Gesetzlichkeit 55, 119, 121 Gewissen (cfr. conscientia) angefochtenes 20, 97, 118, 120, 221 — das gröste Kreuz 61 — des Gesetzes Predigt im 158 — Evangelium im 174,232 — Freiheit des 156, 213 — Fluch, Gesetz im 133, 170, 232 — geknechtetes 215 — Gesetz unter dem 171 — gutes 62, 81, 155, 212, 222 — im Gericht 61f., 93, 22 lf.
— Marter des 93, 115, 222 — unter dem Gesetz 38 Glaube (cfr. fides u. fiducia) Bekenntnis des 47 — creatura 35f., 78 — erfüllt das 1. Gebot 35 — inkarnierter 34, 39-41, 107, 122, 141, 206, 227 — psychologische Realität 77 — qualitas? 23, 36 — Stärkung des 47ff. — suchender 42 — toter 46, 206 — Übung des 9, 10, 47ff. — und Werke bzw. Liebe 10, 17-34,52, 56, 58,61, 82, 180, 186 — ein Werk? 24f., 140, 204 — wirksamer 24, 47 — Zeichen des s. Werke Glaubensbund 209-213 Gottesdienst 60, 64 Heiden 42, 57f., 158, 220 Heiligkeit eschatologische 217, 219 — tatsächliche 217 Heiligung 9, 27, 29, 31, 76f. — Vollendung der (17) 30f., 56, 75, 217 Heilsgewißheit 35, 44-50, 193,217. durch Werke bzw. Liebe 223 Heuchler (Scheinchristen) 45, 115, 117f., 177 Holzweg 20, 118, 168 homo, totus 72f. Hus, Johan 68, 94 Ideologie 115 Imitatio Christi 149, 177 Interpretation 10, 51, 57, 72, 146, 205, 226 iustificatio (cfr. Rechtfertigung) charitate 56, 147 — Dei in sermonibus 32f., 42 —• Dei passiva 33, 42f. — impii 17, 27f., 37, 200 iustititia actualis 75, 156,165,192 — civilis 113ff., 155f., 168, 192 •— Dei, Entdeckung der 38, 246 — primo ordine 142, 147 — secundo ordine (secun-
da) 78, 140, 142, 147 iustus s. simul Jakobusbrief 53f., 197, 203-208 Juden 105ff. (158, 201) Jüngster T a g 38f., 56, 58-62, 77, 99ff., 109, 112, 117, 136f., 142, 150, 168, 173, 193, 218, 224 Kirchenvisitationen
108
51,
Königsherrschaft Gottes zur Linken 103f. — zur Rechten 135 Kreuz Christi 123, 134, 145, 226 — der Christen 90-93, 108f., 134, 137, 223 Krieg 101, 103 Krone des Lebens 90, 224 Latomus 74, 82, 110f., 183 Lazarus, der arme 21, 87, 95, 114 Lex (cfr. Gesetz) aeterna 159 — accusans 155, 164 — charitatis 157-160, 216 — Christi 159f., 214 — civilis 104, 155f. — crucis 162 — impletio effectiva, formalis 25 •—in conscientia 57, 174, 183, 229 — libertatis 214, 216 — naturalis 157-164 — spiritus 160, 191 — vacua 164, 177 Liebe (cfr. Agape) christliche 79, 222 — eingegossene Qualität? 80, 87, 180 — real geschaffene 78f. — u. Glaube s. Glaube u. Werke — verlorene 149 — völlige 80 — wirksame 23-27, 87 — zum Nächsten u. zu Gott 63f., 120 locus iustificationis u. iudicii operum 52-57, 138-148, 185-194, 207, 209, 214f., 227 Lohn der Werke ewiger 26, 64, 91 ff., 110, 149f., 188, 195f., 22 lf. — zeitlicher 11, 20, 90, 115, 188
237 Maßstab 21, 67, 94, 157f., 166, 216, 220 materia 3If., 34, 130 Mensch (cfr. homo) alter — neuer 34f., 47, 145, 150, 163f., 169-178, 190 meritum 44, 180f., 208 Nachbedingung 148, 196 Nachfolge 58, 152 Nihil 33, 36f., 78f. reductio ad 37 opus alienum, 129, 133
proprium
Papst, Papsttum 59, 99, 105, 108, 119 Paränese 9, 12, 45, 117, 152-155, 172, 176f., 218ff., 224, 227 peccator (cfr. simul) 31, 78 Person u. Werk 26, 120, 148, 223 Perfektionismus 155, 210, 220 proficere, progressus 75, 200 punctum mathematicum 127f.
34, 37ff., 203, 207, 227, passim. —• und Gericht nach den Werken 27, 86, 94, 146, 215-225, 230ff. regnum Christi 26, 108f., 135 regnum gloriae 56 Reizung 126, 150, 152, 154 Ruhm vor Gott 61, 69, 82, 181 — vor den Menschen 66 scholastisch 87, 122, 158, 180, 182 Schoß Christi 38, 174 Schwärmer(ei) 106, 164, 167, 191, 214 signum et signatum 163 simul iustus et peccator 75-83, 169f., 173f., 176 Spannung existenzielle 212, 225 — logische 212 — nach Rom. 7: 199 spiritus creator (fidei) 78ff., 144 Spontaneität 25f., 77f., 135, 149, 156f., 163, 165, 178, (189) 191,218 status perfectionis (integritatis) 147
Quietismus 43, 116 Rechtfertigung (cfr. iustificatio) «anfängliche» 197, 203 — durch den Glauben 9, 34, 40f., 43, 51, 200-209, passim. — durch den inkarnierten Glauben s. Glaube — doppelte 30, 53, 66 — durch Werke bzw. Liebe 40, 54, 147, 197, 203-206 — zeitlose Geltung der 30,
tecta facie 115 tempus evangelii, legis 125, 127, 131, 133, 170 Theologie der Schöpfung 31, 77 — des Kreuzes 64,69,93f., 158, 192 — der Herrlichkeit (gloriae) 160 — römische 209, 225 — scholastische 78, 87, 158, 180, 182 Tod, Todesnot 20, 47, 61, 83, l l l f . , 126, 148, 221
Übung (des Glaubens) 47ff., 77, 176, 225 usus civilis (externus) 155, 177, 232 — duplex 177, 189 — tertius 131, 155, 169 177f., 186f., 189f., 212 — theologicus, spiritualis, praecipuus 141, 177, 190, 213, 229, 232 — legalis praecepti 177 — practicus evangelii 167, 177 — evangelicus praecepti 177, 232 Verantwortlichkeit 37, 198 224 Vermahnung s. Paränese. Verzweiflung 20, 48, 111, 118, 123, 143 Werke (cfr. opera) Anerkennung der 136f., 198f., 206, 221 — des Glaubens 21-27, 44, 217, 227 — entscheidende Bedeutung der 11, 65, 89-95, 216 — Freimütigkeit durch 19, 71, 80, 128, 198 — Güte der 80 — Motiv der 113f., 176 — Notwendigkeit der 58, 83-89, 188, 192 — ontologische Zuordnung der 21-26, 43, 49, 81, 83-89, 178 — Quelle der 22ff., 136, 145, 152, 196 — Sündigkeit der guten 73-77 — Zeichen des Glaubens 45ff., 50f., 71f., 121, 192
QUELLEN B r e t s c h n e i d e r , G. G., Corpus reformatorum. Halle 1834 ff. (Corp. réf.). Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. 4. Aufl. Göttingen 1959 (Bek.). Die Fränkischen Bekenntnisse. Ed. W. F. Schmidt, München 1930. E r a s m u s Roterodamus, D., De libero arbitrio diatribe sive collatio. Ed. J . von Walter, Leipzig 1910. L u t h e r , Martin, Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883—1948 (WA). —, Briefwechsel. Weimar 1930—1948 (WAB). —, Die deutsche Bibel. Weimar 1906—1939 (WADB). —, Tischreden. Weimar 1912—1921 (WATR). O s l a n d e r , Andreas, Von dem einigen Mittler Jesu Christo und Rechtfertigung des Glaubens. Bekantnus. Königsberg 1551 (zit. Bekenntnis). S c h l ü s s e l b u r g , C., Haereticorum Catalogus (CH) IV, Francofurti M D X C V I I . T h o m a s v. Aquin, Commentarla, Leodii 1858. —, Summa theologiae, Rom 1894.
LITERATUR 1.
Zur
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Z U S A T Z ZU A ANM.
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A. Peters (Luthers Turmerlebnis, NZSTh 1961 S. 202ff.) hat die Hypothese aufgestellt, Luther habe neben dem in der Römerbriefvorlesung bezeugten tropologischen Sinn der iustitia Dei noch bis 1518 zugleich am prophetisch-anagogischen Sinn festgehalten, so daß Gottes Heilshandeln von seinem Gericht umklammert bleibe (S. 208). Die durch das »Turmerlebnis« (1518!) gewonnene neue Erkenntnis bestehe darin, daß die im Evangelium geoffenbarte iustitia Dei ausschließlich im Sinne der uns aus Gnaden zuteilwerdenden Gerechtigkeit zu verstehen sei (S. 21 I f f ) . Ist diese Datierung und diese Deutung richtig, dann steht also in der Römerbriefvorlesung der unausgesprochene Gedanke im Hintergrund, daß über das ewige Schicksal der durch den Glauben Gerechtfertigten doch in einem analytischen Gericht nach dem Tatbestand und den Werken entschieden wird — freilich in der Begegnung mit einer iustitia Dei, die Luther fürchtet und haßt (WA 54, 185, 17f.). Dieser Gedanke ist also anders ausgerichtet, als derjenige, den Holl aus der Römerbriefvorlesung herauslesen wollte. Gegen Peters' Hypothese (und überhaupt gegen die durch E. Bizer, Fides ex auditu, befürwortete Spätdatierung) geben wir folgendes zu bedenken: 1. die Definition der iustitia Dei ist in der Römerbriefvorlesung dieselbe wie in der Vorrede zu den opera latina 1545, wo Luther von seinem »Turmerlebnis« redet (WA 54, 185f.). 2. Luther bezeugt in dieser Vorrede sein Erstaunen, daß er seine aus Rom. 1, 17 errungene Erkenntnis in Augustine de spiritu et litera bestätigt fand (WA 54, 186, 16f.). Dieser Hinweis findet sich in der Römerbriefvorlesung (WA 56, 172, 4ff.) zu 1, 17 Ï 3. das »doppelte Plusquamperfectum« in der Vorrede (WA 54, 185, 15). H. Bornkamm (Luthers Bericht über seine Entdeckung der iustitia Dei, A R G 1940 S. 120) urteilt: »Es ergibt sich also, daß Luther der Meinung war, die Lösung der Schwierigkeit von Rom. 1, 17 bei der gründlichen Beschäftigung mit dem Römerbrief für sein Kolleg gefunden zu haben«.