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German Pages 357 [358] Year 2023
Schriften zum Umweltrecht Band 203
Die Justiziabilität des Klima- und Umweltschutzes Effektiver Rechtsschutz als Antwort auf strukturelle Durchsetzungsdefizite
Von
Till Arne Storzer
Duncker & Humblot · Berlin
TILL ARNE STORZER
Die Justiziabilität des Klima- und Umweltschutzes
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin
Band 203
Die Justiziabilität des Klima- und Umweltschutzes Effektiver Rechtsschutz als Antwort auf strukturelle Durchsetzungsdefizite
Von
Till Arne Storzer
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.
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Für meine Familie
„Das Ziel des Rechts ist der Friede, das Mittel dazu der Kampf. Jeder ist ein geborener Kämpfer ums Recht im Interesse der Gesellschaft.“ – Rudolph von Jhering, Der Kampf um’s Recht (1872) –
Vorwort Die Arbeit befindet sich auf dem Stand von September 2022. Spätere Rechtsprechung und Literatur konnten vereinzelt bis zum Frühjahr 2023 berücksichtigt werden. Hinter jeder Dissertation steht die Unterstützung vieler Menschen, denen ich in Dankbarkeit verbunden bin und bleiben werde. An erster Stelle bedanke ich mich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Alexander Graser. Er hat mir selbst als externer Doktorrand stets das Gefühl gegeben, Teil seines Teams zu sein. Und das vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, unserer geographischen Entfernung und der Tatsache, dass wir uns bis zur Disputation nur virtuell kannten. Über den gesamten Zeitraum schaffte er es, praktische Konkordanz zwischen einer anregungsreichen Betreuung und der Wissenschaftsfreiheit herzustellen. Er prägte dadurch nicht nur die Dissertation, sondern mein gesamtes juristisches Verständnis. Dafür gebührt ihm mein herzlichster Dank. Ebenso möchte ich mich bei Prof. Dr. Rike Krämer-Hoppe bedanken. Durch ihr sehr konstruktives Zweitgutachten stieß sie in mir Prozesse des Nach- und Überdenkens an, die der Arbeit zugute kamen. Ebenso bin ich dankbar für ihre unverzügliche Bereitschaft, das Zweitgutachten zu erstellen. Den größten Dank möchte ich meiner Familie aussprechen. Meinen Eltern Anja und Dr. Hans Dieter Storzer gebührt herausragender und in Worten bloß unvollkommen auszudrückender Dank. Sie ermöglichen es mir seit jeher, den Fokus auf eine sorgenfreie Ausbildung zu legen. Ohne ihre emotionale und tatsächliche Unterstützung wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Nicht nur ihre Unterstützung, sondern auch ihr spürbarer Stolz und ihre unendliche Liebe, trieben mich über den gesamten Zeitraum an. Auch möchte ich meinem Bruder Jan Ole Storzer danken. Er hat mir vorbildhaft gezeigt, wie Durchhaltevermögen gelebt wird. Nicht nur für diese Kraft, sondern auch für seinen stetigen Rückhalt, bin ich ihm dankbar. Ebenso möchte ich meinen Großeltern, Waltraud und Peter Oechelhaeuser sowie Erika und Michael Storzer herzlichst danken, die mich nicht nur unterstützt und motiviert, sondern stets mitgeprägt haben. Zudem möchte ich mich bei meinen Freunden und Freundinnen und Arbeitskollegen und -kolleginnen bedanken. Sie haben ein Umfeld des Austau-
10 Vorwort
sches wie der gegenseitigen Motivation geschaffen. Für die gemeinsame Zeit mit und abseits dieser Arbeit bin ich dankbar. Die Arbeit wurde ausgezeichnet mit dem Preis der Maria Giovanna Cubeddu-Wiedemann Stiftung für die beste Dissertation mit internationalem Bezug an der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg. Den Stiftern des Preises, vertreten durch den Vorstand Herrn Anton Wiedemann, gebührt mein besonderer Dank. Schließlich danke ich dem Herausgeber Prof. Dr. Michael Kloepfer für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Hamburg, im Sommer 2023
Till Arne Storzer
Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 21 22 23
B. Zugang zu Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen der Rügebefugnis und des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundlagen des Rechtsschutzes im Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29 29 47 63
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes . . . . . . III. Entwicklungsziele und -tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einordnung und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwaltungsrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E. Eine neue Ära des verwaltungsrechtlichen Umwelt- und Klima schutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Justiziabilität für Individualklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 II. Justiziabilität für Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz . 224 I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Unionsrechtlicher Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 IV. Das Instrument der Klimaklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Warum Klimaklagen nicht illegitim und Gerichte nicht die „falschen“ Orte sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Warum der Gang zu Gericht lohnenswert sein kann . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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12 Inhaltsübersicht H. Ausblick und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Kein Kollaps der Justiz bei geweiteter Justiziabilität . . . . . . . . . . . . . . . . 308 II. Schlussbemerkung und zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Justiziabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Klimaschutz im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umweltschutz im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strukturelle Durchsetzungsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Effektivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Zugang zu Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 I. Grundlagen der Rügebefugnis und des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Das Fundament der Rügebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Grundsätze des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 aa) Grundsatz der objektiven Wertentscheidung . . . . . . . . . . . . . . 30 bb) Grundsatz des Individualrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 cc) Grundsatz der institutionellen Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 b) Entstehungsgeschichtliche Bedeutung des subjektiven Rechtsschutzsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 aa) Entstehungsgeschichtliche Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG . 33 (1) Enumerative Verwaltungsrechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . 33 (2) Missbrauch durch nationalsozialistische Ideologien . . . . . 35 (3) Abkehr von beidem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 bb) Entstehungsgeschichtliche Bedeutung der subjektiv-öffent lichen Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Klassifizierung . . . . . . . . . 39 a) Das subjektive öffentliche Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Klassifizierung als subjektives Recht (Schutznormlehre) . . . . . . . . 41 3. Die Rügebefugnisse und ihre Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Klagebefugnis im Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Beschwerdebefugnis im Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 II. Grundlagen des Rechtsschutzes im Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . 47 1. Individualrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Das Problem der subjektiv-öffentlichen Rechte . . . . . . . . . . . . . . . 47 b) Multi- statt Bipolarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 c) Drittschutz im Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. Verbandsklagebefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
14 Inhaltsverzeichnis a) Subjektiver Rechtschutz durch Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektiver Rechtsschutz durch Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . aa) Funktionen der altruistischen Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . (1) Verlässliche Justiziabilität trotz Objektivität . . . . . . . . . . . (2) Kontrolle der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unterstützung der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Subjektive Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Repräsentations- und Kumulationsfunktion . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Internationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umweltschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ziele und Prinzipien der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sekundärrechtliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Völkerrechtlicher Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klimaschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Europarechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Völkerrechtlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht . . . (2) VN-Klimarahmenübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kyoto-Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Aichi-Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Agenda 2030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Übereinkommen von Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umweltschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklungen im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umweltschutzprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verursacherprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Weitere (neuere) Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klimaschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Klimaschützende Rahmenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Energiewirtschaftsrechtliche Umsetzungsbestimmungen . . . . . II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes . . . . . . 1. Entstehung der deutschen Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklungskräfte aus den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das wachsende Umweltbewusstsein und die ersten legislativen Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 65 65 66 67 67 68 68 70 70 71 72 72 73 74 76 76 76 78 78 79 80 80 81 81 83 84 84 84 85
Inhaltsverzeichnis15 c) Die landesrechtlichen Vorreiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Entstehung des UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Gemeinschaftsrecht als Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 aa) Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Der Weg zur Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (2) Die Rolle und das Ziel der Aarhus-Konvention . . . . . . . . 92 (3) Inhalt der Aarhus-Konvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (a) Erste Säule: Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (b) Zweite Säule: Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (c) Dritte Säule: Zugang zu Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (aa) Rechtsschutz bei Verletzungen der Informa tionsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (bb) Rechtsschutz bei Verletzungen der Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (cc) Rechtsschutz bei Verletzungen sonstigen innerstaatlichen Umweltrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 bb) Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Europarechtliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (a) Umsetzung der 1. Säule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (b) Umsetzung der 2. Säule und des korrespondierenden Zugangs zu Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (c) Umsetzung der 3. Säule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Nationale Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 b) Richterliche Konkretisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Stärkung der Klagerechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (1) „Janecek“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 (2) „Braunbär I“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (3) „Trianel“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 (4) „Altrip“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (5) „Braunbär II“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 (6) „Protect“- Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Schwächung der Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (1) „Präklusions I“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 (2) „Präklusions II“-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Legislative Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 aa) 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 bb) 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 cc) 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Entwicklungsziele und -tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Einordnung und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 II. Verwaltungsrechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
16 Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 2. Vorverlagerter Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Konzentration statt Phasenspezifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (1) Rechtsschutz bei der Bundesfachplanung im Netzausbau . 126 (2) Rechtsschutz bei der Bundesverkehrswegeplanung . . . . . . 128 (3) Rechtsschutz bei Klimaschutzplänen und -programmen . 129 bb) Das Problem einer einheitlichen Definition der Betroffenheit . 130 (1) Kein einheitlicher Maßstab im Unionsrecht . . . . . . . . . . . 130 (2) Kein einheitlicher Maßstab im nationalen Recht . . . . . . . 131 c) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Vorläufiger Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Begriffsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 aa) Das Problem der Irreversibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 bb) Zielkonflikte im Eilrechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) De lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Die Subjektivität im Umweltrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Europäische Mobilisierung der Individualklagenden . . . . . . . . . . . 142 aa) Das bemühte Schritthalten des BVerwG . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 bb) Die europäische Individualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (1) Das Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 (2) Die Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Die Folgen der Mobilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Grenzen des Drittschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Grenzen des Nachbarbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (1) Keine einheitlichen und auf den Klimaschutz übertragbaren Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 (2) Legislative Reaktion aus Gründen der Systematik und der Missbrauchsvorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 (3) De lege ferenda: räumlich begrenztes Recht auf Klimaschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 bb) Grenzüberschreitender Drittschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (1) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Legislative Reaktion aus Gründen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 (3) De lege ferenda: Umweltschutz durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 cc) Grenzen der Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Europäische Subjektivierung der Risikovorsorge . . . . . . . 163 (2) Legislative Reaktion aus Gründen der Rechtsklarheit und effektiven Vorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Inhaltsverzeichnis17 5. Die (schwindende) Verbandsklage des BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Naturschutzrelevante Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Das Verlangen der Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 6. Die Rechtsbehelfe des UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 aa) Der Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Die Kriterien der Rügebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (1) Anerkennung des Verbands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (2) Bedeutung der Rechtsverletzung für die Entscheidung . . . 173 (3) Berührung des satzungsgemäßen Aufgabenbereichs . . . . . 173 (4) Beteiligung des Verbands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 cc) Die Dichotomie im UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 b) Defizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Defizitärer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (1) Vorverlagerte Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (a) Verbindliche Berücksichtigung von Umweltbelangen 178 (aa) Bei Bundesfachplanungen im Netzausbau . . . . . 178 (bb) Bei der Bundesverkehrswegeplanung . . . . . . . . . 179 (b) Verbindliche Berücksichtigung von Klimabelangen in sämtlichen Planungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 (c) Keine ausreichenden und zweckmäßigen Überprüfungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 (d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (2) Der Vorhabenbegriff des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG . 186 (a) Der strikte Anlagenbezug wackelt . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (b) Rechtliche Gründe einer Weitung . . . . . . . . . . . . . . . . 187 (c) Rechtspolitische Gründe einer Weitung . . . . . . . . . . . 189 (3) Konnexität zur Verwaltungsaktqualität widerspricht Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 bb) Justiziabilität von Fehlern im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . 193 (1) Verbandsklagemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 (2) Individualklagemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (a) Prozessuale Erleichterung durch das UmwRG? . . . . . 195 (b) Materiell-rechtliche Subjektivierung durch das UmwRG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 (aa) Argumente für eine Subjektivierung . . . . . . . . . 197 (bb) Argumente gegen eine Subjektivierung . . . . . . . 199 (cc) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 (dd) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Entkernung der UVP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (1) Keine Verfahrensfehler durch UVP-Fehler . . . . . . . . . . . . 203 (2) Widerspruch zur wachsenden Bedeutung der UVP als Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
18 Inhaltsverzeichnis dd) Extensive Heilungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Heilung verfahrens- und materiell-rechtlicher Verstöße bis zur letzten Gerichtsverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Widerspruch zu den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Die Praktikabilität des UmwRG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Eine neue Ära des verwaltungsrechtlichen Umwelt- und Klimaschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Justiziabilität für Individualklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Noch kein subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Klimaschutz . . . . . . . . 2. Klimaschutz als gestärkter Abwägungsbelang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Justiziabilität für Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Justiziabilität für UVP-pflichtige Vorhaben und SUP-pflichtige Pläne/Programme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Justiziabilität auch für nicht SUP-pflichtige Pläne, Programme und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
206 206 206 209 211 214 214 214 217 218 219 221
F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz . 224 I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 1. Beschwerdebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Individualbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 b) Verbandsbeschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2. Materieller Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Staatszielbestimmung Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Möglichkeiten und Grenzen der Generationengerechtigkeit . . . . . . 232 c) Möglichkeiten und Grenzen eines Umwelt- und Klimagrundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 d) Möglichkeiten und Grenzen eines Grundrechts auf ein ökologisches Existenzminium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 e) Möglichkeiten und Grenzen der intertemporale Freiheitssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 f) Intertemporale Freiheitssicherung, ein defizitärer Anfang . . . . . . . 243 II. Unionsrechtlicher Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Klagemöglichkeiten gegen unionales Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 a) Der Nebenschauplatz der „Plaumann“-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Die „Plaumann“-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Verbesserung durch die Aarhus-Verordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. Rolle des Völkerrechts noch ungewiss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Die Resolution 48/13 und der internationale Druck . . . . . . . . . . . . . . . 252 IV. Das Instrument der Klimaklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Eingrenzung durch Definitionsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 a) Ausrichtung der Klagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Inhaltsverzeichnis19 b) Definition oder doch lieber Konzeptualisierung? . . . . . . . . . . . . . . 2. Charakteristika des klägerischen Begehrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fundamentale und intergenerationelle Klageziele . . . . . . . . . . . . . . aa) Fundamentale Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Ubiquität des Klimaschutzes und die Reaktion der Klimaklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Transformationsverlangen der Klimaklagen . . . . . . . . bb) Intergenerationelle Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strategische Prozessführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis: Synergie erzeugt Einzigartigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255 258 258 258 258 261 262 264 266 266
G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 I. Warum Klimaklagen nicht illegitim und Gerichte nicht die „falschen“ Orte sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Fließende Grenzen zwischen Politik und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 2. Legitimität folgt der Legalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 3. Expansion der Debatte als legitimes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 II. Warum der Gang zu Gericht lohnenswert sein kann . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 1. Justiziabilität konkretisiert und effektiviert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 a) Rechtsschutz als Antwort auf die Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Warum Kollektivität die Individualität nicht ausschließt . . . . . . . . 275 2. Nicht die Weltrettung, aber ein Anfang: das Potential der Gerichte . . 279 a) Verwaltungsgerichte im Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . . . . . 280 aa) Durchsetzung demokratischer Rechtsnormen bei materiellem Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 bb) Fachgerichtliche Aktualisierung, Auslegung und Analyse der Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Bundesverfassungsgericht im Klima- und Umweltschutz . . . . . . . . 284 aa) Konturierung politischer Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 bb) Abhilfe der Langzeitverantwortung bei Kurzzeitlegitimation . 287 3. Aufbruch zu einer klimawissenschaftlichen Expertokratie? . . . . . . . . . 289 III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Kein materiell-, sondern ein prozessrechtliches Problem . . . . . . . . . . . 293 a) Auslegungen als notwendige Rechtserzeugungen . . . . . . . . . . . . . . 293 b) Zwischen gemeinschaftsrechtlich Notwendigem und staatsrechtlich Verbotenem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 2. Die Entstehung der richterrechtlichen Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . 296 3. (Prozess-)Rechtsfortbildung: eine Lösung ohne Methodik und Anspruch auf einheitliche Vollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 4. Schlussfolgerung: Generalklausel im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
20 Inhaltsverzeichnis H. Ausblick und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Kein Kollaps der Justiz bei geweiteter Justiziabilität . . . . . . . . . . . . . . . . 308 1. Klagewellen und Verlängerungen durch breitere Justiziabilität? . . . . . 308 a) Geringe Anzahl von Verbandsklagen pro Jahr . . . . . . . . . . . . . . . . 309 b) Hohe Erfolgsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 c) Keine Verfahrensverlängerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 2. Quantität in der Justiziabilität zulasten der Qualität in der Prüfung? . 312 a) Ressourcenerweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 b) Verfahrensrechtliche Justiziabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 c) Instrumente des Prozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Probleme der Durchsetzung von Entscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . . . 314 II. Schlussbemerkung und zusammenfassende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
A. Einleitung I. Problemstellung und Ziel der Arbeit Die Arbeit hätte mit einer zitierten Zeitungsüberschrift zum sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats1 beginnen können. Wie wäre es mit: „Anpassen oder aussterben“2, „Der Menschheit läuft die Zeit davon“3 oder „Kann nichts herauslesen, was in irgendeiner Form Optimismus entfacht“4. Wer diese Arbeit aber liest, muss nicht mehr auf die Dramatik des Klima- und Umweltschutzes hingewiesen werden. Wer diese Arbeit liest, sucht Ansätze dagegen. Ansätze aus dem klima- und umweltschützenden Rechtsschutz. Der Titel der Arbeit ist Problemstellung und Ziel zugleich. Trotz der Verbandsklage aus dem Umweltrechtsbehelfsgesetz verbleiben weiterhin große Teile des Umwelt- und Klimaschutzes im Eigenverantwortungsbereich der Exekutive und Legislative. Eine objektiv-rechtliche Ausrichtung, unbestimmte Formelkompromisse, unverbindliche Absichtserklärungen und vieles mehr erschweren die Justiziabilität. Die Arbeit zeigt, an welchen Stellen die exekutive wie legislative „Blackbox“ für die Judikative geöffnet werden kann und muss. Schon nach dem Umweltgutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen aus dem Jahr 1974 sollte mit der klägerischen Durchsetzungskraft auf das Vollzugsdefizit von Umweltgesetzen reagiert werden.5 Auch der Klimabeschluss des BVerfG vom 24. März 2021 aktualisierte die Durchsetzungskraft des Rechtsschutzes.6 Das einführende Zitat von Rudolph von Jhering wird daher im Lichte dieser Kraft gele1 Intergovernmental
Panel on Climate Change (IPCC). Anpassen oder aussterben, TAZ v. 28.02.2022. 3 Fischer/Erdmann/Endres, Der Menschheit läuft die Zeit davon, Zeit online v. 28.02.2022. 4 Becht, „Kann nichts herauslesen, was in irgendeiner Form Optimismus entfacht“, FAZ v. 01.03.2022. 5 SRU (1974), Umweltgutachten, BT-Drs. 7/2802, S. 177 Rn. 650 f.: „Wie kann sichergestellt werden, daß das Verfassungsgebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG), das auch den ordnungsgemäßen Vollzug der Umweltschutzvorschriften gemäß den Intentionen des Gesetzgebers umfaßt, beachtet wird? In einem Rechtsstaat […] bietet es sich an, für diesen Zweck die Anrufung der unabhängigen Gerichte […] zuzulassen.“ 6 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 136 (juris); nachfolgend: Klimabeschluss. 2 Pötter/Schwarz,
22
A. Einleitung
sen. Wer für eigene Rechte kämpft, kämpft für die gesamte Rechtsordnung. Sich für die Einhaltung des Rechts einzusetzen ist daher nicht egoistisch, dies nicht zu tun, schon eher. Die Arbeit will dazu beitragen, dass die Individual- und Verbandsklagen nicht als interessensegoistische Mittel verstanden sein müssen. Sie können demokratisch-funktional sein, können sie doch dabei helfen, demokratisch erlassene Rechtsnormen zu aktivieren. Die Arbeit setzt da an, wo diese Möglichkeiten im Klima- und Umweltschutz strukturell geschwächt sind. Das heißt, sie konzentriert sich auf die in diesem System inhärenten Probleme. Die Arbeit widmet sich daher den gemeinsamen Nennern der Rechtsschutzprobleme, statt die Besonderheiten der einzelnen, oft technisch variierenden Umweltrechtsbereiche zu vertiefen. Nach der Arbeit soll Umweltschutz nicht mehr nur als objektiv-rechtlicher Fremdkörper in einem subjektiv-rechtlichen Justiziabilitätssystem verstanden werden. Klimaschutz nicht als Problem, das ausschließlich politisch gelöst werden kann. Die Arbeit zeigt, warum ein robustes materielles Klima- und Umweltschutzrecht nicht ohne ein korrespondierendes Prozessrecht wirken und wachsen kann.
II. Gang der Untersuchung Um eine Antwort auf strukturelle Defizite geben zu können, müssen zunächst die Strukturen des Rechtsschutzes im Allgemeinen und im Besonderen (Klima- und Umweltschutz) behandelt werden (dazu unter B.). Um prognostizieren zu können, in welche Richtung sich der Rechtsschutz wandeln muss, werden anschließend die Entwicklungskräfte des internationalen und nationalen Klima- und Umweltschutzes dargestellt, aufgeteilt in die materiell- und prozessrechtlichen Entwicklungen (dazu unter C.). Nachdem das Fundament und die Entwicklungskräfte identifiziert wurden, erfolgt die Bestandsaufnahme der verwaltungsprozessualen Möglichkeiten (dazu unter D.). Die Impulse auf den Rechtsschutz ausgehend vom Klimabeschluss und dem Bundes-Klimaschutzgesetz werden im Anschluss untersucht (dazu unter E.). Es folgen die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten (dazu unter F.), die kursorisch ebenfalls den Blick auf den unionsrechtlichen und völkerrechtlichen Rechtsschutz lenken. Im Anschluss daran erfolgt ein Perspektivwechsel. Von der konkreten Analyse des status quo wird auf die abstraktere Frage nach der Legitimität, den Chancen sowie den Grenzen einer breiteren Justiziabilität (dazu unter G.) gewechselt. Abschließend wird auf mögliche Konsequenzen eines ausgeweiteten Rechtsschutzes im Klima- und Umweltschutz geblickt (dazu unter H.).
III. Begriffsbestimmungen23
III. Begriffsbestimmungen 1. Justiziabilität Der Arbeit liegt ein prozessualer Justiziabilitätsbegriff zugrunde. Justiziabel ist etwas, wenn es einer richterlichen Entscheidung, einer Gerichtsbarkeit unterworfen ist.7 Ähnlich definiert die Internationale Juristenkommission Justiziabilität als die Fähigkeit, einen Rechtsbehelf vor einer unabhängigen und unparteiischen Stelle geltend zu machen, wenn eine Rechtsverletzung vorliegt oder wahrscheinlich vorliegen wird.8 Justiziable Rechte weisen den Rechtsinhaber:innen nicht nur den materiellen Inhalt einer Norm zu, sondern ermöglichen ihnen, einen Rechtsweg zu beschreiten. Die Möglichkeit ist dann zu gewähren, wenn die Rechtstragenden hinreichend begründet der Meinung sind, dass die Pflichten, die sich aus dem einklagbaren Recht ergeben, nicht erfüllt sind.9 Justiziabilität zielt damit auf die Wahrung anerkannter Rechte ab. Dabei konzentriert sich die Arbeit auf die Justiziabilität vor den Verwaltungs- und Verfassungsgerichten. 2. Klimaschutz im Recht Der Klimaschutz ist im Recht ein junger Begriff, der sich dogmatisch noch setzen muss. Im Wesentlichen erfasst das Klimaschutzrecht „die Summe derjenigen Rechtsnormen, die das Klima vor anthropogenen Einwirkungen schützen sollen“.10 Schutzgut ist danach das Klima.11 Die Schutzwirkung des Klimaschutzrechts darauf zu beschränken, wäre verfehlt. Klimaschutz bedeutet nicht mehr nur Schutz vor Treibhausgasen. Klimaschutz bedeutet vielmehr Schutz der natürlichen Lebensgrundlage. Dazu gehören Biodiversitäten genauso wie Wälder, Ökosysteme, Luftreinheit, aber auch die Prävention von Extremwetterlagen und des Methanausstoßes durch Massentierhaltung.12 Um das Klimaschutzrecht zu begreifen, kann es in zwei Wirkungsweisen unterteilt werden. Normen, die den Klimawandel aktiv entgegentreten, dienen der Mitigation. Sie dienen einer Prävention und Reduktion der Emissionen von 7 Duden,
Stichwort „justiziabel“. Commission of Jurists (2008), Comparative experiences of justicia-
8 International
bility, S. 6. 9 Ebd., S. 8. 10 Gärditz, Einführung in das Klimaschutzrecht, JuS 2008, 324. 11 Es wird aber auch die Atmosphäre als Schutzgut angesehen, das das globale Klima vollständig umfasst, Wustlich (2003), Die Atmosphäre als globales Umweltgut, S. 59 ff., 82 ff.; vgl. auch § 1 Abs. 1 BImSchG, der durch BT-Drs. 11/6633, S. 33 das Klima dem Schutzgut zuzählt. 12 Für einen Überblick vgl. etwa UBA (2021), Emissionsquellen.
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A. Einleitung
Treibhausgasen. Dabei werden vor allem fossile Energieträger durch erneuerbare Energien substituiert und die Energieeffizienz gesteigert.13 Hier schneidet Klimaschutzrecht das Umweltenergierecht.14 Normen, die auf die bereits eingetretenen Folgen des Klimawandels reagieren, dienen der Adaption.15 Die Adaption zielt anders als die Mitigation nicht nur auf das Schutzgut Klima. Sie zielt auf die Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Im Rahmen dessen vor allem auf Landschaftserhalt. Werden hierfür beispielsweise Naturschutzgebiete oder Wälder geschützt, bleiben die dortigen Ökosysteme und CO2-Speicherkapazitäten erhalten, was dem Klima zugutekommt. So inkorporieren zahlreiche Umwelt- und Planungsgesetze das Umweltmedium Klima.16 Klimaschutzrecht schneidet damit auch weite Teile des Umweltrechts, wenngleich es vom Immissionsschutzrecht abgegrenzt werden muss. Trotz einiger Parallelen17 ist das Immissionsschutzrecht ein Rechtsgebiet, das vor räumlich und zeitlich zuordenbaren Beeinträchtigungen schützt. Das Korsett dieser Zuordnung passt dem Klimaschutzrecht indes nicht. Klimatische Beeinträchtigungen setzen sich aus unzähligen globalen Emissionen zusammen. Eine räumliche, zeitliche und kausale Zuordnung zu einem:r einzelnen Emittierenden gelingt regelmäßig nicht. Klima als Problem der Allmende18, als Kollektivgutproblem19 kann daher nicht von dem Immis sionsschutzrecht ausreichend berücksichtigt werden. Das Immissionsschutzrecht adressiert primär das Mikroklima, das Klimaschutzrecht das Makroklima.20 Diese Kategorisierung ist gewiss nicht trennscharf, sie soll aber einer 13 Vgl. Hofmann-Much, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 6 Rn. 6. 14 Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 10 Rn. 3. 15 Hofmann-Much, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 6 Rn. 5; vgl. auch § 1a Abs. 5 BauGB; Koch, Klimaschutzrecht, NVwZ 2011, 641 (643) ordnet die Mitigation dem Klimaschutzrecht im engeren Sinne zu und begreift die Adaption als Klimaanpassungsrecht. 16 § 2 Abs. 1 Nr. 3 UVPG; § 1 Abs. 4 Nr. 4, § 9 Abs. 3 Nr. 4 lit. e) BNatSchG; § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 und S. 2 WHG; § 1 Nr. 1 BWaldG; § 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b) ChemG; vgl. auch § 1 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 Nr. 7 lit. a), § 1a Abs. 5 BauGB; § 2 Abs. 2 Nr. 6 S. 7 ROG. 17 Im Bereich der Anlagengenehmigung (§ 1a Nr. 3 9. BImSchV), der Luftreinhaltung und dem Mindestanteil der Biokraftstoffe (§ 37a BImSchG), s. dazu Kloepfer/ Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 10 Rn. 40 f. 18 Markus, Verfassungsrechtliche Gebote zum extraterritorialen Klima- und Umweltschutz, ZUR 2021, 595 ff.; vgl. dazu auch Posner/Weisbach (2010), Climate Change Justice, S. 42 ff. 19 Murswiek, Freiheit und Freiwilligkeit im Umweltrecht, JZ 1988, 985 (991 ff.). 20 Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, BImSchG § 1 Rn. 15; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 17 Rn. 20, 22; a. A. Sailer, Klima-
III. Begriffsbestimmungen25
Gleichstellung der beiden Teilrechtsgebiete vorbeugen und die Besonderheit des Klimaschutzrechts verdeutlichen. Dennoch muss betont werden, dass Klimaschutz im Recht integrativ zu verstehen ist. Als Schnittmenge des allgemeinen Umweltrechts und des Umweltenergierechts verbindet das Klimaschutzrecht die beiden Rechtsgebiete.21 Klimaschutzrecht ist damit zugleich „Teilgebiet und Querschnittsmaterie“22 des gesamten Umweltrechts. Der Arbeit liegt damit ein integratives Verständnis von Umwelt- und Klimaschutz zugrunde. 3. Umweltschutz im Recht Umweltschutz erfasst alle staatlichen und privaten Tätigkeiten, die auf die langfristige Erhaltung der natürlichen23 Lebensgrundlagen aller Lebewesen mit funktionierendem Naturhaushalt abzielen.24 Die Erhaltung der Lebensgrundlagen kann reparativ, repressiv und präventiv erfolgen.25 Als Schutzweck wird sowohl die Anthropozentrik als auch Ökozentrik diskutiert. Erfolgt anthropozentrischer Umweltschutz zur Erhaltung der Lebensgrundlagen für die Menschen, verfolgt ökozentrischer Umweltschutz den Schutz der Umwelt um ihrer selbst willen. Letzterer Ansatz mündet nicht selten in ethisch-sittlichen und philosophischen Fragestellungen nach der Verantwortung der Menschheit gegenüber der Umwelt und nach Eigenrechte der Natur.26 Praktische Bedeutung hat diese theoretische Klassifizierung kaum. Durch eine wachsende Naturwissenschaft werden die Wirkungszusammenhänge zwischen Ökosystemen und Menschen deutlich. Umweltschutzmaßnahmen, die ausschließlich ökozentrisch erfolgen, sind daher nur schwerlich vorstellbar.27
schutzrecht und Umweltenergierecht, NVwZ 2011, 718 (719); Schulte/Michalk, in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, 61. Ed, 01.01.2022, BImSchG § 1 Rn. 7. 21 Gärditz, Einführung in das Klimaschutzrecht, JuS 2008, 324; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 10 Rn. 4. Koch, Klimaschutzrecht, NVwZ 2011, 641 (642); Hofmann-Much, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), Umweltrecht, § 6 Rn. 8. 22 Schlacke, Klimaschutzrecht im Mehrebenensystem, EnWZ 2020, 355 (363); vgl. auch Winkler (2005), Klimaschutzrecht, S. 14. 23 Mit Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 59 darf die natürliche Umwelt nicht restriktiv verstanden werden, sondern muss auch die „menschlich gestaltete und bebaute Umwelt“ erfassen. 24 Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 4. 25 Schlacke (2021), Umweltrecht, § 1 Rn. 6. 26 Ebd., Rn. 10; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 61 ff. 27 Schlacke (2021), Umweltrecht, § 1 Rn. 11; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 66; vgl. dazu auch schon Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 111 ff.
26
A. Einleitung
Das Umweltrecht muss zum einen Antworten auf die vielfältigen Umweltbelastungen geben (Umweltschutzermöglichung) und zum anderen konfligierende Interessen ausgleichen (Umweltausgleich).28 Um diesem breiten Aufgabenbereich gerecht zu werden, beschränkt sich das Umweltrecht nicht auf ein Rechtsgebiet. Umweltschutz findet sich im Privat29-, Straf30- und öffentlichen Recht. Die Arbeit widmet sich dem öffentlich-rechtlichen Umweltschutz. Dieser erfolgt medial und integrativ.31 Medialer Umweltschutz beschränkt sich auf die Umweltmedien Luft, Wasser, Boden und zunehmend Klima. Für den medialen Umweltschutz stehen Gesetze wie zum Beispiel das BImSchG, WHG, BBodSchG und BNatSchG. Unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen den Medien erfolgt der integrative (auch: integrierte) Umweltschutz. Integratives Umweltschutzrecht findet sich beispielsweise im KrWG, UVPG, UIG und im UmwRG. Die Gesetze adressieren nicht ein einzelnes Umweltmedium, sondern versuchen Regelungen medienübergreifend zu statuieren. Die medialen und integrativen Umweltgesetze bilden das Umweltrecht im engeren Sinne, da sie vorrangig dem Umweltschutz dienen.32 Umweltrecht im weiteren Sinne bilden Gesetze, die nicht primär den Umweltschutz fördern. So soll Umweltschutz in Planungs- und Raumordnungsgesetzen durch die Berücksichtigungs- und Beteiligungspflichten von Umweltschutzbehörden und -verbänden erfolgen.33 Umweltschutz ist damit ähnlich wie der Klimaschutz eine ebenso politische wie rechtliche Querschnittsaufgabe.34 4. Strukturelle Durchsetzungsdefizite Als Durchsetzungsdefizit versteht die Arbeit die lückenhafte oder fehlende Möglichkeit, rechtlich geschützte Interessen zu aktivieren. Strukturell meint dabei die Systeminhärenz von Defiziten. Die Durchsetzung ist wie der administrative Vollzug aus verschiedenen Gründen strukturell defizitär. Wenn das Vollzugsdefizit vor allem an Män(2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 72. z. B. Umweltnachbarrecht über §§ 906 ff., 1004 BGB; Umwelthaftung nach §§ 823 ff. BGB und UmweltHG. 30 §§ 324 ff. StGB. 31 Breuer, Strukturen und Tendenzen des Umweltschutzrechts, Der Staat 20 (1981), 393 (396 ff.) unterscheidet darüber hinaus noch zwischen dem vitalen (Tier- und Pflanzenschutz) und dem kausalen (stoffbezogene Reglungen zum Inverkehrbringen und Umgang) Umweltschutz. 32 Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 8, 11; Kloep fer (2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 93 f. 33 §§ 1 Abs. 5, 1a und 2a BauGB; §§ 8 und 9 ROG. 34 Vgl. Umweltbericht 1976, BT-Drs. 7/5684, S. 29. 28 Kloepfer 29 So
III. Begriffsbestimmungen27
geln in der Verwaltungsorganisation leidet (Zersplitterung der Zuständigkeiten, fehlende Ressourcen, fehlende Spezialisierung), beruhen die Durchsetzungsdefizite auf strukturellen Schwächen im rechtlichen und politischen System. Dem Verständnis der Durchsetzungsdefizite liegt das Werk Bürgerklage im Umweltrecht von Eckard Rehbinder, Hans-Gerwin Burgbacher und Rolf Knieper zugrunde, das als Geburtshilfe der heutigen Verbandsklage bereits vor 50 Jahren die Ursachen mangelhafter Durchsetzung benannte. Nachdem die Autoren betonen, dass das Umweltrecht nicht an mangelnder Qualität von Gesetzen, sondern an deren defizitärer Durchsetzung leidet,35 definieren sie die Strukturschwächen des Rechts und des politischen Systems. Vor allem die im Umweltrecht bestehende und notwendige Tendenz nach unbestimmten, technischen und meist im Ermessen der Behörden stehenden Vorschriften schafft keine rechtssicheren Durchsetzungsmöglichkeiten.36 Es können sich aber auch Neutralitätsdefizite ergeben, kann der Staat beispielsweise als Vorhabenträger selbst Partei eines Umweltrechtsstreites sein. Zudem findet vor allem der Klimaschutz meist durch politische Absichtsprogramme statt, die ohne Außenwirkung keine justiziablen Rechte begründen. Dem übergeordnet ist die größte strukturelle Durchsetzungsschwäche im Recht dessen objektiv-rechtliche Ausgestaltung. Der Sachverständigenrat moniert überdies im Sondergutachten aus dem Jahr 2019 das Ungleichgewicht zwischen den Rechtsstellungen der Betroffenen oder den Umweltgütern einerseits und der Umweltbelaster:innen andererseits.37 Rechtsschutz gegen Umweltschutz dominiert den Rechtsschutz für Umweltschutz. Hinzu kommt, dass die Belange der künftig lebenden Menschen ebenfalls ungleichgewichtet sind. Sie sind allenfalls über die Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG zu berücksichtigen. Dies leitet über zu den politischen Strukturschwächen des Umweltschutzes. Die Ungeborenen und Minderjährigen, die maßgeblich den Folgen unzureichenden Umweltschutzes ausgesetzt ist, sind (noch im Großteil38) nicht wahlberechtigt. Politische und damit gesetzgeberisch-gestaltende Partizipation ist für sie nicht möglich. Mitunter kann dies auch zu einem Antagonismus von Kurzzeitlegitimation und Langzeitverantwortung führen. Resultat defizitärer Durchsetzungsmöglichkeiten ist ein „fehlender Vollzugsdruck von außen“.39 Rehbinder, Burgbacher und Knieper attestierten dem Umweltrecht zusammenfassend
(1972), Bürgerklage im Umweltrecht, S. 15 ff. S. 18 ff. 37 SRU (2019), Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen, Sondergutachten, S. 129 ff.; Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 363. 38 Laut Koalitionsvertrag (2021), S. 12. 39 Lübbe-Wolff, Vollzugsproblem der Umweltverwaltung, NuR 1993, 217 (228). 35 Rehbinder/Burgbacher/Knieper 36 Ebd.,
28
A. Einleitung
„Strukturschwächen einer pluralistischen Demokratie mit ihrem Wechselspiel zwischen organisierten Interessen (Wirtschaft, Arbeitnehmer), Politik und Bürokratie […] und der Notwendigkeit formaler Legitimation durch Wahlen, die […] tendenziell private, kurzfristige, kleinräumige Interessen der Bürger begünstigen.“40
5. Effektivität Dem lateinischen effectivus entstammend will Effektivität etwas bewirken. Effektiv ist eine Wirkung, wenn sie für etwas dienlich und förderlich ist.41 Effektivität im Sinne des Rechtsschutzes wird durch das BVerfG konkretisiert. Aus dem nicht ausdrücklich benannten Effektivitätsgebot aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG leitet das Gericht einen Anspruch der Bürger:innen her auf tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrollen.42 Anspruchsschuldner ist sowohl der das Prozessrecht ausgestaltende Gesetzgeber als auch die anwendenden Richter:innen.43 Das Effektivitätsgebot des Rechtsschutzes darf nicht ausgehebelt werden durch unzählige und weitgreifende Beurteilungsspielräume für ganze Sachbereiche oder Rechtsgebiete.44 Rechtsschutzeffektivität versteht sich inhaltlich wie zeitlich. Sie fragt nach einem wirksamen Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit.45 Effektivität ist damit nicht bloß ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern integraler Bestandteil des Rechtsschutzes.46 Ein ineffektiver Rechtsschutz widerspricht sich daher selbst.47
40 Vgl. Rehbinder/Burgbacher/Knieper (1972), Bürgerklage im Umweltrecht, S. 21. 41 Duden, Stichwort „effektiv“. 42 BVerfG, Beschl. v. 19.06.1973, Az. 1 BvL 39/69, Rn. 36 (juris). 43 BVerfG, Beschl. v. 20.02.1998, Az. 1 BvR 661/94, Rn. 73 (juris). 44 BVerfG, Beschl. v. 31.05.2011, Az. 1 BvR 857/07, Rn. 75 (juris). 45 BVerfG, Beschl. v. 16.05.1995, Az. 1 BvR 1087/91, Rn. 28 (juris); Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer (2021), Staatsrecht I, § 16 Rn. 13; Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (488) m. w. N. 46 Maurer, ebd., (487); Berkemann, Sinn und Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 13 hält es für bedenklich, die Effektivität überhaupt zu betonen. 47 Maurer, ebd.
B. Zugang zu Gerichten Der Rechtsschutz gilt als das Kernstück1, der Grundpfeiler2 oder der „Schlußstein im Gewölbe des Rechtsstaates.“3 Sowohl der Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) als auch die Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) sind verfassungsrechtlich verankert. Sie stehen in einer Wechselbeziehung zueinander. Recht allein genügt dem Rechtsstaat nicht. Er setzt dessen Aktivierung voraus. Ohne effektiven Rechtsschutz wäre der Rechtsstaat unvollständig.4 Wegen dieser anspruchsvollen Aufgabe ist Art. 19 Abs. 4 GG als „Grundsatznorm für die gesamte Rechtsordnung“ anerkannt.5 Er figuriert daher nicht nur als subjektives Verfahrensgrundrecht, das die Möglichkeit, ein Gericht in einer individuellen Streitigkeit anzurufen, sichert, sondern hat auch eine objektive Schutzfunktion. So will Rechtsschutz vor allem eins: Materielle Rechtspositionen der Bürger:innen realisieren.6
I. Grundlagen der Rügebefugnis und des Rechtsschutzes 1. Das Fundament der Rügebefugnis Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG statuiert hierfür die verfassungsrechtlich gesicherten Grundsätze und Mindeststandards.7 Diese Anforderungen sind bei der legislativen Ausgestaltung der Rügebefugnis zu berücksichtigen, zu konkretisieren und vor allem zu implementieren. Der verfassungsrechtliche Auftrag des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG richtet sich trotz der Adressierung an die Bürger:innen primär an den Gesetzgeber.8 Dieser hat eine Gestaltungsfreiin: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 11. Stern (1984), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1,
1 Sachs, 2 Vgl.
S. 840. 3 Thoma (1951), Recht – Staat – Wirtschaft, Bd. 3, S. 9. 4 Stern (1984), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. 1, S. 839. 5 BVerfG, Beschl. 23.06.1981, Az. 2 BvR 1107/77 et al., Rn. 105 (juris). 6 BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999, Az. 1 BvR 385/90, Rn. 69 (juris); Beschl. v. 24.07.2018, 2 BvR 1961/09, Rn. 42 (juris). 7 Oder auch Direktive für die Ausgestaltung des Rechtsschutzes, so z. B. für den vorläufigen Rechtsschutz, Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. § 80 Rn. 11. 8 Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Abs. 4 Rn. 375.
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B. Zugang zu Gerichten
heit, um den Gerichtszugang „nach seinen Zweckmäßigkeitsvorstellungen auszurichten.“9 Dabei wird er im Wesentlichen von drei Grundsätzen geleitet. a) Grundsätze des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG aa) Grundsatz der objektiven Wertentscheidung Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG statuiert als Teil des grundgesetzlich verankerten Rechtsstaatbildes eine objektive Wertentscheidung. Diese setzt sich im Wesentlichen aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen aus der Kontrolle der Gewalten, zum anderen aus dem Ziel eines möglichst lückenlosen Rechtsschutzes. Rechtsschutz zielt auf die gerichtliche Kontrolle der anderen Staatsgewalten. Mithin statuiert Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG die objektive Wertentscheidung einer gerichtsgeprägten Gewaltenteilung.10 Die Gerichte müssen dabei zwar auch die legislative, aber vor allem die exekutive Gewalt kontrollieren.11 Ihre „Selbstherrlichkeit“ sollen Gerichte beseitigen.12 Normativer Anknüpfungspunkt ist hierfür der Passus öffentliche Gewalt. Öffentliche Gewalt ist nicht mit der staatlichen Gewalt aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG oder Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG gleichzusetzen, die alle drei Gewalten umfasst. Öffentliche Gewalt wird restriktiv als vollziehende Gewalt i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG verstanden.13 Das BVerfG hat die Legislative ausdrücklich nicht unter die öffentliche Gewalt i. S. d. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gefasst.14 Der Rechtsweg gegen die parlamentarische Gesetzgebung ist verfassungsrechtlich durch die Regelung der Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG (Verfassungsbeschwerde), Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 (abstrakte Normenkontrolle) und Art. 100 Abs. 1 GG (konkrete Normenkontrolle) gesondert und abschließend geregelt. Ähnlich deutlich 9 BVerfG,
Beschl. v. 11.06.1980, Az. 1 PBvU 1/79, Rn. 48 f. (juris). in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 10 m. w. N. 11 BVerfG, Urt. v. 31.05.2011, Az. 1 BvR 857/07, Rn. 73 f. (juris); Ernst, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 125. Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 10. 12 BVerfG, Beschl. v. 12.01.1960, Az. 1 BvL 17/59, Rn. 13 (juris); Beschl. v. 19.06.1973, Az. 1 BvL 39/69, Rn. 36 (juris). 13 BVerfG, Urt. v. 12.01.1960, Az. 1 BvL 17/59, Rn. 13 (juris); vgl. auch Ipsen/ Kaufhold/Wischmeyer (2021), Staatsrecht I, § 16 Rn. 4; Ernst, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 125. 14 BVerfG, Urt. v. 25.06.1968, Az. 2 BvR 251/63, Rn. 46 (juris); vgl. auch für die h. M. aus der Literatur m. w. N., gleichzeitig aber kritisch: Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (479 ff.). 10 Schmidt-Aßmann,
I. Grundlagen der Rügebefugnis und des Rechtsschutzes 31
wird auch der Rechtsschutz gegen die Judikative aus dem Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG herausgenommen, zumal dies einen endlosen Instanzenzug bedeuten würde.15 Art. 19 Abs. 4 GG leistet „Schutz durch den Richter, [und nicht] gegen den Richter“.16 Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zielt überdies auf einen möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz.17 Die vollständige Lückenlosigkeit des Rechtsschutzes ist keine realistische Zielbestimmung. Rechtsschutz versucht neben der Kon trolle der Gewalten die Spannungen zwischen verschiedenen verfassungsrechtlichen Schutzgütern zu lösen. Insbesondere im Drittschutz ist ein lückenloser Rechtsschutz nicht möglich, denn dort stehen sich Bürger:innen in einem multipolaren Verwaltungsverhältnis gegenüber.18 Grundsätze wie in dubio pro cive wären dabei wenig zielführend.19 Nahezu jede Rechtsschutzregelung zielt daher aus pragmatischer Sicht nicht auf einen lückenlosen, sondern auf einen verhältnismäßigen, einen ausgewogenen20 Ausgleich.21 Das liegt vor allem auch daran, dass Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG Teil des rechtsstaatlichen Grundgebots der materialen Gerechtigkeit aus Art. 20 Abs. 3 GG ist. Die objektive Wertentscheidung ist damit eine Entscheidung für eine gerichtsgeprägte Gewaltenteilung, die vor allem der Kontrolle der vollziehenden Gewalt dient und das Ziel eines ausgewogenen Rechtsschutzes verfolgt. bb) Grundsatz des Individualrechtsschutzes Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG eröffnet den Rechtsweg, wenn jemand „durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt“ wird. Durch die Formulierung „seinen Rechten“ haben die Verfassungsväter und -mütter dem Rechtsschutzsystem den Individualrechtsschutz als Standard zugrunde gelegt und dahin(2021), Staatsrecht I, § 16 Rn. 4. Urt. v. 05.02.1963, Az. 2 BvR 21/60, Rn. 15 (juris); Urt. v. 20.06.1967, Az. 2 BvL 10/64, Rn. 17 (juris). 17 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.11.1958, Az. 2 BvL 4/56, Rn. 196 (juris); Beschl. v. 06.07.2016, Az. 1 BvR 1705/15, Rn. 8 (juris) m. w. N. 18 Dazu unter II. 1. b). 19 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4, Rn. 3. 20 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider, 41. EL Juli 2021, VwGO, Einl. Rn. 153 m. w. N.; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Abs. 4 Rn. 376. 21 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982, Az. 2 BvL 26/81, Rn. 153 f. (juris); Beschl. v. 02.03.1993, Az. 1 BvR 249/92, Rn. 21 (juris); Huber, in: von Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Abs. 4 Rn. 376. 15 Ipsen/Kaufhold/Wischmeyer 16 BVerfG,
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gehend eine Systementscheidung getroffen.22 Der individuelle Rechtsschutz dient der subjektiven und nicht der objektiven Rechtskontrolle. Anders gewendet soll er primär das Individuum und nicht die objektive Rechtsordnung schützen.23 Dahinter stehe der Schutz der mit der Natur des Menschen verbundenen Rechtsstellung.24 So begriff schon Gustav Radbruch das Individuum als „Zwecksubjekt der Rechtsnorm“.25 Rechtlich formt die Subjektstellung das grundgesetzliche Menschenbild, bestehend aus der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG und der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Zum anderen gewährt sie den Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit.26 Die individualisierte Ausrichtung des Rechtsschutzes wird auch in der Rechtsprechung des BVerfG klargestellt. Das Gericht betonte früh, dass „die Verletzung von Rechtssätzen, in denen der Einzelne nur aus Gründen des Interesses der Allgemeinheit begünstigt wird, die also reine Reflexwirkungen haben“, für den Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht genügen.27 Die Verfassung hat sich, in Manier der Hegel’schen Unterscheidung zwischen Privat- und Allgemeininteressen28, dem Schutz der Privatinteressen und somit dem Individualrechtsschutz zugewandt. Den in Rede stehenden Privat interessen soll im Grundsatz keine bloße Anstoßfunktion zukommen. Sie sollen Dreh- und Angelpunkte des Verfahrens sein.29 Dies unterscheidet ein subjektives von einem objektiven Kontrollmodell. Während im subjektiven Modell die Klagenden im Mittelpunkt des Verfahrens stehen, sind sie im 22 BVerwG, Urt. v. 05.04.2016, Az. 1 C 3/15, Rn. 16 (juris); BVerfG, Beschl. v. 15.03.2018, Az. 2 BvR 1371/13, Rn. 41 (juris); Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 8 m. w. N.; Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 191 (197 ff.). 23 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 6 f.; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 8. 24 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 8. 25 Radbruch (1950), Rechtsphilosophie, S. 157. 26 BVerfG, Beschl. v. 20.04.1982, Az. 2 BvL 26/81, Rn. 54 ff. (juris); vgl. auch Voßkuhle/Kaiser, Das subjektiv-öffentliche Recht, JuS 2009, 16 (17). 27 BVerfG, Beschl. v. 27.04.1971, Az. 2 BvR 708, Rn. 20 (juris); vgl. auch Beschl. v. 09.01.1991, Az. 1 BvR 207/87, Rn. 44 (juris). 28 Ursprünglich in Hegel (1821), Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 182 ff.; abgedruckt in Grotsch (Hrsg.), (2017), S. 188 ff. 29 Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 191 (194), wonach das Recht „Anlaß“ und „Legitimation“ des Verfahrens ist; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116; vgl. auch SchmidtAßmann (2006), Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 81 f. Rn. 69.
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objektiven Modell bloße „Hinweisgeber“30 oder „Informanten“31 für potentielle Rechtsverletzungen. cc) Grundsatz der institutionellen Garantie Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG sichert zuletzt die institutionelle Existenz einer Gerichtsbarkeit. Welche Gerichtsbarkeiten und jeweiligen Leistungskapazitäten gesichert werden sollen, wird nicht von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG aufgeführt. Verfassungsrechtlich ist auch kein Instanzenzug gesichert,32 sodass einem Gericht einfachgesetzlich zugleich die Erst- und Letztzuständigkeit zugeordnet werden kann.33 Art. 19 Abs. 4 GG soll bloß den Bestand der Gerichte in der Verfassung festschreiben.34 Danach wäre ein Rechtsstaat ohne Gerichte nicht möglich. Mit Blick auf die Rechtsschutzeffektivität reicht die bloße Existenz indes nicht aus. Gerichte müssen fähig sein, die Aufgabe eines effektiven Rechtschutzes zu erfüllen. Als Mindestmaß sind demnach eine Verfahrensordnung für Klagen gegen staatliche Träger, eine strukturell funk tionsfähige Ausstattung sowie eine qualifizierte Besetzung der Gerichte erforderlich.35 Darüber hinausgehend genießt der Gesetzgeber auch hier einen weiten Gestaltungsspielraum.36 b) Entstehungsgeschichtliche Bedeutung des subjektiven Rechtsschutzsystems aa) Entstehungsgeschichtliche Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG (1) Enumerative Verwaltungsrechtspflege Die Einführung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG brachte nicht nur eine Systementscheidung, sondern auch einen Systemwechsel mit sich. Zuvor war die Justiziabilität nicht von einer Generalklausel, sondern durch einzelstaatliche (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 53. (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 6. 32 BVerfG, Beschl. v. 08.10.1956, Az. 1 BvR 205/56, Rn. 16 (juris); Beschl. v. 21.10.1965, Az. 1 BvL 9/51, Rn. 78 (juris); Beschl. v. 14.06.2007, Az. 2 BvR 1447/ 05, Rn. 108 (juris). 33 So z. B. in § 50 Abs. 1 VwGO für das BVerwG geregelt. 34 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 14; a. A. Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (477). 35 Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 19 Abs. 4 Rn. 380. 36 Ebd. 30 Grundhewer 31 Schlacke
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Enumerationen bestimmt.37 Hiernach bestand nur bei Vorliegen eines aufgelisteten Klagebegehrens Zugang zum Gericht. Der Anwendungsbereich der mittel- und süddeutschen38 Administrativjustiz war zwar enumerativ geregelt, aber bereits durch Individualrechte geprägt.39 In den norddeutschen Staaten hingegen stellte die Kammerjustiz eine objektiv-rechtliche Verwaltungskontrolle (norddeutsche Lösung) dar.40 Wenn auch im Jahr 1808 die Exekutive und Judikative schon klar organisatorisch getrennt waren und die Allzuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit geregelt wurde,41 so waren mit dem heutigen Verständnis vergleichbare öffentlich-rechtliche Streitigkeiten damals doch noch weitestgehend der Justiziabilität entzogen.42 Sofern sie nicht der Kontrolle entzogen waren, wurden sie der verwaltungsinternen Kontrolle überantwortet.43 Die Überzeugung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit als rechtsstaatliches Konzept überwog seit Mitte des 19. Jahrhunderts, sodass die Paulskirchenverfassung von 1849 ausdrücklich vorsah, die Verwaltungsrechtspflege abzuschaffen.44 Zum Ende des 19. Jahrhunderts stärkte sich zu37 Beispielhaft wird das Enumerationsprinzip durch den Art. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege des Königreichs Württemberg v. 16.12.1876 deutlich: „Der Verwaltungsrechtsweg findet statt bei Streitigkeiten und Beschwerden in Beziehung auf Ansprüche und Verbindlichkeiten aus dem öffentlichen Recht in den im gegenwärtigen Gesetz bezeichneten Fällen.“ Diese waren in Art. 10 ff. des Gesetzes geregelt. 38 Auch als „Süddeutsche System“, vgl. Badura, Grenzen und Alternativen des gerichtlichen Rechtsschutzes, JA 1984, 83 (91), und „süddeutsche Lösung“ bezeichnet, vgl. Hufen (2021), Verwaltungsprozessrecht, § 2 Rn. 14. 39 Bühler (1914), Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 261 ff., 522 ff.; SchmidtAßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Einl. Rn. 74. 40 Auch „preußische Lösung“, vgl. Hufen (2021), Verwaltungsprozessrecht, § 2 Rn. 14; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Einl. Rn. 74; vgl. auch für die Unterscheidung von subjektivem und objektivem Rechtsschutz: Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 34 ff., 50 ff. 41 Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden 26.12.1808, GS. S. 464; vgl. dazu Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 3 (14 f.). 42 So z. B. durch § 36 der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden 26.12.1808, „Es findet derselbe [kein Prozess nach § 35] daher weder über wirkliche Majestäts- und Hoheitsrechte, noch gegen allgemeine in Gegenständen der Regierungsverwaltung ergangene Verordnungen, noch über die Verbindlichkeit zur Entrichtung allgemeiner Anlagen und Abgaben, denen sämmtliche Einwohner des Staats oder alle Mitglieder einer gewissen Klasse derselben, nach der bestehenden Landesverfassung unterworfen sind, statt […].“ 43 Vgl. Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizei liche Verfügungen vom 11.05.1842, GS. S. 192, wonach einfache Polizeiverfügungen nicht justiziabel und der verwaltungsinternen Kontrolle zugeordnet waren. 44 § 182 Paulskirchenverfassung: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte“.
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dem der Wille, auf dem politischen Wege mitzugestalten. Hierfür erschienen die ordentlichen Gerichte nicht mehr als „Optimum der Rechtsschutz gestaltung“.45 Die Weimarer Reichserfassung statuierte in Art. 107 den Auftrag des Reiches zur Schaffung einer einheitlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit.46 Mangels durchsetzbaren Rechts auf Schaffung eines solchen Verwaltungsgerichtsschutzes47 blieb es aber beim bloßen Gesetzgebungsauftrag. Die rechtstechnische Thematik „Enumerationsprinzip oder Generalklausel“ wurde zwar vielfach diskutiert,48 blieb jedoch im Bereich des Akademischen. Die unterschiedlich weiten, aber enumerativen Rechtsschutzsysteme in den Ländern blieben bestehen.49 (2) Missbrauch durch nationalsozialistische Ideologien Auch die nationalsozialistische Herrschaft kannte nicht das System des heutigen Individualrechtsschutzes. Die subjektiv-öffentlichen Rechte wurden als „jüdische Idee“50 oder als „Relikt des angeblich überholten Liberalismus“ abgelehnt.51 Die gewährten Klagerechte wurden massiv eingeschränkt, die Klagebefugnis restriktiv angewandt.52 Das Enumerationsprinzip diente hierfür als Hebel.53 Grund für diese strikte Abkehr von den Individualrechten war ein ideologisches Verständnis der Beziehung zwischen Bürger:innen und Staat. Nach dem Juristen Reinhard Höhn sei „an Stelle des individualistischen Prinzips […] das Prinzip der Gemeinschaft“ getreten.54 Bereits 1936 45 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Einl. Rn. 75 m. w. N. 46 Art. 107 WRV: „Im Reich und in den Ländern müssen nach Maßgabe der Gesetze Verwaltungsgerichte zum Schutze der Einzelnen gegen Anordnungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden bestehen.“ 47 Genzmer, in: Anschütz (Hrsg.), Handbuch des deutschen Staatsrechts, Bd. 2 (1932), § 97, S. 517. 48 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Einl. Rn. 80; Grawert, Verwaltungsrechtschutz in Weimarer Republik, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 35 (50). 49 Grawert, Verwaltungsrechtschutz in Weimarer Republik, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 35 (50, 53); Hufen (2021), Verwaltungsprozessrecht, § 2 Rn. 17. 50 Vgl. Hufen (2021), Verwaltungsprozessrecht, § 2 Rn. 19. 51 Vgl. Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (472). 52 Hufen (2021), Verwaltungsprozessrecht, § 2 Rn. 19. 53 Hien (2014), 150 Jahre deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 19. 54 Zitiert aus Stolleis, Gemeinschaft und Volksgemeinschaft, VfZ 20 (1972), 16 (29) mit Verweis auf Höhn (1934/35), Die staatsrechtliche Lage, in: Volk im Werden, S. 284.
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sah er als „Ausgangspunkt des subjektiven öffentlichen Rechts […] das Staats-Untertanenverhältnis.“55 Dieses Verhältnis gebe es nun nicht mehr, da der Staat nur ein „Mittel zu Zwecken der Volksgemeinschaft“ sei.56 Der Bürger sei „weder Untertan noch individuelle, auf sich selbst gestellte Persönlichkeit, seine Persönlichkeit ruht vielmehr in der Gemeinschaft und ist deshalb gemeinschaftsgebunden.“57 Aufgrund dieser Volksgemeinschaft bedürfe es keines subjektiven Rechts mehr, um die Bürger:innen gegenüber dem Staat „zur Persönlichkeit zu erheben.“58 Dieses Verständnis ähnelt jenem des absolutistischen Mittelalters. Dort herrschte ein gemeinschaftsbezogenes Menschenbild, welches ebenfalls – wenn auch nicht derart mit Ideologien durchtränkt – die individuelle Freiheit dem Rechtsschutz nicht zugrunde legte.59 Dementsprechend wurden im Nationalsozialismus Verordnungen erlassen, die es den Verwaltungsgerichten überließen, für welche Sachverhalte sie einen gerichtlichen Zugang ermöglichen. Überdies wurden einige Stadt- und Kreisverwaltungsgerichte ganz aufgehoben.60 Dies führte zur faktischen Ausschaltung der subjektiven Rechte sowie der Verwaltungsgerichtbarkeit in der nationalsozialistischen Zeit.61 Den Verwaltungsgerichten wurde lediglich eine objektiv-rechtliche Kontrollkompetenz zugeschrieben, die weit vom Rechtsschutzgedanken des heutigen Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG entfernt war. Sie diente weniger den Belangen der Allgemeinheit, sondern vielmehr der Wahrung und vor allem der ungehinderten Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie.62
55 Zitiert aus Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 45, Fn. 133 mit Verweis auf Höhn (1936), Deutsches Rechtswörterbuch 1, S. 57. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Vgl. ausführlich Bauer (1986), Geschichtliche Grundlagen der Lehre des subjektiven Rechts, S. 29 ff. 60 Erlass des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung, v. 28.08.1939, RGBl. I S. 1535; Zweite Verordnung über die Vereinfachung der Verwaltung v. 06.11.1939, RGBl. I S. 2168. 61 Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 57 (63 f.); Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (472); Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 47. 62 Vgl. Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Einl. Rn. 81; Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 52.
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(3) Abkehr von beidem Als deutliche Abkehr von jenen entindividualisierenden Ideologien und als elementarer Bestandteil eines Rechtsstaats sollten eigene und justiziable Rechte geschaffen werden. Den Bürger:innen wurden Individuals-, Freiheits-63 oder auch Verantwortungssphären64 zugesprochen, deren Schutz sie eigenständig gerichtlich kontrollieren lassen können sollten. Hierfür mussten Legislative und Exekutive von der Judikative getrennt werden. Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetztes 1949 wurde daher in Art. 97 und Art. 99 GG die Verwaltungskontrolle endgültig unabhängigen Richter:innen überantwortet. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG wurde in die Verfassung aufgenommen.65 Durch die Formulierung „seinen Rechten“ wurde deutlich, dass sich nicht nur gegen den nationalsozialistischen Kollektivgedanken, sondern auch gegen das preußische objektive Beanstandungsmodell sowie gegen das Enumerationsprinzip entschieden wurde.66 Durch die Schaffung des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 1952 wurde der Instanzengang der individualrechtlichen Gerichtsbarkeit vervollständigt.67 Aus historischer Sicht sollte Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG neben der Abkehr von der nationalsozialistischen Diktatur und der Verwaltungsrechtspflege68 vor allem die fehlende Teilhabe der Bürger:innen an der öffentlichen Entscheidungsfindung kompensieren.69 Die Bürger:innen stehen dadurch dem Staat nicht als Untertan:innen, sondern als selbstbestimmte Bürger:innen gegenüber.70 Sie verhelfen einer gerichtsgeprägten Gewalten63 Bachof, Reflexwirkung und subjektive Rechte, in: Bachof et al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift Jellinek (1955), 287 (301). 64 Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 52. 65 Vgl. für die Verfassungsänderung der DDR das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (Verfassungsgrundsätze) vom 17.06.1990, wonach in Erwartung der Vereinigung die Rechtsschutzgarantie in Art. 5 als Verfassungsgrundsatz statuiert wurde. 66 Hufen (2021), Verwaltungsprozessrecht, § 2 Rn. 12, 21; Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 52 f.; vgl. auch Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (472); Bauer (1977), Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 16. 67 Vgl. für das BVerwG: BGBl. I 1952, S. 625. 68 Vgl. dazu auch den heutigen § 39 VwGO, der regelt, dass dem Gericht keine Verwaltungsgeschäfte außerhalb der Gerichtsverwaltung übertragen werden dürfen und somit eine strikte Trennung zwischen Verwaltung und Gericht bestehen muss. 69 Vgl. auch Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 52 f.; Sußmann (2006), Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite, S. 115; vgl. auch Maurer, Rechtsstaat liches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (473), der den zunehmenden Rechtsschutz als „Korrelat der zunehmenden Staatstätigkeit“ versteht. 70 BVerwG, Urt. v. 24.06.1954, Az. V C 78.54, Rn. 26 (juris); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2013, Art. 19 Abs. 4 Rn. 35 m. w. N.
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teilung zur ihrer Effektivität. Die Gewalten werden so dezentral kontrolliert, vor allem auch dort, wo politische Minderheiten drohen, marginalisiert zu werden. Mithin ist Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG Ausdruck der Weiterentwicklung des Rechtsstaats.71 bb) Entstehungsgeschichtliche Bedeutung der subjektiv-öffentlichen Rechte Als Grundlage für das deutsche Verständnis eines subjektiven Rechts gilt das im Jahr 1880 erschiene Werk Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege von Otto von Sarwey. Von Sarwey ordnete der Verwaltungsrechtspflege die Funktion des Schutzes subjektiver Rechte zu, die nicht Teil des privaten, sondern des öffentlichen Rechts sein sollten.72 Damit untrennbar verbunden war nach seinem Verständnis der Rechtsschutz.73 Bereits nach der Definition von Rudolf von Jhering (1872) schützten subjektive Rechte rechtliche Interessen, die einklagbar sein mussten.74 Der Staatsrechtler Georg Jellinek hatte ein ähnliches Verständnis von der Subjektivität im Recht. Er sah ein subjektives Recht als eine „von der Rechtsordnung anerkannte und geschützte, auf ein Gut oder Interesse gerichtete menschliche Willensmacht.“75 Die Grundlagen von Jellinek nahm Ottmar Bühler im Jahre 1914 auf und begriff das subjektiv-öffentliche Recht als „rechtliche Stellung des Untertanen zum Staat, in der er […] vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf.“76 Die Rechtsstellung zwischen Untertan:in und Staat erfordert, dass zwischen ihnen eine Beziehung mit Rechten und Pflichten bestehen kann. Mithin ging dem Verständnis von Bühler als Grundvoraussetzung für die Entstehung des subjektiven öffentlichen Rechts voraus die im 19. Jahrhundert entwickelte eigenständige Rechtspersönlichkeit des Staates.77 Als Abkehr von einer Art absolutistischen Unter- und Überordnung und dem monarchischen Prinzip78 (1977), Gerichtsschutz als Verfassungsgarantie, S. 16. Sarwey (1880), Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege,
71 Bauer 72 von
S. 73. 73 Ebd., S. 76. 74 Dazu Voßkuhle/Kaiser, Das subjektiv-öffentliche Recht, JuS 2009, 16 (17). 75 Jellinek (1919), System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 44; diese Willensmacht definierte nichts Anderes als das, was heutzutage unter Justiziabilität verstanden wird, dazu bereits Bauer (1986), Geschichtliche Grundlagen der Lehre des subjektiven Rechts, S. 99. 76 Bühler (1914), Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 224. 77 Ausführlich Bauer (1986), Geschichtliche Grundlagen der Lehre des subjektiven Rechts, S. 48 ff. 78 Vgl. Bauer (1986), Geschichtliche Grundlagen der Lehre des subjektiven Rechts, S. 45 ff.
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wandelte sich der Staat zum Zentrum, auf das sich die Beziehungen zwischen Bürger:innen und Staat beziehen sollten.79 Hiernach waren die Fundamente für das heutige Verständnis eines subjektiven Rechts und der Schutznormlehre gelegt.80 Nach Bühler war damit (i) eine zwingende Rechtsvorschrift erforderlich, welche (ii) zumindest auch dem Individualschutz dienen und (iii) den Bürger:innen eine Rechtsmacht vermitteln soll, die sie berechtigt, die Verwaltung zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen.81 Wenn auch die Erfordernisse des zwingenden Rechtssatzes82 und die verliehene Rechtsmacht83 an eigenständiger Bedeutung verloren, sind sie wesentliche Cha rakteristika der subjektiven Rechte und ihrer Entstehungsgeschichte. Die Rechtsmacht ist nun nicht mehr eine eigenständige Voraussetzung des subjektiven Rechts. Sie ist dessen Rechtsfolge.84 Eine Rechtsfolge, die die Bürger:innen in Bereichen ihrer Individualsphären an der staatlichen Machtausübung teilhaben lässt. Damit lassen sich die subjektiv-öffentlichen Rechte als Vehikel in der Fortentwicklung von Untertan:innen zu Bürger:innen begreifen.85 Dabei indizieren sie die „Freiheitlichkeit einer Gesellschaft“86. 2. Das subjektiv-öffentliche Recht und seine Klassifizierung Wenn auch die Grundrechte normintern bei der Auslegung oder norm extern als selbstständige subjektive Rechte die Klagebefugnis im Verwaltungsverfahren begründen können,87 wird sich nachfolgend auf die Ermittlung der einfachgesetzlichen subjektiven Rechte konzentriert. So findet auch 79 Häfelin (1959), Die Rechtspersönlichkeit des Staates, S. 125; vgl. auch Bauer (1986), Geschichtliche Grundlagen der Lehre des subjektiven Rechts, S. 48 m. w. N. 80 Vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 17.12.1969, Az. 2 BvR 23/65, Rn. 29 (juris), wo sich das das Gericht ausdrücklich auf Bühler bezieht. 81 Bühler (1955), Begriff und Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 274 ff., 278 ff., 281 ff. 82 Bachof, Reflexwirkung und subjektive Rechte, in: Bachof et al. (Hrsg.), Gedächtnisschrift Jellinek (1955), 287 (295); dazu auch Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 38 f. 83 Art. 19 Abs. 4 GG lässt eine Rechtsmacht obsolet werden, da das Rechtsschutzsystem die Durchsetzbarkeit rechtlich geschützter Interessen ohnehin schon garantiert, vgl. Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), 37 (73 f.); Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 39. 84 Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 64 m. w. N. 85 Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 62, 83. 86 Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 126. 87 BVerwG, Urt. v. 01.12.1982, Az. 111/81; vgl. auch Hufen (2021), Verwaltungsprozessrecht, § 14 Rn. 83; vgl. dazu ausführlich Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 394 ff.
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B. Zugang zu Gerichten
die Schutznormlehre (dazu unter b)) nur bei der Auslegung einfachgesetz licher Normen Anwendung, da die Grundrechte umfassend als subjektive öffentliche Rechte anerkannt sind.88 a) Das subjektive öffentliche Recht Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG schafft nicht ohne weiteres materielle Rechtsposi tionen.89 Er setzt dafür ein subjektiv-öffentliches Recht voraus.90 Da Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG jene Rechte, aber auch Gerichtsverfassungen und Prozessordnungen impliziert, ist es ein normgeprägtes, ein gesetzesakzessorisches Grundrecht.91 Das subjektiv-öffentliche Recht und nicht Art. 19 Abs. 4 GG bestimmt damit Schutzziel sowie Umfang der gerichtlichen Kontrolle.92 Das subjektiv-öffentliche Recht eröffnet zum einen den Rechtsschutz. Zum anderen begrenzt es über § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO den Kontrollumfang des Rechtsschutzes. Als inhärenter und entscheidender Bestandteil des Rechts wird ein Interesse angesehen.93 Das Unterscheidungsmerkmal des Rechts vom Interesse ist dessen Anerkennung in der Rechtsordnung.94 Öffentlich ist das Recht immer dann, wenn es als Sonderrecht einen Träger der öffent lichen Gewalt verpflichtet.95 Eine Beeinträchtigung von lediglich privaten Rechten oder bloß faktischen Begünstigungen (sog. Rechtsreflex96) reicht
88 Scharl (2018), Die Schutznormtheorie, S. 33; Scherzberg, Das subjektiv-öffentliche Recht, Jura 2006, 839 (842); Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 121 ff.; Voßkuhle/Kaiser, Das subjektiv-öffent liche Recht, JuS 2009, 16 (17). 89 BVerfG, Urt. v. 05.02.1963, Rn. 17 (juris); Urt. v. 10.05.2001, Az. 1 BvR 481/ 01, 1 BvR 518/01, Rn. 15 (juris). 90 Dies bedeutet nicht, dass bei möglicher Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG keine Verfassungsbeschwerde möglich wäre, Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (474) m. w. N. 91 Ernst, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 100; Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 63. 92 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 116; Groß, Die Klagebefugnis als gesetzliches Regulativ des Kontrollzugangs, Die Verwaltung 43 (2010), 349. 93 Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 37 ff., 42. 94 Relling, Interesse als Rechtsbegriff?, DÖV 2004, 181 f. 95 Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 55. 96 Dazu auch Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), 37 (75), der den Begriff des Rechtsreflex kritisch differenziert und darunter solche versteht, „die sich als von der Rechtsordnung gewollte Begünstigungen, als gewollte Befriedigung eines Individualinteresses“ und damit als subjektive Rechte darstellen.
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nicht aus.97 Die Subjektivität des öffentlichen Rechts lässt sich nicht so einfach bestimmen. Zunächst wird nämlich jede Rechtsvorschrift dem objektiven Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG zugeordnet.98 Öffentlich-rechtliche Subjektivität hat das Recht dann, wenn es nicht nur den Interessen der Allgemeinheit, sondern – zumindest – auch denen des einzelnen Menschen zu dienen bestimmt ist.99 Die Subjektivität im Recht berechtigt, ein Handeln, Dulden oder Unterlassen zu verlangen.100 Die legislative Zuordnung dieser Möglichkeit erfolgt meist nicht ausdrücklich. So erklärte auch Georg Jellinek, dass nichts so ungewiss sei wie der Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechts.101 Um dieser Ungewissheit zu begegnen, bedarf es eines Instruments, das verdeutlicht, wann eine Person durch eine Norm berechtigt ist, etwas gerichtlich einzufordern. b) Klassifizierung als subjektives Recht (Schutznormlehre) Wann eine Norm Individualinteressen zu dienen bestimmt ist, wird mit Hilfe der Auslegung ermittelt.102 Mangels näherer Kriterien füllen die Richter:innen die breite Schutznormlehre aus.103 Die Schutznormlehre kann deshalb nicht als klare Vorgabe zur Bestimmung der subjektiven Rechte verstanden werden, sondern vielmehr als eine „Sammelbezeichnung für einen Kanon von Methoden und Regeln, nach denen der subjektiv-rechtliche Ge-
97 Vgl. Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Edition, Stand 01.10.2019, § 42 Rn. 144 m. w. N.; Voßkuhle/Kaiser, Das subjektiv-öffentliche Recht, JuS 2009, 16 (17). 98 Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 53 m. w. N.; vgl. auch schon Jellinek, Der Schutz des öffentlichen Rechts, VVDStRL 2 (1925), 8 (48), der es für „überflüssig zu betonen“ hielt, „daß mit dem Schutze subjektiver Rechte immer auch der Schutz objektiven Rechts verbunden ist, da zwar das objektive Recht ohne subjektives Recht gedacht werden kann, nicht aber das subjektive Recht ohne objektive“; ähnlich auch Bachof, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, VVDStRL 12 (1954), 37 (73). 99 BVerwG, Urt. v. 15.11.1985, Az. 8 C 43/83, Rn. 15 (juris); Wahl, in: Schoch/ Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 95; Sennekamp, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 42 Rn. 50. 100 Wahl, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. § 42 Abs. 2 Rn. 46 f.; Scherzberg, Das subjektiv-öffentliche Recht, Jura 2006, 839; Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Edition, Stand 01.10.2019, § 42 Rn. 143. 101 Jellinek (1919), System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 5. 102 Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff. BeckOK, VwGO, 60. Ed. 01.10.2019, § 42 Rn. 155; Voßkuhle/Kaiser, Das subjektiv-öffentliche Recht, JuS 2009, 16 (17). 103 Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 01.10.2019, § 42 Rn. 156.
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halt eines Rechtssatzes erschlossen werden soll.“104 Sie ist damit ebenso wenig eine Definition der subjektiv-öffentlichen Rechte wie eine wissenschaftlich deutende Theorie. Sie ist vielmehr das entscheidende Werkzeug des juridischen Auslegungsprozesses.105 Bei der Auslegung soll nach dem BVerfG berücksichtigt werden, dass bei Unklarheiten diejenige Interpretation des Rechts bevorzugt wird, die den Bürger:innen einen Rechtsanspruch einräumt.106 In dubio pro Subjektivität also. Diese Adressat:innenfreundlichkeit der Schutznormlehre wird gerade im Umweltrecht dankend angenommen. Richtlinien, die zum Beispiel der Gesundheit aller dienen, genügen meist der individuellen Subjektivität.107 Die Schutznormlehre entwickelt sich so auch zu einer gemeinschaftsrechtlich aufgeladenen Version ihrer selbst.108 Das Handwerkzeug bei der Ermittlung der Subjektivität einer Norm ist und bleibt aber die Auslegung. In diese wird eine weitere Orientierung in Form der Gemeinschaftsrechtskonformität integriert. Die Schutznormlehre gewährt damit Wandelbarkeit bei gleichzeitiger Orientierungshilfe.109 Die Flexibilität der Schutznormlehre überträgt sich auf die subjektiv-öffentlichen Rechte. Die Schutznormlehre ermöglicht die subjektiven Rechte immer wieder entwicklungsoffen, neu und vor allem gemessen am aktuellen Zeitgeist zu definieren.110 Flexibilität und Offenheit geht allerdings trotz Orientierungshilfe mit fehlender Einheitlichkeit und Vollständigkeit einher.111 Um die Offenheit 104 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 128. 105 Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 129. 106 BVerfG, Beschl. v. 05.02.1963, Az. 2 BvR 21/60, Rn. 17 (juris). 107 Dazu unter D. II. 4. 108 Dörr/Lenz (2019), Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, Rn. 536; Schoch, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 457 (465); Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz, NVwZ 2006, 1 (6); Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 78; Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 (203 f.). 109 Mangold/Wahl, Das europäisierte deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), 1 (26). 110 Vgl. dazu Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 152c; Bauer (1986), Geschichtliche Grundlagen der Lehre des subjektiven Rechts, S. 143, der die Schutznormtheorie als „geniales Meisterwerk“ betitelte; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 389; vgl. auch Klinger, Erweiterte Klagerechte im Umweltrecht?, NVwZ 2013, 850 (851) mit Umweltbezug. 111 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.06.1980, Az. 1PBvU 1/79, Rn. 48 (juris): „Denn die Einheit der Rechtsordnung ist im Kern bedroht, wenn gleiches Recht ungleich gesprochen wird“; für eine ausführliche Sammlung von Kritiken bezüglich der Schutznormlehre: Bauer, Altes und Neues zur Schutznormlehre, AöR 113 (1988), 582 (585) und Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 389; vor hohen Erwartungen ebenfalls warnend Wysk, Das Gesetz und seine Richter, in: Kloepfer (Hrsg.), Gesetzgebung als wissenschaftliche Herausforderung (2018), 137 (144).
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der Schutznormlehre mit den zutreffenden Worten von Hartmut Bauer zu beschreiben: „Die Schwäche der Schutznormtheorie ist […] zugleich ihre Stärke.“112 3. Die Rügebefugnisse und ihre Funktionen Sowohl die Klagebefugnis auf dem Verwaltungsrechtsweg als auch die Beschwerdebefugnis vor dem Verfassungsgericht werden ganz überwiegend als Bestandteile des (besonderen) Rechtsschutzbedürfnisses in der Zulässigkeit geprüft.113 Bei umweltrelevanten Konflikten zwischen Privatpersonen und Behörden ist nach § 40 Abs. 1 VwGO grundsätzlich die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig (dazu unter a)), bei möglichen Grundrechtsverletzungen subsidiär oder bei Beschwerden gegen Gesetze das BVerfG (dazu unter b)). a) Klagebefugnis im Verwaltungsrecht Die verwaltungsrechtliche Ausprägung zu Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG findet sich in § 42 Abs. 2 VwGO. Die Klagebefugnis ist als eigenständige Sachentscheidungsvoraussetzung zu prüfen bei den in § 42 Abs. 2 VwGO erwähnten Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unmittelbar und bei den anderen Klagearten analog.114 Die ganz herrschende Auffassung verlangt für die Klagebefugnis die Geltendmachung einer möglichen Verletzung eigener und damit subjektiver Rechte (sog. Verletztenklagemodell).115 Da die streitige Rechtsverletzung erst Gegenstand des Verfahrens ist, reicht zur Eröffnung des Rechtsweges die Möglichkeit der Verletzung (sog. Möglichkeitstheorie).116 Diese fehlt, wenn die geltend gemachten Rechtspositionen offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder den Klagenden zuAltes und Neues zur Schutznormlehre, AöR 113 (1988), 582 (607). Urt. v. 28.10.1970, Az. VI C 48.68, Rn. 41 (juris); BVerfG, Beschl. v. 15.07.2015, Az. 2 BvR 2292/13, Rn. 47 (juris); vgl. bei Nichtvorliegen Abweisung wegen Unzulässigkeit z. B.: BVerwG, Urt. v. 09.07.1992, Az. 7 C 32/91, Rn. 6 ff. (juris); Urt. v. 22.02.1994, Az. 1 C 24/92, Rn. 11 (juris) m. w. N.; als Teil der Prozessführungsbefugnis bei Leistungsklagen: Schoch, Der Kommunalverfassungsstreit im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, JuS 1987, 783 (790); Erichsen, Die Umsetzung von Beamten, DVBl 1982, 95 (100). 114 BVerwG, Urt. v. 28.10.1970, Az. VI C 48.68, Rn. 41 (juris); VGH Mannheim, Beschl. v. 06.08.1990, Az. 9 S 1725/89, Rn. 10 (juris) m. w. N. 115 BVerwG, Urt. v. 26.07.1989, Az. 4 C 35/88, Rn. 18 (juris); Urt. v. 10.07.2001, Az. 1 C 35/00, Rn. 15 (juris); Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 379 m. w. N.; vgl. auch Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 40. 116 Vgl. nur BVerwG, Urt. v. 17.05.2000, Az. 6 CN 3/99, Rn. 24 (juris). 112 Bauer,
113 BVerwG,
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stehen können.117 Die Klagebefugnis verlangt mithin eine summarische Prüfung von Teilaspekten der Begründetheit, sodass sie auch als Bindeglied zwischen Prozessrecht und materiellem Recht verstanden wird.118 Indem sie markiert, welche öffentlich-rechtlichen Normen dem Verfahren zugrunde gelegt werden, stellt sie gleichzeitig die Weichen für die spätere materiellrechtliche Prüfung nach § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 1 VwGO. Die Klagebefugnis nimmt die Eröffnung eines Rechtsweges durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG einfachgesetzlich auf und begrenzt dabei den Rechtsschutz auf Verletztenklagen. Popularklagen sollen abgewehrt werden.119 Durch Popularklagen wollen sich Klagende zu Sachwalter:innen von Allgemeininteressen oder Interessen Dritter machen.120 Die Angst davor ist eine ständige Wegbegleiterin der deutschen Rechtswissenschaft. Ihr Ursprung ist unklar.121 Bereits in der Gesetzesbegründung zu § 41 Abs. 2 VwGO a. F. wurde die Funktion des Abs. 2 in der Abgrenzung zu den Popularklagen gesehen.122 Popularklagen erfassen allerdings nicht die Fälle, in denen eine Vielzahl von Menschen eine eigene mögliche Verletzung rechtlich geschützter Interessen geltend machen kann.123 Die Klagebefugnis soll nur denjenigen den Rechtsschutz verwehren, die keine eigenen Rechtsverletzungen geltend machen können. Von der Rechtsordnung nicht anerkannte Interessen sind daher nicht justiziabel. Aus diesem Grund soll die Klagebefugnis die Interessentenklagen im engeren Sinne124 verhindern.125 Interessentenklagen im engeren Sinne 117 StRspr. BVerwG, Urt. v. 30.10.1963, Az. V C 219.62, Leits. (juris); Urt. v. 19.11.2015, Az. 2 A 6/13, Rn. 15 (juris); Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412.18, Rn. 54 (juris). 118 Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 147. 119 Für Nachweise aus der Rspr. vgl. nur BVerwG, Urt. v. 28.10.1970, Az. VI C 48.68, Rn. 41 (juris); Beschl. v. 18.05.1982, Az. 4 B 20/82, Rn. 3 (juris); für Nachweise aus der Literatur: Sodan, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 365. 120 Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 365. 121 Unter H. I. wird gezeigt, warum die Angst im umweltschützenden Rechtsschutz unbegründet ist. 122 BT-Drs. 3/55 Anl. 1, S. 32 und 1/4278 Anl. 1, S. 35. 123 Rehbinder/Burgbacher/Knieper (1972), Bürgerklage im Umweltrecht, S. 37 f.; deutlich Hermes (1987), Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 218: „Die Klagemöglichkeit Vieler hat mit Popularklage nichts zu tun.“; BVerwG, Urt. v. 09.06.1967, Az. VII C 18.66, Rn. 16 (juris); für die Verfassungsbeschwerde: BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 110 (juris) unter Verweis auf das VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412/18, Rn. 73 (juris) und BVerfG, Urt. v. 21.01.2009, Az. 1 BvR 2524/06, Rn. 43 (juris). 124 Das subjektiv-öffentliche Recht schützt auch ein Interesse, das aber anders als bei der Interessentenklage i. e. S. rechtlich geschützt ist. Damit handelt es sich bei der Interessentenklage und der Verletztenklage genau genommen um „unterschiedlich graduierte Interessentenklagen“, Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 54.
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zielen darauf ab, ein eigenes materielles, aktuelles oder künftiges Interesse an der gerichtlichen Entscheidung zu verfolgen.126 Da die Interessen nicht rechtlich anerkannt sein müssen, mithin keine subjektiv-öffentlichen Rechte verlangen, widerspricht die Interessentenklage der Systementscheidung zum subjektiven Individualrechtsschutz. Die Klagebefugnis ist damit eine Systemhüterin sowie eine Implementiererin. Sie hütet das Strukturprinzip des Verwaltungsrechtschutzes127 einerseits und setzt andererseits das durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG vorgegebene subjektiv-rechtliche Konzept um.128 b) Beschwerdebefugnis im Verfassungsrecht Für die Beschwerdebefugnis vor dem BVerfG muss nach § 90 Abs. 1 BVerfGG die Behauptung erhoben werden, in einem „seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4 Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte […] verletzt zu sein […].“ Diese Behauptung muss mit Blick auf § 23 Abs. 1 S. 2 und § 92 BVerfGG ausreichend substantiiert sein, das heißt die Grundrechtsverletzung muss zumindest möglich erscheinen.129 Diese substantiierte Behauptung ist somit deckungsgleich mit der behaupteten Möglichkeit einer Rechtsverletzung i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO.130 Die Beschwerdebefugnis verlangt anders als die Klagebefugnis eine Beeinträchtigung, die selbst, gegenwärtig und unmittelbar ist. Selbst sind die Beschwerdeführenden immer dann betroffen, wenn sie eine eigene Grundrechtsverletzung geltend machen, sie Adressat:innen der beeinträchtigenden Maßnahme sind oder zumindest eine hinreichend enge Beziehung zwischen Grundrecht und staatlicher Maßnahme besteht.131 Altruistische oder objek-
125 Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 41, hält es aber zu Recht für verfehlt, dass dies die alleinige Funktion der Klagebefugnis ist. 126 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 09.01.1991, Az. 1 BvR 207/87, Rn. 44, 48 (juris) m. w. N.; vgl. auch BSG, Urt. v. 09.05.1990, Az. 6 RKa 27/88, Rn. 13 (juris). 127 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, Az. 7 C 21/12, Rn. 18 (juris). 128 BVerwG, Urt. v. 29.04.1993, Az. 7 A 3/92, Rn. 14 (juris). 129 StRspr, vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 09.11.2009, Az. 1 BvR 2298/09, Rn. 3 (juris) m. w. N.; Korioth, in: Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, 4. Teil, Rn. 216. 130 Korioth, in: Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, 4. Teil, Rn. 216; a. A. Detterbeck, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 93 Rn. 90. 131 Vgl. BVerfG, Beschl. 14.01.1998, Az. 1 BvR 1995/94, Rn. 34 (juris); Korioth, in: Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, Rn. 232.
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tive Beschwerden kennt damit der Verfassungsrechtsweg im Grundsatz132 ebenfalls nicht. Gegenwärtig ist die Beeinträchtigung, wenn sie ihre Wirkung auf die Beschwerdeführenden aktuell entfaltet oder ein Gesetz die Norm adressat:innen zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt.133 Interessanter für den Klimaschutz ist, dass auch Grundrechtsgefährdungen bei nicht ganz unerheblichen verletzungsgleichen Beeinträchtigungen die Gegenwärtigkeit nicht ausschließen.134 Das Kriterium der Unmittelbarkeit hat nur bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden praktische Bedeutung. Unmittelbar sind die Beschwerdeführenden betroffen, wenn sie bereits durch die Norm und nicht erst durch deren Vollzug in ihren Rechten berührt sind.135 Ein Vollzug ist nicht erforderlich, wenn beispielsweise sein Herbeiführen in Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit münden muss oder wenn die Norm bereits vor dem Vollzugsakt zu später nicht mehr korrigierbaren Dispositionen zwingt.136 Die Betroffenheitstrias soll als flexibles Instrument einen mehrschichtigen „Plausibilitätsfilter“137 schaffen, um die Gerichtsschutz- und Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG zu wahren. Die Beschwerdebefugnis will die absolute Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verdeutlichen, da sie nicht ohne weiteres ein Verfahren zur objektiven Verfassungswahrung einleiten können soll. Damit soll den Antragstellenden keine bloße Anstoßfunktion zukommen.138 Die Befugnis soll vielmehr das Aufrücken der Verfassungsbeschwerde zu einer Popularklagemöglichkeit unterbinden.139 Verfassungsrechtlich nicht geschützte Interessen sind nicht justiziabel. Die Zielrichtung der verfassungsrechtlichen Beschwerdebefugnis deckt sich damit trotz der unterschiedlichen Ausgestaltung mit denen der verwaltungsrechtlichen Be132 Vereinzelt sind Parteien kraft Amtes oder aufgrund materiell-rechtlicher Ermächtigung bei finanziellen Ansprüchen beschwerdebefugt, vgl. etwa BVerfG, Urt. v. 24.07.1963, Az. 1 BvR 103/60, Rn. 13 (juris) m. w. N.; Beschl. v. 08.02.1967, Az. 2 BvR 235/64, Rn. 12 (juris); Beschl. v. 15.01.1970, Az. 1 BvR 293/62, Rn. 25 (juris). 133 BVerfG, Beschl. 14.01.1998, Az. 1 BvR 1995/94, Rn. 34 (juris) m. w. N. 134 BVerfG, Beschl. v. 17.02.1997, Az. 1 BvR 1658/96, Rn. 9 (juris) m. w. N.; dazu unter F. I. 1. a). 135 BVerfG, Beschl. 14.01.1998, Az. 1 BvR 1995/94, Rn. 34 (juris) m. w. N.; Ko rioth, in: Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Aufl. 2021, 4. Teil, Rn. 238. 136 BVerfG, Urt. v. 08.02.1977, Az. 1 BvF 1/76, Rn. 212 (juris) m. w. N. 137 Schorkopf, Die prozessuale Steuerung des Verfassungsrechtsschutzes, AöR 130 (2005), 465 (473). 138 Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL Juli 2021, § 90 Rn. 336. 139 BVerfG, Urt. v. 08.02.1977, Az. 1 BvF 1/76, Rn. 212 (juris); Beschl. v. 18.05.1982, Az. 1 BvR 602/78, Rn. 36 (juris); Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/ Bethge, BVerfGG, 61. EL Juli 2021, § 90 Rn. 336.
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fugnis. Der Verwaltungsrechtsweg nutzt für die Wahrung des Individualrechtsschutzes die subjektiv-öffentliche Rechte, der Verfassungsrechtsweg die Betroffenheitstrias. Vereint sind sie im Bestreben, das Nadelöhr des Rechtsschutzes möglichst eng zu halten.
II. Grundlagen des Rechtsschutzes im Klima- und Umweltschutz Mit diesem Nadelöhr hat der Rechtsschutz im Umwelt- und Klimaschutz seine Probleme. Der Rechtsschutz lässt sich in den Individualrechtsschutz (dazu unter 1.) und die Verbandsklagen (dazu unter 2.) teilen. 1. Individualrechtsschutz Der Individualrechtsschutz wird herausgefordert durch die erschwerte Suche nach subjektiv-öffentlichen Rechten (dazu unter a)), die Multipolarität der Rechtsstreitigkeiten (dazu unter b)) sowie den zum Teil vereinfacht definierten Drittschutz (dazu unter c)). a) Das Problem der subjektiv-öffentlichen Rechte Auch wenn in den letzten Jahren durch die europarechtlichen Einflüsse das Verbandsklagerecht im Umweltschutz an Bedeutung gewonnen hat, bleibt der Individualrechtsschutz die Priorität.140 Individualrechtsschutz ist nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG die Regel, Überindividualrechtsschutz die Ausnahme und der bloße Helfer für strukturelle Nöte. Vor dem BVerfG sind überdies nur Individualklagen möglich und Versuche des Überindividualrechtsschutzes gescheitert.141 Individualrechtsschutz wird also auch im Umwelt- und Klimaschutzrecht durch subjektiv-rechtliche Normen diktiert. Deren Suche gestaltet sich mühsam. Die Schutzgüter sind nahezu immer Allgemeinbelange, die sich qua natura „dem Gedanken individueller Erzwingbarkeit eher entziehen.“142 Die Mehrzahl der umweltrechtlichen Normen sollen wohl demnach ohne weiteres kein subjektives Substrat aufweisen.143 Ob dies überzeugt, kann bezweifelt werden, da Umwelt- und Klimaschutz immer 140 So auch Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1. 141 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 136 (juris). 142 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 89. 143 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 1; Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (378); Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (1); Schlacke,
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auch Gesundheitsschutz aller Bürger:innen bedeutet. Schützt ein Gesetz die Gesundheit, so tut es dies „nicht zum Schutz eines imaginären Abstraktums, sondern zum Schutz aller als Einzelpersonen.“144 Ökozentrisch gewendet ist ein Individuum immer auch Teil der (objektiv-rechtlich geschützten) Umwelt und damit eines Allgemeinheitsbelanges.145 Umweltinteressen zielen daher inhärent auf das menschliche Interesse an einer gesunden, das heißt lebensfähigen Umwelt ab. Faktisch bedeutet Schutz der Umwelt also auch immer Schutz des Menschen in seiner natürlichen Lebensgrundlage.146 Rechtlich wird diesem Verständnis meist aber nicht gefolgt. Angesichts des subjektivrechtlichen Rechtsschutzes einerseits und des überwiegend objektiv-rechtlich ausgestalteten Schutzes jener Lebensgrundlage anderseits scheint „Träger eines Rechts auf Gesundheit und Leben zu sein, […] keine juristische Überlebensgarantie“ zu bedeuten.147 Auch wenn gemeinschaftsrechtliche Einflüsse die Auslegung zu einem subjektiven Recht weiten, ist es Aufgabe der gesetzgebenden Gewalt, diese justiziable „Überlebensgarantie“ herzustellen.148 Gleichzeitig hat der Gesetzgeber dabei die Komplexität und Dynamik des Umwelt- und Klimaschutzes rechtlich zu erfassen. Hierfür verzichtet er auf konkrete Normierungen. Er antwortet mit unbestimmten Rechtsbegriffen, Abwägungsklauseln oder Ermessensspielräumen der Behörden.149 Diese unbestimmte Struktur ist neben der objektiv-rechtlichen Ausrichtung eine bedeutende Ursache für die mangelhafte Anwendung und Durchsetzung.150 So wird das Umweltrecht teilweise als Ausdruck einer anwendungsfeindlichen „Zuflucht zu Formelkompromissen und normativen Inkonsequenzen“151 verstanden. In Rechtsgebieten mit zunehmenden technischen Fortschritten und der damit einhergehenden steigenden Komplexität, ist die Justiziabilität derartiger Normen von hoher Bedeutung, da es die Gerichte sind, die unbe-
(Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts, DVBl 2015, 929 (935); Kahl/Ohlendorf, Das subjektive Recht, JA 2010, 872 (877). 144 Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (468); dazu unter G. II. 1. b). 145 Epiney/Sollberger (2002), Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, S. 368; vgl. auch Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 99. 146 Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 120. 147 Bosselmann, Wendezeit im Umweltrecht, KJ 18 (1985), 345 (358 f.). 148 BVerfG, Beschl. v. 31.05.1988, Az. BvR 520/83, Rn. 34 (juris). 149 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 4; vgl. auch Berkemann, Sinn und Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 13 (14 ff.); Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 349 ff., 361 f. 150 Rehbinder/Burgbacher/Knieper (1972), Bürgerklage im Umweltrecht, S. 18. 151 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 4.
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stimmte Rechtsbegriffe konkretisieren.152 Da diese aber oft nicht angerufen werden können, benachteiligt das subjektiv ausgerichtete Rechtsschutzsystem – in Zusammenschau mit den anderen Defiziten – strukturell den individuellen Rechtsschutz von komplexen Allgemeinbelangen.153 Denn auch objektiv-rechtliche Kontrollmechanismen wie der Normenkontrollantrag aus § 47 Abs. 1 VwGO entbinden die Klagenden nur in der Begründetheit vom Erfordernis einer subjektiven Rechtsverletzungen. In § 47 Abs. 2 VwGO wird der gerichtliche Zugang stets an die mögliche Verletzung des subjektiven Rechts geknüpft. Der Individualrechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ist damit vollständig anthropozentrisch ausgerichtet. Ökozentrischer Rechtsschutz wird nur durch die Verbände als Stellvertreter der Umwelt möglich.154 Ohne diese Stellvertretung verbliebe die Überprüfung der objektiven Normen allein im Verantwortungsbereich der Exekutive, die zum Beispiel durch die Naturschutzbehörde die Einhaltung prüft.155 Die Kontrolle der Verwaltung auf Wahrung des objektiven Rechts wäre allenfalls „erwünschte Nebenfolge“ des subjektiven Rechtsschutzsystems.156 b) Multi- statt Bipolarität Verwaltungsgerichtlicher Individualrechtsschutz im Umwelt- und Klimaschutz ist zudem geprägt von einer Vielseitigkeit. Vielseitigkeit meint nicht nur die konfligierenden Belange, sondern bereits die Zahl der Beteiligten. Die umweltrechtlichen Gerichtsverfahren werden nicht mehr nur dominiert von klassischen zweipoligen Verwaltungsverhältnissen zwischen Bürger:in und Staat, sondern zunehmend von multipolaren Rechtsverhältnissen (Dreieckskonstellationen).157 Insbesondere das Immissionsschutzrecht steht hierfür exemplarisch, wenn ein Verwaltungsakt (z. B. eine Anlagengenehmigung) an eine andere Person adressiert ist als an die klagende Partei. Für eine einklagbare Rechtsposition muss der Verwaltungsakt dann Drittwirkung be-
152 Dazu
unter G. II. 1. a).
153 Vgl. Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 67 m. w. N. 154 Vgl.
Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 19. in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 1. 156 Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 17; schon Menger, Rechtssatz, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, DÖV 1955, 587 (591 f.) grenzt hiervon zu Recht den Normenkontrollantrag ab, der primär die Rechtsordnung „intakt“ halten will. 157 Vgl. Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 30; Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 17; Nolte, in: Kluth/ Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 7 Rn. 6. 155 Schlacke/Römling,
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sitzen.158 Das Gericht muss schließlich eine interessensgerechte Lösung zwischen der klagenden Partei, der beklagten Partei, dem Staat (Verwaltung) sowie der Öffentlichkeit finden. Wenn die Beklagten ihre Interessen strukturell leichter als die Klagenden durchsetzen können, entsteht allerdings eine Schieflage. Die Erweiterung von Justiziabilität ist daher immer auch eine Verteilungsfrage,159 eine Frage der prozessualen Verhältnismäßigkeit. Das meint, dass prozessuale Durchsetzungsmöglichkeiten verhältnismäßig, also gerecht, verteilt sein müssen. Um zu einem verhältnismäßigen Ergebnis zu gelangen, werden vermehrt verfahrensrechtliche Beteiligungs- und Verfahrensrechte statuiert.160 Die zivilgesellschaftliche Beteiligung soll nicht nur helfen, die Akzeptanz einer Entscheidung zu erhöhen, sondern die multipolaren Belange bereits im Verwaltungsverfahren auszugleichen.161 Kollidierende grundrechtsgeschützte Interessen sind indes primär vom Gesetzgeber und nicht durch Verwaltungsverfahren und die Judikative auszugleichen.162 So sieht auch das BVerfG ein legislatives Anpassungsbedürfnis für die Besonderheiten der multipolaren „Konfliktlagen“.163 Bereits 1980 wurde anhand einer atomrechtlichen Norm die Bedeutung des effektiven Rechtsschutzes in mehrpoligen Rechtsverhältnis betont. Die damals betroffene Präklusionsvorschrift (§ 3 Abs. 1 AtAnlV a. F.) sollte die gegenläufigen (Rechtsschutz-)Interessen ausreichend „ausbalancieren“.164 Um es mit den Worten des BVerfG zu sagen: „Der Gesetzgeber hat insbesondere grundrechtliche Schutzaussagen zugunsten des Rechtsuchenden, aber auch zugunsten Dritter, deren Belange durch den begehrten Rechtsschutz berührt werden, zu beachten und hierbei bereichsspezifischen Besonderheiten Rechnung zu tragen.“165 158 Begrifflich ist dann von einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung oder Doppelwirkung die Rede, vgl. §§ 80 Abs. 1, S. 2, 80a VwGO; zum Drittschutz unter c). 159 Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 46; dazu grundlegend auch Schmidt-Preuß (2005), Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 550 ff. 160 Z. B. im Planfeststellungsverfahren nach §§ 72 ff. VwVfG oder dem Genehmigungsverfahren nach § 10 BImSchG. 161 Wann ein umweltrechtliches Verfahrensrecht so wesentlich ist, dass es ein subjektiv-öffentliches Verfahrensrecht statuiert, ist umstritten, dazu unter D. II. 6. b) bb). 162 BVerfG, Beschl. v. 12.06.1979, Az. 1 BvL 19/76, Rn. 118 (juris); Beschl. v. 31.05.1988, Az. 1 BvR 520/83, Rn. 34 ff. (juris); BVerwG, Urt. v. 16.03.1989, Az. 4 C 36/85, Rn. 47 (juris); Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz, NVwZ 2006, 1 (5 f.); dazu ausführlich Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 256 ff.; grundlegend Schmidt-Preuß (2005), Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 130 ff. 163 BVerfG, Beschl. v. 23.05.2006, Az. 1 BvR 2530/04, Rn. 40 (juris). 164 BVerwG, Urt. v. 17.07.1980, Az. 7 C 101/78, Rn. 18, 24 (juris). 165 BVerfG, Urt. v. 13.06.2006, Az. 1 BvR 1160/03, Rn. 70 (juris).
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Für eine interessensgerechte Lösung müssten nicht zwingend die Rechtsschutzmöglichkeiten i. S. d. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG erweitert werden, sondern könnten umgekehrt auch begrenzt (nicht ausgeschlossen) werden, sofern es für die verhältnismäßige Lösung erforderlich und sinnvoll ist.166 Zu betonen gilt also, dass nicht nur die materiellen Rechte, sondern bereits die prozessrechtlichen Zugangsmöglichkeiten gegeneinander abgewogen werden müssen. Die Multipolarität im Klima- und Umweltschutz sensibilisiert damit das Streben nach Justiziabilität. c) Drittschutz im Klima- und Umweltschutz Rechtsschutz im multipolaren Klima- und Umweltschutzrecht verlangt den drittschützten Gehalt einer Norm. Da der drittschützende Gehalt durch den bloßen Wortlaut meist nicht zu bestimmen ist, beginnen hier die Auslegungen. Grundsätzlich sind Normen drittschützend, wenn sie nicht nur Allgemeininteressen, sondern zumindest auch individuelle Interessen schützen und die Klagenden zum geschützten Personenkreis gehören.167 Aus dem Baunachbarrecht lässt sich das auch für das Umweltrecht bedeutsame Verständnis ableiten, dass eine drittschützende Norm vorsieht, „in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen […].“168 Diesen Personenkreis definiert der Einwirkungsbereich der jeweiligen Emissionen.169 Die Grenzen des Einwirkungsbereichs werden anhand der Intensität und Reichweite der Auswirkungen und somit eines „qualifizierten Betroffenseins“ gezogen.170 Diese ist als eine engere räumliche sowie zeitliche Beziehung zwischen Bürger:in und dem (störenden) Genehmigungsgegenstand zu verstehen.171 Räumlich ist die Beziehung auf den Bereich beschränkt, der von den 166 Vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 22. 167 BVerwG, Urt. v. 09.04.2008, Az. 7 B 2/08, Rn. 15 (juris). 168 Vgl. zum Baunachbarrecht: BVerwG, Beschl. v. 13.02.1981, Az. 4 B 14/81, Rn. 2 (juris); vgl. auch Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 01.10.2019, § 42 Rn. 152a m. w. N. 169 BVerwG, Urt. v. 09.04.2008, Az. 7 B 2/08, Rn. 15 (juris); Urt. v. 05.10.1990, Az. 7 C 55/89, Rn. 19 (juris); vgl. auch Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 50; Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 13; Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/ Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 18 f. 170 BVerwG, Urt. v. 22.10.1982, Az. 7 C 50/78, Rn. 12 (juris); Urt. v. 25.02.1977, Az. IV C 22/75, Rn. 27 f. (juris): Dem sog. Gebot der Rücksichtnahme kommt „bei einem Hinzutreten besonderer, die Pflicht zur Rücksichtnahme qualifizierender und damit zugleich individualisierender Umstände […] eine drittschützende Wirkung“ zu. 171 BVerwG, Urt. v. 22.10.1982, Az. 7 C 50/78, Rn. 12 (juris).
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Emissionen der Anlage derart betroffen ist, dass durch emittierte Stoffe schädliche Wirkungen messbar sind.172 Die zeitliche Beziehung ist dann anzunehmen, wenn die klagende Partei den Auswirkungen für eine gewisse Dauer ausgesetzt ist und die Beeinträchtigung über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht.173 Alle Störungen, die weder räumlich noch zeitlich einem:r Vorhabentragenden zugerechnet werden können, sind für Individualklagen kaum kontrollfähig, sondern unterliegen nur behördlicher Kontrolle oder den Verbandsklagerechten. Der ubiquitäre Klimaschutz stößt hier an seine Justiziabilitätsgrenze.174 Klimaschutz räumlich oder zeitlich zu denken, gelingt nicht auf Anhieb. Zudem besteht im Umweltrecht die Besonderheit, dass vereinzelt pauschal Drittschutz bestimmt wird. Es wird zwischen den drittschützenden Gefahrenabwehrnormen175 und den nur die Allgemeinheit schützenden Vorsorgenormen176 unterschieden.177 Gefahrenabwehrnormen verfolgen schon nach ihrem Wortsinn die Abwehr von Gefahren. Die Vorsorgenormen hingegen wollen präventiv vor Risiken schützen und setzen dafür vor dem Überschreiten einer Gefahrenschwelle an.178 Die Unterscheidung entstammt der polizeirechtlichen Differenzierung zwischen Gefahr und Risiko. Dort ist die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts sowie das Schadensausmaß für die Kategorisierung in Risiko (Noch-nicht-Gefahr179) und Gefahr entscheidend.180 Letztere ist bei einer Sachlage anzunehmen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit Wahrscheinlichkeit ein polizeilich 172 OVG Lüneburg, Urt. v. 08.09.1980, Az. 7 A 42/78, Orientierungs. 2 (juris); BVerwG, Urt. v. 22.10.1982, Az. 7 C 50/78, Rn. 12 f. (juris); vgl. auch Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 72; Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 19. 173 BVerwG, Urt. v. 22.10.1982, Az. 7 C 50/78, Rn. 13 (juris); vgl. auch Schlacke/ Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 19; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 77. 174 Dazu unter D. II. 4. b) aa). 175 Z. B. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 BImSchG oder die bauordnungsrechtliche Generalklausel, § 3 Abs. 1 S. 1 BauO NRW oder Art. 3 S. 1 BayBO. 176 Z. B. § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BImSchG. 177 BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, Az. 7 C 84/78 Rn. 19, 32 (juris); Urt. v. 11.12.2003, Az. 7 C 19/02, Rn. 11 (juris); vgl. auch Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 151 m. w. N.; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 59. 178 Vgl. dazu Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 23; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 3 Rn. 6. 179 Vgl. Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 38. 180 Vgl. dazu Ipsen, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen, VVDStRL 48 (1990), 177 (186 f.) m. w. N.; Wahl/Schütz, in: Schoch/ Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 152 f.
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geschütztes Rechtsgut schädigen wird.181 Ein Risiko weist eine geringere Schadenswahrscheinlichkeit auf.182 Zusätzlich wird der Risikobegriff an der unteren Schwelle dieser Schadenswahrscheinlichkeit von dem sozialadäquaten und damit erlaubten Restrisiko abgegrenzt.183 Der Grundsatz der drittschützenden Gefahrenabwehrnormen und der nicht einklagbaren Vorsorgenormen bleibt im Umweltrecht nicht unangetastet. Nicht nur das fundamentale Vorsorgeprinzip des Umweltrechts,184 sondern auch das Gemeinschaftsrecht verschieben die Grenzen dieser gefestigten Differenzierung.185 Ein pauschalisiertes Denken in den Kategorien justiziable Gefahrenabwehr und nicht-justiziable Risikovorsorge ist damit immer weniger möglich. 2. Verbandsklagebefugnisse Um den strukturellen Schwächen des subjektiven Rechtsschutzes im Umweltrecht zu begegnen, wurden das BNatSchG im Jahr 2002 und das UmwRG im Jahr 2006 geschaffen.186 Wenn Klagemöglichkeiten von der Verletzung eines subjektiven Rechts gelöst werden, ist es nicht mehr ein individueller, sondern ein überindividueller187 Rechtsschutz. Die Überindividualität des Rechtsschutzes erfasst den Schutz der Allgemeinheit und aller nicht auf ein Individuum beschränkten Interessen.188 Verbandsklagerechte189 sind die Befugnisse von Umweltschutzorganisationen, gegen (unterlassene) Verwaltungsakte oder sonstige behördliche Maßnahmen, die zu Umweltbeeinträch181 StRspr, vgl. schon PrOVG, Urt. v. 15.10.1894, PrVBl. 16, 125 (126); BVerwG, Urt. v. 26.02.1974, Az. I C 31/72, Rn. 32 (juris); Urt. v. 17.03.1981, Az. I C 74/76, Rn. 29 (juris); Urt. v. 19.12.1985, Az. 7 C 65/82, Rn. 37 (juris). 182 Vgl. dazu Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 43 ff. 183 Vgl. ausführlich Breuer, Anlagensicherheit und Störfälle, NVwZ 1990, 211 (213) m. w. N. 184 Zum Vorsorgeprinzip vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, Az. 7 C 84/78, Rn. 19, 21 (juris); Urt. v. 18.05.1982, Az. 7 C 42/80, Rn. 22 (juris); Wahl/Schütz, in: Schoch/ Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 151; zum Vorsorgeprinzip unter C. I. 2. a) bb) (1). 185 Dazu unter D. II. 4. b) cc). 186 Vgl. für BNatSchG: BGBl. I 2002/22, S. 1193; vgl. für UmwRG: BGBl. I 2006/58, S. 2816. 187 Begriff nach Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, insbes. S. 2 ff., 8 ff. 188 Vgl. Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 10. 189 Begrifflich wird hier die Verbandsklage (vgl. BT-Drs. 16/2495; 14/6378) als Synonym für die Vereinsklage verwendet, denn Letztere könnte insoweit missverstanden werden, dass nur die Verbände klagen können, die die Rechtsform eines Vereins gewählt haben.
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tigungen führen, die in der VwGO geregelten Rechtsbehelfe erheben zu können.190 Verbandsklagerechte sind demnach bereits begrifflich nicht umfassend mit einem objektiven Rechtsschutz gleichzusetzen. Vielmehr gilt es, zwischen objektiv-rechtlich-schützenden und subjektiv-rechtlich-schützenden Verbandsklagen zu differenzieren. Dabei ist zwischen der egoistischen, der altruistischen und der kompensatorischen Verbandsklage sowie der Verbandsverletztenklage zu unterscheiden.191 a) Subjektiver Rechtschutz durch Verbandsklagen Wenn ein Verband die Verletzung von Rechten der Mitglieder geltend machen will, erhebt er eine egoistische Verbandsklage. Diese würde allerdings eine Prozessführungsbefugnis im eignen Namen darstellen, die grundsätzlich dem Verwaltungsprozessrecht fremd ist.192 Mangels gesetzlicher Regelung ist die egoistische Verbandsklage daher keine zulässige Klagemöglichkeit.193 Praktische Bedeutung hat sie aber bereits deshalb nicht, weil die Verbände die betroffenen Mitglieder prozessual und finanziell im Hintergrund unterstützen können, die betroffene Partei damit „nur“ prozessual als Kläger:in auftritt. Das „Vorschieben“ eines klagenden Individuums und die Hintergrundaktivität eines Verbandes kann dann als „unechte“ Verbandsklage bezeichnet werden. Prozessrechtlich ist es eine Individualklage. Die eigentlich treibende Motivation geht indes vom Verband aus.194 Subjektiver Rechtsschutz lässt sich durch die kompensatorischen Ver bandsklagen,195 Sammelklagen196 oder auch Musterfeststellungsklagen (§ 606 ZPO) erlangen. Sie dienen vor allem der rechtlichen Behandlung von Massenschäden,197 aber auch Durchsetzbarkeitsproblemen des subjektiven 190 Rehbinder, Verbandsklage, in: Kimminich/von Lersner/Storm, HDuR, Bd. 2, (1994), Sp. 2559. 191 Vgl. Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 229 ff. 192 BVerwG, Beschl. v. 28.02.1980, Az. 3 B 1/80; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 16.07.1980, Az. 7 C 23/78, Rn. 2 (juris); Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 477a. 193 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 234; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 85; auch keine Berechtigung aus Art. 9 GG, vgl. Skouris, Über die Verbandsklage im Verwaltungsrecht, JuS 1982, 100 (101). 194 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 90; dazu unter F. IV. 2. b). 195 Halfmeier (2006), Popularklagen im Privatrecht, S. 230. 196 Koch/Horlach/Thiel, US-Sammelklage gegen deutsches Unternehmen?, RIW 2006, 356 ff. 197 Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 16.
II. Grundlagen des Rechtsschutzes im Klima- und Umweltschutz55
Rechts.198 Sie bündeln dabei eine Vielzahl von privatrechtlichen Schadens positionen. Das Verwaltungsrecht sieht mit § 93a VwGO die Möglichkeit vor, Verfahren auszusetzen und in ein Musterverfahren zu überführen, wenn die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme Gegenstand von mehr als zwanzig Verfahren ist. Die kompensatorischen Verbandsklagen dienen der Verfahrensökonomie und nicht der Durchsetzung etwaiger objektiver Interessen. Die Verbandsverletztenklage oder auch als Unterfall die Partizipationserzwingungsklage199 sind keine Verbandsklagen im eigentlichen Sinne. Der Verband klagt hierbei – i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO unproblematisch – verbandseigene Rechte ein (z. B. Eigentum, Vereinigungsfreiheit). Die Verbandsverletztenklage respektive Partizipationsklage werden teilweise auch als Teil der egoistischen Verbandsklage begriffen,200 sodass deren Abgrenzung unscharf, aber auch nur begrifflicher Natur ist. Die Verbandsverletztenklage erhielt im Jahr 2013 durch eine Entscheidung des BVerwG zur Aufstellung eines Luftreinhalteplans einen umwelt- und klimaschutzrechtlichen Neuanstrich. Durch die Anerkennung eines prokuratorischen Rechts des Verbandes manifestierte das Gericht die Europäisierung des Umweltrechts nachdrücklich.201 b) Objektiver Rechtsschutz durch Verbandsklagen Die altruistische Verbandsklage stellt das Haupteinfallstor für den über individuellen Rechtsschutz dar. Sie wird als „echte“202 und „eigentliche“203 Verbandsklage verstanden. Ist in dieser Arbeit von einer Verbandsklage die Rede, ist damit die altruistische Verbandsklage gemeint. In Deutschland ist die Verbandsklage im Bereich des Umweltrechts in zweifacher Ausführung verankert.204 Zum einen in § 2 UmwRG, zum anderen in § 64 BNatSchG. Altruistisch meint „selbstlos“ und „uneigennützig“.205 Uneigennützig ist eine (2006), Popularklagen im Privatrecht, S. 224, 230. (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 91; zum Begriff auch BT-Drs. 14/6378, S. 61; Rehbinder, Verbandsklage auf dem Prüfstand, NVwZ 1982, 666 (667). 200 Rehbinder, Argumente für die Verbandsklage, ZRP 1976, 157 (158); Radespiel (2007), Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, S. 34 f.; Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 14. 201 Dazu unter D. II. 4. a). 202 Raasch, Diskriminierungsschutz auf neuen Wegen, ZESAR 2005, 209 (213). 203 Ziekow, Die Verbandsklage gegen Planungsakte, in: Ziekow (Hrsg.), Planung 2000 (2001), 197 (201). 204 Außerdem sind im § 11 Abs. 2 Umweltschadensgesetz (USchaG) Verbandsklagerechte geregelt, die allerdings vollständig in das UmwRG verweisen. 205 Duden, Stichwort „altruistisch“. 198 Halfmeier 199 Kloepfer
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Verbandsklage immer dann, wenn Belange der Allgemeinheit geltend gemacht werden, seien es objektive oder fremde subjektive Rechte. Heiko Faber differenzierte im Jahr 1972 zwischen altruistischen Klagen, die durch ein Drittinteresse angetrieben sind, und „ideellen“ Verbandsklagen, die für ein umfassendes Gemeininteressen klagt.206 Diese Unterscheidung ist heute nicht mehr tragend, da es unerheblich ist, ob für ein Dritt- oder Gemeininteresse gestritten wird.
Quelle: eigene Darstellung
Abb. 1: Vereinfachtes Rechtssystem im Verbandsklagerecht
Teilweise wird das Potential zu einer „Umweltpopularklage“207 diskutiert. Die Abbildung 1 soll visualisieren, dass Altruismus nicht gleichbedeutend ist mit einer unbedingten Popularklage. Die altruistische Verbandsklage findet nur da Anwendung, wo sie die Anforderungen des UmwRG oder des BNatSchG erfüllt. Erst und nur dann sind die objektiven Rechte justiziabel. Verbände können sich also nicht maß- und bedingungslos zu Sachwaltern sämtlicher Allgemeinheitsinteressen machen. Der äußerste Kreis zeigt daher die nicht-justiziablen objektiven Rechte, die von vornherein nicht im Anwendungsbereich der Verbandsklagerechte liegen. Sie verbleiben in dem Eigenverantwortungsbereich der Exekutiven und sind damit weder für Individualklagen noch für Verbandsklagen justiziabel. 206 Faber (1972), Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, S. 40; vgl. auch Rehbinder, Argumente für die Verbandsklage, ZRP 1976, 157 (158). 207 Porsch, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2013, 1393 ff.; Scheuing, Instrumente zur Durchführung des Europäischen Umweltrechts, NVwZ 1999, 475 (483).
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aa) Funktionen der altruistischen Verbandsklage (1) Verlässliche Justiziabilität trotz Objektivität Die Verbandsklage hilft Kontrolldefizite der objektiven Normen zu schließen, die einer subjektiven Auslegung nicht zugänglich sind.208 Die Verbandsklage reagiert damit auf das maßgebliche Strukturproblem des Umweltrechts: Objektiv-rechtliche Inhalte in einem subjektiv-rechtlichen Rechtsschutz.209 Der Verband wird hierfür als „außenstehender Anwalt der Natur“ zur Durchsetzung und Wahrung von Recht aktiviert.210 Er verhilft so geltendem Recht zu seiner Umsetzung. Für einen Rechtsstaat eine essenzielle Funktion,211 kommt es doch zu einer „Effektuierung demokratischer Herrschaft“.212 Verbandsklagen und die damit einhergehende aktivere Rolle der Gesellschaft erweitern nämlich die Legitimation von staatlichem Handeln. Staatliches Handeln ist nicht mehr allein durch Wahlen legitimiert. Verbandsklagen spiegeln vielmehr ein pluralistisches politisches System.213 Die Verbände dienen dem Pluralismus als kompetente Kollektive und staatsnähere Akteure, da sie verlässlicher sind als beispielsweise spontan gegründete Bürger:innenzusam menschlüsse.214 Verlässlichkeit entsteht dadurch, dass der Gesetzgeber durch normative Voraussetzungen (Anerkennung, Anwendungsbereich etc.) das Tätigwerden der Verbände reguliert. Da für die Durchsetzung von öffentlichen Interessen grundsätzlich die Exekutive zuständig ist, tritt sie nun in Umweltangelegenheiten mit den Verbänden in Rechtsschutzkonkurrenz.215 Sie übernehmen eine gesellschaftliche „Auffangverantwortung“ für die Bereiche, die die Exekutive nicht ausreichend kontrolliert oder kontrollieren kann.216 Privat initiiert, aber durch Gerichte entschieden, werden so Vollzugsdefizite abgebaut. Durch dieses Miteinander (dazu auch unter (3)) sollten 208 Mangold/Wahl, Das europäisierte deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), 1 (18 f.); Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 51. 209 Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 123; vgl. auch Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 46. 210 BVerwG, Urt. v. 14.05.1997, Az. 11 A 43/96, Rn. 23 (juris). 211 SRU (2005), Rechtschutz für die Umwelt, S. 6 Rn. 13. 212 Groß, Die Klagebefugnis als gesetzliches Regulativ des Kontrollzugangs, Die Verwaltung 43 (2010), 349 (370 f.). 213 SRU (2005), Rechtschutz für die Umwelt, S. 6 Rn. 13; Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 235; dazu unter C. II. 2. a) aa) (2). 214 Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 5 Rn. 17. 215 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 88. 216 Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage, NJW 2003, 97 (101); die Auffangverantwortung entbindet den Staat allerdings nicht von seiner Verantwortung, dazu C. II. 2. a) aa) (2).
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Umweltverbände nicht mehr als Anwälte, sondern vielmehr als Staatsanwälte der Natur begriffen werden. (2) Kontrolle der Exekutive Verbandsklagerechte weisen den Verbänden nicht nur die Aufgabe des objektiven Umweltschutzes zu. Vor allem kontrollieren sie die Exekutive. Diese private Implementationskontrolle soll dazu beitragen, administrative Vollzugs- und Neutralitätsdefizite abzubauen.217 Die Tatsache, dass Umweltschutzbelange regelmäßig hinter private und öffentliche Belange treten, begleitet die Einführung der Verbandsklage. Die Inanspruchnahme der Umweltschutzbelange und nicht ihr Schutz ist die Regel.218 Das liegt neben den fehlenden Durchsetzungsmöglichkeiten vor allem auch daran, dass der Staat zum Beispiel bei Infrastrukturvorhaben selbst als Vorhabenträger auftritt. Seine Neutralität ist also gefährdet: „Wer selbst Störer sein kann, ist als Polizist wenig geeignet.“219 Neben der Verantwortung für Infrastruktur kann auch die Verantwortung für und Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum den Staat beeinflussen. So profitieren Gemeinden von Gewerbe- und Umsatzsteuern, von Anteilen an öffentlichen Unternehmen; das Land Niedersachsen beispielsweise von seiner Beteiligung am VW-Konzern.220 Gemeinwohlbe lange bei umweltrechtlichen Streitigkeiten könnten zwischen Abwägungs- zu Verhandlungspositionen changieren.221 Um diesen potentiellen Neutralitätsdefiziten entgegenzutreten und das Recht wieder in den Vordergrund zu rücken, sollen die Verbände als private Sachwalter, als neutrale(re) Hüter des Gemeinwohls, gerichtlich auftreten können. Weniger als rechtliches denn als institutionelles Problem können überdies die verwaltungsinterne Ausstattung mit Personal und Ressourcen oder Aspekte der Verwaltungsorganisationen defizitär sein.222 Dem entgegenzuwirken ist eine weitere Funktion der Verbandsklagen.
217 BT-Drs. 14/6378, S. 61; Lübbe-Wolf, Vollzugsprobleme der Umweltverwaltung, NuR 1993, 217 ff. 218 Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 162 f. 219 Schachtschneider, Der Rechtsbegriff „Stand von Wissenschaft und Technik“, in: Thieme (Hrsg.), Umweltschutz im Recht (1988), 81 (92 f.). 220 Friedrich, Gemeinwohl vor Gericht, DÖV 2021, 726 (728); vgl. auch van Aaken, Massenklagen im öffentlichen Recht, KritV 86 (2003), 44 (61); Lübbe-Wolff, Vollzugsproblem der Umweltverwaltung, NuR 1993, 217 (219). 221 Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage, NJW 2003, 97 (100 f.) m. w. N. 222 Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 369 (370) m. w. N.
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(3) Unterstützung der Exekutive Verbände sollen zwischen Behörde und Bürger:innen vermitteln. Sie stehen der Behörde als „Verwaltungshelfer“223 entlastend bei,224 normativ in § 18 Abs. 1 S. 3 UVPG und § 10 Abs. 3a BImSchG verankert. Die Notwendigkeit begründet das BVerwG damit, dass „die genannten Ziele [Naturschutz, Landschaftspflege] – insbesondere bei der Verwirklichung von in Natur und Landschaft eingreifenden größeren Vorhaben – anderweitig oft nicht hinreichend geltend gemacht werden können“.225 Mit Sachverstand sollen die Verbände die Bedeutung des Umweltschutzes in das behördliche wie gerichtliche Verfahren einbringen.226 Sie treten als Natur- und Umweltschutzbehörden-Äquivalente auf. Ihre Einwendungen sind regelmäßig von hoher fachlicher Qualität.227 Dadurch wird der Verfahrensstoff für Gerichte und Behörden sachgerecht aufbereitet. Sie werden auf Rechtsverstöße hingewiesen, die sie bei Bedarf nur noch vertiefend oder bestätigend untersuchen müssen. Betroffene Gemein- oder Individualbelange sollen so komprimiert (dazu unter (5)) und Abwägungsentscheidungen beschleunigt werden. Die Verbandsklage nimmt damit dort eine rechtsstaatliche Unterstützungsfunktion228 ein, wo der Staat darauf angewiesen ist. (4) Subjektive Funktionen Eine weitere Funktion der Verbandsklagemöglichkeit ist die Präventivwirkung.229 Wenn die Behörden mit Klagen rechnen müssen, werden sie dazu bewegt ihre Entscheidungen sorgfältig und ausführlich zu begründen.230 In der Evaluation zu der Verbandsklagemöglichkeit des Umweltbundesamtes wurden subjektive Effekte in Form der sog. Vorwirkung bestätigt. Vorhaben223 BVerwG, Urt. v. 12.12.1996, Az. 4 C 19/95, Rn. 17 (juris); Urt. v. 14.05.1997, Az. 11 A 43/96, Rn. 23 (juris); Urt. v. 01.04.2015, Az. 4 C 6/14, Rn. 25 (juris). 224 Vgl. Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 169; Ziekow, Die Verbandsklage gegen Planungsakte, in: Ziekow (Hrsg.), Planung 2000 (2001), 197 (199). 225 BVerwG, Urt. v. 31.10.1990, Az. 4 C 7/88, Rn. 33 (juris). 226 BVerwG, Urt. v. 12.12.1996, Az. 4 C 19/95, Rn. 17 (juris). 227 UBA (Hrsg.), Evaluation des UVPG des Bundes, 03/2009, S. 4 f. Rn. 14. 228 Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 51. 229 Bereits Rehbinder/Burgbacher/Knieper (1972), Bürgerklage im Umweltrecht, S. 46; vgl. auch SRU (1996), Umweltgutachten, BT-Drs. 13/4108, S. 251 Rn. 705, welches sie als „wichtigste Wirkung“ deklariert; vgl. auch van Aaken, Massenklagen im öffentlichen Recht, KritV 86 (2003), 44 (59), die von dem „Drohpotential“ spricht; Radespiel (2007), Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, S. 376. 230 BT-Drs. 14/6378, S. 61 zur Verbandsklage des BNatSchG; BT-Drs. 16/2495, S. 10 zur Verbandsklage des UmwRG; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 86.
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tragende gehen früher auf die Umweltverbände zu und Behörden ermitteln Sachverhalte genauer, prüfen und begründen Entscheidungen gründlicher. Die Befragung von Expert:innen aus Verwaltungsgerichten, Rechtsanwaltschaften, Behörden sowie Wirtschafts- und Umweltverbänden bestätigte dies: Behörden sichern sich bedingt durch die Klagerechte besser ab.231 Zudem wird die durch das UmwRG gestärkte Position der Verbände als Grund für die verbesserte Zusammenarbeit zwischen Verbänden und Behörden wahrgenommen.232 Den Verbandsklagen folgt eine dialektische Professionalisierung.233 Verbände beziehen frühzeitig Gutachten und Rechtsbeistände ein und schaffen dadurch ernstzunehmende Fachexpertise. Dies wiederum führt zu (Gegen-)Gutachten und qualitativ hochwertigen Antragsunterlagen auf Seiten der Behörde und der Vorhabentragenden. Umweltschutz wird dadurch wissenschaftlich professionalisiert. Dies kommt auch bei Bürger:innen an. Die Beteiligung der Verbände soll die Akzeptanz der Entscheidungen in der Gesellschaft steigern.234 Haben die Bürger:innen das Gefühl, dass ihre und Umweltbelange ausreichend gehört, gewürdigt und möglicherweise überprüft wurden, akzeptieren sie auch Entscheidungen, die möglicherweise nicht zu ihren Gunsten ergehen. Durch Akzeptanz wird Klagen vorgebeugt. Allein die bloße Möglichkeit von Verbandsklagen erhöht damit die Rechtsicherheit und -beständigkeit einer Behördenentscheidung.235 (5) Repräsentations- und Kumulationsfunktion Auch unabhängig von der kompensatorischen Verbandsklage repräsentieren und bündeln Verbandsklagen Kollektivinteressen.236 Die Verbandsklagen sind in Bereichen geregelt, in denen Bevölkerungsgruppen und -interessen aus verschiedenen Gründen unter- oder nicht repräsentiert sind. Ein Minus auf Seiten der Partizipation soll durch ein Plus auf Seiten der Justiziabilität ausgeglichen, zumindest reduziert werden. Zudem sind sie in Bereichen ge231 UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 67. 232 UBA (Hrsg.), Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeit nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG), 14/2014, S. 97. 233 Ebd., S. 96. 234 BT-Drs. 16/2495, S. 10; Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 369 (371). 235 UBA (Hrsg.), Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeit nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG), 14/2014, S. 96; Ähnliches wurde auch für die UVP festgestellt, vgl. UBA (Hrsg.), Evaluation des UVPG des Bundes, 03/2009, S. 6. 236 So auch Groß, Die Klagebefugnis als gesetzliches Regulativ, Die Verwaltung 43 (2010), 349 (372).
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regelt, in denen die Gefahr von einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle besteht. Die Repräsentations- und Kumulationsfunktion wird mit Blick auf die außerhalb des UmwRG bestehenden Verbandsklagemöglichkeiten deutlich. Diese finden sich im Verbraucherschutzrecht (§ 3a i. V. m. § 2a Unterlassungsklagengesetz (UKlaG)), im Sozialrecht (§ 15 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)) und im Wettbewerbsrecht (§ 8 Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG)).237 Nach § 15 Abs. 1 BGG können die nach § 15 Abs. 3 BGG anerkannten Verbände klagen. Weder die Verbände noch ein Mensch mit Behinderung muss in eigenen Rechten verletzt sein. Lediglich ein Verstoß gegen die in dem Klagekatalog des § 15 Abs. 1 BGG aufgezählten Vorschriften des BGG muss vorliegen. Den Verbänden wird damit die Möglichkeit eröffnet, Vorschriften durchzusetzen, die dem Schutz von Menschen mit Behinderung dienen.238 § 15 Abs. 2 S. 2 BGG verdeutlicht die Repräsentantenfunktion des Verbandes. Obgleich er die Verbandsklage ausschließt, wenn ein Mensch mit Behinderung selbst klagen könnte, sieht der Satz 2 a. E. vor, dass die Klage bei allgemeiner Bedeutung239 dennoch erhoben werden kann. Die Verbandsklage aus dem BGG repräsentiert damit das Kollektivinteresse einer barrierefreien Umwelt und beugt mögliche Massenverfahren vor.240 Ähnlich verhält es sich bei den zivilrechtlichen Verbandsklagemöglichkeiten. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ermöglicht den Verbänden auf Beseitigung und Unterlassung von unzulässigen geschäftlichen Handlungen zu klagen. Auch sie klagen für eine Vielzahl von Verbaucher:innen wie Mitbewerber:innen und repräsentieren damit das gebündelte Gemeinschaftsinteresse eines fairen Wettbewerbs. Die im Urheberrecht in § 3a i. V. m. § 2a UKlaG geregelte Verbandsklage soll eine über den Einzelfall hinausgehende Verbindlichkeit von Entscheidungen schaffen,241 mithin Kollektivinteressen bündeln und einheitlich in einer Klage repräsentieren. Ebenso sollen durch die umweltrechtliche Verbandsklage ein Teil potentieller Klagen Privater gebündelt werden und (Individual-)Klagen reduziert werden.242 bb) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Auch wenn die Funktionalität für die Verbandsklage streitet, ist die verfassungsrechtliche Hürde noch nicht genommen. 237 Vgl. für weitere Verbandsklagerechte im Privatrecht: Halfmeier (2006), Popularklagen im Privatrecht, S. 89 ff. 238 Dau, in: Dau et al., SGB IX, 6. Aufl. 2022, BGG § 15 Rn. 2. 239 Nach § 15 Abs. 2 S. 3 BGG liegt diese bei einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle vor. 240 BT-Drs. 14/8043, S. 18. 241 BT-Drs. 15/38, S. 27. 242 BT-Drs. 16/2495, S. 10.
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Ein Verbandsrecht in Umweltangelegenheiten lässt sich nicht direkt aus der Verfassung herleiten. Aus Art. 9 GG ergibt sich kein Recht eines Verbands „zur gerichtlichen Geltendmachung ausschließlich objektiv-rechtlich geschützter Interessen,“243 denn grundrechtlich ist nur die Betätigung zur Verwirklichung der Vereinsziele als solche und kein bestimmtes Ergebnis geschützt.244 Verbandsklagen entstehen also nicht unmittelbar aus Grundrechten, sondern müssen durch den Gesetzgeber geschaffen werden.245 Die individualrechtliche Ausrichtung des Rechtsschutzes verdrängt dabei nicht Verbandsklagemöglichkeiten. Verfassungsrechtlich markiert Art. 19 Abs. 4 GG bloß die individualrechtlichen Mindeststandards an Rechtsschutz.246 Diese verlangen zwar keine Verbandsklagen, verbieten sie aber auch nicht. So wird nicht nur dem BVerfG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) objektiv-rechtliche Kontrolle zugetraut, sondern auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Unabhängig von einer subjektiv-rechtlichen Verletzung kann auch sie objektiv-rechtlich kontrollieren, wenn es gesetzlich geregelt ist.247 Die Anforderung einer gesetzlichen Regelung findet ihren normativen Anknüpfungspunkt in § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO mit der Formulierung „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist“. Das verwaltungsrechtliche System verschließt sich einer Verbandsklage somit nicht. Es ist vielmehr als ein für Änderungen und Weiterentwicklungen offenes und insofern dynamisches System zu verstehen.248 Die Offenheit wird durch Art. 19 Abs. 4 GG insoweit flankiert, dass Verbandsklagen solange verfassungsrechtlich unbedenklich sind, wie nicht die Häufung der Verwaltungskontrolle die Systementscheidung zum Individualschutz unterwandert.249 Es gilt stets die Präponderanz des subjektiven Rechtschutzes zu wahren und die Gerichte vor Überfremdung durch objektive Rechtsschutzverfahren zu schützen. Die Richter:innen sind nicht bloße „Kontrolleure“, sondern sollen eine Rechtsschutzinstanz bleiben.250
243 BVerfG,
Beschl. v. 10.05.2001, Az. 1 BvR 481/01, Rn. 18 (juris). Urt. v. 16.07.1980, Az. 7 C 23/78, Rn. 6 (juris). 245 BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999, Az. 1 BvR 385/90, Rn. 69 (juris); Beschl. v. 24.07.2018, 2 BvR 1961/09, Rn. 42 (juris). 246 BVerfG, Urt. v. 20.06.1967, Az. 2 BvL 10/64, Rn. 17 (juris); dazu unter B. I. 1. 247 BVerwG, Urt. v. 18.04.1996, Az. 11 A 86/95, Rn. 35 (juris). 248 von Danwitz (1996), Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, S. 26 ff. 249 Krebs, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 19 Rn. 58; Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9; Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage, NJW 2003, 97 (101). 250 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 9. 244 BVerwG,
III. Fazit63
Auch wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung offenlässt, ob Art. 19 Abs. 4 GG inhaltlich auf Verbandsklagen erstreckt werden kann,251 finden sie ihren Platz in einem leicht nach unten versetzen Nebeneinander zum Individualrechtsschutz.252 Während Individualklagen subjektive Rechte schützen, sind Verbandsklagen primär auf die Durchsetzung von überindividuellen Interessen und nur reflexartig auf den Schutz der Individualbelange ausgerichtet.253 Daher ist vielmehr eine sich nicht verdrängende Zweispurigkeit zwischen individuellen und überindividuellen Rechtsbehelfen zu erkennen.254 Das Grundgesetz setzt der einfachgesetzlichen Einführung von Verbandsklagen demnach kaum Grenzen. Inwieweit sie wünschenswert sind, wird rechtspolitisch allerdings kontrovers diskutiert.255
III. Fazit Zusammenfassend ist der Rechtsschutz der Grundpfeiler des Rechtsstaates. Jede Rügebefugnis eines Individualrechtsschutzsystems verfolgt das Primärziel, Popular- und Interessentenklagen zu vermeiden. Dadurch soll zum einen die Effektivität und Funktionalität der Gerichte und damit des Rechtsstaates gesichert werden. Zum anderen soll das klagende Rechtssubjekt Dreh- und Angelpunkt im Verfahren bleiben. Das subjektiv-öffentliche Recht ist Teil des Fundaments dieses Bestrebens. Die Anerkennung eines subjektiv-öffentlichen Rechts geht mit der staatlichen Zuschreibung von Kontrollmöglichkeiten einher und korrespondiert mit dem Verständnis der Staat-Bürger:in-Beziehung. Wie die Entstehungsgeschichte zeigt, indizieren subjektiv-öffentliche Rechte die individuellen Freiheiten in einer Gesellschaft. Ein subjektives Rechtsschutzsystem wird unweigerlich durch das objektivrechtliche Umweltrecht, seine Komplexität und Multipolarität an seine Gren251 BVerwG,
Beschl. v. 18.09.2017, Az. 1 BvR 361/12, Rn. 11 (juris). auch Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 149 m. w. N. 253 Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 191 (191 f.); vgl. auch Franzius, Modernisierung des subjektiv öffentlichen Rechts, UPR 2016, 281 (286); zu der vorverlagerten Verbandsklage unter D. II. 6. b) aa) (1). 254 Franzius, Modernisierung des subjektiv öffentlichen Rechts, UPR 2016, 281 (285); Mangold/Wahl, Das europäisierte deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), 1 (16 ff.); Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 15 m. w. N. 255 Vgl. bereits Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaatlicher Organisationen, AVR 43 (2005), 466 (490); vgl. exemplarisch die Diskussion rund um die Errichtung des Tesla-Werkes in Brandenburg: Neuerer, UnionsWirtschaftsflügel nimmt wegen Tesla Umweltverbände ins Visier, Handelsblatt v. 18.02.2020, und Neuerer, Laschet löst neue Debatte über Klagerechte der Umweltverbände aus, Handelsblatt v. 16.08.2021. 252 Vgl.
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B. Zugang zu Gerichten
zen gebracht. Und dies auch da, wo objektiv-rechtlicher Umwelt- und Klimaschutz mittelbar auch subjektiv-rechtliche Güter schützt. Die Schutznormlehre kann hierbei noch vereinzelt mit ihrer Offenheit Abhilfe leisten. Die strukturellen Rechtsschutzdefizite verlangen allerdings strukturelle Reaktionen. Die Grundlagen des deutschen Rechtsschutzes lassen diese Reaktion nicht nur zu, sondern erfordern sie. Denn als objektive Wertentscheidung dominiert die Kontrolle der Exekutive den Rechtsschutz. Verfassungsrechtlich erlaubt und gemeinschaftsrechtlich gefordert256 öffnen sich daher objektiv-rechtliche Kontrollmöglichkeiten für den Bereich der exekutiven Eigenverantwortung. Nicht die einzelnen Bürger:innen, sondern staatlich anerkannte Verbände werden zur Durchsetzung des Umweltrechts mobilisiert. Dadurch wird deutlich, dass sich jenes Staat-Bürger:in-Verhältnis im Bereich des Umweltrechtsschutzes zugunsten der gesellschaftlichen Verwaltungskontrolle verändert hat.257 Die Letztverantwortung für das Gemeinwohl trägt indes weiterhin der Staat. Unterstützend sollen klagende Verbände trotz oder gerade wegen der Systementscheidung zum Individualrechtsschutz die Gemeinwohlbelange des Umweltschutzes überprüfen lassen können. Verbandsklagen ermöglichen, kontrollieren, erleichtern, bündeln und repräsentieren die Interessenswahrnehmung. Interessen aus einem Bereich, in dem der Staat bereits ressourcenbedingt nicht zu einer vollständigen Kontrolle in der Lage wäre und eine Subjektivierung von Rechten an ihre Grenzen zu stoßen scheint. Obgleich die Verbände dem Staat oft als Klagende entgegentreten, treten sie im Ziel des Umwelt- und Gesundheitsschutzes vereint nebeneinander auf. Dennoch bleibt der umweltrechtliche Altruismus – getreu dem Abwehrwillen von Popular- und Interessentenklagen – staatlich kontrolliert und vor allem staatlich bedingt.
256 Dazu
unter C. II. 2. Mobilisierung der Bürger zur effektiven Umsetzung von Recht wird auch als „Ausdruck eines besonderen Status“ verstanden, dazu Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 51 f.; dazu unter C. II. 2. a) aa) (2) und D. II. 4. a). 257 Die
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz Klima- und Umweltschutz entwickelt sich dynamisch auf verschiedenen Rechtsebenen. Im Folgenden wird herausgearbeitet, was die materiell- und prozessrechtlichen Entwicklungen antreibt. Anschließend werden die Entwicklungsziele und -tendenzen bestimmt.
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes 1. Internationale Ebene Das internationale Recht, das die Beziehung zwischen Staaten und internationalen Organisationen regelt,1 diktiert den nationalen Umwelt- und Klimaschutz maßgeblich. a) Umweltschutzrecht Die umfassende Rechtsgrundlage für eine nachhaltige Umweltpolitik wurde durch die Einheitliche Europäische Akte vom 28. Februar 1986 geschaffen.2 Eine umweltpolitische Ausrichtung ist seit dem 1. Januar 19933 durch das Inkrafttreten des Vertrages der Europäischen Union Ziel und Aufgabe.4 Durch den Vertrag von Amsterdam wurde seit dem 1. Mai 19995 der Grundsatz einer nachhaltigen Entwicklung in ex-Art. 2 EGV und ex-Art. 6 EGV (heute: Art. 11 AEUV) verankert. Mit dem Vertrag von Nizza ist seit dem 1. Februar 2003 das europarechtliche Umweltprimärrecht so weiterentwickelt worden, dass eine Reformierung nicht mehr erforderlich scheint.6 Gleichzeitig wurde in Nizza der Umweltschutz in Art. 37 GRCh statuiert, wenn auch nicht als Menschenrecht, sondern als eine Art Staatszielbestimmung. Aufgrund des Verweises in Art. 6 Abs. 1 EUV ist Art. 37 GRCh seit 2007 mit dem europäischen Primärecht gleichrangig und über Art. 51 GRCh bei der Durchführung von EUin: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 36. (2020), Umweltschutzrecht, § 7 Rn. 6. 3 BGBl. II 1992, S. 1251. 4 Vgl. ex-Art. 2 Abs. 1 EGV und ex-Art. 3 EGV. 5 BGBl. II 1998, S. 386. 6 Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 7 Rn. 9 m. w. N. 1 Kluth,
2 Kloepfer/Durner
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
Recht anzuwenden.7 Im europäischen Primärrecht findet sich seit dem Vertrag von Lissabon vom 1. Dezember 2009 der Umweltschutzauftrag und die Grundsätze der Umweltpolitik in Artt. 191 ff. AEUV. aa) Ziele und Prinzipien der EU Im Wesentlichen verfolgt die Union gemäß Art. 191 Abs. 1 AEUV vier Umweltschutzziele, die von dem Erhalt und Schutz der Umwelt sowie Verbesserung ihrer Qualität (i), über den Schutz der menschlichen Gesundheit (ii), der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen (iii) und der Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme sowie insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels (iv) reichen. Diese Ziele müssen über den Nachhaltigkeitsgrundsatz (auch: Querschnittsklausel) des Art. 11 AEUV bei der Festlegung und Durchführung sämtlicher Unionspolitiken und -maßnahmen einbezogen werden. In Art. 191 Abs. 2 AEUV sind die Grundprinzipien der Umweltpolitik der EU geregelt. Diese zielen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes Schutzniveau (S. 1).8 Weiter sind dort normiert die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeugung,9 das Ursprungsprinzip10 sowie das Verursacherprinzip (S. 2)11. Nach Art. 191 Abs. 2 S. 3 AEUV werden die Mitgliedstaaten ermächtigt unter der Kontrolle der Union, Schutzklauseln zu erlassen, die nicht wirtschaftlich bedingte umweltpolitische Maßnahmen ermöglichen. In Art. 191 Abs. 3 AEUV sind Abwägungs- und Berücksichtigungsgebote geregelt. Hiernach muss die unionale Umweltpolitik die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten berücksichtigen. Weiter muss sie die Umweltbedingungen in den einzelnen Regionen der Union, die Vor- und Nachteile ihres Handelns oder Unterlassens unter Beachtung der wirtschaftlich sozialen Entwicklung der Union insgesamt sowie die ausgewogene Entwicklung ihrer Regionen berücksichtigen. Art. 191 AEUV schließt in Abs. 4 ab mit dem Grundsatz der Kooperation und Zusammenarbeit zwischen der Union, den Mitgliedsstaaten und Drittländern. Festzuhalten gilt,
7 Vgl. auch Schlacke (2021), Umweltrecht, § 7 Rn. 5; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 7 Rn. 10 f. 8 Schutzniveauklausel für die Kommission auch in Art. 114 Abs. 3 S. 1 AEUV geregelt. 9 Dazu Epiney (2019), Umweltrecht der Europäischen Union, § 5 Rn. 15 ff.; Schlacke (2021), Umweltrecht, § 7 Rn. 9. 10 Das Ursprungsprinzip verlangt die frühzeitigste Quellenbekämpfung der Beeinträchtigung. 11 Dazu Arndt (2009), Das Vorsorgeprinzip im EU-Recht, S. 124 ff.
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes67
dass die Ausgestaltung und Umsetzung der Umweltprinzipien im autonomen und weiten Gestaltungsspielraum der Unionsorgane bleiben.12 bb) Sekundärrechtliche Umsetzung Nach Art. 192 Abs. 1 AEUV ist das Europäische Parlament zusammen mit dem Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (d. h. im Mitentscheidungsverfahren nach Art. 294 AEUV) zuständig für die Erreichung der Ziele aus Art. 191 Abs. 1 AEUV. Erlassene Maßnahmen sind nach Art. 193 AEUV Mindestmaßnahmen, die durch mitgliedstaatliches Tätigwerden erweitert werden können.13 Art. 192 AEUV ist im Wege der Schwerpunkttheorie abzugrenzen zum einen von der energiepolitischen Zuständigkeit gemäß Art. 194 AEUV und zum anderen von der binnenmarktrechtlichen Harmonisierungskompetenz aus Art. 114 AEUV.14 Die EU hat im Wege des Sekundärrechts verbindliche Umweltschutzregelungen für ihre Mitgliedstaaten geschaffen. Eine ausführliche Nennung des sekundären Unionsumweltrechts würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, da es mittlerweile ungefähr 300 Rechtsakte umfasst.15 Tendenz steigend. Neben verschiedenen Umweltak tionsprogrammen i. S. d. Art. 192 Abs. 3 AEUV sind Richtlinien und Verordnungen vor allem im Bereich des Tier-, Umwelt- und Emissionsschutzes erlassen worden.16 cc) Völkerrechtlicher Umweltschutz Den Grundstein für den völkerrechtlichen Umweltschutz legte die Stockholmer Konferenz über die menschliche Umwelt (auch: Weltumweltkonferenz) im Jahr 1972. Sie teilte den Umweltschutz als eigenständigen völkerrechtlichen Regelungskomplex in 26 Prinzipien ein. Daneben finden sich vor allem zahlreiche Konventionen im Bereich des Natur-, Immission-, Wasser-
12 Mehrfach durch den EuGH bestätigt, vgl. EuGH, Urt. v. 14.07.1998, Az. C-284/ 95; Urt. v. 08.07.2010, Az. C-343/10; Urt. v. 21.12.2016, Az. C-444/15; vgl. auch Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (449). 13 Vgl. dazu Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 7 Rn. 18. 14 Vgl. dazu Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 192 Rn. 23 ff. 15 Vgl. Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (447, 450). 16 Vgl. für eine ausführliche Auflistung von europarechtlichen Rechtsakten: Schlacke (2021), Umweltrecht, § 7 Rn. 25 f.; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 7 Rn. 26.
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
und Bodenschutzes.17 Da die Grenzen zwischen Umwelt- und Klimaschutz fließend sind, werden die auch für den Umweltschutz wesentlichen Konventionen im Rahmen des Klimaschutzes dargestellt (dazu unter b) bb)). Hervorzuheben sind daneben bedeutsame völkergewohnheitsrechtliche Grundsätze.18 Bedeutsam deshalb, da sie als Gewohnheitsrecht über Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts und mithin anders als die völkerrechtlichen Verträge nicht umzusetzen sind.19 Mit Blick auf den Umweltrechtsschutz ist das Verbot erheblicher grenzüberschreitender Umweltbeschädigungen20 sowie die Pflicht zur angemessenen und gerechten Nutzung gemeinsamer Ressourcen21 zu nennen.22 Das Verbot der grenzüberschreitenden Beschädigungen wurde zudem als Prinzip 21 in der Deklaration der Stockholmer Konferenz 1972 mitaufgenommen und statuiert damit bis heute das gewohnheitsrecht liche Schädigungsverbot.23 b) Klimaschutzrecht aa) Europarechtlicher Rahmen Neben der klima- und umweltschützenden Ausrichtung der europäischen Umweltpolitik in Art. 191 AEUV und der Energiepolitik in Art. 194 AEUV wurden verschiedene sekundärrechtliche Klimaschutzregelungen getroffen. Hervorzuheben ist die sog. Zieltrias, die seit den 2000er-Jahren auf Treib hausgasreduzierung, auf Steigerung der Energieeffizienz und auf den Ausbau 17 Vgl. für ausführliche Auflistung: Schlacke (2021), Umweltrecht, § 8 Rn. 7; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 6 Rn. 30 ff. 18 Vgl. Durner, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, Umweltvölkerrecht, Rn. 18 ff. 19 Vgl. Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 16; Schlacke (2021), Umweltrecht, § 8 Rn. 9; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 6 Rn. 6. 20 Dieser Grundsatz wird aus dem Prinzip der guten Nachbarschaft (Art. 74 UNCharta) hergeleitet. Es entstammt dem Trail Smelter-Verfahren, in dem ein interna tionales Schiedsgericht entschied, dass ein Staat verpflichtet ist, grenzüberschreitende Emissionen zu verhindern und angemessen zu reduzieren, vgl. United Nations (2006), Reports of International Arbitral Awards, Volume III, 1905 (1963 ff.). 21 Dieses Prinzip entstammt dem Wasserschutzrecht, wonach in ein gemeinsames Binnengewässer von einem Anliegerstaat nur soweit emittiert werden, dass eine ungestörte Nutzung z. B. zur Fischerei durch einen anderen Anliegerstaat erfolgen kann, vgl. IGH, Urt. v. 25.09.1997, ICJ Reports 1997, 7 (54), Rn. 78 „[…] basic right to an equitable and reasonable sharing of the resources of an international watercouse“; vgl. auch Schlacke (2021), Umweltrecht, § 8 Rn. 13. 22 Für weitere völkergewohnheitsrechtliche Grundsätze vgl. Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 22 ff. 23 Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 6 Rn. 12; dazu unter D. II. 4. b) bb) (1).
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes69
der erneuerbaren Energien abzielt. Verschiedene sekundärrechtliche Bestimmungen, die vor allem diese Zieltrias umzusetzen versuchen und verschärfen, wurden und werden im Rahmen von Klima- und Energiepaketen verabschiedet.24 Die Zieltrias ist mit der Verordnung (EU) 2018/1999 (Governance-VO) und dem dortigen Art. 2 Nr. 11 als „energie- und klimapolitische Vorgaben der Union für 2030“ klassifiziert worden. Durch das sog. Winterpaket, ein Legislativpaket mit dem Titel Saubere Energie für alle Europäer, wurde der Anteil der erneuerbaren Energien auf 32 % der Bruttoendenergie und die Energieeffizienz auf 32,5 % gegenüber 2007 festgesetzt.25 Mittlerweile soll der Anteil der erneuerbaren Energien auf 40 % erhöht werden.26 Die Treib hausgasreduzierung soll nach Art. 4 des Europäischen Klimagesetz bis 2030 in Höhe von 55 % stattfinden. Am 11. Dezember 2019 schlug die Europäische Kommission den europäischen Grünen Deal (engl.: Green Deal) vor.27 Er soll als neue Wachstumsstrategie der EU zu einer fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer wettbewerbsfähigen und von der Ressourcennutzung abgekoppelten Wirtschaft verhelfen, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden.28 Zudem sollen die Menschen vor umweltbedingten Auswirkungen geschützt werden.29 Als wesentliches Instrument des Green Deals trat eben jenes Europäische Klimagesetz am 29. Juli 2021 in Kraft.30 Neben der Reduzierungspflicht in Art. 4 wird die Klimaneutralität der Union bis 2050 in Art. 2 verankert. Im Lichte der Klimaneutralität bewertet die Kommission bis zum 30. September 2023 und danach alle fünf Jahre sowohl die nationalen als auch die europäischen Maßnahmen zur Erreichung der Ziele (Art. 6 und Art. 7). Die nationalen Maßnahmen werden in den nationalen Energie- und Klimaplänen (NECP) gemäß Art. 3 GovernanceVO festgelegt. Stellt die Kommission fest, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, kann sie durch neue Rechtsakte oder unverbindliche Empfehlungen reagieren (Art. 6 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 3 Europäische Klimagesetz). Diesen Empfehlungen müssen die Mitgliedstaaten bei der Erstellung der NECP ge-
24 Für einen Überblick der erlassenen Rechtsakte vgl. Schlacke (2021), Umweltrecht, § 16 Rn. 24 ff. 25 Vgl. dazu Stäsche, Entwicklungen des Klimaschutzrechts, EnWZ 2019, 248 (256). 26 Europäische Kommission, Vorschlag zur Änderung der Richtlinie (EU) 2018/ 2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, COM(2021) 557 final. 27 Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal v. 11.12.2019, COM (2019) 640 final. 28 Ebd., S. 2. 29 Ebd. 30 Verordnung (EU) 2021/1119 v. 30.06.2021, ABl. L 243/1.
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
mäß Art. 9 Abs. 3 Governance-VO „gebührend Rechnung“ tragen. Was das genau bedeutet, verrät die Verordnung nicht. Art. 9 des Europäischen Klimagesetzes regelt überdies die Öffentlichkeitsbeteiligung. Sie soll helfen, durch einen inklusiven, zugänglichen Prozess auf allen Ebenen, das heißt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene sowie mit den Sozialpartner:innen, der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft, Maßnahmen zu ermitteln, die zur Verwirklichung der Ziele beitragen (Art. 11 Governance-VO). Das Europäische Klimagesetz und die Governance-VO bilden damit einen rechtlichen Rahmen einer gemeinsamen Klima- und Umweltpolitik, überlässt die Qualität und die Ambitionen der Klimaziele aber der mitgliedsstaatlichen Souveränität.31 Kein rechtlicher, sondern allenfalls ein faktischer Umsetzungsdruck ist das Resultat.32 Daran ändert auch das Vorschlagpaket „Fit für 55“ nichts. Das am 14. Juli 2021 vorgestellte Paket soll durch umfassende Änderungen acht bestehender Rechtsakte und fünf neue Initiativen in verschiedenen Politik- und Wirtschaftsbereichen33 das Reduktionsziel von 55 % bis 2030 erreichen.34 bb) Völkerrechtlicher Rahmen Völkerrechtliche Übereinkommen liegen den europarechtlichen Umsetzungsbemühungen zugrunde,35 sodass die wichtigsten völkerrechtlichen Überein kommen mit dem Fokus auf ihre rechtlichen Durchsetzungs- und Umsetzungsstrukturen dargestellt werden. (1) Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht Den Anfang machte das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht vom 22. März 1985.36 Der unverbindliche Wortlaut im Abkommen 31 So auch Schlacke, Klimaschutzrecht im Mehrebenensystem, EnWZ 2020, 355 (358). 32 So auch Frenz (2020), Grundzüge des Klimaschutzrechts, Rn. 87 ff. 33 Klima, Energie und Kraftstoffe, Verkehr, Gebäude, Landnutzung und Forstwirtschaft. 34 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU‑Klimaziels für 2030, COM(2021) 550 final. 35 Vgl. u. a. die Entscheidung 2002/358/EG und Richtlinie 2003/87/EG, die durch das Kyoto-Protokoll veranlasst wurden, oder die Governance-Verordnung (EU) 2018/1999, die der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens dient. 36 BGBl. II 1988, S. 901, 902.
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes71
fällt auf. So sollen die Vertragsparteien vor allem nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) „entsprechend den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und ihren Möglichkeiten“ geeignete Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen treffen. Nach Art. 3 Abs. 1 verpflichten sich die Vertragsparteien, „soweit es angebracht ist“, Forschungsarbeiten und wissenschaftliche Bewertungen einzuleiten. Quantifizierte Reduktionspflichten lassen sich ebenso wenig finden wie Sanktions- oder Durchsetzungsmechanismen. (2) VN-Klimarahmenübereinkommen Im Rahmen der UN-Konferenz für Klima und Entwicklung unterzeichneten 154 Parteien37 in Rio de Janeiro das am 9. Mai 1992 beschlossene Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC). Das UNFCCC will die anthropogene Störung des Klimasystems verhindern und die Treibhausgasemissionen verringern.38 Es verpflichtet die Mitgliedstaaten zum Erstellen und Entwickeln von Verzeichnissen, Programmen, Technologien und vor allem zur Aufklärung hinsichtlich des Klimawandels.39 Zusammen mit dem Montrealer Protokoll vom 16. September 198740 konkretisiert es damit in Teilen die allgemeinen Verpflichtungen des Wiener Übereinkommens.41 Art. 4 Abs. 1 lit. c) UNFCCC statuiert wiederum nur eine allgemeine Reduktionspflicht von jenen Treibhausgasen, die von dem Montrealer Protokoll nicht geregelt sind. Das in Art. 3 Abs. 1 UNFCCC verankerte Verantwortungsprinzip42 differenziert im Rahmen dieser Verpflichtung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Das UNFCCC wird seinem Titel als Rahmenübereinkommen gerecht. Es ist sehr allgemein und abstrakt gehalten, enthält keine klaren verpflichtenden Klimaänderungsziele, sondern überlässt die Reduktion der staatlichen Autonomie. Durchsetzungs- und S anktionierungsmechanismen enthält es nicht.
37 Zurzeit
sind der Konvention 198 Vertragsparteien beigetreten. UNFCCC. 39 Vgl. für Verpflichtungen: Art. 4 UNFCCC. 40 Gesetz zu dem Montrealer Protokoll vom 16.09.1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, BGBl. II 1988, S. 1014 41 Vgl. auch Hoffmann-Much, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 6 Rn. 13, wobei das Montrealer Protokoll mit dem sog. Abbaukalender, der die Reduktion der ozonschädigen Stoffen stufenweise erhöht, quantifizierbarer als das Rahmenübereinkommen ist. 42 Ebd., Rn. 17. 38 Art. 2
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
(3) Kyoto-Protokoll Konkreter wird es im Protokoll von Kyoto, das im Rahmen der dritten Vertragsstaatenkonferenz am 11. Dezember 1997 beschlossen wurde,43 aber erst am 16. Februar 2005 nach der Ratifizierung von 55 Staaten in Kraft trat. Das Kyoto-Protokoll ist Vorgänger des Übereinkommens von Paris. Erstmalig regelte ein völkerrechtlicher Vertrag rechtlich verbindliche Verpflichtungen zur Reduktion von Treibhausgasen. Die Vertragsstaaten wurden verpflichtet, sechs Treibhausgase44 im Zeitraum 2008–2012 um mindestens 5 % verglichen zu den Emissionen von 1990 zu reduzieren.45 Die Reduktionsziele richten sich nach Art. 3 Abs. 1 Kyoto-Protokoll lediglich an die in Anhang I erwähnten Staaten, die allesamt Industrieländer sind. Für Großemittenten wie China, Indien oder Brasilien waren keine Reduktionspflichten vorgesehen. Aber auch der größte Emittent der Industrieländer, die USA, ratifizierte das Protokoll nicht. Folglich und nicht zuletzt wegen des zeitlichen Anwendungsbereichs bis 2012 war ein neues Abkommen erforderlich. Ende 2012 tagte die UN-Konferenz in Katar und es wurde das Kyoto-Protokoll bis zum 31. Dezember 2020 verlängert.46 Damit das Kyoto-Protokoll II selbstständig in Kraft treten konnte, musste es von 144 Vertragsstaaten ratifiziert werden. Erst am 31. Dezember 2020 trat das Kyoto-Protokoll II damit für wenige Stunden in Kraft. (4) Aichi-Ziele Im Oktober 2010 wurden auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD)47 im japanischen Nagoya (Präfektur Aichi) die Aichi Biodiversity Targets (Aichi-Ziele) beschlossen. In fünf übergeordneten strategischen Zielen, die vor allem die Artenvielfalt und Ökosysteme schützen wollten, waren 20 Kernziele enthalten.48 Diese teils 43 Gesetz zu dem Protokoll von Kyoto vom 11.12.1997 zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (Kyoto-Protokoll), BGBl. II 1998, S. 130. 44 Vgl. Kohlendioxid, Methan, Distickstoffoxid, teilhalogenierte Flurorkohlenwasserstoffe, perfluorierte Kohlenwasserstoffe, Schwefelhexafluorid, vgl. Annex A Kyoto-Protokoll. 45 Art. 3 Abs. 1 Kyoto-Protokoll. 46 Vereinte Nationen, Report of the Conference of the Parties serving as the meeting of the Parties to the Kyoto Protocol on its eighth session, FCCC/KP/CMP/2012/13/ Add. 1, v. 28.02.2012, S. 3 Rn. 4. 47 Dieses wurde auch im Rahmen der Rio-Konferenz 1992 zur Unterzeichnung bereitgelegt; Deutschland unterzeichnete dieses am 29.12.1993. 48 CBD, The Strategic Plan for Biodiversity 2011–2020 and the Aichi Biodiversity Targets v. 29.10.2010, UNEP/CBD/COP/DEC/X/2, S. 8 Rn. 13.
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sehr unklaren und kaum messbaren Ziele gingen von der Schaffung des Bewusstseins eines biodiversen Wertes (Target 1) über die Begrenzung der genutzten Naturressourcen auf ein vertretbares Maß (Target 4) bis hin zur zwingenden Anwendung von Wissenschaft und Technologien in Zusammenhang mit Biodiversität (Target 19). Neben den abstrakteren Zielen wurden aber auch konkrete und prozentuale Ziele gesetzt, wie zum Beispiel die Ausweitung der weltweiten Schutzgebiete auf 17 % auf dem Land und auf 10 % bei Küsten- und Meeresgebieten (Target 11). Auch für diese Ziele gab es keine Durchsetzungsmechanismen. Im Rahmen des 5. Berichts zur Lage der Biodiversität von September 2020 wurde verdeutlicht, dass keines der 20 Aichi-Ziele bis Ende 2020 vollständig erreicht werde.49 (5) Agenda 2030 Am 25. September 2015 wurde eine Resolution der Vereinten Nationen unter dem Namen Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von 193 Mitgliedstaaten unterschrieben.50 Die Agenda 2030 verfolgt das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung und hat dafür 17 Sustainable Development Goals (SDG) aufgestellt. SDG Nr. 13 zielt ab auf den Gesundheitsschutz, den nachhaltigen Konsum, bezahlbare und saubere Energie den Schutz von Leben unter Wasser und am Land sowie auf den Klimaschutz. Die SDG Ziele bilden die Grundlagen für die Nachhaltigkeitsstrategien von Deutschland, die sich wiederum in 72 Zielbereiche unterteilt. Davon sollten bis 2020 zwölf konkret erreicht werden. Das statistische Bundesamt zeigte, dass dies nur bei vier Zielbereichen der Fall war.51 Dass das Amt die Fortschritte überhaupt überwacht, ist schon ein Gewinn, da interne Fortschrittsüberwachungen nur freiwillig und ländergesteuert erfolgen können.52 Als Resolution der Generalversammlung sind die Ziele zudem nicht rechtsverbindlich,53 sondern als Empfehlungen für die Mitgliedsstaaten i. S. d. Art. 10 Charta der Vereinten Nationen zu verstehen.54 of the CBD (2020), Global Biodiversity Outlook 5, S. 8. Nationen, Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung v. 25.09.2015, A/RES/71/1. 51 Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemittelung Nr. 121 v. 10.03.2021. 52 Vereinte Nationen, Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung v. 25.09.2015, A/RES/71/1, Nr. 74 lit. a). 53 Huck/Kurkin, Die UN-Sustainable Development Goals, ZaöRV 2018, 375 (383 f.) m. w. N. 54 Vgl. auch Nr. 4, Präambel, wonach die SDGs in den nächsten fünfzehn Jahren lediglich einen „Anstoß zu Maßnahmen in den Bereichen geben, die für die Menschheit und ihren Planeten von entscheidender Bedeutung sind“. Wenngleich diese Anstoßfunktion in einigen Freihandelsabkommen der EU erkennen zu sein scheint, 49 Secretariat 50 Vereinte
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
(6) Übereinkommen von Paris Das Übereinkommen von Paris (PÜ) wurde am 14. Dezember 2015 von 197 Vertragsparteien beschlossen und trat am 4. November 2016 in Kraft. Zusammen mit den Aichi-Zielen und den SDGs der Vereinten Nationen bildet es eine grundlegende Trias für eine umfassende Transformation zu einer nachhaltigen Entwicklung.55 Als völkerrechtlicher Vertrag ist das Abkommen ebenfalls auf innerstaatliche Implementierung angewiesen, um nationale Rechtswirkungen entfalten zu können.56 Anders als das Kyoto-Protokoll differenziert das Abkommen nicht zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, wenn auch letztere weiterhin die führende Rolle bei den Reduktionen einnehmen.57 Art. 2 Abs. 1 lit. a) PÜ regelt das Ziel, den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C zu begrenzen. Für die Vertragsparteien sind die konkreten Maßnahmen sowie Reduktionszielhöhen nach Art. 4 Abs. 2 S. 2 PÜ innerstaatlich eigenständig festzulegen (sog. Nationally Determined Contributions (NDC)) und somit völkerrechtlich unverbindlich.58 Die Pflichten zur Anpassung der Ziele und der korrespondierenden Mitteilung sind dagegen rechtsverbindlich. Damit eine stetige Weiterentwicklung der NDC stattfindet, wurde ein „Bottom-up“-Ansatz (auch: Ambitionsmechanismus) geregelt. Dadurch sollen die Staaten selbstständig die von ihnen beabsichtigten Emissionsreduktionen quantifizieren und diese der zuständigen Stelle übermitteln.59 Die Staaten geben ein „Start“-Klimaziel an, welches als Maßstab für die anzupassenden Klimaschutzbeiträge zugrunde gelegt wird.60 Diese Ziele unterliegen keinen konkreten Vorgaben, sondern bloß einer „obligation of non-regression“61, also einer „Nichtrück schrittsklausel“62. Die Übermittlung der NDC erfolgt nach Art. 4 Abs. 9 PÜ alle fünf Jahre, sodass die Überprüfung nach dem Europäischen Klimagesetz bleibt es weiterhin im Kreis der innerstaatlichen Verfahrensautonomie aus abstraktengenerellen SDGs konkrete Umweltschutzambitionen rechtlich verbindlich zu gestalten, vgl. dazu Huck, Die EU und die Globale Agenda 2030, EuZW 2019, 581 (582 f.). 55 Vgl. auch Stäsche, Entwicklungen des Klimaschutzrechts, EnWZ 2019, 248. 56 Böhringer, Das neue Pariser Klimaübereinkommen, ZaöRV 2016, 753 (779). 57 Vgl. Artt. 3 und 4 Abs. 2 PÜ und Böhringer, Das neue Pariser Klimaübereinkommen, ZaöRV 2016, 753 (754); Maier, Klimarahmenkonvention: 21. Vertragsstaatenkonferenz 2015, VN 1/2016, 34 (35). 58 Vgl. Franzius/Kling, The Paris Climate Agreement and liability issues, in: Kahl/Weller (Hrsg.), Climate Change Lititgation (2021), 197 (202). 59 Art. 4 Abs. 2 PÜ; vgl. dazu Böhringer, Das neue Pariser Klimaübereinkommen, ZaöRV 2016, 753 (754, 762 ff.). 60 Stäsche, Entwicklungen des Klimaschutzrechts, EnWZ 2019, 248 (251). 61 Viñuales, The Paris Climate Agreement, EJIl v. 08.02.2016. 62 Böhringer, Das neue Pariser Klimaübereinkommen, ZaöRV 2016, 753 (762).
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes75
erfolgen kann. Der Emissions Gap Report 2021 des UN Environment Programme zeigte zuletzt, dass die aktualisierten NDC statt auf die forcierten 55 % gerade einmal auf 7,5 % Treibhausgasreduzierung bis 2030 abzielen.63 Bei der 24. Weltklimakonferenz im polnischen Katowice einigten sich die 197 Vertragsparteien (inklusive der EU) auf das sog. rulebook oder auch Katowicer-Klimapaket. Es ist eine Zusammenfassung von Beschlüssen, die der Umsetzung und Einhaltung des Pariser Übereinkommens dienen soll. Das Katowicer-Klimapaket enthält als völkerrechtlicher Vertrag unter anderem die erfolgreiche64 Anerkennung des Sonderberichts (SR1.5)65 als „best availabe science“ und die Zuerkennung des IPCC als wissenschaftliche Einheitsbasis im Kampf gegen den Klimawandel.66 Daneben enthält das Katowicer-Klimapaket zwei Mechanismen zur Wahrung des Pariser Übereinkommens. Zum einen soll der Transparenzrahmen einen multilateralen und unterstützenden Austausch über den Fortschritt ermöglichen,67 zum anderen soll ein Sachverständigenausschuss (Committee) die Durchführung und Einhaltung des Übereinkommens in vermittelnder, transparenter sowie nicht streitiger Art fördern.68 Da die Mitgliedsstaaten selbst ihre NDC bestimmen, wird das Committee nur dann aktiv, wenn etwaige Berichtspflichten, zum Beispiel zu den NDC, verletzt werden.69 Das Committee kann im Fall eines Verstoßes lediglich Empfehlungen an den verletzenden Staat aussprechen, ihn mit dessen Einverständnis unterstützen oder bei systematischen Problemen der Vertragsstaatenkonferenz berichten.70 Zuletzt wurde auf der 26. Vertragsstaatenkonferenz in Glasgow das langfristige globale Reduktionsziel bekräftigt, den Anstieg auf deutlich unter 2 °C zu halten und die Erderwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen.71 Da die Emissions Gap Report 2021, S. XXIII, 34. deshalb, weil sich die EU, kleinere Inselstaaten und lateinamerikanische Staaten gegenüber den USA und Saudi-Arabien durchsetzten, vgl. Bals et al., Erste Bewertung der Ergebnisse des Klimagipfels, Blogpost vom 15.12.2018. 65 IPCC (2018), SR1.5, für 1,5 °C: S. 95 ff. 66 Report of the Conference, Decision 1/CP.24 v. 19.03.2019, Rn. 24–29; zuletzt auch durch das BVerfG als „zuverlässige Zusammenfassungen des aktuellen Kenntnisstands zum Klimawandel“ begriffen: BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 16 (juris). 67 Vgl. Art. 13 PÜ; Annex zur Entscheidung 18, 18/CMA.1, Rn. 189 ff.; bezüglich der NDCs unterstreicht Art. 4 Abs. 8 PÜ die Bedeutung von Transparenz, Eindeutigkeit und Verständlichkeit. 68 Vgl. Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 PÜ; für detaillierte Aufgabenbeschreibung: Annex zur Entscheidung 20, 20/CMA1, Rn. 22 ff. 69 Vgl. Annex zur Entscheidung 20, 20/CMA1, Rn. 22; vgl. auch Stäsche, Entwicklungen des Klimaschutzrechts, EnWZ 2019, 248 (253). 70 Vgl. Annex zur Entscheidung 20, 20/CMA1, Rn. 22, 32 ff. 71 Glasgow Climate Pact v. 13.11.2021, Rn. 15. 63 UNEP,
64 Erfolg
76
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
Auswirkungen des Klimawandels, so in Glasgow betont, bei einer Erderwärmung von 1,5 °C deutlich geringer sind, werden die staatlichen Anstrengungen weiterverfolgt, die schnell, tiefgreifend und anhaltend Treibhausgase reduzieren sollen.72 Die Konferenz appellierte erneut an die Mitgliedstaaten mit Blick auf ihre gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung, beschleunigte Maßnahmen noch in dieser Dekade anzustoßen.73 2. Nationale Ebene Das europarechtliche und völkerrechtliche Umwelt- und Klimaschutzrecht ist damit zwangsläufig auf die nationale Umsetzung angewiesen. Nachfolgend wird die nationale Rechtsentwicklung des Umwelt- und Klimaschutzrechts dargestellt. a) Umweltschutzrecht aa) Entwicklungen im Umweltrecht Der Begriff des Umweltrechts findet seinen Ursprung um das Jahr 1970. Neben der Neugründung der Umweltabteilung innerhalb des Bundesministeriums des Inneren im Jahr 1969, dem Sofortprogramm der Bundesregierung von 1970 und dem ersten Umweltprogramm 197174 begann erstmalig eine legislative Phase (1970–1980) im Umweltrecht.75 Zuvor wurde vor allem durch Gewässermisstände und dem Diskurs um Kernkraft der Nährboden für ein Umwelt- und Problembewusstsein bereitet.76 Politisch und legislativ wurden dessen Früchte verarbeitet. Die erste legislative Phase umfasste eine umweltpolitische Ausrichtung, die als Startpunkt für den Erlass neuer Gesetze wie zum Beispiel des BImSchG von 197477 oder des BNatSchG von 197678 führte.79 Bestehendes Recht wurde in einem einheitlichen BImSchG
72 Ebd. 73 Ebd.
74 BT-Drs. VI/2710; fünf Hauptziele waren statuiert: eine langfristige Umweltplanung, die Durchsetzung des Verursacherprinzips, die Realisierung umweltfreundlicher Techniken, das Wecken und Stärken eines Umweltbewusstseins sowie internationale Zusammenarbeit. 75 Storm (2020), Umweltrecht, § 6 Rn. 67 ff. 76 Vgl. Schlacke (2021), Umweltrecht, § 2 Rn. 6; Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 24. 77 BGBl. I 1974, S. 721. 78 BGBl. I 1976, S. 3573.
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes77
zusammengefasst und ergänzt, wenngleich auf ein allgemeines Umweltgesetz verzichtet und der verfassungsrechtliche Umweltschutz (noch) nicht angegangen wurde.80 Als Reaktion auf die legislativen Veränderungen wurde eine administrative Anpassung (1980–1986) erforderlich. Untergesetzlich wurde Umweltschutz konkretisiert.81 Als Teil dieser administrativen Anpassung und als Reaktion auf die Unfälle aus Tschernobyl wurde das Bundesumweltministerium am 6. Juni 1986 gegründet. Einen zweiten legislativen Schub gab es von 1986 bis 2006.82 Zunächst wurden die Bundesämter für Strahlenschutz (1989) und für Naturschutz (1993) geschaffen. Im Art. 34 des Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR wurde Umweltschutz eigenständig verankert. Angestoßen durch die in Art. 5 Einigungsvertrag vorgesehenen Verfassungsänderungen kam es am 27. Oktober 1994 zur Einführung der Staatszielbestimmung in Art. 20a GG.83 Einfachgesetzlich wurden neben verschiedenen Umsetzungsgesetzen von Richtlinien84 insbesondere das UVPG,85 das UmweltHG86 und das UIG87 erlassen. Seit 2006 findet eine dritte legislative Phase statt, die neben dem UmwRG insbesondere vom Scheitern eines Umweltgesetzbuches (UGB) gekennzeichnet ist.88 Durch ein einheitliches Umweltgesetzbuch sollte der Zersplitterung des materiellen Umweltrechts entgegengewirkt werden.89 Bereits in den 1990er-Jahren wurde neben zwei Professorenentwürfen90 ein Kommissions79 Storm (2020), Umweltrecht, § 6 Rn. 67, in Rn. 69 eine ausführliche Auflistung der Stammgesetze zwischen 1970–1980; Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 27. 80 Storm (2020), Umweltrecht, § 6 Rn. 67. 81 Ebd., Rn. 71. 82 Vgl. für ausführliche Auflistung der zwischen 1986–2006 eingeführten Gesetze: ebd., Rn. 74 ff. 83 BGBl. I 1994, S. 3146; ergänzt wurde die Zielbestimmung am 26. Juli 2002 (BGBl. I 2002, S. 2862) durch den Tierschutz; zu Art. 20a GG unter F. I. 2. a). 84 Vgl. z. B. Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz, BGBl. I 2001, S. 1950. 85 BGBl. I 1990, S. 205. 86 BGBl. I 1990, S. 2634. 87 BGBl. I 1994, S. 1490. 88 Storm (2020), Umweltrecht, § 6 Rn. 77; dort findet sich auch in Rn. 78 f. eine ausführliche Auflistung der seit 2006 erlassenen Gesetze. 89 Vgl. dazu Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 4; zu den Versuchen eines UGBs: Schärdel (2012), Die Bücherkodifikation, S. 46 ff. 90 UGB-AT (1990) vereinheitlichte die Ziele und grundsätzliche Rechte und Pflichten. UGB-BT (1994) widmete sich u. a. dem Natur-, Immissions- und Landschaftsschutz sowie der Abfallwirtschaft.
78
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
entwurf eines Sachverständigenrats erarbeitet. Ein weiterer Entwurf des Bundesumweltministeriums aus dem Jahr 2007 wurde in überarbeiteter Fassung am 4. Dezember 2008 als bislang letzter Entwurf vorgelegt. Das UGB fiel allerdings in einen denkbar ungünstigen Zeitraum, dominiert von der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie von Wahlkämpfen.91 Am 1. Februar 2009 erklärte der damalige Umweltminister Siegmar Gabriel die Umsetzung des UGB als gescheitert.92 An die Stelle eines einheitlichen UGB traten vier Einzelgesetze93 die zur „Neuordnung des Umweltrechts“ beitragen sollten.94 bb) Umweltschutzprinzipien Entwicklungskräfte lassen sich nicht nur aus dem einfachgesetzlichen Recht, sondern auch aus dem Art. 20a GG95 in Gestalt von Umweltschutzprinzipien herleiten. Neben der europarechtlichen Verankerung in Art. 11 AEUV und Art. 191 AEUV wurde eine umweltrechtliche Prinzipientrias bereits im Umweltprogramm aus dem Jahr 197196 und dem Umweltbericht 197697 verankert (dazu unter (1) bis (3)). Sie wird durch neuere Prinzipien ergänzt (dazu unter (4)). Umweltschutzprinzipien können Rechtssätze formen, Strukturen geben und Auslegungen wie Ermessensentscheidungen begleiten.98 Auch die Gesetzgebung muss also den umweltrechtlichen Prin zipien als Ausfluss der grundrechtlichen Staatszielbestimmung gebührend Rechnung tragen. (1) Vorsorgeprinzip Das Vorsorgeprinzip hat beispielsweise in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG und § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG rechtlichen Eingang gefunden. Danach muss für ein 91 Durner, Das neue Raumordnungsgesetz, NUR 2009, 373; Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 12. 92 BMUV, Pressemitteilung Nr. 033/09 v. 01.02.2009. 93 BNatSchG, Wasserhaushaltsgesetz (WHG), Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG), Rechtsbereinigungsgesetz Umwelt (RGU). 94 Vgl. Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 13; Storm (2020), Umweltrecht, § 6 Rn. 77. 95 So auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20a Rn. 8. 96 BT-Drs. VI/2710, S. 3, 8, 10. 97 BT-Drs. 7/5684, S. 8 f. 98 Rehbinder, Prinzipien des Umweltrechts, in: Franßen (Hrsg.), Festschrift für Horst Sendler (1991), 269 f. unterscheidet zwischen rechtssatzförmigen Prinzipien, Strukturprinzipien und allgemeinen Rechtsprinzipien; vgl. auch Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 21.
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes79
hohes Schutzniveau der Umwelt vorgesorgt werden gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren und Belästigungen der Allgemeinheit. Das Vorsorgeprinzip stellt sektorübergreifend das fundamentale Prinzip im gesamten Umweltrecht dar.99 Es soll in temporärer Sicht und angesichts der Komplexität des Umweltrechts sicherstellen, dass nicht „hinterherhinkend-repressiv, sondern vorausschauend-präventiv“ Umweltschutz betrieben wird.100 Schäden durch Umweltbeeinträchtigungen sind nicht bloß hinzu nehmen und zu beseitigen. Ihnen soll vorsorgende Umweltpolitik zuvorkommen.101 Vorsorge spaltet sich in Risiko-102 und Ressourcenvorsorge.103 Vo rausschauendes Handeln muss Risiken begegnen und eine gesellschaftliche und staatliche Umweltschonung bezwecken.104 (2) Verursacherprinzip Das der Kostenzurechnung entspringende Prinzip zielt auf die Zuweisung von Verantwortung. Sie muss für Umweltbeeinträchtigungen und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen (Verbote, Gebote, Auflagen usw.) übernommen werden.105 Die Zuweisung von Kosten und Verantwortung soll vor einer ungerechten Inanspruchnahme der Allgemeinheit bei individuell zurechenbaren Umweltbeeinträchtigungen schützen.106 Insbesondere bei globalen Emissionen scheint das Prinzip aber an seine Grenzen zu stoßen, da angesichts der Summe unzähliger Kleinstverursachenden nur schwerlich ein kausaler Nachweis gelingt.107 Ist die Zuweisung von Verantwortung nicht möglich, so greift das Gemeinlastprinzip. Danach werden alle angefallenen Kosten von der öffentlichen Hand, also der Allgemeinheit, getragen.108
99 Dazu
ausführlich Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 179 ff. (2019), Umweltrecht, § 2 Rn. 13 101 BT-Drs. 7/5684, S. 8. 102 Dazu unter B. II. 1. c) und D. II. 4. b) cc). 103 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20a Rn. 8. 104 BT-Drs. 7/5684, S. 8; vgl. auch Storm (2020) Umweltrecht, § 3 Rn. 21, der zwischen Gefahrenabwehr, Risikovorsorge und der Umweltschonung unterscheidet. 105 BT-Drs. VI/2710, S. 10 f., BT-Drs. 7/5684, S. 8 f.; Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 132. 106 BT-Drs. VI/2710, S. 10 f., BT-Drs. 7/5684, S. 8 f.; Storm (2020), Umweltrecht, § 3 Rn. 27. 107 So auch Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 133 f. 108 Vgl. Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 3 Rn. 21. 100 Kahl/Gärditz
80
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
(3) Kooperationsprinzip Der Umweltbericht erklärte im Zusammenhang mit dem Kooperationsprinzip die Umweltschutzpolitik zu einer „gesellschaftspolitischen Aufgabe hohen Ranges“.109 Sie soll zum einen durch die Mitwirkung der Betroffenen, zum anderen durch die frühzeitige Beteiligung gesellschaftlicher Kräfte bewältigt werden.110 Als Prinzip formell-organisatorischer Natur zielt das Kooperationsprinzip ab auf eine Zusammenarbeit zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Staat.111 Normativ war es im § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 UGB I-RefE112 und § 7 Abs. 1 S. 1 UGB-KomE113 als allgemeiner Grundsatz des Umweltrechts vorgesehen. Wenn auch diese grundsätzliche Verankerung scheiterte, so bleibt die Kooperation gerade mit Blick auf den Umweltrechtsschutz wesentliches Leitprinzip.114 (4) Weitere (neuere) Prinzipien Die Prinzipientrias wird um das Integrationsprinzip erweitert.115 Dieses Prinzip adressiert Umweltschutz nicht mehr nur sektoral und medial (Luft, Wasser, Boden), sondern begreift die Umwelt als globales Ganzes (interne Integration).116 Dadurch soll der Umweltschutz optimiert und einheitlich auf alle zu schützenden Umweltmedien gelenkt werden.117 Art. 11 AEUV normiert mit der Querschnittsklausel die umweltschützende Orientierung ebenso für Politikbereiche, die nur mittelbar dem Umweltschutz dienen oder sogar gegenläufig zu ihm ausgerichtet sind (externe Integration).118 Nach diesem Vorbild wird gefordert, das Integrationsprinzip in Art. 20a GG besonders zu betonen.119 109 BT-Drs. 110 Ebd.
111 Storm
112 „Beim
men.“
113 „Der
7/5684, S. 9.
(2020), Umweltrecht, § 3 Rn. 30. Schutz von Mensch und Umwelt wirken Staat und Gesellschaft zusam-
Schutz der Umwelt ist Bürgern und Staat anvertraut.“ bei der Aarhus-Konvention, dazu unter II. 2. 115 So etwa Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 3 Rn. 34; Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 42. 116 Vgl. auch Steinberg, Zulassung von Industrieanlagen, NVwZ 1995, 209 (217); Schlacke (2020), Umweltrecht, § 3 Rn. 2; Storm (2020), Umweltrecht, § 7 Rn. 83. 117 Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 3 Rn. 34; Di Fabio, Integra tives Umweltrecht, NVwZ 1998, 329 (330); Steinberg, Zulassung von Industrieanlagen, NVwZ 1995, 209 (217). 118 Vgl. auch Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 43. 119 SRU (2019), Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen, Sondergutachten, S. 164 f. 114 So
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes81
Art. 11 AEUV statuiert zudem neben den SDGs und Art. 37 GRCh den Nachhaltigkeitsgedanken, der auch schon im Art. 20a GG als Nachhaltigkeitsprinzip120 aufgegriffen wurde („in Verantwortung für die künftigen Generationen“). Das Nachhaltigkeitsprinzip verlangt in Zusammenspiel mit dem Vorsorgeprinzip hinsichtlich der zukünftigen Generationen ressourcenschonendes Handeln.121 Zudem hat das BVerfG unter ausdrücklichem Rekurs auf das Nachhaltigkeitsprinzip verdeutlicht, dass weitere Reduktionen beim Treibhausgasausstoß zu erreichen und neue Anreize für Modernisierungen zu schaffen sind.122 Hierfür kommen zur Hilfe das Cradle-to-Grave-Prinzip, das einen kontrollierten, umfassenden Umgang mit umweltschädlichen Stoffen und Produkten verlangt,123 sowie das Bestandsschutzprinzip (Verschlechterungsverbot124). b) Klimaschutzrecht aa) Klimaschützende Rahmenbestimmungen Die legislative Entwicklung des Klimaschutzrechts blickt auf eine nicht ganz so lange Entstehungsgeschichte zurück, wenngleich es als Querschnittsmaterie mit der umweltrechtlichen Entwicklung wächst. Im August 2007 rief die Bundesregierung das Integrierte Energie- und Klimaprogramm ins Leben, welches durch zwei Maßnahmenpakete zu Novellierungen im Bereich des Energierechts führte. Knapp drei Jahre später wurde das Energiekonzept für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung erlassen. Als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe in Fukushima wurde im Juni 2011 das Energiekonzept durch den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 modifiziert. Zusätzlich brachte die Bundesregierung ein Gesetzespaket zur Beschleunigung des Netzausbaus, zur Förderung der erneuerbaren Energien und zur Steigerung der Energieeffizienz auf den Weg.125 Ende 2014 beschloss 120 Dieses Prinzip wird teilweise auch als „wichtigster Leitgrundsatz des modernen Umweltrechts“ bezeichnet, Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 4 Rn. 36. 121 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20a Rn. 10; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 3 Rn. 15; Murswiek, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), NVwZ 1996, 222 (225). 122 BVerfG, Urt. v. 13.03.2007, Az. 1 BvF 1/05, Rn. 110 (juris). 123 Vgl. dazu Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 3 Rn. 16; Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 125. 124 Vgl. dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20a Rn. 11; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 3 Rn. 16. 125 Erneut wurde das Energierecht novelliert. Zudem wurde der Klimaschutz im BauGB und im ROG verankert, vgl. ausführlich Sellner/Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011, NVwZ 2011, 1025 ff.
82
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
das Bundeskabinett das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020, um sicherzustellen, dass bis 2020 die Treibhausgasemissionen um 40 % reduziert werden. Das Programm sollte den Rahmen für politische Maßnahmen, Umsetzungsbegleitungen sowie langfristige Pläne schaffen. Durch das Klimaschutzprogramm 2050 erstellte die Bundesregierung im November 2016 die vom Pariser Klimaschutzabkommen geforderte Klimaschutzlangzeitstrategie. Erstmalig, wenn auch ohne Gesetzesform, wurden die Reduzierungsziele von Deutschland festgelegt. Die gesetzliche Fixierung fand schließlich durch das Inkrafttreten des Klimaschutzgesetzes (KSG) am 18. Dezember 2019 statt.126 Nach dem Klimabeschluss des BVerfG wurde das Gesetz zum 18. August 2021 geändert.127 Zweck des Gesetzes ist es, die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Durch das Gesetz alleine werden aber keine Treibhausgase eingespart. Vielmehr soll es die Klimapolitik auf solide Grundlagen stellen und verbindlich machen.128 Das KSG enthält zulässige Jahresemissionsmengen für die Jahre 2020 bis 2030, aufgeteilt auf die Sektoren Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft und Sonstiges (s. Anlage 1 und 2 des KSG). Für die Jahre 2031 bis 2040 werden sektorübergreifend jährliche Minderungsziele angegeben (s. Anlage 3 des KSG). Ausweislich der Gesetzesbegründung verpflichtet das Gesetz die öffentliche Hand und entfaltet keine Rechtswirkung für Dritte.129 Nicht der klagenden Zivilgesellschaft wohnt die Kontrollfunktion inne, sondern dem Bundesministerium, in dessen Geschäftsbereich die Einhaltung der Emis sionsbudgets fällt.130 Subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen sollen auch nach dem Klimabeschluss durch das Gesetz nicht begründet werden (§ 4 Abs. 1 S. 10 KSG).131 § 13 KSG führt „querschnittsartig“ den Zweck des KSG und damit den Klimaschutz auf in sämtlichen Planungen und Entscheidungen als zu berücksichtigendes öffentliches Interesse.132 Am 14. August 2020 trat das Kohleausstiegsgesetz133 in Kraft, das als Gesetzespaket Teile bestehender Energiegesetze änderte, um wirtschaftlich vernünftig und planbar den Wechsel von Kohleverstromung auf erneuerbare Energie bis zum Jahr 2038 zu gewährleisten. 126 Bundes-Klimaschutzgesetz
v. 12.12.2019, BGBl. I, S. 2513. 2021, S. 3905. 128 BT-Drs. 19/14337, S. 17. 129 Ebd., S. 2. 130 Vgl. § 4 Abs. 4 S. 1 KSG; BT-Drs. 19/14337, S. 2. 131 Dazu unter E. II. 132 BT-Drs. 19/14337, S. 46. 133 Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze v. 08.08.2020, BGBl. I, S. 1818. 127 BGBl. I
I. Entwicklung des Klima- und Umweltschutzes83
bb) Energiewirtschaftsrechtliche Umsetzungsbestimmungen Der energiewirtschaftsrechtliche Umsetzungsrahmen wird kontinuierlich weiterentwickelt. Sämtliche Novellierungen hier zu erfassen, wäre für die Arbeit wenig zielführend, sodass sich auf die wesentlichen Energiewirtschaftsgesetze und -verordnungen beschränkt wird. Im Bereich der Emissionsreduzierung sind die zentralen Instrumente: das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz134, die Zuteilungsverordnung 2020135, die Emissionshandelsverordnung136, das Projekt-Mechanismen-Gesetz137 und das Brennstoffemissionshandelsgesetz138. Die Förderung der erneuerbaren Energien ist vor allem geregelt in dem Erneuerbare-Energien-Gesetz139 und im Gebäudeenergiegesetz140. Ein Mehr an erneuerbaren Energien macht den Ausbau der Elektrizitätsnetze erforderlich, sodass das Netzausbaubeschleunigungsgesetz141 für bestimmte Ausbauten ein beschleunigtes Planungs- und Zulassungsverfahren schuf.142 Aber nicht nur der Bau neuer Energieinfrastruktur, sondern auch die Steigerung der Energieeffizienz wird legislativ forciert. So sollen insbesondere das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz,143 das Gebäudeenergiegesetz und das Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetz144 die Effizienz steigern.
134 Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen v. 21.07.2011, BGBl. I, S. 1475. 135 Verordnung über die Zuteilung von Treibhausgas-Emissionsberechtigungen in der Handelsperiode 2013 bis 2020 v. 26.09.2011, BGBl. I, S. 1921. 136 Verordnung zur Durchführung des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes in der Handelsperiode 2013 bis 2020 v. 20.08.2013, BGBl. I, S. 3295. 137 Gesetz über projektbezogene Mechanismen nach dem Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen vom 11.12.1997 v. 22.09.2005, BGBl. I, S. 2826. 138 Gesetz über einen nationalen Zertifikatehandel für Brennstoffemissionen v. 12.12.2019, BGBl. I, S. 2728. 139 Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien v. 21.07.2014, BGBl. I, S. 1066; zuletzt am 16. Juli 2021 zu dem EEG 2021 geändert, Artikel 11 des Gesetzes v. 16.2021, BGBl. I S. 3026. 140 Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung erneuerbare Energie zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden v. 08.08.2020, BGBl. I, S. 1728. 141 V. 28.07.2011, BGBl. I, S. 160. 142 Dazu Sellner/Fellenberg, Atomausstieg und Energiewende 2011, NVwZ 2011, 1025 (1030). 143 Gesetz für die Erhaltung, die Modernisierung und den Ausbau der KraftWärme-Kopplung v. 21.12.2015, BGBl. I, S. 2498. 144 Gesetz über die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte v. 27.02.2008, BGBl. I, S. 258.
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes Die Entwicklung des materiellen Umwelt- und Klimaschutzes ist ohne ein korrespondierendes Prozessrecht in ihrer Wirkung gehemmt. Das Recht auf dem Papier muss auch aktiviert werden können. Die Verbandsklage soll helfen. Die Darstellung ihrer Entstehungsgeschichte hilft, die deutsche Vorstellung einer effektiven Verbandsklage zu verstehen, bevor ihr Reformierungspotential diskutiert wird. 1. Entstehung der deutschen Verbandsklage a) Entwicklungskräfte aus den USA Verbände könnten „Querulanten, Eigenbrötlern und Selbstsüchtige“145 beherbergen. Ihre Klagerechte würden zu einer „Unregierbarkeit des Staates“146 führen. Oder anders: Private Verwaltungskontrolle sei demokratie- und rechtsstaatsfeindlich, da die Verwaltungskontrolle nicht den Verbänden, sondern der staatlichen Gewalt obliege.147 Mit derart kritischer Haltung und historischer Angst148 wurde der Verbandsklage in Deutschland begegnet. Daher liegt es nahe, dass die Entstehung der Verbandsklage ihre Wurzeln im Ausland hat. Im Jahr 1970 regelte in den USA der Clean Air Act die erste vergleichbare Verbandsklage.149 Durch sog. citizen suits sollten natürliche und juristische Personen Verstöße gegen das Umweltrecht gerichtlich geltend machen können. Trotz des offenen und nicht auf eine Rechts- oder Interessensverletzung beschränkten Wortlauts150 werden eine faktische Interessenbetroffenheit, der Nachweis der Kausalität und die Möglichkeit zur Scha-
145 Eyermann, Vom Nachbarschutz zur Popularklage?, GewArch 1974, 42 (47); darauf bezugnehmend Weyreuther (1975), Verwaltungskontrolle durch Verbände, S. 30. 146 Borchmann, Naturschutz, Landschaftspflege und Verbandsklage, NUR 1981, 121 (125) mit Verweis auf Deutsche Bauern-Korrespondenz 12/1979, Verbandsklage? – Dann wird der Staat unregierbar, S. 394 ff. 147 Weyreuther (1975), Verwaltungskontrolle durch Verbände, S. 15 ff., 21; für eine Auflistung der Argumente gegen eine Verbandsklage: Bizer/Ormond/Riedel (1990), Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, S. 55 ff. 148 Klinger, Ausweitung der Verbandsklage im Umweltbereich, in: Kloep fer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht, (2014), S. 136; so auch Schmidt/Schrader/ Zschiesche (2014), Die Verbandsklage, S. 4 Rn. 10. 149 Früher: § 304 Clean Air Act, heute: § 42 U.S. Code § 7604 – Citizen suits. 150 Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 426, 435 f.
II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes 85
denswiedergutmachung gefordert.151 Die citizen suits ähneln einer egoistischen Verbandsklage, die nicht die individuelle Rechtsverletzung heilen, sondern das Umweltrecht effektivieren und unterrepräsentierten Interessen zur Berücksichtigung verhelfen sollen.152 Wenig später kamen aus den USA neue Gedanken- und Diskussionsimpulse für ein Treuhandmodell zugunsten der Natur. Christopher D. Stone verbreitete im Jahr 1972 durch sein Werk Should trees have standing? den Gedanken der Rechtssubjektivität der Natur. Er schlug vor, den Problemen der Justiziabilität durch ein prozessstandschaftliches, treuhänderisches Auftreten der Verbände begegnen zu können.153 Dadurch wurde eine Diskussion über die Eigenrechte der Natur losgetreten,154 die aber nicht zuletzt wegen der anthropozentrischen Ausrichtung der (Grund-)Rechte weitgehend in der ethischen Sphäre verblieb und abebbte. Dennoch fand Stones Idee nicht zuletzt durch die Umweltkrise in den 1970erJahre insoweit Zuspruch, als die anthropozentrische Betrachtung der Welt und die fehlende Vertretungsmöglichkeiten der Umweltbelange zunehmend hinterfragt wurden.155 b) Das wachsende Umweltbewusstsein und die ersten legislativen Reaktionen In Deutschland begannen die Diskussionen über Verbandsbeteiligungen in Umweltangelegenheiten in den 1960er- und 1970er-Jahre. Sie fußen auf einem exponentiellen Wachstum der Umweltschutzorganisationen und den emanzipatorischen wie partizipatorischen Bürger:innenbewegungen.156 Zu jener Zeit herrschte tiefe Skepsis bezüglich der repräsentativen Demokratie und der Umweltverwaltung im Allgemeinen.157 Erste Forderungen nach einer Verbandsklage wurden schon im Jahr 1967 laut durch den Deutschen Rat für Landespflege und später dann im Jahr 1974 durch einige Natur- und Umweltschutzverbände gestützt auf ein Gutachten des Sachverständigenrats für 151 Ebd.,
S. 440. S. 466; vgl. auch Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (474). 153 Stone (2010), Should Trees Have Standing?, S. 103 ff. 154 Vgl. etwa von Lersner, Gibt es Eigenrechte der Natur, NVwZ 1988, 988; Sening, Eigenwert und Eigenrechte der Natur?, NuR 1989, 325; Heinz, Eigenrechte der Natur, Der Staat 29 (1990), 415. 155 Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 4 Rn. 9. 156 Vgl. Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 82, Fn. 171 m. w. N.; Sußmann (2006), Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite, S. 187; Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage, S. 1 Rn. 2. 157 Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage, S. 1 Rn. 2. 152 Ebd.,
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
Umweltfragen158.159 In diesem Gutachten wurde sich auf das Vollzugsdefizit160 im Umweltrecht und auf das eingangs erwähnte Werk Bürgerklage im Umweltrecht von Eckard Rehbinder, Hans-Gerwin Burgbacher und Rolf Knieper bezogen.161 Die Autoren hatten hier erstmalig deutlich gemacht, dass das Konzept einer Bürgerklage in das Verwaltungsrecht inkorporiert werden kann und muss.162 Grund dafür sei die mangelhafte Durchsetzung und Implementierung des Umweltrechts durch die Behörden. Defizitäre Verwaltungsorganisation und die strukturelle Benachteiligung von Umweltbelangen in Politik und Recht seien dafür wiederum ursächlich.163 Ein Jahr nach dem Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (1975) reichten die Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, des Inneren und der Justiz einen Gesetzeseinwurf ein, der keine Verbandsklagemöglichkeit, sondern nur ein Mitwirkungsrecht enthielt.164 In den Regierungserklärungen im Jahr 1976165 und im Jahr 1980 gab es von der Bundesregierung Anstrengungen166 und einen konkreten Vorschlag167 zur Einführung einer bundeseinheitlichen Verbandsklage, welche jedoch angesichts des Regierungswechsels im Jahre 1982 nicht umgesetzt werden konnten. Nach Veröffentlichung der rechtsdogmatischen Studie Treuhandklage zugunsten von Natur von Erich Gassner168 im Jahr 1984, wurde im Jahr 1988 eine Klage von Verbänden im Namen von Seehunden (sog. Robbenklage) eingereicht. Das rechtliche Ziel war, das Seehundesterben – hervorgerufen durch Dünnsäureverklappung – in der Nordsee gerichtlich zu beenden. Die Klage wurde mangels Rügebefugnis erwartungsgemäß abgewiesen.169 Die tatsächlichen Ziele lagen außerhalb des Gerichtssaals. Es sollte ein Bewusstsein geweckt werden, der eigenen Herkunft mit Verantwortung und Respekt zu begeg-
158 BT-Drs.
7/2802, S. 177 f. Sitzung des Bundestagsausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten v. 03.10.1974. 160 BT-Drs. 7/2802, S. 177 Rn. 650 f.; der Sachverständigenrat formuliert es drastischer: Das Verhalten der Behörden grenze an „Vollzugsverweigerung“. 161 BT-Drs. 7/2802, S. 177 Rn. 651. 162 Rehbinder/Burgbacher/Knieper (1972), Bürgerklage im Umweltrecht, S. 15 ff. 163 Ebd., S. 18 ff. 164 § 29 BNatSchG a. F., vgl. BT-Drs. 7/5251, S. 13. 165 Hier wurde eine Verbandsklage für die Planungs- und Genehmigungsverfahren im Atomrecht gefordert, vgl. Plenarprotokoll v. 16.12.1976, S. 36. 166 Vgl. Regierungserklärung vom 24.11.1980, siehe dazu Plenarprotokoll 9/5, S. 35. 167 Es wurde ein § 29a BNatSchG entworfen, vgl. hierfür Schlichter, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, UPR 1982, 209 (213). 168 Gassner (1984), Treuhandklage zugunsten von Natur. 169 VG Hamburg, Beschl. v. 22.09.1988, Az. 7 VG 2499/88. 159 40.
II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes 87
nen.170 Es wurde hinterfragt, mit welcher Legitimation der Mensch sich das Recht an der Natur nimmt und es dieser verweigert.171 Rechtlich ging die Klage zwar verloren, aber auf politischer Ebene wurde kurze Zeit später die Dünnsäureverklappung ausnahmslos verboten. Aktualisiert wurde die Debatte rund um die Eigenrechte von Natur und Tieren172 durch die Verfassungsbeschwerde von Ferkeln, vertreten durch PETA, die allerdings nicht zur Entscheidung angenommen wurde.173 In der legislativen Diskussion war es am Anfang und in der Mitte der 1990er-Jahre erstmal ruhiger geworden. Weder die Novellierung des BNatSchG aus dem Jahr 1988 noch aus dem Jahr 1994 sah entgegen den Gesetzentwürfen von SPD174 und Die Grünen175 eine Verbandsklage vor. Der Professorenentwurf,176 der Kommissionenentwurf177 und der spätere Referentenentwurf178 zum UGB enthielten Verbandsklagebefugnisse. Sie wurden allerdings nicht in das Gesetzgebungsverfahren überführt, sondern bereits im Rahmen des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes im Jahr 1991 limitiert.179 Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen legten im Jahr 1995 erneut Gesetzesentwürfe zu den Verbandsklagen vor.180 In dem Ende 1996 veröffentlichen Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes erkannte die Bundesregierung ausdrücklich an, dass die „aufgezeigten Entwicklungen […] ganz wesentlich auf Vollzugsschwierigkeiten, insbesondere der relativ geringen Durchsetzungskraft der Naturschutzbehörden [beruhen]“ und die im BNatSchG bestehenden Regelungsmängel diese Defizite im Voll-
170 Vgl.
Schröter/Bosselmann, Die Robbenklage, ZUR 2018, 195. Schröter/Bosselmann, Die Robbenklage, ZUR 2018, 195 (196), die anschaulich von dem Versuch einer Beweislastumkehr sprechen. 172 So hat sich auch jüngst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages (2021), Zur Diskussion über die Anerkennung einer eigenen Rechtspersönlichkeit von Natur und Umwelt, damit beschäftigt. 173 BVerfG, Beschluss v. 14.05.2021, Az. 1 BvR 2612/19, ohne Begründung (juris). 174 BT-Drs. 12/3487. 175 BT-Drs. 12/4105. 176 § 133 UGB-ProfE, vgl. Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 12 f. Rn. 26. 177 § 45 UGB-KomE, Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 13 Rn. 26. 178 § 40 ff. UGB-RefE. 179 BGBl. I 1992, S. 2174; vgl. auch Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage, S. 8, Rn. 17, S. 10, Rn. 23 f. Restriktionen waren hierbei die Zulassungsberufung und die Verkürzung des Instanzenzuges, Letztere besteht heute noch in § 47 VwGO für einige Infrastrukturmaßnahmen. 180 BT-Drs. 13/1930; BT-Drs. 13/3207. 171 Vgl.
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
zug verstärken.181 Dennoch sah die Bundesregierung die Lösung nicht in einem Verbandsklagerecht, sondern weiterhin in Partizipationsrechten.182 Letztendlich versagte der Bundesrat dem Gesetzesentwurf den Zuspruch am 8. Juli 1997.183 Im Jahr 1998 sollte dann ein Wechsel der Regierung die Implementierung des Verbandsklagerechts als ein „Instrument der Demokra tie“184 vorantreiben. c) Die landesrechtlichen Vorreiter Es dauerte bis zum Jahr 2002, bis die erste bundesweit geltende Verbandsklage in Kraft trat. Der Bund wartete die landesrechtliche Entwicklung der Verbandsklage lange ab. Nachdem Bremen185 als erstes Bundesland eine Verbandsklage schuf, schließen sich Hessen (1980),186 Hamburg (1981),187 Berlin (1983),188 Saarland (1987),189 Sachsen-Anhalt (1992),190 Brandenburg (1992),191 Sachsen (1992),192 Thüringen (1993),193 Schleswig-Holstein (1993),194 Niedersachsen (1993),195 Rheinland-Pfalz (1994),196 Nordrhein-
181 Vgl. 182 Vgl.
a. F.
BT-Drs. 13/6441, S. 31. Abschnitt 7 des Gesetzes „Mitwirkung von Vereinen“, §§ 54 ff. BNatSchG
183 BT-Drs.
13/8180. 14/3 v. 10.11.1998, S. 61. 185 § 44 BremNatSchG, Brem. Bürgerschaft-Drs. Nr. 9/1130 v. 20.08.1979, S. 4. 186 § 36 HENatSchG, GVBl. 1980/19, S. 309; ausführlich Radespiel (2007), Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, S. 113 ff. 187 § 41 HmbNatSchG, GVBl. 1981/36, S. 167; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 154 ff. 188 § 39a Abs. 2 S. 1 BerlNatSchG, GVBl. 1983/10, S. 1290; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 172 ff. 189 § 33 SNG, ABl. 1987/24, S. 569; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 195 ff. 190 § 52 NatSchG LSA, GVBl. 1992/7, S. 108; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 209 ff. 191 § 65 BNatSchG, GVBl. 1992/6, S. 271; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 222 ff.; Brandenburg regelte sogar die Verbandklage verfassungsrechtlich, Art. 39 Abs. 9 Verfassung des Landes Brandenburg. 192 § 58 SächsNatSchG, GVBl. 1992/37, S. 571; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 253 ff.; Sachsen sah in Art. 10 Abs. 2 der Verfassung einen Auftrag an den Landesgesetzgeber zur Einführung einer naturschutzrechtlichen Verbandsklage vor. 193 § 46 VorlThürNatG, GVBl. 1993/4, S. 57; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 272 ff. 194 § 51c LNatSchG SH, GVBl. 1993/9, S. 215; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 279 ff. 195 § 60c NdsNatSchG, GVBl. 1993/29, S. 444; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 297 ff. 184 Plenarprotokoll
II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes 89
Westfalen (2000)197 und Mecklenburg-Vorpommern (2002)198 an. Bayern199 und Baden-Württemberg haben bis heute keine landesrechtlichen Umweltverbandsklagen erlassen. Am 4. April 2002 trat der damalige § 61 BNatSchG in Kraft. Erstmalig war damit eine bundesweit geltende Verbandsklage geschaffen worden.200 Nicht zuletzt das exponentielle Wachstum der Umweltschutzorganisationen, sondern auch die Tatsache, dass im Jahr 2001 mehr Menschen in Naturschutzverbänden Mitglied waren als in politischen Parteien, zeigte deutlich, dass die Wertschätzung von Natur in der Bevölkerung vollständig angekommen war.201 Dennoch war der § 61 BNatSchG auf drei202 Klagegegenstände begrenzt. Die bundeseinheitliche Regelung ging nicht wesentlich über die landesrechtlichen Verbandsklagemöglichkeiten hinaus, sodass sie insbesondere nur für Bayern und Baden-Württemberg bedeutsam war.203 Die bundeseinheitliche Verbandsklage führte zu verschiedenen Reaktionen der Landesgesetzgeber. Einerseits wurden extensivere landesrechtliche Klagekataloge an den „minimalistischen“ Bundesstandard angepasst.204 Andererseits wurden aber auch Klagerechte erweitert.205 Überwiegend sind die landesrechtlichen Klagerechte mit der Zeit entweder eingeschränkt oder abgeschafft worden.206 Das europa- und völkerrechtlich bedingte UmwRG sollte diesem Negativtrend Einhalt bieten.
196 § 37b LPflG, GVBl. 1994/15, S. 280; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 331 ff. 197 § 12b LG NRW, GVBl. 2000, S. 487 ff.; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 346. 198 § 65a LNatG, GVBl. 2002, S. 531; ausführlich Radespiel (2007), ebd., S. 355 ff. 199 Es ist auf die verfassungsrechtliche Popularklagemöglichkeit Art. 98 Satz 4 BayVerf i. V. m. Art. 55 VfGHG hinzuweisen. 200 BGBl. I 2002, S. 1193; heute § 64 BNatSchG. 201 Sondergutachten für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes (2002), BT-Drs. 14/9852, S. 20, Rn. 23; vgl. auch Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 7 Rn. 16. 202 Beschränkt auf (i) Befreiung von Ver- und Geboten in Naturschutzgebieten, (ii) Planfeststellungsbeschlüsse über Vorhaben mit Eingriffen in Natur oder Landschaft, (iii) Plangenehmigungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung. 203 Vgl. Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 9 Rn. 20. 204 Vgl. für Hessen: Schrader, Das Naturschutzrecht der Länder, NuR 2003, 80 (85 f.); für Sachsen-Anhalt: Radespiel (2007), Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, S. 95. 205 So etwa in Brandenburg und Schleswig-Holstein, vgl. für Letzteres: GVBl. 2003/10, S. 339. 206 Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 10 Rn. 22, S. 132 ff. Rn. 337 ff.
90
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
2. Entstehung des UmwRG Das UmwRG wurde und wird bedingt durch den gemeinschaftsrechtlichen Druck mit heißer Nadel gestrickt. Die Aarhus-Konvention setzt die Mindeststandards des Umweltrechtsschutzes (dazu unter a)). Die Rechtsprechung des EuGH konkretisiert sie stetig (dazu unter b)) und macht legislative Reaktionen erforderlich (dazu unter c)). a) Gemeinschaftsrecht als Maßstab Auf europarechtlicher, völkerrechtlicher als auch nationaler Ebene wird das Vollzugsdefizit im Umweltrecht moniert.207 Im Jahr 1998 wurde auf der vierten paneuropäischen Konferenz im dänischen Aarhus diesen Vollzugsdefiziten der Kampf angesagt. Es wurde der Grundstein für einen umfassenden Umweltrechtsschutz gesetzt (dazu unter aa)), welcher durch EU-Richtlinien in das europäische Recht und durch das UmwRG in das nationale Recht übertragen wurde (dazu unter bb)). aa) Aarhus-Konvention (1) Der Weg zur Aarhus-Konvention International wurden seit der 1960er-Jahre in Form von unverbindlichem „soft law“208 Informations- und Beteiligungsrechte sowie teilweise Rechtsschutzmöglichkeiten in Umweltangelegenheiten gestärkt.209 In den 1970erund 1980er-Jahren entwickelten und intensivierten sich das Umweltbewusstsein und die Umweltpolitik, sodass die Grundsätze der Informations- und Beteiligungsrechte und des Rechtschutzes bekräftigt wurden in der UNKonferenz über die menschliche Umwelt im Jahr 1972,210 der Weltcharta für die Natur aus dem Jahr 1982,211 der Europäische Charta zu Umwelt und Gesundheit aus dem Jahr 1989212 sowie der Deklaration von Rio aus dem Jahr 1992213. 207 Vgl.
Karge (2010), Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, S. 20 m. w. N. kann z. B. durch unverbindliche Erklärungen, Empfehlungen oder Resolutionen erfolgen. 209 Vgl. Auflistung in UN ECE (2014), Aarhus-Convention: An Implementation Guide, S. 16 f. 210 Report of the United Nations Conference on the Human Environment v. 03.07.1972, Doc. A/Conf. 48/14, Principle 10, Recommendation 7. 211 Weltcharta der Natur, Resolution der Generalversammlung v. 28.10.1982, UNDok.A/RES/37/7 Annex, Implementation, Rn. 15 f./18/23. 212 Europäische Charta zu Umwelt und Gesundheit (1989), S. 2. 208 Dies
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Aber nicht nur durch soft law, sondern auch durch verbindliche Regelungen wurden diese Rechte gestärkt. Nicht umweltspezifisch wurden im Jahr 1950 im Art. 10 Abs. 1 S. 2 EMRK und später im Jahr 1966 durch den Art. 19 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte allgemeine Informationsbeschaffungsfreiheiten gefestigt. Umweltspezifisch statuierten die Konventionen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen (1991),214 über den Schutz und die Nutzung grenzüberschreitender Wasserläufe (1992)215 und über die grenzüberschreitenden Auswirkungen industrieller Unfälle (1992)216 Partizipationsund Informationsrechte. Auch europarechtliches Sekundärrecht wie die Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung aus dem Jahr 1985 und die Richtlinie 90/313/EWG über den freien Zugang zu Umweltinformationen aus dem Jahr 1990 ebneten erstmalig die Umsetzungspflichten der Informationsrechte innerhalb der Mitgliedsstaaten.217 Nachdem in Budapest die Sofia-Guidelines218 als Rahmenbedingungen für die Aarhus-Konvention ausgearbeitet waren, brauchte es nur knapp zwei Jahre bis am 25. Juni 1998 das UN-ECE219-Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, die AarhusKonvention verabschiedet werden konnte. Sie trat am 30. Oktober 2001 in Kraft.220 Die europäische Genehmigung erfolgte am 17. Februar 2005221 und die deutsche Ratifikation am 15. Januar 2007, sodass die Aarhus-Konvention für die Europäische Gemeinschaft am 16. Mai 2005 und für Deutschland am 15. April 2007 bindend wurde.222 Beteiligungsrechte, Informationsrechte und Rechtsschutz sind nun nicht mehr bloß eine gute Tat, sondern eine gesetz 213 Report of the United Nations Conference on Environment and Development v. 12.08.1992, Dok.A/Conf. 151/26, Annex I, Principle 10. 214 BGBl. 2002 II, S. 1406. 215 BGBl. 1994 II, S. 2333. 216 BGBl. 1998 II, S. 1527. 217 Daneben gab es auch die Umweltzeichenverordnung VO (EWG) 880/92 (1992), die Verordnung über Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung VO (EWG) 1836/93 (1993) und die Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (1996). 218 UN ECE Guidelines on Access to Environmental Information and Public Participation in Environmental Decision-making, UN-Dok. ECE/CEP/24. 219 United Nations Economic Commission for Europe, deutsch: UN-Wirtschaftskommission für Europa. 220 Art. 20 Abs. 1 AK sah hierfür eine Ratifizierung in mindestens 16 Mitgliedstaaten vor. 221 Beschluss des Rates, 2005/370/EG, ABl. L 124 v. 17.05.2005, S. 1. 222 Art. 20 Abs. 3 AK, der für das Inkrafttreten eine Frist von 90 Tage nach Ratifikation vorsah.
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liche Pflicht. Nach Art. 216 AEUV binden die von der Union geschlossenen Übereinkünfte sowohl die Organe der Union als auch die Mitgliedstaaten. (2) Die Rolle und das Ziel der Aarhus-Konvention Die Aarhus-Konvention statuiert innerstaatliche Mindeststandards für den prozedural-rechtlichen Umweltschutz, die gesellschaftliche Information und Beteiligung (Befugnistrias).223 Wenn die Konkretheit und Verbindlichkeit bei dem Informationsanspruch in Art. 4 AK noch gelingen,224 so lassen sie bei den Ansprüchen auf Beteiligung (Art. 7 AK und Art. 8 AK) deutlich nach und beim Rechtsschutz aus Art. 9 Abs. 3 AK sich nahezu gänzlich vermissen. Folglich kommen weite Teile der Aarhus-Konvention nicht über eine bloße unverbindliche Appellwirkung für die Vertragsstaaten hinaus, deren Realisierung von der innerstaatlichen Bereitschaft abhängt.225 Die Besonderheit der Aarhus-Konvention ist dennoch, dass sie trotz des Status eines völkerrechtlichen Vertrages nicht die Mitgliedstaaten untereinander, sondern die Mitgliedstaaten im Verhältnis zu ihren Bürger:innen adressiert.226 Anders als die bisherigen völkerrechtlichen Pflichten werden die Staaten nicht mehr nur noch bei grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen zur Konsultation, Partizipation, und Information verpflichtet, sondern allgemein zur Schaffung der Befugnistrias im Bereich des nationalen Umweltschutzes.227 Neben dem Schutz der Umwelt sollen die Transparenz, das Bewusstsein der Öffentlichkeit und die Verwaltungskontrolle im Bereich des Umweltrechtes gestärkt werden.228 Damit dies gelingt, sieht es die Konvention als unerlässlich an, die Bür ger:innen mit der Befugnistrias auszustatten.229 Die Konvention erkannte die wichtige Rolle der einzelnen Bürger:innen und Verbände im Bereich des 223 Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (248); Epiney et al., AarhusKonvention, 1. Aufl. 2018, Einf. Rn. 13. 224 Art. 4 AK hat „self-executing“-Charakter, vgl. Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 248; Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (250). 225 Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (252); dies war aber auch von Anfang an von der Konvention bezweckt, vgl. Art. 3 Abs. 1 AK. 226 So auch Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 12; Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (249). 227 Vgl. Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 248. 228 Erwägungsgrund 9 der AK „[…] contribute to public awareness of environmental issues, give the public the opportunity to express its concerns and enable public authorities to take due account of such concerns.“ Und Erwägungsgrund 10 der AK: „[…] to further the accountability of and transparency in decision-making and to strengthen public support for decisions on the environment.“ 229 Erwägungsgrund 8 der AK „[…] to be able to assert this right and observe this duty, citizens must have access to information, be entitled to participate in decisionmaking and have access to justice in environmental matters.“
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Umweltschutzes.230 Die Konvention strahlt die Überzeugung der partizipativeren Demokratie und einer besseren Meinungsbildung durch Informationen aus.231 Wissen die Bürger:innen mehr, fällt es ihnen leichter staatliches Handeln kritisch zu begleiten, gegebenenfalls Rechtsverstöße einzuklagen. Gemeinwohl wird so nicht mehr nur staatlich, sondern zunehmend gesellschaftlich kontrolliert. Damit tritt in Teilen eine Privatisierung von Allgemeinbelangen232 (sog. private enforcement) im Bereich des Umweltschutzes ein. Eine Privatisierung, die die staatliche Letztverantwortlichkeit aber nicht verdrängt, sondern ergänzt233 und den Output staatlichen Handelns optimiert.234 Der erweiterte und effektivierte Gemeinwohlschutz wird nicht nur, aber insbesondere für die mittel- und osteuropäischen Mitglieder als (Weiter-)Entwicklung von Demokratie235 und Rechtsstaat verstanden.236 Die Konvention reagiert auf den gesellschaftspolitischen Umbruch in den Jahren 1989 und 1990 in Mittel- und Osteuropa. Das Streben nach Transparenz in der Umweltverwaltung in den ehemaligen Ostblockstaaten wuchs.237 Die Weiterentwicklung einer partizipativeren Demokratie findet allerdings mit eher demokratiefremden Mitteln statt. Staatliches Handeln wird nicht mehr allein durch Wahlen legitimiert, sondern es rückt eine Ausgestaltung eines pluralistischen politischen Systems in den Mittelpunkt.238 Bürger:innen sollen nicht mehr nur den status subiectionis (Pflichtenverhältnis zum 230 Erwägungsgrund 13 der AK „[…] the importance of the respective roles that individual citizens, non-governmental organizations and the private sector can play in environmental protection.“ 231 Vgl. von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (273); Partsch, Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz, NJW 1998, 2259. 232 Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 157 ff.; Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage, NJW 2003, 97 (99 f.); Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 234 f.; von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (274 f.); Sußmann (2006), Vollzugs und Rechtsschutzdefizit, S. 114. 233 Vgl. Müller-Terpitz, Beteiligungs- und Handlungsmöglichkeiten nichtstaat licher Organisationen, AVR 43 (2005), 466 (491); so weist Groß, Die Klagebefugnis als gesetzliches Regulativ, Die Verwaltung 43 (2010), 349 (370 f.) zutreffend darauf hin, dass bloß die Kontrolle „privat“ initiiert wird, die Entscheidung dagegen staatlich erfolgt; eine Privatisierung ablehnend Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 129. 234 Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 160. 235 Dazu unter G. III. 236 Vgl. UN ECE (2014), Aarhus-Convention: An Implementation Guide, S. 3; Zschiesche, Mehr Bürgerbeteiligung durch umweltrechtliche Standards, ZUR 2001, 177; Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 247. 237 Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 5. 238 Vgl. SRU (2005), Rechtschutz für die Umwelt, S. 7 Rn. 13; Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 235.
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Staat)239, den status libertatis (Freiheitsverhältnis zum Staat)240 und den status civitatis (Leistungsrecht gegenüber Staat)241 haben, sondern im status activus (Teilhaberecht)242 wachsen. Dieser wird dafür um den status activus cooperationis243 oder status procuratoris244 ergänzt, welcher die Mitverantwortung der Bürger:innen materialisiert, die Kontrolle des Umweltrechts effektiviert245 und eine engere Verbindung zwischen Staat und Bürger:innen etabliert: „In dem Gefühl, nicht nur als fremdbestimmter Untertan, sondern als mitwirkender und damit auch verantwortungstragender Bürger an hoheitlichen Entscheidungen teilzunehmen, fällt die Identifikation mit dem abstrakten Gebilde ‚Staat‘ leichter.“246 Die Bürger:innen treten ihm nicht mehr nur ausschließlich zum Schutz ihrer Individualbelange gegenüber, sondern sind Prokurator:innen von gemeinwohlbezogenen Befugnissen.247 Sie sind nun Subjekte in einem aktivierenden Staat, der seine Bürger:innen in hoheitliche Entscheidungen integriert.248 Auch der durch die Aarhus-Verordnung bezweckte Informations- und Beteiligungsgewinn ist für die Verständigung und Zusammenarbeit in einem aktivierenden Staat von zentraler Bedeutung.249 Die Aarhus-Konvention regelt damit eine Veränderung der sektoralen Grundsätze des Staat-Bürger:in-Verhältnisses im Bereich des Umweltschutzes.250 Eine Veränderung, die nicht nur die Demokratien in den Oststaaten fordert und fördert, sondern auch die Demokratie in Deutschland verändert.251 (1919), System der subjektiven öffentlichen Rechte, S. 81 ff. S. 94 ff. 241 Ebd., S. 114 ff. 242 Ebd., S. 136 ff. 243 Begriff von Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), 43 (81 ff.). 244 Begriff von Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 225 ff. 245 Pernice, Gestaltung und Vollzug des Umweltrechts, NVwZ 1990, 414 (424); vgl. auch Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 316. 246 Tomerius (1995), Informelle Projektabsprachen im Umweltrecht, S. 132. 247 Dass es bei den Individualklagen immer noch subjektive Rechte sind, unter D. II. 4. a). 248 Vgl. Baer (2006), „Der Bürger“ im Verwaltungsrecht, S. 249 f. 249 Ebd., S. 250 f. 250 Vgl. Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 235; Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 40 m. w. N. 251 Durner, Rechtspolitische Spielräume im Bereich der dritten Säule, in: Durner/ Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume (2005), 64 (68 f.); so bezeichnetet auch Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 227 „prokuratorische Befugnisse“ als grundlegend unterschiedlich zu „originär demokratischen Befugnissen“; dazu unter G. I. und II. 239 Jellinek 240 Ebd.,
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(3) Inhalt der Aarhus-Konvention Die drei namensgebenden Themenkomplexe finden sich in Art. 1 AK, wonach „jede Vertragspartei das Recht auf Zugang zu Informationen, auf Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und auf Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“ gewährleisten muss. Aufgrund des Dreiklangs dieser Zielrichtung wird allgemein von den „drei Säulen“ der AarhusKonvention gesprochen (dazu unter (aa) bis (cc)). Den Zielbestimmungen in Art. 1 AK folgen die Begriffsbestimmungen in Art. 2 AK und die allgemeinen Bestimmungen in Art. 3 AK. Die Aarhus-Konvention differenziert in Art. 2 Nr. 4 und 5 zwischen der „Öffentlichkeit“ und der „betroffenen Öffentlichkeit“. Mit der allgemeinen Bezeichnung der Öffentlichkeit werden die Bür ger:innen gesellschaftsweit und unabhängig von einer Betroffenheit erfasst.252 Zur betroffenen Öffentlichkeit i. S. d. Art. 2 Nr. 5 Hs. 1 AK gehört die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran. Für die Verbände wird dieses Interesse nach dem zweiten Halbsatz fingiert, wenn sie „alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen“. Sofern die Anerkennung nach § 3 UmwRG als innerstaatliches Recht erfüllt ist, gehören die Umweltverbände also per definitionem zur betroffenen Öffentlichkeit i. S. d. der Konvention. In Artt. 10 bis 22 AK sind allgemeine Regelungen bezüglich der Organisation, der Tagungen, Änderungen und der Ratifizierung geregelt. Besonders hervorzuheben ist Art. 15 S. 1 AK, wonach die Tagung253 Konsensentscheidungen über eine „freiwillige, nichtstreitig angelegte, außergerichtliche und auf Konsultationen beruhende Überprüfung der Einhaltung der Bestimmungen“ trifft. Damit soll dem völkerrechtlichen Umstand Rechnung getragen werden, dass keine Kontrollinstanz über die Einhaltung eines Vertrages wacht.254 Die Vertragsparteien haben durch das Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC) diesen Kontrollmechanismus geschaffen.255 Das ACCC wird nicht nur auf Antrag von einem Mitgliedstaat, sondern auch bei Anträgen aus der Gesellschaft aktiv.256 Stellt das ACCC einen Verstoß gegen die Bestimmungen der Konvention fest, hat es nach obligatorischem Bericht an die Tagung grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Es kann Ratschläge Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (230). Organ der Konvention, die grundsätzlich alle drei Jahre stattfindet. 254 Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 40. 255 Decision I/7, Report of the first Meeting of the Parties v. 02.04.2004, Dok. ECE/MP.PP/2/Add.8; vgl. dazu Epiney et al., Aarhus-Konvention, 1. Aufl. 2018, Art. 15, Rn. 1 ff. 256 Decision I/7, ebd., S. 4, Nr. 17; vgl. dazu Epiney et al., ebd., Rn. 4. 252 Scheyli,
253 Oberstes
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für die Behebung des Umsetzungsdefizits geben oder nach empfohlener Umsetzung von der jeweiligen Vertragspartei eine Umsetzungsstrategie inklusive Zeitrahmen verlangen.257 Diese Möglichkeiten können aber nur nach Absprache mit der jeweiligen Vertragspartei erfolgen, sodass der Charakter der Freiwilligkeit und Nichtstreitigkeit aus Art. 15 AK dominiert.258 Die Tagung der Vertragsparteien kann indes auch ohne Absprache mit der jeweiligen Vertragspartei Empfehlungen des ACCC annehmen. Sie kommen dann einer über den Einzelfall hinausgehenden autoritativen Auslegung sowie Präzisierung der Bestimmungen gleich und sind quasi-verbindlich für die Vertragsparteien.259 (a) Erste Säule: Informationsrechte Die erste Säule sichert durch Art. 4 AK und Art. 5 AK den Zugang zu umweltbezogenen Informationen. Art. 4 AK regelt den bedingungslosen Anspruch einer natürlichen und juristischen Person Informationen über die Umwelt von einer Behörde zu erhalten. Dadurch wird ein Popularanspruch geregelt, der sich als subjektives Recht reibungslos in das deutsche Rechtssystem fügt.260 Der Anspruch kann gestützt auf die abschließend aufgezählten Ablehnungsgründe aus Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 AK versagt werden. Art. 4 Abs. 4 S. 2 AK sieht ausdrücklich eine enge Auslegung der Ablehnungsgründe vor. Allgemeinere Reglungen finden sich in Art. 4 Abs. 2 (Frist), Abs. 5 (Vorgehen bei Unzuständigkeit), Abs. 6 (Teil-Informationen), Abs. 7 (Ablehnung) und in Abs. 8 (Gebühren). In Art. 4 AK wird damit der Anspruch auf ein bloßes – passives – Gewähren der Informationen geregelt, dessen Wirksamkeit durch Art. 5 AK gesichert werden soll. Nach Art. 5 AK müssen die notwendigen Voraussetzungen für den aus Art. 4 AK geforderten Zugang zu Informationen – aktiv – geschaffen werden.261
257 Decision
I/7, ebd., S. 7, Nr. 37. auch Epiney et al., Aarhus-Konvention, 1. Aufl. 2018, Art. 15 Rn. 7. 259 Epiney et al., Aarhus-Konvention, 1. Aufl. 2018, Art. 15, Rn. 7; Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 42 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung zum UmwRG 2017, das mehrfach auf die Ausführungen des ACCC verweist, BT-Drs. 18/9526, S. 23, 31 ff. 260 Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (233, 246, 249 f.); Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 248. 261 Es wird deshalb auch von einer aktiven Informationspflicht/-gewährung gesprochen, vgl. Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 20; siehe auch Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (233 f.); von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (275), dort Fn. 44. 258 So
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(b) Zweite Säule: Beteiligungsrechte Die Beteiligungsrechte finden sich in Art. 6 bis Art. 8 AK und ergänzen die Informationsrechte. Es werden drei verschiedene Mitwirkungsformen unterschieden. Zunächst ist die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten262 in Art. 6 AK geregelt. Diese Tätigkeiten werden wiederum in zwei Arten unterteilt: Bei Tätigkeiten aus dem Anhang I ist die Beteiligung obligatorisch, wohingegen bei Tätigkeiten außerhalb des Anhangs I die Beteiligung nur dann verpflichtend ist, wenn diese (nach innerstaatlichem Recht) erhebliche Auswirkungen für die Umwelt haben können. Anders als Art. 4 AK beinhaltet Art. 6 AK keinen Popularanspruch, sondern die Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit (Art. 6 Abs. 2 AK). Art. 6 AK gewährleistet zwar die Öffentlichkeitsbeteiligung („Ob“), die Modalitäten („Wie“) sind weitestgehend dem Gestaltungsspielraum der Mitgliedsstaaten überlassen.263 In Art. 7 AK ist deutlich knapper die Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltbezogenen Plänen, Programmen und Politiken statuiert.264 Für die Beteiligung an Plänen und Programmen lässt es Art. 7 S. 1 AK ausreichen, dass „angemessene praktische und/oder sonstige Vorkehrungen dafür“ getroffen werden, um die Öffentlichkeit mit Informationen zu versorgen und dadurch die Beteiligung in einem „transparenten und fairen Rahmen während der Vorbereitung“ stattfinden kann. Diese erkennbar geringe rechtliche und sehr abstrakte Tragweite265 motivierte die UN-ECE, einen erweiterten Völkerrechtsvertrag, das sog. Kiewer Protokoll266, auszuarbeiten. Dort sind in Artt. 8, 10 Abs. 4, 11 Abs. 2 sowie in Anhang V konkretere Regelungen zu der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Plänen und Programmen und der Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen sowie der strategischen Um262 Unter Tätigkeiten wird im deutschen Verständnis das behördliche Verhalten im Rahmen von Genehmigungen oder anderen Verwaltungsentscheidungen gefasst, vgl. Epiney, Anforderungen der Aarhus-Konvention, ZUR 2003, 176 (177). 263 Vgl. Epiney, Anforderungen der Aarhus-Konvention, ZUR 2003, 176 (177); vgl. auch zu etwaigen Beschränkungen Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (235 ff.); vgl. auch exemplarisch dafür den Wortlaut aus Art. 6 Abs. 11 AK „[…] im machbaren und angemessenen Umfang […]“. 264 Darunter dürften politische Planungsinstrumente fallen, die i. d. R. keine Außenwirkungen haben, vgl. Epiney, Anforderungen der Aarhus-Konvention, ZUR 2003, 176 (177). 265 Epiney, Anforderungen der Aarhus-Konvention, ZUR 2003, 176 (177). 266 Deutsches Zustimmungsgesetz v. 03.06.2006, BGBl. II, S. 497; das Kiewer Protokoll dehnt die Pflicht zur Durchführung einer UVP aus und erweitert somit auch die sog. Espoo-Konvention (UNECE-Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Zusammenhang), vgl. dazu Epiney et al., Aarhus-Konvention, 1. Aufl. 2018, Einf. Rn. 15 ff.
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weltprüfungen geregelt. Art. 7 S. 3 AK überlässt die Beschränkung der beteiligungsberechtigten Öffentlichkeit dem Gestaltungsspielraum der zuständigen nationalen Behörden. Art. 8 AK regelt die Öffentlichkeitsbeteiligung während der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher normativer Instrumente,267 die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können. Auch hier ist wieder weniger eine bindende Verpflichtung denn ein bemühendes Fördern der Beteiligung bei den normativen Instrumenten zu finden.268 (c) Dritte Säule: Zugang zu Gericht Der für den Rechtsschutz wesentliche Art. 9 AK unterscheidet zwischen Verletzungen der Informationszugangsrechte aus Art. 4 AK (dazu unter (aa)), Verletzungen der Beteiligungsrechte aus Art. 6 AK (dazu unter (bb)) und Verletzungen sonstigen innerstaatlichen Umweltrechts (dazu unter (cc)). Allseitig verpflichtet Art. 9 Abs. 4 AK die Mitgliedsstaaten zu einem angemessenen und effektiven Rechtsschutz mit fairen, gerechten, zügigen und nicht übermäßig teuren Verfahren.269 Soweit es nötig ist, müssen die Vertragsparteien die Öffentlichkeit über die Überprüfungsmöglichkeiten informieren und etwaige Prozesskostenhilfe vorsehen (Art. 9 Abs. 5 AK). (aa) Rechtsschutz bei Verletzungen der Informationsrechte Die Verletzungen von Art. 4 AK können nach Art. 9 Abs. 1 AK vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle geltend gemacht werden.270 Der Anspruch auf Rechtsschutz knüpft an den voraussetzungslosen Informationsanspruch aus Art. 4 AK an, so dass für jede Person voraussetzungslos die Überprüfung der Informationsverstöße in Art. 9 Abs. 1 AK verankert ist.271 267 Dazu gehören Rechts- und Verwaltungsvorschriften, vgl. Bunge, in: Schlacke/ Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 33. 268 Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (241); von Danwitz, AarhusKonvention, NVwZ 2004, 272 (275); vgl. auch Epiney, Anforderungen der AarhusKonvention, ZUR 2003, 176 (178). 269 Zu dieser eigenständigen Hervorhebung kritisch Berkemann, Sinn und Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht, (2014), S. 15 f.; vgl. auch Heitsch, Rechtsschutz für Umwelt und Klima, EurUP 2020, 379 (383 ff.). 270 Letzteres ist auch als quasigerichtliche Überprüfung zu verstehen, von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (275 f.). 271 Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (243).
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(bb) Rechtsschutz bei Verletzungen der Beteiligungsrechte Nach Art. 9 Abs. 2 AK können Entscheidungen, die unter Art. 6 AK fallen, gerichtlich oder quasigerichtlich überprüft werden. Rügefähig ist dabei die verfahrensrechtliche und materiell-rechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen, für die Art. 6 AK gilt. Der Anwendungsbereich und die Bedeutung des Art. 9 Abs. 2 AK ist sehr weit, zumal nicht nur die Beteiligung, sondern vielmehr auch alle anderen Verfahrensmängel justiziabel sein sollen.272 Außerdem ist eine Begrenzung der Justiziabilität auf umweltbezogene oder drittschützende Vorschriften angesichts des weiten Wortlauts und des systematischen Vergleichs zu Art. 9 Abs. 3 AK nicht geregelt und damit nicht zulässig.273 Anders als Art. 9 Abs. 1 AK lässt Art. 9 Abs. 2 AK indes eine Qualifizierung der Rügebefugnis zu.274 Zunächst ist nur die „betroffene Öffentlichkeit“ aktivlegitimiert. Diese muss ein ausreichendes Interesse (Art. 9 Abs. 2 lit. a) AK) oder eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das innerstaatliche Verwaltungsprozessrecht dies verlangt (Art. 9 Abs. 2 lit. b) AK).275 Die Anforderungen an ein ausreichendes Interesse oder eine Rechtsverletzung bestimmt das innerstaatliche Recht. Es muss dabei das Ziel des weiten gerichtlichen Zugangs wahren (Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 AK). Die Rügebefugnis von Individualklagenden kann zumindest nach dieser Regelung weiterhin an engere Erfordernisse wie aus § 42 Abs. 2 VwGO geknüpft werden.276 Die Rügebefugnis der Verbände hingegen wird durch Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 AK privilegiert und der Ausgestaltungsspielraum der Vertragsparteien dahingehend begrenzt. Wie schon in Art. 2 Nr. 5 AK wird innerhalb des Art. 9 Abs. 2 AK das ausreichende Interesse der Verbände fingiert. (cc) Rechtsschutz bei Verletzungen sonstigen innerstaatlichen Umweltrechts Die für den nationalen Umweltrechtsschutz bedeutendste Regelung findet sich in Art. 9 Abs. 3 AK: 272 Vgl. Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 33. 273 ACCC, ACCC/C/2008/31 (Deutschland), v. 20.12.2013 bestätigt durch 5. Vertragsstaatenkonferenz der UN ECE, Decision V/9h, Report of the Compliance Committee v. 02.08.2017. 274 So auch von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (276). 275 Damit berücksichtigt die Konvention einerseits das z. B. in Frankreich bestehende Interessentenklagemodell und andererseits das Verletztenklagemodell, wie es z. B. in Deutschland grundsätzlich geregelt ist, vgl. von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (276). 276 Epiney, Anforderungen der Aarhus-Konvention, ZUR 2003, 176 (178).
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„Zusätzlich und unbeschadet der in den Absätzen 1 und 2 genannten Überprüfungsverfahren stellt jede Vertragspartei sicher, daß Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen“ (Hervorh. d. Verf.).
Im Verhältnis zu Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 AK steht Art. 9 Abs. 3 AK nicht etwa in Konkurrenz oder als weiter Auffangtatbestand, sondern er regelt den Zugang zu den Verfahren, die nicht unter Abs. 1 oder Abs. 2 fallen („Zusätzlich“).277 So sind aus systematischer Sicht wohl auch die Beteiligungsrechte aus Art. 7 über Art. 9 Abs. 3 AK justiziabel. Pläne und Programme im Sinne des Art. 7 AK können ebenfalls Handlungen oder Unterlassungen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 AK sein.278 Art. 9 Abs. 3 AK regelt keine konkreten prozeduralen Umsetzungsvorgaben.279 Es wird aber auch keine voraussetzungslose Zugangspflicht völkerrechtlich gefordert, sondern die Staaten können den Zugang an „etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien“ knüpfen. Wie diese auszugestalten sind, bleibt die autonome Aufgabe der Vertragsparteien.280 Bei jeder innerstaatlichen Ausgestaltung muss der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 9 Abs. 4 und Abs. 5 AK hinreichend gewürdigt werden. Mit Blick auf Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 AK, die die Voraussetzungen für die Rügebefugnis präzisieren, wird deutlich, dass die Konvention den Rechtsschutz in Art. 9 Abs. 3 AK bewusst offen geregelt hat,281 damit innerstaatliche prozessuale Besonderheiten berücksichtigt werden können. Einzig die grundsätzliche Pflicht, Überprüfungsverfahren zu ermöglichen, sichert Art. 9 Abs. 3 AK.282 Im Vergleich zu Art. 9 Abs. 2 AK fällt zudem auf, dass Handlungen oder Unterlassungen nur hinsichtlich der Verstöße gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften justiziabel sein müssen. Diese Handlungen oder Unterlassungen können aber sowohl von Behörden als auch Privatpersonen herrühren.
277 Europäische Kommission, Mitteilung v. 28.04.2017 über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, C(2017) 2616 final, Rn. 118. 278 Lammers/Römling, Das neue Governance-System der Europäischen Energieunion, ZUR 2019, 332 (338) m. w. N.; vgl. auch für SUP-pflichtige Pläne ACCC, ACCC/C/2011/58 (Bulgarien), v. 11.01.2013, Rn. 58; a. A. Kment, in: Hoppe/Beckmann/Kment, UVPG/UmwRG, 5. Aufl. 2018, UmwRG § 2 Rn. 29. 279 Vgl. von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (276). 280 Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage, S. 17 Rn. 39; Epiney et al., Aarhus-Konvention, 1. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 35. 281 Epiney, Anforderungen der Aarhus-Konvention, ZUR 2003, 176 (179). 282 Scheyli, Aarhus-Konvention, AVR 2000, 217 (246); Epiney et al., AarhusKonvention, 1. Aufl. 2018, Art. 9 Rn. 36.
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bb) Umsetzung Deutschland ist doppelt verpflichtet, die Aarhus-Konvention in nationales Recht umzusetzen. Zum einen europarechtlich als Teil der Europäischen Union, zum anderen völkerrechtlich als eigenständiges Mitglied der Konvention. Die doppelte Umsetzungspflicht gebietet auch einen doppelten Umsetzungsmaßstab, da die europarechtlichen Richtlinien über die Aarhus-Konvention hinausgehen und den Umsetzungsmaßstab für Deutschland als Mitgliedsstaat anheben können. Daher bietet sich die Darstellung der europarechtlichen Umsetzung im ersten Schritt an (dazu unter (1)), gefolgt von der nationalen Umsetzung (dazu unter (2)). (1) Europarechtliche Umsetzung (a) Umsetzung der 1. Säule Den Beginn machte am 14. Februar 2003 und damit vor der europäischen Genehmigung die Umsetzung der 1. Säule der Konvention. Die Richtlinie 2003/4/EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen in den Mitgliedstaaten (Umweltinformations-RL)283 ersetzte ihre Vorgängerrichtlinie aus dem Jahr 1990, die bereits vor der Aarhus-Konvention in Art. 3 Abs. 1 Informationspflichten und in Art. 4 a. F. ihre gerichtlichen Durchsetzbarkeiten regelte.284 Ab 2003 war der Informationsanspruch in Art. 6 normiert. Die Bürger:innen sollten so nicht nur besser mit den Behörden zusam menarbeiten,285 sondern vor allem zu kompetenten Sachwalter:innen von Umweltbelangen heranwachsen.286 Daneben verfolgen zahlreiche andere Richtlinien und Verordnungen die Ziele der 1. Säule. Auszugsweise sind hier die Wasserrahmenrichtlinie287 oder die Umwelthaftungsrichtlinie288 zu nennen.289 Bloß letztere verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 13, für bestimmte 283 ABl. L
41 v. 28.01.2003, S. 26. 90/313/EWG über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABl. L 158 v. 23.06.1990, S. 56. 285 Wirtschafts- und Sozialausschuss (1989), Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend den freien Zugang zur Information im Umweltbereich, ABl. C 139, S. 47. 286 Vgl. dazu Erichsen, Das Recht auf freien Zugang zu Informationen, NVwZ 1992, 409 (419). 287 Richtlinie 2000/60/EG, ABl. L 327 v. 23.10.2000, S. 1. 288 Richtlinie 2004/35/EG, ABl. L 143 v. 21.04.2004, S. 56; geändert durch Richtlinie 2006/21/EG, ABl. L 102 v. 15.03.2006, S. 15. 289 Für weiteres Sekundärrecht: Bunge, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), Einl. Rn. 47. 284 Richtlinie
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
Personen(gruppen) ein Prüfungsverfahren einzuführen, betont aber in Abs. 2 ausdrücklich, dass die Richtlinie „nationale Rechtsvorschriften über den Zugang zu den Gerichten unberührt“ lässt. (b) U msetzung der 2. Säule und des korrespondierenden Zugangs zu Gericht Zur Umsetzung der 2. Säule wurde am 25. Juni 2003 die Richtlinie 2003/35/EG über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme (Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL)290 verabschiedet. Die Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL bezweckte maßgeblich die Umsetzung der Aarhus-Konvention.291 Sie änderte dabei die Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPRL)292 sowie die Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL)293. Die Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL synchronisiert fast wortgleich die Art. 10a UVP-RL und Art. 15a IVU-RL mit Art. 9 Abs. 2 AK.294 Die IVU-RL wurde durch ihre Nachfolgerichtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen (IE-RL)295 aufgehoben. Art. 25 IE-RL regelt neben dem aktuellen Art. 11 UVP-RL fortan die gerichtliche Zugangspflichten. Auch diese beiden Artikel übernehmen nahezu wortgleich Art. 9 Abs. 2 AK. Da sich die nationale Umsetzungspflicht sich auf den Anwendungsbereich der Richtlinien beschränkt, muss Zugang zu einem Überprüfungsverfahren gewährleistet sein, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von UVP-pflichtigen Vorhaben und Genehmigungen von Industrieanlagen überprüfen lassen zu können.296 Ähnliche Regelungen trifft die Seveso-III RL,297 die in Art. 23 lit. b) unter Verweis auf Art. 11 UVP-RL eine Verbandsklagebefugnis für Planungen und Änderungen von Betrieben in der Nachbarschaft verlangt.
290 Ursprüngliche Fassung war die Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 257 v. 10.10.1996, S. 26; in der Fassung der Richtlinie 2003/35/EG, ABl. L 156 v. 25.06.2003, S. 17. 291 Vgl. Erwägungsgrund (5) und (9) der RL 2003/35/EG. 292 ABl. L 175 v. 27.06.1985, S. 40; geändert durch Richtlinie 97/11/EG, ABl. L 73 v. 03.03.97, S. 5; aktuelle Fassung der UVP-RL 2011/92/EU, geändert durch Richtlinie 2014/52/EU, ABl. 2018 L 156/26 v. 16.04.2014. 293 ABl. L 257 v. 24.09.1996, S. 26. 294 Vgl. Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz, ZEuS 2016, 49 (55). 295 ABl. L 334 v. 17.12.2010, S. 17. 296 Art. 11 Abs. 3 UVP-RL und Art. 25 Abs. 1 IE-RL. 297 Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen v. 04.07.2012, ABl. L 197 v. 24.07.2012, S. 1.
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Die Umsetzung hinsichtlich Art. 7 AK (Beteiligung bei Plänen und Politiken) sowie Art. 8 AK (Beteiligung an exekutiven Vorschriften) unterblieb bisweilen. (c) Umsetzung der 3. Säule Zur Umsetzung der dritten Säule sowie zur Bekämpfung des umweltrechtlichen Vollzugsdefizits in den Mitgliedstaaten298 wurde ein Kommissionsvorschlag299 entworfen. Die Richtlinie sollte dabei nicht nur die 3. Säule der Aarhus-Konvention implementieren, sondern vor allem den weiten Gestaltungspielraum und die abstrakten Regelungen aus Art. 9 Abs. 3 AK konkretisieren. Es sollten Rügemöglichkeiten von Verletzungen von Umweltrecht gemeinschaftsrechtlichen Ursprungs vor nationalen Gerichten verpflichtend sein.300 Um eine unionsrechtliche Popularklage zu vermeiden, wurde sich gegen ein allgemeines Klagerecht entschieden und die konkrete Ausgestaltung den Mitgliedstaaten überlassen.301 Hervorzuheben ist Art. 3 des Vorschlags, der erstmalig auch die Klagemöglichkeit gegen private Personen regeln sollte. Die Klagemöglichkeiten der Verbände302 sollten einerseits unabhängig von einem ausreichenden Interesse oder einer Rechtsverletzung sein, andererseits von der staatlichen Anerkennung, von der Berührung ihrer satzungsmäßigen Ziele303 und des geographischen Aktionsradius abhängig sein.304 Nachdem der Vorschlag im Jahr 2014 offiziell als „überholt“ zurückgezogen wurde,305 begann die Arbeit an einem neuen Entwurf. Ob dieser unter anderem angesichts der COVID-19-Pandemie und dem Krieg gegen die Ukraine an Priorität verlor, kann nur gemutmaßt werden. Die Arbeitsprogramme der Kommission erfassen die Entwurfsarbeit jedenfalls seit 2018 298 Vgl. dazu Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen v. 27.04.1999, COM(96) 500 final; First annual survey on the implementation and enforcement of Community environmental law v. 27.04.1999; SEC (1999) 592, 27/04/1999; Second annual survey on the implementation of Community environmental law SEC v. 13.07.2000, (2000) 1219, 13/7/2000; Dross, Die Access-Studie, ZUR 2004, 152, Fn. 6 m. w. N. 299 Europäische Kommission, COM(2003) 624 final v. 24.10.2003. 300 Art. 2 Abs. 1 lit. g) und Art. 4 des Richtlinienvorschlags; vgl. auch von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (276). 301 Vgl. Art. 4 des Richtlinienvorschlags. 302 Im Richtlinienvorschlag wurde der Begriff der „qualified entities“ verwendet, um die Differenzierung zwischen Verbänden und Bürgerinitiativen zu beseitigen, vgl. Dross, Die Access-Studie, ZUR 2004, 152 (154). 303 Vgl. Art. 8 des Richtlinienvorschlags. 304 Vgl. Art. 5 des Richtlinienvorschlags. 305 ABl. C 153 v. 21.05.2014.
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nicht mehr.306 In den Jahren 2017 und 2020 veröffentlichte die Kommission zumindest Mitteilungen über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten.307 Zudem hat die EU für den Rechtsschutz gegen unionales Handeln die Aarhus-Verordnung erlassen auf die später einzugehen sein wird.308 (2) Nationale Umsetzung Die Bundesregierung unterzeichnete zwar bereits im Jahr 1998309 die Aarhus-Konvention, wartete die unionale Umsetzung aber ab, da es nicht sinnvoll sei, das deutsche Recht unabhängig von geplanten Rechtsetzungsakten der Union anzupassen.310 Es bestehe die Gefahr, dass bei Divergenzen „wiederholter Anpassungsbedarf“ entstehen würde.311 Die legislative Umsetzung der Aarhus-Konvention erfolgte am 9. Dezember 2006.312 Zuvor wurden im Jahr 2004 die Umweltinformations-RL313 und die Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL314 in nationales Recht implementiert. Letztere schuf das Umw RG. Das UmwRG basiert somit auf der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL315 und sollte das Bundesrecht an den damaligen Art. 10a (heute Art. 11) UVPRL und Art. 15a (heute: Art. 25 IE-RL) IVU-RL anpassen.316 Das ursprüng306 Arbeitsprogramm 2018, COM(2017) 650 final v. 24.10.2017; Arbeitsprogramm 2019, COM(2018) 800 final v. 23.10.2018; Arbeitsprogramm 2020, COM(2020) 37 final v. 29.01.2020; Arbeitsprogramm 2021 COM(2020) 690 final v. 19.10.2020; Arbeitsprogramm 2022 COM(2021) 645 final v. 19.10.2021. 307 Europäische Kommission, Mitteilung v. 28.04.2017, C(2017) 2616 final; Mitteilung v. 14.10.2020, COM(2020) 643 final. 308 Dazu unter F. II. 2. 309 Wenn auch am letzten Tag der Frist (21.12.1998) und nicht als Erstunterzeichnerin. 310 Vgl. BT-Drs. 14/3568, S. 3. 311 BT-Drs. 14/3568, S. 3. 312 BGBl. II 2006, S. 1251. 313 Gesetz zur Neugestaltung des Umweltinformationsgesetzes und zur Änderung der Rechtsgrundlagen für den Emissionshandel v. 22.12.2004, das sog. Umweltinformationsgesetz (UIG); die Umsetzungsfrist fiel mit dem Tag des Inkrafttretens auf den 14.02.2005. 314 Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangele genheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) v. 07.12.2006, BGBl. I, S. 2816; die Umsetzungsfrist lief am 25.06.2005 ab. 315 Vgl. Titel des Gesetzes „Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG“ 316 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 1; es sollten damit Rechtsschutzmöglichkeiten für Verbände bei Zulassungsentscheidungen für die Industrieanlagen und Infrastrukturmaßnahmen nach der UVP-RL und der IVU-RL und bei Entscheidungen in umweltrechtlichen Entscheidungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung geschaffen werden.
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liche UmwRG diente damit, so soll betont sein, nicht der Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 AK, da der Gesetzgeber davon ausging, dass die 3. Säule „bereits vollständig durch bestehendes europäisches und innerstaatliches Recht umgesetzt“317 worden sei. Das UmwRG trat mit einer knapp halbjährigen Verspätung318 am 15. Dezember 2006 in Kraft.319 Der Rechtsprofessor und spätere Richter am EuGH Thomas von Danwitz sprach sich in einem Rechtsgutachten im Jahr 2005 gegen eine Lösung von dem subjektiven Klagerecht aus.320 Er folgerte aus der Aarhus-Konvention und der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL, dass die klagebefugten Verbände der prozessualen Rechtsstellung natürlicher und juristischer Personen gleichgestellt werden müssten.321 Im Rahmen eines parlamentarischen Abends, initiiert durch drei Industrieverbände322, wurde das Gutachten von von Danwitz zumindest erstmal für den Standpunkt dieser Verbände prägend. Von diesem Abend und Rechtsgutachten möglicherweise beeinflusst, verfolgte auch der Gesetzgeber eine Gleichstellung der Verbände mit natürlichen Personen, sodass die Ära des UmwRG mit einer schutznormakzessorischen323 Rügebefugnis begann. Der § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG in der Fassung von 2006 lautete: „Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung 1. geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, Rechte Einzelner begründen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht“ (Hervorh. d. Verf.).
Das Kriterium „Rechte Einzelner begründen“ sollte ausdrücklich die Rügebefugnis auf solche Rechtsvorschriften begrenzen, die als subjektiv-öffentliche Rechte anerkannt sind.324 Es wurde zwar nicht die Verletzung verbands eigener Rechte verlangt, dafür aber die Verletzung drittschützender Normen. Der Gesetzgeber wollte damit die Filterfunktion der Rügebefugnis insofern 317 BT-Drs.
16/2497, S. 46. Umsetzung der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL sollte eigentlich bis zum 25.06.2006 erfolgen. 319 Vgl. § 6 UmwRG v. 07.12.2006. 320 von Danwitz (2005), Ausgestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten, Rechtsgutachten, S. 39 ff. 321 Ebd., S. 56. 322 Bundesverband der Industrie (BDI), Bundesverband der Chemischen Industrie (VCI), Bundesverband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW). 323 Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 369 (379). 324 BT-Drs. 16/2495, S. 12. 318 Die
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wahren, als der Einbezug von entscheidungsirrelevanten Aspekten in das Rechtsbehelfsverfahren vermieden wird.325 Damit widersprach sich das UmwRG selbst. Die Verbände wurden nach dem § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 UmwRG a. F. immer nur dann als Umweltverband anerkannt, wenn sie den Umweltschutz fördern. Den Verbänden wurde also die Aufgabe eines Sachwalters im Rahmen der Anerkennung zugesprochen, diese aber durch die restriktive Rügebefugnis nicht ermöglicht.326 Die geschaffene Verbandsklage war – anders als die Gesetzesbegründung es vorsah327 – kein objektives Beanstandungsmodell, sondern ein Novum irgendwo zwischen subjektivem und objektivem Rechtsschutz.328 Die Verbände traten im Wege einer gesetzlichen Prozessstandschaft für Individualklagende auf, die ihre Rechte auch selbst hätten durchsetzen können.329 Sachwalter der Allgemeininteressen oder gar (Staats-) Anwälte der Natur waren sie durch das UmwRG 2006 jedenfalls nicht. b) Richterliche Konkretisierungen Der abstrakte Regelungsgehalt der Aarhus-Konvention, der zu unterschiedlich intensiven Rechtsschutzbemühungen in und Vorlageverfahren aus den Mitgliedsstaaten führte, zwang den EuGH, konkretisierend tätig zu werden. aa) Stärkung der Klagerechte (1) „Janecek“-Urteil Bereits im Jahr 2008330 waren Anzeichen für eine extensivere Umweltrechtsschutzpraxis zu erkennen. Der EuGH ließ für die Subjektivität des Rechts genügen, dass ein personalisierbares Rechtsgut geschützt wird, welches bei Vorsorgenormen bereits durch Überschreiten eines Grenzwertes verletzt werden könnte.331 Im konkreten Fall wurde der Kreis der Subjektivi325 Ebd. 326 So
auch Schlacke, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NuR 2007, 8 (15 f.). 16/2495, S. 8. 328 Ihr wurde daher auch eine „Zwitterstellung“ zugeschrieben, vgl. Schlacke, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NuR 2007, 8 (11, 15). 329 Schlacke, Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NuR 2007, 8 (15); vgl. auch Koch, Die Verbandsklage im Umweltrecht, NVwZ 2007, 369 (378 f.). 330 Urteil vom 25.07.2008, Az. C-237/07; namensgebend war der Kläger Dieter Janecek, der den Freistaat Bayern zur Aufstellung eines Aktionsplans zur Luftreinhaltung verpflichten wollte. 331 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07, Rn. 34 ff., 38 f. (juris); vgl. auch Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 4 m. w. N.; Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts, DVBl 2015, 929 (933). 327 BT-Drs.
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tät eines Rechts auf den von einer Unionsvorschrift bezweckten Schutz der „öffentlichen Gesundheit“,332 also auf ein individualisierbares Allgemeinheitsinteresse erweitert.333 Die Mitgliedstaaten wurden verpflichtet, im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte den unmittelbar betroffenen Bürger:innen einen Anspruch auf Erstellung eines Aktionsplans einzuräumen.334 Weiter sprach der EuGH nicht nur natürlichen, sondern auch juristischen Personen diesen Anspruch zu.335 Später korrigierte der europäische Gesetzgeber diese Rechtsprechung, als er durch Art. 24 Luftqualitäts-RL336 der Behörde bei Überschreiten von Feinstaubgrenzwerten ein Ermessen zusprach, Maßnahmen zu ergreifen.337 Ein subjektives Recht ist demnach nur noch bei einer Ermessensreduktion auf Null denkbar.338 Die Rechtsprechung gilt allerdings für die Grenzwertüberschreitung von Stickstoffdioxid, Schwefelstickstoffdioxid und für Luftqualitätspläne weiter.339 Das „Janecek“-Urteil rüttelte damit an der deutschen Überzeugung, dass Vorsorgenormen grundsätzlich keine subjektiven Rechte darstellen.340 (2) „Braunbär I“-Urteil Im Jahr 2011 urteile der Gerichtshof erstmalig über Auslegungsfragen der Aarhus-Konvention. Der slowakische oberste Gerichtshof legte drei Fragen zur Auslegung von Art. 9 Abs. 3 AK vor.341 Gegenstand war eine stattgegebene Jagderlaubnis bezüglich Braunbären, die nach Art. 12 i. V. m. Anhang IV
332 EuGH, 333 Vgl.
(652).
Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07, Rn. 37 (juris). Guckelberger, Entwicklungslinien im Umweltrechtsschutz, JA 2014, 647
334 EuGH,
Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07, Rn. 42 (juris). Rn. 39 (juris). 336 Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa. 337 Durch die Ermessensvorschrift fehlt es an einer unbedingten und hinreichend genauen Bestimmung, sodass ein subjektives Recht durch unmittelbare Anwendung der Richtlinie nicht in Betracht kommt, vgl. dazu Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (380); Sparwasser/Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts, NVwZ 2010, 1513 (1519). 338 Cancik, Europäische Luftreinhalteplanung, ZUR 2011, 283 (294); Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (380). 339 Art. 23 Luftqualitäts-RL ist keine Ermessensvorschrift; Sparwasser/Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts, NVwZ 2010, 1513 (1519). 340 Dazu unter D. II. 4. b) cc). 341 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 23 (juris). 335 Ebd.,
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Flora-Fauna-Habitat-RL (FFH-RL) eine geschützte Tierart sind.342 Die Klägerin machte unter anderem Verletzungen von Rechten aus der möglicherweise unmittelbar geltenden Aarhus-Konvention geltend.343 Wenngleich die Vorlagefrage zu unmittelbaren Wirkungen des Art. 9 Abs. 3 AK verneint wurde,344 bejahte der EuGH nicht nur seine Auslegungshoheit sowie Prüfungskompetenz für die Aarhus-Konvention.345 Der EuGH urteilte, dass die Aarhus-Konvention einen integralen Bestandteil des Unionsrechts bildet und dass „Klagen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, nicht weniger günstig ausgestaltet sein [dürfen] als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren [dürfen] (Grundsatz der Effektivität).“346
Gleichzeitig gab er dem nationalen Gericht vor, wie es nationales Verfahrensrecht auszulegen hat.347 Das nationale Gericht „hat daher das Verfahrensrecht in Bezug auf die Voraussetzungen, die für die Einleitung eines […] gerichtlichen Überprüfungsverfahrens vorliegen müssen, so weit wie möglich im Einklang sowohl mit den Zielen von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus als auch mit dem Ziel eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes für die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auszulegen, um es einer Umweltschutzorganisation […] zu ermöglichen, eine Entscheidung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist, das möglicherweise im Widerspruch zum Umweltrecht der Union steht, vor einem Gericht anzufechten“348 (Hervorh. d. Verf.). 342 Schlussanträge
der GAin Sharpston v. 15.07.2010, Az. C-240/09, Rn. 22. Rn. 22 ff. 344 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 44 f. (juris); mangels klarer und präziser Verpflichtungen aus Art. 9 Abs. 3 AK wurde kein „self-executing“-Charakter angenommen. 345 Ebd., Rn. 39 f., 42; zunächst unterfalle eine Frage, zu der noch keine Rechtsvorschrift der Union ergangen ist, dem Unionsrecht, sofern sie in einem Völkerrechtsvertrag geregelt wird und einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft. Es bestehe ein Interesse daran, solche Normen einheitlich auszulegen; kritisch dazu Wegener, Die europäische Verbandsklage, ZUR 2011, 363 (366); Ruffert, Umweltrechtsschutz ohne methodische Grundlage?, DVBl 2019, 1033 (1035); dazu unter G. III. 3. 346 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 30 und 48 (juris). 347 Diese Auslegungsvorgaben sind von zentraler Bedeutung, sodass sie sich sogar im Tenor der Entscheidung finden; vgl. dazu auch Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz, ZEuS 2016, 49 (59); Berkemann, Die unionsrechtliche Verbandsklage, DVBl 2011, 1253 (1256). 348 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 51 (juris). 343 Ebd.,
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Für die Verbände fand durch die „Braunbär I“-Entscheidung eine von dem EuGH festgestellte, aus der Aarhus-Konvention zwingende und durch nationale Gerichte anzuwendende Öffnung der Rügebefugnis statt.349 Die „Braunbär I“-Entscheidung hat als – teilweise350 obiter dictum eingeordnete – richterrechtliche Fortbildung den „Grundsatz einer Rechtsanwendung“351 bei der Rügebefugnis in Umweltangelegenheiten statuiert. Diesem Grundsatz muss fortan so weit wie möglich gefolgt werden. (3) „Trianel“-Urteil Mit dem Urteil vom 12. Mai 2011 wurde die Schutznormakzessorietät der deutschen Verbandsklage für unionsrechtswidrig erklärt.352 Die Gleichstellung von Verbänden und Individualklagenden (auf dem Niveau letzterer) widerspricht zum einen dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, und zum anderen dem Effektivitätsgrundsatz, gerade Verbänden die Überprüfung von Allgemeinwohl schützendem Unionsumweltrecht zu ermöglichen.353 Dass die Verbände eine besondere Rolle spielen und Gemeinschaftsvorschriften durch innerstaatliche Kriterien nicht gegenstandslos werden dürfen, hatte der EuGH bereits im Jahr 2009 entschieden.354 Im „Trianel“-Urteil geht der EuGH nun weiter. Er begrenzt den innerstaatlichen Gestaltungspielraum. Der EuGH gewichtet die Zielerreichung eines weiten Zugangs zu den Gerichten höher als das Recht der Mitgliedsstaaten, über die Rügebefugnis der Verbände derart restriktiv zu entscheiden.355 Wenn auch die Generalanwältin Eleanor Sharpston diesen Vor-
349 Vgl. auch Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (2019), AarhusHandbuch, § 3 Rn. 55; Schlacke, Stärkung überindividuellen Rechtsschutzes, ZUR 2011, 312 (315). 350 Seifert, Fortschritte beim Rechtsschutz, ZEuS 2016, 49 (67) m. w. N.; Kahl/ Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 29 m. w. N.; so auch Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 20.12.2017, NVwZ 2018, 231 (232). 351 Berkemann, Der „Umbau“ des Umweltverbandsklagerechts durch den EuGH, in: Hofmann et al. (Hrsg.), Planungsrecht im Umbruch (2017), 69 (108). 352 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Az. C-115/09, Rn. 45 (juris); namensgebend war das im Ausgangsfall geplante Steinkohlekraftwerk des Unternehmens Trianel, gegen dessen Genehmigung der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) klagte, vgl. Ausgangsverfahren, OVG Münster, Beschl. v. 05.03.2009, Az. 8 D 58/08.AK. 353 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Az. C-115/09, Rn. 46, 50 (juris). 354 EuGH, Urt. v. 15.10.2009, Az. C-263/08, Rn. 45 ff. (juris); das Gemeinschaftsrecht dürfe hiernach nicht dadurch gegenstandslos werden, dass innerstaatliche Kriterien (konkret: Mindestzahl der Mitglieder) zu hoch angesetzt werden. 355 Vgl. auch Bunge, Die Klagemöglichkeiten anerkannter Umweltverbände, NUR 2011, 605 (607).
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rang expliziter anspricht,356 sieht der EuGH das Erfordernis einer weiteren Rügebefugnis der Verbände in der effektiveren Durchsetzung von unionsrechtlichen Umweltschutzvorschriften, die meist nicht Individuen, sondern die Allgemeinheit schützen.357 Der Gerichtshof stützt dieses Verlangen erneut auf den Äquivalenzgrundsatz.358 Der EuGH erweiterte dadurch für Verbände die Justiziabilität von unionsrechtsbezogenen Umweltvorschriften, ließ hingegen offen, ob auch das innerstaatliche Umweltrecht justiziabler werden müsse.359 (4) „Altrip“-Urteil Mit dem Urteil vom 7. November 2013360 attestierte der EuGH dem UmwRG erneut Umsetzungsdefizite. Die Besonderheit des Urteils liegt darin, dass der Gerichtshof neben den zahlreichen Fragen zur Rügebefugnis, nun über den gerichtlichen Kontrollumfang urteilte. Im Wesentlichen ging es dabei um die Frage, ob die Sachentscheidung eines Gerichts Verfahrensfehler bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung berücksichtigen muss. Dem deutschen Gesetzgeber wurde der enumerative Anwendungsbereich zum Verhängnis. Der EuGH stufte den Fehlerkatalog aus § 4 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 UmwRG a. F. als unionsrechtswidrig ein. Demnach mussten nicht nur unterlassene, sondern auch mangelhafte Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Überprüfung und unter Umständen zur Aufhebung der Entscheidung führen können.361 Welche Verfahrensfehler aber beachtlich und welche unbeachtlich sind, ließ der EuGH ebenso offen wie die Frage, ob Verfahrensfehler unabhängig von der Verletzung eines subjektiven Rechts geltend gemacht werden können müssen.362 Die Frage nach der Beweislast des Nachweises, dass die angegriffene Entscheidung ohne den geltend gemachten Verfahrensfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre, beantwortete der Gerichtshof hin356 Schlussanträge der GAin Sharpston v. 02.07.2009, Az. C-115/09, Rn. 69 ff. (juris); dazu auch Wegener, Anm. zu den Schlussanträgen, ZUR 2011, 84 f. 357 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Az. C-115/09, Rn. 46 (juris); so auch schon Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 266. 358 EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Az. C-115/09, Rn. 43 (juris). 359 Vgl. Bunge, Die Klagemöglichkeiten anerkannter Umweltverbände, NUR 2011, 605 (608); Schlacke, Recht von Umweltverbänden, NVwZ 2011, 801 (804). 360 Az. C-72/12; namensgebend ist die gegen das Land Rheinland-Pfalz klagende Gemeinde Altrip, die zusammen mit zwei weiteren Klägern gegen einen Planfeststellungbeschluss bezüglich eines Hochwasserrückhaltebeckens klagte. 361 EuGH, Urt. v. 07.11.2013, Az. C-72/12, Rn. 37 f. (juris). 362 Vgl. auch Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung, NVwZ 2014, 11 (14 f.); Ekardt, Nach dem Altrip-Urteil, NVwZ 2014, 393 (394); dazu unter D. II. 6. b) bb).
II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes 111
gegen. Nicht die Rechtsbehelfsführenden müssen den möglichen anderweitigen Ausgang beweisen, sondern die Beklagten.363 Mithin schafft der Gerichtshof eine verfahrensrechtliche Beweislastumkehr. (5) „Braunbär II“-Urteil Mit dem Urteil vom 8. November 2016364 entschied der EuGH, dass sich ein über den Art. 11 UVP-RL hinausgehender Zugang zu den Gerichten aus Art. 9 Abs. 2 AK i. V. m. Art. 47 GRCh ergibt. Das Urteil ist demnach vor allem für nicht UVP-pflichtige Vorhaben von Bedeutung. Nachdem sich der EuGH unter Berufung auf Art. 47 und Art. 51 GRCh erneut die Auslegungshoheit über die Aarhus-Konvention zuschreibt,365 konkretisiert und erweitert er die Fallgruppen aus Art. 6 Abs. 1 AK. Für die Bürger:innen muss es justiziabel sein, ob die Behörden ihren Pflichten aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL genügt haben.366 Unter Rekurs auf Art. 19 EUV und Art. 47 GRCh wird den Mitgliedstaaten aufgegeben, die erforderlichen Rechtsbehelfe zu schaffen, damit Verbände ihr Recht aus Art. 6 Abs. 3 FFH-RL i. V. m. Art. 6 Abs. 1 AK geltend machen können.367 Weniger als bahnbrechender Impuls für die Rügebefugnis denn als Beispiel für einen Bruch mit ständiger nationaler Rechtsprechung ist das Urteil zu lesen. Das BVerwG verneinte grundsätzlich mit der Entscheidung zum Mühlenberger Loch368 die Justiziabilität bei Verstößen gegen Art. 6 Abs. 2 bis Abs. 4 FFH-RL. Wie gefestigt die deutsche Rechtsprechung bezüglich dieser fehlenden Justiziabilität schien, zeigt das kurz vor dem EuGH-Urteil entschiedene Verfahren vor dem OVG Magdeburg. Dort erklärte das Gericht, das Nichtvorliegen klagbarer Rechte aus der FFHRL sei „derart offenkundig“, dass „für einen vernünftigen Zweifel kein Raum“ bleibe.369
363 EuGH,
Urt. v. 07.11.2013, Az. C-72/12, Rn. 50 ff. (juris). die Bezeichnung Braunbär II hat sich aus dem Umstand herausgebildet, dass erneut ein slowakischer Umweltschutzverbund Kläger war. 365 EuGH, Urt. v. 08.11.2016, Az. C-243/15, Rn. 50 ff., insbesondere Rn. 53 (juris). 366 Ebd., Rn. 44 (juris). 367 Ebd., Rn. 49 ff. (juris). 368 BVerwG, Urt. v. 26.04.2007, Az. 4 C 12/05, Rn. 33 (juris). 369 OVG Magdeburg, Urt. v. 06.07.2016, Az. 2 L 84/14, Rn. 167 (juris). 364 Az. C-243/15;
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C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
(6) „Protect“- Urteil Im Protect-Urteil370 betonte der EuGH erneut die Reichweite von Art. 9 Abs. 3 AK. Wenn auch weiterhin seine unmittelbare Wirkung verneint wurde, machte der EuGH deutlich, dass Art. 9 Abs. 3 AK i. V. m. Art. 47 GRCh die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen wirksamen gerichtlichen Schutz für durch das Recht der Union garantierte Rechte zu gewährleisten.371 Der Gerichtshof geht über seine Auslegungsanweisungen in der „Braunbär I“-Entscheidung deutlich hinaus. Ob innerstaatlich Individualklagende oder Überindividualklagende (Verbände) dem Unionsrecht zur Effektivität verhelfen, sei irrelevant.372 Die praktische Wirksamkeit des Unionsumweltrechts verlange, dass für Einzelne oder für einen Umweltverband Verstöße nationaler Behörden justiziabel sein müssen.373 Dies bedeutet nicht, dass der EuGH die Mitgliedstaaten zwingt, Individualklagen für die Überprüfung des objektiven Unionsrecht einzurichten.374 Verbandsklagen genügen, soweit sie das Unionsumweltrecht abdecken.375 Dabei ist allerdings folgendes zu berücksichtigen: „Der Ausdruck „etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien“ in Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus bedeutet zwar, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung dieser Bestimmung einen Gestaltungsspielraum behalten. Kriterien, die derart streng sind, dass es für Umweltorganisationen praktisch unmöglich ist, Handlungen und Unterlassungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus anzufechten, sind aber nicht zulässig.“376 (Hervorh. d. Verf.)
Weiter heißt es: „Soweit sie Umweltorganisationen eine Anfechtung eines solchen Bewilligungsbescheids gänzlich verwehren, genügen die betreffenden nationalen Verfahrensvor-
370 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15; namensgebend war die gegen eine wasserrechtliche Bewilligung klagende Umweltschutzorganisation Protect. 371 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 45 (juris); mit Verweis auf die Braunbär-Entscheidung. 372 Vgl. auf die einzelnen betroffenen Personen bezugnehmend EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 34 (juris); so auch Schlacke/Römling, in: Schlacke/ Schrader/Bunge (2019), Aarhus-Handbuch, § 3 Rn. 57; Wegener, Der Braunbär lernt schwimmen, ZUR 2018, 217 (221); dazu unter D. 4. a). 373 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 34 (juris). 374 Art. 47 GrCH setzt wie auch Art. 19 Abs. 4 GG ein subjektives Recht voraus, generiert indes keins, Gärditz, Die Entwicklungen des Umweltrechts in den Jahren 2016–2018, ZfU 2019, 369 (381 f.). 375 Vgl. Held, Umfang der Klage- und Rügebefugnis von Individualklägern, DÖV 2019, 121 (126 f.). 376 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 47 (juris).
II. Entwicklung des klima- und umweltschützenden Rechtsschutzes 113 schriften nicht den Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus in Verbindung mit Art. 47 der Charta.“377 (Hervorh. d. Verf.)
Falls eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, ist das Verfahrensrecht nicht anzuwenden.378 Der EuGH verweist als Teil seiner ständigen Rechtsprechung auf die „Simmenthal“-Entscheidung vom 9. März 1978379 und unterstreicht, dass nationale Gerichte zur Wahrung des Unionsrecht entgegenstehende nationale Vorschriften nicht anwenden dürfen.380 Wenngleich der EuGH die unmittelbare Wirkung des Art. 9 Abs. 3 AK ausdrücklich verneint, kommt ihm eine solche unionsrechtsgleich zu.381 Der EuGH verlangt nachdrücklich einen effektiven Rechtsschutz für die unionsrechtsbedingten Umweltvorschriften (im Anwendungsbereich des Art. 51 GRCh).382 bb) Schwächung der Präklusion Hat die klagende Partei es versäumt, rechtzeitig vorzutragen, kann sie mit Einwendungen im weiteren Verwaltungsverfahren ausgeschlossen sein (formelle Präklusion).383 Zudem können Einwendungen im Gerichtsverfahren versagt werden, wenn die klagende Partei nicht rechtzeitig im Verwaltungsverfahren vorgetragen hat (materielle Präklusion).384 Parallel zur ausgeweiteten Justiziabilität schränkt der EuGH die deutschen Präklusionsvorschriften ein. (1) „Präklusions I“-Urteil Im Urteil vom 15. Oktober 2015 erklärte der EuGH sowohl die materiellen Präklusionsvorschriften aus § 2 Abs. 3 UmwRG a. F. als auch die Regelung 377 Ebd.,
Rn. 52 (juris). Rn. 52, 55 (juris); Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 57. 379 Az. C-106/77. 380 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 56 f. (juris). 381 So auch Klinger, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 20.12.2017, NVwZ 2018, 231 (232); Wegener, Der Braunbär lernt schwimmen, ZUR 2018, 217 (221); Gärditz, Die Entwicklungen des Umweltrechts in den Jahren 2016–2018, ZfU 2019, 369 (381); Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 30. 382 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 44 (juris); vgl. auch Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 30; Wegener, Der Braunbär lernt schwimmen, ZUR 2018, 217 (221); Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), AarhusHandbuch (2019), § 3 Rn. 57. 383 Jarass, in: Jarass, BImSchG, 13. Aufl. 2020, § 10 Rn. 92. 384 Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 5. 378 Ebd.,
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aus § 73 Abs. 4 VwVfG für unvereinbar mit Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL.385 Eine durch Präklusion eingeschränkte gerichtliche Kontrolle könne nicht mit der Wahrung von Rechtssicherheit und der Effizienz der Verwaltungsverfahren begründet und gerechtfertigt werden.386 Eine durch Präklusion erreichte Rechtssicherheit sei weder erwiesen, noch wiege die Effizienz des Verfahrens schwerer als die Ziele der Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IERL. Diese bestünden nämlich nicht nur darin, „rechtsuchenden Bürgern einen möglichst weitreichenden Zugang zu gerichtlicher Überprüfung zu geben, sondern auch darin, eine umfassende materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu ermöglichen.“387 Der deutsche Gesetzgeber hat in ungerechtfertigter Weise gegen Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL verstoßen, indem die Rügebefugnis und der gerichtliche Kontrollumfang nur auf solche Einwendungen beschränkt wurden, die innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren erhoben worden sind. Für missbräuchliches oder unredliches Vorbringen hingegen überlasst es der EuGH den Mitgliedsstaaten, eine Regelung zu treffen.388 Wenn auch der Gerichtshof die Auffassung zur Europarechtswidrigkeit des § 113 Abs. 1 VwGO von Generalanwalt Melchior Wathelet389 nicht teilte, so erweiterte er die Kontrollmöglichkeiten des Gerichts durch die bestätigte Unionsrechtswidrigkeit von § 73 Abs. 4 VwVfG und § 2 Abs. 3 UmwRG a. F. erheblich.390 (2) „Präklusions II“-Urteil Der EuGH hat am 14. Januar 2021391 das „Präklusions I“-Urteil bestätigt und präzisiert. Art. 9 Abs. 2 AK schließt es aus, die Zulässigkeit davon abhängig zu machen, dass sich der Verband am Entscheidungsverfahren zum Erlass der angefochtenen Entscheidung beteiligt hat.392 Jegliche Präklusion im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK ist folglich unionsrechtswidrig. Anders verhält es sich bei Präklusionen im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 AK. Dieser verbiete es grundsätzlich nicht, die Zulässigkeit der erfassten Rechts385 EuGH,
Urt. v. 15.10.2015, Az. C-137/14, Rn. 78 ff. (juris). Rn. 79 f. (juris). 387 Ebd., Rn. 80 (juris). 388 EuGH, Urt. v. 15.10.2015, Az. C-137/14, Rn. 81 (juris). 389 Schlussanträge des GA Wathelet, v. 21.05.2015, Az. C-137/14, Rn. 63 (juris). 390 Vgl. Siegel, Die Präklusion im europäisierten Verwaltungsrecht, NVwZ 2016, 337 (342); Klinger, Anm. zum EuGH-Urteil vom 15.10.2015, Az. C-137/14, ZUR 2016, 41 (41 f.). 391 Az. C-826/18. 392 EuGH, Urt. v. 14.01.2021, Az. C-826/18, Rn. 59 (juris). 386 Ebd.,
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behelfe von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass der oder die Rechtsbehelfsführende die Einwendungen rechtzeitig bereits im Verwaltungsverfahren erhoben hat. So würden „die streitigen Punkte unter Umständen schneller identifiziert und gegebenenfalls bereits im Verwaltungsverfahren gelöst werden können, so dass sich eine Klage erübrigt.“393 Folglich ist zwar eine Präklusion für den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK grundsätzlich unzulässig, bei Art. 9 Abs. 3 AK unter verschiedenen Umständen aber möglich. Die Präklusion muss (i) gesetzlich vorgesehen sein, (ii) den Wesensgehalt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf i. S. d. Art. 47 GRCh achten, (iii) verhältnismäßig sein sowie (iv) den unionsrechtlich anerkannten Zielsetzungen des Gemeinwohls oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte anderer entsprechen.394 Eine Präklusion im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 AK ist also möglich, allerdings restriktiv handzuhaben.395 c) Legislative Reaktionen Die richterrechtliche Konkretisierung durch den EuGH wurde jeweils in Form von Neufassungen des UmwRG in Deutschland implementiert. Die deutsche Legislative reagierte bis heute mit zwei kleineren und drei größeren Novellen.396 Die wesentlichen Änderungen Letzterer werden nachfolgend kurz dargestellt. aa) 2013 Die „Trianel“-Entscheidung machte eine Novellierung im Jahr 2013 unumgänglich.397 Die unionsrechtswidrige Schutznormakzessorietät wurde sowohl aus der Zulässigkeitsvoraussetzung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG 2006 als auch aus dem korrespondierenden Begründetheitsmaßstab gemäß § 2 Abs. 5 UmwRG 2006 gestrichen. Ziel der Änderung war nicht nur, die „Trianel“-Entscheidung zu berücksichtigen, sondern eine lückenlose 1:1-Um393 Ebd., Rn. 63 (juris); diese grundlegende Erkenntnis macht der Gerichtshof bereits in seinem Protect-Urteil v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 88 ff. (juris). 394 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, C-664/15, Rn. 90 (juris); Urt. v. 14.01.2021, Az. C-826/18, Rn. 64 (juris); vgl. dazu auch Anmerkung von Römling, ZUR 2021, 229 (236). 395 Vgl. dazu auch Beiträge von Fellenberg, Aktuelle Rechtsprechung des EuGH; Teßmer, Aktuelle Rechtsprechung des EuGH und ihre Bedeutung für das deutsche Umweltrecht, jeweils auf dem Forum Umweltrechtsschutz 2021. 396 Für alle Änderungen seit Inkrafttreten: Fellenberg/Schiller, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG Vorb. Rn. 93 ff. 397 Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften v. 21.01.2013, BGBl. I, S. 95.
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setzung von Art. 10a UVP-RL (heute: Art. 11) sowie von Art. 9 Abs. 2 AK.398 Mit der Erweiterung der Verbandsklage ging eine Verschärfung der materiellen sowie prozessualen Regelungen durch den neu eingeführten § 4a UmwRG 2013 einher, „um einen Ausgleich zwischen der umweltrechtsschützenden Zielsetzung von Verbandsklagen einerseits und den Belangen der von Verbandsklagen Betroffenen andererseits herzustellen.“399 Die Neueinführung des § 4a UmwRG stieß auf erhebliche Kritik. So zweifelte der Bundesrat an der verfassungs- und unionsrechtlichen Rechtmäßigkeit.400 Weiter wurde auch angezweifelt, ob die Begrenzung auf zwei Verfahrensfehlertypen in § 4 UmwRG 2006 mit dem Unionsrecht vereinbar sei.401 Die nächste große Novelle ließ daher nicht lang auf sich warten. bb) 2015 Das UmwRG wurde im Jahr 2015 zum zweiten Mal umfassend durch die „Altrip-Novelle“402 geändert.403 Anknüpfend an die Kritiken am enumera tiven Verfahrensfehlerkatalog wurde der § 4 UmwRG um zwei weitere Ka tegorien ergänzt, sodass nunmehr absolute Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1 UmwRG unabhängig von § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO und § 46 VwVfG die Sachentscheidungen aufhebbar machen können. Für relative Verfahrensfehler gilt nach § 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG zwar weiterhin der § 46 VwVfG. Aber bei Problemen des Gegenbeweises im Rahmen der Aufklärung von Amts wegen (§ 86 VwGO) wird jedenfalls fingiert, dass der Verfahrensfehler die Entscheidung beeinflusst hat. Die Novelle sollte der Beweislastverteilung aus dem „Altrip“-Urteil Rechnung tragen, eine deutliche Abgrenzung zwischen absoluten und relativen Verfahrensfehlern bieten und mithin die Rechtsanwendung erleichtern.404 Die Rechtsanwendung sollte aber nicht nur erleichtert, sondern vor allem dem durch den EuGH unterstrichenen weiten Zugang zu den Gerichten gerechter werden. 398 BT-Drs.
17/10957, S. 15. S. 17. 400 BT-Drs. 17/10957, Anlage 3, S. 26 ff.; vgl. auch Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG Vorb. Rn. 100 m. w. N. 401 So etwa Kment, Europarechtswidrigkeit des § 4 Abs. 1 UmwRG?, NVwZ 2012, 481 ff.; Berkemann, Die unionsrechtliche Verbandsklage, DVBl 2011, 1253 (1261 f.); Schlacke, Die Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes, ZUR 2013, 195 (198 f.). 402 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG Vorb. Rn. 105. 403 Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs v. 07.11.2013 in der Rs. C-71/12 v. 20.11.2015, BGBl. I, S. 2069. 404 BT-Drs. 18/5927, S. 9 f. 399 Ebd.,
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cc) 2017 Die umfassendste Novelle erfuhr das UmwRG am 29. Mai 2017405 als Reaktion auf das „Präklusions I“-Urteil, den Beschluss V79h der 5. Vertragsstaatenkonferenz vom 20. Juli 2014406 sowie auf das Pilotverfahren, das die Kommission bereits im Jahr 2013 angesichts unionsrechtlicher Bedenken im Rahmen des § 4a Abs. 2 bis Abs. 4 UmwRG gegen Deutschland eingeleitet hatte.407 Im Kern wurden drei Inhalte an die völker- und unionsrechtlichen Anforderungen angepasst, um „auf breiterer Basis als bisher“ die dritte Säule der Aarhus-Konvention umzusetzen.408 Zunächst wurde der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG um drei Entscheidungskategorien (Nr. 4 bis Nr. 6) erweitert. Dadurch sollte Art. 9 Abs. 3 AK vollständig in das deutsche Recht umgesetzt werden,409 wenngleich von einer 1:1-Umsetzung abgesehen410 und an einem enumerativen Klagekatalog festgehalten wurde. Der Gesetzgeber hat weiter eine zweigleisige Justiziabilität411 gewählt, um sich den Regelungen aus Art. 9 Abs. 2 (keine Begrenzung auf umweltbezogene Vorschriften) und Abs. 3 AK (Begrenzung auf umweltbezogene Vorschriften) zu nähern. Nur Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwRG können nun unabhängig von umweltbezogenen Vorschriften geprüft werden. Für alle weiteren Entscheidungen sieht der § 2 Abs. 1 S. 2 UmwRG das Erfordernis der umweltbezogenen Vorschrift vor. In § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und Abs. 3 UmwRG wurden zudem die materiellen Präklusionsregelungen gestrichen. Es soll damit sichergestellt sein, dass nunmehr im Anwendungsbereich der UVP-RL und IE-RL keine europarechtswidrigen Beschränkungen des Rechtsschutzes bestehen.412 Weiter wurde die Missbrauchsklausel aus § 5 UmwRG nahezu wortgleich aus dem „Präklu sions I“-Urteil übernommen, wonach es dem Gericht obliegt, missbräuch
405 Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben v. 29.05.2017, BGBl. I, S. 1298; in Kraft getreten am 02.06.2017. 406 Die Konferenz bestätigte die Entscheidungen des ACCC, ACCC/C/2008/31 (Deutschland), v. 20.12.2013, wonach Deutschland den Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK volkrechtswidrig umsetzte. 407 BT-Drs. 18/9526, S. 41 f.; EU-Pilot 5908/13/ENVI. 408 BT-Drs. 18/9526, S. 26. 409 Ebd., S. 32. 410 Ebd., S. 37. 411 Oder auch „Bifurkation“, vgl. Schlacke, Die Novelle des UmwRG 2017, NVwZ 2017, 905 (909). 412 Kleve, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 61. Ed. 01.07.2020, BNatSchG § 64 Rn. 24.
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liche oder unredliche Einwendungen zu identifizieren.413 Der § 4 UmwRG wurde neujustiert, der § 4a UmwRG gestrichen und mit § 6 sowie § 7 UmwRG neugeregelt. In § 6 UmwRG wurde eine verschärfte Klagebegründungsfrist mit innerprozessualer Präklusion, in § 7 UmwRG verfahrens- und prozessrechtliche Sondervorschriften mit Heilungs- und Entscheidungsergänzungs instrumenten sowie in § 8 UmwRG Übergangsvorschriften normiert. Der Gesetzgeber wollte in der Novelle 2017 neben der Umsetzung der völker- und unionsrechtlichen Vorgaben vor allem die zivilgesellschaftliche Teilhabe und Verantwortung verbessern, Rechtssicherheit schaffen sowie „Problemen bei der Umsetzung und Anwendung des nationalen und euro päischen Umweltrechts effektiv“ entgegenwirken.414
III. Entwicklungsziele und -tendenzen Das Umwelt- und Klimaschutzrecht wächst und sektoralisiert sich.415 Die Sektoralisierung kann dazu führen, dass es Umsetzungsdefizite nicht nur mangels Rechtsschutzmöglichkeiten gibt, sondern auch wegen der zunehmenden Komplexität. Die Komplexität verlangt wiederum vom Recht, sich Hilfe zu suchen. Dies mündet in einer „Expertifizierung“ des Umwelt- und Klimaschutzrechts, wodurch immer mehr Wissenschaft Eingang in das Recht findet.416 Die Umweltintegration will diese Entwicklung vereinheitlichen. Nicht nur die verschiedenen Umweltmedien sollen mit ihren Wechselwirkungen integriert (interne Umweltintegration), sondern auch die Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit umweltgerechter ausgerichtet werden (externe Umwelt integration).417 Angesichts dessen ist das Verlangen nach einer allgemeinen 413 BT-Drs. 18/9526, S. 41; § 5 UmwRG ist wohl restriktiv zu verstehen, vgl. dazu Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 5 m. w. N.; Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (732). 414 Vgl. BT-Drs. 18/9526, S. 26, 42. 415 Aktuell sind ca. 70 Bundesgesetze in Kraft, die neben dem Schutz verschiedener Umweltmedien eigenständige Definitionen und Regelungsstrukturen statuieren, vgl. Storm (2020), Umweltrecht, § 7 Rn. 86; dort spricht Storm in Rn. 82 von einer Verdichtung und Verfeinerung des Umweltrechts; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 1 Rn. 46; vgl. auch Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (447, 450). 416 Kahl/Stürmlinger, Expertifizierung als Entwicklungstendenz im Europäischen Verwaltungsrecht, EurUP 2021, 173 ff.; eine Koppelung findet auch durch den umfassenden Sachbericht im Klimabeschluss statt, BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 16 ff. (juris). 417 Storm (2020), Umweltrecht, § 7 Rn. 83; vgl. auch Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (453 f.); so auch schon Moench, Der Einfluß des europäischen Rechtes, KritV 1996, 214 (224) bzgl. des BImSchG.
IV. Fazit119
Kodifikation nach wie vor aktuell.418 Neben der notwendigen Kodifikation wird einer zunehmenden Spaltung der politischen Meinungsfelder und Segmentierung entgegengewirkt werden müssen.419 Die Klimaklagen zeigen, welch politisierende und polarisierende Wirkung der Klima- und Umweltschutz nach wie vor einnimmt. Der Umweltrechtsschutz spiegelt diese Entwicklungen. Nationale Gerichte und der EuGH sind im Rahmen von Vorlageverfahren (Art. 267 AEUV) weitestgehend an den Streitgegenstand und an die Vorlagefrage gebunden, sodass nur ebenfalls ein sektoraler wie medialer Fortschritt im Rechtsschutz zu verzeichnen ist.420 Einen Zuschnitt auf die spezifischen Umweltmedien und -sektoren findet sich auch im enumerativen Anwendungsbereich des § 1 UmwRG. Um seiner Sektoralisierung und Verkomplizierung421 entgegenwirken zu können, ist auch im Umweltrechtsschutz ein integrativer, sektorübergreifender Ansatz von großer Bedeutung. Sektorübergreifend meint, auf den Umstand zu reagieren, dass ein enumerativer und auf sämtliche Fachgesetze verweisender Anwendungsbereich weder den richterrechtlichen Konkretisierungen noch einer umfassenden Integration im materiellen Recht dauerhaft standhalten können wird. Überdies ist der Klimaschutz in der Aarhus-Konvention und damit im nationalen Rechtsschutz kaum mitgedacht. Angesichts dessen und der fortbestehenden Rechtsschutzdefizite422 wie neueren EuGHEntscheidungen ist eine erneute Novelle des UmwRG nur eine Frage der Zeit.
IV. Fazit Trotz frühen Kompetenzzuschreibungen und Zielformulierungen in den europäischen Verträgen und verschiedener Völkerrechtsverträge (v. a. Wiener Übereinkommen, UNFCCC, Kyoto-Protokoll, Aichi-Ziele, Agenda 2030), dauerte es bis zum Jahr 2015, bis in Paris der Klimapolitik ein konkretes Ziel vorgegeben wurde. Gewiss gedeiht seitdem der Umwelt- und Klimaschutz europa- und völkerrechtlich in erhöhter Geschwindigkeit, sodass es vielleicht nicht am Willen mangelt, materielle Umwelt- und Klimaschutzbestimmungen auszuarbeiten.423 Auch in Deutschland wird seit 1970 stetig Umwelt- und (2019), Umweltrecht, § 1 Rn. 232, 249. (2020), Umweltschutzrecht, § 1 Rn. 46. 420 Dazu unter G. III. 3. 421 Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (411). 422 Dazu unter D. II. 6. b). 423 So auch ausdrücklich für das EU-Umweltrecht Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (451). 418 Kloepfer
419 Kloepfer/Durner
120
C. Entwicklungskräfte im Klima- und Umweltschutz
Klimaschutzrecht geschaffen. Dies allerdings lange reagierend. Das gründet darin, dass es an konkreten und rechtlich verbindlichen Vorgaben aus dem Unions- und Völkerrecht mangelt. Das Pariser Übereinkommen gibt zwar die Erderwärmungsgrenze konkret vor, der Weg dorthin erfolgt indes staatsautonom. Durch die so bewahrten mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielräume im materiellen Recht ähnelt unions- und völkerrechtlicher Umwelt- und Klimaschutz einer Anreizpolitik,424 die sich in Teilen einer „symbolischen Gesetzgebung“ nähert.425 Dazu kommen fehlende Durchsetzungsmechanismen und bloße Transparenz- und Berichtspflichten. Dies erzeugt weniger einen rechtlichen Umsetzungsdruck denn einen politischen Rechtfertigungsdruck.426 So lässt sich auch das Pariser Übereinkommen nicht als primär rechtlicher, sondern politischer Mechanismus zur Steigerung der Klimaschutzambitionen begreifen.427 Eine ähnliche Entwicklung lässt sich im Prozessrecht erkennen. Auch dort werden Gestaltungsspielräume gewährt. Diese sind zunächst zwar notwendig, um gemeinschaftsrechtliche Vorgaben an die Besonderheiten nationaler Rechtssysteme anzupassen. Sie sind aber dann problematisch, wenn die Mitgliedstaaten dabei die materiellen und prozessrechtlichen Ziele nicht ausreichend berücksichtigen. Das Prinzip der Gemeinschaftstreue aus Art. 4 Abs. 3 EUV und die daraus herrührenden Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz formen ebenso wie der EuGH die Gestaltungsspielräume. Die ergangenen EuGH-Judikate mit ihrem ständigen Rekurs auf die Aarhus-Konvention zeigen deutlich, dass nationales Prozessrecht bei unzureichender Umsetzung nicht so autonom ist, wie es die Aarhus-Konvention vermuten lässt.428 Vor allem die „Braunbär I“-Entscheidung, wonach nationales Prozessrecht so weit wie möglich ausgelegt werden muss, die „Trianel“-Entscheidung, die den weiten Zugang zu den Gerichten höher als den staatlichen Gestaltungsspielraum gewichtet, und die „Protect“-Entscheidung, die einschränkendes Prozessrecht für unanwendbar erklärt, veränder(te)n nationales Prozessrecht enorm. Dadurch gewinnt die Aarhus-Konvention an einheitlichen Durchset424 Vgl. auch Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 1 Rn. 42; ausführlich Kloepfer, Umweltschutz zwischen Ordnungsrecht und Anreizpolitik, ZAU 1996, 200 ff. 425 Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (453). 426 Böhringer, Das neue Pariser Klimaübereinkommen, ZaöRV 2016, 753 (795) m. w. N. 427 Vgl. auch Maier, Klimarahmenkonvention: 21. Vertragsstaatenkonferenz 2015, VN 1/2016, 34 (35); nichtsdestotrotz findet es zunehmend Eingang in das Recht, Franzius/Kling, The Paris Climate Agreement and liability issues, in: Kahl/Weller (Hrsg.), Climate Change Lititgation (2021), 197 (208 ff.); dazu unter F. II. 428 Vgl. Ludwigs, Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten, NVwZ 2018, 1417 (1422).
IV. Fazit121
zungsstandards. Daher müssen nicht nur Umwelt- und Klimapolitik koordiniert und sämtliche Politikbereiche inhärent verknüpft werden,429 sondern transnational müssen auch diese Durchsetzungsstandards abgestimmt werden. Dabei ist nationaler Rechtsschutz unersetzbar, damit die Europäische Union – kohärent strategisch – Umwelt- und Klimaschutz formen und vor allem erreichen kann.430 Eine Abstimmung, die der EuGH durch seine Rechtsprechung übernimmt und dezentral umzusetzen versucht, läuft allerdings nicht nur Gefahr nationale Grundsätze zu unterlaufen, sondern auch die nationale Umsetzung alternativlos zu stellen. Daher wäre sowohl aus gemeinschafts-, als auch aus nationaler Sicht eine ambitioniertere Eigeninitiative in den Mitgliedsstaaten wünschenswert. Die nationale Umsetzung in Deutschland erfolgt bisweilen nach dem Prinzip Aktion-Reaktion. Deutschland ist kein innovativer Vorreiter und kein antizipierender Gesetzgeber eines modernen Umweltrechtsschutzes. Die Impulse der Verbandsklagen wurden nicht als sinnvolles Instrument des Umweltrechts in andere Länder exportiert, sondern aus den USA und später aus Aarhus nach Deutschland importiert. Deutschland sollte anfangen, zu zeigen, was es heißt, ein antizipierender und innovativer Gesetzgeber zu sein. Vor allem der Klimaschutz bietet sich hierfür an, hat er seinen Platz in vielen Rechtsschutzsystemen noch nicht gefunden.
429 Nach dem Europäische Green Deal können verfügbare Synergien zwischen Politikbereichen erst dann effektiv genutzt werden, wenn intensiv koordiniert wird, Europäische Kommission, Der europäische Grüne Deal v. 11.12.2019, COM(2019) 640 final, S. 3. 430 Vgl. Huck, Die EU und die Globale Agenda 2030, EuZW 2019, 581 (587); Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (456).
D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz Damit der Rechtsschutz seiner Rolle als Durchsetzungsmotor des Klimaund Umweltrecht nachkommen kann, muss er die Mindestvoraussetzungen erfüllen und effektiv ausgestaltet sein. Dass dies noch nicht der Fall ist, zeigt dieses Kapitel.
I. Einordnung und Abgrenzung Umweltrechtlicher Rechtsschutz differenziert sich in Rechtsschutz für und in Rechtsschutz gegen den Umweltschutz. Rechtsschutz gegen den Umweltschutz begegnet einem rechtswidrigen Zuviel, Rechtsschutz für den Umweltschutz einem rechtswidrigen Zuwenig.1 Wie es der Titel dieser Arbeit vermuten lässt, wird sich folgend auf den Rechtsschutz für den Umweltschutz konzentriert. Dem Rechtsschutz für den Umweltschutz kommen verschiedene verwaltungsrechtliche Handlungsformen in Gestalt von umweltrechtlichen Instrumenten zur Hilfe. Korrespondierend zum umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip spielen Planungsinstrumente2 eine besondere Rolle. Daneben sind insbeson dere Instrumente zur direkten3 und indirekten4 Verhaltensteuerung sowie die staatliche Eigenvornahme5 im Umweltrecht verankert. Überdies helfen die (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 10. fallen vor allem Umweltprogramme, Landschaftsplanung nach §§ 8 ff. BNatSchG, Luftreinhalte- und Aktionspläne nach §§ 47 BImSchG, vgl. dazu ausführlich Schlacke (2021), Umweltrecht, § 5 Rn. 14 ff.; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 67 ff.; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 4 Rn. 9 ff. 3 Darunter fallen vor allem administrative Kontrollmöglichkeiten, wie z. B. Anzeige- und Anmeldepflichten, gesetzliche Ge- und Verbote sowie Untersagungs- oder Beseitigungsanordnungen, vgl. ausführlich Schlacke (2021), Umweltrecht, § 5 Rn. 20 ff.; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 175 ff.; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 4 Rn. 36 ff. 4 Darunter fallen vor allem Anreize ökonomischer Art, der Informationsaustausch und die Betriebsorganisationspflichten, vgl. ausführlich Schlacke (2021), Umweltrecht, § 5 Rn. 82 ff.; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 759 ff.; Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 4 Rn. 59 ff. 5 Diese erfuhr durch die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben (z. B. Abfallwirtschaft) eine immer geringere Anwendung, sodass der Staat heutzutage fast nur noch bei Gefahr in Verzug selbst tätig wird, vgl. dazu Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 1693 ff. 1 Kloepfer
2 Darunter
II. Verwaltungsrechtsweg 123
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und die strategische Umweltprüfung (SUP), die teilweise bei der direkten Verhaltenssteuerung6 und teilweise zwischen dieser und den Planungsinstrumentarien7 verortet werden. Die UVP umfasst die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung erheblicher Auswirkungen eines Vorhabens auf die Umwelt und der Menschen.8 Die SUP soll als Teil des behördlichen Verfahrens zur Aufstellung oder Änderung von Plänen und Programmen deren Auswirkungen auf die Umwelt und der Menschen ermitteln.9
II. Verwaltungsrechtsweg Wie bereits unter B. II. dargestellt, bedeutet umweltschützender Rechtsschutz vor allem die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen mit Umweltbezug. Der Zugang zu dieser Kontrolle erfolgt durch verschiedene Klagearten (dazu unter 1.), begleitet durch erhebliche Schwierigkeiten vor allem im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Klagebefugnis (dazu unter 4.). Neben dem vorverlagerten (dazu unter 2.) und vorläufigen Rechtsschutz (dazu unter 3.) dominieren die Verbandsklagemöglichkeiten aus dem BNatSchG (dazu unter 5.) und dem UmwRG (dazu unter 6.) den umweltrechtlichen Rechtsschutz. 1. Allgemeine Voraussetzungen Bevor Klage erhoben wird, sind Bürger:innen grundsätzlich anzuhören (§ 28 VwVfG) und behördliche Vorverfahren nach § 68 VwGO durchzuführen. Das Vorverfahren entfällt allerdings nach § 68 Abs. 1 S. 2 1. Alt. VwGO dann, wenn ein Gesetz dies bestimmt.10 § 74 Abs. 1 S. 2 VwVfG i. V. m. § 70 VwVfG bestimmt dies für Planfeststellungsbeschlüsse und § 74 Abs. 6 S. 3 VwVfG für Plangenehmigungen.11 Bei der Gewährung von Informationszu6 So
etwa Schlacke (2021), Umweltrecht, § 5 Rn. 62 ff. etwa Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 4 Rn. 17 ff. 8 Vgl. Art. 3 UVPG. 9 Vgl. Art. 33 UVPG i. V. m. Art. 3 UVPG. 10 Landesrechtlich ist das Vorverfahren teils optional, aber nicht zwingend vorgesehen (so z. B. Art. 15 AGVwGO Bayern) oder grundsätzlich mit einigen wenigen Ausnahmen ausgeschlossen (so z. B. § 110 JustizG NRW). 11 Einer Planfeststellung bedarf es z. B. bei dem Bau von Bundesfernstraßen nach § 17 FStrG oder auch Hochspannungs- und Gasleitungen nach § 43 EnWG; die Plangenehmigung ersetzt die Planfeststellung, wenn Rechte Dritter nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt sind oder die Betroffenen eingewilligt haben oder mit den Trägern öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich berührt wird, das Benehmen hergestellt worden ist und nicht andere Rechtsvorschriften eine Öffentlichkeitsbeteili7 So
124
D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
gängen ist ein Vorverfahren nach § 6 Abs. 2 UIG indes vorgesehen. Mit Blick auf die erstinstanzliche Zuständigkeit gilt es, auf den § 48 VwGO hinzuweisen. Danach ist das OVG bei umweltrelevanten Großprojekten (z. B. atomrechtliche Anlagen, Windenergieanlagen, Hochspannungs- und Gasleitungen oder auch Bundesfernstraßen) bereits in der ersten Instanz zuständig. Die statthafte Klageart richtet sich grundsätzlich nach der VwGO, konkret nach dem klägerischen Begehren (vgl. § 88 VwGO). Bezieht sich die Klage gegen oder auf einen Verwaltungsakt kommt die Anfechtungsklage oder die Verpflichtungsklage in Betracht (§ 42 Abs. 1 1. Alt. oder 2. Alt. VwGO).12 Aber auch Fortsetzungsfeststellungsklagen sind im Falle der Erledigung möglich (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die Rechtsschutz ersuchende Partei gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ein „berechtigtes Interesse“ (Feststellungsinteresse) an der Feststellung vorweisen muss. Dies gilt auch für die Verbandsklagen aus dem Umw RG.13 Zusätzlich kommen Leistungsklagen nach § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO (z. B. Folgenbeseitigungs- oder Unterlassungsansprüche), Feststellungsklagen nach § 43 Abs. 1 VwGO oder auch Normenkontrollanträge nach § 47 VwGO in Betracht. 2. Vorverlagerter Rechtsschutz a) Begriffsverständnis Rechtsschutz im Klima- und Umweltschutz ist bereits vorverlagert erschwert. Vorverlagerter Rechtsschutz kann unterschiedlich verstanden werden. Er kann zum einem dem Gerichtsverfahren und zum anderen dem konkreten Vorhabenprojekt respektive Klagegenstand vorverlagert sein. Zunächst können durch Beteiligungsrechte14 die Bürger:innen Einwendungen und zu berücksichtigende Belange in das Verwaltungsverfahren einbringen, um damit einer möglichen späteren Gerichtsverhandlung und Rechtsverstößen vorzubeugen. Die Literatur bezeichnet Partizipationsmöglichkeiten daher als gung vorschreiben, die den Anforderungen des § 73 Abs. 3 S. 1 und Abs. 4 bis 7 entsprechen muss (vgl. § 74 Abs. 6 S. 1 VwVfG). 12 Beispiele wären die Anfechtung einer Genehmigungsentscheidung oder die Klage auf behördliches Einschreiten in Form Ordnungsverfügung oder auch den Zugang zu Umweltinformationen. 13 Vgl. BVerwG, Urt. v. 02.11.2017, Az. 7 C 26/15, Rn. 16 (juris); vgl. auch BTDrs. 16/2495, S. 11 f., wonach es innerhalb der Verbandsklagen „weitestgehend bei den bewährten Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung“ bleibt. 14 So z. B. in § 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG, § 47 Abs. 5 und Abs. 5a BImSchG oder § 18 Abs. 1 S. 2 UVPG.
II. Verwaltungsrechtsweg 125
Rechtswahrung15, das BVerwG ordnet sie als vorgezogenen Rechtsschutz ein.16 Nach Auffassung des Gerichts soll vorgezogener Rechtsschutz „die Chance der Einflussnahme wahren, bevor eine Art von planerischer Verfestigung des Vorhabens eingetreten ist“; mithin ergänzt er den gerichtlichen Rechtsschutz, ohne ihn zu ersetzen.17 Diesen Verfahrensstand dominiert die Suche nach der Justiziabilität von Partizipationsrechten und weniger von umweltschützenden Normen.18 Anders bei der zweiten Facette des vorverlagerten Rechtsschutzes. Hierbei ist die Möglichkeit bedeutend, dass die Klagenden innerhalb der Planungen und vor abgeschlossenen Zulassungsentscheidungen gerichtlich Umweltrechtsverstöße überprüfen lassen können (sog. phasenspezifischer Rechtsschutz19). b) De lege lata aa) Konzentration statt Phasenspezifikation Für Individualklagende erschwert sich ein phasenspezifisches Vorgehen, da Planungen meist behörden- oder politikinterne Prozesse ohne Außenwirkungen sind. Sie vermitteln keine subjektiv-rechtlichen Positionen. Das BVerfG entschied, dass es sich beispielsweise bei dem Bundesverkehrswegeplan (BVWP) um „eine verkehrspolitische Leitentscheidung auf einer der individuellen Betroffenheit weit vorgelagerten Ebene“20 handle. Ebenso urteilte das VG Berlin in der ersten nationalen Klimaklagen-Entscheidung, dass das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 „spezifischen Maßnahmen vorgelagert“ sei und damit keine justiziable Außenwirkung für Bürger:innen entfalte.21 Diese Rechtsprechung steht exemplarisch für den stark eingeschränkten phasenspezifischen Rechtsschutz. Stattdessen dominiert der konzentrierte Rechtsschutz.22 Dieser soll eine mehrfache Inanspruchnahme der Gerichte 15 Erbguth, Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, VVDStRL 61 (2002), 221 (251 f.); vgl. auch Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 1; aber auch als vorverlagerten Rechtsschutz bezeichnend Fisahn (2002), Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, S. 200 ff. 16 BVerwG, Urt. v. 29.09.2011, Az. 7 C 21/09, Rn. 32 (juris). 17 BVerwG, Urt. v. 29.09.2011, Az. 7 C 21/09, Rn. 32 (juris). 18 Beteiligungsrechte können aber auch justiziabel sein, vgl. mehr dazu unter 6. b) bb). 19 Vgl. Schlacke, Konzentrierter oder phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 456. 20 BVerfG, Beschl. v. 08.06.1998, Az. 1 BvR 650/97, Rn. 11 (juris). 21 VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412.18, Rn. 56 ff. (juris). 22 Zum Begriff Steinberg/Berg/Wickel (2012), Fachplanung, § 7 Rn. 17; Schlacke, Konzentrierter oder phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 456.
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vermeiden, „um Prozessverzögerungen entgegenzuwirken und eine effektive und zügige Erreichung des Prozesszieles zu gewährleisten.“23 Verfassungsrechtlich ist der konzentrierte Rechtsschutz solange zulässig, wie vorgelagerte Entscheidungen inzident in der gerichtlichen Kontrolle der Letztentscheidung geprüft werden können.24 Ob das sinnvoll ist, dazu sogleich. Fachgesetzübergreifend wird durch § 44a VwGO einer mitlaufenden Verwaltungsgerichtskontrolle insoweit eine Absage erteilt, als Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen25 nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend zu machen sind.26 (1) Rechtsschutz bei der Bundesfachplanung im Netzausbau Die Konzentration des Rechtsschutzes ist gängig bei der Bundesfachplanung im Netzausbau. Die Bundesfachplanung wird als infrastrukturrechtliche Fachplanung sui generis begriffen, die der Zulassung eines Vorhaben vorgeschaltet ist und eine Abwägung von öffentlichen und privaten Belangen enthält.27 Der Rechtsschutz ist in der Bundesfachplanung normativ ausgeschlossen.28 Als Teil des späteren Planfeststellungsbeschlusses ist die Bundesfachplanung inzident und damit konzentriert justiziabel. Der konzentrierte Rechtsschutz ist aber nur dann möglich, wenn die Klagenden eine mögliche subjektive Rechtsverletzung geltend machen können. Sie könnten beispielsweise bei einer Enteignung Eigentumsrechte und damit eine Gesamtabwä-
23 BVerwG,
Urt. v. 01.09.2009, Az. 6 C 4/09, Rn. 21 (juris). Rechtsschutz bei mehrstufigen Planungs- und Zulassungsverfahren, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 61 (71 f.); Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 166 ff.; das BVerfG entschied mit einer „Schrankentrias“, dass Rechtsschutz im Rahmen von Verfahrensstufungen ohne oder mit bedingten konzertierten Rechtsschutz nur unter folgenden Voraussetzungen mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar ist. Es müssen (i) normative Bindungswirkungen für die Behörde an vorangehende Feststellungen bestehen, (ii) gegen die mit Bindungswirkung ausgestattete Teil- oder Vorentscheidung muss ihrerseits effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stehen und (iii) die Aufspaltung des Rechtsschutzes mit einer etwaigen Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung muss für den Bürger klar erkennbar und nicht mit unzumutbaren Risiken und Lasten verbunden sein, BVerfG, Beschl. v. 31.05.2011, Az. 1 BvR 857/07, Rn. 102 (juris). 25 Verfahrenshandlungen nach § 44a S. 1 VwGO sind alle behördlichen Maßnahmen, die Teil eines konkreten Verwaltungsverfahren sind, ohne selbst Sachentscheidung zu sein, BVerwG, Urt. v. 01.09.2009, Az. 6 C 4/09, Rn. 21 (juris). 26 Vgl. Kloepfer (2019) Umweltrecht, § 8 Rn. 121 ff. 27 Für die Fachplanung des Netzausbaus vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 NABEG: Schlacke, Rechtsschutz von Umweltverbänden gegen die Bundesfachplanung, in: Kment (Hrsg.), Festschrift für Hans D. Jarass (2015), 379 f. m. w. N. 28 Vgl. § 15 Abs. 3 S. 2 NABEG für den Netzausbau. 24 Ewer,
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gung aller Gemeinwohlgesichtspunkte (Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG) einfordern.29 Die Eigentumsgarantie ermächtigt die Enteignungsbetroffenen indes nicht, sich zu Sachwalter:innen solcher Interessen zu erheben, die von der Rechtsordnung anderen Rechtsinhaber:innen zugewiesen sind.30 Gleiches gilt für Interessen, die niemandem zugeordnet und mithin objektiv-rechtlich sind. Hier wird die Schwäche des Umweltschutzes deutlich. Es muss immer eine Konnexität zwischen Klagegegenstand und subjektiv-rechtlicher Norm bestehen. So lehnte das BVerwG die Klagebefugnis eines Eigentümers ab, der mit einer Beeinträchtigung seines unter dem Schutz der FFH-RL stehenden Grundstückes argumentierte.31 Fehler in der SUP, welcher die Bundesfachplanung unterliegt,32 weisen regelmäßig ebenso wenig eine solche subjektivrechtliche Konnexität auf. Sie sind damit im konzentrierten Rechtsschutz nicht justiziabel.33 Liegt ausnahmsweise dennoch eine subjektive Rechtsverletzung vor, hat die inzidente Prüfung Erfolg, wenn der Rechtsverstoß auf den Planfeststellungsbeschluss „durchschlägt“.34 Dies ist der Fall bei absoluten oder ergebnisrelevanten Verfahrensfehlern des Bundesfachplanungsverfahrens, die nicht geheilt wurden und nicht behoben werden können.35 Zudem schlagen angesichts der Bindungswirkung der Fachplanung auch deren materiellen Fehler auf die Zulassungsentscheidung durch.36 Wenn so zwar einige Fehler in der Bundesfachplanung justiziabel sind, lassen fehlende subjektive Rechte, die Justiziabilität von Umweltbelangen sowie die Struktur des konzentrierten Rechtsschutzes einerseits nach der Effektivität37 andererseits nach der Zweckmäßigkeit fragen. Vorverlagerter Rechtsschutz könnte Zeitersparnisse, Abschichtungen des Prozessstoffes, Beschleunigungen und bessere Revidierbarkeit von Verfahrensfehlern bedeu-
29 BVerwG, Urt. v. 16.03.2006, Az. 4 A 1075/04, Rn. 453 (juris); Urt. v. 03.11.2020, Az. 9 A 12/19, Rn. 33 (juris). 30 BVerwG, Urt. v. 03.11.2020, Az. 9 A 12/19, Rn. 33, 38 (juris) und ebenso wenig die Verbände, Urt. v. 03.11.2020, Az. 9 A 7/19, Rn. 39 (juris). 31 BVerwG, Urt. v. 17.02.2021, Az. 7 C 3/20, Rn. 7 (juris); wohl a. A. BGH, Urt. v. 19.07.2019, Az. V ZR 177/17, Rn. 43 (juris). 32 § 5 Abs. 7 NABEG, Nr. 1.11 Anlage 5 UVPG. 33 Langstädtler (2021), Effektiver Umweltrechtsschutz in Planungskaskaden, S. 488. 34 Ebd., S. 480. 35 BVerwG, Urt. v. 24.03.2021, Az. 4 VR 2/20, Rn. 37 (juris). 36 Ebd., Rn. 39 (juris). 37 Das Durchschlagen und die mögliche Fehlerheilung gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 NABEG i. V. m. § 75 Abs. 1a VwVfG werden teilweise als Verstoß gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 9 Abs. 4 AK angesehen, vgl. Baumann/ Brigola, Von Garzweiler nach Århus, DVBl 2017, 1385 (1389); Langstädtler (2021), Effektiver Umweltrechtsschutz in Planungskaskaden, S. 492.
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ten.38 Vor allem aber führt er zu einer Planungs- und Rechtssicherheiten aller Beteiligten, da er anders als konzentrierter Rechtsschutz und trotz der Plan erhaltungsregelung (§ 15 Abs. 3 S. 3 NABEG) nicht erst die gesamte, abgeschlossene Planung scheitern lässt.39 Fehler in der Fachplanung gefährden bis zum Ende der letzten gerichtlichen Verhandlung die Realisierung des Netzausbaus. Die Gefahr einer Kassation so kurz vor dem Ziel nach mehrjähriger Planung ist real, die notwendige Beschleunigung des Netzausbaus dadurch relativiert. (2) Rechtsschutz bei der Bundesverkehrswegeplanung Auch in der Bundesverkehrswegeplanung wird der planerische Rechtsschutz normativ ausgeschlossen.40 Der BVWP41 ist der Fachplanung vorgeschaltet und wird durch die Ausbaugesetze42 in Gesetzesform gegossen. Erst die dortige Bedarfsfeststellung in Form der Bedarfspläne unterliegt einer Inzidenzkontrolle, die wiederum an den genannten Effektivitäts- und Zweckmäßigkeitsbedenken leidet. Die Bundesverkehrswegeplanung erfolgt aber nicht nur auf Planungsebene, sondern vermehrt auch auf Zulassungsebene in Form von Gesetzen. Wenn Planungen und Zulassungen gesetzlich und nicht mehr behördlich festgelegt werden, erfolgt ein Versuch der beschleunigten Umsetzung auf Kosten des Rechtsschutzes.43 Bereits in den Jahren 1993 und 1994 wurde der Bau der Eisbahnstrecke Berlin-Oebisfelde44 und der Bundesautobahn 2045 durch Bundesgesetz festgesetzt. Anfang des Jahres 2020 hat
38 Vgl. Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (394); vgl. für weitere Vorteile: Schlacke, Konzentrierter oder phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 456 (459). 39 Langstädtler (2021), Effektiver Umweltrechtsschutz in Planungskaskaden, S. 476; so auch Gärditz, Die Entwicklungen des Umweltrechts in den Jahren 2016– 2018, ZfU 2019, 369 (396) zur Flächenentwicklungsplanung im WindSeeG. 40 So z. B. in § 47 Abs. 4 UVPG hinsichtlich der Linienbestimmungen von Bundesfern- und Bundeswasserstraßen und in § 49 Abs. 3 UVPG für die Raumordnungsplanung. 41 Zu seiner Justiziabilität durch Verbandsklagen unter 6. b) aa) (1). 42 Fernstraßenausbaugesetz (FStrAbG), Bundesschienenwegeausbaugesetz (BSWAG), Bundeswasserstraßenausbaugesetz (WaStrAbG). 43 Vgl. Groß, Rechtsschutz gegen Maßnahmengesetze im Verkehrsbereich, JZ 2020, 76 (79 ff.). 44 Gesetz über den Bau der „Südumfahrung Stendal“ der Eisenbahnstrecke Berlin-Oebisfelde v. 29.10.1993, BGBl. I, S. 1906. 45 Gesetz über den Bau des Abschnitts Wismar West – Wismar Ost der BAB 20 Lübeck-Bundesgrenze (A 11) vom 02.03.1994, BGBl. I, S. 734.
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die Gesetzgebung das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz46 (MgvG) erlassen, das die Zulassung für den Neu- oder Ausbau von Verkehrsinfrastruktur durch Bundesgesetz anstelle eines Verwaltungsakts vorsieht. Ungeachtet der Frage, ob das Parlament der geeignete Ort der Infrastrukturplanung ist,47 sind diese Gesetze gegenüber dem verwaltungsrechtlichen Individualrechtsschutz gänzlich resistent.48 Gemäß § 47 VwGO können zwar planerische Bebauungs-, Ordnungs- und Fachpläne justiziabel sein. Die Bedarfsplangesetze oder die Vorhaben nach dem MgvG sind hingegen als formelle Gesetze nicht über den § 47 VwGO, sondern allenfalls mit der Verfassungsbeschwerde und einer Grundrechtskontrolle überprüfbar.49 Diese scheitert regelmäßig an der fehlenden Beschwerdebefugnis.50 Im Übrigen ist eine Verfassungsbeschwerde nur unter engen Voraussetzungen möglich und keine grundsätzliche Alternative zum fachgerichtlichen Rechtsschutz.51 Objektives Umweltrecht wird überdies von ihr nicht geprüft. (3) Rechtsschutz bei Klimaschutzplänen und -programmen Der Klimaschutzplan nach § 2 Nr. 7 KSG, das Sofortprogramm nach § 8 KSG und das Klimaschutzprogramm nach § 9 KSG sind für Individualklagende nicht justiziabel.52 Das Sofortprogramm und der Klimaschutzplan 46 BGBl. I
2020, S. 640. Groß, Rechtsschutz gegen Maßnahmengesetze im Verkehrsbereich, JZ 2020, 76 (79 ff.). 48 Was mitunter als gemeinschaftsrechts- und verfassungswidrig eingestuft wird, vgl. nur Langstädtler (2021), Effektiver Umweltrechtsschutz in Planungskaskaden, S. 536 m. w. N.; a. A. Ziekow (2019), Vorhabenplanung durch Gesetz, S. 62 ff., vor allem 69 ff. 49 Aufgrund der Normverwerfungskompetenz (Art. 100 Abs. 1 GG) kommt ggfs. eine (kommunale) Verfassungsbeschwerde mit der Rüge der möglichen Verletzung der Grundrechte (Selbstverwaltungsgarantie) in Betracht, vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2016), Verfassungsrechtliche Zulässigkeit planfeststellender Gesetze, S. 5 f.; Uechtritz, Phasenspezifischer oder konzentrierter Rechtsschutz, ZUR 2017, 479 (481). 50 Ewer, Rechtsschutz bei mehrstufigen Planungs- und Zulassungsverfahren, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 61 (64); UBA (Hrsg.), Das Instrument der Bedarfsplanung, 55/2017, S. 132; Appel, Neues Recht für neue Netze, UPR 2011, 406 (413). 51 BVerfG, Beschl. v. 17.01.2006, Az. 1 BvR 541/02, 1 BvR 542/02, Rn. 38 f. (juris); vgl. dazu Wegener, Verkehrsinfrastrukturgenehmigung durch Gesetz, ZUR 2020, 195 (199). 52 Auf die gesetzlich fixierten Emissionsmengen und Temperaturstellen wird unter E. I. eingegangen. 47 Ablehnend
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sind anders als das Klimaschutzprogramm nach § 9 KSG53 nicht SUPpflichtig und mithin auch für Verbände nicht angreifbar.54 Auch hier kann nur konzentriert die gesetzliche oder untergesetzliche Umsetzung inzident überprüft werden.55 Das VG Berlin betonte, dass es sich bei Kabinettsbeschlüssen, was alle drei sind, um politische Absichtserklärungen handle ohne rechtsverbindliche Regelung mit Außenwirkung. Diese Beschlüsse würden nur gubernatives Binnenrecht bilden und bloß die Bundesminister:innen binden.56 Der Innenrechtscharakter der Pläne und Programme sollte hinterfragt werden, bilden sie doch neben dem KSG das Fundament des deutschen Klimaschutzes. Die fehlende Justiziabilität steht exemplarisch dafür, dass Klimaschutz meist politisch und nicht rechtlich stattfinden soll. Eine partizipa tivere Demokratie auf Rechtsschutzebene à la Aarhus-Konvention sieht anders aus. Zusammen mit dem Justiziabilitätsausschluss in § 4 Abs. 1 S. 10 KSG entsteht der Eindruck, dass der ubiquitäre Klimawandel im System des Individualrechtsschutzes keinen Platz finden soll, sondern ausschließlich im Parlament bekämpft werden kann. Dies verkennt vor allem zweierlei: einerseits die Tatsache, dass der Klimawandel nicht jenseits juristischer Einzelfälle liegt, sondern aus ihnen besteht,57 andererseits die Tatsache, dass Klagerechte auch und gerade auf Planungsebene demokratisch-funktional und damit gewinnbringend für rechtmäßige Planungen sein können.58 bb) Das Problem einer einheitlichen Definition der Betroffenheit Die Frage nach Justiziabilität auf der Planungsebene wird von der Frage nach der Betroffenheit begleitet. Planungen seien zu abstrakt für konkrete Betroffenheiten. Einheitliche Antworten sind daher bisweilen nur schwer zu finden. (1) Kein einheitlicher Maßstab im Unionsrecht Wenn auch die „Janecek“-Entscheidung im Jahr 2008 Erwartungen eines individuellen Anspruches auf Planung weckte, so wurden diese durch die Änderung der Luftqualitäts-RL59 weitestgehend wieder schlafen gelegt. 53 Anlage
5 Nr. 2.13 UVPG. dass sie es aber sein müssen unter E. II. 2. 55 BT-Drs. 19/14337, S. 21, 32. 56 VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412.18, Rn. 56 ff. (juris). 57 Winter, Rechtsdogmatische und staatstheoretische Probleme einer Klimaklage, ZUR 2019, 259 (269); dazu unter G. II. 1. b). 58 Dazu unter 4. und G. II. 1. b). 59 Dazu unter C. II. 2. b) aa) (1). 54 Dazu,
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Nicht nur die Korrektur durch den europäischen Gesetzgeber, sondern auch die nahezu für jede Emission unterschiedlich stark subjektivierende Rechtsprechung verwirrt. Während subjektive Rechte hinsichtlich der Aufstellung von Aktionsplänen für Feinstaub nicht bestehen, so besteht doch ein Anspruch auf Aufstellung von Aktionsplänen für Schwefeldioxid, Stickstoff dioxid und Luftqualitätsplänen.60 Aber für Individualklagende im Rahmen von Lärmaktionsplänen (§§ 47a BImSchG) besteht nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG ein solch subjektiv-rechtlicher Anspruch wiederum nicht.61 Mit Blick auf die europäischen Trends der Mobilisierung der Individualklagenden (dazu unter 4. a)) und die Justiziabilität im Vorsorgebereich (dazu unter 4. b) cc)) könnte der sektorale subjektive „Anspruch auf Planung“ auf andere Planungssektoren vermehrt „überschwappen“.62 Dies wäre begrüßenswert, zumal jüngere Judikate der nationalen63 und internationalen64 Gerichte zeigten, dass in Deutschland ein enormes Vollzugsdefizit beispielsweise der Luftqualitätsvorschriften besteht. (2) Kein einheitlicher Maßstab im nationalen Recht Bereits in vorverlagerten Planungen sind sämtliche Belange – wenn auch abstrakter als in einem Verwaltungsrechtsstreit – auszugleichen. Für ein abwägungsrechtliches Klagerecht nach § 47 VwGO ist die subjektiv-rechtliche Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 S. 1 VwGO)65 erforderlich. Die Antragsbefug60 Sparwasser/Engel, Aktionspläne des Luftreinhalte- und Lärmschutzrechts, NVwZ 2010, 1513 (1519); Berkemann, EuGH stärkt erneut Klagebefugnisse, DVBl 2021, 1 (7). 61 Vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.2019, Az. 7 C-2/18, Rn. 17 ff. (juris) m. w. N.; vgl. dazu auch Kment, Anm. zum Urt. v. 28.11.2019, Az. 7 C-2/18, NVwZ 2020, 891 (895 f.); Römling, Europäisierung des Individualrechtsschutzes, NUR 2020, 686 (688 f.). 62 So für die Lärmaktionspläne Berkemann, EuGH stärkt erneut Klagebefugnisse, DVBl 2021, 1 (7); für wasserrechtliche Bewirtschaftungspläne: Breuer, Klagbare Ansprüche auf Planung, in: Dolde et al. (Hrsg.), Festschrift für Dieter Sellner (2010), 493 (505); Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 120. 63 Luftreinhalteplan für Hamburg ist fortzuschreiben, BVerwG, Urt. v. 28.05.2021, Az. 7 C 4.20; ebenso für Ludwigsburg, BVerwG, Urt. v. 28.05.2021, Az. 7 C 2.20. 64 Deutschland verstieß von 2010 bis 2016 „systematisch und anhaltend“ gegen Grenzwerte für Stickstoff, EuGH, Urt. v. 03.06.2021, Az. 635/18, Rn. 83, 144 (juris). 65 Das BVerwG tendiert teils zu einer großzügigeren Auslegung der Antragsbefugnis in der Planungsebene. Ein Antragssteller war antragsbefugt hinsichtlich eines Abfallbeseitigungsplans, der sachlich und räumlich so konkretisiert war, dass bereits auf der Planungsstufe ein Nachteil eines rechtlich geschützten Rechts möglich erschien, vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.1988, Az. 7 NB 2/88. In einem raumordnungsrechtlichen Fall ließ es das Gericht genügen, dass das Grundstück des Antragsstellers im räumlichen Geltungsbereich der Zielfestlegung mit der Wirkung des § 35 Abs. 3
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nis kann sich aus dem rechtlichen66 Gebot ordnungsgemäßer und gerechter Abwägung67 zwischen privaten und öffentlichen Belangen insoweit ergeben, als es für die Abwägung erhebliche Individualbelange zu subjektiv-öffentlichen Rechten erhebt.68 Klagende können in ihrem Recht auf gerechte Abwägung verletzt sein, wenn sie eine Beeinträchtigung offensichtlich und eindeutig konkretisieren können.69 Je abstrakter die Planungen sind, desto seltener gelingt eine solche Konkretisierung. Sämtliche Planungen können indes in Form von (faktischen) Bindungswirkungen70 Individualbelange bereits in diesem abstrakten Stadium beeinträchtigen. Eine Betroffenheit kann damit nicht nur auf Ebene der endgültigen Sachentscheidung, sondern vielfach auch schon in der Planung bestehen.71 Dies führt zur primär monierten72 Frage nach der Definition respektive „Reichweite rechtlicher Betroffenheit auf der Ebene von Vorentscheidungen“.73 Es gilt nach dem rechtlichen Kipppunkt zu suchen, der den vorverlagerten Rechtsschutz eröffnen soll und muss. Die höchstrichterrechtliche Rechtsprechung bietet dafür insoweit S. 2 Hs. 1 oder Abs. 3 Satz 3 BauGB liege, vgl. BVerwG, Urt. v. 16.04.2015, Az. 4 CN 6/14, Rn. 9 ff. (juris). 66 Vgl. z. B. § 7 Abs. 2 ROG und § 1 Abs. 7 BauGB. 67 BVerwG, Urt. v. 12.12.1969, Az. IV C 105.66, Rn. 29 (juris); dazu ausführlich Berkemann, Zur Abwägungsdogmatik: Stand und Bewertung, ZUR 2016, 323 ff. 68 BVerwG, Urt. v. 24.09.1998, Az. 4 CN 2/98, Leits. 2 (juris); Berkemann, Zur Abwägungsdogmatik: Stand und Bewertung, ZUR 2016, 323 (329 f.); Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 13; vgl. auch Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 102. 69 Vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.12.1988, Az. 7 NB 2/88, Rn. 12 (juris); BVerwG, Beschl. v. 10.02.2016, Az. 4 BN 37/15, Rn. 8 (juris). 70 Für die faktische Bindung der Gerichte: „Dieser Umstand ist es der die Gerichte, wie die Erfahrung lehrt, allzu leicht – oder notgedrungen dazu verführt, diese [gesetzten] Fakten – die veränderte Wirklichkeit – anzuerkennen und ein an sich begründetes Rechtschutzbegehren abzulehnen“, Blümel, Raumplanung, vollendete Tatsachen und Rechtsschutz, in: Doehring (Hrsg.), Festgabe für Ernst Forsthoff (1967), S. 138; SRU (2011), Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten, S. 316 Rn. 584, wonach die „großräumige Variantenwahl auf Planfeststellungsebene und im nachfolgenden Gerichtsverfahren nur in seltenen Einzelfällen substantiiert erschüttert werden“ kann; für die faktische Bindung des BVWP für die Infrastrukturplanung: Held/Ringwald/Roller, Gutachten v. 05.06.2021, S. 11 f.; vgl. auch Ewer, Rechtsschutz bei mehrstufigen Planungs- und Zulassungsverfahren, in: Kloep fer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 61 (64). 71 Vgl. auch Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 34 (1976), 145 (197). 72 Schlacke, Konzentrierter oder phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 456 (460). 73 Erbguth, Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, VVDStRL 61 (2002), 221 (251 f.); Erbguth, Phasenspezifischer oder konzentrierter Rechtsschutz?, NVwZ 2005, 241 (242).
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(noch) keine Lösung, als sie die Frage gänzlich offenlässt.74 Das BVerfG stellte in der Garzweiler II-Entscheidung75 fest, dass es mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar ist, den Rechtsschutz erst zu einem Zeitpunkt zu ermöglichen, bei dem eine „offene Überprüfung“ nicht zu erwarten wäre oder die Verletzung eines Rechts nicht mehr verhindert werden könnte. Das Gericht bestimmt damit (für komplexe Verfahren) zwar den spätesten Zeitpunkt, aber nicht die Kipppunkte des vorverlagerten Rechtsschutzes.76 So sieht auch Eberhard Schmidt-Aßmann es als einen Auftrag der verwaltungsrechtlichen Lehre, ein „Stufensystem der Betroffenheit“ zu entwickeln.77 c) De lege ferenda Ohne ein Stufensystem löste der Gesetzgeber dieses Problem im Standortauswahlgesetz (StandAG). Indem das StandAG den Kreis der klagebefugten Personen mit den betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften, in deren Gebiet der vorgeschlagene Standort liegt, und deren Einwohner:innen sowie deren Grundstückseigentümer:innen78 abgrenzbar erweitert, schafft es verwaltungsgerichtliche Kontrolle vom Standortauswahlverfahren bis zur Standortentscheidung.79 Dieser legislative Ansatzpunkt umgeht nicht nur das Problem der rechtlichen Betroffenheit in Vorentscheidungen, sondern lässt vielmehr konkretisierende sowie subjektivierende Rechtsprechung obsolet werden. Gleichzeitig wird individueller und überindividueller phasenspezifischer Rechtsschutz vereint. So wird Doppelprüfungen vorgebeugt, kann sich individueller konzentrierter Rechtsschutz, der inzident auch frühere Planungen prüft, doch mit der vorverlagerten Verbandsklage überschneiden.80 Auch mit Blick auf die Rechtsicherheit könnten die Vorgaben aus dem StandAG als Schablone für weiteren vorverlagerten Rechtsschutz in standortbezogenen
74 Hinzuweisen gilt es auf die Versuche, die Reichweite der Betroffenheit aus der Verletzung von phasenspezifischen Beteiligungsrechten zu bestimmen, vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1997, Az. 11 A 49/96. 75 BVerfG, Urt. v. 17.12.2013, Az. 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, Rn. 194 (juris). 76 So auch Schlacke, Konzentrierter oder phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 456 (457, 460); Dammert/Brückner, Phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 469 (471). 77 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 170 m. w. N. 78 § 17 Abs. 3 S. 3 und § 19 Abs. 2 S. 6 StandAG. 79 Vgl. auch BT-Drs. 18/11398, S. 62 und 64. 80 Vgl. Rennert, Verwaltungsrechtsschutz auf dem Prüfstand, DVBl 2017, 69 (72).
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Infrastrukturplanungen dienen.81 Denn auch die Verbandsklage kann hier nur bedingt Abhilfe leisten. Ungeachtet der Lücken der phasenspezifischen Verbandsklagemöglichkeiten82 forcieren sie nicht den Schutz der gleichen Belange wie die Individualklagen. Sie verfolgen primär die Durchsetzung von überindividuellen Interessen und wenn überhaupt nur reflexartig den Schutz der phasenspezifischen Individualbelange.83 Ein phasenspezifischer Individualrechtsschutz sollte ernsthaft forciert werden, stets mit dem umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip im Hinterkopf. Die räumliche Nähe zwischen Planungsobjekt und Individuum könnte dabei helfen die Betroffenheit prozessrechtlich zu definieren. Bei Rahmenplanungen, also standortunabhängigen Planungen (v. a. Klimaschutz), sollte auf die Verbandsklage zurückgegriffen werden, weil eine räumliche Konnexität zwischen Planung und Individualklagenden im status quo nicht vorliegen wird. 3. Vorläufiger Rechtsschutz a) Begriffsverständnis Für die Garantie auf rechtzeitigen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG ist auch der vorläufige Rechtsschutz unerlässlich.84 Vorläufiger Rechtsschutz kann durch die einstweiligen Anordnungen aus § 123 VwGO, aus § 47 Abs. 6 VwGO, § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO, und aus dem Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO und § 80a VwGO erfolgen. Nur selten ist einem Genehmigungsverfahren kein Eilrechtsschutzverfahren vorgeschaltet. Eilrechtsschutz ist im Umweltrecht vielmehr „faktisch entscheidender Verfahrensteil“.85 Das liegt auch daran, 81 So auch Schlacke, Konzentrierter oder phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 456 (456, 460 ff.); auf das NABEG übertragend Langstädtler (2021), Effektiver Umweltrechtsschutz in Planungskaskaden, S. 530 ff.; allgemeiner Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 132. 82 Dazu unter 6. b) aa) (1). 83 Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: Erichsen (Hrsg.), Festschrift für Christian-Friedrich Menger (1985), 191 f.; Schlacke, Konzentrierter oder phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 456 (460); vgl. auch Franzius, Modernisierung des subjektiv öffentlichen Rechts, UPR 2016, 281 (286); zur vorverlagerten Verbandsklage unter 6. b) aa) (1). 84 BVerfG, Urt. v. 16.03.1993, Az. 2 BvR 202/93, Rn. 16 (juris); Beschl. v. 27.04.2005, Az. 1 BvR 223/05, Rn. 30 (juris); Beschl. v. 18.07.1973, Az. 1 BvR 23/73, Rn. 64 (juris); Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. § 80 Rn. 9 f.; vgl. für den unionalen Rechtsschutz in angemessener Zeit: EuGH, Urt. v. 26.11.2013, Az. C-58/12 P, Rn. 83 ff. (juris). 85 Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 5 Rn. 24; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 170.
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dass der Wegfall der aufschiebenden Wirkung und die sofortige Vollziehung vermehrt in klima- und umweltbezogenen Gesetzen zu finden sind.86 Nicht nur dadurch, sondern bereits durch die legislative Verkürzung des Instanzenzugs87 soll beispielsweise der beschleunige Ausbau größer Windenergieanlagen bewusst88 auf Kosten des Rechtsschutzes erfolgen. Dies bedeutet zwar, dass dem Vollzugsinteresse nach dem gesetzgeberischen Willen große Bedeutung zu kommt, es aber nicht automatisch gegenüber dem Suspensionsinteresse überwiegen kann.89 Aber auch die Verwaltung misst dem sofortigen Vollzug enorme Bedeutung zu und gewährt ihn meist großzügig.90 Es mutet zunehmend so an, dass sich die Regel der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) im Klima- und Umweltschutz zur Ausnahme wandelt.91 Die Behörden können regelmäßig aber auch nicht anders. Das öffentliche Inte resse i. S. d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO deckt sich nicht selten mit den Interessen der Vorhabentragenden.92 Zu denken ist an die Energieversorgung, an Arbeitsplätze, an ausgebaute Infrastrukturen. Die Entscheidung fällt dann zugunsten des öffentlichen und umweltnutzenden Interesses. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Antragstellenden den gesetzlichen Regelfall in zulässiger und begründeter Weise erstreiten müssen und mithin das Prozess- und Ermittlungsrisiko tragen.93 Durch summarische Prüfungen einerseits und die komplexe Vorhabenbewertung andererseits lässt sich dann wiederum ein „faktischer Vorrang zugunsten der Exekutive“94 erkennen. Eilrechtsschutz
86 Ermöglicht durch § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO, z. B. in § 212a BGB, § 8a BImSchG, § 63 BImSchG, § 17e Abs. 2 S. 1 FStrG, § 43e Abs. 1 S. 1 EnWG, § 26 TEHG, jüngst in § 11 Abs. 1 des Entwurfes zum Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (LNGG). 87 Das Investitionsbeschleunigungsgesetz führt § 48 Abs. 1 Nr. 3a VwGO ein, der eine Erstzuständigkeit des OVG vorsieht, BGBl. 2020 I Nr. 59, S. 2694. 88 BT-Drs. 456/20, S. 15. 89 Große, Roma locuta, causa finita?, NVwZ 2005, 773; Debus, Überwiegendes Vollzugsinteresse wegen gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung?, NVwZ 2006, 49 (51); Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 30. 90 Ermöglicht durch den § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO und § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO, vgl. dazu Schoch (1988), Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung, S. 199, 313 f. 91 Berkemann, Sinn und Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 13 (59) m. w. N. 92 Vgl. Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 172; Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 100 ff.; Gelzer, Die sofortige Vollziehung von Genehmigungsbescheiden, BauR 1977, 1. 93 Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 34, 187. 94 Berkemann, Sinn und Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 13 (59).
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erschwert damit bereits qua Struktur die Geltendmachung von Umweltbelangen. b) De lege lata aa) Das Problem der Irreversibilität Neben diesen Strukturproblemen wird der Eilrechtsschutz von dem Problem der Irreversibilität dominiert.95 Nicht nur bei Planungen, sondern auch bei dem sofortigen Vollzug von Verwaltungsakten gefährden irreversible und vollendete Tatsachen die Rechtsschutzmöglichkeiten der Beteiligten.96 Die Gerichte stehen bei der Interessensabwägung vor der Gefahr, eine Fehlentscheidung mit der Folge einer irreversiblen Realisierung oder irreversiblen Investitionen zu treffen.97 Für Vorhabentragende sind nicht nur Investitionen unumkehrbar, sondern auch das Vorhaben als solches. Insbesondere Großvorhaben in der Verkehrs- und Energieversorgungsinfrastruktur sind spätestens nach ihrer Fertigstellung kaum rückabzuwickeln.98 Ähnlich können im „einfachen“ Umweltrecht durch zum Beispiel die Rodung von Wäldern oder die Trockenlegung von Feuchtgebieten nur schwer revidierbare Umstände verursacht werden.99 Auch im Klimaschutz kann mit Blick auf die Kipppunkte eine Entscheidung (vielmehr die Summe von Entscheidungen) zuungunsten irreversibler Umweltbeeinträchtigungen erfolgen. Die Interessenabwägung im umweltrechtlichen Eilrechtsschutz geht damit weit über eine bloße Abwägung und Wirkung inter partes hinaus.100 Zudem erschwert die Komplexität 95 Schoch (1988), Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung, S. 314; Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 22; vgl. auch Scholz, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VVDStRL 34 (1976), 145 (194). 96 So auch das BVerfG, Urt. v. 20.12.1979, Az. 1 BvR 385/77, Rn. 46, 81 (juris); vgl. auch Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 32 ff., 151 ff. 97 Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 22; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 172; Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 30 ff. 98 Dazu Degenhart, Vollendete Tatsachen auf faktische Rechtslagen im Verwaltungsrecht, AöR 103 (1978), 164 (172 ff.); Schoch (1988), Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung, S. 314; Blümel, Raumplanung, vollendete Tatsachen und Rechtsschutz, in: Doehring (Hrsg.), Festgabe für Ernst Forsthoff (1967), S. 144. 99 Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 32 f.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 20.02.2020, Az. OVG 11 S 8/20, Rn. 15 (juris), wo zwischen lang gewachsenen Naturwäldern (irreversibel) und bloßen Wirtschaftswäldern (reversibel) differenziert wurde. 100 Vgl. Degenhart, Vollendete Tatsachen auf faktische Rechtslagen im Verwaltungsrecht, AöR 103 (1978), 164 (174).
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eines Vorhabens die gerichtliche Einschätzung des drohenden Schadensausmaßes bei rechtswidriger Entscheidung.101 Rechtswidrige vollendete Tatsachen können als „Vorausvollzug“102 einer rechtswidrigen Umsetzung entsprechen. Ein rechtswidriger und irreversibler Vorausvollzug konterkariert damit den leitenden Rechtsschutzgedanken der Wiederherstellung des status quo ante.103 Dies ist problematisch, soll doch gerade der Regelfall der aufschiebenden Wirkung aus § 80 Abs. 1 VwGO den status quo sichern und vorschnelle, vollendete (rechtswidrige) Tatsachen vermeiden.104 Vollendete rechtswidrige Umstände mit Entschädigungsansprüchen abzufedern, wird weder dem Begehren der Wiederherstellung noch dem umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip gerecht. So darf Eilrechtsschutz nicht nach dem Prinzip dulde und liquidiere betrieben werden, sondern den Regelfall der aufschiebenden Wirkung nur dann entfallen lassen, wenn irreversible Schäden nicht drohen oder die bei Suspension entstehenden Schäden nicht überwiegen.105 Auch verfassungsrechtlich ist der Eilrechtsschutz sensibel. Nach Art. 19 Abs. 4 GG gilt es zu verhindern, dass durch die sofortige Vollziehung Tatsachen geschaffen werden, die, wenn sie gerichtlich für rechtswidrig erklärt wurden, nicht mehr rückgängig gemacht werden können.106 So betonte das BVerfG, dass „[d]ie nach § 80 Abs. 1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung […] eine adäquate Ausprägung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie […]“107 ist. Ähnlich hielt das BVerwG den in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten umfassenden und effektiven Rechtsschutz für „illusorisch, wenn die Verwaltungsbehörden irreparable Maßnahmen durchführen, bevor die Gerichte deren Rechtmäßigkeit geprüft haben.“108 Auf den Klima- und Umweltschutz bezogen entschied das BVerfG im Klimabeschluss, dass bei wissenschaftlichen Ungewissheiten die auch für die zukünftigen Generationen bestehende besondere Sorgfaltspflicht aus Art. 20a 101 Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 33. 102 Degenhart, Vollendete Tatsachen auf faktische Rechtslagen im Verwaltungsrecht, AöR 103 (1978), 164 (171). 103 Ebd., (172); Gelzer, Die sofortige Vollziehung von Genehmigungsbescheiden, BauR 1977, 1 (2). 104 Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 29; dazu kritisch Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. § 80 Rn. 68 ff. 105 Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 166 f. 106 BVerfG, Beschl. v. 24.04.1974, Az. 2 BvR 236/74 et al. Rn. 9 (juris); Urt. v. 20.12.1979, Az. 1 BvR 385/77, Rn. 46, 81 (juris); Urt. v. 14.09.2016, Az. 1 BvR 1335/13, Rn. 22 (juris). 107 BVerfG, Beschl. v. 18.07.1973, Az. 1 BvR 23/73, Rn. 54 (juris). 108 BVerwG, Beschl. v. 26.06.1990, Az. 4 B 61/90, Rn. 9 (juris).
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GG verlangt, „bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen.“109 Welch großes Gewicht das Gericht vorausschauendem Umwelt- und Klimaschutz gerade mit Blick auf die Irreversibilität beimisst, zeigt die Verortung dieser Erwägung im Leitsatz der Entscheidung. bb) Zielkonflikte im Eilrechtsschutz Problematisch scheint diese Dominanz dann aber, wenn einerseits Naturund Artenschutz sowie der Schutz Dritter110 mit dem Klimaschutz andererseits durch zum Beispiel den Ausbau von Windkraftanlagen konfligiert.111 Umweltschutz um jeden Preis ließe die (ökologische) Innovation unberücksichtigt. Nicht nur rechtlich, sondern auch politisch konfligieren Innovationsprinzip112 und Vorsorgeprinzip. So sprach sich die FDP-Fraktion für eine Implementierung des Innovationsprinzips113 und das Bündnis 90/Die Grünen für die Stärkung des Vorsorgeprinzips114 aus. Dieser Zielkonflikt spitzt sich im Eilrechtsschutz gegen Maßnahmen der Energiewende zu. Er muss in praktischer Konkordanz gelöst werden.115 Art. 19 Abs. 4 GG schützt nicht automatisch den status quo, wenn der status quo post rechtmäßig zu sein scheint.116 Art. 19 Abs. 4 GG verlangt nicht den Zuwachs des Rechtsschutzes um jeden Preis, sondern seine Ausgewogenheit.117 Ein übergeordneter Suspensiveffekt wäre angesichts des dringenden Handlungsbedarfs im Bereich des Klimaschutzes auch nicht wünschenswert. Eilrechtsschutz in allen Klimaschutz fördernden Maßnahmen (faktisch) auszuschließen, ist aber ebenfalls kein gangbarer Weg. Vielmehr muss Eilrechtsschutz möglich sein und 109 BVerfG,
Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 229 (juris). über das Gebot der Rücksichtnahme z. B. § 35 Abs. 2 oder Abs. 3
110 Drittschutz
Nr. 3 BauGB. 111 Hierfür exemplarisch OVG Schleswig, Urt. v. 14.05.2020, Az. 1 KN 5/19, Rn. 86 ff. (juris). 112 So stehen hinter dem Innovationsprinzip Grundrechte wie die Berufs-, Wissenschafts- und Eigentumsfreiheit, vgl. Calliess, Das Innovationsprinzip, ZEuS 2021, 126 (133). 113 Antrag der FDP-Fraktion, „Innovation und Chancen nutzen – Innovationsprinzip bei Gesetzgebung und behördlichen Entscheidungen einführen“, BT-Drs. 19/9224. 114 Antrag Bündnis 90/Die Grünen, „Vorsorgeprinzip als Innovationstreiber“, BTDrs. 19/9270. 115 Vgl. dazu ausführlich Calliess, Das Innovationsprinzip, ZEuS 2021, 126 ff. 116 Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. § 80 Rn. 69 f.; vgl. auch Schmidt-Aßmann, Umweltrecht – Innovation – Rechtsschutz, EurUP 2016, 360 (362). 117 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. zu § 80 Rn. 12, § 80 Rn. 21.
II. Verwaltungsrechtsweg 139
gewährleisten, dass sich für die nachhaltigste Maßnahme entschieden wird, Alternativen berücksichtigt und Gegenmaßnahmen für die durch zum Beispiel Windkraftanlagen entstehenden Umweltbelastungen untersucht werden. Nicht alle Klimaschutzprojekte werden das höchste Maß an Klimaschutz aufweisen und vermeidbare Umweltbelastungen unterlassen. Dies gilt nicht nur für behördlich genehmigte Projekte, sondern auch für Maßnahmen der Bundesregierung wie dem Sofortprogramm nach § 8 Abs. 1 S. 1 KSG. Hierbei konfligieren nicht die Faktoren Umwelt- und Klimaschutz, sondern die Faktoren Zeit und Klimaschutz. Das Sofortprogramm muss bei überschrittenen Jahresemissionsmengen innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage der Bewertung der Emissionsdaten durch den Expertenrat erfolgen. Die Bundesregierung hat innerhalb dieser drei Monate die Aufgabe, mit dem Sofortprogramm die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherzustellen (§ 8 Abs. 1 S. 1 a. E. KSG), indem sie die zu ergreifenden Maßnahmen schnellstmöglich beschließt (§ 8 Abs. 2 S. 1 KSG). Da diese Maßnahmen die Klimaschutzprogramme nach § 9 Abs. 1 Hs. 2 KSG ergänzen, reicht das Sofortprogramm in seiner Wirkung weiter als bloß für die folgenden Jahre. Ungeachtet dieser Mammutsaufgabe bleibt die Frage, ob und wie ein Sofortprogramm im Eilrechtsschutzverfahren justiziabel sein kann. Dass dies nötig ist, zeigt ein Blick auf die Prüfung der Sofortprogramme 2020 und 2022 für den Gebäudesektor sowie für das Sofortprogramm 2022 für den Verkehrssektor durch den Expertenrat für Klimafragen. Diese ergäben unzählige Defizite der Programme, vor allem im Bereich der Emissionsentwicklung und -reduzierung.118 Hinzu kommt, dass eine nachträgliche Überprüfung nicht nur angesichts der sofortigen Wirkung des Programms sinnwidrig, sondern auch gar nicht möglich ist (dazu unter 2. b) aa) (3)). c) De lege ferenda Es wird deutlich, dass Eilrechtsschutz hinsichtlich des Umwelt- und Klimaschutzes vieles vereinen muss. Die Garantie rechtzeitigen und effektiven Rechtsschutzes kollidiert zunehmend mit dem Ausbau von Klimaschutzprojekten. Eine Kollision, die nicht zu vermeiden ist, aber abgedämpft werden kann. Für sämtliche Abwägungen betonte der Klimabeschluss, dass Klimaschutzaspekte zwar keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen haben, sie aber mit voranschreitendem Klimawandel stärker zu gewichten 118 Expertenrat für Klimafragen (2021), Bericht zum Sofortprogramm 2020 für den Gebäudesektor, S. 6 f., 15 ff.; Expertenrat für Klimafragen (2022), Prüfbericht zu den Sofortprogrammen 2022, S. 79 und 83.
140
D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
sind.119 Der Koalitionsvertrag sieht wie die Änderung des § 2 EEG einen Vorrang allerdings vor, indem die erneuerbaren Energien bis zum Erreichen der Klimaneutralität in der Schutzgüterabwägung bevorzugt werden sollen.120 Konkret sollen die erneuerbaren Energien damit im Rahmen von Abwägungsentscheidungen unter anderem gegenüber Wasserschutzgebieten, dem Landschaftsbild, Denkmalschutz oder im Forst-, Immissionsschutz-, Naturschutz-, Bau- oder Straßenrecht nur in Ausnahmefällen überwunden werden. Ein Ausnahmefall liegt dann vor, wenn das entgegenstehende Interesse mit einem dem Art. 20a GG vergleichbaren verfassungsrechtlichen Rang gesetzlich verankert ist.121 Gleichzeitig sollen der Klima- und Umweltschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden.122 Klima- und Umweltschutz lassen sich im Allgemeinen nämlich nicht trennen.123 Umweltschutz kann Schutz von natürlichen CO2- Senken und damit ebenfalls Klimaschutz bedeuten. Es ist mithin von erheblicher Bedeutung, dass das Gericht genau prüft, was die klimaverträglichste Lösung ist. Anders gewendet muss das Gericht entscheiden, ob im Einzelfall die Mitigation (Ausbau der erneuerbaren Energien) oder die Adaption (v. a. Schutz von CO2-Senken) Vorzug verdient. Gleichzeitig und gerade im Lichte des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG dürfen Rechte Dritter nicht aus den Augen verloren werden. Um alldem gerecht zu werden, könnte über eine Vertiefung des gericht lichen Prüfungsumfangs im Eilrechtsschutz nachgedacht werden. So ist schon längst nicht mehr nur die reine summarische Prüfung, sondern zusätzlich eine Erfolgsaussichtsprognose maßgebend.124 Würde die Interessensabwägung allerdings zu einer der Hauptsache äquivalenten Prüfung aufrücken,125 würde sich der Eilrechtsschutz zu einer vorweggenommenen Hauptsache wandeln. Sinn und Zweck der Eilbedürftigkeit wäre widersprochen und das Hauptsacheverfahren entgegen des Art. 19 Abs. 4 GG präjudiziert.126 Daher muss es wohl trotz der Schwierigkeiten bei einer Interessensabwägung und Erfolgsaussichtsprognose im Eilrechtsschutz bleiben.
119 BVerfG,
Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Leits. 2.a. (juris). (2021), S. 56; BT-Drs. 315/22, S. 2. 121 BT-Drs. 20/1630, S. 158. 122 Ebd., S. 137. 123 Dazu unter A. II. 2. 124 Schoch, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, Vorb. § 80 Rn. 11; deutlich BVerfG, Beschl. v. 14.09.2016, Az. 1 BvR 1335/13, Rn. 20 f. (juris). 125 So z. B. durch eine Erfolgsaussichtsprüfung, die die bloße Interessensabwägung ergänzen würde, vgl. dazu Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 156 ff. 126 Limberger (1985), Probleme des vorläufigen Rechtsschutzes bei Großprojekten, S. 187, 208. 120 Koalitionsvertrag
II. Verwaltungsrechtsweg 141
Um die Gerichte im Eilrechtsschutz nicht mit komplexem Prüfstoff zu überfordern, könnte zunächst früher, im vorverlagerten Rechtsschutz angesetzt werden.127 Phasenspezifischer Rechtsschutz könnte als Filter des Prozessstoffes dienen und damit Überforderungen des Eilrechtsschutzes stückweise abbauen. Hierfür ist erforderlich, Flächen für die erneuerbaren Energien planerisch auszuweisen. Sie sollten in Vorrang- und Ausschlussgebiete geteilt werden.128 Überdies könnte der Gesetzgeber einen Flächenanteil für Kommunen errechnen (sog. Windenergie-Beitragswert).129 Zusätzlich sollten die genehmigungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe vereinheitlicht und konkretisiert werden, um Rechtssicherheit zu schaffen sowie ausuferndem Prozessstoff und Begründungen vorzubeugen.130 Parallel dazu könnte bei den betroffenen Dritten (z. B. Grundeigentümer:innen neben einer Windenergieanlage) Akzeptanz geschaffen werden durch Beteiligungs-, Abgabe- oder Besteuerungsmodelle.131 Klagen ließen sich so vorbeugen. Zudem sollten wie im Hauptsacheverfahren (§ 74 VwGO) Fristen für den Antrag im Eilrechtsschutz eingerichtet werden.132
127 Vgl. etwa Degenhart, Vollendete Tatsachen auf faktische Rechtslagen im Verwaltungsrecht, AöR 103 (1978), 164 (195 ff.); auch etwa Schenke, Vorbeugende Unterlassungs- und Feststellungsklage im Verwaltungsprozeß, AöR 95 (1970), 223 (251); ähnlich auch Gelzer, Die sofortige Vollziehung von Genehmigungsbescheiden, BauR 1977, 1 (5). 128 Vgl. dazu Schmidt et al., Gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie, Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht Nr. 52 v. 28.10.2021, S. 5 ff.; Riese/Schneider, Klimaschutz und Raumplanung, UPR 2021, 445 ff.; Wormit, Rechtliche Möglichkeiten und Grenzen der Festlegung von bundesraumordnerischen Flächenvorgaben, ZFU 2021, 324 ff. 129 Stiftung Klimaneutralität, Wie kann die Verfügbarkeit von Flächen für die Windenergie an Land schnell und rechtssicher erhöht werden? Ein Regelungsvorschlag, v. 28.01.2021, S. 2 ff.; im Jahr 2023 tritt das Windenergieflächenbedarfsgesetz in Kraft, das verbindliche Flächenziele für Länder vorgibt. 130 Vgl. Schmidt et al., Gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie, Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht Nr. 52 v. 28.10.2021, S. 12 f., 15; vgl. auch Schmidt/Sailer, Reformansätze zum Genehmigungsrecht von Windenergieanlagen, Würzburger Studien zum Umweltenergierecht Nr. 25 v. 28.01.2022, S. 6 ff.; für Leitlinien der artenschutzrechtlichen Prüfungen: Schober/Calabro, Qualitätssicherung bei artenschutzrechtlichen Prüfungen von Windenergieprojekten, NVwZ 2022, 115 ff.; so will auch der Koalitionsvertrag (2021), S. 56 bundeseinheitliche Bewertungsmethoden bei der Artenschutzprüfung von Windenergievorhaben einrichten. 131 Dazu Rodi, Das Recht der Windkraftnutzung zu Lande unter Reformdruck, ZUR 2017, 658 (660 ff.). 132 So auch Schmidt/Sailer, Reformansätze zum Genehmigungsrecht von Windenergieanlagen, Würzburger Studien zum Umweltenergierecht Nr. 25 v. 28.01.2022, S. 70.
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
In jedem Fall müssen die gerichtlichen Ressourcen aufgestockt werden, um bereits frühzeitig den Tatbestand zu ordnen und für die Richter:innen aufzubereiten.133 Da Klagen gegen die Windkraft zunehmen, könnte beispielsweise über die Einführung von „Windenergiesenate“ nachgedacht werden.134 Der Eilrechtsschutz muss auch und gerade im Rahmen der beschleunigten Zulassungen funktionieren, um zu berücksichtigende Interessen nicht rechtsschutzlos zu stellen. Der Grundsatz der institutionellen Garantie aus Art. 19 Abs. 4 GG135 will durch eine strukturell funktionsfähige Ausstattung sowie qualifizierte Besetzung der Gerichte gerade einer drohenden Rechtsschutzlosigkeit vorbeugen. 4. Die Subjektivität im Umweltrecht Die größte Strukturschwäche des Umwelt- und Klimarechts ist die fehlende oder nur schwerlich erzeugbare Subjektivität. Normativ findet sie in der Zulässigkeitshürde des § 42 Abs. 2 VwGO ihren Austragungsort. Unpro blematisch wird die Hürde bei adressierten Verwaltungsakten überwunden, da zumindest eine Verletzung der persönlichen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG möglich erscheint (sog. Adressatentheorie).136 Ebenfalls unpro blematisch ist der gerichtliche Zugang, wenn sich das subjektive Recht eindeutig bestimmen lässt. Problematischer gestaltet sich der Zugang zu Gericht in den Fällen, in denen das möglicherweise verletzte Recht allenfalls europarechtlich subjektiviert wird (dazu unter a)) oder Rechtsschutz in einem Dreiecksverhältnis gesucht wird (dazu unter b)). a) Europäische Mobilisierung der Individualklagenden Gemeinschaftsrechtlich angestoßen und richterrechtlich konkretisiert, lässt sich seit längerem eine Subjektivierung der objektiv-rechtlichen Umweltvorschriften erkennen. Dadurch sind nicht mehr ausschließlich die Verbände, sondern zunehmend die Individualklagenden die Prokurator:innen von Umweltbelangen. 133 So Gelzer, Die sofortige Vollziehung von Genehmigungsbescheiden, BauR 1977, 1 (5). 134 So Schmidt et al., Gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten zur Beschleunigung des Ausbaus der Windenergie, Würzburger Berichte zum Umweltenergierecht Nr. 52 v. 28.10.2021, S. 15; dazu auch unter H. I. 2. a). 135 Dazu unter B. I. 1. a) cc). 136 Vgl. dazu ausführlich Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 70 m. w. N.; BVerwG, Beschl. v. 19.07.2010, Az. 6 B 20/10, Rn. 16 (juris).
II. Verwaltungsrechtsweg 143
aa) Das bemühte Schritthalten des BVerwG Das BVerwG hat im Jahr 2013 den Bürger:innen „bezogen auf das objektive Interesse an einer Sicherung der praktischen Wirksamkeit und der Einheit des Unionsrechts eine prokuratorische Rechtsstellung“ zugesprochen.137 Das Gericht urteilte missverständlich, da es nicht alle Bürger:innen mobilisierte, sondern nur die Verbände. Die Rechtsprechung adaptierte hierbei die „Braunbär I“-Entscheidung des EuGH138 und gab damit dem völkerrechtlich entstandenen (Art. 9 Abs. 3 AK) und europarechtlich geforderten Umsetzungsdruck nach. Gleichzeitig weitet sie das Verständnis des subjektiven Rechts eines Verbandes. Das Gericht machte deutlich, dass eine juristische Person in ihrer Gesundheit nicht betroffen sein kann.139 Ausgehend von der „Janecek“-Entscheidung140 kann aber eine juristische Person „ein fremdes Interesse, so etwa als dort ansässiges Unternehmen die Gesundheit seiner Mitarbeiter, zum eigenen Anliegen machen“.141 Nun erkennt das BVerwG an, dass es dem Verband nicht um die Durchsetzung von den Interessen der Mitarbeitenden geht, sondern allein um die Wahrung von Umweltinteressen. Der Senat öffnet das Verständnis des subjektiven Rechts insoweit, als die Verbände „in großzügiger Anerkennung des subjektiven Rechts […] auch für die dezentrale Durchsetzung des Unionsrecht zu mobilisieren sind“.142 Die Gesundheit der Mitarbeitenden wird gegen die Gesundheit der Umwelt ausgetauscht. Anknüpfungspunkt ist § 47 Abs. 1 BImSchG. Seine Bestimmung des Luftreinhalteplanungsrecht schützt sowohl die Menschen als auch die Umwelt. Als subjektives Recht wird folglich nicht – wie üblich – die eigentliche Durchsetzung individueller Interessen definiert, sondern die Durchsetzung des Umweltrechts, das individuelle Interessen schützen soll. Diese zugebilligte Rechtsmacht ist in unionsrechtskonformer Auslegung des § 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO im Interesse des aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Effektivitätsgebots als subjektives Recht der Verbände anzuerkennen.143 Zusammengefasst ist der Umweltverband also dann in seinem subjektiven Recht verletzt, wenn ein bestehendes subjektives Recht natürlicher Personen (i), das auf Unionsumweltrecht beruht (ii), verletzt ist, ohne dass eine natürliche Person betroffen sein muss (iii). Umweltrechtlicher Altruismus ist nun also Teil der 137 BVerwG,
Urt. v. 05.09.2013, Az. 7 C 21/12, Rn. 46 (juris). unter C. II. 2. b) aa) (2). 139 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, Az. 7 C 21/12, Rn. 42 (juris). 140 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07, Rn. 48 (juris). 141 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, Az. 7 C 21/12, Rn. 45 (juris). 142 Ebd., Rn. 46 (juris). 143 Ebd., BVerwG verweist in Rn. 48 ausdrücklich auf die Spruchpraxis des ACCC; vgl. auch Gellermann, Verbandsklagen im Umweltrecht, DVBl 2013, 1341 (1342); Guckelberger, Entwicklungslinien im Umweltrechtsschutz, JA 2014, 647 (653). 138 Dazu
144
D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
Subjektivität des Rechts. Damit tastet das BVerwG die nach deutschem Verständnis strikte Dichotomie von subjektiv-rechtlichen und objektiv-rechtlichen Normen an. Es ergänzt diese Kategorisierung um die – der Schutznormlehre fremden144 – prokuratorischen Rechte.145 Rechte, die außerhalb der Verbandsklage Umweltrecht im deutschen subjektiven Rechtsschutzsystem aktivieren. Rechte, die nach dieser Rechtsprechung aber weiterhin ein subjektives Recht voraussetzen.146 Das BVerwG zielt damit im Rechtsschutz auf eine Systemerweiterung bei gleichzeitiger Systemintegration, ohne die Schwelle einer Systemüberwindung zu übertreten. Dass genau das Aufgabe der Judikative ist, sollte schon hier betont sein.147 Da es sich um eine – wenn auch extensiv verstandene und für das entstehungsgeschichtliche Verständnis neuartige – „eigene Rechtsverletzung“ i. S. d. § 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO handelt, wurde die Verletztenklage im Grundsatz nicht aufgegeben.148 Vielmehr hat diese Rechtsprechung keinerlei Einfluss auf die Verletztenklage der Individualklagenden. Die deutsche Gerichtsbarkeit nahm vor 2013 und auch nach den drei großen Novellierungen des UmwRG die Rechtsprechung nicht als Anlasspunkt, die individuelle Rügebefugnis extensiver zu verstehen.149 Sie ordnet weiterhin allein den Verbänden die Aufgabe der Prokuratoren im Gemeinwohl zu.150 Der europäischen Individualisierung des Umweltrechts jedoch wird sie damit nicht gerecht. bb) Die europäische Individualisierung (1) Das Ziel Die Überzeugung, dass nur die Verbände Prokuratoren sein können und sollen, gerät zunehmend unter den Druck neuerer EuGH-Rechtsprechung. 144 Vgl.
Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 37, 107 ff. dazu Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts, DVBl 2015, 929 (935); Franzius, Das Bundesverwaltungsgericht auf dem richtigen Weg?, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 145 (159 ff.); Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 226 bezeichnet sie als „prokuratorische Befugnisse“. 146 Zu der Rechtsprechung, die diese nicht mehr voraussetzt, unter G. III. 147 Dazu Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung, DVBl 2014, 543 (548, 549 f.); vgl. auch Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz, EurUP 2015, 196 (201); vertieft wird die Rolle der Gerichte unter G. II. 2. 148 So auch Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts, DVBl 2015, 929 (933 ff.); zudem ist auf Art. 19 Abs. 3 GG hinzuweisen, wonach auch juristischen Personen Grundrechte zustehen können. 149 Deutlich in BVerwG, Urt. v. 28.11.2019, Az. 7 C-2/18, Rn. 10 ff. (juris); vgl. dazu Kment, Anm. zum Urt. v. 28.11.2019, Az. 7 C-2/18, NVwZ 2020, 891 (895). 150 BVerwG, Urt. v. 28.11.2019, Az. 7 C-2/18, Rn. 14 (juris): „[…] Die gebotene Effektivität des Rechtsschutzes bei der Rüge der Verletzung von Vorschriften des 145 Vgl.
II. Verwaltungsrechtsweg 145
Die Individualisierung im Rahmen von Importzöllen tendierte bereits in den 1990er-Jahren151 zur umweltrechtlichen Subjektivierung, entwickelte sich über die „Braunbär II“- und „Protect“-Entscheidung fort und festigt sich nun in jüngerer Rechtsprechung vollständig in Ansehung der Individualklagenden. Nicht nur die Verbände, sondern auch jene Individualklagende sollen die mobilisierten Bürger:innen sein.152 Unterschiedliche Maßstäbe für Individual- und Verbandskläger scheint es für den Gerichtshof damit zumindest im Unionsumweltrecht nicht mehr zu geben.153 Das immer wieder betonte154 und von der Aarhus-Konvention auf das Umweltrecht gerichtete Ziel des EuGH ist klar: Die Bürger:innen sollen bei der Durchsetzung des Unionsumweltrechts helfen. Sie müssen es, da es an einer europäischen Exekutiven fehlt.155 Grundlegend entschied der EuGH in der Rechtssache van Gend & Loos bereits im Jahr 1963, dass „die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen […] eine wirksame Kontrolle dar[stellt], welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten […] ausgeübte Kontrolle ergänzt“.156 Die Folge dieses „instrumentellen Ansatz[es]“157 ist eine Rechtsanwendungskontrolle, die dezentral erfolgen soll.158
Umweltrechts
ist […] in erster Linie durch die Ausgestaltung der verfahrensrecht lichen Stellung der Umweltverbände sicherzustellen […].“ 151 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 17.10.1991, AZ. C-58/89, Rn. 14 (juris); Urt. v. 30.05.1991, Az. C-59/89, Rn. 19 (juris); Pernice-Warnke, Verwaltungsprozess unter Reformdruck, DÖV 2017, 846 (848). 152 Vgl. auch Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 ff.; Franzius, Genügt die Novelle des UmweltRechtsbehelfsgesetzes?, NVwZ 2018, 219 (221); Wegener, Der Braunbär lernt schwimmen, ZUR 2018, 217 (221). 153 So auch Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), AarhusHandbuch (2019), § 3 Rn. 257; von Henn, Anm. zum EuGH-Urteil C-197/18, ZUR 2019, 680; Reinhardt, Wasserqualität – Einhalten der Grenzwerte, NVwZ 2019, 1591 (1592). 154 Vgl. etwa EuGH v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 46 ff. (juris); Urt. v. 12.05.2011, Az. C-115/09, Rn. 43 ff. (juris); Urt. v. 08.11.2016, Az. C-243/15, Rn. 50 ff. (juris); Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 45 (juris). 155 Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 176 f. 156 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Az. C-26/62, S. 26 (juris); dazu grundlegend Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 37 ff.; Masing, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, 2. Aufl. 2012, Band 1 § 7 Rn. 92 ff.; Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (2) m. w. N. 157 von Danwitz, Aktuelle Fragen der Grundrechte, des Umwelt- und Rechtsschutzes, DVBl 2008, 537 (540); vgl. auch Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 72. 158 Ruffert (1996), Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 161 f.
146
D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
Der EuGH nutzt hierfür eine ebenso liberalisierende wie funktionale Subjektivierung159. Illegitim ist dieser Weg im Umweltrecht nicht. Im Gegenteil. Art. 216 Abs. 2 AEUV zwingt die Union und die Mitgliedstaaten, die AarhusKonvention als integralen Bestandteil des Unionsrecht ernst zu nehmen.160 Die Konvention in das Unionsrecht hineinzulesen, ist Aufgabe des EuGH (Art. 267 Abs. 1 AEUV). Eine subjektivierende Leseart sollte dabei nicht überraschen, zielt doch die Aarhus-Konvention von vornherein auf die Erweiterung des status activus cooperationis und status procuratoris.161 Diese Aktivierung der Bürger:innen nutzt der EuGH, um die Interessen der Union mit den Interessen der Einzelnen zu verbinden. Der Schutz der Individualrechte ist das Mittel zum Zweck. So spricht Johannes Saurer zutreffend von der „frühen Entdeckung von Fremdzeck und Selbstzweck“, verbunden zu einer „doppelpoligen Zweckstruktur“.162 Die Aktivierung der Bürger:innen zur Durchsetzung von Unionsrecht (Fremdzweck) schließt den Schutz individueller Interessen (Selbstzweck) nicht aus. Letzterer ist vielmehr notwendige Konsequenz eines Aufstiegs der Einzelnen zu eigenständigen Rechtssubjekten im europäischen Verwaltungsrecht.163 Den Weg dahin bereiteten vor allem die Unionsbürger:innenschaft, der Beitritt zur EMRK und die Entstehung der GRCh.164 Insbesondere die GRCh stellt in ihrer Präambel den Menschen in den „Mittelpunkt“ des unionalen Handelns. Die Subjektivierungen erfolgen also nicht nur aus funktionellen Zwecken, sondern auch, um der Statusveränderung der Einzelnen gerecht zu werden und die legislativen Individualrechtsgestaltungen zu aktivieren.165 Die unionale Rechtsordnung ist also keine kollektiv, sondern eine individuell gedachte. Schon in der Rechtssache van Gend & Loos betonte der EuGH, dass die Union eine Rechtsordnung ist, „deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Einzelnen sind.“166 Sie erfordert schlussendlich, dass die Bürger:innen als autonome Teilnehmer:innen des Liberalisierungsprozesses Subjekte eigener Frei-
159 Ruffert (1996), Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 162 f.; vgl. auch Marxsen, Der subjektive Rechtsschutz nach klassischem Konzept und Tendenzen, Die Verwaltung 53 (2020) 215 (226 f.); Wysk, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 42 Rn. 105 ff. 160 Art. 216 Abs. 2 AEUV lautet: „Die von der Union geschlossenen Übereinkünfte binden die Organe der Union und die Mitgliedstaaten.“; vgl. auch Berkemann, EuGH stärkt erneut Klagebefugnisse, DVBl 2021, 1 (4 f.). 161 Dazu unter C. II. 2. a) aa) (2). 162 Saurer (2014), Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, S. 27. 163 Ebd., S. 28 f. 164 Ebd., S. 13, 32 f., ausführlich 103 ff., 120 ff. 165 Ebd., S. 112 ff. 166 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Az. C-26/62, S. 25 (juris).
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heiten sein müssen.167 Freiheiten, die sich auf zunehmend breitere Teile des Umweltrechts erstrecken. (2) Die Mittel Die jüngere Rechtsprechung steht exemplarisch für die umweltrechtliche Expansion dieser Freiheiten. In Entscheidungen zu der Wasserrahmen-RL und der Nitrat-RL168 war weniger die individuelle Betroffenheit in Form einer Gesundheitsgefährdung als vielmehr das Interesse an der legitimen Nutzung des Umweltmediums Wasser maßgebend. So heißt es in der Entscheidung zu der Wasserrahmen-RL: „Wer zur Grundwasserentnahme und -nutzung berechtigt ist, nutzt das Grundwasser legitim in diesem Sinne. Folglich ist er von der Verletzung der Pflichten zur Verbesserung und zur Verhinderung der Verschlechterung des Zustands der Grundwasserkörper, die seine Quelle speisen, unmittelbar betroffen, da diese Verletzung seine Nutzung beeinträchtigen kann.“169 (Hervorh. d. Verf.)
Weiter heißt es: „In Anbetracht der Vielfalt der Nutzungen von Grundwasser […] vermag der Umstand, dass die Überschreitung nur einer der Qualitätsnormen bzw. nur eines der Schwellenwerte für die Personen, die einen Rechtsbehelf einlegen möchten, an sich keine Gesundheitsgefährdung bedeutet, an diesem Ergebnis nichts zu ändern.“170 (Hervorh. d. Verf.)
Ein derart weitreichendes Verständnis der subjektiven Rechte ist das Resultat jahrelanger Rechtsprechungsentwicklung des EuGH. Neben der legitimen Nutzung ist für die Subjektivität nicht mehr die mögliche Verletzung einer unionsrechtlich ausschließlich die Gesundheit schützenden Norm maßgebend. Vielmehr soll die Zielsetzung der Richtlinie sowie der einschlägigen Bestimmungen, deren ordnungsgemäße Anwendung vor dem vorlegenden Gericht in Anspruch genommen wird, maßgeblich sein.171 Der EuGH trennt Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (335). 91/676/EWG. 169 EuGH, Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18, Rn. 132 (juris); nahezu identisch für die Nitratwerte im Wasser EuGH, Urt. v. 03.10.2019, Az. C-197/18, Rn. 40 (juris). 170 EuGH, Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18, Rn. 133 (juris); nahezu identisch für die Nitratwerte im Wasser EuGH, Urt. v. 03.10.2019, Az. C-197/18, Rn. 41 (juris). 171 EuGH, Urt. v. 03.10.2019, Az. C-197/18, Rn. 35 (juris); Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18, Rn. 125 und 132 (juris); auch bereits in der Janecek-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07, Rn. 38 f. (juris); Urt. v. 30.05.1991, Az. C-361/88, Rn. 16 (juris) zur Luftqualitäts-RL 80/779/EWG; und Urt. v. 12.12.1996, Az. C-298/95, Rn. 15 f. (juris) zur Süßwasserqualitäts-RL 78/659/EWG und Muschelgewässer-RL 79/923/EWG. 167 Nettesheim, 168 Richtlinie
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
nicht nach verschiedenen Interessensphären, sondern lässt personale, also individuell zuordenbare, Rechtsgüter und Ziele für die Rügebefugnis genügen.172 Stehen diese Rechtsgüter in besonderer Nähe zum umweltrechtlichen Schutzgut, reicht das für eine Betroffenheit. Resultat ist (nur) dann eine Art personales Recht auf „Erhaltung natürlicher Lebensräume in der näheren Umgebung des Wohnorts.“173 Dabei wird die unmittelbare Betroffenheit zur faktischen Betroffenheit.174 Die Individualität des Rechts zur Individualbezogenheit des Rechts.175 Im Ergebnis wird (objektiv-rechtlicher) Schutz von allgemeinem Gemeinwohl zum justiziablen Schutz von personalem Gemeinwohl. Anders gewendet schafft der Gerichtshof gemeinwohlbezogene subjektive Rechte.176 Der EuGH strebt damit deutlich nach einer weiten und umfassenden Subjektivierung des Richtlinienrechts.177 Auch im Rahmen von Verbandsklagen lässt sich die Tendenz des EuGH erkennen, Justiziabilität weit zu verstehen, um die Effektivität des Unionsrecht sicherzustellen. Die normativen Anknüpfungspunkte variieren dabei. Sei es über Vorgaben aus der GRCh (Art. 47),178 über die europäischen Verträge (Art. 19 EUV, Art. 288 AEUV)179 oder durch weite Auslegung der UVP-RL und FFH-RL.180 Diese weite Auslegungstendenz setzt sich bei den Individualklagen fort, indem subjektive Betroffenheiten im Rahmen der Luftqualitäts-RL181 der Wasserrahmen-RL182 oder Nitrat-RL183 weit verstan172 Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (358); Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 75 m. w. N.; Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 73. 173 Kokott/Sobotta, Rechtsschutz im Umweltrecht, DVBl 2014, 132 (136). 174 Vgl. ausführlich Epiney, Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, VVDStRL 61 (2002), 362 (405 ff.); Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 77 f. m. w. N. 175 von Danwitz, Aktuelle Fragen der Grundrechte, des Umwelt- und Rechtsschutzes, DVBl 2008, 537 (540); Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes, NJW 2010, 1233 (1235); vgl. auch VG Berlin, Urt. v. 18.04.2018, Az. 11 K 216.17, Rn. 25 (juris). 176 Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 f. 177 Vgl. dazu Berkemann, EuGH stärkt Klagebefugnisse, DVBl 2021, 1 (6 f.); so auch bereits Moench, Der Einfluß des europäischen Rechtes, KritV 1996, 214 (217). 178 So z. B. in der Protect-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, dazu auch unter C. II. 2. b) aa) (6); dazu auch Schlussanträge der GAin Kokott v. 30.06.2016, Az. C-243/15, Rn. 5, 31 (juris). 179 So z. B. EuGH, Urt. v. 08.11.2016, Az. C-243/15, Rn. 44 (juris); aber auch bei Individualklagen Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18, Rn. 135 (juris); Urt. v. 03.10.2019, Az. C-197/18, Rn. 30 (juris). 180 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.2017, Az. C-293/17 und C-294/17. 181 Richtlinie a. F. 96/62/EG, heute Richtlinie 2008/50/EG; vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07.
II. Verwaltungsrechtsweg 149
den werden. Insbesondere die richterrechtliche Verbindung des Art. 9 Abs. 3 AK mit Art. 47 GRCh, der mit dem Wortlaut „jede Person“ eindeutig die Individualperson adressiert, verdeutlicht die individualisierende Tendenz des EuGH.184 Den Individualrechtsschutz im Rahmen von umweltrechtlichen Richtlinien im Grundsatz auszuschließen, ist daher kaum noch mit dem Unionsrecht vereinbar.185 Dass nicht nur der Gerichtshof hiervon überzeugt ist, zeigt der Blick auf die jüngste Änderung der Aarhus-Verordnung. Neben den Verbänden soll es nun auch der sonstigen Öffentlichkeit ganz ohne individuelle Betroffenheit möglich sein, bei Umweltverstößen eine interne Überprüfung anzustoßen.186 cc) Die Folgen der Mobilisierung Zunächst ist festzustellen, dass der europäischen Mobilisierung eine fortschreitende „Schieflage der Rechtsschutzarchitektur der Union“187 folgt. Der EuGH hält im Rahmen der Rügebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV an der restriktiven Plaumann-Rechtsprechung fest.188 Damit scheint der EuGH die Tore zum subjektiven Umwelt- und Klimarechtsschutz vor Unionsgerichten nach wie vor geschlossen halten zu wollen, wenngleich er die europäische Mobilisierung und damit den nationalen Umwelt- und Klimarechtsschutz mit großen Schritten vorantreibt. Umwelt und Klimaschutz soll also dezentral erfolgen. 182 Vgl.
EuGH, Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18. 91/676/EWG; EuGH, Urt. v. 03.10.2019, Az. C-187/18, Rn. 30 ff.
183 Richtlinie
(juris). 184 Vgl. ausführlich Römling, Zum Verhältnis von Art. 47 Grundrechtecharta und Art. 9 Aarhus-Konvention, ZEuS 2019, 147 (159); in einem Richtlinienvorschlag über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (COM(2017) 753 final) wird in Art. 16 sogar der Zugang zu Gericht ausdrücklich mit der Aarhus-Konvention i. V. m. Art. 47 GRCh begründet. 185 EuGH, Urt. v. 03.10.2019, Az. C-197/18, Rn. 31 (juris) m. w. N.; Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18, Rn. 121 (juris); vgl. auch Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 (200 ff.). 186 Die Klagebefugnis kann unabhängig von einer individuellen Betroffenheit nun dadurch begründet werden, dass ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht und dass der Antrag von mindestens 4.000 Mitgliedern der Öffentlichkeit unterstützt wird, die in mindestens fünf Mitgliedstaaten wohnhaft oder niedergelassen sind, vgl. Standpunkt des Rates in erster Lesung, v. 05.10.2021, 2020/0289 (COD), PE-Cons 63/21, S. 15; dazu unter F. II. 2. 187 Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 (210); vgl. auch Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts, DVBl 2015, 929 (937). 188 EuGH, Urt. v. 25.03.2021, Az. C-565/19, Rn. 70 ff., ECLI:EU:C:2021:252; dazu unter F. II. 1. b).
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
Der § 42 Abs. 2 VwGO ist im Grundsatz für eine derartige Dezentralität offen. Die Grenzen seiner Offenheit wären dann erreicht, wenn der indivi duelle Rechtsschutz zunehmend verfremdend wird und nicht die Weiterentwicklung des subjektiv-öffentlichen Rechts im Vordergrund stünde.189 Das Recht würde sich von seiner „subjektiv-freiheitlichen Substanz“ zugunsten einer objektiven Klagbarkeit lösen.190 Würde allein die legitime Nutzung eines jeden Umweltmediums ausreichen, würde dies eine enorme Weitung des umweltrechtlichen Individualrechtsschutzes bedeuten. So ließe sich mit der legitimen Nutzung von zum Beispiel Naturschutzgebieten eine weitreichende Rügebefugnis im Anwendungsbereich der FFH-RL begründen. Zur Vermeidung einer Popularklage müsste dann hilfsweise auf die Nutzung in erheb lichem und regelmäßigem Umfang abgestellt werden.191 Die Betroffenheit in allen Umweltrechtsbereichen einzig durch die legitime Nutzung zu bedingen, erscheint insbesondere bei Umweltmedien wie Luft oder Klima problematisch. Der Betroffenenkreis wäre gesprengt. Dies ist indes nicht zu befürchten. Der EuGH bindet selbst in den extensiven wasserrechtlichen Urteilen die Betroffenheit an eine tatsächliche (legitime Nutzung) und rechtliche (Schutzzweck der Norm und Richtlinie) Komponente.192 Überdies erfolgt die Rechtsdurchsetzung streng akzessorisch mit individualisierbaren Rechten,193 die sich räumlich zuschneiden lassen. Würde im Klimaschutz weniger auf den Immissionsbereich denn auf Emissionsquellen geschaut, ließe sich die Mobilisierung auch auf den Klimaschutz übertragen (dazu sogleich unter b) aa)). Durch eine weite Subjektivität könnte es anmuten, als wandle sich die Verletztenklage in eine Interessentenklage.194 Ob die durch die Europäisierung entstandenen Klagepositionen als (justiziable) Interessen oder als – extensiv interpretierte – subjektive Rechte bezeichnet werden, ist eine Frage 189 Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 (204). 190 Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz, EurUP 2015, 196 (211). 191 Vgl. Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 (207). 192 Vgl. bereits Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (473), der sich für eine Neukalibrierung der Verletzung des subjektiven Rechtes aussprach. Danach müssen die Klagenden in einem Interesse beeinträchtigt sein (faktisch), das durch die einschlägige Rechtsnorm (rechtlich) geschützt werde. 193 Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 72 m. w. N. 194 Vgl. Berkemann, EuGH stärkt erneut Klagebefugnisse, DVBl 2021, 1 (7); Epiney, Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (225 ff.); von Henn, Anm. zum EuGH-Urteil C-197/18, ZUR 2019, 680 (681); Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts, DVBl 2015, 929 (930); vgl. auch Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz, NVwZ 2006, 1 (3), der von einer „Pflicht der Mitgliedstaaten zur Etablierung der Interessentenklage“ spricht.
II. Verwaltungsrechtsweg 151
begrifflicher Natur.195 Im Kern bleiben subjektive Rechte auch nach der europäischen Mobilisierung subjektive Rechte. Neben materiale subjektive Rechte, die sich aus dem genuin Persönlichen eines Interesses begründen, treten nun funktionale subjektive Rechte.196 Diese begründen sich mitunter durch die zivilgesellschaftliche Stärkung des status activus cooperationis und status procuratoris, die das Verhältnis Bürger:innen-Staat verändert.197 Eine Veränderung, die von der Aarhus-Konvention bewusst bezweckt ist. Aber zugleich eine Veränderung, die den deutschen Gesetzgeber nach Stimmen aus der Literatur auch zur Integration zwingt.198 Jedenfalls sollte in der Umweltrechtswissenschaft ein Bewusstseinswechsel insoweit stattfinden, als Subjektivität nicht exklusiv verstanden werden muss. Funktionalität schließt Individualität nicht aus.199 Kollektivität ebenso wenig. Mithin ist weniger auf einen Wandel denn auf eine Fortentwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, eine Aktzentverschiebung zu reagieren.200 Andernfalls vertieft der gemeinschaftsrechtliche Trend das umweltrechtliche Nebenprozessrecht.201 Ein solches wäre judikativ und nicht legislativ determiniert,202 in seiner Fortentwicklung vom EuGH abhängig und Sand im Getriebe der umweltrechtlichen Vereinheitlichung. Bisweilen ist das Verwaltungsprozessrecht mit der dehnbaren Schutznormlehre offen für die Europäisierung des Rechts.203 Die europäischen Mittel 195 Winter,
(473).
Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467
(2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 138 f., 164. dogmatisch Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 313 ff.; Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 225; Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 82. 198 Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz, NVwZ 2006, 1 (4) schlägt einen Satz 2 zu § 42 Abs. 2 VwGO vor, der die europäische Mobilisierung klarstellt; ähnlich schlägt Schlacke, (Auf)Brüche des Öffentlichen Rechts, DVBl 2015, 929 (937) einen Abs. 3 für § 42 VwGO vor; vgl. auch Mangold/Wahl, Das europäisierte deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), 1 (28). 199 Dazu unter G. II. 1. b). 200 Schmidt-Aßmann, Umweltrecht – Innovation – Rechtsschutz, EurUP 2016, 360 (366 f.); Schmidt-Aßmann (2006), Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 224 f. Rn. 78; vgl. auch Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 28, 100 f.; Mangold/ Wahl, Das europäisierte deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), 1 (24 ff.). 201 Bickenbach, Subjektiv-öffentliches Recht auf Klimaschutz?, JZ 2020, 168 (174). 202 Zu den Gefahren des Richterrechts unter G. III. 203 Rennert, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DVBl 2015, 793 (795 ff.); UBA (Hrsg.), Die Umweltverbandsklage in der rechtspolitischen Debatte, 196 Krüper 197 Vgl.
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
entfernen sich nicht weit von denen des deutschen Rechtssystems.204 So konnte das BVerwG das EuGH-Urteil zur Wasserversorgung problemlos in das deutsche Recht übertragen und die räumliche Nähe zu einem Vorhaben als Maßstab für die Betroffenheit in den Vordergrund rücken.205 Weitere Rechtsprechung wird zeigen, ob in allen oder in welchen Umweltrechtsbereichen diese Dehnbarkeit für den unionalen Trend reicht. Judikate, wie die der wasserrechtlichen Nutzung, zeigen bereits jetzt deutlich, dass die Subjektivierung nicht vor Allgemeinheitsgütern Halt macht und vielmehr auf die räumliche Beziehung zwischen Schutzgut und Rechtsinhaber:in abstellt.206 Es ist nicht ersichtlich, warum diese Tendenzen vor dem Schutzgut Klima stoppen sollten. In Deutschland tun sie dies unweigerlich mit pauschalisierten Klagbarkeitsausschlüssen wie in § 4 Abs. 1 S. 10 KSG. Ein innovativer, dezentraler Umweltrechtsschutz sieht anders aus. b) Grenzen des Drittschutzes Nicht nur die europäische Subjektivierung, sondern auch die „ubiquitären Auswirkungen“207, die „Tragödie der Allmende“208 im Klimaschutz bringen das deutsche Subjektivitätsverständnis an seine Grenzen. Die nachfolgenden Ausführungen zeigen, wo und wie im Drittschutz mit strukturellen Lösungen auf strukturelle Subjektivitätsdefizite reagiert, die Ubiquität des Klimawandels rechtlich behandelt und die unionale Entwicklung integriert werden muss. Vorangestellt: Normen sind drittschützend, wenn sie nicht nur Allgemeininteressen schützen, sondern zumindest auch individuelle Interessen, und wenn die Klagenden zum geschützten Personenkreis gehören.209
99/2017, S. 106; Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 27. 204 Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (385 ff.). 205 BVerwG, Urt. v. 30.11.2020, Az. 9 A 5/20, Rn. 45 (juris). 206 Korbmacher, Überblick über die Rechtsprechung des BVerwG zum Umweltrecht, DVBl 2022, 1 (4); Dörr, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 5. Aufl. 2018, Rn. 227. 207 Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (472). 208 Vgl. Wagner, Klimaschutz durch Gerichte, NJW 2021, 2256 (2257) m. w. N. 209 Dazu bereits unter B. II. 1. c).
II. Verwaltungsrechtsweg 153
aa) Grenzen des Nachbarbegriffs (1) Keine einheitlichen und auf den Klimaschutz übertragbaren Maßstäbe Eine bloß baunachbarrechtliche und zivilrechtliche Betrachtungsweise210 der Betroffenheit ist im Umwelt- und Klimaschutz verfehlt. Diese würde eben jene Weiträumigkeit der Emissionen ignorieren. Emissionen und andere klima- und umweltbelastenden Maßnahmen sind oft territorial nicht klar eingrenzbar. Die Klagebefugnis auf die sich in qualifizierter und individualisierbarer Weise in dem Einwirkungsbereich der Emissionen befindenden Personen einzugrenzen (qualifizierte Betroffenheit),211 mag dem Rechtsschutz im Umweltrecht helfen, aber nicht die Lösung für ubiquitäre Beeinträchtigungen sein. Die räumlich sowie zeitlich erforderliche Beziehung zwischen Klagenden und Klagegenstand führt nicht nur beim Klimaschutz, sondern im – in seiner Wirkkraft am ehesten vergleichbaren – Atomrecht zu kaum definierbaren Einwirkungsbereichen.212 Wenn sich für die räumliche Beziehung im Rahmen von Luftverschmutzungen an den Werten aus der TALuft oder TA-Lärm orientiert werden kann,213 so wirkt es uneinheitlich und simplifiziert, wenn ein pauschaler Radius von 4, 10, 25, 50 oder bis 200 km die Justiziabilität gegen atomrechtliche Genehmigungen bestimmt.214 Radien für den klimatischen Einwirkungsbereich zu bestimmen, wäre nicht nur simplifiziert, sondern angesichts der globalen Immissionen nicht möglich. Weniger von Immissionen denn von Emissionen gedacht, setzt sich der Klimawandel erst aus der Summe unzähliger, meist legaler, Emissionen zusammen. Für die juristische Zurechnung ist das nicht förderlich. So urteilte der BGH bezüglich Waldschäden, dass eine Vielzahl von Emittenten verantwortlich sind und es praktisch unmöglich sei, den eingetretenen Schaden einem oder mehreren Emittierenden individuell zuzurechnen.215
210 Dazu
unter B. II. 1. c). Urt. v. 24.10.1967, Az. I C 64.65, Rn. 13 (juris); BVerwG, Beschl. v. 05.05.2006, Az. 7 B 1/06, Rn. 2 f. (juris). 212 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 19; vgl. auch Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 48; Sußmann (2006), Vollzugs und Rechtsschutzdefizite, S. 118. 213 Jarass, Der Rechtsschutz Dritter bei der Genehmigung von Anlagen, NJW, 1983, 2844 (2847); Sußmann (2006), Vollzugs und Rechtsschutzdefizite, S. 118. 214 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, Az. 7 C 84/78, Rn. 23 (juris); Winters, Zur Entwicklung des Atom- und Strahlenschutzrechts, DÖV 1978, 265 (268); Sußmann (2006), Vollzugs und Rechtsschutzdefizite, S. 118 m. w. N. 215 BGH, Urt. v. 10.12.1987, Az. III ZR 220/86, Rn. 13 (juris); Der Fall RWE ./. Lliuya bleibt abzuwarten, dazu unter F. IV. 1. a). 211 BVerwG,
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
Die im Atomrecht gängige qualitative Unterscheidung zwischen justiziablen Individualrisiko und dem nicht-justiziablen allgemeinen Bevölkerungs risiko216 erscheint angesichts der faktischen Betroffenheit aller Menschen ebenfalls nicht auf den Klimaschutz übertragbar. Nach dem BVerwG bliebe zwar das Individualrisiko bei einer Strahlenexposition immer dasselbe und werde durch die Zahl der ihr ausgesetzten Personen nicht erhöht; vielmehr sei das Bevölkerungsrisiko betroffen, welches als Allgemeinheitsinteresse allerdings nicht justiziabel ist.217 Das BVerfG urteilte dahingehend noch im Jahr 2018, dass die Beschwerdeführerin sich nicht von einer unüberschaubaren Zahl von Anwohner:innen unterscheide und „gesellschaftliches Engagement“ nicht zu einer „Privilegierung bei der Durchsetzung eigener Interessen“ führe.218 Radiologische Gefahren lassen sich also stochastisch, aber nicht individuell bestimmen und einklagen. Der Klimawandel ist real, ubiquitär und vor allem deterministisch.219 Seine Gefahren sind dank der fortgeschrittenen Klimawissenschaft bestimmbar. Dort die eigenen justiziablen Individualbelange auszuschließen wegen einer hohen Anzahl von gleich stark betroffenen Bürger:innen, erinnert an die europarechtliche „Plaumann“-Formel, bei der die Intensität eines Eingriffs zur Exklusivität gewandelt wird.220 Werden vielzählige rechtlich geschützte Interesse geltend gemacht, kann den Klagenden der Rechtsschutz aber nicht mit dem Verweis verwehrt werden, eine Popularklage unterbinden zu wollen. Dies würde rechtlich geschützte Interessen schutzlos stellen.221 Eine Schutzlosigkeit, die nicht mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG vereinbar ist, sodass das BVerfG einem deutschen Plaumann im Klimabeschluss nicht folgte.222 Das Paradoxon „Je mehr Betroffene, desto weniger Rechtsschutz“ ist folglich gerade keine Folge eines subjektiven Rechtsschutzsystems und kann damit auch im Verwaltungsrecht nicht den Ausschluss einer Klagebefugnis begründen. Die Großflächigkeit von Gefahren ist die Folge technischer wie wissenschaftlicher Entwicklung, sodass sich der „klassische Konflikt zwischen Betreiber und ‚Nachbar‘ dagegen geradezu 216 Vgl. BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, Az. 7 C 84/78, Rn. 19 (juris); vgl. auch Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 60 m. w. N. 217 Vgl. BVerwG, ebd.; vgl. auch Kloepfer, ebd., § 16 Rn. 331. 218 BVerfG, Beschl. v. 15.03.2018, Az. 2 BvR 1371/13, Rn. 47 (juris). 219 Winter, Rechtsdogmatische und staatstheoretische Probleme einer Klimaklage, ZUR 2019, 259 (269). 220 Dazu unter F. II. 221 Daig, Zum Klagerecht von Privatpersonen, in: Aubin et al. (Hrsg.), Festschrift für Otto Riese (1964), 187 (189); Rehbinder/Burgbacher/Knieper (1972), Bürgerklage im Umweltrecht, S. 37 f. 222 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 110 (juris) unter Verweis auf das VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412/18, Rn. 73 (juris) und BVerfG, Urt. v. 21.01.2009, Az. 1 BvR 2524/06, Rn. 43 (juris).
II. Verwaltungsrechtsweg 155
idyllisch ausnimmt.“223 Was also tun, um im Klimaschutz Drittschutz leisten zu können? (2) L egislative Reaktion aus Gründen der Systematik und der Missbrauchsvorsorge Wenn rechtlich geschützte Interessen faktisch betroffen waren, zeigte die Rechtsprechung, dass sie sich nicht scheut vor kreativen Klagebefugnissen. So erweiterte sie den unklaren bergrechtlichen Drittschutz aus § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BBergG auf Dritte außerhalb des Betriebes224 und unabhängig von unmittelbaren oder auch nur mittelbaren Gefahren.225 Ähnlich gestaltet sich die Rechtsprechung des BVerwG zu der Klagebefugnis eines Berufsfischers.226 Er klagte gegen die Erlaubnis eines Unternehmens, Dünnsäure in ein Seegebiet einzuleiten. Das Gericht erkannte im Zusammenspiel von Gefahren für den ungestörten Gewerbebetrieb und den objektiv-rechtlichen Erwerbschancen einen Drittschutz und mithin eine Klagebefugnis des Fischers an.227 Ob es juristisch überzeugt, dass ein Minus und Minus ein justiziables Plus generieren kann, darf dahingestellt sein.228 In Bereichen, in denen Bürger:innen aufgrund ihrer Betroffenheit nicht rechtsschutzlos stehen dürfen, schafft die Judikative also ebenso kreative wie dogmatisch fragwürdige Klagebefugnisse. Nicht nur die Dogmatik, sondern auch die Rechtssicherheit und -klarheit leiden unter dem Fehlen eines einheitlichen Drittschutzes. Überdies entsteht Raum für Rechtsmissbräuche. Insbesondere im Baurecht versuchten Umweltverbände durch sog. Sperrgrundstücke die Nachbareigenschaft und somit Drittschutz zu erlangen, ohne jemals die Gebrauchsmöglichkeit nutzen zu wollen. Das BVerwG wertete dies als rechtsmissbräuchlich und erkannte den klagenden Verbänden die Klagebefugnis ab.229 Das BVerfG entschied indes später, dass „es in aller Regel weder auf das Motiv für den Grunderwerb noch auf dessen Zeitpunkt oder auf die sonstigen Begleitumstände“ ankomme.230 Allenfalls könnte die Beschwerdebefugnis im Falle des Art. 18 GG abgesprochen werden. Welche Auswirkungen auf die BVerwG(1987), Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 218. Urt. v. 13.12.1991, Az. 7 C 25/90, Rn. 15 f. (juris). 225 BVerwG, Urt. v. 29.04.2010, Az. 7 C 18/09, Rn. 20 (juris). 226 BVerwG, Urt. v. 01.12.1982, Az. 7 C 111/81. 227 BVerwG, Urt. v. 01.12.1982, Az. 7 C 111/81, Rn. 13 ff. (juris). 228 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 67 hält es für juristisch nicht nachvollziehbar. 229 Vgl. BVerwG, Urt. v. 27.10.2000, Az. 4 A 10/99, Rn. 20; Urt. v. 25.1.2012, Az. 9 A 6/10, Rn. 15 f. 230 BVerfG, Urt. v. 17.12.2013, Az. 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, Rn. 156 (juris). 223 Hermes
224 BVerwG,
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Rechtsprechung und die verwaltungsrechtliche Beschwerdebefugnis zu erwarten sind, ließ das BVerfG offen.231 (3) De lege ferenda: räumlich begrenztes Recht auf Klimaschutz? Um rechtsmissbräuchlichen oder auch notwendigen Grundstückskäufen für Klimaschutz vorzubeugen und durch judikative Kreativität die Rechtseinheit nicht zu gefährden, muss der Nachbarbegriff mit dem Klimawandel Schritt halten. Den Einwirkungsbereich auf eine unüberschaubare Anzahl von Betroffenen zu erweitern, wäre verwaltungsrechtlich nicht gewollt und mithin nicht zielführend.232 Verwaltungsrecht soll konkrete Rechtsverhältnisse zwischen einzelnen Bürger:innen oder in mehrpoligen Verhältnissen zwischen Bürger:innen und dem Staat regeln. Mithin liegt das Problem bei der Ermittlung eines einheitlichen Maßstabs der qualifizierten Betroffenheit, die einer Verursachungsquelle eindeutig zugeordnet werden kann.233 Ein Problem, das angesichts der multipolaren Rechtskollisionen primär durch den Gesetzgeber gelöst werden muss. Denn nur legislativ könnte der Nachbarbegriff einheitlich gedehnt werden.234 Der Nachbarbegriff sollte dabei weniger an den Immissionsbereich als vielmehr an die Emissionsquelle geknüpft werden. Eine hinreichende Betroffenheit könnte sich dann herleiten lassen, wenn Anlagen ein individuelles CO2-Emissionsbudget vorgeschrieben bekommen.235 Ist abzusehen, dass die Grenzwerte überschritten werden, wären Bürger:innen im Sinne der „Janecek“-Rechtsprechung hinreichend qualifiziert betroffen.236 Resultat wäre ein subjektiver Anspruch auf Anfechtung 231 BVerfG, Urt. v. 30.04.2020, Az. 1 BvR 2376/19, Orientierungs. 1, Rn. 5 (juris); vgl. für eine verfassungsrechtliche Analyse mit dem Ergebnis der Verfassungsrechtskonformität der Sperrgrundstücksrechtsprechung: Kraus/Greb, Die Sperrgrundstückrechtsprechung des BVerwG, ZUR 2020, 650. 232 Vgl. dazu Schmidt-Kötters, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 60. Ed. 01.10.2019, § 42 Rn. 170. 233 Rehbinder, Prinzipien des Umweltrechts, in: Franßen (Hrsg.), Festschrift für Horst Sendler (1991), 269 (283); Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 603. 234 So auch Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (6). 235 So auch Bickenbach, Subjektiv-öffentliches Recht auf Klimaschutz?, JZ 2020, 168 (177); Wagner, Klimaschutz durch Gerichte, NJW 2021, 2256 (2263); zur Ausgestaltung für Kraftwerke etwa: Schäuble et al., CO2-Emissionsgrenzwerte für Kraftwerke – Ausgestaltungsansätze und Bewertung einer möglichen Einführung auf natio naler Ebene, IASS Working Paper, April 2014; DIW, Entwurf und Erläuterung für ein Gesetz zur Festsetzung nationaler CO2-Emissionsstandards für fossile Kraftwerke in Deutschland, DIW Berlin: Politikberatung kompakt 82, Juni 2014. 236 Zur „Janecek“-Entscheidung unter C. II. 2. b) aa) (1) und zur Übertragbarkeit auf den Klimaschutz unter E. I.
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der Genehmigung oder bei rechtswidrigem Überschreiten dieser Genehmigung, auf eine (ggfs. auf Null reduzierte) Ermessensentscheidung, über die Rechtsdurchsetzung im Wege des ordnungsbehördlichen Einschreitens (über z. B. § 58 Abs. 2 S. 2 BauO NRW oder Art. 54 Abs. 2 S. 2 BayBO).237 Das Recht auf Erhaltung natürlicher Lebensräume in der näheren Umgebung des Wohnorts238 würde sich zu einem Recht auf Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlage durch die Umgebung des Wohnorts wandeln. Anders gewendet entstünde ein Recht auf einen klimaschonenden Beitrag durch die nähere Umgebung des Wohnortes. Klima- und Umweltschutzgesetze könnten so stabile Individualsphären ausweisen,239 deren Wahrung dem Drittschutz über antwortet wäre. Ungeachtet des § 4 Abs. 1 S. 10 KSG steht dem indes entgegen, dass es Behörden nach § 5 Abs. 2 BImSchG verwehrt ist, konkrete Emissionsgrenzen für Anlagen aus dem Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz festzusetzen.240 Legislativ müsste also zum einen die Exekutive dazu befähigt werden, Emissionsgrenzen einzelner Anlagen auch im Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz zu bestimmen. Zum anderen müssten korrespondierend zu den sektoralen Jahresemissionsmengen aus dem KSG sämtliche Treibhausgasbudgets auf einzelne Anlagen aufgeteilt werden. Erst dann ließen sich justiziable Einwirkungsbereiche im Klimaschutz definieren. bb) Grenzüberschreitender Drittschutz Nicht nur der Nachbarbegriff, sondern auch nationale Klagebefugnisse gegen ausländische Verwaltungsmaßnahmen sind defizitär. Gleiches gilt für inländische Maßnahmen, die durch außerhalb Deutschlands ansässige Menschen vor Gericht angegriffen werden sollen. (1) De lege lata Ein internationales Verwaltungsrecht, das mit dem internationalen Privatrecht vergleichbar ist, existiert nur ansatzweise.241 Die Ansätze helfen bei der in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 94. unter 4. a) bb) (2). 239 Angelehnt an Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (472). 240 Eine Gemeinde kann bspw. keine konkreten Emissionsregelungen für Treib hausgase in einen Bebauungsplan aufnehmen, die von Anlagen aus dem Emissionshandelsrecht ausgehen, BVerwG, Urt. v. 14.09.2017, Az. 4 CN 6.16, Rn. 13 ff. (juris). 241 Wolff et al. (2019), Verwaltungsrecht I, § 2 Rn. 57, § 28 Rn. 24. 237 Gärditz, 238 Dazu
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Ermittlung der Klagebefugnis aber nicht weiter, da sie vielmehr nur völkerrechtliche Normen zusammenfassen, die Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug und das in diesen Fällen anzuwendende Recht regeln.242 Auch mit Blick auf den Grundsatz der Staatenimmunität243 findet sich keine nationale Justiziabilität gegen ausländische Hoheitsakte mit grenzüberschreitenden Emissionen (auch extraterritoriale Rechtsanwendung244). Politischer Druck erscheint hier als einziges Gestaltungsinstrument.245 Um Betroffenen bei Emissionen, die ihren Ursprung in Deutschland haben, verwaltungsgerichtlichen Schutz bieten zu können, wird ausländischen Klagenden die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO zugesprochen. Völkerrechtlich wird dies zwar nicht verlangt,246 mit der Aarhus-Konvention durch Art. 3 Abs. 9 AK, der die Benachteiligung wegen Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz verbietet, aber zumindest verbessert.247 Rechtstechnisch wird seit dem klarstellenden Emsland-Urteil aus dem Jahr 1986 grenzüberschreitender Drittschutz im Wege der Auslegung ermittelt. Es wird danach gefragt, ob die einschlägige Norm auch die ausländischen gebietsansässigen Nachbar:innen vor grenzüberschreitenden Gefährdungen schützen soll.248 Hierfür muss ein rechtlicher Anknüpfungspunkt eine grenzüberschreitende Interpretation zulassen.249 Diese Interpretation hat in Ansehung der offenen Staatlichkeit nach Art. 23 bis Art. 26 GG und dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV möglichst völkerrechtsfreundlich zu erfolgen.250 Nicht nur das Prinzip der offenen Staatlichkeit, sondern auch die herausragende Stel242 Ebd.,
§ 2 Rn. 57; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 209. kann ein Staat einen anderen Staat seinem hoheitlichen Handeln nicht unterwerfen, vgl. Dörr, Staatliche Immunität auf dem Rückzug?, AVR 2003, 201 (202); vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 30.04.1963, Az. 2 BvM 1/62, Rn. 141 ff. (juris). 244 Dazu Rehbinder, Extraterritoriale Rechtsanwendung im Umweltrecht, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 489. 245 Vgl. Kment (2010), Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 405; Kloep fer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 212 ff. 246 BVerwG, Urt. v. 17.12.1986, Az. 7 C 29/85, Rn. 11 (juris); vgl. auch Kment (2010), Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 374 m. w. N.; Brandt, Grenzüberschreitender Nachbarschutz im deutschen Umweltrecht, DVBl 1995, 779. 247 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 217 f., 224; vgl. auch Kment (2010), Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 380. 248 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 221. 249 BVerwG, Urt. v. 17.12.1986, Az. 7 C 29/85, Rn. 11 (juris); Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 221. 250 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 223 m. w. N.; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 17.12.1986, Az. 7 C 29/85, Rn. 12 (juris); Urt. v. 16.10.2008, Az. 4 C 3/07, Rn. 20 (juris); vgl. auch Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 86 m. w. N. 243 Danach
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lung des Verbotes grenzüberschreitender Beschädigungen im Völkergewohnheitsrecht gebietet jene völkerrechtsfreundliche Auslegung.251 Völkergewohnheitsrecht könnte auch direkt durch den Art. 25 S. 2 Hs. 2 GG subjektiviert werden. Dies ist aber nur bei der Nähe zu einem Individualgut denkbar.252 So verlangt das BVerfG, dass zum einem „völkerrechtliche Regelungen einen engen Bezug zu individuellen hochrangigen Rechtsgütern aufweisen“253 und zum anderen die Betroffenen Träger:innen dieser Rechtsgüter und damit von deren Schutzbereichen sein müssen.254 Wenngleich grenzüberschreitender Rechtsschutz durch das BVerwG im Atomrecht entwickelt wurde, lässt er sich mittlerweile auf sämtliche Umweltbereiche anwenden.255 Die sektorübergreifende Anwendbarkeit im Verwaltungsrecht ist von erheblicher Relevanz, da die Grundrechte nur in Ausnahmefällen eine Klagebefugnis begründen können. Zunächst machte der Klimabeschluss deutlich, dass zwar grundrechtliche Schutzpflichten gegenüber Ausländer:innen bestehen können, diese aber „jedenfalls nicht gleichen Inhalts wie gegenüber Menschen im Inland“ sind.256 Die aktuellen extraterritorialen Schutzbemühungen halten im Übrigen der Evidenzkontrolle stand.257 Überdies leiten Grundrechte grundsätzlich nur die Auslegung der subjektiven Rechte, wenn der Gesetzgeber sie in den subjektiven Rechten einfachgesetzlich konkretisiert hat (norminterne Wirkung).258 Direkt anzuwenden sind sie nur dann, wenn die einfachgesetzliche Regelung nicht und auch nicht nach grundrechtsfreundlicher Auslegung das subjektive Schutzminimum sichern 251 BVerwG, Urt. v. 16.10.2008, Az. 4 C 3/07, Rn. 20 (juris); zum Verbot grenzüberschreitenden Beschädigungen unter C. I. 1. a) cc). 252 So auch Marxsen, Der subjektive Rechtsschutz nach klassischem Konzept und Tendenzen, Die Verwaltung 53 (2020), 215 (241). 253 BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, Az. 2 BvR 955/00, Rn. 81 (juris); bestätigt durch Beschl. v. 15.03.2018, Az. 2 BvR 1371/13, Rn. 35 f. (juris). 254 BVerfG, Beschl. v. 15.03.2018, Az. 2 BvR 1371/13, Rn. 35 f., 40 (juris); ähnlich auch Doehring (1963), Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S. 157. 255 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 225 m. w. N.; Brandt, Grenzüberschreitender Nachbarschutz im deutschen Umweltrecht, DVBl 1995, 779 (784) m. w. N.; dazu ausführlich Kment (2010), Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 386 ff. 256 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 175 f. (juris) unter Verweis auf die BND-Entscheidung, Urt. v. 19.05.2020, Az. 1 BvR 2835/17, Leits. 1 (juris). 257 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 180 f. (juris). 258 BVerwG, Urt. v. 26.09.1991, Az. 4 C 5/87, Rn. 39 ff. (juris); Urt. v. 23.08.1996, Az. 4 C 13/94, Rn. 45 (juris); Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 123; Kment (2010), Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 403 m. w. N.
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kann (normexterne Wirkung).259 Da im Regelfall die konkrete Konfliktlage einfach gesetzlich geregelt ist und auf die Grundrechte damit nicht durchgegriffen werden kann, bleibt es primär Aufgabe der verwaltungsrichterlichen Auslegung, der einschlägigen Norm grenzüberschreitenden Drittschutz im Einzelfall zuzuschreiben.260 Diesem judikativen Tätigwerden wird mit Blick auf das Territorialitätsprinzip261 vereinzelt kritisch begegnet. Nach dem Territorialitätsprinzip seien grundsätzlich nur Inländer:innen von Umweltnormen geschützt. Ausländische Klagende müssten ausdrücklich vom Gesetzgeber in der Schutznorm erwähnt werden.262 Das BVerwG begegnete diesen Bedenken nachdrücklich. Die völkerrechtsfreundliche Auslegung berühre das Territorialitätsprinzip nicht, da der Einbezug von ausländischen Grenznachbar:innen mangels Duldungspflichten keine Ausübung von Hoheitsgewalt darstelle.263 (2) L egislative Reaktion aus Gründen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit Wenn den Bedenken hinsichtlich des Territorialitätsprinzips noch begegnet werden kann, so bleiben praktische Probleme. Probleme, die die effektive Durchsetzbarkeit der geschaffenen Klagebefugnisse erschweren. Rechtsschutzsuchende könnten bereits durch Sprachbarrieren oder die erschwerte Zustellung ins Ausland gehindert sein, mögliche Klagebefugnisse effektiv wahrzunehmen.264 Das UmwRG hat das Problem der Sprachbarriere zwar erkannt, aber mit § 2 Abs. 2 S. 2 UmwRG nur für die verzögerte Anerkennung als Verband geregelt.265 Auch die Vorschriften in §§ 54 ff. UVPG helfen bei der Justiziabilität grenzüberschreitender Emissionen nur bedingt weiter, 259 Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 125; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 59. 260 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 224. 261 Danach sollen nationale Hoheitsakte nicht grenzüberschreitende Wirkung entfalten, vgl. dazu Rauschning, Klagebefugnis von Auslandsbewohnern, AVR 1987, 312 (314). 262 Oppermann, Grenzüberschreitende Klagebefugnisse, in: Bothe/Prieur/Ress (Hrsg.), Rechtsfragen grenzüberschreitender Umweltbelastungen (1984), 121 (126): „Das ‚Schweigen‘ einschlägiger Umweltrechtsvorschriften deutet daher im Zweifel auf eine nach wie vor binnenbezogene Ausrichtung […] des Umweltrechts hin“; Oppermann/Kilian (1981), Gleichstellung ausländischer Grenznachbarn in deutschen Umweltverfahren?, S. 102 ff. 263 BVerwG, Urt. v. 17.12.1986, Az. 7 C 29/85, Rn. 10, 13 (juris). 264 Brandt, Grenzüberschreitender Nachbarschutz im deutschen Umweltrecht, DVBl 1995, 779 (784); Kment (2010), Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 513 m. w. N. 265 BT-Drs. 16/2495, S. 12.
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da sie lediglich die grenzüberschreitenden Umweltprüfungen und Beteiligungen bei grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen266 regeln. Allenfalls können grenzüberschreitende Öffentlichkeitsbeteiligungen dazu dienen, den Kreis der klagebefugten Betroffenen zu indizieren.267 Überdies könnte ein ungewolltes Gefälle zwischen den unterschiedlichen nationalen Klagemöglichkeiten zu Nebenwirkungen wie dem „Antragstourismus“268 führen. Antragssuchende würden Staaten nach dem geringsten Rechtsschutz Dritter auswählen. Rechtsordnungen und damit auch Klagemöglichkeiten sind längst Teil des Wettbewerbs269 und damit wesentlicher Wirtschaftsfaktor. So wurde beispielsweise für die Einführung internationaler Handelskammern mit englischer Gerichtssprache mit der „Bedeutung des globalen Standortwettbewerbs, der auch die Justiz erfasst hat“, argumentiert.270 Das Richterrecht bietet keine Lösung für derartige Durchsetzungs- und Wirtschaftlichkeits problematiken. Das Verlangen nach einer transnationalen Anpassung wird lauter, damit umfassend und einheitlich die „Gegenseitigkeit“271 der Rügebefugnisse vor den jeweils ausländischen Gerichten geregelt wird.272 Gegenseitigkeit oder auch Gleichwertigkeit meint, dass in den am Verfahren beteiligten Nachbarstaaten einheitliche Standards gelten sollen. Um zivilrechtliche Schadensersatzansprüche über die Ländergrenzen hinweg geltend machen zu können, empfahl der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen bereits 2018 den Beitritt aller Staaten zum Übereinkommen über den internationalen Zugang zur Rechtspflege273.274
266 In § 2 Abs. 3 UVPG legal definiert: „Grenzüberschreitende Umweltauswirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Umweltauswirkungen eines Vorhabens in einem anderen Staat.“ 267 So Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 87 m. w. N. 268 Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (472). 269 Hierfür stehen die unter dem Titel „Wettbewerb von Rechtsordnungen“ er stellten Berichte von Peters und Giegerich, in: Gemeinwohl durch Wettbewerb?, VVDStRL 69 (2010), S. 7 ff. und S. 57 ff. 270 Justizministerium NRW, Pressemitteilung v. 12.02.2010. 271 Vgl. Kment (2010), Grenzüberschreitendes Verwaltungshandeln, S. 334 f.; dazu auch Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 226. 272 Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 225 m. w. N.; Wahl/Schütz, in: Schoch/ Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 226; Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (472). 273 Abgeschlossen in Den Haag am 25.10.1980. 274 WBGU (2018), Zeit-gerechte Klimapolitik: Vier Initiativen für Fairness, S. 4, 18 ff.
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(3) D e lege ferenda: Umweltschutz durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Zukünftig könnte das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) den grenzüberschreitenden Rechtsschutz zumindest in Deutschland verbessern. Das Gesetz erstreckt seine Reichweite nach § 2 Abs. 2 Nr. 9 LkSG auf das Verbot der Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, schädlichen Lärmemission oder eines übermäßigen Wasserverbrauchs. Zudem soll die Umwelt-Sorgfalt durch die Einhaltung der Umweltstandards aus dem Minamata-Übereinkommen275 und dem POPs-Übereinkommen276 gesichert sein (§ 2 Abs. 4 LkSG). Das Schutzgut Klima umfasst das LkSG indes nicht,277 wird aber nach dem Richtlinien entwurf der Europäischen Kommission noch zu integrieren sein.278 Für die Justiziabilität ist auf zwei Vorschriften hinzuweisen. In § 11 LkSG ist eine besondere Prozessstandschaft geregelt, wonach Personen zur gerichtlichen Geltendmachung ihrer Rechte einer inländischen Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation die Ermächtigung zur Prozessführung erteilen können. Zudem könnte der bislang unscheinbare § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 UmwRG an Bedeutung gewinnen. Das LkSG adressiert zwar die Unternehmen, deren behördliche Beaufsichtigungen jedoch über § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 UmwRG justiziabel sein könnten. Verbände könnten zudem durch ihren prokuratorischen Charakter einen Anspruch auf behördliches Tätigwerden nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 LkSG haben, werden die dortigen „geschützten Rechtspositionen“ im Sinne der „Darmstädter-Luftreinhalteplan“-Rechtsprechung weit verstanden.279
275 Übereinkommen von Minamata v. 10.10.2013 über Quecksilber, BGBl. II 2017, S. 610. 276 Stockholmer Übereinkommen v. 23.05.2001 über persistente organische Schadstoffe, BGBl. II 2002, S. 803. 277 Wird aber teilweise über den Begriff der Luftverunreinigung in das LkSG hineingelesen, dazu Schönfelder, in: Grabosch (Hrsg.), Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (2021), § 4 Rn. 43. 278 Richtlinienvorschlag durch die Kommission v. 23.02.2022, COM(2022) 71 final, wonach einige Unternehmen bei ihrer Unternehmensstrategie das 1,5 °C-Ziel berücksichtigen müssen (Art. 15). 279 So auch Engel/Schönfelder, in: Grabosch (Hrsg.), Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (2021), § 6 Rn. 20.
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cc) Grenzen der Differenzierung zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge (1) Europäische Subjektivierung der Risikovorsorge Die zunehmende Internationalisierung des Umweltrechts lässt auch die Trennung von Gefahrenabwehr- und Gefahrenvorsorgenormen nicht unangetastet. Im Umweltrecht besteht die Besonderheit, dass zwischen den drittschützenden Gefahrenabwehrnormen und den nur die Allgemeinheit schützenden Risikovorsorgenormen unterschieden wird.280 Risikovorsorge wird meist durch Emissions- und Gefahrenabwehr durch Immissionsgrenzwerte kategorisiert.281 Diese Grenzwerte wurden wiederum nicht selten in unverbindlichen Verwaltungsvorschriften geregelt.282 Der EuGH monierte dahingehend fehlende subjektive Rechte mehrfach als mangelhafte Richtlinienumsetzung.283 Daraufhin stellte Rüdiger Breuer „[t]ieferliegende Strukturmängel der gegenwärtigen europäischen Rechtsentwicklung“ fest, da grundlegende Unterschiede in den Verwaltungsrechtsstrukturen nicht hinreichend berücksichtigt wurden.284 Nicht nur die unverbindlichen Verwaltungsvorschriften, sondern bereits das pauschale Unterscheiden in Drittschutz vermittelnden Gefahrenabwehrnormen und Drittschutz ausschließenden Gefahrenvorsorgenormen lässt nationale Ignoranz gegenüber der Integration des europäischen Rechts erkennen. Denn das gesamte Gemeinschaftsrecht kennt eine solche Differenzierung nicht.285 Das Gemeinschaftsrecht lädt Vorsorgenormen subjektiv-rechtlich auf und schafft so drittschützende Vorsorgenormen.286 Der EuGH schreibt den Mitgliedsstaaten vor, bei der Umsetzung von Umweltrichtlinien zu gewährleisten, dass auch Individualklagende die darin enthal280 BVerwG, Urt. v. 22.12.1980, Az. 7 C 84/78, Rn. 19, 32 (juris); vgl. auch Wahl/ Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 151 m. w. N.; Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 59. 281 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 151 m. w. N. 282 Moench, Der Einfluß des europäischen Rechtes, KritV 1996, 214 (223); Ipsen, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen, VVDStRL 48 (1990), 177 (191 f.). 283 EuGH, Urt. v. 28.02.1991, Az. C-131/88; Urt. v. 30.05.1991, Az. C-59/89; Urt. v. 17.10.1991, Az. C-58/89; vgl. Moench, Der Einfluß des europäischen Rechtes, KritV 1996, 214 (223). 284 Breuer (1993), Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, S. 98 ff. 285 Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz, NVwZ 2006, 1 (3); Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 13. 286 Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 157; Jarass, Zur gerichtlichen Überprüfung umweltrechtlicher Genehmigungen, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz (Hrsg.), Festschrift für Klaus-Peter Dolde (2014), 551 (557).
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tenden Grenzwerte gerichtlich geltend machen können müssen.287 Und dies auch und gerade dann, wenn die Richtlinie auf den Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit und somit nach deutschem Verständnis auf ein nicht justiziables Allgemeininteresse zielt.288 (2) L egislative Reaktion aus Gründen der Rechtsklarheit und effektiven Vorsorge Nicht nur die deutsche Differenzierung zwischen Gefahr und Risiko verschwimmt, sondern auch die ohnehin schon bestehende „Unschärfe der Begriffsbildung“289 wird vertieft. Risiko(-vorsorge) kann weder begrifflich noch technisch und wissenschaftlich trennscharf von Gefahren(-abwehr) abgegrenzt werden.290 Meist ist es ein ebenso schmaler wie unbestimmter Grat, der das Überschreiten vom Risiko zur Gefahr ausmacht.291 Die Ungewissheit und die fehlende Kontinuität292 der wissenschaftsbasierten Abgren287 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 30.05.1991, Az. C-361/88, Rn. 16 (juris); Urt. v. 30.05.1991, Az. C-59/89, Rn. 19 (juris); Urt. 17.10.1991, Az. C-58/89, Rn. 14 (juris); Urt. v. 03.10.2019, Az. C-197/18, Rn. 21 (juris); vgl. auch bereits das Janecek-Urteil unter C. II. 2. b) aa) (1). 288 Vgl. etwa EuGH, Urt. 30.05.1991, Az. C-361/88, Rn. 15 f. (juris); Urt. 17.10.1991, Az. C-58/89, Rn. 14 (juris); Breuer (1993), Entwicklungen des europäischen Umweltrechts, S. 95 ff. 289 Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 154. 290 Ekardt, Verfassungs- und Verwaltungsrechtliche Gründe für eine liberalere Klagebefugnis, Der Staat 44 (2005), 622 (627 f.); Breuer, Anlagensicherheit und Störfälle, NVwZ 1990, 211 (213 f.); Ipsen, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen, VVDStRL 48 (1990), 177 (187); Sußmann (2006), Vollzugs- und Rechtsschutzes, S. 120; für weitere Zusammenstellung kritischer Stimmen: Bramorski (2017), Die Dichotomie von Schutz und Vorsorge, S. 92 ff. 291 Ekardt, Verfassungs- und Verwaltungsrechtliche Gründe für eine liberalere Klagebefugnis, Der Staat 44 (2005), 622 (628 f.) stellt exemplarisch die Fragen: „[…] [W]ie will man z. B. im Immissionsschutz wissen, welcher Schadstoff bei einem Menschen die Gefahrenschwelle ‚unmittelbar‘ überschreitet? […] Wie will man feststellen, daß gerade eine Belastung mit Dioxin ‚die Gefahrenschwelle‘ zum Krebs hin ausgelöst hat? […] Wie aber soll unter diesen hochkomplexen Bedingungen festgestellt werden, ob z. B. eine Industrieanlage für ihr Umfeld eine ‚hinreichend wahrscheinliche‘ oder nur eine ‚mögliche‘ Gefährdung darstellt?“; vgl. auch am Beispiel der Gesundheitsgefahr durch Fluglärm unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte, Ekardt, Fluglärmschutzgesetz, 1. Aufl. 2012, § 1 FluglärmG Rn. 9 m. w. N.; Scherzberg, Strategien staatlicher Risikobewältigung, in: Hill/Schliesky (Hrsg.), Management von Unsicherheiten und Nichtwissen (2016), 31 (48 f.). 292 So erklärte das BVerfG, Urt. v. 08.08.1978, Az. 2 BvL 8/77, Rn. 119 (juris): „Erfahrungswissen dieser Art, selbst wenn es sich zur Form des naturwissenschaftlichen Gesetzes verdichtet hat, ist, solange menschliche Erfahrung nicht abgeschlossen
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zung zwischen Gefahr und Risiko lassen den erfahrungsgestützten Gefahrenbegriff problematisch erscheinen.293 An der (Schutz-)Pflicht zur effektiven Risikovorsorge ändert sich indes nichts. Im Gegenteil muss aufgrund der Ungewissheiten, der Irreversibilität und der Ubiquität von Gefahren effektive Risikovorsorge geregelt sein.294 Nicht entscheidend ist der Nachweis, wann genau individuelle Schäden eintreten werden. Entscheidend ist, dass nachweisbar Schäden eintreten werden. Dieser Nachweis gelingt im Klimaschutz unproblematisch. Im Klimaschutz ist bereits lange wissenschaftlich gesichert, dass der Klimawandel kein Risiko, sondern eine konkrete Gefahr ist.295 Der ordnungsrechtliche Ursprung des Vorsorgeschutzes läuft dem Klimaschutz zunehmend zuwider.296 Dabei statuierte schon Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 des VNKlimarahmenübereinkommens von 1992., dass „[i]n Fällen, in denen ernsthafte oder nicht wiedergutzumachende Schäden drohen, […] das Fehlen einer völligen wissenschaftlichen Gewissheit nicht als Grund für das Aufschieben solcher Maßnahmen dienen“ kann. Auch das BVerfG betonte in seinem Klimabeschluss, dass der Gesetzgeber durch das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot im Bereich des Klimaschutzes zu vorausschauenden297 Vorkehrungen verpflichtet ist. Weiter entschied das Gericht, dass bei wissenschaftlichen Ungewissheiten über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge Art. 20a GG dem Gesetzgeber in Verantwortung für künftige Generationen eine besondere Sorgfaltspflicht auferlegt.298 Zuvor stellte das Gericht fest, dass die Anwendung „Negativemissionstechnologien“ noch nicht absehbar ist.299 Negativemissionstechnologien sind nichts anderes Gefahrenabwehr. In erster Linie soll aber vorausschauend sorgfaltspflichtig Klimaschutz, mithin Vorsorge betrieben werden. Das Gericht ordnet damit ist, immer nur Annäherungswissen, das nicht volle Gewißheit vermittelt, sondern durch jede neue Erfahrung korrigierbar ist und sich insofern immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet.“ 293 Breuer, Anlagensicherheit und Störfälle, NVwZ 1990, 211 (213 f.); Wahl/ Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 156 m. w. N. 294 Vgl. auch Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 65 ff. m. w. N. und S. 603, der von einem Wandel des Staates in einen „Vorsorgestaat“ spricht; vgl. auch Bickenbach, Subjektiv-öffentliches Recht auf Klimaschutz?, JZ 2020, 168 (170 f.) m. w. N. 295 Vgl. Meyer, Grundrechtsschutz in Sachen Klimawandel?, NJW 2020, 894 (895 f.); Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 18 f. 296 Vgl. Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 67 m. w. N.; Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (330). 297 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 192, 194, 243 (juris). 298 Ebd., Leits. 2.b., Rn. 229 (juris). 299 Ebd., Rn. 227 (juris).
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die Mitigation (Vorsorge) über die Adaptation (Gefahrenabwehr). Was bedeutet dies also für die Justiziabilität? Die Justiziabilität kann nicht erst dann greifen, wenn Negativemissionstechnologien, also Gefahrenabwehr, anzuwenden sind. Sie muss im Lichte des Klimabeschlusses vorsorgend ausgestaltet sein, andernfalls liefen Rechte wie die künftigen Freiheitssicherungen300 leer. Umwelt- und klimaschützende Vorsorgenormen können daher nicht von einer pauschalen Kategorisierung in Risiko und Gefahr abhängen. Ebenso wenig können Umwelt- und klimaschützende Vorsorgenormen der Kontrolle einer administrativen Fremdverwaltung und der Klagebereitschaft der Verbände vollständig übertragen werden.301 Verbandsklagen schließen allenfalls die Rechtsschutzlücke für großräumige Vorsorge, wo mangels Zurechenbarkeit keine individuelle Zumutbarkeitsgrenze bestimmt werden kann. Bei kleinräumiger Vorsorge müssen sämtliche Vorsorgenormen aber auch individualrechtlich geltend gemacht werden können.302 Vorsorge allein in die Hände kollektiver Dritter zu verweisen, ignoriert die individuelle, verfassungsrechtliche Schutzpflicht. Klimaschutz ist eine kollektive, aber eben auch eine individuelle Gefahr. Diesbezüglich ist unstreitig, dass Schutzpflichten des Staates bei Umweltbelastungen, die eine Vielzahl von Grundrechtsträger:innen gefährden, begründet werden, wenn eine im Vorfeld anerkannte Realisierungstendenz besteht.303 Abhängig von dem Rang der Grundrechte, der Art, der Nähe und des Ausmaßes einer möglichen Gefahr genügt herfür eine „entfernte Wahrscheinlichkeit“ des Eintritts.304 Folglich, muss die Unterscheidung von drittschützenden Gefahrenabwehrnormen und nicht-drittschützenden Vorsorgenormen bei den durch Unionsrecht bedingten Vorsorgevorschriften aufgegeben werden.305 Gleiches muss aus den oben genannten Gründen sowie aus Gründen der Rechtsklarheit für nationale Vorschriften gelten. Für das notwendige Mehr im Rechtsschutz der Individualbetroffenen könnte der Gefahrenbegriff ausgedehnt oder die Vorsorge drittschützender ausgestaltet werden.306 Beides ließe sich zum Beispiel durch das Herabsetzen der geforderten Schadensein300 Dazu
unter F. I. 2. e). (2017), Die Dichotomie von Schutz und Vorsorge, S. 271 f. 302 Kutscheidt, Immissionsschutzrechtliche Vorsorge und Drittschutz, in: Bender (Hrsg.), Festschrift für Konrad Redeker (1993), 439 (453); vgl. auch Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 20; vgl. auch Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 99. 303 BVerfG, Beschl. v. 18.02.2010, Az. 2 BvR 2502/08, Rn. 12 (juris). 304 BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978, Az. 2 BvL 8/77, Rn. 117 f. (juris). 305 Kahl/Gärditz (2019), Umweltrecht, § 5 Rn. 20; Wahl/Schütz, in: Schoch/ Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 156 f. 306 Vgl. auch Bramorski (2017), Die Dichotomie von Schutz und Vorsorge, S. 265 ff. 301 Bramorski
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trittswahrscheinlichkeit erreichen, sodass die strikte Trennung zwischen Gefahrenabwehr und Vorsorge zunehmend obsolet werden würde.307 Nicht mehr die Prognose von Gefahr oder Risiko, sondern vielmehr die Hinnehmbarkeit eines Risikos wäre für die Justiziabilität entscheidend. Zudem könnten zum Beispiel Gebote der Schadensvorsorge (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) sektorübergreifend oder zumindest in sämtlichen Fachgesetzen statuiert werden. Daraus ließen sich bei individueller Betroffenheit auch unterhalb von Grenzwerten die Justiziabilität von Normen herleiten und Vorsorge umfassend integrieren.308 Hierfür könnte auch an die räumliche Betroffenheit angeknüpft werden (unter aa) (3)). 5. Die (schwindende) Verbandsklage des BNatSchG Der Bundesgesetzgeber wollte mit der naturschutzrechtlichen Verbandsklage die landesrechtlichen Möglichkeiten in einer bundesrechtlichen Regelung zusammenfassen und orientierte sich daher ausdrücklich an ihnen.309 Zudem begegnete er damit der fehlenden Verbandsklagemöglichkeit gegen Maßnahmen der Bundesbehörde.310 a) Allgemeine Voraussetzungen Strukturell ähnelt die naturschutzrechtliche der umweltrechtlichen Verbandsklage. Der § 64 Abs. 1 BNatSchG ermöglicht den nach § 3 UmwRG311 anerkannten Verbänden, die nach ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich die Ziele des § 1 BNatSchG fördern, eine von der rechtlichen Betroffenheit i. S. d. § 42 Abs. 2 VwGO unabhängige Klagebefugnis. Es muss betont sein, dass die Verbandsklage nicht überall da greift, wo Naturschutzrecht angewendet wird. Wie auch das UmwRG enumeriert der § 64 BNatSchG seinen Anwendungsbereich. Nach § 64 Abs. 1 BNatSchG können Naturschutzverbände nur gegen Entscheidungen klagen, bei denen ihnen ein Mitwirkungs307 So auch Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider, VwGO, 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 Rn. 159. 308 Dabei würde es sich um eine legislative Klarstellung von z. B. Rechtsprechungen wie der des BVerwG, Urt. v. 23.09.2007, Az. 7 C 9/06, Rn. 23 (juris) zu Immissionsgrenzwerten handeln; vgl. auch 71. Deutschen Juristentag (2016), Band II/1, N 159 Beschluss Nr. 7; i. E. auch Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 99 m. w. N.; Pernice-Warnke, Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts am Beispiel der Klagebefugnis, in: Broemel et al. (Hrsg.), Prozessrecht in nationaler, europäischer und globaler Perspektive (2017), 289 (300). 309 BT-Drs. 14/6378, S. 61. 310 Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 29.04.1993, Az. 7 A 2/92. 311 Dazu unter 6. a) bb).
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recht nach § 63 Abs. 1 Nrn. 2 bis 4 und Abs. 2 Nrn. 4a bis 7 BNatSchG zusteht. Die Klagebefugnis erfasst aber nicht alle Bereiche der Mitwirkung aus § 63 BNatSchG. Unter anderem bei Rechtsbehelfen gegen Verordnungen und unteren Rechtsvorschriften, also bei faktischen Normenkontrollanträgen, entschied sich die Legislative gegen eine altruistische Klagemöglichkeit.312 Die Ausweisung und Aufhebung eines Schutzgebiets ist ebenfalls nicht von einem Klagerecht nach dem BNatSchG erfasst.313 Weiter enthält das BNatSchG keine mit dem § 4 UmwRG vergleichbare Norm, sodass sämtliche Verstöße gegen Form- und Verfahrensrechte314 nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein können.315 Rügefähig sind dagegen beispielsweise Befreiungen von Ver- und Geboten zum Schutz verschiedener Gebiete,316 Genehmigungen für die Errichtung, Erweiterung oder Änderung eines Zoos, die Vorbereitung von Landschaftsplänen und -programmen sowie Planfeststellungen und -genehmigungen, die mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden sind.317 Wenn eine rügefähige Entscheidung Gegenstand des Verfahrens sein soll, müssen zusätzlich die Anforderungen von § 64 Abs. 1 und seinen Nrn. 1 bis 3 BNatSchG erfüllt sein. Neben der Anerkennung muss der klagende Verband nach seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege aus § 1 BNatSchG fördern. Nach § 64 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG muss sich der Verband im Falle einer Mitwirkungsberechtigung aus Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nrn. 4a bis 5 BNatSchG und – wenn die Anwendung des BNatSchG nicht nach § 1 Abs. 3 UmwRG ausgeschlossen ist – aus § 63 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 Nr. 6 BNatSchG in der Sache geäußert haben.
312 Dazu BVerwG, Urt. v. 18.12.2014, Az. 4 C 35/13, Rn. 62 (juris); vgl. auch OVG Magdeburg, Beschl. v. 23.03.2017, Az. 2 K 127/15, Rn. 19 (juris). 313 Kleve, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 61. Ed. 01.07.2020, BNatSchG § 64 Rn. 2. 314 Deren erforderliche naturschutzrechtliche Schutzrichtungen werden dann angenommen, „wenn sie darauf abzielen, besonderen externen naturschutzfachlichen Sachverstand einzubringen“, BVerwG, Urt. v. 27.06.2019, Az. 7 C 22/17, Rn. 22 (juris). 315 Zur fraglichen Unionsrechtskonformität nach dem „Präklusions I“-Urteil Kleve, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 61. Ed. 01.07.2020, BNatSchG § 64 Rn. 13. 316 Z. B. Meeresgebiete auf Bundesebene, § 57 Abs. 2 BNatSchG; Naturschutzgebiete oder Natura 2000-Gebiete auf Landesebene, § 32 Abs. 2 BnatSchG. 317 Z. B. die Errichtung von Bundesfernstraßen (§ 17 FStrG) oder -wasserstraßen (§ 14 Abs. 1 WaStr); vgl. für weitere Beispiele: Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, BNatSchG § 64 Rn. 13; Schmidt/Schrader/ Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 127 f. Rn. 322.
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b) Naturschutzrelevante Vorschriften Zudem muss als „Korrektiv zum Verzicht der Geltendmachung eigener subjektiver Rechte“318 die Verletzung einer naturschutzrechtlichen oder -relevanten Vorschriften gerügt werden.319 Rügefähig sind nicht nur Normen des BNatSchG und des Immissions- und Wasserschutzes, sondern auch Normen, die einen Abwägungsvorgang von naturschutzrelevanten Belangen voraussetzen.320 In einer Abwägung unterliegt es jedoch keiner gerichtlichen Kontrolle, „ob nicht naturschutzbezogene Belange, die für und gegen das Vorhaben sprechen, richtig ermittelt oder gewichtet worden sind.“321 Mit anderen Worten ist nicht das Ergebnis, sondern vielmehr ein naturschutzrelevanter Inhalt der Abwägung für die Justiziabilität entscheidend. Dem wird zu Recht widersprochen. So weisen Abwägungsergebnisse (z. B. ein wasserrechtlicher Planfeststellungsbeschluss) meist auch durch nicht naturschutzbezogene Entscheidungsbelange Naturschutzrelevanz auf. So ist es beispielsweise nur justiziabel, wenn falsche naturschutzfachlichen Ermittlungen durchgeführt wurden. Andere entscheidungserhebliche Belange außerhalb des Naturschutzes sind von der Justiziabilität ausgeschlossen. Das kann dazu führen, dass das Abwägungsergebnis gegen naturschutzrechtliche Vorschriften verstößt, ohne dass es justiziabel ist. Für die Justiziabilität des Abwägungsprozesses sollten daher alle entscheidungserheblichen Belange unabhängig von ihrer naturschutzrechtlichen Relevanz zu berücksichtigen sein.322 Das Abwägungsergebnis muss der Bezugspunkt der Naturschutzrelevanz sein, nicht (nur) der Abwägungsinhalt. Eine gewollte und trennscharfe Beschränkung der Klagemöglichkeiten gelingt dem § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG damit nicht. Das mittlerweile knapp 20 Jahre alte BNatSchG hat zu keinem Zeitpunkt eine Definition und damit einen Maßstab der naturschutzrechtlichen Relevanz einer Norm statuiert. Es 318 Kleve, in: BeckOK Umweltrecht, Giesberts/Reinhardt, 61. Ed. 01.07.2020, BNatSchG § 64 Rn. 10. 319 Für Beispiele Schlacke (2008), Überindividueller Rechtsschutz, S. 189 ff. 320 BVerwG, Urt. v. 19.05.1998, Az. 4 A 9/97, Rn. 27 (juris): Es unterliegt „voller gerichtlicher Prüfung, ob – erstens – hinsichtlich naturschutzrechtlicher Belange eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat, ob – zweitens – in die Abwägung an naturschutzrechtlichen Belangen eingestellt wurde, was nach Lage der Dinge einzustellen war, ob – drittens – die Bedeutung der betroffenen naturschutzrechtlichen Belange verkannt und ob – viertens – der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, der zur objektiven Gewichtigkeit der naturschutzrechtlichen Belange außer Verhältnis steht.“ 321 BVerwG, Urt. v. 27.06.2019, Az. 7 C 22/17, Rn. 22 (juris). 322 Schlacke, in: GK-BNatSchG, Schlacke, 2. Aufl. 2017, § 64 Rn. 54; Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, BNatSchG § 64 Rn. 17.
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ist den Gerichten überlassen, wann die Anforderungen des § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG erfüllt sind. Dabei müssen Richter:innen im Rahmen der Auslegung – wie bei der Subjektivität einer Norm – gemeinschaftsrechtliche Einflüsse berücksichtigen. Nicht nur unmittelbar naturschutzbezogenes Unionsrecht,323 sondern gerade auch das Recht, welches unionsrechtsbedingt einheitlichen Umweltschutz sichern will,324 gilt es auf die Naturschutzrelevanz zu überprüfen. Liegt eine naturschutzrelevante Norm vor, eröffnet und begrenzt sie das Gerichtsverfahren zugleich. Die Beschränkung auf naturschutzrelevante Normen gilt nämlich nicht nur für die Zulässigkeit, sondern auch für die Begründetheit. Mithin findet im BNatSchG von vorn herein keine umfassende objektive Gerichtskontrolle statt.325 Die in der Gesetzesbegründung gewählte Bezeichnung als objektiv-rechtliches Beanstandungsverfahren326 ist daher missverständlich. Treffender wäre eine „partiellobjektive Rechtmäßigkeitsprüfung“327. c) Das Verlangen der Integration Unter anderem wegen dieser höheren Hürden schwindet die Bedeutung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage. Dazu kommt, dass § 1 Abs. 3 UmwRG und § 64 Abs. 1 UmwRG die praktische Subsidiarität der naturschutzrechtlichen Verbandsklage in den „wichtigsten Fällen“328 anordnet. So findet sie keine Anwendung, soweit in Planfeststellungsverfahren, die dem § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 oder 5 UmwRG unterfallen, Rechtsbehelfe nach dem UmwRG eröffnet sind. Zudem synchronisiert das BNatSchG nicht nur bei der Anerkennung des Verbandes die naturschutzrechtliche Verbandsklage mit der des UmwRG (§ 64 Abs. 2 BNatSchG). Das UmwRG erweiterte sich durch die Novelle 2017 auf nicht UVP-pflichtige Vorhaben, sodass die umweltrechtliche Verbandsklage spätestens ab diesem Zeitpunkt zum primären Rechtsschutzinstrument im Umweltrecht aufstieg.329 Infolgedessen hat der 323 Vgl. für FFH-RL: BVerwG, Urt. v. 27.01.2000, Az. 4 C 2/99, Rn. 20 (juris): „Die FFH-Richtlinie gehört zu den Rechtsvorschriften, die auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind.“ 324 Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, BNatSchG § 64 Rn. 18; Schmidt/Schrader/Zschiesche (2014), Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, S. 126 Rn. 317. 325 BVerwG, Beschl. v. 23.11.2007, Az. 9 B 38.07, Rn. 14 f. (juris). 326 BT-Drs. 14/6378, S. 61. 327 Schlacke, in: GK-BNatSchG, Schlacke, 2. Aufl. 2017, § 64 Rn. 50. 328 Bunge, Die Verbandsklage im Umweltrecht, JuS 2020, 740 (744). 329 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 1 Rn. 157; Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2018), Die Verbandsklage im Naturschutz- und Umweltrecht, S. 4.
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Bundestag die Bundesregierung aufgefordert, die naturschutzrechtliche Verbandsklage ohne inhaltlich Abstriche zur besseren Systematisierung des Bundesrechts vollständig in das UmwRG zu integrieren.330 Dieser Aufforderung sollte bereits im Sinne der Rechtsklarheit nachgekommen werden. 6. Die Rechtsbehelfe des UmwRG Eine auf den ersten Blick nahezu unbedingt erscheinende Rechtsschutzmöglichkeit findet sich in § 2 Abs. 1 S. 1 UmwRG. Dass dieser Eindruck täuscht und Rechtsschutzlücken fortbestehen, zeigen die folgenden Ausführungen zunächst zu den allgemeinen Voraussetzungen (dazu unter a)) und anschließend zu den bestehenden Defiziten (dazu unter b)). a) Allgemeine Voraussetzungen aa) Der Anwendungsbereich Wie das BNatSchG enthält auch das UmwRG einen enumerativen Anwendungsbereich. § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG versucht einen unionsrechtbedingten Anwendungsbereich abzudecken (UVP-RL, IE-RL, Seveso-III-RL, Umwelthaftungs-RL).331 Die Verbandsklage ist im Wesentlichen immer dann zulässig, wenn sie ein Vorhaben betrifft, das einer UVP- oder SUP-Pflicht unterliegt (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 2 und 4 UmwRG). Der Wortlaut lässt es genügen, dass eine Pflicht zur UVP oder SUP „bestehen kann“.332 Tauglicher Klagegenstand kann nur das Handeln und Unterlassen333 von Behörden sein. Handeln von privaten und legislativen Akteur:innen wird durch das UmwRG nicht justiziabel. Handlungen ohne Verwaltungsaktqualität und behördliche Realakte ebenfalls nicht.334 Die Verbandsklage setzt zumindest nach dem UmwRG bereits früher an als der Individualrechtsschutz. Verbände haben zum Teil die Möglichkeit, behördeninterne Planungen gerichtlich kontrollieren zu lassen. Hierbei ist nicht ein möglicherweise verletztes subjektives Recht, sondern erneut die Pflicht zur Durchführung einer UVP oder SUP entscheidend. In Anlage 1 des UVPG werden abschließend alle UVP-pflichtigen Vorhaben, in Anlage 5 alle SUP-pflichtigen Pläne und Programme ge330 BT-Drs.
18/12146, S. 4; BR-Drs. 341/17. auch unter C. II. 2. a) bb) (1). 332 § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 4 a. E.; für die Begründetheit muss nach § 2 Abs. 4 S. 2 UmwRG eine UVP-Pflicht, bei Plänen und Programmen eine SUP-Pflicht tatsächlich bestehen. 333 § 1 Abs. 1 S. 2 UmwRG. 334 BT-Drs. 18/9526, S. 36. 331 Dazu
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listet. Damit lässt sich überwiegend bei § 1 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 UmwRG eine doppelte Enumeration der Klagemöglichkeiten erkennen. Aber auch nicht UVP oder SUP-pflichtige Entscheidungen sind gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2a, 2b, 3, 5 und 6 UmwRG justiziabel. Dabei werden in den Anwendungsbereich des UmwRG aufgenommen: Vorhaben in Anwendungsbereich der Seveso-III-Richtlinie (Nr. 2a und Nr. 2b), umweltschadensrecht liche Entscheidungen (Nr. 3), sonstige umweltbezogene Zulassungsentscheidungen (Nr. 5)335 und als Verwaltungsakt erlassene umweltbezogene Überwachungs- und Aufsichtsmaßnahmen (Nr. 6). bb) Die Kriterien der Rügebefugnis Durch die „Trianel“-Entscheidung wurde sich von der schutznormakzessorischen Ausgestaltung der Rügebefugnis getrennt. Ein subjektives Recht bedarf es fortan nicht mehr. Das Verbandsklagerecht ist dennoch nicht der Autonomie der Verbände überlassen, sondern in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 UmwRG flankiert. (1) Anerkennung des Verbands Rügebefugt sind zunächst nur anerkannte Vereinigungen. Die Anerkennung ist in § 3 UmwRG in Form eines gebundenen Anspruches geregelt. Zurzeit sind vom Bund 132 Vereinigungen anerkannt.336 Auch (noch) nicht anerkannte Vereinigungen können unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 UmwRG potentielle Klägerinnen sein. Bis zur Erhebung der Klage müssen die Voraussetzungen der Anerkennung erfüllt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 UmwRG), der Antrag auf Anerkennung gestellt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UmwRG) und über die Anerkennung aus nicht zu vertretenden Gründen noch nicht entschieden sein (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 UmwRG). Letzteres wird bei ausländischen Vereinigungen fingiert (§ 2 Abs. 2 S. 2 UmwRG). Bezüglich des Jedermann-Prinzips in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 UmwRG stellte das ACCC zuletzt die Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 2 AK i. V. m. Art. 2 Abs. 5 AK fest, da es für Verbände mit der Rechtsform einer Stiftung nicht möglich sei, demokratische Mitbestimmung der Mitglieder und Offenheit gegenüber neuen Mitgliedern zu gewährleisten.337 Eine legislative Anpassung blieb bislang aus.
335 Z. B.
die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 19 Abs. 1 B ImSchG. der anerkannten Vereinigungen auf der Seite des UBA abrufbar (Stand 01.09.2022). 337 ACCC, ACCC/C/2016/137 (Deutschland), v. 23.07.2021, Rn. 120. 336 Nachweis
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(2) Bedeutung der Rechtsverletzung für die Entscheidung Weiter muss die (unterbliebene) Entscheidung aus § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG Rechtsvorschriften widersprechen, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG). Der Widerspruch muss nur möglichweise bestehen, da er wie in § 42 Abs. 2 VwGO nur „geltend [ge]macht“ werden muss.338 Als Rechtsvorschriften gelten die materiellen Rechtssätze wie Gesetze, Verordnungen, Satzungen und auch normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften (TA Luft und TA Lärm).339 Die Bedeutsamkeit der gerügten Rechtsvorschrift für die Entscheidung soll vermeiden, dass entscheidungsirrelevante Aspekte Gegenstand des Streitstoffes werden.340 Hierbei ist aber nicht etwa der Maßstab des § 46 VwVfG anzulegen, sondern eine bloße Entscheidungsrelevanz des gerügten Rechtsverstoßes ausreichend.341 (3) Berührung des satzungsgemäßen Aufgabenbereichs § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG verlangt, dass die (unterbliebene) Entscheidung den satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes möglicherweise berührt. Zwischen dem Aufgabenbereich und der angefochtenen Entscheidung muss ein Zusammenhang bestehen.342 In sachlicher Hinsicht müssen sich die satzungsmäßigen Ziele mit dem Inhalt der Entscheidung decken. In räumlicher Hinsicht muss der Tätigkeitsbereich des Verbandes einen örtlichen Bezug zu den Umweltauswirkungen, die der Entscheidung entspringen, vorweisen.343 Die geschaffene Verbindung zwischen satzungsgemäßem Aufgabenbereich und angegriffener Entscheidung wird teilweise als Aufrechterhaltung des Merkmals „der dem Umweltschutz dienenden Rechtsvorschrift“ (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a. F. UmwRG) kritisiert.344 Stichhaltige Bedenken zur Vereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 2 AK bestehen allerdings nicht. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG verlangt keine Verbindung zu einer dem Umweltschutz dienenden Norm, sondern zu der angegriffenen Ent-
338 Grundlegend
dafür BVerwG, Urt. v. 12.11.2014, Az. 4 C 34/13, Rn. 10 (juris). in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 2 Rn. 12. 340 BT-Drs. 16/2495, S. 12. 341 Ebd., S. 12 f. 342 BT-Drs. 16/2495, S. 12. 343 BT-Drs. 18/9526, S. 39. 344 So z. B. Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (732 f.). 339 Fellenberg/Schiller,
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
scheidung.345 In der Praxis können die Verbände zudem ihren satzungsmäßigen Aufgabenbereich sowohl in räumlicher als auch sachlicher Hinsicht weit fassen. Bedenken hinsichtlich der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit ergäben sich erst dann, wenn Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwRG durch die Hürde des § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG einer umfassenden objektiven Rechtskontrolle entzogen würden.346 (4) Beteiligung des Verbands Nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. a) UmwRG ist für die Rügebefugnis die Beteiligungsberechtigung in den Fällen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis Nr. 2b UmwRG erforderlich. Für den Fall des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG muss der Verband zusätzlich das Beteiligungsrecht wahrgenommen haben oder es ihm rechtswidrig verwehrt worden sein (§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b) UmwRG). Die Beteiligungsrechte ergeben sich aus den der Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG zugrunde liegenden Fachgesetzen. Unerheblich ist, ob die Öffentlichkeit oder ausdrücklich die Verbände beteiligt werden sollen. Beteiligungen sind beispielsweise in § 73 Abs. 4 S. 5 und Abs. 8 S. 1 VwVfG, § 10 Abs. 3 S. 4 BImSchG, § 47 Abs. 5 und Abs. 5a BImSchG, § 63 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG und in § 18 Abs. 1 S. 2 UVPG vorgesehen. Letzterer fungiert dabei als Auffangvorschrift, in dem er die Beteiligung im Rahmen der UVP-pflichtigen Vorhaben sichert.347 cc) Die Dichotomie im UmwRG Müssen in § 2 Abs. 1 S. 1 UmwRG „lediglich“ die Voraussetzung der Nr. 1 bis Nr. 3 vorliegen, so wird in § 2 Abs. 1 S. 2 UmwRG bei Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a bis Nr. 6 UmwRG zusätzlich die Rüge einer umweltbezogenen Rechtsvorschrift gefordert. Wenn auch die Praktikabilität der Unterscheidung hinterfragt werden kann,348 so steht sie im Einklang mit den Vorgaben aus Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 AK. Denn nur letzterer setzt den Verstoß gegen umweltbezogene Vorschriften voraus. Die umweltbezogenen Rechtsvorschriften werden in § 1 Abs. 4 UmwRG legaldefiniert. Es sind da345 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 2 Rn. 19. 346 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 142; Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (732 f.). 347 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 2 Rn. 25. 348 Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (733); dazu unter b) ee) und G. III. 4.
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nach Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf den Zustand von Umweltbestandteilen i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG oder Faktoren i. S. d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 des UIG beziehen. Der Bezug zum UIG will das Verständnis der Umweltinformations-RL (Art. 2 Nr. 1) und der Aarhus-Kon vention (Art. 2 Nr. 3) in das deutsche Recht 1:1 umsetzen.349 Damit sind wohl alle materiell-rechtlichen Umweltvorschriften, wie die des BNatSchG, BWaldG, BImSchG oder WHG, aber auch Abwägungsgebote (z. B. § 1 Abs. 7 BauGB), sofern sie Belange mit Umweltbezug einbeziehen, erfasst.350 Der Wortlaut „zum Schutz von Mensch und Umwelt“ verdeutlicht, dass die geschützten Umweltbestanteile und -faktoren nicht um ihrer selbst willen geschützt werden sollen, sondern an der Anthropozentrik des Rechts ausgerichtet sein müssen. Dennoch werden Schutzgüter wie die menschliche Gesundheit aber auch das Klima351 nicht im § 2 Abs. 3 UIG und damit nicht im Verständnis des § 1 Abs. 4 UmwRG aufgegriffen. Der auch für das UmwRG gängige Bezug zum UVPG wäre daher sinnvoller und einheitlicher gewesen,352 sind doch dort in § 2 Abs. 1 UVPG Schutzgüter definiert, die die menschliche Gesundheit und das Klima explizit benennen. So nahm schon das BVerwG im Rahmen des § 2 Abs. 1 UmwRG a. F. auf diese UVPGSchutzgüter ausdrücklich Bezug.353 Bei allen nicht ausdrücklich umweltbezogenen Normen bleibt es Aufgabe der richterlichen Auslegung, den Schutzgehalt i. S. d. § 1 Abs. 4 UmwRG zu prüfen. Im Lichte der Aarhus-Konvention sollte dabei ein weites und rechtsschutzfreundliches Verständnis zugrunde gelegt werden.354 Umweltbezogene Rechtsvorschriften bleiben damit trotz Legaldefinition unbestimmte Rechtsbegriffe. Unabhängig von umweltbezogenen Vorschriften können Verbände die Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwRG überprüfen lassen. Dabei rückt eine Art Interessentenklage in den Vordergrund. Diese findet im UmwRG auch einen normativen Anknüpfungspunkt. Durch die in § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG vorausgesetzte Berührung des satzungsmäßigen Aufga349 BT-Drs.
18/9526, S. 36. in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 1 Rn. 162 f. m. w. N. 351 § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG enthält aber die Umweltbestandteile Luft und Atmosphäre. 352 So auch Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 12/2016, S. 6. 353 BVerwG, Urt. v. 10.10.2012, Az. 9 A 18/11, Rn. 11 (juris). 354 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 102; vgl. auch Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (731), die auf die weite Spruchpraxis des ACCC verweisen, welche alle Vorschriften mit Umweltbezug in den Anwendungsbereich der AK einbezieht. 350 Fellenberg/Schiller,
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benbereichs ist es das betroffene Kollektivinteresse, das als Türöffner vor Gericht fungiert.355 Dadurch geht man einen Schritt in Richtung des in Europa verbreiteten Klagemodells.356 Dennoch bleibt die umweltrechtliche Verbandsklage staatlich bedingt und beschränkt. Das Kollektivinteresse ist dabei nur eine, wenn auch bedeutende, Voraussetzung für die Rügebefugnis aus dem UmwRG. Der Abstand von der Popularklage ist dadurch stets gewahrt und die Kontrolle des Umweltschutzes sowie die Durchsetzung von Gemeinwohlinteressen den vom Staat anerkannten Verbänden ausdrücklich nur in dem festgelegten Maßstab anvertraut. b) Defizite aa) Defizitärer Anwendungsbereich Der enumerative Anwendungsbereich verschließt der Rechtsprechung die Möglichkeiten, gemeinschaftsrechtliche Lücken durch Auslegung oder Analogien zu schließen.357 Gut für die Rechtssicherheit, schlecht für die Dynamik im Umwelt- und Klimaschutz. Der Gesetzgeber sah von einer generalklauselartigen Übertragung des Art. 9 Abs. 3 AK bewusst ab, da dies mit Abgrenzungsschwierigkeiten und Rechtsunsicherheiten verbunden wäre.358 Dass eine Generalklausel als Antwort auf bestehende Defizite dennoch in Betracht kommt und eine Enumeration nicht der Weisheit letzter Schluss ist, zeigen die nachfolgenden Ausführungen. (1) Vorverlagerte Verbandsklage Der erweiterte Anwendungsbereich kommt dem vorverlagerten Rechtsschutz nur in Teilen zugute. Der vorverlagerte Verbandsrechtsschutz verbesserte sich durch die Einführung des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG. Über § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) UmwRG können zudem weitere Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren justiziabel sein. Wie schon im Individualrechtsschutz erfährt der phasenspezifische Rechtsschutz vorverlagerter Entscheidungen allerdings in mehrfacher Hinsicht Restriktionen. Durch die Aufzählung im 355 So auch Bruckert, Die Ausweitung der Klagebefugnis im Umweltrecht, NuR 2015, 541 (544). 356 Epiney, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht im Rechtsvergleich, NVwZ 2014, 465 (469 ff.); Calliess, Feinstaub im Rechtsschutz, NVwZ 2006, 1 (2). 357 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 96. 358 BT-Drs. 18/9526, S. 37.
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Anhang 5 des UVPG unterliegt die Zulässigkeit auch der phasenspezifischen Verbandsklage einer Enumeration. So sind zum Beispiel Bergbauberechtigungen und Braunkohlepläne dort nicht aufgelistet und keine tauglichen Klagegegenstände.359 Trotz SUP- oder UVP-Pflicht gelten für die Verbandsklagen ebenfalls die normativen Ausschlüsse des phasenspezifischen Rechtsschutzes (§ 1 Abs. 1 S. 3 UmwRG). So ist die Verbandsklage beispielsweise für die Bundesfachplanung im Bereich des Netzausbaus ebenfalls auf die Zulassungsentscheidung der konkreten Ausbaumaßnahme konzentriert.360 Die Bedarfsplanung für den Verkehrswegeausbau (Bundesschienenwege, Bundesfernstraßen, Bundeswasserstraßen), die Raumordnungsplanung für die Windenergienutzung sowie für den Abbau von Rohstoffen sind gänzlich von dem Anwendungsbereich des UmwRG ausgeschlossen.361 Sämtliche Bedarfsplanungen, über deren Annahmen durch förmliches Gesetz entschieden wird, sind als Legalplanungen durch § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Hs. 2 UmwRG ebenfalls nicht für Verbände justiziabel.362 Eine konzentrierte Inzidenzprüfung der Bedarfspläne im Rahmen des Planfeststellungsbeschlusses ist von dem Ausschluss aber nicht erfasst.363 Der 4. Senat des BVerwG attestierte dieser Konzentration des Rechtsschutzes die Vereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 3 AK i. V. m. Art. 47 GRCh. Denn dadurch sei Rechtsschutz weder „gänzlich verwehrt“ noch „praktisch unmöglich“, zumal Rechtsschutz „ohne Einbußen“ inzident im Rahmen des Rechtsbehelfs gegen die Zulassungsentscheidung möglich sei.364 Im Umkehrschuss bedeutet dies: Wird Rechtsschutz gänzlich verwehrt oder ist nur mit Einbußen möglich, so wäre die Konzentration mit Art. 9 Abs. 3 AK und Art. 47 GRCh unvereinbar. So kam auch das ACCC zum Schluss, dass es mit der AarhusKonvention nicht vereinbar ist, wenn Pläne und Programme im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG gegen Umweltrecht verstoßen und nicht 359 Dammert/Brückner, Phasenspezifischer Rechtsschutz, ZUR 2017, 469 (471, 472 f.); sie werden wohl auch nicht von § 1 Abs. 1 Nr. 5 UmwRG erfasst, ebd. 476; so auch VG Darmstadt, Beschl. v. 21.11.2017, Az. 7 L 4343/17, Rn. 80 (juris); a. A. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 1 Rn. 108. 360 Ausschluss des phasenspezifischen Rechtsschutzes nach § 15 Abs. 3 S. 2 NABEG. 361 Für die Verkehrsbedarfsplanung § 53 Abs. 2 S. 2 UVPG und für die Raumordnungsplanung § 48 S. 2 UVPG. 362 Vgl. BT-Drs. 18/9526, S. 35. 363 BVerwG, Urt. v. 11.07.2019, Az. 9 A 13/18, Rn. 56 (juris). 364 BVerwG, Urt. v. 24.03.2021, Az. 4 Vr 2/20, Rn. 82, 88 (juris); ACCC, ACCC/ MP.PP/2017/40 (Deutschland), v. 31.07.2017, Rn. 39; vgl. auch Art. 16 Abs. 2 IVURL und Art. 15 Abs. 2 UVP-RL, wonach die Mitgliedstaaten grundsätzlich festlegen können, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können.
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rechtsbehelfsfähig sind.365 Die „Protect“-Entscheidung366 würde dann die normativen Ausschlüsse außer Kraft setzen. Bedingt durch die „Braunbär I“Entscheidung eröffnete der 7. Senat des BVerwG in seiner Entscheidung zum Darmstädter Luftreinhalteplan den Verbänden zudem die Möglichkeit, vorverlagerte Entscheidungen prokuratorisch überprüfen zu lassen. Damit begründe, so das Gericht, auch die analoge Anwendung des § 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO die Rügebefugnis des Verbandes für jene Planungen, die konzentriert nicht hinreichend überprüft werden können. Vorverlagerte Verbandsklagen sind damit zwingend, wenn bei der Bedarfsund Fachplanung Unionsumweltrecht zu berücksichtigen ist (dazu (a) und (b)) und dessen Verstöße nach Abschluss der Planungen nicht hinreichend überprüft werden können (dazu (c)). (a) Verbindliche Berücksichtigung von Umweltbelangen (aa) Bei Bundesfachplanungen im Netzausbau Zunächst streitet als rechtspolitischer Grund für eine Justiziabilität, dass die Bundesfachplanungen funktional identisch zu einer Raumordnungsplanung oder Flächennutzungsplanung sein können. Letztere sind hingegen prinzipal, also nicht nur inzident justiziabel.367 Auf tatsächlicher Ebene Gleiches ungleich zu behandeln, verlangt transparente Differenzierungskriterien, die der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen sind.368 Allein politisch zu differenzieren,369 dürfte jedenfalls nicht für eine Konformität mit den Zielen der Aarhus-Konvention genügen.370 Das FFH-Recht innerhalb eines Raumordnungsplanes erst inzident im Planfeststellungsbeschluss zu überprüfen, reichte überdies schon dem VGH Kassel für eine Konformität mit Art. 9 Abs. 3 AK nicht aus.371 ACCC/MP.PP/2017/40 (Deutschland), v. 31.07.2017, Rn. 37. unter C. II. 2. b) aa) (6). 367 Durner, SUP-pflichtige Fachpläne in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, EurUP 2018, 142 (153). 368 Dort heißt es vielmehr, dass die Verbandsklage „auf Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen ausgedehnt [wird], bei denen eine Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung bestehen kann“, BT-Drs. 18/9526, S. 23. 369 Abgeordneter Oliver Grundmann (CDU/CSU) verwies in der Debatte über das UmwRG 2017 darauf, dass die Aarhus-Konvention nicht verlange, die „obersten Planungsebenen anfechtbar“ zu machen, Plenarprotokoll 18/231 v. 27.04.2017, S. 23331 f. 370 So auch Durner, SUP-pflichtige Fachpläne in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, EurUP 2018, 142 (153). 371 Vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 14.05.2012, Az. 9 B 1918/11, Rn. 35 (juris). 365 ACCC, 366 Dazu
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Die Bundesfachplanungen müssen zwingend die FFH-RL und SUP-RL beachten. Die Fachplanungen des Netzausbaus sind SUP-pflichtig. Bereits die SUP-Pflicht muss grundsätzlich den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG eröffnen.372 Über die SUP erfolgt nicht nur die Einbeziehung von Umweltbelangen, sondern auch die der menschlichen Gesundheit,373 sodass auch die „Darmstädter-Luftreinhalteplan“-Rechtsprechung anwendbar wäre. Die SUP-Pflicht setzt nicht nur die SUP-RL, sondern auch die FFHRL um. Denn Auswirkungen auf Natura-2000-Gebiete müssen ermittelt und bewertet werden, da nach (§ 36 UVPG i. V. m.) § 36 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 34 BNatSchG bei Plänen, die bei behördlichen Entscheidungen zu beachten oder zu berücksichtigen sind, die Verträglichkeitsgrundsätze des § 34 Abs. 1 bis Abs. 5 BNatSchG einzubeziehen sind. Nach § 15 Abs. 1 NABEG sind die Bundesfachplanungen für die Planfeststellung verbindlich und damit bei behördlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Mithin sind die naturschutzrechtlichen Planungsleitsätze (FFH-RL) fester Bestandteil von Entscheidungen der Bundesfachplanung im Bereich des Netzausbaus.374 Unionsumwelt und -naturschutzrecht ist somit bei der Bundesfachplanung des Netzausbaus zwingend zu berücksichtigen. (bb) Bei der Bundesverkehrswegeplanung Bei der Bundesverkehrswegeplanung verhält es sich ähnlich. Sowohl die Bedarfspläne als auch der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) sind SUPpflichtig. Die Bedarfspläne sind sowohl für die Planfeststellung als auch für das gerichtliche Verfahren verbindlich.375 Zudem sind sie es für die Linienbestimmung nach § 16 FStrG und für die Planfeststellung nach § 17 FStrG (§ 1 Abs. 2 S. 2 FStrAG). Die Bedarfspläne müssen damit ebenfalls nicht nur die SUP-RL, sondern auch die FFH-RL berücksichtigen (§ 36 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 34 BNatSchG). Gleiches gilt für den – den gesetzlichen Bedarfsplänen vorgelagerten – BVWP. Wenn auch keine rechtliche Bindungswirkung 372 Vgl. Schlacke/Römling, Neue Herausforderungen der gerichtlichen Kontrolle, DVBl 2021, 144 (148). 373 Vgl. Erwägungsgrund 1, Anhang I, lit. f) und Anhang II, Nr. 2 Spiegelstrich 4 der SUP-RL. Daher könnte bereits im Sinne der im Vergleich zur Protect-Entscheidung engeren Braunbär-I- und der Darmstädter-Luftreinhalteplan-Rechtsprechung die richterrechtliche Verbandsklage auf die Umweltrechtsverstöße innerhalb der Bedarfsund Fachplanung geboten sein, so auch Schlacke, Rechtsschutz von Umweltverbänden gegen die Bundesfachplanung, in: Kment (Hrsg.), Festschrift für Hans D. Jarass (2015), 379 (391). 374 Schlacke, Rechtsschutz von Umweltverbänden gegen die Bundesfachplanung, in: Kment (Hrsg.), Festschrift für Hans D. Jarass (2015), 379 (389) m. w. N. 375 BVerwG, Urt. v. 06.11.2013, Az. 9 A 14/12, Rn. 25 (juris).
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von ihm ausgeht, ist seine faktische Bindungswirkung376 nicht zu leugnen. Faktische Bindungswirkung ist mit der rahmensetzenden Wirkung von Plänen und Programmen im Sinne des Art. 7 AK gleichzusetzen, der der Justi ziabilität des Art. 9 Abs. 3 AK unterliegt.377 Zunächst wird der BVWP in § 3 Abs. 2 BSWAG gesetzlich vorausgesetzt. Auch der Umstand, dass sich der Gesetzgeber bei der Bedarfsplanung für die SUP-Pflicht entschieden hat, unterstreicht die faktische Bindung des BVWP im gesamten Planungs- und Entscheidungsprozess. Regelte der Gesetzgeber bei dem wasserhaushaltsrechtliche Bewirtschaftungsplan angesichts seines bloßen „Informations- und Dokumentationscharakters“ bewusst keine SUP-Pflicht,378 so tat er dies doch bei dem BVWP. Dies lässt sich nur mit der enormen planerischen Tragweite des BVWP erklären. Der BVWP stellt mit einem Gesamtvolumen von etwa 270 Milliarden Euro ausweislich der Bundesregierung das wichtigste Instrument der Verkehrsinfrastrukturplanung dar.379 Der ursprüngliche Inhalt des BVWP wird regelmäßig in den jeweiligen Ausbaugesetzen und Bedarfsplänen kaum abgeändert.380 Der BVWP bildet damit eine „de-facto“-Grundlage der Bedarfspläne. Dafür spricht auch, dass nicht erst die Bedarfspläne, sondern schon der nahezu inhaltsgleiche BVWP eine Planrechtfertigung für die späteren Vorhaben enthält.381 Die Planrechtfertigung ist als ungeschriebenes Erfordernis der Fachplanung erfüllt, wenn für das beabsichtigte Vorhaben gemäß den Zielsetzungen des jeweiligen Ausbaugesetzes ein Bedarf besteht, die geplante Maßnahme also erforderlich ist.382 Ob eine Maßnahme umweltund klimaschutzrechtlich erforderlich ist, lässt sich gerichtlich nicht überprüfen. Obwohl die Bundesregierung neben den Aspekten der Verkehrssicherheit auch Klima-, Umwelt- und Lärmschutz im BVWP abbilden wollte,383 kann nur gemutmaßt, nicht aber gerichtlich geprüft werden, ob diese tatsächlich 376 Held/Ringwald/Roller, Gutachten v. 05.06.2021, S. 11 f.; vgl. auch Ewer, Rechtsschutz bei mehrstufigen Planungs- und Zulassungsverfahren, in: Kloep fer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 61 (64); Wulfhorst, Der Bundesverkehrswegeplan, DVBl 2012, 466 (467). 377 Vgl. für Definition der Pläne und Programme: Epiney et al., Aarhus-Konvention, 1. Aufl. 2018, Art. 7 Rn. 2; für die Anwendbarkeit des Art. 9 Abs. 3 AK auf Art. 7 AK unter C. II. 2. a) aa) (3) (c) (cc). 378 BT-Drs. 16/12275, S. 77; Durner, SUP-pflichtige Fachpläne in der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, EurUP 2018, 142 (150) m. w. N., hält die fehlende SUPPflicht für unionsrechtswidrig. 379 BMVI (2016), Bundesverkehrswegeplan 2030, S. I f., 7. 380 Ewer, Rechtsschutz bei mehrstufigen Planungs- und Zulassungsverfahren, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 61 (64). 381 Stüer, Habitatschutz auch in der Bundesverkehrswegeplanung?, NVwZ 2002, 1164 (1166). 382 StRspr. vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 12.07.2017, Az. 9 B 49/16, Rn. 4 (juris). 383 Unterrichtung der Bundesregierung v. 05.08.2016, BT-Drs. 18/9350, S. 5.
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ausreichend abgebildet wurden. Die Berücksichtigung erscheint bereits deshalb defizitär, weil die Bundesregierung die Fortentwicklung der Verkehrs infrastruktur „nicht in erster Linie eine[r] Maßnahme des Natur- und Umweltschutzes“384 gleichstellte. Die primäre Leitlinie des BVWP ist das prognostizierte Verkehrsaufkommen385 in Form der Verkehrsverflechtungsprognose.386 Ihn leiten also nicht etwa die Nachhaltigkeitsstrategie oder die Minderungsziele aus dem Sektor Verkehr gemäß dem KSG. Die Bedarfspläne und der BVWP sind also verbindliche Instrumente, die zwingend Umweltrecht berücksichtigen müssen, dies im status quo offensichtlich aber nicht tun. (b) V erbindliche Berücksichtigung von Klimabelangen in sämtlichen Planungen Neben die umweltrechtliche Ausrichtung tritt der Umstand, dass die Bundesfachplanung des Netzausbaus, die Bundesverkehrswegeplanung und sämtliche andere Planungen fortan die Ziele des KSG berücksichtigen müssen. Sich einer Überprüfung dieser Berücksichtigung verschließend, urteile das BVerwG noch im Jahr 2019: „[N]ach dem Klimaschutzplan 2050 soll die zur Erreichung der Klimaziele im Verkehrsbereich notwendige Treibhausgasreduzierung nicht vorrangig durch die Verlagerung von Straßenverkehr auf andere Verkehrsträger, sondern durch die Kombination aus einer Effizienzsteigerung der Fahrzeuge und dem verstärkten Einsatz treibhausgasneutraler Energie erreicht werden.“387
Das Gericht wollte die konkrete Ausgestaltung des BVWP damit der Politik vorbehalten. Vereinfacht ausgedrückt, ist es nicht primär eine Frage des Rechts, ob eine Autobahn gebaut wird, sondern eine der Politik.388 Politik, die mangels justiziabler Greifbarkeit auch schon teilweise frustriert als „geronnene Politik“ deklariert wird.389 Über § 13 KSG wird die Politik aber nun juridifiziert. Nach § 13 Abs. 1 KSG haben die Träger der öffentlichen Aufgaben bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck des KSG und die 384 Ebd.
385 BMVI (2016), Bundesverkehrswegeplan 2030, S. 2, 8, 26, 54 ff.; Held/Ringwald/Roller, Gutachten v. 05.06.2021, S. 5 f. 386 Verkehrsverflechtungsprognose 2030, Schlussbericht. 387 BVerwG, Urt. v. 11.07.2019, Az. 9 A 13/18, Rn. 75 (juris) unter Verweis auf den Klimaschutzplan 2050, S. 52. 388 So hat auch das BVerwG, Urt. v. 04.05.2022, Az. 9 A 7.21 die Klage gegen die Nordverlängerung der A 14 abgewiesen, da die gesetzliche Bedarfsfeststellung grundsätzlich für das gerichtliche Verfahren bindend sei. 389 Stüer, Habitatschutz auch in der Bundesverkehrswegeplanung?, NVwZ 2002, 1164.
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zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen. Nach der Gesetzesbegründung umfasst das Berücksichtigungsgebot ausdrücklich Entscheidungen mit und ohne Außenwirkung.390 Klimaschutz muss damit in sämt lichen Planungen mit in die Abwägung einbezogen werden. Nach dem Klimabeschluss des BVerfG wächst das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in Abwägungen mit fortschreitendem Klimawandel.391 Da das KSG auf dem Pariser Klimaschutzabkommen basiert (§ 1 KSG) und es nicht nur von Deutschland, sondern auch von der europäischen Union ratifiziert wurde, ist es Teil des Unionsumweltrechts. Zudem diente das KSG bis zum Jahr 2020 der Umsetzung der sog. Effort Sharing Decision392 und nach dem Jahr 2020 der Erfüllung der Europäischen Klimaschutzverordnung393.394 Ungeachtet der Frage, ob § 4 Abs. 1 S. 10 KSG nach dem Willen des Gesetzgebers auch für Verbände gelten sollte, muss er für sie jedenfalls unangewendet bleiben, teleologisch reduziert oder richtlinienkonform ausgelegt werden.395 Überdies sind gemäß Art. 5 Abs. 1 i. V. m. Anhang I SUP-RL klimatische Faktoren in die SUP mitaufzunehmen.396 Klimaschutz ist also auch bei planungsrechtlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Mit Ursprung im Unionsrecht muss er zudem für Verbände justiziabel sein. Welche Folgen ergeben sich also für Gerichtsverfahren? Der unzureichende Klimaschutz in Planungen ist längst Teil der (interna tionalen) gerichtlichen Praxis. In Großbritannien wurde der Bau einer Startund Landebahn nicht genehmigt, da wegen unterbliebener Berücksichtigung des Pariser Abkommens gegen Vorgaben des Planungsgesetzes verstoßen 390 BT-Drs.
19/14337, S. 36. Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 198 (juris); daher auch für die stärkere Berücksichtigung des Klimaschutzes in der verkehrsinfrastrukturellen Bedarfsfeststellung: Faßbender, Der Klima-Beschluss des BVerfG, NJW 2021, 2085 (2091). 392 Entscheidung Nr. 406/2009/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2009 über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit Blick auf die Erfüllung der Verpflichtungen der Gemeinschaft zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020. 393 Verordnung (EU) 2018/842 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.05.2018 zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013. 394 BT-Drs. 19/14337, S. 17; dazu unter E. II. 395 Dazu unter E. II. 396 Aus diesem Grund für die formelle Unionsrechtswidrigkeit: Heß, Rechtsgutachten zur formellen Unionsrechtswidrigkeit und materiellen Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Bedarfsplans 2030 für Straßen und den hiermit verbundenen Rechtsfolgen, S. 2 ff. 391 BVerfG,
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wurde.397 In Australien wurde die Genehmigung für einen Kohletagebau abgelehnt, da der zu erwartende Emissionsanstieg zu den Zielen aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 des Pariser Abkommens konträr liefe.398 In Südafrika wurde wegen unzureichender Berücksichtigung der Treibhausgasemissionen in der UVP die Zulassungsentscheidung eines Kohlekraftwerks aufgehoben.399 In Deutschland zeigt die Rechtsprechung des BVerwG bezüglich eines weiteren Abschnitts der Bundesautobahn A 39, dass das globale Klima in der Zulassung nicht berücksichtigt werden konnte, da die einschlägige alte Fassung des UVPG die Auswirkungen eines Vorhabens nur auf das lokale Klima beinhaltete.400 Die neue Fassung des UVPG ist nun aber auf das globale Klima ausgerichtet,401 sodass eine andere Beurteilung zu erwarten ist. Das BVerwG machte zudem in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass es im Rahmen der Überprüfung der Verkehrswegeplanung weder auf eine materiell-rechtliche Berücksichtigungspflicht noch auf gesetzliche Reduktionsziele zurückgreifen konnte.402 Dies hat sich mit Erlass des KSG nun geändert. (c) Keine ausreichenden und zweckmäßigen Überprüfungsmöglichkeiten Entscheidungen wie in Großbritannien, Australien und Südafrika können in Deutschland vermieden werden, wenn mit Hilfe von Verbandsklagerechten bereits die Bedarfs- und Fachplanungen konform zum Pariser Abkommen und zu Umweltbelangen ausgestaltet werden. Dies wäre nicht nur im Sinne einer beschleunigten Umsetzung sowie der Rechts- und Planungssicherheit403 für die Vorhabentragenden, sondern auch im Sinne einer nachhaltigen Infrastrukturentwicklung. So sieht auch der Koalitionsvertrag Handlungsbedarf. Er will parallel zur laufenden Überprüfung einen Dialogprozess zwischen Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbänden starten, mit dem Ziel, sich über die Prioritäten bei der Umsetzung des geltenden BVWP zu verständigen. Auf Basis neuer Kriterien soll ein neuer BVWP 2040 auf den Weg gebracht werden.404 Zu einer veränderten Justiziabilität verhält sich der Koalitionsvertrag nur in Teilen. Diese sollte und muss zu397 England and Wales Court of Appeal, Urt. v. 27.02.2020, Az. C1/2019/1053, C1/2019/1056, C1/2019/1145. 398 Land and Environment Court New South Wales, Urt. v. 08.02.2019, Az. NSWLEC 7, Rn. 525–527. 399 High Court of South Africa, Urt. v. 08.03.2017, Az. 65662/16, S. 3 und 48 f. 400 BVerwG, Urt. v. 11.07.2019, Az. 9 A 13.18, Rn. 21 (juris); dazu unter E. II. 1. 401 Dazu unter E. II. 1. 402 Verheyen/Schayani, Der globale Klimawandel als Hindernis der Vorhabengenehmigung, ZUR 2020, 412 (416). 403 Dazu D. II. 2. b) aa) (1). 404 Koalitionsvertrag (2021), S. 48 f.
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sätzlich umfassend angegangen werden. Die Verbandsklagen bieten sich als Kontrollinstrumente an. Verbandsklagen unterliegen anders als die Indivi dualklagen nicht dem Problem, die subjektive Betroffenheit definieren zu müssen, sodass sie sich als Hüterinnen der klima- und umweltschützenden Planungsentscheidungen eignen.405 Sie hierbei auf die Inzidenzprüfung im Rahmen der Planfeststellungbeschlüsse zu verweisen, ist nicht ausreichend. Zunächst besteht für den BVWP und die Legalplanungen nach dem MgvG406 keine Inzidenzprüfung. Auch eine Verfassungsbeschwerde ist für Verbände bezüglich des objektiven Umweltrechts nicht möglich. Der Zugang zu Gericht ist hier also „gänzlich verwehrt“.407 Der Koalitionsvertrag sieht daher richtigerweise zumindest für Legalplanungen den Verwaltungsrechtsweg zum BVerwG vor.408 Der BVWP hingegen bleibt hinsichtlich seiner Justiziabilität unerwähnt. Das ist schade, sind doch seine nachfolgenden Inzidenzprüfungen der Bedarfsfeststellungen defizitär. Diese ignorieren wie bei der Bundesfachplanung den Umstand, dass die Bedarfsfeststellung bereits auf Stufen der Planung und nicht erst im Planfeststellungsbeschluss erfolgt. Den BVWP also nicht überprüfen zu lassen, verlagert den Zeitpunkt des festgestellten Rechtsverstoßes nur nach hinten. Die Gefahr, dass konkretisierte Vorhabenplanungen umsonst waren, erhöht sich ebenso wie die einer irreversiblen vorläufigen Realisierung. Die inzidente Kontrolle der Bedarfsfeststellung ist zudem nicht „ohne Einbuße“ möglich. Zunächst muss das Fachgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG das Bedarfsgesetz dem BVerfG vorlegen. Hierbei wird nur die Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht, also kein objektives Umweltrecht geprüft. Überdies wird dem Gesetzgeber ein weites Ermessen bei der Bedarfsfeststellung zuge sprochen,409 welches nur dann überschritten ist, „wenn die Bedarfsfeststellung evident unsachlich wäre, weil es für die Aufnahme des Vorhabens in den Bedarfsplan […] an jeglicher Notwendigkeit fehlte oder wenn sich die Verhältnisse seit der Bedarfsentscheidung des Gesetzgebers so grundlegend gewandelt hätten, dass das angestrebte Planungsziel unter keinen Umständen auch nur annähernd erreicht werden könnte.“410
405 So
auch UBA (Hrsg.), Das Instrument der Bedarfsplanung, 55/2017, S. 133 f. wenn ein Gericht das MgvG nach Art. 100 GG dem BVerfG vorlegt, findet keine Inzidenzprüfung im verwaltungsrechtlichen Sinne statt, die die Einhaltung von Umweltrecht prüft. 407 So soll nach Stüer, Verkehrsinfrastruktur-Maßnahmengesetze als Problem des Verfassungs- und Unionsrechts, EurUP 2020, 163 (168) die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde für die betroffene Öffentlichkeit in das MgvG integriert werden. 408 Koalitionsvertrag (2021), S. 13. 409 BVerwG, Urt. v. 08.06.1995, Az. 4 C/94, Rn. 23 (juris). 410 StRspr. vgl. nur BVerwG, Urt. v. 06.11.2013, Az. 9 A 14/12, Rn. 25 (juris). 406 Selbst
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Ähnlich verhält es sich für die dem BVWP zugrunde liegende Verkehrsund Bedarfsprognose. Verkehrs- und Bedarfsprognosen können nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG nur eingeschränkt kontrolliert werden. Das Gericht hat nur zu prüfen, ob die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wurde, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt zutreffend ermittelt wurde und ob das Ergebnis einleuchtend begründet ist.411 Eine umwelt- und klimaschützende Ausrichtung ist hingegen nicht justiziabel. Für nur inzident justiziable Bundesplanungen besteht zudem kein Aufhebungsanspruch. Pläne und Programme aus § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG werden zwar bei unterbliebener und hinreichend fehlerhafter SUP nach § 4 Abs. 4 UmwRG aufgehoben. Im Rahmen der Inzidenzkontrolle ist aber der Planfeststellungsbeschluss und nicht ein Plan oder das Programm der Klagegegenstand. Der 9. Senat des BVerwG verdeutlichte, dass ein bestehender, aber unter SUP-Verstoß geänderter Bedarfsplan mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot nicht vereinbar wäre.412 Die nun ergangene Rechtsprechung zum Durchschlagen von Planungsfehlern413 müsste zumindest einheitlich für den konzentrierten Rechtsschutz im UmwRG fixiert werden. (d) Würdigung Zusammenfassend müssen also Pläne und Programme, die einer SUPPflicht unterliegen, Unionsumweltrecht berücksichtigen. Mit Blick auf den § 13 KSG sind bei sämtlichen Planungen zudem Klimabelange einzubeziehen, die ebenfalls auf Unionsumweltrecht gründen. Dadurch müssen sich Bedarfs- und Fachplanungen zunehmend aus der Sphäre der Politik in den Bereich des Rechts verlagern. Dortige Verstöße gegen unionales Umweltund Klimaschutzrecht den Verbandsklagen vorzubehalten oder auf den konzertierten Rechtsschutz zu verweisen, widerspricht den Zielsetzungen der Aarhus-Konvention, den Judikaten des EuGH und vor allem dem Ziel eines schnellstmöglichen Klimaschutzes. Daneben streiten die unzureichenden Inzidenzprüfungen einerseits und die enorme planerische Bedeutung andererseits für eine zwingende Justiziabilität. Vor allem aber muss eine vorverlagerte Verbandsklage aus der Erwägung eingeführt werden, dass bloße Inzidenzkontrollen die vorhabenübergreifenden Klimaschutzziele aus den Augen verlieren. Ein einzelnes Vorhaben wird die klimatischen Budgetgrenzen nicht überschreiten. Sämtliche umwelt- und klimarechtswidrige Rahmenplanungen hingegen schon. Dabei soll doch das Berücksichtigungsgebot des KSG ausdrücklich querschnittsartig Klimaschutz als zu berücksichtigendes öffent 411 Vgl.
nur BVerwG, Urt. v. 13.10.2011, Az. 4 A 4000/10, Rn. 45 (juris). Urt. v. 11.07.2019, Az. 9 A 13/18, Rn. 55 (juris). 413 BVerwG, Urt. v. 24.03.2021, Az. 4 Vr 2/20, Rn. 37, 39 (juris). 412 BVerwG,
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liches Interesse in sämtliche Planungen integrieren.414 Eine Integration, die durch den unzureichenden konzentrierten Rechtsschutz nicht gelingen wird. (2) Der Vorhabenbegriff des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG Das nächste Defizit ist der vorherrschende Vorhabenbegriff in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG. Der Wortlaut der Norm knüpft den Anwendungsbereich an „andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben“. Zulassungsentscheidungen sind damit über Nr. 5 nur justiziabel, wenn sie sich auf ein Vorhaben beziehen. Vorhaben werden bisweilen im Einklang mit dem Vor habenbegriff des § 2 Abs. 4 UVPG anlagenbezogen verstanden.415 Sämtliche Produktzulassungen sind damit mangels Anlagenbezug nicht justiziabel. Die Verknüpfung zum UVPG ist zunächst insoweit konsequent, als § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG auf den § 2 Abs. 6 UmwRG verweist, der wiederum den anlagenbezogenen Vorhabenbegriff aus § 2 Abs. 4 UVPG voraussetzt. Die Gesetzesbegründung macht deutlich, dass sich der Vorhabenbegriff an dem des UVPG orientieren soll, ohne auf die Vorhaben in Anlage 1 des UVPG Bezug zu nehmen.416 Weiter sollen aber auch besondere Ausgestaltungen von fachrechtlichen Zulassungsentscheidungen, wie beispielsweise Teilgenehmigungen, erfasst sein. Hierbei wird kein Bezug zu einem Anlagencharakter betont, sondern vielmehr als „allein“ maßgebend erachtet, ob für die Zulassungsentscheidung umweltbezogene Vorschriften des Bundes- oder Landesrechts anzuwenden sind.417 Dass der Gesetzgeber dennoch an einem den Produktbereich ausschließenden Vorhabenbegriff festhalten wollte, wird mit Blick auf den Gesetzgebungsprozess deutlich.418 Eine Auslegung contra legem oder eine Analogie419 scheidet damit aus.420 Wenn auch der Vorhabenbegriff weit verstanden werden kann,421 hält die nationale Rechtsprechung stets am anlagenbezogenen Vorhabenbegriff fest.422 414 BT-Drs.
19/14337, S. 46. in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, UmwRG § 1 Rn. 50. 416 BT-Drs. 18/9526, S. 36. 417 Ebd. 418 Klinger wies in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit v. 26.09.2016, Protokoll-Nr. 18/91, S. 6 und in seiner Stellungnahme, Ausschussdrucksache 18(16)417-A, S. 2 f. darauf hin, dass der gesamte Produktbereich ausgenommen werde, Wortprotokoll der 91. Sitzung; ebenso ACCC, ACCC Decision V/9h, Second Progress review v. 01.02.2017, Rn. 47 ff. 419 Es fehlt eine planwidrige Regelungslücke. 420 Fredel, Das Umweltverbandsklagerecht gegen Einzelzulassungen, EurUP 2018, 535 (537 f.). 421 BVerwG, Urt. v. 19.12.2019, Az. 7 C 28/18, Rn. 25 (juris). 422 VG Düsseldorf, Urt. v. 06.02.2017, Az. 6 K 12341/17, Rn. 177 ff. (juris); VG Schleswig-Holstein, Urt. v. 13.12.2017, Az. 3 A 30/17, Rn. 75 ff. (juris). 415 Schlacke,
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(a) Der strikte Anlagenbezug wackelt Das VG Schleswig setzte nun aber das Verfahren in einem einschlägigen Fall mit Beschluss vom 20. November 2019 aus und legte es dem EuGH vor.423 Das Gericht fragte danach, ob es Umweltvereinigungen gemäß Art. 9 Abs. 3 AK i. V. m. Art. 47 GRCh möglich sein muss, einen Bescheid vor Gericht anzufechten, mit dem die Produktion von Dieselfahrzeugen mit Abschalteinrichtungen, die möglicherweise gegen Unionsrecht verstoßen, gebilligt wird. Der Generalanwalt sprach sich im vorgelegten Verfahren für eine Rügebefugnis der Verbände aus.424 Verbände müssen nach seiner Auffassung Typgenehmigungen von KFZ, die durch Entscheidungen des KraftfahrtBundesamt erteilt wurden, gerichtlich überprüfen lassen können. Mittlerweile hat der EuGH in einer anderen Rechtssache entschieden, dass die verwendeten Abschalteinrichtungen auch gegen Unionsrecht verstoßen und damit rechtswidrig sind.425 Zuvor urteilte das BVerwG, dass das unionale Grenzwerterecht verlange, bei Überschreitung Fahrverbote für Dieselfahrzeuge als einzig geeignete Maßnahme zu ergreifen.426 Die unter dem Eindruck des Diesel-Abgasskandals ergangene BVerwG-Rechtsprechung signalisiert damit erhebliche Vollzugsdefizite im Bereich der KFZ-Zulassungen.427 Das EuGHUrteil bleibt also mit Spannung zu erwarten. (b) Rechtliche Gründe einer Weitung Ob der strikte Vorhaben- und Anlagenbezug mit dem Wortlaut („von Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen“) aus Art. 9 Abs. 3 AK vereinbar ist, ist schon länger umstritten.428 Das ACCC monierte ausdrücklich die fehlende Justiziabilität in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG von Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung für Kraftfahrzeuge als Verletzung von Art. 9 Abs. 3 AK.429 Lediglich fehlende Rechtsprechung zum 423 VG
Schleswig-Holstein, Beschl. v. 20.11.2019, Az. 3 A 113/18, Rn. 32 ff. (juris). des GA Rantos v. 03.03.2022, Az. C-873/19, Rn. 65 ff. (juris). 425 EuGH, Urt. v. 17.12.2020, Az. C-693/18; vgl. auch Urt. v. 14.07.2022, Az. C-217/20, C-134-20, C-145/20. 426 BVerwG, Urt. v. 27.02.2018, Az. 7 C 30/17, Leits. 1, Rn. 35 ff. (juris), bei nur geringer Überschreitung und prognostischer Einhaltung im Folgejahr sind Fahrverbote indes unverhältnismäßig, BVerwG, Urt. v. 28.02.2021, Az. 7 C 2/20, Rn. 32 (juris). 427 So auch Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 1 Rn. 20. 428 Klinger, Novelle des Umweltrechtsschutzes, ZUR 2016, 449 (450) ordnet dies als vom Gesetzgeber sehenden Auges begangenen Völkerrechtsverstoß ein. 429 Vgl. ACCC Decision V/9h, Report of the Compliance Committee v. 02.08.2017, ECE/MP.PP/2017/40, Rn. 50: „The Committee therefore considers that, if it were to be shown that the courts of the Party concerned were to refuse standing to challenge 424 Schlussanträge
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Zeitpunkt des ACCC-Reports stand der Feststellung eines Verstoßes gegen die Decision V/9h vom 2. Juli 2014 im Wege. Das ACCC wies darauf hin, dass sich Art. 9 Abs. 3 AK nicht primär auf die Genehmigung von Projekten beziehe, sondern vielmehr Handlungen und Unterlassungen erfasse, die gegen nationales Umweltrecht verstoßen. Der Begriff der Handlungen müsse weit ausgelegt werden, wobei allein maßgeblich sei, ob die fragliche Handlung oder Unterlassung gegen Vorschriften des Umweltrechts verstößt.430 Dies wird durch die „Protect“-Entscheidung gedeckt, wonach jegliches Unionsumweltrecht für Verbände justiziabel sein muss. Da eine Entscheidung des ACCC für die Auslegung der Konvention ein, wenn nicht sogar das entscheidende Instrument ist,431 dürfte der EuGH wie schon sein Generalanwalt ein ebenso weites Verständnis der Vorlagefrage des VG Schleswig zugrunde legen. Den Anlagenbezug mit einer Parallelität zu dem Vorhabenbegriff des UVPG zu rechtfertigen, gelingt überdies nicht. Ein nationaler Gesetzgeber kann sich nach Art. 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge432 nicht auf innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrages (hier: Aarhus-Konvention) zu rechtfertigen. Die Rechtsprechung des VG Düsseldorf kann daher nicht überzeugen, indem sie Produktzulassungen nur „geringfügige Auswirkungen auf die Umwelt“ und damit „kein derartiges Umweltschutzinteresse der Allgemeinheit, welches mit den bei den in § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 2b UmwRG genannten Entscheidungen bestehenden Schutzinteressen hinreichend vergleichbar wäre,“ attestiert.433 Zum einen betreffen Produktzulassungen sämtliche KFZ, sodass bereits keine bloß geringfügigen Auswirkungen zu erwarten sind.434 Zum anderen eröffnet Art. 9 Abs. 3 AK keine staatliche Autonomie hinsichtlich der Klagegegenstände oder des Ausmaßes des Verstoßes, sondern nur für die prozessualen Kriterien des gerichtlichen Zugangs.435 Konsequenterweise entmeasures such as emission limits for cars on the basis that they do not relate to ‚projects‘ in the sense of section 1, subsection (1), sentence 1, number 5, of the Environmental Appeals Act, this may constitute noncompliance with article 9, paragraph 3, of the Convention.“; vgl. auch schon ACCC, ACCC Decision V/9h, Second Progress review v. 01.02.2017, Rn. 47. 430 ACCC, ACCC Decision V/9h, Report of the Compliance Committee v. 31.07. 2017, ECE/MP.PP/2017/40, Rn. 50; vgl. auch Schlussanträge des GA Rantos v. 03.03. 2022, Az. C-873/19, Rn. 69 f. (juris). 431 Vgl. dazu C. II. 2. a) aa) (2). 432 BGBl. II 1986, S. 926. 433 VG Düsseldorf, Urt. v. 06.02.2017, Az. 6 K 12341/17, Rn. 109 f. (juris). 434 So auch die Schlussanträge des GA Rantos v. 03.03.2022, Az. C-873/19, Rn. 71 (juris). 435 Vgl. Fredel, Das Umweltverbandsklagerecht gegen Einzelzulassungen, EurUP 2018, 535 (540 f.); a. A. Ruffert, Umweltrechtsschutz ohne methodische Grundlage?, DVBl 2019, 1033 (1040).
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fernte sich das OVG Berlin-Brandenburg vom strikten Anlagenbezug und ordnete eine pflanzenschutzrechtliche Genehmigung zur Ausbringung eines Pflanzenschutzmittels dem § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UmwRG zu.436 Der BGH sprach zudem Verbraucherschutzverbänden ein Rügerecht gegen Energiesparlampen mit zu hohem Quecksilbergehalt zu.437 Wie es das MinamataAbkommen438 in seinem Art. 1 benennt, sind sowohl die Gesundheit als auch die Umwelt wirksam vor Quecksilberverbindungen zu schützen. Auch das in dem BGH-Urteil zitierte Unionsrecht439 zielt neben dem Gesundheitsschutz auf die „umweltgerechte Verwertung und Beseitigung“ von mit Quecksilber versetzten Produkten. Der Handel, die Produktion und der spätere Konsum von derartigen Produkten ist damit ein Umweltrechtsproblem,440 das nicht nur als Wettbewerbsverstoß, sondern als Umweltrechtsverstoß für Umweltverbände justiziabel sein muss.441 Dieser Gedanke lässt sich auf sämtliche die Umwelt beanspruchenden Produkte übertragen. (c) Rechtspolitische Gründe einer Weitung Neben den rechtlichen Argumenten sprechen für die Justiziabilität von Produktzulassungsentscheidungen zudem rechts- und klimapolitische Gründe. Zum einen schließt das Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetz (EVPG) Verkehrsmittel zur Personen- und Güterbeförderung ausdrücklich aus seinem Anwendungsbereich aus (§ 1 Abs. 1 S. 2 EVPG). Obgleich Hersteller:innen von Kraftfahrzeugen über die PKW-Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (PKW-EnVKV)442 zur Angabe des Kraftstoffverbrauchs und der CO2-Emissionen verpflichtet sind, sind bei Verstoßen zwar Ordnungswidrig436 OLG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.05.2019, Az. 11 S 40.19, Rn. 6 f. (juris). 437 BGH, Urt. v. 21.09.2016, Az. I ZR 234/15. 438 Verordnung (EU) 2017/852 über Quecksilber und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1102/2008 v. 17.05.2017. 439 BGH, Urt. v. 21.09.2016, Az. I ZR 234/15, Rn. 28 (juris) verweist auf Art. 1 der Richtlinie 2002/95/EG und Art. 1 der Richtlinie 2011/65/EU. 440 So ordnet auch Wiebe, Umweltproduktrecht – Konturen, Systematik und praktische Bedeutung, NUR 2021, 307 (309), die im BGH-Urteil streitige Elektro- und Elektronikgeräte-Stoff-Verordnung dem Umweltproduktrecht im engeren Sinne zu, welches „exklusiv oder zumindest a priori dem Umweltschutz“ dient. 441 So auch Klinger in der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit v. 26.09.2016, Protokoll-Nr. 18/91, S. 6; gestützt wird dies durch den Wechsel des Verbraucherschutzes jüngst zum Bundesumweltministeriums, vgl. BMUV, Pressemitteilung Nr. 043/22 v. 13.04.2022. 442 Verordnung über Verbraucherinformationen zu Kraftstoffverbrauch, CO -Emis2 sionen und Stromverbrauch neuer Personenkraftwagen v. 28.05.2004, BGBl. I, S. 1307.
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keiten (§ 7 PKW-EnVKV), aber keine Überwachungs- und Durchsetzungsmechanismen vorgesehen. Die Verbandsklage könnte diese Lücke insoweit schließen, wenn die Zulassungsentscheidung des Kraftfahrt-Bundesamt tauglicher Gegenstand des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG werden würde. Zum anderen könnte die Verpflichtung zu einem globalen Klima- und Umweltschutz für eine Erweiterung des UmwRG um eine Art justiziables „Umweltprodukt rechts“443 sprechen. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach China und den USA das drittstärkste Im- sowie Exportland weltweit.444 Kraftfahrzeuge sind dabei kontinuierlich das stärkste deutsche Export- und das zweitstärkste Importgut.445 Die Justiziabilität von Zulassungsentscheidungen von (Im- und Export-)Produkten zu verschärfen, könnte für den deutschen Beitrag am globalen Klimaschutz als Vehikel dienen. Schließlich betonte das BVerfG doch im Klimabeschluss die „internationale Dimension“ und das mithin zwingend international ausgerichtete Handeln des Staates.446 (3) Konnexität zur Verwaltungsaktqualität widerspricht Völkerrecht Als weiteres Defizit ist die Beschränkung der Klagegegenstände auf die Verwaltungsaktqualität zu nennen. Die Gesetzesbegründung schließt die Justiziabilität ausdrücklich für das Handeln ohne Verwaltungsaktqualität aus.447 Dadurch sind weder legislatives oder privatrechtliches Handeln noch staat liche Realakte rechtsbehelfsfähig. Damit ist beispielsweise das Fällen von Bäumen nicht justiziabel.448 Ebenso wenig sind es normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften449 oder Rechtsverordnungen. Landschaftsschutzgebietausweisungen450 oder Flugroutenfestlegungen451, die durch Verordnungen beschlossen werden, sind damit nicht gerichtlich überprüfbar. Dienen die Gebietszuweisungen der Umsetzung von Unionsumweltrecht (z. B. FFH-RL) oder wird dieses durch die festgelegten Flugrouten beeinträchtigt, konfligiert 443 Zum Begriff Wiebe, Umweltproduktrecht – Konturen, Systematik und praktische Bedeutung, NUR 2021, 307 (308 f.). 444 Statista (2021), Die 20 größten Exportländer weltweit im Jahr 2020; Statistisches Bundesamt (2020), Top 20 Exportländer 2019. 445 Statistisches Bundesamt (2022), Außenhandel 2021 und (2017), Deutscher Außenhandel, Ausgabe 2017, S. 15 f. 446 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 201 (juris). 447 BT-Drs. 18/9526, S. 36. 448 OVG Münster, Beschl. v. 08.03.2019, Az. 8 B 1651/18, Rn. 2 ff. (juris). 449 Z. B. TA-Lärm und TA-Luft, vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 1 Rn. 88. 450 VGH München, Urt. v. 25.04.2018, Az. 14 N 14.878, Rn. 23 (juris). 451 BVerwG, Urt. v. 19.12.2013, Az. 4 C 14/12; Urt. v. 12.11.2014, Az. 4 C 34/13.
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die fehlende Justiziabilität mit der „Protect“-Entscheidung und der AarhusKonvention.452 Nach Art. 9 Abs. 2 AK sind die Klagegegenstände nicht an die Verwaltungsaktqualität gebunden, sondern allgemein als Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen erfasst. Auch Art. 9 Abs. 3 AK nennt als Klagegegenstand „die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen“. So betonte das ACCC mehrfach, dass Art. 9 Abs. 3 AK für alle Handlungen oder Unterlassungen, die gegen nationales Umweltrecht verstoßen, gilt453 und dass bei der Frage, welche Handlungen oder Unterlassungen von nationalen Kriterien ausgeschlossen werden können, kein Ermessen besteht.454 Auch Art. 3 des Richt linienvorschlags für die Umsetzung der 3. Säule, der Klagemöglichkeiten gegen Private vorsah, signalisierte das extensivere Verständnis des unionalen Gesetzgebers. Wenn das Anknüpfen an die Verwaltungsaktqualität mit dem „traditionellen“ Verständnis des nationalen Verwaltungsrechts und der Bestimmtheit455 gerechtfertigt werden soll, widerspricht dies erneut dem Art. 27 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Das Berufen auf innerstaatliches Recht kann das Nichterfüllen der Aarhus-Konvention nicht rechtfertigen. Weiter schließt Art. 2 Nr. 2 a. E. AK nur solche Gremien vom Behörden begriff aus, die in gerichtlicher oder gesetzgebender Eigenschaft handeln. Damit sind grundsätzlich nur Parlamentsgesetze von dem Anwendungsbereich der Aarhus-Konvention ausgeschlossen.456 Unter den Umständen des Einzelfalls können aber selbst diese in den Anwendungsbereich der AarhusKonvention fallen. Sie müssen hierfür einer Genehmigung durch Verwaltungsakt gleichen.457 Dann sind sie als Entscheidungen nach Art. 6 AK zu behandeln und von den Rechtsschutzmöglichkeiten nach Art. 9 Abs. 2 AK erfasst.458 Nicht die formale Einkleidung, sondern der materielle Gehalt einer Genehmigung ist dafür entscheidend.459 Wenn dies sogar bei Parlamentsgesetzen, so etwa bei Zulassungen gemäß dem MgvG, der Fall sein kann, so 452 Vgl. Schlacke, Aktuelles zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2019, 1392 (1398). 453 ACCC, ACCC/2005/11 (Belgien), v. 28.07.2006, Rn. 28; ACCC, ACCC/C/ 2008/32 (Part II) (Europäische Gemeinschaft), v. 02.06.2017, Rn. 98 f. 454 ACCC, ACCC/C/2008/32 (Part II) (Europäische Gemeinschaft), v. 02.06.2017, Rn. 52, 101; ACCC, ACCC/MP.PP/2017/40 (Deutschland), v. 17.07.2017, Rn. 38. 455 BT-Drs. 18/9526, S. 36 f. 456 Ebd., S. 35 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Az. C-515/11, Rn. 18 ff. (juris). 457 ACCC, ACCC/C/2011/61 (Vereinigtes Königreich), v. 28.06.2013, Rn. 53 ff. 458 Ebd., Rn. 60. 459 So auch Wegener, Verkehrsinfrastrukturgenehmigung durch Gesetz, ZUR 2020, 195 (201).
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muss es für normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften und Rechtsverordnungen erst recht gelten. Durch Art. 2 Nr. 2 lit. c) AK werden zudem sonstige natürliche oder juristische Personen dem Behördenbegriff zugeordnet, die unter der Kontrolle einer staatlichen Behörde im Zusammenhang mit der Umwelt öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Danach sollen die Vorgaben der Aarhus-Konvention zum Beispiel bei wasserwirtschaftlichen Aufgaben anzuwenden sein, die durch private Akteur:innen wahrgenommen und staatlich kontrolliert werden.460 Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, der Privatisierung von öffentlichen Aufgaben zu begegnen.461 Durch dieses weite Verständnis könnten beispielsweise Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge oder Abfallwirtschaft unter den Begriff der Behörde fallen und bei der Aufgabenerfüllung auf die Einhaltung von umweltrechtlichen Normen überprüft werden. Für die verbesserte Durchführung der Konvention empfiehlt der Einführungsleitfaden, dass die Parteien klarstellen, welche Unternehmen unter die Begrifflichkeit des Art. 2 Nr. 2 lit. c) AK fallen. Das ACCC ließ zivilrechtliche Rechtsbehelfe gegen Umweltrechtsverstöße privater Akteur:innen nicht ausreichen.462 Der deutsche Gesetzgeber reagierte darauf mit dem § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 UmwRG.463 Aber auch hier wird die Justiziabilität aus Gründen der Bestimmtheit464 an den Begriff des Verwaltungsaktes geknüpft. Selbständige Überwachungsmaßnahmen wie die Aufgaben und Befugnisse der Wasseraufsicht gemäß §§ 100, 101 WHG oder die Überwachung nach dem § 52 BImSchG sind nicht erfasst.465 Zudem bezieht sich Nr. 6 auf Überwachungsoder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nrn. 1 bis 5 UmwRG. Damit ist die Einhaltung von repressiven Verboten (z. B. § 3 Abs. 2 BNatSchG), die außerhalb eines Zulassungsverfahren zu berücksichtigen sind, ebenfalls nicht justiziabel.466 Durch die Konnexität zum Verwaltungsakt verschließt sich das UmwRG somit in unzulässiger Weise der Justiziabilität von untergesetzlichem Recht, gesetzlichen Infrastrukturgenehmigungen und privaten Handlungen.
ECE (2014), Aarhus-Convention: An Implementation Guide, S. 47. S. 47; vgl. D. I. 462 ACCC, ACCC Decision V/9h v. 02.07.2014, Nr. 1 lit. b). 463 BT-Drs. 18/9526, S. 36. 464 Ebd., S. 37. 465 Für weitere Beispiele Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 1 Rn. 121. 466 Schlacke, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 1 UmwRG Rn. 59. 460 UN
461 Ebd.,
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bb) Justiziabilität von Fehlern im Verwaltungsverfahren Neben dem defizitären Anwendungsbereich ist die Justiziabilität von Verfahrensfehlern seit jeher eine Baustelle. Der Begriff des Verwaltungsverfahrens wird in § 9 VwVfG legaldefiniert als die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist. Das „nach außen Wirken“ ist missverständlich, da das Verfahrensrecht als eine Art „Hausrecht“467 der Verwaltung regelmäßig erst dann in die Sphäre der Verwaltungsaußenstehenden hineinwirkt, wenn es deren Rechte in der Sachentscheidung tangiert. Nach der „unheiligen Allianz“468 bestehend aus § 44a VwGO und § 46 VwVfG ist Rechtsschutz während des Verwaltungsverfahren im Grundsatz nicht möglich. In Ausnahmefällen wird eine Außenwirkung dadurch erzeugt, dass Verfahrensrechte subjektiv-öffentliche Rechtspositionen begründen (sog. absolute Verfahrensrechte469, dazu unter (2)). (1) Verbandsklagemöglichkeit Verfahrensvorschriften gelten im Klagekatalog der Verbandsklagen als Rechtsvorschriften i. S. d. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG, die wenn sie im bedeutenden Widerspruch zur Entscheidung nach § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG stehen, grundsätzlich für die Verbände justiziabel sein können.470 Und dies auch dann, wenn die Verfahrensrechte dem Allgemeininteresse dienen.471 Damit können Verbände auch Verfahrensrechte geltend machen, die kein subjektives Recht der Klagenden verletzen.472 Die Zulässigkeitshürde aus § 2 UmwRG differenziert ausdrücklich nicht zwischen materiellen oder prozessualen Rechten. Für eine Klagebefugnis aus § 2 UmwRG muss der Verband die möglichen Verletzungen von Verfahrensvorschriften rügen. In § 4 UmwRG ist unabhängig von der umstrittenen Frage, ob dieser absolute Verfahrensrechte verleiht (dazu unter (2)), die Wirkung der Verfahrensfehler auf die 467 Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht, in: Kloep fer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht, (2014), 117 (119). 468 Ebd. 469 Gärditz, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 82; Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler, DVBl 2016, 12 (14). 470 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011, Az. 9 A 31/10, Rn. 21 (juris) unter Rekurs auf das Trianel-Urteil, EuGH, Urt. v. 12.05.2011, Az. C-115/09, Rn. 42 (juris). 471 Jarass, Zur gerichtlichen Überprüfung umweltrechtlicher Genehmigungen, in: Kirchhof/Paetow/Uechtritz (Hrsg.), Umwelt und Planung (2014), 551 (562). 472 Vgl. Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht, in: Kloep fer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 117 (128).
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Begründetheit geregelt. § 4 UmwRG unterscheidet dabei zwischen absoluten und relativen Verfahrensfehlern.473 In § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwRG sind absolute Verfahrensfehler genannt, bei deren Verletzung der Verband die Aufhebung der Entscheidung verlangen kann, ohne dass § 46 VwVfG und damit der Verstoß relevant für die Entscheidung sein muss. Nr. 3 stellt sog. unbenannte absolute Verfahrensfehler unter enger Handhabung der Voraussetzungen aus lit. a) bis lit. c.) den absoluten Verfahrensfehlern gleich.474 Bei allen anderen Entscheidungen bleibt § 46 VwVfG nach § 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG unberührt (relative Verfahrensfehler).475 Der relative Verfahrensfehler muss die Entscheidung in der Sache beeinflusst haben. Bei Zweifeln wird dies vermutet (§ 4 Abs. 1a S. 1 UmwRG). (2) Individualklagemöglichkeit Welche Auswirkungen der § 4 UmwRG auf die Zulässigkeit hat, ist seit jeher Gegenstand von Kontroversen. Werden Verfahrensrechte gestärkt und Beteiligungs- und Verfahrensrechte unabhängig von ihrem materiell-rechtlichen Gehalt justiziabel, tritt eine Prozeduralisierung des Rechts476 ein. Das Verfahren als Prozess und nicht bloß das Ergebnis wird dabei wesentlich für den Individualrechtsschutz.477 Wird also über subjektive Verfahrensrechte gestritten, steht der Gedanke der Prozeduralisierung mit im Raum. Grundsätzlich ist dabei eine Verfahrensvorschrift für die Individualklagenden justiziabel, wenn sie wie jede andere justiziable Norm einen subjektiv-öffentlichen Gehalt hat. Dies ist dann der Fall, wenn sie nicht nur der Ordnung des Verfahrens dient, sondern der betroffenen Person in spezifischer Weise eine selbstständig durchsetzbare Rechtsposition gewähren will.478 Die Abgrenzung zwischen selbständiger und allgemeiner Rechtsposition erfolgt „allein nach der Zielrichtung und dem Schutzzweck der Verfahrensvorschrift
473 BT-Drs.
18/5927, S. 7, 9. in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 4 Rn. 34. 475 Vgl. hierzu Ziekow, Verfahrensfehler im Umweltrecht, in: Kloep fer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht, (2014), 117 (121 f.). 476 Quabeck (2010), Dienende Funktion des Verwaltungsverfahren und Prozeduralisierung, S. 230 ff.; Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 278 (insbes. 325 ff.); Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (386 ff.); vgl. dazu auch Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 83 ff. 477 Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 81. 478 BVerwG, Urt. v. 14.12.1973, Az. IV C 50.71, Rn. 13 (juris). 474 Fellenberg/Schiller,
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selbst.“479 Im UmwRG gibt es einen normativen Anknüpfungspunkt, der dieses Verständnis brechen könnte. Zum einen könnten sich für den Individualklagenden aus § 4 Abs. 3 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 UmwRG prozessuale Besonderheiten zu § 42 Abs. 2 VwGO ergeben (dazu unter (a)), zum anderen wird hieraus eine normative Subjektivierung von der die Umwelt schützenden (Verfahrens-)Norm denkbar (dazu unter (b)). (a) Prozessuale Erleichterung durch das UmwRG? Die individuellen Kläger:innen werden in § 4 Abs. 3 UmwRG erwähnt, wenn auch nach dem Wortlaut nicht ganz eindeutig ist, wie das Verbandsklagerecht auf sie übertragen werden soll. Nach § 4 Abs. 3 UmwRG gelten die für die Verbände geschaffenen Rechtsbehelfe hinsichtlich Verfahrensfehlern auch für „Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung.“ Bestünde die Justiziabilität der Verletzung von Verfahrensvorschriften bei der UVP oder der erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligungen unabhängig von der Verletzung subjektiver Rechte, wäre § 4 UmwRG lex specialis zu § 42 Abs. 2 VwGO. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung lehnt dies ab.480 § 4 Abs. 3 UmwRG solle keine Klagebefugnisse ohne die Geltendmachung von subjektiven Rechten ermöglichen, da er allein die Begründetheitsprüfung regele.481 Das BVerwG hat die Bindung an die Betroffenheit der Individualkläger aus § 42 Abs. 2 VwGO unter anderem damit begründet, dass es ansonsten insbesondere bei der UVP in einer „UVP-Interessentenklage“ enden würde.482 Eine Ausnahme von § 42 Abs. 2 VwGO als solche kaum erkennbar regeln zu wollen, wäre ohnehin fragwürdig. Vielmehr ist die Gesetzesbegründung insoweit eindeutig, dass sie § 4 UmwRG über Abs. 3 nur auf Rechtsbehelfe erweitern wollte, „die von der Geltendmachung subjektiv-öffentlicher Rechte abhängig sind.“483 Die Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG zur Novelle im Jahr 2013 überraschte mit ihrer Undeutlichkeit. Dort war von einem „subjektiv-öffentlichen Rügerecht“ die Rede.484 Infolgedessen sagte sich das OVG Münster los von einer erforderlichen
479 Ebd.
480 StRspr. vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 04.09.2020, Az. 3 B 41/19, Rn. 7 (juris); für weitere Rechtsprechung: Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 4 Rn. 52. 481 BVerwG, Beschl. v. 14.11.2018, Az. 4 B 12/18, Rn. 4 (juris); Urt. v. 17.12.2013, Az. 4 A 1/13, Rn. 41 (juris); Beschl. v. 27.06.2013, Az. 4 B 37/12, Rn. 10 (juris). 482 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011, Az. 9 A 30/10, Rn. 22 (juris). 483 BT-Drs. 16/2495, S. 7 f., 14. 484 BT-Drs. 17/10957, S. 17.
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subjektiv-rechtlichen Verletzung.485 Das Gericht gab diese Überzeugung aber aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wieder auf486 und sieht fortan doch keine eigenständige Klagebefugnis.487 Auch die Novelle im Jahre 2017 sollte keine inhaltliche Änderung bringen.488 Der § 4 Abs. 3 UmwRG bezweckt demnach aus prozessrechtlicher Sicht nur, dass innerhalb der Begründetheitsprüfung nicht geprüft werden muss, ob sich die in Abs. 1 erwähnten Verfahrensfehler auf subjektive Rechte ausgewirkt haben. (b) Materiell-rechtliche Subjektivierung durch das UmwRG? Normativ in § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 UmwRG manifestiert, könnten die genannten Verfahrensrechte subjektiv aufgeladen werden. Einer derartigen Subjektivierung ist die überwiegende Rechtsprechung ebenfalls nicht gefolgt.489 So geht die Rechtsprechung davon aus, dass das Unionsrecht nicht verlange, die Verfahrensrechte der UVP-RL (z. B. Art. 6) als Schutznormen von § 42 Abs. 2 VwGO auszulegen.490 Denn der deutsche Gesetzgeber sei weiterhin auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH der Ansicht, dass die Verfahrensgarantien der UVP-RL zwar umfassend überprüfbar sein müssten, das nationale Recht eine Überprüfung aber nicht unabhängig von einer Verletzung in anderweitigen Rechtspositionen ermöglichen müsse.491 Die Einhaltung von Verfahrensrechten überprüfen zu lassen, ist danach nicht Aufgabe der Bürger:innen, sondern primär der in § 3 UmwRG anerkannten Verbände. So verdeutlichte das BVerwG nachdrücklich, dass der Gesetzgeber durch den § 4 UmwRG keine subjektive Rechtsposition schaffen, sondern lediglich den § 46 VwVfG modifizieren wollte.492 Dies beendete die Diskussion der Subjektivität von Verfahrensrecht aber keineswegs.
485 OVG
Münster, Urt. v. 25.02.2015, Az. 8 A 959/10, Rn. 78 ff. (juris). Münster, Urt. v. 11.12.2017, Az. 8 A 928/16, Rn. 39 ff. (juris). 487 OVG Münster, Beschl. v. 10.11.2020, Az. 8 B 1409/20.AK, Rn. 44 (juris). 488 BT-Drs. 18/9526, S. 40. 489 BVerwG, Beschl. v. 04.09.2020, Az. 3 B 41/19, Rn. 7 (juris); Beschl. v. 22.12.2016, Az. 4 B 13.16, Rn. 19 (juris); Beschl. v. 14.11.2018, Rn. 4 (juris). 490 BVerwG, Beschl. v. 04.09.2020, Az. 3 B 41/19, Rn. 7 (juris). 491 Ebd. 492 BVerwG, Urt. v. 02.10.2013, Az. 9 A 23/12, Rn. 21 (juris); Urt. v. 20.12.2011, Az. 9 A 30/10, Rn. 21 (juris) unter Verweis auf BT-Drs. 16/2495, S. 14; vgl. auch Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 4 Rn. 52; Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (411). 486 OVG
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(aa) Argumente für eine Subjektivierung Der Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH hinkt, da sie nicht eindeutig ist. Bereits im Jahr 1991 sah der EuGH in den Verfahrensbestimmungen der damaligen Grundwasser-RL493 „genaue und detaillierte Vorschriften, die Rechte und Pflichten der einzelnen begründen sollen.“494 Ähnlich entschied der EuGH in der „Wells“495-Entscheidung im Jahr 2004, dass sich Einzelne unter Umständen auf die Rechte aus Art. 2 Abs. 1 UVP-RL a. F. (nahezu identisch in der aktuellen UVP-RL) berufen können.496 Im Jahr 2013 ergänzte der EuGH, dass die UVP-RL „den betroffenen Einzelnen somit ein Recht darauf [verleiht], dass die zuständigen Stellen die Umweltauswirkungen des fraglichen Projekts bewerten und sie dazu anhören.“497 Auch das „Altrip“-Urteil und das „Präklusion I“-Urteil verdeutlichten, dass die betroffene Öffentlichkeit „im Einklang mit dem Ziel, ihr einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, zur Stützung eines Rechtsbehelfs […] grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen können“ muss.498 Der Gerichtshof sieht in der UVP-RL eine statuierte Verfahrensgarantie. Diese Garantie soll eine bessere Information und Beteiligung der Öffentlichkeit bewirken.499 Folglich legt die unionsrechtliche Perspektive nahe, dass jene Normen überprüfbar sind, die von der Verfahrensgarantie erfasst sind.500 Die Frage, ob und wann konkret UVP-Fehler zur Klage berechtigen, ließ der EuGH indes offen und verwies auf die mitgliedstaatliche Autonomie.501 Dabei sind diese zwar frei, die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs von Voraussetzungen wie dem
493 Artt.
7 bis 11 und 13 der RL 80/68/EWG, in Kraft bis 21.12.2013. Urt. v. 28.02.1991, Az. C-131/88, Rn. 61 (juris). 495 Nachname der Klägerin. 496 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Az. C-201/02, Rn. 61 (juris); Murswiek et al., Ausgewählte Probleme des allgemeinen Umweltrechts, Die Verwaltung 44 (2011), 235 (250), folgerten aus der Entscheidung, dass die „UVP-RL ein subjektives Recht des von Projektauswirkungen faktisch Betroffenen auf Durchführung einer UVP“ darstelle. 497 EuGH, Urt. v. 14.03.2013, Az. C-420/11, Rn. 32 (juris). 498 EuGH, Urt. v. 07.11.2013, Az. C-72/12, Rn. 48 (juris); Urt. v. 15.10.2015, Az. C-137/14, Rn. 55 (juris). 499 EuGH, Urt. v. 07.11.2013, ebd.; Urt. v. 15.10.2015, ebd., Rn. 55 (juris). 500 Seibert, Die gerichtliche Kontrolle von Verfahrensvorschriften, NVwZ 2019, 337 (339); i. E. auch Held, Umfang der Klage- und Rügebefugnis von Individualklägern, DÖV 2019, 121 (125). 501 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Az. C-201/02, Rn. 64 ff. (juris); Urt. v. 07.11.2013, Az. C-72/12, Rn. 55 f. (juris); vgl. auch Schlacke, Zur fortschreitenden Europäisierung, NVwZ 2014, 11 (15); Ekardt, Nach dem Altrip-Urteil, NVwZ 2014, 393 (394). 494 EuGH,
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Erfordernis einer Verletzung eines subjektiven Rechts abhängig zu machen.502 Diese Rechte dürfen aber nicht restriktiv ausgelegt werden.503 Der Blick geht also wieder zurück auf die UVP-Rechte. Eine unionsrechtskonforme Auslegung könnte hierbei erfordern, das Verfahren innerhalb der UVP und somit die in § 4 Abs. 1 UmwRG erwähnten Verfahrensfehler subjektiv auszulegen. Zunächst sehen die Art. 11 Abs. 3 UVP-RL, Art. 25 Abs. 3 IE-RL und Art. 9 Abs. 2 AK für die betroffene Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Überprüfungsverfahren vor. § 4 Abs. 3 UmwRG dient der Umsetzung dieser Vorgaben und damit jenem weiten Zugang.504 Weiter erfasst die betroffene Öffentlichkeit nach Art. 1 Abs. 2 lit. e) i. V. m. lit. d) UVP-RL, Art. 3 Abs. 17 i. V. m. Art. 16 IE-RL, Art. 2 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 AK auch die natürlichen Personen, die ein Interesse an dem umweltbezogenen Entscheidungsverfahren haben. Nach § 2 Abs. 8 UVPG gehören zu der betroffenen Öffentlichkeit ebenfalls einzelne oder mehrere natürliche Personen. Für eine effektive Umsetzung des Unionsrechts i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV könnten die Verfahrensrechte aus § 4 Abs. 1 UmwRG durch eine unionsrechtskonforme Auslegung damit selbständig einklagbar sein.505 Stützen könnte diese Auslegung Erwägungsgrund 7 der AK. Er spricht jedem Menschen das Recht zu, in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt zu leben, und regelt, dass alle sowohl als Einzelpersonen als auch in Gemeinschaft mit anderen die Pflicht haben, die Umwelt zum Wohle gegenwärtiger und künftiger Generationen zu schützen und zu verbessern. Den Bogen zur Justiziabilität schlägt dann Erwägungsgrund 8. Er verlangt für die Wahrnehmung dieses Rechts und zur Erfüllung dieser Pflicht unter anderem Zugang zu Gerichten.506 Zudem könnte der Telos der UVP für subjektiv-rechtliche Rechtspositionen sprechen. Die UVP soll nach § 3 UVPG mit dem Ziel einer wirksamen Umweltvorsorge eine Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der erheb lichen Auswirkungen eines Vorhabens auf die Schutzgüter bieten. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UVPG wird als UVPG-Schutzgut ausdrücklich die menschliche Gesundheit aufgeführt. Nach dem beschriebenen weiten Verständnis der Subjektivität (dazu unter 4. a)) reicht für den EuGH die Individualbezogenheit
502 EuGH,
Urt. v. 15.10.2015, Az. C-137/14, Rn. 40 (juris). Urt. v. 16.04.2015, Az. C-570/13, Rn. 40 (juris). 504 Vgl. BT-Drs. 16/2495, S. 13. 505 So etwa Schlacke (2021), Umweltrecht, § 6 Rn. 13 m. w. N.; Leidinger, Europäisiertes Verbandsklagerecht und deutscher Individualrechtsschutz, NVwZ 2011, 1345 (1347). 506 Unter Bezug auf die Erwägungsgründe argumentierten auch GAin Kokott v. 13.11.2014, Az. C-570/13, Rn. 53 (juris). 503 EuGH,
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einer Norm für die Klagebefugnis aus.507 Mithin wäre die hinter dem Schutzweck der UVP stehende Gesundheit als „partiell materieller Gehalt“508 ausreichend, um ein subjektiv-öffentliches (Verfahrens-)Recht zu begründen.509 Überdies genießt das Verfahrensrecht im Allgemeinen verfassungsrechtliches Ansehen. Ausgehend von der „Mühlheim-Kärlich“-Entscheidung spielt es eine wichtige Rolle für die nationale Grundrechtsverwirklichung. So entschied das BVerfG, dass „Grundrechtsschutz weitgehend auch durch die Gestaltung von Verfahren zu bewirken ist und daß die Grundrechte demgemäß nicht nur das gesamte materielle, sondern auch das Verfahrensrecht beeinflussen, soweit dieses für einen effektiven Grundrechtsschutz [von] Bedeutung ist.“510
Gerade mit der durch den Klimabeschluss gestärkten Rolle der Grundrechte im Klimaschutz ließe sich demnach für eine subjektive Auslegung argumentieren. Für die Subjektivierung streitet also eine gemeinschaftsrechtskonforme wie teleologische Sichtweise. (bb) Argumente gegen eine Subjektivierung Der EuGH urteilte, dass nicht alle unter den Begriff der „betroffenen Öffentlichkeit“ fallenden natürlichen Personen ein Recht auf Einlegung eines Rechtsbehelfs im Sinne von Art. 11 UVP-RL haben müssen. Dies müssen nur diejenigen, die entweder ein ausreichendes Interesse haben oder eine Rechtsverletzung geltend machen.511 Gegen eine subjektive Auslegung spricht vor allem der Wortlaut der Art. 11 Abs. 1 lit. b) UVP-RL, Art. 25 Abs. 1 lit. b) IE-RL und Art. 9 Abs. 2 AK, der den gerichtlichen Zugang an die prozessrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten knüpft. Die zwischenzeit liche gesetzgeberische Formulierung des „subjektiv-öffentlichen Rügerechts“ dürfte als Argument für die Subjektivierung nicht überzeugen. Der Gesetz geber wiederholte dies im Bewusstsein der Kontroversen in der Begründung zur Novelle 2017 nicht. Würde der Gesetzgeber vom im Grundsatz subjektiven Rechtsschutzsystem abweichen wollen, hätte er dies zur Klarstellung 507 So
auch Greim, Individualrechtsschutz bei UVP-Fehlern, NUR 2014, 81 (86). in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 42 Rn. 84. 509 So auch Epiney, Primär- und Sekundärrechtsschutz im Öffentlichen Recht, VVDStRL 61 (2001), 362 (403); Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (3); Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler, DVBl 2016, 12 (14); vgl. auch Schlussanträge der GAin Kokott v. 13.11.2014, Az. C-570/13, Rn. 51 (juris); Greim, Individualrechtsschutz bei UVP-Fehlern, NUR 2014, 81 (86) m. w. N. 510 BVerfG, Beschl. v. 20.12.1979, Az. 1 BvR 385/77, Rn. 66 (juris). 511 EuGH, Urt. v. 16.04.2015, Az. C-570/13, Rn. 32 (juris); vgl. auch Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18, Rn. 61 (juris). 508 Gärditz,
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betonen müssen.512 Stattdessen hat er betont, dass neben der Weitung des persönlichen Anwendungsbereichs inhaltlich der Regelungsgehalt des § 4 Abs. 3 a. F. UmwRG übernommen werden soll.513 Dieser sah nach Rechtsprechung des BVerwG keine weitergehenden Regelungen des § 4 Abs. 1 UmwRG vor.514 Weiter nimmt die Gesetzesbegründung mehrfach Bezug auf die Systementscheidung für den Individualrechtsschutz.515 Damit im Einklang sind Verfahrensrechte nach der eingangs erwähnten und gängigen Rechtsprechung der deutschen Gerichte nur justiziabel, wenn sie selbstständig durchsetzbare (materielle) Positionen beinhalten. Wenn auch die Grundrechte verfahrensrechtliche Funktionen haben, so ist und bleibt hierbei die „Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition“516 entscheidend. Dies betonte das BVerwG in der Rechtsprechung zu UVP-Rechten nachdrücklich, da die „Einhaltung formellrechtlicher Vorschriften […] regelmäßig kein Selbstzweck [ist], sondern […] der besseren Durchsetzung von materiellen Rechten und Belangen [dient].“517 Die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verlangt damit nicht den Schutz der Verfahrensrechte um ihrer selbst willen, sondern den Schutz der dahinterstehenden materiellrechtlichen Position.518 Daran ändere der Schutzzweck der UVP nichts, da die UVP durch § 4 UVPG legislativ als unselbstständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren klassifiziert wird. Eine Subjektivierung über § 4 UmwRG würde außerdem zu Friktionen führen. Die Umweltvereinigungen aus dem UmwRG müssen zunächst die Anerkennungsvoraussetzungen aus § 3 UmwRG erfüllen, bevor sie dann die Verfahrensfehler aus § 4 Abs. 1 UmwRG innerhalb einer Entscheidung aus dem Anwendungsbereich des § 1 UmwRG unter den Anforderungen aus § 2 UmwRG angreifen können. Die Vereinigungen aus § 4 Abs. 3 Nr. 1 Var. 2 UmwRG i. V. m. § 61 Nr. 2 VwGO müssten bloß die Voraussetzungen des dortigen § 61 Nr. 2 VwGO erfüllen. Eine solche Ungleichbehandlung und Umgehung der spezifischen Voraussetzungen des UmwRG wäre wohl kaum gewollt.519 Auch die in Art. 11 Abs. 3 UVP-RL und Art. 25 Abs. 3 IE-RL statuierte Unterscheidung zwischen Verbands- und Individualklagen wäre 512 So
auch Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler, DVBl 2016, 12 (19). 18/9526, S. 40. 514 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011, Az. 9 A 30.10, Rn. 20 ff. (juris). 515 BT-Drs. 16/2495, S. 7 f., 14; vgl. auch Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler, DVBl 2016, 12 (19) m. w. N. 516 BVerfG, Beschl. v. 08.02.1983, Az. 1 BvL 20/81, Rn. 31 (juris). 517 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011, Az. 9 A 30.10, Rn. 19 (juris) m. w. N. 518 So auch Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 4 Rn. 60. 519 Appel, Subjektivierung von UVP-Fehlern durch das UmwRG?, NVwZ 2010, 473 (477); a. A. Steiger, Entgrenzte Gerichte?, VerwArch 107 (2016), 497 (517). 513 BT-Drs.
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brüchig. Eine Rügebefugnis aus § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 UmwRG könnte diese Unterscheidung einebnen.520 Dass dies vom Gesetzgeber nicht gewollt war, zeigt auch der Blick in § 4 Abs. 4 S. 1 UmwRG. Danach gelten die § 4 Abs. 1 und Abs. 2 UmwRG im Rahmen der Aufstellung von SUP-pflichtigen Plänen und Programme aus § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG ausdrücklich nur für die Verbandsklagen. Staatliche Autonomie, der gesetzgeberische Wille und der Aufbau des UmwRG sprechen damit gegen eine Subjektivierung. (cc) Würdigung Der § 4 Abs. 3 UmwRG hilft einer normativen Subjektivierung bezogen auf Verfahrensrechte (noch) nicht weiter. Sich hierfür auf den gemeinschaftsrechtlich geforderten weiten Zugang zu Gericht zu berufen, überzeugt nicht, zumal gemeinschaftsrechtlich die Ausgestaltung dieses Zugangs an die mitgliedstaatliche Autonomie geknüpft ist. Sich allein auf den gesetzgeberischen Willen zu stützen, überzeugt ebenfalls nicht, da sich dieser ändern kann und können muss. Weniger als Brechstange der Subjektivierung denn als Auslegungshilfe521 sollte der Grundsatz des weiten Zugangs genutzt werden. Gleiches gilt für den Einbezug der Präambel der Aarhus-Konvention. Um Friktionen zwischen Vereinigungen nach § 61 Nr. 2 VwGO oder Individualklagenden und den Umweltverbänden sollte sich bei Einführung etwaiger absoluter Verfahrensrechte nicht primär gesorgt werden. Vereinigungen müssen weiterhin von der angegriffenen Entscheidung nach § 1 UmwRG betroffen sein. Für die Gleichstellung von Individualklagenden und Verbänden hat sich der Gesetzgeber bei Verfahrensfehlern ohnehin schon mit § 4 Abs. 3 UmwRG entschieden.522 Friktionen zwischen Zulässigkeit und Begründetheit sind da schon eher zu monieren.523 Weder der Wortlaut der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben noch die bisherige deutsche Rechtsprechungspraxis lassen ein Mehr an absoluten Verfahrensrechten erwarten. Erneut sind es die europäischen Judikate. Diese zeigen 520 Ludwigs, Wasserrechtliche Planfeststellung – Unionskonforme Auslegung des UmwRG, NVwZ 2016, 314 (315); a. A. Guckelberger (2017), Deutsches Verwaltungsprozessrecht unter unionsrechtlichem Anpassungsdruck, S. 169 f. 521 Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler, DVBl 2016, 12 (19); die Bedeutung der Vorgabe zum „weiten Zugang zu Gericht“ ist umstritten, vgl. z. B. Schmidt/Kremer, Das UmwRG und der „weite Zugang zu Gerichten“, ZUR 2007, 57 (61), die sich für eine Art Bindungswirkung aussprechen. Schmidt-Preuß, Gegenwart und Zukunft des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, 489 (495) sieht hingegen darin, ähnlich wie Held, eine „weiche“ und weit gefasste Leitlinie. 522 Steiger, Entgrenzte Gerichte?, VerwArch 107 (2016), 497 (517). 523 So z. B. Seibert, Verbandsklagen im Umweltrecht, NVwZ 2013, 1040 (1045).
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nachdrücklich, dass der Zugang zwar an subjektive Rechte gebunden werden kann, diese dann aber nicht zu restriktiv ausgelegt werden dürfen. Da die UVP fraglos die menschliche Gesundheit schützen soll, sind die UVP-Rechte auch der europäischen Mobilisierung der Individualklagenden zugänglich. Das unionsrechtlich extensivere Verständnis der Subjektivität lässt damit den Abstand zwischen § 4 UmwRG und absoluten Verfahrensrechten schwinden. Zudem zeigen die Urteile „Trianel“, „Altrip“, „Präklusion I“ und „Präklusion II“, dass das Verfahren in Umweltangelegenheiten im Unionsrecht weitreichende Anerkennung erfährt.524 (dd) Ausblick Daher sollte sich nicht auf das „Ob“ sondern auf das „Wie“ der früher oder später zu etablierenden Subjektivität konzentriert werden. Die Frage deckt sich mit dem Problem, die „betroffene Öffentlichkeit“ sachgerecht zu definieren. Zunächst könnte sie mit der Einwendungsbefugnis aus § 74 Abs. 4 S. 1 VwVfG gleichgesetzt werden.525 Danach wären diejenigen rügebefugt, deren Belange durch das Vorhaben berührt werden. Ohne Systemeingriff ist die Gleichsetzung aber nicht möglich, da für die Belange auch wirtschaftliche, ökologische, soziale, kulturelle, ideelle oder sonstige nicht unredlich erworbene und deshalb anerkennenswerte eigene Interessen der jeweiligen Beteiligten ausreichen.526 Mit Klaus Gärditz könnte daher – angelehnt an die in § 47 Abs. 2 VwGO entwickelte Dogmatik – bei der Bestimmung der Betroffenheit danach gefragt werden, „ob objektiv berührte Interessen […] noch als abwägungserheblicher Belang zu qualifizieren sind“ oder, bei fehlender Abwägung, ob Interessen geltend gemacht werden können, „die zwingend als abwägungsrelevante Belange zu berücksichtigen wären.“527 Danach entspräche die betroffene Öffentlichkeit einem „erweiterten Nachbarbegriff, der […] ohne explizite Verankerung im Normtext aus dem geltenden Recht heraus entwickelt werden konnte und daher für unionsrechtliche Formprägung offen ist.“528 Als normative Verankerung könnte aber auch in § 4 UmwRG klargestellt werden, dass die aufgezählten Verfahrensrechte subjektive Rechtspositionen 524 Dazu
unter C. II. 2. b) und sogleich unter cc). sich auch mit der Definition der betroffenen Öffentlichkeit nach § 2 Abs. 9 UVPG weitestgehend deckt. 526 BT-Drs. 15/3441, S. 24; vgl. auch Gräf (2020), Subjektive öffentliche Verfahrensrechte, S. 166 f. 527 Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (4 f.). 528 Ebd., (5). 525 Welche
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vermitteln. Damit dies wiederum nicht zu einer ausufernden UVP-Interessentenklage führt, könnte ähnlich wie in § 17 Abs. 3 S. 3 und § 19 Abs. 2 S. 6 StandAG der Kreis der Klagebefugten bedingt erweitert werden. Klagebefugt wären kommunale Gebietskörperschaften, in deren Gebiet das UVP-pflichtige Vorhaben liegt, und deren Einwohner:innen sowie deren Grundstücks eigentümer:innen, wenn die Verfahrensrechte aus § 4 Abs. 1 UmwRG mög licherweise verletzt wären. Dies käme einer legislativen Fixierung der Rechtsprechung des OVG Münster gleich. Betroffenheit musste danach „grundsätzlich durch einen räumlichen Bezug zum Wirkungsbereich der Immissionen bestimmt sein.“529 cc) Entkernung der UVP (1) Keine Verfahrensfehler durch UVP-Fehler Nicht nur die Individualklagen, sondern auch die Verbandsklagen sind in der verfahrensrechtlichen Justiziabilität beschränkt. Nach § 4 Abs. 1 S. 2 UmwRG ist nur die fehlerhafte UVP-Vorprüfung ein absoluter Verfahrensfehler. Die fehlerhafte UVP wird „entkernt“530, da inhaltliche oder methodische Mängel nicht ohne weiteres zu einer Aufhebung der angegriffenen Entscheidung führen können. Der 7. Senat des BVerwG zählt unter den Begriff des Verfahrensfehlers nur Verstöße gegen Rechtsnormen, die die äußere Ordnung des Verfahrens, also den Verfahrensablauf als solchen betreffen (etwa Regelungen über den Beginn des Verfahrens, die Beteiligung anderer Behörden oder der Öffentlichkeit, die Durchführung der UVP).531 Der eigentliche Inhalt der UVP wird von den einschlägigen materiell-rechtlichen Fachgesetzen bestimmt, für deren Prüfung die UVP durch Zusammenstellung und Aufbereitung des umweltbezogenen Tatsachenmaterials lediglich den Rahmen und die Grundlage bildet.532 Nicht zum Verfahrensgang gehört damit „der durch materiell-rechtliche Vorgaben gesteuerte Prozess der Willensund Entscheidungsbildung […].“533 Inhaltliche Mängel werden auch nicht vom Auffangtatbestand534 des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UmwRG erfasst, der die unbenannten absoluten Verfahrensfehler regelt. Der 7. Senat grenzt auch hier inhaltliche sowie methodische Mängel einer UVP aus dem Begriff des Ver529 OVG
Münster, Urt. v. 25.02.2015, Az. 8 A 959/10, Rn. 82 (juris). nach Seibert, Die gerichtliche Kontrolle von Verfahrensvorschriften, NVwZ 2019, 337 (339). 531 BVerwG, Urt. v. 28.11.2017, Az. 7 A 17/12, Rn. 29 (juris). 532 Ebd., Rn. 32 (juris). 533 Ebd., Rn. 29 (juris). 534 VG Hamburg, Beschl. 15.06.2016, Az. 7 E 1486/16, Rn. 59 (juris). 530 Begriff
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fahrensfehler aus.535 Die UVP wird damit im Rahmen des § 4 Abs. 1 UmwRG zu einer „inhaltsleeren Hülle“536. (2) Widerspruch zur wachsenden Bedeutung der UVP als Verfahren Verfahrensnormen können rein formell-rechtliche Aspekte regeln, aber auch materiell-rechtlich aufgeladen sein. Die Einhaltung von Verfahrensvorschriften ist eben kein Selbstzweck, sondern sie dient der besseren Durchsetzung von materiellen Belangen.537 Etwaige Gutachten innerhalb der UVP bestimmen unstreitig (auch) den materiell-rechtlichen Maßstab eines mög lichen späteren Planfeststellungsbeschlusses. Die Gutachten im Rahmen der UVP dienen aber auch als Informationsgrundlage der Öffentlichkeit.538 So verhilft eine fehlerfreie Information den betroffenen Menschen, ihren Rechtspositionen in der Entscheidungsfindung ausreichend Gehör zu verschaffen.539 Dadurch können Betroffene von Anfang an das Verfahren begleiten und zur Rechtssicherheit der Entscheidung beitragen. Behörden werden frühestmöglich auf etwaige Rechtsverstöße hingewiesen. Die noch formbare Entscheidung kann angepasst werden. Die fehlerfreie UVP ist damit das Leitbild einer materiell-rechtlichen Richtigkeitsgewähr durch Verfahren.540 So kam auch die Studie des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2009 zu dem Ergebnis, dass eine fehlerfreie UVP eine „deutlich höhere Zielerreichung realisiert.“541 Auch in der Gesetzesbegründung zum UmwRG 2017 erkennt der Gesetzgeber einen Verfahrensfehler an, wenn die Öffentlichkeit durch nicht ausgelegte Unterlagen (z. B. UVP-Bericht) nicht informiert werden konnte.542 Schwerwiegend fehlerhafte Unterlagen können mit nicht ausgelegten identisch sein, wegen der Entkernung aber nicht gleich behandelt werden. Dies überzeugt nicht, da das Ziel der Information der Öffentlichkeit sowohl bei unterbliebenen also auch schwerwiegend fehlerhaften Unterlagen nicht erreicht wird. 535 BVerwG, 536 Seibert,
Urt. v. 28.11.2017, Az. 7 A 17/12, Rn. 28 f. (juris). Die gerichtliche Kontrolle von Verfahrensvorschriften, NVwZ 2019,
337 (339). 537 BVerwG, Urt. v. 20.12.2011, Az. 9 A 30.10, Rn. 19 (juris) m. w. N. 538 Seibert, Die gerichtliche Kontrolle von Verfahrensvorschriften, NVwZ 2019, 337 (339), der von einem Doppelcharakter der Gutachten (materiell- und verfahrensrechtlich) innerhalb der UVP spricht. 539 So auch Held, Umweltrechtliche Verfahrensfehler, DVBl 2016, 12 (14). 540 Greim, Individualrechtsschutz bei UVP-Fehlern, NUR 2014, 81 (85); vgl. auch Erbguth, Ziel, Konzeption und Entwicklungslinien der Umweltverträglichkeitsprüfung, ZUR 2014, 515 (520); Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz, EurUP 2015, 196 (202). 541 UBA (Hrsg.), Evaluation des UVPG des Bundes, 03/2009, S. 3 Rn. 9. 542 BT-Drs. 18/85927, S. 10.
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Der Eigenwert des Verfahrens hängt insoweit maßgeblich davon ab, wie weit dessen Einhaltung gerichtlich durchsetzbar ist.543 Gerade in der umweltrechtlichen Komplexität und den unzähligen Ermessensspielräumen ist ein funk tionierendes und justiziables Verfahrensrecht gewichtig.544 Der Bedeutungsgehalt einer fehlerfreien UVP wird zusätzlich unionsrechtlich gestärkt. Durch die Änderung der UVP-RL im Jahr 2014545 müssen fortan die Ergebnisse der UVP nicht nur berücksichtigt, sondern „gebührend“ berücksichtigt werden (Art. 8 UVP-RL). § 25 Abs. 1 UVPG spricht dagegen weiterhin von einer Berücksichtigung nach „Maßgabe der geltenden Gesetze“, sodass teilweise eine unzureichende Umsetzung moniert wird.546 Nach dem weiten gerichtlichen Zugang aus der UVP-RL, der IE-RL und der Rechtsprechung des EuGH soll zudem den Verfahrensrechten eine ähnliche Schutzwirkung wie dem materiellen Recht zukommen.547 Wie im materiellen Recht dürfen auch bestimmte „Garantien“ des Verfahrens nicht „genommen“ werden.548 Dem widerspricht die Entkernung der UVP. Zu der Frage, ob nur Fehler im Verfahrensablauf oder auch inhaltliche Fehler als Verfahrensfehler einzuordnen sind, verhält sich der EuGH nicht. Vielmehr betonte er in der „Altrip“- und „Präklusions I“-Entscheidung, dass die UVP-RL unter anderem der Festlegung von Verfahrensgarantien dient, die eine bessere Information und Öffentlichkeitsbeteiligung ermöglichen sollen. Der Justiziabilität der Verfahrensregeln komme in diesem Bereich eine besondere Bedeutung zu.549 Justiziabel müssen danach alle Rechte sein, die diese informativen Verfahrensgarantien umsetzen und sichern sollen.550 Es reicht indes nicht aus, wenn eine UVP zwar durchgeführt wurde, aber mit schwerwiegenden Fehlern behaftet sein könnte.551 Wann die Umstände des schwerwiegenden Fehlers Europäisierter Umweltrechtsschutz, EurUP 2015, 196 (199). Vollzugskontrolle durch Klagerechte, in: Lübbe-Wolff (Hrsg.), Der Vollzug des europäischen Umweltrechts (1996), 145 (168); vgl. auch Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (386). 545 Richtlinie 2014/52/EU v. 25.04.2014. 546 So etwa Heitsch, Rechtsschutz für Umwelt und Klima, EurUP 2020, 379 (383). 547 EuGH, Urt. v. 07.01.2004, Az. C-201/02, Rn. 65 (juris); Urt. v. 12.05.2011, Az. C-115/09, Rn. 42 (juris); Fehling, Eigenwert des Verfahrens im Verwaltungsrecht, VVDStRL 70 (2011), 278 (317); so auch Fellenberg/Schiller, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 2 Rn. 13. 548 EuGH, Urt. v. 07.11.2013, Az. C-72/12, Rn. 54 (juris). 549 Ebd., Rn. 48 (juris); Urt. v. 15.10.2015, Az. C-137/14, Rn. 55 (juris). 550 So auch Seibert, Die gerichtliche Kontrolle von Verfahrensvorschriften, NVwZ 2019, 337 (339). 551 EuGH, Urt. v. 07.11.2013, Az. C-72/12, Rn. 37 (juris); Urt. v. 15.10.2015, Az. C-137/14, Rn. 48 (juris). 543 Gärditz,
544 Wegener,
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vorliegen und wann vor allem die Öffentlichkeit durch den Inhalt der UVP nicht ausreichend informiert wurde, ist Aufgabe der Auslegung im Einzelfall.552 Eine Auslegung, die in der Zusammenschau553 von § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. b) und lit c.) UmwRG ihren normativen Anknüpfungspunkt bereits hat. Gerichte könnten danach prüfen, ob ein Fehler der UVP nach seiner Art und Schwere einer unterbliebenen Information der Öffentlichkeit gleicht. Diese Möglichkeit ist richtig und wichtig, aber nicht anwendbar, wenn Verfahrensfehler pauschal und restriktiv kategorisiert und so die Verfahren entkernt werden. dd) Extensive Heilungsmöglichkeiten (1) H eilung verfahrens- und materiell-rechtlicher Verstöße bis zur letzten Gerichtsverhandlung Nach § 4 Abs. 1b UmwRG können verfahrensrechtliche und nach § 7 Abs. 5 UmwRG materiell-rechtliche Verstöße in Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 bis 2b oder 5 UmwRG geheilt werden durch Entscheidungsergänzung oder ergänzendes Verfahren. § 4 Abs. 4 S. 1 i. V. m. Abs. 1b UmwRG ermöglicht zudem eine Planerhaltung für die Pläne und Programme i. S. d. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG. Ein Rechtsbehelf hat damit regelmäßig nur dann Erfolg, wenn etwaige Verstöße nicht bis zur letzten mündlichen Verhandlung im gerichtlichen Verfahren behoben werden können. Nur Verstöße, die nicht von solcher Art und Schwere sind, dass sie das Vorhaben als Ganzes in Frage stellen, können geheilt werden.554 Diese Verstöße müssen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles ermittelt werden.555 (2) W iderspruch zu den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen Ob die umfassende Heilbarkeit der Rechtsverstöße die verfassungsrecht lichen Grundsätze des Art. 19 Abs. 4 GG einschränkt und dem unionsrecht lichen Gebot eines effizienten und wirksamen Rechtsschutzes widerspricht,
552 BVerwG, 553 Seibert,
Beschl. v. 21.06.2016, Az. 9 B 65/15, Rn. 7 (juris). Die gerichtliche Kontrolle von Verfahrensvorschriften, NVwZ 2019,
337 (340). 554 BVerwG, Urt. v. 01.04.2004, Az. 4 C 2/03, Rn. 28 (juris); diese Rechtsprechungspraxis gilt für die Heilungsmöglichkeiten des UmwRG weiter, BT-Drs. 18/9526, S. 45. 555 BVerwG, Beschl. v. 20.01.2004, Az. 4 B 112/03, Rn. 6, 9 (juris).
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ist beides umstritten.556 Die weiten Heilungsmöglichkeiten wirken in meh rerer Hinsicht legislativ unbedacht. Durch die Heilungsmöglichkeiten des UmwRG können neuerdings auch Verstöße bei gebundenen Entscheidungen wie etwa der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung korrigiert werden (§ 7 Abs. 5 UmwRG). Die Gesetzesbegründung geht auf die durchbrochene Differenzierung zwischen gebundenen und Ermessensentscheidungen nicht ein. Sie suggeriert sogar Kontinuität der Entscheidungspraxis.557 Dies erweckt den Eindruck, der Gesetzgeber habe die enorme Verlagerung des Verwaltungsverfahrens in das Gerichtsverfahren verkannt. Eine Fehlerheilung wird nämlich nun „mit großzügiger judikativer Unterstützung ermöglicht“558. Ungeachtet des dadurch zunehmenden Umfangs des Gerichtsverfahrens verschiebt sich das Gewaltenteilungsgefüge. Gerichte kontrollieren nicht mehr die „Selbstherrlichkeit“ der Exekutive559, sondern treten in diese ein. Die Gerichte wirken prospektiv bei der Herstellung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung mit.560 Durch die Entscheidungsergänzung fügen die Gerichte der Entscheidung zum Beispiel Nebenbestimmungen hinzu. Der Inhalt der ursprünglichen Entscheidung wird dadurch zwingend geändert,561 sodass nicht ohne weiteres von einer eigenständigen Reparatur durch die Verwaltung ausgegangen werden kann.562 Vielmehr könnte zum einen die zwingende563 richterliche Distanz zur Sache verloren gehen.564 Zum anderen 556 Zweifelnd Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (731 f.); Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (415); Franzius, Genügt die Novelle des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes?, NVwZ 2018, 219 (221); Schlacke, Bedeutung der Verfahrensfehlern im Umwelt- und Planungsrecht, UPR 2016, 478 (485); a. A. Kment, in: Hoppe/Beckmann/ Kment, UVPG/UmwRG, 5. Aufl. 2018, UmwRG § 4 Rn. 35 m. w. N. 557 BT-Drs. 18/9526, S. 45: „Durch die an § 75 Absatz 1a Satz 2 VwVfG angelehnte Formulierung kann in der Praxis die umfassende ‚Heilungsrechtsprechung‘ des Bundesverwaltungsgerichts übertragen werden […]“; vgl. auch Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (414). 558 Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (731). 559 Dazu unter B. I. 1. a) aa). 560 Gärditz, Die verwaltungsprozessualen „Begleitregelungen“ des UmwRG, EurUP 2018, 158 (165); vgl. auch allgemeiner Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 36 f. 561 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 7 Rn. 92. 562 So aber Seibert, Die Fehlerbehebung durch ergänzendes Verfahren, NVwZ 2018, 97 (104). 563 BVerfG, Beschl. 17.12.1969, Az. 2 BvR 271/68, Rn. 34 (juris) m. w. N. 564 Gärditz, Die verwaltungsprozessualen „Begleitregelungen“ des UmwRG, EurUP 2018, 158 (165 f.); vgl. auch allgemeiner Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 37 f.
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D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
könnte die Präventivwirkung der Klagemöglichkeiten abnehmen und Behörden zu weniger sorgfältigen Begründungen verleitet werden.565 Zu berücksichtigen ist überdies die Garantie des effektiven Rechtsschutzes, wonach ein Gericht nicht zu einer Planfeststellungsbehörde aufrücken darf und eine ebenso abgrenzbare wie kontrollierende unabhängige Instanz bleiben muss.566 Die Gesetzesbegründung rechtfertigt die Heilungsvorschriften dadurch, dass Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL keinen Aufhebungsanspruch für fehlerhafte Entscheidungen vorsähen. Das Ziel, die materielle und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit zu gewährleisten, lasse sich auch in ergänzenden Verfahren erreichen.567 Dies verkennt, dass Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL die Möglichkeit sichern sollen, die materielle und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit „anzufechten“. Wie aus dem Wortverständnis der Anfechtung nach § 42 Abs. 1 VwGO hervorgeht,568 meint Anfechtung die Möglichkeit, etwas aufheben zu lassen.569 Nicht nur der Erfolg der Verbandsklagen, sondern auch die Erfolge des Individualrechtsschutzes hängen indes von der Reparierbarkeit der angefochtenen Entscheidung ab (§ 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 UmwRG, § 7 Abs. 6 UmwRG).570 Die Klagen fechten so weniger an, sondern weisen vielmehr auf Rechtsverstöße hin. Wenn die Mehrzahl der Rechtsverstöße geheilt werden kann, ist ein Rechtsbehelf in den seltensten Fällen wirksam und effektiv. Die weiten Heilungsmöglichkeiten stehen einem effektiven Rechtsschutz im Wege und konterkarieren Art. 9 Abs. 4 AK. Effektiver Rechtsschutz verliert demnach nicht nur die Durchschlagskraft, sondern seine Identität. Dies wird vor allem mit Blick auf den Individualrechtsschutz sichtbar. Individualklagende müssen die Einhaltung ihrer subjektiven Rechte einklagen können. Ihnen soll gerade nicht nur die Anstoßfunktion, die Funktion von Informant:innen oder Hinweisgeber:innen für ein Überprüfungsverfahren zukommen.571
565 Vgl. auch Seibert, Die Fehlerbehebung durch ergänzendes Verfahren, NVwZ 2018, 97 (104); UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 22, 72 ff., 90; zur Präventivwirkung der Verbandsklagen vgl. B.II.2.b.aa.(4). 566 BVerfG, Beschl. v. 16.12.2015, Az. 1 BvR 685/12, Rn. 23 (juris). 567 BT-Drs. 18/9526, S. 46; so auch Seibert, Die Fehlerbehebung durch ergänzendes Verfahren, NVwZ 2018, 97 (103 f.). 568 „Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) […] begehrt werden.“ 569 So auch Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), AarhusHandbuch (2019), § 3 Rn. 143. 570 Vgl. auch Schlacke, Die Novelle des UmwRG 2017, NVwZ 2017, 905 (912). 571 Dazu unter B. I. 1. a) bb).
II. Verwaltungsrechtsweg 209
ee) Die Praktikabilität des UmwRG Das UmwRG ist ein sektorales Sonderverwaltungsprozessrecht.572 Es regelt im Sektor Umweltschutz den Zugang zu Gericht. Art. 19 Abs. 4 GG und das Rechtsstaatsgebot verlangen, dass der gerichtliche Zugang nicht von unerfüllbaren oder unzumutbaren Voraussetzungen abhängig gemacht oder in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert wird.573 Prozessrecht muss verständlich, klar und einheitlich sein.574 Einfachgesetzliche Anleitungen wären hierfür hilfreich. Sie sind aber nur spärlich zu finden. So verlangt lediglich § 80a GO BT die Überprüfung auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit eines Gesetzesentwurfs. Ende 2018 erließ die Bundesregierung zusätzlich ein Arbeitsprogramm zur besseren Rechtssetzung,575 nachdem die europäische Kommission eine ähnliche Mitteilung an die europäischen Organe erlassen hatte.576 Die letzte Novelle des UmwRG erfolgte 2017, sodass zumindest das Arbeitsprogramm nicht der Praktikabilität helfen konnte. Nicht nur die gemeinschaftsrechtlichen Einflüsse, sondern bereits der Aufbau des UmwRG schreien förmlich nach einer Praktikabilitätsreform. § 1 Abs. 1 UmwRG enthält den Klagekatalog. Es folgt § 2 UmwRG, der sowohl die Zulässigkeit als auch die Begründetheit regelt. Erst danach wird in § 3 UmwRG die für die Rechtsbehelfsfähigkeit notwendige Anerkennung der Verbände geregelt, um dann wieder in § 4 UmwRG die verfahrensrechtlichen Besonderheiten zu verorten. § 7 UmwRG regelt dann wiederum zahlreiche Ausnahmen für sämtliche Regelungen des UmwRG. Aber nicht nur der Aufbau, sondern auch die Regelungstechnik ist wenig praktikabel. Das gesamte UmwRG fußt auf der Differenzierung zwischen Entscheidungen nach Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 AK. Für die Bestimmung des Prüfungsumfangs ist vorab zu klären, ob ein Vorhaben unter den Abs. 2 oder Abs. 3 fällt.577 § 1 Abs. 1 UmwRG inkorporiert zudem landesrechtliche Vorschriften in den Anwendungsbereich, sodass nicht nur Gemein572 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG Vorb. Rn. 4. 573 StRspr. vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 07.04.2020, Az. 2 BvR 1935/19, Rn. 33 (juris). 574 Vgl. Kahl, Sprache als Kultur- und Rechtsgut, VVDStRl 65 (2006), 386 (390). 575 Arbeitsprogramm Bessere Rechtssetzung und Bürokratieabbau 2018 v. 12.12. 2018. 576 Europäische Kommission, Bessere Rechtssetzung: Bessere Ergebnisse für eine stärkere Union, COM(2016) 615 final. 577 Brigola/Heß, Die Fallstricke der unions- und völkerrechtlichen Metamorphose, NuR 2017, 729 (733); Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 144.
210
D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
schafts-, sondern auch Landesrecht zu berücksichtigen sein kann. Durch die Verweise ist der Anwendungsbereich des UmwRG von den fachgesetzlichen Rechtsprechungen abhängig und um zu berücksichtigendes Auslegungsmaterial ergänzt worden.578 Werden die Normen, auf die verwiesen wird, auf diese Weise beschränkt, so beschränkt sich automatisch der Anwendungsbereich des UmwRG. Eine durch das UmwRG angestrebte breite Justiziabilität hängt damit maßgeblich von anderen, außerhalb des UmwRG liegenden Normen ab. Rechtseinheit schafft das UmwRG dadurch nicht. Die Abwesenheit eines einheitlichen Vorhabenbegriffs steht hierfür beispielhaft. Wenn noch für § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG auf den Vorhabenbegriff des UVPG Bezug genommen wird, so fehlt es an jedwedem Bezug in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 oder Nr. 5 UmwRG. Dort ist für jede Entscheidungskategorie der Vorhabenbegriff des Fachgesetzes maßgebend.579 Ähnlich anwendungsunfreundlich reagierte der Gesetzgeber auf den Wegfall der materiellen Präklusionsregelungen. So versuchen mehrere Instrumente, teils innerhalb des UmwRG (§ 5 UmwRG, § 6 UmwRG, § 7 Abs. 3 S. 1 UmwRG, § 7 Abs. 5 UmwRG), teils außerhalb des UmwRG (§ 10 Abs. 3a BImSchG, § 49 Abs. 2 UVPG) den Wegfall der prozessstoffbegrenzenden Funktion zu kompensieren.580 Die Heilungsvorschriften, die Teil dieser Kompensationen sind, sind ebenfalls unübersichtlich. Sämtliche Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 2b und Nr. 5 UmwRG sind danach heilbar. Insbesondere die über Nr. 5 erfassten sonstigen umweltbezogenen Zulassungsentscheidungen bieten keine klaren Abgrenzungen für die Heilungsvorschriften.581 In der Literatur ist daher von gesetzgeberischen „hausgemachten Män geln“582, einem „Lehrbuchfall für handwerklich schlechte Gesetzgebung“583 und einem „konzeptionslos entworfenen UmwRG“584 die Rede. Das ohnehin bereits sektorale Sonderprozessrecht sektoralisiert seinen Anwendungsbereich. Rechtsschutz wird dadurch verkompliziert.585 Um dem entgegenzuwir578 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG § 1 Rn. 16 und für die Konkretisierung des Planbegriffs aus Nr. 4 UmwRG, Rn. 77 ff. 579 Ebd., Rn. 44, 103. 580 Vgl. dafür Schlacke, Aktuelles zum Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, NVwZ 2019, 1392 (1395 ff.). 581 So auch Seibert, Die Fehlerbehebung durch ergänzendes Verfahren, NVwZ 2018, 97 (97 f., 104). 582 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, UmwRG Vorb. Rn. 128. 583 Gärditz, Die verwaltungsprozessualen „Begleitregelungen“ des UmwRG, EurUP 2018, 158 (173); vgl. auch Gärditz, Die Entwicklungen des Umweltrechts in den Jahren 2016–2018, ZfU 2019, 369 (378, 380). 584 Franzius, Verbandsklage im Umweltrecht, NUR 2019, 649 (658). 585 Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (411).
III. Fazit211
ken, könnte das sektorale Prozessrecht in das allgemeine Verwaltungsprozessrecht integriert werden.586 Die durch die Europäisierung bedingte Funktionsfortentwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit wäre im Kerngesetz des Verwaltungsprozessrechts verankert.587 Allerdings wäre dies wiederum für außerhalb des Umweltrechts liegende Rechtsgebiete zusammenhangslos. Es sollte daher weiterhin am UmwRG festgehalten werden. Das UmwRG muss dabei von einer „selbstbewussten Sektoralität“588 bestimmt sein. Die aufgezeigten Defizite müssen behoben werden. Die Enumeration sollte im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK einer Generalklausel weichen.589 Ein Definitionskatalog muss eingefügt, der Aufbau strukturiert werden. Wie im UVPG sollte auf Verweise weitestgehend verzichtet und eigene Tatbestände geschaffen werden.590 Die erschwerte Praktikabilität des UmwRG schafft jedenfalls im status quo nicht die notwendige Integration und Vereinheit lichung, von der die umweltrechtliche Entwicklung getrieben wird.591
III. Fazit Verwaltungsrechtlicher Umwelt- und Klimaschutz ist weiterhin eine Baustelle. Das beginnt mit dem vorverlagerten Rechtsschutz, der durch Konzentration statt Spezifikation eine falsche Richtung eingeschlagen hat. Dabei könnte Spezifikation auf der jeweiligen Planungsebene die komplexen Streitigkeit abschichten, Fehler an Ort und Stelle identifizieren und beseitigen. Die Stärkung von phasenspezifischen Rechten könnte zur Rechtmäßigkeit der Letztentscheidungen erheblich beitragen und so eine Kassation kurz vor dem Ziel vermeiden. Resultat wäre eine beschleunigte und rechtmäßige Umsetzung. Damit wäre vor allem dem Eilrechtsschutz geholfen. Dieser kämpft weiterhin mit den unausweichlichen Zielkonflikten und den Problemen der Irreversibilität. Er muss dabei unter gründlicher Abwägung und der Suche nach Alternativlösungen den Weg der nachhaltigsten Lösung einschlagen. Im Eilrechtsschutz wird die klimatische Transformation ihren rechtlichen Austragungsort finden. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, hierfür sämtliche Ressourcen der Behörden und auch der Verwaltungsgerichte aufzustocken. 586 Schlacke/Römling, in: Schlacke/Schrader/Bunge (Hrsg.), Aarhus-Handbuch (2019), § 3 Rn. 144. 587 Schlacke, Bedeutung der Verfahrensfehlern im Umwelt- und Planungsrecht, UPR 2016, 478 (487). 588 Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 101. 589 Dazu unter G. III. 4. 590 Gärditz, Die verwaltungsprozessualen „Begleitregelungen“ des UmwRG, EurUP 2018, 158 (173). 591 Dazu unter C. III.
212
D. Verwaltungsprozessualer Klima- und Umweltschutz
Die fortschreitende Europäisierung des Umweltrechts verstärkt dieses Erfordernis. Das deutsche Rechtsschutzsystem hinkt der Ausbreitung des subjektiven Umwelt- und Klimaschutzes hinterher. Die prokuratorischen Rechte von Verbänden reichen für den Individualrechtsschutz nicht aus. Vielmehr sind anlagenbezogene CO2-Emissionsgrenzwerte für klimaschützenden Drittschutz erwägenswert. Gleichzeitig ist die Haltbarkeit von pauschalen Kategorisierungen in Vorsorge und Gefahrenabwehr gemeinschaftsrechtlich abgelaufen. Die (europäische) Prozeduralisierung des Rechts lässt zudem umweltrechtliche Verfahren als Prozesse an Bedeutung gewinnen. Die korrespondierende Justiziabilität von verfahrensrechtlichen Inhalten wird daher sowohl für Individualklagende als auch Verbände zunehmen (müssen). Für Individualklagen ist im Bereich der Verfahrensrechte, aber auch in Bereichen der Planungen und des Drittschutzes einheitlich die Betroffenheit zu justieren. Probleme der individuellen Betroffenheit könnten durch das Vorbild des StandAG für vorhabenbezogene Projekte rechtssicher und rechtsklar gelöst werden. Eine Anpassung ist nicht nur wegen fehlenden und transnational unterschiedlichen Rechtsschutzmöglichkeiten sowie der umfassenden Stärkung des status activus cooperationis und status procuratoris erforderlich. Vielmehr muss dem Divergieren von Individual- und Verbandsklage begegnet werden. Die Verbandsklagen sind ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung des Vollzugs- und Rechtsschutzdefizits im Umweltrecht. Sie ergänzen und schließen einige Lücken im Individualrechtsschutz. Bedingt durch die unterschiedliche Schutzausrichtung (überindividual/individual) und bestehende Defizite kompensieren sie die Schwächen der Individualklagen aber nicht vollständig. Der Anwendungsbereich des UmwRG ist defizitär. Vorverlagerter Rechtsschutz wird auch hier beschränkt. Dies läuft ungeachtet des oben beschrieben Beschleunigungspotentials zur Juridifizierung der Planungsebenen konträr. Die Juridifizierung verhilft nicht zuletzt durch § 13 KSG dem Klimaschutz zur Justiziabilität auf der Planungsebene. Die Justiziabilität von Produktzulassungen, Rechtsverordnungen sowie privatisierten Staatsaufgaben wird ebenfalls Eingang in das UmwRG finden müssen, da bereichsspezifische Beeinträchtigungen auf die Umwelt nicht effektiv justiziabel sind. Ähnlich effizienzhemmend sind die Heilungsmöglichkeiten des UmwRG ausgestaltet. Die klägerische Anfechtung verliert hierdurch nicht nur ihren Wortsinn, sondern es werden vielmehr die Grenzen der Gewaltenteilung verschoben. Die Judikative tritt in die Sphäre der Exekutive und hilft bei der Suche nach einer rechtmäßigen Verwaltungsentscheidung. Den Verbänden wird dadurch ihre Rolle als Kontrollorgan genommen. Bei den Klagenden wird die Rolle des Subjekts im Gerichtsverfahren durch die Rolle des bloßen Hinweisgebenden ausgetauscht. Abschließend soll betont werden, dass verwaltungsrechtlicher Umweltschutz auf einem konzeptlosen und impraktikablen Gesetz beruht. Das
III. Fazit213
mwRG kommt sowohl mit seinem Aufbau als auch mit seinem Inhalt den U Anforderungen der umwelt- und klimaschutzrechtlichen Justiziabilität nicht genügend nach. Der fehlende Einbezug des Schutzguts Klima in die Definition der umweltbezogenen Rechtsvorschrift indiziert die mangelhafte klimaschützende Ausrichtung. Damit bietet der verwaltungsrechtliche Rechtsschutz insgesamt nur eine partielle Antwort auf die strukturellen Durchsetzungsdefizite im Umwelt- und Klimaschutz.
E. Eine neue Ära des verwaltungsrechtlichen Umwelt- und Klimaschutzes? In Zusammenschau mit dem Klimabeschluss könnte das KSG dem Verwaltungsrecht einen umfassenden umwelt- und klimaschützenden Anstrich gegeben haben. Die Justiziabilität erfährt durch § 4 Abs. 1 Satz 10 KSG allerdings eine Absage, indem subjektive Rechte und klagbare Positionen durch das KSG nicht begründet werden sollen. Dabei erscheint die Durchsetzung auf dem Rechtsweg umso wichtiger, nimmt doch der Expertenrat für Klimafragen (§ 11 und § 12 KSG) vielmehr eine Notar- als Kontrollfunktion ein.1 Mit wissenschaftlichen Bewertungen und Empfehlungen soll er den Prozess zur Erreichung der Klimaschutzziele unterstützen.2 Durch sein eng gefasstes Mandat in § 12 KSG läuft es allerdings weniger auf eine kontinuierliche, transparente und unabhängige Bewertung denn auf eine neutrale Prüfung der Emissionsdaten hinaus.3 Vorschlagrechte oder Politikempfehlungen begleiten ihn dabei nicht.4
I. Justiziabilität für Individualklagen 1. Noch kein subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Klimaschutz Der Ausschluss der subjektiven Rechte ist gemäß der Gesetzesbegründung deklaratorisch.5 Der Klimabeschluss könnte ihn also zu einem subjektiven Anspruch gewandelt haben. Hierfür wären verfassungsrechtliche Emissionsmengen erforderlich. Der Klimabeschluss enthält sie jedoch nicht. Die Emissionsbudgets des IPCC und des Sachverständigenrats für Umweltfragen werden zwar von dem BVerfG berücksichtigt, indes nicht als „zahlengenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle“6 deklariert. Die Emissionsmengen festzulegen, obliegt weiterhin dem Gesetzgeber.7 Dieser politische Gestaltungsspielraums kann aber dann juridifiziert werden, wenn der Klimaet al., Das Bundes-Klimaschutzgesetz, NVwZ 2020, 1 (4). 19/14337, S. 35. 3 Klinski et al., Das Bundes-Klimaschutzgesetz, NVwZ 2020, 1 (5). 4 Franzius, Auf dem Weg zum Klimaschutzgesetz, EnWZ 2019, 435 (437). 5 BT-Drs. 19/14337, S. 28. 6 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 236 (juris). 7 Ebd., Rn. 259 ff. (juris). 1 Klinski
2 BT-Drs.
I. Justiziabilität für Individualklagen215
wandel eine Notfallsituation darstellen würde, auf die der Gesetzgeber nicht rechtzeitig reagieren kann. Die grundrechtlichen Schutzpflichten würden sich zu einem Anspruch auf schnellstmögliche Maßnahmen verdichten, der gesetzlich unabdingbar wäre.8 Der näherliegende Weg, Maßnahmen aus dem KSG zur Justiziabilität zu verhelfen, liegt in der Übertragbarkeit der „Janecek“-Rechtsprechung.9 Danach musste es unmittelbar betroffenen Bürger:innen möglich sein, im Falle einer drohenden Überschreitung der unionalen Grenzwerte die Erstellung eines Aktionsplans zu erwirken.10 Die Maßnahmen des KSG müssten sich also den unionalen Grenzen für die Emissionsreduktion nähern. Die festgelegten Jahresemissionsmengen im KSG setzen die bestehenden unionalen Emis sionsmengen aus der Europäischen Klimaschutzverordnung (dazu unter II.)) um. Überschritten werden sie zurzeit nicht.11 Andere Emissionsziele, wie die Klimaneutralität bis 2050, gelten für die gesamte EU. Daraus lassen sich keine unionalen Grenzwerte für Deutschland bestimmen. Erst wenn unionsrechtlich nachgeschärft und national nicht reagiert wird, ließe sich die „Janecek“-Rechtsprechung und damit ein individueller Anspruch auf Fortschreibung der Emissionsmengen fruchtbar machen.12 Um diesem Fall vorzubeugen, sind in § 4 Abs. 1 S. 5, Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 S. 2 KSG Anpassungsklauseln für die Jahresemissionsmengen vorgesehen. Danach muss gubernativ schnellstmöglich angepasst werden, sobald sich die unionsrecht lichen Vorgaben ändern. Auch die intertemporale Freiheitsicherung aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20a GG13 führt im Ergebnis (nur) dazu, dass ungleichmäßig verteilte Reduktionsmengen verfassungswidrig sind. Sie führt allerdings nicht zu einem positiven Anspruch auf ambitioniertere Jahresemissionsmengen oder auf Einhaltung der bestehenden Mengen.14 Die Individualklagenden haben danach einen Anspruch auf über die Generationen gleichmäßig und gerecht verteilte Emissionsreduktion. Einen solch weitreichenden Anspruch auf das Verwaltungsrecht zu übertragen, gelingt indes nicht ohne Weiteres. Anders als das im Klimabeschluss angegriffene KSG sind Verwaltungsrechtsverhältnisse mit Individualklagenden nie abstrakt-generell. Konkret-individuelle in: Frenz, Gesamtkommentar Klimaschutzrecht, 2021, KSG § 4 Rn. 42 ff. unter C. II. 2. b) aa) (1). 10 EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07, Rn. 42 (juris); dazu unter C. II. 2. a) aa) (1). 11 Frenz, in: Frenz, Gesamtkommentar Klimaschutzrecht, 2021, KSG § 4 Rn. 39 f. 12 Ebd., Rn. 40; Frenz, Das novellierte Klimaschutzgesetz, NuR 2021, 583 (586 f.); Frenz, Anpassung des Klimaschutzes, DVBl 2021, 86 (88). 13 Dazu unter F. I. 2. e). 14 Frenz, Das novellierte Klimaschutzgesetz, NuR 2021, 583 (587). 8 Frenz, 9 Dazu
216 E. Eine neue Ära des verwaltungsrechtlichen Umwelt- und Klimaschutzes?
Ansprüche mit abstrakt-generellen Inhalt zu füllen ist daher ebenso unmöglich wie unzulässig. So leben die Verwaltungsgerichte von individueller und nicht von kollektiver Legitimation.15 Überdies ist es schlicht kaum vorstellbar, dass ein einzelnes beklagtes Vorhaben den Treibhausgasausstoß möglicherweise so erhöht, dass die nächsten Generationen unverhältnismäßig stark von den Reduktionsmaßnahmen betroffen wären. Im Nichtannahmebeschluss zu den Verfassungsbeschwerden gegen die (unterbliebenen) Landes-Klimaschutzgesetze betonte das BVerfG, dass sich eine Verfassungsbeschwerde ebenfalls nur gegen die Gesamtheit der zugelassenen Emissionen richten kann, weil nur diese, nicht aber punktuelles Tun oder Unterlassen die Reduktionslasten insgesamt unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte.16 So entschied auch das VG Aachen, bestätigt durch das OVG Münster, dass nach der Notwendigkeit von Braunkohle, gefördert durch den Tagebau Garzweiler, nicht individuell-rechtlich, sondern energiepolitisch gefragt werden müsse.17 Denn die intertemporale Freiheitssicherung verpflichte nur den Gesetzgeber, eine genügende Regelung über die Fortschreibung der Zielvorgaben des KSG für Zeiträume ab dem Jahr 2031 zu finden.18 Wendet man das Klimaschutzgebot auf Vorhabenebene an, wären selbst Vorhaben wie die Erweiterung eines Tagebaus allein nicht in der Lage, das Restbudget zu verbrauchen.19 Vielleicht nicht auf vorhabenbezogener Ebene, aber in jedem Fall auf planerischer Ebene bietet die intertemporale Freiheitssicherung eine zu berücksichtigende Grundrechtsdimension.20 Da im status quo Pläne und Programme als Politikum aber nicht den Individualklagen zugänglich sind,21 streitet diese Grundrechtsdimension vor allem für effektive Verbandsklagen (dazu unter II.).
15 Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 18; ähnlich auch Möllers (2005), Gewaltengliederung, der zwischen individueller (Gerichte zuständig, S. 43) und kollektiver (Parlament zuständig, S. 17) Selbstbestimmung in den staatlichen Institutionen differenziert. 16 BVerfG, Beschl. v. 18.02.2022, Az. 1 BvR 1565/21 et al., Rn. 12 (juris). 17 VG Aachen, Beschl. v. 07.10.2021, Az. 6 L 418/21, Rn. 74 ff. (juris); OVG Münster, Beschl. v. 28.03.2022, Az. 21 B 1675/21. 18 VG Aachen, ebd., Rn. 87 (juris); ähnlich auch das BVerwG, Urt. v. 07.07.2022, Az. 9 A 1.21. 19 VG Aachen, ebd., Rn. 89 f., 92 (juris). 20 Uechtritz/Ruttloff, Der Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, NVwZ 2022, 9 (14). 21 Dazu unter D. II. 2. Zukünftige Judikate werden zeigen, wie lange noch politische Pläne und Programme im Bereich der Politik verbleiben oder ob sich schon alsbald durch die intertemporale Freiheitssicherung auch durch Individualklagende beklagt werden können.
I. Justiziabilität für Individualklagen217
2. Klimaschutz als gestärkter Abwägungsbelang Dennoch wird der intertemporale Schutz den Individualklagen vor allem auf der Begründetheitsebene zu Gute kommen. So stärkt die intertemporale Freiheitssicherung anderweitige Rechtspositionen (z. B. Art. 14 GG) innerhalb von konkret-individuellen Ansprüchen. Sämtliche Umweltbelange, wie beispielsweise der Schutz von natürlichen CO2-Senken (Wälder, Moore22) könnten mit Hinweis auf die Notwendigkeit eines prospektiven, sorgsamen Umgangs durch die intertemporale Freiheitssicherung „zu einer Grundrechtsfrage stilisiert werden“.23 Hierbei handelt es sich nicht um einen die Klage eröffnenden Anspruch, sondern um eine um den Klimaschutz gestärkte Abwägungsposition. Weder das KSG noch der Klimabeschluss statuiert einen justiziablen Klimavorbehalt. Sowohl verwaltungsrechtlicher als auch verfassungsrechtlicher Umwelt- und Klimaschutz bleibt weiterhin eine Frage des Einzelfalles.24 Bei deren Antwort nun aber der Klima- und Umweltschutz deutlich gestärkt wurde gegenüber Treibhausgas emittierenden Tätigkeiten. Selbst wenn letztere in der Interessensabwägung überwiegen, könnte der gestärkte Klimaschutz die Behörden dazu zwingen, emittierende Anlagen an Bedingungen wie die der Klimaneutralität oder Befristung zu knüpfen. Vorhaben der erneuerbaren Energien werden sich ebenfalls in der Abwägung stärker durchsetzen.25 Das steigende Gewicht des Klimaschutzes als Abwägungsbelang findet in § 13 KSG seinen normativen Niederschlag. Laut Gesetzesbegründung gilt es bei allen Entscheidungen und Planungen mit Entscheidungsspielräumen die Zwecke und Ziele des KSG zu berücksichtigen. Wenn der öffentlichen Hand also Abwägungs-, Beurteilungs- und Ermessensspielräume zugewiesen sind, müssen die Zwecke und Ziele des KSG berücksichtigt werden.26 Durch die gestärkte und mit fortschreitendem Klimawandel wachsende Abwägungs position27 nähert sich die Berücksichtigungs- einer faktischen Beachtens-
22 Die weniger natürlichen, aber ebenso aktuell diskutieren CO -Abscheidungs2 und Speicherungstechniken werden unter dem Begriff der Carbon Capture and Storage (CCS) behandelt, deren Ausbau nicht zuletzt im Rahmen des Europäischen Green Deal und des europäischen Klimaschutzgesetzes ausdrücklich forciert wird, vgl. COM(2019) 640 final, S. 8 ff.; COM(2020) 80 final, S. 8. 23 Faßbender, Der Klima-Beschluss des BVerfG, NJW 2021, 2085 (2091). 24 Vgl. Kment, Klimaschutzziele und Jahresemissionsmengen, NVwZ 2020, 1537 (1544). 25 Riese/Schneider, Klimaschutz und Raumplanung, UPR 2021, 445. 26 BT-Drs. 19/14337, S. 36. 27 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 198 (juris).
218 E. Eine neue Ära des verwaltungsrechtlichen Umwelt- und Klimaschutzes?
pflicht (vgl. § 4 ROG).28 Ein „Wegwägen“29 des Klimaschutzes wird insbesondere bei klimarelevanten Vorhaben zunehmend schwieriger. Das behörd liche Ermessen nähert sich damit immer mehr einer Reduzierung auf Null zugunsten der klimaverträglichsten Lösung. Dies wird nicht nur die Genehmigungs- und Planungspraxis ändern, sondern auch den Erfolg der umweltund klimaschützenden Individualklagen erhöhen.30 So appelliert auch Sabine Schlacke an eine Reform des Planungsrechts, die ein Optimierungs- oder Beachtensgebot hinsichtlich der Klimaschutzziele statuieren sollte.31 Dieser fachgesetzlichen Reform bedarf es angesichts des Querschnittscharakters des § 13 KSG indes nicht. Sektorübergreifend könnte in § 13 KSG für sämtliche Bereiche hoheitlichen Handelns die Berücksichtigungs- in eine Optimierungs- und Beachtenspflicht nachgeschärft werden.
II. Justiziabilität für Verbandsklagen Ob der Ausschluss justiziabler Rechte auch für Verbände gilt, ist dem Gesetzestext und seiner Begründung nicht zu entnehmen. Da sich der Ausschluss ausdrücklich neben den subjektiven Rechten auch auf klagbare Rechtspositionen bezieht, könnte er wohl auch als Ausschluss für Verbandsklagen gedeutet werden.32 Allerdings hätte ein solcher keinen Bestand im Hinblick auf die bestehenden Regelungen des UmwRG und die Rechtsprechung des EuGH.33 28 Vgl. Kment, Klimaschutzziele und Jahresemissionsmengen, NVwZ 2020, 1537 (1543 f.), der noch für eine Berücksichtigungspflicht plädiert. Sein Artikel ist allerdings vor dem Klimabeschluss und den europäischen Leitlinien der Klimaverträglichkeit entstanden. 29 Schlacke, Bundes-Klimaschutzgesetz: Klimaschutzziele und -pläne als Heraus forderung des Verwaltungsrechts, EurUP 2020, 338 (344); Seibert, Klimaschutz und Generationengerechtigkeit, DVBl 2021, 1141 (1146). 30 Exemplarisch dafür steht die Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern über die Beteiligung von Bürger:innen an Windparks. Der gerügte Eingriff in die Berufsfreiheit war gerechtfertigt, da der Eingriff vor allem den verfassungsrechtlichen Zweck des Klimaschutzes aus Art. 20a GG und dem Schutz der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimaschutzes diene, BVerfG, Beschl. v. 23.03.2022, Az. 1 BvR 1187/17, Rn. 99 ff. (juris). 31 Gesellschaft für Umweltrecht (Hrsg.), Thesenpapier der 44. Umweltrechtlichen Fachtagung (2021), S. 16; dies ähnelt dem im Koalitionsvertrag (2021), S. 55 an gestrebten Klimacheck, nach dem Gesetzesentwürfe auf die Vereinbarkeit mit den nationalen Klimaschutzzielen geprüft werden müssen; ein Optimierungsgebot noch ablehnend Uechtritz/Ruttloff, Der Klimaschutz-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, NVwZ 2022, 9 (11 ff.). 32 So etwa Schlacke/Römling, Neue Herausforderungen der gerichtlichen Kon trolle, DVBl 2021, 144 (148). 33 Zu den Judikaten des EuGH unter C. II. 2. b) aa).
II. Justiziabilität für Verbandsklagen219
1. Justiziabilität für UVP-pflichtige Vorhaben und SUP-pflichtige Pläne/Programme Sämtliche UVP-pflichtige Vorhaben mit Klimabezug können durch § 4 Abs. 1 S. 10 KSG nicht der Justiziabilität entzogen werden. Ihre Justiziabilität wird im UmwRG und nicht im KSG begründet, sodass der Ausschluss für sie bereits vom Wortlaut („durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes […] begründet“) hier nicht greift. Unabhängig vom KSG ist Klimaschutz im Anwendungsbereich der UVP-pflichtigen Vorhaben vollständig angekommen. Er erfuhr zuletzt innerhalb der UVP-RL einen enormen Bedeutungszuwachs. Durch die Novelle im Jahr 2017 sind nicht mehr bloß Auswirkungen auf das lokale Mikroklima, sondern fortan „Art und Ausmaß der Treibhausgasemissionen“ in den UVP-Bericht aufzunehmen.34 Ein kontrollierter Treib hausgasausstoß ist somit Gegenstand der UVP. Als Gegenstand der UVP im Anwendungsbereich des UmwRG ist er damit auch Gegenstand des Verbandsklagerechts. Die Ausrichtung der Umweltprüfungen auf den Klimaschutz nimmt sogar unionsrechtlich weiter zu. Die Europäische Kommission erließ kurz nach dem Klimabeschluss technische Leitfäden für die Nachhaltigkeitsprüfung im Rahmen von Infrastrukturinvestitionen.35 Kurze Zeit später verabschiedete die Kommission neue Leitlinien für die Sicherung der Klimaverträglichkeit von künftigen Infrastrukturprojekten in der Periode von 2021 bis 2027.36 Dabei soll eine Klimaverträglichkeitsprüfung ausdrücklich mit der UVP und der SUP verbunden werden.37 Sowohl die Eindämmung des Klimawandels als auch die Anpassung an den Klimawandel sollen frühzeitig in den Umweltprüfungen ermittelt und berücksichtigt werden. Die Leitlinien nennen eine Vielzahl an Schlüsselfragen, die innerhalb der UVP oder SUP die klimatischen Auswirkungen erfragen sollen.38 Hinsichtlich der UVP- und SUP-pflichtigen Vorhaben konkretisieren die Leitlinien als operabler Kriterienkatalog das Berücksichtigungsgebot aus § 13 KSG. Ungeachtet der Vorstöße einer Klimaverträglichkeitsprüfung, müssen auch die SUP-pflichtigen Klimaschutzprogramme nach § 9 KSG gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG rechtsbehelfsfähig sein.39 Auch ihre Einklagbarkeiten 34 Nr. 5 lit. f) Anhang IV, vgl. auch Erwägungsgründe 7 und 13 der UVP-RL; Nr. 4 lit. b) und c) gg) Anlage 4 UVPG; dazu auch Heitsch, Rechtsschutz für Umwelt und Klima, EurUP 2020, 379 (382 f.); Saurer, Klimaschutzziele und Abwägungsentscheidungen in der raumbezogenen Planung, EurUP 2018, 183. 35 Bekanntmachung der Kommission, 2021/C 280/01, 13.07.2021. 36 Europäische Kommission, 2021/C 373/01, v. 16.09.2021. 37 Ebd., S. 64 ff., S. 77 ff. 38 Europäische Kommission, 2021/C 373/01, v. 16.09.2021, S. 73 ff., 82 ff. 39 Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (516); Frenz, in: Frenz, Gesamt-
220 E. Eine neue Ära des verwaltungsrechtlichen Umwelt- und Klimaschutzes?
begründen sich im UmwRG und nicht im KSG. Daran ändert obendrein die Gesetzesbegründung nichts, wonach die Klimaschutzprogramme regelmäßig keine hinreichend bestimmten Festlegungen für Zulassungsentscheidungen treffen und damit nicht in den Anwendungsbereich der SUP und UVP-RL fallen würden. Die Programme seien nur „vorsorglich“ in die Liste der SUPpflichtigen Vorhaben aufgenommen worden.40 Vorsorglich oder nicht, ändert nichts an der SUP-Pflicht. Die bloße SUP-Pflicht begründet vielmehr schon die Justiziabilität sämtlicher Pläne und Programme, da sie Unionsrecht umzusetzen sucht.41 Dieses Unionsrecht muss im Lichte der „Protect“Entscheidung justiziabel sein. Zudem bestimmen die Klimaschutzprogramme die Maßnahmen, die die nationalen Klimaschutzziele erreichen und die Jahresemissionsmengen einhalten sollen (§ 9 Abs. 1 S. 2 und 3 KSG). Je strenger die Reduktionsziele werden, desto konkreter werden diese Maßnahmen Zulassungen regeln.42 Wäre allein das Maß der Konkretheit und nicht eine SUP-Pflicht für die Justiziabilität von Programmen ausschlaggebend, dann müssten jedenfalls die Sofortprogramme nach § 8 KSG justiziabel sein, da sie sektorale Maßnahmen enthalten.43 In der Praxis wird bereits mehrfach auf die Einhaltung der Emissionsziele durch geeignete Klimaschutzprogramme geklagt. So sind drei Verfahren vor dem OVG Berlin-Brandenburg anhängig, die einerseits klagen auf Einhaltung der Emissionsmengen für den Verkehrs- und Gebäudesektor nach dem KSG und anderseits auf Einhaltung der Emissionsmengen aller weiteren Sektoren44 nach dem KSG. Konkret soll die Bundesregierung dazu verpflichtet werden, geeignete Klimaschutz- und Sofortprogramme aufzustellen, die die Jahresemissionsmengen einhalten. An der Justiziabilität dürften die Klagen jedenfalls nicht scheitern.
kommentar Klimaschutzrecht, 2021, § 9 KSG, Rn. 31; Schlacke, Bundes-Klimaschutzgesetz: Klimaschutzziele und -pläne als Herausforderung des Verwaltungsrechts, EurUP 2020, 338 (344); i. E. Ziehm, Endlich verbindlicher Klimaschutz?!, ZUR 2020, 129 (130); Klinger, Klagerechte zur Durchsetzung des Bundes-Klimaschutzgesetzes, ZUR 2020, 259. 40 BT-Drs. 19/14337. S. 42. 41 Dazu unter D. II. 5. b) aa) (1). 42 Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (529). 43 Ebd. 44 Alle Klageschriften sind auf der Seite der Deutschen Umwelthilfe einsehbar.
II. Justiziabilität für Verbandsklagen221
2. Justiziabilität auch für nicht SUP-pflichtige Pläne, Programme und Ziele Mangels SUP-Pflicht sind der Klimaschutzplan 2050 und die Nationalen Energie- und Klima-Pläne (NECP) nicht nach dem UmwRG rechtsbehelfs fähig. Die Jahresemissionsmengen aus Anlage 2 und die Minderungsziele aus Anlage 3 des KSG sind und werden zukünftig legislativ bestimmt, sodass auch sie keinem tauglichen Klagegenstand aus § 1 Abs. 1 UmwRG unterfallen. Allerdings muss auch hier eine Klagebefugnis der Verbände ungeachtet des § 4 Abs. 1 S. 10 KSG bestehen. § 4 Abs. 1 S. 10 KSG muss entweder unionsrechtskonform ausgelegt werden („Braunbär I“-Entscheidung45) oder unangewendet bleiben („Protect“-Entscheidung46), soweit die Ziele und Maßnahmen aus dem KSG der Umsetzung von Unionsumweltrecht dienen. So konnten die Verbände in der Klimaklage vor dem VG Berlin ihre Klagebefugnis noch nicht aus der „Protect“-Entscheidung schöpfen, mit der Begründung, dass das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 nicht auf europarechtlichen Vorgaben beruhte.47 Mit der unionsrechtlichen Entwicklung und der Einführung des KSG hat sich dies nun geändert. Die Emissionsmengen, die Klimaschutzziele und der Klimaschutzplan dienen der Umsetzung der unionalen Klimaschutzbestimmungen. Die Emissionsmengen und die Klimaschutzziele setzten bis zum Jahr 2020 die sog. Effort Sharing Decision48 um. Ab 2020 dienen sie der Umsetzung der Europäischen Klimaschutzverordnung49.50 Danach musste Deutschland bis zum Jahr 2020 in Höhe von 14 % und muss bis 2030 in Höhe von 38 %51 Treibhausgase im Vergleich zu 2005 in den Sektoren außerhalb des europäischen Emissionshandels (Verkehr, Gebäude, Teile der Industrie, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft) einsparen. Durch Art. 15 Abs. 1 Governance-VO ist der deutsche Klimaschutzplan 2050, also die Langfriststrategie (§ 2 Nr. 7 KSG) ebenfalls Teil des Unions45 Dazu
unter C. II. 2. b) aa) (2). unter C. II. 2. b) aa) (6). 47 VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412.18, Rn. 89 (juris). 48 Entscheidung Nr. 406/2009/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.04.2009 über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen mit Blick auf die Erfüllung der Verpflichtungen der Gemeinschaft zur Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2020. 49 Verordnung (EU) 2018/842 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.05.2018 zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021 bis 2030 als Beitrag zu Klimaschutzmaßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Übereinkommen von Paris sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 525/2013. 50 BT-Drs. 19/14337, S. 17; dazu unter D. II. 6. b) aa) (1) (b). 51 Mit dem Änderungsvorschlag der Kommission soll der Betrag auf 50 % angehoben werden, COM(2021) 555 final v. 14.07.2021, Anhang. 46 Dazu
222 E. Eine neue Ära des verwaltungsrechtlichen Umwelt- und Klimaschutzes?
rechts. Damit sind zumindest seine unbedingten Kriterien aus Art. 15 Abs. 4 Governance-VO für die Verbände justiziabel.52 Gleiches gilt für die NECP hinsichtlich der prozessualen Vorschriften nach Art. 3 bis Art. 12 GovernanceVO und den in Anhang I vorgesehenen Inhalte.53 Einer Justiziabilität steht auch der politische Gestaltungsspielraum nicht im Wege, urteilte doch der EuGH für die Emissionsreduktionen nach der NEC-RL54, dass der mitgliedstaatliche Ermessensspielraum „hinsichtlich der Ausrichtung der Gesamtheit der im Rahmen der jeweiligen nationalen Programme eingeführten und geplanten Politiken und Maßnahmen“ begrenzt und gerichtlich kontrollierbar ist.55 Zudem sollte betont sein, dass nach dem BVerwG weder die Zulässigkeit noch die Begründetheit einer Verbandsklage das tatsächliche Bestehen einer SUP-Pflicht voraussetzt.56 Es ist also unerheblich, dass die genannten Regularien nicht bei den SUP-pflichtigen Plänen und Programmen in Anlage 5 des UVPG gelistet sind. Nationale Jahresemissionsmengen, die Klimaschutzziele und -pläne müssen damit für die Verbände justiziabel sein. Ein Verbandsklagerecht ließe sich mangels anwendbaren UmwRG57 unmittelbar, aber allenfalls nur vorrübergehend58 auf Art. 47 GRCh i. V. m. Art. 9 Abs. 3 AK stützen.59 Auch rechtspolitisch spricht vieles für eine Justiziabilität der Emissionsmengen, der Klimaschutzziele und -pläne. Wird sie im UmwRG verankert, wäre nicht nur die Rechtsprechung des EuGH legislativ fixiert, sondern sämtliche Klimapolitik effektiviert. Sind die Jahresemissionsmengen und Klimaschutzpläne nämlich falsch oder unzureichend, gründen sämtliche 52 Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (527). 53 Leopoldina/acatech/Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, Stellungnahme: Governance für die Europäische Energieunion, Dezember 2018, S. 40; Lammers/Römling, Das neue Governance-System der Europäischen Energieunion, ZUR 2019, 332 (338 ff.). 54 In der Entscheidung noch Richtlinie 2001/81/EG, die aber durch Richtlinie (EU) 2016/2284 über die Reduktion der nationalen Emissionen bestimmter Luftschadstoffe, ABl. L 344/1 v. 14.12.2016 geändert wurde. 55 EuGH, Urt. v. 26.05.2011, Az. C-165/09 et al., Rn. 103 (juris). 56 BVerwG, Urt. v. 27.02.2020, Az. 7 C 3/19, Rn. 24 (juris). 57 Anders löst es die Klageschrift der Deutschen Umwelthilfe zum Gebäudesektor, S. 8 ff., wonach das UmwRG als weiterhin anwendbar erachtet wird, da die EuGH-Judikate den § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG zur teleologischen Reduktion zwängen. 58 Dazu unter G. III. 2. 59 Vgl. i. E. Klinger, Klagerechte zur Durchsetzung des Bundes-Klimaschutzgesetzes, ZUR 2020, 259 (260 f.); Schlacke, Klimaschutzrecht im Mehrebenensystem, EnWZ 2020, 355 (361); zu den Grenzen einer richterrechtlichen Verbandsklage unter G. III.
II. Justiziabilität für Verbandsklagen223
Maßnahmen des KSG und der Klimapolitik auf einer defizitären Grundlage. Dass dies nicht etwa ein abstraktes Gefahrenszenario ist, zeigen Evaluierungen der KSG-Novelle. Wird mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen von einem CO2-Restbudget in Höhe von 6,7 Gigatonnen ausgegangen,60 wäre mit dem jetzigen KSG das CO2-Budget bis zum Jahr 2030 bereits zu 91 % aufgebraucht und bis 2045 um 32 % überschritten.61 Daher überrascht nicht, dass bereits erneut Verfassungsbeschwerde gegen das KSG erhoben wurde, die allerdings ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Verbandsklagen, die auf die korrekte Berechnung der Jahresemis sionsmengen und effektive Klimaziele und -pläne gerichtet wären, könnten daher umso mehr nicht nur eine fundierte Grundlage der gesamten Klima politik sichern, sondern auch das unzureichende Vertragsverletzungsverfahren wegen unverbindlicher Kommissionsempfehlungen und staatsautonomer Zielverfolgung in der Governance-VO ausgleichen.62 Justiziabilität auf dem Verwaltungsrechtsweg könnte damit Kontrolldefizite beseitigen und der na tionalen Klimapolitik mehr Akzeptanz verschaffen.63
60 SRU (2020), Umweltgutachten, Für eine entschlossene Umweltpolitik, S. 52, 88 Rn. 111; mit diesem Restbudget würde Deutschland mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 % ein 1,75 °C-Ziel erreichen. Mittlerweile aktualisierte der SRU das Budget, da durch den sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarats neue Erkenntnisse vorliegen. Das Budget ab 2022 für Deutschland beträgt danach 6,1 Gigatonnen CO2, SRU (2022), Wie viel CO2 darf Deutschland maximal noch ausstoßen, Stellungnahme, S. 7. 61 Berechnungen von Greenpeace, Nachricht v. 05.07.2021. 62 Vgl. Leopoldina/acatech/Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, Stellungnahme: Governance für die Europäische Energieunion, Dezember 2018, S. 39 f.; Lammers/Römling, Das neue Governance-System der Europäischen Energieunion, ZUR 2019, 332 (341); vgl. auch Schlacke, Klimaschutzrecht im Mehrebenensystem, EnWZ 2020, 355 (358 f.); Schlacke/Lammers, Das Governance-System, EurUP 2018, 424 (434); als praktisches Beispiel eines Vertragsverletzungsverfahrens ist das Verfahren gegen Polen bezüglich des Braunkohletagebau Turow zu nennen, in dem Polen vorgeworfen wird, ohne UVP die Genehmigung für sechs Jahre verlängert zu haben, EuGH, Az. C-121/21. 63 Für die weiteren Vorteile einer Verbandsklage siehe unter B. II. 2. b) aa).
F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz ist von großer Bedeutung. Und zwar gerade dort, wo auf dem Verwaltungsrechtweg die subjektivöffentlichen Rechte an die Grenzen ihrer Verantwortungssphären und die Verbandsklagen an die Grenzen ihres Anwendungsbereichs stoßen. Die Ubiquität der Beeinträchtigungen verlangt eine Reaktion über das Verwaltungsrecht hinaus. Verfassungsrecht hat das Potential, das zu schaffen, was dem verwaltungsrechtlichen Klima- und Umweltschutz nicht möglich ist: Umwelt- und Klimaschutz, der weit über die bi- oder multipolaren Verwaltungsrechtsverhältnisse hinausgeht und das Problem der Allmende besser erfasst. Zudem flankieren Grundrechte die Gesetzgebung und strahlen im Gegensatz zum Verwaltungsrecht über die Rechtsdurchsetzung hinaus (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Für das Unions- und Völkerrecht gilt dies in ähnlicher Weise. Deswegen folgen, nachdem das Verfassungsrecht behandelt wurde (dazu unter I.), Abschnitte zu den unions- (dazu unter II.) und völkerrechtlichen (dazu unter III.) Klagemöglichkeiten. Danach wird das Instrument der Klimaklage definiert und kontextualisiert (dazu unter IV.).
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz Der Klimabeschluss des BVerfG revolutionierte den verfassungsrecht lichen Klimaschutz. Im März 2021 erhob das Gericht den Klimaschutz endgültig auf den Rang der Verfassung. Das Gericht hatte dabei über vier Verfassungsbeschwerden zu entscheiden, die allesamt unzureichende Klimaschutzbemühungen des Staates monierten. Konkret wurden der Reduktionspfad im KSG und ein andauerndes Unterlassen von geeigneten und prog nostisch ausreichenden Maßnahmen zur Einhaltung des Restbudgets beklagt. Das BVerfG stellte diesbezüglich im Klimabeschluss fest, dass die durch anthropogene Treibhausgasemissionen verursachte Erderwärmung nach heutigem Stand zu weiten Teilen unumkehrbar ist. Unzureichender K limaschutz im Jetzt, verletzt daher Freiheitsrechte in der Zukunft. Wenn gegenwärtig Klimaschutz unterbleibt, werden zukünftig Maßnahmen notwendig sein, die unverhältnismäßig in Freiheitsbetätigungen eingreifen. Der Staat ist daher zu einem vorausschauendem und verhältnismäßigen Klimaschutz verpflichtet.
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz225
Nachfolgend wird kritisch untersucht, welchen Einfluss diese Entscheidung auf die Justiziabilität hatte und haben wird. 1. Beschwerdebefugnis a) Individualbeschwerden Für die Beschwerdebefugnis muss eine Grundrechtsverletzung die Beschwerdeführenden selbst, gegenwärtig und unmittelbar betreffen.1 Es schien dem BVerfG im Klimabeschluss nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Klimawandel noch zu Lebzeiten der Beschwerdeführenden so voran schreitet, dass deren durch Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechte beeinträchtigt werden. Die Anerkennung, dass die Beschwerdeführenden noch zu ihren Lebzeiten verletzt werden könnten, ist wichtig, da andernfalls die gegenwärtige und unmittelbare Beschwerdebefugnis abgelehnt worden wäre.2 Es wurde damit im Klimabeschluss pro blemlos die gegenwärtige und unmittelbare Verletzung der Grundrechte bejaht. Teilweise wird diesbezüglich moniert, dass es an einer konkreten Eingriffshandlung fehle, da das Klimaschutzgesetz ausweislich seiner Gesetzesbegründung nur ein Rahmengesetz sei, das noch vollzogen werden müsse.3 Dem ist zu entgegnen, dass auch ein Rahmengesetz einen unmittelbaren Eingriff begründen kann, wenn es das Ziel der Vollziehung vorgibt. Verletzt bereits das planerische Ziel vorwirkend Grundrechte, so wird es der Vollzug in jedem Fall. Auch die Regelungen, die erst im Laufe ihrer Vollziehung zu einer nicht unerheblichen Grundrechtsgefährdung führen, können mit dem Grundgesetz konfligieren. Dies gilt gerade bei einem in Gang gesetzten Verlauf, der nicht mehr korrigierbar ist.4 Im Rahmen der zum Erfolg der Verfassungsbeschwerden führenden intertemporalen Freiheitssicherung (dazu unter d)) greift das Gericht bei der Beschwerdebefugnis ausdrücklich auf die Grundrechtsvorwirkung zurück. Die im KSG a. F.5 statuierten Reduktionsmengen bis 2030 bestimmen bereits die Reduktionsanstrengungen ab 2031. So bestimmen sie schon jetzt rechtlich vorwirkend über künftige Grund1 Dazu
unter B. I. 3. b). Beschl. v. 10.11.2009, Az. 1 BvR 1178/07, Rn. 55 (juris); auch können noch nicht geborene Menschen keine subjektiven und gegenwärtige Grundrechtsberechtigungen geltend machen, vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 109 (juris). 3 Berkemann, Intertemporaler Klimaschutz im Paradigmenwechsel, DÖV 2021, 701 (708 f.). 4 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 108, 133 (juris). 5 Konkret in § 3 Abs. 1 S. 2 und § 4 Abs. 1 S. 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 a. F. 2 BVerfG,
226 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
rechtsrestriktionen mit.6 Durch unzureichende Reduktionsmengen im status quo der Klimapolitik besteht damit die Möglichkeit einer Freiheitsverletzung, wenn in der nächsten Zeit zu großzügig CO2-Emissionen zugelassen würden und damit notwendige Minderungslasten auf Kosten künftiger Freiheit verschoben wären.7 Die ausländischen Beschwerdeführenden können indes nicht in ihren Freiheitsrechten betroffen sein. Sie würden nämlich keine Adres sat:innen sehr belastender Klimaschutzmaßnahmen sein.8 Wenn auch die grundrechtlichen Schutzpflichten nicht an der Staatsgrenze enden, tut es der Anspruch auf Freiheitssicherung hingegen schon. Eine Popularklage ist nicht geschaffen worden.9 Einzelne Bürger:innen sind keine Sachwalter:innen der Allgemeinheit, sondern müssen sich auf individuelle Rechte berufen. Aus diesem Grund greift auch die Beschwerde befugnis ungeborener Dritter nicht durch.10 Dass individuelle Rechte gleichzeitig Rechte der Allgemeinheit sind, steckt im Klimaschutz qua natura. Verfassungsrechtlich besteht dennoch auch für solche Rechte Justiziabilität. Deutlich wird dieses Verständnis bei dem Kriterium selbst. Dort grenzt das BVerfG die nationale Justiziabilität nachdrücklich von der europarechtlichen Plaumann-Formel ab. Allein der Umstand, dass eine sehr große Zahl von Personen betroffen ist, steht einer individuellen Grundrechtsbetroffenheit nicht entgegen.11 Eine über die bloße eigene Betroffenheit hinausgehende Betroffenheit, die die Beschwerdeführenden von der Allgemeinheit abheben würde, wird also nicht verlangt. Die Auslegung der Beschwerdebefugnis mag dennoch für manche überraschend weit wirken, ist in der Entscheidungslinie des Gerichts aber konsequent. Im gesamten Beschluss und vor allem in der intertemporalen Freiheitssicherung effektiviert das Gericht das Vorsorgeprinzip. So auch in der Beschwerdebefugnis. Dies überzeugt mit Blick auf die Irreversibilität, da andernfalls die Kontrolle der Grundrechte leerliefe.12
6 BVerfG,
Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 118 (juris). Rn. 117 (juris). 8 Ebd., Rn. 132 (juris). 9 So aber Buser, Die Freiheit der Zukunft, Verfassungsblog v. 30.04.2021. 10 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 109 (juris). 11 Ebd., Rn. 110 (juris) unter Verweis auf das VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412/18, Rn. 73 (juris) und BVerfG, Urt. v. 21.01.2009, Az. 1 BvR 2524/06, Rn. 43 (juris). 12 Vgl. Ekardt/Heß, Intertemporaler Freiheitsschutz, ZUR 2021, 579 (584). 7 Ebd.,
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz227
b) Verbandsbeschwerden Die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde durch Verbände ist insofern problematisch, als hinsichtlich der meisten in Frage kommenden Grundrechte keine eigene Betroffenheit vorliegt. Zwar kommt eine Beschwerdebefugnis über Art. 14 GG in Betracht, wenn der Verband Eigentümer eines vom Klimawandel betroffenen Grundstücks ist. Und das auch unabhängig vom Motiv des Grundstückerwerbs.13 Da aber der Kausalitätsnachweis zwischen unzureichender Umwelt- und Klimapolitik und der Beeinträchtigung des Grundstücks regelmäßig nicht erfolgreich sein wird, ist die Möglichkeit einer altruistischen sowie prokuratorischen Beschwerdebefugnis der Verbände begründet durch andere Grundrechte bedeutsamer. Das BVerfG lehnte eine solche Beschwerdebefugnis nachvollziehbar ab, da weder das Grundgesetz noch das Verfassungsprozessrecht sie vorsieht.14 Ob Art. 19 Abs. 3 GG, Art. 20a GG und eine unionsrechtskonforme Auslegung den Verbänden helfen könnte, ließ das Gericht dahinstehen.15 Eine diesbezügliche Begründung wäre wünschenswert gewesen, zumal die Klageschrift aus dem Jahr 2018 ausführlich dazu Stellung genommen hatte.16 Soweit es um die Durchsetzung unmittelbar anwendbarem Unionsrechts gehe, betonten die Klagenden, könnten die Verbände nach Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG, i. V. m. Art. 20a GG i. V. m. Art. 47 GRCh vor nationalen Gerichten Rechtsschutz mit altruistischer Zielsetzung einfordern.17 Die Klageschrift untermauert die Existenz dieses Rechts mit den unionalen Judikaten zu den Klagerechten aus der AarhusKonvention.18 Als Konsequenz der klägerischen Argumentation wäre die BVerwG-Rechtsprechung zum Darmstädter Luftreinhalteplan auf die Stufe des Verfassungsrechts gehoben worden. Dass dieser Fall nicht eingetreten ist, ist angesichts einer ansonsten massiven richterrechtlichen Verschiebung des Verfassungsprozessrechts begrüßenswert.19 Dennoch könnte eine legislative Regelung einer verfassungsrechtlichen Umweltverbandsklage vorteilhaft sein. So lädt auch das BVerfG den Gesetzgeber förmlich ein zu einer legislativen Besserung des Rechtsschutzes durch Verbände. Es liege auf der Hand, „dass der in Art. 20a GG erteilte Umweltschutzauftrag des Grundgesetzes größere Wirkung entfalten könnte“, wenn 13 BVerfG, Urt. v. 17.12.2013, Az. 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08, Rn. 156 (juris); der abstrakte Verweis auf die Eigentumsfreiheit genügte im Klimabeschluss indes nicht, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 128 (juris). 14 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 136 (juris). 15 Ebd., Rn. 137 (juris). 16 Klageschrift im Verfahren BvR 2656/18, S. 104 ff. 17 Ebd. 18 Ebd., S. 107 ff.; dazu unter C. II. 2. b) aa). 19 Dazu unter G. III.
228 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
seine Durchsetzung durch verfassungsrechtlichen Rechtsschutz gestärkt wäre.20 Daher plädiert die vorliegende Arbeit für einen Diskurs, der sich mit der konkreten Ausgestaltung (vor allem des Anwendungsbereichs und möglicher Präklusionen) einer verfassungsrechtlichen Umweltverbandsbeschwerde beschäftigt. Vor allem im Zusammenspiel mit einem prozeduralen Umweltgrundrecht erführe die klima- und umweltschützende Justiziabilität eine enorme Weitung. Nach Christian Calliess ist ein prozedurales Grundrecht in einem neuen Art. 2 Abs. 3 GG zumindest erwägungswert (dazu unter 2. b)). Als prozessrechtliches Pendant könnte ein § 90 Abs. 1a BVerfGG mit folgendem Wortlaut geschaffen werden: „Eine nach § 3 des Umweltrechtsbehelfsgesetzes anerkannte Vereinigung kann mit der Behauptung einer Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 3 GG die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.“
In vielerlei Hinsicht könnte dies vorteilhaft sein. Sämtliche Funktionen der altruistischen Verbandsklage21 kämen dem Verfassungsrechtsweg zugute. Umwelt- und Klimaschutzbedenken würden dem Gericht durch qualifizierte Kläger:innen vorgetragen werden und einer möglichen Klagewelle vorbeugen. Der status activus cooperationis und status procuratoris22 hätte eine verfassungsrechtliche Fassung. Die Forderungen nach Umwelt- und Klima grundrechte wären erfüllt. Umwelt- und Klimagesetze könnten auf ihre Verfassungsmäßigkeit geprüft werden. Freilich wäre mit dem Einwand zu rechnen, dass eine verfassungsrechtliche Verbandsbeschwerde das Individualrechtsschutzsystem verschiebe. Dem ist zu begegnen, dass Gemeinwohlbe lange zu erstreiten auch der Individualverfassungsbeschwerde nicht fremd ist. Ihre Bedeutung erschöpft sich nicht im individuellen Grundrechtsschutz der Bürger:innen. Vielmehr kann auch sie als ein „spezifisches Rechtschutzmittel des objektiven Verfassungsrechts“ fungieren.23 Was der/die Einzelne über Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG repräsentativ für die demokratische Selbstbestimmung und den unantastbaren Kern des Grundgesetzes erstreiten kann,24 könnten die Verbände „im Kleinen“ über eine verfassungsrechtliche Verbandsbeschwerde für den Klima- und Umweltschutz.
20 BVerfG,
Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 136 (juris). unter B. II. 2. b) aa). 22 Dazu unter C. II. 2. a) aa) (2) und D. II. 4. a) cc). 23 BVerfG, Beschl. v. 28.06.1972, Az. 1 BvR 105/63, 1 BvR 275/68, Rn. 33 (juris); bestätigt durch Beschl. v. 07.06.1977, Az. 1 BvR 108/73 et al., Rn. 36 (juris); Klein, Zur objektiven Funktion der Verfassungsbeschwerde, DÖV 1982, 797 ff. 24 BVerfG, Urt. v. 12.10.1993, Az. 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, Rn. 61 (juris); Urt. v. 07.09.2011, Az. 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10, Rn. 102 ff. (juris); Urt. v. 30.07.2019, Az. 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, Rn. 115 ff. (juris); Urt. v. 05.05.2020, Az. 2 BvR 859/15 et al., Rn. 98 (juris). 21 Dazu
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz229
2. Materieller Klima- und Umweltschutz Ein geweitetes Prozessrecht ist ohne materiell-rechtlichen Klima- und Umweltschutz wenig wert. Es folgt eine Bestandsaufnahme der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen. a) Staatszielbestimmung Klima- und Umweltschutz Mit dem Änderungsgesetz vom 27. Oktober 1994 wurde mit Art. 20a GG eine Staatszielbestimmung eingefügt. Der Staat muss auf den Schutz der „natürlichen Lebensgrundlage“ zielen. Die Lebensgrundlage erstreckt sich auch auf den Umwelt-25 und Klimaschutz26. Art. 20a GG gibt nicht nur eine verfassungsrechtliche Zielsetzung vor, sondern vor allem eine Wertentscheidung zugunsten des Umwelt- und Klimaschutzes für alle drei Staatsgewalten.27 Art. 20a GG wirkt objektiv und nicht subjektiv, sodass sich keine subjektiv-öffentlichen Rechte aus ihm herleiten lassen.28 Objektiv-rechtliche Wirkung meint nicht, dass Art. 20a GG einer richterlichen Kontrolle entzogen ist,29 sondern dass diese nicht durch das bloße Berufen auf eine Verletzung von Art. 20a GG angestoßen werden kann: „Auf Art. 20a GG kann die Beschwerdebefugnis für eine Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar gestützt werden. […] Art. 20a GG enthält […] keine subjektiven Rechte. […] Vorschläge zur Aufnahme eines subjektiven Umweltgrundrechts in die Verfassung wurden wiederholt diskutiert (vgl. BTDrucks 10/990; BTDrucks 11/663). Mit der Verfassungsreform von 1994 hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber jedoch dagegen entschieden. So steht Art. 20a GG außerhalb des Grundrechtsteils der Verfassung. Auch in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, der die mit der Verfassungsbeschwerde als verletzt rügbaren Rechte aufzählt, wird Art. 20a GG
25 Murswiek, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), NVwZ 1996, 222 (224); Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 20a Rn. 36. 26 Schon vor dem Klimabeschluss erfasst, BVerfG, Beschl. v. 13.03.2007, Rn. 110 (juris); Urt. v. 05.11.2014, Az. 1 BvF 3/11, Rn. 47 (juris); BVerwG, Urt. v. 25.01.2006, Az. 8 C 13/05, Rn. 14 (juris); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20a Rn. 32. 27 Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 20a Rn. 18; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20a Rn. 1. 28 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.05.2001, Az. 1 BvR 481/01 u. 1 BvR 518/01, Rn. 18 (juris); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20a Rn. 24 m. w. N.; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 20a Rn. 33; BVerwG, Beschl. v. 13.04.1995, Az. 4 B 70//95, Rn. 8 (juris). 29 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 197, 205 ff. (juris): Das Gericht spricht davon, dass Art. 20a GG eine justiziable Norm ist, und meint damit nicht etwa die individualrechtliche Geltendmachung, sondern die „verfassungsgerichtliche Kontrolle“, vgl. Rn. 207.
230 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz nicht genannt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Norm dementsprechend wiederholt als Staatszielbestimmung bezeichnet.“30 (Hervorh. d. Verf.)
Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich nicht nur bewusst gegen die Subjektivität entschieden, sondern auch gegen die Formulierung „Lebensgrundlage des Menschen“.31 Dies überrascht, wagt er es doch, sich ein Stück weit zu entfernen von der Anthropozentrik des Grundgesetzes. Er wies der Umwelt einen von der Justiziabilität gelösten und eigenständigen, objektiv-rechtlichen Schutz zu.32 Durch Art. 20a GG werden damit Umweltgüter eigenständige und verfassungsrechtliche Schutzgüter.33 Das Umweltschutzprinzip fügt sich so in Verbindung mit dem Rechtsstaatgebot ein in einen Pflichten- und Abwägungsrahmen, bestehend aus dem Schutz der körper lichen Unversehrtheit, der (ggfs. möglichen) Gewährleistung eines „ökologischen Existenzminimums“34 aus Art. 1 Abs. 1 GG und dem Eigentumsschutz aus Art. 14 GG.35 Art. 20a GG schafft dabei eine umweltschützende Leitlinie für (zukünftiges) staatliches Tätigwerden, die insbesondere im Falle von Gefährdungslagen den Staat zu umweltschützenden Auslegungen, Abwägungen oder Handlungen zwingt.36 Mit dieser dennoch großen Reichweite bleibt die Umweltschutzbestimmung des Art. 20a GG ein „permanenter Konkre tisierungsauftrag“37 an alle drei Gewalten. Den Konkretisierungsauftrag hat der Gesetzgeber mit Blick auf das Klimaziel des Art. 20a GG38 durch das KSG dahingehend bestimmt, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem 30 Ebd.,
Rn. 112 (juris). dazu Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/ 6000, S. 65 ff. 32 Murswiek, Staatsziel Umweltschutz (Art. 20a GG), NVwZ 1996, 222 (224); vgl. dazu auch Gärditz, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, GG Art. 20a Rn. 8 ff. 33 Vgl. Voßkuhle, Umweltschutz und Grundgesetz, NVwZ 2013, 1 (4); Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 60; Schutzgüter sind aber von Eigenrechten abzugrenzen, vgl. dazu Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20a Rn. 29 ff. 34 Dazu unter c). 35 Kloepfer/Durner (2020), Umweltschutzrecht, § 2 Rn. 3; Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 60; dazu auch BVerfG, Urt. v. 16.03.2004, Az. 1 BvR 1778/01, Rn. 85 ff. (juris); Urt. v. 12.10.2010, Az. 2 BvF 1/07, Rn. 71, 83 f. (juris); Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 198 (juris). 36 BVerfG, Urt. v. 13.03.2007, Az. 1 BvF 1/05, Rn. 110 (juris); vgl. auch Kluth, in: Kluth/Smeddinck (Hrsg.), Umweltrecht (2020), § 1 Rn. 60. 37 Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 20a Rn. 35. 38 So eindeutig das BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20, Rn. 197 (juris): „Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz“. 31 Vgl.
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz231
vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist.39 Als konkretisiertes Endprodukt schuf das BVerfG aus Art. 20a GG das „verfassungsrechtliche Klima schutzgebot“.40 Auf Grundlage dessen können staatliche Organe vor allem Klimaschutzmaßnahmen nicht mit der Begründung unterlassen, dass diese allein den Klimawandel nicht stoppen könnten.41 Nationaler Klimaschutz darf keine Anreize setzen, das transnationale Zusammenwirken zu unterlaufen.42 Als Schlüssel zur Effektivität sieht das Gericht die Schaffung und den Erhalt von Vertrauen. Vertrauen in die Erfüllungsbereitschaft der Vertragsstaaten.43 Dem ist zuzustimmen, da die Reziprozität wesentliche Voraussetzung effektiver Völkerrechtsverträge und ihrer Umsetzungen ist.44 Neben einem nationalen Klimaschutz verlangt Art. 20a GG wegen seines weitreichenden Telos und in völkerrechtskonformer Auslegung ebenfalls einen extraterritorialen Umwelt- und Klimaschutz.45 Das Klimaschutzgebot verpflichtet den Staat also zu international ausgerichtetem Handeln. Insbesondere die Bundesregierung hat im Rahmen internationaler Abstimmung auf effektiven Klimaschutz hinzuwirken.46 Das BVerfG betont nachdrücklich, dass Vereinbarungen (z. B. Völkerrechtsverträge) alleine nicht genügen, sondern dass das Klimaschutzgebot zur Umsetzung vereinbarter Lösungen zwingt.47 Diese Umsetzung wird allerdings nicht mithilfe der klagenden Zivilgesellschaft erfolgen. Selbstständig justiziabel ist und bleibt Art. 20a GG nämlich nicht. Art. 20a GG konkretisiert im Klimaschutz bloß das Ziel und verstärkt die Legitimation nationaler Klimapolitik.48 Mit der gestärkten Legitimation im Gepäck bleibt dem Staat und insbesondere der Gesetzgebung als primärem Adressaten von Art. 20a GG49 bei der Zielerreichung weiterhin ein weiter,
39 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 120, 197, 208 (juris). 40 Ebd., Rn. 117, 167, 198 (juris). 41 Ebd., Rn. 202 f. (juris). 42 Ebd., Rn. 203 (juris). 43 Ebd., Rn. 204 (juris). 44 Markus, Die Problemwirksamkeit des internationalen Klimaschutzrechts, ZaöRV 2016, 715 (722); so schon Simma (1973), Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge. 45 Vgl. dazu m. w. N. Markus, Verfassungsrechtliche Gebote zum extraterritorialen Klima- und Umweltschutz, ZUR 2021, 595 (597 f.); Krohn, Die internationale Dimension der Staatszielbestimmung, ZUR 2021, 603 (606 ff.). 46 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 197 f., 201 (juris). 47 Ebd., Rn. 201 (juris). 48 Vgl. Markus, Verfassungsrechtliche Gebote zum extraterritorialen Klima- und Umweltschutz, ZUR 2021, 595 (602). 49 BVerwG, Beschl. v. 13.04.1995, Az. 4 B 70//95, Rn. 8 (juris).
232 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
wenn auch konkretisierter, Gestaltungsspielraum.50 Obgleich die intertemporale Freiheitssicherung durch das KSG a. F. verletzt wurde, verletzt die Ausübung dieses Gestaltungsspielraums erst dann die staatlichen Schutzpflichten, wenn klima- oder umweltschützende Schutzvorkehrungen „entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.“51 Erst und nur dann sind klimabezogene Schutzpflichten (z. B. aus Art. 2 Abs. 2 oder Art. 14 GG) für die Bürger:innen erfolgreich justiziabel. Im Klimabeschluss waren sie es nicht, da das nationale Klimaschutzinstrumentarium nach Einschätzung des Gerichts noch so fortentwickelt werden könnte, dass das für 2030 geregelte Minderungsziel eingehalten werden.52 Durch die Bestätigung der bloßen Evidenzkontrolle bleiben Schutzpflichten damit trotz des verfassungsrechtlichen Klimaschutzgebots ein zahnloser Tiger im Bereich des Klima- und Umweltschutzes.53 Da hilft auch kein aufgewerteter Art. 20a GG. b) Möglichkeiten und Grenzen der Generationengerechtigkeit Die Staatszielbestimmung hinsichtlich des Umweltschutzes ist nicht zuletzt durch den Wortlaut („auch in Verantwortung für die künftigen Genera tionen“) untrennbar mit einer Generationenverantwortung und -gerechtigkeit verbunden. Auch der Telos des Art. 20a GG zielt in Gestalt des Nachhaltigkeitsprinzips ab auf eine generationengerechte Umweltnutzung. Als inhärenter Teil der Staatszielbestimmung soll im Rahmen der staatlichen umweltschützenden Orientierung immer auch die künftige Entwicklung mitberücksichtigt werden.54 Die anfangs der Umweltethik und Philosophie zugeschriebene Frage nach einer Verantwortung für die Nachwelt wurde unter anderem durch verbreitertes Wissen und Bewusstsein hinsichtlich des 50 BVerfG, Urt. v. 13.03.2007, Az. 1 BvF 1/05, Rn. 110 (juris); Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 20a Rn. 18 m. w. N.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2015, Art. 20a Rn. 71 m. w. N.; Voßkuhle, Umweltschutz und Grundgesetz, NVwZ 2013, 1 (4); das BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 208 (juris) spricht von „Konkretisierungsprärogative“. 51 StRspr, vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 152 (juris). 52 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 170 (juris). 53 Damit bleibt es dabei, dass das BVerfG im Umweltrecht noch nie eine Schutzpflichtverletzung angenommen hat, Voßkuhle, Umweltschutz und Grundgesetz, NVwZ 2013, 1 m. w. N.; Groß, Die Ableitung von Klimaschutzmaßnahmen aus grundrechtlichen Schutzpflichten, NVwZ 2020, 337 (338). 54 Sommermann, in: von Münch/Kunig, GG, 7. Aufl. 2021, Art. 20a Rn. 28.
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz233
menschlichen Ressourcenverbrauchs zunehmend staatsrechtlicher.55 Verantwortung meint im Kontext des Art. 20a GG nicht etwa die demokratische Verantwortung aus Art. 20 Abs. 2 GG, sondern eine inhaltliche Zukunfts- und Langzeitverantwortung des Staates.56 Diese Verantwortung soll insbesondere den Personengruppen zugute kommen, deren Interessen gegenwärtig zum Beispiel durch fehlende Teilhabemöglichkeiten (Wahlrecht) an politischer Legitimation nicht repräsentiert werden.57 Den fehlenden Repräsenta tionsmöglichkeiten auf politischer Ebene stehen die möglichen Beschwerdebefugnisse von Minderjährigen auf rechtlicher Ebene entgegen. Ungeborene Generationen sind indes nicht etwa im Wege einer Prozessstandschaft beschwerdebefugt.58 In diesem Sinne erging auch der Klimabeschluss. Das BVerfG reagierte auf die derartige Repräsentationsdefizite aber, da „[i]n Art. 20a GG […] der Umweltschutz zur Angelegenheit der Verfassung gemacht [ist], weil ein demokratischer politischer Prozess über Wahlperioden kurzfristiger organisiert ist, damit aber strukturell Gefahr läuft, schwerfälliger auf langfristig zu verfolgende ökologische Belange zu reagieren und weil die besonders betroffenen künftigen Generationen heute naturgemäß keine eigene Stimme im politischen Willensbildungsprozess haben.“59 (Hervorh. d. Verf.)
Es besteht deswegen eine Schutzpflicht des Staates auch in Bezug auf künftige Generationen.60 Damit bestätigt das Gericht seine Rechtsprechung zu Schwangerschaftsabbrüchen, wonach das Grundgesetz auch ungeborenes Leben schützt.61 Dennoch nimmt die Generationsverantwortung auch nach dem Klimabeschluss (lediglich) die Rolle eines Interpretationsaspektes bei zum Beispiel Abwägungsentscheidungen ein. Die intergenerationelle Schutzpflicht, betont das Gericht, ist allein „objektivrechtlicher Natur, weil künftige Generationen weder in ihrer Gesamtheit noch als Summe der einzelnen erst künftig lebenden Menschen aktuell grundrechtsfähig sind“.62 Eigenständig justiziabel ist sie damit also auch weiterhin nicht. Mit Blick auf die intergenerationelle Justiziabilität kann die Generationengerechtigkeit allerdings nicht isoliert betrachtet werden. Die intertemporale Aufladung ist ein bedeutender Gewinn 55 Vgl. dazu Sommermann (1997), Staatsziele und Staatszielbestimmungen, S. 186 ff. 56 Ebd., S. 189 ff.; Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 121; Gärditz, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, GG Art. 20a Rn. 12 f. 57 Gärditz, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 96. EL September 2021, GG Art. 20a Rn. 13. 58 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 109 (juris). 59 Ebd., Rn. 206 (juris). 60 Ebd., Rn. 146, 148 (juris). 61 BVerfG, Urt. v. 28.05.1993, Az. 2 BvF 2/90 et al., Rn. 157 (juris). 62 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 146 (juris).
234 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
in der Rechtsprechung des BVerfG. Noch in der „Kalkar I“-Rechtsprechung betonte das Gericht, dass eine zukünftige und mit Ungewissheiten belastete Situation in der politischen und nicht gerichtlichen Verantwortung liege.63 Wenn auch die Generationengerechtigkeit (richter-)rechtlich gestärkt und teilweise als faktisch subjektiv-rechtlich begründet angesehen wird64, ist sie weiterhin nicht selbstständig justiziabel. Vielmehr ist sie eine, wenn auch wesentliche, Nebenfolge der intertemporalen Freiheitssicherung. Um die Generationengerechtigkeit legislativ zu betonen, legten im Jahr 2006 zahlreiche Abgeordnete einen Gesetzesentwurf zur Verankerung der Generationengerechtigkeit im Grundgesetz vor.65 Durch einen neu einzuführenden Art. 20b GG sollte das Prinzip der Nachhaltigkeit und die Interessen künftiger Generationen in staatlichem Handeln beachtet werden. Ähnliches wurde für die Fiskalpolitik in Art. 109 Abs. 2 GG gefordert. Die 105 Abgeordneten erkannten bezeichnend, dass „[p]olitischen Entscheidungen […] ein Strukturproblem inne[wohnt], nämlich eine Tendenz zur Bevorzugung der Gegenwart und zur Vernachlässigung der Zukunft.“66 Es blieb jedoch bei einer Anhörung im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung und einer Beratung im Bundestag,67 bis das Vorhaben mangels Konsens nicht weiterverfolgt wurde.68 Auch die Diskussionen im Parlamentarischen Beitrat zum Thema „Nachhaltigkeit im Grundgesetz?“ kamen nicht hinaus über eine Empfehlung, das Staatsziel Nachhaltigkeit in das Grundgesetz einzugliedern.69 Auch nach den Vorschlägen zur Verankerung der „Kindergrundrechte“ würde zwar im Wortlaut eines geänderten Art. 6 Abs. 2 GG keine ausdrück liche Regelung hinsichtlich einer intergenerationellen Verantwortung getroffen, immerhin soll so aber nach der Entwurfsbegründung wenigstens der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und den 17 SDGs Rechnung getragen werden.70 Ähnlich benennt der Koalitionsvertrag die 17 SDGs als Richtschnur der Politik. Die Regierungsparteien wollen die Verbindlichkeit von Nachhaltigkeitsstrategien, -zielen und -programmen im gubernativen und le-
63 BVerfG,
Beschl. v. 08.08.1978, Az. 2 BvL 8/77, Rn. 96 f. (juris). Intertemporaler Freiheitsschutz, ZUR 2021, 579 (581). 65 BT-Drs. 16/3399; für die Nachhaltigkeit im Grundgesetz ausführlich: Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung (2018), S. 7 ff. 66 BT-Drs. 16/3399, S. 2. 67 BT-Plenarprotokoll 16/118, S. 12236 ff. 68 So auch Kahl, „Soziale Gerechtigkeit“ oder Generationengerechtigkeit, ZRP 2014, 17. 69 Bundestag, Pressemitteilung v. 09.06.2016; vgl. auch Statement von Papier, Ausschuss-Drs. 18(23)80-2-A. 70 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes zur ausdrücklichen Verankerung der Kinderrechte v. 20.01.2021. 64 Ekardt/Heß,
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz235
gislativen Handeln erhöhen.71 Im status quo verbleibt die Generationengerechtigkeit dennoch in einem deutlich gestärkten, aber isoliert nicht justiziablen Anwendungsbereich. c) Möglichkeiten und Grenzen eines Umwelt- und Klimagrundrechts Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes (1949) gab es verschiedene Diskussionen, umwelt- und klimaschützende Belange verfassungsrechtlich zu stärken und bloße Umweltschutzprinzipien und -zielbestimmungen in ein „echtes“ Umweltgrundrecht zu wandeln.72 Das Verlangen nach einer verfassungsrechtlichen Verankerung konkretisierte sich in den 1980er-Jahren durch mehrere Gesetzesentwürfe der Fraktion Die Grünen.73 Diese blieben allesamt erfolglos. Damals wie heute erscheinen die Praktikabilität und die Vereinbarkeit mit der unvermeidbaren verfassungsrechtlichen Abstraktionshöhe pro blematisch.74 Konkrete Werte für Luft, Wasser, oder Lärm sind vielmehr einfachgesetzlich zu normieren.75 Wann wäre eine Luftverschmutzung, eine Wasserverunreinigung oder eine Lärmbelästigung mit der Verfassung nicht mehr vereinbar? Darauf abstrakt-generell, verfassungsrechtlich zu antworten, ist nicht möglich. Eine rein objektiv-rechtlicher Schutzgehalt wäre überdies der Verfassung nicht nur fremd, sondern würde zu einem konturenlosen Schutzbereich des Umweltgrundrechts führen.76 Ein auf bestimmte Umweltmedien konkretisiertes Grundrecht würde wiederum zu einer asymmetrischen Priorisierung führen und nicht erfasste Medien vernachlässigen.77 Vorab müsste die Frage beantwortet werden, wann den Bürger:innen eigene Rechte an Umweltmedien eingeräumt werden könnten.78 Wird dafür ein Konnex zu einem bestehenden Grundrechtsgehalt gefordert, wird ein eigenständiges Umweltgrundrecht überflüssig. Bereits die Grundrechte auf 71 Koalitionsvertrag
(2021), S. 36, vgl. auch S. 55. zusammenfassend Bock (1990), Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 53 ff.; Kloepfer (1978), Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 9 ff. m. w. N. 73 BT-Drs. 10/990 als Art. 37a GG; BT-Drs. 11/604 als Art. 2a GG; BT-Drs. 11/663 durch verschiedene Änderungen in bestehenden Artikel, z. B. in Art. 2, Art. 14 und Art. 20 GG. 74 Schlacke (2021), Umweltrecht, § 4 Rn. 9. 75 Ebd. 76 Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 413. 77 Vgl. Gärditz, Die Entwicklungen des Umweltrechts in den Jahren 2016–2018, ZfU 2019, 369 (376 f.). 78 Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 413; Kloepfer (1978), Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 16 f. 72 Vgl.
236 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
Gesundheit und Eigentum gewährleisten materiellen Umweltschutz.79 Das BVerfG verdeutlichte, dass sich aus dem Gesundheitsgrundrecht der „Schutz vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen“80 und die „Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schüt zen“81, herleiten lässt. Ähnlich bestätigte das BVerwG bereits im Jahr 1977, dass ein etwaiges Grundrecht mit Umweltbezug nicht weiterginge als der subjektiv-rechtliche Schutz des Grundgesetzes, konkret aus den Artt. 2 ff. GG.82 Für die Verletzung dieser mit Umwelt- und Klimaschutz aufgeladenen Grundrechte ist also weiterhin der individuelle Grundrechtsgehalt maßgebend. Die fehlende Durchschlagkraft bleibt. Schuld ist die Evidenzkontrolle (dazu unter a)). Auch die Wege über die Leistungs- und Abwehrechte scheitern. Mangels staatlicher Dispositionsmöglichkeiten über die Umweltgüter scheidet ein leistungsrechtliches Umweltgrundrecht aus.83 Ebenso wenig ermöglicht die abwehrrechtliche Funktion der Grundrechte dem Umweltund Klimaschutz eine effektivere Justiziabilität. Die Abwehrfunktion greift nur bei staatlichen oder staatlich zurechenbaren Umweltbelastungen, sodass der Großteil der Beeinträchtigungen durch private Emissionen84 nicht erfasst wären.85 Vollzugsdefizite des einfachen Rechts lassen sich damit nicht ohne weiteres durch die grün gefärbten Grundrechte beheben.86 Um diesen Schutz defiziten zu begegnen, spricht sich Christian Calliess für ein prozedurales Umweltgrundrecht aus. Unter Rekurs auf gemeinschaftsrechtliche Impulse formuliert er einen neuen Art. 2 Abs. 3 GG wie folgt: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt, sowie deren Erhaltung und Schutz. Dieses wird durch Rechte auf Information, Beteiligung im Verwaltungsverfahren und effektiven Zugang zum Gericht gewährleistet.“87 79 Dazu ausführlich Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 298 ff. und 410 ff. 80 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 99, 147 (juris). 81 Ebd., Rn. 148 (juris) m. w. N. 82 BVerwG, Urt. v. 29.08.1977, Az. IV C 51/75, Leits. 5, Rn. 30 (juris). 83 Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 415. 84 So gehen etwa 71 % der globalen Treibhausgase von 100 privatrechtlichen Unternehmen aus, Griffin, The Carbon Majors Database, CDP Majors Report 2017, S. 14; einen staatlichen Eingriff bei privater Luftverschmutzung ablehnend BVerfG, Beschl. v. 15.03.2018, Az. 2 BvR 1371/13, Rn. 29 ff. (juris). 85 Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 414 m. w. N.; vgl. auch Kahl, Klimaschutz und Grundrechte, Jura 2021, 117 (118 f.). 86 Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 412. 87 Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (328); ähnlich schon in Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 416.
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz237
Damit könnten Umwelt- und Klimaschutz auch ohne eine Verletzung des Gesundheits- oder Eigentumsschutzes selbstständig eingeklagt werden, soweit Vollzugsdefizite bestehen. Der Schutzgehalt dieses Grundrechts läge nicht nur im genuin Persönlichen, sondern vielmehr in der Funktionalität des Rechts.88 Es wäre kein ökozentrisches Grundrecht in die Verfassung auf genommen, sondern vielmehr ein Grundrecht auf effektive Umsetzung von Umwelt- und Klimaschutz. d) Möglichkeiten und Grenzen eines Grundrechts auf ein ökologisches Existenzminium Die Diskussion zum Umweltgrundrecht schneidet den Streit um die Anerkennung eines „Grundrechts auf ein ökologisches Existenzminimum“.89 Dogmatisch wird es durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG90, durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 20a GG91 oder schlichtweg durch Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20a GG92 begründet. Das BVerfG hat die Frage nach Anerkennung im Klimabeschluss nicht endgültig entschieden.93 Neben den Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG könnte wohl aber „eine ökologische Existenzsicherung eigenständige Wirkung entfalten, wenn in einer bis zur Lebensfeindlichkeit veränderten Umwelt durch Anpassungsmaßnahmen […] zwar noch Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum, nicht aber die sonstigen Voraussetzungen sozialen, kulturellen und politischen Lebens gesichert werden könnten.“94
Was das BVerfG mit einer bis zur Lebensfeindlichkeit veränderten Umwelt meint, ist unklar. Aus der Literatur könnte darunter der Schutz der grundlegenden natürlichen Umweltmedien (Luft, Wasser, Boden) in einem für die Existenz notwendigen Maße gefasst werden. Konkret müsste der Staat also zumindest atembare Luft, trinkbares Wasser sowie essbare Lebensmittel sichern.95 Durch die Verankerung in Art. 1 Abs. 1 GG müsste dabei nicht nur ein lebens88 Diese erwiese sich als Parallele zu der europäischen Mobilisierung im Rahmen der subjektiven Rechte, dazu unter D. II. 4. a) cc). 89 Grundlegend Rupp, Die verfassungsrechtliche Seite des Umweltschutzes, JZ 1971, 401 (402 ff.). 90 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 114 (juris) m. w. N. 91 Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (328); vgl. auch Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 300. 92 Buser, Ein Grundrecht auf Klimaschutz?, DVBl 2020, 1389 (1391). 93 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 113 f. (juris). 94 Ebd., Rn. 114 (juris). 95 Bock (1990), Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 119 ff.; Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 300.
238 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
fähiger, sondern ein lebenswürdiger Zustand der Umwelt gewahrt werden. Es genügte also nicht, wenn der Mensch nur unter enormen Anpassungsmaßnahmen, beispielsweise unter einer Glaskuppel überleben könnte, da er sich sonst zum „Objekt der technisch-industriellen Welt machen würde.“96 Das Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminium würde insoweit das Untermaßverbot97 nationaler Schutzpflichten im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes beschreiben.98 Ein Untermaß, das erst vor einer bis zur Lebensfeindlichkeit veränderten Umweltschutz schützt, käme im Klimaschutz allerdings zu spät. Ein ökologisches Existenzminimum muss früher ansetzen. Hierfür bedarf es konkrete Belastungsschwellen, die den Klima- und Umweltschutz zur Frage der Menschenwürde machen. Ähnlich wie beim Umweltgrundrecht würden diese Schwellen fehlen, da sie sich aus der Verfassung nicht herleiten ließen.99 Diesem Einwand ist mit den gewachsenen und gefestigten Erkenntnissen der Klimawissenschaften zu begegnen. Die klimatischen Kippelemente100, die planetaren Grenzen, sind jene wissenschaftlich fundierten Belastungsschwellen.101 So definierte auch die Bundesregierung die planetaren Grenzen als „absolute Leitplanken“ für politische Entscheidungen.102 Planetar begrenzt ist auch das Maximum akzeptabler Erderwärmung. Rechtlich fixiert durch das Pariser Klimaabkommens103 auf maximal 2 °C beziehungsweise 1,5 °C ebenso durch das korrespondierende EU-Reduktionsziel von 55 % bis 2030 und die Klimaneutralität bis 2050.104 Werden diese Grenzen überschritten, treten irreversible Prozesse ein. Dies verlagert den Zeitpunkt, wann das korrigierte ökologische Existenzminium berührt wird, nach vorne und macht primär nicht die Adaption, sondern die Miti gation des Sich-Annähern an die planetaren Grenzen erforderlich.105 Höchstrichterlich ist anerkannt, dass für Umweltbelastungen, die eine Vielzahl von 96 Steiger (1975), Mensch und Umwelt, S. 35; Buser, Ein Grundrecht auf Klimaschutz?, DVBl 2020, 1389 (1391). 97 Zum Untermaßverbot BVerfG, Urt. v. 28.05.1993, Az. 2 BvF 2/90 et al., Rn. 166 (juris). 98 Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (331). 99 Voßkuhle, Umweltschutz und Grundgesetz, NVwZ 2013, 1 (6) m. w. N. 100 Dazu grundlegend Lenton et al., Tipping elements in the Earth’s climate system, PNAS 106 (6) 2008, 1786 ff.; vgl. auch SRU (2019), Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen, Sondergutachten, S. 39 f. Rn. 43 ff. m. w. N. 101 Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (329 f.). 102 Nachhaltigkeitsstrategie 2016, S. 12. 103 SRU (2019), Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen, Sondergutachten, S. 39 ff. Rn. 44 f. m. w. N.; Kahl, Klimaschutz und Grundrechte, Jura 2021, 117 (126); Calliess, „Versubjektivierung“ des Art. 20a GG?, ZUR 2021, 355 (357); Frenz, in: Frenz, Gesamtkommentar Klimaschutzrecht, 2021, Einf. E. Rn. 6. 104 Frenz, Klimagrundrecht, DÖV 2021, 715 (724). 105 Vgl. Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 300.
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz239
Grundrechtsträger:innen gefährden, eine im Vorfeld anerkannte Realisierungstendenz genügt, um Schutzpflichten des Staates zu begründen.106 Abhängig vom Rang der betroffenen Grundrechte, der Art, der Nähe und des Ausmaßes einer möglichen Gefahr ist zudem eine „entfernte Wahrscheinlichkeit“ des Eintritts ausreichend.107 Wenn sich Gefahren wie etwa Naturgewalten nur mit staatlicher Hilfe abwehren lassen, entstehen ebenfalls Schutzpflichten.108 Der Staat muss sich „schützend und fördernd“ vor die Grundrechte stellen.109 Ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum setzt daher ein justiziables Handlungskonzept voraus, das den Abstand zu den irreversiblen Kipppunkten wahrt und die Belastbarkeit des Erdsystems durch langfristige, kohärente und rechtsverbindliche Schutzkonzepte schont.110 Damit muss nationaler Klimaschutz einen „Sicherheitsabstand“ zu klimatischen Kipppunkten wahren, was nichts anders als ein effektiv umgesetztes Vorsorgeprinzip meint.111 Begrüßenswerter wäre also gewesen, hätte das BVerfG das Untermaß nicht derart restriktiv angelegt, sondern das Recht auf ein ökologisches Existenzminimum mit der Vorsorge vor einem Überschreiten der planetaren Grenzen gefüllt.112 Was würde das also für die Justiziabilität bedeuten? Verkürzt gesagt, wäre das Recht auf ein ökologisches Existenzminium nicht erst kurz vor der Apokalypse aktiviert. Es wäre dann berührt, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit die Kipppunkte überschritten werden. Nicht die Klagenden wären dabei beweisbelastet, sondern der Staat, da das Vorsorgeprinzip eine Beweislastumkehr statuiert.113 Das BVerfG teilt dem ökologischen Existenzminimum indes 106 BVerfG,
Beschl. v. 18.02.2010, Az. 2 BvR 2502/08, Rn. 12 (juris). Beschl. v. 08.08.1978, Az. 2 BvL 8/77, Rn. 117 f. (juris). 108 BVerfG, Urt. v. 04.09.2008, Az. 2 BvR 1720/03, Rn. 36 (juris). 109 BVerfG, Urt. v. 15.02.1975, Az. 1 BvF 1/74, Rn. 153 (juris); vgl. auch Bock (1990), Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 118 m. w. N. 110 Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (331); dazu ausführlich SRU (2019), Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen, Sondergutachten, S. 163 ff. 111 Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (330); vgl. auch SRU (2019), Demokratisch regieren in ökologischen Grenzen, Sondergutachten, S. 15, 75 ff. Rn. 149 ff.; für methodisch verfehlt hält es Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 21 f., der das Annähern an die Kippunkte eher als völlig unzulängliches Staatshandeln begreift, das allerdings nur zu einer höheren Begründungslast der Regierung führe. 112 Calliess, „Versubjektivierung“ des Art. 20a GG?, ZUR 2021, 355 (357); Kahl, Klimaschutz und Grundrechte, Jura 2021, 117 (126, 129); Buser, Ein Grundrecht auf Klimaschutz?, DVBl 2020, 1389 (1392). 113 Dazu Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 228 ff., insbes. 232; Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (330 ff.). 107 BVerfG,
240 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
einen Schutzgehalt zu, der weniger auf Vorsorge und mehr auf Abwehr von drastischen Zuständen gerichtet ist. Die Irreversibilität wird dabei nicht einberechnet. Das führt dazu, dass das Existenzminimum im Klimaschutz erst dann greifen wird, wenn es keine wirksamen Rechtsfolgen mehr erzeugen kann. Aber auch auf tatsächlicher Ebene überzeugt das BVerfG nicht. Wenngleich derart drastisch gezeichnete Zustände im deutschen status quo (noch) nicht bevorstehen, sind sie in Küstenstaaten, wie Bangladesch, schon jetzt realistische Gefahren. Für das Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminium bedeutet dies, dass es für die Justiziabilität ausländischer Betroffener nicht so weit entfernt ist, wie es das BVerfG anzunehmen scheint. Mit einem vorsorgenden Existenzminimum hätte das Gericht nicht nur die faktische Betroffenheit ausländischer Kläger:innen ernster genommen, sondern auch die weite Evidenzkontrolle durch die Vertretbarkeitskontrolle ersetzen können.114 Angesichts der massiven Gefährdungslage, die sich durch das Annähern an die Kipppunkte ergibt, und der begrenzten globalen Möglichkeiten wäre der strengere Kontrollmaßstab der Vertretbarkeitskontrolle gerechtfertigt gewesen.115 Das Gericht hätte prüfen können, ob sich der Gesetzgeber an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials orientiert hat. Der Gesetzgeber hätte dabei alle zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben müssen, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen das Verfassungsrecht zu vermeiden.116 Mit Blick auf die planetaren Grenzen im ökologischen Existenzminimum wäre das Ergebnis der Klagen dasselbe. Der Gesetzgeber hat unzureichende Regelungen eines prospektiven Klimaschutzes getroffen. Durch das vorsorgende ökologische Existenzminimum wären aber nicht nur dogmatische Unreinheiten (dazu sogleich) behoben, sondern die Prüfung über die bloße Suche nach evidenten Fehlern des Staates hinaus ausgeweitet worden. Zudem hätte sich das BVerfG die Frage, wie weit die Lebensgrundlage aus Art. 20a GG auch die ausschließlich im Ausland liegenden Zustände erfasst117, endgültig klären können. 114 Vgl. dazu Buser, Ein Grundrecht auf Klimaschutz?, DVBl 2020, 1389 (1394 f.); Kahl, Klimaschutz und Grundrechte, Jura 2021, 117 (127); Calliess, „Versubjektivierung“ des Art. 20a GG?, ZUR 2021, 355 (356 f.); im Ergebnis auch Faßbender, Der Klima-Beschluss des BVerfG, NJW 2021, 2085 (2088 f.). 115 Buser, Ein Grundrecht auf Klimaschutz?, DVBl 2020, 1389 (1394 f.); für die Kontrollmaßstäbe: BVerfG, Urt. v. 26.02.2020, Az. 2 BvR 2347/15 et al., Rn. 237 (juris); Urt. v. 01.03.1979, Az. 1 BvR 532/77 et al., Orientierungs. 10, Rn. 110 (juris) jeweils m. w. N. 116 BVerfG, Urt. v. 01.03.1979, Az. 1 BvR 532/77 et al., Rn. 113 (juris); vgl. auch Buser, Ein Grundrecht auf Klimaschutz?, DVBl 2020, 1389 (1395). 117 Danach fragend Krohn, Die internationale Dimension der Staatszielbestimmung, ZUR 2021, 603 (610); vgl. auch Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2016), Klimaschutz im Grundgesetz, S. 4 f.
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz241
e) Möglichkeiten und Grenzen der intertemporale Freiheitssicherung Ein Grundrecht auf Umweltschutz, Klimaschutz oder Generationengerechtigkeit gibt es also auch nach dem Klimabeschluss nicht. Durch das Festhalten an der Evidenzkontrolle blieb eine „Ökologisierung“ der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik aus.118 Die Minderungsziele des KSG bis 2030 waren nicht verfassungswidrig.119 Der fehlende Reduktionspfad nach 2030 hingegen schon, indem er die Beschwerdeführenden in dem Anspruch auf intertemporale Freiheitssicherung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20a GG verletzt.120 Das Grundgesetz lässt die „tatenlose Hinnahme eines ad infinitum fortschreitenden Klimawandels durch den Staat“ nicht zu.121 Intertemporale Freiheitssicherung gewährt den Bürger:innen ein Recht auf gleichmäßige Emissionsreduzierung. Fehlt diese, greift der Staat in Form der eingriffsähnlichen Vorwirkung in das Freiheitsrecht ein.122 In dessen Schutzbereich koordiniert123 und kombiniert das Gericht nun die grundrechtliche Abwehr- mit der Schutzpflicht.124 Bindeglied ist hierfür die Intertemporalität. Das Freiheitsrecht beinhaltet Schutzpflichten zur prospektiven Abwehr vor Freiheitseinbußen. Hierfür wird dann aber nicht die Evidenzkontrolle als Maßstab zugrunde gelegt, da sie nicht bei der Prüfung greift, „ob ein Unterlassen gegenwärtiger Maßnahmen aufgrund daraus resultierender zukünftiger Freiheitsbeschränkungen staatliche (Schutz-)Pflichten auslöst“.125 Das Gericht schafft sich einen Maßstab sui generis. Das Gericht betont nachdrücklich, dass Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zulassen, eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit begründen, weil dadurch „das verfassungsrechtlich vorgezeichnete Restbudget irreversibel verkleinert und CO2-relevanter Freiheitsgebrauch stärkeren, verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt sein wird.“126 Dieses ungewisse127 Restbudget des Sachverständigenrats für Umweltfragen, das die IPCC-Berechnungen für Deutschland operationalisiert, wird zunächst nicht durch die Verfassung vorKlimaschutz und Grundrechte, Jura 2021, 117 (129). Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 236 (juris). 120 Ebd., Rn. 192, dazu auch Rn. 243 ff. und 266 (juris). 121 Ebd., Rn. 118 (juris). 122 Ebd., Rn. 183, 184, 189 (juris). 123 Schlacke, Ein Grundrecht auf intertemporale Freiheitssicherung, NVwZ 2021, 912 (914 f.). 124 Calliess, „Versubjektivierung“ des Art. 20a GG?, ZUR 2021, 355 (357) spricht von einer Umdeutung der Schutzpflicht in ein Abwehrrecht. 125 Schlacke, Ein Grundrecht auf intertemporale Freiheitssicherung, NVwZ 2021, 912 (915). 126 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 186 (juris). 127 Ebd., Rn. 231 (juris). 118 Kahl,
119 BVerfG,
242 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
gezeichnet, sondern durch das Pariser Klimaschutzabkommen. Dessen Temperaturschwellen werden nun über Art. 20a GG durch § 1 Satz 3 KSG verfassungsrechtlich konkretisiert und justiziabler Bewertungsmaßstab.128 Mithilfe der quantifizierten Temperaturschwellen kann das Restbudget – wenn auch mit Ungewissheiten – definiert und Klimapolitik gemessen werden.129 Dabei fungiert das Restbudget des Sachverständigenrats für Umweltfragen aber nicht als verfassungsrechtlicher Kontrollmaßstab, sondern als Orien tierungshilfe. So sind die Unsicherheiten über globale und nationale Emis sionsmöglichkeiten zu groß, „als dass die vom Sachverständigenrat ermittelte Budgetgröße ein zahlengenaues Maß für die verfassungsrechtliche Kontrolle bieten könnte.“130 Art. 20a GG bestimmt dennoch einen vorgezeichneten „Emissionsrahmen“131 und das „Maß des Zumutbaren“ von Freiheitseinbußen.132 Innerhalb dieses Rahmens muss der Gesetzgeber dabei Grundrechte zumutbar und schonend ausgleichen. Das relative Gewicht des Klimaschutzgebots nimmt dabei mit fortschreitendem Klimawandel stetig zu.133 Umgekehrt nimmt das relative Gewicht einer nicht klimaneutralen Freiheitsbetätigung in der Abwägung ab.134 Um beide Freiheiten möglichst schonend auszugleichen, ist der Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten.135 Der Gesetzgeber verletzt bei ungleichmäßiger Reduktion dann „die sich aus dem Gebot der Verhältnismäßigkeit ergebende Pflicht des Gesetzgebers, die nach Art. 20a GG verfassungsrechtlich notwendigen Reduktionen von CO2Emissionen bis hin zur Klimaneutralität vorausschauend in grundrechtsschonender Weise über die Zeit zu verteilen.“136 Das BVerfG kalibriert das Berücksichtigungsgebot aus § 13 KSG damit eindeutig auf prospektiven Klimaschutz, wenn auch Klima- und Umweltpolitik stets verhältnismäßig sein muss. Der Gesetzgeber hat für den Ausgleich der multipolaren Rechtsverhältnisse weiterhin einen Gestaltungsspielraum. Im Rahmen dessen muss er nun die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse frühzeitig einleiten, damit sie auch für die Zeit nach 2030 Orientierung bieten und zu128 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 197, 208 (juris); dazu auch Schlacke, Ein Grundrecht auf intertemporale Freiheitssicherung, NVwZ 2021, 912 (913, 915). 129 Für den Budgetansatz Schlacke, Ein Grundrecht auf intertemporale Freiheitssicherung, NVwZ 2021, 912 (915 ff.). 130 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 236, vgl. auch Rn. 246 f. (juris). 131 Ebd., Rn. 246 (juris). 132 Ebd., Rn. 117, 192 (juris). 133 Ebd., Rn. 198 (juris). 134 Ebd., Rn. 120 (juris). 135 Ebd., Rn. 248 (juris). 136 Ebd., Rn. 243 (juris).
I. Verfassungsrechtlicher Klima- und Umweltschutz243
gleich ein hinreichendes Maß an Entwicklungsdruck und Planungssicherheit vermitteln.137 Die intertemporale Freiheitssicherung berücksichtigt damit nicht nur die durch den Klimaschutz betroffene Freiheiten, sondern auch sämtliche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Freiheiten.138 f) Intertemporale Freiheitssicherung, ein defizitärer Anfang So überzeugend die intertemporale Freiheitssicherung im Ergebnis ist, gibt es insbesondere zwei Kritikpunkte. Zum einen gewährt sie kein Recht auf Gesundheits- und Eigentumsschutz. Sie definiert nicht den Klimawandel als Gefahr, sondern die Klimapolitik. Für die deutschen Klagenden könnte es schwer hinzunehmen sein, wenn sie staatliche Schutzpflichten gerichtet auf Gesundheits- und Eigentumsschutz nicht erfolgreich einklagen können. Es wird ihnen kommuniziert, dass ihrem Recht auf gleichmäßigen Treibhausgasausstoß mehr Beachtung zukommt als ihrem Recht auf Gesundheit und Eigentum. Die Folgen des Klimawandels sind damit weiterhin nicht justiziabel. Für die ausländischen Beschwerdeführenden ist dies ebenfalls wenig verständlich, zumal sie erst, wenn es zu spät ist, erfolgreichen Verfassungsrechtsschutz durch deutsche Gerichte erfahren werden. Erst wenn die Kipppunkte überstiegen sind und eine bis zur Lebensfeindlichkeit veränderten Umwelt droht, wäre das Recht auf ein ökologisches Existenzminimum einklagbar. Zum anderen wirft das dogmatische Fundament der intertemporalen Freiheitssicherung Fragen auf. Im Ergebnis verstoße der Staat zwar gegen die intertemporale Freiheitssicherung, aber ihr eines Standbein, Art. 20a GG, sei nicht verletzt.139 Das dortige Klimaschutzgebot ist zudem ein Abwägungsbelang von vielen. Es besteht damit die Gefahr, dass der Staat verfassungsrechtlich gerechtfertigt völkerrechtswidrig abwägt.140 Durch das einfachgesetzlich (§ 1 S. 3 KSG) aufgeladene Klimaschutzgebot statuiert das Gericht einen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, der einfachgesetzlich festgelegt wurde. Einfachgesetzlich könnte also der Maßstab ohne weiteres verändert werden. Das Gericht ist sich dessen bewusst und argumentiert, dass eine grundlegende Neuausrichtung des Klimaschutzrechts nur durch eine transparente Diskussion in der Öffentlichkeit stattfinden könne. Das (einfachgesetzliche) Gesetzgebungsverfahren vermittle dem dabei erforderlichen Interes137 Ebd.,
Rn. 249 (juris). Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 258 (juris) nennt bspw. den Produktions-, Konsum- und Infrastrukturbereich. 139 Ebd., Rn. 183, 196 ff. (juris). 140 Krohn, Die internationale Dimension der Staatszielbestimmung, ZUR 2021, 603 (605). 138 BVerfG,
244 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
senausgleich die gebotene Legitimation.141 Wenn auch so die Gefahr einer Änderung des Klimaschutzmaßstabes geschmälert wird, ist sie nicht beseitigt. Weiter umgeht die Konstitutionalisierung der Pariser Temperaturziele die Normenhierarchie aus Art. 59 Abs. 2 GG, wonach völkerrechtliche Verträge nach der Umsetzung nur den Rang einfacher Bundesgesetze einnehmen.142 Dogmatisch schwächer, aber im Ergebnis gleich ist die intertemporale Freiheitssicherung mit dem gescheiterten Entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutzziele im Art. 20a GG zu verankern.143 Über eine derartige verfassungsrechtliche Fixierung sollte erneut, über ein vorsorgendes Existenzminium vertieft nachgedacht werden.
II. Unionsrechtlicher Klima- und Umweltschutz Nachfolgend soll kursorisch die unionsrechtliche Justiziabilität dargestellt werden. Dabei wird sich auf den Zugang zum Gericht beschränkt und die bereits angedeutete Schieflage der Rechtsschutzarchitektur der Union144 erläutert. 1. Klagemöglichkeiten gegen unionales Handeln Angesichts der weiterhin restriktiven Handhabung der „Plaumann“-Formel (dazu unter bb)) und der Tatsache, dass das EU-Umweltrecht primär auf Richtlinien basiert, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen, richtet sich der Rechtsschutz im Umweltrecht trotz zunehmender Europäisierung primär nach dem jeweiligen nationalen Recht.145 Der Weg vor die europäischen Gerichte bleibt damit eine Ausnahme. a) Der Nebenschauplatz der „Plaumann“-Formel Die europarechtlichen Klagemöglichkeiten von juristischen und natürlichen Personen sind grundsätzlich die Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV 141 BVerfG,
Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 213 (juris). Ein Grundrecht auf intertemporale Freiheitssicherung, NVwZ 2021,
142 Schlacke,
912 (915). 143 BT-Drs. 19/4522, wonach Art. 20a GG ergänzt werden sollte um den Satz: „Für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindliche Ziele und Verpflichtungen des Klimaschutzes binden alle staatliche Gewalt unmittelbar“; vgl. dazu Gärditz, Die Entwicklungen des Umweltrechts in den Jahren 2016–2018, ZfU 2019, 369 (373 ff.). 144 Dazu unter D. II. 4. a) cc). 145 Vgl. Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 194.
II. Unionsrechtlicher Klima- und Umweltschutz245
und die Untätigkeitsklage nach Art. 265 Abs. 3 AEUV. Die Union regelt Klima- und Umweltschutz mittels Sekundärrecht und nicht individuellen Rechtsakten. Mithin scheidet die Untätigkeitsklage mangels tauglicher Klagegegenstände aus.146 Die praktisch relevantere Klage ist die Nichtigkeitsklage. Ihre Klagebefugnis findet sich im Art. 263 Abs. 4 AEUV. Die für Umweltbelange selten einschlägige erste Variante, schreibt juristischen oder natürlichen Personen Klagerechte zu, wenn sie Adressat:innen eines belastenden Unionsrechtsakts sind.147 Einzig der Beschluss nach Art. 288 Abs. 4 AEUV kann adressatenbezogen sein.148 Für die Klagebefugnis ist ein bloßes Interesse an der Entscheidung ausreichend.149 Vollständigkeitshalber ist die ebenfalls wenig bedeutsame dritte Variante des Art. 263 Abs. 4 AEUV zu nennen. Danach können Rechtsakte mit Verordnungscharakter durch natür liche oder juristische Personen gerichtlich überprüfbar gemacht werden, wenn diese Rechtsakte sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen.150 b) Die „Plaumann“-Formel Die für das Umwelt- und Klimaschutzrecht bedeutsame Regelung findet sich in Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV. Danach können natürliche und juristische Personen klagen, wenn sie von einer Handlung unmittelbar und individuell betroffen sind. Betroffen ist die klagende Person, wenn sie durch die angegriffene Handlung beschwert ist.151 Anders als bei der deutschen Betroffenheit müssen keine subjektiven Rechte vorliegen, sondern jedes tatsächliche Interesse an der Aufhebung des Unionsaktes ist ausreichend.152 Dieses Interesse muss aber in qualifizierter Art und Weise die Klagenden beeinträchtigen (unmittelbar und individuell). Individuelle Betroffenheit und maßgebliches Interesse werden also verknüpft, sodass die europarechtliche Klagebefugnis weder dem Verletztenmodell noch dem Interessentenmodell zuzuordnen ist. Sie ist eine „Konzeption sui generis“153. Ziel auch der europäischen 146 Vgl. Bickenbach, Subjektiv-öffentliches Recht auf Klimaschutz?, JZ 2020, 168 (175). 147 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 263 Rn. 32. 148 Thiele (2019), Europäisches Prozessrecht, § 7 Rn. 37. 149 EuG, Urt. v. 17.06.1998, Az. T-174/95, Rn. 64 (juris). 150 Ausführlich Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 263 Rn. 54 ff. 151 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl. 2022, AEUV Art. 263 Rn. 35. 152 Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, AEUV Art. 263 Rn. 58. 153 Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 338.
246 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
Klagebefugnis ist es, die Gerichtsbarkeiten vor Popularklagen zu schützen.154 Für den Zugang zu den Unionsgerichten wurde sich also ebenfalls für ein Individualrechtsschutzsystem entschieden.155 Die Unmittelbarkeit ist gemäß des EuGH dann anzunehmen, wenn sich die angegriffene Handlung auf die Rechtstellungen der Klagenden auswirkt und „ihren Adressaten, die mit ihrer Durchführung betraut sind, keinerlei Ermessenspielraum lässt, diese Durchführung vielmehr rein automatisch erfolgt und sich allein aus der Gemeinschaftsregelung ergibt, ohne dass dabei weitere Vorschriften angewandt werden.“156 Es ist allerdings keine kumulative, sondern eine alternative Leseart zugrunde zu legen, sodass die Unmittelbarkeit dann vorliegt, wenn es keiner Durchführung bedarf (formelle Unmittelbarkeit) oder wenn es einer solchen bedarf, diese aber zwingend durch die Maßnahme vorgegeben ist (materielle Unmittelbarkeit).157 Zur Bestimmung der individuellen Betroffenheit wird die „Plaumann“Formel aus dem Jahr 1963 genutzt. Sie fordert, dass die Entscheidung die Klagenden „wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühren und ihn daher in ähnlicher Weise individualisieren muss wie einen Adressaten.“158 Es wird also eine Adressat:innenäquivalenz verlangt. Wann eine solche vorliegt, ist wegen der Unbestimmtheit durch gerichtliche Auslegung der individuellen Betroffenheit zu ermitteln. Die Auslegung ist seit jeher von Restriktionen geprägt. In der namensgebenden „Plaumann“-Entscheidung reichte die Teilnahme als Kaufmann im Wettbewerb und somit als Betroffener von Entscheidungen über Zollsätze nicht aus, um eine individuelle Betroffenheit vorweisen zu können. Die Teilnahme am Wettbewerb könne nämlich durch jedermann ausgeübt werden.159 Diese restriktive Grundlage setzte sich in weiteren Entscheidungen fort, sodass der Gerichtshof zum einen verlangte, dass im Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidung ein Betroffenenkreis eindeutig feststehen muss.160 Zum anderen entschied der Gerichtshof, dass auch ein eindeutig bestimmbarer Betroffenenkreis für die Individualität nicht ausreicht, wenn der Anwendungsbereich der Ent154 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 74. EL September 2021, AEUV Art. 263 Rn. 68. 155 Schmidt-Aßmann (2015), Kohärenz und Konsistenz des Verwaltungsrechtsschutzes, S. 45 f. 156 Vgl. EuGH, Urt. v. 05.05.1998, Az. C-386/96, Rn. 43 (juris) m. w. N. 157 Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 74. EL September 2021, AEUV Art. 263 Rn. 63. 158 Seit EuGH, Urt. v. 15.07.1963, Az. C-25/62, S. 238 (juris) stRspr. 159 EuGH, Urt. v. 15.07.1963, Az. C-25/62, S. 239 (juris). 160 EuGH, Urt. v. 01.07.1965, Az. C-106/63 und 107/63, S. 556 (juris); vgl. auch Urt. v. 13.05.1971, Az. 41/70 et al., S. 422 Rn. 16/22 (juris).
II. Unionsrechtlicher Klima- und Umweltschutz247
scheidung anhand eines weiten objektiven Tatbestands mit abstrakten Kriterien bestimmt wird.161 Diese Maßstäbe wurden zwar in Streitigkeiten um wirtschaftliche Interessen festgelegt, sind aber nach früheren Judikaten des EuG auf Streitigkeiten des Umwelt- und Klimaschutzes übertragbar162 und mittlerweile vollständig in der klima- und umweltschützenden Rechtsprechung anerkannt. Im sog. People’s Climate Case wurde die Klage mangels individueller Betroffenheit vom EuGH abgelehnt.163 Dies begründet der Gerichtshof damit, dass Art. 263 Abs. 4 AEUV zwar im Lichte des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz auszulegen ist, die Auslegung aber nicht die ausdrücklichen Voraussetzungen des AEUV aufheben könne.164 Bereits zuvor wurden Versuche des EuG, sich von der „Plaumann“-Formel ab- und sich zur Gewährung eines effektiveren Rechtsschutzes hinzuwenden165, durch den EuGH abgewehrt. Dies würde eine nicht zu rechtfertigende Abkehr vom durch den AEUV geschaffenen Rechtsschutzsystem bedeuten.166 Dies führt zu einem faktischen Auslegungsänderungsverbot. Es bleibt also dabei, dass Klagende nachweisen müssen, wie sie sich von allen anderen betroffenen Personen individuell unterscheiden. Durch die restriktive „Plaumann“-Formel scheint für Individualität keine intensive, sondern ex klusive Betroffenheit entscheidend zu sein. Angesichts der Ubiquität der Umwelt- und Klimabeeinträchtigungen ist der Weg zu den Unionsgerichten damit verschlossen. Dieser „Totalausfall des Umweltrechtsschutzes“ und vor allem des Klimarechtsschutzes vor den Unionsgerichten wird demnach auch als unzureichende Umsetzung des Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention eingeordnet.167 Folglich monierte das ACCC bereits im Jahr 2011, die Zugangsmöglichkeiten zum EuGH seien zu eng für eine Vereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 3 AK.168 Dennoch stellte das ACCC damals keine Unvereinbarkeit mit der Aarhus-Konvention fest,169 da sich die Plaumann-Formel vor Inkrafttreten der Aarhus-Konvention gefestigt habe und die Entwicklung der Recht161 EuGH, Urt. v. 23.04.2009, Az. C-362/06, Rn. 31 (juris); Urt. v. 02.03.2010, Az. T-16/04, Rn. 106 (juris) jeweils m. w. N. 162 EuG, Urt. v. 09.08.1995, Az. T-585/93, Rn. 49 ff. (juris); Urt. v. 08.05.2019, Az. T-330/18, Rn. 45 ff. (juris). 163 EuGH, Urt. v. 25.03.2021, Az. C-565/19, Rn. 37, 46 ff., 76, ECLI:EU:C:2021: 252. 164 EuGH, Urt. v. 25.03.2021, Az. C-565/19, Rn. 7, ECLI:EU:C:2021:252; Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 (210). 165 EuG, Urt. v. 03.05.2002, Az. T-177/01, Rn. 50 ff. (juris). 166 EuGH, Urt. v. 25.07.2002, Az. C-50/00 P, Rn. 40 ff. (juris); Urt. 25.03.2021, Az. C-565/19, Rn. 37, 76, ECLI:EU:C:2021:252. 167 Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 195 ff. 168 ACCC, ACCC/C/2008/32 (Part I), v. 14.08.2011, Rn. 87. 169 Ebd., Rn. 95.
248 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
sprechung abzuwarten sei.170 Bereits im Jahr 2017 kam das ACCC dann aber endgültig zu dem Ergebnis, dass die Rechtsprechungspraxis nicht mit der Aarhus-Konvention vereinbar sei.171 Vor diesem Hintergrund ist das Beharren auf die „Plaumann“-Formel im People’s Climate Case nicht nachvollziehbar und sollte Anlass geben, über eine völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV nachzudenken.172 2. Verbesserung durch die Aarhus-Verordnung? Der Druck auf eine völkerrechtsfreundliche Auslegung wird zunehmend von der Union selbst erzeugt. Die geänderte173 Aarhus-Verordnung sieht in Art. 10 Abs. 1 für Verbände oder jedes andere Mitglied der Öffentlichkeit, das die Kriterien des Art. 11 erfüllt, die Möglichkeit vor, zunächst einen Antrag auf interne Überprüfung bei der den umweltrechtlichen Verwaltungsakt (unt-)erlassenden Einrichtung zu stellen. Mitglieder der Öffentlichkeit sind nach dem neueingeführten Art. 11 Abs. 1a lit. a) diejenigen, die nachweisen, dass ihre Rechte aufgrund des behaupteten Verstoßes gegen das Umweltrecht beeinträchtigt wurden und dass sie von einer solchen Beeinträchtigung im Vergleich zur Öffentlichkeit unmittelbar betroffen sind. Hierfür reicht eine unmittelbare Gefahr für ihre eigene Gesundheit oder Sicherheit (vgl. Erwägungsgrund 19). Revolutionärer ist Art. 11 Abs. 1a lit. b), wonach Mitglieder der Öffentlichkeit auch diejenigen sind, die nachweisen, dass ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht und dass der Antrag von mindestens 4.000 Mitgliedern der Öffentlichkeit unterstützt wird, die in mindestens fünf Mitgliedstaaten wohnhaft oder niedergelassen sind, wobei mindestens 250 Mitglieder der Öffentlichkeit aus jedem dieser Mitgliedstaaten stammen müssen. Unterlässt es ein Organ oder eine Einrichtung der Union, den Antrag nach Art. 10 zu prüfen, so können der Verband oder jene anderen Mitglieder der Öffentlichkeit, die den Antrag auf interne Überprüfung eingereicht haben, Klage vor dem Gerichtshof erheben (Art. 12 Abs. 2). Nicht eindeutig ist allerdings, ob das ausreichende öffentliche Interesse auch im Rahmen der Klagebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV ausreicht. Nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2 scheint dies nicht der Fall zu sein, da nur 170 Ebd.,
Rn. 95. ACCC/C/2008/32 (Part II), v. 17.03.2017, Rn. 121. 172 Grundhewer (2020), Torhüter zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 195 ff., 206 ff. 173 Verordnung (EU) 2021/1767 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft, ABl. L 356/1 v. 08.10.2021. 171 ACCC,
III. Völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz249
„gemäß den einschlägigen Bestimmungen des Vertrags“ und damit nach der „Plaumann“-Formel geklagt werden kann. Nach Sinn und Zweck der Novelle fingiert aber wohl die Ablehnung der Anträge die Klagebefugnis vor den EU-Gerichten. Zunächst teilte die Kommission im Zuge des Green Deals mit, dass sie den Zugang zur administrativen und gerichtlichen Überprüfung auf EU-Ebene erleichtern will.174 Ähnlich betonte sie im Jahr 2020, dass der „Zugang zur Justiz in Umweltangelegenheiten über den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) und über die nationalen Gerichte als Unionsgerichte […] zur Verwirklichung des europäischen Grünen Deals [wesentlich] bei[trage]. Auf diese Weise kann auch die Rolle der Zivilgesellschaft als Kontrollinstanz im demokratischen Raum gestärkt werden.“175
Hierauf stützt sich ausdrücklich Erwägungsgrund 3 der Änderungsverordnung. Weiter soll mit der Änderung der oben beschriebenen Kritik des ACCC hinsichtlich der Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 3 AK insoweit abgeholfen werden, dass Mitglieder der Öffentlichkeit auf Unionsebene direkt Klage erheben können sollen (Erwägungsgründe 5 bis 7). Auch die Pressemittelung bezüglich der Änderung spricht eindeutig von einer ausgeweiteten Klagebefugnis.176 Zukünftig wird also der (Um-)Weg über die interne Prüfung und nicht mehr die „Plaumann“-Formel für den Zugang zu Gericht maßgeblich sein. Die Konzeption sui generis im Art. 263 Abs. 4 AEUV hat sich einer Interessentenklage angenähert. Die praktischen Folgen der geweiteten Klagebefugnis bleiben abzuwarten. Es wird sich aber wohl nun (endlich) weniger auf die prozessrechtlichen und mehr auf die materiell-rechtlichen Fragstellungen zu fokussieren sein.
III. Völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz 1. Rolle des Völkerrechts noch ungewiss Die Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK ist erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe zulässig (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Sie gilt als Garantie für die Effektivität des Konventionssystems und als eine der „Schlüsselkomponenten“ des Menschenrechtsschutzes.177 Um für die Indivi174 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, COM(2019) 640 final v. 11.12.2019, S. 29. 175 Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission, COM(2020) 643 final v. 14.10.2020, S. 1. 176 Rat der EU, Pressemittelung v. 06.10.2021. 177 EGMR, Urt. v. 04.02.2005, Az. 46827/99 und 46951/99, Rn. 100, 122; EGMR, Leitfaden für die Zulässigkeitsvoraussetzungen, 2014, S. 12 Rn. 6.
250 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
dualbeschwerde vor dem EGMR beschwerdebefugt zu sein, müssen die Beschwerdeführenden eine Verletzung eines in der Konvention oder den Protokollen anerkannten Rechts behaupten. Da in der englisch- respektive französischsprachigen Fassung der Konvention die beschwerdeführende Partei ein victim respektive victime sein muss, legt der EGMR einen Opferbegriff für die Beschwerdebefugnis zugrunde. Der Opferbegriff bezeichnet die Personen, welche von der behaupteten Verletzung direkt oder indirekt betroffen sind.178 Direktes Opfer ist, wer unmittelbar betroffen ist. Hierfür wird ein ausreichender Zusammenhang zwischen den Beschwerdeführenden und der verletzenden Maßnahme verlangt.179 Indirekt betroffen können beispielsweise sein nahe Angehörige eines verstorbenen mutmaßlichen Opfers.180 Die Auslegung des Opferbegriffs ist im Lichte der Bedingungen der heutigen Gesellschaft zu entwickeln und ohne exzessiven Formalismus zu handhaben.181 Dabei entscheidet der EGMR grundsätzlich unabhängig von den nationalen Maßstäben. Vielmehr berücksichtigt er die Ziele sowie die Wirksamkeit der Garantien aus der Konvention.182 Die Beschwerdebefugnis soll aber ebenfalls die Anzahl der Individualbeschwerden begrenzen. So entschied der EGMR, dass das System der Individualbeschwerde aus Art. 34 EMRK eine actio popularis ausschließt und Individualklagende nicht gegen Gesetze in abstracto klagen können.183 Individualklagende sollen Individualinteressen geltend machen. Allgemeininteressen sind im Rahmen der Staatenbeschwerde nach Art. 33 EMRK justiziabel.184 Ein Unterschied des Art. 34 EMRK zu den nationalen Rügebefugnissen ist allerdings, dass der Wortlaut auch nichtstaatliche Organisationen erfasst. So kann ein Verband über Art. 34 EMRK das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der Beteiligungsrechte an umweltrechtlichen Entscheidungsprozessen geltend machen.185 Ein Verband kann indes nicht selbst eine Verletzung der anthropozentrischen Rechte, wie zum Beispiel aus Art. 8 EMRK, geltend ma178 EGMR,
Leitfaden für die Zulässigkeitsvoraussetzungen, 2014, S. 14 Rn. 15. Urt. v. 28.10.1999, Az. 28342/95, Rn. 50: „[…] directly affected by the act […]“; EGMR, Urt. v. 27.06.2000, Az. 22277/93, Rn. 52; Meyer-Ladewig/ Kulick, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 34 Rn. 26. 180 EGMR, Leitfaden für die Zulässigkeitsvoraussetzungen, 2014, S. 15 f. Rn. 18 ff. m. w. N. 181 Ebd., S. 14 Rn. 16 m. w. N. aus der Rechtsprechung des EGMR. 182 EGMR, Urt. v. 13.05.2005, Az. 34491/97, Rn. 83. 183 EGMR, Urt. v. 27.11.2000, Az. 22277/93, Rn. 52; Urt. v. 21.09.2006, Az. 73604/ 01, Rn. 31. 184 So auch Meyer-Ladewig/Kulick, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 34 Rn. 22. 185 EGMR, Beschl. v. 28.03.2006, Az. 75218/01; dazu auch EGMR, Leitfaden für die Zulässigkeitsvoraussetzungen, 2014, S. 61 Rn. 242. 179 EGMR,
III. Völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz251
chen.186 Über das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK wird nur für die Individualklagenden eine umweltschützende Teilgewährleistung begründet.187 Diese erstreckt sich aber lediglich auf schwerwiegende Fälle von Umweltbeeinträchtigungen,188 sodass letztlich nur ein Mindestschutz in Form eines „ökologisches Existenzminium“ gewährleistet wird.189 Auch im Recht auf Leben (Art. 2) und auf Eigentum (Art. 1 Zusatzprotokoll Nr. 1) sind ökologische Schutzpflichten inhärent.190 Im Klimabeschluss betonte zumindest das BVerfG, dass diese Schutzpflichten nicht weitergingen als die des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.191 In Deutschland lässt die Evidenzkontrolle diese Schutzpflichten zahnlos werden. Auf Ebene der EMRK sind es die staatlichen Autonomien. Bisweilen vertritt der EGMR nämlich, dass ihm wegen der Komplexität der umweltrechtlichen Fragen nur eine subsidiäre Rolle zukomme und seine Überprüfungsbefugnis wegen der Ermessensspielräume der Vertragsstaaten zwangsläufig eingeschränkt sei.192 Individualklagende müssen nachweisen, dass wegen unzureichender staat lichen Schutzpflichten die Wahrscheinlichkeit einer Rechtsverletzung hinreichend groß ist. Nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen und unter Beibringung überzeugender Beweise kann die Gefahr einer künftigen Verletzung die Klagenden den Status eines Opfers gemäß Art. 34 EMRK verleihen; bloße Vermutungen reichen nicht aus.193 Der Schutzstandard ist nach dem EGMR also regelmäßig nur dann unterschritten, wenn gar keine Maßnahmen ergriffen wurden und die klagende Partei dies substantiiert beweisen kann.194 Neben diesen Hürden lehnt der Gerichthof zuweilen die extraterritoriale Reichweite der EMRK ab. Der Gerichtshof hat zwar anerkannt, dass Handlungen von Vertragsstaaten, die außerhalb ihres Hoheitsgebiets Auswirkungen haben, ausnahmsweise als Ausübung ihrer Hoheitsgewalt i. S. d. Art. 1 186 EGMR, Urt. v. 29.06.1999, Az. 29121/95; vgl. auch EGMR, Urt. v. 12.05.2009, Az. 18215/06, Rn. 21 f. (juris). 187 Calliess, Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht, ZUR 2000, 246 (249 f.). 188 EGMR, Urt. v. 09.12.1994, Az. 16798/90, Rn. 51. 189 Calliess, Klimapolitik und Grundrechtsschutz, ZUR 2021, 323 (328), unter Verweis auf EGMR, Urt. v. 09.12.1994, Az. 16798/90, Rn. 58. 190 Für Art. 2 EMRK: EGMR, Urt. v. 20.03.2008, Az. 15539/02 et al., Rn. 128 ff., für Art. 1 Zusatzprotokoll 1: EGMR, Urt. v. 30.11.2004, Az. 48939/99, Rn. 130 ff. 191 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 147 (juris). 192 EGMR, Urt. v. 09.06.2005, Az. 55723/00, Rn. 105; Urt. v. 12.05.2009, Az. 18215/06; Urt. v. 10.02.2011, Az. 30499/03, Rn. 141. 193 EGMR, Urt. v. 29.06.1999, Az. 29121/95; dazu auch Groß, Die Ableitung von Klimaschutzmaßnahmen aus grundrechtlichen Schutzpflichten, NVwZ 2020, 337 (338 f.). 194 Vgl. EGMR, Urt. v. 20.03.2008, Az. 15339/02, Rn. 128 ff.; dazu auch Frenz, Klimagrundrecht, DÖV 2021, 715 (718).
252 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
EMRK gewertet werden können.195 Trotz unzähliger Ausnahmen des Territorialitätsprinzips196 ist aber noch keine Rechtsprechung hinsichtlich der ex traterritorialen Verantwortung der Staaten im Bereich des Klimaschutzes ergangen.197 Bliebe es dabei, wären die Klagen weiterhin wegen offensichtlicher Unbegründetheit als unzulässig nach Art. 35 Abs. 3 lit. a) und Abs. 4 EMRK zurückzuweisen. 2. Die Resolution 48/13 und der internationale Druck Dies könnte sich mit der Resolution 48/13 des Menschenrechtsrats der Vereinigten Nationen (UNHRC) vom 8. Oktober 2021 geändert haben. Dort wurde erstmalig das Recht auf eine sichere, saubere und nachhaltige Umwelt als Menschenrecht anerkannt.198 Der UNHRC erkannte das Recht in der Erkenntnis an, dass die Ausübung der Menschenrechte einschließlich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf von entscheidender Bedeutung für den Schutz einer sauberen, gesunden und nachhaltigen Umwelt ist.199 Allerdings ist die Resolution völkerrechtlich unverbindlich. Als Resolution des Menschenrechtsrats wird sie aber insbesondere die Gerichtshöfe für Menschenrechte interessieren (müssen). Es bleibt daher abzuwarten, wie der EGMR mit der Justiziabilität umgeht. Das Menschenrecht auf eine saubere und nachhaltige Umwelt lässt eine Fortentwicklung erwarten, da es andernfalls in seinem Schutzgehalt leerliefe. Der EGMR wird zum einen durch zukünftige Klimaklagen, auf Grundlage des Rechts auf eine saubere Umwelt, sowie durch die bereits anhängigen Klimaklagen200 mit der Frage des extraterritorialen Umwelt- und Klimaschutzes konfrontiert (werden). Zum anderen erhöht sich der Druck durch die internationalen Entwicklungen in Rechtsprechung und Gesetzgebung. Nicht nur der Erfolg nationaler Klimaklagen, sondern auch die Aktivitäten anderer Gerichtshöfe für Menschenrechte könnte den Gerichtshof zu mehr Justiziabilität im Klima- und Umweltschutz bewegen. So hatte bereits 2018 der Interamerikanische Gerichtshof für Men195 EGMR,
Urt. v. 12.12.2001, Az. 52207/99, Rn. 67. einen Überblick über die Ausnahmen: Factsheet – Extra-territorial jurisdiction of States Parties, July 2018. 197 Für einen Überblick über die Entscheidungen mit Umweltbezug: Factsheet – Environment and the ECHR, July 2022. 198 UNHRC, A/HRC/RES/48/13 v. 18.10.2021, S. 3; die UN-Vollversammlung erteilte am 28. Juli 2022 ihre Zustimmung. 199 UNHRC, A/HRC/RES/48/13 v. 18.10.2021, S. 2. 200 Vgl. für einen Überblick über die Klimaklagen vor dem EGMR die Seite vom Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia Law School; vgl. auch Verheyen, Klagen für Klimaschutz, ZRP 2021, 133, wonach als Reaktion auf den Klima beschluss des BVerfG der Gang zum EGMR bereits vorbereitet wird. 196 Für
IV. Das Instrument der Klimaklage253
schenrechte ein „autonomes“ Recht auf eine gesunde Umwelt und die extraterritorialen Wirkungen der Amerikanischen Menschenrechtskonvention anerkannt.201 Schon im Jahr 1988 wurde dort in Art. 11 des Zusatzprotokolls ein Individualrecht auf eine gesunde Umwelt statuiert.202 Auch die Afrikanische Menschenrechtskonvention enthält in Art. 24 ein Recht auf eine Umwelt, die insgesamt zufriedenstellend und für die Entwicklung der Völker günstig ist.203 Bislang wurden diesen Rechten in den anderen Völkerrechtsgemeinschaften zwar keine Justiziabilität zugeschrieben.204 Die Stellungnahme des Interamerikanischen Gerichtshof und die Resolution 48/13 könnten dies aber ändern. So obliegt es nun dem EGMR, durch eine weite prozessuale und extraterritoriale Handhabung das Umweltmenschenrecht mit global einheitlichem Schutzstandard im Bereich des extraterritorialen Umwelt- und Klimaschutzes zu füllen.205
IV. Das Instrument der Klimaklage Das Instrument zur Durchsetzung des materiellen Rechts ist die Klimaklage, auch climate change litigation206. Sie ist ebenso umstritten wie beliebt. Klimaklagen beschäftigen an vielen Orten die Gerichtsbarkeiten. Es sind weltweit knapp 2000 anhängig, davon ungefähr ein Viertel außerhalb der USA.207 Nicht nur die Zahl der Klagen, sondern auch ihre Aufmerksamkeit in der Literatur steigt.208 Die Diskussion über Klimaklagen wird stellvertretend für das Spannungsfeld zwischen Politik und Recht im Klima- und Umweltschutz geführt. Um darauf unter Kapitel G. eingehen zu können, gilt es 201 Englische Zusammenfassung von Vega-Barbosa/Aboagye, Human Rights and the Protection of the Environment: The Advisory Opinion of the Inter-American Court of Human Rights, EJIL v. 08.02.2018; Banda, Inter-American Court of Human Rights’ Advisory Opinion on the Environment and Human Rights, American Society of International Law v. 10.05.2018. 202 Zusatzprotokoll über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte v. 17.11.1988. 203 Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker v. 27.06.1981. 204 Schmidt-Radefeld (2000), Ökologische Menschenrechte, S. 37 f. 205 Vgl. auch Hertz, Klimagerechtigkeit – ein Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte?, JuWiss Blog Nr. 60/2021 v. 09.06.021; Savaresi, The UN HRC recognizes the right to a healthy environment and appoints a new Special Rapporteur on Human Rights and Climate Change. What does it all mean?, EJIL v. 12.10.2021. 206 Klimaklagen und climate change litigation werden als Synonyme verstanden. 207 Vgl. für einen Überblick über die weltweit anhängigen Klimaschutzklagen die Seite vom Sabin Center for Climate Change Law an der Columbia Law School. 208 Setzer/Vanhala, Climate change litigation: A review of research on courts and litigants, WIREs Climate Change 2019, S. 2 ff.
254 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
zu verstehen, was dem „Phänomen“209 Klimaklagen zugrunde liegt. Nachfolgend wird erarbeitet, wie sich Klimaklagen definieren (dazu unter 1.), warum sie einzigartig sind sowie ein Themenfeld umreißen, das derart polarisiert und politisiert (dazu unter 2.). 1. Eingrenzung durch Definitionsversuche a) Ausrichtung der Klagen Klimaklagen können sowohl horizontal (Rechtsstreit zwischen privaten Akteur:innen) als auch vertikal (Rechtsstreit gegen staatliche Akteur:innen) ausgerichtet sein.210 Horizontale Klagen zielen auf zivilrechtliche Schadensersatz-, Unterlassungs- und oder Beseitigungsansprüche.211 Als bekannte Beispiele sind zu nennen: die Schadensersatzklage des peruanischen Bauern Saúl Luciano Lliuya auf finanzielle Beteiligung durch RWE an der Errichtung und Verstärkung eines Dammes212 und die Klagen gegen BMW213 und VW214 auf klimaschützende Unterlassungen (Kein Inverkehrbringen von PKW mit Verbrennungsmotoren). Ähnlich können vertikale Klagen auf zivilrechtliche Schadensansprüche zielen, wie zum Beispiel begründet durch die Amtshaftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG.215 Daneben wollen vertikale Klagen klimapolitische oder gesetzliche Maßnahmen effektivieren. Als Impulsgeberin der Effektivierungsklagen steht die in Den Haag entschiedene „Urgenda“-Klage.216 Der Staat wurde verpflichtet, die Treibhausgas-Emis 209 Spieth/Hellermann, Verfassungsrechtliche Gewährleistungen im Zeichen von Corona-Pandemie und Klimawandel, NVwZ 2020, 1405 (1406); Oexele/Lammers, Klimapolitik vor den Verwaltungsgerichten, NVwZ 2020, 1723; Groh, in: Weber, Rechtswörterbuch, 27. Ed. 2021, Klimaklage; Meyer, Grundrechtsschutz in Sachen Klimawandel?, NJW 2020, 894. 210 Vgl. Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/ Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (512 f.); Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 4 ff., 8 ff.; vgl. auch Winter, Rechtsdogmatische und staatstheoretische Probleme einer Klimaklage, ZUR 2019, 259, der die Unterscheidung um die Rechtsstreite ergänzt, die zwischen Hoheitsträgern stattfinden. 211 Vgl. für Differenzierung: Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2016), Rechtliche Grundlagen und Möglichkeiten für Klima-Klagen, S. 7 ff. 212 Klageschrift v. 23.11.2015. 213 Klageschrift v. 21.09.2021. 214 Klageschrift v. 08.11.2021. 215 Dazu ausführlich Böhm (2021), Staatsklimahaftung, S. 33 ff. 216 Rechtsbank Den Haag, Urt. v. 24.06.2015, Az. ECLI:NL:GHDHA:2018:2591; bestätigt durch Berufungsinstanz Gerechtshof Den Haag, Urt. v. 09.10.2018, Az. ECLI:NL:RBDHA:2015:7196, und Revisionsinstanz, Hoge Raad, Urt. v. 20.12.2019, Az. ECLI:NL:HR:2019:2007.
IV. Das Instrument der Klimaklage255
sionen um mindestens 25 % im Vergleich zu 1990 zu senken. Auch der Klimabeschluss des BVerfG erging auf vier vertikale Klimaklagen, die die unzureichenden Maßnahmen des Gesetzgebers monierten. Vertikale Klimaklagen lassen sich weiter in Untätigkeits- und Vollzugsklagen teilen. Untätigkeitsklagen zielen gegen hoheitliches Unterlassen und auf die Aktivierung staatlicher Klimaschutzmaßnahmen. Vollzugsklagen hingegen wollen bereits bestehendes Recht gerichtlich realisieren. b) Definition oder doch lieber Konzeptualisierung? Einen Konsens der Definitionen lässt sich nicht ohne weiteres finden.217 Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat den Begriff der Klima klagen „mangels näherer Begrenzungen weit in dem Sinne verstanden, dass alle rechtlichen Möglichkeiten, auf klimarelevantes Verhalten zu reagieren“, erfasst seien.218 Ähnlich extensiv werden auch in der Literatur die Klimaklagen verstanden, die gegen Privatpersonen oder staatliche Hoheitsträger gerichtet sind und präventiv Klimaschäden vorbeugen sowie die bereits eingetretenen Klimaschäden kompensieren sollen.219 Diese Definitionen sind allerdings mit Blick auf die Dimension des klimarelevanten Verhaltens und dem korrespondierenden Rechtsschutz zu weitreichend und wenig zielführend für ein Verständnis der Klimaklagen. Dem begegnete die Definition von David Markell und J. B. Ruhl, auf welche sich auch das Umweltprogramm der Vereinten Nationen in einer Ausarbeitung zum „Klimawandel vor Gericht“ bezieht220 und die dem weltweiten Überblick des Sabin Center for Climate Change Law zugrunde liegt.221 Markell und Ruhl definierten Klimaklagen als jede administrative222 oder gerichtliche Rechtsstreitigkeit, in denen die Parteianträge oder Gerichtsent217 Setzer/Vanhala, Climate change litigation: A review of research on courts and litigants, WIREs Climate Change 2019, S. 3; Bouwer, The Unsexy Future of Climate Change Litigation, Journal of Environmental Law 2018, 483 (487). 218 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages (2016), Rechtliche Grundlagen und Möglichkeiten für Klima-Klagen, S. 4. 219 So etwa Oexele/Lammers, Klimapolitik vor den Verwaltungsgerichten, NVwZ 2020, 1723. 220 Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Hrsg.), Klimawandel vor Gericht, Mai 2017, S. 10. 221 Lin/Kysar (2020), Climate Change Litigation, S. 3. 222 Das Wort Klage meint im Deutschen ausdrücklich die Rechtsstreitigkeiten vor der Justiz und nicht der Verwaltung, sodass die administrativen Streitigkeiten ausgeklammert werden. So werden regelmäßig auch nur Streitigkeiten vor Justizbehörden im Überblick der Klimaklagen durch das Sabin Center for Climate Change Law aufgenommen.
256 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
scheidungen direkt und ausdrücklich darauf abzielen, eine tatsächliche oder rechtliche Problematik bezüglich der Grundlage oder der Politik zu den Gründen oder Auswirkungen des Klimawandels vor Gericht zu behandeln.223 Klagen, die zum Beispiel auf die Schließung eines Kohlekraftwerks gerichtet sind und nur mittelbar auf Klimaschutz abzielen, sollten nicht vom Verständnis von Markell und Ruhl erfasst sein.224 Markell und Ruhl definieren damit eine Art unmittelbare Klimaklagen, klammern gleichzeitig mittelbare Klimaklagen aus.225 Letztere hätten allenfalls nur im weitesten Sinne Einfluss auf die Klimapolitik.
Quelle: Peel/Osofsky (2015), Climate Change Litigation, S. 8.
Abb. 2: Konzeptualisierung der Klimaschutzklagen 223 Markell/Ruhl, An Empirical Assessment of Climate Change in the Courts, Florida Law Review Volume 64 (2012), 15 (27). 224 Markell/Ruhl, An Empirical Assessment of Climate Change in the Courts, Florida Law Review Volume 64 (2012), 15 (26); vgl. auch Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Hrsg.), Klimawandel vor Gericht, Mai 2017, S. 10. 225 Vgl. Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/ Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (511), wo von Klimaklagen im engeren Sinne die Rede ist.
IV. Das Instrument der Klimaklage257
Unmittelbare Klimaklagen setzten nach Markell und Ruhl einen Schritt vorher an, in dem sie eine Veränderung der Klimapolitik anstreben. Die rechtlichen oder tatsächlichen Fragen zum Klimawandel müssen zentraler Klagegegenstand sein und nicht etwa die vorgeschobene Stilllegung einer Emissionsquelle. Für ein grundlegendes Verständnis, was die Klimaschutzklagen eigentlich bezwecken wollen, ist diese operable Definition hilfreich, aber nicht der Maßstab. Unter Klimaschutzklagen kann und sollte mehr als nur der primäre und ausdrückliche Bezug zu den Grundlagen der Klimapolitik gefasst werden, da sie viel mehr sind als nur Klagen/Entscheidungen mit direktem Klimabezug. Wie bereits mit der Klassifizierung in unmittelbaren und mittelbaren Klimaklagen erfolgt, empfiehlt sich eine Betrachtung unterschiedlich graduierter Klimaklagen. Eine stufenweise Differenzierung und Konzeptualisierung ist bei Jacqueline Peel und Hari M. Osofsky zu finden. Insbesondere die Klassifizierung von Klimaklagen durch die strikte Trennung zwischen primär und sekundär klimaschützenden Klagegegenstände halten sie für verfehlt und realitätsfern, da vielmehr die Motivationen hinter den Klagen ermittelt werden müssen.226 Ähnlich merkte Chris Hilson an, dass Klagen, die als Klagen im Zusammenhang mit dem Klimawandel gelten wollen, als solche nicht ausdrücklich in der Klageschrift oder im Urteil formuliert sein müssten.227 Den Aufbau einer Klage bestimmt der erfolgversprechendste Weg, welcher nicht immer auf die direkte Anpassung der Klimapolitik gerichtet sein muss.228 Der Klimaschutz fließt damit unterschiedlich stark in die Klagen ein; von einem zentralen Anliegen, über ein nebensächliches und peripheres Argument bis hin zu einem bloßen Hilfsargument. Das Ziel bei allen Klagen bleibt aber dasselbe: mehr Klimaschutz. Die Abbildung 2 zeigt die Abstufung der verschiedenen Argumentations- und Motivationskonzentrationen, schließt aber anders als die Definition von Markell und Ruhl die mittelbar klimaschützenden Klagen von dem Begriff der Klimaklagen nicht aus. Der kollektive Einfluss verschieden ausgerichteter Klagen darf nicht durch eine zu enge Definition ausgeklammert werden.229 Um das breite Spektrum des Klimaschutzes sichtbar zu machen, ist es daher wichtig, so auch Kim Bouwer, Klagen zu erfassen, die lediglich im Zusammenhang zum oder über den Klimawandel sprechen.230 Demnach kommen Peel und Osofsky zu dem richtigen Ergebnis, (2015), Climate Change Litigation, S. 7. Climate Change Litigation, in: Frachhia/Occhinea (Hrsg.), Climate Change (2010), 421 (424). 228 Peel/Osofsky (2015), Climate Change Litigation, S. 7. 229 So auch Peel/Osofsky (2015), Climate Change Litigation, S. 7. 230 Bouwer, The Unsexy Future of Climate Change Litigation, Journal of Environmental Law 30 (2018), 483 (484, 502 ff.); vgl. auch Lin/Kysar (2020), Climate Change Litigation, S. 4. 226 Peel/Osofsky 227 Hilson,
258 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
dass zwar die Klagen mit dem zentralen Anliegen des Klimaschutzes den meisten Effekt auf die Wirtschaft und die Politik haben (und daher auch im Mittelpunkt der Diskussionen sowie Kritiken stehen). Dieser Effekt wird aber erst synergetisch mit allen anderen Klimaklagen verstärkt.231 Klimaklagen lassen sich daher weniger definieren und mehr konzeptualisieren. 2. Charakteristika des klägerischen Begehrens Was unterscheidet Klimaklagen von anderen Klagen und warum sind sie so diskussionswürdig? Die Klimaklagen sind grundsätzlich als „einfache“ Klagen vor dem Verwaltungs- oder dem Verfassungsgericht, aber auch vor den ordentlichen Gerichten möglich. Die prozessualen Voraussetzungen unterscheiden sich nicht von denen anderer Klagen. Der Begriff der Klimaklage ist mithin kein rechtstechnischer. Der Inhalt ist das eigentlich Phänomenale. Er umreißt ein globales, unvergleichbares Themenfeld, das in Zusammenspiel mit der strategischen Prozessführung den Klimaklagen zur diskutierten Einzigartig- und Sonderbarkeit verhilft. a) Fundamentale und intergenerationelle Klageziele aa) Fundamentale Dimensionen (1) Die Ubiquität des Klimaschutzes und die Reaktion der Klimaklagen „Ohne eine gesunde Umwelt können Rechtssubjekte und Lebewesen im Allgemeinen nicht überleben, geschweige denn diese Rechte für unsere Kinder oder für künftige Generationen schützen. Auch die Existenz der Familie, der Gesellschaft oder des Staates selbst kann nicht gewährleistet werden.“232
Wie es der Supreme Court aus Kolumbien pointiert festhält, sind alle und ist alles ohne eine gesunde Umwelt nicht (über-)lebensfähig.233 Klimaklagen nehmen sich also eines Themas an, das fundamental für sämtliche Existenz ist. Gleichzeitig ist es ein Thema, das gerade durch seine Omnipräsenz weder räumlich noch (subjektiv-)rechtlich isolierbar ist. Räumlich gesehen sind nationale Emissionen gleichzeitig internationale Immissionen. Territoriale Grenzen kennen sie nicht. Isoliert betrachtet sind Emissionen weniger ge(2015), Climate Change Litigation, S. 7. Court of Columbia, Urt. v. 05.04.2018, Az. STC4360-2016, S. 13, eigene Übersetzung. 233 So auch Leitfaden der Europäischen Kommission, Mitteilung v. 28.04.2017 über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, C(2017) 2616 final, S. 4. 231 Peel/Osofsky 232 Supreme
IV. Das Instrument der Klimaklage259
fährlich. Ihre Kumulation ist es, gefährdet doch die Summe legaler Emissionen das globale Klimasystem. Auf subjektiv-rechtlicher Ebene lassen sich Klimaschutzinteressen nicht auf ein Recht runterbrechen. Sie sind vielmehr multilegal. Sie zielen auf Lebens-, Gesundheits-, Eigentums- oder sämtlichen Freiheitsschutz. Hinzutreten neue Formen von psychischen Gesundheitsverletzungen der jüngeren Bürger:innen: die Angst vor den Folgen des Klimawandels (Climate anxiety).234 Die Rechtsinhaber:innen sind sowohl junge235 als auch ältere236 Menschen. Die einen monieren einen unzureichenden Zukunftsschutz, die anderen unzureichenden Schutz ihrer besonderen Vulnerabilität. Klimaklagen adressieren also ein Thema, das ubiquitär und trotzdem nicht greifbar erscheint. Kann das Recht keine Antwort auf ein Problem geben, das alle betrifft und wozu alle – manche mehr, manche weniger – beitragen? Klimaklagen wollen zu einer Antwort beitragen. Sie machen Rechtsfortentwicklungen erforderlich,237 indem sie die Gerichte nach den Auswirkungen des ubiquitären Klimawandels in den Individualrechten suchen lassen. Der Rechtsweg ist ihr Mittel und Ziel zugleich.238 Sie wollen Rügebefugnisse schaffen. Dafür erweitern sie die klimapolitische Diskussion um eine recht liche Dimension, damit nicht nur politische und gesellschaftliche, sondern auch die rechtlichen Strukturen hinterfragt werden.239 Klimaklagen stellen sich der Herausforderung, einer Emissionsquelle oder dem Staat ein zurechenbares, schädigendes Verhalten oder Unterlassen nachzuweisen.240 Klima klagen spitzen dabei die Frage nach Verantwortung, nach den Täter:innen und Opfern, den Antagonist:innen und Protagonist:innen im Klimawandel 234 Hickmanns et al., Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey, The Lancet Planetary Health, 5 (2021), 863 ff. 235 Wie z. B. die Klimaklagen Juliana v. USA oder die Klimaklagen von acht australischen Jugendlichen, dazu unter bb). 236 Wie z. B. die Klimaklagen der sog. KlimaSeniorinnen vor dem Bundesverwaltungsgericht in der Schweiz und vor dem EGMR. 237 Vgl. in einem anderen Kontext Koch, Grenzüberschreitende strategische Zivilprozesse, KJ 47 (2014), 432. 238 Saiger, Strategische Rechtsentwicklung, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 357 (369). 239 Graser, Vermeintliche Fesseln der Demokratie, ZUR 2019, 271 (277); vgl. auch Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 22 f., wonach „dogmatische Abrüstung erforderlich“ sei; dazu unter G. I.1. 240 Vgl. Beispiele, bei denen den Kläger:innen ein Nachweis nicht gelungen ist: United States District Court of California, Native Village of Kivalina v. ExxonMobil Corp., Urt. v. 30.09.2009, Az. C 08-1138 SBA, S. 20 f.; LG Essen, Urt. v. 15.12.2016, Az. 2 O 285/15, Rn. 36 ff. (juris).
260 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
zu.241 Das Landgericht Essen hatte im Fall Lliuva gegen RWE festgestellt, dass jeder Mensch „mehr oder weniger“ ein Emittent sei und „angesichts der Millionen und Milliarden von Emittenten weltweit“ die Kausalität zwischen Emissionen von RWE und der Flutgefahr in Peru fehle.242 Selbst damit wäre rechtlich Gewissheit geschaffen worden. Das zweitinstanzliche Urteil machte jedoch deutlich, dass Großemittierende (zumindest privatrechtlich) für den Klimawandel teilweise in Verantwortung genommen werden könnten.243 Ähnlich wurde der Ölkonzern Royal Dutch Shell in den Niederlanden verurteilt, seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 % im Vergleich zu 2019 zu verringern.244 Im Jahr 2007 war es eine Klimaklage, die den U.S. Supreme Court dazu bewegte, erstmalig Treibhausgas-Emissionen als schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Clean Air Acts einzuordnen.245 Klimaklagen verlangen damit eine rechtliche Operationalisierung des Klimawandels. Sie wollen hierfür zunehmend Klimawissenschaft in das Recht integrieren.246 Konfrontieren die Klimaklagen damit Gerichte, zwingen sie diese nicht nur zur Rechts-, sondern ebenfalls zur Wissensfortbildung. Sowohl die Verwaltungsgerichte gemäß § 108 Abs. 1 VwGO als auch das BVerfG gemäß § 30 Abs. 1 BVerfGG entscheiden nach richterlicher Überzeugung. Diese Überzeugung bilden sie aus Erfahrungswissen wie dem außerprozessualen Wissen, aber eben auch dem Wissen gewonnen durch Parteienvortrag.247 Je mehr Wissen die Gerichte über den Klima- und Umweltschutz haben, desto geringer ist die Lücke zwischen Wissenschaft und Recht. Anders gewendet: „Je breiter die darüber geschaffene Wissensbasis ausgestaltet ist, umso kleiner wird der Raum für Ungewissheit.“248 Schaut man sich die Satzungen maßgebender Akteur:innen hinter den Klimaklagen an, wird der Förderungszweck von Umwelt- und Klimawissenschaft deutlich.249 Daher kann es nicht verwun241 Vgl. Colombo/Wegener (2019), The Value of Climate Change-Impacted Litigation, Working Paper University of Strathclyde, S. 5. 242 LG Essen, Urt. v. 15.12.2016, Az. 2 O 285/15, Rn. 38 (juris). 243 Vgl. OLG Hamm, Pressemittelung v. 30.11.2017 zu Lliuya v. RWE, S. 1 f.: „Der Mitverursachungsanteil der Beklagten […] ist mess- und berechenbar. Er beträgt bis heute 0,47 %.“ 244 Rechtbank Den Haag, Urt. v. 26.05.2021, Az. C/09/571932/HA ZA 19-379. 245 Supreme Court of the United States, Opinion v. 02.04.2007, Az. 05-1120, S. 4 Nr. 3, S. 29 f. 246 So auch Colombo/Wegener (2019), The Value of Climate Change-Impacted Litigation, Working Paper University of Strathclyde, S. 4; dazu unter G. I. 2. a) dd). 247 Vgl. Rixen, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 108 Rn. 21; Klein/ Bethge, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, 61. EL Juli 2021, § 30 Rn. 10. 248 Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (410, vgl. auch 416). 249 So bei der DUH in § 2 Abs. 2 lit. l.) sowie beim BUND in § 2 Abs. 3 Punkt 3 und 4; vgl. auch auf der Seite von ClientEarth den wissensbasierten Ansatz.
IV. Das Instrument der Klimaklage261
dern, wenn dieses Streben im Klimabeschluss in einem umfassenden Sachbericht zum Klimawandel und Klimaschutz resultiert, der die Gutachten des IPCC und des Sachverständigenrat für Umweltfragen als tatsächliche Grundlage der Entscheidung definiert.250 Die Klimaklagen integrieren damit Wissen in die Judikative, das diese lernen lässt. Eine Wissensintegration, die Recht an neue Herausforderungen anpasst und fortbildet. (2) Das Transformationsverlangen der Klimaklagen Eine Wirtschaft ist, so auch der kolumbianische Supreme Court, ebenfalls auf eine gesunde Umwelt angewiesen. Klimaklagen nehmen sich daher nicht nur der Ubiquität des Klimawandels an, sondern auch der Bedeutung des Klimaschutzes für eine nachhaltige Wirtschaft. Klimaklagen bezwecken nicht bloß die Abwägung von widerstreitenden Rechten oder die Suche nach einem Verstoß gegen geltendes Recht. Sie wollen vielmehr eine nachhaltige Wirtschaft formen. Bei dem Transformationsverlangen gilt es im Hinterkopf zu behalten, dass die meisten Länder ohne fossile Brennstoffe und deren Verwirtschaftung nicht bei ihrem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen status quo stünden.251 Die Wirtschaft der Industrieländer basiert auf einer CO2-intensiven Lebensweise. Dies hat auch das BVerfG im Klimabeschluss erkannt. Das Gericht verlangt, dass der Gesetzgeber frühestmöglich die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse einleitet. Er muss gesellschaftliche wie wirtschaftliche Orientierung, Planungssicherheit und Entwicklungsdruck schaffen. Es soll absehbar werden, welche Produkte, Dienstleistungen, Infrastruktur-, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen, Konsumgewohnheiten oder sonstige heute noch CO2-relevanten Strukturen erheblich umzugestalten sind.252 Bereits dieser wenn auch abstrakte Transformationsrahmen ist ein Verdienst der Klimaklagen. Klimaklagen verlangen vorausschauende Transformationen, aber nicht nur durch eine angepasste Klima politik. Sie adressieren ihr Verlangen auch ausdrücklich an privatrechtliche Unternehmen. Neben den genannten Verfahren gegen RWE und Royal Dutch Shell wollen Klimaklagende über Aktionärs- und gesellschaftliche Interessen (shareholder und stakeholder value) die Unternehmenspolitik klimaschützender ausgestalten.253 So klagte beispielsweise die Umweltorganisation Client Earth als Aktionärin des polnischen Energieversorgers Enea gegen den Zu250 BVerfG,
Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 16 ff. (juris). etwa in United States District Court California, City of Oakland v. BP, Urt. v. 25.06.2018: „Without those fuels, virtually all of our monumental progress would have been impossible. All of us have benefitted.“ 252 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 249 (juris). 253 Dazu Weller/Tran, Klimawandelklagen im Rechtsvergleich, ZEuP 2021, 573 (600 ff.); Lanfermann/Baumüller/Scheid, Klimaberichterstattung, IRZ 2021, 285 ff. 251 Vgl.
262 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
stimmungsbeschluss zum Bau eines Kohlekraftwerkes. Dieser sei zum einen eine unzulässige Anweisung an den Vorstand der Gesellschaft und zum anderen gefährde er wirtschaftliche Interessen des Unternehmens angesichts klima bedingter finanzieller Risiken (CO2-Preise, Wettbewerb mit günstigeren erneuerbaren Energien, weniger Förderung von fossiler Energie). Die Klage hatte Erfolg, der Zustimmungsbeschluss wurde für unwirksam erklärt.254 Das Transformationsverlangen wird in den Klimaklagen also sowohl vertikal als auch horizontal verfolgt. Horizontal gehen die Klimaklagenden dabei nicht nur extern (RWE, Royal Dutch Shell), sondern auch intern (Enea) als Anteilseigner:innen vor. Sie zwingen die Unternehmen zu einer stärkeren Klimaverantwortung oder sensibilisieren sie immerhin dafür. Damit sind Klimaklagen Treiber nicht nur der Rechts-, sondern auch der Wirtschaftsentwicklung. bb) Intergenerationelle Dimension Neben die internationale und fundamentale Reichweite des Klimaschutzes tritt die intergenerationelle Dimension. Diese verlangt generationengerechtes Handeln. Generationengerechtigkeit bedeutet, die Bedürfnisse der heutigen mit denen der zukünftigen Generationen auszugleichen, indem lebensnotwendige Ressourcen für die nachfolgenden Generationen gesichert werden.255 Themen wie zum Beispiel die Fiskal- oder Rentenpolitik müssen zwar auch intergenerationelle Ressourcen (Finanzen) sichern, allerdings in keinem vergleichbar fundamentalen wie irreversiblen Ausmaß. Schuldenberge lassen sich abbauen. Die Folgen der überschrittenen Kipppunkte hingegen nicht. Fiskal- und Rentenpolitik ist dazu nicht in gleichem Ausmaß international wie die Klimapolitik. Klimaklagen forcieren daher gegenwärtiges Handeln, das irreversible sowie Existenz gefährdenden Prozesse vorzubeugen versucht und fundamental für das globale Zusammenleben ist. Mit Blick auf nicht abbaubare Luftschadstoffe256 und die Kipppunkte des Klimasystems, bei deren Erreichung die irreversiblen Prozesse zu laufen beginnen, ist ein präventives, intergenerationelles Rechtsschutzersuchen unerlässlich.257 Generatio254 Bereits
aus dem ersten Widerspruchsgrund. (Hrsg.), Gerechtigkeit im Umweltrecht, 73/2015, S. 27. 256 Wie z. B. Quecksilber, Arsen, Kadmium, Nickel und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe. 257 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 118 ff. und 130 (juris): „Da eine damit heute möglicherweise unumkehrbar in Gang gesetzte Grundrechtsbeeinträchtigung mit einer späteren Verfassungsbeschwerde gegen dann erfolgende Freiheitsbeschränkungen nicht mehr ohne Weiteres erfolgreich angegriffen werden könnte, sind die Beschwerdeführenden jetzt schon beschwerdebefugt“ (Hervorh. d. Verf.); vgl. auch UBA (Hrsg.), Gerechtigkeit im Umweltrecht, 73/2015, S. 27; 255 UBA
IV. Das Instrument der Klimaklage263
nengerechtigkeit verlangt damit, die fehlende Revidierbarkeit der Untätigkeit zu berücksichtigen. Für die Klimaklagen bedeutet daher der Aspekt der Generationengerechtigkeit, dass zum einen neue Kläger:innen und zum anderen neue Rechtspositionen in den Vordergrund rücken. Verbände und insbesondere Minderjährige sowie junge Erwachsene treten vermehrt für die Belange der und vor allem ihrer Zukunft ein.258 Die Verbände repräsentieren eine Umwelt, die selbst keine Stimme hat.259 Die minderjährigen Jugendlichen verschaffen sich rechtliches und politisches Gehör. Klimaklagen wollen damit Repräsentationsdefizite schließen, die zum einen durch fehlende Rechtssubjektivität wie Klagemöglichkeit von Umwelt und Ungeborenen und zum anderen durch das Wahlalter in Art. 38 Abs. 2 GG hervorgerufen werden. Die Generationen, für die effektive Klimapolitik am bedeutendsten ist, sind ebenso wenig wahlberechtigt wie wählbar und damit an der parlamentarischen Interessensvertretung nicht teilnahmeberechtigt. Je weiter der demographische Wandel voranschreitet, desto ungleicher wird die Repräsentation der jüngeren Generationen.260 Die Klagenden machen ihre Rechtspositionen in unterschiedlichen Ausformungen geltend. So beriefen sich im Fall Juliana v. United States of America 21 jungen Kläger:innen auf die sog. public trust doctrine, wonach die Regierung treuhänderisch für den Erhalt natürlicher Ressourcen, wie Atmosphäre, Meere, Küsten, Wasser und Wildtiere verantwortlich sei. Die übergreifende und alle anderen verbindende Ressource sei das lebenserhaltende Klimasystem.261 So wird es auch als Recht auf ein „Klimasystem, das menschliches Leben erhalten kann“, begriffen.262 Ähnlich erstritten acht Jugendliche in Australien die Anerkennung einer Sorgfaltspflicht gegenüber jungen Generationen, wonach die Umweltministerin deren gesundheitliche Beeinträchtigung durch Emissionen vermeiden muss.263 Auch in Deutschland wurde durch den Klimabeschluss und dessen Anerkenntnis eines Rechts auf intervgl. auch Ekardt, Verfassungs- und Verwaltungsrechtliche Gründe für eine liberalere Klagebefugnis, Der Staat 44 (2005), 622 (627 f.). 258 So auch Colombo/Wegener (2019), The Value of Climate Change-Impacted Litigation, Working Paper University of Strathclyde, S. 4. 259 Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (509 f.). 260 Bis 2060 wurde eine starke Zunahme der älterern Erwerbspersonen im Vergleich zu den jüngeren Altersgruppen berechnet, vgl. dazu Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 436 v. 02.11.2020. 261 Erste geänderte Beschwerde v. 10.09.2015, Az. 6:15-cv-01517-TC, Rn. 307 ff.; vgl. auch Wegener, Urgenda – Weltrettung per Gerichtsbeschluss?, ZUR 2019, 3 (7). 262 Vgl. Opinion des Richters Hurwitz v. 17.01.2020, S. 11. 263 Federal Court of Australia, Urt. v. 27.05.2021, Az. VID 607 of 2020, Rn. 91 ff., 490 f.
264 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
temporale Freiheitssicherung die intergenerationelle Dimension deutlich gestärkt. b) Strategische Prozessführung Ist von Klimaklagen die Rede, ist die strategische Prozessführung (engl.: strategic litigation) nicht weit entfernt. Gewiss ist nicht jede Klimaklage eine strategisch geführte. Die im schwarzen Kreis der Konzeptualisierung von Peel und Osofsky, also die unmittelbaren Klagen nach der Definition von Markell und Ruhl sind es in der Regel schon. Was unterscheidet sie von anderen Klagen? Aus anwaltlicher Sicht sollte jeder Prozess mit einer guten Strategie geführt werden. Strategische Prozessführung meint aber nicht kluges Prozessieren. Strategische Prozessführung meint, „inszenierte Narrative normativen Protests“ zu schaffen.264 Klimaklagende wollen gegen herrschende Verhältnisse der Klimapolitik vorgehen: daher Protest.265 Anders als gesellschaftlicher Protest (gemeint sind etwa Demonstrationen) geht der normative Protest dafür den Rechtsweg. Wie jede andere Klage müssen strategische Klagen sämtliche Verfahrensgrundsätze und -voraussetzungen wahren. Keine politischen, sondern nur rechtliche Argumente zählen. Keine bloßen Behauptungen, sondern nur Beweise werden gehört. Was den rechtlichen Protest dennoch in die Nähe des gesellschaftlichen Protests rückt, ist das Generieren von Öffentlichkeit: das Inszenieren. Hinter nahezu jeder Klimaklage steht ein Umweltverband, der die Klage (beg-)leitet, die Kläger:innen auswählt und unterstützt, Schriftsätze veröffentlicht und streut.266 Auch als unechte Verbandsklagen267 schaffen sie wie die echten Verbandsklagen eine Professionalisierung des rechtlichen Klimaschutzes.268 In Verbindung mit Fachexpert:innen bilden die Verbände und Kläger:innen für die Wissensintegration kompetente Klagekollektive.269 Je professioneller und kompetenter das Kollektiv, desto breiter die Öffentlichkeitsarbeit. Dadurch und durch die Auswahl geeigneter Kläger:innen wird dem Klimaschutz ein Gesicht gegeben.270 Die Verbände 264 Graser, Strategic Litigation: Ein Verstehensversuch, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 37. 265 Ebd.; vgl. auch Lobel, Courts as Forums for Protest, UCLA Law Review 52 (2004), 477 (487 ff.). 266 Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (511); Graser, Strategic Litigation: Ein Verstehensversuch, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 37 (39). 267 Zur Einordnung dieser unter B. II. 2. a). 268 Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (325). 269 Hahn/von Fromberg, Klagekollektive als „Watchdogs“, ZPol 2020, 217 (221 f.). 270 Vgl. auch Duffy (2018), Strategic Human Rights Litigation, S. 243 ff.
IV. Das Instrument der Klimaklage265
erzählen öffentlichkeitswirksam deren Schicksale und Geschichten, sodass das Thema Klimawandel gesellschaftlich emotionalisiert wird. Ziel einer strategischen Klimaklage ist daher nicht nur, rechtlich zu obsiegen, sondern auch Bewusstsein für die Facetten des Klimawandels zu schaffen.271 So setzen sie politische Akteur:innen unter Druck, der letztlich in gesellschaftlichen, sozialen und dadurch politischen Veränderungen resultieren soll.272 Strategische Klimaklagen sind daher auch als „politics by other means“273 zu begreifen.274 Sie figurieren nicht nur als Mobilisierung des Rechts275, sondern auch als eine kaum etablierte Form der politischen Partizipation276. Eine Partizipation im Übrigen gerade auch derjenigen, die zwar maßgeblich von dem Klimawandel betroffen sind und sein werden, aber am politischen Meinungsbildungsprozess wegen ihres Alters oder ihrer Herkunft nicht partizipieren können. Das Einstehen für marginalisierte, vulnerable oder andere Minderheiten ist seit jeher typisches Charakteristikum der strategischen Prozessführung.277 Daher ist es auch richtig und wichtig, die Klimaklagen nicht allein am Klagegestand zu messen, sondern an der Ziel- und Motivationsrichtung der Klagen. Geht eine Klimaklage juristisch verloren, so macht sie dennoch verschiedene Missstände sichtbar.278 Nicht nur mit Sichtbarkeit, sondern vor allem mit gerichtlichen Narrativen, wozu auch die Rechtsfortbildungen279 gehören, lässt sich öffent271 Vgl. Lobel, Courts as Forums for Protest, UCLA Law Review 52 (2004), 477 (487 ff.). 272 Was auch für Helmrich, Wir wissen eigentlich gar nicht, was strategische Prozessführung ist, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 31 (33) zentrales Merkmal strategischer Prozesse ist; vgl. auch Duffy (2018), Strategic Human Rights Litigation, S. 244. 273 Begriffsprägend wohl Abel (1995), Politics by other means; worauf sich auch Duffy (2018), Strategic Human Rights Litigation, S. 243 ff. bezieht. 274 Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (331). 275 Hahn/von Fromberg, Klagekollektive als „Watchdogs“, ZPol 2020, 217 (220 ff.); Strobel, Strategischer Zugang zum Recht, DÖV 2021, 1067 (1072). 276 Fuchs, Was ist strategische Prozessführung?, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 43 (43 ff., insbes. 44); dazu ausführlich auch Fuchs, „Strategische Prozessführung“ als Partizipationskanal, in: de Nève/Olteanu (Hrsg.), Politische Partizipation jenseits der Konventionen (2013), 51 ff. 277 Strobel, Strategischer Zugang zum Recht, DÖV 2021, 1067 (1073 f.); Hahn/ von Fromberg, Klagekollektive als „Watchdogs“, ZPol 2020, 217 (231); vgl. auch Fuchs, Was ist strategische Prozessführung?, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 43 (48). 278 Dazu auch Bouwer, The Unsexy Future of Climate Change Litigation, Journal of Environmental Law 30 (2018), 483 (484, 487, 502 ff.). 279 Vgl. dazu Duffy (2018), Strategic Human Rights Litigation, S. 60 ff.; Weiss, The Essence of Strategic Litigation, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 27 (27 ff. insbes. 29); Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (329).
266 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
lichkeitswirksam Bewusstsein aktivieren. Gerichtliche Narrative und Feststellungen werden gesellschaftlich leichter akzeptiert und rezipiert als Aussagen von Umweltverbänden. Strategische Klimaklagen generieren damit auch ohne rechtliches Obsiegen ein Narrativ, das „eingekleidet in die spezifische Sprache des Rechts“ Eingang in den öffentlichen Diskurs findet und für die gesellschaftliche Transformation wie für zukünftige Gerichtsverfahren fruchtbar ist.280 Im Falle eines Erfolges lässt sich das Narrativ in Form der gerichtlichen Entscheidung und damit die erstrebte Transformation sogar mithilfe des Rechtsstaates durchsetzen.281 c) Ergebnis: Synergie erzeugt Einzigartigkeit Nicht ein Charakteristikum isoliert betrachtet macht eine Klimaklage so diskussionswürdig. Diese geschieht aus einem Cocktail gemischt aus der fundamentalen, intergenerationellen, transformativen und vor allem strategischen Ausrichtung der Klagen. Klimaklagen forcieren eine umfassende Wissensintegration. Sie wollen nicht nur das Recht zum Reagieren auf die ebenso aktuelle wie dringliche Herausforderung des Klimaschutzes zwingen, sondern die Gerichte in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation einbinden. Die Klimaklagen streben damit nach einer aktiveren, gestalterischen Rolle der Gerichte. Weniger rechtsprechend und mehr rechtsfortbildend sollen sie im Bereich des Klimaschutzes tätig sein, was mitunter zu Bedenken hinsichtlich der Gewaltenteilung führt.282
V. Fazit Von sämtlichen Zweifeln überraschend unbeeindruckt, sprach das BVerfG im Klimabeschluss den Beschwerdeführenden die Beschwerdebefugnis zu. Das BVerfG nimmt im gesamten Klimabeschluss Vorsorge ernst. So auch in der Beschwerdebefugnis. Auch ein Rahmengesetz kann daher in Grundrechte eingreifen, wenn es einen Reduktionspfad vorgibt, der vorwirkend Grundrechte beschneidet. Ebenso konsequent erteilt das Gericht der AllmendeProblematik eine Absage, indem es nachdrücklich einen deutschen Plaumann ablehnt. Weniger liberal wird die Beschwerdebefugnis der Umweltverbände 280 Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (331); Fuchs, Was ist strategische Prozessführung?, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 43 (48); vgl. auch Setzer/Vanhala, Climate change litigation: A review of research on courts and litigants, WIREs Climate Change 2019, S. 13. 281 Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (329). 282 Dazu unter G. I.
V. Fazit267
verhandelt. Das altruistische Beschwerderecht wird abgelehnt, wenngleich die Durchsetzung des Umweltschutzauftrages dadurch gestärkt würde. Über eine legislative Regelung sollte daher nachgedacht werden, zumal der status activus cooperationis und status procuratoris und auch die verfassungsrechtlichen Klimaklagen damit legislativ fixiert wären, in Verbindung mit einem prozeduralen Grundrecht das gesamte Klima- und Umweltrecht auf der Stufe des Verfassungsrechts gebündelt, professionalisiert und effektiviert werden würde. Denn auch im Verfassungsrecht stoßen die Individualrechte an ihre Grenzen. Die mit dem Klimaschutzgebot konkretisierte und massiv gestärkte Staatszielbestimmung aus Art. 20a GG bildet ein Orientierungs- und Abwägungselement, aber kein subjektives Recht. Ähnlich die Generationengerechtigkeit. Sie bildet zwar eine intergenerationelle Schutzpflicht, die allerdings betont objektiv-rechtlich bleiben soll. Nicht selbstständig einklagbar, aber als wesentlicher Teil des Konzepts der intertemporalen Freiheitssicherung ist die Generationengerechtigkeit zumindest deutlich mitgewachsen. Für Beschwer deführer:innen erfreulich, da ein Umwelt- und Klimagrundrecht auch der Klimabeschluss nicht schaffen sollte. Ohnehin wäre dessen Eigenwert fraglich. Verlangte man einen anthropozentrischen Schutzgehalt, so bieten doch schon bestehende Grundrechte klima- und umweltschützende Schutzpflichten. Diese sind angesichts des bestehenden Evidenzmaßstabs allerdings kaum effektiv einzuklagen. Auch die leistungs- und abwehrrechtliche Dimension der Grundrechte kann dem Vollzugsdefizit im Klima- und Umweltschutz nicht abhelfen. Ein prozedurales Grundrecht indes könnte es, wenn es als ein Grundrecht auf effektive Umsetzung von Umwelt- und Klimaschutz gefasst würde. Die Frage nach dem Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminiums ließ das BVerfG im Klimabeschluss offen, gestand im allenfalls einen drastischen, apokalyptischen Anwendungsbereich. Dabei ist die Frage nach den Belastungsschwellen für eine menschens- und lebenswürdige Umwelt durch die Klimawissenschaft beantwortet. Die planetaren Grenzen und damit auch die Temperaturgrenzen sind das, wovor in jedem Fall vorgesorgt werden muss. Nähert sich das Klima diesen Grenzen an, so fangen irreversible Prozesse mit fatalen Folgen zu laufen an. Um dem vorzubeugen und vor allem den stärker betroffenen Ausländer:innen effektiven und menschenwürdigen Klimarechtsschutz zu bieten, muss die Schutzschwelle des ökologischen Existenzminimums nicht in einer Klimaapokalypse, sondern in dem SichAnnähern an die Kipppunkte gesehen werden. Ausländische Betroffene können sich nämlich nicht auf das Erfolgskonzept der intertemporalen Freiheitssicherung berufen. Diese gibt ungeachtet dogmatischer und inhaltlicher Bedenken den inländischen Betroffenen das Recht, gegen die tatenlose oder ungenügende Hinnahme eines kontinuierlich fortschreitenden Klimawandels vorzugehen. Für das verfassungsrechtlich Notwendige ist das Pariser Tempe-
268 F. Verfassungs-, unions- und völkerrechtlicher Klima- und Umweltschutz
raturziel der Maßstab, das ungewisse Restbudget des IPCC und des Sachverständigenrats die Orientierungshilfe. Der Rahmen der Klimapolitik ist damit justiziabel geworden, der Kern hingegen bleibt im Gestaltungsraum der Legislative. Das Unionsrecht blieb bis zuletzt seiner restriktiven Plaumann-Formel treu. Nun aber bringt die Novelle der Aarhus-Verordnung ein kollektives Klagerecht mit sich, das bei Ablehnung oder Unterlassen einer internen Überprüfung unionalen Handelns die Beschwerdebefugnis nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV fingieren wird. Auch im Völkerrecht ist eine Entwicklung zu verzeichnen. Wenn auch der Opferbegriff der Beschwerdebefugnis dynamisch und losgelöst von nationalen Bestimmungen definiert wird, sprechen bisweilen strenge Kausalitätsanforderungen und die vom EGMR betonten Ermessensspielräume der Vertragsstaaten gegen eine breite Justiziabilität des Klima- und Umweltschutzes. Dies könnte sich indes mit dem (noch) unverbindlichen Recht auf eine sichere, saubere und nachhaltige Umwelt und dem steigenden Druck durch Klimaklagen sowie weitere internationale Entwicklungen ändern. Das Phänomen der Klimaklagen ist ebenso diskussionswürdig wie vielgestaltig. Klimaklagen lassen sich weniger definieren als kategorisieren. Klagen gewichten unterschiedlich stark den Klimaschutz, da sie ihn von einem unmittelbaren, über ein mittelbares, hin zu einem entfernten Anliegen ihres Strebens machen. Jede Klage mit Klimaschutzbezug – manche stärker als andere – versichtbaren die unterschiedlichen Facetten des Klimaschutzes. Die Charakteristika der Klimaklagen liegen in der fundamentalen, intergenerationellen, transformatorischen und strategischen Einkleidung der Klagen. Die Integration der Klimawissenschaft und die deutliche Aktivierung der Gerichte im Bereich des Klimaschutzes provozieren Spannung zwischen Judikative und Legislative. Auf Fragen nach der Legitimation und Wirksamkeit von gerichtlichem Klimaschutz muss demnach eingegangen werden.
G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind Nachdem die konkreten Probleme nun markiert wurden, bettet sie das folgende Kapitel ein in die abstraktere Frage nach der Legitimität und Wirksamkeit einer breiteren Justiziabilität. Die Klimaklagen stehen dabei exem plarisch für die Frage nach einer (gestärkten) Rolle der Gerichte im Klimaund Umweltschutz. Anhand der Klimaklagen sollen daher nachfolgend die Legitimität der Justiziabilität (dazu unter I.), ihr Potential (dazu unter II.) und ihre Grenzen (dazu unter II.) erläutert werden.
I. Warum Klimaklagen nicht illegitim und Gerichte nicht die „falschen“ Orte sind 1. Fließende Grenzen zwischen Politik und Recht Das durch die Klimaklagen im Gerichtsaal Diskutierte wird der Sphäre der Politik zugeschrieben und der Judikative infolgedessen die Entscheidungskompetenz abgesprochen.1 Die Klimaklagen seien der „falsche Weg“.2 Der Vorwurf lautet also, dass Gerichte durch die Klimaklagen mit einem Thema konfrontiert werden, das nicht im Recht, sondern in der Politik diskutiert werden muss. Zunächst geht der Vorwurf bei Vollzugsklagen fehl, da sie lediglich bestehendes Recht umzusetzen suchen. Für Untätigkeitsklagen, also vor allem die unmittelbaren Klimaklagen, setzt der Vorwurf eine Definition 1 Sowohl in der Literatur Wegener, Weltrettung per Gerichtsbeschluss?, ZUR 2019, 3 ff.; Bickenbach, Subjektiv-öffentliches Recht auf Klimaschutz?, JZ 2020, 168 (177); Wagner, Klimaschutz durch Gerichte, NJW 2021, 2256 (2259 ff.); Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 309 als auch in ausländischen Rechtsprechungen; Schweizer Bundesgericht, Urt. v. 05.05.2020, Az. 1 C_37/19, Rn. 5.5: „Derartige Anliegen sind nicht auf dem Rechtsweg, sondern mit politischen Mitteln durchzusetzen, wozu das schweizerische System mit seinen demokratischen Instrumenten hinreichende Möglichkeiten eröffnet.“; United States District Court California, Urt. v. 30.09.2009, Az. C 08-1138 SBA, S. 24: „The Court concludes that Plaintiffs’ federal claim for nuisance is barred by the political question doctrine […].“; Juliana v. USA, Opinion des Richters Hurwitz v. 17.01.2020, S. 11: „But it is beyond the power of an article Article III […]. […] any effective plan would necessarily require a host of complex policy decisions […]“. 2 Wegener, Weltrettung per Gerichtsbeschluss?, ZUR 2019, 3 (13).
270 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
voraus, mit der trennscharf ein Thema als entweder politisch oder rechtlich klassifiziert werden kann. Eine solche Definition gibt es nicht.3 Es bedarf ihrer aber wegen der institutionellen und personellen Legitimation der Judikative4 auch nicht.5 Die Unmöglichkeit einer Definitionsfindung spiegelt sich im flexiblen Gewaltenteilungsverständnis des BVerfG, wonach die Gewaltenteilung „nicht im Sinne einer strikten Trennung der Funktionen und einer Monopolisierung jeder einzelnen bei einem bestimmten Organ ausgestaltet“ ist.6 Schon im Jahr 1926 betonte Heinrich Triepel, dass das „Staats recht […] ja im Grunde gar keinen anderen Gegenstand als das Politische“ hat.7 Verfassungsrecht ist damit qua natura „politisches“ Recht.8 Eine Stufe tiefer ist das Verwaltungsrecht durch die Grundrechtsbindung aller Gewalten aus Art. 1 Abs. 3 GG konkretisiertes Verfassungsrecht.9 Recht und Politik zu trennen ist daher ebenso wenig möglich wie nötig. Das Recht kann neben die Politik treten und gemeinsam Lösungen erarbeiten (dazu sogleich). Überdies ist das Vorlegen (rechts-)politischer Fragen an ein Gericht schlichtweg nicht verboten.10 Die Offenheit des Rechts gebietet insoweit keine Abgrenzung zwischen rein-politischen von rein-rechtlichen Thematiken. Wer dies dennoch fordert, muss überdies anerkennen, dass der Klimaschutz allerspätestens mit dem KSG mit einem Bein und wohl noch mit dem Körperschwerpunkt im Raum der Politik steht, nun aber zumindest mit einem Fuß in den des Rechts gegangen ist.11
3 Vgl. Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (341 f.); Graser, Vermeintliche Fesseln der Demokratie, ZUR 2019, 271 (275); Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 29; ähnlich, aber allgemeiner Volkmann, Bausteine zu einer demokratischen Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Bäuerle (Hrsg.), Festschrift Brun-Otto Bryde (2013), 119 (123, 133); Münkler (2020), Expertokratie, S. 628 f. m. w. N. 4 Dazu ausführlich Voßkuhle/Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2020, 673 ff. 5 Münkler (2020), Expertokratie, S. 629. 6 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10, Rn. 52 (juris) m. w. N.; vgl. auch van Aaken, Massenklagen im öffentlichen Recht, KritV 86 (2003), 44 (61). 7 Triepel (1927), Staatsrecht und Politik, S. 12. 8 BVerfG, Urt. v. 18.12.1984, Az. 2 BvE 13/83, Rn. 116 (juris); ausführlich Isensee, Verfassungsrecht als „politisches Recht“, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. 12 (2014), § 268. 9 Werner, Verwaltungsrecht ist konkretisiertes Verfassungsrecht, DVBl 1959, 527 ff. 10 So auch Strobel, Strategischer Zugang zum Recht, DÖV 2021, 1067 (1073). 11 So werden Menschenrechte auch zunehmend mit dem Klimaschutz verbunden, dazu Savaresi, Human Rights and Climate Change, in: Honkonen/Romppanen
I. Warum Klimaklagen nicht illegitim sind271
Zudem ist die politische Dimension von Verfahren jedenfalls vor dem BVerfG anerkanntermaßen offensichtlich. Beispielhaft sei an die Entscheidungen zur pandemiebedingten Bundesnotbremse12 und Triage13, zur Ehe für alle14 oder auch zum sozialen Existenzminimum15 erinnert. 2. Legitimität folgt der Legalität Darf sich die Judikative Themen, wie der Klimapolitik, nicht annehmen? Sie muss und sollte es sogar. Auch und erst recht dann, wenn auf Seiten der Klagenden ein Kollektiv auftritt, das die politische Dimension bewusst einkalkuliert.16 Anders als die „kreative Prozessführung“17, deren Akteur:innen den Justizapparat gezielt behindern wollen, missbrauchen Klimaklagende den Rechtsstaat nicht, sondern respektieren ihn. Sie halten sich an die Prozessordnungen, argumentieren rechtlich und erbringen Beweise. Sie glauben an das existierende System, haben nichts „Umstürzlerisches“.18 Das Recht ist damit ihr Mittel zum Widerstand, aber vor allem auch ihr Instrument zum Fortschritt.19 Kurzum: Solange Klimaklagen legal sind, sind sie insoweit auch legitim.20 Öffentlichkeit zu generieren, kann daran nichts ändern. Es kann ebenfalls weder ein rein-politisches Streben indizieren noch Klimaklagen delegitimieren. Denn die Unabhängigkeit von Gerichten ist wesentlicher Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung (vgl. Art. 97 Abs. 1 GG, § 4 Abs. 2 lit. e) BVerfSchG). Gerichte sind unparteilich21 und (Hrsg.), International Environmental Law-making and Diplomacy Review 2018 (2019), 31 (31 ff.) und unter C. I. 12 BVerfG, Beschl. v. 19.11.2021, Az. 1 BvR 781/21. 13 BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021, Az. 1 BvR 1541/20. 14 Als Perspektivwechsel gilt wohl BVerfG, Beschl. v. 07.07.2009, Az. 1 BvR 1164/07; für die Entwicklung in der Rechtsprechung: Mangold, Stationen der Ehe für alle, bpb v. 09.08.2018. 15 BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, Az. 1 BvL 1/09; Urt. v. 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16. 16 Vgl. Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (342). 17 Dazu Gross, Das Gericht als Bühne, TAZ v. 10.11.2017. 18 Vgl. Helmrich, Wir wissen eigentlich gar nicht, was strategische Prozessführung ist, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 31 (34); vgl. auch Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (331). 19 Vgl. Cummings, Empirical Studies of Law and Social Change, Wisconsin Law Review 171 (2013), 171 (174). 20 Graser, Vermeintliche Fesseln der Demokratie, ZUR 2019, 271 (275). 21 Vgl. etwa die Befangenheitsvorschriften in § 54 VwGO i. V. m. §§ 41 bis 49 ZPO für die Verwaltungsgerichte und § 19 BVerfGG für das BVerfG; allgemein dazu Payandeh (2017), Judikative Rechtserzeugung, S. 235 ff.
272 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
sowohl von der Legislative als auch von der Exekutive unabhängig22. Gleiches gilt für das Verhältnis zur Öffentlichkeit. So betonte das BVerfG, dass gerichtliche Verfahrensabläufe nicht an den Interessen der Medien und damit auch nicht an der öffentlichen Reaktion orientiert sind.23 Nicht nur persönlich, sondern auch organisatorisch sind Gerichte unabhängig von der Politik. Indem sie aus politisch-hierarchischen Weisungsverhältnissen gelöst werden, werden sie entpolitisiert.24 Hier kommt auch das Kollegialprinzip zur Hilfe. Argumentiert und diskutiert wird in den Senaten des BVerfG stets juristisch und nicht politisch. Wer sich also nicht daran hält, läuft Gefahr, sich selbst zu marginalisieren.25 Obwohl sich die Themen, über die diskutiert wird, nicht der Politik oder dem Recht eindeutig zuordnen lassen, lassen sich es die Argumente sehr wohl. Politik argumentiert unter Abhängigkeit von den Wähler:innenstimmen primär für die Zweckmäßigkeit einer Entscheidungen. Recht hingegen sucht unabhängig von der Beliebtheit in der Gesellschaft nach der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen. Argumente, die sich also nicht unmittelbar auf die konfligierenden Rechte beziehen, führen nicht zu dem Ziel einer rechtmäßigen Entscheidung. Diese Ergebnislosigkeit enttarnt Argumente dann schnell als nicht rechtlich. 3. Expansion der Debatte als legitimes Ziel Die Klimaklagen politisieren also weder die Gerichte noch juridifizieren sie die Klimapolitik in unzulässiger Weise. Vielmehr erweitern sie letztere um ein Forum, das unter den Regeln des Rechts die klimaschützende Ausrichtung der Rechtsordnung diskutieren lässt. So betonte schon Jürgen Habermas, dass ein Gerichtsverfahren der „Fluchtpunkt für die Analyse des Rechtssystems“ ist, weil „alle Rechtskommunikationen auf einklagbare Ansprüche verweisen.“26 Oliver Lepsius diagnostizierte: „Eine Rechtswissenschaft, die nicht mehr zu sagen hat, als vor der Verfassungswidrigkeit zu warnen, […] ist für rechtserzeugende Akteure kein gewinnbringender Gesprächspartner.“27 Habermas verlangt einen Ort der Analyse, Lepsius einen mit Diskussionsbereitschaft. Das verfassungsgerichtliche Verfahren 22 Vgl. nur Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 97 Rn. 21 ff., 41 ff., 45 ff.; Voßkuhle/Sydow, Die demokratische Legitimation des Richters, JZ 2020, 673 (677, 679). 23 BVerfG, Urt. v. 24.01.2001, Az. 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99, Rn. 72 (juris). 24 Schönberger, Unabhängigkeit von sich selbst?, in: Krüper (Hrsg.), Festschrift für Martin Morlok (2019), 191. 25 Voßkuhle (2021), Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte, S. 320 f.; vgl. auch Payandeh (2017), Judikative Rechtserzeugung, S. 240. 26 Habermas (1992), Faktizität und Geltung, S. 241. 27 Lepsius, Dogmatiker als Experten, Verfassungsblog v. 30.03.2021.
I. Warum Klimaklagen nicht illegitim sind273
bietet diesen Ort. Einen Ort der demokratischen Deliberation.28 Über die klima- und umweltschützende Ausrichtung des Rechts zu deliberieren, bietet sich an, da das Recht es ist, was gesellschaftliche Prozesse maßgeblich steuert.29 Anders gewendet ermöglicht Recht als Streitkultur einen demokratischen Diskurs über Fortentwicklungen in den jeweiligen gesellschaftlichen Zusammenhängen.30 Eine simultane juristische wie gesellschaftliche Debatte sollte daher nicht als gefährlich, sondern als hilfreich verstanden werden. Sie kann eine Demokratie effektivieren. Eine der politischen Forderung vorgelagerte Betrachtung de lege lata schafft eine rechtsichere Grundlage, um für eine Änderung de lege ferenda einzutreten.31 Gewiss kann jetzt mit dem Florett des Wesentlichkeitsgrundsatzes für die Gewaltenteilung gefochten werden, doch ist sie nicht gefährdet, wenn der Klimaschutz den Gerichtssaal bloß betritt. Gerichtsverhandlungen ersetzen dadurch nicht den gesellschaftlichen wie politischen Prozess, sondern stoßen beide an.32 Gerichtssäle sind damit keine Äquivalente zum Parlament, sondern ergänzende Diskussionsforen. Die Klimaklagen und die Justiziabilität im Allgemeinen schaffen nicht nur Zugang zu diesen Foren, sondern drücken getreu der Aarhus-Konvention nichts anderes aus als die gewollte Aktivierung der Zivilgesellschaft.33 Dabei können sie nicht nur die Effektivierung der Klimapolitik rechtlich diskutieren, sondern lohnend zur Minimierung struktureller Durchsetzungsschwächen beitragen.
28 Volkmann, Bausteine zu einer demokratischen Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Bäuerle (Hrsg.), Festschrift Brun-Otto Bryde (2013), 119 (134); vgl. auch Voßkuhle (2021), Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte, S. 348, wonach das Verfassungsgericht Räume eröffnet für einen Diskurs über die besten politischen Konzepte. 29 Grundlegend Luhmann (1995), Das Recht der Gesellschaft, S. 124 ff.; Voßkuhle, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band I, 2006, § 1, Rn. 16 ff., der dies als steuerungstheoretischen Ansatz begreift. 30 Fischer-Lescano, Kassandras Recht, KJ 52 (2019), 407 (430) mit Verweis auf Kaleck, Mit Recht gegen Macht, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Begriff und Praxis (2019), 21 ff. 31 Graser, Vermeintliche Fesseln der Demokratie, ZUR 2019, 271 (276), ähnlich Bumke, Verfassungsrechtliche Grenzen fachrichterlicher Rechtserzeugung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 33 (45). 32 Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 4, 23 f.; Möllers: Individuelle Legitimation. Wie rechtfertigen sich Gerichte?, in: Geis/Nullmeier/Daase (Hrsg.), Der Aufstieg der Legitimitätspolitik (2012), 398 (409 f.). 33 Dazu unter C. II. 2. a) aa) (2).
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II. Warum der Gang zu Gericht lohnenswert sein kann 1. Justiziabilität konkretisiert und effektiviert Liegt es nicht an den Rechtsmitteln, so könnte es das Recht sein, das für den ubiquitären Klimawandel ungeeignet ist. Der Klimawandel sei „ein zu komplexes und weitausgreifendes Phänomen, als dass er sich – jenseits denkbarer Einzelfälle – sinnvoll in der Kategorie der individuellen Grundrechtsverletzung beschreiben und juristisch erfassen“ lasse.34 Stimmt das? a) Rechtsschutz als Antwort auf die Komplexität Zunächst zur Komplexität. In der Tat kommen Gerichte durch die Komplexität des Umwelt- und Klimaschutzes an ihre Funktionsgrenzen.35 Gericht liche Prüfungen mit dem Hinweis auf Komplexität zurückzunehmen, ist indes bereits verfassungsrechtlich untersagt.36 Überdies spricht das Potential des Rechtsschutzes dagegen. „Komplexität ist kein Zustand, sondern eine Per spektivenfrage“.37 Aus der Perspektive des Gesetzes wird auf vielschichtige Sachverhalte oft mit unbestimmten Rechtsnormen reagiert.38 Die normativen Regelungen versagen dabei in der Eigenschaft, Sachverhalte konkret zu regeln. Die Perspektive der Justiziabilität kann helfen. Gerichte konkretisieren dabei das Recht und festigen die rechtlichen Umweltstandards.39 Justiziabilität kompensiert die Unbestimmtheit der Normen, die Ergebnisoffenheit des Auslegungskanons sowie die fehlende Erkennbarkeit von Normgehalten.40 Sie macht das Umwelt- und Klimaschutzrecht für die Normadressat:innen und -anwender:innen also erst operabel. Sie wirkt einer Erosion der Len34 Wegener, Weltrettung per Gerichtsbeschluss?, ZUR 2019, 3 (11); ähnlich Epiney, Das EU-Umweltrecht im Wandel, in: Bretthauer et al. (Hrsg.), Wandlungen im Öffentlichen Recht (2020), 447 (457). 35 Vgl. Berkemann, Sinn und Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 13 (19). 36 BVerfG, Beschl. v. 16.12.1992, Az. 1 BvR 167/87, Rn. 62 (juris). 37 Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 69. 38 Dazu unter B. II. 1. a). 39 Calliess (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 350, 362; allgemein Wysk, Das Gesetz und seine Richter, in: Kloepfer (Hrsg.), Gesetzgebung als wissenschaftliche Herausforderung (2018), 137 (insbes. 150). 40 Für Präjudizien angenommen durch Payandeh (2017), Judikative Rechtserzeugung, S. 205 ff., aber auf die Justiziabilität übertragbar; vgl. auch Poscher, Geteilte Missverständnisse, in: Appel (Hrsg.), Festschrift für Rainer Wahl (2011), 527 (536, 539).
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kungs- und Prägungskraft von Rechtsnormen entgegen.41 Gerichte können damit die konkrete Rechtsanwendung stärker normativ anleiten, als es dem Gesetzgeber in abstrakt-genereller Weise möglich ist.42 Auch der Verwaltung sind sie in der Rechtsanwendung überlegen, sind sie doch für Rechtsfragen ausgebildet und in Tatsachenfragen neutraler.43 Justiziabilität streitet daher gegen Komplexität und für das Rechtsstaatsprinzip. Um dem Gericht dabei den Prozessstoff abzuschichten, wäre der phasenspezifische wie planerische Rechtsschutz wertvoll, der mit rechtmäßigen Planungen verschachtelten Inzidenzprüfungen vorbeugt.44 Durch subjektive Beteiligungsrechte45 könnte frühzeitig auf zu berücksichtigende Belange hingewiesen und wie bei den Verbandsklagen gesellschaftlicher Sachverstand an die Gerichte herangetragen werden.46 Auch die Justiziabilität von inhaltlichen Fehlern der UVP47 würde prozedural die materiell-rechtliche Richtigkeitsgewähr liefern und den Gerichten die Suche nach Rechtsverstößen erleichtern. Rechtsschutz ist damit der Komplexität durchaus gewachsen und ein adäquates Mittel dagegen. b) Warum Kollektivität die Individualität nicht ausschließt Nun zu den individuellen Rechtsverletzungen. Die Subjektivität im Umweltschutz wird durch den unionalen Trend geprägt, Subjektivität weit zu verstehen.48 Teils wird hier ein „individueller Rechtsschutz mit überschießender Tendenz“49, ein „Subjektivrechtsexzess“50 oder eine „hypertrophe Juridifi zierung“51 moniert. Bürger:innen würden bloß instrumentalisiert, um objektives Recht durchzusetzen. Wenn auch nicht nur das genuin Persönliche, sondern in der Tat die Funktionalität und Wirksamkeit des Rechts die Subjektivie41 Vgl.
Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 231 f. (2017), Judikative Rechtserzeugung, S. 220. 43 Wenn z. B. die Verwaltung selbst Partei ist, vgl. Poscher, Geteilte Missverständnisse, in: Appel (Hrsg.), Festschrift für Rainer Wahl (2011), 527 (539); vgl. auch Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 63 f. 44 Dazu unter D. II. 2. und D. II. 6. b) aa) (1). 45 Dazu unter D. II. 6. b) bb) (2). 46 Dazu unter B. II. 2. b) aa) (3) und (4). 47 Dazu unter D. II. 6. b) cc). 48 Dazu unter D. II. 4. a) bb) und cc). 49 Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 288. 50 Fischer-Lescano, Subjektlose Rechte, in: Fischer-Lescano/Franzki/Horst (Hrsg.), Gegenrechte (2018), 377 (415 f.). 51 Reinhardt, Öffentlichkeitsrechte als Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat?, NVwZ 2020, 1484. 42 Payandeh
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rung „atmosphärisch begleiten“, ist im Kern der Subjektivierung immer auch ein personales Schutzgut entscheidend.52 Der Kern ist durch die Hülle eines weiten Subjektivitätsverständnisses umgeben. Dieses weite Subjektivitätsverständnis erwächst aus drei Strängen. Erstens ist es Ausdruck jener Funktionalisierung. Zweitens bildet es den Aufstieg ab zur individuellen Autonomie im europäischen Verwaltungsrecht.53 Drittens ist es die logische Konsequenz des Umwelt- und Klimaschutzes, sind es doch Themen, die auch individuelle Belange berühren, gleichwohl sie zunächst objektiv-rechtlich erscheinen. Verbindet man diese Stränge, entsteht ein Subjektivitätsverständnis, das auch bei einem funktionalen Verständnis subjektive Rechte im Klima- und Umweltschutz auf individuell-autonome Substrate rückführen lässt.54 Als Konsequenz wird sich von der Annahme zu lösen sein, dass im Umwelt- und Klimaschutz trennscharf zwischen Allgemeinheits- und Individualschutz differenziert werden kann. Politik und Gesetze, die allein dem Allgemeinheitsinteresse dienen, gibt es nicht mehr.55 Gemeininteressen sind immer auch Individualinteressen, im Allgemeinen im Umweltschutz, im Besonderen im Klimaschutz. So soll mit Gerd Winter betont sein, dass „[e]in Gesetz zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung […] nicht den Schutz eines imaginären Abstraktums, sondern den Schutz aller Einzelpersonen [bezweckt].“56 Der Klimawandel liegt nicht jenseits juristischer Einzelfälle, sondern besteht aus ihnen.57 Daher sollte nicht länger auf ein exklusives Substrat innerhalb des subjektiven Rechts beharrt, sondern darüber nachgedacht werden, wie die faktische Betroffenheit aller sinnvoll in den Verwaltungs- und Verfassungsrechtsweg integriert werden 52 Zitat von Gärditz, Europäisierter Umweltrechtsschutz, EurUP 2015, 196 (207, 211) zutreffend mit Verweis auf die van Gend & Loos-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Az. C-26/62, S. 24 f. (juris); Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (389); Steiger, Entgrenzte Gerichte?, VerwArch 107 (2016), 497 (523); vgl. auch Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 117c. 53 Saurer (2014), Der Einzelne im europäischen Verwaltungsrecht, S. 28 f., 31 f. 54 Vgl. ebd., S. 35, der die individuelle Autonomie als Primärzweck jeder Individualrechtsbegründung ansieht und die funktionale Subjektivierung als Zuordnung von Sekundärzwecken. 55 Vgl. auch Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 104. 56 Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (468), dort auch mit Verweis auf Jellinek (1919), System der subjektiv öffentlichen Rechte, S. 71, wonach sich „[e]ine absolute Grenzlinie zwischen dem materiellen Gemein- und dem materiellen Einzelinteresse […] mit Sicherheit kaum ziehen“ lässt; vgl. auch Bühler (1914), Die subjektiven öffentlichen Rechte, S. 44, wonach „jede Norm, die dem Schutz von Individualinteressen dient, gleichzeitig auch indirekt Allgemeininteressen dient“; vgl. auch Jellinek, Der Schutz des öffentlichen Rechts, VVDStRL 2 (1925), 8 (48); dazu unter B. I. 2. 57 Winter, Rechtsdogmatische und staatstheoretische Probleme einer Klimaklage, ZUR 2019, 259 (269).
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kann. Der EuGH betont zwar die besondere Stellung der Umweltverbände zur Mobilisierung, beschränkt sich aber nicht auf sie. Eine klimaschützende Ausrichtung der Verbandsklage58 kommt daher ebenso in Betracht wie ein klimaschützender Drittschutz59. Vor allem bei letzterem geht es nicht um die Juridifizierung der Verwaltung oder Politik, sondern darum, die subjektiv-rechtliche Auslegung zuzulassen, die die kollektiven und individuellen Überlagerungen erfassen.60 Es geht darum, die Durchsetzungsschwächen des Individualrechtsschutzes abzubauen61 und die Funktionalität der Individualrechte als Einladung für eine bessere Implementierung des Umwelt- und Klimaschutzes anzunehmen. Die demokratische Legitimation wird so nicht durchbrochen, sondern es wird die demokratische Grundlage staatlichen Handelns kompensatorisch verbreitert.62 Recht lich wird versucht, Demokratisches umzusetzen. „Rechtsstaatprinzip und Demokratieprinzip werden also aufeinander bezogen und im Wege einer Prinzi pienkonkordanz in ihrer Durchsetzung verstärkt.“63 Können nun Einzelne klagen, so rücken sie zwar aus staatlicher Sicht in die Rolle der Prokurator:innen des Allgemeinwohls. Aus individueller Sicht hingegen erfährt die Möglichkeit, sich für eigene Belange einzusetzen, bloß reflexartig eine Erweiterung, um die Möglichkeit, sich für Belange einzusetzen, die allen gemein sind.64 Reiner Altruismus reicht dabei für die Individualklage (auch nach dem EuGH) weiterhin nicht aus.65 Eine rein instrumentelle Versubjektivierung ist daher im Bereich des Klima- und Umweltschutzes ebenso wenig zu befürchten wie eine Entmaterialisierung des subjektiv-öffentlichen Rechts.66 58 Dazu
unter D. II. 6. b). unter D. II. 4. b) aa). 60 Vgl. Schmidt-Aßmann (2013), Verwaltungsrechtliche Dogmatik, S. 114 f.; ähnlich Breuer, Entwicklungen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 315 (328), der zutreffend verlangt, die Durchsetzungsschwächen des Individualschutzes abzubauen; vgl. auch Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung, DVBl 2014, 543 (549). 61 Breuer, Entwicklungen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 315 (328). 62 Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 330. 63 Ebd. 64 Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (391); Steiger, Entgrenzte Gerichte?, VerwArch 107 (2016), 497 (523); vgl. auch Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 184, der zutreffend zu dem Ergebnis kommt, dass subjektiven Rechten auch eine „subjektiv-partizipatorische Schutzdimension“ zukommen kann, vgl. auch dort S. 186. 65 Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (359). 66 Dazu Masing (1997), Die Mobilisierung des Bürgers, S. 188 ff.; erst dann entstünde für Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 34 ein Legitimationsproblem. 59 Dazu
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Weder die elastische Schutznormlehre67 noch die Entstehung des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG und der subjektiv-öffentlichen Rechte68 steht dem entgegen, schützt doch subjektiver Rechtsschutz nicht primär das genuin Persönliche, sondern die Freiheiten der Bürger:innen in der Gesellschaft.69 Dringt der fortschreitende Klimawandel zunehmend in die Freiheitssphären der subjektiven Rechte ein, ist deren Verteidigung den subjektiven Rechten und damit den Individualklagenden überantwortet. So ist es in seiner Deutlichkeit kaum zu übertreffen, dass das BVerfG im Klimabeschluss die Klimapolitik als Gefahr der intertemporalen Freiheiten deklarierte. Diese Freiheiten und nicht etwa ökozentrisch gedeutete Grundrechte waren Dreh- und Angelpunkt des zusprechenden Teils des Beschlusses. Unerheblich dabei ist, ob die Freiheiten individuell oder kollektiv betroffen sind. Indem der Klimaschutz in den individuellen Rechtsschutz zunehmend einkehrt, wird die kollektive Willensbildung in einen rechtlichen Rahmen gegossen und stabilisiert.70 Aber was bewirkt all dies in der deutschen Rechtsordnung? Wenn Einzelne als (potentielle) Kläger:innen in das Rechtsleben hingetragen werden, verlangt sich die Rechtsordnung selbst ein hohes Maß an Ernsthaftigkeit ab.71 So bewirkt die Subjektivität genau das, was der Klimaschutz wegen staatsautonomen und unverbindlichen Klimaabkommen braucht: Realisierungsdruck, der den Staat an seine Absichten und normativen Anordnungen bindet.72 Die Subjektivierung von Klimaschutz dynamisiert und diszipliniert so das Recht.73 Das Recht wird daher umso effektiver, je justiziabler es wird.74 Sei es präventiv,75 indem Hoheitstragende an Art. 20 Abs. 3 GG erinnert werden, oder repressiv, indem Gerichte Rechte umzusetzen suchen.76
67 Dazu
unter B. I. 2. b). unter B. I. 1. b). 69 Ähnlich auch Nettesheim, Subjektive Rechte im Unionsrecht, AöR 132 (2007), 333 (388 f.), der betont, dass subjektive Rechte ebenfalls objektive Rechtmäßigkeit schaffen und § 42 Abs. 2 VwGO eine Funktionszuweisung innewohnt, deren Ziel über das bloße Wahren eigener Interessen hinausgeht; vgl. ähnlich Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (471), wonach der „dogmengeschichtliche Grund, ‚zumindest‘ einen Bereich subjektivierter Rechte mit genau umrissenem Inhalt herauszuschneiden“, entfallen ist. 70 Graser, Darf es? Kann es? Soll es?, FAZ v. 16.01.2020; dazu unter bb) (2). 71 Buchheim (2017), Actio, Anspruch, subjektives Recht, S. 97 f. 72 Ebd., S. 98. 73 Ebd., S. 97 ff. 74 Vgl. schon Stern (1988), Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3/1, S. 875. 75 Dazu unter B. II. 2. b) aa) (4). 76 Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 225. 68 Dazu
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2. Nicht die Weltrettung77, aber ein Anfang: das Potential der Gerichte Gerichte sind gewiss weder dazu berufen noch in der Lage, den Klimawandel allein zu bezwingen. Ihnen aber jegliche Beteiligung daran abzusprechen, erinnert an die ursprüngliche Funktionszuweisung durch Montesequieu im Jahr 1748. In seinem Werk „Vom Geist der Gesetze“ sah er in der Judikative bloß den „Mund, der die Worte des Gesetzes ausspricht.“78 Weiter noch: Sie seien „willenlose Wesen“, die weder die Schärfe noch die Strenge des Gesetzes zu mildern vermögen.79 Auch das preußische Landesrecht traute Richter:innen nicht viel zu, sah doch Art. 47 prALR bei Zweifeln über den Sinn des Gesetzes eine Vorlagepflicht an die Gesetzeskommission vor. Dieser sogenannte Legizentrismus, der Primat des Gesetzes gegenüber der Rechtsprechung, ist schon lange aufgegeben. Die Gerichte sprechen nicht mehr nur das Vorgeschriebene nach,80 sondern passen das Recht an geänderte Realitäten an. Die Aufgabe der Gerichte ist es, „Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren.“81
Die tatsächliche wie rechtliche Entwicklung kann eine Norm lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen. Hierauf zu reagieren, ist verfassungsrechtlich zulässig. „Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Lückensuche und -schließung findet ihre Rechtfertigung unter anderem darin, daß Gesetze einem Alterungsprozeß unterworfen sind. Sie stehen in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann. […] Die Gerichte sind daher befugt und verpflichtet zu prüfen, was unter den veränderten Umständen ‚Recht‘ im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ist.“82 77 Angelehnt an Wegener, Weltrettung per Gerichtsbeschluss?, ZUR 2019, 3 (3 ff.) und Steeger, Können Gerichte die Welt retten?, TAZ v. 29.10.2019. 78 Montesquieu (1992), Vom Geist der Gesetze, S. 225. 79 Ebd. 80 BVerfG, 14.02.1973, Az. 1 BvR 112/65, Rn. 38 (juris); so auch zutreffend Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. 2 (2004), § 26 Rn. 66, wonach Gesetzesbindung nicht nur die „Wiedergabe präexistenter Gesetzesinhalte“ meint, sondern vor allem „funktionenspezifische Gesetzesentfaltung“ mittels eines „justiztypischen Beitrags zur Rechtskonkretisierung“. 81 BVerfG, Beschl. v. 14.02.1973, Az. 1 BvR 112/65, Rn. 38 (juris). 82 BVerfG, Beschl. v. 04.04.1990, Az. 1 BvR 1186/89, Rn. 21 (juris); vgl. auch Beschl. v. 14.02.1973, Az. 1 BvR 112/65, Rn. 39, 41 (juris); Beschl. v. 25.01.2011,
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Ein geweiteter individueller und überindividueller Rechtsschutz kann daher die Judikative als gestalterische Akteurin in das Zusammenwirken der Gewalten einbinden. Dadurch kann das Recht sowie korrespondierende Arbeitsergebnisse der Verwaltung auf ihre Aktualität geprüft werden. Die Verwaltungsgerichte sind dabei die „Sparringspartner“ der Verwaltung, das BVerfG der „Sparringspartner“ des Gesetzgebers.83 a) Verwaltungsgerichte im Klima- und Umweltschutz aa) Durchsetzung demokratischer Rechtsnormen bei materiellem Gleichgewicht Angestoßen durch einzelfallbezogene Individualklagen können Verwaltungsgerichte das Recht inter partes in der Durchsetzung effektivieren. Der entschiedene Einzelfall kann aber auch Präzedenzfall für ähnliche Fälle sein und die gewonnen Erkenntnisse in der Verwaltungs(gerichts)praxis verbreiten. Der Einzelfall figuriert damit immer als „Quelle gesellschaftlichen Lernens zum Wohle aller und aller einzelnen.“84 Verbandsklagen zielen gerade hierauf ab, wenn sie objektives Recht wahren wollen; sie sollen erga omnes wirken. Diese Wirkung wird dabei nicht vom Gericht ausgelöst, sondern bloß festgestellt. Der Ursprung der Wirkung ist vielmehr die Rechtsnorm, gegen die verstoßen wird. Kompetenzen werden so nicht überschritten, ist es doch politisch mit der Unterzeichnung der Aarhus-Konvention gerade gewollt, dass Verwaltungsgerichte an die Einhaltung objektiven Umweltrechts erinnern. Wer hier also schon von einer Entpolitisierung spricht, verkennt, dass die Verbandsklage bewusst zur Bekämpfung von Vollzugs-, Kontroll- und Neutralitätsdefiziten der anderen Gewalten geschaffen wurde.85 Zudem will betont sein, dass auch überindividueller Verwaltungsrechtsschutz den Klimaschutz nicht konturenlos kontrolliert und durchsetzt, mithin sich nicht bloß Az. 1 BvR 918/10, Rn. 53 (juris); Beschl. v. 31.10.2016, Az. 1 BvR 871/13, 1 BvR 1833/13, Rn. 19 (juris) jeweils m. w. N. 83 Ähnlich Steiger, Entgrenzte Gerichte?, VerwArch 107 (2016), 497 (502), der von Gegenspielern spricht. Der Begriff des Gegenspielers impliziert indes ein striktes Gegeneinander, was entgegen der hier vertretenen Auffassung das Miteinander von Judikative mit den anderen Gewalten im Klima- und Umweltschutz nicht ausreichend zum Ausdruck bringt. 84 Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (472); vgl. auch allgemein für Gerichtsentscheidungen Albers, Höchstrichterliche Rechtsfindung und Auslegung, VVDStRL 71 (2012), 257 (265 f.), wonach eine Entscheidung „Abschluss gerichtlicher Entscheidungsfindung und zugleich Anfang von Deutungs- und Rezeptionsprozessen in anderweitigen Kontexten ist, etwa in anderen Gerichtsverfahren, in Gesetzgebung und Politik oder in der Wissenschaft.“ 85 Dazu unter B. II. 2. b) aa).
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auf das „Gemeinwohl“ beruft. Es stehen sich bei der Verbandsklage Klagegenstand und einzuhaltendes Recht gegenüber. Mit politischen Entscheidungen durch Gerichte hat das wenig zu tun, suchen doch Gerichte nach der Recht- und nicht nach der Zweckmäßigkeit.86 So betonte auch das VG Berlin in seiner Klimaklagen-Entscheidung, dass staatsleitende Hoheitsakte gemäß Art. 19 Abs. 4 GG nicht allgemein von einer gerichtlichen Überprüfung ausgenommen werden können, da sie trotz ihrer politischen Bedeutung rechtlichen Bindungen nach Art. 1 Abs. 3 GG unterliegen.87 Dabei wird nicht versucht, „gruppenegoistische Verbandsinteressen“ gerichtlich zu erzwingen, sondern demokratisch in Form von Gesetzen legitimierte Gemeinwohlbelange umzusetzen.88 Gleiches gilt für den Individualrechtsschutz. Dieser sollte, wie zutreffend von Gertrude Lübbe-Wolff betont, nicht so behandelt werden, „als versuche er, die Justiz nicht für die Durchsetzung parlamentsbeschlossener Gesetze, sondern für persönliche politische Marotten zu instrumentalisieren.“89 Die unter 1. b) beschriebene Funktionalität bei gleichzeitiger Individualität stärkt die demokratische Durchsetzungsebene. Sie operiert innerhalb des Rahmens demokratisch erlassener Normen und nicht außerhalb im Bereich von Partikularinteressen. Es muss daher verstanden sein, dass verwaltungsrechtliche Justiziabilität von Umwelt- und Klimaschutz die Divergenz von Anspruch und Wirklichkeit stoppen kann.90 Gleichzeitig bringt sie dabei das strukturelle Ungleichgewicht zwischen konkret definierbaren Rechtspositionen (z. B. Eigentum) und dem abstrakten Klima- und Umweltschutz ins Lot. Hinter den Belangen der Umweltbelaster:innen steht meist ein starkes, zum Beispiel das Eigentum schützendes, (Grund-)Recht, welches trennscharf ermittelt werden kann. Anders bei Umweltgütern oder den Rechten der Betroffenen, hinter denen keine rechtlich derartig intensiv geschützten und klar 86 So auch Groß, Die Klagebefugnis als gesetzliches Regulativ, Die Verwaltung 43 (2010), 349 (371). 87 VG Berlin, Urt. v. 31.10.2019, Az. 10 K 412.18, Rn. 47 (juris). 88 Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage, NJW 2003, 97 (101); in einem anderen Kontext, aber im Ergebnis darüber hinausgehend Wegener, Rechtsschutz für gesetzlich geschützte Gemeinwohlbelange als Forderung des Demokratieprinzips?, HFR 3 (2000), S. 18 f., der es für möglich hält, aus dem Demokratieprinzip ein „Recht auf Gemeinwohlengagement“ herzuleiten und dies durch das subjektive Individualrechtsschutzsystem als „weithin unhinterfragt tradiertes Ergebnis des den deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhundert kennzeichnenden historischen Kompromisses“ beschnitten ansieht; ihm i. E. beipflichtend Krüper (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 178 ff. 89 Lübbe-Wolff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001), 246 (279). 90 Vgl. Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 27.
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gefassten Interessen stehen.91 Würde es dabei bleiben, dass Umwelt- und Klimaschutznormen in ihrer Justiziabilität beschränkt bleiben, würden die einklagbaren Freiheiten der Umweltnutzenden bevorzugt und infolgedessen die Unfreiheiten der anderen vernachlässigt.92 Die verwaltungsrechtliche Justiziabilität im Umwelt- und Klimaschutz bevorzugt damit nicht, sondern gleicht bestehende Missstände aus. Es wird Waffengleichheit zwischen Umweltnutzung und Umweltschutz hergestellt.93 bb) Fachgerichtliche Aktualisierung, Auslegung und Analyse der Rechtsnormen Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, so betont der Präsident des BVerwG a. D. Eckart Hien, ist ein „verlässlicher Spiegel der gerade aktuellen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse“.94 Dabei präzisiert, konkretisiert und aktualisiert sie die einschlägigen Normen in der Auslegung. Die Grenze ihrer Auslegung ist stets der Wortlaut des politischen Kompromisses, des Gesetzes.95 Um dessen Aussagekraft ermitteln zu können, beziehen die Gerichte mithilfe der Gesetzesbegründungen die legislativen Absichten ein. Einer aktualisierenden Auslegung steht dies nicht entgegen. Das BVerfG ist dahingehend unmissverständlich: Die Auslegung des einfachen Rechts ist Sache der Fachgerichte. Rechtsfortbildung betrifft primär das einfache Recht, weshalb die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang gewandelte Verhältnisse neue rechtliche Antworten erfordern, ebenfalls der Fachgerichtsbarkeit obliegt.96 Hierfür ist nicht nur das BVerwG der Ort der Anpassung und Fortbildung (vgl. § 11 Abs. 4 VwGO). Vielmehr ist der gesamte Instanzenzug „im Mitdenken relativer Variabilität konzipiert.“97 Unterinstanzliche Gerichte sind nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zur Vorlage an den EuGH berechtigt. Dadurch (2001), Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 362 f. S. 363. 93 Vgl. Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 226. 94 Hien (2014), 150 Jahre deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 24; vgl. auch für den BGH dessen ehemaligen Präsidenten Günther Hirsch in seiner Rede „Die Rechtsprechung – Ein Spiegel der Gesellschaft“ am Schöffentag v. 15.09.2001. 95 Auch als herrschende Rechtsprechungstheorie bzw. objektive Auslegungslehre bezeichnend und kritisch begleitend Jestaedt, Richterliche Rechtssetzung statt richterliche Rechtsfortbildung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 49 (59 f.). 96 BVerfG, Beschl. v. 04.04.1990, Az. 1 BvR 1186/89, Rn. 23 (juris); Beschl. v. 12.11.1997, Az. 1 BvR 479/92, 1 BvR 307/94, Orientierungs. 1.d., Rn. 51 (juris); Beschl. v. 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10, Rn. 54 (juris). 97 Albers, Höchstrichterliche Rechtsfindung und Auslegung, VVDStRL 71 (2012), 257 (269 f.). 91 Calliess 92 Ebd.,
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besteht ein ständig abrufbares Kooperationsverhältnis mit dem EuGH,98 wodurch sie treibende Kraft der richterlichen Normkonkretisierung im europäisierten Fachrecht sind.99 Ähnlich bei völkerrechtlichen Verträgen.100 Auch hier betonte das BVerfG, dass es ebenfalls Aufgabe der Fachgerichte ist, die Rechtswirkung des Völkerrechts unterhalb des Verfassungsrechts festzustellen.101 Trotz der juristischen Regelungsarmut des Pariser Abkommens zeigen insbesondere die fachgerichtlichen Rechtsprechungen aus dem Ausland, dass sich die Ziele des Abkommens verwaltungsrechtlich runterbrechen lassen.102 Das Berücksichtigungsgebot aus § 13 KSG und die auf eine Klimaverträglichkeitsprüfung steuernde Entwicklung fördern diese Operationalisierbarkeit.103 Der gesamte verwaltungsrechtliche Instanzenzug ist damit der Ort der „Gemeinwohlkonkretisierung“104, der gemeinschaftsrechtliche Vorgaben flexibel in die deutsche Rechtsordnung integrieren kann. Dies gilt besonders für das Klima- und Umweltschutzrecht. Dabei treten Verwaltungsgerichte neben und nicht an die Stelle der Verwaltung. Demokratische Legitimation erschöpft sich nicht darin, dass ausschließlich eine vom Parlament berufene Verwaltung gehandelt hat. Demokratie zielt auf das höchste Maß des Gemeinwohls. In der Tat müssen insbesondere Verwaltungen so ausgestattet sein, dass sie Gemeinwohl effektiv ausgestalten können. Ein „GemeinwohlMonopol“ besitzen sie indes nicht.105 Daher wies auch das BVerfG im Kontext des Wasserschutzes darauf hin, dass Aufgaben des Gemeinwohls nicht zwingend unmittelbar vom Staat erledigt werden müssen.106 Auch der Zivil98 So auch Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 91; für das BVerfG und den EuGH: BVerfG, Urt. v. 12.10.1993, Az. 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, Rn. 70 (juris). 99 Britz, Verfassungsrechtliche Effektivierung des Vorabentscheidungsverfahren, NJW 2012, 1313 (1317); Deutschland ist mit großem Abstand beständiger Spitzen reiter von Vorlagen nach Art. 267 AEUV. Im Jahr 2020 lagen sie mit 139 Vorlagen vor den 50 österreichischen Vorlagen, EuGH, Jahresüberblick 2020, S. 56. 100 BVerfG, Beschl. v. 26.10.2004, Az. 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01, Rn. 95 (juris). 101 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, Az. 2 BvR 1481/04, Rn. 37 (juris). 102 England and Wales Court of Appeal, Urt. v. 27.02.2020, Az. C1/2019/1053, C1/2019/1056, C1/2019/1145; Land and Environment Court New South Wales, Urt. v. 08.02.2019, Az. NSWLEC 7, Rn. 525–527; High Court of South Africa, Urt. v. 08.03.2017, Az. 65662/16, S. 3 und 48 f.; dazu unter D. II. 6. b) aa) (1) (b). 103 Dazu unter D. II. 6. b) aa) (1) (b). 104 Vgl. Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 19 Abs. 4 Rn. 117c; Schmidt-Aßmann (2013), Verwaltungsrechtliche Dogmatik, S. 114. 105 Schmidt-Aßmann, Umweltrecht – Innovation – Rechtsschutz, EurUP 2016, 360 (367): vgl. auch Franzius, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung, DVBl 2014, 543 (547). 106 BVerfG, Urt. v. 05.12.2012, Az. 2 BvL 5/98, Rn. 147 (juris).
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gesellschaft – Verbände, aber auch einzelnen Personen – kann eine Rolle darin zugewiesen sein. Die Justiziabilität im Klima- und Umweltschutz und damit die Verwaltungsgerichtsbarkeit ermöglicht dies. Eingebettet in konkreten Sachverhalten „prägt und konstruiert sie [die Verwaltungsgerichtsbarkeit] Realität mit“107. Dadurch informiert die Verwaltungsgerichtsbarkeit die erste Gewalt über die Wirkung ihrer Rechtsnormen und mögliche Anpassungen.108 Verwaltungsgerichte als Fachgerichte ist es durch ihre Entscheidungen möglich, die Rechtsentwicklungen deutlich fachbezogener zu begleiten. Verwaltungsrechtlicher Rechtsschutz sollte daher effektiv ausgebaut werden, um dem BVerfG die reinen verfassungsrechtlichen und wesentlichen Frage stellungen zu überlassen.109 Die Klimaklagen vor den Verfassungsgerichten sind symptomatisch für einen unzureichenden fachgerichtlichen Rechtsschutz. b) Bundesverfassungsgericht im Klima- und Umweltschutz aa) Konturierung politischer Entscheidungen Das BVerfG wird im Rahmen der Verfassungsbeschwerde durch Individualklagen aktiviert. Die Entscheidungen wirken hingegen nicht bloß in einzelfallbezogenen Verwaltungsrechtsverhältnissen, sondern durch das politische Verfassungsrecht erga omnes. Die Rolle des BVerfG geht damit über den bloßen Individualrechtsschutz hinaus.110 Grundrechte sind insoweit nicht nur politische Rechte, sondern auch politische Orientierungs- und Gestaltungsprinzipien. Spätestens seit den Elfes-111 und Lüth-112Entscheidungen sind kaum Bereiche denkbar, die vollständig dem Verfassungsrecht und damit dem BVerfG in seiner Schutz- wie in seiner Fortbildungsfunktion entzogen sind. Das BVerfG begleitet die Politik in zweierlei Hinsicht. Einerseits markiert es ihre Grenzen, indem es Grundrechte vor staatlicher Intervention 107 Fuchs, Was ist strategische Prozessführung?, in: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation (2019), 43 (46). 108 Payandeh (2017), Judikative Rechtserzeugung, S. 245 f. 109 Vgl. Maurer, Rechtsstaatliches Prozessrecht, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht (2001), Bd. 2, 467 (503). 110 Volkmann, Bausteine zu einer demokratischen Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Bäuerle (Hrsg.), Festschrift Brun-Otto Bryde (2013), 119 (127 f.). 111 BVerfG, Urt. v. 16.01.1957, Az. 1 BvR 253/56 (juris), wonach der allgemeinen Handlungsfreiheit ein umfassender Schutz zukam; nach einem „Öko-Elfes“ fragend Calliess, „Elfes“ Revisited?, Verfassungsblog v. 25.05.2021. 112 BVerfG, Beschl. v. 15.01.1958, Az. 1 BvR 400/51, wonach die Grundrechte eine objektive Wertordnung verkörpern, die für alle Bereiche des Rechts gilt. Die mittelbare Drittwirkung war geboren.
II. Warum der Gang zu Gericht lohnenswert sein kann285
schützt. Andererseits wahrt es das Verfassungsrecht, legt es aus und bildet es fort,113 was zur Neuausrichtung von Politiken zwingen und dienen kann. So ist es verkürzt zu sagen, dass das BVerfG nur mit Einzelfällen zu tun hat.114 § 31 Abs. 1 BVerfGG schreibt Entscheidungen des BVerfG eine Bindungswirkung für alle Verfassungsorgane und Gerichte zu. § 31 Abs. 2 BVerfG erhebt bestimmte Entscheidungen des Gerichts sogar auf Gesetzesrang. Das BVerfG ist dennoch gewiss nicht dazu berufen, das politische Problem des Klimaschutzes zu lösen. Zunächst ist das auch gut so, da Entscheidungen des BVerfG nur schwerlich revidierbar sind. Das Parlament kann etwa nur mit Verfassungsänderungen auf gerichtliche Entscheidungen reagieren. Die Rolle des BVerfG besteht daher vielmehr darin, das Abstraktum Klimaschutz und die parlamentarische Diskussion in den konkreten verfassungsrechtlichen Rahmen einzubetten. So setzt das Recht der Klimapolitik Grenzen, in Rahmen derer der Gesetzgeber den bekannten Gestaltungsspielraum genießt. „Diesen zu markieren, ist eine vordringliche Aufgabe des Rechtssystems, sei es in Gestalt der Rechtsprechung, sei es in Gestalt der diese kommentierenden und weiterdenkenden Rechtswissenschaft.“115 Im Klimabeschluss hat das BVerfG Problem- und Verantwortungsbewusstsein bewiesen. Es hat gezeigt, dass es in der Lage ist, den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu erkennen und ihn gleichzeitig mit einem intertemporalen Rahmen abzustecken. Zugleich blieb das BVerfG seinem eigenen „judicial self-restraint“Grundsatz treu.116 Schon im Sozialrecht konnte das BVerfG in den Entscheidungen zum sozialen Existenzminium117 beweisen, dass es fähig ist, sensible Politikbereiche zu konturieren. Das Gericht musste anhand der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip, beides in ihrer Unbestimmtheit kaum zu übertreffen, die Ermittlung des Anspruchsumfanges und die Grenzen des Sanktionsmechanismus konstruieren. Auch hier wurde abstraktes Verfassungsrecht in konkrete politische Entscheidungsgrundlagen118 gewan113 BVerfG, Beschl. v. 28.06.1972, Az. 1 BvR 105/63, 1 BvR 275/68, Rn. 33 (juris). 114 So aber Wagner, Klimaschutz durch Gerichte, NJW 2021, 2256 (2260). 115 Lepsius, Dogmatiker als Experten, Verfassungsblog v. 30.03.2021. 116 Dazu grundlegend BVerfG, Beschl. v. 31.07.1973, Az. 2 BvF 1/73, Rn. 51 (juris): „Der Grundsatz des judicial self-restraint, den sich das Bundesverfassungsgericht auferlegt, bedeutet nicht eine Verkürzung oder Abschwächung seiner eben dargelegten Kompetenz, sondern den Verzicht ‚Politik zu treiben‘, d. h. in den von der Verfassung geschaffenen und begrenzten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen. Er zielt also darauf ab, den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung offenzuhalten.“ 117 BVerfG, Urt. v. 09.02.2010, Az. 1 BvL 1/09; Urt. v. 05.11.2019, Az. 1 BvL 7/16. 118 Dazu Graser, Darf es? Kann es? Soll es?, FAZ v. 16.01.2020.
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delt.119 So verbleibt im Klimaschutz wie im Sozialrecht der Kern der Problematik im Raum der Politik. Das BVerfG hat hierfür entscheidende „Qualitätsmerkmale der politischen Steuerung in einem besonders grundrechtssensiblen Bereich“120 gebildet. Im Sozialrecht müssen danach Ansprüche gesetzlich fixiert sein und Sanktionen nicht mechanisch, sondern empirisch belegt erfolgen. Im Klimaschutz muss der Gesetzgeber zukünftige Freiheiten mit den gegenwärtigen austarieren und frühzeitig Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse einleiten. Dieses Korsett der Gesetzgebung ist bei weitem nicht so eng, wie zuvor befürchtet wurde.121 Vielmehr handelt es sich um eine Art prozedurale Zurückverweisung an den politischen Diskurs,122 die dabei nicht die Zweck- sondern Rechtmäßigkeit rügte. Das BVerfG repolitisiert so den Klimaschutz.123 Gerichtlich ist damit weder eine „Ökodiktatur“ noch ein „Öko-Paternalismus“ oder eine „Cohabitation“ des politischen Systems geboren worden.124 Nicht konkrete Maßnahmen werden vorgegeben,125 sondern lediglich die Ausrichtung der Klimapolitik. Gerichtlicher Klimaschutz verletzt dadurch nicht die Gewaltenteilung, sondern ist Ausdruck einer effektiv funktionierenden.126 Das BVerfG rettet damit gewiss nicht die Welt127, begleitet aber zumindest den Weg dorthin. 119 Dem öffentlichen Diskurs gänzlich entzogen, scheinen die Judikate zur Beamtenbesoldung, die indes deutlich konkretere Vorgaben an den Gesetzgeber machten; BVerfG, Beschl. v. 04.05.2020, Az. 2 BvL 6/17, 2 BvL 7/17, 2 BvL 8/17; vgl. dazu auch mit weiteren konkretisierenden Judikaten Ekardt/Heß, Intertemporaler Freiheitsschutz, ZUR 2021, 579 (582 f.). 120 Graser, Darf es? Kann es? Soll es?, FAZ v. 16.01.2020; ähnlich Volkmann, Bausteine zu einer demokratischen Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Bäuerle (Hrsg.), Festschrift Brun-Otto Bryde (2013), 119 (136), der generell die Rolle des BVerfG in der „symbolischen Vergegenwärtigung der Grundprinzipien des politischgesellschaftlichen Lebens“ sieht. 121 Bickenbach, Subjektiv-öffentliches Recht auf Klimaschutz?, JZ 2020, 168 (177): „Entscheidungen von solch technischer Bandbreite und gesellschaftlicher Tragweite zu treffen, die die Gefahr eines Korsetts für die Gesetzgebung bergen, ist nicht Aufgabe der Gerichte, auch nicht Aufgabe des BVerfG oder des EuGH.“ 122 Vgl. Volkmann, Bausteine zu einer demokratischen Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Bäuerle (Hrsg.), Festschrift Brun-Otto Bryde (2013), 119 (137 f.). 123 Franzius, Klimaschutz im Anthropozän, EurUP 2019, 498 (507). 124 A. A. Wagner, Klimaschutz durch Gerichte, NJW 2021, 2256 (2261). 125 Dafür Ekardt/Heß, Intertemporaler Freiheitsschutz, ZUR 2021, 579 (581), wonach bereits die Genehmigungen von Kraftwerken oder Kraftfahrzeugen staatliche Eingriffe sind, die abwehrrechtsaktivierend sein müssen. Zudem sei bereits jetzt der politische Entscheidungsspielraum ausgereizt, da die Politik das „freiheitlich-demokratische System als Ganzes substanziell“ gefährde (583). 126 Seibert, Klimaschutz und Generationengerechtigkeit, DVBl 2021, 1141 (1146). 127 „Not every problem posing a threat – even a clear and present danger – […] can be solved by federal judges“, Juliana v. USA, Opinion des Richters Hurwitz v. 17.01.2020, S. 30.
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bb) Abhilfe der Langzeitverantwortung bei Kurzzeitlegitimation Der Gesetzgeber hat weitausgreifende Fragestellungen primär zu beantworten. So vertreten und repräsentieren Abgeordnete qua Amt das ganze Volk (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG) und damit Allgemeinheitsbelange.128 Ähnlich basiert auch das Demokratieprinzip auf der Vorstellung, dass „eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen herzustellen“ ist.129 Die Abgeordneten als Herrschende sind zwar Vertreter der Allgemeinheit, der Beherrschten, doch wurden sie dazu nicht vom ganzen Volk mandatiert. Nur wahlberechtigte und gegenwärtige Bevölkerungsgruppen haben die Möglichkeit, Vertreter zu mandatieren. Bei Entscheidungen mit Zukunftsbezug zerbricht die Kongruenz zwischen den Herrschenden und den Beherrschten.130 Das ist vor allem aus zwei Gründen problematisch: Zum einen sind gerade diejenigen Personen von unzureichendem Klimaschutz betroffen, die nicht die Möglichkeit haben, die Entscheidungstragenden ins Amt zu wählen. Die Unterlassungen oder unzureichenden Entscheidungen im jetzigen Klimaund Umweltschutz setzen irreversible Entwicklungen in Gang und engen damit die Entscheidungen der zukünftigen Verantwortlichen erheblich ein. Zum anderen werden die Entscheidungstragenden für vier Jahre gewählt. Der Großteil der Herrschenden wird in entscheidenden Jahren wie dem Jahr der unionalen Treibhausgasneutralität (2050) daher nicht mehr im Amt (oder gar am Leben) sein. Politisch verantworten müssen sie sich dann nicht mehr. Es bleibt damit ein struktureller Antagonismus von Langzeitverantwortung und -wirkung bei Kurzzeitlegitimation.131 Rechtsschutz schlägt indes keinen Keil zwischen Legitimation im Jetzt und Verantwortung in der Zukunft. Obwohl auch im Gerichtsverfahren unbeteiligte Interessen unberücksichtigt bleiben können,132 so liegt doch der entscheidende Unterschied darin, dass die rechtliche Auseinandersetzung grundsätzlich für jede:n133 zugänglich ist. Rechtliches Gehör gebührt jedermann (Art. 103 Abs. 1 GG). Rechtliche Zugangsmöglichkeiten kalibrieren so Gemeinwohl vor Gericht, DÖV 2021, 726 (732 f.). Urt. v. 31.10.1990, Az. 2 BvF 2/89, 2 BvF 6/89, Rn. 56 (juris). 130 Kloepfer, Interdisziplinäre Aspekte des Umweltstaates, DVBl 1994, 12 (18) hält es zutreffend für nicht fernliegend, der Demokratie die Kompetenz für Entscheidungen abzusprechen, die ausschließlich in der Zukunft liegen. 131 Kloepfer, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: Gethmann/Kloepfer/Nutzinger (Hrsg.), Langzeitverantwortung im Umweltstaat (1993), 22 (26); Franzius, Die Rolle von Gerichten im Klimaschutzrecht, FEU Research Paper 10/2021, S. 25. 132 Friedrich, Gemeinwohl vor Gericht, DÖV 2021, 726 (731 f.). 133 Damit sind in diesem Kontext Minderjährige, Ausländer:innen und mittelbar auch die Ungeborenen gemeint. 128 Friedrich, 129 BVerfG,
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die Verantwortung im Klimaschutz neu. Politiker:innen sind auf Mehrheiten angewiesen, die ihre Gestaltungs- und Entscheidungsmacht sichern. Diese Mehrheiten müssen sie alle vier Jahre für sich gewinnen. Gerichte müssen sich politisch nicht vor Mehrheiten verantworten und können langfristige Entscheidungen treffen, ohne um eine Wiederwahl bangen zu müssen. Ohne den Kernbereich der konkreten, maßnahmenbezogenen Klimapolitik anzutasten, befreien Gerichte die Politiker:innen vom Druck der Kurzfristigkeit ihres Verantwortungshorizonts bei intergenerationellen Politiken. Die Verantwortung ambitionierterer Klimapolitik hat also Karlsruhe übernommen, wo sich anders als in Berlin niemand zur Wiederwahl stellen muss und kann.134 Es verwundert daher nicht, dass der ehemalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier sich regelrecht für „Planungssicherheit“ durch den Klimabeschluss bedankte.135 Dass vor allem das BVerfG Langzeitverantwortung generieren kann, wird mit Blick auf die Kriterien von Michael Kloepfer deutlich, die er von einer Institution verlangt, die Langzeitverantwortung übernehmen will.136 Er fordert von der Institution (i) Stabilität und Konstanz, (ii) Neutralität und Objektivität, (iii) Anerkennung und Akzeptanz und (iv) die institutionelle Priorisierung des Langzeitinteresses. Das BVerfG ist eine Institution, die von Stabilität und Konstanz geprägt ist, ist es doch seit über 70 Jahre beständig und im Grundgesetz fest verwurzelt. Den Richter:innen ihre Objektivität abzusprechen, wäre spekulativ. Das Gericht erfreut sich in Deutschland zudem starker Akzeptanz.137 Mag das Kriterium des priorisierten Langzeitinteresses vielleicht nicht übergeordnet in den Sinn kommen, denkt man an ein Verfassungsgericht, so zeigte doch der Klimabeschluss deutlich, dass das BVerfG den gegenwärtigen Interessen keinen absoluten Vorrang einräumt. Wenngleich die Reichweite gerichtlicher Entscheidungen schon mangels gleicher Legitimation nicht jener in der Politik entsprechen kann, so kann doch vor allem das BVerfG über die Legislaturperioden hinaus langfristig normative wie gesellschaftliche Orientierung geben.138 Partizipationsschwachen Bevöl134 Wiederwahl durch § 4 Abs. 2 BVerfG ausgeschlossen; vgl. auch Seibert, Klimaschutz und Generationengerechtigkeit, DVBl 2021, 1141 (1146). 135 Altmaier, Tweet v. 29.04.2021. 136 Kloepfer, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: Gethmann/Kloepfer/Nutzinger (Hrsg.), Langzeitverantwortung im Umweltstaat (1993), 22 (36). 137 So z. B. Volkmann, Bausteine zu einer demokratischen Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Bäuerle (Hrsg.), Festschrift Brun-Otto Bryde (2013), 119 (120); Steinbeis, Alle lieben Karlsruhe, Verfassungsblog v. 22.08.2012, unter Verweis auf eine Studie des Allensbach-Institut, v. 22.08.2012, S. 7, wonach 75 % der Deutschen dem BVerfG und nur 40 % dem Bundestag vertrauen. 138 Volkmann, Bausteine zu einer demokratischen Theorie der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Bäuerle (Hrsg.), Festschrift Brun-Otto Bryde (2013), 119 (136).
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kerungsgruppen wird so ermöglicht, ihren rechtlichen Betroffenheiten Gehör zu verschaffen. Der gewonnenen Partizipation kommt mit Blick auf die Zukunftsgerichtetheit des politischen Handelns eine „legitimationskompensatorische Funktion“ zu.139 Schließlich figuriert Rechtsschutz damit als Vorsorge vor „oligarchischen Zerstörern“140. Der Gang zu Gericht kommt mithin da gelegen, wo er am meisten gebraucht wird. 3. Aufbruch zu einer klimawissenschaftlichen Expertokratie? Das Umwelt- und Klimarecht ist seit jeher auf Wissensintegration angewiesen. Im Umweltrecht wird Wissen vor allem durch Gutachten innerhalb der SUP und der UVP in rechtliche Entscheidungen integriert, im Klimaschutzrecht vor allem durch Berichte des Expertenrats für Klimafragen, des Umweltbundesamts und des IPCC. Wie bereits an anderer Stelle beschrie ben,141 bringen gerade auch die Klimaklagen Wissenschaft in den Gerichtsaal. Verhelfen sie damit zusammen mit den Gerichten einer klimawissenschaftlichen Expertokratie zum Aufstieg? Sie wäre dann gegenwärtig, wenn Entscheidungen bloß auf der Grundlage einer umfassenden Wissensbasis getroffen würden und der demokratische Prozess dabei unterlaufen werde.142 Sie wären dann nicht als Politik erkennbar und würden sich auch kaum demokratisch verantworten lassen. Expertise begleitet, aber legitimiert keine politische Entscheidung. Gleichzeitig darf sie nicht zum „allfälligen Blitz ableiter für politisches Versagen“ werden.143 Nimmt die Wissenschaft im Recht die Überhand, würden also Probleme in der demokratischen Legitimation entstehen, die durch Klimaklagen provoziert würden. Dass dies aber nicht der Fall ist, zeigen die nachfolgenden Ausführungen. Vorab gilt es zu bedenken, dass weder Politiker:innen noch Richter:innen Klimawissenschaftler:innen sind. Politische Willens- und Wissensbildung gestaltet sich in der Tat umfassender und demokratisch legitimierter.144 Im Klimaschutz besteht aber die Besonderheit, dass die Wissensgenerierung und -sammlung nicht allein durch private Gutachten erfolgt. Sie wurde zu einem wichtigen Teil auf den IPCC ausgelagert und wird regelmäßig als Anlass (2009), Gemeinwohl im Prozess, S. 182 f. Rechtsdogmatische und staatstheoretische Probleme einer Klimaklage, ZUR 2019, 259 (270). 141 Dazu unter F. IV. 2. a) aa). 142 Vgl. Münkler (2020), Expertokratie, S. 2. 143 Gärditz, Politisierte Wissenschaft als Machttechnik, WissenR 51 (2018), 244 (247, vgl. auch 257). 144 Vgl. auch Schönberger, Höchstrichterliche Rechtsfindung, VVDStRL 71 (2012), 296 (311 f.). 139 Krüper
140 Winter,
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nationaler Klimapolitik genommen. So heißt es beispielsweise in einer Antwort der Bundesregierung: „Aus Sicht der Bundesregierung geben die Aussagen des IPCC den weltweiten wissenschaftlichen Sachstand umfassend, ausgewogen und objektiv wieder. Auf Grundlage der Berichte des IPCC hält die Bundesregierung gravierende Klimaschutzmaßnahmen für dringend erforderlich.“145
Bereits im Katowicer-Klimapaket erkannte Deutschland den IPCC als wissenschaftliche Einheitsbasis im Kampf gegen den Klimawandel an.146 Im Klimaschutzplan 2050 wurde diese Anerkennung stets betont.147 Die starke Konnexität zwischen Politik und IPCC-Bericht äußert sich nicht zuletzt in dem Format der „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ deren Funktion mit der Bezeichnung selbsterklärend ist. Auch die Expertise des Sachverständigenrats für Umweltfragen ist ebenso wenig losgelöst von demokratischer Legitimation. Wenn auch weisungsunabhängig, ist der Sachverständigenrat 1971 durch Erlass der Bundesregierung ins Leben gerufen worden148 und seitdem gubernatives Beratungsgremium. Der Klimabeschluss zeigt, dass das BVerfG kein neues Wissen generiert, sondern auf die von der Politik anerkannten Gutachten zurückgreift. Ohne einen Budgetansatz, weder den des IPCC noch den des Sachverständigenrats, in Verfassungsrang zu erheben, orientierte sich das BVerfG maßgeblich an beiden.149 Das Gericht wählte den Sachverstand freilich nicht beliebig, sondern betonte, dass der IPCC auch vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wie vom Umweltbundesamt genutzt wird.150 Dabei hätte das Gericht den IPCC und den Bericht des Sachverständigenrats nicht zwingend beachten müssen. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nicht nur die Rechtskontrolle, sondern ebenfalls eine wirksame Tatsachenkontrolle.151 Art. 19 Abs. 4 GG schließt eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an tatsächliche Feststellungen und Wertungen seitens anderer Gewalten aus.152 So hätte das BVerfG nach § 27a BVerfGG auch sachkundigen Dritten Gelegenheit zur Stellungnahme geben und daran die staatlichen Reduktionsmaßnahmen messen können. Entscheidend dabei ist, dass der Beur145 BT-Drs.
19/12631, S. 5. of the Conference, Decision 1/CP.24 v. 19.03.2019, Rn. 24 ff. 147 Klimaschutzplan 2050, S. 28. 148 Erlass über die Einrichtung eines Sachverständigenrats für Umweltfragen bei dem Bundesminister des Innern vom 28.12.1971, GMBl. 1972, S. 27. 149 Dazu unter F. II. 2. e). 150 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 16 (juris). 151 BVerfG, Beschl. v. 31.05.2011, Az. 1 BvR 857/07, Rn. 68 (juris); Beschl. v. 24.10.2006, Az. 2 BvR 30/06, Rn. 24 (juris). 152 Vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 31.05.2011, Az. 1 BvR 857/07, Rn. 68 (juris) m. w. N. 146 Report
II. Warum der Gang zu Gericht lohnenswert sein kann291
teilungsmaßstab sich als gefestigt erweist. Vergleichbar urteilte das BVerfG im „Rotmilan“-Beschluss, dass Gerichten erst dann objektive Grenzen gesetzt sind, wenn es „in den einschlägigen Fachkreisen und der einschlägigen Wissenschaft an allgemein anerkannten Maßstäben und Methoden für die fachliche Beurteilung“ fehlt.153 Ungeachtet der inhaltlichen Kritiken154 erweisen sich die IPCC-Berichte nicht nur wissenschaftlich,155 sondern auch politisch wie rechtlich als allgemein anerkannter Erkenntnisgeber. Mit den Ergebnissen kann also einheitlich staatliches Handeln gemessen werden. Die Wis senschaftler:innen übernehmen dabei nicht die Aufgaben der Politi ker:innen. Die genaue Quantifizierung des Restbudgets verbleibt grundsätzlich im Bereich des gesetzgeberischen Wertungsspielraums, wenngleich dieser nicht nach politischem Belieben ausgefüllt werden darf.156 Die Irreversibilität des Klimawandels erlegt dem Gesetzgeber eine besondere Sorgfaltspflicht auf, sodass das Recht „den aus einem qualitätssichernden Verfahren hervorgegangenen Schätzungen des IPCC […] Rechnung tragen [muss], wenn diese auf die Möglichkeit der Überschreitung der verfassungsrechtlich maßgeblichen Temperaturschwelle hinweisen.“157 Der Sachverstand des IPCC muss also angesichts seiner besonderen Stellung als Orientierungsmaßstab genutzt werden. Nicht mehr und auch nicht weniger. Konsequenterweise wies das Gericht die Verfassungsbeschwerden gegen die (unterbliebenen) Landes-Klimaschutzgesetze ab, da keine derartig qualitätssichernden Schätzungen und damit Orientierungsmaßstäbe den Landesgesetzgebern vorgegeben sind.158 Der Einbezug vom IPCC und des Sachverständigenrats ist daher weniger einer Entwicklung hin zur Expertokratie als vielmehr der staatlichen Kohärenz und Konvergenz im Klimaschutz zuzuschreiben. Ein identischer Orientierungsmaßstab ist für die Effektivität demokratischer Entscheidungsfindung von zentraler Bedeutung. Sind – so oben festgestellt – Verfassungsgerichte 153 BVerfG, Urt. v. 23.10.2018, Az. 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14, Rn. 20 (juris), ähnlich BVerwG, Urt. v. 09.07.2008, Az. 9 A 14/07, Rn. 65 (juris): „Wenn und solange die ökologische Wissenschaft sich insoweit nicht als eindeutiger Erkenntnis geber erweist, fehlt es den Gerichten an der auf besserer Erkenntnis beruhenden Befugnis, eine naturschutzfachliche Einschätzung der sachverständig beratenen Planfeststellungsbehörde als ‚falsch‘ und ‚nicht rechtens‘ zu beanstanden.“ 154 Dazu Ekardt/Heß, Intertemporaler Freiheitsschutz, ZUR 2021, 579 (584); allgemeiner Leuschner (2012), Die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft, S. 175 ff., insbes. 181 ff. 155 Der IPCC-Bericht ist eine Art Meta-Analyse sämtlicher einschlägiger Wissenschaft. Er trägt sämtliche klimawissenschaftliche Erkenntnisse zusammen und wertet sie aus. 156 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 229 (juris). 157 Ebd., Rn. 229 (juris). 158 BVerfG, Beschl. v. 18.02.2022, Az. 1 BvR 1565/21 et al., Rn. 14 ff. (juris).
292 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
Orte demokratischer Deliberation und Verwaltungsgerichte für die Weiterentwicklung demokratischer Gesetze zuständig, sollten sie mit demselben Maßstab operieren, wie es die Politik vorgibt zu tun.159 Denn in jeder Demokratie bedarf es epistemischer Wahrheit, mit der die Demokratie offen auf die Außenwelt reagieren kann.160 Die Wissenschaft gilt es dabei freilich nicht zu überhöhen. Vielmehr muss sie fortlaufend demokratisch-politisch neu bewertet werden.161 Ob eine Neubewertung mit den Grundrechten vereinbar ist, fällt dann wiederum in den Aufgabenbereich der Gerichte. Diese fungieren dabei allenfalls als rechtsexpertokratisch,162 aber wie gezeigt nicht kompetenzüberschreitend. Dies gilt auch für das BVerfG mit Blick auf den Einbezug des IPCC. Es gilt hervorzuheben, dass das Gericht die Erkenntnisse des IPCC nicht verfassungsrechtlich fixierte und die Budgetgrößen nicht als zahlengenaues Maß für eine verfassungsrechtliche Kontrolle definierte. Das Restbudget kann verfassungsrechtlich eben nicht zahlengenau beziffert werden,163 sondern bloß flexibler Orientierungsmaßstab sein. Wie viel Flexibilität zwischen staatlicher Orientierung und dem wissenschaftlichen Maßstab der IPCC-Berichte liegen darf, hätte die Entscheidung zu den neusten Verfassungsbeschwerden zeigen können. Dort wurde das unverhältnismäßige Verbrauchen der restlichen Emissionsmengen moniert und sich auf den neuen, den sechsten Sachstandsbericht des IPCC berufen.164 Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde allerdings ohne Begründung nicht zur Entscheidung an. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, nicht nur seine politischen Absichten, sondern ebenfalls das KSG stärker an den Berechnungen des IPCC auszurichten. Als normative Erinnerung sollte hierfür nach dem Vorbild des § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG eine wissenschaftliche und technische Generalklausel eingeführt werden, die sämtliche Maßnahmen aus dem KSG am „Stand von Wissenschaft und Technik“ ausrichtet. Damit wäre die Anwendung des KSG legislativ an die Wissenschaft rückgekoppelt. So kritisierte schon der Expertenrat für Klimafragen die fehlende Transparenz und das Verfahren, auf
159 So kommt auch Münkler (2020), Expertokratie, S. 634 zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Frage, ob Verfassungsgerichte expertokratische Institutionen sind, um eine „der Demokratie immanente Frage handelt, nicht aber um ein Expertokratieproblem.“ 160 Gärditz, Politisierte Wissenschaft als Machttechnik, WissenR 51 (2018), 244 (251). 161 Ebd. 162 Ebd. (262). 163 BVerfG, Beschl. v. 24.03.2021, Az. 1 BvR 2656/18 et al., Rn. 229, 236, 246 f. (juris). 164 Klageschrift v. 24.01.2022, insbes. S. 91 ff.
III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt293
welcher Grundlage die Reduzierung im KSG erfolgte.165 Die Verbindung zwischen IPCC und KSG könnte ein gestärkter Expertenrat gemäß § 11 KSG herstellen. Dieser könnte beispielsweise mit stärkeren Partizipationsrechten ausgestattet werden, die IPCC-Berichte für das KSG operationalisieren und sich stärker am britischen Committee on Climate Change orientieren.166 Dieses begleitet die staatliche Klimaschutzpolitik deutlich forcierter mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, als es dem Expertenrat mit seiner nüchternen Prüfungskompetenz möglich ist.
III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt 1. Kein materiell-, sondern ein prozessrechtliches Problem a) Auslegungen als notwendige Rechtserzeugungen Erst wenn sich der Sachverhalt nicht unter den Wortsinn und Normenzweck fassen lässt, muss ein Gericht die – vorausgesetzt planwidrige – Rechtslücke wegen des Rechtsverweigerungsverbots schließen.167 Nach der hier vertretenen Ansicht sind die Gerichte bei der Subjektivierung im status quo noch innerhalb ihrer Auslegungs- und Anpassungskompetenz tätig geworden. Denn solange sich die Judikative im Rahmen denkbarer Bedeutungsgehalte aufhält, agiert sie innerhalb ihrer Entscheidungskompetenz.168 Selbst mit der zunächst befremdlich anmutenden „Darmstädter Luftrein halteplan“-Rechtsprechung werden zwar Grenzen dieser gerichtlichen Kompetenz erreicht, nicht aber überschritten.169 Materielle Rechtsauslegungen (Subjektivierungen) schließen Lücken, loten ein bloßes Ungleichgewicht aus, integrieren Gemeinschaftsrecht und faktische Betroffenheiten in das nationale Recht und können hinter alldem Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG stehend wissen. Sie müssen als notwendige Rechtserzeugungen verstanden sein und nicht als Rechtsfortbildungen contra legem.170 Damit das geltende Recht nicht an Ver165 Expertenrat für Klimafragen, Bericht zur Vorjahresschätzung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2020, v. 15.04.2021, S. 91 f. Rn. 185 ff. 166 Das KSG wollte dies mit dem Expertenrat ohnehin laut Gesetzesbegründung, BT-Drs. 19/14337. 167 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 95 Rn. 14; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, 3. Aufl. 2018, Art. 92 Rn. 41. 168 Bumke, Verfassungsrechtliche Grenzen fachrichterlicher Rechtserzeugung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 33 (36). 169 Dazu unter D. II. 4. a) aa). 170 Zur Unterscheidung der Legitimität Payandeh (2017), Judikative Rechtserzeugung, S. 251 f.
294 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
bindlichkeit verliert, ist den Gerichte dabei zu raten, ihre Auslegungen hinreichend zu begründen.171 Nur so fußt das Recht auf einer für die Gesellschaft verständlichen Verbindlichkeit. Dies missversteht, wer den Gesetz geber deshalb vollständig von Rechtsentwicklungen freistellt. Gerade im Drittschutz172 und bei der Verbandsklage173 muss er Klima- und Umweltschutz weiter in den Rechtsschutz integrieren. b) Zwischen gemeinschaftsrechtlich Notwendigem und staatsrechtlich Verbotenem Sind Gerichte noch zur Auslegung verpflichtet, so sind sie es zur richter lichen Fortbildung nicht.174 Gerichte müssen also im Grundsatz mit dem Recht auskommen, das ihnen durch den Gesetzgeber gegeben wurde. Eine Rechtsfortbildung beginnt dann dort, wo die Auslegung von Normen endet.175 Das kann problematisch sein, da die Gesetzesbindung der Gerichte durch Auslegung aktualisiert wird, durch kompetenzwidrige Rechtsfortbildung wird sie hingegen relativiert.176 Wenn noch die Subjektivierungen Defizite korrigieren, sind rein prozessrechtliche Rechtsschöpfungen (im Folgenden: Prozessrechtsfortbildungen) vor allem im Bereich des überindividuellen Rechtsschutzes problematisch. Denn „Klagerechte sind eine grundrechtsrelevante Drittbelastung und als solche rechtfertigungsbedürftig.“177 Zur Rechtfertigung dieses Eingriffes streitet bei der Entgrenzung des objektiven Rechtsschutzes nicht der Anspruch auf Individualrechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG, sondern allenfalls der unionale effet utile und der völkerrechtliche Art. 9 Abs. 3 AK. Beauftragt doch § 42 Abs. 2 VwGO ausdrücklich den Gesetzgeber („Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt […].“) das Prozessrecht zu regeln. Auch durch die Gewaltenteilung stößt die Rechtsfortbildung an Grenzen. Die Rechtsfortbildung endet da, wo dem Gesetzgeber Gestaltungsmacht verblei171 Dazu
Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 321 f. unter D. II. 4. b) aa). 173 Dazu unter D. II. 6. b). 174 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 95 Rn. 15. 175 Larenz/Canaris (1995), Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 143, 187; dazu kritisch Jestaedt, Richterliche Rechtssetzung statt richterliche Rechtsfortbildung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 49 (58 f.). 176 Jestaedt, Richterliche Rechtssetzung statt richterliche Rechtsfortbildung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 49 (58). 177 Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (6); dazu unter B. II. 1. b). 172 Dazu
III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt295
ben muss.178 Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Gerichte an Gesetz und Recht, sodass sie nur innerhalb des legislativen Rahmens, durch zum Beispiel die Subjektivierung, gestalterisch tätig werden dürfen.179 Setzt sich die Fortbildung in krassen Widerspruch zu einschlägigen Normen und werden damit ohne entsprechende Grundlage im geltenden Recht Ansprüche begründet, beanspruchen die Gerichte Befugnisse, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen sind.180 Auch bei einem dynamisch verstandenen Gewaltenteilungsbegriffs dürfen sich Gerichte daher nicht aus der Rolle der Normanwender in die einer normsetzenden Instanz begeben.181 Im vom Gemeinschaftsrecht geprägten Umweltprozessrecht entsteht ein Konfliktfall zwischen einer Rechtsfortbildung, die gemeinschaftsrechtlich zwingend ist (dazu sogleich), und der Befugnis des Gesetzgebers, tätig zu werden. Der Eingriff in letztere könnte durch Art. 20 Abs. 3 GG legitimiert sein, wonach kein Anspruch auf rechtswidrige Zustände, also Gesetzesvollzugsverweigerung, bestehen kann.182 Im Gegensatz zu diesem hat das BVerfG aber nachdrücklich betont, dass in Deutschland kein Anspruch auf Gesetzesvollziehung existiert.183 Zudem gewährt Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG den Einzelnen ein Recht darauf, dass sich Rechtsfortbildungen im Rahmen der richterlichen Kompetenzen halten.184 Überdies hat es sich in der deutschen Rechtsordnung in Teilen sogar etabliert, dass rechtswidrige Zustände hingenommen werden müssen. Man denke an die Unbeachtlichkeit 178 Jachmann-Michel, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 95. EL Juli 2021, Art. 95 Rn. 16; BVerfG, Beschl. v. 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10, Rn. 52 (juris); vgl. auch Bumke, Verfassungsrechtliche Grenzen fachrichterlicher Rechtserzeugung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 33 (36 und 41); durch Prozessrechtsfortbildungen erweitern Gerichte damit ihre Kontrollkompetenz, ohne dass der Gesetzgeber sie dazu beauftragt hat, vgl. die auf die Verobjektivierung des Rechtsschutzes übertragbaren Ausführungen zur Subjektivierung und Vergrundrechtlichung des Sonntagsschutzes vor dem BVerfG von Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 303 ff.; vgl. auch Steiger, Entgrenzte Gerichte?, Verw Arch 107 (2016), 497 (499); allgemein und kritisch zur Zuständigkeitserweiterung durch das BVerfG, Maus (2018), Justiz als gesellschaftliches Über-Ich, S. 27 ff. 179 Vgl. Payandeh (2017), Judikative Rechtserzeugung, S. 232; BVerfG, Beschl. v. 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10, Rn. 53 (juris): „Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen.“ 180 Vgl. für Rspr. nur BVerfG, Beschl. v. 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10, Rn. 51 (juris) m. w. N. 181 Vgl. nur ebd., Rn. 52 (juris) m. w. N. 182 Vgl. Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 261. 183 Unstreitig BVerfG, Beschl. v. 12.09.2012, Az. 2 BvE 6/12 et al., Rn. 95 (juris) m. w. N. 184 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10, Rn. 50 ff. (juris); Beschl. v. 31.10.2016, Az. 1 BvR 871/13, 1 BvR 1833/13, Rn. 17 (juris); Beschl. v. 06.06.2018, Az. 1 BvR 7/14, 1 BvR 1375/14, Rn. 72 f. (juris) jeweils m. w. N.
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von Rechtsverstößen (§ 46 VwVfG oder § 214 ff. BauGB) oder an die Praxis des BVerfG, Gesetze bloß für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären, anstatt für nichtig.185 Entscheidungen des BVerfG können zwar nach § 31 Abs. 2 BVerfG in bestimmten Fällen in Gesetzeskraft erwachsen und damit dem Gesetzgeber vorrübergehend seines Amtes berauben, aber eben nur in den legislativ vorgesehenen Fällen. Für verwaltungsrechtliche Entscheidungen sind derartige Fälle gerade nicht vorgesehen. Den Gerichten kann allerdings nicht (allein) die Schuld für kompetenzübersteigendes Handeln gegeben werden. Die mehrfachen Weckrufe aus Luxemburg186 und die reaktiven Nachschärfungen sind symptomatisch für eine zögerliche Gesetzgebung im Umweltprozessrecht. Auf die Europäisierung des Rechts gar nicht oder nur zögerlich zu reagieren, kann aber nicht nur zu Frustration in und Anpassungsdruck aus Luxemburg führen. Zeigte doch die ultra-vires-Kontrolle im PSPP-Beschluss187, dass auch das BVerfG die Europäisierung des Rechts nicht tatenlos hinnimmt. Da die ultra-vires-Kontrolle über Verfassungsidentität hinausgehen und alle unionalen Kompetenzüberschreitungen erfassen könnte, könnten auch umweltrechtliche Sachverhalte von der ultra-vires-Kontrolle erfasst sein.188 Nicht nur die Gerichte, sondern vor allem der deutsche Gesetzgeber muss daher das Vakuum der Europäisierung im Prozessrecht füllen.189 Materiell-rechtlich hilft eine weite Subjektivität, welche aber für rein objektives Recht (z. B. Artenschutz und weite Teile des Naturschutzes) an ihre Grenzen stößt. Auf diese gilt es mit legislativen prozessualen Lösungen zu antworten. Kurzum: Deutschland hat ein prozessrechtliches Integrationsproblem. 2. Die Entstehung der richterrechtlichen Verbandsklage Der deutsche Gesetzgeber steuert mit offenen Augen in das Dilemma zwischen Völkerrechtswidrigkeit und Spannungen der Gewaltenteilung. Wird er weiter als Getriebener und nicht als Gestalter190 im Umweltprozessrecht tä185 Vgl. Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 262 m. w. N. und Beispielen. 186 Dazu unter C. II. 2. b). 187 BVerfG, Beschl. v. 23.06.2021, Az. 2 BvR 2216/20, 2 BvR 2217/20 (juris). 188 Vgl. Steiger, Entgrenzte Gerichte?, VerwArch 107 (2016), 497 (530 f.). 189 So auch i. E., aber in einem anderen Kontext Krotov, 100 Jahre „governement des judges“ – das vergessene Jubiläum, JuWiss Blog Nr. 4/2022 v. 20.01.2022; nach Friedrich (2020), Vom Recht zur Berechtigung, S. 272 ist schon jetzt der „Traum von einer schonenden Integration der unionsrechtlichen Vorgaben in das deutsche Verwaltungsprozessrecht“ geplatzt. 190 Gärditz, Die Entwicklungen des Umweltrechts in den Jahren 2016–2018, ZfU 2019, 369 (379).
III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt297
tig, werden die Gerichte unter dem Druck des Gemeinschaftsrechts und des EuGH aus dem Korsett des UmwRG ausbrechen müssen. Die Gerichte wechseln bereits in einen Krisenreaktionsmodus.191 Es ist nicht nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ein „eigenständiges Umweltschutz[prozess]recht kraft richterlicher Spruchpraxis“192 schaffen, sondern bereits in neueren Judikaten Realität. Hierfür steht beispielhaft die Entwicklung der Rechtsprechung zu den prokuratorischen Verbandsklagerechte.193 Obgleich darauf zunächst mit § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UmwRG reagiert wurde, erfährt die richterrechtliche Verbandsklage neue Ausformungen. Die Rechtsprechung des BVerwG wurde bis zur „Protect“-Entscheidung innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeiten nicht nur adaptiert, sondern ebenso erweitert. Die Gerichte sind sich dabei keineswegs einig. So überzeugt der 7. Senat des BVerwG die Justiziabilität schon in der „Darmstädter-Luftreinhalteplan“-Rechtsprechung erweiterte, so skeptisch begegnete der 4. Senat der Erweiterung in seiner Entscheidung zur Flugroutenfestlegung.194 Ebenso beim OVG Koblenz. Der 8. Senat lehnte ein Klagerecht des Verbandes ab und maß der „Braunbär I“-Entscheidung, weil er die relevanten Teile als obiter dictum einstufte, bloßen „Appellcharakter“ bei.195 Der 1. Senat hingegen nahm ein Klagerecht im Sinne einer effektiven „Mobilisierung der Öffentlichkeit zur Durchsetzung des unionsrechtlichen Umweltschutzes“ an.196 Bereits vor der „Protect“-Entscheidung197 wurde die Angst vor einer uneingeschränkten Rechtsbehelfsmöglichkeit geäußert, wenn Verbände die Verletzung des gesamten objektiven Unionsumweltrecht als eigene Rechtsverletzung rügen könnten.198 So betonte das BVerwG mehrfach, dass für Verbände objektives Umweltrecht außerhalb des UmwRG
191 Dazu Jestaedt, Richterliche Rechtssetzung statt richterliche Rechtsfortbildung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 49 (56 f.). 192 Berkemann, Sinn und Funktionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht, (2014), S. 14 ff.; vgl. auch etwa Kloepfer (2019), Umweltrecht, § 8 Rn. 1; so spricht auch Berkemann, EuGH stärkt erneut Klagebefugnisse, DVBl 2021, 1 (7) m. w. N. in Ansehung an den Art. 9 Abs. 3 AK von der „Umsetzung durch Richterrecht“. 193 Zu der ursprünglichen Entscheidung unter D. II. 4. a) aa). 194 BVerwG, Urt. v. 12.11.2014, Az. 4 C 34/13, Rn. 22 ff. (juris); so auch Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (415). 195 OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 27.02.2013, Az. 8 B 10254/13, Rn. 12 ff. (juris). 196 OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 06.02.2013, Az. 1 B 11266/12, Rn. 42 (juris). 197 Dazu unter C. II. 2. b) aa) (6). 198 OVG Lüneburg, Urt. v. 25.05.2016, Az. 4 KN 154/13, Rn. 53 (juris).
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nicht justiziabel sein sollte.199 Nun aber bahnt sich ein Wandel von „unten“ an. Wenn noch das BVerwG das prokuratorische Klagerecht der Verbände ausdrücklich durch ein subjektives Recht bedingte, löst sich die neuere Rechtsprechung von dieser Konnexität.200 Schon vor der „Protect“-Entscheidung, hielt es der VGH München für geboten, die prokuratorische Rechtsstellung auf „unbedingte und hinreichend bestimmte objektive unionsrechtliche Vorschriften“ zu erweitern.201 Dies erfolgte allerdings nicht nach § 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO, sondern nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO.202 Nach Auffassung des VG Berlin ist die BVerwG „Darmstädter-Luftreinhalteplan“-Rechtsprechung nun aber angesichts der „Protect“-Entscheidung zu modifizieren.203 Nicht nur die Einhaltung von subjektiv-rechtlichen, sondern nun auch von „rein objektiv-rechtlichen Umweltvorschriften, die ihre Basis im Unionsumweltrecht haben,“ muss durch die Verbände über § 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO erzwungen werden können.204 Auch das VG Sigmaringen spricht den Verbänden ein Klagerecht bezüglich Vorhaben zu, die zwar außerhalb des UmwRG liegen, aber Vorschriften des Unionsumweltrechts berücksichtigen mussten.205 Die Gerichte passen also das UmwRG entgegen klarer und bewusster Gesetze den Anforderungen aus Luxemburg an. Rein objektives Unionsumweltrecht als ein Recht i. S. d. § 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO zu verstehen, die prokuratorische Verbandsklage also losgelöst von subjektiven Rechten zu begründen, kann ohne gesetzliche Anordnung nicht gelingen, steht doch hinter der Vorschrift das subjektive Rechtsschutzsystem. Entgegen der Auffassung der Gerichte legen sie nicht mehr „Recht“ i. S. d. § 42 Abs. 2 Hs. 2 VwGO gemeinschaftskonform aus, sondern sie schaffen eine neue quasi-gesetzliche Rügebefugnis nach § 42 Abs. 2 Hs. 1 VwGO. Ihre gesetzliche Bestimmung in der Aarhus-Konvention zu suchen,206 über199 BVerwG, Urt. v. 19.12.2013, Az. 4 C 14/12, Rn. 20 ff. (juris); Urt. v. 12.11.2014, Az. 4 C 34/13, Rn. 23 ff. (juris); Urt. v. 18.12.2014, Az. 4 C 35/13, Rn. 57 ff. (juris). 200 VG Berlin, Urt. v. 18.04.2018, Az. 11 K 216.17, Rn. 26 (juris); VG Sigmaringen, Urt. v. 14.11.2018, Az. 10 K 118/17, Rn. 163 ff. (juris). 201 VGH München, Urt. v. 28.07.2016, Az. 14 N 15.1870, Rn. 45 (juris); VGH Kassel, Beschl. 31.05.2021, Az. 4 A 610/19, Rn. 73 (juris) ließ die Frage offen, ob Verbände objektives Unionsumweltrecht einklagen können. 202 VGH München, Urt. v. 28.07.2016, Az. 14 N 15.1870, Rn. 34, 43 ff. (juris). 203 VG Berlin, Urt. v. 18.04.2018, Az. 11 K 216.17, Rn. 26 (juris). 204 VG Berlin, Urt. v. 18.04.2018, Az. 11 K 216.17, Rn. 26 (juris). 205 VG Sigmaringen, Urt. v. 14.11.2018, Az. 10 K 118/17, Rn. 113 ff. (juris). 206 So etwa Mangold/Wahl, Das europäisierte deutsche Rechtsschutzkonzept, Die Verwaltung 48 (2015), 1 (24); auch das OVG Magdeburg, Beschl. v. 23.03.2017, Az. 2 K 127/15, Rn. 21 ff. (juris) ließ offen, ob Verbände hinreichend bestimmtes Unionsumweltrecht einklagen können, und begründete die Klagebefugnis unmittelbar aus Art. 9 Abs. 2 AK (Rn. 24).
III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt299
zeugt nicht, da die Konvention stets auf die staatliche Umsetzungsautonomie verweist und sie nach Auffassung des EuGH nicht unmittelbar angewendet werden kann.207 Art. 9 Abs. 3 AK zielt zwar auf justiziable Normen, schafft sie aber nicht.208 Davon unbeeindruckt streben die Gerichte nach einer richterrechtliche Verbandsklage ohne beschränkten Anwendungsbereich und ohne gesetzliche Grundlage.209 Anders gewendet wird durch die Hintertür der Rechtsfortbildung eine generalklauselartige Verbandsklage geschaffen, die legislativ bislang ausdrücklich nicht gewollt war.210 Die dilemmatische Situation ist perfekt. Auf der einen Seite sind für den EuGH nach seiner „Protect“-Entscheidung Kriterien unzulässig, die derart streng sind, dass es für Verbände praktisch unmöglich ist, Handlungen und Unterlassungen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 AK anzufechten.211 Auch das ACCC hat mehrfach betont, dass Art. 9 Abs. 3 AK für alle Handlungen oder Unterlassungen gilt, die gegen Umweltrecht verstoßen,212 und dass bei der Frage, welche Handlungen oder Unterlassungen von nationalen Kriterien ausgeschlossen werden können, kein Ermessen besteht.213 Kommen die Gerichte dem nach, setzen sie sich auf der anderen Seite entgegen ständiger Rechtsprechung des BVerfG214 in krassen Widerspruch zu einschlägigen Normen (UmwRG). Bereits im Jahr 1996 sprach sich das BVerwG nachdrücklich gegen eine ungeschriebene Verbandsklage und für eine gesetzliche Grundlage aus.215 Das Ergebnis der Verwaltungsgerichte ist damit aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zwar richtig,216 aus staatsorganisatorischer Sicht 207 EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 44 f. (juris); EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 45 (juris). 208 Ruffert, Umweltrechtsschutz ohne methodische Grundlage?, DVBl 2019, 1033 (1036). 209 BVerwG, Urt. v. 05.09.2013, Az. 7 C 21/12, Rn. 46 (juris); Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (414 f.). 210 BT-Drs. 18/9526, S. 37. 211 EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 47 (juris). 212 ACCC, ACCC/2005/11 (Belgien), v. 28.07.2006, Rn. 28; ACCC/C/2008/32 (Part II) (Europäische Gemeinschaft), v. 02.06.2017, Rn. 98 f. 213 ACCC, ACCC/C/2008/32 (Part II) (Europäische Gemeinschaft), v. 02.06.2017, Rn. 52, 101; ACCC/MP.PP/2017/40 (Deutschland), v. 17.07.2017, Rn. 38. 214 Hier besteht ein Widerspruch zu der bereits unter 1. erwähnten Rechtsprechung, BVerfG, Beschl. v. 25.01.2011, Az. 1 BvR 918/10, Rn. 51 (juris) m. w. N. 215 BVerwG, Urt. v. 18.04.1996, Az. 11 A 86/95, Rn. 35 ff. (juris). 216 Neben den zitierten Gerichtsentscheidungen folgt dem die wohl auch herrschende Meinung in der Literatur, so etwa Bunge, Zur Klagebefugnis anerkannter Umweltverbände, ZUR 2014, 3 (8); Schlacke, Klagebefugnis anerkannter Umweltverbände, NVwZ 2015, 563 (564 f.); Klinger, Novelle des Umweltrechtsschutzes, ZUR 2016, 449 (450); Epiney, Rechte Einzelner im EU-Umweltrecht, EurUP 2017, 223 (232); Franzius, Baustellen des Umweltrechtsschutzes, DVBl 2018, 410 (415); Wegener, Der Braunbär lernt schwimmen, ZUR 2018, 217 (221); Lammers/Römling, Das
300 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
hingegen falsch. Die richterrechtliche Verbandsklage kann daher allenfalls als vorrübergehende Behelfslösung greifen für den nach Art. 9 Abs. 3 AK notwendigen, aber von dem Anwendungsbereich des § 1 UmwRG nicht erfassten Justiziabilitätsumfang. Sie erwächst in dem eingangs erwähnten Krisenmodus aus einer „Notkompetenz“217 der Gerichte, solange der Gesetzgeber nicht tätig wird. 3. (Prozess-)Rechtsfortbildung: eine Lösung ohne Methodik und Anspruch auf einheitliche Vollständigkeit Rechtsfortbildungen sind nicht nur notgedrungen, sondern vor allem auf Sand gebaut. Trotz Objektivität und Unabhängigkeit von Politik und Medien fehlen den Richter:innen konsensfähige Leitlinien. Mangels präziser Kriterien könnte die „Einheit der Rechtsordnung […] im Kern bedroht [sein], wenn gleiches Recht ungleich gesprochen“218 und auch fortgebildet wird. Nur wie soll Einheitlichkeit gelingen, wenn es den Richter:innen an einer Methodik hierfür fehlt. Matthias Ruffert fragt nach einer „methodischen Grundlage“ des EuGH im Umweltrechtsschutz.219 Nach Jörg Berkemann könne er danach lange fragen, umfasse das Auslegungsmonopol des EuGH doch auch die Fortbildung der Methodik, sodass sie nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen sei.220 Kompromissbereit ist beiden mit Christian Bumke zu antworten: Die Bestandskraft der Rechtsordnung ist mangels Unterscheidbarkeit von Rechtsfortbildung und rechtspolitischer Anmaßung jedenfalls von einer selbstdisziplinierten Gerichtsbarkeit abhängig.221
neue Governance-System der Europäischen Energieunion, ZUR 2019, 332 (339); Berkemann, Replik: Rufferts Suche nach methodischen Grundlagen, DVBl 2020, 1516 (1517); Marxsen, Der subjektive Rechtsschutz nach klassischem Konzept und Tendenzen, Die Verwaltung 53 (2020) 215 (229 f.); für unionale Klimaschutzrechtsnormen: Verheyen/Pabsch, The role of non-governmental organizations, in: Kahl/ Weller (Hrsg.), Climate change litigation (2021), 507 (520 ff.), und unter E. II. 2.; a. A. Ruffert, Umweltrechtsschutz ohne methodische Grundlage?, DVBl 2019, 1033 (1039). 217 Berkemann, Der slowakische Braunbär im deutschen Prozessrecht, DVBl 2013, 1137 (1148); vgl. auch Rehbinder, Einzelne als Anwälte der Natur vor deutschen Verwaltungsgerichten, EurUP 2021, 199 (204). 218 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.06.1980, Az. 1PBvU 1/79, Rn. 48 (juris). 219 Ruffert, Umweltrechtsschutz ohne methodische Grundlage?, DVBl 2019, 1033. 220 Berkemann, Replik: Rufferts Suche nach methodischen Grundlagen, DVBl 2020, 1516 (1519 f.). 221 Bumke, Verfassungsrechtliche Grenzen fachrichterlicher Rechtserzeugung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 33 (47).
III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt301
Selbstdisziplin ist eine legitime Forderung, aber keine Gewähr für Einheitlichkeit. Reagiert der deutsche Gesetzgeber nicht, führt die Prozessrechtsfortbildung ungeachtet der Kompetenzdefizite zu Friktionen zwischen der Justiziabilität von unionalem und nationalem Umweltrecht. Der EuGH kann nur die Justiziabilität des Unionsumweltrechts verlangen, indem er für dessen Auslegung zuständig ist (Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV, Art. 267 Abs. 1 AEUV).222 Sich dessen bewusst betont der EuGH stets nur für das Unionsumweltrecht entscheiden zu wollen.223 Aber schon hier wird die Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten zumindest auf die Probe gestellt. Legt er unionales Sekundärrecht wie zum Beispiel die Luftqualitäts-RL224, die Wasserrahmen-RL225 oder Nitrat-RL226 aus, tut er dies im Rahmen seiner Auslegungskompetenz. Indem er aber aus Art. 9 Abs. 3 AK (i. V. m. Art. 47 GRCh) unionsrechtlich verlangt, nationales Verfahrensrecht völkerrechtskonform auszulegen, nähert er sich bedrohlich nah den Grenzen seiner Kompetenz. Stimmen in der Literatur sehen hier seine Kompetenzen überschritten, da der Grundsatz der Unionstreue ihn nur bezüglich des Unionsrechts ermächtige, Art. 9 Abs. 3 AK allerdings wegen gescheiterter Richtlinie227 nicht in das Unionsrecht überführt wurde.228 Die Rechtsschutzentwicklung durch den EuGH, die die Einklagbarkeit sämtlicher objektiver Rechtsnormen fordert und damit Richtlinien im Zusammenspiel mit den Verbandsklagen faktisch innerstaatlich umsetzt, läuft Gefahr, die staatliche Umsetzungskompetenz völkerrechtlicher Verträge zu usurpieren.229 Der EuGH hält dem entgegen, dass es keine Rolle spiele, dass die Aarhus-Verordnung nur Organe der Union adressiere, da ein klares Interesse daran bestehe, eine Vorschrift einheitlich auszulegen, die sowohl auf Sachverhalte Anwendung findet, die dem 222 Der EuGH ist nicht nur für die Auslegung des Primärrechts zuständig, sondern ebenfalls für die des gesamten sekundären Unionsrechts, Ehricke, in: Streinz, EUV/ AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 267 AEUV Rn. 19. 223 So etwa „Braunbär I“-Entscheidung, EuGH, Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 51 (juris) und „Protect“-Entscheidung EuGH, Urt. v. 20.12.2017, Az. C-664/15, Rn. 45 (juris). 224 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.07.2008, Az. C-237/07. 225 Vgl. EuGH, Urt. v. 28.05.2020, Az. C-535/18. 226 Vgl. EuGH, Urt. v. 03.10.2019, Az. C-187/18. 227 Dazu unter C. II. 2. a) bb) (1) (c); anders der Art. 9 Abs. 2 AK, der in Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IE-RL sein unionsrechtliches Pendant findet, dazu unter C. II. 2. a) bb) (1) (b). 228 Vgl. etwa Wegener, Die europäische Verbandsklage, ZUR 2011, 363 (366); Gärditz, Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz im Umweltrecht, NVwZ 2014, 1 (5) m. w. N. 229 Und ebenso die Kriterien der unmittelbaren Anwendung von Richtlinien und Völkerrecht, Ruffert, Umweltrechtsschutz ohne methodische Grundlage?, DVBl 2019, 1033 (1037 f.).
302 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
innerstaatlichen Recht unterliegen, als auch auf Sachverhalte, die dem Unionsrecht unterliegen.230 Er zielt auf eine einheitliche Handhabung von Art. 216 Abs. 2 AEUV und damit auf europäische Kohärenz. Der Streit muss hier nicht vertieft werden, da das BVerwG urteilte, dass die nationalen Gerichte die Entscheidungen des EuGH zu beachten haben. Überdies seien die Grenzen zum „ausbrechenden Rechtsakt“, etwa wegen vermeintlichen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 S. 1 EUV, hier ersichtlich nicht überschritten.231 Dennoch ist auf das erwähnte grundlegende Problem hinzuweisen. In jedem Fall ist ein enormes Justiziabilitätsgefälle zwischen nationalem und unionalem Recht zu befürchten. Es resultiert in einer Zweigleisigkeit im Rechtsschutz und öffnet die Tore für eine uneinheitliche Rechtspraxis. Betrachtet man die Entwicklung weniger vom Ergebnis her denn vom Schutzgut, wird schnell klar, dass weder die Umwelt in ihrem Bestand, noch die Aarhus-Konvention in ihrem Art. 9 AK zwischen der Verletzung von unionalem oder nationalem Umweltrecht differenziert. Auch rechtspraktisch kann nicht (immer) trennscharf dazwischen unterschieden werden. Der unionale Gehalt lässt sich nicht ohne weiteres im nationalen Umweltrecht wiederfinden, können doch die Mitgliedstaaten Unionsrecht überschießend und angepasst an ihre nationalen Gegebenheiten umsetzen.232 Ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit ist die logische Konsequenz,233 obgleich dieser zu begegnen das Gesetzgebungsverfahren des UmwRG als leitendes Ziel begleitete.234 Manche befürchten dadurch „Ausbrüche und Alleingänge der Rechtspre chung“235, andere sehen sogar die Gewaltenteilung und den Rechtstaat in Gefahr.236 Jedenfalls wird die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Vorlagen an den EuGH gesteigert,237 was gewiss für die europäische Kohärenz streitet und als Einla230 EuGH,
Urt. v. 08.03.2011, Az. C-240/09, Rn. 41 f. (juris). Urt. v. 05.09.2013, Az. 7 C 21/12, Rn. 22 (juris). 232 Dazu Bunge, Zur Klagebefugnis anerkannter Umweltverbände, ZUR 2014, 3 (9 f.). 233 So bereits Moench, Der Einfluß des europäischen Rechtes, KritV 1996, 214 (226 f.); Wegener, Der Braunbär lernt schwimmen, ZUR 2018, 217 (222). 234 BT-Drs. 18/9526, S. 37; vgl. auch die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit v. 26.09.2016, ProtokollNr. 18/91, S. 12, 15. 235 Pernice-Warnke, Verwaltungsprozessrecht unter Reformdruck, DÖV 2017, 846 (855 f.). 236 Vgl. Reinhardt, Öffentlichkeitsrechte als Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat?, NVwZ 2020, 1484 f. 237 Berkemann, EuGH stärkt erneut Klagebefugnisse, DVBl 2021, 1 (7); Deutschland führt bereits jetzt mit weitem Abstand die Liste der Vorlagen an, EuGH, Jahresüberblick 2020, S. 56. 231 BVerwG,
III. Wo der Gang zu Gericht an seine Grenzen stößt303
dung für Rechtsentwicklungen (v. a. funktionale Subjektivierung) verstanden werden sollte,238 aber eben auch innerstaatlich Friktionen hervorrufen und Umsetzungsspielräume usurpieren kann. Überdies wirkt die richterliche Rechtsfortbildung nicht als Allerheilmittel des Umweltrechtsschutzes. Ein nationales Gericht und der EuGH werden nur dann tätig, wenn sie angerufen werden. Wo keine Kläger:innen respektive Vorleger:innen, da keine Richter:innen. Ohne den passenden Sachverhalt, keine evolutionäre Gestaltungsmacht der Judikative.239 Und selbst wenn sich Kläger:innen finden, gilt: Wo keine Lücke, da keine Rechtsfortbildung. Die Gefahr besteht, dass die Gerichte im Umweltrecht durch den gemeinschaftsrechtlichen Druck ergebnisorientiert handeln. Sie ziele dann nicht mehr auf das Schließen von Lücken, sondern auf das Suchen, manchmal auf das Kreieren derselben.240 Dies soll nicht als Vorwurf an die Gerichtsbarkeit verstanden werden. Notgedrungen sucht sie jene Behelfslösung, die der zögerliche Gesetzgeber provoziert. Selbst wenn sowohl Klagende als auch eine Rechtslücke gefunden sind, ist nur der große Senat des BVerwG nach § 11 Abs. 4 VwGO ausdrücklich zur Rechtsfortbildung legitimiert. Aber dieser kann, weil das BVerwG vor allem241 Rechtsmittelgericht ist, nur bei Revi sionen tätig werden. Da diese schlicht nicht bei jeder offenen Rechtsfrage eingelegt werden, ist die Einheitlichkeit wie die Vollständigkeit der Fortbildungen latent gefährdet.242 Der Flaschenhals zu einer rechtmäßigen, einheitlichen und vollständigen Rechtsfortbildung ist folglich sehr eng. 4. Schlussfolgerung: Generalklausel im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK Dabei ist die Lösung doch so offensichtlich. Will der Gesetzgeber nicht, dass das Verwaltungsprozessrecht richterrechtlich unterwandert wird, muss er handeln. Um endgültig den Status eines reaktiven Getriebenen ablegen zu 238 So auch Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 98. 239 Graser, Strategic Litigation – oder: Was man mit der Dritten Gewalt sonst noch so anfangen kann, RW 10 (2019), 320 (348 f.); vgl. auch Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (470). 240 Vgl. Jestaedt, Richterliche Rechtssetzung statt richterliche Rechtsfortbildung, in: Bumke (Hrsg.), Richterrecht zwischen Gesetzesrecht und Rechtsgestaltung (2012), 49 (60); so auch bei der richterlichen Verbandsklage. Das UmwRG gibt nach der Intention des Gesetzgebers einen enumerativen Anwendungsbereich vor und weist gerade keine Lücke für eine objektivierende Prozessrechtsfortbildung auf. 241 Erstzuständigkeiten in § 50 VwGO geregelt. 242 Vgl. Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 99.
304 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
können, empfiehlt es sich, im UmwRG eine Generalklausel zu statuieren. Eine Generalklausel für sämtliches objektives Umweltrecht im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK. Der Gesetzgeber lehnt sie ab, weil damit Abgrenzungsschwierigkeiten und Rechtsunsicherheiten verbunden seien. Zudem müsse deutlich sein, welche Materien Art. 9 Abs. 2 AK und welche Art. 9 Abs. 3 AK umsetzen.243 Für die Vorhaben nach Art. 9 Abs. 3 AK ist nach § 2 Abs. 1 S. 2 und Abs. 4 S. 1 Nr. 2 UmwRG nämlich nur die Überprüfung von umweltbezogenen Vorschriften justiziabel.244 Dabei verkennt der Gesetzgeber, dass sich dies auch und vor allem deutlich klarer durch eine Abgrenzung ex negativo erreichen ließe. Alle Streitigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK fallen, müssten danach für sämtliches objektives Umweltrecht justiziabel sein. Sämtliches Umweltrecht meint, nicht zwischen unionalem und nationalem Umweltrecht zu unterscheiden. Das würde bedeuten, dass für Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 UmwRG das UmwRG unverändert bleibt. Die Enumeration in § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2a bis 6 UmwRG wird hingegen gestrichen und um eine Generalklausel ersetzt, die es ermöglicht, sämtliches Umweltrecht unabhängig vom Klagegenstand durch Verbände überprüfen zu lassen. Rechtsverordnungen, legislative Infrastrukturzulassungen, Produktzulassungen, privatisierte öffentliche Handlungen sowie bedeutende Umwelt- und Klimaschutzplanungen wären für Verbände hinsichtlich der Vereinbarkeit mit objektiven Umweltnormen justiziabel.245 Um dann wiederum den Prüfungsumfang nicht konturenlos überzustrapazieren, sollte er sich – in Abweichung von § 2 Abs. 4 UmwRG – auf die geltend gemachten Normen beschränken und nicht sämtliche Umweltrechtsnormen umfassen, die für die Entscheidung bedeutsam sein könnten.246 Bleibt es beim status quo, wird jedenfalls keine anwendungsfreundliche Rechtssicherheit generiert. So sprach sich bereits vor der letzten Novellierung die Stimme der anwaltlichen Praxis aus für einen „sehr allgemeine[n] Umweltrechtsbehelf gegen alle Entscheidungen und Planungen unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften.“247 Ebenso im Gesetzgebungsverfahren und in der Literatur.248 Gewiss sieht das auf den ersten Blick nach 243 BT-Drs.
18/9526, S. 37. unter D. II. 6. a) cc). 245 Dazu unter D. II. 6. b) aa); etwaige Klagbarkeitsausschlüsse müssten zusätzlich gestrichen werden. 246 So das VG Sigmaringen, Urt. v. 14.11.2018, Az. 10 K 118/17, Rn. 172 (juris) im Urteil zu der richterlichen Verbandsklage; zur Effektivierung und Strukturierung der Kontrolldichte unter H. I. 3. 247 Bundesrechtsanwaltskammer, Stellungnahme Nr. 12/2016, S. 10. 248 Klinger und Schlacke, Öffentliche Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit v. 26.09.2016, Protokoll-Nr. 18/91, S. 5 f.; 244 Dazu
IV. Fazit305
einer enormen Belastung für das subjektive Rechtschutzsystem aus. Doch beim zweiten Hinsehen wird deutlich, dass eine Generalklausel im UmwRG nicht gleichbedeutend mit einer konturenlosen Popularklage sein muss. Zunächst hat das jetzige UmwRG einen breiten, wenn auch defizitären, Anwendungsbereich. Von diesem ist eine Generalklausel ohnehin schon jetzt nicht weit entfernt, wenngleich eine Lücke zum gemeinschaftsrechtlich Notwendigen bleibt. Von Verfassungs wegen ist dabei zu berücksichtigen, dass die Verbandsklagen die Individualklagen nicht verdrängen dürfen.249 Dies könnte quantitativ wie qualitativ erfolgen. Mit Blick auf die geringe Anzahl von Verbandsklagen (dazu unter H. I. 1.) ist eine quantitative Verdrängung indes nicht zu erwarten. Um qualitative, inhaltliche Verdrängungen zu vermeiden, kann eine mit § 15 Abs. 2 S. 2 BGG vergleichbare Norm in das UmwRG aufgenommen werden. Sind subjektive Rechte betroffen, kann danach ein Verband nur Klage erheben, wenn der Fall von allgemeiner Bedeutung ist. Verbände wären so keine Sachwalter von Rechten, die nach der Rechtsordnung anderen Rechtsinhaber:innen zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen sind.250 Sie wären weiterhin, nur deutlich effektivere, Sachwalter des Umwelt- und Klimarechts.
IV. Fazit Es ist weder eine Judiziokratie251, ein Gouvernment des Judges252, ein Richterstaat253 noch eine Expertokratie254 im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes zu befürchten. Die Klimaklagen zeigen vielmehr, dass Politik und Recht kumulativ und nicht alternativ verstanden werden sollte. Dies muss es wohl auch, lassen sich doch Themen nicht in rein-rechtliche oder rein-politische separieren. Verfassungsrecht ist politisches Recht, Verwaltungsrecht ist konkretisiertes Verfassungsrecht. Gerichtsentscheidungen sind a. A. dort Fellenberg, S. 13; i. E. auch Zschische, A-Drs. 18(16)417-F S. 3 f.; vgl. auch Klinger, Novelle des Umweltrechtsschutzes, ZUR 2016, 449 (450); i. E. auch Schmidt, Zur Diskussion über erweiterte Klagebefugnisse im Umweltschutzrecht, ZUR 2012, 210 (219); Wegener, Der Braunbär lernt schwimmen, ZUR 2018, 217 (221 f.). 249 Dazu unter B. II. 2. b) bb). 250 Dies wäre unzulässig, BVerwG, Urt. v. 03.11.2020, Az. 9 A 7/19, Rn. 39 (juris). 251 Vgl. Loewenstein (1975), Verfassungslehre, S. 261, 264 f. 252 Dazu Krotov, 100 Jahre „gouvernement des judges“ – das vergessene Jubiläum, JuWiss Blog Nr. 4/2022 v. 20.01.2022; vgl. auch Triepel, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, VVDStRL 5 (1929), 2 (27). 253 Dazu ausführlich Rüthers (2014), Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat; vgl. auch Böckenförde (1981), Gesetz und gesetzgebende Gewalt, S. 402. 254 Dazu unter II. 3.
306 G. Warum sich etwas ändern kann, muss und wo die Grenzen erreicht sind
damit immer auch ein Stück weit politisch. Dabei ist weniger das Ergebnis politisch denn dessen Folgen. Durch Justiziabilität wird rechtlich über die Anpassung von Recht an eine geänderte Realität diskutiert. Das BVerfG bietet hierfür einen Ort der demokratischen Deliberation potentiell sämtlicher Bevölkerungsgruppen. Dadurch werden politische und gesellschaftliche Diskussionen nicht ersetzt, sondern angestoßen. Nicht nur dieser Kommunikationsgewinn legitimiert die Justiziabilität. Sie kann die Rechtsanwendung zudem konkretisieren und ihre Durchsetzung effektivieren. Für die Rechtsdurchsetzung wird die Individualität nicht von der Kollektivität im Klima- und Umweltschutz verdrängt. Im Gegenteil kann Individualität auch funktional verstanden werden und kollektive Interessen reflexartig mitberücksichtigen. Die funktionale Subjektivierung sollte daher als Chance und weniger als Gefahr in der deutschen Rechtsordnung verstanden sein. Entmaterialisierungen sind im Klima- und Umweltschutz nicht zu befürchten, verlangt doch die Funktionalität von Klagerechten immer auch ein subjektives Substrat. Dieses ist auch im ubiquitären Klimaschutz zu finden, da er nicht jenseits individueller Fälle steht, sondern sich aus ihnen zusammensetzt. Justiziabilität verlangt dadurch der Rechtsordnung die nötige Ernsthaftigkeit im Klima- und Umweltschutz ab. Je justiziabler Klima- und Umweltschutz ist, desto effektiver ist seine Umsetzung. Justiziabilität muss dabei pragmatisch verstanden werden. Sie ist gewiss keine Weltrettung, aber ein lohnender Aufbruch. Verwaltungsgerichte sind nicht mehr bloß der Mund des Gesetzes. Sie setzen dieses in seiner Gesamtheit durch. Hierzu werden sie durch die Verbandsklage legitimierweise aktiviert. Die Verbände zielen dabei nicht auf egoistische oder lobbyierende Partikularinteressen, sondern auf demokratisch legitimierte Gemeinwohlbe lange in Form von Gesetzen. Die Verwaltungsgerichte fungieren zusätzlich als Orte der Gemeinwohlkonkretisierung und -aktualisierung. So informieren sie die erste Gewalt über die Wirkung ihrer Gesetze und notwendige Anpassungen. Das BVerfG markiert einheitliche Grenzen der Klima- und Umweltpolitik. Das Gericht weist die konkrete Ausgestaltung an die politischen Entscheidungstragenden zurück und gibt ihnen Qualitätsanforderungen an die Hand. Dabei können sie nicht nur Politik verfassungsrechtlich konturieren, sondern ihr gleichzeitig Rechtfertigungslasten und Verantwortungen für langfristige Entscheidungen von den Schultern nehmen. Das BVerfG ist hierzu in der Lage als konstante, objektive, akzeptierte Einrichtung, die in den notwendigen Fallkonstellationen das Langzeitinteresse dosiert priorisieren kann. Dafür muss es auf die Klimawissenschaft zurückgreifen. Dies erfolgte im Klimabeschluss in sachgerechter und notwendig kohärenter Weise.
IV. Fazit307
Die Grenzen der Justiziabilitätserweiterung sind weniger im Ergebnis denn im Herstellungsprozess zu finden. Einige Verwaltungsgerichte schaffen eine richterrechtliche Verbandsklage ohne Anwendungsbereich. Im Ergebnis liegen sie damit gemeinschaftsrechtlich richtig, im Herstellungsprozess jedoch im Bereich des staatsorganisatorisch Verbotenem. Der Gesetzgeber ist daher im Zugzwang. Er wäre dabei gut beraten, eine Generalklausel für alle Materien, die nicht in den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 AK fallen, einzuführen. Nur so legt er seinen reaktiven Charakter ab und entgeht dem Risiko zukünftiger Rügen aus Luxemburg.
H. Ausblick und Zusammenfassung Abschließend soll typischen Befürchtungen einer geweiteten Justiziabilität begegnet werden (dazu unter I.), bevor die Arbeit mit einer Schlussbemerkung und zusammenfassenden Thesen endet (dazu unter II.).
I. Kein Kollaps der Justiz bei geweiteter Justiziabilität Die Justiz hält einer strukturellen Reaktion auf strukturelle Durchsetzungsdefizite seit jeher stand. Die Gerichtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG wird so gewahrt, die Rechtsschutzgarantie sogar verbessert.1 1. Klagewellen und Verlängerungen durch breitere Justiziabilität? Die Verbandsklagen aus dem UmwRG und dem BNatSchG sind seit ihrem Inkrafttreten regelmäßig evaluiert worden.2 Nachfolgend wird sich auf die Studien ab dem Inkrafttreten des UmwRG konzentriert. Der Zeitraum von 2007 bis 2020 wird dreigeteilt. Der Zeitraum von 2007 bis einschließlich 2012 wurde von einer Studie untersucht, aufgegeben durch das Bundesamt für Naturschutz.3 Von 2013 bis einschließlich 2016 veranlasste der Sachverständigen Rat für Umweltfragen eine Untersuchung zur Klagetätigkeit der Umweltverbände.4 Nachdem der Bundestag die Bundesregierung zur Evaluation des novellierten UmwRG aufforderte, wurde Ende 2021 die Studie für 1 Dazu
grundlegend unter B. I. eine Evaluation der landesrechtlichen Verbandsklagen Radespiel (2007), Die naturschutzrechtliche Verbandsklage, wonach im Durchschnitt nur etwa 18 Verbandsklagen pro Jahr zwischen 1979 und 2002 (S. 358) mit einer Erfolgsquote von etwa 36,2 % (S. 367) erhoben wurden. 3 Schmidt/Zschiesche (2013), Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutzrecht 2011 und 2012 unter Berücksichtigung der Entwicklung von 2007 bis 2010 – eine empirische Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz; UBA (Hrsg.), Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeit nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG), 14/2014, untersucht dabei nur die UmwRG-Klage. 4 Schmidt/Zschiesche (2018), Die Klagetätigkeit der Umweltschutzverbände im Zeitraum 2013 bis 2016 – empirische Untersuchung zu Anzahl und Erfolgsquoten von Verbandsklagen in Umweltrecht. 2 Für
I. Kein Kollaps der Justiz bei geweiteter Justiziabilität309
den Zeitraum 2017–2020 durch das Umweltbundesamt veröffentlicht.5 Im Wesentlichen sind drei Feststellungen zu machen: Erstens nehmen Verbandsklagen zwar leicht zu, sie machen jedoch weiterhin nur einen Bruchteil der Klagen vor den Gerichten aus (dazu unter a)). Zweitens sind Verbandsklagen durchschnittlich deutlich erfolgreicher als andere verwaltungsrechtliche Klagen (dazu unter b)). Drittens verlängert die abgeschaffte materielle Präklusion nach dem bisherigen Kenntnisstand erstinstanzliche Verfahren nicht (dazu unter c)). a) Geringe Anzahl von Verbandsklagen pro Jahr Den Befunden aller Studien ist gemein, dass Verbandsklagen nur in geringer Zahl erhoben werden. So waren es von 2007–2012 gerade einmal 28,5 Klagen pro Jahr.6 Von 2013–2016 wurden 35 Fälle pro Jahr gezählt.7 Im Zeitraum 2017–2020 stieg die Anzahl der Klagen auf 59,2 Klagen pro Jahr.8 Dies lässt zwar den Schluss zu, dass je breiter der Klagekatalog ist, desto höher die Zahl der Klagen. Allerdings brachten vor allem die Klagen gegen die Windkraft und gegen Luftreinhaltepläne den Zuwachs an Klagen, obgleich dagegen schon vor der Novelle 2017 geklagt werden konnte.9 Die meisten Klagen gegen Windenergieanlagen (ca. 75 %) und gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Autobahnen (ca. 92 %) werden indes von Individual klagenden erhoben.10 Die Verbandsklagen nach den neuen Kategorien (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nrn. 4 bis 6 UmwRG) machten zwischen 2017 und 2020 einen Anteil von rund 15,6 % aus.11 Klagen richten sich also nicht primär nach neuen Möglichkeiten, sondern vor allem nach dem Empfinden von Vollzugsdefiziten und aktuellen Kontroversen. Dabei machen Verbandsklagen einen Bruchteil aus von allen Klagen vor den Verwaltungsgerichten. Mit Blick auf 5 UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021. 6 Schmidt/Zschiesche (2013), Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutzrecht 2011 und 2012 unter Berücksichtigung der Entwicklung von 2007 bis 2010 – eine empirische Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, S. 3, 14 f. Davon stammten etwa 12 Klagen pro Jahr aus dem UmwRG, UBA (Hrsg.), Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeit nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG), 14/2014, S. 51. 7 Schmidt/Zschiesche (2018), Die Klagetätigkeit der Umweltschutzverbände im Zeitraum 2013 bis 2016 – empirische Untersuchung zu Anzahl und Erfolgsquoten von Verbandsklagen in Umweltrecht, S. 14. 8 UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 42. 9 Ebd., S. 43. 10 Ebd., S. 44, 54, 56. 11 Ebd., S. 19, 89.
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H. Ausblick und Zusammenfassung
die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind im Zeitraum 2007–2012 knapp 108.646,5 Klagen pro Jahr eingegangen. Im Zeitraum 2013–2016 waren es 103.371,8 Klagen pro Jahr. Im Zeitraum 2017–2020 sank die Zahl auf 89.190,8 Klagen pro Jahr.12 Bei den Berechnungen wurden bewusst die Klagen vor Asylkammern ausgenommen, um möglicher Verzerrungen durch den „Flüchtlingskriseneffekt“ vorzubeugen. Die Verbandsklagen stellen im Durchschnitt deutlich unter 0,1 % der Klagen vor Verwaltungsgerichten. Eine Klagewelle ist also weder entstanden noch zu befürchten. b) Hohe Erfolgsquote Dass die rechtsstaatliche Kompensationsfunktion der Verbandsklage fruchtet und die Verbände ihre Möglichkeit gezielt einsetzen, zeigt der Blick auf die Erfolgsquote. Im Zeitraum 2007–2012 waren 44,9 % dieser Klagen erfolgreich.13 Die Klagen aus dem UmwRG hatten sogar in 48,6 % der Fälle Erfolg.14 Von 2012–2016 stieg die Erfolgsquote beider Verbandsklagen auf 48,5 %.15 Im letzten Zeitraum zwischen 2017 und 2020 hatten sogar über die Hälfte (51,8 %) der Klagen Erfolg.16 Zum Vergleich: Die Erfolgsquote sämtlicher Klagen vor den Verwaltungsgerichten befand sich für die Jahre 2011 und 2012 zwischen 10 und 12 %,17 im Jahr 2019 bei etwa 12 %18 und im Jahr 2020 bei etwa 11,5 %.19 Verbandsklagende nutzen ihre Möglichkeiten also gewissenhaft und helfen so, die Vollzugsdefizite im Umweltrecht offenzulegen. 12 Eigene Berechnungen mit den Daten von Statistisches Bundesamt (2021), Fachserie 10 Reihe 2.4 – 2020, Rechtspflege, Verwaltungsgerichte, Tabelle 1.1.1., S. 13 f. (Zeile 9). 13 Schmidt/Zschiesche (2013), Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutzrecht 2011 und 2012 unter Berücksichtigung der Entwicklung von 2007 bis 2010 – eine empirische Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, S. 20. 14 UBA (Hrsg.), Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeit nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG), 14/2014, S. 53. 15 Schmidt/Zschiesche (2018), Die Klagetätigkeit der Umweltschutzverbände im Zeitraum 2013 bis 2016 – empirische Untersuchung zu Anzahl und Erfolgsquoten von Verbandsklagen in Umweltrecht, S. 20, 26. 16 UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 54 ff., 89. 17 Schmidt/Zschiesche (2013), Verbandsklagen im Umwelt- und Naturschutzrecht 2011 und 2012 unter Berücksichtigung der Entwicklung von 2007 bis 2010 – eine empirische Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, S. 20. 18 UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 55. 19 Eigene Berechnungen mit den Daten von Statistisches Bundesamt (2021), Fachserie 10 Reihe 2.4 – 2020, Rechtspflege, Verwaltungsgerichte, Tabelle 1.2.1., S. 17, wonach 4.201 (Zeile 7) Vergleiche geschlossen wurden, und S. 21, Tabelle 1.2.2., wonach die Behörde in 1.381 Fällen (Zeile 33) teilweise und in 2.931 (Zeile 34)
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c) Keine Verfahrensverlängerungen Durch die Novelle 2017 wurde die materielle Präklusion in § 2 Abs. 3 UmwRG gestrichen. Betroffene Bürger:innen und Verbände konnten ursprünglich weder im Verwaltungsverfahren noch im Gerichtsverfahren die Einwendungen geltend machen, die sie im Verwaltungsverfahren nicht erhoben hatten. Dies änderte sich. Bei der Streichung wurde auf das „Präklu sions I“-Urteil20 des EuGH vom 15. Oktober 2015 reagiert. Als Folge dieses Urteils lässt sich keine verlängerte Verfahrensdauer erkennen. Tatsächlich beobachtet man sogar eine leichte Verkürzung.21 Von einem Trend kann allerdings noch nicht die Rede sein. Die Verfahrensdauer variiert extrem. Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einer davon ist die Vorlage an den EuGH zur Klärung bestimmter Rechtsfragen.22 Die Anzahl der untersuchten Fälle seit 2017 ist sehr gering, sodass ausreißende Verfahrenslängen ein verzerrtes Bild liefern können. Aussagekräftige Schlüsse lassen sich folglich erst in einigen Jahren ziehen, wenngleich die Tendenz gegen verlängerte Verfahren spricht.23 Gestützt wird dies durch eine qualitative Befragung von Experten:innen und Vertreter:innen aus Justiz, Anwaltschaft, Behörden, Wirtschaft und Umweltverbänden. Diejenigen von ihnen, die an Gerichtsverfahren beteiligt waren, verneinten eine Verzögerung von Gerichtsverfahren durch die abgeschaffte Präklusion.24 Weder bestätigen noch verneinen konnten die Befragten die These, ob die abgeschaffte Präklusion die behördlichen Zulassungsverfahren verlängerte. Eine mögliche Verlängerungswirkung relativierten sie teilweise mit der Begründung, dass zwar die Behörden durch die Vorwirkung25 von Klagerechten ihre Entscheidungen intensiver prüfen und begründen, dies allerdings wenn überhaupt ein Faktor von vielen für eine Verzögerung sei.26 Für die Befragten waren bedeutender die personellen Unterbesetzungen von Gerichten und Behörden sowie fehlende materiell-rechtliche Prüfungsanleitungen.27 gänzlich unterlag. Nach letzterer Tabelle wurden im Jahr 2020 74.044 Verfahren insgesamt beendet. 20 Dazu unter C. II. 2. b) bb) (1). 21 UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 62, von durchschnittlich 24,8 Monaten auf 23,9 Monate. 22 Ebd., S. 63. 23 Ebd., S. 63 f. 24 Ebd., S. 65 f. 25 Dazu unter B. II. 2. b) aa) (4). 26 UBA (Hrsg.), Wissenschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 67. 27 Ebd., S. 67 f.
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H. Ausblick und Zusammenfassung
2. Quantität in der Justiziabilität zulasten der Qualität in der Prüfung? Vor allem der engen subjektiven Rügebefugnis ist die breite Kontrolldichte in Deutschland zu verdanken.28 Kontrolldichte setzt sich dabei aus der Kontrollbreite („Wie viel?“) und der Kontrolltiefe („Wie genau?“) zusammen.29 Objektive Klagerechte erweitern die Kontrollbreite. Objektive Klagerechten begleitet die Gefahr, die Kontrolltiefe zu mindern, so die Verwaltung zu stärken und damit die Effektivität des Rechtsschutzes zu konterkarieren. Legislative Versuche, die Kontrolltiefe durch den § 4a UmwRG a. F. zu reduzieren, scheiterten jedoch.30 Auch großzügigere Beurteilungsspielräume der Behörden31 sind mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht der Weisheit letzter Schluss.32 Weniger eine veränderte Kontrolltiefe denn ausgebaute Ressourcen (dazu unter a)), justiziable Verfahrensrechte (dazu unter b)) und ein angepasstes Prozessrecht (dazu unter c)) erlauben einen breiteren Rechtsschutz mit gleichbleibender Qualität. a) Ressourcenerweiterung Auf kontrollbreitere und inhaltlich anspruchsvolle Klagen kann mit gesteigerten personellen Ressourcen geantwortet werden. Auch ein Um-, vielmehr ein Anbau der Gerichte kommt in Betracht. Über die Einführung von verwaltungsgerichtlichen Kammern nach dem Vorbild des § 72a GVG und von ober- und bundesverwaltungsgerichtlichen Senaten, deren Zuständigkeiten sich auf Umwelt- und Klimaschutzbelange beschränkten, ließe sich nachdenken. §§ 5, 9 und 10 VwGO könnten dahingehend ergänzt werden, Richter:in nen gegebenenfalls besonders geschult.33
28 Dazu auch m. w. N. Steinbeiß-Winkelmann, Europäisierung des Verwaltungsrechtsschutzes, NJW 2010, 1233 (1237). 29 Ebd. 30 Dazu unter C. II. 2. c) und Schlussanträge der GAin Sharpston v. 16.12.2010, Az. C-115/09, Rn. 76 ff. 31 Zur ursprünglichen planerischen Gestaltungsfreiheit, BVerwG, Urt. v. 12.12.1969, Az. IV C 105.66, Rn. 20 (juris). 32 Vgl. Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (386); Schmidt, Zur Diskussion über erweiterte Klagebefugnisse im Umweltschutzrecht, ZUR 2012, 210 (216); vgl. auch schon A. III. 5. 33 Vgl. von Danwitz, Aarhus-Konvention, NVwZ 2004, 272 (281).
I. Kein Kollaps der Justiz bei geweiteter Justiziabilität313
b) Verfahrensrechtliche Justiziabilität Einer geweiteten Kontrollbreite ließe sich ebenfalls mit einer Justiziabilität verfahrensrechtlicher Fragen begegnen. Die gerichtliche Entscheidung ist insbesondere im Klima- und Umweltschutz auf ein effektives Verwaltungsverfahren angewiesen. Das Verfahren generiert nicht nur das Wissen für die Gerichtsentscheidung, sondern gewährt materiell-rechtliche Richtigkeit. Mit justiziablen Verfahrensrechten ausgerichtet, vor allem auf den Inhalt des Verfahrens,34 wären diese Erkenntnisgewinnungsprozesse überprüfbar. So würden sich korrekte Entscheidungsgrundlagen schaffen lassen, inzidente Prüfungen vermeiden und der gerichtliche Fokus auf den Kern des Rechtsstreits richten.35 Hier kann erneut für einen phasenspezifischen Rechtsschutz plädiert werden.36 Wird phasenweise die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung aufgebaut, könnten konzentrierte Klagen ganz vermieden oder inhaltlich erheblich reduziert werden. c) Instrumente des Prozessrechts Vorab ließen sich Verbände in die Vorschriften der Streitgenossenschaft nach § 64 VwGO i. V. m. §§ 59 ff. ZPO aufnehmen und Klagen mit demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund verbinden. Auch das Musterverfahren nach § 93a VwGO wäre einschlägig, wenn die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Maßnahme Gegenstand von mehr als zwanzig Verfahren ist. Die Verbandsklage aus dem UmwRG zeigt überdies, dass objektiver Rechtsschutz gleichzeitig intensive gerichtliche Kontrolle bedeuten kann. Wird diese nun erweitert, kann die Kontrolltiefe unangetastet bleiben, die Kontrollbreite jedoch angepasst werden. Sie könnte und sollte sich gerade bei einer Generalklausel auf die Prüfung der geltend gemachten materiellen Umweltrechtsnormen beschränken und nicht sämtliche (umweltbezogene) Rechtsnormen prüfen, die für die Entscheidung bedeutsam sein könnten.37 Schlankere Ge34 Dazu
unter D. II. 6. b) cc). Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (387), hält Forderungen nach einem gestärkten Verfahrensrechtsschutz daher ebenfalls für plausibel; auch Groß, Die Klagebefugnis als gesetzliches Regulativ des Kontrollzugangs, Die Verwaltung 43 (2010), 349 (377) betont die Abhängigkeit der Qualität der Behördenentscheidung von den Verfahrensrechten; auch für Breuer, Entwicklungen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 315 (330) ist verfahrensrechtliche Korrektheit von gesteigerter Bedeutung. 36 Dazu unter D. II. 2. und 6. b) aa) (1). 37 So das VG Sigmaringen, Urt. v. 14.11.2018, Az. 10 K 118/17, Rn. 172 (juris) im Urteil zur richterlichen Verbandsklage, vgl. dazu unter G. II. 2.; so auch zwei Befragte in der Evaluation zum UmwRG zwischen 2017 bis 2020, UBA (Hrsg.), Wis35 Franzius,
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H. Ausblick und Zusammenfassung
richtsverfahren entstünden, in denen die Klagenden bereits innerhalb der Klagebegründungsfrist nach § 6 UmwRG38 substantiiert und umfassend den wesentlichen Prozessstoff vortragen müssten. Damit eng verbunden, ist über eine sektorale Neuausrichtung des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 86 Abs. 1 VwGO nachzudenken. Die professionalisierten Verbände könnten Teile der Sachverhaltsaufklärung und Beweisaufnahme übernehmen, fungieren sie doch ohnehin schon als Verwaltungshelfer.39 Die Gerichte könnten sich auf eine Plausibilitätskontrolle beschränken und nur bei Zweifeln weitere Beweise einholen.40 Der Amtsermittlungsgrundsatz aus § 86 Abs. 1 VwGO wird dadurch nicht relativiert, sondern von einer Ermittlungspflicht, die möglicherweise die Kontrolldichte überreizt, in eine Ermittlungsbefugnis gewandelt.41 Die Verbände würden sich zunehmend als Staatsanwälte des Klima- und Umweltschutzes begreifen lassen. Je näher sie so an die staatlichen Verantwortungssphären rücken, desto lauter könnten die Rufe nach staatlicher Rückbindung werden. Eine gesetzliche Pflicht zu einer demokratischen Binnenstruktur und monetärer Transparenz als zusätzliche Kriterien der Anerkennung wäre hierfür erwägungswert.42 3. Probleme der Durchsetzung von Entscheidungen? Als letzte Befürchtung soll auf ein Paradoxon eingegangen werden. Bedeutet mehr Rechtsstaat gleichzeitig weniger Rechtsstaat? Anders gefragt: Gerät der Rechtsstaat dadurch in Gefahr, dass sein Beschützer, der Rechtsschutz, gestärkt wird? Probleme könnten sich in zweierlei Hinsicht ergeben. Zum einen ist eine zu Ende gedachte Justiziabilität auf die Folgebereitschaft senschaftliche Unterstützung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten in der 19. Legislaturperiode, 149/2021, S. 65 f.; ähnlich soll sich nach Winter, Individualrechtsschutz im deutschen Umweltrecht, NVwZ 1999, 467 (474) auf den Kern des Streits konzentriert werden. 38 Die Norm wird sowohl der Verfahrensbeschleunigung, Schlacke, Die Novelle des UmwRG 2017, NVwZ 2017, 905 (911), als auch der Prozessstoffbegrenzung, Rennert, Verwaltungsrechtsschutz auf dem Prüfstand, DVBl 2017, 69 (75), zugeschrieben. 39 Dazu unter B. II. 2. b) aa) (3). 40 Vgl. Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtsbarkeit, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, D 49 f., 74 f., 77; Berkemann, Sinn und Funk tionsgrenzen des Rechtsschutzes im Umweltrecht, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht (2014), 13 (18). 41 Ähnlich Rennert, Verwaltungsrechtsschutz auf dem Prüfstand, DVBl 2017, 69 (75). 42 Hahn/von Fromberg, Klagekollektive als „Watchdogs“, ZPol 2020, 217 (233 f.); grundlegend Teubner (1978), Organisationsdemokratie und Verbandsverfassung.
I. Kein Kollaps der Justiz bei geweiteter Justiziabilität315
der anderen Gewalten und der Gesellschaft angewiesen. Zum anderen und damit zusammenhängend bedarf es auch immer eines wirksamen Vollstreckungsrechts. Zunächst zur Abhängigkeit von der Folgebereitschaft. Ob hierfür bei Entscheidungen des BVerfG überhaupt Anlass zur Sorge bestehen sollte, ist zu bezweifeln, genießt das Gericht doch deutlich höheres Ansehen in der Gesellschaft als das Parlament.43 Weitere gesellschaftliche Akzeptanz könnte sich durch die geforderte Subjektivitätserweiterung erreichen lassen. Klagen betroffene Menschen anstatt der Verbände, würden Entscheidungen von denjenigen leichter akzeptiert, die Verbänden mit Unbehagen begegnen. Überdies wäre eine Erosion der politischen Folgebereitschaft kein Problem mit Ursprung in der Justiziabilität.44 Es wäre ein Problem des Rechtsstaates, das allein der missachtenden Gewalt zugerechnet werden müsste.45 Die vorliegende Arbeit missversteht, wer das Verlangen von breiterer und effektiverer Justiziabilität als Beschneidung der anderen Gewalten liest. Es geht um die Aktivierung von demokratisch gefundenen Rechtsnormen, deren Durchsetzungen strukturell geschwächt sind. Die darauf reagierende Justiziabilität begleitet dabei immer der Gedanke einer Effektivierung des demokratischen Rechtsstaats. Wer also Entscheidungen ignoriert, die an die Einhaltung demokratischer Normen erinnern und demokratische Prozesse effektiveren wollen, ignoriert den Rechtsstaat in Gänze. Nun zur Vollstreckbarkeit. Die Gefahr, von der Justiz enttäuscht zu werden, wäre besonders groß, wenn und weil Urteile im Klimaschutz nicht vollstreckt werden könnten.46 Entscheidungen des BVerfG werden gesellschaftlich und staatlich rezipiert. Der Klimabeschluss zeigte zudem, dass das BVerfG nichts Neues oder Unmögliches vom Gesetzgeber fordert: Ein Gesetz muss an eine aktualisierte Verfassung angepasst werden. Die Justiz läuft hier gerade nicht Gefahr zu enttäuschen. Auf der Ebene des Verwaltungsrechts ist die Befürchtung ebenso unbegründet. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt dem Verwaltungsrecht zunächst eine wirkungsvolle Vollstreckung ab.47 Der extensiv anzuwendende48 § 167 Abs. 1 43 Studie des Allensbach-Institut, v. 22.08.2012, S. 7, wonach 75 % der Deutschen dem BVerfG und nur 40 % dem Bundestag vertrauen. 44 Wohl anders Wegener, Weltrettung per Gerichtsbeschluss?, ZUR 2019, 3 (12 f.). 45 So auch Strobel, Strategischer Zugang zum Recht, DÖV 2021, 1067 (1073). 46 Bickenbach, Subjektiv-öffentliches Recht auf Klimaschutz?, JZ 2020, 168 (177). 47 BVerfG, Beschl. v. 09.08.1999, Az. 1 BvR 2245/98, Rn. 7 ff. (juris); VGH Mannheim, Beschl. v. 19.11.2018, Az. 10 S 1808/18, Rn. 5 (juris) m. w. N. 48 Zur Öffnung des Anwendungsbereichs des § 167 VwGO Berkemann, Machtlose Verwaltungsgerichte?, DÖV 2019, 761 (770 ff.); Will, Die Vollstreckung verwal-
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H. Ausblick und Zusammenfassung
S. 1 VwGO verweist daher auf das Vollstreckungsrecht der ZPO. Dass das Vollstreckungsrecht auch nicht auf seinem status quo beharren muss, zeigte jüngst eine Entscheidung des EuGH. Im zugrundeliegenden Vorabentscheidungsverfahren begehrte der klagende Verband die Verhängung von Zwangshaft gegen die bayerische Ministerin für Umwelt und Verbraucherschutz, hilfsweise, gegen den Ministerpräsidenten, nachdem ein Luftqualitätsplan trotz Urteil nicht fortgeschrieben wurde. Der EuGH entschied, dass Art. 47 GRCh bei Nichtbefolgung einer gerichtlichen Entscheidung dahingehend ausgelegt werden muss, dass das zuständige nationale Gericht Zwangshaft gegen Amtsträger:innen der Behörde zu verhängen hat, wenn es eine nationale Rechtsgrundlage hierfür gibt.49 Zu entscheiden, ob diese Rechtsgrundlage in § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i. V. m. § 888 Abs. 1 S. 3 ZPO zu finden ist, überantwortete der Gerichtshof den nationalen Gerichten.50 Der EuGH betont, dass Deutschland gemäß Art. 47 GRCh im Allgemeinen und gemäß Art. 9 Abs. 4 AK im Besonderen zu einem Rechtsschutz verpflichtet ist, der die Wirksamkeit eines Urteils einschließt.51 Dass der EuGH selbst die unterbleibende Rechtsfolgebereitschaft scharf sanktioniert, zeigt eine andere aktuelle Entscheidung im Klima- und Umweltschutz. Polen musste wegen eines tschechischen Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz den Braunkohle abbau im Bergwerk Turów stilllegen, bis in dem Hauptverfahren entschieden ist.52 Da Polen dem nicht nachkam, wurde es zu einem Zwangsgeld von 500.000 € pro Tag verurteilt.53 Das Vollstreckungsrecht kann damit durchaus auch auf staatliche Renitenz reagieren.
tungsgerichtlicher Allgemeiner Leistungsurteile, VerwArch 2019, 280 (300 ff.); vgl. auch VG Stuttgart Beschl. v. 21.01.2020, Az. 17 K 5255/19, Rn. 23 ff. (juris); VGH München, Beschl. v. 27.02.2017, Az. 22 C 16.1427, Rn. 70 (juris); so auch schon BVerfG, Beschl. v. 09.08.1999, Az. 1 BvR 2245/98, Rn. 9 (juris). 49 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Az. C-752/18, Rn. 56 (juris). 50 Als Anspruchsgrundlage bejaht von Berkemann, Machtlose Verwaltungsgerichte?, DÖV 2019, 761 (772 f.); wohl a. A. Will, Die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Allgemeiner Leistungsurteile, VerwArch 2019, 280 (306 ff.), wonach grundsätzlich Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 3 GG, Art. 104 GG der Anwendbarkeit entgegenstünden, diese Vorschriften aber aufgrund des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs und dem effet utile unangewendet bleiben könnten (316 ff.). Die Anwendbarkeit scheide dennoch wegen Verstoß gegen Art. 6 EMRK und die Bestimmtheitsanforderungen aus (318 ff.). Er verlangt daher eine legislativ notwendige Anpassung des Vollstreckungsrechts (327). 51 EuGH, Urt. v. 19.12.2019, Az. C-752/18, Rn. 34 (juris); vgl. auch Urt. v. 20.07.2019, Az. C-556/17, Rn. 72 (juris). 52 EuGH, Beschl. v. 21.05.2021, Az. C-121/21 R, Rn. 96 (juris). 53 EuGH, Beschl. v. 20.09.2021, Az. C-121/21, Rn. 51 (juris); mit Beschluss v. 04.02.2022 wurde das Verfahren eingestellt, da die Tschechische Republik die Klage zurücknahm und sich mit Polen einigte.
II. Schlussbemerkung und zusammenfassende Thesen317
Fehlende Rechtsfolgebereitschaft ist also im Klima- und Umweltschutz erstens nicht zu erwarten, zweitens nicht der Justiziabilität zuzurechnen und drittens im Zweifel durch Vollstreckungsmöglichkeiten erzwingbar. Über diesen Möglichkeiten schwebt nun der unionale Rechtstaatsmechanismus.54 Würde sich in Deutschland wider Erwarten eine Praxis der Nichtbefolgung einstellen, würden danach EU-Gelder gekürzt werden können.55
II. Schlussbemerkung und zusammenfassende Thesen Selbst die Ewigkeitsklausel aus Art. 79 Abs. 3 GG, so betont vom BVerfG, sichert nicht den unveränderten status quo des Rechts. Sie sichert Strukturen und Verfahren, die den demokratischen Prozess offenhalten.56 Eine geweitete Justiziabilität im Umwelt- und Klimaschutz hält den demokratischen Prozess nicht nur offen, sondern effektiviert ihn. Hierfür muss sich von dem Irrglauben gelöst werden, dass Kollektivität oder Funktionalität eine Individualität im Rechtsschutz ausschließen. Nehmen wir die unionsrechtlichen Einladungen dankend an. Integrieren wir damit den Klima- und Umweltschutz in den individuellen und überindividuellen Rechtsschutz. Das deutsche Rechtsschutzsystem lässt dies nicht nur zu, sondern erfordert es. Dabei gilt es, das zu Bewahrende als beweglich zu verstehen,57 denn: Ein stabiler Rechtsschutz darf nicht statisch sein.58 Abschließend wird das Ergebnis dieser Arbeit in folgenden Thesen festgehalten: 1. Rechtsschutz ist der Grundpfeiler des deutschen Rechtsstaates. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG zielt auf eine gerichtsgeprägte Gewaltenteilung, die vor allem der Kontrolle der vollziehenden Gewalt dient und das Ziel eines verhältnismäßigen Individualrechtsschutzes verfolgt. Das subjektiv-öffentliche Recht sichert individuelle Verantwortungs- und Freiheitssphären. Es ist das Vehikel in der Fortentwicklung von gefügigem:r Unter tan:in zum:r selbstbestimmten Bürger:in. Die Schutznormlehre bietet 54 Verordnung (EU, Euratom) 2020/2020 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.12.2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union. 55 Nach Art. 3 lit. c) Verordnung (EU, Euratom) 2020/2020 kann die Nichtumsetzung von Gerichtsentscheidungen ein Hinweis auf Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit sein. 56 BVerfG, Beschl. v. 12.09.2021, 2 BvE 6/12 et al., Rn. 118 (juris). 57 Franzius, Aktuelle Probleme des Umweltrechtsschutzes, in: Franzius et al. (Hrsg.), Festschrift für Michael Kloepfer (2013), 377 (397). 58 Angelehnt an Voßkuhle (2021), Europa, Demokratie, Verfassungsgerichte, S. 350: „Eine stabile Verfassung muss nicht statisch sein.“
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H. Ausblick und Zusammenfassung
hierfür die notwendige Wandelbarkeit bei gleichzeitiger Orientierungshilfe (dazu unter B. I.). 2. Rechtsschutz im Umwelt- und Klimaschutz erfolgt durch Individual- und Verbandsklagerechte. Fehlende Subjektivität, komplexe wie unbestimmte Rechtsnormen und multipolare Verwaltungsrechtsverhältnisse prägen den Individualrechtsschutz. Verbandsklagen reagieren auf die individualrechtlichen Defizite. Sie ermöglichen, kontrollieren, erleichtern, bündeln sowie repräsentieren Kollektivinteressen im Umweltschutz. Verbandsklagen sind von Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ebenso wenig vorgesehen wie ausgeschlossen. Der umweltrechtliche Altruismus bleibt – getreu dem Abwehrwillen von Popular- und Interessentenklagen – staatlich kontrolliert und vor allem staatlich bedingt (dazu unter B. II.). 3. Die Entwicklungskräfte des Umwelt- und Klimaschutzrechts finden sich im Europa- und Völkerrecht. Durch die Aarhus-Konvention können die Bürger:innen in Gemeinwohlbelangen stärker partizipieren. Dadurch verändern sich sektoral Grundsätze des Staat-Bürger:in-Verhältnisses. Die Aarhus-Konvention appelliert überwiegend an eine staatsautonome Umsetzung. Durch Judikate des EuGH wird diese flankiert und präzisiert. Die deutschen Versuche, das prozessrechtliche Korsett des Rechtsschutzes eng zu halten, scheitern deswegen. Reaktiv wird das UmwRG erweitert, wenn auch neuere Entscheidungen des EuGH und der Klimaschutz noch nicht berücksichtigt wurden (dazu unter C.). 4. Der Individualrechtsschutz ist ebenso wenig auf den Klimaschutz vorbereitet wie die Verbandsklage. Rechtsschutz auf Planungsebene ist im Klima- und Umweltschutz von enormer Bedeutung. Klagerechte sind im status quo allerdings nur spärlich zu finden. Konzentrierter Rechtsschutz dominiert gegenüber dem phasenspezifischen Rechtsschutz. Der Eilrechtsschutz wird maßgeblicher Austragungsort der energetischen Transformation sein und mit Zielkonflikten und behördlichen wie gerichtlichen Ressourcenproblemen zu kämpfen haben. Die Subjektivität im Klimaund Umweltschutzrecht wird durch den Druck aus Luxemburg immer weiter und funktionaler verstanden werden müssen. Der Drittschutz kann durch anlagenbezogene CO2-Emissionsbudgets, einen kohärenten grenzüberschreitenden Rechtsschutz und eine Subjektivierung des Vorsorgerechtsschutzes effektiviert werden. Das UmwRG wird erneut novelliert werden müssen. Gründe hierfür sind vor allem ein defizitärer Anwendungsbereich, unzureichender Verfahrensrechtsschutz, die fehlende Ausrichtung auf den Klimaschutz und verfehlte Praktikabilität (dazu unter D.). 5. Das KSG läutet nur teilweise eine neue Ära für den verwaltungsrecht lichen Rechtsschutz ein. Ein subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Klima-
II. Schlussbemerkung und zusammenfassende Thesen319
schutz besteht im Verwaltungsrecht weiterhin nicht. Durch § 13 KSG und den Klimabeschluss wird der Klimaschutz aber als Abwägungsposition wachsen. Es kündigt sich ein Aufstieg an von dem jetzigen Berücksichtigungsgebot aus § 13 KSG zu einem Beachtens- und Optimierungsgebot. Der Justiziabilitätsausschluss aus § 4 Abs. 1 S. 10 KSG wirkt sich nicht auf die Verbandsklage aus. Sowohl UVP-pflichtige Vorhaben und SUP-pflichtige Pläne und Programme als auch Pläne, Programme und Ziele, die keiner SUP-Pflicht unterliegen, müssen justiziabel sein. Davon erfasst sind unter anderem der Klimaschutzplan 2050, die nationalen Energie- und Klimapläne, Jahresemissionsmengen aus Anlage 2 und die Minderungsziele aus Anlage 3 des KSG (dazu unter E.). 6. Auf dem Verfassungsrechtsweg wurde die Beschwerdebefugnis im Klimabeschluss problemlos bejaht. Werden heute irreversible Prozesse angestoßen (Treibhausgas-Emissionen), werden möglicherweise vorwirkend Grundrechte verletzt. Allein der Umstand, dass eine sehr große Zahl von Personen betroffen ist, steht einer individuellen Grundrechtsbetroffenheit nicht entgegen. Auf materiell-rechtlicher Seite besteht kein Grundrecht auf Klima- oder Umweltschutz. Die Frage nach einem ökologischen Existenzminimum wurde offengelassen, allenfalls ein apokalyptischer Anwendungsbereich angedeutet. Die intertemporale Freiheitssicherung verhilft der Staatszielbestimmung zu einem enormen Bedeutungszuwachs. Aus dogmatischer und inhaltlicher Sicht wäre vor allem ein am Vorsorgeprinzip ausgerichtetes ökologisches Existenzminimum effektiver (dazu unter F. I.). 7. Die Justiziabilität im Unions- und Völkerrecht muss ihre Rolle erst noch finden. Neuere Entwicklungen lassen eine geweitete Justiziabilität erwarten. Die Plaumann-Formel wird wegen der novellierten Aarhus-Verordnung weniger restriktiv ausgelegt werden müssen. Der EGMR wird auf Fragen des Klima- und Umweltschutzes durch die Resolution 48/13, den internationalen Druck und die anhängigen Klimaklagen antworten müssen (dazu unter F. II. und III.). 8. Klimaklagen lassen sich weniger definieren denn konzeptualisieren. Sie entstehen als Cocktail aus fundamentalen wie intergenerationellen Klagezielen und einer strategischen Prozessführung. Dabei integrieren sie Wissenschaft ins Recht und zwingen es zur Fortbildung. Zudem versuchen sie, mit den Mitteln des Rechts sowohl extern als auch intern die Wirtschaft zu transformieren (dazu unter F. IV.). 9. Klimaschutz lässt sich vor Gerichten verhandeln und diskutieren, da sich seine politischen und rechtlichen Dimensionen nicht separieren lassen. Verfassungsrecht ist politisches Recht, Verwaltungsrecht ist konkretisiertes Verfassungsrecht. Die Klimaklagen politisieren daher weder die Ge-
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H. Ausblick und Zusammenfassung
richte, noch juridifizieren sie die Klimapolitik. Vielmehr erweitern sie letztere um ein Forum, das unter den Regeln des Rechts die klimaschützende Ausrichtung der Rechtsordnung diskutieren lässt. Gerichtsverhandlungen ersetzen dadurch nicht den gesellschaftlichen wie politischen Prozess, sondern stoßen beide an (dazu unter G. I). 10. Justiziabilität kann für den Umwelt- und Klimaschutz lohnenswert sein. a) Sie schichtet Komplexität ab und operationalisiert Rechtsnormen (dazu unter G. II. 1. a)). b) Kollektivität schließt Individualität im Rechtsschutz nicht aus. Dabei wird weder das Handeln der Verwaltung noch das der Politik juri difiziert, sondern die subjektiv-rechtliche Auslegung zugelassen, die die kollektiven und individuellen Überlagerungen erfasst. Es geht darum, die Durchsetzungsschwächen des Individualrechtsschutzes abzubauen und die Funktionalität der Individualrechte als Einladung für eine bessere Implementierung des Umwelt- und Klimaschutzes anzunehmen (dazu unter G. II. 1. b)). c) Die Gerichte haben das Potential, den demokratischen Rechtsstaat in vieler Hinsicht zu effektivieren. Die Verwaltungsgerichtsgerichtsbarkeit dient als Analytikerin und Gestalterin des Rechts. Das BVerfG als dessen Rahmengeber und als Ort demokratischer Deliberation sämtlicher Bevölkerungsgruppen. Es verhilft dabei nicht einer klimawissenschaftlichen Expertokratie zum Aufstieg, sondern steigert staatliche Kohärenz und Konvergenz im Klima- und Umweltschutz (dazu unter G. II. 2. und 3.). 11. Justiziabilität zu erzeugen, stößt da an Grenzen, wo die Gerichte objektiv-rechtliche Rügebefugnisse prozessrechtsfortbildend schaffen. Neuere nationale Judikate reagieren auf die „Protect“-Entscheidung des EuGH mit einer richterlichen Verbandsklage ohne Anwendungsbereich und contra legem. Diese befindet sich zwischen gemeinschaftsrechtlich Notwendigem und staatsrechtlich Verbotenem. Sie ist nicht nur notgedrungen, sondern auch methodisch auf Sand gebaut. Der Gesetzgeber wird reagieren und eine Generalklausel dabei in Erwägung ziehen müssen (dazu unter G. III.). 12. Die Empirie zu den Verbandsklagen relativiert die Angst vor einer Klagewelle. Gleichzeitig verzögerten abgeschaffte Präklusionen Verfahren nicht wesentlich. Auf eine geweitete Justiziabilität sollte nicht mit einer reduzierten Kontrolldichte reagiert werden. Probleme im Vollzug und in der Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen sind der Justiziabilität nicht zuzurechnen (dazu unter H. I.).
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Bundesfachplanung 126–128, 177–179, 181 Bundesverkehrswegeplanung 128–129, 179–181 Citizien Suits 84–85 Climate Change litigation 253 Cradle-to-Grave-Prinzip 81 Deliberation 272–273, 291–292, 306 Dialektische Professionalisierung 60, 264 Dichotomie 143–144, 174–175 Diskriminierungsverbot 158, Drittschutz 51–53, 152–167 Durchsetzungsdefizite 26–28 Effektivität 28, 108 Effet Utile 294 Entpolitisierung 280–281 Enumeration 33–35, 171–172 Eigentumsgarantie 127 Eilrechtsschutz 134–142, 211 Einheitlichkeit 42, 196, 300–303 Einwirkungsbereich 51, 153 Europäisches Klimagesetz 69–70 Evidenzkontrolle 232, 236, 240–241, 251 Exklusivität 154 Expertenrat für Klimafragen 139, 214, 292–293 Expertokratie 289–293 Extraterritorialer Umwelt- und Klimaschutz 159, 231, 252–253 Fachgerichte 184, 282–284 Feststellungsinteresse 124
354 Stichwortverzeichnis FFH-RL 107–108, 111, 148–150, 178–180 Folgebereitschaft 314–317 Formelle Präklusion 113 Funktionale subjektive Rechte 151 Funktionalität 151, 237, 275–277, 281, 306 Gefahr 52–53, 163–166 Gefahrenabwehrnormen 52–53, 163–166 Gegenseitigkeit der Rügebefugnisse 161 Gemeinwohl 64, 93, 144, 148, 280–281, 283–284 Generalklausel 292, 303–305 Generationengerechtigkeit 232–235, 262–263, 267 Gestaltungsspielraum 97–98, 112, 120–121, 221–222, 231–232, 242–243, 285–286 Gewaltenteilung 30–31, 212, 270, 273, 286, 294, 296, 302 Governance-VO 69–70, 221–223 Green Deal 69, 217 Heilungsmöglichkeiten 206–208 Horizontale Klagen 254 IE-RL 102, 113–114, 198–200, 208 Immissionsschutzrecht 24–25 Individualbezogenheit 148, 198 Individualisierung 144–146 Individualrechtsschutz 31–33, 47–53 Individuelle Betroffenheit 147, 149, 245–246 Institutionelle Garantie 33 Integrationsprinzip 80 Intergovernmental Panel on Climate Change/IPCC 75, 289–293 Interessentenklage 44–45, 150–151, 175–176 Internationales Recht 65 Intertemporale Freiheitssicherung 215–217, 241–244
Irreversibilität 136–138, 165, 226, 240, 291 IVU-RL 102, 104 Janecek-Urteil 106–107, 143, 156–157, 215 Justiziabilität 23, 117, 219 Kiewer-Protokoll 97–98 Kipppunkte 132–133, 136, 239–240, 243, 262–263, 267 Klagebefugnis 43–45 Klagewelle 308, 310 Klimabeschluss 21, 82, 137–139, 159, 165, 190, 214–215, 224–225, 232–233, 237, 241, 251, 261, 263–264, 266–267, 285, 288, 290, 315 Klimaklage 253–266 Klimaschutz im Recht 23–25 Klimaschutzgebot 216, 231, 243, 267 Klimaschutzgesetz/KSG 82, 214–223 Klimaschutzplan 129–130, 181–182, 221–223 Klimaschutzprogramm 82, 129–130, 139, 219–220 Klimaschutzziel 220–223 Klimaverträglichkeit 218–219 Kohärenz 291, 302–303 Kollegialprinzip 272 Kollektivität 151, 275–278, 306 Komplexität 48, 118, 136–137, 251, 274–275 Konkretisierungsauftrag 230 Konnexität 127, 134, 190–193, 290, 298 Kontrolldichte 312 Konzentrierter Rechtsschutz 125–126, 133 Konzeptualisierung 256–258 Kooperationsprinzip 80 Kumulationsfunktion 60–61 Kurzzeitlegitimation 287–289 Kyoto-Protokoll 72
Stichwortverzeichnis355 Langzeitverantwortung 287–289 Legizentrismus 279 Liberalisierungsprozess 146–147 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz/ LkSG 162 Luftqualitäts-RL 107, 130–131, 148–149 Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz/ MgvG 129, 184, 191–192 Materielle Präklusion 113–114, 117–118, 309, 311 Mitigation 23–24 Mobilisierung 131, 142–143, 149–152, 277, 297 Multipolarität 49–51 Nachhaltigkeitsprinzip 81 Nationally Determined Contributions 74–75 Nationale Energie- und Klima-Pläne/ NECP 69–70, 221–222 Negativemissionstechnologien 165–166 Netzausbau 126–128, 177–179 Neutralitätsdefizite 58 Nichtigkeitsklage 244–245 Normexterne Wirkung 159–160 Norminterne Wirkung 159 Objektive Wertentscheidung 30–31 Öffentliche Gewalt 30 Öffentlichkeit 95 Öffentlichkeitsbeteiligung 70, 97–98 Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL 102, 104–105 Ökologisches Existenzminimum 237–240, 243, 251 Opfer 250–251 Partizipative Demokratie 93, 130 People’s Climate Case 247–248 Phasenspezifischer Rechtsschutz 125–126, 141 Planfeststellungsbeschluss 127, 169, 178, 184–185
Plaumann 149, 154, 226, 244–249 Politik 269–271 Popularklage/Popularklagemöglichkeit 46, 150, 154, 176 Praktikabilität 160–161, 209–211, 235 Präventivwirkung 59–60 Private Enforcement 93 Prokuratorische Rechte 143, 144, 212, 298 Prozedurales Umweltgrundrecht 236–237 Prozeduralisierung 194, 212 Public Trust Doctrine 263 Querschnittsklausel 66, 80 Raumordnungsplan 177–178 Rechtserzeugung 293 Rechtsfortbildung 265–266, 282, 294–295, 299–303 Rechtsmacht 39 Rechtsschutzgarantie 46, 137, 200, 308 Rechtssicherheit 114, 118, 141, 155, 176, 204, 304 Rechtsstaatsmechanismus 317 Rechtssubjekt 63, 85, 146–147, 258, 263 Rechtsvorschriften 105, 173–175, 193 Repräsentationsfunktion 60–61 Restbudget 223, 241–242, 267–268, 292 Richterliche Fortbildung 109, 294–295 Richterrechtliche Verbandsklage 296–300 Robbenklage 86–87 Sachverständigenrat für Umweltfragen 27, 242, 260–261, 290–291 Satzungsgemäßen Aufgabenbereich 173–174 Schädigungsverbot 68 Schutznormakzessorische Rügebefugnis/ Schutznormakzessorietät 105–106, 172, 109–110, 115–116
356 Stichwortverzeichnis Schutznormlehre 41–43 Sektoralisierung 118–119, 210–211 Seveso-III-RL 102, 171–172 Sofortprogramm 129–130, 139 Sorgfaltspflicht 137–138, 165, 263, 291 Soziales Existenzminimum 285–286 Sperrgrundstück 155–156 Staatszielbestimmung 27, 65–66, 77–78, 229–232 Standortauswahlgesetz/StandAG 133–134, 203, 212 Status activus 94 Status activus cooperationis 94, 146, 151, 212, 228, 267 Status civitatis 94 Status libertatis 94 Status procuratoris 94, 146, 151, 212, 228, 267 Status subiectionis 93–94 Strategische Prozessführung 264–266 Strategische Umweltprüfung/SUP 122–123, 127, 221–223 Subjektivierung 142–145,152, 163–164, 196–203, 275–276, 278, 293, 302–303 Subjektiv-öffentliche Recht 38–41, 47–49, 143–152, 197–199, 214–216, 276–278 Suspensiveffekt 138 Sustainable Development Goals/SDGs 73–74, 234 Territorialitätsprinzip 160, 252 Transformationsverlangen 261–262 Trianel-Urteil 109–110, 120–121 Übereinkommen von Paris 74–76, 120, 182–183, 238, 241–242, 244, 283 Überindividueller Rechtsschutz 53 Ubiquität 165, 224, 247, 258–261 Ultra-Vires-Kontrolle 296 Umweltbezogene Rechtsvorschriften 100, 117, 174–175, 304 Umweltgesetzbuch 77–78, 87
Umweltintegration 118–119 Umweltrechtlicher Rechtsschutz 122–123 Umweltrechtsbehelfsgesetz/UmwRG 104–106, 171–176, 186–202, 209–211, 303–305 Umweltschutz im Recht 25–26 Umweltschutzprinzipien 78 Umweltschutzziele 66–67 Umwelt- und Klimagrundrecht 235– 237 Umweltverträglichkeitsprüfung/UVP 122–123, 203–206, 219–220 UN-ECE-Übereinkommen 91 UNFCCC 71 Unionsrechtskonforme Auslegung 112–113, 198, 227 Unmittelbarkeit 46, 246 Untermaßverbot 238–239 Untätigkeitsklagen 255, 269–270 Ursprungsprinzip 66 UVP-Interessentenklage 195, 203 UVP-RL 102, 113–114, 196–200, 205, 208, 219 Verantwortung 232–233 Verbandsklagerechte 53–63 Verbandsverletztenklage 55 Verfahrensfehler 110, 116, 193–200, 203–206 Verfahrensgarantie 196–197, 205 Verfahrensrecht 108–109, 193, 198–199, 204–205 Verfassungsbeschwerde 30, 46, 129, 216, 225–226, 228–229 Verkehrsprognose 185 Verletztenklagemodell 43–45, 144, 245–246 Vertikale Klimaklagen 254–255 Verursacherprinzip 66, 79–80 Verwaltungsaktqualität 171, 190–191 VN-Klimarahmenübereinkommen 71 Völkergewohnheitsrecht 158–159 Vollstreckungsrecht 314–317
Stichwortverzeichnis357 Vollzugsklagen 255 Vorausvollzug 137 Vorhabenbegriff 186, 188, 210 Vorläufiger Rechtsschutz 134–142 Vorsorgenormen 52–53, 106–107, 163–167 Vorsorgeprinzip 66, 78–79, 239 Vorverlagerte Verbandsklage 133, 176–186 Vorverlagerter Rechtsschutz 124–134
Vorwirkung 59–60 Wiener Übereinkommen 70–71 Windenergie-Beitragswert 141 Winterpaket 69 Wissensfortbildung 260–261 Zielkonflikt 138–139 Zieltrias 68–69 Zweckstruktur 146