Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO: Sachgerechte Besteuerung des Organkreises oder Haftung im Übermaß? [1 ed.] 9783428542260, 9783428142262

Haftet eine Organgesellschaft für die Steuerschulden des gesamten Organkreises oder ist ihre Haftung von vornherein zu b

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Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO: Sachgerechte Besteuerung des Organkreises oder Haftung im Übermaß? [1 ed.]
 9783428542260, 9783428142262

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Schriften zum Steuerrecht Band 110

Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO Sachgerechte Besteuerung des Organkreises oder Haftung im Übermaß?

Von Mathias Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

MATHIAS SCHMIDT

Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO

S c h r i f t e n z u m St e u e r r e c ht Band 110

Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO Sachgerechte Besteuerung des Organkreises oder Haftung im Übermaß?

Von Mathias Schmidt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität des Saarlandes hat diese Arbeit im Sommersemester 2013 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme undDruck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 978-3-428-14226-2 (Print) ISBN 978-3-428-54226-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84226-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2013 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes – Abteilung Rechtswissenschaft – als Dissertation angenommen. Entsprechend konnten Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur bis Anfang des Jahres 2013 ausgewertet und aufgenommen werden. Zuvörderst möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rudolf Wendt, meinen herzlichsten Dank für seine wertvolle Unterstützung aussprechen. Für das Gelingen der Arbeit war seine Betreuung ebenso bedeutsam wie die mir unentwegt gewährte akademische Freiheit. Zudem kann ich rückblickend sagen, dass meine persönliche und fachliche Entwicklung durch meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Wirtschafts-, Finanz- und Steuerrecht auf das Positivste beeinflusst wurde. Die Fähigkeiten, die ich von ihm erlernen durfte, werden mein Schaffen weit über diese Arbeit hinaus prägen. Mein besonderer Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Michael Elicker, der die Entstehung der Arbeit ab dem ersten Tage mit regem Interesse begleitet und stets konstruktiv auf ihr Gelingen eingewirkt hat. Auch ihm verdanke ich vieles. Ebenfalls danke ich all meinen Kolleginnen und Kollegen des Lehrstuhls für eine freundschaftliche Zusammenarbeit. Besonderen Dank möchte ich dabei Frau Diplom-Juristin Kirsten Hoffmann aussprechen, mit der ich stets Freud und Leid des Promovierens teilen und in hilfreicher Diskussion die eigene Arbeit fortentwickeln konnte. Ebenfalls danke ich Frau cand. iur. Anna Pohl für ihre stetige Bereitschaft zur Diskussion und insbesondere ihre ebenso geduldige wie gewissenhafte Hilfe bei der Literaturbeschaffung herzlichst. Von herausragender Bedeutung für das Gelingen der Arbeit war außerdem meine Lebensgefährtin, Frau Ulrike Klein, die mich – trotz immenser eigener Arbeitsbelastung – mit aller Kraft unterstützt und mir dadurch den notwendigen Rückhalt zur Anfertigung der Arbeit gegeben hat. Ihr Zuspruch und ihre Zuneigung waren in schweren Phasen Halt, Antrieb und Aufmunterung zugleich. Mein größter Dank aber gilt meinen Eltern, denen ich diese Arbeit widme. Sie haben mein Fortkommen – nicht nur bei der Anfertigung dieser Arbeit – stets in jeder Form unterstützt und gefördert. Ihrer Liebe und ihrem bedingungslosen Rückhalt verdanke ich weit mehr als meine Ausbildung. Zweibrücken, im August 2013

Mathias Schmidt

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

A. Die Haftung im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

I. Allgemeines zur steuerlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

II. Sinn und Zweck steuerlicher Haftungsnormen; Überlegungen zu ihrer Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

III. Das Verhältnis von Steuerschuld und Haftungsschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

1. Haftung und Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

2. Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

a) Die Akzessorietät der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

b) Die Subsidiarität der Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

IV. Der Ausgleich unter den Gesamtschuldnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung bei besonderer Berücksichtigung möglicher Einflüsse durch das materielle Organschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . .

37

I. Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

II. Das materielle Organschaftsrecht und die Haftung der Organgesellschaft in der Zeit vor der erstmaligen Kodifikation formell-gesetzlicher Rechtsgrundlagen . . . .

38

1. Die Entwicklung der Organschaft durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Die Haftung der Organgesellschaft nach §§ 103, 108 RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

III. Die Rechtslage im Zeitpunkt der Kodifikation der Organschaftstatbestände und des § 114 RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

1. Die materiellen Organschaftstatbestände der Einzelsteuergesetze . . . . . . . . . . . . .

44

a) Die Rechtslage im Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . .

45

aa) Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

bb) Die gewerbesteuerrechtliche Organschaft nach der Kodifikation . . . . . .

48

cc) Die gemeinsame organtheoretische Konzeption der Vorschriften: Die Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Das Steuersubjekt im Organkreis der Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . (2) Ermittlung der Bemessungsgrundlage im Einheitsunternehmen . . . . (3) Die Einheitstheorie und der Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 50 52 54

10

Inhaltsverzeichnis b) Die Rechtslage im Körperschaftsteuerrecht zur Zeit der Kodifikation der Organschaftstatbestände im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht . . . . . . . . . . . . . aa) Tatbestand und Rechtsfolge der körperschaftsteuerlichen Organschaft bb) Die Ablehnung der Einheitstheorie im Körperschaftsteuerrecht . . . . . . .

55 56 57

c) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

2. Die Haftung der Organgesellschaft nach § 114 RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

a) Tatbestand und Rechtsfolge des § 114 RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Tatbestand des § 114 RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtsfolge des § 114 RAO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 60 62

b) Das Bekenntnis des § 114 RAO zur Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

c) Funktion und Rechtfertigung des § 114 RAO im System der Einheitstheorie

65

d) Kritik an den vorgebrachten Rechtfertigungsüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . .

66

e) Analyse der Funktion und der Rechtfertigung des § 114 RAO . . . . . . . . . . . . . aa) Die Funktion des § 114 RAO: „Das ökonomische Prinzip“ . . . . . . . . . . . (1) Der verfahrensrechtliche Konflikt: Die Diskrepanz zwischen steuerrechtlicher Einheit des Unternehmens und zivilrechtlicher Vielheit der Vermögenssphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 114 RAO als Brücke zwischen steuerrechtlicher Einheit und zivilrechtlicher Vielheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Verfahrensrechtliche Folge: Gesamtschuldnerschaft . . . . . . . . . . . . . . (4) Rechtstechnische Gesamtbetrachtung: Die Besteuerung eines (nicht rechtsfähigen) Wirtschaftsgebildes, bestehend aus mehreren Rechtsträgern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68

69 71 73

77

(a) Der Organkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

(b) Die Besteuerung von Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Fazit zur verfahrensrechtlichen Funktion des § 114 RAO . . . . . . . . bb) Die Rechtfertigung der Inanspruchnahme der Organgesellschaft: „Das Verursachungsprinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Organgesellschaft als Mitverursacher der Gesamtsteuerschuld (2) Die Organgesellschaft als Haftende für eine mitverursachte Steuer? cc) „Das Sicherungsprinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 79

IV. Erkenntnisse aus den historischen Grundlagen des Organschaftsrechts . . . . . . . . . .

85

C. Entwicklungen und Reformen im Organschaftsrecht und deren Auswirkungen auf die Haftung, insbesondere: Die Reform der Abgabenordnung 1977 nebst Änderung des § 73 AO und die seither bestehende Problemstellung . . . . . . . . . . . . .

86

I. Die Entwicklung der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft – Abkehr von der Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

80 80 81 84

1. Die Änderung der organtheoretischen Ausrichtung durch die Rechtsprechung

87

2. Die tatbestandliche Angleichung der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft an die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft durch das UntStFG vom 20.12.2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

Inhaltsverzeichnis

11

II. Die Reform der Abgabenordnung 1977 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

1. Tatbestand und Rechtsfolge des § 73 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

a) Der Tatbestand des § 73 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

b) Die Rechtsfolgen des § 73 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

2. Die Diskussion um die Angemessenheit des Haftungsumfanges des § 73 AO

94

a) Haftung der Organgesellschaft für die gesamte Steuerschuld des Organkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

aa) Das Praktikabilitätsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

bb) Das Argument wirtschaftlicher Einheit des Organkreises . . . . . . . . . . . . .

98

b) Tatbestandliche Beschränkung der Haftung auf den von der Organgesellschaft verursachten Teil der Gesamtsteuerschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

aa) Verstoß gegen das Übermaßverbot und unzulässige Benachteiligung von Drittgläubigern und Minderheitsgesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

bb) Die Durchbrechung zivilrechtlicher Ordnungsstrukturen durch die umfängliche Haftung der Organgesellschaft bei umsatzsteuerlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (1) Die Argumentation von Probst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Die vermittelnde Ermessenslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Die Lösung der Finanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Die Lösung von Bax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 d) Resümee zur Diskussion um den angemessenen Haftungsumfang . . . . . . . . . 114 III. Stellungnahme zu den Entwicklungen im Organschaftsrecht und deren Auswirkungen auf die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft gemäß § 73 AO 115 D. Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Der Tatbestand der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Tauglicher Organträger und taugliche Organgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Die Eingliederungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 aa) Finanzielle Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Wirtschaftliche Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 cc) Organisatorische Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Rechtsfolgen umsatzsteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Der mehrgliedrige Organkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Systematische Gesamtbetrachtung der Besteuerung des umsatzsteuerrechtlichen Organkreises: Die Einheitstheorie und ihre verfahrensrechtliche Umsetzung . . . . . 128

12

Inhaltsverzeichnis 1. Die Inanspruchnahme der organkreisangehörigen Unternehmungen durch die Finanzbehörde (Außenverhältnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Der Organträger als Steuerschuldner im Organkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Die Organgesellschaft(en) als Haftende; Kompensation der fehlenden Steuerschuldnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Steuerumlagen im umsatzsteuerrechtlichen Organkreis: Die Bedeutung organkreisinterner Ausgleichspflichten (Innenverhältnis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. Die Gesetzestechnik zur Besteuerung des umsatzsteuerrechtlichen Organkreises gleich einem Einheitsunternehmen; das Prinzip der gemeinschaftlichen Steuerverursachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 III. Stellungnahme zur Frage der sachgerechten Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Fazit: Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

E. Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei körperschaftund gewerbesteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Die Organschaft im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Der Tatbestand der körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft . . . 150 a) Tauglicher Organträger und taugliche Organgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Die Eingliederungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 aa) Finanzielle Eingliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 bb) Bestehen eines Gewinnabführungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Die Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 a) Die Rechtsfolgen körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Die Rechtsfolgen gewerbesteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Der „mehrgliedrige“ Organkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4. Die organtheoretische Grundlage der körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft: Die Zurechnungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Die Zurechnungstheorie als Organtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Der Einfluss der Zurechnungstheorie auf die gewerbesteuerliche Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 c) Die zentrale Bedeutung des Gewinnabführungsvertrages für die Zurechnungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 d) Die Zurechnungstheorie und der Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung 171 II. § 73 AO als Fremdkörper im körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Kommt § 73 AO im System der Zurechnungstheorie eine verfahrensrechtliche Funktion zu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Inhaltsverzeichnis

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2. Ist die Inanspruchnahme der Organgesellschaft im Organkreis der Zurechnungstheorie aufgrund des „Verursachungsprinzips“ gerechtfertigt? . . . . . . . . . . 180 3. Die Entstehung von Haftungslücken bei Organschaftsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Der Versuch der Rechtfertigung des § 73 AO als klassische Haftungsnorm: „Das Sicherungsprinzip“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Vergleichbarkeit der Belastungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 2. Das Sicherheitsbedürfnis des Steuergläubigers bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 IV. Fazit: Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage: Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft gemäß § 73 AO – sachgerechte Besteuerung des Organkreises oder Haftung im Übermaß? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

Einleitung und Gang der Untersuchung Der Faktor Rechtssicherheit ist von zentraler Bedeutung für die Attraktivität eines Wirtschaftsstandorts,1 denn unternehmerische Investitions- und Planungssicherheit setzen ein hohes Maß an Verlässlichkeit auf den vorgefundenen Rechtsrahmen voraus.2 Insbesondere die Absehbarkeit der steuerlichen Belastung spielt bei strukturellen und standortbetreffenden Entscheidungen zuweilen eine gewichtige Rolle.3 Ein investitionswilliger Unternehmer wird sich deshalb bereits vor der Realisierung seines Vorhabens an einen Vertreter der steuerberatenden Berufe wenden. Von diesem erwartet er regelmäßig die Offenlegung steuerlicher Risiken sowie die möglichst exakte Kalkulation der zukünftigen steuerlichen Belastung. Eine solche Kalkulation, so lässt jedenfalls die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermuten, sollte am Wirtschaftsstandort Deutschland ohne weiteres möglich sein, schließlich fordern die Verfassungsrichter in ständiger Rechtsprechung, dass nationale Besteuerungstatbestände „so bestimmt sein müssen, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann“4. Wird in der Steuerplanung und -gestaltung allerdings die Frage virulent, wie es um das Haftungsrisiko einer Organgesellschaft für die Steuerschulden des Organträgers bestellt ist, sehen sich Berater wie Unternehmer vor Probleme gestellt. In Anbetracht der aktuellen Rechtslage wird der Berater das Haftungsrisiko nämlich nur schwer absehen, geschweige denn verbindlich beziffern können. Dadurch bleiben finanzielle Folgewir1 Vgl. zur Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Deutschland: Handelsblatt vom 9.2.2005, „Standort Deutschland hat passables Image im Ausland“ (abrufbar unter: http: //www.handels blatt.com/politik/deutschland/hohe-lohnzusatzkosten-in-der-kritik-standort-deutschland-hatpassables-image-im-ausland/2472668.html). Danach zeige eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, dass das deutsche Recht von ausländischen Unternehmern nach wie vor als Standortvorteil gesehen werde. 2 Mit Bezug auf das Steuerrecht (statt vieler): Johanna Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, Köln 2002. 3 Den Einfluss des Steuerrechts auf die wirtschaftliche Betätigung und insbesondere auf die Planung und Gestaltung unternehmerischer Tätigkeit betonend: Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 6; Roman Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 1, Rz. 1 ff.; umfassend auch: Johanna Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, Köln 2002. 4 Ausdrücklich: BVerfG, Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvR 571 / 60 –, BVerfGE 19, 253 (267); für das gesamte Abgabenrecht: BVerfG, Beschluss vom 28.2.1973 – 2 BvL 19 / 70 –, BVerfGE 34, 348 (365); ebenso: BVerfG, Beschluss vom 12.10.1978 – 2 BvR 154 / 74 –, BVerfGE 49, 343 (362); BVerfG, Beschluss vom 23.10.1986 – 2 BvL 7, 8 / 84 –, BVerfGE 73, 388 (400); einschränkend: BVerfG, Urteil vom 17.7.2003 – 2 BvL 1, 4, 6, 16, 18 / 99, 1 / 01 –, BVerfGE 108, 184 (235), wo es heißt, der Abgabepflichtige müsse die Zahllast „in gewissem Umfang“ vorausberechnen können.

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Einleitung und Gang der Untersuchung

kungen für den Unternehmer, etwa beim Erwerb eines organschaftlich eingebundenen Unternehmens oder bei der Steuerplanung im Unternehmensverbund, unaufgeklärt.5 Die schließlich allenthalben bestehende Verunsicherung wurzelt in der Rechtsfrage, die im Titel dieser Arbeit aufgeworfen wird: Ist die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO ein Akt sachgerechter Besteuerung von organschaftlich verbundenen Unternehmen oder ist sie vielmehr eine Ausprägung steuerlicher Haftung, durch die die Organgesellschaft finanziell belastet wird? Dass das skizzierte Szenario keinesfalls hypothetisch, ja bisweilen von höchster praktischer Relevanz ist, belegt ein Blick auf die aktuell aufkeimende Diskussion um den Haftungsumfang des § 73 AO. Diese wird vornehmlich von den Vertretern der steuerberatenden Berufe geführt, die die aufgezeigte Verunsicherung bemängeln und nach Lösungsmöglichkeiten suchen. So diskutiert etwa Ralf U. Braunagel gemeinsam mit Dominic Paschke, ob sich die Vorschrift des § 73 AO als Akquisitionshemmnis beim Unternehmenskauf erweist.6 Und Stefan Mayer erörtert eine Strategie, um der Haftung nach § 73 AO beim Erwerb eines organschaftlich eingebundenen Unternehmens auszuweichen, wenn er fragt: „Asset Deal wegen § 73 AO? – Reichweite der Haftung bei Unternehmensverkäufen“7. Norbert Schneider hat die Bedeutung des Themas sogar zum Anlass genommen, der Problematik einen wesentlichen Teil seines Beitrages zum 62. Fachkongress der Steuerberater im Jahre 2010 zu widmen.8 Dabei betonte er nachdrücklich die gestiegene praktische Relevanz der Rechtsfrage, die seines Erachtens auch krisenbedingt sei, da Organträger seither häufiger in Zahlungsschwierigkeiten gerieten.9 Die Rechtsentwicklung sei jedenfalls, so Schneider resümierend, noch in keiner Weise abgeschlossen und daher mit Spannung zu erwarten.10 Dem ist gewiss schon deshalb zuzustimmen, weil die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Umfang und Grenzen der Haftung der Organgesellschaft (noch) nicht abschließend Stellung genommen hat. Die offene Rechtsentwicklung und die Aktualität der Fragestellung wecken zusätzlich zu dem breiten Meinungsspektrum, das sich in der Literatur gebildet hat, den wissenschaftlichen Anreiz einer Untersuchung, deren Ziel es ist, aus rechtssystematischen Überlegungen eine Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage zu ge5 Die Bedeutung des § 73 AO bei der Steuerplanung, beim Unternehmenskauf und bei der Vertragsgestaltung ebenfalls betonend: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775). 6 Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 ff.; zur Problematik der Haftung nach § 73 AO beim Unternehmenskauf weiterhin: Stephan Eilers / David Beutel, IStR 2010, 564 (565 f.); Subir Kumar Banerjee, BB 2012, 1518 ff. 7 Stefan Mayer, DStR 2011, 109 ff.; ähnlich: Subir Kumar Banerjee, BB 2012, 1518 ff. 8 Norbert Schneider, Stbjb 2010 / 2011, 327 ff. 9 Norbert Schneider, Stbjb 2010 / 2011, 327 (360). 10 Norbert Schneider, Stbjb 2010 / 2011, 327 (360 und 365).

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winnen. Dies bedingt die Auseinandersetzung mit der Systematik zweier originär steuerrechtlicher Rechtsinstitute: Der Organschaft und der Haftung. Während die Haftung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ein Schattendasein fristet, befindet sich das Organschaftsrecht seit Jahrzehnten in steter Diskussion. Dabei scheint die bestehende materielle Rechtslage größtenteils durchdrungen und das Augenmerk zunehmend auf Reformüberlegungen zu liegen.11 Der Vorschrift des § 73 AO schenkt der wissenschaftliche Diskurs um das Organschaftsrecht allerdings traditionell vergleichsweise wenig Beachtung. Selbst in umfassenden Werken zur Organschaft reicht die Auseinandersetzung mit der Norm nicht über eine Randnotiz hinaus.12 In Abhandlungen zum steuerlichen Haftungsrecht wird § 73 AO dagegen mehr Aufmerksamkeit gewidmet, gehört die Regelung schließlich zu dem in den §§ 69 ff. AO geregelten Kernbestand allgemeiner steuerlicher Haftungsnormen. Naturgemäß ist der Blickwinkel der Betrachtung hierbei auf die haftungsrechtliche Dimension der Vorschrift gerichtet; ihr Normbefehl wird an den haftungsrechtlichen Grundsätzen und Gesetzmäßigkeiten gemessen. Dabei werden mögliche Interdependenzen mit dem materiellen Organschaftsrecht vielfach nicht oder nur oberflächlich diskutiert. Insbesondere die Zusammenhänge mit den historischen und dogmatischen Grundlagen des Rechtsinstituts, namentlich den Organtheorien, bleiben unberücksichtigt.13 Einen solchen Blickwinkel will die vorliegende Arbeit einnehmen, indem sie, von der Warte des Organschaftsrechts und insbesondere der Organtheorien ausgehend, eine Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage sucht. Angesichts dieser Zielsetzung ist die Untersuchung wie folgt gegliedert: Vorab werden in einem Teil A. die Grundlagen des Rechtsinstituts der steuerlichen Haftung dargelegt. Um der Zielsetzung einer organschaftsorientierten Betrachtung des § 73 AO gerecht zu werden, bleibt das Augenmerk hierbei bewusst auf die allgemeinen Grundsätze des Haftungsrechts gerichtet; eine regelmäßige Bezugnahme auf § 73 AO unterbleibt. Die Ausführungen sind vorangestellt, damit im Zuge der weiteren Untersuchung auf die Erkenntnisse zu den Grundlagen des Haf-

11 Vgl. etwa die Beiträge und die Diskussion zu den 32. Berliner Steuergesprächen (Reform der Konzernbesteuerung), FR 2009, 1025 ff.; weiterhin die Beiträge und die Diskussion zu dem 2. Münchner Unternehmenssteuerforum, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 53 ff.; außerdem den umfassenden Entwurf zur Reform der Konzernbesteuerung von Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, Köln 2006. Überdies (beispielhaft): Manfred Günkel / Thomas Wagner, Ubg 2010, 603 ff.; Johanna Hey, StuW 2011, 131 ff. 12 So etwa das ohne Zweifel umfassende Werk von Norbert Herzig (Hrsg.), Organschaft, Stuttgart 2003, in dem die Auseinandersetzung mit § 73 AO gerade über fünf Zeilen reicht (S. 303); ähnlich: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, Düsseldorf, 2. Aufl. 1956, der dem damaligen § 114 RAO weniger als eine Seite seiner Arbeit widmet (vgl. S. 78). 13 Als Ausnahmeerscheinung ist diesbezüglich auf Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 ff. zu verweisen, dessen Arbeit sicherlich ein Anreiz und Ansatzpunkt zur Anfertigung der vorliegenden Untersuchung war.

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tungsrechts zurückgegriffen werden kann, wenn aufgezeigte Interdependenzen mit dem Organschaftsrecht hierzu Anlass geben. Die folgenden Teile B. bis E. widmen sich der Beziehung zwischen materiellem Organschaftsrecht und Haftung der Organgesellschaft. Die Untersuchung folgt einem historischen Aufbau, behandelt in Teil B. also zunächst die rechtshistorischen Grundlagen des Organschaftsrechts und geht den Ursprüngen der Rechtsgrundlage für eine Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft nach. Dabei sind diese Ausführungen nicht allein deskriptiver Natur. Historische Verbindungslinien zwischen dem ebenfalls in der Entwicklung befindlichen materiellen Organschaftsrecht und der Haftung werden nachgezeichnet und bewertet. Eine Zäsur bildet hierbei insbesondere die Kodifikation materieller Organschaftstatbestände nebst Haftungstatbestand Mitte der 1930er Jahre. Gerade diese ersten formell-gesetzlichen Grundlagen werden umfassend in den Blick genommen und deren Zusammenwirken mit § 114 RAO untersucht. Die Erkenntnisse aus der Entwicklungsgeschichte sollen es ermöglichen, im weiteren Verlauf der Arbeit eine Erklärung für die heutige Rechtslage zu gewinnen und eine – auch rechtshistorisch fundierte – Stellungnahme zu der aufgeworfenen Rechtsfrage zu formulieren. Teil C. ergänzt Teil B. um ausgewählte Entwicklungslinien des Organschaftsrechts nebst Haftung von der Nachkriegszeit bis heute. Neben der Entwicklung der gewerbesteuerlichen Organschaft steht hierbei die Neufassung des heutigen § 73 AO im Zuge der Reform der Abgabenordnung 1977 im Fokus. Die dabei erfolgende Erörterung von Tatbestand und Rechtsfolge gibt den status quo der Diskussion um die Vorschrift wieder. Dabei wird insbesondere das diffuse Spektrum an Rechtsauffassungen zur Angemessenheit des Haftungsumfangs des § 73 AO aufbereitet und strukturiert. Verbunden wird dies mit einer Aussonderung all jener Argumente, die in der Literatur bereits widerlegt, oder widerlegbar sind. Voraussetzung hierzu ist freilich eine erste argumentative Auseinandersetzung mit den verschiedenen Rechtsauffassungen, was an Ort und Stelle erfolgt. Ziel dessen ist es, die Argumentation zum Ende des Teiles C. systematisiert und auf ein überschaubares Maß reduziert zu wissen. Die folgenden Teile D. und E. beschäftigen sich mit dem Zusammenspiel des heutigen materiellen Organschaftsrechts mit § 73 AO. Die Aufgliederung dieses Untersuchungskomplexes ist der Verschiedenheit der Organschaftsregelungen der Einzelsteuergesetze, insbesondere in ihrer organtheoretischen Konzeption, geschuldet. Teil D. betrifft die umsatzsteuerliche Organschaft und ihre Wechselwirkung mit der Haftungsvorschrift. Da das Rechtsinstitut der umsatzsteuerlichen Organschaft seit seiner Einführung – jedenfalls bezüglich der vorliegend relevanten Aspekte – weitgehend unverändert geblieben ist, können insbesondere in diesem Abschnitt der Untersuchung Erkenntnisse aus Teil B. fruchtbar gemacht werden. Abschließend erfolgt eine Stellungnahme zur aufgeworfenen Frage der sachgerechten Inanspruchnahme der Organgesellschaft, vorliegend beschränkt auf die Haftung bei umsatzsteuerlicher Organschaft.

Einleitung und Gang der Untersuchung

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Teil E. befasst sich in Abgrenzung zu Teil D. mit der aktuellen Rechtslage zur körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft. Erneut wird, vom materiellen Organschaftsrecht ausgehend, das Zusammenspiel zwischen materiellem Recht und Haftung diskutiert. Dabei soll insbesondere die bislang noch ungeklärte Frage, ob und wie sich die Haftungsvorschrift in das Organschaftssystem der Zurechnungstheorie einfügt, untersucht und beantwortet werden. Basierend auf diesen Erkenntnissen wird abschließend erneut, nun auf die körperschaft- und gewerbesteuerliche Organschaft bezogen, zur aufgeworfenen Frage der sachgerechten Inanspruchnahme der Organgesellschaft Stellung genommen.

A. Die Haftung im Steuerrecht I. Allgemeines zur steuerlichen Haftung Die Abgabenordnung definiert den Begriff der Haftung nicht. Sie setzt ihn vielmehr voraus und spricht etwa in § 37 Abs. 1 AO vom Haftungsanspruch, in § 37 Abs. 2 AO vom Haftungsbetrag und in § 191 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO vom Haftungsschuldner. Durch die Vorschrift des § 37 Abs. 1 AO wird der Haftungsanspruch – neben dem Steueranspruch – den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis zugeordnet. Steuerpflichtiger ist nach § 33 Abs. 1 AO unter anderem derjenige, der eine Steuer schuldet oder für eine Steuer haftet. Steuerschuldner und Haftende werden folglich im Sinne zweier unterschiedlicher Gruppierungen unter dem Oberbegriff der Steuerpflichtigen zusammengefasst.1 Gleiches geschieht mit dem Haftungsanspruch, der neben dem Steueranspruch einen Unterfall von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis bildet. Würde die Abgabenordnung davon ausgehen, dass lediglich der Steuerschuldner für die eigene Verbindlichkeit einsteht, er also der einzig Haftende wäre, so käme der Differenzierung des § 33 Abs. 1 AO keine Bedeutung zu, schließlich wäre Schuldner und Haftender stets ein und dieselbe Person. Auch die Unterscheidung in Steueranspruch und Haftungsanspruch wäre systematisch kaum erklärbar, richtete sich doch der Steueranspruch ebenso wie der – dann wie auch immer geartete – Haftungsanspruch gegen den gleichen Schuldner. Wieso es bei der Steuererhebung aber neben dem Steueranspruch eines zusätzlichen, originären Haftungsanspruchs bedürfte, scheint bei dieser Sachlage kaum erklärbar. Der ausdrücklichen Differenzierung des Steuergesetzgebers wird man daher die Erkenntnis abgewinnen müssen, dass er zwischen Schuld und Haftung bewusst unterscheidet.2 Wer nun in persona Steuerschuldner im Sinne des § 33 Abs. 1 AO ist, bestimmen gemäß § 43 S. 1 AO die Steuergesetze, genauer: die Einzelsteuergesetze.3 Diese beinhalten Tatbestände, an deren Erfüllung das Gesetz die Leistungspflicht und damit

1 Vgl. auch: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 26. 2 Vgl.: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor. § 69 AO, Rz. 10. 3 So die einhellige Meinung zur Interpretation des § 43 S. 1 AO. Vgl. beispielhaft: Karl Blesinger, in: Kühn / von Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 43 AO, Rz. 2; Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 43, Rz. 1.

I. Allgemeines zur steuerlichen Haftung

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auch die Steuerschuldnerschaft knüpft.4 Demgegenüber werden in dem mit „Haftung“ betitelten vierten Abschnitt des zweiten Teils der Abgabenordnung materielle Haftungstatbestände normiert, auf welche der Verweis in § 43 S. 1 AO nicht gerichtet ist. Die Erfüllung eines solchen Haftungstatbestandes kann bei einer Bezugnahme des § 43 S. 1 AO auf die Einzelsteuergesetze nicht zur Begründung der Steuerschuldnerschaft führen. Der Steuerschuldner verwirklicht ausschließlich Tatbestände der Einzelsteuergesetze, nicht die Tatbestände der §§ 69 ff. AO. Nun mag man einwenden, dass auch die Einzelsteuergesetze gelegentlich vergleichbare Haftungstatbestände ausweisen,5 auf welche § 43 S. 1 AO ebenfalls Bezug nehmen könnte. Man wird jedoch kaum bestreiten können, dass die Konzentration von Haftungstatbeständen in den §§ 69 ff. AO bei fehlender Bezugnahme durch § 43 S. 1 AO für eine normative Unterscheidung in den Kategorien „Steuertatbestand“ und „Haftungstatbestand“ spricht.6 Während die materiell-rechtlichen Steuertatbestände potentielle Steuerschuldner ausweisen, beschreibt der Adressatenkreis der materiell-rechtlichen Haftungsnormen die Menge der potentiell Haftenden. Dies ist etwa im Falle des § 42d EStG der Arbeitgeber, im Falle des § 69 AO der in den §§ 34, 35 AO bezeichnete Personenkreis und im Falle des § 73 AO die Organgesellschaft. Bedeutsamer als diese tatbestandsbezogenen Aussagen der Vorschriften ist jedoch die vielfach aus dem „Begriff der Haftung“ hergeleitete Erkenntnis, dass der steuerrechtlich Haftende im Verhältnis zum Steuerschuldner stets Dritter ist.7 Dies konnte bereits anhand der früheren Regelung des § 97 Abs. 18 und Abs. 29 RAO sowie des wortgleichen § 79 Abs. 1 und Abs. 2 RAO 1919 signifikant belegt werden. § 97 Abs. 1 RAO bezeichnete als Steuerpflichtigen denjenigen, der nach den Steuergesetzen eine Steuer als Steuerschuldner zu entrichten hat. Gemäß § 97 Abs. 2 RAO galten die Vorschriften für die Steuerpflichtigen, mithin für den Steuerschuldner im Sinne des Absatzes 1, nur sinngemäß für die, die nach den Steuergesetzen neben den Steuerpflichtigen oder an deren Stelle persönlich für die Steuer haften. Das Verhältnis von § 97 Abs. 1 und Abs. 2 RAO bringt somit zum Ausdruck, dass nur solche Personen Haf4 Mit gleichem Ansatz: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 27. 5 So etwa die §§ 42d, 44 Abs. 5, 45a Abs. 7, 45b Abs. 3 S. 3, 48a Abs. 3, 50a Abs. 5 S. 4 EStG, §§ 13c, 25d UStG, §§ 20 Abs. 3 und Abs. 5 ErbStG, §§ 11 Abs. 1 und Abs. 2 GrStG. 6 So auch: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 28. 7 Erstmals und bis heute rezipiert: Karl Arens, VJSchrStuFR 1927, 567 ff.; mit entsprechender Bezugnahme etwa: Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 6 ff.; weitergehend: Rainer Hess, Schuld und Haftung im Abgabenrecht, Köln 1972, der diese Untersuchung über das Steuerrecht hinaus auf das gesamte Abgabenrecht ausweitet. 8 § 97 Abs. 1 RAO: Steuerpflichtiger im Sinne der Reichsabgabenordnung ist, wer nach den Steuergesetzen eine Steuer als Steuerschuldner zu entrichten hat. 9 § 97 Abs. 2 RAO: Die Vorschriften für die Steuerpflichtigen gelten sinngemäß für die, die nach den Steuergesetzen neben den Steuerpflichtigen oder an deren Stelle persönlich für die Steuer haften.

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A. Die Haftung im Steuerrecht

tende sind, die neben oder an die Stelle des Steuerschuldners treten können und damit gerade nicht selbst Steuerschuldner sind.10 Nach damaligem wie heutigem Verständnis sind Steuerschuldner und Haftende folglich nie identisch.11 Diesem Verständnis entspricht es, eine Inanspruchnahme dieser unterschiedlichen Personen auf unterschiedliche Erwägungen und vor allem auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen zu stützen. Einerseits sind dies entsprechend des Verweises in § 43 S. 1 AO die Regeln der Einzelsteuergesetze, in welchen die Inanspruchnahme einer Person als Steuerschuldner normiert wird.12 Andererseits sind es die originären Haftungstatbestände (insbesondere die §§ 69 ff. AO), die ihrerseits Rechtsgrundlage einer Inanspruchnahme anderer, dritter Personen sind. Es handelt sich bei diesen Normen um sog. Fremdhaftungstatbestände,13 aufgrund derer die Haftenden gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO „für eine Steuer“, genauer, für eine fremde Steuerschuld (sog. Fremdhaftung), einstehen. In diesem Sinne lässt sich das „Phänomen Haftung“ für das Steuerrecht in einem ersten Schritt begrifflich wie inhaltlich auf die Formel vom „Einstehenmüssen eines Dritten für eine fremde Steuerschuld“ reduzieren.14 Dass der Steuergesetzgeber den Haftungsbegriff nicht gleichsam für die Eigenhaftung – sprich das Einstehenmüssen für die eigene Steuerschuld – verwendet, lässt sich womöglich damit erklären, dass es ihm selbstverständlich erschien, dass der Steuerschuldner für die eigene Schuld auch einstehen muss, also „haftet“.15 Eine Titulierung dieser Selbstverständlichkeit fand man wohl entbehrlich, weshalb 10 Vgl.: BFH, Urteil vom 19.10.1976 – VII R 63 / 73 –, BStBl. II 1977, 255 (256 f.); auf die Vorschriften der RAO ebenfalls Bezug nehmend: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 27. 11 Beispielhaft: Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor. §§ 69 – 77 AO, Rz. 1; Karl Blesinger, in: Kühn / von Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 69 – 77 AO, Rz. 1; aus der Rechtsprechung etwa: BFH, Urteil vom 14.12.1988 – VII R 107 / 86 –, BFH / NV 1989, 549 (550 m.w. N.). 12 Ausgenommen seien an dieser Stelle die besonderen Haftungsvorschriften der Einzelsteuergesetze (vgl. Fn. 16), die aufgrund ihrer materiellen Sachnähe an den entsprechenden Stellen verortet wurden. 13 Vgl. etwa: Klaus Tipke, FR 1970, 479 (479), der von Fremdhaftung spricht. Teilweise wird in diesem Zusammenhang auch von „Nebenhaftung“ gesprochen. So beispielsweise: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 8; zu den verschiedenen terminologischen Wendungen: Rainer Hess, Schuld und Haftung im Abgabenrecht, S. 123. 14 Vgl. etwa: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 301; Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor. § 69 AO, Rz. 10; Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 3; Karl Blesinger, in: Kühn / von Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 69 – 77 AO, Rz. 1; Alois Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, Rz. 1 m.w. N.; umfassend zur Herleitung und mit gleichem Schluss auch: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 26 ff. 15 So etwa: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, Vor. § 69 AO, Rz. 10.

II. Sinn und Zweck sowie Rechtfertigung von Haftungsnormen

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der Haftungsbegriff einzig für die Fälle der Fremdhaftung fruchtbar gemacht wurde.16 Durch diese Einschränkung differiert jedoch das steuergesetzliche Begriffsverständnis zu demjenigen aus dem Zivilrecht.17 Plakativ kann man den steuergesetzlichen Haftungsbegriff daher – losgelöst von jeder zivilrechtlichen Interpretation18 – durchaus als terminus technicus des Steuerrechts bezeichnen. Von ihm werden all jene steuergesetzlichen Tatbestände erfasst, die die Inanspruchnahme eines Dritten für eine fremde Steuerschuld normieren. Zugleich ist diese Eigenart des Dritt- bzw. Fremdbezuges als „kleinster gemeinsamer Nenner“ aller Haftungsnormen anzusehen und letztlich auch zu fordern. Ein Tatbestand, der dieses Kriterium nicht erfüllt, ist – wenn auch als solcher deklariert – materiell kein Haftungstatbestand des Steuerrechts.

II. Sinn und Zweck steuerlicher Haftungsnormen; Überlegungen zu ihrer Rechtfertigung Als Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis entsteht der Haftungsanspruch gemäß § 38 AO mit Verwirklichung des materiellen Haftungstatbestandes. An dem damit begründeten Schuldverhältnis sind der Fiskus als Gläubiger des Haftungsanspruchs und der Haftende als Schuldner desselben unmittelbar beteiligt. Aus der Sicht des Haftenden ist die ihn treffende Haftungsschuld eine eigenständige, besonders geartete Verbindlichkeit.19 Er wird nicht etwa zum Schuldner der (fremden) Steuer bzw. steuerlichen Nebenleistung.20 Der Steuergläubiger erhält seinerseits bezüglich des ausstehenden Steuerbetrages mit dem Haftenden einen „Nebenschuldner“21. Zu seinen Gunsten werden zusätzliche, an der Hauptschuld orientierte Zahlungsverpflichtungen gegen Dritte statuiert. Auf diese Weise bleibt eine mangel16 Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung Finanzgerichtsordnung, Vor. § 69 AO, Rz. 10. 17 Zum Verhältnis des steuerrechtlichen zum zivilrechtlichen Haftungsbegriff etwa: Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 6 ff. Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 24 ff. Allgemein zum Verhältnis von bürgerlichem Recht und Steuerrecht (auch) in terminologischen Angelegenheiten: Klaus Tipke, JuS 1970, 149 (149); Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 43 ff.; Roman Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 1, Rz. 31 ff.; vgl. ebenfalls: BVerfG, Urteil vom 24.1.1962 – 1 BvR 845 / 58 –, BVerfGE 13, 331 (339). 18 Zum zivilrechtlichen Haftungsbegriff etwa: Christian Grüneberg, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Einl. v. § 241 Rz. 10 f. 19 Hermann Piper, Steuerschuld und Steuerhaftung, S. 82; Albert Beermann, Haftungsbescheid nach der AO und Entschließungsermessen, in: FS für Klein, S. 953 (965). 20 Albert Beermann, Haftungsbescheid nach der AO und Entschließungsermessen, in: FS für Klein, S. 953 (965); Hermann Piper, Steuerschuld und Steuerhaftung, S. 82. 21 Vielfach wird die steuerliche Haftung auch als „Nebenhaftung“ bezeichnet. So etwa: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 8.

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A. Die Haftung im Steuerrecht

hafte Zahlungsmoral bzw. eine mögliche Insolvenz des Schuldners auf Seiten des Steuergläubigers ohne unmittelbare Konsequenzen, kann er den ausstehenden Betrag doch gleichermaßen vom Haftenden verlangen.22 Durch die Erweiterung seiner Zugriffsmöglichkeiten wird der Steuergläubiger zusätzlich besichert;23 das Rechtsinstitut der Haftung dient ihm als Sicherungsmittel.24 Der Sicherungseffekt tritt durch die Erweiterung des bipolaren Steuerschuldverhältnisses auf Dritte und der damit verbundenen Kumulation von Schuldnern ein. Der hinter den Haftungsnormen stehende Sicherungsgedanke ist Motiv sowie vordringliche Zweckvorstellung des Gesetzgebers und durchzieht das steuerliche Haftungsrecht.25 Das staatliche Bedürfnis nach derartiger Sicherheit wird stellenweise in formelhafter Allgemeinheit damit begründet, dass sich der Steuergläubiger – im Gegensatz zu privaten Gläubigern – seine Schuldner nicht aussuchen könne, schließlich wirke allein die dem Einflussbereich des Steuergläubigers entzogene Tatbestandsverwirklichung des Einzelnen gemäß § 38 AO steuerschuldbegründend.26 Dadurch bestehe für den Steuergläubiger eine erhöhte Gefahr, an zahlungsunwillige oder gar -unfähige Schuldner zu geraten. Sein Ausfallrisiko wiege folglich durch die fehlende Einflussnahmemöglichkeit besonders schwer und müsse durch zusätzliche Sicherungsmittel eingedämmt werden.27 Als Ausdruck möglicher gesetzgeberischer Intention bei der Schaffung von Haftungstatbeständen vermag diese Überlegung durchaus zu überzeugen. Aus ihr jedoch die Haftungsbestimmungen rechtfertigende Schlüsse zu ziehen, muss bedenklich stimmen:28 Unzweifelhaft ist dem dahingehend zu folgen, dass der Steuergläubiger regelmäßig mit der Gefahr mangelnder Zahlungsbereitschaft bzw. -fähigkeit seiner Schuldner konfrontiert ist. Dies ist jedoch kein den Steuergläubiger originär treffendes Risiko, sondern in erster Linie das allgemeine Ausfallrisiko eines jeden Gläubigers einer Geldschuld. Von einer derartigen Uneinbringlichkeit ist der Staat nicht stärker bedroht als jeder Private. Zudem müsste dieses allgemeine Ausfall22 Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 2 f.; Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 17; Jürgen Guth / Rainer Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 1. 23 Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 301. 24 Statt vieler: Albert Beermann, Haftungsbescheid nach der AO und Entschließungsermessen, in: FS für Klein, S. 953 (964 f.); Hermann Piper, Steuerschuld und Steuerhaftung, S. 82; gleichsam: Klaus Tipke, FR 1970, 479 (479). Aus der Rspr. etwa: BFH, Urteil vom 29.9. 1987 – VII R 54 / 84 –; BStBl. II 1988, 176 (178). 25 Umfassend: Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 23 m.w. N. 26 Wie folgt etwa: Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 2 f.; Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 17; Jürgen Guth / Rainer Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 1. 27 Beispielhaft: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor. § 69 AO, Rz. 8 f. m.w. N.; überdies: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 17 f., der diese Argumentation toleriert und hieraus folgert, die Haftung diene gerade einer möglichst gleichmäßigen Durchsetzung des Steueranspruchs. 28 So wohl aber: Karl Blesinger, StuW 1995, 226 (227).

II. Sinn und Zweck sowie Rechtfertigung von Haftungsnormen

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risiko wie jeder tatsächlich erlittene Steuerausfall und letztlich jede – auch aus Steuerausfällen resultierende – Art der Unterfinanzierung durch die Allgemeinheit getragen werden. Statthaftes Instrument der Kompensation wäre letztlich also die Steuer.29 Ein die Inanspruchnahme eines Einzelnen rechtfertigendes Sicherungsbedürfnis wohnt der abstrakten Gefahr von Steuerausfällen jedenfalls nicht inne. Laut der wiedergegebenen Rechtfertigungsbemühungen soll sich allerdings das besondere Sicherungsbedürfnis des Staates daraus ergeben, dass der Steuergläubiger keine Möglichkeit der Einflussnahme auf die Personen seiner Steuerschuldner habe. Der Einzelne werde schließlich gemäß § 38 AO allein durch eigenverantwortliches, tatbestandliches Verhalten zum Schuldner des Staates.30 Letzten Endes soll also gerade das – in § 38 AO einfachgesetzlich verankerte – Postulat der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung ein gesteigertes Sicherungsbedürfnis des Staates begründen; nichts anderes bringt obige Argumentation zum Ausdruck, wenn sie auf eine fehlende Einflussnahmemöglichkeit des Staates bei der Verwirklichung der Steuertatbestände verweist. Die Idee, dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung nun eine den Steuergläubiger benachteiligende Wirkung entnehmen zu wollen und dem Steuergläubiger deshalb obendrein ein besonderes, die Haftungsinanspruchnahme eines Einzelnen rechtfertigendes Sicherungsbedürfnis zu attestieren, ist jedoch abzulehnen. Allein mit dieser Argumentation wird man dem „Sicherungsinteresse“ des Staates die Funktion eines die Inpflichtnahme eines bestimmten Dritten als Haftenden für fremde Steuerschulden per se rechtfertigenden Grundes nicht abgewinnen können.31 Hierfür spricht der folgende Gedanke: Beließe man es hinsichtlich der Rechtfertigung von Haftungstatbeständen bei obiger Darstellung, so ließe sich eine jede Haftungsnorm – gleich welchen Inhalts – unter Bezugnahme auf ein aufgrund der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (vermeintlich) bestehendes Ausfallrisiko des Steuergläubigers rechtfertigen. Dieses Ausfallrisiko wäre aufgrund der umfassenden Geltung des Tatbestandsmäßigkeitsgrundsatzes für den Steuergläubiger allgegenwärtig und würde ihm geradezu eine „Blankettrechtfertigung“ verschaffen.32 Eine solche jedoch zur Rechtfertigung des grundrechtsrelevanten, ja besonders intensiven Haftungseingriffs genügen zu lassen, kann nicht überzeugen.33 Die dem Haftungseingriff potentiell innewohnende Intensität verdeutlicht die Überlegung, dass der Haftende nicht Steuerschuldner ist und auch nicht als solcher 29 Vgl. zur Finanzierungsfunktion der Steuer: Wolfgang Knies, Steuerzweck und Steuerbegriff, S. 61 ff.; Rudolf Wendt, in: HdbStR VI, § 139, Rz. 16 ff. 30 Vgl. Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 2 f.; Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 17; Jürgen Guth / Rainer Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 1. 31 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 24; A. A. wohl: Karl Blesinger, StuW 1995, 226 (227). 32 Ähnlich: Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (902), der den Sicherungsgedanken als „konturenlos“ bezeichnet. 33 Deshalb ebenfalls kritisch: Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (901 f.).

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A. Die Haftung im Steuerrecht

in Anspruch genommen wird.34 Seine Inanspruchnahme ist nicht der „Gleichheit der Lastenzuteilung“35 geschuldet, sondern der Sicherung des Steueraufkommens verschrieben.36 Der Staat wird zwar durch die Akquise zusätzlicher Haftungsschuldner nicht bereichert, sondern „nur“ besichert, steigert also sein Einnahmevolumen nicht. Für den Haftenden jedoch – und nur auf ihn kommt es in der Frage der Eingriffsintensität an – wird der Haftungszugriff zur Sonderlast.37 Im Moment der hoheitlichen Haftungsinanspruchnahme wird er über die eigene Steuerschuld hinaus zur allgemeinen Staatsfinanzierung herangezogen. Der Grundsatz der Belastungsgleichheit wird in seiner Person bewusst durchbrochen.38 Ein derartiges Sonderopfer – ja eine „Sonderabgabe“39 – zu Gunsten der Allgemeinheit mit dem von Seiten des Steuergläubigers angeführten, weitgehend dem allgemeinen Gläubigerinteresse an Schutz vor Zahlungsausfällen angelehnten und um das Postulat der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung angereicherten Sicherungsinteresse aufwiegen zu wollen, ist nicht sachgerecht.40 So ist mit Isensee zu konstatieren, dass jede Sonderlast die verfassungsrechtlichen Fragen aufwirft, „warum sie gerade den trifft, den sie trifft, warum nicht den anderen, warum nicht jedermann“41. Antworten auf diese Fragen bleiben die angeführten Rechtfertigungsbemühungen schuldig.

Hermann Piper, Steuerschuld und Steuerhaftung, S. 82. Beispielhaft für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichheit der Besteuerung: BVerfG, Beschluss vom 3.7.1973 – 1 BvR 368, 369 / 65 –, BVerfGE 35, 324 (335); BVerfG, Urteil vom 27.6.1991 – 2 BvR 1493 / 89 –, BVerfGE 84, 239 (268 ff.); BVerfG, Beschluss vom 10.4.1997 – 2 BvL 77 / 92 –, BVerfGE 96, 1 (6 ff.); BVerfG, Beschluss vom 4.12.2002 – 2 BvR 400 / 98, 1735 / 00 –, BVerfGE 107, 27 (45 ff.); BVerfG, Urteil vom 9.3.2004 – 2 BvL 17 / 02 –, BVerfGE 110, 94 (112 ff.); aus der Literatur etwa: Paul Kirchhof, in: HdbStR V, § 118, Rz. 168 ff.; Paul Kirchhof, StuW 1984, 297 ff. 36 Instruktiv: Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (901 f.). 37 In Bezug auf die steuerliche Haftung ebenfalls von Sonderlast sprechend: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2777). Ähnlich wohl auch: Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (901). Umfassend zur Rechtfertigung von Sonderlasten: Josef Isensee, Nichtsteuerliche Abgaben – ein weißer Fleck in der Finanzverfassung, in: Karl-Heinrich Hansmeyer (Hrsg.), Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435 ff. (insbesondere S. 442); Karl Heinrich Friauf, Öffentliche Sonderlasten und Gleichheit der Steuerbürger, in: FS für Jahrreiß, S. 45 ff. 38 Ähnlich, wenn auch weniger kritisch: Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (901 f.); allgemein: Paul Kirchhof, in: HdbStR V, § 119, Rz. 14. 39 In Bezug auf die steuerliche Haftung ebenfalls von Sonderlast sprechend: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2777). 40 Umfassend zur Rechtfertigung von Sonderlasten: Josef Isensee, Nichtsteuerliche Abgaben – ein weißer Fleck in der Finanzverfassung, in: Karl-Heinrich Hansmeyer (Hrsg.), Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435 ff. (insbesondere S. 442); Karl Heinrich Friauf, Öffentliche Sonderlasten und Gleichheit der Steuerbürger, in: FS für Jahrreiß, S. 45 ff.; Paul Kirchhof, in: HdbStR V, § 119, Rz. 1 ff. 41 Josef Isensee, Nichtsteuerliche Abgaben – ein weißer Fleck in der Finanzverfassung, in: Karl-Heinrich Hansmeyer (Hrsg.), Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435 (442). 34 35

II. Sinn und Zweck sowie Rechtfertigung von Haftungsnormen

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Zu bedenken ist weiterhin, dass die rechtfertigende Kraft der „klassischen“ außersteuerlichen Abgaben – Gebühr, Beitrag, Sonderabgabe – auch bzw. gerade aus der Tatsache hervorgeht, dass der (Sonder-)Belastete oder die Gruppe der (Sonder-) Belasteten einen subjektiven Zugewinn erfährt.42 Einen solchen bringt die Haftungsinanspruchnahme nicht mit sich, was die Intensität des Haftungseingriffs zusätzlich verdeutlicht. Endlich gilt zu beachten, dass die Höhe der Haftungsschuld zuvörderst an der Höhe der zu sichernden Primärschuld orientiert ist.43 Sie knüpft in keiner Weise an subjektive Kriterien, insbesondere nicht an leistungsfähigkeitsrelevante Faktoren in der Person des Haftenden an. Die Höhe der zu sichernden Steuerschuld ist ihrerseits der angemessenen Besteuerung des Primärschuldners verschrieben. Was sich beim Primärschuldner als leistungsfähigkeitsgerechte Steuerschuld darstellt, kann für den Haftenden jedoch zur finanziellen Überforderung führen. Der Haftungszugriff kann für ihn zur existenziellen Bedrohung werden. Zu Recht werden deshalb von mancher Seite zusätzliche, das allgemeine fiskalische Verlangen nach Sicherheit konkretisierende Zurechnungsgründe zur Rechtfertigung der Haftung verlangt.44 So muss sich die Haftungsinanspruchnahme nach Ansicht von Hannes „auf eigene, spezielle Sachgesetzlichkeiten zurückführen lassen, die zwar dem Sicherungsgedanken der Haftung Rechnung tragen, jedoch rechtfertigen, warum gerade dieser Dritte als Haftender herangezogen werden kann“45. In ähnlicher Weise fordert Brodersen über den Gedanken der Sicherung des Steueraufkommens hinaus solche „Zurechnungsgründe, die es rechtfertigen, bestimmte Personen in bestimmten Fällen als Haftende für die Sicherung des Steueraufkommens in Anspruch zu nehmen“46. Ob darüber hinaus, wie Brodersen andeutet, der Aspekt der „steuertechnischen Leichtigkeit der Steuererhebung“47 allein rechtfertigende Kraft entfalten kann,48 muss angesichts der geschilderten Eingriffsintensität des Haftungszugriffs bezweifelt werden.49 Das Bundesverfassungsgericht äußert 42 Vgl. zur Problematik der Sonderlasten bzw. deren Rechtfertigung: Josef Isensee, Nichtsteuerliche Abgaben – ein weißer Fleck in der Finanzverfassung, in: Karl-Heinrich Hansmeyer (Hrsg.), Staatsfinanzierung im Wandel, S. 435 ff. (insbesondere S. 442); Karl Heinrich Friauf, Öffentliche Sonderlasten und Gleichheit der Steuerbürger, in: FS für Jahrreiß, S. 45 ff.; Paul Kirchhof, in: HdbStR V, § 119, Rz. 1 ff. 43 Statt vieler: Hermann Piper, Steuerschuld und Steuerhaftung, S. 70. 44 Vgl. insbesondere: Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 23 f. und S. 151; sowie Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 ff. (insbesondere S. 901 f.). 45 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 24. 46 Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (902). 47 Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (904). 48 Carsten Brodersen, Haftung und Schuld im Steuerrecht, in: FS für Thieme, S. 895 (903 f.). 49 Zu Recht erklärt Klaus Tipke in seiner Stellungnahme zur Reform der Abgabenordnung 1977 bezüglich der reformierten Haftungstatbestände: „Verwaltungsbequemlichkeit ver-

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A. Die Haftung im Steuerrecht

sich in dem Beschluss vom 18.12.201250 nur rudimentär zu den verfassungsrechtlichen Grenzen der Haftung. Dort heißt es, es müsse ein hinreichender Sachgrund für das Einstehenmüssen des Dritten für eine fremde Steuerschuld vorliegen.51 Von welcher Qualität ein solcher Sachgrund jedoch sein muss, ließ das Bundesverfassungsgericht weitgehend offen. Jedenfalls, so das Bundesverfassungsgericht, liege in der vertraglichen Verpflichtung des Haftenden zur Begleichung der fremden Steuerschuld oder bei kollusivem Zusammenwirken von Steuerpflichtigem und Haftenden ein solcher Sachgrund vor.52 Dem ist zwar ohne Einschränkung zu folgen, eine exakte verfassungsrechtliche Grenze der Haftung definiert das Bundesverfassungsgericht damit jedoch nicht. Eine solche Grenze könnte etwa, in Ergänzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wie folgt formuliert werden: Zur Rechtfertigung der Haftungsinanspruchnahme bedarf es – einer vertraglich übernommenen Einstandspflicht des Haftenden, – oder eines individuell zurechenbaren, die Erfüllung der Steuerforderung unmittelbar gefährdenden Verhaltens / Unterlassens des Haftenden, – oder eines die Einbringlichkeit der Steuerforderung über das gewöhnliche Gläubigerrisiko hinaus gefährdenden Zustandes, bei dem der Haftende im Vergleich zu jedem Dritten in qualifizierter Nähebeziehung zur Steuerschuld steht.

III. Das Verhältnis von Steuerschuld und Haftungsschuld Die Haftung erweitert die steuerschuldrechtlichen Beziehungen zwischen Steuergläubiger und Steuerschuldner zu einem Mehr-Personen-Verhältnis.53 Ein solches wirft regelmäßig eine Vielzahl zusätzlicher Rechtsfragen auf, die die Abwicklung des Schuldverhältnisses erheblich erschweren können. Zur sachgerechten Auflösung dieser Rechtsbeziehungen ist es unerlässlich, die Verhältnisse der einzelnen Leistungsbeziehungen – aus steuerrechtlicher Sicht insbesondere das Verhältnis von Steuerschuldverhältnis zu Haftungsschuldverhältnis – zu klären. Aus Sicht des Gläubigers geht es hierbei in erster Linie um die Frage, an welchen seiner Schuldner er sich wann und bezüglich welchen Betrages wenden kann. Diese Fragen betreffen zuvörderst das allgemeine Steuerschuld- und Steuerverfahrensrecht.

mag Übermaß nicht zu rechtfertigen.“ Dies muss bei derartigen Überlegungen in jedem Falle berücksichtigt werden. Vgl.: Klaus Tipke, FR 1970, 479 (480). 50 BVerfG, Beschluss vom 18.12.2012 – 1 BvR 1509 / 10 –. 51 BVerfG, Beschluss vom 18.12.2012 – 1 BvR 1509 / 10 –, juris Rz. 17. 52 BVerfG, Beschluss vom 18.12.2012 – 1 BvR 1509 / 10 –, juris Rz. 17. 53 Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor. § 69 AO, Rz. 8 m.w. N.

III. Das Verhältnis von Steuerschuld und Haftungsschuld

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1. Haftung und Gesamtschuld Gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 AO sind Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften, Gesamtschuldner. Die Vorschrift regelt explizit, dass mehrere Steuerschuldner ebenso Gesamtschuldner sind wie mehrere Haftende.54 Die Situation, dass ein Haftender neben einem Steuerschuldner einzustehen hat, wird von der Abgabenordnung indes nicht geregelt.55 Nichts desto trotz ist es weitgehend anerkannt, dass auch zwischen Steuerschuldner und Haftendem ein Gesamtschuldverhältnis im Sinne des § 44 Abs. 1 S. 1 AO besteht.56 Die Abgabenordnung führt den Begriff der Gesamtschuld nur fragmentarisch aus.57 Ergänzend hierzu ist auf die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen der §§ 421 ff. BGB zurückzugreifen.58 Gemäß § 421 BGB sind mehrere Personen Gesamtschuldner, wenn sie eine Leistung in der Weise schulden, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist. Kennzeichnend für die Gesamtschuld ist also „das Nebeneinander der Verpflichtungen“59. Es steht dem Steuergläubiger grundsätzlich zur Wahl, in welcher Höhe er welchen Gesamtschuldner in Anspruch nimmt. Dabei ist allerdings zu beachten, dass diese Wahl einzig eine Ermessensentscheidung sein kann, wodurch dem Belieben des Steuergläubigers zumindest die Grenzen einer ordnungsgemäßen Ermessensausübung gesetzt sind.60 Naturgemäß wird diese Entscheidung von den Erwartungen an eine rasche und sichere Erfüllung beeinflusst sein.61 Insofern ist die steuerrechtliche Gesamtschuld maßgeblich den fiskalischen Interessen verschrieben und dient, wie die Haftung, der Sicherung des Steuerauf-

Wie folgt: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 10. Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 13. 56 Aus der Rechtsprechung etwa: BFH, Urteil vom 21.7.1983 – IV R 59 / 80 –, BStBl. II 1983, 763 (764); BFH, Urteil vom 18.3.1987 – II R 35 / 86 –, BStBl. II 1987, 419 (420 f.). Für das Schrifttum beispielhaft: Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 13 f. m. w. N.; Karl Blesinger, in: Kühn / von Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 6. A.A.: Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 44, Rz. 7; Ulrich Koenig, in: Pahlke / Koenig, Abgabenordnung, § 44, Rz. 2 und Rz. 7. 57 Umfassend hierzu: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 2. 58 Beispielhaft: Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 44, Rz. 1. 59 So wörtlich: Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 44 Rz. 4. 60 Vgl. Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 Rz. 5; überdies: BFH, Urteil vom 12.5.1976 – II R 187 / 72 –, BStBl. II 1976, 579 (579); BFH, Urteil vom 7.4.1960 – V 296 / 57 –, HFR 1961, 176 (177). 61 Auf diese behördlichen Erwägungen Bezug nehmend: RFH, Urteil vom 11.11. 1931 – II A 345 / 31 –, RStBl. 1931, 934 (934). 54 55

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A. Die Haftung im Steuerrecht

kommens.62 Mit der Verknüpfung dieser Rechtsinstitute wird ein effektiver Schutzmechanismus vor Steuerausfällen geschaffen.

2. Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung Aus der Funktion der Haftung als Sicherungsmittel erklären sich einige für die Haftungsinanspruchnahme grundlegende Prinzipien.63 Wesentlich sind diesbezüglich insbesondere die Grundsätze der Akzessorietät und der Subsidiarität der Haftungsschuld, denen aus dem Zivilrecht bekannte Sicherungsinstrumente – insbesondere die Bürgschaft – gleichermaßen verschrieben sind.64 Diese Grundsätze befassen sich mit dem Verhältnis der Hauptschuld (Steuerschuld) zum Sicherungsmittel (Haftungsschuld). Sie wurden in der Abgabenordnung einfachgesetzlich verankert und ergänzen bzw. modifizieren die allgemeinen Grundsätze zur Gesamtschuld.

a) Die Akzessorietät der Haftung Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO steht der Haftungsschuldner für eine Steuer ein. Der Begriff der „Steuer“ ist hier nicht wörtlich zu verstehen.65 Erfasst sind grundsätzlich alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis.66 Aus § 191 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 AO wird deutlich, dass es sich bei diesem Anspruch um einen zumindest zeitgleich entstandenen und noch bestehenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis handeln muss.67 Der konkrete Haftungstatbestand setzt also die Erfüllung eines Schuldtatbestandes voraus;68 ohne zu sichernde Schuld kann der Haftungsanspruch nicht entstehen.69 Die Haftungsschuld ist insofern akzessorisch zur Haupt62 Zum Ganzen: Klaus Tipke, FR 1970, 479 (482); instruktiv auch: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44, Rz. 5; Roman Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 6, Rz. 58. 63 Mit entsprechender Herleitung: Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 23 ff. 64 Vgl. zur Akzessorietät der Bürgschaft etwa: Hartwig Sprau, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 765, Rz. 28. Zur Subsidiarität der Bürgschaft: § 771 S. 1 BGB, der die Einrede der Vorausklage normiert. Durch diese haftet der Bürge lediglich hilfsweise. Vgl. Hartwig Sprau, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 771, Rz. 1. Vgl. zu Akzessorietät und Subsidiarität der Haftung etwa: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 20 ff.; Roman Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, Rz. 81 f. und Rz. 84. 65 Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 191, Rz. 7. 66 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 191 AO, Rz. 16. 67 Wie folgt: Roman Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 6, Rz. 65; Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor. §§ 69 – 77 AO, Rz. 3. 68 So auch: Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 24 m. w. N. 69 Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 191, Rz. 11.

III. Das Verhältnis von Steuerschuld und Haftungsschuld

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schuld, was nichts anderes bedeutet, als dass die Haftungsschuld in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Steuerschuld steht.70 Dieser Grundsatz der Akzessorietät der Haftungsschuld wird von der Abgabenordnung weitgehend verfolgt, an manchen Stellen jedoch beschnitten.71 Typischer Ausdruck der Akzessorietät ist etwa die Regelung des § 44 Abs. 2 S. 1 und S. 2 AO. Danach wirkt die Zahlung, die Aufrechnung oder das Leisten einer Sicherheit des Steuerschuldners auch zu Gunsten des Haftenden. Überdies kann ein Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO im Falle der Verjährung oder des Erlasses der Hauptschuld grundsätzlich72 nicht mehr ergehen.73 Andere Tatsachen, etwa der Erlass aus Billigkeit oder die Bestandskraft eines rechtswidrigen Bescheides, wirken dagegen gemäß § 44 Abs. 2 S. 3 AO nur für und gegen denjenigen, in dessen Person sie eintreten.74 Man spricht deshalb regelmäßig von beschränkter oder eingeschränkter Akzessorietät der Haftung.75 Sofern sich aus der jeweiligen Haftungsnorm keine Einschränkungen ergeben, ist auch der Haftungsumfang von der Hauptschuld abhängig.76

b) Die Subsidiarität der Haftung Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 191 Abs. 1 S. 1 AO erfüllt, kann die Behörde die Haftungsschuld gegenüber dem Haftenden festsetzen. Hierzu bedarf es lediglich der Entstehung der Steuerschuld (§ 38 AO).77 Deren Festsetzung gegenüber dem Steuerschuldner ist für den Erlass des Haftungsbescheides dagegen unerheblich.78 Stünden der Finanzbehörde nun die weiteren Schritte der Erhebung des Haftungsanspruchs und der möglicherweise erforderlichen Vollstreckung offen, wäre die durch die Gesamtschuldnerschaft grundsätzlich vorgesehene freie Wahlmöglichkeit des Steuergläubigers unter seinen Schuldnern verfahrensrechtlich umgesetzt. Beispielhaft: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 6. Dazu und zum Folgenden: Roman Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 6, Rz. 60, 65 und Rz. 81 f. 72 Zu beachten ist allerdings die Ausnahme des § 191 Abs. 5 S. 2 AO. 73 Ausführlich hierzu: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 306 f. 74 Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 306. 75 Beispielhaft: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 20 f.; Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 306. 76 Statt vieler: Hermann Piper, Steuerschuld und Steuerhaftung, S. 70; allgemein auch: Wolfgang Jakob, Abgabenordnung, Rz. 371 und 419 ff. 77 Karl Blesinger, in: Kühn / von Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 191 AO, Rz. 2. 78 Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 219, Rz. 13 m.w. N.; Karl Blesinger, in: Kühn / von Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 191 AO, Rz. 2 m.w. N.; aus der Rechtsprechung etwa: BFH, Urteil vom 2.2.1994 – II R 7 / 91 –, BStBl. II 1995, 300 (302 m.w. N.); BFH, Urteil vom 15.2.2011 – VII R 66 / 10 –, BStBl. II 2011, 534 (536). 70 71

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A. Die Haftung im Steuerrecht

Wenngleich die ursprüngliche Rechtslage zu Zeiten der Reichabgabenordnung dieser Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten entsprach,79 forderte die höchstrichterliche Rechtsprechung alsbald, dass die Finanzbehörde zunächst versuchen müsse, vom Steuerschuldner Befriedigung zu erlangen.80 Um einer derartigen Rangfolge von Steuer- und Haftungsschuld Geltung zu verschaffen, schuf der Gesetzgeber schließlich ein Korrektiv zur Rechtsfolge der Gesamtschuldnerschaft: Namentlich den § 219 S. 1 AO.81 Danach darf ein Haftungsschuldner vorbehaltlich anderweitiger Bestimmungen auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. Ausnahmen von dieser Regelung normiert § 219 S. 2 AO.82 Die verfahrensrechtliche Bedeutung des § 219 AO zeigt sich bereits anhand seiner systematischen Stellung im fünften Teil der Abgabenordnung. Die Vorschrift ist Teil des Erhebungsverfahrens und greift deshalb erst in diesem Abschnitt des Verfahrens Platz.83 Auf den Erlass des Haftungsbescheides, mithin die Festsetzung der Haftungsschuld, zeitigt die Regelung keinen Einfluss.84 Nach ihrem Willen soll die Inanspruchnahme des Hauptschuldners auf Zahlung grundsätzlich Vorrang vor einer Inanspruchnahme des Haftenden haben. Das Leistungsgebot gegenüber dem Haftenden darf folglich erst ergehen, wenn die Voraussetzungen des § 219 S. 1 AO erfüllt sind.85 Auf diese Weise wird die steuerliche Haftung faktisch einer Ausfall-

79 Die Reichsabgabenordnung kannte eine dem § 219 S. 1 AO entsprechende Vorschrift nicht und der Reichsfinanzhof gestand dem Fiskus ursprünglich die freien Wahlmöglichkeit zwischen Steuer- und Haftungsschuldner im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung zu. Vgl.: RFH, Urteil vom 11.11.1931 – II A 345 / 31 –, RStBl. 1931, 934 f. So außerdem noch: Gerd Spangemacher, Abgabenordnungkommentar, Rz. 339. 80 Das war insbesondere in der Zeit vor der Kodifikation des § 219 AO (also vor der Reform der Abgabenordnung 1977) von maßgeblicher Bedeutung. Vgl. hierzu: BFH, Urteil vom 7.4.1960 – V 296 / 57 –, HFR 1961, 176 (178); BFH, Urteil vom 27.3.1968 – II 98 / 62 –, BStBl. II 1968, 376 (377). 81 Mit Bezugnahme auf die vormalige Rechtsprechung: Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 219, Rz. 3. 82 Kritisch zum Regel-Ausnahme-Verhältnis der Sätze 1 und 2: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 22, der angesichts der Bedeutung der dem Satz 2 unterfallenden Tatbestände bereits nicht mehr von einem „Grundsatz“ der Subsidiarität der Haftung sprechen will. Besonders kritisch: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor § 69 AO, Rz. 20, der den Ausdruck vom „Grundsatz der Subsidiarität“ gar als „Farce“ bezeichnet. Zur Subsidiarität der Haftung allgemein beispielsweise: Jürgen Guth / Rainer Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 4 f. 83 Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 219, Rz. 1. 84 Hierzu beispielsweise: Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 219, Rz. 1; Klaus Tipke, FR 1970, 479 (481); ausführlich zum Verhältnis von § 191 Abs. 1 AO zu § 219 S. 1 AO: Christel Alber, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 219 AO, Rz. 5. 85 BFH, Beschluss vom 8.2.2008 – VII B 156 / 07 –, BFH / NV 2008, 967 (968).

III. Das Verhältnis von Steuerschuld und Haftungsschuld

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haftung angenähert, die Haftungsschuld wird zur „grundsätzlich subsidiären Ersatzpflicht“86 gegenüber der Steuerschuld.87 Diese Subsidiarität der Haftung ist Ausdruck ihrer Funktion als Sicherungsmittel der Primärschuld (Steuerschuld).88 Zugleich stellt der Grundsatz der Subsidiarität sicher, dass der gesetzlich vorgesehene Steuerschuldner zuvörderst Belasteter der Steuerschuld ist und trotz einer möglichen Vielzahl von „Nebenschuldnern“89 auch bleibt.90 Ein Rückgriff der Finanzbehörde auf Dritte und deren damit verbundene finanzielle Belastung über die eigene Steuerschuld hinaus soll grundsätzlich nur im Sicherungsfall statthaft sein.91 Insofern wird man den Grundsatz der Subsidiarität der Haftung vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gleichheit steuerlicher Lastenzuteilung als notwendig aufzufassen haben: Der Steuerschuldner soll grundsätzlich selbst für seine Schuld gegenüber dem Gemeinwesen aufkommen. Lediglich der drohende Ausfall des Schuldners kann zur Sonderlast in Form der Haftungsinanspruchnahme des Dritten führen. Während die Subsidiarität also die Sicherungsfunktion der Haftung betont, konterkariert sie in gewissem Maße die Folgewirkungen des Rechtsinstituts der Gesamtschuld. Denn entgegen den Grundsätzen des § 44 Abs. 1 S. 1 AO und der §§ 421 ff. BGB obliegt es nun nicht dem Belieben des Steuergläubigers,92 an welchen seiner Schuldner er sich wendet. Anders als im Falle mehrerer Steuerschuldner bzw. mehrerer Haftender, wo der Gläubiger über die Inanspruchnahme des Einen oder Anderen nach freiem Ermessen entscheiden kann, ist er nun grundsätzlich verpflichtet, den Steuerschuldner vor dem Haftenden in die Pflicht zu nehmen.93 Das Rangverhältnis von Steuer- und Haftungsschuld widerstrebt damit der Vorstellung der Gesamtschuld von einer Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten.94 Stellenweise wird deshalb das Gesamtschuldverhältnis zwischen Steuerschuldner und Haftendem unter Bezugnahme auf die Anordnung des § 219 S. 1 AO (bzw. die fehlende Rainer Hess, Schuld und Haftung im Abgabenrecht, S. 210. Christel Alber, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 219 AO, Rz. 6. 88 Ähnlich: Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 25. 89 Vielfach wird in Bezug auf die steuerliche Haftung von einer sog. Nebenhaftung gesprochen. So etwa: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 8. 90 Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 219, Rz. 3. 91 Ähnlich: BFH, Urteil vom 27.3.1968 – II 98 / 62 –, BStBl. II 1968, 376 (377). 92 Das „Belieben“ des Steuergläubigers ist freilich durch die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beschränkt. So bereits oben: A. III. 1. 93 Vgl. BFH, Urteil vom 27.3.1968 – II 98 / 62 –, BStBl. II 1968, 376 (377), wo man hinsichtlich einer vorrangigen Inanspruchnahme des Steuerschuldners von „gebundenem Ermessen“ der Finanzbehörde spricht. Ausdrücklich: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 11 m.w. N. 94 Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 44, Rz. 7; Ulrich Koenig, in: Pahlke / Koenig, Abgabenordnung, § 44, Rz. 2 und Rz. 7. 86 87

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A. Die Haftung im Steuerrecht

Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten) verneint.95 Trotz dieser Einwände hält die herrschende Meinung in Rechtsprechung96 und Schrifttum97 an der Gesamtschuldnerschaft fest, was sicherlich auch auf die Folgewirkungen des nachstehend dargestellten Ausgleichs unter den Gesamtschuldnern zurückzuführen ist.

IV. Der Ausgleich unter den Gesamtschuldnern Die Bedeutung der Gesamtschuld erschöpft sich nicht allein in ihrer Funktion als Sicherungsinstrument schutzwürdiger Gläubigerinteressen.98 Das Rechtsinstitut ist in den Fallkonstellationen von Schuldnermehrheiten auch deshalb von Vorteil, weil es mit den Regressansprüchen der §§ 426 Abs. 1 und Abs. 2 BGB die rechtlich geordnete Abwicklung der Rechtsbeziehungen der Schuldner untereinander regelt.99 Diese Funktion kommt dem Steuergesetzgeber in Fällen steuerlicher Schuldnermehrheiten zu Pass, da die Steuergesetze hier vielfach ein Ausgleichsbedürfnis unter den Schuldnern provozieren.100 Die Inanspruchnahme eines (Gesamt-)Schuldners zieht zwangsläufig die Frage nach dessen Regressmöglichkeit gegenüber den anderen Schuldnern nach sich.101 Diesem Ausgleich unter den Privaten begegnen die Steuergesetze mit Zurückhaltung, wenngleich sie das Ausgleichsbedürfnis hervorrufen.102 Sie verzichten vollständig auf originäre Regelungen zum Innenausgleich unter den steuerrechtlichen Gesamtschuldnern, eröffnen allerdings über die Anordnung der Gesamtschuldnerschaft den Rückgriff auf die bürgerlich-rechtlichen Normen der §§ 421 ff. BGB.103 Deren Ausgleichsmechanismus macht sich das Steuerrecht zu eigen, legt damit allerdings zugleich den Innenausgleich in die 95 Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 44, Rz. 7; Ulrich Koenig, in: Pahlke / Koenig, Abgabenordnung, § 44, Rz. 2 und Rz. 7. 96 BFH, Urteil vom 11.7.2001 – VII R 28 / 99 –, BStBl. II 2002, 267 (268 m.w. N.); vereinzelt spricht der BFH allerdings von einer „unechten Gesamtschuld“: BFH, Urteil vom 27.3. 1968 – II 98 / 62 –, BStBl. II 1968, 376 (377). 97 Beispielhaft: Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 13 f. m.w. N.; Karl Blesinger, in: Kühn / von Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 6. A.A. nur: Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 44, Rz. 7; Ulrich Koenig, in: Pahlke / Koenig, Abgabenordnung, § 44, Rz. 2 und Rz. 7. 98 Umfassend zur Bedeutung der Gesamtschuld: Gerhard Dilcher, JZ 1967, 110 ff. 99 Umfassend: Gerhard Dilcher, JZ 1967, 110 (112 f.). 100 Vgl. Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (67). 101 Vgl. zum Innenausgleich in Besteuerungsangelegenheiten etwa: Jürgen Sonnenschein, NJW 1980, 257 ff.; Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 61 ff. 102 Instruktiv: Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (67). 103 Vgl.: BGH, Urteil vom 2.4.1973 – VIII ZR 108 / 72 –, NJW 1973, 1077 (1078); BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (54 ff.); Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 61.

IV. Der Ausgleich unter den Gesamtschuldnern

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Hände des bürgerlichen Rechts, ja macht ihn zu dessen Angelegenheit104 und überlässt aufkommende Einzelfragen gar der Entscheidung durch die ordentliche Gerichtsbarkeit.105 Der für den Innenausgleich einschlägige § 426 Abs. 2 S. 1 BGB normiert, dass die Forderung des Gläubigers kraft Gesetzes auf den Gesamtschuldner übergeht, der den Gläubiger befriedigt hat.106 Der leistende Gesamtschuldner wird folglich kraft Gesetzes zum „Neugläubiger der Steuerforderung“. Die Steuerforderung verliert durch die cessio legis ihre Eigenschaft und wird zur Forderung des bürgerlichen Rechts.107 Nach wie vor ist sie gegen die übrigen Gesamtschuldner gerichtet und dient dem Regresssuchenden zur Durchsetzung seines nun privatrechtlichen Rückgriffsanspruchs.108 Der Neugläubiger kann allerdings die übrigen Schuldner lediglich auf deren Anteil in die Pflicht nehmen.109 Ihm gegenüber stellt die Menge der übrigen Gesamtschuldner keine neue Gesamtschuldnerschaft dar.110 Einen weiteren, inhaltsgleichen Regressanspruch im Innenverhältnis normiert § 426 Abs. 1 S. 1 BGB. Hiernach sind die Gesamtschuldner im Innenverhältnis zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Eine anderweitige Bestimmung in diesem Sinne kann sich aus Gesetz, Rechtsgeschäft oder aus Inhalt und Zweck des Rechtsverhältnisses ergeben.111 Mangels steuergesetzlicher Regelungen wird der Ausgleich unter mehreren Steuerschuldnern ebenso wie unter mehreren Haftungsschuldnern regelmäßig eine Frage des Einzelfalles sein.112 Der

104 Eckart Ratschow, in: Klein, Abgabenordnung, § 44, Rz. 2; Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 61; Jürgen Sonnenschein, NJW 1980, 257 (257); BFH, Urteil vom 21.7.1983 – IV R 59 / 80 –, BStBl. II 1983, 763 (764 m.w. N.); BFH, Urteil 18.3.1987 – II R 35 / 86 –, BStBl. II 1987, 419 (421); BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (54 ff.). 105 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 64 m.w. N. 106 Explizit für die Fälle von Schuld und Haftung: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 13. 107 BGH, Urteil vom 2.4.1973 – VIII ZR 108 / 72 –, NJW 1973, 1077 (1078); Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 64; Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 13. 108 In vergleichbarem Zusammenhang: BGH, Urteil vom 2.4.1973 – VIII ZR 108 / 72 –, NJW 1973, 1077 (1078). 109 Wie folgt: Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 63; Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 26. 110 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 63; Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 26. 111 Beispielhaft: BFH, Urteil vom 21.7.1983 – IV R 59 / 80 –, BStBl. II 1983, 763 (764 m.w. N.). 112 Vgl. etwa: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44, Rz. 26, der einen Ausgleich zu gleichen Teilen als Regelfall annimmt.

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A. Die Haftung im Steuerrecht

Ausgleich zwischen Steuerschuldner und Haftenden ist dagegen angesichts des Grundsatzes der Subsidiarität der Haftungsschuld und der Belastungswirkung des Haftungszugriffs regelmäßig intendiert.113 So soll dem Steuerschuldner – abgesehen von besonderen Umständen des Einzelfalles – trotz Gesamtschuldnerschaft mit dem / den Haftenden kein Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB gegen diese zustehen.114 Umgekehrt steht dem Haftenden grundsätzlich ein Regressanspruch in voller Höhe der von ihm erbrachten Leistung zu.115 Der Haftende soll folglich im Wege des Rückgriffs freigestellt werden, dem Steuerschuldner wird hingegen trotz Gesamtschuldnerschaft die volle Zahllast auferlegt. Dementsprechend verfolgt der – freilich durch den Gedanken des § 219 S. 1 AO geprägte – Ausgleich unter den Gesamtschuldnern das Ziel, den Steuerschuldner schlussendlich allein zu belasten. Selbst bei Inanspruchnahme durch den Gläubiger soll die Zahlung für den Haftenden nur eine vorübergehende, keine endgültige Last sein. Insofern ist der Regress auch der Verwirklichung steuerlicher Lastengleichheit verschrieben. Zugleich stellt die Möglichkeit des Rückgriffs eine Milderung des sonst so rigoros daherkommenden Haftungseingriffs dar: Charakteristisch für die Belastungswirkung des Haftungszugriffs ist zunächst nicht die Zahlung an sich, sondern die temporäre Sonderbelastung, gepaart mit der Übertragung des staatlichen Ausfallrisikos.116 Erst wenn sich dieses Ausfallrisiko realisiert, wird die Zahlung zur endgültigen monetären Belastung des Haftenden, die ihn über die eigene Steuerschuld hinaus als Sonderlast trifft.117 Gerade im Verhältnis von Steuerschuldner und Haftendem kommt der Gesamtschuld daher eine spezifische Ausgleichs- und Regulierungsfunktion zu. Eingehend: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 12. BFH, Urteil vom 21.7.1983 – IV R 59 / 80 –, BStBl. II 1983, 763 (764). 115 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 62; Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 12 m.w. N. 116 Allgemein zur geringeren Eingriffsintensität lediglich temporärer Belastungseffekte: Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3, Rz. 126. 117 Man wird geneigt sein, aufgrund der Vorgaben des § 219 S. 1 AO an der Werthaltigkeit des Rückgriffsanspruchs Zweifel anzumelden, schließlich muss der Steuergläubiger vor Erlass des Leistungsgebots gegenüber dem Haftenden bereits im Sinne des § 219 S. 1 AO gegen den Schuldner vorgegangen sein. Wieso sollte also der Haftende im Regressweg Befriedigung erlangen, wenn dies dem Steuergläubiger nicht gelungen ist? Obwohl dies nicht von der Hand zu weisen ist, wird man die Werthaltigkeit des Rückgriffs nicht generell negieren können. So verlangt § 219 S. 1 AO nach seinem Wortlaut lediglich die erfolglose Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Primärschuldners (kritisch daher: Christel Alber, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 219 AO, Rz. 7). Diese „partielle Subsidiaritätswirkung“ wurde durch die Rechtsprechung durch extensive Auslegung der Vorschrift zwar teilweise korrigiert. Nichts desto trotz bedeutet Subsidiarität im Sinne des § 219 S. 1 AO nicht die vollkommene Vermögenslosigkeit des Steuerschuldners (vgl. etwa: BFH, Urteil vom 22.7.1986 – VII R 191 / 83 –, BFH / NV 1987, 140 [140 f.]). Von einer schlechterdings wertlosen Regressforderung des Haftenden zu sprechen wäre deshalb verfehlt. Auch bei einem erhöhten Ausfallrisiko auf dem Regresswege kommt der Gesamtschuldnerschaft von Steuerschuldner und Haftendem daher die Funktion eines ausgleichenden Korrektivs hinsichtlich der Verteilung der Zahllasten zu. 113 114

B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung bei besonderer Berücksichtigung möglicher Einflüsse durch as materielle Organschaftsrecht I. Vorüberlegungen Mit dem Erlass des § 114 RAO hat der Gesetzgeber im Jahre 1936 erstmals eine formell-gesetzliche Grundlage zur Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Haftende für die Steuerschuld des Organträgers geschaffen.1 Aus § 114 RAO erwuchs im Zuge der Reform der Abgabenordnung 1977 der heutige § 73 AO, der seinerseits durch den Einfluss des § 114 RAO maßgeblich geprägt wurde. Der Erlass des § 114 RAO stand in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Kodifikation der ersten materiellen Organschaftstatbestände. So wurde die umsatzsteuerliche Organschaft im Jahre 1934, die gewerbesteuerliche Organschaft zeitgleich mit § 114 RAO im Zuge der Realsteuerreform 1936 normiert. Eine Interdependenz dieser Vorschriften liegt damit bereits ausweislich des Zeitpunktes ihrer Kodifikation auf der Hand.2 Überdies steht angesichts dieses Zusammenhanges zu vermuten, dass eines der Ziele dieser Gesetzgebungstätigkeit die erstmalige Statuierung sachgerechter und systematisch ineinandergreifender Regelungen zur Besteuerung von organschaftlich verbundenen Unternehmen war.3 Eine Auseinandersetzung mit § 114 RAO muss daher neben einer möglichen originär haftungsrechtlichen Dimension der Vorschrift auch, ja vielleicht insbesondere, ihre Funktion im System des Organschaftsrechts würdigen. Die Entwicklung des Organschaftsrechts selbst begann bereits mehrere Jahrzehnte vor seiner Kodifikation. Es war zunächst die Rechtsprechung4, die das

RGBl. I 1936, 961 (968); RStBl. 1936, 1137 (1142). Ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269). 3 Insbesondere die Gesetzesbegründung zur Realsteuerreform (vgl. RStBl. 1937, 689 ff.) geht nicht auf die neu geschaffene gewerbesteuerliche Organschaft und § 114 RAO ein und bekennt sich daher nicht zu diesem Ziel. Insofern kann diese Zielsetzung lediglich vermutet werden, wenngleich dies sicherlich naheliegend ist. 4 Zur Entwicklung der Organschaft durch die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts und des Reichsfinanzhofs: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 114 ff.; Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 25 und S. 29 f.; Norbert Herzig, in: Herzig, Organschaft, S. 4 ff.; Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 1 ff.; für die Körperschaftsteuer überdies: BFH, Urteil vom 4.3. 1 2

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

Rechtsinstitut der Organschaft in Eigeninitiative formte und dessen Entwicklung vorantrieb.5 Auch der Ursprung der Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft wird vielfach in einzelnen Judikaten des Reichsfinanzhofes gesehen.6 Deshalb ist vorliegend zunächst der Zeit vor der Kodifikation der ersten Organschaftsregelungen Beachtung zu schenken, um Zusammenhänge zwischen dieser Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes und § 114 RAO auszumachen. Dabei seien erneut die möglichen Einflüsse des materiellen Organschaftsrechts auf die Haftung betont, die es in dieser Zeit gleichermaßen zu beachten gilt.

II. Das materielle Organschaftsrecht und die Haftung der Organgesellschaft in der Zeit vor der erstmaligen Kodifikation formell-gesetzlicher Rechtsgrundlagen 1. Die Entwicklung der Organschaft durch die Rechtsprechung Das Rechtsinstitut der Organschaft war ursprünglich ein Produkt der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts und des Reichsfinanzhofes.7 In den ersten Entscheidungen zur Organschaft setzte sich das Preußische OVG mit spezifischen Problemen aus den Einzelsteuergesetzen auseinander. Hierbei ging es etwa um die Frage der Umgehung der preußischen Gewerbesteuer durch einen außerpreußischen Unternehmer, der eine in Preußen liegende Betriebsstätte durch eine Mittelsperson unterhalten ließ.8 Die Statuierung eines Rechtsinstituts des Steuerrechts war zu dieser Zeit wohl nicht absehbar, weshalb eine gewisse Zurückhaltung bei Schussfolgerungen aus dieser Rechtsprechung für die späteren Entwicklungen geboten ist.9

1965 – I 249 / 61 S –, BStBl. III 1965 329 (330 f.); Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 10 ff.; Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 143 ff. 5 Beispielhaft sei auf die Ausführungen von Garke aus dem Jahre 1934 verwiesen, der in seinem Werk „Die Organtheorie im Steuerrecht“ den Reichsfinanzhof als den „wesentlichen Träger der Entwicklung des Steuerrechts“ bezeichnet. Vgl.: Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 4. 6 Vielfach wird diesbezüglich das Urteil des Reichsfinanzhofes vom 28.1.1927 – V A 852 / 26 –, RFHE 20, 286 ff. angeführt. Vgl. etwa: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 44; Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 11. 7 Ausführlich zur Entwicklung der Organschaft: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 114 ff.; weiterhin: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 25 und S. 29 f.; Norbert Herzig, in: Herzig, Organschaft, S. 4 ff.; Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 1 ff.; für die Entwicklung der körperschaftsteuerlichen Organschaft insbesondere: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 143 ff. 8 Vgl. das Preußische OVG in seiner Entscheidung vom 31.5.1902 – J. N. VI. G. 49 – Rep. VI. G. 38 / 01 –, OVGSt 10, 391 ff. 9 So auch: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 30.

II. Die Rechtslage vor erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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Erst in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Organschaft zu einem Rechtsinstitut des „Konzernsteuerrechts“. Der in der Wirtschaft damals vermehrt zu beobachtende Zusammenschluss bislang selbständiger Unternehmen zu – dem Steuerrecht bis dato unbekannten – Wirtschaftseinheiten veranlasste den Reichsfinanzhof dazu, das Steuerrecht an derartige wirtschaftliche Konzentrationsbewegungen anzupassen.10 So konstatierte der Reichsfinanzhof angesichts der damaligen Wirtschaftsentwicklungen, dass die Rechtsformen des Gesellschaftsrechts vielfach nicht mehr der rechtlichen und tatsächlichen Verselbständigung wirtschaftlichen Wollens dienten, sondern hinter der formalrechtlichen Selbständigkeit wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse verschiedenster Art und verschiedensten Grades steckten.11 Gerade das Steuerrecht, das der wirtschaftlichen Betrachtungsweise verschrieben sei, dürfe jedoch in einem solchen Fall nicht vor der Rechtsform Halt machen, sondern müsse die wirtschaftlichen Vorgänge erfassen.12 Die Organschaft – verstanden als Rechtsinstitut zur Besteuerung derartiger Wirtschaftsgebilde – war daher die Antwort auf das Faktische, auf die wirtschaftliche Wirklichkeit.13 Der Reichsfinanzhof definierte die Organtheorie als steuerrechtliche Lehre von der wirtschaftlichen Einheit rechtlich selbständiger Wirtschaftsobjekte.14 Leitgedanke der Organtheorie war mithin der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Unternehmensverbundes und damit die Erkenntnis, dass es Unternehmen gibt, die von einem anderen Unternehmen bzw. einem anderen Unternehmer derart beherrscht werden, dass sie trotz zivilrechtlicher Selbständigkeit bei wirtschaftlicher Betrachtung nur einen unselbständigen Teil des Gesamtunternehmens darstellen.15 Das Verhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft verstand der Reichsfinanzhof unter Berufung auf das Preußische Oberverwaltungsgericht zunächst als persönliches Dienst- und Abhängigkeitsverhältnis.16 Die Organgesellschaft trete aufgrund willentlicher Beherrschung durch den Organträger nicht selbständig, son-

10 Hierzu ausführlich: Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 13 ff.; umfassend zur Konzernbildung und der Bedeutung des Konzerns für das Steuerrecht, das Gesellschaftsrecht und das Wettbewerbsrecht: Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 15 ff. 11 RFH, Urteil vom 26.10.1932 – II A 666 / 31 –, RStBl. 1933, 60 (61). 12 RFH, Urteil vom 26.10.1932 – II A 666 / 31 –, RStBl. 1933, 60 (61). 13 Vgl. Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 3 f.; ähnlich auch: Hans-G. Schultze-Schlutius, DStZ 1936, 1347 (1347). 14 So etwa: RFH, Urteil vom 30.1.1930 – I A 226 / 29 –, RStBl. 1930, 148 (151). 15 Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 31; Wilhelm Köhler, Die wirtschaftliche Einheit als Bewertungseinheit im Steuerrecht, 1940, S. 42 ff.; Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 15. 16 Beispielhaft etwa: Preuß. OVG, Urteil vom 31.5.1902 – J. N. VI. G. 49 – Rep. VI. G. 38 / 01 –, OVGSt 10, 391 (393); RFH, Urteil vom 6.10.1920 – II A 189 / 20 –, RFHE 3, 281 (284); RFH, Urteil vom 20.4.1923 – V A 150 / 22 –, RStBl. 1923, 216 (216); RFH, Urteil vom 11.11.1927 – I A 75 / 27 –, RStBl. 1928, 52 (52), RFHE 22, 183 (187).

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

dern als Angestellte des Organträgers auf. Die Beziehung zwischen den Unternehmungen gestalte sich wie das Verhältnis zwischen Dienstherrn und Angestelltem.17 Für ein bestehendes Organschaftsverhältnis sei daher maßgebend, dass die eine Gesellschaft so in den wirtschaftlichen Organismus der anderen Gesellschaft eingegliedert ist, dass sie deren Weisungen unbedingt zu folgen habe. Auch eine juristische Person könne also – gleich einer natürlichen Person – in Diensten eines anderen stehen, dessen Weisungen zu befolgen verpflichtet sein und dadurch der eigenen Selbständigkeit verlustig gehen.18 Die damit durch die Gerichte begründete „Angestelltentheorie“19 war der erste konzeptionelle Erklärungsversuch für das Phänomen wirtschaftlicher Beherrschung und Abhängigkeit juristischer Personen und wurde zur ersten und ältesten Organtheorie.20 Der Reichsfinanzhof übernahm die Angestelltentheorie für alle der Organschaft bekannten Steuerarten; zunächst für die Gewerbesteuer21 und die Kohlensteuer22, anschließend auch für die Umsatzsteuer23 und die Körperschaftsteuer24. In Ansehung des identischen konzeptionellen Ansatzes konnte die Organschaft zu jener Zeit durchaus als steuerartenübergreifendes einheitliches Rechtsinstitut aufgefasst werden. Die Angestelltentheorie blieb in Rechtsprechung und Schrifttum nicht unreflektiert und stieß alsbald auf vehemente Kritik. So hieß es, eine juristische Person könne zwar zum „Organ“, niemals aber zur Angestellten im Rechtssinne werden.25 Als „Organ“ werde sie zum willenlosen Werkzeug gegenüber dem beherrschenden Unternehmen und stehe dadurch in vollkommener Abhängigkeit.26 Die angestellte natürliche Person sei dagegen niemals willenlos, sondern lediglich weisungsgebunden. Ihre Unterordnung bleibe immer freiwillig und sie behalte stets die Möglichkeit, sich vom Dienstherrn zu lösen. Das Organ hingegen könne sich der AbhängigWerner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 5. Vgl. dazu: Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (17); Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 5. 19 Vgl. zur Angestelltentheorie: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 3 ff; Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (17 ff.); zu den Anfängen der Organtheorie und ihrem Vergleich zum Angestellten außerdem ausführlich: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 36 ff. und S. 53. Für die Rechtsprechung beispielsweise: RFH, Urteil vom 20.4.1923 – V A 150 / 22 –, RStBl. 1923, 216 (216); RFH, Urteil vom 11.11.1927 – I A 75 / 27 –, RStBl. 1928, 52 (52), RFHE 22, 183 (187). 20 Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 5. 21 Dazu: Gerhard Holtmeier, Die Organtheorie im System des Rechts und ihre aktuellen Probleme, S. 115 f. 22 RFH, Urteil vom 21.7.1920 – II A 167 / 20 –, RFHE 3, 231 ff. 23 RFH, Urteil vom 6.10.1920 – II A 189 / 20 –, RFHE 3, 281 ff. 24 RFH, Urteil vom 31.3.1922 – I A 10 / 22 –, RFHE 9, 167 ff. 25 Hans-G. Schultze-Schlutius, DStZ 1936, 1347 (1349); ausführlich zum Folgenden auch: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 36 ff. 26 Wie folgt: Hans-G. Schultze-Schlutius, DStZ 1936, 1347 (1349). 17 18

II. Die Rechtslage vor erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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keit und Beherrschung aus eigener Kraft nicht erwehren. Es fehle ihm die Möglichkeit, sich aus der Unterordnung zu befreien. Aufgrund dieser Unterschiede verbiete sich jedoch eine Gleichstellung von Organschaft und Angestelltenverhältnis.27 Die Kategorien „Organ“ und „Angestellter“ seien daher mangels Vergleichbarkeit strikt zu trennen. Noch vor der erstmaligen Kodifikation der Organschaft reagierte der Reichsfinanzhof auf diese Kritik.28 Auf dem Gebiet der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuer löste man sich vollends von der Annahme der Angestellteneigenschaft des Organs und vertrat von nun an die sog. Einheitstheorie.29 Hinsichtlich der körperschaftsteuerlichen Organschaft wurde zwar die Angestelltentheorie nicht explizit verworfen – so erwähnte der Reichsfinanzhof etwa in späteren Entscheidungen nach wie vor den Vergleich zwischen Organ und Angestelltem30 –, man betonte jedoch fortan die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft beim Organträger aufgrund Ergebnisabführung.31 Die Angestelltentheorie ging daher im Körperschaftsteuerrecht gewissermaßen in der nunmehr vertretenen Zurechnungstheorie auf.32 Ab diesem Zeitpunkt der konzeptionellen Differenzierung, der wohl gemerkt vor der erstmaligen Kodifikation formell-gesetzlicher Rechtsgrundlagen lag, entwickelte sich das Rechtsinstitut der Organschaft in den Einzelsteuergesetzen unterschiedlich, ja teilweise unabhängig voneinander.33 2. Die Haftung der Organgesellschaft nach §§ 103, 108 RAO Zu einer Zeit, in der der Reichsfinanzhof noch die Angestelltentheorie vertrat, wurde das Gericht erstmals mit der Frage der Haftung einer Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers konfrontiert. Der Reichsfinanzhof bejahte in seiner Entscheidung vom 28.1.192734 eine solche Haftung und führte als Rechtsgrundlage der Inanspruchnahme die §§ 84, 89 RAO 1919, die den später erlassenen §§ 103, 108 RAO entsprachen, ins Felde.35 Diese regelten die steuerliche Haftung der BeHans-G. Schultze-Schlutius, DStZ 1936, 1347 (1349). Vgl. insbesondere: RFH, Urteil vom 23.2.1934 – V A 480 / 33 –, RStBl. 1934, 623 (624). 29 Den sonach identischen konzeptionellen Ansatz im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht ebenfalls hervorhebend: Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (130). 30 RFH, Urteil vom 19.10.1937 – I A 245 / 37 –, RStBl. 1938, 184 (184); ebenso das Gutachten des RFH vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 ff. 31 Leo Hübl, DStZ 1965, 17 (20 f.). 32 Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 5 ff. (insbesondere Rz. 12); Leo Hübl, DStZ 1965, 17 (20 f.). 33 Zu Recht verweist Hüttemann eingehend darauf, dass es aufgrund dieser Entwicklung „die“ Organschaft nicht gibt. Vgl.: Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (131). 34 RFH, Urteil vom 28.1.1927 – V A 852 / 26 –, RFHE 20, 286 (291). 35 RFH, Urteil vom 28.1.1927 – V A 852 / 26 –, RFHE 20, 286 (291). 27 28

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

vollmächtigten und Verfügungsberechtigten, waren also nicht spezifisch auf das Organschaftsverhältnis zugeschnitten. Die Vorschriften korrelierten allerdings in gewisser Weise mit der These der Angestellteneigenschaft der Organgesellschaft:36 Ist eine Gesellschaft Organ eines anderen Unternehmens, dann ist sie dessen Angestellte und als solche regelmäßig Bevollmächtigte bzw. Verfügungsberechtigte. In Ansehung dieser Entscheidung wird bis heute der Ursprung der Organschaftshaftung im Sinne des § 114 RAO (1936) in den §§ 103, 108 RAO gesehen.37 Vielfach heißt es, die Haftung der Organgesellschaft bedeute lediglich eine Erweiterung38 der Haftung nach den §§ 103, 108 RAO.39 Dies ließe wiederum den Schluss zu, der Haftung der Organgesellschaft lägen prinzipiell die gleichen Erwägungen wie der Haftung der Bevollmächtigten und Verfügungsberechtigten zugrunde. Es stünde gar zu vermuten, dass den §§ 103, 108 RAO Erkenntnisse über die Rechtfertigung der Haftungsinanspruchnahme nach § 114 RAO abgewonnen werden können. Bezüglich derartiger Rückschlüsse ist jedoch zu beachten, dass der Reichsfinanzhof in besagter Entscheidung40 weder die sich aufdrängende Frage der Anwendbarkeit der §§ 84, 89 RAO 1919 (später: §§ 103, 108 RAO), noch die Möglichkeit einer analogen Anwendung der Vorschriften auf die Fälle der Organschaft erörterte.41 Hierfür bestand allerdings im konkreten Fall auch kein Anlass, denn die Organgesellschaft war tatsächlich Bevollmächtigte der Obergesellschaft,42 weshalb

36 Vgl. Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 44, der lediglich mutmaßt, dass der Reichsfinanzhof bei seiner Rechtsprechung durch die Angestelltentheorie beeinflusst war. Überdies: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 46. 37 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 46 f. 38 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 47. Es wird von einer „Erweiterung“ gesprochen, weil die Haftung nach den §§ 103, 108 RAO ausschließlich auf die von dem Bevollmächtigten / Verfügungsberechtigten verwalteten Mittel des Steuerschuldners beschränkt war, die Haftung nach § 114 RAO hingegen keine Haftungsbeschränkung kannte. Vgl. weiterhin: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 78, der außerdem von einer Einschränkung durch § 114 RAO spricht, weil dieser die Haftung auf Betriebssteuern beschränkte, was den §§ 103, 108 RAO demgegenüber fremd war. 39 So etwa: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 44; ihm folgend: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 11. Aus jüngerer Vergangenheit: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 47. 40 RFH, Urteil vom 28.1.1927 – V A 852 / 26 –, RFHE 20, 286 (291). 41 Vgl. insoweit die Ausführungen auf S. 291 in: RFHE 20, 286. 42 Dies geht aus dem Urteil des RFH vom 28.1.1927 – V A 852 / 26 –, RFHE 20, 286 (291) hervor: „Da die Beschwerdeführerin bei der Entgegennahme der Zahlungen, soweit sie den Unkostenersatz enthalten, als Bevollmächtige der Obergesellschaft auftritt, würde sie nach §§ 84, 89 AO für eine Steuerschuld der Obergesellschaft, wenn sich aus der Vereinnahmung

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die Vorschriften der §§ 84, 89 RAO 1919 unmittelbar anwendbar waren. Die Anwendung der Normen stand also in keinem Zusammenhang mit der organschaftlichen Beziehung der Unternehmen. Die Organgesellschaft wurde nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als solche, sondern aufgrund ihrer Eigenschaft als Bevollmächtigte zur Haftenden.43 Eine Haftung der Organgesellschaft, wie sie § 114 RAO vorsah, die also ausschließlich durch das Bestehen organschaftlicher Beziehungen zum Oberunternehmen begründet sein sollte, wurde vom Reichsfinanzhof in dieser Entscheidung nicht erwogen. Gegen einen unmittelbaren Einfluss der §§ 103, 108 RAO auf die Organschaftshaftung lassen sich außerdem die Erläuterungen anlässlich des Erlasses des § 114 RAO anführen.44 Hier heißt es zwar ausdrücklich, dass eine Haftung der Organgesellschaft für die Umsatzsteuer des herrschenden Unternehmers bis dato aus den §§ 103, 108 RAO hergeleitet wurde. Diese Rechtslage sei jedoch „zweifelhaft“.45 Um die – durch die Diskussion über die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes entstandene – unklare Rechtslage zu beseitigen, bedürfe es der Vorschrift des § 114 RAO.46 Grund dieser Zweifel war sicherlich die Erkenntnis, dass mit dem Vorliegen organschaftlicher Beziehungen nicht notwendig die Haftung der Organgesellschaft einherging. So musste die Organgesellschaft zur Haftungsbegründung nach bisheriger Rechtslage zusätzlich noch Bevollmächtigte oder Verfügungsberechtigte der Obergesellschaft sein.47 Die organschaftliche Beziehung allein wurde gerade nicht als haftungsbegründend angesehen. Überdies muss bedenklich stimmen, dass die vormals herrschende Angestelltentheorie, die ihrerseits eine Grundlage zur Bezugnahme auf die Haftung der Bevollmächtigten und Verfügungsberechtigten nach den §§ 103, 108 RAO schuf, im Zeitpunkt der Kodifikation des § 114 RAO nicht mehr vertreten wurde.48 Es entfiel damit die materiell-rechtliche Anknüpfung für eine (entsprechende) Anwendung der §§ 103, 108 RAO auf die Fälle der Organschaft, wie man sie der Rechtspredes Unkostenersatzes eine solche ergäbe, nach Maßgabe der von ihr verwalteten Mittel der Obergesellschaft haften.“ 43 Ähnlich: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 46 und Fn. 250, der zwar erkennt, dass die Organgesellschaft tatsächlich Bevollmächtigte des Organträgers war, gleichwohl aber den Ursprung des § 114 RAO in den §§ 103, 108 RAO sieht. 44 Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen, S. 243 ff. 45 So ausdrücklich: Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen, S. 244. 46 Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen, S. 244. 47 So auch: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 44, dessen nachfolgende These vom Einfluss der §§ 103, 108 RAO auf die Vorschrift des § 114 RAO deshalb missverständlich ist. 48 Mit entsprechendem Hinweis: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 46 f. m.w. N.

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

chung des Reichsfinanzhofes abgewinnen wollte. Damit war jedoch die Annahme einer Weiterentwicklung der Haftung der Bevollmächtigten und Verfügungsberechtigten durch den Erlass des § 114 RAO zum Zeitpunkt der Kodifikation nicht mehr zeitgerecht. Vielmehr steht zu vermuten, dass § 114 RAO anstatt der Angestelltentheorie dem neuerlich vertretenen Organschaftsverständnis folgte. Alles in allem ist es deshalb abzulehnen, aus den Aussagen und Wertungen der §§ 103, 108 RAO Schlüsse auf die Vorschrift des § 114 RAO zu ziehen, zumal selbst die Gesetzeserläuterung zum Erlass des § 114 RAO aufgrund ihres Verweises auf die vormals zweifelhafte Rechtslage solche Schlussfolgerungen gerade nicht anstellt.

III. Die Rechtslage im Zeitpunkt der Kodifikation der Organschaftstatbestände und des § 114 RAO 1. Die materiellen Organschaftstatbestände der Einzelsteuergesetze In den Jahren 1934 und 1936 fanden die ersten materiell-rechtlichen Organschaftstatbestände Eingang in die Einzelsteuergesetze. Diese normierten erstmals eine Art Legaldefinition zum Rechtsinstitut der Organschaft.49 Die Vorschriften stimmten in ihrem Wortlaut weitgehend mit der Organschaftsdefinition des Reichsfinanzhofes überein, weshalb sich ihr Erlass als normative Umsetzung der höchstrichterlichen Rechtsprechung darstellte.50 Man schuf der Organschaft ein formellgesetzliches Fundament, ohne die Rechtslage zu ändern oder gar das Rechtsinstitut zu reformieren.51 Dabei fand die durch den Reichsfinanzhof entwickelte Formel, dass eine Mehrzahl von Unternehmen dann als Unternehmenseinheit anzusehen sei, wenn die Organgesellschaft als Teil eines fremden Gewerbebetriebs einem fremden Willen dergestalt untergeordnet ist, dass sie in ihrer Beteiligung am Wirtschaftsleben nur diesen fremden Willen verwirklichen kann und aufhört, einen eigenen Willen zu haben, unmittelbaren Eingang in den Gesetzestext.52 Auch die tatbestandliche Präzisierung, dass eine juristische Person als unselbständig anzusehen Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 56. So auch die Gesetzesbegründung zur Kodifikation der umsatzsteuerlichen Organschaft: RStBl. 1934, 1549 (1549 und 1550). 51 Ob durch die Vorprägung der Rechtsprechung eine gesetzgeberische Abkehr vom Rechtsinstitut der Organschaft überhaupt möglich gewesen wäre, lässt sich nicht letztverbindlich aufarbeiten. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Einführung der umsatzsteuerlichen Organschaftsregelungen befürchtete man jedenfalls bei ihrer Aufhebung erhebliche Änderungen im Aufbau einzelner Wirtschaftszweige sowie schädliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, weshalb man sich gezwungen sah, die Organschaft beizubehalten und zu normieren. Vgl. RStBl. 1934, 1549 (1549). 52 So noch der Reichsfinanzhof in: RFH, Urteil vom 23.2.1934 – V A 480 / 33 –, RStBl. 1934, 623 (623 f.). 49 50

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sei, wenn sie finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch, das heißt völlig von einem Unternehmen abhängig ist, machte sich der Gesetzgeber zu Eigen.53 Obgleich der Reichsfinanzhof diese Voraussetzungen sowohl für die umsatzsteuerliche und die gewerbesteuerliche Organschaft als auch für die körperschaftsteuerliche Organschaft formulierte, beschränkte sich der Gesetzgeber auf die Kodifikation der materiell-rechtlichen Organschaftstatbestände im Umsatzsteuer- und im Gewerbesteuerrecht. Die nach ständiger Rechtsprechung gleichsam vertretene körperschaftsteuerliche Organschaft wurde hingegen nicht normiert. Sie war allerdings auch in den folgenden Jahrzehnten richterrechtlich anerkannt.54 Sicherlich wird man diese Differenzierung nicht als eine generelle Ablehnung gegenüber dem Institut der körperschaftsteuerlichen Organschaft deuten können, konnte sich diese doch trotz der gesetzgeberischen Zurückhaltung etablieren. Man wird die gesetzgeberische Entscheidung für eine Kodifikation der Organschaft im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht jedoch aus heutiger Sicht als Beleg für die unterschiedlichen Entwicklungen in diesen Teilbereichen des Steuerrechts aufzufassen haben.55 Dies bei einer Aufarbeitung des § 114 RAO außer Acht zu lassen würde bedeuten, wesentliche Entwicklungslinien des Organschaftsrechts zu ignorieren.56

a) Die Rechtslage im Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerrecht aa) Die umsatzsteuerrechtliche Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1934 § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1934: Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, […] wenn eine juristische Person dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet ist, dass sie keinen eigenen Willen hat.57 § 2 UStDB 1934: Eine juristische Person ist dem Willen eines anderen inländischen Unternehmens untergeordnet, daß sie keinen eigenen Willen hat (Organgesellschaft), wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in sein Unternehmen eingegliedert ist.58

Vgl. RFH, Urteil vom 23.2.1934 – V A 480 / 33 –, RStBl. 1934, 623 (624). Dezidiert zur Entwicklung der körperschaftsteuerlichen Organschaft bei umfassender Berücksichtigung der Rechtsprechung insbesondere: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 163 ff.; Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 114 ff. 55 Erneut sei auf die treffliche Formulierung von Hüttemann verwiesen, der angesichts der unterschiedlichen Entwicklungen resümiert, dass es „die“ Organschaft nicht gibt. Vgl. Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (131). 56 Ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (265 ff.). 57 Erlassen am 16.10.1934, RGBl. I 1934, 942 (942); RStBl. 1934, 1166 (1166). 58 RGBl. I 1934, 947 (948); RStBl. 1934, 1171 (1172). 53 54

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1934 nahm begrifflich und systematisch Bezug auf den Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 1 S. 1 UStG 1934. Danach war Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Dies konnten natürliche und juristische Personen gleichermaßen sein. Die Selbständigkeit einer juristischen Person stand aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Organisation als Willensträger grundsätzlich außer Frage.59 War sie jedoch einem Unternehmer derart untergeordnet, dass sie keinen eigenen Willen hat, ging sie dieser Selbständigkeit gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG 1934 verlustig. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes nutzte der Gesetzgeber das Tatbestandsmerkmal der Selbständigkeit des Unternehmers als Anknüpfungspunkt für die umsatzsteuerliche Organschaft.60 Der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise wurde durch die Annahme einer Abhängigkeit in der Willensbildung umgesetzt. War eine juristische Person nicht in der Lage, einen eigenen Willen zu bilden, sondern wurde ihr aufgrund finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Eingliederung in ein anderes Unternehmen der fremde Wille dieses Unternehmers oktroyiert, verlor sie ihre Selbständigkeit und wurde zum Organ des fremden Unternehmers.61 Die organschaftliche Verbindung zwischen zwei oder mehreren Unternehmen erwies sich damit als Subordinationsverhältnis:62 Der beherrschende Organträger blieb trotz Verbundes mit einer oder mehrerer Organgesellschaften Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 UStG 1934. Die Organgesellschaft als unterworfene juristische Person verlor hingegen die Unternehmereigenschaft und wurde zum unselbständigen Teil – gewissermaßen zur Betriebsstätte – des Organträgers. Ihr vormals selbständiges Unternehmen ging im Unternehmen des Organträgers auf.63 Dies hatte zur Folge, dass die Organgesellschaft mangels Unternehmereigenschaft keine eigenen steuerbaren Umsätze gemäß § 1 Nr. 1 UStG 1934 ausführen konnte.64 Alle von ihr getätigten Lieferungen und sonstigen Leistungen gegenüber 59 Vgl. etwa: Gerhard Holtmeier, Die Organtheorie im System des Rechts und ihre aktuellen Probleme, S. 64. 60 Instruktiv zur Bedeutung des Merkmals der Selbständigkeit für die umsatzsteuerliche Organschaft: BVerfG, Urteil vom 20.12.1966 – 1 BvR 320 / 57, 70 / 63 –, BVerfGE 21, 12 (43). 61 Eingehend: Gerhard Holtmeier, Die Organtheorie im System des Rechts und ihre aktuellen Probleme, S. 64 f.; Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S 259 (265 f.). 62 Zur für die Organschaft typischen Struktur der Über- Unterordnung etwa: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 31. In Abgrenzung zum verwandten Rechtsinstitut der Unternehmereinheit: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 8 f. Kritisch zur hierarchischen Struktur: Ulrich Prinz, FR 1999, 646 (648). 63 Zum Ganzen: Gerhard Holtmeier, Die Organtheorie im System des Rechts und ihre aktuellen Probleme, S. 64 f. 64 So erklärt es sich, dass der Reichsfinanzhof den § 1 Nr. 1 UStG 1934 als „Rechtsboden“ der umsatzsteuerlichen Organschaft ansah. Vgl. RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31 III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137).

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Dritten waren nun dem Organträger zuzuordnen, denn bei einer Drittleistung beteiligte sich nur dieser als Unternehmer bzw. beherrschender Willensträger „durch die Organgesellschaft“ am wirtschaftlichen Verkehr.65 Weitere Folge der umsatzsteuerlichen Organschaft war, dass die zwischen den organschaftlich verbundenen Unternehmen erbrachten Leistungen nicht steuerbar waren, da sie nicht zwischen selbständigen Unternehmern erbracht wurden, sondern sich innerhalb des ein und selben Unternehmens bewegten (sog. Innenleistungen).66 Dies galt für Lieferungen zwischen Organträger und Organgesellschaft ebenso wie für Lieferungen zwischen verschiedenen Organgesellschaften des gleichen Organträgers.67 Ein Leistungsaustausch innerhalb des Organkreises blieb immer umsatzsteuerfrei. Gerade der Steuerfreiheit der Innenleistungen kam zur damaligen Zeit, als das deutsche Umsatzsteuerrecht noch ein Allphasensystem ohne Vorsteuerabzugsberechtigung (sog. Allphasenbruttoumsatzsteuer) verfolgte,68 besondere wirtschaftliche Relevanz zu.69 In diesem System fiel auf jeder Handelsstufe – sprich bei jeder Leistung eines Unternehmers – Umsatzsteuer an, die beim Leistungsempfänger – gleich ob Unternehmer oder Privater – unmittelbar zum Kostenfaktor wurde.70 Das hatte zur Folge, dass die Umsatzsteuerbelastung eines Endproduktes stieg, je mehr Handelsstufen ein Produkt durchlief.71 War ein Unternehmen nun in der Lage, die Prozesse mehrerer Handelsstufen in Eigenleistung zu erbringen, konnte die Umsatzsteuerbelastung des Endprodukts im Vergleich zur Fertigung durch mehrere Unternehmer effektiv gesenkt werden. Eine Fusion von Unternehmen, die an einem Fertigungsprozess beteiligt waren, wurde damit wirtschaftlich besonders interessant.72 Weil die Fusionierung jedoch den Verlust der persönlichen Verantwortung der Einzelunternehmen mit sich brachte und bei vermehrtem Auftreten schädliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zeitigen konnte, war sie wirtschaftspolitisch unerwünscht.73 Aufgrund der Steuerfreiheit der Innenumsätze im Organkreis konnte die kumulierende Umsatzsteuerbelastung eines Endproduktes nun auch durch den organschaft65 Gerhard Holtmeier, Die Organtheorie im System des Rechts und ihre aktuellen Probleme, S. 65; Hans-G. Schultze-Schlutius, DStZ 1936, 1347 (1352). 66 Die Steuerfreiheit der Innenumsätze betonend: BFH, Urteil vom 17.7.1952 – V 17 / 52-S –, BStBl. III 1952, 234 (236). 67 Zum Ganzen: Hans-G. Schultze-Schlutius, DStZ 1936, 1347 (1352). 68 Ausführlich zum System der Allphasenbruttoumsatzsteuer: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 1671 ff.; vgl. ebenfalls: BVerfG, Urteil vom 20.12.1966 – 1 BvR 320 / 57, 70 / 63 –, BVerfGE 21, 12. 69 Vgl. dazu nur: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 819; Ernst E. Stöcker, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 1151. 70 Zum Ganzen: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 1672. 71 Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 1672. 72 Umfassend: BFH, Urteil vom 17.7.1952 – V 17 / 52-S –, BStBl. III 1952, 234 (235 f.). 73 So ausdrücklich die Pressenotiz des Reichsfinanzministeriums zu den neuen Steuergesetzen vom 17.10.1934. RStBl. 1934, 1197 (1199).

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

lichen Zusammenschluss der Unternehmen vermieden werden. Da die Organschaft allerdings die (zivil-)rechtliche Selbständigkeit der Unternehmen unberührt ließ, war sie geeignet, den negativen Folgen vermehrter Fusionierung entgegenzuwirken.74 Insofern war die umsatzsteuerliche Organschaft zuvörderst ein rechtspolitisches Instrument der Wirtschaftslenkung.75 bb) Die gewerbesteuerrechtliche Organschaft nach der Kodifikation § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG 1936: Als Gewerbebetrieb gilt stets und in vollem Umfang die Tätigkeit (…) der Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kolonialgesellschaften, bergrechtliche Gewerkschaften), der Gewerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Ist ein solches Unternehmen dem Willen eines anderen inländischen Unternehmens derart untergeordnet, daß es keinen eigenen Willen hat, so gilt es als Betriebstätte dieses Unternehmens.76 § 3 GewStDVO: Eine Kapitalgesellschaft ist dem Willen eines gewerblichen Unternehmens derart untergeordnet, daß sie keinen eigenen Willen hat (Organgesellschaft), wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in dieses Unternehmen eingegliedert ist.77

Als Real- bzw. Objektsteuer knüpft die Gewerbesteuer an das Steuerobjekt „Gewerbebetrieb“ an.78 Ein solcher sollte gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG 1936 vorliegen, wenn es sich beim Besteuerungsobjekt um ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes handelt. Darüber hinaus galt die Tätigkeit von Kapitalgesellschaften, von Gewerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und von Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG 1936 stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuergesetzes, es sei denn, das in Rede stehende Unternehmen war dem Willen eines anderen Unternehmens derart untergeordnet, dass es keinen eigenen Willen hat. Obgleich im Gewerbesteuerrecht weniger offenbar als im Umsatzsteuerrecht, war auch hier das ausschlaggebende Moment der Organschaft das Tatbestandsmerkmal der Selbständigkeit.79 Als Voraussetzung eines gewerblichen Unternehmens im 74 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (265 m.w. N.). 75 So etwa: BFH, Urteil vom 17.7.1952 – V 17 / 52-S –, BStBl. III 1952, 234 (235 f.); zur Entwicklung der umsatzsteuerlichen Organschaft insgesamt: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 800 ff. 76 RGBl. I 1936, 979 (979); RStBl. 1936, 1149 (1149). 77 RGBl. I 1937, 257 (257). 78 Vgl. bereits § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG 1936, der nach wie vor wortgleich besteht. Zum Objektsteuercharakter etwa: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 75 und Rz. 1351 ff. 79 Vgl. etwa: Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 89; Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2572; ausführlich: Otto Wilser, BB 1960, 659 (660 f.).

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Sinne des Einkommensteuerrechts war die Selbständigkeit gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG 1936 zugleich Voraussetzung eines Gewerbebetriebes nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG 1936. Die gewerbesteuerliche Organschaft beruhte nun erneut auf dem Gedanken, dass die willentliche Beherrschung durch ein fremdes Unternehmen, eintretend bei finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Eingliederung der beherrschten Gesellschaft, zum Verlust der Selbständigkeit des Organs führt.80 Die beherrschte Gesellschaft war dadurch nicht mehr Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuergesetzes, sondern ausweislich der Rechtsfolge des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG 1936 lediglich Betriebsstätte des fremden Unternehmens. Allein der Organträgerbetrieb blieb steuerpflichtiger Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuergesetzes,81 während die Organgesellschaft zur bloßen Geschäftsabteilung des beherrschenden Unternehmens wurde.82 Demzufolge war auch nur der Organträger zu veranlagen.83 Dabei waren Gewerbeertrag und Gewerbekapital der Gesellschaften einheitlich beim Organträger zu erfassen.84 Anders als im Umsatzsteuerrecht kam der Organschaft im Gewerbesteuerrecht keine wirtschaftslenkende Funktion zu. Die Vorschriften verfolgten den Schutz der am Aufkommen beteiligten Gemeinden vor willkürlicher Gewinnverlagerung durch die verbundenen Unternehmungen.85 Insofern setzte sich die vom Preußischen Oberverwaltungsgericht ersonnene Gemeindeschutzfunktion im Gewerbesteuergesetz 1936 fort.86 cc) Die gemeinsame organtheoretische Konzeption der Vorschriften: Die Einheitstheorie Mit der Kodifikation der Organschaftsregelungen verfolgte der Gesetzgeber unterschiedliche, den Eigenarten der Einzelsteuergesetze geschuldete Zwecke.87 Dennoch waren die Vorschriften des Umsatz- und Gewerbesteuerrechts in ihrer organtheoretischen Konzeption und deren gesetzestechnischer Umsetzung identisch.88 Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 89 f. Umfassend: Johannes Abraham, DStZ 1936, 1360 (1360). 82 So ausdrücklich: RFH, Urteil vom 6.5.1942 – VI 210 / 41 –, RStBl. 1942, 858 (858). 83 Johannes Abraham, DStZ 1936, 1360 (1360). 84 Gerhard Holtmeier, Die Organtheorie im System des Rechts und ihre aktuellen Probleme, S. 127. 85 RFH, Urteil vom 12.12.1939 – I 205 / 38 –, RStBl. 1940, 29 (30); Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (129 f.). 86 Umfassend hierzu: Heinrich Montag, in: Herzig, Organschaft, S. 292. 87 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S 259 (265). 88 Ebenso: Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (129 f.). 80 81

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

Hier wie dort knüpften sie am Tatbestandsmerkmal der Selbständigkeit (des Unternehmers bzw. des Gewerbetreibenden) an. Lag den Steuergesetzen jedoch bisher die Vorstellung zugrunde, dass mit der zivilrechtlich-formalen Selbständigkeit einer juristischen Person ihre wirtschaftliche und daher auch ihre steuerrechtliche Selbständigkeit korrespondiere,89 erkannte der Steuergesetzgeber mit der Normierung der Organschaft die Existenz wirtschaftlich unselbständiger bzw. abhängiger juristischer Personen an. Man war damit auch seitens des Gesetzgebers gewillt, bei der Besteuerung verbundener Unternehmen weniger der zivilrechtlich bestehenden Rechtslage Beachtung zu schenken und mehr die wirtschaftlichen Gegebenheiten – namentlich die Abhängigkeit einer juristischen Person von einem anderen Unternehmen – zu betonen. Dieses Abhängigkeitsverhältnis als Ausdruck wirtschaftlicher Beherrschung wurde zur Grundlage der organschaftlichen Unternehmensverbindung.90 Ihretwegen wurden rechtlich selbständige Subjekte zu einem neuen Wirtschaftsgebilde zusammengefasst und damit das bisher rechtsformabhängige Besteuerungskonzept durchbrochen.91 In der Frage, wie die Besteuerung des Organkreises ausgestaltet werden sollte, folgte der Gesetzgeber im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht der Dogmatik der bereits vom Reichsfinanzhof vertretenen Einheitstheorie.92 Diese beruht auf der Vorstellung, dass zivilrechtlich selbständige Unternehmen wirtschaftlich und damit steuerrechtlich vollends zusammenwachsen können. Sie betrachtet den Verbund von Organträger und Organgesellschaft als einheitliches Ganzes – als „Einheitsunternehmen“.93 (1) Das Steuersubjekt im Organkreis der Einheitstheorie Mit der Anerkennung des Unternehmensverbundes „Organkreis“ als Besteuerungseinheit stellt sich die Frage, wer im Verbund Steuersubjekt und damit Steuerschuldner sein soll. Angesichts der einheitlichen Betrachtungsweise der verbundenen Unternehmen läge es durchaus nahe, dem Organkreis als solchem die Steuerrechtsfähigkeit zuzuKarl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 13. Zum Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise und dessen Grundlage für die Organschaft instruktiv: Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1648. 91 Beispielhaft: Ulrich Prinz, FR 1999, 646 (646). 92 Zur Einheitstheorie allgemein: Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 41 m.w. N.; Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 25; Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 4 und Rz. 28 ff.; Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (21); Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 4. Für das Umsatzsteuerrecht (beispielsweise): Gerhard Holtmeier, Die Organtheorie im System des Rechts und ihre aktuellen Probleme, S. 65. Ebenfalls beispielhaft für das Gewerbesteuerrecht: Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2568 m.w. N. aus der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes. 93 Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 4. 89 90

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erkennen und ihn zum Steuersubjekt zu erheben.94 Bei dieser Herangehensweise müsste man zwar akzeptieren, dass das Zivilrecht der steuerlichen Vereinheitlichung nicht folgt und dem Organkreis als solchem die Rechtsfähigkeit nicht zuerkennt.95 Für das Steuerrecht würde man auf diesem Wege allerdings ein Wirtschaftsgebilde höherer Ordnung statuieren, was der wirtschaftlichen Vereinheitlichung der Unternehmungen entsprechen würde. Dieses Gebilde bestünde dann formal aus der Summe der eingegliederten Unternehmungen, wäre jedoch befähigt, in steuerlichen Angelegenheiten als einheitlicher Organismus aufzutreten und könnte als solcher besteuert werden.96 Der Gesetzgeber ging jedoch – freilich in Ansehung der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes – einen anderen Weg. Dieser war vom Gedanken geprägt, dass sich der einheitliche Organkreis aus zwei (oder mehreren) Unternehmungen zusammensetzt, von denen nur eine – der Organträger – eine beherrschende Stellung innehat, die andere(n) hingegen von dieser beherrscht werden und damit dieser untergeordnet sind.97 Man erkannte deshalb das beherrschende Unternehmen (den Organträger) auch nach der organschaftlichen Verbindung mit einer oder mehreren juristischen Person(en) als alleiniges Steuersubjekt und einzigen Steuerschuldner im Organkreis an.98 Auf diese Weise dokumentierte man dessen dominierende Stellung im Organkreis. Auf der anderen Seite brachte man die Abhängigkeit der Organgesellschaft durch den Verlust ihrer vor der organschaftlichen Eingliederung bestehenden Steuersubjekteigenschaft zum Ausdruck. Sie wurde mit ihrer Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers vom vormaligen Steuersubjekt zur Betriebsstätte und damit zur unselbständigen Abteilung des herrschenden Unternehmens degradiert.99 Verfahrensrechtlich hatte dies den Verlust der Steuerschuldnerschaft zur 94 So verfolgt von: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht. Die Überlegung wird außerdem aufgegriffen bei: Ulrich Niehus / Helmuth Wilke, Die Besteuerung der Kapitalgesellschaften, S. 235: „Das als Organkreis bezeichnete Gesamtgebilde wird dabei jedoch kein eigenständiges, neben die beteiligten Unternehmen tretendes Steuersubjekt und unterliegt auch keiner eigenen Steuerpflicht.“ Mit entsprechendem Verweis auch: Friedrich Klenk, in: Sölch / Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 95 m.w. N. 95 Dass diese vollkommene Negierung der zivilrechtlichen Strukturen eine Vielzahl von Problemen nach sich gezogen hätte, sei anhand der umfangreichen Diskussion um das Rechtsinstitut der Unternehmereinheit im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht belegt. Umfassend zur hieraus resultierenden Problematik: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit. 96 Dieser Ansatz wurde vom Gesetzgeber nie verfolgt. Anders war dies jedoch bei der (mit der Organschaft verwandten) Unternehmereinheit, der von mancher Seite die Steuersubjekteigenschaft zuerkannt wurde. Vgl. etwa: BFH, Urteil vom 25.3.1965 – V 53 / 63 U –, BStBl. III 1965, 337 (337). 97 Vgl. zum Subordinationsverhältnis: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 31. In Abgrenzung zum verwandten Rechtsinstitut der Unternehmereinheit: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 8 f. Kritisch zur hierarchischen Struktur: Ulrich Prinz, FR 1999, 646 (648). 98 Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 4. 99 Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (21).

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Folge; die bürgerlich-rechtliche Rechtsfähigkeit der Organgesellschaft blieb hiervon allerdings unberührt.100 Auf diese Weise wurde das bereits in den „hierarchisch angelegten Eingliederungsvoraussetzungen“101 der Organschaft zum Ausdruck kommende Subordinationsverhältnis zwischen den organkreisangehörigen Unternehmen in der Frage, wer Steuersubjekt im Organkreis sein soll, umgesetzt. Es sei festgehalten: Aus der Addition der vormals selbständigen Unternehmen von Organträger und Organgesellschaft resultierte nicht die Summe „Einheitsunternehmen Organkreis“, sondern die Summe „Einheitsunternehmen Organträger“. Das vormals selbständige Unternehmen der Organgesellschaft ging durch die organschaftliche Eingliederung materiell- und verfahrensrechtlich im Unternehmen des Organträgers auf. (2) Ermittlung der Bemessungsgrundlage im Einheitsunternehmen Nach der Einheitstheorie erwirtschaftet der Organkreis – gleich einem einheitlichen Unternehmen – eine einheitliche (Gesamt-)Steuerschuld, für die der Organträger in Anspruch genommen wird. Da die Organgesellschaft mit ihrer organschaftlichen Eingliederung zur Betriebsstätte des Organträgerunternehmens wird, sind auch die bei ihr anfallenden Geschäftsvorfälle steuerlich Geschäftsvorfälle des Organträgers.102 Das Organ erwirtschaftet kein eigenes steuerpflichtiges Einkommen mehr. Es trägt als unselbständiger Unternehmensteil lediglich zum Gesamtergebnis des Organträgers bei. Gewinne und Verluste erwachsen unmittelbar beim Organträger, Betriebseinnahmen und -ausgaben fallen (aus steuerrechtlicher Sicht) ausschließlich in seiner Person an.103 Dass die Organgesellschaft dabei auch weiterhin im Rechtsverkehr mit Dritten in eigenem Namen auftritt und in Anbetracht der zivilrechtlichen Rechtslage eigene Geschäfte tätigt, ist für die steuerliche Behandlung derselben unerheblich. Aufgrund dieser Verlagerung steuerlicher Verantwortlichkeiten ist eine separate Buchführung und Bilanzierung auf Ebene der Organgesellschaft nach der Doktrin der Einheitstheorie grundsätzlich entbehrlich, denn die bei ihr anfallenden Geschäftsvorfälle werden vom Organträger als eigene Geschäftsvorfälle erfasst.104 Geschäfte, die zwischen Organträger und Organgesellschaft oder zwischen verschiedenen Organgesellschaften des gleichen Organträgers abgeschlossen werden, sind wie Geschäftsvorgänge zwischen verschiedenen Abteilungen des ein und selben Unternehmens zu behandeln.105 Solche organkreisinternen Geschäfte sind erVgl. beispielhaft: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (130). Ulrich Prinz, FR 1999, 646 (648), der diese hierarchische Struktur der Organschaft kritisiert, da sie gerade in neuerer Zeit der wirtschaftlichen Wirklichkeit nicht gerecht werde. 102 Wie folgt: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 28; Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (21). 103 Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 28. 104 Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 4. 100 101

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folgsneutral, wirken sich mithin nicht auf den Gewinn oder Verlust des Gesamtunternehmens aus; führen nicht zur Gewinnrealisierung.106 Erst nach außen gerichteten Geschäften, das heißt Geschäftsvorgänge zwischen einem organkreisangehörigen Unternehmen und Dritten, kommt steuerliche Relevanz zu. Während die Steuerfreiheit der organkreisinternen Leistungsbeziehungen im Umsatzsteuerrecht geradezu essentiell für die Schaffung der Organschaft war, ist es im Gewerbesteuerrecht zu einer derartigen Vereinheitlichung der Unternehmungen nie gekommen. So beschreibt etwa Köhler107 bald nach Erlass des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG 1936 die Rechtslage wie folgt: „Aus der wirtschaftlichen Einheit des Gesamtunternehmens folgt nun aber nicht, daß der dem Gewerbeertrag zugrunde zu legende Gewinn für das beherrschende Unternehmen und für die Organgesellschaft einheitlich zu ermitteln ist. Die Organgesellschaft ist sowohl handelsrechtlich wie auch körperschaftsteuerrechtlich zu einer besonderen kaufmännischen Buchführung verpflichtet. Die Gewinne können also nicht in einer einheitlichen Bilanz zusammengefasst werden, sondern sind sowohl bei dem beherrschenden Unternehmen, als auch bei der Organgesellschaft getrennt zu ermitteln. Gleiches gilt auch für die Ermittlung der Gewerbeerträge.“108 Nichts desto trotz besteht bis heute Einigkeit, dass die gewerbesteuerliche Organschaft zur Zeit ihrer Kodifikation der Einheitstheorie folgte.109 Den Einfluss der Einheitstheorie auf § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG 1936 verdeutlicht eine Entscheidung des Reichsfinanzhofes aus dem Jahre 1942110, in der das Gericht auch auf die gesetzgeberische Intention bei der Kodifikation der gewerbesteuerlichen Organschaft eingeht. So erklärt der Reichsfinanzhof, der Gesetzgeber habe in § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG zum Ausdruck gebracht, dass die Untergesellschaft gewerbesteuerlich lediglich eine Geschäftsabteilung des beherrschenden Unternehmens ist. Wenn nach den Gewerbesteuerrichtlinien – wohl im Wesentlichen mit Rücksicht darauf, daß die Aufstellung einer einheitlichen Konzernbilanz in den meisten Fällen praktisch kaum durchführbar ist – die Gewerbeerträge des beherrschenden Unternehmens und der Untergesellschaft getrennt zu ermitteln seien, so müsse doch aus den Einzelbilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen der Organgesellschaften alles ausVgl.: Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (22). Wie folgt: Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (22); vgl. auch die Reformüberlegungen von Witt, der für eine körperschaftsteuerliche Organschaft im Sinne der Einheitstheorie plädiert und sich hierbei eingehend mit der Zwischengewinneliminierung auseinandersetzt: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 231 ff. 107 Wilhelm Köhler, Die wirtschaftliche Einheit als Bewertungseinheit im Steuerrecht. 108 Wilhelm Köhler, Die wirtschaftliche Einheit als Bewertungseinheit im Steuerrecht, S. 55 f. 109 Vgl. nur: Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2568 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes. Weiterhin: Norbert Herzig, in: Herzig, Organschaft, S. 3; mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die frühere, der Einheitstheorie folgenden Rechtslage: BFH, Urteil vom 17.2.1972 – IV R 17 / 68 –, BStBl. II 1972, 582 (583 f.). 110 RFH, Urteil vom 6.5.1942 – VI 210 / 41 –. 105 106

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geschieden werden, was sich nicht auswirken würde, wenn man dem Willen des Gesetzgebers entsprechend die Untergesellschaft und das beherrschende Unternehmen als einen wirtschaftlichen Organismus betrachtet.111 (3) Die Einheitstheorie und der Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung Der Einheitstheorie liegt in ihrer Gesamtaussage das Leitbild des Einheitsunternehmens zugrunde.112 Organkreisangehörige Unternehmen sollen unter den tatbestandlichen Voraussetzungen der Organschaft zu einem einzigen Organismus zusammenwachsen und in der Folge nicht mehr getrennt, sondern als Einheit besteuert werden. Da die Gesellschaften jedoch ihre bürgerlich-rechtliche Rechtsfähigkeit behalten, handelt es sich zwangsläufig um eine fiktive, auf dem Grundsatz wirtschaftlicher Betrachtungsweise basierende Annahme eines Einheitsunternehmens.113 Die Steuergesetze durchbrechen an dieser Stelle die zivilrechtlichen Ordnungsstrukturen, an die sie sonst regelmäßig anknüpfen.114 Bei aller Berücksichtigung des Wirtschaftlich-Faktischen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch die Besteuerung des Unternehmensverbundes verfassungsrechtlich an den Grundsatz steuerlicher Lastengleichheit gebunden ist.115 Den Organkreis einerseits entsprechend der Einheitstheorie als Einheitsunternehmen, andererseits den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Belastungsgleichheit entsprechend zu besteuern, bedeutet konkret, dem Unternehmensverbund in seiner Gesamtheit die gleiche Steuerlast aufzuerlegen, wie sie (bei identischem Sachverhalt) dem „gewöhnlichen“ Einheitsunternehmen ohne zivilrechtlich verselbständigten Unternehmensteil auferlegt werden würde.116 Vergleichsmaßstab in der Frage der gleichheitsgerechten Besteuerung des Organkreises im Sinne der Einheitstheorie ist folglich die Besteuerung des zivil- und steuerrechtlich einheitlichen Unternehmens (ggf. bei Unterhaltung mehrerer Betriebsstätten). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es hinsichtlich der Besteuerung letztlich keinen Unterschied machen darf, ob der Unternehmer sein Unternehmen unter Einsatz diverser Betriebsstätten, BetriebsabRFH, Urteil vom 6.5.1942 – VI 210 / 41 –, RStBl. 1942, 858 (858 f.). Vgl. zur Einheitstheorie: Karl-Hans Garke, Die Organtheorie im Steuerrecht, S. 41 m.w. N.; Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 25; Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 4 und Rz. 28 ff.; Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (21); Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 4; weitergehend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, der anstelle der gegenwärtigen körperschaftsteuerlichen Organschaft ein Konzernbesteuerungssystem nach der Doktrin der Einheitstheorie vorstellt. 113 Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 173. 114 Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 408. 115 Instruktiv zum Zusammenspiel von Besteuerungsgleichheit und wirtschaftlicher Betrachtungsweise: Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1648: „Die wirtschaftliche Betrachtungsweise dient der gleichmäßigen Erfassung gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und dient damit dem Gleichheitssatz.“ 116 Ausführlich zur Besteuerungsgleichheit in Ansehung der Einheitstheorie: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 407 ff. 111

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teilungen oder untergeordneter, bürgerlich-rechtlich verselbständigter Gesellschaften organisiert.117 Insofern handelt es sich beim Rechtsinstitut der Organschaft – ausgestaltet nach den Vorgaben der Einheitstheorie – nicht um eine Steuervergünstigung für verbundene Unternehmen, sondern um eine gleichheitsgerechte Besteuerung einer qualifizierten Unternehmenseinheit, mit der „wettbewerbs- und entscheidungsverzerrende Wirkungen der Besteuerung unternehmerischer Tätigkeit vermieden werden“118.119 Die Einheitstheorie als solche bietet ein in sich geschlossenes, den steuerlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen genügendes organtheoretisches Konzept sachgerechter Konzernbesteuerung.120

b) Die Rechtslage im Körperschaftsteuerrecht zur Zeit der Kodifikation der Organschaftstatbestände im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht Die körperschaftsteuerliche Organschaft war bis zu ihrer Kodifikation im Jahre 1969121 ein Produkt höchstrichterlicher Rechtsprechung.122 Bis zu diesem Zeitpunkt mussten Aussagen zur aktuellen Rechtslage zwangsläufig den einzelnen Entscheidungen des Reichs- bzw. des Bundesfinanzhofes entnommen werden, wobei die Entwicklung der körperschaftsteuerlichen Organschaft durch die Gerichte lange Zeit nicht abgeschlossen schien.123 Besondere Bedeutung für die vorliegend interessierende Rechtslage Mitte der 30er Jahre (also zur Zeit der Normierung des § 114 RAO sowie des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG), aber auch für die weitere Entwicklung der körperschaftsteuerlichen Organschaft im Allgemeinen, kam dem Gutachten des Reichsfinanzhofes vom 26.7.1932124 sowie den Urteilen vom 18.2.1933125 und vom 22.1.1935126 zu.127 Darin nahm der Reichsfi117 Vgl. Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 407 f., der insoweit von „rechtsformunabhängiger Besteuerung“ spricht. 118 Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 4. 119 Zum Ganzen: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 4 und S. 407 ff. 120 Werner Jurkat, Die Organtheorie im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 28. 121 Die körperschaftsteuerliche Organschaft wurde mit Erlass des § 7a KStG im Jahre 1969 kodifiziert. Vgl. BGBl. I 1969, 1182 (1182 f.); BStBl. I 1969, 471 (471 f.). 122 Die Entwicklungslinien durch die Rechtsprechung nachzeichnend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 163 ff.; Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 114 ff. 123 Vgl. etwa Enno Becker, StuW 1939, 1 (30 f.), der der damaligen Rechtsprechung zur körperschaftsteuerlichen Organschaft bereits eine Tendenz zur Entwicklung in Richtung Einheitstheorie entnehmen wollte. Umfassend zur teilweise wechselhaften Entwicklung der körperschaftsteuerlichen Organschaft: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 114 ff.; Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 163 ff. 124 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 ff. 125 RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 ff. 126 RFH, Urteil vom 22.1.1935 – I A 401 / 32 –, RStBl. 1935, 517 ff.

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nanzhof umfassend zum Rechtsinstitut der körperschaftsteuerlichen Organschaft Stellung und begründete in diesem Zuge eine Rechtsauffassung, die in den folgenden Jahrzehnten zur Grundlage der Organschaft im Körperschaftsteuerrecht wurde. aa) Tatbestand und Rechtsfolge der körperschaftsteuerlichen Organschaft Mangels kodifiziertem Organschaftstatbestand berief sich der Reichsfinanzhof in der Frage der Rechtsgrundlage der körperschaftsteuerlichen Organschaft auf § 9 RAO 1919 (bzw. den späteren § 1 Abs. 2 StAnpG), der formell-gesetzlichen Grundlage des Grundsatzes wirtschaftlicher Betrachtungsweise.128 Die Anforderungen an die organschaftliche Eingliederung einer Gesellschaft in ein fremdes Unternehmen formulierte das Gericht in Übereinstimmung mit den tatbestandlichen Voraussetzungen der Organschaft im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht. So sollte auch im Körperschaftsteuerrecht ein Organverhältnis vorliegen, „wenn das abhängige Unternehmen finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das beherrschende Unternehmen, etwa nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung, eingeordnet“129 war. Bestand nun eine derartige Eingliederung der Untergesellschaft in das herrschende Unternehmen, bedeutete dies nach Ansicht des Reichsfinanzhofes jedoch nicht zwingend den Eintritt steuerlicher Folgewirkungen für den Organkreis:130 Erfüllt eine rechtlich selbständige Gesellschaft alle Voraussetzungen, um sie als Organ anzuerkennen (mithin die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung), bleibe sie doch subjektiv steuerpflichtig und sie könne auch eigenes Einkommen beziehen, so der Reichsfinanzhof.131 Sodann hänge es von der Vereinbarung zwischen Dienstherrn und Angestelltem oder von den für den Angestellten bindenden Weisungen des Dienstherrn ab, ob der Angestellte (das Organ)132 Einkommen besitze.133 Eine Zurechnung des von der Organgesellschaft erwirtschafteten Einkommens könne erst erfolgen, wenn das Organ seinen Gewinn entsprechend einer getroffenen Vereinbarung zwischen den Unternehmen an den Organträger abzuführen habe.134 Damit formulierte der Reichsfinanzhof eine zusätzliche, im Um127 So auch: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 117; ebenfalls auf diese Judikatur rekurrierend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 164 ff. 128 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137). 129 Wörtlich: RFH, Urteil vom 22.1.1935 – I A 401 / 32 –, RStBl. 1935, 517 (521); weitgehend identisch bereits: RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137). 130 Bereits zur damaligen Zeit rezipierend: Hans-G. Schultze-Schlutius, DStZ 1936, 1347 (1353). 131 Wie folgt: RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648). 132 Diese Passagen des Urteils verdeutlichen, dass der Reichsfinanzhof die Angestelltentheorie im Körperschaftsteuerrecht nicht explizit verwarf, sondern die Angestelltentheorie mit der Zeit in der Zurechnungstheorie aufging (vgl. bereits oben: B. II. 2.). 133 RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648). 134 RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648).

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satz- und Gewerbesteuerrecht unbekannte tatbestandliche Voraussetzung der körperschaftsteuerlichen Organschaft: Das Bestehen einer Ergebnisausschlussvereinbarung zwischen Organgesellschaft und Organträger.135 Erst beim Vorliegen einer solchen Vereinbarung, aufgrund derer die Organgesellschaft verpflichtet wurde, einen eventuellen Gewinn gegen Übernahme der bei ihr möglicherweise entstehenden Verluste an den Organträger abzuführen, konnte dem Organträger das Ergebnis der Organgesellschaft steuerlich zugerechnet werden. Folglich konnte eine Verrechnung der Erträge und damit die Bildung eines Gesamteinkommens des Organkreises nur bei tatsächlicher Gewinnabführung bzw. Verlustübernahme erfolgen.136 Weiterhin betonte der Reichsfinanzhof, dass sich das Wesen der Organschaft im Körperschaftsteuerrecht in dieser Gewinnzurechnung und -verrechnung erschöpfe.137 Weitere Rechtswirkungen, etwa der Verlust der Steuersubjekteigenschaft der Organgesellschaft, sprach der Reichsfinanzhof der körperschaftsteuerlichen Organschaft ab. bb) Die Ablehnung der Einheitstheorie im Körperschaftsteuerrecht Die gerichtlichen Erwägungen belegen, dass der Reichsfinanzhof im Körperschaftsteuerrecht ein anderes organtheoretisches Konzept verfolgte, als im Umsatzund Gewerbesteuerrecht.138 Insbesondere sah man sich seitens des Gerichts nicht gehalten, die Organschaft (steuer-)gesetzübergreifend als einheitliches Rechtsinstitut zu behandeln. Derartigen Überlegungen trat der Reichsfinanzhof mit der Argumentation entgegen, der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der verschiedenen Steuergesetze seien keinesfalls gleich, weshalb sich die Organtheorie auf den Gebieten der verschiedenen Steuergesetze verschieden auswirken könne.139 Namentlich seien etwa Erwägungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft (die ihrerseits unbestrittenermaßen der Einheitstheorie verschrieben war) nicht ohne weiteres auf die körperschaftsteuerliche Organschaft übertragbar.140 Die Frage, wie weit die wirt135 Zunächst ließ der Reichsfinanzhof auch eine einseitige Weisung der Obergesellschaft anstelle einer Vereinbarung bzw. eines Vertrages zur Begründung der Organschaft ausreichen. Vgl. RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648). In der Folgezeit wurde dies allerdings verworfen und einzig die Ergebnisausschlussvereinbarung (also der Gewinnabführungsvertrag) als Grundlage der körperschaftsteuerlichen Organschaft anerkannt. Dazu noch unten: E. I. 4. c). 136 Zum Ganzen auch: Hans-G. Schultze-Schlutius, Die Organtheorie, S. 50 f.; ebenfalls: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 15. 137 RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648). 138 Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (130); dies verdeutlicht auch die folgende Entscheidung: RFH, Urteil vom 12.12.1939 – I 205 / 38 –, RStBl. 1940, 29 (30), in der der Reichsfinanzhof das Erfordernis eines Ergebnisabführungsvertrages für die gewerbesteuerliche Organschaft explizit ablehnt. 139 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137). 140 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137).

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

schaftliche Abhängigkeit einer rechtlich selbständigen Gesellschaft im Körperschaftsteuerrecht reichen soll, müsse deshalb allein anhand der Maßgaben des Körperschaftsteuerrechts beantwortet werden. Im Folgenden nahm der Reichsfinanzhof explizit auf die verschiedenen Organtheorien Bezug, erwog dabei auch die Anwendung der Einheitstheorie.141 Letztlich sah das Gericht jedoch als ausschlaggebend an, dass das Zivilrecht echte Forderungen und Schulden zwischen den juristisch selbständigen Gesellschaften eines Organverhältnisses anerkennt, was für das Steuerrecht bedeute, dass es dem zu folgen habe, es sei denn, der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung des Körperschaftsteuergesetzes nötigten zwingend zu einer anderen Auffassung.142 „Ein solcher Zwang“, so der Reichsfinanzhof wörtlich, „kann nicht festgestellt werden.“143 Denn wenn die Organtheorie vorzugsweise dazu dienen solle, dem Gedanken, dass das Einkommen ein wirtschaftlicher Begriff ist, steuerliche Wirkung zu verschaffen, so brauche sie nicht unbedingt den rechtlichen Charakter aller Geschäfte zwischen Ober- und Untergesellschaft für das Steuerrecht umzuändern.144 Vielmehr seien die zwischen Organträger und Organgesellschaft tatsächlich bestehenden Forderungen und Schulden körperschaftsteuerlich zu berücksichtigen und Organträger und Organgesellschaft seien – obwohl organschaftlich verbunden – weiterhin wie getrennte Wirtschaftssubjekte anzusehen.145 Das aber musste schlussendlich bedeuten, dass der Einheitsgedanke, der die Nichtsteuerbarkeit aller organkreisinternen Geschäfte zur Folge hat, im Körperschaftsteuerrecht abgelehnt wird. Trotz teilweise kritischer Äußerungen von Seiten der Literatur146 ließ der Reichsfinanzhof in den folgenden Entscheidungen keine Zweifel an seiner ablehnenden Haltung gegenüber der Einheitstheorie im Körperschaftsteuerrecht aufkommen.147 Man akzeptierte die dualistische Organschaftssystematik der Einzelsteuergesetze und entwickelte die jeweiligen Strukturen nunmehr unabhängig voneinander fort.

c) Zwischenfazit Noch vor der erstmaligen Kodifikation der Organschaft verwarf der Reichsfinanzhof das Bild eines steuergesetzübergreifenden einheitlichen Rechtsinstituts. Je nach Steuerart zog man aus dem Postulat der wirtschaftlichen Betrachtungsweise RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137 f.). RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (138). 143 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (138). 144 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31 III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (138). 145 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31 III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (140). 146 Beispielhaft etwa: Enno Becker, StuW 1939, 1 (29 ff.). 147 So etwa: RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648), mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die Ausführungen aus dem Gutachten des ersten und dritten Senats vom 26.7.1932; RFH, Urteil vom 12.12.1939 – I 205 / 38 –, RStBl. 1940, 29 (30). 141 142

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unterschiedliche Schlüsse und interpretierte damit das Wesen der Organschaft von Steuergesetz zu Steuergesetz unterschiedlich. Das führte dazu, dass sich die umsatzsteuerliche und die gewerbesteuerliche Organschaft einerseits und die körperschaftsteuerliche Organschaft andererseits parallel und doch unabhängig voneinander entwickelten. Bereits der Reichsfinanzhof verfolgte auf diesen Gebieten zwei unterschiedliche organtheoretische Konzeptionen, die zwar – abgesehen von dem Erfordernis des Gewinnabführungsvertrages bzw. der einseitigen Weisung des Organträgers – eine gleichlautende Formulierung tatbestandlicher Voraussetzungen der organschaftlichen Eingliederung zuließen, in ihren rechtlichen Wirkungen jedoch differierten. Die Entscheidung für die Kodifikation der Organschaft bedeutete für den Gesetzgeber zugleich die Entscheidung für ein solches organtheoretisches System, dem die neu erlassenen Normen folgen sollen. Die Rechtsprechung jener Zeit befürwortete für die umsatz- und die gewerbesteuerliche Organschaft den Ansatz der Einheitstheorie, den sie für die körperschaftsteuerliche Organschaft allerdings explizit ablehnte. Als der Gesetzgeber in den Jahren 1934 und 1936 erstmals eine formellgesetzliche Grundlage der Organschaft schuf, orientierte er sich an der Rechtsprechung und übernahm die wesentlichen Aussagen des Reichsfinanzhofes beinahe wortgleich im Gesetzestext. Er beschränkte sich allerdings auf die Normierung der Tatbestände im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht, also auf die Tatbestände derjenigen Steuergesetze, in denen die Organschaft der Einheitstheorie verschrieben war. Die körperschaftsteuerliche Organschaft wurde dagegen nicht kodifiziert. Daraus wird deutlich, dass die gesetzgeberische Tätigkeit dieser Zeit von der Idee der konzeptionellen Umsetzung der Einheitstheorie beherrscht war. Für den Gesetzgeber galt es also, die Doktrin der Einheitstheorie normativ umzusetzen, mithin die rechtlichen Grundlagen zur Besteuerung des „Wirtschaftsgebildes Organkreis“ gleich einem Einheitsunternehmen zu schaffen. Zentrale Bedeutung hatten hierbei ohne Zweifel die materiell-rechtlichen Organschaftstatbestände aus dem Umsatz- und Gewerbesteuerrecht, deren Rechtsfolge die Vereinheitlichung der Unternehmungen durch die Eingliederung der Organgesellschaft in das Organträgerunternehmen war. Ob auch § § 114 RAO eine Bedeutung bei der Umsetzung der Einheitstheorie zukam, wird im Folgenden zu untersuchen sein. 2. Die Haftung der Organgesellschaft nach § 114 RAO § 114 RAO 1936: Ist eine Rechtsperson (eine juristische Person) dem Willen eines anderen Unternehmens (dem Willen eines Unternehmers) derart untergeordnet, daß sie keinen eigenen Willen hat, so haftet sie für diejenigen Steuern des beherrschenden Unternehmens (Unternehmers), bei denen die Steuerpflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens gründet.148

148 § 114 RAO, eingefügt durch § 28 RealStEinfG vom 1.12.1936, RGBl. I 1936, 961 (968); RStBl. 1936, 1137 (1142).

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

Obwohl ein einheitliches Rechtsinstitut der Organschaft nicht existierte, entschloss sich der Gesetzgeber im Zuge der Realsteuerreform 1936, den bereits bestehenden Katalog von allgemeinen Haftungstatbeständen der Reichsabgabenordnung um die Norm des § 114 RAO zu erweitern.149 Als materieller Haftungstatbestand knüpfte § 114 RAO an die bereits bestehenden verfahrensrechtlichen Regelungen der Reichsabgabenordnung zur steuerlichen Haftung an. Es mussten daher neben § 114 RAO keine weiteren Vorschriften erlassen werden, um die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft zu ermöglichen.

a) Tatbestand und Rechtsfolge des § 114 RAO § 114 RAO war in Tatbestand und Rechtsfolge als typische Haftungsvorschrift konzipiert: Ein Dritter – die Organgesellschaft – sollte bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Steuerschuld eines anderen – des Organträgers – einstehen. aa) Der Tatbestand des § 114 RAO Tatbestandliche Voraussetzung der Haftung nach § 114 RAO war ein bestehendes Organschaftsverhältnis zwischen der in Anspruch zu nehmenden juristischen Person und einem fremden Unternehmen bzw. Unternehmer. Weitere Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme normierte § 114 RAO nicht. Die organschaftliche Verbindung allein wirkte haftungsbegründend; die Organschaft an sich war Haftungsgrund des § 114 RAO.150 Ein haftungsbegründendes Organschaftsverhältnis im Sinne des § 114 RAO sollte bestehen, wenn eine juristische Person dem Willen eines anderen Unternehmens bzw. Unternehmers derart untergeordnet ist, dass sie keinen eigenen Willen hat. Ein Vergleich zur Rechtslage im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht belegt, dass die Haftungsvorschrift beinahe gleichlautend zu diesen materiell-rechtlichen Organschaftsregelungen formuliert wurde.151 § 114 RAO griff diese Vorschriften sogar tatbestandlich auf, indem die Vorschrift einerseits auf den Unternehmensbegriff des Gewerbesteuerrechts, andererseits auf den Unternehmerbegriff des Umsatzsteuerrechts rekurrierte. Aufgrund dieser Interdependenz zog man gemeinhin den Schluss, dass die normativen Merkmale aller kodifizierten Organschaftsregelungen identisch zu interpretieren seien.152 Insbesondere kenne § 114 RAO keinen eigenen Organ-

149 Einen umfassenden Überblick über diese Tatbestände bietet: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 34. 150 Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 2. 151 Ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269).

III. Die Rechtslage bei erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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schaftsbegriff.153 Konkret bedeutete dies für die Auslegung der Vorschrift, dass § 114 RAO – obwohl nicht ausdrücklich normiert – ebenfalls die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft in das Organträgerunternehmen voraussetzte.154 Ausgehend von dieser These des identischen Organschaftsverständnisses warf Jurkat die Frage auf, inwieweit die Interpretation des Wortlautes der Haftungsnorm von der fortschreitenden Entwicklung der Organschaft in den Einzelsteuergesetzen beeinflusst sein würde.155 So galt es für ihn insbesondere zu diskutieren, wie zu verfahren wäre, wenn die Organschaftsvoraussetzungen in den Einzelsteuergesetzen verschieden zu beurteilen sind. Bei rückblickender Betrachtung zeigt sich, dass diese Fragestellung bei Leibe nicht hypothetischer Natur war, denn die Entwicklung des Rechtsinstituts war nach der Kodifikation nicht abgeschlossen.156 Jurkat nahm sich des Problems an und stellte in überzeugender Weise klar, „daß die Organschaftshaftung in vollem Umfange der Beurteilung der Organschaft im Einzelsteuergesetz folgen“157 müsse. Die Haftung dürfe – auch bei abweichenden Interpretationen – nur dort eingreifen, wo nach den Vorschriften der Einzelsteuergesetze auch tatsächlich Organschaft besteht.158 „Für eine haftungsmäßige Inanspruchnahme für Steuern, bei denen im Einzelsteuerrecht keine Organschaft besteht, fehl[e] jede sachliche Berechtigung.“159 Im Kern forderte Jurkat folglich die – sachlich und rechtlich zwingende – Anpassungsfähigkeit des Tatbestandes des § 114 RAO, die Voraussetzung für eine Transformation der Entwicklungen aus den Einzelsteuergesetzen in den Haftungstatbestand war. Durch diese wäre ein gleichlautendes Verständnis der Organschaftsbegriffe gesichert und einer möglichen Haftung trotz Fehlens organschaftlicher Eingliederung nach dem jeweiligen Einzelsteuergesetz vorgesorgt. Damit verdeutlichte Jurkat die Wechselwirkungen zwischen den materiellen Organschaftstatbeständen und der Haftungsinanspruchnahme, die bereits angesichts 152 Mit ausführlicher Erörterung: Werner Jurkat, BB 1964, 467 (467); vgl. auch: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 2. 153 Werner Jurkat, BB 1964, 467 (467). 154 Vgl. Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 2; Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Rz. 1; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.1985 – I 174 / 81 –, EFG 1985, 533 (533). 155 Werner Jurkat, BB 1964, 467 (467). 156 Vgl. etwa für die Gewerbesteuer: BFH, Urteil vom 25.6.1957 – I 119 / 56 U –, BStBl. III 1957, 303 ff. in Abweichung zur umsatzsteuerlichen Behandlung in BFH, Urteil vom 26.2.1959 – V 209 / 56 U –, BStBl. III 1959, 204 (206); überdies zur Gewerbesteuer: BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330). 157 Werner Jurkat, BB 1964, 467 (467). 158 So wohl auch: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 2. 159 Werner Jurkat, BB 1964, 467 (468).

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

des zeitlichen Zusammenhangs der Kodifikation vermutet wurden. Bereits der Tatbestand des § 114 RAO stand in ständiger Abhängigkeit zur Interpretation der Organschaftsvorschriften der Einzelsteuergesetze. Ebenso wie der Organschaftsbegriff bei Erlass des § 114 RAO dem Einzelsteuerrecht entlehnt war, musste sich diese Kongruenz der Vorschriften bei fortschreitender Entwicklungen uno actu erneuern. Ein fortschreitendes Organschaftsverständnis im materiellen Recht hätte dementsprechend stets in Ansehung der Haftungsvorschrift reflektiert werden müssen. bb) Die Rechtsfolge des § 114 RAO Waren die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 114 RAO erfüllt, haftete die Organgesellschaft für diejenigen Steuern des beherrschenden Unternehmens bzw. Unternehmers, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründete. Der gesetzliche Regelfall des § 114 RAO sah folglich eine Haftung der Organgesellschaft mit ihrem gesamten Vermögen vor. Mit diesem sollte sie für die gesamte Betriebssteuerschuld des Organträgers einstehen. Eine Haftungsbeschränkung, etwa auf die Verursachungsbeiträge der jeweiligen Organgesellschaften, normierte § 114 RAO nicht. Allerdings wurde die Haftung sachlich auf die sog. Betriebssteuern des Organträgers beschränkt.160

b) Das Bekenntnis des § 114 RAO zur Einheitstheorie Schon der zeitliche Zusammenhang der Kodifikation des § 114 RAO mit derjenigen der materiell-rechtlichen Organschaftsregelungen belegt, dass die Haftungsvorschrift in enger Verbindung zu den normierten Regeln aus dem Umsatz- und Gewerbesteuerrecht stand.161 Dies galt ausweislich der obigen Ausführungen zum Tatbestand des § 114 RAO auch für die Interpretation der Norm an sich.162 Wie bereits erörtert, waren diese materiellen Organschaftsregeln – im Gegensatz zum körperschaftsteuerlichen Organschaftsverständnis – allesamt der Doktrin der Einheitstheorie verschrieben, die in ihrer Gesamtheit die Besteuerung verbundener Gesellschaften als einheitliches Unternehmen verfolgte. Angesichts der aufgezeigten Zusammenhänge drängt sich die Frage auf, ob auch § 114 RAO – in Interdependenz mit den Regelungen aus dem Umsatz- und Gewerbesteuerrecht – ein Teilakt der gesetzgeberischen Umsetzung der Einheitstheorie war. Ob § 114 RAO also dazu diente, die auf der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beruhende Fiktion des 160 Zum Begriff der Betriebssteuern: Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen, S. 245; Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 1. 161 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269). 162 Vgl. oben: B. III. 2. a) aa).

III. Die Rechtslage bei erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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Einheitsunternehmens normativ umzusetzen und eine Besteuerung der Gesellschaften als Einheit zu gewährleisten. Da sich die Vorschrift weder explizit für, noch gegen eine Organtheorie ausspricht, soll ihre inhaltliche Ausgestaltung auf eine mögliche Prägung durch die einheitstheoretische Konzeption untersucht werden.163 Indiz für einen übereinstimmenden organtheoretischen Ansatz ist sicherlich die in allen Vorschriften gleichlautende und identisch zu interpretierende Organschaftsdefinition.164 Insbesondere rekurriert § 114 RAO nicht auf die vom Reichsfinanzhof für die körperschaftsteuerliche Organschaft zusätzlich geforderte Ergebnisausschlussvereinbarung, bezieht sich also bereits tatbestandlich nicht auf die körperschaftsteuerliche Organschaft. Dies erkannte wohl auch Jurkat, der erkennbar unter Bezugnahme auf die Einheitstheorie ausführte: „Es wäre sinnwidrig, wenn für das Gebiet der Abgabenordnung von einem steuerlich einheitlichen Unternehmen im Sinne eines eigenen Organschaftsbegriffes ausgegangen würde, in den Einzelsteuergesetzen dagegen von einer Mehrheit von Unternehmen und umgekehrt. Gerade die Übereinstimmung der Organschaftsdefinitionen des Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerrechts zwingt zu der Annahme, daß der gewerbesteuer- und umsatzsteuerlichen Vereinheitlichung von Mutter- und Tochtergesellschaft die haftungsmäßige Vereinheitlichung folgt.“165 Ein weiteres gewichtiges Indiz für den Einfluss der Einheitstheorie auf die normative Ausgestaltung der Haftungsvorschrift ergibt sich aus dem Haftungsumfang: Dieser sieht die vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft für die im Organkreis angefallene Steuerschuld vor, zieht also eine Haftungsbeschränkung der Höhe nach, etwa auf die von der Organgesellschaft verursachten Steuerschulden, nicht in Betracht.166 Diese umfassende Haftung erscheint angesichts des Verständnisses, dass die Steuerschuld letztlich eine Schuld des einheitlichen Organkreises darstellt und die Organgesellschaft lediglich unselbständiger Teil desselben ist, auch konsequent.167 Das wirtschaftlich einheitliche Unternehmen ist für eine einheitliche Steuerschuld in Anspruch zu nehmen.168 Insofern war „[d]ie Annahme einer der 163 Mit gleichem Ansatz: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (268 ff.). 164 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269). 165 Werner Jurkat, BB 1964, 467 (467). Unter Berufung auf die Ausführungen Jurkats ebenfalls: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269). 166 So auch: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269). 167 Vgl.: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269 f.). ähnlich hierzu auch: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, § 114 A 1: „Die Haftung der Organgesellschaft für die gesamten Betriebssteuern des übergeordneten Unternehmens gründet sich darauf, daß die Steuerschulden der Obergesellschaft im Grunde die Steuerschulden des (steuerlich) einheitlichen Unternehmens sind.“

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Höhe nach unbeschränkten Haftung des Organs (…) die konsequente Umsetzung des bestehenden theoretischen Ansatzes eines steuerlich einheitlichen Unternehmens.“169 Endlich musste der Gedanke der Aufteilung der Steuerschuld auf die verschiedenen Verursachungsbeiträge der Doktrin der Einheitstheorie sogar zwangsläufig fremd sein, ja bei konsequenter Umsetzung der Einheitstheorie kaum möglich erscheinen, sollte doch eine separate Erfassung der Erträge auf den Gesellschaftsebenen nicht stattfinden. Darüber hinaus wurde die enge Bindung des § 114 RAO an das umsatzsteuerliche und gewerbesteuerliche Organschaftsverständnis nochmals im Normtext selbst fixiert, indem man den Haftungsumfang – im Bewusstsein um die Existenz des Rechtsinstituts der körperschaftsteuerlichen Organschaft – auf „Betriebssteuern“ beschränkte.170 Hierunter verstand man alle Steuern, die sich auf den Betrieb des Unternehmens gründeten, was insbesondere auf die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer zutreffen sollte.171 Die Körperschaftsteuer wurde als Personalsteuer hingegen nicht von der Haftung umfasst und damit eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die Körperschaftsteuerschuld des Organträgers explizit ausgeschlossen.172 Obwohl als allgemeine Haftungsvorschrift erlassen, sollte § 114 RAO mithin nicht auf jedwedes Organschaftsverhältnis des materiellen Rechts anwendbar sein. Bei der körperschaftsteuerlichen Organschaft, die anders als die umsatz- und gewerbesteuerliche Organschaft weder kodifiziert war noch der Einheitstheorie folgte, war keine Haftung der Organgesellschaft vorgesehen. Es ist deshalb zu konstatieren, dass § 114 RAO dem gleichen Organschaftskonzept folgte wie die materiell-rechtlichen Regelungen aus dem Umsatz- und Gewerbesteuerrecht: Der Einheitstheorie.173 Mit dem Erlass dieser Regelungen in den Jahren 1934 und 1936 wurde offensichtlich das Ziel verfolgt, diese Organtheorie umzusetzen.

168 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 67; hierauf Bezug nehmend: Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 470. 169 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (270). 170 In diesem Zusammenhang hierauf ebenfalls rekurrierend: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269). 171 Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 A 2 mit Verweis auf § 116 A 7; Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen, S. 245; Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 1. 172 Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 1. 173 Ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (269 f.).

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c) Funktion und Rechtfertigung des § 114 RAO im System der Einheitstheorie Es stellt sich nun die Frage, welche Funktion § 114 RAO bei der gesetzgeberischen Umsetzung der Einheitstheorie zukam und wie eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Haftende für die gesamte Steuerschuld des Organkreises, neben der Inanspruchnahme des Organträgers als Steuerschuldner, zu rechtfertigen war. In der Gesetzesbegründung zur Realsteuerreform 1936174 wird zu den Fragen nach Sinn und Zweck sowie Rechtfertigung des § 114 RAO nicht Stellung genommen. Reinhardt erklärt in seinen Erläuterungen zur Realsteuerrefom175 allerdings knapp, dass die persönliche Steuerpflicht im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht nicht die Organgesellschaft, sondern den sie beherrschenden Unternehmer treffe. Es müsse aber für die Steuerbehörde möglich sein, sich wegen gewisser Steuern auch an die Organgesellschaft zu halten.176 An diese spärlichen Äußerungen anknüpfend beantwortet die Kommentarliteratur die Frage nach Sinn und Zweck des § 114 RAO wie folgt: Es wird dargetan, die Haftung der Organgesellschaft für die Betriebssteuerschulden des Organträgers gründe sich darauf, dass die Steuerschulden des Organträgers im Grunde Steuerschulden des einheitlichen Unternehmens seien.177 Da die Organgesellschaft als Teil desselben die Steuerschulden durch ihre Tätigkeit jedenfalls mitverursacht habe, sei es im Gegenzug gerechtfertigt, sie für diese haftbar zu machen.178 Auf diese Weise werde „der Umweg vermieden, dass die Anteile des übergeordneten Unternehmens an dem Untergeordneten gepfändet werden müssen“179. Diese Begründung reduzierte Hannes180 auf zwei Ordnungsprinzipien; das Verursachungsprinzip und das ökonomische Prinzip. Anhand dieser versuchte er die Rechtfertigung des § 114 RAO aufzuzeigen. Er war der Meinung, angesichts der dargelegten Begründung sei die Haftung des Organs zunächst und in erster Linie auf das gleiche Prinzip zurückzuführen, aus dem auch die Steuerschuldnerschaft des Organträgers begründet werde. Der Organträger sei Steuerschuldner, weil er für die Entstehung der Steuerschuld ursächlich sei, weil er den Tatbestand eines Steuergesetzes erfülle, bei dem die Steuerpflicht sich auf den Betrieb des Unternehmens

RStBl. 1937, 689 ff. Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen. 176 Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen, S. 243 f. 177 Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, § 114 A 1; Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 Anm. 2. 178 Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 Anm. 2. 179 Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 Anm. 2. 180 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 67 ff. 174 175

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gründe.181 Gleiches gelte für die Organgesellschaft, denn aus der Erwägung, dass sich der Organkreis als wirtschaftlich einheitliches Unternehmen darstelle, folge, dass Organgesellschaft und Organträger gemeinsam Verursacher der Steuerschuld des Organträgers seien. Sei die Organgesellschaft aber in gleichem Maße Verursacher der Steuerschuld wie der Organträger, dann beruhe auch deren Inanspruchnahme auf dem gleichen Prinzip wie die Inanspruchnahme des Organträgers – dem Prinzip der Steuerverursachung. Dieses sei daher Ordnungsprinzip der Haftung nach § 114 RAO. Außerdem, so Hannes weiter, rechtfertige sich die Vorschrift des § 114 RAO aufgrund ihrer Funktion als Vereinfachungsnorm, deren maßgeblicher Einfluss auf verfahrensrechtlicher Ebene liege.182 „Rein bürgerlich-rechtlich handel[e] es sich bei Organ und Organträger um zwei voneinander unabhängige, selbständige Rechtspersonen mit getrennten steuerlichen Pflichten. Für die Steuerschulden des Organträgers würden nur seine Anteile am Organ dinglich haften, sie müssten – gäbe es § 114 RAO nicht – gepfändet werden.“183 Der umständliche Weg der Pfändung und Verwertung der Gesellschaftsrechte bleibe dem Steuergläubiger jedoch aufgrund der Existenz des § 114 RAO erspart, weshalb die Norm (auch) von ökonomischen und damit verfahrensrechtlichen Erwägungen getragen werde.184 In Ansehung dieser Prinzipien und in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Rechtfertigungsansatz zog Hannes den Schluss, dass die Haftung der Organgesellschaft für die gesamten Betriebssteuerschulden des Organträgers sachgerecht und damit sachlich und umfänglich gerechtfertigt sei. Schließlich sei die Steuerschuld, für die gehaftet werde, „eigentlich – rein von der wirtschaftlichen Funktion und Wirkung her betrachtet – die Steuerschuld des im Verbund der Organschaft einheitlichen Unternehmens“185. Folglich werde der Organgesellschaft durch die Haftungsinanspruchnahme keine zusätzliche, unangemessene Belastung auferlegt.186

d) Kritik an den vorgebrachten Rechtfertigungsüberlegungen Die Vorschrift des § 114 RAO war im Vergleich zum heutigen § 73 AO nur vereinzelter Kritik ausgesetzt. Skepsis äußerten lediglich einzelne Vertreter der LiteraHans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 67 f. Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 68; ebenso: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 11 m.w. N.; Gerd L. Orlopp, StberKongrR 1977, 227 (233); Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 Anm. 2. 183 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 68; ebenso: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 Anm. 2. 184 Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 Anm. 2; Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 68. 185 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 68 f. 186 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 69. 181 182

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tur,187 die ihrerseits oftmals ungehört blieben. Eine mit dem heutigen Diskurs vergleichbare Auseinandersetzung um die Angemessenheit des Haftungsumfanges bestand nicht. Dass diese Zurückhaltung ein Ausdruck der Akzeptanz oder gar der Einmütigkeit bezüglich der Rechtfertigung der Haftungsnorm war, ist jedoch in Zweifel zu ziehen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des § 114 RAO war nämlich im Allgemeinen weitestgehend von Zurückhaltung geprägt.188 Sonnenschein189 beschäftigte sich, wie zuvor Hannes, mit dem in der Kommentarliteratur vorherrschenden Rechtfertigungsansatz zu § 114 RAO. Er hielt es allerdings – entgegen Hannes – für nicht überzeugend, dass die Organgesellschaft allein aufgrund der wirtschaftlichen Einheit für die gesamten Gewerbe- bzw. Umsatzsteuerschulden des Organkreises haften soll, obwohl sie lediglich einen Teil des Gesamtertrags beigesteuert habe.190 Gegenteilig kam er zu dem Schluss, die umfängliche Haftung der Organgesellschaft für die gesamte Betriebssteuerschuld sei weniger Ausdruck der Lehre vom einheitlichen Unternehmen, als vielmehr „allein aus einem übersteigerten Sicherungsbedürfnis des Staates für seine Steuerforderungen“191 erklärbar. Dieses allein könne jedoch die Inanspruchnahme der Organgesellschaft hinsichtlich der im Unternehmen des Organträgers angefallenen Steuerschulden nicht rechtfertigen. Deshalb soll die Organgesellschaft seines Erachtens „höchstens anteilig für die rechnerisch auf sie selbst entfallende Steuer“192 haften. Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die gesamte Steuerschuld des Organträgers sei dagegen in jedem Fall zu weitgehend.

e) Analyse der Funktion und der Rechtfertigung des § 114 RAO Ausweislich der Ausführungen von Hannes und Sonnenschein bestand im Ergebnis Dissens in der Frage der Angemessenheit des Haftungsumfanges des § 114 RAO. Die hierzu vertretenen Positionen wurden hinreichend klar artikuliert: Während Hannes in Übereinstimmung mit dem Gesetzeswortlaut die Haftung der Organgesellschaft für die gesamte Steuerschuld des Organkreises als gerechtfertigt bewertet, brandmarkt Sonnenschein eine derart umfängliche Haftungsinanspruchnahme als übermäßig. Er befürwortet daher entgegen dem Wortlaut des § 114 RAO eine Begrenzung der Haftung auf den Teil der Gesamtsteuerschuld, der bei fehlender organschaftlicher Eingliederung im Unternehmen der Organgesellschaft angefallen wäre. Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 470 f. So resümierte Jurkat im Jahre 1964: „Die Bestimmung über die Organschaftshaftung ist bisher nur selten Gegenstand der Judikatur oder wissenschaftlicher Abhandlungen gewesen.“ Werner Jurkat, BB 1964, 467 (467). 189 Vgl. Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht. 190 Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 471 und S. 481. 191 Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 471. 192 Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 471. 187 188

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Besondere Beachtung verdienen die Untersuchungen jedoch zuvörderst, weil die Autoren bereits in der Diskussion um die Funktion des § 114 RAO unterschiedlicher Auffassung sind. Sonnenschein führt § 114 RAO auf ein (übersteigertes) Sicherungsbedürfnis des Staates zurück, macht also die – insbesondere den Haftungsnormen eigentümliche – Sicherungsfunktion193 in der Frage der Rechtfertigung des § 114 RAO fruchtbar. In der Tat liegt diese Interpretation angesichts der inhaltlichen Ausgestaltung des § 114 RAO als „klassische“ Haftungsnorm und dessen systematischer Verortung im Katalog der Haftungsvorschriften der Reichsabgabenordnung nahe. Gleichwohl will Hannes die Vorschrift als verfahrensrechtliche Vereinfachungsnorm verstanden wissen. Die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft bezeichnet er als Ausdruck des Verursachungsprinzips. Demzufolge weichen die Autoren bereits in ihrer Ansicht über die der Vorschrift im Kern zukommende Funktion voneinander ab. In ihrer Beurteilung der Rechtfertigung des Haftungsumfanges berufen sie sich auf unterschiedliche Prinzipien, deren Tragfähigkeit sie in Ansehung des weitreichenden Haftungsumfanges bewerten. Es wird daher in der Frage nach Sinn und Zweck sowie Rechtfertigung des § 114 RAO zu untersuchen sein, welches der angeführten Prinzipien der Vorschrift tatsächlich innewohnt; das Sicherungsprinzip, das Verursachungsprinzip oder das ökonomische Prinzip? aa) Die Funktion des § 114 RAO: „Das ökonomische Prinzip“ Die These von Hannes, der maßgebliche Einfluss des § 114 RAO liege auf verfahrensrechtlicher Ebene und sein anschließender Verweis auf das sog. ökonomische Prinzip geben Anlass, einen Blick auf das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen der materiell-rechtlichen Organschaftsregeln mit den allgemeinen steuerschuld- und steuerverfahrensrechtlichen Vorschriften zu werfen. Vorweg sollte man sich nochmals die mit dem Erlass der Organschaftsregelungen verfolgte Zielsetzung vergegenwärtigen: Es bestand das Bestreben, die organschaftlich verbundenen Unternehmen entsprechend der Lehre der Einheitstheorie gleich einem einheitlichen Unternehmen zu besteuern. Für den Steuergesetzgeber galt es also, die Besteuerung eines den Steuergesetzen bis dato unbekannten, obendrein vom Zivilrecht nicht anerkannten und daher fiktiven Wirtschaftsgebildes zu normieren. Kernstück dieses Vorhabens waren ohne Zweifel die materiell-rechtlichen Organschaftsregelungen, ihres Zeichens die materiell-rechtliche Maßnahme zur Vereinheitlichung der ursprünglich selbständigen Unternehmungen. Diese materielle Vereinheitlichung war zur Umsetzung der Einheitstheorie ohne Zweifel notwendig. Aber war sie auch hinreichend? Man wird angesichts der durch die Einheitstheorie benannten Vorgaben der Besteuerung der organschaftlich verbundenen Unternehmen jedenfalls fordern müssen, dass auch das Verfahrensrecht die Vereinheitlichung der Unternehmungen akzeptiert und nötigenfalls auf die Maßgaben der materiellen Organschaftsnormen reagiert. Das Verfahrensrecht muss gewährleisten, dass das 193

Dazu oben: A. II.

III. Die Rechtslage bei erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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materiell-rechtliche Einheitsunternehmen auch steuerschuld- und steuerverfahrensrechtlich als solches behandelt und letztlich auch besteuert wird. Das Zusammenwirken dieser Teilgebiete des Steuerrechts ist zur Erreichung des durch die Einheitstheorie artikulierten Zieles der einheitlichen Besteuerung der organschaftlich verbundenen Unternehmen unerlässlich.194 (1) Der verfahrensrechtliche Konflikt: Die Diskrepanz zwischen steuerrechtlicher Einheit des Unternehmens und zivilrechtlicher Vielheit der Vermögenssphären Die Begründung der umsatzsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft bedeutete für eine Organgesellschaft den Verlust ihrer Steuersubjekteigenschaft.195 Einziges Steuersubjekt im Organkreis war fortan der Organträger, in dessen Person sich die für die Besteuerung relevanten Sachverhalte – auch diejenigen, die sich nach Maßgabe des Zivilrechts im Unternehmen der Organgesellschaft zugetragen haben – verwirklichten. Für das Verfahrensrecht musste dies bedeuten, dass der Organträger als einziges Steuersubjekt auch einziger Steuerschuldner im Organkreis war.196 Die Organgesellschaft konnte demgegenüber – sieht man von der Rechtsgrundlage des § 114 RAO ab – nicht mehr in Anspruch genommen werden. Der die Gesamtsteuerschuld des Organkreises festsetzende Steuerbescheid nebst Leistungsgebot war allein an den Organträger zu richten. Führte nun das Erhebungsverfahren nicht zur Befriedigung des Steuergläubigers, so blieb diesem gemäß §§ 325 ff. RAO die Möglichkeit der Beitreibung im Vollstreckungsverfahren. Grundlage der Zwangsvollstreckung und damit unabdingbare Voraussetzung war gemäß § 326 Abs. 5 RAO das Leistungsgebot.197 Dieses erging ausschließlich gegenüber dem Organträger, was bedeutete, dass nur gegen den Organträger vollstreckt werden konnte. Nur er konnte Vollstreckungsschuldner im Sinne des § 326 Abs. 3 S. 1 RAO sein. Das Steuerrecht war im Zwangsvollstreckungsverfahren von dem Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise weitgehend unbeeinflusst und überwiegend an die zivilrechtliche Güterzuordnung gebunden.198 Eine Sache konnte also im Regelfall nur dann gepfändet werden, wenn die Vollstreckung gegen den Eigentümer gerichtet war, eine Forderung oder ein Recht nur dann ergriffen, wenn gegen den Gläubiger bzw. den Inhaber vorgegangen wurde.199 Aus der Tatsache, dass die orVgl.: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 2 f. Vgl. bereits oben: B. III. 1. a) aa) und B. III. 1. a) bb). 196 Vgl.: Fritz Reinhardt, Realsteuerreform, Gesetzestexte, Einführungen und Erläuterungen, S. 243 f., der darlegt, dass die Organgesellschaft nicht persönlich steuerpflichtig war. 197 Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, Bd. II, § 326, A 10. 198 So auch: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 75 ff, dessen anschließender Vorschlag, § 329 RAO auf die Fälle der Organschaft anzuwenden, sich jedoch nicht durchsetzen konnte. Vgl. insofern: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. IV, § 329, Anm. 1. 194 195

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ganschaftliche Vereinheitlichung der Unternehmungen aus zivilrechtlicher Sicht lediglich Fiktion war, folgte, dass diese steuerliche Einheitsbetrachtung der organkreisangehörigen Gesellschaften an der zivilrechtlichen Güterzuordnung nichts zu ändern vermochte.200 Der Organträger und die Organgesellschaften blieben zivilrechtlich selbständige Rechtsträger mit eigenem Vermögen. Daher setzte sich das „Organkreisvermögen“ trotz steuerlicher Vereinheitlichung aus der Summe der selbständigen Vermögensmassen der verbundenen Gesellschaften zusammen.201 Das bedeutete konkret, dass die Finanzbehörde hinsichtlich der Gesamtsteuerschuld des Einheitsunternehmens zwar den Organträger in Anspruch nehmen und nötigenfalls auch in dessen Vermögen vollstrecken konnte. Eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft war ihr jedoch verwehrt, was dazu führte, dass die Steuerforderung nicht aus deren Vermögensmasse beigetrieben werden konnte.202 Die Misslichkeit dieser Lage wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass damit der Rechtsträger, der die Steuern zahlt – namentlich der Organträger –, nicht zwingend der Rechtsträger ist, in dessen Person sich die die Besteuerung begründenden Sachverhalte verwirklichen.203 So hatte etwa die umsatzsteuerliche Organschaft entsprechend den Vorgaben der Einheitstheorie zur Folge, dass der Organträger Umsatzsteuer abzuführen hatte, die er bei bürgerlich-rechtlicher Betrachtung nicht vereinnahmt hat. Grund hierfür war die Tatsache, dass die Organgesellschaft zwar steuerrechtlich als Betriebsstätte des Organträgers galt. Gegenüber Dritten tätigte sie jedoch kraft ihrer bürgerlich-rechtlichen Rechtsfähigkeit eigene Geschäfte und vereinnahmte die hierbei zu erhebende Umsatzsteuer.204 Die materiell-rechtlichen Organschaftsregeln verpflichteten sie nicht, die vereinnahmte Umsatzsteuer an den Organträger abzuführen; die Verlagerung der Umsatzsteuerschuld auf den Organträger war rein fiktiv. Gleiches galt für die gewerbesteuerlich relevanten Gewinne der Organgesellschaften. Auch diese wurden steuerrechtlich dem Organträger zugeschrieben, ohne dass ein entsprechender Vermögenstransfer stattfand.205 Beließe man es nun bei diesem, auf die Rechtsfolgen der materiellen Organschaftsregeln zurückzuführenden Ergebnis, bedeutete dies, dass das Einheitsunter199 Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. IV, § 329, Anm. 2; explizit auf die Fälle der organschaftlich verbundenen Unternehmen Bezug nehmend: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 75. 200 Den fiktiven Charakter der Organschaft betonend: BGH, Urteil vom 22.10. 1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (55). 201 So auch die Darstellung von Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 75 ff., der dies jedoch bemängelt und eine Vereinheitlichung der Haftungsmassen fordert. Vgl. außerdem: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 315. 202 Die Problematik ebenfalls schildernd: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (268). 203 Ähnlich: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 315. 204 Ernst E. Stöcker, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 1469. 205 Vgl. nur: Fritz Wündisch, DB 1970, 410 (410).

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nehmen aufgrund der zivilrechtlichen Selbständigkeit der Vermögenssphären nicht mit seinem gesamten Vermögen für die Steuerschuld einstehen müsste. Es besäße aufgrund der zivilrechtlich-formalen Güterzuordnung einen der Vollstreckung unzugänglichen Vermögensbereich.206 Dem Steuergläubiger bliebe insofern lediglich der Ausweg, in die im Eigentum des Organträgers stehenden Gesellschaftsanteile an den Organgesellschaften zu vollstrecken.207 Ein Vergleich mit der Rechtslage im zivil- und steuerrechtlichen Einheitsunternehmen beweist allerdings, dass dieses Resultat nicht den Vorgaben der Einheitstheorie entsprechen konnte, denn hier wäre es dem Unternehmer nicht möglich, verschiedene Wirtschaftsgüter, etwa aus unterschiedlichen Betriebsstätten, dem Vollstreckungszugriff zu entziehen. Einzig sachgerecht wäre es daher, wenn der Organkreis als einheitliches Unternehmen für die im Verbund erwirtschaftete Steuerschuld auch als Einheit einstehen müsste.208 Zur Verwirklichung der Einheitstheorie müsste dem Steuergläubiger folglich der Zugriff auf das gesamte Vermögen der organkreisangehörigen Unternehmungen – gleich ob zivilrechtlich dem Organträger oder den Organgesellschaften zuzuordnen – eröffnet werden.209 (2) § 114 RAO als Brücke zwischen steuerrechtlicher Einheit und zivilrechtlicher Vielheit Es wurde also offenbar, dass der steuerrechtlichen Vereinheitlichung des Organkreises bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dort Grenzen gesetzt sein mussten, wo das Steuerrecht auf die zivilrechtliche Güterzuordnung rekurriert.210 Zur Umsetzung der Einheitstheorie galt es, diesen Spagat zwischen steuerrechtlicher Einheit und zivilrechtlicher Vielheit der Gesellschaftssphären zu meistern.211 Dabei war die Lösung durch die Aussagen der Einheitstheorie vorgegeben: Das gesamte Vermö206 Diese Problematik wurde wohl gerade aufgrund der Entscheidung des Reichsfinanzhofes vom 21.12.1932 offenbar, als eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft aufgrund eines gegen den Organträger gerichteten Bescheides für unzulässig erklärt wurde. Vgl.: RFH vom 21.12.1932 – I A 311 / 32 –, RStBl. 1933, 8 ff. 207 Mit Verweis auf die Möglichkeit der Vollstreckung in die Gesellschaftsanteile: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 Anm. 2. 208 So wohl auch Gliese, der unter Berufung auf § 329 RAO für eine Vereinheitlichung der Vermögensmassen plädiert, um zu diesem Ergebnis zu gelangen. Vgl.: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 75 ff. 209 Vgl. Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, der eine sachgerechte Ausgestaltung im Sinne der Einheitstheorie formuliert und hierbei auch auf die Vorschrift des § 73 AO rekurriert (vgl. S. 320 ff.). 210 Diese Erkenntnis musste bereits das Urteil des RFH vom 21.12.1932 – I A 311 / 32 –, RStBl. 1933, 8 ff. mit sich bringen, wo der Reichsfinanzhof eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft aufgrund eines gegen den Organträger gerichteten Bescheides für unzulässig erklärte. 211 Umfassend zum „Spannungsverhältnis zwischen rechtlicher Vielheit und wirtschaftlicher Einheit“ im Konzernsteuerrecht: Wolfgang Kessler, in: Kessler / Kröner / Köhler, Konzernsteuerrecht, § 1 Rz. 1 ff. (zum vorstehenden Zitat: Rz. 5).

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gen der organkreisangehörigen Unternehmen musste dem Steuergläubiger zur Befriedigung zur Verfügung stehen; die Steuerschuld musste aus der gesamten Vermögensmasse beigetrieben werden können. Als möglicher Lösungsansatz käme etwa die Ermächtigung der Finanzbehörde zu einem sog. Vollstreckungsdurchgriff in Frage. Bei dieser Gestaltung wäre es der Finanzbehörde vorbehaltlich entsprechender Rechtsgrundlagen erlaubt, bei einer Inanspruchnahme des Organträgers unmittelbar in das Vermögen der Organgesellschaft zu vollstrecken.212 Dieser Weg wurde jedoch bereits vom Reichsfinanzhof abgelehnt213 und auch vom Gesetzgeber nicht normativ umgesetzt. Stattdessen suchte man die Lösung im Instrument der Haftung. Mit Erlass des § 114 RAO war die Finanzbehörde in der Lage, den Organträger als Steuerschuldner durch Steuerbescheid, die Organgesellschaft als Haftende durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen. Die Organgesellschaft haftete also für die beim Organträger erfasste gemeinsame Steuerschuld der organkreisangehörigen Unternehmen und schuldete somit im Ergebnis die betragsmäßig gleiche Geldleistung. Diese konnte sowohl gegenüber dem Organträger (in Form der Steuerschuld) als auch gegenüber der Organgesellschaft (in Form der Haftungsschuld) erhoben werden. Damit stand dem Steuergläubiger nicht nur das dem Organträger zivilrechtlich zuzuordnende Vermögen zur Befriedigung zur Verfügung, sondern er konnte außerdem – bei Überbrückung der zivilrechtlichen Selbständigkeit – aufgrund der Rechtsgrundlage des § 114 RAO bzw. der hierauf gestützten Bescheide über den Weg der Haftung in das Vermögen der Organgesellschaft vollstrecken.214 De facto unterlag damit das gesamte „Organkreisvermögen“ dem Zugriff des Steuergläubigers. Insofern war § 114 RAO die Korrektur der fehlenden Inanspruchnahmemöglichkeit der Organgesellschaften.215 Diese gingen zwar ihrer Steuersubjektfähigkeit verlustig, waren also nicht Steuerschuldner, standen fortan aber als Haftende für die gemeinsam erwirtschaftete Schuld ein.216

212 Einen ähnlichen Lösungsansatz befürwortend: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 77 ff. 213 So bereits: RFH, 21.12.1932 – I A 311 / 32 –, RStBl. 1933, 8 (9 f.); unter Bezugnahme auf diese Entscheidung gegen eine Anwendbarkeit des § 329 RAO auf die Fälle der Organschaft plädierend: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. IV, § 329, Anm. 1. 214 So ebenfalls: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (268). 215 So auch bezüglich § 114 RAO: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (268). Ebenso für den heutigen § 73 AO: Wolfgang Sturm, StuW 1992, 252 (258); ähnlich: Dietmar Onusseit, ZIP 2003, 743 (753). 216 In diesem Sinne erklärt sich wohl auch die knappe Bemerkung von Reinhardt in seinen Erläuterungen zur Realsteuerreform, der ausführt, es müsse der Steuerbehörde möglich sein, sich wegen gewisser Steuern, die den herrschenden Unternehmer treffen, auch an die Organgesellschaft zu halten. Dazu oben: B. III. 2. c).

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(3) Verfahrensrechtliche Folge: Gesamtschuldnerschaft Mit dieser Funktion des § 114 RAO korrelierte die ebenfalls im Zuge der Realsteuerreform 1936 erweiterte und neugefasste Regelung des § 7 Abs. 1 StAnpG. Danach waren Steuerschuldner und Haftende Gesamtschuldner.217 Übertragen auf die Besteuerung des Organkreises bedeutete dies, dass der Organträger und die Organgesellschaft(en) gegenüber dem Steuergläubiger gesamtschuldnerisch für die im Organkreis erwirtschaftete Steuerschuld einzustehen hatten. In Folge dessen kam die Zahlung (Entrichtung) durch einen Gesamtschuldner den anderen Gesamtschuldnern gemäß § 7 Abs. 4 StAnpG zu statten. Dadurch war sichergestellt, dass die einheitliche Schuld des Organkreises trotz der zusätzlichen Inanspruchnahmemöglichkeit der Organgesellschaft aufgrund des § 114 RAO von der Finanzbehörde betragsmäßig nur einmal eingetrieben werden konnte; entweder zur Gänze vom Organträger, oder zur Gänze von einer Organgesellschaft, oder anteilig von allen organkreisangehörigen Unternehmungen. Im Ergebnis gewährleistete § 114 RAO also nicht nur, dass die Finanzbehörde unter Berufung auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen und hierauf gestützte Bescheide jede organkreisangehörige Gesellschaft in Anspruch nehmen und notfalls in ihr Vermögen vollstrecken konnte. Das Rechtsinstitut der Haftung bot sich zu diesem Zwecke auch deshalb an, weil durch die in der Reichsabgabenordnung angelegte Verknüpfung von Haftung und Gesamtschuld sichergestellt war, dass mit Erlass des § 114 RAO keine weitergehende finanzielle Belastung des Organkreises einherging. Überdies war die Gesamtschuldnerschaft der organkreisangehörigen Unternehmungen auch deshalb von kaum zu unterschätzender Bedeutung, weil das Rechtsinstitut der Gesamtschuld mit § 426 BGB eine Regelung für den Innenausgleich unter den Steuer- und Haftungsschuldnern bereithielt.218 Dabei wurzelte das Bedürfnis nach einem internen Ausgleich im Organkreis erneut in der zivilrechtlichen Selbständigkeit der Unternehmungen.219 So war es angesichts der materiellen Vorschriften zur Organschaft sowie des § 114 RAO denkbar, dass entweder der Organträger als Steuerschuldner oder die Organgesellschaft als Haftende für die gesamten Steuern des Organkreises aufkommen mussten. Sie wurden folglich auch für denjenigen Teil der Gesamtsteuerschuld in Anspruch genommen, der bei fehlender or217 Obwohl der Wortlaut des § 7 Abs. 1 StAnpG das Verhältnis von Steuerschuldner (Erstschuldner) und Haftendem nicht unmittelbar aufgreift, wurde aus ihm die Gesamtschuldnerschaft zwischen diesen Personen hergeleitet: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 7 StAnpG, Anm. 2. 218 Zur Anwendbarkeit des § 426 BGB in diesen Fällen bereits: RFH, Urteil vom 8.7. 1921 – II A 205 / 21 –, RFHE 6, 171 (176). Überdies: Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Reichsabgabenordnung, Bd. II, § 7 StAnpG, A 2. 219 Umfassend zu dem Bedürfnis (und der Höhe) eines internen Ausgleichs unter den organkreisangehörigen Unternehmungen bei Organschaft im Sinne der Einheitstheorie: CarlHeinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 315 ff.; ebenfalls: Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (68 f.).

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ganschaftlicher Verbindung nicht im eigenen Unternehmen angefallen wäre. Leistet nun der Organträger oder die Organgesellschaft, so trägt er / sie neben der eigenen auch die Steuerlast des anderen Rechtsträgers, während dieser von seiner Verbindlichkeit gegenüber dem gemeinsamen Gläubiger befreit wird (vgl. § 7 Abs. 3 StAnpG). Betrachtet man also mit dem Zivilrecht nicht den Organkreis als Einheit, sondern die Belastung des einzelnen Rechtsträgers, so stellt man fest, dass dem in Anspruch genommenen Rechtsträger eine die eigene Steuerverursachung übersteigende Steuerlast erwachsen konnte.220 Man spricht hierbei von der sog. „Organschafts-Verzerrung“.221 Eine diese Verzerrung ausgleichende Steuerumlage wurde weder in den materiellen Organschaftsregelungen aus dem Umsatz- und Gewerbesteuerrecht, noch in § 114 RAO normiert.222 Jedes Organschaftsverhältnis nach dem Umsatz- und Gewerbesteuerrecht konnte jedoch zur Verzerrung der steuerlichen Belastung der einzelnen Rechtsträger führen.223 Besondere Brisanz erhielt diese benachteiligende Wirkung, wenn der Organträger nicht die gesamten Gesellschaftsanteile an der Organgesellschaft auf sich vereinigte, sondern Minderheitsgesellschafter am Organ beteiligt waren, denn diese haben naturgemäß ausschließlich am Ergebnis des Organs Interesse.224 Trägt nun aber der Organträger die gesamten von der Organgesellschaft verursachten Steuern und besteht für ihn keine Umlagemöglichkeit, so bedeutet die steuerliche Entlastung des Organs zugleich eine unberechtigte Vergünstigung für die Minderheitsgesellschafter.225 Der Organträger bzw. dessen Gesellschafter werden dagegen benachteiligt. Umgekehrt bedeutet freilich eine vollumfängliche Inanspruchnahme der Organgesellschaft aufgrund des § 114 RAO bei fehlender Umlagemöglichkeit eine Benachteiligung der Minderheitsgesellschafter zu Gunsten des Organträgers bzw. dessen Anteilseignern.226 Diese durch die Besteuerung des Organkreises als Einheit eintretende Benachteiligung konnte allein unter Berufung auf den Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, der seinerseits Grundlage der umsatzsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft war, nicht gerechtfertigt werden.227 Es war deshalb aner220 Mit entsprechenden Beispielen für das Umsatz- und Gewerbesteuerrecht: Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (69 f.). 221 Vgl. hierzu etwa: Fritz Wündisch, DB 1970, 410 (410); ähnlich: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.3.1978 – III 41 / 77 –, EFG 1978, 461 (461). 222 Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 320. 223 Fritz Wündisch, DB 1970, 410 (411). 224 Ebenso: Georg Niethammer, BB 1964, 380 (380). 225 Wie folgt: Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (70); Heinz Meilicke, DB 1960, 1379 (1379); zustimmend: Gerd Rose, DB 1965, 261 (261 und 262). 226 Vgl. hierzu auch: Georg Niethammer, BB 1964, 380 (380), der zum gleichen Ergebnis im Falle einer Annahme von gewerbesteuerlichen Verlusten der Organgesellschaft gelangt. 227 So: BGH, Urteil vom 22.10.1992 – ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (58); ebenfalls und unter Bezugnahme auf vorgenannte Entscheidung: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 325 ff.

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kannt, dass die Vereinheitlichung der im Organkreis erwirtschafteten Steuerschuld nicht dazu führen durfte, dass der gesamte Steueraufwand endgültig auf einen einzelnen Rechtsträger abgewälzt wird.228 Im Gegenteil wäre im Interesse eines sachgerechten Ausgleichs zu fordern, dass der Zustand erhalten bleibt, der sich ergeben würde, wenn die organschaftliche Verbindung nicht bestünde.229 Es bedurfte also einer organkreisinternen Ausgleichspflicht zur Bereinigung der nicht sachgemäßen Steuerbelastung der (zivil-)rechtlich selbständigen Rechtsträger, wenn der eine Rechtsträger die Verbindlichkeiten eines anderen tilgt.230 Durch die steuergesetzlich manifestierte Gesamtschuldnerschaft von Organträger und Organgesellschaft – herbeigeführt durch den Erlass des § 114 RAO und die bereits bestehende Verbindung der Rechtsinstitute Haftung und Gesamtschuld – war uno actu ein solcher interner Ausgleichsanspruch aufgrund der Anwendbarkeit der Regelung des § 426 BGB gesichert.231 Dabei war § 426 BGB als Rechtsgrundlage eines solchen Ausgleichsanspruchs nicht nur deshalb prädestiniert, weil die Norm ausweislich ihres Wortlautes anderweitige Vereinbarungen unter den organkreisangehörigen Unternehmungen berücksichtigte und dadurch hinreichend flexibel war.232 Auch war die Vorschrift in ihrem Anwendungsbereich stets allumfassend, vermochte also den Ausgleich unabhängig von der Anzahl und der konkreten Inanspruchnahme der Gesamtschuldner zu regeln. Ein Rückgriff des Organträgers gegen die Organgesellschaft(en) war aufgrund des § 426 BGB ebenso möglich wie ein Rückgriff der Organgesellschaft gegen den Organträger oder gegen weitere Organgesellschaften. Insofern war der Ausgleich zwischen den Rechtsträgern allein vom bürgerlichen Recht zu beantworten.233 Der Steuergesetzgeber ebnete diesen Weg durch die Anordnung der Gesamtschuldnerschaft,234 wodurch der Innenausgleich 228 Vgl. hierzu: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 333 ff. der umfassend zur steuerrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Unerlässlichkeit eines sachgerechten organkreisinternen Ausgleichs Stellung nimmt. Überdies: Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (69); zustimmend: Gerd Rose, DB 1965, 261 (261). 229 So etwa: Georg Niethammer, BB 1964, 380 (380 f.). 230 Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 325; Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (145). 231 Für die Anwendbarkeit des § 426 BGB bei organkreisinternem Ausgleich: „oa“, FR 1957, 551 (552); Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (67 und 69 f.); gegen die Anwendbarkeit des § 426 BGB allerdings: Hans-G. Schultze-Schlutius, DB 1958, 1137 (1137 f.), der damit aber nicht zugleich das Bedürfnis nach einem internen Ausgleich im Organkreis in Abrede stellt. 232 Nach wie vor § 426 BGB bezüglich des internen Ausgleichs im nach der Einheitstheorie konzipierten Organkreis befürwortend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 389; kritisch allerdings: Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (146); ablehnend: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.3.1978 – III 41 / 77 –, EFG 1978, 461 (461). 233 Als Rechtsgrundlagen weiterer gesetzlicher Ausgleichsansprüche wurden außerdem die Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag und die §§ 812 ff. BGB diskutiert. Vgl. zur Diskussion etwa: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 385 ff. A.A.: Fritz Wündisch, DB 1970, 410 (411); Fritz Wündisch, DB 1970, 1192 (1192).

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zur Angelegenheit des bürgerlichen Rechts wurde.235 Die Steuertatbestände der Organschaft lösten lediglich die zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen aus. Sie waren dagegen ungeeignet, einen internen Ausgleich unter den Rechtsträgern zu regeln und herbeizuführen.236 Letztlich sei an dieser Stelle betont, dass die Reichsabgabenordnung ebenso wie das Steueranpassungsgesetz im Jahre 1936 keine Regelungen zur Subsidiarität der Haftung kannten. So stand es nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 3 S. 2 und S. 3 StAnpG im freien Ermessen der Finanzbehörde, an welchen Gesamtschuldner sie sich in welcher Höhe halten wollte.237 In einem wenige Jahre vor Erlass der Organschaftsregelungen ergangenen Urteil des Reichsfinanzhofes238 heißt es hierzu explizit, dass Steuerschuldner und Haftende nicht im Verhältnis von Haupt- und Nebenschuldnern stünden, sondern es im freien Ermessen der Steuerbehörde stehe, wen von beiden sie zuerst in Anspruch nehmen wolle. Bei dieser Ermessensentscheidung werde neben der Sicherheit des Steuereingangs auch der schnelle und reibungslose Steuereinzug entscheidend sein.239 Damit ist festzuhalten, dass sich die Subsidiarität des Haftungsanspruchs gegenüber dem Steueranspruch erst zu einer späteren Zeit durchsetzen konnte und daher für das ursprüngliche Verhältnis der beiden Schuldner Organträger und Organgesellschaft nicht von Relevanz war.240 Konkret bedeutete dies für die Besteuerung des Organkreises, dass es der Finanzbehörde in den Grenzen pflichtgemäßer Ermessensausübung anheimgestellt war, ob sie den Organträger oder die Organgesellschaft in Anspruch nehmen wollte. Sie konnte den ausstehenden Geldbetrag sowohl gegenüber dem Organträger als Steuerschuld als auch gegenüber der Organgesellschaft als Haftungsschuld festsetzen und erheben. Beide Gesellschaften mussten gleichrangig für die Gesamtsteuerschuld einstehen.

234 Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Gesetzgeber in seinen ohnehin spärlichen Ausführungen zu Sinn und Zweck des § 114 RAO nicht auf die Möglichkeit des Innenausgleichs verweist. Bei konsequenter Anwendung des Gesetzes unter Berücksichtigung der damaligen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl.: RFH, Urteil vom 8.7.1921 – II A 205 / 21 –, RFHE 6, 171) war jedoch ein interner Ausgleich nach § 426 BGB die logische Folge der Gesamtschuldnerschaft von Organträger und Organgesellschaft. Rückblickend wird dies durch die Rechtsentwicklung bestätigt. Insofern kann diese Folge der Gesamtschuldnerschaft bei der Darstellung der verfahrensrechtlichen Situation nicht schlechterdings ignoriert werden. 235 So bereits: Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 7 StAnpG, Anm. 1. 236 Vgl. BFH, Urteil vom 27.3.1968 – II 98 / 62 –, BStBl. II 1968, 376 (377). 237 Ob gleichwohl ein Subsidiaritätsverhältnis zwischen Steuerschuldnern und Haftenden bestand war umstritten, wurde angesichts der Aussagen der RAO allerdings überwiegend abgelehnt. Vgl. nur: Gerd Spangemacher, Abgabenordnungkommentar, Rz. 339. 238 RFH, Urteil vom 11.11.1931 – II A 345 / 31 –, RStBl. 1931, 934 f. 239 RFH, Urteil vom 11.11.1931 – II A 345 / 31 –, RStBl. 1931, 934 (934). 240 Dazu bereits oben: A. III. 2. b).

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(4) Rechtstechnische Gesamtbetrachtung: Die Besteuerung eines (nicht rechtsfähigen) Wirtschaftsgebildes, bestehend aus mehreren Rechtsträgern (a) Der Organkreis Die rechtstechnische Bewältigung der Besteuerung des nicht rechtsfähigen Wirtschaftsgebildes „Organkreis“ entsprechend einem „Einheitsunternehmen“ lässt sich auf die folgenden Thesen reduzieren: – Nach den materiellen Vorschriften der Einzelsteuergesetze erwirtschaften die organkreisangehörigen Unternehmen in ihrem Verbund eine einheitliche Steuerschuld. – Der Verbund in seiner Gesamtheit (etwa als „Organkreis“ tituliert) wird weder vom Zivilrecht als Rechtsträger noch vom Steuerrecht als Steuersubjekt anerkannt. – Die Festsetzung und Erhebung der Gesamtsteuerschuld kann aufgrund steuergesetzlicher Rechtsgrundlagen gegenüber jedem organkreisangehörigen Rechtsträger erfolgen. – Die Rechtsträger sind Gesamtschuldner hinsichtlich der gemeinsam verursachten Steuerschuld. Das bedeutet, dass die Gesamtsteuerschuld von jedem Rechtsträger bis zur Gänze eingefordert werden kann, der Gläubiger die Leistung jedoch nur einmal einzufordern berechtigt ist. – Wird ein Rechtsträger über den eigenen Verursachungsbeitrag zur Gesamtsteuerschuld hinaus in Anspruch genommen, regeln die Steuergesetze den erforderlichen internen Ausgleich unter den Rechtsträgern nicht. – Der interne Ausgleich obliegt dem Zivilrecht, wobei durch die steuergesetzlich angeordnete Gesamtschuldnerschaft die §§ 426 Abs. 1 und Abs. 2 BGB als Rechtsgrundlagen möglicher Ausgleichsansprüche einschlägig sind.

(b) Die Besteuerung von Ehegatten Diese Gesetzestechnik zur Besteuerung eines nicht rechtsfähigen Wirtschaftsgebildes als steuerliche Einheit wurde vom Gesetzgeber nicht nur bei der Besteuerung des Organkreises, sondern ebenfalls bei der Ehegattenbesteuerung angewendet.241 Auch die eheliche (Lebens-)Gemeinschaft wird vom Steuerrecht als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft wahrgenommen.242 Mit der Zusammenveranlagung be241 Ebenfalls auf den Vergleich der Ehegattenbesteuerung mit der Organschaft rekurrierend: Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (68 ff.); Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 361 ff. 242 Umfassend hierzu: Rudolf Wendt, Familienbesteuerung und Grundgesetz, in: FS für Tipke, Köln 1995, S. 47 (63); Rudolf Wendt, Die gerechte Besteuerung von Ehe und Familie

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

steht die Möglichkeit, die Eheleute in steuerlichen Angelegenheiten als Wirtschaftsgemeinschaft zu erfassen und die Besteuerung der ehelichen Gemeinschaft zugleich leistungsfähigkeits- und damit gleichheitsgerecht auszugestalten.243 Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten werden die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und die Ehegatten sodann gemeinsam als ein Steuerpflichtiger behandelt.244 Nach dem Willen des Einkommensteuergesetzes erwirtschaften die Eheleute nur ein Einkommen; sie trifft nur eine (Gesamt-)Steuerschuld.245 Anstatt die Ehegatten jedoch in ihrem Verbund als „Eheleute“ als einheitlicher Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen, bleibt jeder Ehegatte, auch im Falle der Zusammenveranlagung, Steuersubjekt und Steuerschuldner.246 Allerdings schuldet jeder Ehegatte nun nicht nur die selbst verursachte, sondern die gesamte Steuerschuld, und zwar unabhängig davon, ob bzw. zu welchem Teil er / sie an der Verursachung der Steuerschuld tatsächlich beteiligt war.247 Auch der Ehegatte, der kein steuerbares Einkommen erzielt, kann von der Finanzbehörde für die gesamte Steuerschuld in Anspruch genommen werden.248 Wie die organkreisangehörigen Unternehmen stehen die Ehegatten für die gemeinsame Steuerschuld als Gesamtschuldner ein.249 Ein interner Ausgleich im Falle der über die eigene Steuerverursachung hinausgehenden Inanspruchnahme sieht das Steuerrecht nicht vor.250 Gleichwohl ist das Bedürfnis nach einem solchen Ausgleich anerkannt.251 Die steuergesetzlich normierte Gesamtschuldnerschaft führt erneut zu Regressansprüchen gemäß § 426 BGB;252 den Innenausgleich unter den Ehegatten regelt also erneut das Zivilrecht.253 und sonstigen Wirtschaftsgemeinschaften, in: FS für Rüßmann, S. 1067 (1067 und 1072 m.w. N.). 243 Rudolf Wendt, Familienbesteuerung und Grundgesetz, in: FS für Tipke, Köln 1995, S. 47 (63 ff.). 244 Vgl. § 26b EStG. 245 Beispielhaft: Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 17. 246 Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8, Rz. 845; umfassend: Gabriele Vogt, Verfahrensrechtliche Probleme bei zusammenveranlagten Ehegatten, S. 103 ff. 247 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 17. 248 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 17. 249 Es sei an dieser Stelle allerdings auf die Möglichkeit der Aufteilung der Gesamtschuld bei Zusammenveranlagung nach den §§ 268 ff. AO hingewiesen. Durch diese Vorschrift wird die solidarische Einstandspflicht der Gesamtschuldner in Vollstreckungsangelegenheiten durchbrochen (vgl. Klaus Peter Müller-Eiselt, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 268 – 280 AO, Rz. 1). 250 Zum internen Ausgleich etwa: Jan Andreas Dyckmans, Ehegattenveranlagung in Krisenzeiten, S. 195 ff.; Jürgen Sonnenschein, NJW 1980, 257 (257). 251 Umfassend: Jan Andreas Dyckmans, Ehegattenveranlagung in Krisenzeiten, S. 195 ff. 252 Beispielhaft: Jürgen Sonnenschein, NJW 1980, 257 (258); Heinrich-Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 26; ausführlich

III. Die Rechtslage bei erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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(5) Fazit zur verfahrensrechtlichen Funktion des § 114 RAO Die Lehre der Einheitstheorie, die den Organkreis als steuerrechtlich einheitliches Unternehmen ansieht bzw. als solches fingiert, tritt zwangsläufig in Konflikt mit der zivilrechtlich-formalen Trennung der Vermögenssphären der organkreisangehörigen Gesellschaften. Ist man gleichwohl gewillt, die wirtschaftliche Einheitlichkeit der Unternehmungen anzuerkennen und im materiellen Recht umzusetzen, dann muss auch das Verfahrensrecht diese Entscheidung tragen und nötigenfalls hierauf reagieren. Namentlich bedurfte es angesichts der ersten materiellen Regelungen zur Organschaft im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht eines verfahrensrechtlichen Kniffs zur „faktischen Vereinheitlichung der Vermögenssphären“. Ein solcher gelang mit Erlass des § 114 RAO. Die Vorschrift kompensierte einerseits die verlorene Steuerschuldnerschaft der Organgesellschaft,254 andererseits führte § 114 RAO in Verbindung mit § 7 Abs. 1 StAnpG die Gesamtschuldnerschaft zwischen Organträger und Organgesellschaft herbei. Diese Gesamtschuldnerschaft bildete die Basis eines durch die einheitliche Festsetzung und Erhebung der Gesamtsteuerschuld erforderlich werdenden organkreisinternen Ausgleichs unter den Unternehmungen auf der Grundlage des bürgerlichen Rechts. § 114 RAO war daher maßgeblicher Teil der verfahrensrechtlichen Umsetzung der Einheitstheorie und als solcher notwendiger Bestandteil der Kodifikation sachgerechter Reglungen zur Besteuerung der organschaftlich verbundenen Unternehmen. Dementsprechend ist den Ausführungen von Hannes dahingehend zu folgen, dass § 114 RAO eine verfahrensrechtliche Funktion zukam. Die Vorschrift allerdings lediglich als verfahrensrechtliche Vereinfachung begreifen zu wollen, würde ihrer dargestellten Bedeutung im einheitstheoretischen System nicht gerecht. Sie bot vielmehr einen möglichen Lösungsansatz zur Bewältigung der Problematik, die die Fiktion der Einheitstheorie in Ansehung der zivilrechtlich-formalen Trennung der Vermögenssphären aufwarf.

auch: Carl-Heinz Witt, DStR 2007, 56 (57 ff.); für die Rechtsprechung etwa: BGH, Urteil vom 31.5.2006 – XII ZR 111 / 03 –. 253 Umfassend zu den zivilrechtlichen Ausgleichsansprüchen zusammen veranlagter Ehegatten: Jürgen Sonnenschein, NJW 1980, 257 (258 ff.); Jan Andreas Dyckmans, Ehegattenveranlagung in Krisenzeiten, S. 195 ff. 254 So für den heutigen § 73 AO: Wolfgang Sturm, StuW 1992, 252 (258); ähnlich: Dietmar Onusseit, ZIP 2003, 743 (753).

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

bb) Die Rechtfertigung der Inanspruchnahme der Organgesellschaft: „Das Verursachungsprinzip“ (1) Die Organgesellschaft als Mitverursacher der Gesamtsteuerschuld Mit Blick auf die verfahrensrechtliche Funktion des § 114 RAO und die Doktrin der Einheitstheorie ergibt sich in der Frage der Rechtfertigung der Inanspruchnahme der Organgesellschaft das folgende Bild: Die Unternehmungen des Organträgers und der Organgesellschaft(en) bilden im Verbund den steuerlich einheitlich zu erfassenden Organismus „Organkreis“. Dessen Steuerschuld erwirtschaften die Unternehmungen in wechselseitigem Zusammenwirken. Ein gemeinsames Wirtschaften der Unternehmungen wird nicht zuletzt aufgrund der Nichtsteuerbarkeit der Leistungen zwischen den organkreisangehörigen Unternehmen ermöglicht.255 Die dadurch entstehende Gesamtsteuerschuld setzt sich unterschiedslos aus den wirtschaftlichen Erfolgen eines jeden organkreisangehörigen Unternehmens zusammen. Dabei ist es nicht von Relevanz, wie hoch der Beitrag des Einzelnen zur Gesamtsteuerschuld ist. Selbst Verluste werden als Beitrag erfasst und spiegeln sich in der Gesamtsteuerschuld wieder. Ebenfalls ist es unerheblich, ob die Gesamtsteuerschuld vorwiegend im Unternehmen des Organträgers, oder im Unternehmen einer Organgesellschaft – mithin in einer bestimmten Betriebsstätte des Organträgers – erwirtschaftet wurde. Jede Organgesellschaft nimmt in der Frage der Verantwortlichkeit für die Verursachung der Gesamtsteuerschuld die gleiche Rolle ein wie der Organträger: Sie ist einer von mehreren Rechtsträgern im Organkreis, die in ihrem Verbund eine einheitliche Steuerschuld verursachen. Als ein solcher Rechtsträger steht die Organgesellschaft aus dem gleichen Grunde wie jeder andere Rechtsträger im Verbund für die gemeinsam erwirtschaftete Steuerschuld ein: Die Gesamtsteuerschuld wurde von ihr (jedenfalls potentiell) mitverursacht.256 Das wiederum muss jedoch bedeuten, dass sich die Inanspruchnahme der Organgesellschaft auf die gleichen rechtfertigenden Gründe stützt wie

255 Zur Bedeutung der Nichtsteuerbarkeit von organkreisinternen Leistungen etwa: CarlHeinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 4; Harold Rasch, Gutachten für den 49. Deutschen Juristentag: Reichen die Vorschriften des Steuerrechts – unter Berücksichtigung des Gesellschaftsrechts – aus, um Vermögensbewegungen zwischen verbundenen Unternehmen vollständig und befriedigend zu regeln?, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I (Gutachten), G 39 f., 43, 45 f. Hierauf Bezug nehmend und konkretisierend: Siegfried Grotherr, Kritische Bestandsaufnahme der steuersystematischen und betriebswirtschaftlichen Unzulänglichkeiten des gegenwärtigen Organschaftskonzepts, StuW 1995, 124 (143 f.). 256 Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 351; Alfred Riewald, in: Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Bd. I, § 114 RAO, Anm. 2; für die Vorschrift des § 73 AO ausdrücklich: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 70. Vgl. ebenfalls: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.1985 – I 174 / 81 –, EFG 1985, 533 (533); FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.1990 – II 238 / 86 –, EFG 1991, 437 (437); FG München, Urteil vom 14.5.1986 – XIII (III) 83 / 85 AO –, EFG 1986, 583 (583), die allerdings nicht zwischen den Verursachungsbeiträgen differenzieren und lediglich darlegen, dass die Organgesellschaft für eine „eigene Schuld“ hafte.

III. Die Rechtslage bei erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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die Inanspruchnahme des Organträgers.257 Beide sind Mitverursacher der Gesamtsteuerschuld und stehen deshalb für diese ein. (2) Die Organgesellschaft als Haftende für eine mitverursachte Steuer? Rechtfertigt sich also die Inanspruchnahme einer jeden organkreisangehörigen Unternehmung aus den gleichen Erwägungen – dem Gedanken der Mitverursachung der Steuerschuld –, so drängt sich förmlich die Frage auf, wieso der Organträger Steuerschuldner, die Organgesellschaft hingegen Haftende der gemeinsam verursachten Steuerschuld ist. Rechtssystematisch gilt für das Verhältnis von Schuld und Haftung das bereits Gesagte,258 nämlich dass der Steuerschuldner für eine eigene, der Haftende für eine fremde Steuerschuld einsteht.259 Der Steuerschuldner verursacht die Steuer, indem er die Steuertatbestände erfüllt, während der Haftende an der Entstehung bzw. der Verursachung der Steuer grundsätzlich unbeteiligt ist und lediglich bei Erfüllung originärer Haftungstatbestände für die fremdverursachte Schuld in Anspruch genommen werden kann. Übertragen auf die Organschaftsregelungen bzw. § 114 RAO würde das bedeuten, dass der Organträger allein Verursacher der Steuerschuld ist, die Organgesellschaft dagegen als Dritte für die fremde Steuerschuld haftet.260 Man suggeriert also durch die Ausgestaltung des § 114 RAO als Haftungsnorm, dass die Organgesellschaft an der Entstehung der Steuerschuld unbeteiligt war, mithin gerade nicht selbst Verursacher der Steuer ist und lediglich als Dritter für diese einzustehen hat.261 Der Organträger als alleiniger Steuerschuldner scheint hingegen alleiniger Steuerverursacher zu sein. Dieser von der normativen Gestaltung der Organschaftsregeln und § 114 RAO ausgehende (Trug-)Schluss ist angesichts der aufgezeigten Mitverursachung der Steuerschuld durch die Organgesellschaft nicht überzeugend. So leugnet man mit der Ausgestaltung des § 114 RAO als Haftungsnorm die Tatsache, dass ein Teil der Gesamtsteuerschuld de facto im Unternehmen der Organgesellschaft angefallen ist und von ihr verursacht wurde. Als (Mit-)Verursacher der Steuerschuld müsste die

257 Ebenso die bereits wiedergegebene Ansicht von Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 68. 258 Vgl. bereits oben: A. I. 259 Die Überlegung der Finanzgerichte Baden-Württemberg, Nürnberg und München (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.1985 – I 174 / 81 –; FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.1990 – II 238 / 86 –; FG München, Urteil vom 14.5.1986 – XIII (III) 83 / 85 AO –), die Organgesellschaft hafte für eine eigene Steuerschuld, ist zwar hinsichtlich der wirtschaftlich durch die Organgesellschaft verursachten Steuer zutreffend. Bei einer strikten begrifflichen Trennung von Schuld und (Fremd-)Haftung ist diese Aussage jedoch angesichts der Formulierung, man hafte für eine eigene Schuld, geradezu paradox. 260 Ebenfalls zweifelnd: Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 10. 261 § 73 AO in dieser Weise interpretierend: Heinz Mösbauer, UR 1995, 321 (321).

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

Organgesellschaft jedoch systematisch korrekt als Steuerschuldner, nicht als Haftende in Anspruch genommen werden. Als Beleg für diese These sei ein vergleichender Blick auf die technische Umsetzung der Besteuerung der Ehegatten im Wege der Zusammenveranlagung geworfen. Die Ehegatten erwirtschaften – wie die organschaftlich verbundenen Unternehmen – eine gemeinsame Steuerschuld, die sich aus den Verursachungsbeiträgen eines jeden Einzelnen zusammensetzt.262 Auch sie sind gemeinschaftlich für die Entstehung der Steuerschuld verantwortlich, werden beide als Steuerschuldner in Anspruch genommen.263 Ihr Verursachungsbeitrag zur Gesamtsteuerschuld zieht folgerichtig die Steuerschuldnerschaft nach sich, was angesichts des steuerrechtlichen Verhältnisses von Schuld und Haftung auch konsequent ist. Hieraus lässt sich ableiten: Erwirtschaften mehrere Rechtsträger im Verbund eine einheitliche Steuerschuld und ist der Verbund als solcher nicht steuersubjektfähig, so ist jeder Rechtsträger im Verbund Steuerschuldner der gemeinsam erwirtschafteten Steuerschuld. Der für die Entstehung der Steuerschuld Verantwortliche ist auch dann Steuerschuldner, wenn er die Steuer im Verbund mit einem anderen Rechtsträger verursacht. Dem liegt letztlich der – etwa in § 840 BGB verankerte – allgemeine Rechtsgedanke zu Grunde, dass gemeinsames Handeln eine gemeinsame Verpflichtung begründet.264 Gleiches müsste für die in Rede stehende Situation der organschaftlich verbundenen Unternehmen gelten. Ein weiteres Argument für eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Steuerschuldner lässt sich der Belastungswirkung des Eingriffes aufgrund § 114 RAO abgewinnen. Als klassischer Haftungseingriff müsste der Organgesellschaft eine über die eigene Steuerschuld hinausgehende Sonderlast auferlegt werden.265 Wie die materiellen Organschaftsregelungen verfolgt die Inanspruchnahme der Organgesellschaft jedoch das Ziel, die organschaftlich verbundenen Unternehmen in ihrer Gesamtheit im Sinne eines Einheitsunternehmens und zugleich gleichheitsgerecht zu besteuern. Um dies normativ umzusetzen, bedarf es aufgrund der getrennten Haftungsmassen der Rechtsträger einer Inanspruchnahmemöglichkeit aller organkreisangehörigen Unternehmungen.266 Damit ist die Inanspruchnahme der Organgesellschaft ebenso der Belastungsgleichheit geschuldet wie die Inanspruchnahme des Organträgers. Sie führt nicht zu einer Sonderlast des Einzelnen, sondern zur sachgerechten Besteuerung des Verbundes, der ausweislich des Grundsatzes wirtschaftlicher Betrachtungsweise (zunächst) im Fokus der Besteuerung steht.

Vgl. oben: B. III. 2. e) aa) (4) (b). Beispielhaft: Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 8, Rz. 845. 264 Heinrich Wilhelm Kruse, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 7. 265 Vgl. bereits oben: A. II. 266 Auf diese Funktion der Haftungsregelung im nach der Einheitstheorie konzipierten Organkreis ebenfalls abstellend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 346 f. 262 263

III. Die Rechtslage bei erstmaliger Kodifikation der Organschaft

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Wer nun die Frage stellt, wieso der Gesetzgeber bei der Kodifikation des § 114 RAO die scheinbar so naheliegende Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Steuerschuldner nicht in Erwägung gezogen hat und sich stattdessen für den umständlicheren Weg der Haftung entschied, dem sei nochmals vor Augen geführt, dass der Erlass der Organschaftsregelungen die gesetzgeberische Umsetzung der höchstrichterlichen Rechtsprechung war. So war der Reichsfinanzhof bereits zu Zeiten der Angestelltentheorie der Auffassung, die Organgesellschaft verliere durch ihre Eingliederung in den Organträger ihre steuerliche Selbständigkeit.267 Diese war jedoch Voraussetzung der Unternehmer- bzw. Unternehmenseigenschaft im Sinne des Umsatz- und Gewerbesteuerrechts, weshalb man der Organgesellschaft – vielleicht vorschnell – die Eigenschaft als Steuersubjekt absprach, zumal die Statuierung eines einzigen Steuersubjektes in Person des Organträgers der hierarchischen Struktur der Organschaft gerecht wurde.268 Damit war allerdings zugleich eine Inanspruchnahme der Organgesellschaften als Steuerschuldner nicht mehr möglich, obwohl sie formal Mitverursacher der Gesamtsteuerschuld war. Um die damit auftretenden verfahrens- bzw. vollstreckungsrechtlichen Probleme zu bewältigen,269 sah sich der Gesetzgeber gezwungen, auf die Haftungsinanspruchnahme auszuweichen. Der Verlust der Steuersubjekteigenschaft der Organgesellschaft wurde durch ihre Haftung kompensiert.270 Diese Lösung bot sich zur damaligen Zeit nicht zuletzt deshalb an, weil die Haftung nach § 114 RAO im Ergebnis die gleichen Rechtsfolgen zeitigte wie eine Steuerschuldnerschaft der Organgesellschaft. Auch als Haftende konnte die Organgesellschaft neben dem Organträger für die gesamte Steuerschuld in Anspruch genommen werden. Die zwischen Haftenden und Steuerschuldnern ebenso wie zwischen mehreren Steuerschuldnern bestehende Gesamtschuldnerschaft führte darüber hinaus dazu, dass § 426 BGB im internen Ausgleich anwendbar war. Insbesondere war aber die Subsidiarität der Haftungsschuld gegenüber der Steuerschuld zur Zeit des Erlasses des § 114 RAO noch nicht anerkannt, geschweige denn gesetzlich geregelt, weshalb es grundsätzlich zu keinem Unterschied führte, ob sich die Gesamtschuldnerschaft aus mehreren Steuerschuldnern oder aus Steuerschuldner und Haftenden zusammensetzt. Ein Rangverhältnis von Steuerund Haftungsschuldnern bestand nicht. Dementsprechend erklärt sich die Ausgestaltung des § 114 RAO als Haftungsvorschrift aus einer durch die wechselhafte Entwicklung der Organschaft und die zivilrechtliche Trennung der Vermögenssphären verursachten Diskrepanz: Auf der einen Seite sollte die Organgesellschaft als unselbständiges Glied im Gesamtunternehmen nicht Steuerschuldner sein. Auf der anderen Seite bedurfte es aufgrund der zivilrechtlichen Trennung der Vermögenssphären einer Rechtsgrundlage zur originären

Vgl. hierzu oben: B. II. 1. Vgl. oben: B. III. 1. a) cc) (1). 269 Vgl. oben: B III 2. e) aa) (1). 270 So für den heutigen § 73 AO: Wolfgang Sturm, StuW 1992, 252 (258); ähnlich: Dietmar Onusseit, ZIP 2003, 743 (753). 267 268

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B. Historische Grundlagen der Organschaftshaftung

Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die im Verbund erwirtschaftete Steuerschuld. Da der eigentlich statthafte Weg der Inanspruchnahme, die Steuerschuldnerschaft, nicht offen stand, berief man sich notgedrungen auf das Rechtsinstitut der Haftung, welches in seinen Rechtsfolgen zu sachgerechten, weil der Steuerschuldnerschaft gleichkommenden, Rechtsfolgen führte. Insofern ist die Vorschrift des § 114 RAO als verfahrensrechtlicher Kompromiss zu verstehen, der aufgrund der vorangegangenen Entwicklungen förmlich „aus der Not geboren“ wurde. Für die Interpretation des § 114 RAO im System der Einheitstheorie bedeutet dies allerdings, dass die Vorschrift entgegen ihrer normativen Ausgestaltung und ihrer systematischen Verortung in der Reichsabgabenordnung nicht als Haftungstatbestand, sondern als Besteuerungstatbestand zu begreifen ist. Wenngleich § 114 RAO als Haftungsvorschrift konzipiert wurde, wird durch die Einstandspflicht der Organgesellschaft kein Fall der Dritthaftung statuiert.271 Alles in allem ist der Normbefehl – die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die im Organkreis erwirtschaftete Steuerschuld – daher durchaus erklärbar. Die Ausgestaltung der die Inanspruchnahme legitimierenden Rechtsgrundlage als Haftungsnorm ist dagegen systematisch verfehlt. cc) „Das Sicherungsprinzip“ Angesichts der Erkenntnis, dass § 114 RAO nicht als Haftungsnorm zu verstehen ist, ergibt sich hinsichtlich des von Sonnenschein angeführten Sicherungsprinzips, dass diese Sicherung des Steuergläubigers jedenfalls keine solche ist, wie sie üblicherweise mit den „klassischen“ Dritthaftungstatbeständen erzeugt wird.272 Freilich bietet § 114 RAO zwar dahingehend Sicherheit, dass die Steuerschuld nunmehr von demjenigen Rechtsträger erhoben werden kann, der sie tatsächlich verursacht hat. Damit verfolgt die Norm jedoch zuvörderst die sachgerechte Erhebung der Gesamtsteuerschuld an sich. Durch § 114 RAO sollte der Nachteil des Steuergläubigers beseitigt werden, der diesem durch die zivilrechtliche Selbständigkeit der organschaftlich verbundenen Unternehmen entsteht.273 Nicht sollte durch § 114 RAO die zusätzliche Besicherung des Steueranspruchs aufgrund einer speziell durch die Organschaft bestehenden besonderen Gefährdungslage erreicht werden.274 271 Ohne argumentative Auseinandersetzung, aber mit gleicher Feststellung: Heinz Meilicke, MittBldStb 1960, 67 (69). 272 Vgl. hierzu unter: A. I.–III. 273 Wie folgt für die Vorschrift des § 73 AO: Dietmar Onusseit, ZIP 2003, 743 (753); Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 18, Anm. 446. 274 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass damit zwar bestritten wird, dass das von Sonnenschein angeführte Sicherungsprinzip – verstanden im Sinne des Haftungsrechts – dem § 114 RAO zugrunde lag. Seine Forderung, die Steuerschuld müsse in Ansehung einer übermäßigen Belastung der Organgesellschaft aufgeteilt werden, soll damit jedoch nicht bewertet werden. Auf die Frage des sachgerechten Haftungsumfanges im System der Einheitstheorie wird noch eingegangen.

IV. Erkenntnisse

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IV. Erkenntnisse aus den historischen Grundlagen des Organschaftsrechts Bereits vor der erstmaligen Kodifikation materieller Organschaftstatbestände stellte der Reichsfinanzhof klar, dass es ein steuerartenübergreifendes einheitliches Rechtsinstitut der Organschaft nicht gibt. Ab diesem Zeitpunkt war das Organschaftsrecht in dogmatischer Hinsicht zweigeteilt: Die umsatz- und gewerbesteuerliche Organschaft folgte der Doktrin der Einheitstheorie, wollte also die organschaftlich verbundenen Unternehmen als wirtschaftliche Einheit, gleich dem Einheitsunternehmen, besteuert wissen. Für die nicht kodifizierte körperschaftsteuerliche Organschaft lehnte der Reichsfinanzhof die Einheitstheorie dagegen ausdrücklich ab. Neben den Mitte der 30er Jahre erlassenen Organschaftstatbeständen aus dem Umsatz- und Gewerbesteuerrecht war auch § 114 RAO der normativen Umsetzung der Einheitstheorie geschuldet. Dies belegt neben der tatbestandlichen Bezugnahme der Haftungsvorschrift auf die materiell-rechtlichen Regelungen aus dem Umsatzund Gewerbesteuerrecht insbesondere deren auf Betriebssteuern beschränkter Anwendungsbereich. Dadurch wurde die körperschaftsteuerliche Organschaft, die zwar nicht kodifiziert, aber gleichermaßen anerkannt war, vom Anwendungsbereich des § 114 RAO nicht erfasst. Im Zusammenspiel mit den materiell-rechtlichen Organschaftstatbeständen, der Anordnung der Gesamtschuldnerschaft zwischen Steuerschuldner und Haftendem und dem aus der Gesamtschuldnerschaft folgenden Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis wurde die Besteuerung des Organkreises nach den Vorgaben der Einheitstheorie – ähnlich der heutigen Besteuerung von Ehegatten bei der Zusammenveranlagung – umgesetzt. In diesem System nahm § 114 RAO die Funktion als Rechtsgrundlage einer unmittelbaren Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die Gesamtsteuerschuld des Organkreises ein. Die Norm kompensierte den Verlust der Steuersubjekteigenschaft bzw. Steuerschuldnerschaft der Organgesellschaft. Dies war erforderlich, da der wirtschaftlich einheitliche Organkreis zivilrechtlich nach wie vor aus separaten Vermögensmassen bestand, der Organkreis im Ganzen jedoch für die einheitliche Steuerschuld einstehen sollte. Die Ausgestaltung des § 114 RAO als Haftungsnorm war dem Kompromiss geschuldet, dass die Organgesellschaft mangels Selbständigkeit nicht Steuersubjekt sein sollte, die zivilrechtlich-formale Trennung der Vermögensmassen jedoch eine separate Inanspruchnahmemöglichkeit der Organgesellschaft verlangte. Ihrem Wesen nach war § 114 RAO allerdings keine Dritthaftungsnorm, denn die Organgesellschaft stand nicht für eine fremde, sondern für eine eigene, gemeinsam mit dem Organträger verursachte Steuerschuld ein. Dogmatisch korrekt wäre deshalb die Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Steuerschuldner gewesen, was jedoch in Konflikt zu ihrer fehlenden Selbständigkeit stand.

C. Entwicklungen und Reformen im Organschaftsrecht und deren Auswirkungen auf die Haftung, insbesondere: Die Reform der Abgabenordnung 1977 nebst Änderung des § 73 AO und die seither bestehende Problemstellung Als sich nach Kriegsende die gerichtlichen Verfahren zu Streitfragen der neu erlassenen Organschaftsregelungen mehrten, war insbesondere die finanzgerichtliche Rechtsprechung gehalten, zu grundsätzlichen Fragen des Umgangs mit dem Rechtsinstitut der Organschaft Stellung zu beziehen. Dabei wurden – über die bloße Gesetzesanwendung hinaus – dogmatische und rechtsfortbildende Überlegungen angestellt, die auch das organtheoretische Konzept der Vorschriften betrafen. Allerdings verlangten die sich stellenden Streitfragen nur selten eine Auseinandersetzung mit verfahrensrechtlichen Vorschriften. Daher blieben Entwicklungen auf dem Gebiet des materiellen Rechts regelmäßig in verfahrensrechtlicher Hinsicht unreflektiert. Dies muss nicht zuletzt angesichts der vorstehend gewonnenen Erkenntnis, dass der Haftungstatbestand des § 114 RAO maßgeblich vom Organschaftsverständnis der Einzelsteuergesetze beeinflusst war, bedenklich stimmen.1 Bei der folgenden Darstellung der Geschehnisse soll der Fokus der Untersuchung auf diejenigen Aspekte der Fortbildung der Organschaftsdogmatik gelegt werden, die Einfluss auf Funktion und Rechtfertigung des § 73 AO zeitigen können. Der vielgliedrigen und recht wechselhaften Entwicklung der unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen organschaftlicher Eingliederung wird hierbei weniger Beachtung geschenkt. Ein signifikanter Einschnitt für die Entwicklung des Haftungstatbestandes war die Reform der Abgabenordnung im Jahre 1977. In deren Zuge wurde § 114 RAO durch § 73 AO ersetzt, der seither die Haftung der Organgesellschaft für die Steuerschuld des Organträgers regelt. § 73 AO war und ist bis heute inhaltlich an die Vorgängervorschrift angelehnt. Die Norm weicht jedoch in ihrem Wortlaut und ihrem Anwendungsbereich teilweise von der früheren Gesetzeslage ab. Der „neue“ Haftungstatbestand des § 73 AO soll nachstehend, freilich unter besonderer Berücksichtigung all derjenigen Neuerungen, die Einfluss auf die Bewertung bzw. die Rechtfertigung der heutigen Rechtslage zeitigen können, in den Blick genommen werden. Dabei wird insbesondere auf die viel diskutierte Rechtsfrage des angemessenen Haftungsumfanges einzugehen sein.

1 Die Zurückhaltung bei der Aufarbeitung des § 114 RAO bereits zur damaligen Zeit kritisierend: Werner Jurkat, BB 1964, 467 (467).

I. Die Entwicklung der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft

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I. Die Entwicklung der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft – Abkehr von der Einheitstheorie 1. Die Änderung der organtheoretischen Ausrichtung durch die Rechtsprechung Für die Entwicklung der gewerbesteuerlichen Organschaft war das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 6.10.19532 von maßgeblicher Bedeutung. Darin nahm das Gericht zu der Frage Stellung, ob die Verschmelzung zweier Unternehmen auch dann einen gewerbesteuerlichen Betriebsvorgang darstellt, wenn diese Unternehmen organschaftlich verbunden sind. Die Verschmelzung von organschaftlich verbundenen Unternehmen stand in einem gewissen Spannungsverhältnis zum damaligen Organschaftsverständnis. Nach der im Gewerbesteuerrecht bis dato vertretenen Einheitstheorie sollte der Organkreis als solcher bereits ein (wirtschaftlich) einheitliches Unternehmen darstellen. Bei strikter Beachtung der organtheoretischen Vorgaben der Einheitstheorie würde sich die Verschmelzung der Unternehmungen folglich „im Rahmen eines einheitlichen Steuergegenstandes“3 vollziehen. Der durch die Verschmelzung verursachte Transfer der Betriebsgrundlagen fände innerhalb des Einheitsunternehmens statt; die Vermögensübertragung wäre damit steuerlich als innerbetrieblicher Geschäftsvorfall zu werten.4 Ein solcher sollte nach der Doktrin der Einheitstheorie indes nicht zur Gewinnrealisierung führen. Insofern waren es gerade die Aussagen der Einheitstheorie, ihres Zeichens organtheoretische Grundlage der gesetzlichen Konzeption des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG, die gegen die Realisierung eines Umwandlungsgewinns und daher auch gegen den Anfall von Gewerbesteuer sprachen. Der Bundesfinanzhof hat in späteren Entscheidungen eingeräumt, dass dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG ein einheitstheoretischer Ansatz durchaus hätte abgewonnen werden können.5 Gleichwohl wandte er sich mit der Entscheidung vom 6.10.1953 „sehenden Auges“ von der Einheitstheorie ab und bejahte die Realisierung eines Umwandlungsgewinns.6 So erklärte der Bundesfinanzhof geBFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 f. So auch der Bundesfinanzhof: BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330). 4 Hierauf nimmt der BFH zunächst explizit Bezug, folgt dem im Ergebnis jedoch nicht. Vgl. BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330). 5 Vgl.: BFH, Urteil vom 8.3.1955 – I 73 / 54 U –, BStBl. III 1955, 187 (188). Angesichts der aufgezeigten Entwicklungen und dieses nachträglich angestellten Befundes des BFH verwundert es kaum, dass die Rechtsprechungsänderung von verschiedener Seite als unbefriedigend bewertet wurde. Vgl.: Otto Wilser, BB 1960, 659 (661). Dass diese Kritik nach wie vor Aktualität besitzt, belegen die Ausführungen von Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2573. 6 Wie folgt: BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330). 2 3

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rade unter Bezugnahme auf die Folgen der Einheitstheorie, dass der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG eine so weitgehende – das heißt die Einheitstheorie umsetzende – Bedeutung nicht beigemessen werden dürfe. Der Organschaft sei zwar im Gewerbesteuerrecht bei der Ermittlung des Gewerbeertrags Rechnung zu tragen; dies gelte insbesondere in den Sonderfällen der §§ 8 und 9 GewStG. Darin erschöpfe sich aber deren Bedeutung. Darüber hinaus sei grundsätzlich daran festzuhalten, dass beide Unternehmungen selbständige Gesellschaften sind, die jede für sich eine Bilanz aufstellen, welche Wirkung für die Heranziehung zur EinkommenKörperschaftsteuer und damit zur Gewerbesteuer besitze. Zu veranlagen sei letztlich aber nur die beherrschende Gesellschaft. Eine Einheitsbilanz, die die Erträge beider Gesellschaften ausweist, werde nicht aufgestellt. Um den Gesamtertrag für die Zwecke der Gewerbesteuer festzustellen, würden die Ergebnisse beider Gesellschaften zusammengerechnet. Unbeschadet der Methode der Ermittlung des Gesamtergebnisses durch Zusammenrechnung behalte aber entscheidende Bedeutung, dass die durch Organschaft verbundenen Unternehmen getrennt bilanzieren und das Bilanzergebnis jeder Unternehmung für sich für die Einkommen-Körperschaftsteuer und damit nach der zwingenden Vorschrift des § 7 GewStG auch für die Gewerbesteuer maßgebend ist. Eine andere Betrachtungsweise würde für die Zukunft zur Preisgabe der Einkommen-Körperschaftsteuerbilanz als Ausgangspunkt der Ermittlung des gewerbesteuerpflichtigen Ertrags und zur Aufstellung einer besonderen Gewerbesteuerbilanz führen.7 Alles in allem, so betont der Bundesfinanzhof abschließend, lege man die Vorschrift bei einer derartigen Interpretation nicht gegen ihren Wortlaut aus. Vielmehr bestimme man lediglich die Grenzen, in denen sie unter Berücksichtigung des Zweckgedankens, der zu ihrem Erlass geführt habe, für die Besteuerung von Bedeutung sei.8 Mit vorstehender Begründung bejahte der Bundesfinanzhof im Ergebnis den Anfall von Gewerbesteuer, obgleich dies der Doktrin der Einheitstheorie widersprach.9 Die Bedeutung dieser Entscheidung geht über den Einzelfall weit hinaus, denn bei konsequenter Fortbildung der Rechtsprechung mussten nunmehr nicht nur die durch eine Verschmelzung organschaftlicher Unternehmen verursachten Vermögensübertragungen, sondern jedweder Geschäftsvorfall innerhalb des Organkreises steuerliche Relevanz besitzen. Fortan waren organkreisinterne Geschäfte also nicht mehr steuerlich irrelevant. Sie waren so zu behandeln, wie dies zwischen fremden Dritten der Fall war. In der Tat bestätigte der Bundesfinanzhof in den folgenden Entscheidungen diese Abkehr von der Einheitstheorie. Bis heute betont das Gericht in seinen Entscheidungen insbesondere die Selbständigkeit der Organgesellschaft im Gewerbesteuerrecht.10 Dabei zeigt sich in der erörterten Entscheidung vom 6.10.1953 wie in den 7 8 9

Zum Ganzen: BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330). BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330). So ausdrücklich: BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330).

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darauf folgenden Entscheidungen deutlich, dass es dem Bundesfinanzhof ein besonderes Anliegen war, trotz oder gerade wegen der Mehrdeutigkeit der Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG die selbständige Stellung des Organs im Organkreis und dessen separate Buchführungspflicht hervorzuheben um die Klippe zwischen Einheitstheorie und dem neuerlich vertretenen Ansatz aufzuzeigen.11 In seinen späteren Judikaten verwirft der Bundesfinanzhof die Einheitstheorie sogar explizit für das Gewerbesteuerrecht12 und führt insbesondere die Tatsache, dass das Organ eigenes Einkommen bezieht, als spezifischer Ausdruck der Selbständigkeit der beherrschten Gesellschaft an.13 Eine solche Selbständigkeit organkreisangehöriger Gesellschaften war den kodifizierten Organschaftsregelungen bisher fremd,14 wurde allerdings für die körperschaftsteuerliche Organschaft vertreten. Die theoretische Grundlage der körperschaftsteuerlichen Organschaft war jedoch nicht die Einheits-, sondern die Zurechnungstheorie,15 der sich von nun an auch die gewerbesteuerliche Organschaft annäherte. Man mag sich wundern, wie die Rechtsprechung einen derartigen Sinneswandel ohne Zutun des Gesetzgebers, einzig unter Berufung auf Inhalt und Grenzen des Wortlautes des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 GewStG, einleiten und letztlich auch durchsetzen konnte. Doch bietet die Zurechnungstheorie im Ertragsteuerrecht den bedeutsamen Vorteil, dass sie keine vereinheitlichte Buchführung und Bilanzierung der verbundenen Unternehmen fordert. Dies wurde teilweise für die nach der Einheitstheorie zum „Einheitsunternehmen“ verbundenen Unternehmungen verlangt,16 was eine Umsetzung der Einheitstheorie stets beschwerlich machte, ja ihrer Durchsetzung möglicherweise im Wege stand.17 Die Zurechnungstheorie knüpfte dagegen 10 Seither ständige Rechtsprechung: BFH, Urteil vom 8.1.1963 – I 237 / 61 U –, BStBl. III 1963, 188 (188 m.w. N.); BFH, Urteil vom 23.3.1965 – I 338 / 60 U –, BStBl. III 1965, 449 (450); BFH, Urteil vom 17.2.1972 – IV R 17 / 68 –, BStBl. II 1972, 582 (584); BFH, Urteil vom 6.11.1985 – R 56 / 82 –, BStBl. II 1986, 73 (74 f.); BFH, Urteil vom 18.9.1996 – I R 44 / 95 –, BStBl. II 1997, 181 (181 f.); BFH, Urteil vom 4.6.2003 – I R 100 / 01 –, BStBl. II 2004, 244 (246); BFH, Urteil vom 10.3.2010 – I R 41 / 09 –, BStBl. II 2011, 181 (182); kritisch zu dieser Entwicklung: Otto Wilser, BB 1960, 659 (661); Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2573. 11 Beispielaft: BFH, Urteil vom 23.3.1965 – I 338 / 60 U –, BStBl. III 1965, 449 (450). 12 BFH, Urteil vom 17.2.1972 – IV R 17 / 68 –, BStBl. II 1972, 582 (584). 13 BFH, Urteil vom 17.11.1966 – I 280 / 63 –, BStBl. III 1967, 118 (119). Vgl. ebenso: BFH, Urteil vom 4.3.1965 – I 249 / 61 S –, BStBl. III 1965, 329 (331); BFH, Urteil vom 8.1.1963 – I 237 / 61 U –, BStBl. III 1963, 188 (188). 14 Vgl. bereits oben: B. III. 1. a) bb) und B. III. 1. a) cc) (1). 15 Vgl. zur körperschaftsteuerlichen Organschaft und ihrem Bezug zur Zurechnungstheorie insbesondere: Werner Jurkat, Die körperschaftsteuerliche Organschaft, Rz. 117 ff. 16 Vgl. bereits oben: B. III. 1. a) cc) (2). 17 Bemerkenswert ist allerdings, dass man sich im Rahmen des 49. Deutschen Juristentages im Jahre 1972 unter dem vielsagenden Titel „Reichen die Vorschriften des Steuerrechts – unter Berücksichtigung des Gesellschaftsrechts – aus, um Vermögensbewegungen zwischen verbundenen Unternehmen vollständig und befriedigend zu regeln?“ ausführlich mit der Möglichkeit der Umsetzung einer nach der Einheitstheorie konzipierten Organschaftsbesteuerung auf der

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aufgrund der separaten Einkommensermittlung auf Ebene der Gesellschaften durchgehend an die allgemeinen Einkommensermittlungsvorschriften an.18 Es bestand daher weder das Erfordernis gesetzgeberischer Umsetzung der Zurechnungstheorie, noch änderte sich die praktische Handhabe hinsichtlich Buchführung und Bilanzierung innerhalb der abhängigen Gesellschaften. Ein gleichlautendes Verständnis der Organschaftsbesteuerung in den Ertragsteuergesetzen lag damit gerade aus normativer Sicht nahe, zumal die Zurechnungstheorie durch die körperschaftsteuerliche Organschaft gleichermaßen in der Praxis erprobt war. Es ist demnach festzuhalten: Bestand zu Zeiten der Kodifikation der Organschaft eine – auch durch den beschränkten Anwendungsbereich auf Betriebssteuern in § 114 RAO fixierte – konzeptionelle Verknüpfung zwischen umsatzsteuerlicher und gewerbesteuerlicher Organschaft, entwickelten sich seit der Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 6.10.1953 Verbindungslinien zwischen der gewerbesteuerlichen und der körperschaftsteuerlichen Organschaft. Die umsatzsteuerliche Organschaft folgte diesen Entwicklungen nicht.19 Für sie wurde (und wird bis heute) unverändert die Einheitstheorie vertreten.20

2. Die tatbestandliche Angleichung der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft an die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft durch das UntStFG vom 20.12.2001 Einen weiteren, bedeutenden Schritt bei der Angleichung der ertragsteuerlichen Organschaftsregeln bewirkte das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20.12.2001 (UntStFG)21. Dessen Erlass war eine Reaktion auf das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 (StSenkG)22, in dem die tatbestandlichen Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft reformiert wurden.23 Namentlich verzichtet das Körperschaftsteuerrecht seither auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Organgesellschaft in das

Grundlage des geltenden Rechts beschäftigte. Im Endeffekt konnte sich dieser Ansatz jedoch in den Ertragsteuergesetzen nicht durchsetzen und man behielt auch nach der Unternehmenssteuerreform der 70er Jahre die Konzeption der Zurechnungstheorie bei. Vgl. diesbezüglich das Gutachten von Harold Rasch, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I (Gutachten), G 1 ff.; außerdem: Harald Weber, JZ 1972, 482 ff. 18 Vgl.: Werner Jurkat, Die körperschaftsteuerliche Organschaft, Rz. 80; Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, S. 127 (136). 19 Ebenso: Andreas Herlinghaus, EFG 2002, 214 (217). 20 Beispielhaft: Ulrich Prinz, in: Herzig, Organschaft, S. 557. 21 BGBl. I 2001, 3858 ff.; BStBl. I 2002, 35 ff. 22 BGBl. I 2000, 1433 ff.; BStBl. I 2000, 1428 ff. 23 Umfassend zur Reform durch das StSenkG: Barbara Fenzl / Christiane Hagen, FR 2000, 289 ff.

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Organträgerunternehmen. Ausreichend zur Begründung der körperschaftsteuerlichen Organschaft ist nun gemäß § 14 KStG die finanzielle Eingliederung sowie der Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages zwischen Organträger und Organgesellschaft. Die gewerbesteuerliche Organschaft wurde an diese Änderungen zunächst nicht angepasst. Sie verlangte nach wie vor die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft, verzichtete hingegen auf die Voraussetzung eines bestehenden und tatsächlich durchgeführten Gewinnabführungsvertrages. Mithin führte das Steuersenkungsgesetz zu einer weiteren Zersplitterung des Organschaftsrechts. Die nunmehr als „verworren“ empfundene Rechtslage24 wurde durch den Gesetzgeber bereits ein Jahr später durch das UntStFG korrigiert.25 In diesem Zuge wurde § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG mit einer dynamischen Verweisung, bezogen auf die §§ 14, 17 und 18 KStG, versehen.26 Dadurch wurden die tatbestandlichen Voraussetzungen der gewerbesteuerlichen Organschaft an diejenigen der körperschaftsteuerlichen Organschaft gekoppelt. Die Anforderungen an die Begründung der körperschaftsteuerlichen und der gewerbesteuerlichen Organschaft stimmen seither überein.27 Besonders hervorgehoben sei hierbei, dass die gewerbesteuerliche Organschaft nun erstmals einen bestehenden und tatsächlich durchgeführten Gewinnabführungsvertrag zwischen Organträger und Organgesellschaft verlangt. Ein solcher wurde ursprünglich vom Reichsfinanzhof allein zur Begründung der körperschaftsteuerlichen Organschaft gefordert. Durch die Neufassung des § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG im Zuge des Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetzes übertrug der Gesetzgeber diese Voraussetzung auf die gewerbesteuerliche Organschaft. Auf der Rechtsfolgenseite blieb die Eigenschaft der Organgesellschaft als Betriebsstätte des Organträgers für die gewerbesteuerliche Organschaft erhalten. Dies unterscheidet die gewerbesteuerliche Organschaft nach wie vor von der Organschaft im Körperschaftsteuerrecht.28

II. Die Reform der Abgabenordnung 1977 Im Zuge der Reform der Abgabenordnung im Jahre 1977 wurde die Haftung bei Organschaft in § 73 AO neuerlich kodifiziert. Die Vorschrift ist an ihren Vorgänger – den § 114 RAO – angelehnt und regelt in ähnlicher Weise die Inanspruchnahme der So explizit: Andreas Herlinghaus, GmbHR 2001, 956 (957). Vgl. zu den Änderungen durch das UntStFG: Andreas Herlinghaus, GmbHR 2001, 956 ff.; Michael Wehrheim / Gerrit Adrian, DB 2003, 737 ff. 26 Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2558; Klaus-Dieter Drüen, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 2 GewStG, Rz. 129. 27 Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2557. 28 Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2557. 24 25

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Organgesellschaft für Steuerschulden des Organträgers im Wege der Haftung. Systematisch verblieb die Norm im Katalog allgemeiner Haftungstatbestände der Abgabenordnung verortet. Inhaltlich weist § 73 AO im Vergleich zur früheren Gesetzeslage allerdings einige Änderungen auf, die sich sowohl auf die Interpretation, als auch den Anwendungsbereich der Regelung auswirken.

1. Tatbestand und Rechtsfolge des § 73 AO § 73 AO: Eine Organgesellschaft haftet für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich.29

a) Der Tatbestand des § 73 AO Wie bereits § 114 RAO setzt § 73 AO einzig ein bestehendes Organschaftsverhältnis zwischen einem Organträgerunternehmen und der in Anspruch genommenen (Organ-)Gesellschaft voraus.30 Im Gegensatz zur früheren Regelung verzichtet § 73 AO allerdings auf eine tatbestandliche Umschreibung des Organschaftsbegriffs.31 Die Vorschrift geht vielmehr davon aus, dass die jeweiligen Einzelsteuergesetze, für die die Organschaft Relevanz besitzt, entsprechende Begriffsbestimmungen enthalten und nimmt hierauf Bezug.32 Besteht ein wirksames Organschaftsverhältnis nach Maßgabe der Einzelsteuergesetze, sind auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 AO ohne weiteres erfüllt.33 Die Erfüllung der Organschaftstatbestände wirkt dadurch zugleich organschafts- und haftungsbegründend.34 Insofern werden die Wechselwirkungen, die zwischen den materiellen Organschaftsregeln und dem Haftungstatbestand bestehen, erneut erkennbar. Zugleich setzt man die Vorschrift jedoch möglichen Einflüssen bei der Fortentwicklung des Organschaftsrechts in den Einzelsteuergesetzen aus. Werden die tatbestandlichen Voraussetzungen organ-

BGBl. I 1976, 613 (632); BStBl. I 1976, 157 (176). Beispielhaft: Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 6. 31 Vgl. BT-Drucks. VI / 1982, 120; Gerd L. Orlopp, StberKongrR 1977, 227 (232). 32 Vgl. BT-Drucks. VI / 1982, 120; Gerd L. Orlopp, StberKongrR 1977, 227 (232). 33 Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 3; Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 6. 34 Damit war die im Rahmen des § 114 RAO diskutierte Frage, ob der Organschaftsbegriff des § 114 RAO gleichlautend mit demjenigen der Einzelsteuergesetze aufzufassen ist, durch die Reform der Abgabenordnung beseitigt. Die Bezugnahme des § 73 AO auf die Einzelsteuergesetze führte zwangsläufig zu einem gleichlautenden Verständnis. Vgl. hierzu oben: B. III. 2. a) aa). 29 30

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schaftlicher Eingliederung in einem der Einzelsteuergesetze verändert, schlägt sich dies unmittelbar im Haftungstatbestand nieder.

b) Die Rechtsfolgen des § 73 AO Besteht Organschaft zwischen der in Anspruch genommenen Organgesellschaft und einem Organträger, so haftet die Organgesellschaft gemäß § 73 AO für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Mit dieser Wendung bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft nur für diejenigen Steuern des Organträgers statthaft ist, für die nach dem jeweiligen materiellen Tatbestand Organschaft besteht.35 Sind etwa die Voraussetzungen der umsatzsteuerlichen Organschaft erfüllt, diejenigen der gewerbesteuerlichen Organschaft dagegen nicht, dann haftet die Organgesellschaft lediglich für die Umsatzsteuerschuld des Organträgers.36 Zeitlich sind nur diejenigen Steuerschulden des Organträgers Gegenstand der Haftung, die während des Bestehens der organschaftlichen Beziehung entstanden sind.37 Die Haftungsinanspruchnahme durch die Finanzbehörde kann dagegen auch nach der Auflösung des Organschaftsverhältnisses erfolgen.38 Neben der Haftung für die Steuerschuld des Organträgers ordnet § 73 S. 2 AO die Haftung der Organgesellschaft für Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen an. Eine Haftung für andere Ansprüche aus dem Schuldverhältnis, etwa für steuerliche Nebenleistungen, normiert § 73 AO hingegen nicht.39 Besondere Beachtung verdient die Tatsache, dass der Anwendungsbereich des § 73 AO nicht auf Betriebssteuern beschränkt ist.40 Die Vorschrift greift somit weiter als § 114 RAO und ist nun auf die Fälle der umsatzsteuerlichen, gewerbesteuerli-

35 BT-Drucks. VI / 1982, 120; ähnlich: Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 11. 36 Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 5; Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 14; Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 73, Rz. 2; Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 13. 37 Beispielhaft: Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 73, Rz. 6. 38 Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 73, Rz. 14; BFH, Urteil vom 8.9. 1983 – V R 114 / 78 –, UR 1983, 222 (223). 39 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 19; Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 14; BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 (3 ff.). 40 So ausdrücklich: BT-Drucks. VI / 1982, 120; Gerd L. Orlopp, StberKongrR 1977, 227 (232 f.).

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chen und körperschaftsteuerlichen Organschaft gleichermaßen anwendbar.41 Mit dieser Erweiterung des Anwendungsbereichs korreliert der Verzicht auf eine eigene Organschaftsdefinition im Tatbestand des § 73 AO. Diese konnte bei einer Anwendung der Vorschrift auf die körperschaftsteuerliche Organschaft aufgrund des zusätzlichen Erfordernisses eines Ergebnisabführungsvertrages nicht gleichlautend formuliert werden. Die Bezugnahme auf die Organschaftsregeln der Einzelsteuergesetze transformierte nun deren Organschaftsdefinition in den Tatbestand des § 73 AO und passte die Vorschrift dadurch an die unterschiedlichen Voraussetzungen organschaftlicher Eingliederung in den Einzelsteuergesetzen an.

2. Die Diskussion um die Angemessenheit des Haftungsumfanges des § 73 AO In der Frage der Angemessenheit des Haftungsumfanges des § 73 AO besteht seit Jahrzehnten Dissens. Dabei ist § 73 AO – im Gegensatz zu § 114 RAO – teilweise scharfer Kritik ausgesetzt, die sich auf ein kaum überschaubares Spektrum an Argumenten stützt. Im Kern dreht sich die Diskussion um die Frage, ob die Organgesellschaft lediglich für den von ihr selbst verursachten Teil der Gesamtsteuerschuld haften soll oder bis zur gesamten Steuerschuld des Organkreises in Anspruch genommen werden kann. Eröffnet wurde dieser Diskurs um § 73 AO wohl von Klaus Tipke, der dem Gesetzgeber in seiner Stellungnahme zur Reform der Abgabenordnung 1977 empfohlen hat, den weitreichenden Haftungsumfang der Norm nochmals zu durchdenken.42 Da der Gesetzgeber jedoch von seiner Haltung zu § 73 AO nicht abgerückt ist, hat sich in Anlehnung an Tipke eine breite Front von Kritikern gebildet, die allesamt die Angemessenheit des § 73 AO in Zweifel ziehen.43 Gelegentlich wird die Vorschrift sogar als verfassungswidrig angesehen.44 Dass die Streitigkeit nach wie vor Aktualität besitzt, ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass der Bundesfinanzhof trotz mehrfacher Gelegenheiten zur Frage der Angemessenheit des Haftungsumfanges des § 73 AO bisher nicht abschließend Stellung bezogen hat.45 Möglich wäre dies wohl im Beschluss vom 21.11.200346 41 Beispielhaft: Jens Intemann, in: Pahlke / Koenig, Abgabenordnung, § 73, Rz. 11; Reinhard Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 73, Rz. 1 ff. 42 Klaus Tipke, FR 1970, 479 (481). 43 Beispielhaft: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (insbes. 2776 ff.); Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (273 f.); Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 58 f. 44 So etwa: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 58 f.; Eckard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 138. 45 Vgl. diesbezüglich: BFH, Urteil vom 8.9.1983 – V R 114 / 78 –, UR 1983, 222 (223); BFH, Beschluss vom 21.11.2003 – V B 104 / 02 –, juris; BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 (5).

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gewesen. Dort ist die Problematik jedoch nicht als klärungsbedürftig angesehen worden.47 Auch im Urteil vom 5.10.200448 vermied das Gericht eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Rechtsauffassungen. Allerdings hat es dort in Kürze die Problematik der „Erstreckung der Haftung über die vom beherrschten Unternehmen verursachten Steuern hinaus“49 aufgeworfen.50 Hierbei wurde eine Einschränkung des Haftungsumfanges nicht in Betracht gezogen, weshalb teilweise vermutet wird, der Bundesfinanzhof befürworte eine extensive Auslegung des § 73 AO.51 Tatsächlich erfolgte jedoch keine Auseinandersetzung mit den widerstrebenden Meinungen,52 wozu in diesem Verfahren auch kein Grund bestand. Man wird die Problematik damit als höchstrichterlich ungeklärt anzusehen haben. Angesichts unzähliger Stellungnahmen in Literatur und finanzgerichtlicher Rechtsprechung ist der heutige Diskussionsstand schwerlich zu überblicken. Die Auswertung und Systematisierung der Beiträge wird insbesondere dadurch erschwert, dass ein Teil der Autoren über § 73 AO pauschal urteilt. Andere unterscheiden dagegen danach, ob § 73 AO im Falle der umsatzsteuerlichen, der gewerbesteuerlichen oder der körperschaftsteuerlichen Organschaft zur Anwendung gelangt.53 Ihre Bewertung variiert je nach materiell-rechtlichem Kontext, in dem die Vorschrift herangezogen wird. Ungeachtet aller materiell-rechtlich beeinflussten Differenzierungen haben sich in der Diskussion drei Standpunkte zur Angemessenheit des Haftungsumfanges etabliert. Alle vertretenen Meinungen sind mehrfach argumentativ untermauert, wobei einzelne Argumentationslinien wiederum starker Kritik ausgesetzt sind.

a) Haftung der Organgesellschaft für die gesamte Steuerschuld des Organkreises Die extensivste aller denkbaren Auslegungs- und Anwendungsmöglichkeiten zu § 73 AO führt zu einer umfassenden Haftung der Organgesellschaft für alle im Organkreis verursachten Steuern.54 Das entspricht dem Willen des Gesetzgebers, BFH, Beschluss vom 21.11.2003 – V B 104 / 02 –, juris. Vgl. bereits den Leitsatz des Beschlusses vom 21.11.2003 – V B 104 / 02 –, juris. 48 BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 ff. 49 BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 (5). 50 BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 (5). 51 So etwa: Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (234). 52 So gibt der BFH inhaltlich lediglich die Ausführungen der Gesetzesbegründung wieder. Eine Stellungnahme unterbleibt. Vgl. BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 (5). 53 So etwa: Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 150 f.; Heinz Mösbauer, FR 1989, 473 (481). 54 Vertreten durch: Alois Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, S. 187; Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 11 f.; Jens In46 47

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der dies in den Gesetzesmaterialien zu § 73 AO zum Ausdruck gebracht hat.55 Dort heißt es, hinsichtlich des Haftungsumfanges schließe sich § 73 AO nicht der österreichischen Vorschrift des § 13 Österreichische Bundesabgabenordnung an, wonach die Haftung der Organgesellschaft auf solche Steuern beschränkt ist, die auf den Betrieb des beherrschten Unternehmens entfallen.56 Vielmehr hafte die Organgesellschaft ebenfalls für die von den anderen organkreisangehörigen Unternehmungen verursachten Steuern, ganz gleich, ob diese vom Organträger oder von anderen Schwester- oder Enkelorgangesellschaften verursacht wurden.57 In der Tat wird diese umfassende Haftung der Organgesellschaft auch von Teilen der Literatur als sachgerecht bewertet.58 Man stützt sich hierbei – erneut in Anlehnung an die Gesetzesbegründung – auf die nachstehenden Argumente. aa) Das Praktikabilitätsargument Zur Rechtfertigung der Haftung der Organgesellschaft für die gesamte Steuerschuld des Organkreises verweist die Gesetzesbegründung auf unüberwindbare Schwierigkeiten der Finanzbehörde bei der Ermittlung der einzelnen Verursachungsbeiträge der Unternehmungen.59 temann, in: Pahlke / Koenig, Abgabenordnung, § 73, Rz. 13; Helmar Fichtelmann, Haftung für Steuerschulden, S. 25 f.; Jürgen Guth / Rainer Ling, Steuerrechtliche Haftung, S. 24. Die vollumfängliche Haftung nur bei umsatzsteuerlicher und gewerbesteuerlicher Organschaft befürwortend: Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 150 f.; Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 75; für die umsatzsteuerliche Organschaft: Heinz Mösbauer, UR 1995, 321 (325); eine umfassende Haftung bei umsatzsteuerlicher Organschaft wohl tendenziell bejahend: FG Saarland, Urteil vom 19.3.2002 – 2 K 206 / 98 –, juris Rn. 31. Für die umfassende Haftung bei gewerbesteuerlicher Organschaft: Marc Schumann, in: Deloitte (Hrsg.), Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 394. 55 Die vielfach geführte Diskussion, ob der Wortlaut des § 73 AO für eine vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft oder vielmehr für eine Haftungsbeschränkung spreche, erschöpft sich großteils im Rechtspositivistischen (ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 [264]). Erkenntnisse über den Willen des Gesetzgebers hinsichtlich des Haftungsumfanges wird man durch eine Interpretation des Wortlautes jedenfalls nicht ermitteln müssen. Diesen Willen bringen die Gesetzesmaterialien unmissverständlich zum Ausdruck. Im Übrigen ist wohl in Anbetracht der Diskussion um den Wortlaut des § 73 AO zu resümieren, dass dieser sowohl eine vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft, als auch eine Beschränkung der Haftung auf den jeweiligen Verursachungsbeitrag der Organgesellschaft stützen würde (ebenso: Ralf Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 [236]). Vgl. zur Diskussion um den Wortlaut beispielsweise: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 18, Rz. 449; Matthias Gehm, BuW 2003, 406 (407); Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1993 f.). 56 BT-Drucks. VI / 1982, 120. 57 Ebenfalls rezipierend: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 4. 58 Insbesondere: Alois Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, S. 187; Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 11 f. 59 BT-Drucks. VI / 1982, 120.

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Ohne Zweifel setzt eine auf den eigenen Verursachungsbeitrag beschränkte Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft voraus, dass die einzelnen Verursachungsbeiträge aus der Gesamtsteuerschuld herausdividiert werden. Ein solches Verfahren, so die Gesetzesbegründung, mache jedoch Feststellungen erforderlich, die sich entweder gar nicht oder nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten treffen ließen.60 So sei es etwa notwendig, Feststellungen darüber zu treffen, wie die Steuer auf den Organkreis aufzuteilen sei und welcher Gesellschaft des Organkreises die geleisteten Zahlungen zuzurechnen seien.61 Ein solches Verfahren bereite der Finanzbehörde jedoch in der Praxis unüberwindbare Schwierigkeiten.62 Bereits um diese Ermittlungsschwierigkeiten zu vermeiden, sei die umfassende Haftung der Organgesellschaft geboten. Sucht man nach der Grundlage dieser Argumentation, dann wird man diese erneut in der Einheitstheorie zu sehen haben. Nach deren theoretischem Ansatz wäre es nur konsequent, wenn das aus den verbundenen Unternehmen gebildete „Einheitsunternehmen“ auch in Angelegenheiten der Buchführung und Bilanzierung vereinheitlicht würde.63 Eine Aufspaltung der Gesamtsteuerschuld wäre in diesem Falle wohl tatsächlich kaum mehr möglich, weil sich aus Büchern und Bilanzen nicht mehr ermitteln ließe, welche Geschäftsvorfälle welchem der rechtlich selbständigen Unternehmen zuzurechnen sind. Wäre die Einheitstheorie also in dieser Weise umgesetzt, könnte dies der gesetzgeberischen Argumentation in der Tat ihre Legitimation verschaffen. Wenngleich aber die Einheitstheorie ursprünglich im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht vorherrschend war, ist es zu einer die Buchführung und Bilanzierung einschließenden Vereinheitlichung der verbundenen Unternehmen nicht gekommen.64 Ganz im Gegenteil: Die gewerbesteuerliche Organschaft wandte sich sogar zunehmend von der Einheitstheorie ab.65 Es verwundert daher kaum, dass sich das „Praktikabilitätsargument“66 durch eine Konfrontation mit der Rechtswirklichkeit entkräften lässt. So sind die Unternehmen heute im Ertragsteuerrecht trotz bestehender Organschaft zur separaten Buchführung und Bilanzierung verpflichtet.67 Der Gewinn bzw. das Einkommen eines jeden Unternehmens wird in einem ersten

BT-Drucks. VI / 1982, 120. BT-Drucks. VI / 1982, 120. 62 BT-Drucks. VI / 1982, 120. 63 Vgl. bereits oben: B. III. 1. a) cc) (2). 64 Vgl. oben: C. I. 1. 65 Vgl. oben C. I. 1. und 2. 66 So auch die Bezeichnung bei: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2778). 67 Mit entsprechender Bezugnahme auf das Praktikabilitätsargument: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2778 f.); Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 59; Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 6. 60 61

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Schritt getrennt ermittelt,68 bevor es in einem zweiten Schritt zur Saldierung kommt.69 Dadurch ist der körperschaftsteuerlich bzw. gewerbesteuerlich relevante Verursachungsbeitrag eines jeden Unternehmens für die Finanzbehörde ohne weiteres ermittelbar. Die geschilderten Ermittlungsschwierigkeiten bestehen im Ertragsteuerrecht folglich nicht.70 Gleiches gilt überdies selbst für die der Einheitstheorie verschriebene umsatzsteuerliche Organschaft, denn auch hier werden die Umsätze (und Vorsteuerabzugsbeträge) zunächst bei der Organgesellschaft erfasst.71 Aufgrund dieser Zahlen kann der konkrete Verursachungsbeitrag der Organgesellschaft zur Gesamtsteuerschuld ermittelt werden.72 Das Praktikabilitätsargument vermag daher weder mit Blick auf die ertragsteuerliche Organschaft, noch in Bezug auf die umsatzsteuerliche Organschaft zu überzeugen. Die vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft kann demnach nicht unter Berufung auf unüberwindbare Ermittlungsschwierigkeiten seitens der Finanzbehörde gerechtfertigt werden.73 bb) Das Argument wirtschaftlicher Einheit des Organkreises Vielfach wird die vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft außerdem mit der wirtschaftlichen Einheit des Organkreises begründet. Ausweislich der Gesetzesbegründung könne es als sachgerecht angesehen werden, den Organkreis als einheitliches Ganzes zu betrachten.74 In Folge dieser Betrachtung sei es dann auch angemessen, das wirtschaftlich einheitliche Unternehmen für die Gesamtsteuerschuld einheitlich haftbar zu machen.75 68 Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 16. 69 Vgl. zur zweistufigen Einkommensermittlung ausführlich: Andreas Herlinghaus, in: Herzig, Organschaft, S. 119 ff. 70 Das Praktikabilitätsargument bei ertragsteuerlicher Organschaft daher ablehnend (beispielhaft): Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2778 f.); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (237). 71 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 18, Rz. 451; Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 6; Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995 f.); Wolfram Reiß, StuW 1979, 343 (344). 72 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995 f.). 73 Vgl. hierzu insbesondere: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2778 f.), die dieses Ergebnis zusätzlich mit verfassungsrechtlichen Erwägungen untermauern. Ähnlich in diesem Zusammenhang auch: Klaus Tipke, FR 1970, 479 (480): „Verwaltungsbequemlichkeit vermag Übermaß nicht zu rechtfertigen.“ Vergleichbar außerdem: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 135 ff. Allgemein auch: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 59; Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 6. 74 BT-Drucks. VI / 1982, 120. 75 Vgl. Alois Nacke, Die Haftung für Steuerschulden, S. 187.

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In der Tat scheint es folgerichtig, wenn argumentiert wird, der wirtschaftlichen Vereinheitlichung der Unternehmungen müsse die haftungsrechtliche Vereinheitlichung folgen.76 Betrachtet man dieses Argument darüber hinaus vor dem Hintergrund der Entwicklungen des Organschaftsrechts, so zeigt sich abermals ein unmittelbarer Zusammenhang mit der vormals vorherrschenden Doktrin der Einheitstheorie. Deren Ansatz der Vereinheitlichung verbundener Unternehmen aufgrund wirtschaftlicher Betrachtungsweise wird zur Grundlage der Vereinheitlichung der Haftung. Insofern ist das Argument der Vereinheitlichung des Organkreises vor dem Hintergrund der aufgezeigten Entwicklungen – jedenfalls im Umsatzsteuerrecht – plausibel erklärbar.

b) Tatbestandliche Beschränkung der Haftung auf den von der Organgesellschaft verursachten Teil der Gesamtsteuerschuld aa) Verstoß gegen das Übermaßverbot und unzulässige Benachteiligung von Drittgläubigern und Minderheitsgesellschaftern Die Gegenansicht vertritt die Auffassung, die Haftung der Organgesellschaft sei zwingend auf diejenigen Steuern des Organträgers zu reduzieren, die ohne Anerkennung der Organschaft bei der betreffenden Organgesellschaft entstanden wären.77 Grund hierfür sei, dass das Organ lediglich einen von mehreren Verursachungsbeiträgen für die beim Organträger zu erhebende Steuerschuld leiste.78 Insoweit reduziere sich auch das Interesse des Steuergläubigers auf diesen seitens des Organs erwirtschafteten Verursachungsbeitrag. Allein die Ausgestaltung der Haftung nach § 73 AO als persönliche Haftung bedeute nicht, dass eine Beschränkung des Umfangs, gemessen am Verursachungsbeitrag, ausgeschlossen sei. Der Fiskus werde nämlich mit der uneingeschränkten Inanspruchnahme der Organgesellschaft ohne Not bevorzugt. Er bekomme mehr, als er ohne das Bestehen der Organschaft fordern könnte.79 Konträr dazu werde die Organgesellschaft bei einer umfassenden

76 Ähnlich: Harald Jatzke, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73, Rz. 11 f. 77 So ausdrücklich: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 59; zustimmend: Joachim Kraemer, Anfechtung steuerlicher Haftungs- und Duldungsbescheide, S. 56 f. Für diese Ansicht weiterhin: Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 470 f. und S. 481; grundlegend: Klaus Tipke, FR 1970, 479 (480 f.). Auf die körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Organschaft beschränkt: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2776 ff.); Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (273 ff.); Ralf Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238). Für eine Haftungsbeschränkung bei umsatzsteuerlicher Organschaft: Wolfram Reiß, StuW 1979, 343 (345); Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1996); Wolfgang Sturm, StuW 1992, 252 (259). 78 Wie folgt explizit: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (273).

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Einstandspflicht – wie sie der Gesetzgeber vorsieht – in unzulässiger Weise benachteiligt.80 Im Ergebnis sei deshalb jede Haftung für von einem anderen organkreisangehörigen Unternehmen verursachte Steuern in Ansehung des Grundsatzes steuerlicher Lastengleichheit verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.81 Insbesondere gelte es bei einer umfassenden Haftung zu bedenken, dass die Höhe des Haftungszugriffs keiner Begrenzung unterliege. Die vollumfängliche Haftung für alle im Organkreis verursachten Steuern könne damit „ruinöse Ausmaße“82 annehmen; die Organgesellschaft könne durch den Haftungszugriff existenziell gefährdet werden.83 Ihre Inanspruchnahme für die von anderen organkreisangehörigen Unternehmungen verursachten Teile der Gesamtsteuerschuld sei daher in jedem Falle übermäßig. Weiter heißt es, die unbeschränkte Haftung des Organs nach § 73 AO müsse aus verfassungsrechtlicher Sicht umso bedenklicher stimmen, als dadurch Interessen Dritter, namentlich etwaiger an der Organgesellschaft beteiligter Minderheitsgesellschafter und Drittgläubiger, völlig außer Betracht bleiben würden.84 Hafte das Organ für die gesamte Steuerschuld des Organkreises, so bedeute dies eine Minderung des Vermögens der Organgesellschaft, die gerade zu Lasten von Drittgläubigern und Minderheitsgesellschaftern gehe.85 Für die Drittgläubiger der Organgesellschaft führe dies zu einer Schmälerung des Haftungssubstrats. Diese Schmälerung sei insbesondere deshalb unerträglich, weil sie nach ihrem Umfang von der Steuerverursachung der anderen Unternehmen abhängig und für die Drittgläubiger folglich nicht vorhersehbar sei.86 Für die Minderheitsgesellschafter bedeute die Schmälerung des Gesellschaftsvermögens einen Eingriff in ihre Eigentumsposition.87 Insofern sei die Bevorrechtigung des Steuergläubigers durch eine umfassende Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO ein übermäßiger, sachlich nicht zu rechtfertigender, demnach willkürlicher und unzumutbarer Eingriff in die Rechte der Minderheitsgesellschafter und in das Haftungssubstrat der Gesellschaftsgläubiger.88

79 Wie folgt: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (273). 80 Statt vieler: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2776 ff.). 81 Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2779, 2781). 82 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1993). 83 Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2776); Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1993). 84 Explizit: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (274); Ralf U. BraunagelDominic Paschke, Ubg 2011, 233 (237). 85 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (274). 86 Vgl. Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 28, bezogen auf die mit der Organschaft „verwandte“ Rechtsfigur der Unternehmereinheit. 87 Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 59. 88 So ausdrücklich: Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 59; zustimmend: Joachim Kraemer, Anfechtung steuerlicher Haftungs- und Duldungsbescheide, S. 56 f.; vgl. zur

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Alles in allem, so resümieren die Vertreter dieser Ansicht, müsse die Vorschrift des § 73 AO in Folge des aufgezeigten verfassungsrechtlichen Konfliktpotentials teleologisch reduziert werden.89 Dabei müsse eine Beschränkung der Haftung zwingend auf Tatbestandsebene erfolgen.90 Für etwaige Ermessenserwägungen der Finanzbehörde sei nicht zuletzt angesichts der Eingriffsintensität kein Raum.91 Einzig die tatbestandliche Beschränkung des § 73 AO auf den von der Organgesellschaft selbst verursachten Teil der Gesamtsteuerschuld führe zu einer mit dem Grundgesetz konformen Auslegung der Vorschrift.92 bb) Die Durchbrechung zivilrechtlicher Ordnungsstrukturen durch die umfängliche Haftung der Organgesellschaft bei umsatzsteuerlicher Organschaft (1) Die Argumentation von Probst Speziell auf den Fall der Haftung bei umsatzsteuerlicher Organschaft beschränkt sich der Vorwurf, § 73 AO durchbreche bei extensiver Auslegung gefestigte Ordnungsstrukturen des Zivilrechts. Diese, insbesondere von Probst93 erhobene Kritik sieht in der Haftung der Organgesellschaft für vom Organträger verursachte Steuern die Durchbrechung des Prinzips der Trennung der Vermögenssphären von juristischer Person und ihren Gesellschaftern. Danach ist die Rechtssphäre einer juristischen Person streng von derjenigen ihrer Gesellschafter zu scheiden.94 Diesen Schluss leitet Probst aus der Überlegung her, dass das Umsatzsteuerrecht, ebenso wie das Steuerrecht im Allgemeinen die Rechtsfigur der juristischen Person voraussetze und an diese anknüpfe.95 Signifikant sei dafür gerade das Rechtsinstitut der Organschaft, denn Organgesellschaft könne gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur eine juristische Person sein. Der juristischen Person eigentümlich sei nun aber das Benachteiligung der Minderheitsgesellschafter weiterhin: Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 185 f. 89 Grundlegend: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2779, 2781). 90 Ausdrücklich: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2779, 2781); Ralf Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238). 91 Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2779); Ralf Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238); ähnlich: Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1996). 92 So ausdrücklich: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2779); vgl. allgemein zu dieser Ansicht (beispielhaft): Klaus Goutier, Die Haftung im Steuerrecht, S. 59; Ralf Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238). 93 Vgl. hierzu: Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1994 ff.); im Anschluss an Probst auch: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 132. 94 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1994); Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 132 f. 95 Wie folgt ausdrücklich: Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1994).

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Trennungsprinzip, das die Gläubiger der juristischen Person auf deren (Sonder-)Vermögen beschränke und die Rechtssphären der juristischen Person und der hinter ihr stehenden Gesellschafter voneinander scheide. Weder hafteten sie für die Verbindlichkeiten der juristischen Person, noch hafte diese für die Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter. Dann aber sei es besonders bedenklich, wenn das zivilrechtliche Ordnungsprinzip vom Steuerrecht gerade an der Stelle durchbrochen werde, die seine eigentliche rechtliche Bedeutung ausmache, die Organgesellschaft also unter Missachtung des Trennungsprinzips für vom Organträger oder gar von anderen Organgesellschaften verursachte Steuern in Anspruch genommen werden würde.96 In seiner anschließenden Untersuchung vermochte Probst keinen die „Ausnahmevorschrift“ des § 73 AO rechtfertigenden Grund zu erkennen.97 Insbesondere, so Probst, müsste deren Gewicht der Intensität der Abweichung von dem grundsätzlich gewählten Ordnungsprinzip entsprechen, was für keinen der für eine vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft vorgebrachten Gründe zutreffe.98 Demzufolge bedeute die Haftung der Organgesellschaft für von ihrem Gesellschafter – dem Organträger – und anderer Organgesellschaften verursachte Steuern eine unzulässige Durchbrechung zivilrechtlicher Ordnungsstrukturen. Dies führe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts99 zur Verfassungswidrigkeit des § 73 AO. Um mit der Verfassung gleichwohl in Einklang stehen zu können, bedürfe es deshalb einer verfassungskonformen Auslegung der Norm. Danach sei § 73 AO notwendigerweise in seinem Haftungsumfang auf den Verursachungsbeitrag der Organgesellschaft zu beschränken.100 (2) Stellungnahme Bevor zur vorstehenden Argumentation von Probst Stellung genommen werden kann, muss diese zunächst präzisiert werden. So gilt der Vorwurf, § 73 AO durchbreche das zivilrechtliche Trennungsprinzip, wenn die Organgesellschaft aufgrund dieser Vorschrift für von ihrem Gesellschafter verursachte Steuern einzustehen habe, gleichermaßen für die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Dies ergibt sich daraus, dass das Trennungsprinzip – wie Probst im Übrigen selbst erklärt – zwei Seiten besitzt.101 Einerseits haftet eine Gesellschaft nicht für die Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter, die Organgesellschaft also nicht für Verbindlichkeiten des Or96 Zum Ganzen: Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1994); ebenso: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 132 f. 97 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1994 f.). 98 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995). 99 Hierbei beruft sich Probst auf: BVerfG, Urteil vom 24.1.1962 – 1 BvR 845 / 58 –, BVerfGE 13, 331 ff. Vgl. Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995, Fn. 21). 100 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1996); ähnlich: Wolfram Reiß, StuW 1979, 343 (345). 101 „Weder haften die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der juristischen Person, noch haftet sie für die Verbindlichkeiten ihrer Gesellschafter.“ Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1994).

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ganträgers. Andererseits haften die Gesellschafter auch nicht für Verbindlichkeiten der Gesellschaft. Wenn aber der Organträger gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die gesamte vom Organkreis erwirtschaftete Umsatzsteuer schuldet, so steht er gleichsam für Verbindlichkeiten ein, die bei fehlender organschaftlicher Verbindung die Organgesellschaft treffen würden.102 Die Kritik, § 73 AO durchbreche zivilrechtliche Ordnungsstrukturen, wenn die Organgesellschaft für vom Organträger verursachte Steuern haftet, ist daher in gleicher Weise gegen § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu richten und damit im Ergebnis gegen die umsatzsteuerliche Organschaft im Ganzen. Deren Folge ist die Vereinheitlichung der rechtlich selbständigen Unternehmungen, die eine einheitliche Steuerschuld erwirtschaften und zur Gänze für diese als Gesamtschuldner einstehen, entweder aufgrund § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG als Steuerschuldner oder nach § 73 AO als Haftende. Kritisiert man dies mit dem Einwand der Durchbrechung zivilrechtlicher Strukturen, so steht im Endeffekt nicht § 73 AO, sondern das gesamte Rechtsinstitut der umsatzsteuerlichen Organschaft zur Diskussion. Dies erkennt auch Reiß103, der ebenfalls eine unzulässige Durchbrechung der systemtragenden Prinzipien des zivilrechtlichen Haftungsrechts ausmachen will. Im Gegensatz zu Probst stellt er jedoch die gesamten Regelungen der „§ 2 Abs. 2 UStG i.V. mit § 13 Abs. 2 UStG und § 73 AO“ in Frage.104 Die Untersuchung von Reiß ist deshalb zusätzlich Beleg dafür, dass sich eventuelle Zweifel aufgrund einer Durchbrechung zivilrechtlicher Strukturen gegen die umsatzsteuerliche Organschaft als solche richten müssen und nicht allein gegen § 73 AO. Die vorstehend dargestellte Argumentation zur Durchbrechung zivilrechtlicher Ordnungsstrukturen durch das Steuerrecht hat insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur sog. Unternehmereinheit an „Popularität“ gewonnen.105 Die Rechtsfigur der Unternehmereinheit wies eine gewisse Nähe zur Organschaft auf. Waren an mehreren Handelsgesellschaften die gleichen Gesellschafter bei gleichen Verhältnissen beteiligt, dann sollten die zusammengefassten Gesellschaften kraft höchstrichterlicher Rechtsprechung umsatz- und gewerbesteuerlich wie ein einheitliches Unternehmen zu behandeln sein.106 Gleiches galt im Umsatzsteuerrecht bei nebengeordneten Kapitalgesellschaften.107 Das so entstandene Gebilde war die Unternehmereinheit. Diese unterschied sich von der Organschaft dadurch, dass sie einen horizontalen Unternehmenszusammenschluss forderte, während die Organschaft die vertikale Verflechtung, also ein Über-UnterordnungsverVgl. nur: Jörg Grune / Alexander Mönckendieck, UR 2012, 541 (543). Wolfram Reiß, StuW 1979, 343 ff. 104 Zum Ganzen und zum Zitat: Wolfram Reiß, StuW 1979, 343 (344 ff.). 105 Vgl. BFH, Urteil vom 16.11.1978 – V R 22 / 73 –, BStBl. II 1979, 347 (349); BFH, Urteil vom 23.11.1978 – V R 36 / 78 –, BStBl. II 1979, 350 (351); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 29 / 73 –, BStBl. II 1979, 352 (353); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 40 / 78 –, BStBl. II 1979, 354 (355); BFH, Urteil vom 8.2.1979 – V R 114 / 74 –, BStBl. II 1979, 358 (361). 106 Vgl.: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 1. 107 Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 1. 102 103

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hältnis der beteiligten Unternehmen, voraussetzt.108 In Bezug auf die Unternehmereinheit erklärte der Bundesfinanzhof mehrfach, dass die Haftung einer beteiligten Gesellschaft für die gesamte, im Rahmen der Unternehmereinheit entstandene Umsatzsteuer die zivilrechtlichen Ordnungsstrukturen getrennter Haftungsmassen verletze.109 Aufgrund der ohne Zweifel bestehenden Parallelen zwischen diesen Rechtsinstituten liegt eine Übertragung der Rechtsprechung zur Rechtsfigur der Unternehmereinheit auf das Organschaftsrecht durchaus nahe. In seinen Entscheidungen zur Unternehmereinheit verwies der Bundesfinanzhof ohne weitergehende Argumentation zur Durchbrechung der Ordnungsstruktur auf eine Untersuchung von Klaus Vogel110. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass eine mit der Rechtsfigur der Unternehmereinheit möglicherweise einhergehende Durchbrechung zivilrechtlicher Ordnungsstrukturen den Rahmen der Gesetzesauslegung eindeutig überschreite.111 Eine Gliedgesellschaft könne nicht für die gesamte Steuerschuld des Rechtsgebildes Unternehmereinheit haftbar gemacht werden. Obgleich dieser Befund auf die in Rede stehende Streitfrage der umfänglichen Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO durchaus übertragbar scheint, wäre es gleichwohl verfehlt, hieraus Schlüsse auf das Organschaftsrecht zu ziehen. Der neuralgische Punkt der Unternehmereinheit war nämlich, dass keine tragfähigen (Rechts-)Grundlagen für Schuld und Haftung der Gesellschafter bzw. der Unternehmereinheit als solcher existierten.112 Dadurch waren die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit im Bereich des allgemeinen Steuerrechts formell-gesetzlich ungeklärt.113 Insbesondere die Frage, wer die Steuern der Unternehmereinheit schuldet bzw. welche Vermögensmassen dem Zugriff des Steuergläubigers unterliegen, stand immerwährend in der Diskussion und war wohl bis zuletzt umstritten.114 So war die Unternehmereinheit als solche einerseits kein Vermögensträger, andererseits existierten – anders als im Organschaftsrecht – keine gesetzlichen Grundlagen für eine Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 8 m.w. N. Vgl. BFH, Urteil vom 16.11.1978 – V R 22 / 73 –, BStBl. II 1979, 347 (349); BFH, Urteil vom 23.11.1978 – V R 36 / 78 –, BStBl. II 1979, 350 (351); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 29 / 73 –, BStBl. II 1979, 352 (353); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 40 / 78 –, BStBl. II 1979, 354 (355); BFH, Urteil vom 8.2.1979 – V R 114 / 74 –, BStBl. II 1979, 358 (361). 110 Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit. 111 Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 35. 112 Zum Ganzen: BFH, Urteil vom 16.11.1978 – V R 22 / 73 –, BStBl. II 1979, 347 (348); BFH, Urteil vom 23.11.1978 – V R 36 / 78 –, BStBl. II 1979, 350 (350); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 29 / 73 –, BStBl. II 1979, 352 (352); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 40 / 78 –, BStBl. II 1979, 354 (354); BFH, Urteil vom 8.2.1979 – V R 114 / 74 –, BStBl. II 1979, 358 (360). 113 Explizit: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 2 f. 114 Gerade auf die Klärung dieser Fragen war die Untersuchung von Vogel gerichtet: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit. Explizit hierzu insbesondere der Problemaufriss, S. 3. 108 109

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Haftung der involvierten Gesellschaften.115 Wollte man gleichwohl eine vollumfängliche Haftung der Gliedgesellschaften statuieren, so musste dies zwangsläufig auf der Grundlage (extensiver) Gesetzesauslegung oder eines Analogieschlusses erfolgen.116 Nur beiläufig sei erwähnt, dass hierbei gerade eine analoge Anwendung des § 114 RAO in Erwägung gezogen wurde.117 Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation von Vogel zu verstehen. Dessen Befund, die Durchbrechung zivilrechtlicher Ordnungsstrukturen sei allein auf der Grundlage der Gesetzesauslegung nicht zu rechtfertigen, geht offensichtlich von einem Fehlen von formell-gesetzlichen Grundlagen für eine umfängliche Haftung der einzelnen Gesellschaft aus. Insoweit ist Vogel uneingeschränkt zuzustimmen. In der Tat muss die vollumfängliche Haftungsinanspruchnahme einer Gliedgesellschaft in jedem Falle auf einer formell-gesetzlichen Grundlage beruhen, um verfassungsrechtlich legitimiert zu sein. Im Gegensatz zur Unternehmereinheit bestehen jedoch im Organschaftsrecht mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und § 73 AO formell-gesetzliche Grundlagen zur Begründung von Schuld und Haftung im Organkreis. Bezogen auf das Organschaftsrecht ist deshalb allein zu fragen, ob eine derartige Durchbrechung der zivilrechtlichen Strukturen zu rechtfertigen ist, wenn sie auf einer formell-gesetzlichen Grundlage beruht. Diese Frage wurde vom Bundesfinanzhof indes nicht erörtert, geschweige denn beantwortet. Vogel ließ dies gleichsam offen. Seiner Ansicht nach bedürfte eine Durchbrechung der zivilrechtlichen Ordnungsstruktur – „falls sie überhaupt zulässig sein sollte – doch mindestens einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung“118. Eine solche existiert nun gerade für die Organschaft und die (vollumfängliche) Haftung der Organgesellschaft. Damit stellt sich, auch auf die Argumentation von Probst bezogen, letztlich die Frage, ob die Erwägungen, die zur Kodifikation der umsatzsteuerlichen Organschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und des § 73 AO geführt haben, eine Durchbrechung des zivilrechtlichen Ordnungsprinzips getrennter Haftungsmassen von Gesellschaft und Gesellschaftern zu rechtfertigen vermögen. Grundlage der umsatzsteuerlichen Organschaft war und ist der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise, der die Rechtsprechung und ihr folgend auch den Gesetzgeber dazu veranlasste, verbundene Unternehmen als einheitliches Gebilde zu besteuern.119 Der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise hat 115 So: BFH, Urteil vom 16.11.1978 – V R 22 / 73 –, BStBl. II 1979, 347 (348); BFH, Urteil vom 23.11.1978 – V R 36 / 78 –, BStBl. II 1979, 350 (350); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 29 / 73 –, BStBl. II 1979, 352 (352); BFH, Urteil vom 30.11.1978 – V R 40 / 78 –, BStBl. II 1979, 354 (354); BFH, Urteil vom 8.2.1979 – V R 114 / 74 –, BStBl. II 1979, 358 (360). 116 Mit entsprechendem Versuch: Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 16 ff. 117 Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 37 ff. 118 Klaus Vogel, Die Rechtswirkungen der Unternehmereinheit, S. 35.

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C. Entwicklungen und Reformen im Organschaftsrecht

zentrale Bedeutung für das an wirtschaftliche Vorgänge und Zustände anknüpfende Steuerrecht.120 Jedwedem Steuergesetz kommt eine wirtschaftliche Bedeutung zu.121 Durch sein wirtschaftliches Selbstverständnis tritt das Steuerrecht indes vielfach in Konflikt mit den formalrechtlichen Begrifflichkeiten und Formen des Zivilrechts.122 Es stellt sich regelmäßig die Frage, ob das Steuerrecht in Terminologie und Form an das zivilrechtliche (Begriffs-)Verständnis anknüpft; ob ein Sachverhalt nach seiner „privatrechtlichen Einkleidung“123 oder nach wirtschaftlichen Kriterien zu bewerten ist.124 In terminologischen Angelegenheiten bedeutet eine wirtschaftliche Betrachtungsweise des Steuertatbestandes eine am wirtschaftlichen Normzweck orientierte systematisch-teleologische Gesetzesauslegung.125 Der vom Steuergesetzgeber verwendete Begriff ist allein unter Bezugnahme auf den (wirtschaftlich determinierten) Telos des Steuerrechts auszulegen und nicht zwingend am zivilrechtlichen Verständnis orientiert.126 Die Bedeutung des Grundsatzes wirtschaftlicher Betrachtungsweise geht jedoch über die Gesetzesinterpretation hinaus und ist im Ergebnis viel elementarer:127 Da die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen allein anhand von wirtschaftlichen Gesichtspunkten und Faktoren ermittelt werden kann, ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise notwendiger Reflex einer gleichmäßigen Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.128 Sie „dient der gleichVgl. bereits oben: B. II. 1. und B. III. 1. a) cc) (3). Joachim Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 5, Rz. 70; Heinrich Wilhelm Kruse, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Recht der Verkehrsteuern, in: FS für Paulick, S. 403 (408 m.w. N.). 121 Heinrich Wilhelm Kruse, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Recht der Verkehrsteuern, in: FS für Paulick, S. 403 (408). 122 Instruktiv zum Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht: Roman Seer, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 1, Rz. 31 ff.; Klaus Tipke, JuS 1970, 149 ff.; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht bzw. zur wirtschaftlichen Betrachtungsweise: Heinrich Wilhelm Kruse, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Recht der Verkehrsteuern, in: FS für Paulick, S. 403 (404 ff.). 123 Heinrich Wilhelm Kruse, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Recht der Verkehrsteuern, in: FS für Paulick, S. 403 (403). 124 Heinrich Wilhelm Kruse, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Recht der Verkehrsteuern, in: FS für Paulick, S. 403 (403). 125 Vgl. hierzu: Joachim Englisch, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 5, Rz. 70 ff.; Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1629 ff. 126 Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1629 ff., insbesondere S. 1635 ff.; BVerfG, Beschluss vom 27.12.1991 – 2 BvR 72 / 90 –, StuW 1992, 186 (187); anders noch: BVerfG, Beschluss vom 22.7.1970 – 1 BvR 285 / 66, 1 BvR 445 / 67, 1 BvR 192 / 69 –, BVerfGE 29, 104 (117), wo das Bundesverfassungsgericht fordert, dass für eine vom Zivilrecht abweichende Beurteilung sachlich einleuchtende Gründe vorliegen müssten. Noch restriktiver urteilte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 24.1.1962 – 1 BvR 845 / 58 –; BVerfGE 13, 331 (340). Umfassend zur Entwicklung der Rechtsprechung des BVerfG: Heinrich Wilhelm Kruse, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Recht der Verkehrsteuern, in: FS für Paulick, S. 403 (404 ff.). 127 Vgl.: Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1629 ff. und S. 1648. 128 Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1648. 119

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mäßigen Erfassung gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und damit dem Gleichheitssatz“129. Mit der Organschaft berücksichtigt der Gesetzgeber bei der Besteuerung von Unternehmen deren enge wirtschaftliche Verflechtung. Er setzt den aus rechtlich selbständigen Unternehmen bestehenden Unternehmensverbund (jedenfalls im Umsatzsteuerrecht, § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 UStG) explizit dem Einheitsunternehmen gleich. Dadurch misst der Gesetzgeber der wirtschaftlichen Verbindung für das Steuerrecht eine höhere Bedeutung bei als der formal-zivilrechtlichen Trennung.130 Zielsetzung dieser Betrachtungsweise ist die gleiche steuerliche Belastung von Einheitsunternehmen und dem als wirtschaftliche Einheit begriffenen Unternehmensverbund.131 Dient die Organschaft aber ausschließlich dem Zweck, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit neutral zu erfassen und zu besteuern, so wird man dem nicht mit formalzivilrechtlichen Systemüberlegungen entgegentreten können. Die Autonomie des Steuerrechts verlangt zuvörderst eine kohärente Umsetzung der steuerlichen Prinzipien und Wertungen, bevor auf mögliche Kollisionen mit dem nebengeordneten Zivilrecht Rücksicht genommen werden kann. Dies erkannte auch das Bundesverfassungsgericht132 und hielt es „auf jeden Fall“ für zulässig, wenn der Gesetzgeber bei der Gestaltung von Steuertatbeständen – wie denjenigen zur Organschaft – auch an wirtschaftliche Sachverhalte anknüpft.133 Im von der wirtschaftlichen Betrachtungsweise geprägten Steuerrecht ist die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft daher zu rechtfertigen.134 Ob sie im Umsatzsteuerrecht überdies auch notwendig ist, geschweige denn im Mehrwertsteuersystem noch (rechtspolitisch) sinnvoll, zumal sie ungewollt Gestaltungsspielräume eröffnet,135 steht auf einem anderen Blatt.136 Zu rechtfertigen ist die durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG und § 73 AO verur-

Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1648. Auch explizit für die Organschaft: Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1648: Das Steuerrecht „wertet die wirtschaftliche Fusion höher als die rechtliche“. 131 Vgl. bereits oben: B. III. 1. a) cc) (3). 132 So ausdrücklich: BVerfG, Beschluss vom 2.10.1968 – 1 BvF 3 / 65 –, BVerfGE 24, 174 (181). 133 Vgl. zur frühen Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht: Heinrich Wilhelm Kruse, Die wirtschaftliche Betrachtungsweise im Recht der Verkehrsteuern, in: FS für Paulick, S. 403 (404 ff.), der schließlich resümiert: „Das griffige Schlagwort „Ordnungsstruktur des Zivilrechts“ ist in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr anzutreffen.“ 134 Wohl ebenso: BVerfG, Beschluss vom 11.11.1964 – 1 BvR 488 / 62, 1 BvR 562 / 63, 1 BvR 216 / 64 –, BVerfGE 18, 224 (234). Dort heißt es bei nachfolgender Bezugnahme auf § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG: „Das Gebot wirtschaftlicher Betrachtungsweise ist auch insoweit, als es zu einer Unterscheidung zwischen den juristischen Personen je nach ihrer wirtschaftlichen Gestaltung führt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.“ 135 Dazu (beispielhaft): Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 967 ff. 136 Ablehnend zur umsatzsteuerlichen Organschaft: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 802. Die umsatzsteuerliche Organschaft jedoch auch im System 129 130

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sachte Durchbrechung der zivilrechtlichen Ordnungsstrukur getrennter Haftungsmassen jedenfalls unter Berufung auf den Grundsatz wirtschaftlicher Betrachtungsweise. Im Übrigen nahm das Bundesverfassungsgericht speziell hinsichtlich des von Probst gerügten Verstoßes gegen das zivilrechtliche Trennungsprinzip Stellung. Es führt aus, zu einem völligen Verbot eines Durchgriffs im Steuerrecht bestehe umso weniger Grund, als sogar das Zivilrecht in gewissen Fällen solche Durchgriffe bei juristischen Personen kenne.137 Auch das Reichsgericht und der Bundesgerichtshof hätten in ständiger Rechtsprechung die Rechtsform der juristischen Person außer Acht gelassen, wenn dies etwa „die Natur der Sache“, „die Wirklichkeit des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen“ gebieten würden.138 In diesem Zusammenhang spricht das Bundesverfassungsgericht sogar von „typischen Durchgriffen“, um die es sich dann handele, wenn der Zweck einer Norm ohne Durchgriff nicht erreicht werden könnte.139 Dies aber trifft explizit auf die Vorschriften der Organschaft zu. Deren Zweck, die wirtschaftlich einheitlichen Unternehmen gleich einem Einheitsunternehmen zu besteuern, setzt in der Tat den Ausweis einer einheitlich ermittelten Gesamtsteuerschuld des Unternehmensverbundes voraus. Auch dies spricht gegen einen Verfassungsverstoß der § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, § 73 AO. Im Ergebnis kann daher der Argumentation von Probst nicht gefolgt werden. Die gerügte Durchbrechung der zivilrechtlichen Ordnungsstruktur getrennter Haftungsmassen von juristischer Person und Gesellschaftern ist in Ansehung des Zweckes einer auf dem Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beruhenden, gleichheitsgerechten Besteuerung gerechtfertigt. Dementsprechend muss § 73 AO im Falle umsatzsteuerlicher Organschaft nicht dahingehend teleologisch reduziert werden, dass eine Haftung nur für den Teil der Gesamtsteuerschuld in Betracht kommt, der bei fehlender Organschaft auf die Organgesellschaft entfallen würde.

der Mehrwertsteuer billigend: BVerfG, Urteil vom 20.12.1966 – 1 BvR 320 / 57, 1 BvR 70 / 63 –, BVerfGE 21, 12 (45), wo es heißt, der Systematik des Umsatzsteuergesetzes entspreche es, dass der Entwurf eines Nettoumsatzsteuergesetzes die Rechtsfigur der Organschaft beibehält, wobei allerdings ihre den freien Wettbewerb bisher beeinträchtigende Wirkung durch die Einführung des Vorsteuerabzugs entschärft werde. 137 BVerfG, Beschluss vom 11.11.1964 – 1 BvR 488 / 62 –, 1 BvR 562 / 63, 1 BvR 216 / 64, BVerfGE 18, 224 (235). 138 So ausdrücklich und mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des RGH und des BGH, auf die Bezug genommen wird: BVerfG, Beschluss vom 11.11.1964 – 1 BvR 488 / 62, 1 BvR 562 / 63, 1 BvR 216 / 64 –, BVerfGE 18, 224 (235). 139 BVerfG, Beschluss vom 11.11.1964 – 1 BvR 488 / 62, 1 BvR 562 / 63, 1 BvR 216 / 64 –, BVerfGE 18, 224 (235).

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c) Die vermittelnde Ermessenslösung aa) Die Lösung der Finanzgerichte Ein weiterer, vornehmlich durch die Finanzgerichte vertretener Ansatz sucht die Lösung der Problematik auf der Ermessensebene.140 Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO steht die Geltendmachung eines Haftungsanspruchs generell im Ermessen der Finanzbehörde.141 Die sachgerechte Ausübung dieses Ermessens schließt auch die Entscheidung der Behörde über die angemessene Höhe der Haftungsinanspruchnahme ein.142 Damit hat die Finanzbehörde im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die gesamte Haftungsschuld geltend gemacht werden soll. Diese Entscheidungsbefugnis der Behörde soll dazu genutzt werden, im jeweiligen Einzelfall den sachgerechten Haftungsumfang festzulegen. Das Problem der sachgerechten Inanspruchnahme der Organgesellschaft wird daher einerseits von der Tatbestands- auf die Ermessensebene verlagert und andererseits zu einer Frage des Einzelfalles gemacht. Dementsprechend gilt es nach dieser „vermittelnden Ansicht“, in jedem zu beurteilenden Fall zu entscheiden, ob die vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft sachgerecht oder übermäßig ist. In letzterem Falle ist die Haftungsinanspruchnahme auf ein sachgerechtes Maß zu reduzieren. Dabei wird eine Beschränkung der Haftung vielfach als Regelfall, die vollumfängliche Inanspruchnahme dagegen als Ausnahme, bei Vorliegen besonderer Umstände, angesehen.143

140 Vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.1985 – I 174 / 81 –, EFG 1985, 533; FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.1990 – II 238 / 86 –, EFG 1991, 437 ff.; im Ergebnis ebenso: FG Saarland, Urteil vom 19.3.2002 – 2 K 206 / 98 –, juris. Den Finanzgerichten folgend: Stefan Mayer, DStR 2011, 109 (111); Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 15 f. und Rz. 22 f. Im Ergebnis nicht eindeutig: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 6, wo es heißt, die überschießende Wirkung des § 73 AO müsse bereits einschränkend auf Tatbestandsebene, spätestens aber bei der Ermessensentscheidung über die Geltendmachung der Haftung berücksichtigt werden. 141 Beispielhaft zum Ermessen bei der Haftungsinanspruchnahme: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 177 ff.; Heinz Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, S. 290 ff.; Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 191, Rz. 30 ff. 142 BFH, Urteil vom 8.11.1988 – VII R 78 / 85 –, BStBl. II 1989, 118 (119 f.); für den Fall der Haftung bei Organschaft explizit für eine betragsmäßige Beschränkung auf Ermessensebene plädierend: FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.1985 – I 174 / 81 –, EFG 1985, 533 (533); FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.1990 – II 238 / 86 –, EFG 1991, 437 (438) ; kritisch allerdings: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 188 f. 143 Deutlich hervorgehoben von: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 8; Stefan Mayer, DStR 2011, 109 (111). Anders allerdings Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 73, Rz. 12, der die Auffassung vertritt, eine generelle Haftungsbeschränkung auf von der Organgesellschaft ausgelöste Besteuerungstatbestände im Rahmen der Ermessensausübung würde die nach dem Gesetz gebotene Haftung für den Organkreis unterlaufen. Rüsken sieht daher die vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft als Regelfall an, akzeptiert jedoch in Ausnahmefällen eine beschränkte Inanspruchnahme.

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C. Entwicklungen und Reformen im Organschaftsrecht

Den Ansatz einer Lösung der Problematik auf Ermessensebene griff das Finanzgericht Baden-Württemberg144 und ihm folgend das Finanzgericht Nürnberg145 auf, die den Ermessensspielraum der Finanzbehörde mit konkretisierenden ermessensrelevanten Faktoren zu füllen versuchten. So entspreche es nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich billigem Ermessen, die Haftung der Organgesellschaft auf die in ihrem Betrieb verursachten Steuern zu beschränken. Eine Haftung für die in anderen Betrieben der Organschaft verursachten Steuern sei dagegen nur gerechtfertigt, wenn einer Organgesellschaft so erhebliche Vermögenswerte übertragen werden, dass die Beschränkung der Haftung auf ihren Steueranteil in einem Missverhältnis zu den haftenden Vermögenswerten stehe.146 Gleiches soll einem Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes147 zufolge gelten, wenn ein Organschaftsgeflecht geschaffen wurde, in dem beliebig Vermögenswerte zwischen einzelnen Organgesellschaften verschoben werden, so dass eine Trennung der Vermögenssphären nicht mehr vorgenommen werden könne.148 Im Ergebnis halten es die Finanzgerichte also für ausschlaggebend, ob organkreisintern eine Vermögensverlagerung vom Organträger auf die jeweils in Anspruch genommene Organgesellschaft stattgefunden hat. War dies während der organschaftlichen Beziehung der Fall, rechtfertige sich eine über den Verursachungsbeitrag der Organgesellschaft hinausgehende Inanspruchnahme. Fanden solche Vermögensverlagerungen nicht statt, sei die Haftung auf den von der jeweiligen Organgesellschaft verursachten Teil der Steuerschuld zu beschränken. Die Finanzgerichte verkennen, dass ein solcher organkreisinterner Vermögenstransfer bereits ausweislich des Tatbestandes des § 73 AO für die Höhe der Haftungsinanspruchnahme nicht ausschlaggebend sein kann. § 73 AO knüpft tatbestandlich allein an das Bestehen eines Organschaftsverhältnisses zwischen der in Anspruch genommenen Gesellschaft und einem anderen Unternehmen an. Demzufolge wirkt allein das Bestehen eines Organschaftsverhältnisses haftungsbegründend. Die Vermögensverlagerung vom Organträger auf die Organgesellschaft ist jedoch „keine rechtliche Auswirkung der Organschaft“149 und damit kein haftungsbegründender Faktor im Sinne des § 73 AO. Auch sind solche Vermögensverlagerungen für die Organschaft „weder typisch noch spezifisch“150. Wenn eine organFG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.1985 – I 174 / 81 –, EFG 1985, 533. FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.1990 – II 238 / 86 –, EFG 1991, 437 ff. 146 FG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.1985 – I 174 / 81 –, EFG 1985, 533 (533); FG Nürnberg, Urteil vom 11.12.1990 – II 238 / 86 –, EFG 1991, 437 (438); FG Saarland, Urteil vom 19.3.2002 – 2 K 206 / 98 –, juris Rn. 33; konkretisierend: Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19 Rz. 55. 147 FG Saarland, Urteil vom 19.3.2002 – 2 K 206 / 98 –, juris. 148 FG Saarland, Urteil vom 19.3.2002 – 2 K 206 / 98 –, juris Rn. 33. 149 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995); zustimmend: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 129. 150 Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995); ebenso: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 129. 144 145

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kreisinterne Vermögensverlagerung aber keine Relevanz für die Begründung der Haftung hat, so ist es unzulässig, diese als Korrektiv bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Hätte der Gesetzgeber den Steuergläubiger mit dem Erlass des § 73 AO vor organkreisinternen Vermögensverlagerungen schützen wollen, hätte es einer Vorschrift bedurft, nach der gerade solche Vermögensverlagerungen haftungsbegründend wirken. Man hätte die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft gerade an den Erhalt derartiger Zuwendungen des Organträgers knüpfen müssen. Nur eine solche Vorschrift würde dem Steuergläubiger nach ihrem Zweck und ihrem Normappell explizit Sicherheit vor ihn benachteiligenden organkreisinternen Vermögensverlagerungen verschaffen. Notwendigerweise würde bei einer solchen Norm gerade die Vermögensverlagerung als solche haftungsbegründend wirken. Da dies jedoch in § 73 AO nicht normiert wurde und die Vorschrift dies außerdem nicht bezweckt, kann dem (vermeintlich bestehenden) Risiko solcher Vermögensverlagerungen nicht unter Berufung auf die Haftungsvorschrift abgeholfen werden. Hinzu kommt, dass die Gefahr einer solchen, den Steuergläubiger benachteiligenden „künstlichen Verarmung“ des Organträgers zu Gunsten der Organgesellschaft nicht besteht. Im Gegenteil: Im Organschaftsverhältnis ist grundsätzlich die Gefahr angelegt, dass der Organträger aufgrund seiner beherrschenden Stellung die Organgesellschaft zum Nachteil der Minderheitsgesellschafter für seine eigenen Interessen ausbeutet.151 Sollten indes tatsächlich solche Vermögensverlagerungen vom Organträger auf die Organgesellschaft zum Zwecke der Gläubigerbenachteiligung vorgenommen werden, dann stehen dem Steuergläubiger ohnehin die Instrumentarien des Anfechtungsgesetzes zur Seite.152 Diese Rechtsgrundlagen bezwecken gerade den Schutz des Gläubigers vor missbräuchlichen Vermögensverlagerungen, schützen ihn also vor denjenigen Risiken, die die Finanzgerichte bei einer Ermessensentscheidung über die Inanspruchnahme der Organgesellschaft nach § 73 AO berücksichtigt wissen wollen. Alles in allem ist der Versuch der Finanzgerichte, im Wege einer Berücksichtigung konkret stattgefundener Vermögensverlagerungen den sachgerechten Haftungsumfang zu bestimmen, daher abzulehnen. Derartige Erwägungen können in Anbetracht des Haftungsgrundes des § 73 AO nicht ausschlaggebend für eine mögliche Haftungsbeschränkung oder -erweiterung sein. Sucht man dennoch die Lösung eines angemessenen Haftungsumfanges des § 73 AO auf der Ermessensebene, so müssen für eine sachgerechte Ermessensentscheidung andere als die von den Finanzgerichten formulierten Kriterien ins Feld geführt werden.

Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995). So bereits: Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 471; ebenso: Ulrich Probst, BB 1987, 1992 (1995). 151 152

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bb) Die Lösung von Bax Einen weiteren Lösungsvorschlag zur Problematik der Angemessenheit des Haftungsumfanges des § 73 AO hat Eckhard Bax153 unterbreitet. Wie viele andere Kritiker macht er „den verfassungsrechtlichen Problemfall“ der Organhaftung dort aus, wo „die Organgesellschaft […] mit mehr Steuern belastet wird, als in dem Fall, dass die Organschaft steuerlich nicht anerkannt wird, im Übrigen aber im wesentlichen gleiche Voraussetzungen bestehen“154. Auch Bax will – ebenso wie die Finanzgerichte – das Maß einer sachgerechten Inanspruchnahme der Organgesellschaft im Einzelfall bestimmen. Zur Rechtfertigung von Mehrbelastungen organschaftlich eingegliederter Gesellschaften im Vergleich zu nicht eingegliederten Gesellschaften aufgrund § 73 AO fordert Bax allerdings, nun entgegen der Rechtsprechung der Finanzgerichte, Vorteile der Organgesellschaft, die organschaftstypisch und -spezifisch sind.155 Seiner Ansicht nach müsse allein maßgeblich sein, ob sich die Leistungsfähigkeit der in Anspruch zu nehmenden Organgesellschaft gerade aufgrund der organschaftlichen Verbindung erhöht hat. Ließen sich derartige organschaftstypische und -spezifische Vorteile der Organgesellschaft feststellen, dann sei auch die weitergehende Inanspruchnahme der Organgesellschaft nach § 73 AO gerechtfertigt.156 In seiner folgenden Untersuchung157 kommt Bax zu dem Schluss, dass die steuerliche Organschaft im Einzelfall bedeutende Wettbewerbsvorteile für die Organgesellschaft gegenüber außenstehenden Konkurrenzunternehmen bewirke.158 Eine Kompensation dieser verfassungsrechtlich zweifelhaften finanziellen Vergünstigung

153 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht. 154 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 118 f. 155 Wie folgt: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 129 und S. 138. 156 Vergleichbar auch: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 8, der eine Haftung der Organgesellschaft für in anderen Betrieben entstandene Steuern u. a. für angemessen hält, wenn der Organgesellschaft durch den organschaftlichen Verlustausgleich tatsächlich Vorteile entstanden sind. Ähnlich ebenfalls: Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 23, die die Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die von anderen Organgesellschaften oder dem Organträger verursachten Steuern u. a. dann als gerechtfertigt ansieht, wenn die Organgesellschaft „so erhebliche Steuervorteile hatte, dass die Beschränkung der Haftung auf ihren Steueranteil in einem Missverhältnis zu […] den erhaltenen Steuervorteilen stehen würde“. Ebenfalls vergleichbar: Reinhart Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, § 73 AO, Rz. 12, nach dessen Ansicht von Bedeutung ist, ob „die Begründung der Organschaft zu besonderen Steuervorteilen“ führt. 157 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, S. 121 ff. 158 Im Ergebnis: Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuerund verfassungsrechtlicher Sicht, S. 130 f.

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für die Organgesellschaft auf steuerlichem Wege, etwa im Wege einer über die eigene Verursachung hinausgehenden Inanspruchnahme nach § 73 AO, sei „so gesehen als sachgerecht und angemessen zu qualifizieren“159. Dagegen fehle einer Haftung, die über die von der Organgesellschaft selbst verursachten Steuern und über den Saldo der finanziellen, organschaftstypischen und -spezifischen Vor- und Nachteile hinausgehe, der innere Zusammenhang und die innere Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung der haftenden Organgesellschaft gegenüber der außenstehenden Kapitalgesellschaft bei im Übrigen gleicher Sachlage in Bezug zu dem Haftungszweck und dem Haftungsgrund.160 Eine derart ungleiche Behandlung der Organgesellschaft im Verhältnis zu den außenstehenden Kapitalgesellschaften stehe in keinem sachlichen Zusammenhang mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen.161 Im Ergebnis bejaht Bax folglich eine Haftung der Organgesellschaft über den eigenen Verursachungsbeitrag hinaus, wenn festgestellt werden kann, dass die Organgesellschaft organschaftstypische und -spezifische Vorteile erlangt hat.162 Maßgeblich sei eine organschaftsbedingte Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Organgesellschaft. Da die Organschaft solche Vorteile tatsächlich regelmäßig zeitige, sei der Haftungsumfang des § 73 AO grundsätzlich nicht auf den eigenen Verursachungsbeitrag zu beschränken. Der sachgerechte Haftungsumfang sei vielmehr aus der Addition von eigenem Verursachungsbeitrag und dem Saldo der organschaftstypischen und -spezifischen Vor- und Nachteile der Organschaft zu ermitteln. Dem Ansatz von Bax ist vorzuwerfen, dass er die der Organschaft immanente Idee, ja die zentrale Rechtfertigungsüberlegung zum Rechtsinstitut der Organschaft an sich missachtet. Auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise sollen die organschaftlich verbundenen Unternehmen nicht separat, sondern in ihrer Gesamtheit erfasst werden. Dem liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass der Unternehmensverbund dem Einheitsunternehmen näher steht als die jeweils organschaftlich eingebundene, abhängige Gesellschaft einer unabhängigen.163 Folgerichtig soll der Organkreis aufgrund der stärkeren wirtschaftlichen Nähe des Verbundes zum Einheitsunternehmen wie ein solches besteuert werden. Ist aber – jedenfalls bei Verfolgung der Einheitstheorie – der Vergleich der Steuerbelastung des Organkreises mit derjenigen des Einheitsunternehmens maßgeblich, dann verbietet sich grundsätzlich der von Bax angestellte Vergleich der Belastung einer organ159 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuersungsrechtlicher Sicht, S. 130. 160 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuersungsrechtlicher Sicht, S. 130 f. 161 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuersungsrechtlicher Sicht, S. 131. 162 Eckhard Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuersungsrechtlicher Sicht, S. 129 ff. und S. 138. 163 So allgemein: Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1648: „Es recht, Anm. d. Verf.] wertet die wirtschaftliche Fusion höher als die rechtliche.“

und verfasund verfasund verfasund verfas[das Steuer-

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C. Entwicklungen und Reformen im Organschaftsrecht

schaftlich eingegliederten Gesellschaft (aufgrund § 73 AO) mit einer unabhängigen Gesellschaft. Insofern legt Bax bei seiner Gleichheitsprüfung einen Vergleichsmaßstab an, der der Rechtsfigur der Organschaft, konzipiert nach der Einheitstheorie, weder immanent ist, noch gerecht wird. Untermauert sei diese These außerdem durch die folgende Überlegung: Nach Ansicht von Bax kommt § 73 AO (auch) eine Art Ausgleichsfunktion zur Erfassung organschaftstypischer und -spezifischer Vorteile bei der Inanspruchnahme der Organgesellschaft zu. Mit der Haftungsinanspruchnahme soll seiner Ansicht nach ein der Organgesellschaft erwachsender Vorteil abgegolten werden, um eine leistungsfähigkeitsgerechte Belastung im Vergleich zu einem nicht organschaftlich verbundenen Unternehmen herzustellen. Weder die historische Entwicklung des § 114 RAO, noch die Gesetzesbegründung zu § 73 AO enthalten einen Anhaltspunkt für eine solche Funktion der Haftungsnorm. Unzutreffend erweckt die Argumentation von Bax im Übrigen den Eindruck, dass die Organschaft eine – womöglich unzulässige – Steuervergünstigung für verbundene Unternehmen darstellt. Die dadurch den Organgesellschaften zu Teil werdenden Vorteile, so könnte man angesichts der Äußerungen von Bax annehmen, müssten durch eine weitergehende Inanspruchnahme der Organgesellschaft abgeschöpft werden, um das Postulat steuerlicher Lastengleichheit zu wahren. Dem ist nicht zu folgen. Die Organschaft ist – ebenso wie die auf vergleichbarer dogmatischer Grundlage beruhende Zusammenveranlagung von Ehegatten164 – keine Steuervergünstigung.165 Sie ist eine auf dem Gedanken der wirtschaftlichen Betrachtungsweise beruhende, gleichheitsgerechte Besteuerung von zur wirtschaftlichen Einheit verbundenen Unternehmen und gewährt den beteiligten Rechtsträgern keine besonderen steuerlichen Vorteile, die mit einer Inanspruchnahme nach § 73 AO abgeschöpft werden müssten.

d) Resümee zur Diskussion um den angemessenen Haftungsumfang Summa summarum lässt sich das vorstehend dargestellte Meinungsspektrum nebst der noch nicht überzeugend widerlegten Argumente auf die folgenden Positionen zusammenfassen: In Übereinstimmung mit der Gesetzesbegründung befürworten die Vertreter einer extensiven Sichtweise die Haftung der Organgesellschaft für die gesamte im Organ164 Zum Vergleich der Organschaft mit der Zusammenveranlagung von Ehegatten und der gemeinsamen Grundlage des Grundsatzes wirtschaftlicher Betrachtungsweise bereits oben: B. III. 2. e) aa) (4). 165 So ausdrücklich für die Organschaft: Heinrich Montag, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 14, Rz. 1; Ulrich Prinz, in: Herzig, Organschaft, S. 546; Ulrich Prinz, FR 1999, 646 (649); Ulrich Prinz, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 67 (69). Und für die Ehegattenbesteuerung: Rudolf Wendt, Familienbesteuerung und Grundgesetz, in: FS für Tipke, Köln 1995, S. 47 (63); Rudolf Wendt, Die gerechte Besteuerung von Ehe und Familie und sonstigen Wirtschaftsgemeinschaften, in: FS für Rüßmann, S. 1067 (1072 ff.).

III. Stellungnahme

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kreis verursachte Steuerschuld. Dabei soll unerheblich sein, ob die Steuerschuld auf einer Verursachung durch die Organgesellschaft selbst, den Organträger oder anderer, dem Organträger ebenfalls untergeordneter Organgesellschaften beruht. Dieser weitreichende Haftungsumfang sei aufgrund der Einheit des Organkreises gerechtfertigt. Eine andere Ansicht sieht die vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft als übermäßig an und will den Haftungsumfang auf denjenigen Teil der Gesamtsteuerschuld reduziert wissen, der originär durch die Organgesellschaft verursacht wurde. Diese teleologische Reduktion des § 73 AO sei insbesondere in Ansehung der Rechte der an der Organgesellschaft beteiligten Minderheitsgesellschafter und etwaiger Drittgläubiger geboten. Jede weitergehende Inanspruchnahme sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Vermittelnd verlagert eine dritte Auffassung die Entscheidung über die Angemessenheit des Haftungsumfanges auf die Ermessensebene. Es sei an der Finanzbehörde zu entscheiden, in welcher Höhe eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft im jeweiligen Einzelfall angemessen ist. Sachgerechte Kriterien, die als Indikator einer solchen Ermessensausübung herangezogen werden könnten, konnten allerdings weder durch die erstinstanzliche Rechtsprechung noch durch Vertreter der Literatur aufgezeigt werden.

III. Stellungnahme zu den Entwicklungen im Organschaftsrecht und deren Auswirkungen auf die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft gemäß § 73 AO Seit seiner Kodifikation entwickelte sich das Organschaftsrecht stetig fort. Insbesondere die gewerbesteuerliche Organschaft vollzog einen Wandel von der ursprünglich verfolgten Einheitstheorie hin zur Zurechnungstheorie, der organtheoretischen Konzeption der körperschaftsteuerlichen Organschaft. Dagegen hält die umsatzsteuerliche Organschaft nach wie vor an der Einheitstheorie fest. Auch die Haftungsnorm – vormals § 114 RAO, heute § 73 AO – war von diesen Entwicklungen betroffen. War der Anwendungsbereich des § 114 RAO ursprünglich auf Steuerarten beschränkt, in denen die Organschaft der Einheitstheorie folgte, führte die dargestellte Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur gewerbesteuerlichen Organschaft uno actu dazu, dass § 114 RAO in einem Organschaftssystem zur Anwendung kam, das der Zurechnungstheorie zugewandt war. Den gleichen Effekt zeitigte die Reform der Abgabenordnung im Jahre 1977, in deren Zuge die Beschränkung des Anwendungsbereichs der Haftungsnorm auf Betriebssteuern ausdrücklich aufgegeben wurde. Seither findet § 73 AO, entgegen der ursprünglichen Konzeption des § 114 RAO, auch bei körperschaftsteuerlicher Organschaft Anwendung. Diese folgte bereits im Zeitpunkt des Erlasses des § 114 RAO der Zurechnungstheorie.

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C. Entwicklungen und Reformen im Organschaftsrecht

Die Entwicklungen des Organschaftsrechts verliefen folglich konträr zur ursprünglich vom Gesetzgeber vorgenommenen Beschränkung des Anwendungsbereichs der Haftungsnorm auf der Einheitstheorie unterworfene Organschaftsregelungen. Doch nicht allein die Negierung des ursprünglichen gesetzgeberischen Willens muss bedenklich stimmen. Es ist zu beachten, dass § 114 RAO tatbestandlich durch die Doktrin der Einheitstheorie geprägt und in seiner Funktion auf die normative Umsetzung der Einheitstheorie zugeschnitten war. Gleichwohl setzten sich weder die Rechtsprechung, noch der Gesetzgeber bei der Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 114 RAO bzw. des § 73 AO ausführlich mit der Interdependenz der Norm zum materiellen Organschaftsrecht auseinander. Im Urteil des Bundesfinanzhofes vom 6.10.1953166 nahm das Gericht ebenso wenig Stellung zu möglichen Wechselwirkungen der Rechtsprechungsänderungen im Gewerbesteuerrecht mit § 114 RAO wie in den folgenden, die neuerliche Auffassung bestätigenden Entscheidungen. Ebenfalls beinhaltet die Gesetzesbegründung zu § 73 AO keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Organtheorien, geschweige denn eine hierauf aufbauende argumentative Begründung zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der Haftungsvorschrift auf die Zurechnungstheorie umsetzende Organschaftskonzeptionen. So heißt es lediglich, die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 73 AO sei deshalb gerechtfertigt, „weil der gesetzgeberische Grund für die Haftung der Organgesellschaften nicht nur hinsichtlich der sogenannten Betriebssteuern, sondern auch bei anderen Steuern besteh[e], bei denen die Organschaft steuerlich anerkannt wird“167. Dieser gehaltlos bleibende Hinweis des Gesetzgebers wird der Bedeutung, die die Organtheorien für das Organschaftsrecht als solches und für den Erlass des § 114 RAO im Speziellen hatten, nicht gerecht.168 Die verschiedenen Organtheorien bilden die systematische Basis für die steuerliche Erfassung der organschaftlich verbundenen Unternehmen und liefern damit implizit die Erklärung für die jeweils eintretenden Rechtsfolgen.169 Ändert sich der organtheoretische Ansatz, dann ändern sich regelmäßig die mit der Organschaft einhergehenden steuerlichen Folgewirkungen. Dies wiederum kann maßgeblichen Einfluss auf die verfahrensrechtliche Behandlung des Gesamtgebildes zeitigen, also gerade auf solche Aspekte des Organschaftsrechts, die die ursprünglich ersonnene Funktion des § 114 RAO betreffen. Im Endeffekt kann sich damit eine Änderung der Organschaftskonzeption im Verfahrensrecht in gleicher Weise wie im materiellen Recht auswirken.170

BFH, Urteil vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 f. BT-Drucks. VI / 1982, 120 (120). 168 Instruktiv zur Bedeutung der Organtheorien: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 102: „Überzeugende Entscheidungen im Rahmen der gesetzlichen Organschaft werden ohne Auseinandersetzung mit den Organtheorien […] sicher nicht mit letzter Klarheit möglich sein. Jedes tiefere Verständnis der gesetzlichen Regelung der Organschaft setzt zugleich auch die Kenntnis und Beschäftigung mit den Organtheorien voraus.“ 169 Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 46. 166 167

III. Stellungnahme

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Beinahe wie ein Spiegelbild der verworrenen Entwicklungen des Organschaftsrechts wirkt die teilweise diffus verlaufende Diskussion um die Angemessenheit des Haftungsumfanges des § 73 AO. Wie soll aber eine einheitliche, steuerartübergreifende Bewertung der Sachgerechtigkeit der Haftung bei Organschaft aussehen, wenn es kein einheitliches Rechtsinstitut der Organschaft gibt? Zu Recht wird daher verschiedentlich darauf verwiesen, dass die steuerartspezifischen Unterschiede des Organschaftsrechts jedenfalls zu einer steuerartspezifischen Bewertung des § 73 AO führen müssen.171 Im Umsatzsteuerrecht gilt es dementsprechend zuvörderst zu diskutieren, ob die heutige Rechtslage, die konzeptionell nach wie vor mit dem früheren Ansatz übereinstimmt, eine Haftungsvorschrift noch erfordert und ob § 73 AO diesem Erfordernis gerecht wird. Hieran anknüpfend kann die Angemessenheit des Haftungsumfangs im Umsatzsteuerrecht ermittelt werden. Im Ertragsteuerrecht stellt sich in Bezug auf § 73 AO zunächst die vordringliche Frage, ob die Haftungsvorschrift im System der Zurechnungstheorie in gleicher Weise fungiert wie im System der Einheitstheorie, in welchem der vormalige § 114 RAO ursprünglich allein greifen sollte. Es muss hinterfragt werden, ob im System der Zurechnungstheorie überhaupt ein Bedürfnis nach einer solchen Haftungsnorm besteht und ob sich § 73 AO homogen in dieses System einfügt. Dies hat weder die Rechtsprechung noch der Gesetzgeber befriedigend beantwortet.

170 So festgestellt in der Untersuchung von Rainer Gliese, Die Organschaft im Steuerverfahrensrecht, S. 17: „Ebenso wie im materiellen Steuerrecht wirkt sich die Organlehre im Steuerverfahrensrecht bei den einzelnen Steuerarten unterschiedlich aus.“ 171 So ausdrücklich: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 5; weiterhin beispielsweise: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (271).

D. Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft I. Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis Die umsatzsteuerliche Organschaft beruht heute auf der europarechtlichen Grundlage des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL (vormals Art. 4 Abs. 4 der 6. EG-Richtlinie).1 Dieser stellt es den Mitgliedstaaten frei, ein System der Gruppenbesteuerung bzw. der Organschaft zu normieren. Jedem Mitgliedstaat ist es erlaubt, nach Konsultation des Beratenden Ausschusses für die Mehrwertsteuer (Mehrwertsteuerausschuss) in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln.2 Den damit eröffneten Spielraum nutzt der deutsche Gesetzgeber mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur teilweise aus. Während Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL lediglich eine „enge Verbindung“ der Unternehmungen verlangt, hält § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG an der hierarchischen Struktur der Organschaft fest; er verlangt die Eingliederung der Organgesellschaft in das sie beherrschende Organträgerunternehmen.3 Da keine Pflicht zur Umsetzung der Vorgaben des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL besteht, bewegt sich der nationale Gesetzgeber mit dieser Einschränkung innerhalb des europarechtlich eröffneten Gestaltungsspielraumes.4 Ungeachtet dessen wurde in Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL der materielle Organschaftstatbestand des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG um die Sätze 2 – 4 ergänzt.5 Danach werden die Wirkungen der um1 Wie folgt und umfassend zu den europarechtlichen Grundlagen des umsatzsteuerlichen Organschaftsrechts: Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große UmsatzsteuerHandbuch, § 44, Rz. 81 ff.; Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 806 ff. 2 So explizit: Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006 / 112 / EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie). 3 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 855 f. 4 So die h. M., die § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG für richtlinienkonform hält. Hierfür beispielhaft: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 856; BFH, Urteil vom 17.1.2002 – V R 37 / 00 –, BStBl. II 2002, 373 (376); BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (436); ausführlich dazu: Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1195 f.). A. A.: Ralph Korf, UVR 2008, 172 (179 f.). 5 Zur Entwicklung der Norm ausführlich: Werner Widmann, in: Herzig, Organschaft, S. 335 f.

I. Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis

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satzsteuerlichen Organschaft auf Innenleistungen zwischen im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Nur die inländischen Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln. Hat der Organträger seine Geschäftsleitung im Ausland, gilt der wirtschaftlich bedeutendste Unternehmensteil im Inland als der Unternehmer.6 Obwohl die gegenwärtige Fassung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf europarechtlicher Grundlage beruht, hält die Vorschrift an den vom Reichsfinanzhof entwickelten Voraussetzungen organschaftlicher Eingliederung fest.7 Nach wie vor verliert eine juristische Person ihre Selbständigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 UStG, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des (potentiellen) Organträgers eingegliedert ist. Liegen diese tatbestandlichen Voraussetzungen vor, treten die Folgen der Organschaft kraft Gesetzes ein.8 Die Begründung der Organschaft steht damit weder zur Disposition der Unternehmen, noch ist es für ihr Bestehen erforderlich, dass sie willentlich herbeigeführt wurde.9 Die Organschaft beginnt bei erstmaligem Vorliegen aller Eingliederungsvoraussetzungen.10 Sie endet, wenn sich die Beziehungen zwischen den Unternehmen derart ändern, dass die Voraussetzungen organschaftlicher Eingliederung nicht mehr erfüllt sind.11 1. Der Tatbestand der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft a) Tauglicher Organträger und taugliche Organgesellschaft § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG setzt u. a. voraus, dass eine juristische Person in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. 6 Zur unionsrechtlichen Vereinbarkeit dieser Begrenzung der Organschaft auf das Inland: BFH, Urteil vom 19.10.1995 – V R 71 / 93 –, BFH / NV 1996, 273 (274 f.). 7 Zu Recht hebt Widmann die beachtliche Kontinuität der Organschaft im Umsatzsteuerrecht hervor. Vgl. Werner Widmann, in: Herzig, Organschaft, S. 335. 8 Wie folgt: BFH, Urteil vom 29.10.2008 – XI R 74 / 07 –; BStBl. II 2009, 256 (258); RolfRüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 205 f; Werner Widmann, in: Herzig, Organschaft, S. 346 f. 9 Kritisch dazu: Christoph Wäger, Umsatzsteuerliche Organschaft, in: Oestreicher, Aktuelle Fragen der Unternehmensbesteuerung, S. 18 (20), und Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 910 ff., die beide für ein Antragsrecht bei der umsatzsteuerlichen Organschaft plädieren. Dagegen aber ausdrücklich: BFH, Urteil vom 29.10.2008 – XI R 74 / 07 –, BStBl. II 2009, 256 (258 f.). 10 Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 246. 11 Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 252 ff. Zur Problematik der Beendigung der Organschaft bei Insolvenz von Organträger oder Organgesellschaft: Dietmar Onusseit, ZIP 2003, 743 (743 ff.).

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

Der Organträger muss Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1, 3 UStG sein.12 Das bedeutet, dass der Organträger die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1, 3 UStG durch die Erbringung eigener entgeltlicher Leistungen erfüllen muss.13 Dabei hält es der Bundesfinanzhof für ausreichend, wenn der Organträger solche Leistungen ausschließlich gegenüber seiner Organgesellschaft(en) erbringt, wenngleich diese organkreisinternen Leistungen lediglich als nichtsteuerbare Innenumsätze anzusehen sind.14 Nichts desto trotz müssen Drittleistungen vom Organträger nicht zwingend erbracht werden, um originär die Unternehmereigenschaft zu erfüllen. Die Rechtsform des Organträgerunternehmens ist dagegen unerheblich.15 Taugliche Organgesellschaft kann dagegen nur eine juristische Person des Zivilund Handelsrechts sein.16 Auch sie muss die Voraussetzungen des Unternehmerbegriffs des § 2 Abs. 1 UStG – abgesehen von der durch die Organschaft verlorenen Selbständigkeit – erfüllen.17

b) Die Eingliederungsvoraussetzungen Zur Begründung der umsatzsteuerlichen Organschaft verlangt § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG, dass die Organgesellschaft nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Die Merkmale definieren, wann rechtlich selbständige Unternehmen derart verflochten sind, dass sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein Einheitsunternehmen bilden.18 Sie stellen in ihrer Gesamtheit auf die wil12 Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 207 f. 13 Die Voraussetzung, dass der Organträger die Unternehmereigenschaft erfüllen muss, war insbesondere in Bezug auf die Behandlung von Holdinggesellschaften virulent. Der BFH unterscheidet diesbezüglich in Übereinstimmung mit dem EuGH in geschäftsleitende Holdinggesellschaften, die die Unternehmereigenschaft erfüllen, und reine Finanzholdinggesellschaften, die die Unternehmereigenschaft nicht erfüllen. Umfassend und unter Reflexion der Rechtsprechung von EuGH und BFH hierzu: Wolfram Birkenfeld, in: Kessler / Kröner / Köhler, Konzernsteuerrecht, § 5, Rz. 175 ff. (insbes. Rz. 215 ff.). Ebenfalls ausführlich und mit kritischer Stellungnahme: Werner Widmann, in: Herzig, Organschaft, S. 339 f. Vgl. für den in Bezug auf die Unternehmereigenschaft des Organträgers ebenfalls virulenten Fall der Betriebsaufspaltung: BFH, Urteil vom 7.7.2005 – V R 78 / 03 –, BStBl. II 2005, 849 (850 f. m.w. N.); BFH, Urteil vom 9.9.1993 – V R 124 / 89 –, BStBl. II 1994, 129 (131). 14 BFH, Urteil vom 22.10.2009 – V R 14 / 08 –, BStBl. II 2011, 988 (990); BFH, Urteil vom 7.7.2005 – V R 78 / 03 –, BStBl. II 2005, 849 (850). 15 Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 112. 16 Vgl. weitergehend: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 838 ff.; Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 214 ff. 17 Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1190). 18 BFH, Urteil vom 7.7.2011 – V R 53 / 10 –, BFH / NV 2011, 2195 (2196).

I. Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis

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lentliche Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger ab.19 Daneben bringt das Erfordernis der „Eingliederung“ der Organgesellschaft in das Organträgerunternehmen das organschaftstypische Über-Unterordnungsverhältnis zwischen den Unternehmen zum Ausdruck.20 Aus der Formel vom „Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse“ ergibt sich, dass die einzelnen Eingliederungsmerkmale unterschiedlich stark ausgeprägt sein können.21 Ist eines der Eingliederungsmerkmale weniger stark ausgeprägt, kann dieses Defizit durch eine stärkere Ausprägung der anderen Merkmale kompensiert werden.22 Entscheidend ist das Gesamtbild der Unternehmensverbindung. Fehlt ein Merkmal allerdings vollkommen, kann dieses Defizit nicht aufgewogen werden.23 aa) Finanzielle Eingliederung Die finanzielle Eingliederung ist Grundvoraussetzung einer willentlichen Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger.24 Sie liegt vor, wenn der Organträger25 über die „entscheidende kapitalmäßige Beteiligung“ an der Organgesellschaft verfügt.26 Es muss dem Organträger aufgrund dieser Beteiligung möglich 19 Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 44, Rz. 11. 20 Vgl.: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 855; Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 44, Rz. 202. 21 Ausführlich dazu und zum Folgenden: Werner Widmann, in: Herzig, Organschaft, S. 341. 22 Wie folgt: BFH, Urteil vom 27.8.1964 – V 101 / 62 U –, BStBl. III 1964, 539 (540); BFH, Urteil vom 29.10.2008 – XI R 74 / 07 –, BStBl. II 2009, 256 (258 m.w. N.). 23 BFH, Urteil vom 25.6.1998 – V R 76 / 97 –, BFH / NV 1998, 1534 (1535); BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (435); BFH, Urteil vom 29.10.2008 – XI R 74 / 07 –, BStBl. II 2009, 256 (258). 24 Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 117. 25 Zu Recht stellte der Bundesfinanzhof in zwei aktuellen Entscheidungen klar, dass der Organträger selbst über die die Stimmenmehrheit gewährleistende Beteiligung an der Organgesellschaft verfügen muss. Verfügen lediglich die Gesellschafter des vermeintlichen Organträgers über diese Beteiligungen, so wird eine Organschaft nicht begründet, ganz gleich, ob der vermeintliche Organträger eine Kapitalgesellschaft oder eine Personengesellschaft ist. Dies gilt selbst dann, wenn die Beteiligungen an der vermeintlichen Organgesellschaft im Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter des vermeintlichen Organträgers gehalten werden. Nur eine im Gesamthandsvermögen der Organträger-Personengesellschaft befindliche Beteiligung vermag die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft zu begründen. So ausdrücklich und unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung: BFH, Urteil vom 22.4.2010 – V R 9 / 09 –, BStBl. II 2011, 597 (598 ff.); BFH, Urteil vom 1.12.2010 – XI R 43 / 08 –, BStBl. II 2011, 600 (602); hierzu ebenfalls bei ausführlicher Erörterung dieser Urteile: Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 226 ff.; zur vorangegangenen Diskussion etwa: Peter Seitrich, BB 1989, 189 (189 ff.). 26 Zum Ganzen sowie zum Zitat: BFH, Urteil vom 17.1.2002 – V R 37 / 00 –, BStBl. II 2002, 373 (374).

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

sein, den eigenen Willen im Willensbildungsprozess der Organgesellschaft durch Mehrheitsbeschluss durchzusetzen.27 Entsprechen die Stimmrechte diesen Beteiligungsverhältnissen, ist für die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft deshalb regelmäßig eine Beteiligung des Organträgers von mehr als 50% erforderlich.28 Bedarf es zur Beschlussfassung in der Organgesellschaft höherer, qualifizierter Mehrheiten, so muss der Organträger entsprechend dieser qualifizierten Mehrheitsverhältnisse in der Organgesellschaft stimmberechtigt sein.29 Eine vollkommene Beteiligung (100%) ist indes nicht gefordert, weshalb an der Organgesellschaft neben dem Organträger regelmäßig Minderheitsgesellschafter beteiligt sein können. Zwischen den Gesellschaften bestehende Unternehmensverträge oder andere gesellschaftsrechtliche Instrumentarien der Einflussnahme auf die Willensbildung der Organgesellschaft sind unbeachtlich.30 Es kommt für die finanzielle Eingliederung allein auf die formale Herbeiführung willentlicher Beherrschung aufgrund der Beteiligungsverhältnisse an.

bb) Wirtschaftliche Eingliederung Das Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung betrifft die Verflechtung der Geschäftstätigkeiten der verbundenen Unternehmen.31 Charakteristisch für den hierarchisch aufgebauten Organkreis ist eine Verflechtung dergestalt, dass die Organgesellschaft im Gefüge des Organträgerunternehmens als dessen Bestandteil erscheint;32 die untergeordnete Organgesellschaft „fördert und ergänzt“ die wirtschaftliche Tätigkeit des dominierenden Organträgers.33 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist es allerdings bereits ausreichend, wenn zwischen den Unternehmen ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung besteht.34 Das ist selbst dann

27 Wie folgt etwa: BFH, Urteil vom 22.4.2010 – V R 9 / 09 –, BStBl. II 2011, 597 (598 m.w. N.); BFH, Urteil vom 1.12.2010 – XI R 43 / 08 –, BStBl. II 2011, 600 (602). 28 Vgl. beispielhaft: Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 117; ausführlich: Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 217 f. 29 Vgl. beispielhaft: Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 117; ausführlich: Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 217 f. 30 Wie folgt: BFH, Urteil vom 1.12.2010 – XI R 43 / 08 –, BStBl. II 2011, 600 (602 f.). 31 Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 123. 32 BFH, Urteil vom 17.1.2002 – V R 37 / 00 –, BStBl. II 2002, 373 (374); BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (435). 33 Vgl. Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 44, Rz. 293, der zu Recht darauf hinweist, dass dies die früher herrschende, ertragsteuerlich geprägte Sichtweise war.

I. Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis

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der Fall, wenn die Unternehmen in verschiedenen Wirtschaftszweigen tätig sind.35 Es genügt, wenn die Tätigkeiten der Unternehmen aufeinander abgestimmt sind und sich im Rahmen des Gesamtunternehmens fördern und ergänzen.36 Demzufolge kann selbst eine den Betrieb der Untergesellschaft fördernde Tätigkeit des – eigentlich dominierenden – Organträgers die wirtschaftliche Eingliederung herbeiführen,37 solange den erbrachten Leistungen des Organträgers nicht nur unwesentliche Bedeutung38 für die Organgesellschaft zukommt.39 Unter Bezugnahme auf diese Rechtsprechung erkennt der Bundesfinanzhof selbst in Betriebsaufspaltungssituationen eine umsatzsteuerliche Organschaft an.40 Die Betriebskapitalgesellschaft (Organgesellschaft) ist mit der Überlassung der wesentlichen Betriebsgrundlagen durch das Besitzunternehmen (Organträger) bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG in das Besitzunternehmen organschaftlich eingegliedert.41 Gerade die Situation der Betriebsaufspaltung macht deutlich, dass der Organträger keine eigenen Außenumsätze tätigen und die Organgesellschaft ihre Leistungen nicht ausschließlich oder weit überwiegend gegenüber dem Organträger erbringen muss.42 Geschäftsbeziehungen der Organgesellschaft zu Dritten sind nicht nur unschädlich für die Organschaft.43 Es ist auch möglich, dass die aus dem Organkreis 34 Vgl. bereits: BFH, Urteil vom 17.4.1969 – V 44 / 65 –, BStBl. II 1969, 413 (414), wo ein „vernünftiger betriebswirtschaftlicher Zusammenhang“ verlangt wurde. Hieran anschließend: BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (435); BFH, Urteil vom 25.6.1998 – V R 76 / 97 –, BFH / NV 1998, 1534 (1535 m.w. N.); mit Bezugnahme auf die Rechtsprechung und zahlreichen Nachweisen auch: Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1200). 35 BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (435); mit Bezugnahme auf die Rechtsprechung und zahlreichen Nachweisen auch: Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1200). 36 BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (435); BFH, Urteil vom 25.6.1998 – V R 76 / 97 –, BFH / NV 1998, 1534 (1535). 37 So ausdrücklich: BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (435 f.); BFH, Urteil vom 20.8.2009 – V R 30 / 06 –, BStBl. II 2010, 863 (867 f.); Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 44, Rz. 294 ff. 38 Wann eine Leistung von wesentlicher Bedeutung ist, wird regelmäßig eine Frage des Einzelfalles sein. Die aktuelle Rechtsprechung weist diesbezüglich jedenfalls eine gewisse Kasuistik auf, die kaum verbindliche Aussagen zum Wesentlichkeitskriterium anstellt. Vgl. diesbezüglich die Versuche einer Systematisierung von: Heike Buttgereit / Ulrich Schulte, UR 2011, 605 (insbes. 607 ff.); sowie: Eduard Forster / Klaus Trejo, UStB 2010, 16 (20 ff.). 39 BFH, Urteil vom 20.8.2009 – V R 30 / 06 –, BStBl. II 2010, 863 (867 f.). 40 Vgl. etwa: BFH, Urteil vom 6.5.2010 – V R 26 / 09 –, BStBl. II 2010, 1114 ff.; BFH, Urteil vom 16.8.2001 – V R 34 / 01 –, BFH / NV 2002, 223 (insbes. 224 f.); BFH, Urteil vom 9.9.1993 – V R 124 / 89 –, BStBl. II 1994, 129 (131). 41 Umfassend und mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BFH: Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 44, Rz. 311 ff. 42 Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1201).

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

erbrachten Drittleistungen vorwiegend durch die Organgesellschaft ausgeführt werden.44 Dass die Organgesellschaft in diesem Fall die vom Organträger geschuldete und von diesem abzuführende Umsatzsteuer vereinnahmt, steht dem nicht entgegen. cc) Organisatorische Eingliederung Wie das Merkmal der finanziellen Eingliederung betrifft die organisatorische Eingliederung die willentliche Einflussnahme des Organträgers auf den Geschäftsbereich der Organgesellschaft. Während jedoch die finanzielle Eingliederung die Willensbildung auf Gesellschafterebene erfasst, bezieht sich die organisatorische Eingliederung auf die Einflussnahme des Organträgers auf die laufende Geschäftsführung der Organgesellschaft.45 Finanzielle und organisatorische Eingliederung stellen folglich auf unterschiedliche Ebenen der Entscheidungsprozesse innerhalb der Organgesellschaft ab,46 weshalb der Bundesfinanzhof einen Rückschluss bei bestehender Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft – sogar in Ansehung der Abhängigkeitsvermutung aus § 17 Abs. 2 AktG – auf die organisatorische Eingliederung nicht zulässt.47 Für die organisatorische Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers ist entscheidend, dass der Organträger durch die Gestaltung der Beziehungen zur Organgesellschaft eine von seinem Willen abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft verhindern kann.48 Maßgeblich ist dabei, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht.49 Hierfür fordert der Bundesfinanzhof „institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung“ der Organgesellschaft, was eine personelle Verflechtung in den Geschäftsführungsgremien der organkreisangehörigen Gesellschaften voraussetzt.50 Dies ist insbesondere bei Personenidentität in diesen Gre43 Wie folgt: Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 44, Rz. 298. 44 Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1201). 45 BFH, Urteil vom 28.1.1999 – V R 32 / 98 –, BStBl. II 1999, 258 (258 f.); BFH, Urteil vom 3.4.2008 – V R 76 / 05 –, BStBl. II 2008, 905 (908). 46 Vgl. Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 239. 47 BFH, Urteil vom 5.12.2007 – V R 26 / 06 –, BStBl. II 2008, 451 (453); BFH, Urteil vom 3.4.2008 – V R 76 / 05 –, BStBl. II 2008, 905 (907 f. m.w. N.). A. A.: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 896 f. 48 So die st. Rspr.: BFH, Urteil vom 28.1.1999 – V R 32 / 98 –, BStBl. II 1999, 258 (258 f.); BFH, Urteil vom 5.12.2007 – V R 26 / 06 –, BStBl. II 2008, 451 (453). 49 Vgl. etwa: Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 131 m.w. N. 50 Zum Zitat: BFH, Urteil vom 3.4.2008 – V R 76 / 05 –, BStBl. II 2008, 905 (908). Überdies: BFH, Urteil vom 17.1.2002 – V R 37 / 00 –, BStBl. II 2002, 373 (375); BFH, Urteil vom 7.7.2011 – V R 53 / 10 –, BFH / NV 2011, 2195 (2196 f.).

I. Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis

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mien der Fall,51 wird jedoch ebenfalls beim Einsatz eines leitenden Mitarbeiters des Organträgers als Geschäftsführer der Organgesellschaft bejaht.52

2. Rechtsfolgen umsatzsteuerrechtlicher Organschaft Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG erfüllt, übt eine juristische Person (Organgesellschaft) ihre gewerbliche und berufliche Tätigkeit nicht mehr selbständig im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG aus.53 Mit dem Verlust der Selbständigkeit verliert die Organgesellschaft zugleich die Unternehmereigenschaft gemäß § 2 Abs. 1 UStG. Sie wird trotz zivilrechtlicher Selbständigkeit zum unselbständigen Unternehmensteil des Organträgers54 und bildet mit diesem (und möglicherweise weiteren Organgesellschaften) ein einheitliches Unternehmen, in dem allein der Organträger die Unternehmereigenschaft besitzt.55 In Folge dessen sind Lieferungen und sonstige Leistungen zwischen im Inland gelegenen organkreisangehörigen Unternehmungen als Innenumsätze nicht steuerbar (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG), schließlich erfolgen sie innerhalb des ein und selben Unternehmens.56 Dies gilt für Lieferungen und sonstige Leistungen zwischen dem Organträger und einer Organgesellschaft ebenso wie für Lieferungen und sonstige Leistungen zwischen verschiedenen Organgesellschaften.57 Im Vergleich zur früheren Rechtslage kommt der Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen im heutigen System der Mehrwertsteuer durch die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges freilich eine weitaus geringere Bedeutung zu.58 Beispielhaft: BFH, Urteil vom 5.12.2007 – V R 26 / 06 –, BStBl. II 2008, 451 (453). Beispielhaft: BFH, Urteil vom 7.7.2011 – V R 53 / 10 –, BFH / NV 2011, 2195 (2197); BFH, Urteil vom 20.8.2009 – V R 30 / 06 –, BStBl. II 2010, 863 (867); zu Einzelheiten etwa: Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 240 ff. 53 Beispielhaft: Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1209). 54 Wie folgt: Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große Umsatzsteuer-Handbuch, § 44, Rz. 21; Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 936 f. 55 Friedrich Klenk, in: Sölch / Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 140. 56 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 946; BFH, Urteil vom 3.4.2003 – V R 63 / 01 –, BStBl. II 2004, 434 (435). Das gilt selbst dann, wenn in einer Rechnung Umsatzsteuer ausgewiesen wurde: BFH, Urteil vom 28.10.2010 – V R 7 / 10 –, BStBl. II 2011, 391 (392 f.). 57 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 946. 58 Die Nichtsteuerbarkeit der Innenleistungen war eines der wesentlichen Motive zur Einführung der Organschaft im Umsatzsteuerrecht. Seit der Änderung des Umsatzsteuersystems in ein Mehrwertsteuersystem mit Vorsteuerabzugsberechtigung wird das Rechtsinstitut deshalb teilweise (auch) unter Berufung auf den Wegfall seiner wirtschaftlichen Bedeutung nicht mehr als zeitgerecht angesehen. Vgl. etwa: Wolfgang Sturm, StuW 1992, 252 (253); Helmut Steppert, UR 1994, 343 (345); Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 911. 51 52

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

Weiterhin hat der Verlust der Unternehmereigenschaft der Organgesellschaften zur Folge, dass alle aus dem Organkreis erbrachten Drittleistungen unmittelbar dem Organträger zugerechnet werden.59 Von einer Organgesellschaft erbrachte Leistungen werden folglich umsatzsteuerlich als solche des Organträgers erfasst.60 Trotz dieser Zurechnung treten die Organgesellschaften im Außenverhältnis als leistende Unternehmer auf.61 Sie stellen dabei eigene Rechnungen aus und vereinnahmen die hierbei anfallende Umsatzsteuer.62 Auch sind die Organgesellschaften mangels Unternehmereigenschaft nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.63 Ihre Leistungsbezüge werden als solche des Organträgers angesehen, der befugt ist, die dabei anfallende Vorsteuer geltend zu machen.64, 65

3. Der mehrgliedrige Organkreis Nach dem gesetzlichen Regelfall des § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 1 UStG besteht der umsatzsteuerliche Organkreis nur aus zwei zivilrechtlich selbständigen, steuerrechtlich zu einem einheitlichen Unternehmen verbundenen Unternehmungen, dem Organträger und der Organgesellschaft. Die umsatzsteuerliche Organschaft ist jedoch trotz dieser tatbestandlichen Bipolarität nicht auf ein Zwei-Personen-Verhältnis beschränkt. Im Gegenteil: Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis kann aus einer Vielzahl von zivilrechtlich selbständigen Unternehmen bestehen.66 So ist es möglich, dass ein als Organträger auftretender Unternehmer organschaftliche Beziehungen zu einer Vielzahl von Organgesellschaften unterhält.67 Den Organgesellschaften 59 Vgl. beispielhaft: BFH, Urteil vom 9.1.1992 – V R 82 / 85 –, BFH / NV 1993, 63 (65); BFH, Urteil vom 20.2.1992 – V R 80 / 85 –, BFH / NV 1993, 133 (134); BFH, Urteil vom 21.6.2001 – V R 68 / 00 –, BStBl. II 2002, 255 (257); BFH, Urteil vom 19.10.1995 – V R 71 / 93 –, BFH / NV 1996, 273 (274). 60 Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 138. 61 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 941 f. 62 Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 189. 63 Wie folgt: Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1209). 64 Vgl. etwa: Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 189; BFH, Urteil vom 10.11.2010 – XI R 25 / 08 –, BFH / NV 2011, 839 (840); BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 9. 65 Vgl. zu weiteren formell-verfahrensrechtlichen Folgen der umsatzsteuerlichen Organschaft, etwa der einheitlich abzugebenden Umsatzsteuererklärung: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 977 ff. 66 Vgl. zum Folgenden: Stefan Behrens / Christof Braun, UVR 2010, 215 (215 ff.); Henning H. Rüth, UStB 2005, 349 (349 ff.). 67 Dagegen ist der umgekehrte Fall, dass eine Organgesellschaft in mehrere Organträgerunternehmen eingegliedert ist (sog. Mehrmütterorganschaft) im Umsatzsteuerrecht ausgeschlossen. Vgl. BFH, Urteil vom 30.4.2009 – V R 3 / 08 –, BFH / NV 2009, 1734 (1736 f.); dazu

I. Der umsatzsteuerrechtliche Organkreis

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kann sowohl die Stellung von Schwestergesellschaften (horizontale Erweiterung des Organkreises), als auch von Tochter- und Enkelgesellschaften einer gemeinsamen Muttergesellschaft zukommen (vertikale Erweiterung des Organkreises).68 Grundvoraussetzung ist selbstverständlich auch hier das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zwischen den jeweiligen Organgesellschaften und dem Organträger, wobei die Eingliederungskriterien in ihrer Interpretation für eine (mittelbare) Eingliederung mehrerer Organgesellschaften offen sind.69 Insbesondere die finanzielle Eingliederung einer Organgesellschaft kann auch mittelbar, durch eine Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an einer Tochtergesellschaft, die ihrerseits wiederum eine Mehrheitsbeteiligung an der Organgesellschaft (Enkelgesellschaft) hält, erreicht werden.70 Dabei ist unerheblich, ob die zwischengeschaltete Tochtergesellschaft selbst dem Organkreis angehört oder nicht.71 Gleichsam kann die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung mittelbar erfolgen, sodass der umsatzsteuerliche Organkreis sowohl horizontal als auch vertikal beliebig erweiterbar ist.72 Unterhält ein Organträger zu mehreren Gesellschaften eine organschaftliche Verbindung, dann werden alle Organgesellschaften zum unselbständigen Teil des einheitlichen Unternehmens des Organträgers.73 Das bedeutet, dass nicht jede Organgesellschaft zusammen mit dem Organträger einen eigenen Organkreis bildet, sondern der Organträger sämtliche Organgesellschaften in den um ihn gebildeten Organkreis aufnimmt und diese allesamt zum Einheitsunternehmen verbindet. Jede Organgesellschaft nimmt fortan die Stellung einer unselbständigen Geschäftsabteilung im Einheitsunternehmen ein.

auch: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 835; Heinz Mösbauer, UR 1995, 321 (322). 68 Die verschiedenen Konstellationen auch grafisch darstellend: Stefan Behrens / Christof Braun, UVR 2010, 215 ff. 69 Umfassend dazu: Stefan Behrens / Christof Braun, UVR 2010, 215 ff. 70 BFH, Urteil vom 19.5.2005 – V R 31 / 03 –, BStBl. II 2005, 671 (674); BFH, Urteil vom 1.12.2010 – XI R 43 / 08 –, BStBl. II 2011, 600 (602). 71 Stefan Behrens / Christof Braun, UVR 2010, 215 (215 ff.); A. A.: Henning H. Rüth, UStB 2005, 349 (352). 72 Stefan Behrens / Christof Braun, UVR 2010, 215 (217 ff.); A. A.: Henning H. Rüth, UStB 2005, 349 (353). Zur mittelbaren wirtschaftlichen Eingliederung auch: Friedrich Klenk, in: Sölch / Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 120 m.w. N. 73 Beispielhaft: Heinz Mösbauer, UR 1995, 321 (322).

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

II. Systematische Gesamtbetrachtung der Besteuerung des umsatzsteuerrechtlichen Organkreises: Die Einheitstheorie und ihre verfahrensrechtliche Umsetzung Die umsatzsteuerliche Organschaft folgt seit dem ersten Tag ihrer gesetzlichen Kodifikation der organtheoretischen Doktrin der Einheitstheorie.74 Danach werden organschaftlich verbundene Unternehmen umsatzsteuerlich als Einheitsunternehmen behandelt.75 Beleg für die Beibehaltung der einheitstheoretischen Konzeption sind die mit der umsatzsteuerlichen Organschaft verbundenen Rechtsfolgen. So verneint § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sowohl in der Frage der Steuerpflicht als auch bei der steuerlichen Behandlung organkreisinterner Lieferungen und Leistungen die Selbständigkeit der Organgesellschaften für umsatzsteuerliche Zwecke und besteuert damit die Unternehmensverbindung gleich einem Einheitsunternehmen.76 Zudem ist die Behandlung des umsatzsteuerlichen Organkreises als Einheitsunternehmen heute europarechtlich verankert. Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL gestattet es den Mitgliedstaaten, dass verbundene Unternehmen „als ein Steuerpflichtiger behandelt werden“.77 Dabei schlägt sich die europarechtliche Verwurzelung der Einheitstheorie insbesondere in dem 1987 eingefügten § 2 Abs. 2 Nr. 2 S. 3 UStG nieder.78 Abgesehen davon ist sie damit erklärbar, dass die Aufnahme einer europarechtlichen Regelung zur Mehrwertsteuer-Gruppe in die EG-Richtlinie das Anliegen der Mitgliedstaaten Deutschland und Niederlande war. Beide Länder verfolgten bereits damals im Umsatzsteuerrecht ein Organschafts- bzw. Gruppenbesteuerungssystem nach der Einheitstheorie (in den Niederlanden: fiscale Eenheid van de Onderneming).79 Die steuerliche Vereinheitlichung der verbundenen Unternehmen ist der wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Steuerrechts geschuldet. Das Zivilrecht folgt dieser Vereinheitlichung auch heute nicht und hält nach wie vor an der Selbständigkeit der organkreisangehörigen Gesellschaften fest.80 Dementsprechend bleiben die Organgesellschaften bei formal-zivilrechtlicher Betrachtung allesamt eigenständige 74 Zur Einheitstheorie im Allgemeinen und ihrer Bedeutung im Umsatzsteuerrecht im Besonderen bereits oben: B. III. 1. a) aa) und cc). 75 Für die nach heutiger Rechtslage noch bestehende Bedeutung der Einheitstheorie: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (130); Ulrich Prinz, in: Herzig, Organschaft, S. 556 f. 76 Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (130). 77 Vgl. diesbezüglich insbesondere Christoph Wäger, Organschaft im Umsatzsteuerrecht, in: FS für Schaumburg, S. 1189 (1210), der diese Aussagen zu Recht für eine richtlinienkonforme Auslegung des Organschaftstatbestandes bemüht. 78 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 936. 79 Zur Aufnahme einer Regelung zur Mehrwertsteuer-Gruppe wegen der Mitgliedstaaten Deutschland und Niederlande: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 806 f. m.w. N.; BFH, Urteil vom 17.1.2002 – V R 37 / 00 –, BStBl. II 2002, 373 (376). 80 Vgl. beispielhaft: Wolfram Birkenfeld, in: Birkenfeld / Wäger, Das große UmsatzsteuerHandbuch, § 44, Rz. 1; Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, Rz. 139.

II. Besteuerung des gesamten umsatzsteuerlichen Organkreises

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Rechtsträger; die Einheitstheorie verfolgt auf der Basis einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise lediglich die Fiktion der Einheit zum Zwecke der Besteuerung. Das wirft die bereits in Bezug auf § 114 RAO und dessen Interdependenz mit dem materiellen Organschaftsrecht behandelte Frage auf, ob die Einheitstheorie nicht nur materiell-rechtlich durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, sondern auch verfahrensrechtlich konsequent umgesetzt wurde. Dabei belegt ein Blick auf die Funktion des § 114 RAO, dass der Haftungsnorm bei der erstmaligen Kodifikation der Organschaft zentrale Bedeutung auf verfahrensrechtlicher Ebene zukam.81 Insofern wird bei der folgenden Darstellung insbesondere zu beleuchten sein, ob das Bedürfnis nach einer Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft auch heute noch besteht.

1. Die Inanspruchnahme der organkreisangehörigen Unternehmungen durch die Finanzbehörde (Außenverhältnis) a) Der Organträger als Steuerschuldner im Organkreis Gemäß § 43 S. 1 AO, § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 UStG ist Schuldner der Umsatzsteuer der Unternehmer. Mit dem Verlust der Selbständigkeit verliert die Organgesellschaft ihre Unternehmereigenschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG.82 Sie wird zum unselbständigen Teil des Unternehmens des Organträgers und ist mit ihrer Eingliederung und dem damit einhergehenden Verlust der Unternehmereigenschaft nicht mehr Schuldner der Umsatzsteuer.83 Einziger Unternehmer im Organkreis ist und bleibt der Organträger.84 Er ist fortan alleiniger Träger aller steuerlichen Rechte und Pflichten im Einheitsunternehmen.85 Die steuerlich relevanten Handlungen seiner Organgesellschaften werden ihm wie eigene zugerechnet.86 Zu den Pflichten des Organträgers zählt insbesondere die Abführung der vereinnahmten Umsatzsteuer. Diese Pflicht erstreckt sich sowohl auf die vom Organträger selbst als auch auf die von den Organgesellschaften vereinnahmten Umsatzsteuerbeträge.87 Bei der Steuererhebung kommt es daher nicht darauf an, welches organ-

Vgl. dazu: B. III. 2. e) aa). Beispielhaft dazu: BFH, Urteil vom 10.11.2010 – XI R 25 / 08 –, BFH / NV 2011, 839 (840). 83 Zum Ganzen: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 936; Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, Rz. 138. 84 Die ebenfalls denkbare Lösung, dass der aus Organgesellschaft und Organträger gebildete Verbund, etwa unter der Bezeichnung „Organkreis“, zum Steuerschuldner wird, wurde gesetzgeberisch nicht umgesetzt. Mit entsprechendem Verweis auch: Friedrich Klenk, in: Sölch / Ringleb, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 95 m.w. N. Zum Ganzen auch bereits oben: B. III. 1. a) cc) (1). 85 Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 184. 86 Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, Rz. 138. 81 82

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

kreisangehörige Unternehmen die Außenumsätze ausgeführt hat. Der Organträger trägt auch diejenigen Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die wirtschaftlich in der Sphäre seiner Organgesellschaften entstanden sind.88 Ferner ist der Organträger als einziger Unternehmer im Organkreis zum Vorsteuerabzug berechtigt.89 Sein Vorsteuervergütungsanspruch umfasst die Eingangsleistungen des gesamten Organkreises, mithin auch von den Organgesellschaften empfangene Drittleistungen.90 Damit werden die Leistungsbezüge der Organgesellschaft beim Organträger wie eigene Leistungsbezüge behandelt.91

b) Die Organgesellschaft(en) als Haftende; Kompensation der fehlenden Steuerschuldnerschaft Durch den Verlust der Unternehmereigenschaft ist die Organgesellschaft nicht mehr Steuerschuldner der von ihr, respektive dem gesamten Organkreis, verursachten Steuerschuld. Stattdessen haftet sie gegenüber dem Fiskus gemäß § 73 AO. Die Vorschrift des § 73 AO greift im mehrgliedrigen Organkreis gleichermaßen, indem sie die Vielzahl von Organgesellschaften des gemeinsamen Organträgerunternehmens zu Haftenden der vom Organträger geschuldeten und gemeinsam erwirtschafteten Steuerschuld macht. Insofern ist § 73 AO im mehrgliedrigen Organkreis auf jede Organgesellschaft anwendbar, gleich ob Tochter- oder Enkelgesellschaft.92 Die Zahl der eingegliederten Organgesellschaften erhöht automatisch die Zahl der potentiell Haftenden. Der Steuergläubiger sieht sich dem Organträger als Steuerschuldner und einer Vielzahl von Haftenden gegenüber, die allesamt in Anspruch genommen werden können. Wie die Ausführungen zu § 114 RAO belegen, kommt der Haftungsnorm bei der verfahrensrechtlichen Umsetzung der Einheitstheorie zentrale Bedeutung zu.93 Insofern steht zu vermuten, dass § 73 AO funktionell die gleiche Bedeutung beizumessen ist wie bereits dem früheren § 114 RAO. 87 Ernst E. Stöcker, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 1469; Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 950 f. 88 So explizit: Wolfgang Walter / Franz-Peter Stümper, GmbHR 2006, 68 (69). 89 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 959 f.; Werner Widmann, in: Herzig, Organschaft, S. 347. 90 Rolf-Rüdiger Radeisen, Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 194; Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 960; Werner Widmann, in: Herzig, Organschaft, S. 347; BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 9 und Rz. 14. 91 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 960. 92 So für die gewerbesteuerliche Organschaft, bevor deren Begründung einen Gewinnabführungsvertrag zwischen Organträger und Organgesellschaft voraussetzte und mit expliziter Bezugnahme auf die identische Sachlage im Umsatzsteuerrecht: Gregor Nöcker, INF 2001, 648 (650 m.w. N.). 93 Vgl. oben: B. III. 2. e) aa).

II. Besteuerung des gesamten umsatzsteuerlichen Organkreises

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Nach wie vor trifft das Steuerschuld- und Steuerverfahrensrecht kein Korrektiv zur Vereinheitlichung der Vermögenssphären der organkreisangehörigen Unternehmungen.94 Aus der zivilrechtlichen Selbständigkeit der Organgesellschaften folgt deshalb, dass der Steuergläubiger bei einer Inanspruchnahme des Organträgers nicht auf das Vermögen der Organgesellschaften zugreifen kann, denn in Vollstreckungsangelegenheiten ist das Steuerrecht auch heute grundsätzlich an die zivilrechtliche Güterzuordnung gebunden.95 Ohne § 73 AO könnte der Steuergläubiger folglich hinsichtlich der Gesamtsteuerschuld des Organkreises nicht im Vermögen der Organgesellschaften Befriedigung suchen, obgleich die Organgesellschaften als Teil des Gesamtunternehmens die Steuer mitverursacht haben.96 § 73 AO knüpft – wie bereits § 114 RAO – an diese Problematik an. Die Norm bezweckt, die durch den Verlust der Steuerschuldnerschaft fehlende Inanspruchnahmemöglichkeit des Steuergläubigers gegenüber der Organgesellschaft zu kompensieren.97 Über den Weg der Haftung wird dem Steuergläubiger eine Zugriffsmöglichkeit auf das vom Steuerzugriff beim Organträger zunächst verschonte Vermögen der Organgesellschaft eröffnet.98 Der Nachteil des Steuergläubigers, der bei fehlender Steuerschuldnerschaft der Organgesellschaft eintreten würde, soll durch § 73 AO beseitigt werden.99

2. Steuerumlagen im umsatzsteuerrechtlichen Organkreis: Die Bedeutung organkreisinterner Ausgleichspflichten (Innenverhältnis) Mit der Vereinheitlichung der im Organkreis erwirtschafteten Steuerschuld und ihrer Erhebung von nur einem organkreisangehörigen Rechtsträger – in der Regel von dem Organträger als einzigem Steuerschuldner –, tritt gemeinhin eine Verzerrung in der steuerlichen Belastung der einzelnen organkreisbeteiligten Rechtsträger ein.100 Aufgrund des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG i.V. m. § 13a Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 1 UStG nimmt der Steuergläubiger den Organträger als einzigen Steuerschuldner regelmäßig hinsichtlich der gesamten im Organkreis erwirtschafteten Umsatzsteuerschuld 94 Zur Idee eines gesetzlich legitimierten Vollstreckungsdurchgriffs in das Vermögen der Organgesellschaft bei einem Vorgehen gegen den Organträger bereits oben: B. III. 2. e) aa) (2). 95 Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 – 19, Rz. 50. 96 Zu dieser Diskrepanz bereits oben: B. III. 2. e) aa) (1). 97 Vgl. oben: B. III. 2. e) aa) (2). 98 Wolfgang Sturm, StuW 1992, 252 (258); Dietmar Onusseit, ZIP 2003, 743 (753); Christian Korn, in: Bunjes / Geist, Umsatzsteuergesetz, Rz. 141. Ebenso, bezogen auf § 114 RAO, bereits oben: B. III. 2. e) aa) (1) und (2). 99 Dietmar Onusseit, ZIP 2003, 743 (753). 100 Zum Ganzen bereits oben: B. III. 2. e) aa) (3).

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

in Anspruch. Der Organträger ist damit verpflichtet, auch diejenigen Umsatzsteuerbeträge abzuführen, die von seinen Organgesellschaften vereinnahmt wurden. Er muss diese Beträge, vorbehaltlich etwaiger zwischen ihm und den Organgesellschaften getroffener Steuerumlagevereinbarungen101, aus dem eigenen Vermögensstamm leisten, ohne zuvor einen entsprechenden Zufluss – insbesondere in Form der Umsatzsteuer aus Drittleistungen – verzeichnet zu haben. Bliebe es bei dieser Belastungswirkung, würde der Organträger bzw. dessen Gesellschafter gegenüber an den Organgesellschaften beteiligten Minderheitsgesellschaftern benachteiligt.102 Letztere profitierten von der Verlagerung der durch die Organgesellschaft verursachten Steuerschuld auf den Organträger, da die Organgesellschaft dadurch von ihrer Umsatzsteuerverbindlichkeit befreit wird. Dem Organträger erwächst demgegenüber ein entsprechender Mehraufwand.103 Den gleichen Effekt, freilich mit differierenden Vorzeichen, bewirkt die Konzentration der Vorsteuerabzugsberechtigung beim Organträger.104 Dieser kann dadurch neben der eigenen die von den Organgesellschaften verauslagten, mithin aus deren Vermögenssphäre stammenden Vorsteuerbeträge geltend machen.105 Werden diese nicht an die jeweilige Organgesellschaft abgeführt, wozu der Organträger jedenfalls kraft Steuergesetzes nicht verpflichtet ist, führt dies zu einer Minderung des Vermögens der Organgesellschaft zugunsten des Organträgers.106 In Ansehung der Eigentumsrechte der an der Organgesellschaft beteiligten Minderheitsgesellschafter bedeutet der Verlust der Vorsteuerabzugsberechtigung der Organgesellschaft folglich eine Benachteiligung zugunsten des Organträgers bzw. dessen Gesellschaftern.107 101 Eine solche Steuerumlagevereinbarung ist definitionsgemäß eine „vertragliche Abrede zwischen Organträger und Organgesellschaften zwecks verursachungsgerechter Verteilung der Steuerbelastung im Konzern angesichts der im Außenverhältnis gegebenen einseitigen Belastung des Organträgers als Steuerschuldner“. So explizit: Franz Jürgen Marx, DB 1996, 950 (951). 102 Wie folgt: Heinz Meilicke, MittbldStb 1960, 67 (69 f.); Heinz Meilicke, DB 1960, 1379 (1379). Außerdem: Tillmann Pyszka, GmbHR 1999, 646 (647, 650), der zwar nur die gewerbesteuerliche Organschaft (vor der Anpassung an die körperschaftsteuerlichen Organschaftsregeln) in den Blick nimmt. Die Erwägungen gelten jedoch in gleicher Weise für die umsatzsteuerliche Organschaft, die diesen verzerrenden Effekt ebenfalls bewirkt. Ebenso: Stefan Simon, DStR 2000, 431 (432 f.); zuletzt instruktiv: BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 12: „Die Zurechnung dieser Umsätze ohne zivilrechtlichen Innenausgleich widerspräche dem Grundsatz der Belastungsneutralität, weil er zu erheblichen Vermögensverschiebungen zwischen den am Organkreis beteiligten Rechtsträgern führen würde.“ 103 Wolfgang Walter / Franz-Peter Stümper, GmbHR 2006, 68 (69); BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 10 ff. 104 Zu dieser Problematik zuletzt: BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 13 ff. 105 Rolf-Rüdiger Radeisen, in: Plückebaum / Widmann, Umsatzsteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 189; BFH, Urteil vom 10.11.2010 – XI R 25 / 08 –, BFH / NV 2011, 839 (840); BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 9. 106 Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuerrecht, § 2, Rz. 926; vgl. außerdem: BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 13.

II. Besteuerung des gesamten umsatzsteuerlichen Organkreises

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Der Bundesgerichtshof spricht diesbezüglich allgemein von einem drohenden Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsneutralität.108 Aufgrund dieser verzerrenden Belastungswirkungen im umsatzsteuerlichen Organkreis ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass es sowohl aus zivilrechtlicher als auch aus steuerrechtlicher Sicht109 eines Ausgleichs zwischen den organkreisangehörigen Rechtsträgern bedarf.110 Allerdings statuiert das Steuerrecht weder in der Abgabenordnung, noch im Umsatzsteuerrecht einen solchen Ausgleichsanspruch.111 Durch die Anordnung der Gesamtschuldnerschaft zwischen Steuerschuldner und Haftendem gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 AO112 kommt der Steuergesetzgeber dem Bedürfnis nach einem organkreisinternen Ausgleich jedenfalls mittelbar nach. Mit § 426 Abs. 1 und Abs. 2 BGB statuieren die ergänzend heranzuziehenden zivilrechtlichen Vorschriften zur Gesamtschuld einen internen Ausgleichsanspruch unter den Gesamtschuldnern,113 der auch im Falle der verursachungsgerechten Aufteilung der Steuerschuld im Organkreis zur Anwendung gelangt.114 Begleicht der Organträ107 Vgl. hierzu: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuerrecht, § 2, Rz. 926. Auf die verzerrende Wirkung des Vorsteuerabzugs im umsatzsteuerlichen Organkreis ebenfalls hinweisend: Wolfgang Walter / Franz-Peter Stümper, GmbHR 2006, 68 (69); zur Problematik ebenfalls: Klaus-Jürgen Fröschl, HFR 2002, 1118 (1120). 108 BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 13. 109 Einen Ausgleich überdies aus betriebswirtschaftlichen Gründen für zwingend geboten erachtend: Franz Jürgen Marx, DB 1996, 950 (953 f.). 110 Heinz Meilicke, MittblStb 1960, 67 (68 f.); Heinz Meilicke, DB 1960, 1379 (1379); Gerd Rose, DB 1965, 261 (262); Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 337. Für den auf die umsatzsteuerliche Organschaft übertragbaren Fall der gewerbesteuerlichen Organschaft ohne Gewinnabführungsvertrag: Stefan Simon, DStR 2000, 431 (432 f.). Für die Rechtsprechung: BFH, Urteil vom 30.4.1980 – II R 133 / 77 –, BStBl. II 1980, 521 (522), wo das Bedürfnis nach einem organkreisinternen Ausgleich zwar anerkannt, die Frage nach den Rechtsgrundlagen eines solchen allerdings offen gelassen wird. Weiterhin: BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (54 ff.); KG Berlin, Urteil vom 28.3.2001 – 23 U 170 / 99 –, NZG 2001, 1084 (1085); BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris. Dafür, dass der Fall der umsatzsteuerlichen Organschaft mit der Rechtslage vor der Reform der gewerbesteuerlichen Organschaft identisch war: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 318: „Damit können Umsatzsteuerumlagen dieselbe Relevanz haben, die Gewerbesteuerumlagen bis EZ 2001 zukommen konnte.“ 111 Franz Jürgen Marx, DB 1996, 950 (952). 112 Zum Verhältnis von Schuld und Haftung allgemein bereits oben: A. III. 113 Zum Ausgleich unter den Gesamtschuldern und der Anwendbarkeit des § 426 BGB bereits oben: A. IV. 114 BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (55 ff.); KG Berlin, Urteil vom 28.3.2001 – 23 U 170 / 99 –, NZG 2001, 1084 (1085); BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 10 ff. Die Anwendbarkeit ebenfalls grundsätzlich bejahend, wobei durch den Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags im konkreten Fall „eine anderweitige Vereinbarung“ im Sinne des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB angenommen wurde: BGH, Urteil vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 (176). Weiterhin etwa: Wolfgang Walter / FranzPeter Stümper, GmbHR 2006, 68 (72 und 74); Stefan Simon, DStR 2000, 431 (434); Carl-

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

ger Umsatzsteuerverbindlichkeiten, die in der Sphäre der Organgesellschaft entstanden sind, kann er aufgrund § 426 Abs. 1, 2 BGB von der Organgesellschaft Regress verlangen.115 Die verzerrte, nicht verursachungsgerechte Belastung im Außenverhältnis wird durch eine Umlegung der Steuerlast im Innenverhältnis – wie bereits zu Zeiten der RAO – auf der Rechtsgrundlage der §§ 426 Abs. 1, 2 BGB beseitigt. Beachtlich ist, dass der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 22.10. 1992116 die Anwendbarkeit des § 426 BGB trotz der Existenz des § 219 S. 1 AO bejaht.117 Dabei wäre es aufgrund der Subsidiarität der Haftung gemäß § 219 S. 1 AO durchaus denkbar gewesen, heute118 einen Regressanspruch nach § 426 BGB zwischen Steuerschuldner und Haftendem zu verneinen. Die Gesamtschuld im Sinne der §§ 421 ff. BGB setzt als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nämlich die Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten voraus.119 Steuerschuld und Haftungsschuld stehen dagegen aufgrund § 219 S. 1 AO jedenfalls im Erhebungsverfahren in einem Rangverhältnis zueinander; der Haftungsschuldner darf auf Zahlung nur in Anspruch genommen werden, soweit die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Steuerschuldners ohne Erfolg geblieben oder anzunehmen ist, dass die Vollstreckung aussichtslos sein würde. In seiner Entscheidung vom 22.10.1992 hat der Bundesgerichtshof den möglichen Einfluss des § 219 S. 1 AO auf die Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Regelungen zur Gesamtschuld auch erkannt.120 Er hat indes festgestellt, die abgabenrechtliche Unterscheidung zwischen Steuerschuld und Haftung sei für die Beurteilung des zivilrechtlichen Innenverhältnisses weitgehend ungeeignet. Deshalb stehe die nach § 219 AO im Regelfall geltende subsidiäre Inanspruchnahme des Haftungsschuldners einem Ausgleichsanspruch des Organträgers entsprechend den Regeln über die Gesamtschuld nicht entgegen.121 Neben dem angesprochenen Bedürfnis nach einem derartigen internen Ausgleich zur Korrektur der organschaftsbedingten Verzerrung der steuerlichen Belastung spricht auch die ursprüngliche Konzeption des umsatzsteuerlichen (und damals auch gewerbesteuerlichen) Organkreises für diese Rechtsauffassung. Die Subsidiarität der Haftung war im Jahre 1936 weder positiv normiert, noch durch die RechtHeinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 388 f. Gegen die Anwendbarkeit des § 426 BGB bei der Organschaft: Hans-G. Schultze-Schlutius, DB 1958, 1137 (1137 f.). 115 Ebenfalls werden Ansprüche des Organträgers aus ungerechtfertigter Bereicherung oder Geschäftsführung ohne Auftrag diskutiert. Ausführlich zu einem bereicherungsrechtlichen Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB: Stefan Simon, DStR 2000, 431 (434 f.); dazu auch: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 385 ff. 116 BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50. 117 Diese Rechtsprechung bestätigend: BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris. 118 Zur damaligen Rechtslage bei Fehlen einer Subsidiaritätsklausel oben: B. III. 2. e) aa) (3). 119 Christian Grüneberg, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 421, Rz. 7 ff. 120 BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (54 und 56 ff.). 121 BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (54 und 56 ff., insbes. 58).

II. Besteuerung des gesamten umsatzsteuerlichen Organkreises

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sprechung abschließend geklärt.122 Es ist deshalb anzunehmen, dass das Verhältnis der Schuldner Organträger und Organgesellschaft kein Rangverhältnis, sondern ein „echtes“ Gesamtschuldverhältnis sein sollte. Da sich die Rechtslage bei umsatzsteuerlicher Organschaft zur ursprünglichen Rechtslage im Jahre 1936 nicht wesentlich geändert hat, ist es sachgerecht, die Subsidiaritätsklausel des § 219 S. 1 AO bei Fragen zum internen Ausgleich zwischen Organträger und Organgesellschaft außer Betracht zu lassen. Am 29.1.2013 entschied der Bundesgerichtshof123 überdies in der Frage des internen Ausgleichs hinsichtlich vom Organträger zwar vereinnahmter, materiell jedoch der Organgesellschaft zustehender Vorsteuervergütungen. Diese wurden zuvor vielfach als nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB kondizierbar erachtet.124 Der Bundesgerichtshof ging einen anderen Weg und bestätigte in diesem Zuge zugleich seine vorstehende Rechtsprechung zur Gesamtschuldnerschaft von Organgesellschaft und Organträger.125 So heißt es in Anlehnung an die Gesamtschuldnerschaft, die hierzu vergleichbare materielle Interessenlage im Innenverhältnis der Parteien mit einem bezüglich der Vorsteuervergütungen formal berechtigten Organträger und einer materiell berechtigten Organgesellschaft entspreche der Interessenlage von Gesamtgläubigern.126 Dementsprechend müsse der zivilrechtliche Ausgleich nach den Wertungen des Gesamtgläubigerausgleichs (§ 430 BGB) erfolgen, ungeachtet dessen, dass für Vorsteuervergütungsansprüche des Organträgers gegen die Steuerbehörde eine (subsidiäre) Mitberechtigung – wie sie gerade durch § 73 AO statuiert wird – gesetzlich nicht geregelt sei.127 Das Erfordernis nach einem derartigen internen Ausgleich sei insbesondere in Ansehung einer drohenden Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsneutralität auf Unternehmensebene geboten.128 Es könne schließlich nicht davon ausgegangen werden, dass mit § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine zivilrechtliche Vermögenszuweisung erfolgen soll, die diesem Grundsatz widerspricht.129 Der Bundesgerichtshof hat damit das Bedürfnis nach einem internen Ausgleich im umsatzsteuerlichen Organkreis nochmals eingehend dargelegt. Die Vereinheitlichung der selbständigen Rechtsträger gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG führt zwangs122 Zum Verhältnis von Schuld und Haftung sowie zur diesbezüglichen Rechtsprechung des RFH bereits oben: B. III. 2. e) aa) (3). 123 BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris. 124 Dazu: Holger Stadie, in: Rau / Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 2, Rz. 821. Für den vergleichbaren Fall, dass eine Organgesellschaft bei gewerbesteuerlicher Organschaft Verluste erzielt und dem Organträger dadurch steuerliche Vorteile zu Lasten der Organgesellschaft erwachsen: Stefan Simon, DStR 2000, 431 (435 f.); an der Rechtsgrundlage des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zweifelnd, allerdings das Bedürfnis nach einem Ausgleich bejahend: KlausJürgen Fröschl, HFR 2002, 1117 (1120). 125 Vgl. BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 10 ff. 126 BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 13. 127 BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 13 f. 128 BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 15 ff. 129 BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 15 ff.

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

läufig zu Verzerrungen in der Belastungswirkung, die mangels steuergesetzlicher Vorschriften vom Zivilrecht im Wege des Innenausgleichs zwischen den Rechtsträgern aufgelöst werden. Mit § 73 AO schuf der Gesetzgeber eine Vorschrift, die einerseits die zur Vermeidung von Vollstreckungshindernissen unabdingbare Inanspruchnahmemöglichkeit der Organgesellschaft gewährleistete. Andererseits wurde durch § 73 AO die Anwendbarkeit des § 426 Abs. 1, 2 BGB eröffnet, der die organkreisinternen Regressansprüche regelt. § 73 AO kommt daher bei der normativen Umsetzung der Einheitstheorie nach wie vor eine zentrale verfahrensrechtliche Funktion zu; die Vorschrift ist Teil des normativen Systems zur Besteuerung des umsatzsteuerlichen Organkreises gleich einem Einheitsunternehmen. 3. Die Gesetzestechnik zur Besteuerung des umsatzsteuerrechtlichen Organkreises gleich einem Einheitsunternehmen; das Prinzip der gemeinschaftlichen Steuerverursachung Umsatzsteuerrecht und Abgabenordnung lösen die Aufgabe, den umsatzsteuerlichen Organkreis gleich einem Einheitsunternehmen zu behandeln, mittels der bereits dargestellten, bei der Ehegattenbesteuerung130 ebenfalls herangezogenen Technik.131 Alle organkreisbeteiligten Rechtsträger stehen im Außenverhältnis gegenüber dem Steuergläubiger für die gemeinsam erwirtschaftete Steuerschuld ein, entweder als Steuerschuldner oder als Haftende. Sie sind dabei gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 AO Gesamtschuldner. Bei einer Inanspruchnahme eines Rechtsträgers im Außenverhältnis stehen diesem regelmäßig Regressansprüche gemäß § 426 Abs. 1, 2 BGB gegen die anderen organkreisbeteiligten Rechtsträger zu. Diese bieten die Gewähr dafür, dass eine über den eigenen Verursachungsbeitrag hinausgehende Steuerbelastung des in Anspruch Genommenen im Außenverhältnis durch einen organkreisinternen Ausgleich beseitigt wird. In der Summe von steuerlicher oder haftungsrechtlicher Inanspruchnahme im Außenverhältnis und internem Regress erfolgt somit im Ergebnis idealiter eine verursachungsgerechte Belastung aller Rechtsträger im Organkreis. Damit entspricht die heutige Besteuerung des umsatzsteuerlichen Organkreises der vom historischen Gesetzgeber ersonnenen Regelungstechnik zur Besteuerung von zur Einheit verbundenen Unternehmen. Gleichsam gilt bis heute die bereits bezüglich des § 114 RAO gewonnene Erkenntnis, dass die Haftungsvorschrift in ihrem Normbefehl eigentlich Besteuerungstatbestand ist.132 Die Organgesellschaft ist als mitverursachender Rechtsträger nicht Dritte, müsste dementsprechend, wie die Ehegatten auch, zusammen mit dem Organträger als Steuerschuldner für die Ge-

130 131 132

Zu diesem Vergleich bereits oben: B. III. 2. e) aa) (4) (a) und (b). Zu den Eckpunkten dieser Technik: B. III. 2. e) aa) (4). Vgl. dazu bereits oben: B. III. 2. e) bb) (2).

III. Stellungnahme

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samtsteuerschuld einstehen.133 Der gesetzgeberische Grund, wieso § 114 RAO und im Folgenden § 73 AO gleichwohl als Haftungsvorschriften konzipiert wurden, wurde bereits aufgezeigt: Dies war der zuvor artikulierten Unselbständigkeit der Organgesellschaft geschuldet, die einer Steuerschuldnerschaft der Organgesellschaft im Wege stand.134 Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft rechtfertigt sich indes aufgrund ihrer (Mit-)Verursachung der Steuerschuld, also aus einem Motiv, das grundsätzlich die Steuerschuldnerschaft nach sich ziehen müsste.

III. Stellungnahme zur Frage der sachgerechten Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft Vor dem Hintergrund einer systematischen Gesamtbetrachtung der Besteuerung des umsatzsteuerlichen Organkreises und der dabei eintretenden Belastungswirkungen ergibt sich in der Frage des sachgerechten Umfangs der Inanspruchnahme der Organgesellschaft gemäß § 73 AO das folgende Bild: Wenn die Vertreter einer restriktiven, auf den Verursachungsbeitrag der Organgesellschaft beschränkten Haftung135 argumentieren, eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft für von anderen organkreisangehörigen Rechtsträgern verursachte Steuern bedeute eine übermäßige Belastung, die Minderheitsgesellschafter bzw. Drittgläubiger in unzulässiger Weise benachteilige, dann legen sie diesem Urteil eine unvollständige Betrachtung der steuerlichen Belastungswirkungen im umsatzsteuerlichen Organkreis zugrunde. Zwar wird zu Recht herausgestellt, dass eine vollumfängliche Inanspruchnahme der Organgesellschaft immer dann zu besonderer Härte führen kann, wenn auch andere organkreisangehörige Rechtsträger die Gesamtsteuerschuld (mit-)verursacht haben. Dass diese im Außenverhältnis eintretende übermäßige Belastung durch die Existenz organkreisinterner Ausgleichsansprüche gemildert und im Ergebnis auf ein verursachungsgerechtes Maß finanzieller Belastung reduziert wird, bleibt allerdings unbeachtet. Es wird verkannt, dass der Organgesellschaft – ebenso wie dem Organträger bei dessen Inanspruchnahme – Regressansprüche aufgrund der § 44 Abs 1 AO, § 426 Abs. 1, 2 BGB zustehen. Führt jedoch der Regress zu einer verursachungsgerechten Aufteilung der Gesamtsteuerschuld, sind Minderheitsgesellschafter und Drittgläubiger letztlich nicht benachteiligt. Die Kombination aus Haftungsinanspruchnahme und internem Ausgleich wahrt ihre Rechte, indem sie idealiter zu einer verursachungs- und damit gleichheitsgerechten Belastung der Organgesellschaft führt.136

133 134 135 136

Vgl. bereits oben: B. III. 2. e) bb). Vgl. bereits oben: B. III. 2. e) bb) (2). Hierzu unter: C. II. 2. b). Im Ergebnis ebenso: BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 11 f.

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

Berufen sich die Vertreter einer restriktiven Interpretation des § 73 AO also auf eine Benachteiligung von Minderheitsgesellschaftern und Drittgläubigern, dann verweisen sie insoweit lediglich auf die im Außenverhältnis eintretende organschaftstypische Verzerrung in der steuerlichen Belastung der einzelnen Rechtsträger. Der auf einen internen Ausgleich angelegte umsatzsteuerliche Organkreis verbietet jedoch eine derartige Betrachtungsweise, da gerade das Zusammenwirken beider Mechanismen – Steuerschuldnerschaft und Haftung im Außenverhältnis sowie Gesamtschuldnerausgleich im Innenverhältnis – zu einer verursachungs- und gleichheitsgerechten Aufteilung der Steuerlast auf die einzelnen Rechtsträger führen soll. Bei umfassender Betrachtung der steuerlichen Lastenzuteilung im umsatzsteuerlichen Organkreis ist die geforderte generelle Reduktion des Haftungsumfanges des § 73 AO auf den Verursachungsbeitrag der Organgesellschaft deshalb abzulehnen. Demgegenüber korreliert eine vollumfängliche Einstandspflicht der Organgesellschaft(en) im Außenverhältnis grundsätzlich mit der ebenfalls unbegrenzten Einstandspflicht des Organträgers. Es entspricht der steuergesetzlichen Methodik der Besteuerung von nichtrechtsfähigen Wirtschaftsgebilden, die sich aus mehreren selbständigen Rechtsträgern zusammensetzen, dass zunächst jeder der beteiligten Rechtsträger im Außenverhältnis vollumfänglich für die gemeinsam erwirtschaftete Steuerschuld einsteht. Die endgültige Verteilung der Steuerlast unter den Rechtsträgern wird danach im Wege des Innenausgleichs herbeigeführt. Dies belegt der bereits mehrfach bemühte Blick auf die identische Gesetzestechnik zur Besteuerung zusammenveranlagter Ehegatten, die beide gegenüber dem Steuergläubiger für die gesamte Steuerschuld einstehen und im Innenverhältnis ausgleichspflichtig sind. Wenn also argumentiert wird, die Organgesellschaft müsse für die gesamte Umsatzsteuerschuld des Organkreises haftbar gemacht werden, da der umsatzsteuerliche Organkreis als Einheitsunternehmen zu besteuern sei,137 so ist dem unter Bezugnahme auf die gesetzestechnische Umsetzung der Einheitstheorie und der kongruent hierzu bestehenden vollumfänglichen Einstandspflicht des Organträgers grundsätzlich zuzustimmen. Dies gilt umso mehr, als damit aufgrund des Innenausgleichs prinzipiell keine gegen den Grundsatz der Besteuerungsgleichheit verstoßende Belastung einhergeht. Bedacht werden muss allerdings, dass die dargestellte Konzeption der Besteuerung des umsatzsteuerlichen Organkreises besondere Risiken für die organkreisangehörigen Rechtsträger birgt. Durch die Gesamtschuldnerschaft sieht sich der Steuergläubiger in der komfortablen Situation, von jedem Rechtsträger Befriedigung erlangen zu können. Seine Entscheidung, an wen er sich wenden will, wird einzig durch § 219 S. 1 AO und, bei mehreren Haftenden, durch die Anforderungen an eine sachgemäße Ermessensausübung beschränkt.138 Dagegen trifft den in AnVgl. oben: C. II. 2. a) bb). Vgl. bereits oben: A. III. 2. b). Zur Ermessensausübung bei mehreren Haftenden außerdem: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 183 ff. 137 138

III. Stellungnahme

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spruch genommenen Rechtsträger das Risiko der Verwirklichung seiner Regressforderung. Kann der Ausgleich im Innenverhältnis aufgrund Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit eines oder mehrerer Rechtsträger ganz oder teilweise nicht erfolgen, bleibt der im Außenverhältnis Erfüllende insoweit – über den eigenen Verursachungsbeitrag zur Gesamtsteuerschuld hinaus – belastet. Die auf Umlegung angelegte Überlast im Außenverhältnis wird für ihn zur endgültigen. Eine vollumfängliche Belastung ohne Regressmöglichkeit steht allerdings – wie von den Vertretern der restriktiven Sichtweise generell behauptet – bei einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft in Konflikt mit den Eigentumsrechten etwaiger Minderheitsgesellschafter und Drittgläubiger. Versagt der Regress, tritt in der Tat eine über die eigene Verursachung hinausgehende und damit übermäßige Belastung ein, die gerade die an der Organgesellschaft beteiligten Minderheitsgesellschafter und mögliche Drittgläubiger benachteiligt.139 Losgelöst von der spezifischen Problematik im umsatzsteuerlichen Organkreis lässt sich die vorgefundene Konfliktlage wie folgt beschreiben: Durch das Instrument der Gesamtschuld reduziert der Steuergläubiger sein Insolvenzrisiko, das ihn bei einer separaten Besteuerung der organkreisbeteiligten Rechtsträger treffen würde. Stünde nämlich jeder organkreisbeteiligte Rechtsträger – entsprechend einer strikten Individualbesteuerung – von Anfang an nur für den von ihm verursachten Teil der Gesamtsteuerschuld ein, dann würde die Wertlosigkeit einer jeden dieser Einzelforderungen zu einer Einbuße des Steuergläubigers führen. Bei der Gesamtschuld steht dagegen jeder der Schuldner zur Gänze für die gemeinsam erwirtschaftete Steuerschuld ein. Leistet ein Schuldner nicht, kann sich der Steuergläubiger hinsichtlich des gesamten Betrages an einen anderen der Gesamtschuldner wenden. Der erfüllende Schuldner erhält zum Ausgleich seiner die eigene Steuerverursachung übersteigenden Leistung allerdings gemäß § 426 Abs. 1, 2 BGB lediglich (risikobehaftete oder gar bereits wertlose) Regressforderungen. Das Ausfallrisiko trifft im Falle der Gesamtschuld mithin den erfüllenden Rechtsträger, dessen temporäre übermäßige Belastung im Außenverhältnis bei fehlgeschlagenem Regress zur endgültigen erwächst. Der Steuergläubiger kann demgegenüber bei Zahlungsunfähigkeit des einen, auf einen anderen seiner Gesamtschuldner zugreifen. Seine Forderung bleibt nur dann unerfüllt, wenn alle gesamtschuldnerisch einstehenden Rechtsträger nicht zur Leistung herangezogen werden können. Hieraus kann der Schluss gezogen werden, dass die dargestellte Konstruktion der Besteuerung eines Wirtschaftsgebildes, bestehend aus mehreren zur Einheit verbundenen Rechtsträgern, insoweit zur steuerlichen Benachteiligung eines dieser Rechtsträger führt, als dessen Regressanspruch uneinbringlich ist. Dies gilt für den Fall der Besteuerung zusammenveranlagter Ehegatten in gleicher Weise wie für den Fall der Besteuerung des umsatzsteuerlichen Organkreises gleich einem Einheitsunterneh139 Die Bedeutung des Regressanspruchs in diesem Zusammenhang ebenfalls hervorhebend: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 76: „Grundsätzlich kann sich die Frage nach dem Übermaß erst dann stellen, wenn dieser Ausgleichsanspruch wertlos ist.“

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

men. Auch bei der Zusammenveranlagung führt die Inanspruchnahme eines Ehegatten für die gesamte, gemeinsam erwirtschaftete Steuerschuld „zu besonderer Härte“,140 wenn der Partner – etwa im Falle des Getrenntlebens bzw. nach einer Scheidung – zum Ausgleich nicht bereit, oder – im Falle von Insolvenz – zum Ausgleich nicht in der Lage ist, die Gesamtsteuerschuld jedoch mitverursacht hat.141 Für die Besteuerung zusammenveranlagter Ehegatten hat der Gesetzgeber auf die vorstehende Problematik durch den Erlass der §§ 268 ff. AO reagiert. Danach ist es den zusammenveranlagten Ehegatten auf Antrag möglich, den gemeinsam geschuldeten Steuerbetrag aufzuteilen und die Vollstreckung gegen den Einzelnen auf den Teil der Gesamtsteuerschuld zu beschränken, der dem eigenen Verursachungsbeitrag entspricht.142 Auf Antrag werden die Ehegatten damit im Vollstreckungsverfahren so gestellt, als wären sie getrennt zu veranlagen, wodurch der Gefahr einer übermäßigen Belastung des Einzelnen bei Zusammenveranlagung begegnet wird.143 Erkennt einer der Ehegatten, dass die Durchsetzbarkeit der Regressforderung zweifelhaft ist, kann er sich des ihm aufgebürdeten Ausfallrisikos wieder entledigen, indem er die Aufteilung der Gesamtschuld beantragt. Er steht damit fortan nur noch für den von ihm verursachten Teil der Gesamtsteuerschuld ein. Das Risiko der Wertlosigkeit des gegen den anderen Ehegatten gerichteten (Ausgleichs-)Anspruchs wird auf den Steuergläubiger zurückübertragen. Dessen Vollstreckungsbegehr ist fortan auf den jeweiligen Verursachungsbeitrag des Einzelnen zur Gesamtsteuerschuld beschränkt, was bei Insolvenz bzw. Vermögensverfall dazu führt, dass der Forderungsausfall den Steuergläubiger trifft. Demzufolge neutralisieren die vollstreckungsrechtlichen Aufteilungsvorschriften der §§ 268 ff. AO die geschilderten Härten der gesamtschuldnerischen Einstandspflicht.144 Aufgrund der identischen Problemstellung im Falle der umsatzsteuerlichen Organschaft wäre an die Anwendung der §§ 268 ff. AO auf die gesamtschuldnerische Einstandspflicht von Organträger und Organgesellschaft(en) zu denken.145 Dem steht freilich der Gesetzeswortlaut des § 268 AO entgegen, der den Anwendungsbereich der nachfolgenden Aufteilungsvorschriften explizit auf den Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten beschränkt. Zu erwägen ist jedoch eine analoge Anwendung der §§ 268 ff. AO. Diese erfordert neben dem Bestehen einer plan140 BT-Drucks. III / 260, 65 f.; hierzu allgemein sowie zum Zitat: BVerfG, Urteil vom 21.2.1961 – 1 BvL 29 / 57, 20 / 60 –, BVerfGE 12, 151 (173). 141 Klaus Peter Müller-Eiselt, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 268 – 280 AO, Rz. 7. 142 BFH, Urteil vom 18.12.2001 – VII R 56 / 99 –, BStBl. II 2002, 214 (215). 143 Ludger Hermes, INF 1994, 353 (353); Joachim Kraemer, DStZ 1989, 609 (610). 144 BFH, Urteil vom 18.7.2000 – VII R 32 / 99, VII R 33 / 99 –, BStBl. II 2001, 133 (137); so auch: BT-Drucks. III / 260, 65 f. 145 Den Bezug der Organschaft zu den vollstreckungsrechtlichen Aufteilungsvorschriften ebenfalls herstellend: Klaus Tipke, FR 1970, 479 (480 f.), der allerdings konstatiert, dass im Falle der Organschaft niemand eine derart perfektionistische Regelung der Aufteilung erwarten werde.

III. Stellungnahme

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widrigen Gesetzeslücke die Vergleichbarkeit der Interessenlage.146 Bezüglich letzterer könnte der analogen Anwendung der §§ 268 ff. AO entgegengehalten werden, die Privilegierung von zusammen veranlagten Gesamtschuldnern gegenüber sonstigen Gesamtschuldnerschaften folge im Wesentlichen aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 GG und sei „geschichtlich im Zusammenhang mit der Entwicklung der Ehegattenbesteuerung hinsichtlich der Einkommensteuer zu sehen“.147 Dem wäre sicherlich dann zu folgen, wenn die §§ 268 ff. AO allein Ausdruck der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Art. 6 Abs. 1 GG sind und keine anderweitigen Gründe vergleichbaren Gewichts für eine Aufteilung der Gesamtschuld im umsatzsteuerlichen Organkreis streiten würden. Dem ist jedoch nicht so. In seiner Entscheidung zur Erhebung einer Vermögensabgabe nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) nahm das Bundesverfassungsgericht explizit auf § 7 Abs. 3 S. 4 – 7 StAnpG148 Bezug, die zur damaligen Zeit die Aufteilung von Gesamtschulden im Falle der Zusammenveranlagung regelten. Im Zuge der Urteilsbegründung stellten die Verfassungsrichter fest, dass die Inanspruchnahme eines der gemäß § 38 LAG zusammenveranlagten Ehegatten für die gesamte nach dem Lastenausgleichsgesetz geschuldete Abgabeschuld „zu besonderer Härte“ führen würde, wenn keine Möglichkeit besteht, die Schuld proportional aufzuteilen.149 Dass das Bundesverfassungsgericht die Gesamtschuldnerschaft nach dem LAG gleichwohl im Ergebnis nicht als beanstandungsbedürftig erachtete, war darauf zurückzuführen, dass die Verwirklichung der gesamten Abgabeforderung gegen einen der Ehegatten „bei richtiger Anwendung des Gesetzes gegen den Willen des Ehepaares nicht erzwungen werden“150 konnte. Dies gewähre die Anwendbarkeit der Aufteilungsvorschriften des § 7 Abs. 3 StAnpG, so das Bundesverfassungsgericht.151 Als verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab, an dem die Regelungen des LAG gemessen wurden, führte das Bundesverfassungsgericht in der Tat die Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 3 GG in ihrer spezifischen Ausprägung als Verbot der Benachteiligung der ehelichen Lebensgemeinschaft ins Feld.152 Ausdrücklich bezeichneten die Verfassungsrichter

146 Vgl. zur Rechtsfortbildung durch Analogieschluss: Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 235 ff.; umfassend: Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 366 ff. Zur Analogie im Steuerrecht, insbesondere zur Frage des Verbots der belastenden Analogie, etwa: Rudolf Wendt, Belastende Analogie im Steuerrecht?, in: FS für Wadle, S. 1203 ff. 147 Hierzu allgemein sowie zum Zitat: Klaus Peter Müller-Eiselt, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 268 – 280 AO, Rz. 4. 148 Die Sätze 4 – 7 des § 7 Abs. 3 StAnpG, die erstmals die Aufteilbarkeit der Gesamtschuld bei zusammenveranlagten Ehegatten regelten, wurden eingefügt durch das „Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Ertrag und des Verfahrensrechts“ vom 18.7.1958, BGBl. I 1958, 473 (490 f.); BStBl. I 1958, 412 (429 f.). 149 BVerfG, Urteil vom 21.2.1961 – 1 BvL 29 / 57, 20 / 60 –, BVerfGE 12, 151 (173). 150 BVerfG, Urteil vom 21.2.1961 – 1 BvL 29 / 57, 20 / 60 –, BVerfGE 12, 151 (173). 151 BVerfG, Urteil vom 21.2.1961 – 1 BvL 29 / 57, 20 / 60 –, BVerfGE 12, 151 (173 ff.).

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

jedoch die Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 3 GG im konkreten Fall als eine besondere Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes.153 In Übereinstimmung mit dieser verfassungsgerichtlichen Judikatur wird man die Regelungen der §§ 268 ff. AO als einfachgesetzliche Ausprägung des Benachteiligungsverbots aus Art. 6 Abs. 1 GG anzusehen, ja in normativer Umsetzung des Benachteiligungsverbots als verfassungsrechtlich geboten zu bewerten haben.154 Doch wenngleich Art. 6 Abs. 1 GG nicht für die dem umsatzsteuerlichen Organkreis angehörigen Unternehmungen streitet, muss bei deren Besteuerung dem – im Falle der Zusammenveranlagung lediglich durch Art. 6 Abs. 1 GG konkretisierten – Grundsatz einer gleichheitsgerechten Individualbesteuerung der im Verbund zusammengeschlossenen Rechtsträger Rechnung getragen werden. Der Gewährleistungsgehalt des allgemeinen Gleichheitssatzes, als dessen Ausfluss die §§ 268 ff. AO ebenfalls zu sehen sind und vom Bundesverfassungsgericht auch gesehen wurden,155 erfasst auch den Schutz der organschaftlich verbundenen Unternehmen vor steuerlicher Ungleichbehandlung.156 Darüber hinaus muss insbesondere die auch verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition der an der Organgesellschaft beteiligten Minderheitsgesellschafter berücksichtigt werden.157 Deren Eigentumsrechte sind deshalb als besonders schutzwürdig zu erachten, weil gerade der im Innenverhältnis verpflichtete Organträger die Organgesellschaft willentlich beherrscht, die verursachungsgerechte Aufteilung der Steuerlast jedoch zuvörderst im Interesse der Minderheitsgesellschafter liegt. Bleibt die Organgesellschaft endgültig belastet, 152 Vgl. zu den beiden Dimensionen des Art. 6 Abs. 1 GG als Benachteiligungsverbot und Förderungsgebot: Rudolf Wendt, Die gerechte Besteuerung von Ehe und Familie und sonstigen Wirtschaftsgemeinschaften, in: FS für Rüßmann, S. 1067 (1069 f. m.w. N.); BVerfG, Beschluss vom 17.1.1957 – 1 BvL 4 / 54 –, BVerfGE 6, 55 (76 f.). 153 BVerfG, Urteil vom 21.2.1961 – 1 BvL 29 / 57, 20 / 60 –, BVerfGE 12, 151 (163). 154 So in Bezug auf die Erhebung der Vermögensabgabe nach dem LAG: BVerfG, Urteil vom 21.2.1961 – 1 BvL 29 / 57, 20 / 60 –, BVerfGE 12, 151 (173 ff.). 155 Günter Geist, in: Beermann / Gosch, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 268 – 280 AO, Rz. 3; Klaus Peter Müller-Eiselt, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 268 – 280, Rz. 6; BFH, Urteil vom 18.7. 2000 – VII R 32 / 99, VII R 33 / 99 –, BStBl. II 2001, 133 (137); BVerfG, Urteil vom 21.2. 1961 – 1 BvL 29 / 57, 20 / 60 –, BVerfGE 12, 151 (163). 156 Vgl. insbesondere: BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 12, wo der Bundesgerichtshof explizit auf den Grundsatz der Besteuerungsneutralität rekurriert. 157 Zum Eigentumsschutz der Gesellschaftsrechte von Minderheitsgesellschaftern insbesondere: BVerfG, Urteil 1.3.1979 – 1 BvR 532, 533 / 77, 419 / 78 – und – 1 BvL 21 / 78 –, BVerfGE 50, 290 (342): „Das Anteilseigentum ist in seinem mitgliedschaftsrechtlichen und seinem vermögensrechtlichen Element gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum“. Weiterhin: BVerfG, Beschluss vom 27.4.1999 – 1 BvR 1613 / 94 –, BVerfGE 100, 289 (301 f.): Aus der mitgliedschaftlichen Stellung erwachsen dem Aktionär im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Gesellschaftssatzung sowohl Leistungsbefugnisse als auch vermögensrechtliche Ansprüche.“ Vgl. überdies: BVerfG, Urteil vom 7.8.1962 – 1 BvL 16 / 60 –, BVerfGE 14, 263 (276 ff.); BVerfG, Urteil vom 7.5.1969 – 2 BvL 15 / 67 –, BVerfGE 25, 371 (407); BVerfG, Beschluss vom 30.5.2007 – 1 BvR 390 / 04 –, NJW 2007, 3268 (3269). Zum Ganzen außerdem: Rudolf Wendt, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 14, Rz. 24.

III. Stellungnahme

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schlägt dies insbesondere zu Lasten der Minderheitsgesellschafter zu Buche, deren Gesellschaft nun den gesamten Steueraufwand des Organkreises trifft.158 Der Organträger kann dagegen die eigentlich originär auf ihn entfallende Steuerschuld – bei einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft im Außenverhältnis – auch den Minderheitsgesellschaftern aufbürden, deren Interesse – anders als dasjenige des Organträgers – lediglich auf die Organgesellschaft gerichtet ist.159 Während also der ausweislich der Subsidiaritätsanordnung des § 219 S. 1 AO zumeist bereits in finanzieller Not befindliche Organträger oftmals nicht bestrebt sein wird, die Organgesellschaft nach deren Inanspruchnahme im Innenverhältnis zu entlasten, wirkt sich die beschriebene Verlagerung des Insolvenzrisikos im umsatzsteuerlichen Organkreis in besonderem Maße zu Lasten der Minderheitsgesellschafter aus. Gerade die für die Organschaft konstitutive Situation, dass der regressverpflichtete Organträger auf Geschäftsführungs- und Gesellschafterebene willensbeeinflussend auf die forderungsberechtigte Organgesellschaft einwirken kann, macht den vom Gesetzgeber vorgesehenen verursachungsgerechten Regress vorliegend ineffizient. Folge dessen ist die besondere Schutzbedürftigkeit der Minderheitsgesellschafter im Falle einer übermäßigen Belastung im Außenverhältnis. Daraus folgt: Wird eine Organgesellschaft im Außenverhältnis in Anspruch genommen, kann sie im Regressweg jedoch keinen Ausgleich erlangen, bedeutet dies einen rechtfertigungsbedürftigen Verstoß gegen den Grundsatz der Belastungsgleichheit,160 der sich insbesondere zu Lasten der durch die Eigentumsfreiheit geschützten Beteiligungsrechte der an der Organgesellschaft beteiligten Minderheitsgesellschafter auswirkt. Dem allein mit der Erwägung entgegenzutreten, der Organkreis sei eine wirtschaftliche Einheit, kann dann nicht überzeugen, wenn die diese Vereinheitlichung umsetzende Besteuerungstechnik – konstruiert durch die vollumfängliche Inanspruchnahme im Außenverhältnis und dem verursachungsgerechten Regress – versagt und dies zu einer endgültigen übermäßigen Belastung des konkret in Anspruch genommenen Rechtsträgers führt. Mit anderen Worten: Die Intention des Gesetzgebers, eng verbundene Unternehmungen auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise als Einheitsunternehmen zu besteuern, ist vor dem Hintergrund des Postulats der Besteuerungsgleichheit nicht zu beanstanden. Diese Beurteilung richtet den Blick indes lediglich auf das Außenverhältnis zwischen Steuergläubiger und Organkreis, wo es den Vorgaben des Gleichheitssatzes entspricht, wenn die Gesamtsteuerlast organschaftlich verbundener Unternehmen mit 158 Vgl. zur Benachteiligung von Minderheitsgesellschaftern auch die bereits wiedergegebene Argumentation der Vertreter einer restriktiven Sichtweise, die allerdings die Regressansprüche der Organgesellschaft bei ihrem Urteil über den sachgemäßen Haftungsumfang des § 73 AO unberücksichtigt lassen. Für den Fall, dass die Regressansprüche wertlos sind, ist deren Argumentation jedoch zu folgen. Zu dieser Rechtsauffassung oben unter: C. II. 2. b) aa). 159 Diese Interessenlage der Minderheitsgesellschafter betonend: Georg Niethammer, BB 1964, 380 (380). 160 So unter Bezugnahme auf die Bedeutung des Regresses ebenfalls: BGH, Urteil vom 29.1.2013 – II ZR 91 / 11 –, juris Rz. 12.

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

derjenigen des „echten“ Einheitsunternehmens identisch ist.161 Zur Umsetzung dieses Einheitsgedankens ist das Steuerrecht zwar aufgrund seiner wirtschaftlichen Betrachtungsweise befugt, die zivilrechtliche Rechtsform der Unternehmungen außer Acht zu lassen. Es ist allerdings gehalten, die Rechtsträgerschaft der Gesellschaften und die auf zivilrechtlicher Grundlage beruhende Güterzuordnung zu respektieren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Grundrechte der Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG in ihrem subjektiv-rechtlichen Gewährleistungsgehalt dem Schutz der Rechtsträger – genauer: der Grundrechtsträger – verschrieben sind; im Falle der Organgesellschaft also der juristischen Person selbst (Art. 19 Abs. 3 GG) und den beteiligten Gesellschaftern.162 Das Verfassungsrecht fragt nicht nur nach einer gleichheitsgerechten Behandlung des Kollektivs (im Außenverhältnis). Der Grundrechtsschutz der das Kollektiv bildenden Rechtsträger gebietet es überdies, dass jeder dieser Rechtsträger in verfassungsrechtlich gerechtfertigter Weise, und damit insbesondere gleichheitsgerecht und eigentumsschonend, belastet wird. Insofern darf nicht verkannt werden, dass der durch die Belastung erfolgende Eingriff nicht den fiktiven, auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise geschaffenen Organkreis als solchen trifft, sondern die verfassungsrechtlich verbürgten subjektiven Rechte – vorliegend insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 14 GG – der einzelnen Rechtsträger. Um diesem Schutz zu genügen ist – über die gleichheitsgerechte Belastungswirkung im Außenverhältnis hinaus – eine verursachungsgerechte Aufteilung der Gesamtsteuerschuld auf die einzelnen Rechtsträger zu fordern. Erfolgt dies nicht auf der Grundlage des durch den Gesetzgeber geschaffenen Korrektivs (§ 426 Abs. 1, 2 BGB), darf die durch die gesetzgeberische Wertentscheidung für ein „Einheitsunternehmen Organkreis“ verursachte Diskrepanz in der Belastungswirkung der einzelnen Rechtsträger von Verfassungs wegen nicht durch eine übermäßige Belastung eines Einzelnen aufgelöst werden. Dem steht der den einzelnen Rechtsträger schützende subjektiv-rechtliche Gewährleistungsgehalt der Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 14 GG entgegen. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Interessenlage hinsichtlich der Aufteilbarkeit der Gesamtschuld im umsatzsteuerlichen Organkreis mit derjenigen bei

161 Zur Verfassungskonformität der Doktrin der Einheitstheorie bereits oben: B. III. 1. a) cc) (3). 162 Demgegenüber ist der Organkreis, verstanden als fiktives Einheitsunternehmen, nicht Grundrechtsträger im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG. Zwar ist gemeinhin anerkannt, dass auch nicht rechtsfähige Gebilde aufgrund des Art. 19 Abs. 3 GG Grundrechtsträger sein können. Hierzu müssen diese jedoch zumindest nach einfachem Recht Träger von Rechten und Pflichten sein. Da der Organkreis indes keine ihm originär zukommenden Rechte und Pflichten besitzt, er nicht Rechtssubjekt ist, sondern das Steuerrecht die Rechte und Pflichten des Einheitsunternehmens dem Organträger auferlegt, erfasst Art. 19 Abs. 3 GG den Organkreis als solchen nicht. Grundrechtsträger sind und bleiben damit einzig die organkreisbeteiligten Rechtsträger im Verbund. Vgl. hierzu allgemein: Barbara Remmert, in: Maunz / Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 19 Abs. 3, Rz. 41; überdies umfassend zu den Subjekten der Grundrechte: Wolfgang Rüfner, in: HdbStR, Bd. IX, § 196, Rz. 1 ff. (zur Grundrechtsträgerschaft nichtrechtsfähiger Vereinigungen insbesondere: Rz. 88 ff.).

III. Stellungnahme

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der Zusammenveranlagung von Ehegatten nicht nur vergleichbar ist. Die Aufteilbarkeit der Gesamtschuld ist auch in gleicher Weise verfassungsrechtlich geboten. Findet ein interner Ausgleich nicht statt, kann die fiktive, auf einer wertenden Entscheidung des Gesetzgebers beruhende Vereinheitlichung selbständiger Rechtsträger nicht zu Lasten eines Einzelnen aufgelöst werden. Dem stehen im Falle der umsatzsteuerlichen Organschaft die durch Art. 3 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 14 GG verfassungsrechtlich verbürgten subjektiven Rechte des einzelnen Rechtsträgers, insbesondere die durch das geschaffene Ausgleichssystem besonders schutzwürdigen Rechte der Minderheitsgesellschafter, entgegen. Vor dem Hintergrund der hierarchischen Struktur des umsatzsteuerlichen Organkreises stellt sich allerdings die Frage, ob die analoge Anwendung der §§ 268 ff. AO uneingeschränkt geeignet ist, der Problematik einer drohenden Überbelastung der Organgesellschaft(en) und insbesondere der drohenden Benachteiligung etwaiger Minderheitsgesellschafter entgegenzuwirken. Das ist deshalb zweifelhaft, weil eine Aufteilung der Gesamtsteuerschuld im Sinne der §§ 268 ff. AO gemäß § 269 AO lediglich auf Antrag erfolgt. Ein solcher Antrag müsste indes durch die Organgesellschaft gestellt werden, die jedoch während des Bestehens der organschaftlichen Beziehungen aufgrund ihrer finanziellen und organisatorischen Eingliederung willentlich vom Organträger beherrscht wird. Bestimmt aber auf allen gesellschaftsrechtlichen Ebenen der Willensbildung innerhalb der Organgesellschaft – gleich ob in der Gesellschafterversammlung oder der Geschäftsführungsebene – ausschließlich der Organträger, besteht die Gefahr, dass ein durch die Organgesellschaft auszuübendes Antragsrecht, das vorwiegend den Interessen der Minderheitsgesellschafter geschuldet ist, aufgrund deren fehlender Einflussnahmemöglichkeit auf die Entscheidungsprozesse in der Organgesellschaft nicht den gewünschten Schutz bewirken wird. Anstelle eines solchen Antragsrechts bietet sich allerdings ein zweiter, praktikablerer Weg zur Regulierung der bei vollumfänglicher Haftungsinanspruchnahme im Außenverhältnis erzeugten Überlast an. Anstatt die Aufteilung erst auf Initiative der Organgesellschaft vorzunehmen, erscheint es aufgrund der in der Organgesellschaft herrschenden Beteiligungsverhältnisse vorzugswürdig, die Entscheidung über den sachgerechten Umfang der Inanspruchnahme der Organgesellschaft – mit den Vertretern der „vermittelnden Ansicht“163 – in das Ermessen der Behörde zu stellen.164 163 Zur Lösung der Problematik des Haftungsumfanges nach § 73 AO auf Ermessensebene bereits oben: C. II. 2. c). 164 Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass diese Alternativlösung der Problematik auch im Falle der Ehegattenbesteuerung diskutiert wird. So führt etwa Müller-Eiselt bezüglich der §§ 268 ff. AO aus: „Bei einem Fortfall des Aufteilungsverfahrens müsste nämlich die Finanzbehörde auf Einwendungen des in Anspruch genommenen Ehegatten prüfen, ob angesichts der auf ihn entfallenden Einkünfte bzw. Vermögensteile seine volle Heranziehung zur Steuer gerechtfertigt ist. In diesem Falle hätte die Finanzbehörde im Rahmen ihres Auswahlermessens dieselben Erwägungen anzustellen wie im Aufteilungsverfahren.“ Im Ergebnis zieht er jedoch die Vorschriften der §§ 268 ff. AO dieser Ermessenslösung vor. Vgl. zum Zitat und zur

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

Entgegen der bislang vorgebrachten ermessensbeeinflussenden Kriterien darf bei dieser Ermessensentscheidung jedoch einzig die Werthaltigkeit der Regressforderung Relevanz besitzen.165 Ist für die Behörde absehbar, dass die Regressansprüche der Organgesellschaft nicht zu verwirklichen sein werden, muss sie dies bei der Ermittlung der angemessenen Haftungsschuld in ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigen. Um dies beurteilen zu können, hat die Finanzbehörde bei der Ermittlung des sachgemäßen Haftungsumfanges in einem ersten Schritt festzustellen, wie hoch der Anteil der Gesamtsteuerschuld ist, der nicht von der Organgesellschaft verursacht wurde. Dies ist ihr bereits aufgrund der separaten Erfassung der Umsätze in den Gesellschaften ohne weiteres möglich.166 Außerdem muss die Behörde in einem zweiten Schritt beachten, ob die Organgesellschaft bei einer über den eigenen Verursachungsbeitrag hinausgehenden Inanspruchnahme ihre Regressforderung(en) gegen die anderen organkreisbeteiligten Rechtsträger wird realisieren können.167 Dies zu beurteilen dürfte die Finanzverwaltung erneut nicht vor unzumutbare Schwierigkeiten stellen: Aufgrund der Subsidiarität der Haftung gemäß § 219 S. 1 AO hat der Steuergläubiger zu Zeiten einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft die Steuer bereits gegenüber dem Organträger erhoben. Dessen Vermögensverhältnisse, die gleichsam hinsichtlich der Werthaltigkeit der Regressforderung von Interesse sind, werden dem Finanzamt deshalb bekannt sein. Im Übrigen belegt die Wertung des § 269 Abs. 2 S. 3 AO, dass es durchaus sachgerecht ist, den einzelnen Gesamtschuldnern im Falle der Aufteilung ihrer Gesamtschuld erhöhte Mitwirkungspflichten aufzubürden. So wird in Bezug auf die Darlegungspflicht des § 269 Abs. 2 S. 3 AO argumentiert, dass es sich bei der Aufteilung schließlich um ein den Antragsteller in der Regel begünstigendes Begehren handele, womit es gerechtfertigt sei, dem Antragsteller neben den üblichen noch weitergehende Mitwirkungspflichten aufzuerlegen, um eine Schätzung der Aufteilungsgrundlagen zu vermeiden.168 In Anlehnung hieran wird man daher auch von den organkreisbeteiligten Rechtsträgern gesteigerte Mitwirkungspflichten erwarten dürfen, wenn es um die Frage ihrer verursachungsgerechten Inanspruchnahme geht. Bestehen schließlich in Anbetracht dieser Ermittlungen keine Bedenken gegen die Werthaltigkeit der Regressforderung(en), ist eine vollumfängliche Inanspruchnahme der Organgesellschaft statthaft. Ist für die Finanzbehörde bei der Festsetzung der Haftungsschuld allerdings aufgrund eigener Ermittlungen oder dem Vorbringen der Beteiligten er-

Stellungnahme: Klaus Peter Müller-Eiselt, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Vor §§ 268 – 280 AO, Rz. 6. Zur Ermessenslösung bei der Ehegattenbesteuerung außerdem: BT-Drucks VI 1982, 178. 165 Ähnlich: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 76, der jedoch außerdem beachtet wissen will, „ob die Organschaft auch im Interesse der Organgesellschaft begründet ist und ob Haftsubstanz auf die Tochtergesellschaft übertragen wurde“. 166 Vgl. insoweit bereits die dem Praktikabilitätsargument entgegengehaltene Argumentation. Dazu oben: C. II. 2. a) aa). 167 Vgl. auch: Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 76. 168 So ausdrücklich: Joachim Kraemer, DStZ 1989, 609 (610).

IV. Fazit

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kennbar, dass die Organgesellschaft mangels internem Ausgleich über den eigenen Verursachungsbeitrag hinaus belastet bleibt, muss dies berücksichtigt und die Haftungssumme entsprechend herabgesetzt werden. Eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft für von organkreisbeteiligten Rechtsträgern verursachte Steuerschulden, die offensichtlich uneinbringlich sind, ist jedenfalls in keinem Falle ermessensund damit sachgerecht.

IV. Fazit: Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft Resümierend ist festzuhalten, dass eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die gesamte im Organkreis verursachte Umsatzsteuerschuld nach § 73 AO grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Das durch § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, § 73 AO, § 44 Abs. 1 AO und § 426 Abs. 1, 2 BGB statuierte Verfahren zur Besteuerung des Organkreises führt regelmäßig sowohl zu einer verfassungsmäßigen Besteuerung des gesamten Organkreises als Einheit als auch zu einer verursachungs- und damit gleichheitsgerechten Belastung jedes organkreisangehörigen Rechtsträgers. Der über die eigene Steuerverursachung hinausgehenden Belastung eines Rechtsträgers im Außenverhältnis wird durch organkreisinterne Regressansprüche gegen die im Außenverhältnis nicht in Anspruch genommenen Rechtsträger begegnet. Auf diese Weise wird organkreisintern eine verursachungsgerechte Aufteilung der Gesamtsteuerlast bewirkt und die Steuerbelastung des Einzelnen nach dessen übermäßiger Inanspruchnahme gleichheitsgerecht reguliert. In Anbetracht dessen sind die verfassungsrechtlichen Bedenken der Vertreter einer restriktiven Interpretation des § 73 AO, die die Haftung der Organgesellschaft stets auf deren Verursachungsbeitrag beschränken wollen, zurückzuweisen. Deren Bewertung verkennt, dass die von ihnen gerügte finanzielle Mehrbelastung der Organgesellschaft und die damit einhergehende Benachteiligung von Minderheitsgesellschaftern und Drittgläubigern grundsätzlich nur im Außenverhältnis stattfinden und aufgrund des Regresses korrigiert werden. Durch die verursachungsgerechte Aufteilung der Gesamtsteuerschuld wird die beanstandete Benachteiligung der Organgesellschaft im Innenverhältnis beseitigt. Da allerdings die Benachteiligung der Organgesellschaft bzw. der an ihr beteiligten Minderheitsgesellschafter und Drittgläubiger bestehen bleibt, wenn der Regress zwischen den organkreisbeteiligten Rechtsträgern nicht stattfindet – die temporäre Überlast im Außenverhältnis also für die in Anspruch genommene Organgesellschaft zur endgültigen erwächst – muss in diesen Fällen von einer vollumfänglichen Inanspruchnahme der Organgesellschaft abgesehen werden. Die Finanzbehörde hat deshalb die Werthaltigkeit der Regressansprüche im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Ist für sie erkennbar, dass die haftende Organgesellschaft ihre Regressforderungen gegen die übrigen organkreisbeteiligten Rechtsträ-

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D. Die Haftung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft

ger nicht wird verwirklichen können, hat die Behörde von einer vollumfänglichen Inanspruchnahme der Organgesellschaft abzusehen. Sie hat den Haftungsbetrag in diesem Fall auf den Teil der Gesamtsteuerschuld zu beschränken, der von der Organgesellschaft selbst und all denjenigen organkreisbeteiligten Rechtsträgern verursacht wurde, gegenüber denen der Regress erfolgversprechend ist. Bestehen dagegen Gefahren hinsichtlich der Einbringlichkeit von Forderungen, darf das eigentlich den Fiskus treffende Ausfallrisiko durch die vollumfängliche Inanspruchnahme der (noch) zahlungsfähigen Organgesellschaft nicht auf diese übertragen werden. Zur Aufklärung dieser Risiken treffen die Finanzbehörde einerseits Ermittlungspflichten, andererseits sind den organkreisbeteiligten Rechtsträgern gesteigerte Mitwirkungspflichten abzuverlangen. Demgegenüber dürfen anderweitige Kriterien nicht ermessensbeeinflussend berücksichtigt werden. Dies gilt etwa für die Fragen, ob der Organgesellschaft aufgrund der organschaftlichen Verbindung durch den Organträger Vermögenswerte übertragen wurden,169 oder ob der Organgesellschaft durch die organschaftliche Beziehung ein organschaftstypischer und -spezifischer Vorteil erwachsen ist.170 Derartige Überlegungen sind in Ansehung des Haftungsgrundes des § 73 AO jedenfalls bei umsatzsteuerlicher Organschaft sachfremd.

169 170

So die bereits dargestellte Argumentation unter: C. II. 2. c) aa). Vgl. zu letzterem die bereits dargestellte Argumentation unter: C. II. 2. c) bb).

E. Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft Die geschilderten Entwicklungen des Organschaftsrechts haben gezeigt, dass das Organschaftsverständnis im Umsatzsteuerrecht ein anderes ist als im Körperschaftund Gewerbesteuerrecht. Aktueller denn je ist deshalb die Feststellung des Reichsfinanzhofes aus dem Jahre 1932, dass der Zweck und die wirtschaftliche Bedeutung der verschiedenen Steuergesetze keinesfalls gleich sind, weshalb sich die Organtheorie auf den Gebieten der verschiedenen Steuergesetze verschieden auswirken könne.1 Theoretische Basis und Zielsetzung der Organschaft sind bis heute von Steuerart zu Steuerart unterschiedlich.2 Durch das StSenkG 2001 und das UntStFG 2002 wurden die ertragsteuerlichen Organschaftsregeln einander tatbestandlich angeglichen, im gleichen Zuge aber von der umsatzsteuerlichen Organschaft weiter distanziert. Der Verzicht auf die im Umsatzsteuerrecht nach wie vor geforderten Tatbestandsmerkmale der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung macht diese Kluft deutlich. Hinzu kommt, dass der Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages im Jahre 2002 erstmals zur tatbestandlichen Voraussetzung der gewerbesteuerlichen Organschaft wurde. Angesichts der damit vollzogenen tatbestandlichen Vereinheitlichung und der organtheoretischen Verbindung zwischen körperschaftsteuerlicher und gewerbesteuerlicher Organschaft können diese im vorliegenden Zusammenhang – trotz einiger nach wie vor bestehender steuerartspezifischer Unterschiede – unter dem Oberbegriff der ertragsteuerlichen Organschaft zusammengefasst werden.3

I. Die Organschaft im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht Die körperschaftsteuerliche Organschaft ist heute in den §§ 14 – 19 KStG normiert.4 Dabei regelt § 14 Abs. 1 KStG vorweg die tatbestandlichen Voraussetzungen RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137). Vgl. den Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11 / 2001, 1 (13 f.). 3 In ihren Untersuchungen zur Haftung nach § 73 AO ebenso verfahrend: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 ff.; Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 ff.; Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 3093 ff. 1 2

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und die Rechtsfolgen der körperschaftsteuerlichen Organschaft.5 Die folgenden Vorschriften ergänzen und konkretisieren diese Regelung in Einzelfragen. Durch die ausdrückliche Bezugnahme des § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG auf die §§ 14, 17 und 18 KStG ist die körperschaftsteuerliche und die gewerbesteuerliche Organschaft tatbestandlich „zwangsverknüpft“6. Das bedeutet, dass beide nur gemeinsam vorliegen können. In den Rechtsfolgen weicht die gewerbesteuerliche Organschaft ausweislich des § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG indes teilweise von der körperschaftsteuerlichen Organschaft ab.

1. Der Tatbestand der körperschaftund gewerbesteuerrechtlichen Organschaft a) Tauglicher Organträger und taugliche Organgesellschaft Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KStG kann eine natürliche Person ebenso Organträger sein wie eine nicht steuerbefreite Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse. § 14 Abs. 1 S. 1 KStG verlangt allerdings, dass es sich bei dem potentiellen Organträger um ein gewerbliches Unternehmen handeln muss.7 Auch Personengesellschaften können gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 KStG grundsätzlich als Organträger fungieren, vorausgesetzt, sie üben eine gewerbliche Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus. Ihre bloße gewerbliche Prägung gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist nicht ausreichend, um als Organträger auftreten zu können.8

4 Zuvor war die körperschaftsteuerliche Organschaft in § 7a KStG geregelt, der im Jahre 1969 erlassen wurde (vgl. BGBl. I 1969, 1182 (1182 f.); BStBl. I 1969, 471 [471 f.]). Bei Erlass der §§ 14 ff. KStG im Zuge der Körperschaftsteuerreform 1977 (BGBl. I 1976, 2597; BStBl. I 1976, 445) wurde der Regelungsgehalt des § 7a KStG ohne wesentliche Änderung übernommen. Vgl. hierzu: Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 2; Stefan Kolbe, in: Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 2 und Rz. 4. 5 Plakativ: Stefan Kolbe, in: Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 1, der § 14 KStG deshalb Grundlagencharakter beimisst. 6 Vgl.: Georg Güroff, in: Glanegger / Güroff, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 357, der eingehend von einer „Zwangsverknüpfung“ spricht. 7 Ein gewerbliches Unternehmen in diesem Sinne liegt regelmäßig vor, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 GewStG i.V. m. § 1 GewStDV bzw. § 15 Abs. 2 EStG erfüllt sind. So: Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 63 m.w. N. Vgl. aus der Rechtsprechung etwa: BFH, Urteil vom 13.9.1989 – I R 110 / 88 –, BStBl II 1990, 24 (25); BFH, Urteil vom 17.12.1969 – I 252 / 64 –, BStBl. II 1970, 257 (260). 8 So beispielsweise: Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz Kommentar, § 14, Rz. 22. Zu weiteren Einzelheiten der Einschränkung des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 2 KStG: Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 60.

I. Die Organschaft im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht

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In Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zur grenzüberschreitenden Organschaft9 wurden die Anforderungen an die Ansässigkeit des Organträgers durch das „Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts“10 vom 26.2.2013 geändert.11 § 18 KStG wurde in diesem Zuge aufgehoben und § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KStG modifiziert sowie um die Sätze 4 bis 7 ergänzt. Grundsätzlich sieht die Vorschrift nunmehr keine besonderen Voraussetzungen bezüglich der Ansässigkeit des Organträgers vor.12 Die Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft muss jedoch ununterbrochen, also während der gesamten Dauer der Organschaft, einer inländischen Betriebsstätte zuzuordnen sein (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 KStG n.F.). Weitere Voraussetzung ist außerdem, dass die dieser Betriebsstätte zuzurechnenden Einkünfte sowohl nach innerstaatlichem Recht als auch nach anzuwendendem Abkommensrecht der inländischen Besteuerung unterliegen (vgl. § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 7 KStG n.F.). Als taugliche Organgesellschaft kommen gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 KStG lediglich Gesellschaften in der Rechtsform der SE (Europäische Gesellschaft), der AG oder der KGaA in Betracht. § 17 KStG erweitert diesen Kreis jedoch um die übrigen Kapitalgesellschaften im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG,13 für die die Vorschriften der §§ 14 – 16 KStG entsprechend gelten. Die Erweiterung durch § 17 KStG ist insbesondere für Kapitalgesellschaften in der Rechtsform der GmbH von Relevanz, kann jedoch für Kapitalgesellschaften, die nach ausländischem Recht gegründet wurden und ihre Geschäftsleitung und ihren Sitz in das Inland verlegen, ebenfalls von Bedeutung sein.14 Für letztere ist allerdings zu fordern, dass sie in ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur den nationalen Kapitalgesellschaften entsprechen.15 Auch hinsichtlich der Ansässigkeit der Organgesellschaft hat das „Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts“ zur Veränderung der tatbestandlichen Voraussetzungen geführt.16 Der bislang geforderte doppelte Inlandsbezug der Organgesellschaft (GeschäftsleiBFH, Urteil vom 9.2.2011 – I R 54, 55 / 10 –, BStBl. II 2012, 106 ff. BGBl. I 2013, 285 ff. 11 Dazu sowie zu den weiteren Änderungen insbesondere: Thomas Rödder, Ubg 2012, 717 ff.; Annette Keller, DStZ 2013, 60 ff; Andreas Benecke / Arne Schnitger, IStR 2013, 143 ff. 12 Thomas Rödder, Ubg 2012, 717 (722). 13 Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz Kommentar, § 17, Rz. 1. 14 Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz Kommentar, § 17, Rz. 5; Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 17 KStG, Rz. 5 m.w. N. 15 Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz Kommentar, § 17, Rz. 5; Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 17 KStG, Rz. 5. 16 Vgl. dazu: Thomas Rödder, Ubg 2012, 717 (722); Annette Keller, DStZ 2013, 60 (61); Ausführlich: Andreas Benecke / Arne Schnitger, IStR 2013, 143 (143 f.). 9

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tung und Sitz im Inland) wurde in Konsequenz eines durch die Europäische Kommission eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens aufgegeben.17 Von nun an lässt § 14 Abs. 1 S. 1 KStG n.F. eine inländische Geschäftsleitung der Organgesellschaft und einen Sitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens genügen.

b) Die Eingliederungsvoraussetzungen Nach dem Wegfall der Voraussetzungen der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung verlangt § 14 Abs. 1 KStG zur Begründung der ertragsteuerlichen Organschaft lediglich die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in das Organträgerunternehmen und das Bestehen eines Gewinnabführungsvertrages zwischen den organschaftlich verbundenen Unternehmungen. aa) Finanzielle Eingliederung Die finanzielle Eingliederung einer Organgesellschaft in das Organträgerunternehmen setzt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 KStG voraus, dass der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen18 in einem solchen Maße beteiligt ist, dass ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht. Ebenso wie im Umsatzsteuerrecht bezieht sich das Merkmal der finanziellen Eingliederung im Ertragsteuerrecht auf die willentliche Beherrschung der Organgesellschaft auf Gesellschafterebene.19 Der Organträger muss also aufgrund seiner Stimmrechte in der Haupt- bzw. Gesellschafterversammlung der Organgesellschaft in der Lage sein, seinen Willen bei der Entscheidungsfindung auf Gesellschafterebene durchzusetzen.20 Das ist regelmäßig der Fall, wenn ihm die einfache Stimmenmehrheit zusteht.21 Sind allerdings zur Beschlussfassung in der Organgesellschaft qualifizierte Mehrheiten vorgesehen, dann muss der Organträger über diese qualifizierte Stimmenmehrheit verfügen.22 Zu beachten ist dabei, dass der Organträger selbst Inhaber der Gesellschaftsanteile und Andreas Benecke / Arne Schnitger, IStR 2013, 143 (143). Zu den zeitlichen Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung ausführlich: Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 155 ff. 19 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 131. 20 Beispielhaft: Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 131; Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 107 f. 21 Mit Verweis auf die einschlägigen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften: Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 42; Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 69. 22 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 131; Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 69; Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 42. 17 18

I. Die Organschaft im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht

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damit stimmberechtigt sein muss.23 Ist der Organträger also eine juristische Person, muss diese selbst, nicht ihre Gesellschafter, die Anteile halten.24 Ist der Organträger eine Personengesellschaft, müssen sich die Anteile an der Organgesellschaft ausweislich des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 3 KStG in deren Gesamthandsvermögen befinden.25 Durch das Halten von Anteilen im Sonderbetriebsvermögen kann ein Organschaftsverhältnis zur Personengesellschaft nicht begründet werden.26 bb) Bestehen eines Gewinnabführungsvertrages Zur Begründung eines körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaftsverhältnisses setzt § 14 Abs. 1 S. 1 KStG neben der finanziellen Eingliederung voraus, dass zwischen der potentiellen Organgesellschaft und dem potentiellen Organträger ein Gewinnabführungsvertrag im Sinne des § 291 Abs. 1 AktG besteht. Der Gewinnabführungsvertrag als solcher gehört zu den Unternehmensverträgen der §§ 291 ff. AktG und ist in seiner Rechtsnatur ein Organisationsvertrag.27 Mit dem Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages verpflichtet sich eine AG oder eine KGaA (Organgesellschaft), ihren gesamten Handelsbilanzgewinn an ein anderes Unternehmen (Organträger) abzuführen.28 Im Gegenzug ist das begünstigte Unternehmen bei bestehendem Gewinnabführungsvertrag aufgrund des § 302 Abs. 1 AktG verpflichtet, bei der AG bzw. der KGaA anfallende Verluste auszugleichen.29 Für Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH, die zwar von § 291 Abs. 1 AktG nicht unmittelbar erfasst sind, aufgrund des § 17 KStG jedoch Organgesellschaft sein können, gelten die Vorschriften der §§ 291 ff. AktG entsprechend.30 Neben dem Gewinnabführungsvertrag kann auch ein Geschäftsführungsvertrag, der dem Gewinnabführungsvertrag gemäß § 291 Abs. 1 S. 2 AktG gesellschaftsrechtlich gleichsteht, Grundlage der ertragsteuerlichen Organschaft sein.31 Mit dem 23 Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 74. 24 Klaus-Dieter Drüen, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 2 GewStG, Rz. 143. 25 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 130, der auch auf die Rechtslage vor dem VZ 2003 eingeht, als diese Voraussetzung noch nicht bestand. 26 Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 44; Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 130. 27 BGH, Urteil vom 14.12.1987 – II ZR 170 / 87 –, BGHZ 103, 1 (4 f.); BGH, Beschluss vom 24.10.1988 – II ZB 7 / 88 –, BGHZ 105, 324 (331). Vgl. überdies: Uwe Hüffer, Aktiengesetz, § 291, Rz. 17 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung und der Literatur. 28 Thomas Raiser / Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 54, Rz. 132. 29 Thomas Raiser / Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 54, Rz. 136; Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 80. 30 BGH, Urteil vom 14.12.1987 – II ZR 170 / 87 –, BGHZ 103, 1 (4 f.); BGH, Beschluss vom 24.10.1988 – II ZB 7 / 88 –, BGHZ 105, 324 (330 f.); BGH, Urteil vom 11.11.1991 – II ZR 287 / 90 –, BGHZ 116, 37 (38 f.).

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Abschluss eines Geschäftsführungsvertrages verpflichtet sich eine AG, eine KGaA oder eine GmbH (gemäß § 291 Abs. 1 S. 2 AktG analog), ihr Unternehmen für Rechnung eines anderen Unternehmens zu führen.32 Da es steuerrechtlich keinen Unterschied machen soll, ob das Ergebnis der Organgesellschaft an den Organträger abgeführt wird oder ob das Ergebnis der Organgesellschaft unmittelbar beim Organträger anfällt, steht der Geschäftsführungsvertrag dem Gewinnabführungsvertrag steuerrechtlich gleich.33 In der Praxis kommt ihm allerdings eine untergeordnete Bedeutung zu.34 Andere Unternehmensverträge, etwa der Beherrschungsvertrag, sind für das Steuerrecht dagegen nicht von Relevanz.35 Dies gilt insbesondere auch für den Teilgewinnabführungsvertrag nach § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG.36 § 14 Abs. 1 S. 1 KStG fordert nämlich explizit, dass sich die potentielle Organgesellschaft zur Abführung ihres ganzen Gewinns verpflichtet. Da § 14 Abs. 1 S. 1 KStG einen bestehenden Gewinnabführungsvertrag verlangt, hängt die ertragsteuerliche Organschaft von dessen zivilrechtlicher Wirksamkeit ab.37 Neben den allgemeinen Vorschriften zum Vertragsschluss sind hierbei insbesondere die spezifischen Anforderungen der §§ 293 ff. AktG zu berücksichtigen.38 Dazu gehört unter anderem die Regelung des § 304 Abs. 1 S. 1 AktG, der normiert, dass ein Gewinnabführungsvertrag einen angemessenen Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre der abführenden Kapitalgesellschaft in Form einer auf die Anteile am Grundkapital bezogenen wiederkehrenden Geldleistung vorsehen muss.39 Überdies verlangt der Steuergesetzgeber in § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 1 KStG, dass der Gewinnabführungsvertrag auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen40 und während seiner gesamten Geltungsdauer durchgeführt wird. Durchführung im Sinne des Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 175 und Rz. 177. Wolfgang Servatius, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 291, Rz. 54. 33 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 175. 34 Thomas Raiser / Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 54, Rz. 132. 35 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 177; kritisch diesbezüglich: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (140). 36 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 177. 37 Kritisch zum Erfordernis des Gewinnabführungsvertrages, weil die Abhängigkeit der steuerlichen Organschaft von der zivilrechtlichen Wirksamkeit des Gewinnabführungsvertrages vielerlei Probleme mit sich bringt: Christian Kaeser, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 56 ff.; Norbert Schneider / Wiebke Hinz, Ubg 2009, 738 ff. 38 Ausführlich: Christian Kaeser, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 56 ff.; weiterhin: Thomas Raiser / Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 54, Rz. 17 ff.; Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 196 ff. 39 Ausführlich dazu: Thomas Raiser / Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 54, Rz. 61 ff. 40 Vgl. zu den Fällen einer vorzeitigen Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 KStG etwa: Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 105 ff. Zur vorzeitigen Beendigung ohne zureichenden Grund als Fall der „verunglückten Organschaft“ insbesondere: Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 240 ff. 31 32

I. Die Organschaft im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht

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Gesetzes bedeutet allgemein den Vollzug des Vertrages entsprechend der Vereinbarung.41 Das bedeutet, dass die nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung ermittelten Gewinne durch Zahlung oder Verrechnung tatsächlich an den Organträger abgeführt42 bzw. die Jahresfehlbeträge von diesem tatsächlich ausgeglichen werden.43 Ein bloßes Ausweisen dieser Verbindlichkeiten in der Gewinn- und Verlustrechnung bzw. der Handelsbilanz genügt nicht.44 Zudem muss die Erfüllung der Verbindlichkeiten „in angemessener Zeit“ geschehen.45

2. Die Rechtsfolgen a) Die Rechtsfolgen körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft Als Rechtsfolge der körperschaftsteuerlichen Organschaft sieht § 14 Abs. 1 S. 1 KStG vor, dass das Einkommen der Organgesellschaft, vorbehaltlich der Regelung des § 16 KStG, dem Organträger zugerechnet wird. Die Zurechnung bedingt freilich die vorherige Ermittlung des Einkommens der Organgesellschaft.46 Dies geschieht zunächst so, als bestünde das Organschaftsverhältnis nicht.47 Die Organgesellschaft ermittelt also – in einem ersten Schritt – ein eigenes Einkommen, separat zum Einkommen des Organträgers.48 Hierbei ist grundsätzlich auf die allgemeinen Einkommensermittlungsvorschriften der § 8 KStG i.V. m. §§ 4 ff. EStG zu rekurrieren, die partiell durch die organschaftsbedingten Ausnahmevorschriften des § 15 KStG verdrängt werden.49 Erst danach, in einem zweiten Schritt, ist das ermittelte Einkommen der Organgesellschaft entsprechend § 14 Abs. 1 S. 1 KStG dem Organträger zuzurechnen.50 Aufgrund der Neuregelung des § 14 Abs. 5 KStG51 ist dieses zuzuBFH,Urteil vom 5.4.1995 – I R 156 / 93 –, HFR 1995, 516 (517 m.w. N.). So explizit: BFH,Urteil vom 5.4.1995 – I R 156 / 93 –, HFR 1995, 516 (517). 43 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 310; Ewald Dötsch, in: Herzig, Organschaft, S. 111. 44 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 317. 45 So explizit: Ewald Dötsch, in: Herzig, Organschaft, S. 111. 46 Mit schematischer Darstellung der Einkommensermittlung der Organgesellschaft etwa: Andreas Herlinghaus, in: Herzig, Organschaft, S. 119 ff.; Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14 Rz. 392 f.; Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 212 ff. 47 Beispielhaft: Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 312; BFH, Urteil vom 1.8.1984 – I R 99 / 80 –, BStBl. II 1985, 18 (19 m.w. N.). 48 So beispielsweise: Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 312. 49 Hierzu etwa: Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 392; Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 312 f.; Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 131 mit Verweis auf die Kommentierung zu den §§ 15, 16 KStG. 50 Andreas Herlinghaus, in: Herzig, Organschaft, S. 138; Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 505. 41 42

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rechnende Einkommen der Organgesellschaft gegenüber dem Organträger und der Organgesellschaft gesondert und einheitlich festzustellen.52 Bei der Organgesellschaft verbleibt nach der Zurechnung, vorbehaltlich des § 16 KStG, ein zu versteuerndes Einkommen von null.53 Dieses ist schlussendlich Grundlage ihrer Veranlagung, die trotz der Zurechnung des Einkommens eigenständig erfolgt.54 Der Organträger ermittelt zunächst ebenfalls ein eigenes Einkommen nach den – bei dem Organträger je nach Rechtsform differierenden – allgemeinen Einkommensermittlungsvorschriften unter Beachtung vereinzelter organschaftsspezifischer Besonderheiten.55 Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Handelsbilanzgewinn des Organträgers, der aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes des § 5 Abs. 1 S. 1 EStG Ausgangspunkt der steuerlichen Gewinnermittlung ist, bereits die Forderung bzw. die Verbindlichkeit des Organträgers gegenüber der Organgesellschaft aus dem Gewinnabführungsvertrag ausweist.56 Um eine unzulässige doppelte Besteuerung des Gewinns der Organgesellschaft – einerseits über die handelsbilanzielle Erfassung, andererseits über die Einkommenszurechnung – zu vermeiden, wird das Handelsbilanzergebnis des Organträgers zunächst um die Gewinnabführung bereinigt.57 Ausgehend von dem resultierenden eigenen Handelsbilanzergebnis des Organträgers wird dessen originäres steuerliches Einkommen ermittelt.58 Diesem wird wiederum das Einkommen der Organgesellschaft, das ja den abgeführten Handelsbilanzgewinn der Organgesellschaft bereits berücksichtigt, außerbilanziell zugerechnet.59 Dadurch kann auf Ebene des Organträgers eine Saldierung der separat ermittelten Ergebnisse der mit ihm verbundenen Unternehmungen erfolgen, wodurch insbesondere steuerlich relevante Gewinne eines Rechtsträgers mit eventuellen Verlusten eines anderen erfolgswirksam ausgeglichen werden können.60 Das

51 Auch § 14 Abs. 5 KStG wurde durch das „Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts“ (BGBl. I 2013, 285) eingefügt. 52 Zu dieser verfahrensrechtlichen Neuerung ausführlich: Thomas Rödder, Ubg 2012, 717 (723). 53 Beispielhaft: Thomas Müller, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 471 f.; Michael Hendricks, Ubg 2011, 711 (711); Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19 Rz. 5; Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167). 54 Es ergeht ein sog. Null-Bescheid. Vgl. zur verfahrensrechtlichen Behandlung insbesondere: Michael Hendricks, Ubg 2011, 711 ff.; Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167). 55 Hierzu ausführlich bei schematischer Darstellung: Andreas Herlinghaus, in: Herzig, Organschaft, S. 133 ff.; Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 234 ff. 56 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 426. 57 Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 321. 58 Vgl. erneut die schematische Darstellung bei: Andreas Herlinghaus, in: Herzig, Organschaft, S. 133 ff.; Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 234 ff. 59 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 505.

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letztlich ausgewiesene Gesamtergebnis ist schließlich der Veranlagung des Organträgers zugrunde zu legen und von diesem als eigenes Einkommen nach Maßgabe der für den Organträger anwendbaren Vorschriften des Einkommen- oder Körperschaftsteuergesetzes zu versteuern.61 Sind an der Organgesellschaft neben dem Organträger Minderheitsgesellschafter beteiligt, bestehen aufgrund des § 16 KStG Besonderheiten.62 Dies wird bereits aus § 14 Abs. 1 S. 1 KStG deutlich, der eine Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft an den Organträger nur vorbehaltlich des § 16 KStG vorsieht, der wiederum auf § 304 AktG unmittelbar Bezug nimmt.63 § 304 AktG bestimmt, dass der Gewinnabführungsvertrag im Falle einer Beteiligung von Minderheitsgesellschaftern an der Organgesellschaft zwingend Ausgleichsansprüche zugunsten dieser Minderheitsgesellschafter vorsehen muss.64 Die Vorschrift dient somit dem Schutz der Eigentumsrechte der Minderheitsgesellschafter, die bei fehlenden Ausgleichsansprüchen durch die vollkommene Gewinnabführungsverpflichtung der Organgesellschaft beeinträchtigt würden.65 Mit der Regelung des § 16 KStG knüpft der Steuergesetzgeber bei der Besteuerung des Organkreises an den vom Zivilrecht geschaffenen Ausgleich zwischen der Gewinnabführungsverpflichtung einerseits und den eigentumsrechtlichen Positionen der Minderheitsgesellschafter andererseits an.66 So führt § 16 KStG dazu, dass bei der Beteiligung von Minderheitsgesellschaftern an der Organgesellschaft nicht das gesamte Einkommen der Organgesellschaft, son67 dern lediglich deren um 20 der Ausgleichszahlungen gemindertes Einkommen 17 dem Organträger zugerechnet wird. Dies gilt gemäß § 16 S. 2 KStG selbst dann, wenn die Ausgleichsverpflichtung von dem Organträger erfüllt wird. Wer die Ausgleichszahlungen schuldet bzw. de facto leistet, ist deshalb steuerrechtlich nicht von Relevanz.68 Das Einkommen in eben jener Höhe von 20 17 der Ausgleichszahlungen verbleibt jedenfalls steuerrechtlich bei der Organgesellschaft und wird von dieser 60 Ausführlich zur Saldierung von Gewinnen und Verlusten im Organkreis, was zugleich als einer der Hauptzwecke der ertragsteuerlichen Organschaftsregelungen angesehen wird: Manfred Orth, in: Herzig, Organschaft, S. 167 ff.; die Bedeutung der Gewinn- und Verlustverrechnung überdies besonders betonend: BFH, Urteil vom 14.4.1992 – VIII R 149 / 86 –, BStBl. II 1992, 817 (819 m.w. N.). 61 Thomas Müller, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 468 f. 62 Umfassend dazu: Andreas Schumacher, in: Herzig, Organschaft, S. 193 ff. 63 Andreas Schumacher, in: Herzig, Organschaft, S. 201. 64 Thomas Raiser / Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 54, Rz. 62 ff. 65 Thomas Raiser / Rüdiger Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 54, Rz. 62. 66 Andreas Schumacher, in: Herzig, Organschaft, S. 201. 67 Diese Höhe des nicht zuzurechnenden Einkommens ergibt sich aus der Summe der Ausgleichszahlung zuzüglich der von der Organgesellschaft zu leistenden Körperschaftsteuer. Es wird dadurch berücksichtigt, dass der Organgesellschaft nach Steuern ein Betrag in Höhe der Ausgleichszahlungen verbleiben muss. So: Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 335 f.; Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 16, Rz. 8. 68 Andreas Schumacher, in: Herzig, Organschaft, S. 201 f.; Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 334 f.

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

entsprechend § 16 KStG als ihr eigenes Einkommen versteuert.69 Eine vereinheitlichte Gesamtsteuerschuld des Organkreises wird bei einer Beteiligung von Minderheitsgesellschaftern an der Organgesellschaft also gerade nicht gebildet. Die gesellschaftsrechtliche Verpflichtung zur vollumfänglichen Gewinnabführung aufgrund des Ergebnisabführungsvertrages bleibt hiervon allerdings unberührt.70 Aus den vorstehenden Folgewirkungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft wird deutlich, dass die §§ 14 ff. KStG am Grundsatz der Individualbesteuerung anknüpfen71 und, gleich dem Zivilrecht, grundsätzlich an der Rechtsträgerschaft der Organgesellschaft festhalten.72 Die Organgesellschaft bleibt trotz organschaftlicher Eingliederung sowohl Subjekt der Einkommensermittlung als auch Steuersubjekt und damit verfahrensrechtlich Steuerschuldner.73 Sie hat eine eigene Körperschaftsteuererklärung abzugeben, wird veranlagt und ihr gegenüber ergeht ein separater Körperschaftsteuerbescheid.74 Zwar beträgt das steuerpflichtige Einkommen der Organgesellschaft aufgrund der Zurechnung nach § 14 Abs. 1 S. 1 KStG vielfach null.75 Wegen der Regelung des § 16 KStG kann die Organgesellschaft jedoch auch die Pflicht zur Versteuerung eines eigenen Einkommens treffen.76 b) Die Rechtsfolgen gewerbesteuerrechtlicher Organschaft Abweichend von den Rechtsfolgen der §§ 14 ff. KStG regelt § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG für die gewerbesteuerliche Organschaft, dass die Organgesellschaft in der Zeit ihrer organschaftlichen Eingliederung als Betriebsstätte des Organträgers gilt. Die Organgesellschaft verliert also mit ihrer organschaftlichen Eingliederung ihre Steuersubjekteigenschaft und nimmt die Stellung einer unselbständigen Betriebsstätte des Organträgerunternehmens ein.77 Der Organträger allein bleibt Steuersubjekt im Organkreis und ist dementsprechend einziger Steuerschuldner im Sinne des Beispielhaft: Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 16, Rz. 1 und Rz. 7. Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 334. 71 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 390. 72 Thomas Müller, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 470; Michael Hendricks, Ubg 2011, 711 (711); Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19, Rz. 9 f.; Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167). 73 Vgl. nur: Ludwig Schmidt, StuW 1969, 441 (454); weiterhin (beispielhaft):BFH, Urteil vom 7.12.1994 – I K 1 / 93 –, BStBl. II 1995, 175 (178 f. m.w. N.); BFH, Urteil vom 23.1.2002 – XI R 95 / 97 –, BStBl. II 2003, 9 (9 f.). Überdies: Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19, Rz. 10; Michael Hendricks, Ubg 2011, 711 (711 f.); Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167). 74 Thomas Müller, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 472; Michael Hendricks, Ubg 2011, 711 (711 f.); Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167). 75 Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167); Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19, Rz. 5. 76 Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167); Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19, Rz. 5. 77 Beispielhaft dazu: Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 695. 69 70

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§ 5 GewStG.78 Allerdings – so betont insbesondere der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung – bleiben Organgesellschaft und Organträger im Gewerbesteuerrecht trotz der Betriebsstättenfiktion je selbständige Unternehmungen.79 In Konsequenz dessen bleiben sie auch selbständige Subjekte der Gewinnermittlung,80 ermitteln also während der Organschaft zunächst einen jeweils eigenen Gewerbeertrag nach den allgemeinen Vorschriften.81 Dabei werden organkreisinterne Geschäfte in gleicher Weise behandelt wie solche mit fremden Dritten.82 Erst nach der separaten Gewinnermittlung werden die Erträge der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet und bei diesem mit dem eigenen Ergebnis oder ihm gleichsam zugerechneten Ergebnissen anderer Organgesellschaften verrechnet.83 Das somit als Summe der Einzelergebnisse ermittelte Gesamtergebnis wird schließlich zur Vermeidung ungerechtfertigter Doppel- oder Nichterfassungen partiell korrigiert84 und bildet sodann die Besteuerungsgrundlage zur Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages gegenüber dem Organträger.85 Insofern stimmen die wesentlichen Folgewirkungen der gewerbesteuerlichen Organschaft – abgesehen von der Betriebsstättenfiktion des § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG – mit denjenigen der körperschaftsteuerlichen Organschaft überein.86 Die Betriebsstättenfiktion selbst dient der sachgerechten Aufteilung der Gewerbesteuer zwischen den Gemeinden.87 So ergeht zwar der Gewerbesteuermessbescheid nur gegenüber dem Organträger.88 Dadurch, dass die Organgesellschaft jedoch als dessen Betriebsstätte gilt, kann der einheitliche Steuer78 BFH, Urteil vom 18.9.1996 – I R 44 / 95 –, BStBl. II 1997, 181 (182); BFH, Urteil vom 29.8.2000 – VIII R 1 / 00 –, BStBl. II 2001, 114 (115). 79 So erstmals das oben unter C. I. 1. ausführlich erörterte Urteil des BFH vom 6.10.1953 – I 29 / 53 U –, BStBl. III 1953, 329 (330). Hieran anschließend etwa: BFH, Urteil vom 27.9.1960 – I 162 / 60 U –, BStBl. III 1960, 471 (471); BFH, Urteil vom 8.1.1963 – I 237 / 61 U –, BStBl. III 1963, 188 (188); BFH, Urteil vom 23.3.1965 – I 338 / 60 U –, BStBl. III 1965, 449 (450); BFH, Urteil vom 26.1.1972 – I R 171 / 68 –, BStBl. II 1972, 358 (359); BFH, Urteil vom 2.3.1983 – I R 85 / 79 –, BStBl. II 1983, 427 (428); BFH, Urteil vom 23.1.1992 – IX R 47 / 89 –, BStBl. II 1992, 630 (631); BFH, Urteil vom 2.2.1994 – I R 10 / 93 –, BStBl. II 1994, 768 (769); BFH, Urteil vom 18.9.1996 – I R 44 / 95 –, BStBl. II 1997, 181 (181 f.); BFH, Urteil vom 19.11.2003 – I R 88 / 02 –, BStBl. II 2004, 751 (752). 80 Marc Schumann, in: Deloitte (Hrsg.), Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 385. 81 Vgl. beispielsweise: Klaus-Dieter Drüen, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 2 GewStG, Rz. 158; Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 696 m.w. N.; für die Rechtsprechung beispielhaft: BFH, Urteil vom 29.8.2000 – VIII R 1 / 00 –, BStBl. II 2001, 114 (115). 82 Marc Schumann, in: Deloitte (Hrsg.), Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 385. 83 Marc Schumann, in: Deloitte (Hrsg.), Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 386. 84 Hierzu umfassend: Klaus-Dieter Drüen, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 2 GewStG, Rz. 158 und Rz. 170 ff.; Marc Schumann, in: Deloitte (Hrsg.), Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 386. 85 Georg Güroff, in: Glanegger / Güroff, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 385. 86 So explizit: Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 695. 87 Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2567. 88 BFH, Urteil vom 27.6.1990 – I R 183 / 85 –, BStBl. II 1990, 916 (918).

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

messbetrag nach den §§ 28 ff. GewStG zerlegt und sodann anteilsmäßig auf die berechtigten Gemeinden aufgeteilt werden.89

3. Der „mehrgliedrige“ Organkreis Anders als im Umsatzsteuerrecht90 ist im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht die organschaftliche Verbindung mehrerer Unternehmen in einem einzigen Organkreis nicht möglich.91 Grund hierfür ist die tatbestandliche Voraussetzung eines bestehenden Gewinnabführungsvertrages, da an diesem exakt zwei Unternehmungen beteiligt sein müssen.92 Der ertragsteuerliche Organkreis ist dadurch zwingend auf die beiden Vertragsparteien, Organträger und Organgesellschaft, beschränkt.93 Nichts desto trotz zeitigt die ertragsteuerliche Organschaft in mehrgliedrigen Konstellationen Rechtswirkungen, die bei informeller Gesamtbetrachtung des Unternehmensverbundes organkreisübergreifend eintreten. Sind (mehrere) Schwestergesellschaften mit der gemeinsamen Muttergesellschaft entsprechend der §§ 14 ff. KStG organschaftlich verbunden, bildet jede Gesellschaft zusammen mit der Muttergesellschaft einen eigenen Organkreis.94 Während die Muttergesellschaft also in mehreren Organkreisen als Organträger fungiert, sind die jeweiligen Organgesellschaften weder unmittelbar in den Organkreis ihrer Schwestergesellschaften involviert, noch sind sie mit diesen mittelbar organschaftlich verbunden.95 Werden nun dem Ergebnis der Muttergesellschaft die jeweiligen Ergebnisse der Töchter zugerechnet, findet auf Ebene der Muttergesellschaft gleichwohl eine Verrechnung aller Einzelergebnisse statt. Über die gemeinsame Muttergesellschaft lässt sich dadurch de facto eine Ergebnisverrechnung zwischen Schwestergesellschaften erreichen, obgleich diese Schwestergesellschaften nicht dem gleichen Organkreis angehören.

89 So auch: Marc Schumann, in: Deloitte (Hrsg.), Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 339; Gerrit Frotscher, Körperschaftsteuer Gewerbesteuer, Rz. 696; Viktor Sarrazin, in: Lenski / Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 2567. 90 Dazu oben: D. I. 3. 91 Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775 m.w. N.); Klaus Brezing, ZGR 1978, 77 (89), der diesbezüglich nur von der körperschaftsteuerlichen Organschaft spricht, da das Erfordernis eines bestehenden Gewinnabführungsvertrages zu jener Zeit für die gewerbesteuerliche Organschaft noch nicht bestand. Wohl auch: Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 20: Der Organträger „kann zu mehreren TochterGes Organschaften bilden, die voneinander unabhängig sind“. 92 Wolfgang Servatius, in: Grigoleit, Aktiengesetz, § 291, Rz. 56 ff. 93 Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 12; Klaus Brezing, ZGR 1978, 77 (89); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (237); wohl ebenso: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (141). 94 Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 20. 95 Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 20 und Rz. 52.

I. Die Organschaft im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht

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Bei vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen ist zwischen mittelbaren Organschaftsbeziehungen und sog. Organschaftsketten zu unterscheiden.96 Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 KStG kann die finanzielle Eingliederung einer Organgesellschaft in ein Organträgerunternehmen mittelbar, das heißt über eine oder mehrere vermittelnde Gesellschaften, erfolgen. Hierzu ist erforderlich, dass dem Organträger an der vermittelnden Gesellschaft die Mehrheit der Stimmrechte zusteht und ihm durch diese Beteiligung wiederum die Mehrheit der Stimmrechte an der folgenden Gesellschaft bis hin zur Organgesellschaft vermittelt wird.97 Dabei kann die Stimmrechtsmehrheit an einer Gesellschaft durch Addition unmittelbarer und mittelbarer Beteiligungen bzw. der daraus resultierenden Stimmrechte erreicht werden.98 Die organschaftliche Verbindung besteht bei mittelbarer Eingliederung im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 KStG indes nur zwischen den Vertragsparteien des Gewinnabführungsvertrages.99 Die vermittelnden Gesellschaften, die nicht am Gewinnabführungsvertrag beteiligt sind, sind nicht Teil des Organkreises und müssen demzufolge nicht die persönlichen Voraussetzungen, die die §§ 14 ff. KStG an ein organkreisangehöriges Unternehmen stellen, erfüllen.100 So kann etwa eine vermittelnde Gesellschaft durchaus eine Personengesellschaft sein101 oder Geschäftsleitung und Sitz im Ausland haben,102 solange zwischen Organträger und Organgesellschaft die Voraussetzungen der §§ 14 ff. KStG erfüllt sind. Im Falle sog. Organschaftsketten, die von der mittelbaren Eingliederung zu unterscheiden sind, bestehen mehrere aufeinander folgende Organschaftsbeziehungen im vertikalen Unternehmenszusammenschluss.103 In derartigen Konstellationen ist die Muttergesellschaft Organträger im Verhältnis zur Tochtergesellschaft, die ihrerseits eine Doppelfunktion als Organgesellschaft der Muttergesellschaft und Organträger der Enkelgesellschaft einnimmt.104 Diese wiederum kann erneut Organträger einer 96 Ausführlich: Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 75 ff. 97 Veranschaulicht durch Schaubilder zu verschiedensten Konstellationen: Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 137 ff. 98 Ausführlich und mit Verweis auf das zu früherer Zeit bestehende Additionsverbot: Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 137 ff. 99 Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 52. 100 Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 77; Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 119 m.w. N. 101 BFH, Urteil vom 2.11.1977 – I R 143 / 75 –, BStBl. II 1978, 74 (75). 102 Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 77; Klaus Olbing, in: Streck, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 52 m.w. N. 103 Walter Danelsing, in: Blümich, Einkommensteuergesetz – Körperschaftsteuergesetz – Gewerbesteuergesetz, § 14 KStG, Rz. 75 und Rz. 77; Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 121. 104 BFH, Urteil vom 13.11.2002 – I R 9 / 02 –, BStBl. II 2003, 489 (491).

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Urenkelgesellschaft sein, usw. Die Organschaftskette setzt sich folglich aus einer Vielzahl von je eigenständigen Organkreisen zusammen, die tatbestandlich unabhängig voneinander nach Maßgabe der §§ 14 ff. KStG zu bewerten sind.105 Die Rechtswirkungen der einzelnen Organschaftsbeziehungen werden allerdings aufgrund der Doppelfunktion der Tochtergesellschaft (bzw. Enkel- oder Urenkelgesellschaft, usw.) als Organgesellschaft im einen und Organträger im anderen Organkreis faktisch über die gesamte Kette ausgeweitet.106 So kommt es bei einer Organschaftskette zu einer stufenweisen Zurechnung der Ergebnisse von der Enkel- auf die Tochtergesellschaft und von dieser auf die Muttergesellschaft.107 Dadurch können Ergebnisse der Enkelgesellschaften (und Urenkelgesellschaften, usw.) mit demjenigen der Muttergesellschaft verrechnet werden, obgleich zwischen diesen Unternehmungen kein Gewinnabführungsvertrag und deshalb auch keine organschaftliche Beziehung besteht.108

4. Die organtheoretische Grundlage der körperschaftund gewerbesteuerrechtlichen Organschaft: Die Zurechnungstheorie a) Die Zurechnungstheorie als Organtheorie Die sog. Zurechnungstheorie109 ist aus der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes zur körperschaftsteuerlichen Organschaft hervorgegangen.110 Sie löste die vormals herrschende Angestelltentheorie als organtheoretischen Erklärungsversuch der Organschaft im Bereich der Körperschaftsteuer ab111 und dient nunmehr seit Anfang der 30er Jahre als dogmatische Grundlage der körperschaftsteuerlichen Organschaft.112 Ihr Ursprung, so beschreibt Staringer treffend, liegt in einem historischen

105 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (280). 106 Klaus Brezing, ZGR 1978, 77 (91). 107 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (280); Klaus Brezing, ZGR 1978, 77 (91). 108 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (280); Klaus Brezing, ZGR 1978, 77 (91). 109 Zur Zurechnungstheorie allgemein: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 13 ff.; Leo Hübl, DStZ A 1965, 17 (20 f.); Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 3; Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (129); Stefan Kolbe, in: Herrmann / Heuer / Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 3. 110 Umfassend zur wechselhaften Entwicklung der körperschaftsteuerlichen Organschaft im Lichte der Rechtsprechung von RFH und BFH bei besonderer Bezugnahme auf die dogmatischen Grundlagen: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 143 ff.; Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 114 ff. 111 So explizit: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 12; CarlHeinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 147 f. Zum Übergang von der Angestelltentheorie auf die Zurechnungstheorie auch bereits oben: B. II. 1.

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Kompromiss, zu dem sich der Reichsfinanzhof aufgrund des Bedürfnisses „nach einer Gewinn- und Verlustverrechnung im Konzern einerseits und den rechtstechnischen Schwierigkeiten, den Konzern als einheitliches Subjekt der Besteuerung zu erfassen andererseits“113, veranlasst sah. Geradezu in Abbildung dieses Zwiespaltes bewegt sich die Zurechnungstheorie zwischen den beiden „Extrempositionen“ einer strikten Individualbesteuerung eines jeden Rechtsträgers und einer vollkommenen Vereinheitlichung der Unternehmungen entsprechend dem Ansatz der Einheitstheorie.114 Im Ausgangspunkt hält die Zurechnungstheorie an der Rechtssubjektivität eines jeden Rechtsträgers und dem hieran anknüpfenden Prinzip der Individualbesteuerung fest.115 Der Organkreis als solcher wird als Komplex mehrerer Rechtssubjekte erfasst, die zwar in einem Verbund der Subordination zueinander stehen, jedoch nicht ineinander aufgehen.116 Folgerichtig ist die Einkommensermittlung eines jeden organkreisangehörigen Unternehmens separat nach den allgemeinen Vorschriften vorzunehmen, eben so, als würde keine organschaftliche Verbindung bestehen.117 Dabei sind auch organkreisinterne Geschäfte zu erfassen und wie Geschäfte zwischen fremden Dritten zu behandeln, denn, so begründete der Reichsfinanzhof diesen Ansatz der Zurechnungstheorie, das Steuerrecht habe dem Zivilrecht zu folgen, wenn dieses echte Forderungen und Schulden zwischen den juristisch selbständigen Gesellschaften des Organverhältnisses anerkenne.118 Anders als es die Ein112 Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Bundesfinanzhof in frühen Entscheidungen mit einer Abkehr von der Zurechnungstheorie hin zur Bilanzierungstheorie kokettierte, ohne sich jedoch zu dieser oder jener Theorie abschließend zu bekennen. Beispielhaft sei diesbezüglich auf das Urteil des BFH vom 24.11.1953 – I 109 / 53 –, BStBl. III 1954, 21 ff. verwiesen. Die in Anbetracht dieser Rechtsprechung entbrannte Diskussion wurde jedoch durch den Erlass des § 7a KStG als Rechtsgrundlage der körperschaftsteuerlichen Organschaft hinfällig. Diesem lag ebenso wie den heutigen §§ 14 ff. KStG die Zurechnungstheorie zugrunde. Das damalige Intermezzo des Bundesfinanzhofes mag daher zwar bei einer Betrachtung der historischen Entwicklungen der körperschaftsteuerlichen Organschaft beachtenswert sein, auf ihre organtheoretische Ausrichtung, wie sie der Reichsfinanzhof definierte, hatte diese Rechtsprechung allerdings im Ergebnis keinen Einfluss. Weiterführend hierzu insbesondere: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 149 ff.; Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 118 ff. 113 So ausdrücklich: Claus Staringer, Perspektiven der Konzernbesteuerung, in: DStJG, Bd. 25, S. 73 (87); zustimmend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 173 f. 114 Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (142 f.);Carl-Heinz Witt, FR 2009, 1045 (1046). 115 Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 21; Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (129 und 142). 116 Claus Staringer, Perspektiven der Konzernbesteuerung, in: DStJG, Bd. 25, S. 73 (87). 117 So etwa: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (129); Heinrich Montag, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 14, Rz. 9; für die Rechtsprechung beispielhaft: BFH, Gutachten vom 27.11.1956 – I D 1 / 56 S –, BStBl. III 1957, 139 (142). 118 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (138). Nachdringlich auch der BFH, Urteil vom 26.7.1967 – I 138 / 65 –, BStBl. III 1967, 733 (733 f.): „[…] rechtfertigt sie [die Rechtsprechung zur Organschaft, Anm. d. Verf.] dennoch nicht, Gewinne von der Heranziehung zur Körperschaftsteuer auszunehmen, die durch die

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heitstheorie vorsieht, können somit Vermögensgegenstände nicht erfolgsneutral zwischen den organkreisangehörigen Unternehmungen verlagert werden; organkreisinterne Geschäfte ziehen stets die Gewinnrealisierung nach sich.119 Gleichsam muss die Entgeltbemessung bei organkreisinternen Geschäften den Anforderungen eines Fremdvergleiches standhalten.120 Ist das nicht der Fall, findet selbst innerhalb des Organkreises eine Korrektur mittels der Instrumentarien der verdeckten Gewinnausschüttung bzw. der verdeckten Einlage statt.121 Der eigentliche Akt der Zurechnung erfolgt nach der Ermittlung der einzelnen Einkommen: Das separat ermittelte steuerliche Einkommen der Organgesellschaft wird dem Organträger noch vor der Versteuerung durch die Organgesellschaft zugerechnet.122 Bei dem Organträger kann das zugerechnete Einkommen mit dessen eigenem Einkommen und eventueller weiterer Einkommen anderer Organgesellschaften verrechnet werden.123 Das hieraus resultierende Ergebnis ist schließlich von dem Organträger als eigenes Einkommen zu versteuern.124 Erst der Akt der Zurechnung, der als zweiter Schritt zur separaten Ermittlung der Ergebnisse der Rechtsträger hinzutritt, ist Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Unternehmensverbundes.125 Durch ihn wird das Postulat der Individualbesteuerung durchbrochen, der Organkreis als solcher jedoch nicht vereinheitlicht. Insbesondere führt die Zurechnung lediglich zur Saldierung der Einzelergebnisse und nicht – wie dies bei der Einheitstheorie der Fall wäre – zur Konsolidierung im Sinne eines vereinheitlichten Gesamtergebnisses.126

Auflösung stiller Reserven bei einem von zwei organschaftlich verbundenen Unternehmen entstanden sind, nur weil diese Gewinne aus einem innerkonzernlichen Güteraustausch resultieren. Wollte man hier der Stpfl. folgen, so hieße das, die von Gesetz und Rechtsprechung abgelehnte Einheitstheorie zur Anwendung zu bringen, die wirtschaftlich verbundene Unternehmen trotz ihrer rechtlichen Selbständigkeit auch rechtlich als eine Einheit verstanden wissen will.“ 119 Mit ausdrücklicher Bezugnahme und in Abgrenzung zur Einheitstheorie: BFH, Urteil vom 26.7.1967 – I 138 / 65 –, BStBl. III 1967, 733 (733 f.); überdies etwa: Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19, Rz. 5. 120 Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (129). 121 Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (142); Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 25 m.w. N. 122 Vgl. nur: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 13. 123 Wie folgt: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 13; CarlHeinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 22 f. 124 Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19, Rz. 15. 125 Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (143 m.w. N.). 126 Anschaulich: Carl-Heinz Witt, FR 2009, 1045 (1046): „Die im Zurechnungskonzept liegende wirtschaftliche Betrachtungsweise bleibt damit unvollkommen, weil das bloß saldierte, aber nicht konsolidierte Ergebnis des Organkreises der Besteuerung zugrunde gelegt wird.“ Kritisch dazu auch: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (142 ff.).

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All dies zeigt, dass die Zurechnungstheorie, anders als die Einheitstheorie, die das Leitbild des Einheitsunternehmens verfolgt, keinem Ideal verschrieben ist. Durch den Zwiespalt zwischen Individualbesteuerung und wirtschaftlicher Betrachtung, zum Ausdruck gebracht durch die Zurechnung separat ermittelter Ergebnisse, bietet sie kein in sich geschlossenes theoretisches Konzept zum sachgerechten Umgang mit verbundenen Unternehmen.127 In Ansehung dessen beschreibt Staringer den Charakter der Zurechnungstheorie wie folgt: „Die Zurechnungstheorie ist (…) weniger durch eine zwingende Logik des Körperschaftsteuerrechts entstanden, sondern stellt vielmehr eine rechtstechnische Notwendigkeit dar.“128 Dem ist nichts hinzuzufügen. b) Der Einfluss der Zurechnungstheorie auf die gewerbesteuerliche Organschaft Ein Vergleich der Aussagen der Zurechnungstheorie mit dem Aussagegehalt der §§ 14 ff. KStG zeigt, dass die Zurechnungstheorie die exakte organtheoretische Formulierung der Rechtslage, also des tatsächlich Praktizierten, ist. Dies ist selbstredend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Reichsfinanzhof diese theoretische Konzeption gerade zum Zwecke der Klärung der Rechtslage im Körperschaftsteuerrecht geschaffen und sich die Rechtslage bis heute nicht wesentlich geändert hat. Dass die körperschaftsteuerliche Organschaft heute der Zurechnungstheorie folgt, ist dementsprechend unbestritten.129 Bezüglich der gewerbesteuerlichen Organschaft, die vorliegend gleichfalls in den Blick genommen wird, ist dies anders. Ihre organtheoretische Grundlage wird vielfach als „eingeschränkte Einheitstheorie“130 bezeichnet, was jedenfalls terminologisch irreführend ist und der heutigen Rechtslage nicht mehr gerecht wird. Grund dieser terminologischen Ungereimtheit ist das Relikt der Betriebsstättenfiktion, also der Tatsache, dass die Organgesellschaft ihre Steuersubjekteigenschaft bei gewerbesteuerlicher Organschaft verliert.131 Ohne Zweifel steht dies der Dogmatik der Zurechnungstheorie entgegen, die ihrerseits an der Steuersubjekteigenschaft einer je127 Vgl. auch: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (129), der bezüglich der gesetzlichen Regelungen zur körperschaftsteuerlichen Organschaft von einer „lex imperfecta“ spricht, „da nur die Einkommenszurechnung des Organs zum Organträger geregelt ist“. Ebenfalls: Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 46, der insbesondere der Zurechnungstheorie die Bedeutung einer bloßen Erklärung der Rechtsfolgen der Organschaft beimisst. 128 Claus Staringer, Perspektiven der Konzernbesteuerung, in: DStJG 25, S. 73 (87). 129 Vgl. nur: Claus Staringer, Perspektiven der Konzernbesteuerung, in: DStJG, Bd. 25, S. 73 (85); Heinrich Montag, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 14, Rz. 9. Aus der Rechtsprechung etwa: BFH, Urteil vom 14.4.1992 – VIII R 149 / 86 –, BStBl. II 1992, 817 (819 m.w. N.); BFH, Urteil vom 23.1.2002 – XI R 95 / 97 –, BStBl. II 2003, 9 (9 f.). 130 Beispielhaft: Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, Vor §§ 14 bis 19, Rz. 6. 131 Vgl. oben: E. I. 2. b).

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

den organkreisangehörigen Unternehmung festhält.132 Der Einheitstheorie steht der Verlust der Steuersubjekteigenschaft der Organgesellschaft demgegenüber durchaus nahe.133 Gleichwohl ist diese Terminologie heute ebenso wenig zu befürworten wie der zugrunde liegenden Argumentation zu folgen ist. Beleg hierfür ist zum einen die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, die die Bedeutung der Betriebsstättenfiktion des § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG erhellt. Der Bundesfinanzhof betont regelmäßig, dass das Organ kraft Gesetzes zur Betriebsstätte des Organträgers werde, um die sachgerechte Aufteilung des Gewerbesteueraufkommens zu sichern; die Gesellschaften seien hingegen in Fragen der Einkommensermittlung wie eigene Rechtssubjekte zu behandeln.134 Letzteres entspricht jedoch dem Ansatz der Zurechnungstheorie, nicht demjenigen der Einheitstheorie.135 Ist die Betriebsstättenfiktion überdies, wie vom Bundesfinanzhof in zahlreichen Entscheidungen postuliert, zuvörderst Ausdruck der Gemeindeschutzfunktion der gewerbesteuerlichen Organschaft,136 also vornehmlich der sachgerechten Aufteilung des Gewerbesteueraufkommens geschuldet,137 dann verbietet es sich, der Betriebsstättenfiktion als verfahrensrechtlicher Besonderheit im Gewerbesteuerrecht weitergehende Aussagen zur organtheoretischen Konzeption der gewerbesteuerlichen Organschaft abzugewinnen. Überdies kann spätestens seit der Angleichung der tatbestandlichen Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen und der gewerbesteuerlichen Organschaft nicht mehr von einer Nähe der gewerbesteuerlichen Organschaft zur Doktrin der Einheitstheorie ausgegangen werden.138 In diesem Zuge wurde die Vgl. nur: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 21. Vgl. oben: B. III. 1. a) cc) (1). 134 BFH, Urteil vom 30.7.1969 – I R 21 / 67 –, BStBl. II 1969, 629 (629); BFH, Urteil vom 6.11.1985 – R 56 / 82 –, BStBl. II 1986, 73 (74 f.); BFH, Urteil vom 10.3.2010 – I R 41 / 09 –, BStBl. II 2011, 181 (182); außerdem: Marc Schumann, in: Deloitte (Hrsg.), Gewerbesteuergesetz Kommentar, § 2, Rz. 383. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BFH außerdem: BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (57 m.w. N.). 135 Ebenso: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (129), der mit Recht der Auffassung ist, da das Gewerbesteuergesetz keine eigenständige Gewinnermittlung kennt, komme bei der gewerbesteuerlichen Organschaft im Ergebnis ebenfalls die Einkommenszurechnungstheorie zum Tragen. 136 BFH, Urteil vom 30.7.1969 – I R 21 / 67 –, BStBl. II 1969, 629 (629); BFH, Urteil vom 5.5.1977 – IV R 186 / 72 –, BStBl. II 1977, 701 (702); BFH, Urteil vom 6.11.1985 – R 56 / 82 –, BStBl. II 1986, 73 (74 f.). Instruktiv außerdem: BGH, Urteil vom 22.10.1992 – IX ZR 244 / 91 –, BGHZ 120, 50 (57 m.w. N.): „Die Behandlung der Organgesellschaft als Betriebsstätte des Organträgers stellt nur eine auf den beschriebenen steuerrechtlichen Zweck [der gewerbesteuerlichen Organschaft] begrenzte gesetzliche Fiktion dar.“ Dieser Zweck liege laut BGH darin, „die Gemeinden davor zu schützen, dass wirtschaftlich eng verbundene Unternehmen durch interne Maßnahmen ihren Gewinn willkürlich verlagern“. 137 Vgl. auch: Georg Güroff, in: Glanegger / Güroff, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 358 m.w. N. 138 So auch: Ewald Dötsch, in: Kessler / Kröner / Köhler, Konzernsteuerrecht, § 5, Rz. 2. Tendenziell: Rainer Hüttemann, Organschaft, in: Schön / Osterloh-Konrad, Kernfragen des Unternehmenssteuerrechts, 127 (132); Ingo van Lishaut, FR 2009, 1030 (1034). 132 133

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tatbestandliche Voraussetzung eines bestehenden und tatsächlich vollzogenen Gewinnabführungsvertrages auf die gewerbesteuerliche Organschaft übertragen.139 Dadurch wurde der Boden der Einheitstheorie endgültig verlassen, denn dem Gewinnabführungsvertrag kommt im organtheoretischen System der Zurechnungstheorie eine zentrale Bedeutung zu.140 Da letztlich auch die charakteristische Rechtsfolge der Ergebniszurechnung gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 KStG aufgrund des Verweises in § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG für die gewerbesteuerliche Organschaft gilt, kann der prägende Einfluss der Zurechnungstheorie auf die gewerbesteuerliche Organschaft nicht bestritten werden.141 Zur Vermeidung von Irritationen sollte deshalb von der Bezeichnung der „eingeschränkten Einheitstheorie“ abgesehen werden. Will man dem Relikt der Betriebsstättenfiktion, trotz des ansonsten prägenden Einflusses der Zurechnungstheorie, bei der Titulierung der theoretischen Grundlagen der heutigen gewerbesteuerlichen Organschaft terminologisch zur Geltung verhelfen, sollte etwa von der „modifizierten Zurechnungstheorie“142 als Grundlage der gewerbesteuerlichen Organschaft gesprochen werden.

c) Die zentrale Bedeutung des Gewinnabführungsvertrages für die Zurechnungstheorie Zur Begründung eines Organschaftsverhältnisses, dessen Rechtsfolge die Zurechnung des steuerlichen Ergebnisses der Organgesellschaft an den Organträger ist, bedarf es seit jeher einer bestehenden Verpflichtung zur Gewinnabführung zwischen den Unternehmungen. Urheber dieser Voraussetzung war erneut der Reichsfinanzhof. Dieser hielt es in seinem Gutachten vom 26.7.1932143 – entgegen der damaligen Rechtslage im Umsatz- und Gewerbesteuerrecht – nicht für zulässig, eine zusammengefasste Besteuerung der Unternehmungen im Körperschaftsteuerrecht allein auf die Grundlage einer finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung zu stützen. Vielmehr hänge es zusätzlich von der getroffenen Vereinbarung zwischen Organgesellschaft und Organträger bzw. den der Organgesellschaft erteilten Weisungen144 ab, ob das Organ eigenes Einkommen besitze.145 In

Dazu oben: C. I. 2. Zur zentralen Bedeutung des Gewinnabführungsvertrages für die Zurechnungstheorie im Folgenden unter: E. I. 4. c). 141 Dies bereits vor der tatbestandlichen Vereinheitlichung von körperschaftsteuerlicher und gewerbesteuerlicher Organschaft betonend: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (129). 142 Diese Bezeichnung anführend: Norbert Herzig, in: Herzig, Organschaft, S. 6. 143 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 ff. 144 Anfänglich hat der Reichsfinanzhof neben der vertraglich vereinbarten Gewinnabführung auch die einseitige Weisung des beherrschenden Unternehmers gegenüber der Organgesellschaft als ausreichend zur Begründung der Organschaft anerkannt. In der Folgezeit hielt 139 140

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einer weiteren Entscheidung fordert das Gericht dann ausdrücklich, dass das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger nur im Falle der Ergebnisabführung zugerechnet werden könne.146 Damit war die tatbestandliche Voraussetzung der Gewinnabführung zur Begründung der körperschaftsteuerlichen Organschaft erstmals artikuliert. Während der Reichsfinanzhof den Gewinnabführungsvertrag nicht zum alleinigen Rechtsgrund der Organschaft machte, sondern stets das Zusammenspiel mit der Trias aus finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Eingliederung zur Begründung der Organschaft verlangte,147 rückte die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes den Gewinnabführungsvertrag als konstitutives Merkmal der körperschaftsteuerlichen Organschaft zunehmend in den Mittelpunkt der Betrachtung.148 Besonders deutlich wird dies im Gutachten des Bundesfinanzhofes vom 27.11. 1956149, wo es heißt, der durch den handelsrechtlichen Vertrag geschaffene Tatbestand müsse die Grundlage der Besteuerung bilden.150 Dies wurde insbesondere von Flume kritisiert, denn, so argumentierte dieser unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes, allein die Verpflichtung zur Gewinnabführung rechtfertige nicht die Einkommenszurechnung.151 Unabdingbar sei überdies die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung, die die willentliche Beherrschung und damit die eigentliche Grundlage des Organschaftsverhältnisses sei. Trotz seiner Kritik gestand Flume jedoch ein, dass nicht getadelt werden könne, wenn man mit der Rechtsprechung zusätzlich zu den Eingliederungskriterien einen bestehenden Gewinnabführungsvertrag verlangt.152 In Ansehung der Rechtsprechung des Reichs- und des Bundesfinanzhofes sowie dieser Kritik von Flume wird bis heute kontrovers diskutiert, wieso die Gerichte einen bestehenden Gewinnabführungsvertrag allein für die körperschaftsteuerliche man hieran allerdings nicht fest und sah alsbald den Gewinnabführungsvertrag als einzig tragfähige Grundlage der Einkommenszurechnung an. 145 RFH, Gutachten vom 26.7.1932 – I D 2 / 31, III D 2 / 32 –, RStBl. 1933, 136 (137 m.w. N.); RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648); auf diese Rechtsprechung in gleichem Zusammenhang Bezug nehmend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 166. 146 RFH, Urteil vom 18.2.1933 – I A 439 / 32 –, RStBl. 1933, 647 (648). 147 Dies in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes betonend: Werner Flume, DB 1956, 455 (455); Werner Flume, Stbjb 1958 / 1959, S. 283 (285 f.). 148 Eingehend bei umfassender Auswertung der damaligen Rechtsprechung: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 118 ff. 149 BFH, Gutachten vom 27.11.1956 – I D 1 / 56 S –, BStBl. III 1957, 139 ff. 150 BFH, Gutachten vom 27.11.1956 – I D 1 / 56 S –, BStBl. III 1957, 139 (140). Auf diese Passage des Gutachtens Bezug nehmend und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes im Vergleich zu jener des Reichsfinanzhofes kritisch analysierend: Werner Flume, Stbjb 1958 / 1959, S. 283 (285 ff.). 151 Wie folgt auch: Werner Flume, DB 1956, 455 (457 f.); Werner Flume, Stbjb 1958 / 1959, S. 283 (285 f.). 152 Werner Flume, DB 1956, 455 (457 f.).

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Organschaft verlangten.153 Als mögliche Erklärung wird angeführt, mangels Rechtsgrundlage der körperschaftsteuerlichen Organschaft hätten die Gerichte in der Verpflichtung zur Gewinnabführung die notwendige Brücke zur Rechtfertigung der Durchbrechung des Trennungsprinzips gesehen.154 Dieser Erklärung folgt unweigerlich der Gedanke, dass der Gesetzgeber bei der erstmaligen Kodifikation formell-gesetzlicher Rechtsgrundlagen im Jahre 1969155 auf die Voraussetzung des Gewinnabführungsvertrages hätte verzichten können.156 Dies geschah jedoch nicht, ganz im Gegenteil: Trotz teilweise heftiger Kritik aus den Reihen der Literatur157 hält der Gesetzgeber bis heute an der Voraussetzung eines bestehenden und tatsächlich durchgeführten Gewinnabführungsvertrages fest. Bedingt durch den Verzicht auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung im Jahre 2001 bzw. 2002 steht der Gewinnabführungsvertrag heute sogar mehr denn je im Zentrum des ertragsteuerlichen Organschaftstatbestandes.158 Was das bedeutet, erhellt ein Blick auf die Funktion der tatbestandlichen Voraussetzungen der Organschaft: Die ertragsteuerliche Organschaft führt insoweit zur Abweichung von einer strikten Individualbesteuerung, als das Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger zugerechnet wird.159 Diese Abweichung bedarf der Rechtfertigung,160 die seit jeher ganz allgemein dem Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise entnommen wird.161 Zwecks Präzisierung dieses Grundsatzes sind tatbestandliche Voraussetzungen erforderlich, die definieren, wann zwei Unter153 Dazu: Siegfried Grotherr, FR 1995, 1 (3); Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (139); Claus Staringer, Perspektiven der Konzernbesteuerung, in: DStJG, Bd. 25, S. 73 (86); CarlHeinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 163 ff. 154 So insbesondere: Siegfried Grotherr, FR 1995, 1 (3); Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (139). 155 Vgl. § 7a KStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Körperschaftsteuergesetzes vom 15.8.1969, BGBl. I 1969, 1182 (1182 f.); BStBl. I 471 (471 f.). 156 So im Anschluss dann auch: Siegfried Grotherr, FR 1995, 1 (3); Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (139). 157 Gegen die Voraussetzung des Gewinnabführungsvertrages werden vielerlei Argumente angeführt, die teilweise dessen Funktion im Rahmen der ertragsteuerlichen Organschaft in Frage stellen. Vgl. zur umfangreichen Kritik etwa: Philip Göth, GesRZ 1991, 28 (36 f.); Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (139 ff.); Siegfried Grotherr, FR 1995, 1 ff.; Ulrich Prinz, FR 1999, 646 (648); Heike Jochum, FR 2005, 577 (579 ff.); Carl-Heinz Witt, FR 2009, 1045 (1045 f.); Stefan Homburg, IStR 2010, 246 ff.; Norbert Herzig, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 61 (62 f. m.w. N.). 158 Dies zu Recht besonders betonend: Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 170. 159 Beispielhaft: Gert Müller-Gatermann, Überlegungen zur Änderung der Organschaftsbesteuerung, in: FS für Ritter, S. 457 (464); Ingo van Lishaut, FR 2009, 1030 (1030). 160 Beispielhaft: Gert Müller-Gatermann, Überlegungen zur Änderung der Organschaftsbesteuerung, in: FS für Ritter, S. 457 (464); Ingo van Lishaut, FR 2009, 1030 (1030). 161 Zum Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise als Grundlage des Rechtsinstituts der Organschaft (statt vieler): Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, S. 1648. Vgl. außerdem bereits oben unter Bezugnahme auf die bedeutsame Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes: B. II. 1.

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nehmungen derart verflochten sind, dass eine Abweichung von der Individualbesteuerung kraft wirtschaftlicher Betrachtungsweise statthaft ist. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn ein Unternehmen finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein anderes Unternehmen eingegliedert ist; so definierte es etwa der Reichsfinanzhof und mit ihm der Gesetzgeber bei der erstmaligen Kodifikation der gewerbesteuerlichen und umsatzsteuerlichen Organschaft.162 Für die körperschaftsteuerliche Organschaft wurde vormals zudem die Verpflichtung zur Gewinnabführung bzw. Verlustübernahme verlangt.163 Mit dem Verzicht auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung in den Jahren 2001 und 2002 reduziert sich die die Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips tragende Verbindung zwischen Organ und Organträger heute auf die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung und eines bestehenden und tatsächlich durchgeführten Gewinnabführungsvertrages. Steht der Gewinnabführungsvertrag also im Mittelpunkt des Organschaftstatbestandes, dann ist er zugleich von zentraler Bedeutung für die Rechtfertigung der Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips.164 Die rechtfertigende Kraft des Gewinnabführungsvertrages wird nun gerade daraus entnommen, dass durch die Anerkennung seiner steuerlichen Relevanz einerseits und den steuergesetzlich geforderten Vertragsvollzug („tatsächliche Durchführung“) andererseits die Ergebnisse der Unternehmungen effektiv beeinflusst werden.165 Anders als bei einer bloßen Verbindung durch finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung ist die körperschaftsteuerliche Organschaft nicht nur eine faktische Verflechtung von Unternehmungen. Die zivilrechtliche Gewinnabführung lässt die steuerrechtliche Ergebniszurechnung real werden. Namentlich bewirkt der Gewinnabführungsvertrag, dass das Ergebnis der Organgesellschaft nicht nur von dem Organträger zu versteuern ist, sondern auch an diesen abgeführt wird; die tatsächliche Gewinnabführung und Verlustübernahme legitimiert – 162 Vgl. oben: B III. 1. a). Vgl. weitergehend den Vorschlag zur Reform der körperschaftsteuerlichen Organschaft von: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, zum Tatbestand insbes. S. 229 f. 163 Zu Recht wurde diesbezüglich kritisiert, dass die körperschaftsteuerliche Organschaft im Vergleich zum Umsatz- und Gewerbesteuerrecht strikteren Voraussetzungen unterlag, jedoch weniger weit reichende Rechtsfolgen zeitigte. Hierin wurde vielfach eine Inkonsequenz des Organschaftsrechts gesehen und eine weitergehende Vereinheitlichung der Rechtsträger im Körperschaftsteuerrecht gefordert. Vgl. etwa: Philip Göth, GesRZ 1991, 28 (33 f.). 164 Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11 / 2001, 1 (17); Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 170; Rainer Heurung / Benjamin Engel / Bastian Thiedemann, FR 2011, 212 (218 f.), die einen ersatzlosen Verzicht auf den Gewinnabführungsvertrag nicht für sachgerecht halten. Bereits für die Rechtslage vor 2001 / 2002 zustimmend: Gert Müller-Gatermann, Überlegungen zur Änderung der Organschaftsbesteuerung, in: FS für Ritter, S. 457 (464). A.A. (beispielhaft): Heike Jochum, FR 2005, 577 (579 ff.). 165 Vgl. etwa: Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11 / 2001, 1 (16); Gert Müller-Gatermann, Überlegungen zur Änderung der Organschaftsbesteuerung, in: FS für Ritter, S. 457 (464); Ingo van Lishaut, FR 2009, 1030 (1033); diese Argumentation darstellend: Heike Jochum, FR 2005, 577 (579 f.).

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in Verbindung mit dem Erfordernis der finanziellen Eingliederung – die Ergebniszurechnung. Gewinnabführung und Verlustausgleich bilden folglich das tatbestandliche Pendant zur Rechtsfolge der Zurechnung und Besteuerung des Ergebnisses der Organgesellschaft bei dem Organträger.166 Dass dem Gewinnabführungsvertrag – ungeachtet besagter Kritik – diese zentrale Bedeutung beizumessen ist, betont die Bundesregierung in ihrem Bericht zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts aus dem Jahre 2001167 ausdrücklich. Dort heißt es unmissverständlich: „Nur der Gewinnabführungsvertrag rechtfertigt die umfassende Ergebniszurechnung beim Organträger, da er sowohl die Abführung des Gewinns als auch die Verpflichtung zur Verlustübernahme regelt.“168, 169

d) Die Zurechnungstheorie und der Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung Aus der Bedeutung des Gewinnabführungsvertrages für die Zurechnungstheorie ergeben sich unmittelbare Konsequenzen für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Inanspruchnahme der organkreisbeteiligten Rechtsträger. Führt die Organgesellschaft (unversteuerte) Gewinne zum Zwecke der Saldierung und anschließender Versteuerung an den Organträger ab, steigert sie damit dessen Leistungsfähigkeit.170 Daraus rechtfertigt es sich, den Organträger für von der Organgesellschaft verursachte Steuerschulden in Anspruch zu nehmen. Korrespondierend hierzu vermindert die Gewinnabführung die Leistungsfähigkeit der Organgesellschaft. Folgerichtig verbleibt bei der Organgesellschaft regelmäßig kein steuerpflichtiges Einkommen; sie wird mit einem steuerpflichtigen Einkommen von Null veranlagt.171 Der gleiche Gedanke, freilich mit umgekehrten Vorzeichen, liegt der Verlustübernahme zugrunde. Die Verlustnutzung steht dem Organträger deshalb zu, 166 Zur Kritik hierzu aufgrund der Diskrepanz zwischen handelsbilanziellem Ergebnis und steuerlichem Einkommen unter E. I. 4. d). 167 Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11 / 2001, 1 ff. 168 Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11 / 2001, 1 (17). 169 In der Diskussion um eine Fortentwicklung des Organschaftsrechts wird vielfach für einen Verzicht auf das tatbestandliche Erfordernis des Gewinnabführungsvertrages plädiert. Im Rahmen dieser rechtsfortbildenden Überlegungen wird jedoch häufig zugleich eine Verschärfung der Eingliederungskriterien, insbesondere der finanziellen Eingliederung (Stimmrechtsmehrheit von 75% o.ä.), verlangt. Teilweise wird dem Gewinnabführungsvertrag diese Bedeutung jedoch generell abgesprochen. Mit rechtsfortbildenden Überlegungen insbesondere: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung. 170 Wie folgt: Ingo van Lishaut, FR 2009, 1030 (1033); Gert Müller-Gatermann, Überlegungen zur Änderung der Organschaftsbesteuerung, in: FS für Ritter, S. 457 (464). 171 Beispielhaft: Thomas Müller, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 471 f.; Michael Hendricks, Ubg 2011, 711 (711); Thomas Müller, Der Konzern 2009, 167 (167).

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weil er die Verluste der Organgesellschaft auch wirtschaftlich, durch die tatsächliche Leistung von Ausgleichszahlungen, trägt.172 Diese Ausgleichszahlungen vermindern seine Leistungsfähigkeit und rechtfertigen deshalb eine verminderte Inanspruchnahme.173 Das Ergebnis der Organgesellschaft wird dagegen durch die Zahlungen ausgeglichen. Bei ihr werden erneut weder positive, noch negative Ergebnisse ausgewiesen. Eine Gesamtbetrachtung dieser Systematik der Besteuerung der organschaftlich verbundenen Unternehmen vor dem Hintergrund des Postulats der Besteuerungsgleichheit macht deutlich, dass die Zurechnungstheorie, anders als die Einheitstheorie, den Maßstab zur Bewertung der gleichheitsgerechten Lastenverteilung im Organkreis nicht vom Individuum auf das Kollektiv verschiebt.174 Die Einheitstheorie fragt zuvörderst, ob der Organkreis als solcher gleich einem „echten“ Einheitsunternehmen besteuert wird. Anstatt auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Einzelnen zu rekurrieren, wird auf die Leistungsfähigkeit des Verbundes abgestellt.175 Anders ist dies bei der Zurechnungstheorie, wo die Belastung des gesamten Organkreises nicht zum Vergleichsmaßstab wird; ja mangels steuerlicher Vereinheitlichung der Rechtsträger nicht zum Vergleichsmaßstab werden kann.176 Maßgeblich bleibt die Leistungsfähigkeit des einzelnen Rechtsträgers, anhand derer zu beurteilen ist, ob dessen steuerliche Belastung gleichheitsgerecht erfolgt.177 Will man nun einerseits an der Belastung der Rechtsträger nach ihrer individuellen Leistungsfähigkeit festhalten, nimmt aber andererseits den Organträger für die durch Saldierung ermittelte Gesamtsteuerschuld der verschiedenen Rechtsträger in Anspruch, dann muss im Ergebnis dessen Leistungsfähigkeit einer derartigen, erweiterten oder reduzierten Inanspruchnahme entsprechen. Die deshalb erforderlich werdende Minderung oder Mehrung der Leistungsfähigkeit des Organträgers wird durch die Gewinnabführung der Organgesellschaft bzw. die Verlustübernahme des Organträgers erreicht. Der Gewinnabführungsvertrag liefert folglich die Rechtfertigung dafür, dass Einkommen nicht von dem wirtschaftlichen Verursacher Organgesellschaft versteuert wird, sondern von dem Organträger.178 172 Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11 / 2001, 1 (16 f.); Gert Müller-Gatermann, Überlegungen zur Änderung der Organschaftsbesteuerung, in: FS für Ritter, S. 457 (464); Ingo van Lishaut, FR 2009, 1030 (1033); Rainer Heurung / Benjamin Engel / Bastian Thiedemann, FR 2011, 212 (218 f.), die die wirtschaftlichen Folgen des Gewinnabführungsvertrages für konstitutiv halten und de lege ferenda nur auf diese Voraussetzung verzichten wollen, wenn die Organschaft „tatsächlich gelebt“ wird. Die dargestellte Argumentation zur Verlustnutzung aufgreifend: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (139); Norbert Herzig, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 61 (62); Jens Gerlach, FR 2012, 450 (458). 173 Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (139). 174 Jens Gerlach, FR 2012, 450 (458). 175 Dazu bereits oben: B. III. 1. a) cc) (3). Weiterhin: Ulrich Prinz, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 67 (68); Jens Gerlach, FR 2012, 450 (458 m.w. N.). 176 Anders wohl: Ulrich Prinz, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 67 (69). 177 Jens Gerlach, FR 2012, 450 (458).

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So erklärt sich jedenfalls die Grundidee, die das verfassungsrechtliche Fundament der Zurechnungstheorie bildet.179 Das dargestellte System der Zurechnungstheorie ist jedoch mit dem Makel behaftet, dass sich die Größen Gewinnabführung / Verlustübernahme und Einkommenszurechnung nicht decken.180 Während sich nämlich der Gewinnabführungsvertrag auf die Verpflichtung zur Übertragung bzw. zum Ausgleich des handelsbilanziellen Ergebnisses der Unternehmungen bezieht,181 erfolgt auf der Rechtsfolgenseite eine Zurechnung des steuerlichen Ergebnisses der Organgesellschaft bei dem Organträger.182 Dadurch entsteht zwischen Tatbestand und Rechtsfolge der ertragsteuerlichen Organschaft eine Diskrepanz,183 die bis auf die dargestellte verfassungsrechtliche Verankerung des Rechtsinstituts ausstrahlt. So wird das handelsbilanzielle Ergebnis nur selten exakt mit dem zugerechneten steuerlichen Gewinn oder Verlust übereinstimmen.184 Die Gewinnabführung verläuft nicht kongruent zur Steigerung der Leistungsfähigkeit, die Verlustübernahme nicht kongruent zur Verringerung der Leistungsfähigkeit des Organträgers. Konsequenz dessen ist, dass der Organträger ein Einkommen der Organgesellschaft versteuert, das sich mit den Zahlungen aufgrund der Verpflichtungen aus dem Gewinnabführungsvertrag nicht deckt. In Höhe der Differenz zwischen den beiden Größen bleibt (auch) die ertragsteuerliche Organschaft Fiktion.185

178 Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 170. Die Eignung des Gewinnabführungsvertrages für diesen Zweck aufgrund der im Folgenden geschilderten Diskrepanz zwischen abgeführtem handelsrechtlichem Ergebnis und zugerechnetem steuerlichem Ergebnis bestreitend (insbes.): Johanna Hey, StuW 2011, 131 (137). 179 Bericht der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts, Beilage zu FR 11 / 2001, 1 (16 f.); Gert Müller-Gatermann, Überlegungen zur Änderung der Organschaftsbesteuerung, in: FS für Ritter, S. 457 (464); Ingo van Lishaut, FR 2009, 1030 (1033). Vgl. auch: Norbert Herzig, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 61 (62), der trotz eigener Kritik zugibt, „dass es sich hier um ein geschlossenes Konzept mit beachtlicher Überzeugungskraft“ handele. 180 Vgl. nur: Johanna Hey, StuW 2011, 131 (137); Norbert Herzig, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 61 (62 f.); Stefan Homburg, IStR 2010, 246 (248 f.); Jürgen Lüdicke, FR 2009, 1025 (1028); Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 158 f.; Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (141); Siegfried Grotherr, FR 1995, 1 (10); Philip Göth, GesRZ 1991, 28 (36). 181 Beispielhaft: Jens Gerlach, FR 2012, 450 (452); Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 149. 182 Zur Problematik instruktiv: Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 433. 183 Vgl. insbes. Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S 158, der von einer sachfremden Verbindung von Voraussetzung und Rechtsfolge spricht. 184 Vgl. etwa: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 158 f.; eindringlich überdies: Stefan Homburg, IStR 2010, 246 (248 f.), der plakativ ein Beispiel anführt, bei dem einem handelsbilanziellen Jahresüberschuss eine steuerliche Zurechnung von Verlusten gegenübersteht. 185 Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 433; unter Bezugnahme hierauf: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 158 f.

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

In Anbetracht dessen ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Unausgewogenheit zwischen Tatbestand und Rechtsfolge der ertragsteuerlichen Organschaft vielfach zum Anlass von Kritik genommen wird. Diese bezieht sich auf die Tatbestandsvoraussetzung des Gewinnabführungsvertrages und daran anknüpfend auf die gesamte Konzeption des Rechtsinstituts der ertragsteuerlichen Organschaft.186 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist dieser Mangel als gegeben hinzunehmen, da einzig das Verhältnis des § 73 AO zu den materiell-rechtlichen Organschaftsregelungen de lege lata im Blickpunkt steht. Diesbezüglich sei betont, dass die ertragsteuerliche Organschaft – bei aller Unstimmigkeit im Einzelfall – jedenfalls in ihrem Grundgedanken keine Fiktion ist. Mit der Gewinnabführung bzw. Verlustübernahme wird ein, im wahrsten Sinne des Wortes, „maßgeblicher“ Teil des steuerlichen Ergebnisses auf den Organträger übertragen,187 wenngleich die zunehmende „Erosion des Maßgeblichkeitsprinzips“188 der Wahrung der Prinzipien der ertragsteuerlichen Organschaft zusätzlich abträglich ist.189

II. § 73 AO als Fremdkörper im körperschaftund gewerbesteuerrechtlichen Organkreis Angesichts der vorangegangen Ausführungen bedarf es keines minuziösen Vergleiches zwischen Einheitstheorie und Zurechnungstheorie um zu erkennen, dass zwischen diesen organtheoretischen Konzeptionen grundlegende Unterschiede bestehen. Hierzu zählen neben dem Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages insbesondere die differierende Ermittlung des Gesamtergebnisses und der Umgang mit der Steuersubjekteigenschaft der Organgesellschaft. Im Hinblick auf § 73 AO sei daran erinnert, dass dieser – wie zuvor § 114 RAO – funktionell in das System der Einheitstheorie eingebettet ist. Dies belegt nicht nur die bereits aufgezeigte historische Entwicklung.190 Bei der umsatzsteuerlichen Organschaft, die nach wie vor der Einheitstheorie folgt, werden die verfahrensrechtlichen Bedürfnisse nach einer Haftungsnorm auch heute offenbar.191 Außerdem wurde gezeigt, dass die Organgesellschaft im einheitstheoretisch konzipierten Organkreis aus den gleichen Gründen für die Gesamtsteuerschuld einsteht wie 186 Johanna Hey, StuW 2011, 131 (137 m.w. N.); Norbert Herzig, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 61 (62 f.); Stefan Homburg, IStR 2010, 246 (248 f.); Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 158 f.; Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (141); Siegfried Grotherr, FR 1995, 1 (10); Philip Göth, GesRZ 1991, 28 (36). 187 Wenngleich dieses System in Einzelfällen unbestritten zu widersprüchlichen Ergebnissen führen kann. Dies anhand eines Beispiels verdeutlichend: Stefan Homburg, IStR 2010, 246 (248 f.). 188 Norbert Herzig, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 61 (62). 189 Vgl.: Norbert Herzig, Beihefter zu DStR 30 / 2010, 61 (62 f.). 190 Dazu oben: B. III. 2. e) aa). 191 Vgl. dazu: D. II.

II. § 73 AO, Fremdkörper im ertragsteuerrechtlichen Organkreis

175

der Organträger.192 Ihre Einstandspflicht ist auf das „Prinzip der (Mit-)Verursachung“ der Steuerschuld zurückzuführen und ihre vollumfängliche Inanspruchnahme deshalb – vorbehaltlich der auf Ermessensebene zu berücksichtigenden Einschränkungen193 – gerechtfertigt. Die Unterschiede in den organtheoretischen Konzeptionen lassen Zweifel daran aufkommen, ob sich § 73 AO gleichermaßen in das System der Zurechnungstheorie einfügt. Der Gesetzesbegründung zur Reform der Abgabenordnung 1977 ist jedenfalls zu entnehmen, der gesetzgeberische Grund der Haftung der Organgesellschaft bestehe hinsichtlich der Körperschaftsteuerschuld des Organträgers in gleicher Weise wie bei dessen Betriebssteuerschulden,194 auf die die Haftung der Organgesellschaft zu Zeiten der Reichsabgabenordnung beschränkt war. Bei jedweder Steuerart finde die Haftung ihre Rechtfertigung darin, dass die vom Organträger zu zahlende Steuer auch die Beträge umfasst, die die Organgesellschaft bei fehlender organschaftlicher Verbindung schulden würde.195 Trotz des prägenden Einflusses der Einheitstheorie auf die Haftungsvorschrift befasst sich der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zur Reform des § 73 AO nicht mit den organtheoretischen Konzeptionen. Selbst das Novum, dass die Haftungsvorschrift durch die Ausweitung ihres Anwendungsbereichs auf die körperschaftsteuerliche Organschaft erstmals in einem Organkreis zur Anwendung gelangt, der vollends der Zurechnungstheorie folgt, wird nicht erwähnt, geschweige denn problematisiert. Stattdessen bewertet man die Zurechnung des von der Organgesellschaft erwirtschafteten Einkommens an den Organträger ohne weitergehende Argumentation als hinreichende Grundlage zur Rechtfertigung der vollumfänglichen Inanspruchnahme der Organgesellschaft, ohne diese Form der Zurechnung zu beleuchten bzw. mit der Vereinheitlichung der Steuerschuld entsprechend der Einheitstheorie zu vergleichen. Eine Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der körperschaftsteuerlichen Organschaft bzw. der Zurechnungstheorie findet schlechterdings nicht statt. Zudem wird die verfahrensrechtliche Funktion der Haftungsnorm nicht beleuchtet. Insbesondere die sich in Anbetracht der Funktion des § 114 RAO im System der Einheitstheorie aufdrängende Frage, ob die verfahrensrechtliche Umsetzung der Zurechnungstheorie gleichsam einer solchen Haftungsnorm bedarf, bleibt unbeantwortet. Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen und die These, § 73 AO greife im System der Zurechnungstheorie in gleicher Weise Platz wie im einheitstheoretischen System, einer Prüfung unterzogen werden. Als Anknüpfungspunkt dienen hierbei die Erkenntnisse über die Funktion und die Rechtfertigung des § 73 AO im Organkreis der Einheitstheorie.

192 193 194 195

Hierzu und zum Folgenden: B. III. 2. e) bb). Vgl. oben: D. III. BT-Drucks. VI / 1982, 120. BT-Drucks. VI / 1982, 120.

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

Die ob der differierenden organtheoretischen Konzeption geäußerten Zweifel gelten mittlerweile freilich nicht nur für die körperschaftsteuerliche Organschaft, auf die der Gesetzgeber bei Erlass des § 73 AO im Jahre 1977 ausschließlich Bezug genommen hat. Durch die weitgehende Angleichung der gewerbesteuerlichen Organschaft an die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht und damit an die Zurechnungstheorie196 bestehen die genannten Zweifel heute für die Haftung der Organgesellschaft bei gewerbesteuerlicher Organschaft gleichermaßen.

1. Kommt § 73 AO im System der Zurechnungstheorie eine verfahrensrechtliche Funktion zu? Wie bereits dargelegt wurde, ist § 73 AO für die verfahrensrechtliche Umsetzung der Einheitstheorie in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Erstens kompensiert die Haftungsnorm die fehlende Steuersubjekteigenschaft der Organgesellschaft, indem diese anstatt zur Steuerschuldnerin zur Haftungsschuldnerin der Gesamtsteuerschuld des Organkreises wird.197 Dadurch bleibt die Organgesellschaft für den Steuergläubiger trotz fehlender Steuersubjekteigenschaft neben dem Organträger greifbar, kann also wie der Organträger für die gemeinsam erwirtschaftete Steuerschuld in Anspruch genommen werden. Zweitens wird durch die Haftung nach § 73 AO die Gesamtschuldnerschaft zwischen der Organgesellschaft und dem Organträger begründet.198 Dadurch kommt § 426 BGB als Rechtsgrundlage organkreisinterner Ausgleichsansprüche, die im System der Einheitstheorie zum Zwecke des verursachungsgerechten Ausgleichs der Steuerlast im Innenverhältnis erforderlich sind, zur Anwendung. Insofern trägt § 73 AO in Verbindung mit den materiell-rechtlichen Regeln zur Organschaft und § 44 AO Sorge dafür, dass organkreisinterne Steuerumlagen auf rechtlich gesichertem Boden stehen und eine verursachungsund im Ergebnis leistungsfähigkeitsgerechte Belastung der Rechtsträger erfolgt. Die Vorschriften bilden ein Normensystem, das grundsätzlich Gewähr dafür bietet, dass sowohl der Organkreis im Ganzen als auch die beteiligten Rechtsträger gleichheitsgerecht besteuert werden. Die Zurechnungstheorie behandelt die Organgesellschaft in der Frage ihrer Steuersubjekteigenschaft anders. Die beherrschte Gesellschaft bleibt trotz Eingliederung in den Organträger selbständiges Steuersubjekt und wird weiterhin separat veranlagt.199 Bei konsequenter Umsetzung der Zurechnungstheorie, wie dies im Körperschaftsteuerrecht der Fall ist, bedarf es folglich keiner Kompensation der feh-

196 Zum heutigen Einfluss der Zurechnungstheorie auf die gewerbesteuerliche Organschaft bereits oben: E. I. 4. b). 197 Hierzu sowie zum Folgenden bereits oben: B. III. 2. e) aa) (2) und D. II. 1. b). 198 Dazu und zum Folgenden bereits oben: B. III. 2. e) aa) (3) und D. II. 2. 199 So zur Zurechnungstheorie allgemein: Werner Jurkat, Die Organschaft im Körperschaftsteuerrecht, Rz. 21.

II. § 73 AO, Fremdkörper im ertragsteuerrechtlichen Organkreis

177

lenden Steuersubjekteigenschaft durch § 73 AO. Ganz im Gegenteil: Gäbe es ein – dem Leistungsfähigkeitsprinzip geschuldetes – Bedürfnis für eine weitergehende Inanspruchnahme der Organgesellschaft, könnte die Inanspruchnahme aufgrund ihrer Steuerschuldnerschaft erfolgen. Der Gesetzgeber sieht jedoch, abgesehen von den Fällen des § 16 KStG, von einer weitergehenden Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Steuerschuldnerin ab, was in Ansehung ihrer Verpflichtung zur vollumfänglichen Gewinnabführung auch leistungsfähigkeitsgerecht ist, schließlich wird dadurch das von ihr verursachte Besteuerungssubstrat auf den Organträger übertragen.200 Divergent ist die Situation bei der gewerbesteuerlichen Organschaft, bei der die Organgesellschaft aufgrund der Betriebsstättenfiktion des § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG nicht persönlich steuerpflichtig ist.201 Die Organgesellschaft könnte also, gäbe es die Inanspruchnahmemöglichkeit nach § 73 AO nicht, in der Tat nicht für die Gewerbesteuerschuld herangezogen werden. Die vorstehende Argumentation, die verfahrensrechtliche „Kompensationsfunktion“ des § 73 AO sei in Anbetracht der Zurechnungstheorie nicht durchschlagend, kann daher nur im Hinblick auf die körperschaftsteuerliche Organschaft Geltung beanspruchen. Im Gewerbesteuerrecht verfängt sie aufgrund der Betriebsstättenfiktion nicht. Der folgende Blick auf die zweite Komponente der verfahrensrechtlichen Funktion des § 73 AO, die Statuierung organkreisinterner Ausgleichsansprüche in Verbindung mit den Vorschriften zur Gesamtschuld, genießt indes im Körperschaftsteuerrecht und im Gewerbesteuerrecht gleichermaßen Gültigkeit: Es wurde gezeigt, dass das System der Einheitstheorie – heute materiell umgesetzt in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG – insbesondere in Ansehung der Rechte von Minderheitsgesellschaftern und Drittgläubigern regelmäßig das Bedürfnis nach organkreisinternen Ausgleichsansprüchen verursacht, und zwar ganz gleich, ob der Zugriff des Steuergläubigers gegenüber dem Organträger oder der Organgesellschaft erfolgt.202 Die Ursache hierfür liegt darin, dass dem Organträger als Steuerschuldner das Ergebnis der Organgesellschaft rein fiktiv zuwächst. Veranschaulicht am Beispiel der umsatzsteuerlichen Organschaft heißt das: Zwar wird angenommen, dass der Organträger die steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen erbracht hat, er mithin Schuldner der Umsatzsteuer ist. Die Tatsache, dass nicht nur der Organträger, sondern auch die Organgesellschaft als selbständiger Rechtsträger Umsatzsteuer vereinnahmt, bleibt indes vom materiellen Organschaftsrecht unberücksichtigt. Das Umsatzsteuerrecht fingiert lediglich den Anfall der gesamten Steuerschuld beim Organträger. Das hat zur Folge, dass der Organträger Umsatzsteuer abzuführen verpflichtet ist, die nicht er, sondern die Organgesellschaft vereinnahmt hat. Zum Ausgleich dieser Mehrbelas-

Vgl. oben: E. I. 4. d). Vgl. nur: Thomas Müller, in: Müller / Stöcker, Die Organschaft, Rz. 964; Georg Güroff, in: Glanegger / Güroff, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 358. 202 Hierzu und zum Folgenden bereits oben: B. III. 2. e) aa) (3) und D. II. 2. 200 201

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

tung steht ihm ein zivilrechtlicher Regressanspruch gegen die Organgesellschaft zu.203 Im Gegensatz dazu verneint der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 1.12.2003204 einen Regressanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft bei steuerlicher Organschaft mit Gewinnabführungsvertrag. Als Begründung wird angeführt, dass sich Umfang und Grenzen eines internen Ausgleichsanspruchs zuvörderst nach dem Innenverhältnis zwischen Organträger und Organgesellschaft richte.205 Bestehe nun zwischen diesen ein Ergebnisabführungsvertrag, so könne „der Organträger z. B. einen zu einem Fehlbetrag der Organgesellschaft führenden oder diesen vertiefenden Regressanspruch nicht geltend machen, weil er den entsprechenden Betrag gemäß § 302 Abs. 1 AktG sogleich zurückgewähren müsste (§ 242 BGB). Deck[e] oder übersteig[e] dagegen […] der sonstige Ertrag der Organgesellschaft die auf sie entfallenden Steuern, so könnte der Organträger entweder – bei Fehlen einer Ausgleichspflicht gemäß § 426 BGB – die Abführung des gesamten Gewinns vor Steuern fordern und daraus seine durch die Organgesellschaft verursachte Steuerbelastung decken oder anderenfalls die Steuerbelastung gesondert auf die Organgesellschaft umlegen und die Abführung des danach verbleibenden Gewinns verlangen.“206 Dementsprechend könne der Organträger auch hier nicht mehr als den gesamten Gewinn vor Steuern beanspruchen.207 Alledem liegt die zutreffende Erwägung des Bundesgerichtshofes zugrunde, dass die wirtschaftlich von der Organgesellschaft verursachte, jedoch vom Organträger geschuldete Steuer in der Gewinnabführung enthalten und damit jedweder Regressanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft abgegolten ist.208 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Durch die Voraussetzung tatsächlicher Gewinnabführung bleibt die Organschaft im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht – anders als im Umsatzsteuerrecht – nicht nur Fiktion.209 Dem Organträger wird das Ergebnis der Organgesellschaft einerseits steuerrechtlich zugerechnet. Andererseits regelt das Steuerrecht aber auch, dass der Organträger den Gewinn bzw. den Verlust der Organgesellschaft – freilich in Form des Handelsbilanzgewinns, mithin nicht in exakter Höhe – tatsächlich erhält bzw. trägt. Anders als im System der Einheitstheorie zahlt der Organträger folglich keine Steuer für ein Besteuerungssubstrat, das die

Zum Ganzen bereits oben: B. III. 2. e) aa) (3) und D. II. 2. BGH, Urteil vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 f. 205 Wie folgt: BGH, Urteil vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 (176). 206 BGH, Urteil vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 (176). 207 BGH, Urteil vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 (176). 208 So auch die einhellige Meinung. Vgl. etwa: Thomas Rödder / Stefan Simon, DB 2002, 496 (497); Andreas Herlinghaus, GmbHR 2002, 989 (995). Mit Bezugnahme auf besagte Entscheidung des BFH auch: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 316 m.w. N. Vgl. auch: Manfred Günkel / Thomas Wagner, Ubg 2010, 603 (605 ff.), die darüber hinaus andenken, wie zu verfahren wäre, wenn auf den Gewinnabführungsvertrag verzichtet würde. 209 Dazu und zum Folgenden bereits oben: E. I. 4. d). 203 204

II. § 73 AO, Fremdkörper im ertragsteuerrechtlichen Organkreis

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Organgesellschaft in den Händen hält. Nur in diesem Falle bestünde jedoch eine interne Ausgleichspflicht. Demzufolge kann in einem Organkreis, für dessen Begründung ein Gewinnabführungsvertrag tatbestandliche Voraussetzung ist, ein Regressanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft gemäß § 426 BGB nicht bestehen.210 Kommt dem Organträger bereits der gesamte Gewinn der Organgesellschaft zu, dann bleibt – so auch der Bundesgerichtshof in vorgenannter Entscheidung211 – für einen Regress hinsichtlich desjenigen Teiles der Steuerschuld, der auf die von der Organgesellschaft verursachten Gewinnanteile entfällt, kein Raum. Umgekehrt lässt sich hieraus schlussfolgern, dass die Organgesellschaft im Falle einer Inanspruchnahme nach § 73 AO die volle Haftungsschuld im Regresswege vom Organträger verlangen kann, ganz gleich, wie hoch ihr Verursachungsbeitrag zur Gesamtsteuerschuld ausgefallen ist. Das ist auch in Anbetracht der Belastungswirkungen folgerichtig, denn nur die finale Belastung des Organträgers kann aufgrund der vorangegangenen Gewinnabführung leistungsfähigkeitsgerecht sein, nicht die weitergehende Belastung der Organgesellschaft, die sämtliche erwirtschafteten Erträge abgeführt hat. Stellt sich aber die Frage des Innenausgleichs zwischen Organträger und Organgesellschaft im Falle einer Inanspruchnahme des Organträgers (also aufgrund der Subsidiarität der Haftung gemäß § 219 S. 1 AO im Regelfall) im Ertragsteuerrecht nicht, dann kommt der Verbindung zwischen der Haftung der Organgesellschaft nach § 73 AO mit der Gesamtschuldnerschaft von Organträger und Organgesellschaft gemäß § 44 Abs. 1 AO, § 426 BGB nicht die zentrale Bedeutung zu, wie dies im System der Einheitstheorie der Fall ist. Steuerumlagen sind im Organkreis der Zurechnungstheorie grundsätzlich nicht erforderlich, da bereits der Steuerzugriff gegenüber dem Organträger „im Außenverhältnis“ leistungsfähigkeitsgerecht erfolgt.212 Erst eine zusätzliche Belastung der Organgesellschaft aufgrund § 73 AO, deren Rechtfertigung noch zu klären sein wird, würde ein Bedürfnis nach einem Ausgleich unter den verbundenen Rechtsträgern nach den Regeln des Gesamtschuldnerausgleichs hervorrufen. All das zeigt, dass die verfahrensrechtlichen Erfordernisse im System der Einheitstheorie andere sind als im System der Zurechnungstheorie. Während der Haftungsnorm des § 73 AO bei der normativen Umsetzung eines einheitstheoretisch konzipierten Organkreises eine tragende Funktion zuwächst,213 ist eine solche im System der Zurechnungstheorie nicht erkennbar. Insbesondere können die Erwä-

Thomas Rödder / Stefan Simon, DB 2002, 496 (497). BGH, Urteil vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 f. 212 Dazu oben: E. I. 4. d). 213 Vgl. oben: B. III. 2. e) aa). Außerdem Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 315 ff., der bezüglich seines Vorschlages zur Novellierung der körperschaftsteuerlichen Organschaft nach dem Konzept der Einheitstheorie gleichsam das Erfordernis des organkreisinternen Ausgleichs zwischen den Unternehmungen diskutiert und sich bei seiner Lösung ebenfalls der Regelungen zur Gesamtschuld bedient. 210 211

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

gungen, die § 73 AO im Organkreis der Einheitstheorie funktionell erklärbar machen, nicht auf die Zurechnungstheorie übertragen werden. Der voranstehende Vergleich verdeutlicht dies und zeigt, dass ein gleichlautendes verfahrensrechtliches Bedürfnis nach einer Haftungsnorm wie dem § 73 AO im System der Zurechnungstheorie nicht besteht. 2. Ist die Inanspruchnahme der Organgesellschaft im Organkreis der Zurechnungstheorie aufgrund des „Verursachungsprinzips“ gerechtfertigt? Im System der Einheitstheorie rechtfertigt sich die Inanspruchnahme der Organgesellschaft gemäß § 73 AO aufgrund deren (Mit-)Verursachung der gemeinsam mit dem Organträger und möglicher Organschwester- oder -enkelgesellschaften, usw. erwirtschafteten Gesamtsteuerschuld.214 Bei genauer Betrachtung setzt sich die Rechtfertigungsüberlegung also aus zwei Komponenten zusammen; einerseits das gemeinsame Wirtschaften aller organkreisangehörigen Rechtsträger im Verbund, andererseits der hieran anknüpfende Gedanke der Mitverursachung. Bereits bezüglich Ersterem, dem gemeinsamen Wirtschaften, bestehen im System der Zurechnungstheorie erhebliche Zweifel. Will man annehmen, dass die organschaftlich verbundenen Unternehmen „gemeinsam“, das heißt unter wechselseitigem Zusammenwirken auf ein einheitliches Ziel gerichtet Wirtschaften, dann wird man hierfür als zentrale Voraussetzung fordern müssen, dass unternehmerische Koordinierungs- und Strukturierungsmaßnahmen innerhalb des Organkreises besteuerungsneutral getroffen werden können.215 Das Steuerrecht kann nur dann von einem zielgerichteten und in wechselseitigem Zusammenwirken erfolgenden Wirtschaften im Organkreis ausgehen, wenn es ein solches auch ermöglicht und nicht diese oder jene unternehmerische Entscheidung durch den Eintritt oder Nichteintritt von steuerlichen Belastungswirkungen determiniert.216 Die Einheitstheorie entDazu ausführlich oben: B. III. 2. e) bb). Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Zwischengewinneliminierung insbesondere: Harold Rasch, Gutachten für den 49. Deutschen Juristentag: Reichen die Vorschriften des Steuerrechts – unter Berücksichtigung des Gesellschaftsrechts – aus, um Vermögensbewegungen zwischen verbundenen Unternehmen vollständig und befriedigend zu regeln?, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I (Gutachten), G 39 f., 43, 45. Vgl. weiterhin: Herbert Krebühl, FR 2009, 1042 (1042 f.), der die Zwischengewinneliminierung als zwingenden Ausfluss der wirtschaftlichen Einheitsbetrachtung des Konzerns ansieht. 216 Ähnlich: Harald Weber, JZ 1972, 482 (487), der auf das Gutachten von Rasch zum 49. Deutschen Juristentag Bezug nimmt, in dem dieser nachdrücklich die Bedeutung der Zwischengewinneliminierung für eine umfassende Vereinheitlichung der verbundenen Unternehmen betont und angesichts dessen festellt: „Wenn Rasch fordert, der Konzernzugehörigkeit bei der Gewinnermittlung Rechnung zu tragen, so kommt man nicht umhin, diese Forderung umfassend anzuwenden. Auch die Gläubiger der Tochtergesellschaft, die Gesellschafter der Muttergesellschaft und der Staat als Steuergläubiger könnten sich darauf berufen.“ [Hervorhebungen in kursiver Schrift wurden übernommen.] 214 215

II. § 73 AO, Fremdkörper im ertragsteuerrechtlichen Organkreis

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spricht diesen Forderungen, denn sie erlaubt es dem Unternehmer, Wirtschaftsgüter – wie im „echten“ Einheitsunternehmen – zu Buchwerten auf die rechtlich selbständigen Betriebsstätten des Organträgers zu übertragen.217 Funktionsverlagerungen und ähnliche unternehmerische Entscheidungen können dadurch frei von steuerlichen Überlegungen getroffen werden.218 Konträr hierzu geht die Zurechnungstheorie und mit ihr das geltende Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht grundsätzlich von der Selbständigkeit der organkreisbeteiligten Rechtsträger aus und behandelt diese in der Frage der Einkommensermittlung wie fremde Dritte.219 Daraus folgt, dass organkreisinterne Geschäfte steuerlich relevant bleiben, insbesondere zur Aufdeckung von stillen Reserven führen. Dass dies ein Hemmnis für unternehmerische Entscheidungen in dem genannten Sinne darstellt, obendrein einem zielgerichteten Wirtschaften des Organkreises im Ganzen und der wirtschaftlichen Einheit des Organkreises entgegensteht, ist unbestritten und wird vielfach kritisiert.220 Ein gemeinschaftliches Wirtschaften im Organkreis der Zurechnungstheorie ist damit mangels Zwischengewinneliminierung, die Konsequenz völliger Vereinheitlichung der Unternehmungen wäre, nur bedingt möglich. Weiterhin ist zu fragen, ob sich der Gedanke der (Mit-)Verursachung, wie er der Inanspruchnahme der Organgesellschaft im Organkreis der Einheitstheorie zugrunde liegt, auf eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft im Organkreis der Zurechnungstheorie auf der Grundlage des § 73 AO übertragen lässt. Dies sei anhand des Zusammenhanges zwischen Steuerverursachung, Steigerung der Leistungsfähigkeit und Steuerschuldnerschaft, wie er für das Ertragsteuerrecht typisch ist, erläutert. Im Regelfall gehen Steuerverursachung und Steigerung der individuellen Leistungsfähigkeit gemeinsam einher. Wer Einkommen erwirtschaftet, also Besteuerungssubstrat verursacht, steigert seine individuelle Leistungsfähigkeit. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit rechtfertigt wiederum die Inanspruchnahme des Steuerverursachers.221 Folgerichtig ist der Steuerverursacher regelmäßig Steuerschuldner. 217 Wie folgt: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 27; vgl. auch: Harald Weber, JZ 1972, 482 (486) der die Zwischengewinneliminierung als typisches Merkmal der Einheitstheorie hervorhebt und hieran zugleich die Einheitstheorie von der Zurechnungstheorie abgrenzt. So auch: BFH, Urteil vom 26.8.1967 – I 138 / 65 –, BStBl. II 1967, 733 (733 f.). 218 Dies als einen Vorzug der Einheitstheorie hervorhebend: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 27. 219 Dazu und zum Folgenden bereits oben: E. I. 4. a). 220 Umfassend hierzu: Harold Rasch, Gutachten für den 49. Deutschen Juristentag: Reichen die Vorschriften des Steuerrechts – unter Berücksichtigung des Gesellschaftsrechts – aus, um Vermögensbewegungen zwischen verbundenen Unternehmen vollständig und befriedigend zu regeln?, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I (Gutachten), München 1972, G 39 f., 43, 45; hierauf Bezug nehmend und konkretisierend: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (143 f.); weiter etwa: Carl-Heinz Witt, FR 2009, 1045 (1046 f.). 221 Zum Leistungsfähigkeitsprinzip als alternativlosem „Fundamentalprinzip sachgerechter Besteuerung“: Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3, Rz. 40 ff., insbesondere Rz. 41. Weitergehend: Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 479 ff.

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

Die Inanspruchnahme der Rechtsträger im Organkreis der Einheitstheorie entspricht dieser Prinzipienkette, da lediglich der Vergleichsmaßstab durch die Anerkennung der Rechtsträger als wirtschaftlich einheitlicher Verbund modifiziert wird. Beide Rechtsträger sind potentielle Verursacher des Gesamtbesteuerungssubstrats. Durch gemeinsames Wirtschaften steigern sie ihre Leistungsfähigkeit, die aufgrund der Einheitsbetrachtung als „Verbundleistungsfähigkeit“ erfasst wird. Die steuerrechtliche Vereinheitlichung der Rechtsträger rechtfertigt schließlich ihre gesamtschuldnerische Einstandspflicht. Damit zeigt sich zugleich, dass die Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft im Organkreis der Einheitstheorie auf den gleichen Erwägungen beruht wie die Inanspruchnahme des Organträgers als Steuerschuldner.222 Anders ist dies bei der Zurechnungstheorie, die die aufgezeigte Prinzipienkette aus Steuerverursachung, Steigerung der Leistungsfähigkeit und Steuerschuldnerschaft durchbricht. Grund hierfür ist die steuerliche Anerkennung der Gewinnabführung. Wie Wöhe zu Recht erklärt, wird dadurch „eine Ausnahme von dem Grundgedanken des Steuerrechts [geschaffen], dass jede natürliche und juristische Person ihr Einkommen selbst versteuern muss, das persönliche Einkommen also nicht einer anderen Person zur Besteuerung zugewiesen wird“223. Die Besonderheit der ertragsteuerlichen Organschaft liegt also darin, dass Besteuerungssubstrat von einem Rechtsträger auf den anderen Rechtsträger transferiert und anschließend von diesem „als eigenes“ versteuert wird. Dadurch entsteht die eigentümliche Situation, dass die Verknüpfung zwischen wirtschaftlicher Verursachung des Besteuerungssubstrats und Steigerung oder Minderung der Leistungsfähigkeit aufgebrochen wird. Namentlich ist zwar die Organgesellschaft Verursacher des steuerpflichtigen Einkommens. Durch die Gewinnabführung entledigt sie sich jedoch – noch vor der Versteuerung – ihrer steuerlichen Leistungsfähigkeit. Diese geht auf den Organträger über, in dessen Person die Gesamtleistungsfähigkeit des Organkreises kumuliert. Steuerverursachung und Steigerung / Minderung der Leistungsfähigkeit fallen folglich im Organkreis der Zurechnungstheorie bezüglich des von der Organgesellschaft verursachten Besteuerungssubstrats auseinander. Gerade darin, und das hat der Gesetzgeber bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 73 AO verkannt, liegt jedoch der entscheidende Unterschied einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft im Organkreis der Einheitstheorie zu einer Inanspruchnahme im Organkreis der Zurechnungstheorie. Im Organkreis der Einheitstheorie hat die Organgesellschaft das Besteuerungssubstrat nicht nur (potentiell) mitverursacht, sie hält es stets auch (potentiell) in ihrer Hand. Das ist im Or-

222 Vgl. bereits oben: B. III. 2. e) bb) (1) unter Bezugnahme auf die gleichlautende These von Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 68. 223 Günter Wöhe, Beihefter zu DStR 7 / 1990, 1 (7). Ähnlich auch: Norbert Schneider, Stbjb 2010 / 2011, S. 327 (361 f.): „Die Organschaft bewirkt aus steuerlicher Sicht ein Auseinanderfallen formeller Steuerschuld (beim Organträger) und materieller Steuerverursachung und eine Verteilung auf zwei zivilrechtlich selbständige Subjekte.“

II. § 73 AO, Fremdkörper im ertragsteuerrechtlichen Organkreis

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gankreis der Zurechnungstheorie nicht der Fall, da der tatbestandlich geforderte Gewinnabführungsvertrag die Organgesellschaft zur vollumfänglichen Abführung des von ihr verursachten Besteuerungssubstrats verpflichtet und § 14 Abs. 1 KStG obendrein für eine Anerkennung der Organschaft fordert, dass der Vertrag tatsächlich durchgeführt wird. Träger des gesamten Besteuerungssubstrats ist deshalb einzig und allein der Organträger. Dadurch gewinnt jedoch ein Eingriff aufgrund § 73 AO im Organkreis der Zurechnungstheorie eine andere Belastungswirkung als im Organkreis der Einheitstheorie, was wiederum unmittelbar auf dessen Rechtfertigung durchschlägt. Im Organkreis der Einheitstheorie erfolgt die Inpflichtnahme der Organgesellschaft, ebenso wie die Inpflichtnahme des Organträgers, bis zur Grenze des jeweils eigenen Verursachungsbeitrages zur Gesamtsteuerschuld leistungsfähigkeitsgerecht. Die darüber hinausgehende, temporäre Mehrbelastung des Einzelnen rechtfertigt sich – vergleichbar mit der Besteuerung zusammenveranlagter Ehegatten224 – durch die Anerkennung der Rechtsträger als wirtschaftlich einheitlicher Verbund. Sie wird durch den organkreisinternen Regress korrigiert und stößt dort an ihre Grenzen, wo sie für den einzelnen Rechtsträger mangels Rückgriffs zur endgültigen Überlast – mithin zur Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips – führen würde.225 Wenn es also heißt, die Inanspruchnahme der Organgesellschaft rechtfertige sich im System der Einheitstheorie aufgrund deren Mitverursachung der Steuerschuld, so ist dem deshalb zuzustimmen, weil der typische Zusammenhang zwischen Steuerverursachung, Leistungsfähigkeit und Steuerschuldnerschaft gewahrt ist. „Rechtfertigung aufgrund Mitverursachung“ ist schlichtweg gleichbedeutend mit „leistungsfähigkeitsgerechter Inanspruchnahme“. Deshalb ist der Eingriff aufgrund § 73 AO im Endeffekt nicht Haftungs-, sondern Besteuerungszugriff. Er erfolgt leistungsfähigkeitsgerecht, wahrt also das Postulat der Belastungsgleichheit, und bedarf deshalb keiner – etwa auf dem Sicherungsprinzip stützenden – spezifischen Rechtfertigung. Bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft ist der Organträger Schuldner der gesamten Steuer, die auf das bei ihm kumulierte Besteuerungssubstrat entfällt.226 Daneben wird die Organgesellschaft – mit Ausnahme der Fälle des § 16 KStG – nicht als Steuerschuldner belangt, wenngleich dies im Körperschaftsteuerrecht aufgrund ihrer subjektiven Steuerpflicht möglich wäre. Hiervon wird jedoch zu Recht abgesehen, denn der Zugriff des Steuergläubigers im Außenverhältnis erfolgt sowohl gegenüber dem Organträger als auch gegenüber der Organgesellschaft leistungsfähigkeitsgerecht.227 Die Organgesellschaft geht wegen ihrer Ver224 Zu diesem Vergleich des Organkreises der Einheitstheorie mit der Besteuerung zusammenveranlagter Ehegatten bereits oben: B. III. 2. e) aa) (4) und für die gleichen Belastungswirkungen auch: B. III. 2. e) bb). 225 So unter: D. III. 226 Vgl. dazu und zum Folgenden bereits oben: E. I. 2. a) und b). 227 Vgl. dazu und zum Folgenden auch oben: E. I. 4. d).

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

pflichtung zur Gewinnabführung ihrer Leistungsfähigkeit verlustig, was ihrer weitergehenden Inanspruchnahme als Steuerschuldner entgegensteht. Erfolgt stattdessen eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft auf der Grundlage des § 73 AO, so bedeutet dies in gleicher Weise die Durchbrechung des Grundsatzes der Leistungsfähigkeit.228 Mehr noch: Aus dem fundamentalen Prinzip des Steuerrechts, dass der Steuerstaat am wirtschaftlichen Erfolg seiner Bürger partizipiert, ohne die Steuerquelle selbst anzutasten,229 folgt für das Ertragsteuerrecht, dass die Steuerschuld so zu bemessen ist, dass sie aus den Bruttoerträgen geleistet werden kann, die Vermögenssubstanz hingegen gewahrt bleibt.230 Zu Recht hält das Bundesverfassungsgericht selbst die Belastung der Erträge nur bis zu einer gewissen Grenze für statthaft, da „dem Steuerpflichtigen ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich als Ausdruck der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtsgüter erhalten“231 bleiben muss. Mit der Verpflichtung zur Gewinnabführung geht die Organgesellschaft im ertragsteuerlichen Organkreis jedoch ihres gesamten Bruttoertrages verlustig, wenngleich die Diskrepanz zwischen handelsbilanziellem Ergebnis und steuerlich relevantem Einkommen für gewisse Verzerrungen sorgt.232 Abgesehen davon ist die Organgesellschaft aber aufgrund der Gewinnabführung schlechterdings nicht mehr in der Lage, eine Steuer- oder Haftungsforderung aus erwirtschafteten Erträgen zu entrichten. Jedwede weitergehende Inanspruchnahme stellt deshalb zwangsläufig einen unmittelbaren Eingriff in die konsolidierte Vermögenssubstanz der Organgesellschaft dar,233 wobei freilich ihre vollumfängliche Regressmöglichkeit gegenüber dem Organträger gemäß § 426 BGB für eine Milderung des Eingriffs sorgt. Hieraus folgt: Ein zur Gewinnabführung hinzutretender Eingriff aufgrund § 73 AO durchbricht nicht nur das Leistungsfähigkeitsprinzip, indem eine gleichheitswidrige Mehrbelastung der Erträge stattfindet. Überdies tangiert eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft unmittelbar deren Vermögenssubstanz, da die Organgesellschaft von vornherein keine Erträge besitzt, aus der sie die fiskalische Forderung begleichen könnte. Zwar wird diese substanzverzehrende Belastung aufgrund der Existenz von Regressansprüchen gegen den Organträger gemildert. Gleichwohl kollidiert ein Eingriff gemäß § 73 AO – anders als im Organkreis der EinheitstheoVgl. auch: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2777). Statt vieler: Josef Isensee, Steuerstaat als Staatsform, in: FS für Ipsen, S. 409 (417 ff. und 434 f.); BVerfG, Beschluss vom 22.6.1995 – 2 BvL 37 / 91 –, BVerfGE 93, 121 (134); Michael Elicker, StuW 2002, 217 (222 mit diversen weiteren Nachweisen). 230 Ebenso im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Organgesellschaft nach § 73 AO: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2780). 231 BVerfG, Beschluss vom 22.6.1995 – 2 BvL 37 / 91 –, BVerfGE 93, 121 (137). 232 Dazu bereits oben: E. I. 4. d). 233 So auch: Michael Elicker, Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2779 ff.), die allerdings den Regressanspruch der Organgesellschaft gegen den Organträger nicht in ihre Überlegungen aufnehmen. 228 229

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rie – stets mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und daher mit dem Postulat steuerlicher Lastengleichheit des Art. 3 Abs. 1 GG. Ein derartiger Eingriff bedarf zwingend der besonderen Rechtfertigung.234 Versucht man die im System der Einheitstheorie gültige Aussage, die Inanspruchnahme aller organkreisangehörigen Rechtsträger rechtfertige sich aufgrund der gleichen Erwägung – der Mitverursachung des Besteuerungssubstrats –,235 auf die Zurechnungstheorie zu übertragen, wird die aufgezeigte Diskrepanz nochmals verdeutlicht: Im System der Zurechnungstheorie steht der Organträger für die gesamte Steuerschuld ein, weil er das gesamte Besteuerungssubstrat in der Hand hält, also im Organkreis der alleinige Träger der die Inanspruchnahme rechtfertigenden Leistungsfähigkeit ist.236 Seine Inanspruchnahme ist als Ausdruck sachgerechter Besteuerung gerechtfertigt. Die Organgesellschaft ist dagegen „leistungsfähigkeitsentleert“, weshalb ihre Inpflichtnahme nicht auf die Prinzipien sachgerechter Besteuerung zurückzuführen ist. Anders als bei einer Inanspruchnahme des Organträgers wird in ihrer Person das Leistungsfähigkeitsprinzip durchbrochen und obendrein unmittelbar in die Vermögenssubstanz eingegriffen. Als weiterer Beleg für die These differierender Belastungswirkungen des Eingriffs gemäß § 73 AO bei Einheits- und Zurechnungstheorie lässt sich die unterschiedliche Regresssituation in den Organkreisen anführen. Der Regress verläuft nämlich zwangsläufig spiegelbildlich zur überschießenden Belastung im Außenverhältnis. Im Organkreis der Einheitstheorie ist regelmäßig237 ein wechselseitiger Regress erforderlich, um eine verursachungs- und damit gleichheitsgerechte Belastung der Rechtsträger zu gewährleisten, unabhängig davon, ob der Organträger oder die Organgesellschaft von der Finanzbehörde in Anspruch genommen wird.238 Im Organkreis der Zurechnungstheorie kommt dem Regress hingegen allein bei einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft Bedeutung zu. Da der Organträger bei einer vollumfänglichen Inanspruchnahme im Außenverhältnis leistungsfähigkeitsgerecht belastet wird, bedarf es keines Rückgriffs auf die Organgesellschaft, um mögliche 234 Vgl. (beispielhaft): Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3, Rz. 128. Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 524 f., der zur Rechtfertigung einer Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips ein „Gemeinwohlanliegen von hohem Rang“ fordert. In Bezug auf die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch steuerliche Lenkungsnormen: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 208 f. Vgl. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa: BVerfG, Urteil vom 6.3.2002 – 2 BvL 17 / 99 –, BVerfGE 105, 73 (125 f.); BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008 – 1 BvL 2 / 04 –, BVerfGE 120, 1 (29); BVerfG, Urteil vom 9.12.2008 – 2 BvL 1, 2 / 07, 1, 2 / 08 –; BVerfGE 122, 210 (230 f. m.w. N.). 235 Vgl. bereits oben: B. III. 2. e) bb) (1) unter Bezugnahme auf die gleichlautende These von Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 68. 236 Dazu und zum Folgenden bereits oben: E. I. 4. d). 237 Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn ein Rechtsträger ausnahmsweise das gesamte Besteuerungssubstrat erwirtschaftet und deshalb bereits der Eingriff im Außenverhältnis leistungsfähigkeits- bzw. gleichheitsgerecht erfolgt. 238 Zur Regresssituation im umsatzsteuerlichen Organkreis, der die Einheitstheorie konsequent verfolgt, bereits oben: D II. 2.

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Überlasten auszugleichen.239 Umgekehrt muss der Organgesellschaft für jedwede Inanspruchnahme ein vollumfänglicher Rückgriffsanspruch gegen den Organträger zustehen. Nur dieser kann und soll letztlich der belastete Rechtsträger im Organkreis sein, schließlich ist auch nur er Träger des Besteuerungssubstrats und damit Träger der Leistungsfähigkeit. Insgesamt können deshalb die ursprünglich für das System der Einheitstheorie ersonnenen Erwägungen zur Rechtfertigung einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft nicht in das System der Zurechnungstheorie übertragen werden. Ein Eingriff aufgrund § 73 AO lässt sich im System der Einheitstheorie auf das Prinzip der (Mit-)Verursachung der Gesamtsteuerschuld zurückführen, da der typische Zusammenhang zwischen Steigerung / Minderung der Leistungsfähigkeit und Steuerverursachung gewahrt ist. In seiner Belastungswirkung kommt einem Eingriff auf der Grundlage des § 73 AO, selbst bei vollumfänglicher Einstandspflicht der Organgesellschaft im Außenverhältnis, im Ergebnis die Intensität des Steuerzugriffes zu. Er erfolgt leistungsfähigkeitsgerecht und bedarf, da er das Postulat steuerlicher Lastengleichheit wahrt, keiner besonderen Rechtfertigung.240 Im System der Zurechnungstheorie kommt dem Eingriff aufgrund § 73 AO dagegen eine gänzlich andere Intensität zu. Grund hierfür ist die tatbestandlich geforderte, umfassende Gewinnabführung, durch die das gesamte von der Organgesellschaft verursachte Besteuerungssubstrat an den Organträger abfließt. Deshalb bedeutet eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die Körperschaft- und Gewerbesteuerschuld des Organträgers stets einen das Leistungsfähigkeitsprinzip durchbrechenden, die Vermögenssubstanz tangierenden Eingriff,241 der nur durch die vollumfängliche Regressmöglichkeit gegenüber dem Organträger gemildert wird. Ein solcher Eingriff bedarf in jedem Fall der besonderen Rechtfertigung.242

239 Vgl. dazu die Ausführungen unter: E. II. mit ausführlicher Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 f. sowie die weitergehenden Verweise auf: Thomas Rödder / Stefan Simon, DB 2002, 496 (497); Andreas Herlinghaus, GmbHR 2002, 989 (995); Manfred Günkel / Thomas Wagner, Ubg 2010, 603 (605 ff.), die unisono einen Regressanspruch des Organträgers gegen die Organgesellschaft bei erfolgter Gewinnabführung ablehnen. 240 Instruktiv: BVerfG, Beschluss vom 22.6.1995 – 2 BvL 37 / 91 –, BVerfGE 93, 121 (134): „Der steuerliche Eingriff in die Vermögens- und Rechtssphäre des Einzelnen gewinnt seine Rechtfertigung auch und gerade aus der Gleichheit dieser Lastenzuteilung.“ So auch: BVerfG, Urteil vom 27.6.1991 – 2 BvR 1493 / 89 –, BVerfGE 84, 239 (269). 241 Michael Elicker, Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2777 f. und 2779 ff.), die allerdings den Regressanspruch der Organgesellschaft gegen den Organträger nicht in ihre Überlegungen aufnehmen. 242 Vgl. (beispielhaft): Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3, Rz. 128. Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 524 f., der zur Rechtfertigung einer Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips ein „Gemeinwohlanliegen von hohem Rang“ fordert. In Bezug auf die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch steuerliche Lenkungsnormen: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 208 f. Vgl. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa: BVerfG, Urteil vom 6.3.2002 – 2 BvL 17 / 99 –, BVerfGE 105, 73 (125 f.);

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3. Die Entstehung von Haftungslücken bei Organschaftsketten Die voranstehend aufgestellte These, § 73 AO stelle einen Fremdkörper im System der Zurechnungstheorie dar, lässt sich durch einen Blick auf die Haftungssituation im mehrstöckigen Organkreis untermauern. Ausgangspunkt der Betrachtung soll ein Unternehmensverbund sein, in dem das Mutterunternehmen mit der Tochter organschaftlich verbunden ist und letztere wiederum in organschaftlicher Beziehung mit der Enkelgesellschaft steht. Im einheitstheoretisch konzipierten umsatzsteuerlichen Organkreis wirft diese Konstellation keine Probleme auf: Die Eingliederungskriterien des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erlauben die Eingliederung der Enkelgesellschaft in das Mutterunternehmen, obwohl die Enkelgesellschaft nur mittelbar über ihre organschaftliche Verbindung zur Tochtergesellschaft in das Mutterunternehmen eingegliedert ist.243 Tochter- und Enkelgesellschaft werden damit zu unselbständigen Geschäftsabteilungen des Mutterunternehmens, das einziger Organträger des mehrstöckigen Organkreises ist. Im Hinblick auf die Haftung bedeutet das, dass Tochter- und Enkelgesellschaft als Organgesellschaften der Mutter gleichermaßen gemäß § 73 AO für die von dieser geschuldeten Umsatzsteuer einstehen.244 Das ist folgerichtig, denn die vom Organträger geschuldete Steuer ist letztlich die von allen organkreisbeteiligten Rechtsträgern gemeinsam erwirtschaftete Gesamtsteuerschuld. Ungleich problematischer stellt sich die Sachlage im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht dar. Besteht zwischen Mutter- und Tochterunternehmen sowie zwischen Tochter- und Enkelunternehmen Organschaft im Sinne der §§ 14 ff. KStG (i.V. m. § 2 Abs. 2 S. 2 GewStG), wird der handelsrechtliche Gewinn der Enkelgesellschaft zwar über die Tochtergesellschaft an das Mutterunternehmen abgeführt und das nach den steuerrechtlichen Vorschriften ermittelte Ergebnis der Enkelgesellschaft im Endeffekt von der Muttergesellschaft versteuert.245 Eine organschaftliche Verbindung besteht allerdings ausweislich des § 14 Abs. 1 S. 1 KStG nur zwischen den jeweiligen Vertragsparteien des Gewinnabführungsvertrages, also zwischen Mutterund Tochterunternehmen einerseits und zwischen Tochter- und Enkelunternehmen andererseits.246 Da zwischen Mutter- und Enkelunternehmen indes kein GewinnabBVerfG, Beschluss vom 15.1.2008 – 1 BvL 2 / 04 –, BVerfGE 120, 1 (29); BVerfG, Urteil vom 9.12.2008 – 2 BvL 1, 2 / 07, 1, 2 / 08 –; BVerfGE 122, 210 (230 f. m.w. N.). 243 Zum mehrstöckigen Organkreis im Umsatzsteuerrecht bereits oben: D. I. 3. 244 So für die gewerbesteuerliche Organschaft, bevor deren Begründung einen Gewinnabführungsvertrag zwischen Organträger und Organgesellschaft voraussetzte, und mit expliziter Bezugnahme auf die zu dieser Zeit noch identische Sachlage im Umsatzsteuerrecht: Gregor Nöcker, INF 2001, 648 (650 m.w. N.). 245 Zum mehrstöckigen Organkreis im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht bereits oben: E. I. 3. 246 Zur körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft als Zwei-Personen-Verhältnis: Bernd Erle / Rainer Heurung, in: Erle / Sauter, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 12; Klaus Brezing, ZGR 1978, 77 (89). Außerdem bereits oben: E. I. 3.

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führungsvertrag besteht, ist die Enkelgesellschaft auch nicht Organgesellschaft im Verhältnis zur Mutter. Das bedeutet, dass zwar die Tochtergesellschaft gemäß § 73 AO für die Steuerschuld des Mutterunternehmens haftbar gemacht werden kann, nicht aber die Enkelgesellschaft, schließlich ist diese nicht Organgesellschaft des Mutterunternehmens.247 Letztere haftet lediglich für die Steuerschuld „ihres“ Organträgers, also derjenigen Gesellschaft, mit der sie einen Gewinnabführungsvertrag geschlossen hat und an die sie ihre handelsrechtlichen Gewinne auch tatsächlich abführt.248 Das ist einzig und allein die Tochtergesellschaft. Diese wird zwar stets veranlagt, bei ihr fällt jedoch in der Regel keine, in den Fällen des § 16 KStG lediglich eine nach der Höhe der Ausgleichszahlungen an Minderheitsgesellschafter bemessene Steuerschuld an. Damit entsteht bei der ertragsteuerlichen Organschaft im Ergebnis die konfliktträchtige Situation, dass die Gewinne / Verluste der Enkelgesellschaft faktisch einem Unternehmen (der Mutter) zugerechnet werden und zufließen, zu dem die Enkelgesellschaft nicht in organschaftlicher Beziehung steht, was wiederum ihre Haftung für die Steuerschuld der Mutter in Frage stellt.249 Zur Bewältigung dieser Problematik werden zwei Lösungswege diskutiert. Einerseits wird vorgeschlagen, man müsse in Anbetracht des aufgezeigten Konflikts zwischen der Gewinnabführung „entlang der Kette“ und der Bipolarität des Organschaftsverhältnisses eine Haftung der Enkelgesellschaft für die Steuerschuld des Mutterunternehmens nach § 73 AO bejahen.250 Dem steht freilich der Wortlaut des § 14 Abs. 1 S. 1 KStG und damit zugleich der Wortlaut des § 73 AO, der explizit auf das Organschaftsverständnis der Einzelsteuergesetze Bezug nimmt,251 entgegen, denn die Vorschriften definieren – wie erörtert – die ertragsteuerliche Organschaft als ein Zwei-Personen-Verhältnis.252 Im Übrigen verstieße eine derartige Interpretation nicht nur gegen den Wortlaut des § 73 AO, sie würde außerdem im Körperschaftsteuerrecht zu unauflösbaren Konflikten führen. Es darf nämlich nicht übersehen werden, dass jede Organgesellschaft trotz organschaftlicher Eingliederung im Körperschaftsteuerrecht gemäß § 16 KStG eigenes Einkommen besitzen kann.253 Deshalb würde die Enkelgesellschaft bei einem solchen Verständnis gemäß § 73 247 Dazu ausführlich: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (279 ff.); im Anschluss: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775). 248 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (281); Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775). 249 Vgl. dazu: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (281); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238); vgl. weiterhin: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775). 250 Georg Güroff, in: Glanegger / Güroff, Gewerbesteuergesetz, § 2, Rz. 395. 251 Vgl. nur die Gesetzesbegründung zu § 73 AO: BT-Drucks. VI / 1982, 120. Weiterhin: Gerd L. Orlopp, StberKongrR 1977, 227 (232). 252 Vgl. dazu auch oben unter: E. I. 3. 253 Hierfür beispielhaft: Heinrich Montag, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 14, Rz. 9 und 16.

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AO sowohl für die Steuerschuld ihres „wahren“ Organträgers, der Tochtergesellschaft, haften, als auch – entsprechend der vorgeschlagenen extensiven Auslegung – für die Steuerschuld der Muttergesellschaft. Der Gedanke, § 73 AO eine Haftung für zwei verschiedene Steuerschulden zu entnehmen, kann jedoch ebenso wenig überzeugen, wie die Überlegung, aufgrund der Haftung der Enkelgesellschaft für die Steuerschuld der Mutter von einer Haftung der Enkelgesellschaft für die Steuerschuld der Tochter – also ihres „wahren“ Organträgers – abzusehen. Schließlich entspricht gerade letztere Haftungskonstellation dem Wortlaut des § 73 AO, weshalb diese Variante nicht durch die vom Wortlaut des § 73 AO nicht gedeckte Haftung der Enkelgesellschaft für die Steuerschuld der Muttergesellschaft verdrängt werden kann. Eine andere Auffassung will die Rechtsfolge des § 73 AO dahingehend erweitert wissen, dass die Organgesellschaft neben der Steuerschuld auch für die Haftungsschuld des Organträgers einzustehen habe.254 Im mehrstöckigen Organkreis würde das bedeuten, dass die Enkelgesellschaft für die Haftungsschuld der Tochtergesellschaft haftet, die ja ihrerseits gemäß § 73 AO für die Steuerschuld des Mutterunternehmens haftet. Insofern könnte, so der Gedanke, in Kongruenz zur „Organschaftskette nach oben“ eine „Haftungskette nach unten“ begründet werden, aufgrund derer die Enkelgesellschaft im Ergebnis für die Steuerschuld des Mutterunternehmens einzustehen hätte. Auch diese Argumentation muss jedoch in Anbetracht des eindeutigen Wortlauts des § 73 AO bedenklich stimmen. So haftet die Organgesellschaft ausweislich des § 73 S. 1 AO lediglich für „Steuern“ und gemäß § 73 S. 2 AO für die den Steuern gleich stehenden „Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen“. Dabei besteht hinsichtlich des Steuerbegriffs des Satzes 1 Einigkeit, dass dieser gleichlautend mit demjenigen des § 3 Abs. 1 AO zu verstehen ist.255 Folgerichtig lehnte der Bundesfinanzhof eine Haftung der Organgesellschaft für Nachzahlungszinsen – selbst in Ansehung des § 239 Abs. 1 S. 1 AO – unter Berufung auf den eindeutigen Wortlaut der Haftungsnorm ab.256 Gleiches muss für eine Haftung für Haftungsschulden gelten.257 Da der Gesetzgeber bewusst zwischen Steuer-

254 Eine solche Haftung für die Haftungsschuld wird etwa im Rahmen des § 69 AO anerkannt. So sei es durchaus möglich, dass der Vertreter für etwaige Haftungsschulden (z. B. aufgrund § 42d EStG) haftet. Es ist allerdings zu beachten, dass § 69 AO – anders als § 73 AO – den Haftungsumfang auf Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erstreckt. Vgl. dazu etwa: Jens Intemann, in: Pahlke / Koenig, Abgabenordnung, § 69, Rz. 123. Der Lösungsvorschlag wird diskutiert von: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (279 f.); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238) und Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775). 255 BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 (3 f.); mit Bezugnahme auf den Steuerbegriff des § 3 Abs. 1 AO auch: Gregor Nöcker, INF 2001, 648 (650); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238); Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775). Vgl. außerdem: Matthias Loose, in: Tipke / Kruse, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 73 AO, Rz. 7 unter Bezugnahme auf § 70 AO, Rz. 5. 256 BFH, Urteil vom 5.10.2004 – VII R 76 / 03 –, BStBl. II 2006, 3 (3 ff.).

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

und Haftungsschuld unterscheidet, hätte es neben der Anordnung der Haftung für die fremde Steuerschuld der expliziten Erweiterung des § 73 AO um die Anordnung der Haftung für Haftungsschulden bedurft. Eine solch detaillierte Regelung der Rechtsfolgen ist schließlich nicht nur Selbstzweck. Gerade die eingriffsintensive Abgabenerhebung ist in besonderem Maße an die rechtsstaatlichen Postulate der Tatbestandsmäßigkeit und Normbestimmtheit gebunden.258 In diesem Sinne präzisiert das Bundesverfassungsgericht diese Grundsätze dahingehend, dass der Gesetzgeber die wesentlichen Bestimmungen über die Steuer oder Abgabe mit hinreichender Genauigkeit treffen müsse.259 Dass hierzu jedenfalls die Höhe der Abgabe, in Haftungsfragen also der Haftungsumfang, gehört, hebt das Bundesverfassungsgericht in mittlerweile ständiger Rechtsprechung ausdrücklich hervor: Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im Bereich des Abgabenwesens fordere, dass abgabenrechtliche Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Zahllast vorausberechnen kann.260 Bezogen auf die Frage des Haftungsumfanges des § 73 AO muss dies jedenfalls bedeuten, dass für den potentiell Haftenden ersichtlich sein muss, für welche Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 37 Abs. 1 AO er tatsächlich einzustehen hat. Geht nun eine Haftung für die Haftungsschuld aus § 73 AO nicht explizit hervor, verstieße es ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen das Postulat der Rechtsstaatlichkeit und dessen Ausprägungen der Tatbestandsmäßigkeit und der Normbestimmtheit, würde man eine solche Erweiterung des Haftungsumfanges entgegen dem Wortlaut der Vorschrift bejahen.261 Dementsprechend bleibt festzuhalten, dass in den Konstellationen ertragsteuerlicher Organschaftsketten im mehrstöckigen Unternehmensverbund ein Haftungsde257 Ebenso und wie folgt: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238); Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (279 f.). 258 Nachdrücklich etwa (statt vieler): Reinhard Mußgnug, JZ 1991, 993 (999): „Die Steuergesetze müssen definitiv festlegen, wer steuerpflichtig ist, was der Steuerpflicht unterliegt und in welcher Höhe die Steuern geschuldet werden.“ 259 Vgl. nur: BVerfG, Beschluss vom 14.3.1967 – 1 BvR 334 / 61 –, BVerfGE 21, 209 (215). 260 Für das gesamte Abgabenrecht allgemein: BVerfG, Beschluss vom 28.2.1973 – 2 BvL 19 / 70 –, BVerfGE 34, 348 (365); speziell auf die Steuer bezogen: BVerfG, Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvR 571 / 60 –, BVerfGE 19, 253 (267); BVerfG, Beschluss vom 12.10.1978 – 2 BvR 154 / 74 –, BVerfGE 49, 343 (362); BVerfG, Beschluss vom 23.10.1986 – 2 BvL 7, 8 / 84 –, BVerfGE 73, 388 (400); einschränkend: BVerfG, Urteil vom 17.7.2003 – 2 BvL 1, 4, 6, 16, 18 / 99, 1 / 01 –, BVerfGE 108, 184 (235), wo es heißt, der Abgabepflichtige müsse die Zahllast „in gewissem Umfang“ vorausberechnen können. 261 In Ansehung des eindeutigen Wortlauts des § 73 AO ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (279 f.); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238); Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775); Gregor Nöcker, INF 2001, 648 (650).

II. § 73 AO, Fremdkörper im ertragsteuerrechtlichen Organkreis

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fizit entsteht, das ohne Zutun des Gesetzgebers unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Grundsätze nicht zu schließen ist.262 Die aufgestellte These, § 73 AO sei ein Fremdkörper im System der Zurechnungstheorie, wird durch diesen Befund indes bestätigt. Während § 73 AO nämlich im einheitstheoretisch konzipierten mehrgliedrigen Organkreis Platz greift, verursacht die Norm im System der Zurechnungstheorie Dissonanzen in Form besagter Haftungslücken.

4. Zwischenfazit Was angesichts der historischen Zusammenhänge vermutet wurde, hat die voranstehende Prüfung bestätigt: § 73 AO ist Teil der normativen Umsetzung der Einheitstheorie. In diesem System ist die Vorschrift funktionell erklärbar und ihr Normbefehl verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Anders ist dies im System der Zurechnungstheorie, in dem nicht nur die verfahrensrechtlichen Mechanismen um die Haftungsvorschrift nicht greifen. Ebenfalls kann die Inanspruchnahme der Organgesellschaft nicht mit den hergebrachten Erwägungen, die im System der Einheitstheorie überzeugen, gerechtfertigt werden. Obendrein zeigt sich die Systemwidrigkeit des § 73 AO im mehrstöckigen ertragsteuerlichen Organkreis. Dort führt die Vorschrift zu einem Haftungsdefizit, das aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 73 AO im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen nicht zu beheben ist. Wie es dazu kommen konnte, dass § 73 AO heute in einem organschaftlichen System zur Anwendung kommt, in dem die Vorschrift nicht Platz greift, zeigen die Entwicklungen des Organschaftsrechts.263 Obwohl die Haftungsnorm von jeher in unmittelbarer Interdependenz zum materiellen Organschaftsrecht steht, erfolgten Neuerungen auf dem Gebiet des materiellen Rechts, selbst wenn sie von konzeptioneller Bedeutung waren, zu keiner Zeit in Ansehung des § 73 AO bzw. des § 114 RAO. Umgekehrt wurde bei der Erweiterung des Anwendungsbereichs der Haftungsnorm deren Bezug zu den materiellen Organschaftsregeln nicht ausreichend reflektiert. Ein Produkt dieser Fehlentwicklungen ist sicherlich das schier unüberschaubare, diffuse Meinungsspektrum zur Frage der Angemessenheit des Haftungsumfangs, das sich seither gebildet hat. Da die vormals von Hannes angedachten Prinzipien, das „ökonomische Prinzip“ und das „Verursachungsprinzip“,264 bei körperschaft- und gewerbesteuerlicher Or262 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (279 ff., insbes. 281); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (238). Vgl. auch: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2775), nach deren Ansicht diese Haftungskonstellation jedoch Sinn ergibt, da es für die Enkel- oder gar Urenkelgesellschaft unmöglich zu bewerten sei, inwieweit die von ihr abgeführten Mittel auf Ebene der Mutter zu Steuerzahlungen verwendet werden. 263 Vgl. Teil C. 264 Hans-Joachim Hannes, Haftung und Gesamtschuld im Steuerrecht, S. 67 ff. Außerdem bereits ausführlich zu dessen Auffasung und den Prinzipien unter: B. III. 2. c) und e).

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

ganschaft keine Geltung beanspruchen, bleibt die Frage offen, ob und in welcher Höhe eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft für Körperschaft- und Gewerbesteuerschulden des Organträgers gerechtfertigt werden kann. Aufgrund der festgestellten Eingriffsintensität einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft, namentlich der Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips und der Belastung der konsolidierten Vermögenssubstanz, bedarf es hierzu besonderer rechtfertigender Gründe.265 Diesbezüglich ist an das von Sonnenschein bereits hinsichtlich § 114 RAO angeführte „Sicherungsprinzip“ zu denken.266 Dieses wurde zwar im einheitstheoretisch konzipierten Organkreis abgelehnt, denn dort kollidierte das Sicherungsprinzip, das Ausdruck klassischer steuerlicher Haftungstatbestände ist, mit der Erkenntnis, dass § 73 AO seinem Wesen nach Besteuerungstatbestand ist; die Organgesellschaft also entgegen dem Normbefehl des § 73 AO als Steuerschuldnerin, nicht als Haftende einsteht.267 Da die Rechtfertigung der Inanspruchnahme gemäß § 73 AO aufgrund des Verursachungsprinzips indes im ertragsteuerlichen Organkreis abzulehnen, insbesondere die Inanspruchnahme der Organgesellschaft nicht als Ausdruck sachgerechter Besteuerung zu rechtfertigen ist, schließt der Verursachungsgedanke hier das Sicherungsprinzip nicht aus. Es stellt sich deshalb die von Sonnenschein diskutierte Frage, ob und in welcher Höhe eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft auf das Sicherungsprinzip gestützt werden kann. Eine solche Rechtfertigung bedeutet freilich, § 73 AO entgegen seiner ursprünglichen Zwecksetzung als klassische Haftungsnorm zu interpretieren, wissend, dass der Gesetzgeber bei Erweiterung des Anwendungsbereichs der Haftungsnorm diese Überlegung nicht zugrunde gelegt hat. Diktion und Normbefehl des § 73 AO lassen diese Interpretation freilich zu, schließlich ist die Vorschrift wie ein klassischer (Dritt-)Haftungstatbestand konzipiert.

III. Der Versuch der Rechtfertigung des § 73 AO als klassische Haftungsnorm: „Das Sicherungsprinzip“ Um die Inanspruchnahme der Organgesellschaft auf der Grundlage des § 73 AO als klassischen Haftungseingriff verstehen und rechtfertigen zu können, ist einer-

265 Vgl. (beispielhaft): Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3, Rz. 128. Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 524 f., der zur Rechtfertigung einer Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips ein „Gemeinwohlanliegen von hohem Rang“ fordert. In Bezug auf die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch steuerliche Lenkungsnormen: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 208 f. Vgl. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa: BVerfG, Urteil vom 6.3.2002 – 2 BvL 17 / 99 –, BVerfGE 105, 73 (125 f.); BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008 – 1 BvL 2 / 04 –, BVerfGE 120, 1 (29); BVerfG, Urteil vom 9.12.2008 – 2 BvL 1, 2 / 07, 1, 2 / 08 –; BVerfGE 122, 210 (230 f. m.w. N.). 266 Vgl. Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 470 f. und S. 481. 267 Dazu oben: B. III. 2. e) cc).

III. Rechtfertigung des § 73 AO als klassische Haftungsnorm?

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seits zu fordern, dass die Belastungswirkung des Eingriffs im körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organkreis der typischen Belastungswirkung eines Haftungszugriffs gleichkommt. Der rechtfertigungsbedürftige Eingriff muss also in seiner Intensität dem Haftungseingriff entsprechen. Andererseits muss die den Eingriff rechtfertigende Kraft aus dem Sicherungsprinzip erwachsen. Es ist dementsprechend zu fordern, dass durch die spezifische Situation der ertragsteuerlichen Organschaft, deren Bestehen als einzige Tatbestandsvoraussetzung allein haftungsbegründend wirken kann, ein besonderes Sicherungsbedürfnis des Staates entsteht, das den Eingriff gegenüber der Organgesellschaft legitimiert.

1. Vergleichbarkeit der Belastungswirkung Für die Intensität des klassischen Haftungseingriffs ist es charakteristisch, dass die Haftungsschuld als originäre monetäre Verpflichtung zusätzlich zur steuerlichen Verpflichtung der Dritthaftenden hinzutritt und dadurch unmittelbar das Leistungsfähigkeitsprinzip durchbricht.268 Die Haftungsschuld ist für den Haftenden „Sonderlast“, die als solche der besonderen Rechtfertigung, bei Haftungstatbeständen namentlich aufgrund eines spezifischen Sicherungsbedürfnisses des Steuergläubigers, bedarf.269 Die Eingriffsintensität wird durch die Regressmöglichkeit des Haftenden gegen den Steuerschuldner aufgrund der §§ 426 Abs. 1 und Abs. 2 BGB gemildert.270 Dabei ist der Steuerschuldner dem Haftenden im Regresswege regelmäßig vollumfänglich verpflichtet, denn grundsätzlich soll allein der Steuerschuldner belastet sein.271 Auch eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft nach § 73 AO bedeutet für diese aufgrund der vorangegangenen Gewinnabführung eine Mehrbelastung, die das Leistungsfähigkeitsprinzip durchbricht und unmittelbar die konsolidierte Vermögenssubstanz der Organgesellschaft beeinträchtigt.272 In Konsequenz dieser Belastungswirkungen verläuft der Regress im körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organkreis ebenso wie in der typischen Haftungssituation: Dem Organträger steht regelmäßig kein Ausgleichsanspruch gegen die Organgesellschaft zu.273 Der vollumfängliche Steuerzugriff belastet ihn wegen der tatsächlich erhaltenen GeAusführlich zu den Belastungswirkungen des klassischen Haftungseingriffs unter: A. II. Dazu oben: A. II. 270 Dazu bereits oben: A. IV. 271 Dazu bereits oben: A. IV. Vgl. außerdem: Heide Boeker, in: Hübschmann / Hepp / Spitaler, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 44 AO, Rz. 62; Karl Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, S. 12 m.w. N. 272 So bereits oben unter: E. II. 2. 273 Vgl. BGH, Urteil vom 1.12.2003 – II ZR 202 / 01 –, BB 2004, 175 (176). Ebenso die einhellige Meinung in der Literatur. Vgl. (beispielhaft): Thomas Rödder / Stefan Simon, DB 2002, 496 (497); Andreas Herlinghaus, GmbHR 2002, 989 (995). Vgl. auch: Manfred Günkel / Thomas Wagner, Ubg 2010, 603 (605 ff.). 268 269

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

winne bzw. ausgeglichenen Verluste der Organgesellschaft angemessen, sodass es keines Ausgleichs bedarf.274 Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass der Organgesellschaft bei einer Inanspruchnahme nach § 73 AO ein vollumfänglicher Regressanspruch gegen den Organträger zustehen muss. Insofern mäßigt der Regress die Eingriffsintensität des Zugriffs aufgrund § 73 AO. Auch dies entspricht der typischen Haftungssituation. Demzufolge stimmen sowohl die Belastungswirkung im Außenverhältnis als auch die Regresssituation im körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organkreis mit dem Haftungsrecht überein. Obwohl § 73 AO – entsprechend dem vorangegangenen Verständnis des § 114 RAO – seinem Wesen nach keine klassische Haftungsnorm sein sollte, jedenfalls im Organkreis der Einheitstheorie nicht wie eine solche wirkt, kommt der Inanspruchnahme der Organgesellschaft aufgrund der Vorschrift im körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organkreis die gleiche Eingriffsintensität wie einem klassischen Haftungseingriff zu.

2. Das Sicherheitsbedürfnis des Steuergläubigers bei körperschaftund gewerbesteuerrechtlicher Organschaft Eine derart eingriffsintensive, da das Leistungsfähigkeitsprinzip durchbrechende Inanspruchnahme der Organgesellschaft bedarf der besonderen Rechtfertigung.275 Die klassischen Haftungstatbestände verfolgen allesamt das Ziel der Sicherung der Steuerschuld; ihnen ist das von Sonnenschein in Bezug auf § 114 RAO angeführte Sicherungsprinzip immanent.276 Soll nun eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft nach § 73 AO als Haftungseingriff begriffen und gerechtfertigt werden, dann muss die den Eingriff rechtfertigende Kraft aus dem Sicherungsprinzip, also aus einem besonderen Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers heraus erwachsen. Bezüglich der Anforderungen an ein solches Sicherungsbedürfnis und damit an die Rechtfertigung des Haftungseingriffs wurde unter Präzisierung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits die folgende Formel hergeleitet:277

274 Ausführlich zur Regresssituation im körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organkreis auch bereits oben: E. II. 1. 275 Vgl. (beispielhaft): Johanna Hey, in: Tipke / Lang, Steuerrecht, § 3, Rz. 128. Klaus Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. I, S. 524 f., der zur Rechtfertigung einer Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips ein „Gemeinwohlanliegen von hohem Rang“ fordert. In Bezug auf die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch steuerliche Lenkungsnormen: Dieter Birk, Steuerrecht, Rz. 208 f. Vgl. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa: BVerfG, Urteil vom 6.3.2002 – 2 BvL 17 / 99 –, BVerfGE 105, 73 (125 f.); BVerfG, Beschluss vom 15.1.2008 – 1 BvL 2 / 04 –, BVerfGE 120, 1 (29); BVerfG, Urteil vom 9.12.2008 – 2 BvL 1, 2 / 07, 1, 2 / 08 –; BVerfGE 122, 210 (230 f. m.w. N.). 276 Dazu ausführlich oben: B. III. 2. d). 277 Ausführlich oben unter: A. II.

III. Rechtfertigung des § 73 AO als klassische Haftungsnorm?

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Zur Rechtfertigung der Haftungsinanspruchnahme bedarf es – einer vertraglich übernommenen Einstandspflicht des Haftenden, – oder eines individuell zurechenbaren, die Erfüllung der Steuerforderung unmittelbar gefährdenden Verhaltens / Unterlassens des Haftenden, – oder eines die Einbringlichkeit der Steuerforderung über das gewöhnliche Gläubigerrisiko hinaus gefährdenden Zustandes, bei dem der Haftende im Vergleich zu jedem Dritten in qualifizierter Nähebeziehung zur Steuerschuld steht.

Mangels vertraglicher Vereinbarung und tatbestandlichem Verschuldenserfordernis in § 73 AO kann allein ausschlaggebend sein, ob durch die körperschaft- und gewerbesteuerrechtliche Organschaft ein Zustand eintritt, der die Einbringlichkeit der Steuerschuld über das gewöhnliche Ausfallrisiko des Steuergläubigers hinaus gefährdet, der Steuergläubiger bei der ertragsteuerlichen Organschaft also in einer besonders schutzwürdigen, ihn potentiell benachteiligenden Situation ist. Hinzukommen muss weiterhin, dass die Organgesellschaft der Steuerschuld in zurechenbarer Weise näher steht als jeder Dritte, sodass gerade ihre weitergehende Inanspruchnahme gerechtfertigt ist. Wie erörtert, ist das Spezifikum der ertragsteuerlichen Organschaft, dass ein Rechtsträger Einkommen versteuert, das er nicht selbst verursacht hat.278 Da die Zurechnung des fremden Einkommens – wenn auch nicht exakt – durch die tatsächliche Abführung des handelsbilanziellen Gewinns gedeckt ist, kann der Organträger die fremdverursachte Steuerschuld aus den erhaltenen Zahlungen begleichen. Durch die Gewinnabführung wird er zum Träger der Leistungsfähigkeit, zum Inhaber des Besteuerungssubstrats „Einkommen“, aus dem heraus die Ertragsteuerschuld zu leisten ist. Freilich trifft den Organträger, ebenso wie jeden anderen Schuldner von Ertragsteuern, keine Verpflichtung, die Steuerschuld tatsächlich aus den Erträgen zu tilgen. Das konsolidierte Vermögen des Steuerschuldners, die Steuerquelle, kann ebenfalls zur Zahlung der Steuerschuld herangezogen werden und dient dem Steuergläubiger damit regelmäßig als „natürliche Sicherheit“ für den Fall, dass die Erträge des Steuerschuldners bereits anderweitig abgeschöpft bzw. verwendet wurden. In diesem Punkt führt die der körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft eigentümliche Ergebnis- und Steuerschuldverlagerung zu einem Bruch, dem eine potentielle Gefahr für den Steuergläubiger innewohnt. So hat das Auseinanderfallen von Steuerschuldnerschaft und Steuerverursachung zur Folge, dass das Vermögen der Organgesellschaft, aus dem heraus deren steuerpflichtige Erträge erwirtschaftet wurden, bei fehlender Inanspruchnahmemöglichkeit der Organgesellschaft nicht als „natürliche Sicherheit“ zur Verfügung steht. Mit anderen Worten: Verwendet der Organträger die von der Organgesellschaft erwirtschafteten Gewinne nicht zuvörderst zur Tilgung der Steuerschuld, so steht nur das Organträgervermögen zur Befriedigung des Steuergläubigers zur Verfügung. Auf das Vermögen der Organge-

278

Vgl. dazu ausführlich: E. II. 2.

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

sellschaft könnte der Steuergläubiger dagegen, gäbe es nicht die Möglichkeit der Inanspruchnahme nach § 73 AO, nicht zurückgreifen.279 Ihm wäre die „natürliche Sicherheit“ der Steuerquelle, aus der heraus die Organgesellschaft ihren Teil des Gesamtbesteuerungssubstrats erwirtschaftet hat, genommen. Im Vergleich zur strikten Individualbesteuerung kann dadurch die Werthaltigkeit der Steuerforderung durchaus gefährdet sein. Dem Steuergläubiger ist deshalb in der Tat ein besonderes Sicherungsbedürfnis bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft zu attestieren. Zudem steht die Organgesellschaft der Steuerschuld des Organträgers aufgrund ihres wirtschaftlichen Verursachungsbeitrages näher als jeder Dritte; insofern ist ihre weitergehende Einstandspflicht im Vergleich zu Dritten legitim. Wohl in Übereinstimmung mit diesem Befund wird die Haftung der Organgesellschaft bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft von verschiedener Seite als Ausgleich des aus der Verlagerung der Steuerschuldnerschaft von der Organgesellschaft auf den Organträger resultierenden Steuerausfallrisikos bewertet.280 In Ansehung dessen ist Lüdicke281 allerdings der Auffassung, dass sich dieses Steuerausfallrisiko allein in dem Verursachungsbeitrag der Organgesellschaft erschöpfe. Keinesfalls werde durch die Organschaft das Steuerausfallrisiko bezüglich all jener Einkommensbestandteile erhöht, die nicht auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Organgesellschaft, sondern auf die Verursachung durch andere Rechtsträger zurückzuführen sind.282 Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Ohne Zweifel kann eine Inanspruchnahme, die auf dem Sicherungsprinzip beruht, nur so weit reichen, wie ein legitimes Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers besteht. Nach vorstehender Argumentation fußt das Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers darin, dass das Vermögen der Organgesellschaft, aus dem sie Erträge erwirtschaftet, bei fehlender Haftung nicht als „natürliche Sicherheit“ für die Ertragsteuerschuld zur Verfügung steht. Dies verfängt freilich nur für den Teil der Gesamtsteuerschuld, der tatsächlich auf den wirtschaftlichen Erfolg der Organgesellschaft entfällt. Zur Beitreibung desjenigen Teiles der Gesamtsteuerschuld, der von dem Organträger verursacht wurde, stünde auch ohne die organschaftliche Verflechtung allein dessen Vermögen zur Verfügung. Das Risiko des Steuergläubigers erhöht sich hinsichtlich dieses Teiles 279 Insofern kommt im Körperschaftsteuerrecht auch eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Steuerschuldner nicht in Betracht, da diese ausdrücklich auf die Fälle des § 16 KStG beschränkt ist. 280 So übereinstimmend: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (272); Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2776 f.); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (234 m.w. N. und 236). 281 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 ff. 282 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (272).

III. Rechtfertigung des § 73 AO als klassische Haftungsnorm?

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der Gesamtsteuerschuld nicht. Demzufolge besteht diesbezüglich auch kein legitimes Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers, das eine Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft rechtfertigen könnte. Dies gilt erst recht für Steuerschulden, die dem Organträger durch organschaftliche Beziehung zu anderen Organgesellschaften zufallen. Eine über die eigene Steuerverursachung hinausgehende Belastung der Organgesellschaft kann daher unter Berufung auf das Sicherungsprinzip nicht gerechtfertigt werden. Sie würde das Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers von vornherein übersteigen und deshalb zu einer übermäßigen Belastung der Organgesellschaft führen.283 Dem kann im Falle der körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft insbesondere nicht das von den Vertretern einer vollumfänglichen Einstandspflicht der Organgesellschaft vorgebrachte Argument wirtschaftlicher Einheit des Organkreises284 entgegen gehalten werden.285 So betont der Bundesfinanzhof sowohl im Hinblick auf die körperschaftsteuerliche Organschaft als auch bezüglich der gewerbesteuerlichen Organschaft, teilweise in ausdrücklicher Abgrenzung zur Einheitstheorie, immerwährend, dass diese Organschaftskonzeptionen nicht zur Vereinheitlichung der Unternehmungen führen.286 Vielmehr blieben Organträger und Organgesellschaft selbständige Subjekte der Gewinnermittlung, die getrennt bilanzieren und ihre Erträge unabhängig voneinander ermitteln.287 Die Argumentation wirt-

283 So bereits bezüglich § 114 RAO: Jürgen Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, S. 471: „Verständlich ist die Haftungsnorm allein aus einem übersteigenden Sicherungsbedürfnis des Staates für seine Steuerforderungen. Die Regelung sollte dahin gehend abgeändert werden, daß die Organgesellschaft höchstens anteilig für die rechnerisch auf sie selbst entfallende Steuer haftet.“ Ausdrücklich auch: Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (236); hieran anschließend außerdem: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2776 f.). 284 Zum Argument wirtschaftlicher Einheit des Organkreises bereits oben: C. II. 2. a) bb). 285 Ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (270 ff.); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (237); ebenso: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2778). 286 Für die körperschaftsteuerliche Organschaft etwa: BFH, Urteil vom 25.1.1984 – I R 32 / 79 –, BStBl. II 1984, 382 (383 m.w. N.); BFH, Urteil vom 1.8.1984 – I R 99 / 80 –, BStBl. II 1985, 18 (19). Für die gewerbesteuerliche Organschaft beispielhaft: BFH, Urteil vom 22.4.1998 – I R 109 / 97 –, BStBl. II 1998, 748 (749); BFH, Urteil vom 19.11.2003 – I R 88 / 02 –, BStBl. II 2004, 751 (752); BFH, Beschluss vom 10.3.2010 – I R 41 / 09 –, BFH / NV 2010, 1366 (1368 m.w. N.). Außerdem: Siegfried Grotherr, StuW 1995, 124 (142 f.); nachdrücklich auch: Carl-Heinz Witt, Die Konzernbesteuerung, S. 23 f., der bezüglich der ertragsteuerlichen Organschaft zu dem Ergebnis kommt, dass deren Rechtsfolgen die wirtschaftliche Einheit Konzern nicht abbildeten und überdies die im Zurechnungskonzept liegende wirtschaftliche Betrachtung insgesamt unvollkommen bleibe. 287 Dazu bereits ausführlich unter: E. I. 2. a) und b). Für die körperschaftsteuerliche Organschaft etwa: BFH, Urteil vom 1.8.1984 – I R 99 / 80 –, BStBl. II 1985, 18 (19 m.w. N.). Für die gewerbesteuerliche Organschaft explizit etwa: BFH, Urteil vom 2.2.1994 – I R 10 / 93 –, BStBl. II 1994, 768 (769); BFH, Urteil vom 22.4.1998 – I R 109 / 97 –, BStBl. II 1998, 748

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

schaftlicher Einheit des Organkreises, deren Ursprung die Gesetzesbegründung zu § 73 AO ist und die ohne Zweifel von dem Verständnis des § 114 RAO und womöglich von dessen einheitstheoretischer Prägung herrührt, passt deshalb nicht zum organtheoretischen Ansatz der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft. Hinzu kommt, dass die Aufgabe der Voraussetzungen der wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung im Körperschaft- und Gewerbesteuerrecht zu einer weiteren Entflechtung der organkreisbeteiligten Unternehmungen geführt hat.288 Vor allem der Verzicht auf das Merkmal der organisatorischen Eingliederung hat die willentliche Herrschaftsmacht des Organträgers über die Organgesellschaft, die vormals Grundlage der hierarchischen Verbindung war, reduziert.289 Insofern bilden bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen der ertragsteuerlichen Organschaft seit den Reformen in den Jahren 2001 und 2002 das Bild eines Einheitsunternehmens nicht mehr ab.290 In Ansehung dessen kann letztlich auch die Argumentation, eine vollumfängliche Haftung der Organgesellschaft sei der wirtschaftlichen Vereinheitlichung der Unternehmen geschuldet, nicht überzeugen. Sie vermag eine über das dargestellte legitime Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers hinausreichende Belastung der Organgesellschaft nicht zu rechtfertigen.291

IV. Fazit: Die sachgerechte Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft Aufgrund der unterschiedlichen Organschaftsdogmatik differiert die Bewertung der sachgerechten Inanspruchnahme der Organgesellschaft bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft zu der Bewertung bei umsatzsteuerrechtlicher Organschaft. Im Ertragsteuerrecht tritt eine Inanspruchnahme gemäß § 73 AO zur Belastung der Organgesellschaft durch die Verpflichtung und Durchführung des Gewinnabführungsvertrages hinzu. Dadurch ändert sich die Belastungswirkung des Eingriffs aufgrund § 73 AO. Jede Inanspruchnahme der Organgesellschaft für die

(749); BFH, Urteil vom 19.11.2003 – I R 88 / 02 –, BStBl. II 2004, 751 (752); BFH, Beschluss vom 10.3.2010 – I R 41 / 09 –, BFH / NV 2010, 1366 (1368 m.w. N.). 288 Vgl.: Steffen Neumann, in: Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 14, Rz. 170; Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (272). 289 In gleichem Zusammenhang: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (272). 290 Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (270 ff.); Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (237); ebenso: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2778). 291 Ebenso: Jürgen Lüdicke, Die Haftung in der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft, in: FS für Herzig, S. 259 (270 ff.); dem folgend: Ralf U. Braunagel / Dominic Paschke, Ubg 2011, 233 (237); ebenso: Michael Elicker / Sebastian Hartrott, BB 2011, 2775 (2778).

IV. Fazit

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Körperschaft- und Gewerbesteuerschuld des Organträgers durchbricht das Leistungsfähigkeitsprinzip und berührt unmittelbar ihre konsolidierte Vermögenssubstanz, da die Organgesellschaft wegen der vorangegangenen Gewinnabführung keine Erträge besitzt. Die Möglichkeit, den Organträger nach erfolgter Zahlung gemäß § 426 BGB in Regress zu nehmen, mildert zwar diesen Eingriff. Gleichwohl kann er – anders als im Umsatzsteuerrecht – nicht als Maßnahme sachgerechter Besteuerung angesehen werden, sondern bedarf der besonderen Rechtfertigung. Durch die Besonderheit der körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft, der nach der leistungsfähige Steuerschuldner (Organträger) nicht Verursacher des Besteuerungssubstrats ist, entsteht für den Steuergläubiger eine Situation, die ein besonderes Sicherungsbedürfnis begründet. Könnte er die Organgesellschaft nicht als Haftende in Anspruch nehmen, stünde ihm die Steuerquelle, aus der heraus ein Teil des Gesamtertrages erwirtschaftet wurde, nicht zur Beitreibung der Steuerschuld zur Verfügung. Der Steuergläubiger ginge also der „natürlichen Sicherheit“ des konsolidierten Vermögens, das die Grundlage zur Erwirtschaftung der Erträge darstellt, durch das personelle Auseinanderfallen von Steuerverursachung und Steuerschuld verlustig. Insofern besteht bei ertragsteuerlicher Organschaft eine Situation, die die Einbringlichkeit der Steuerforderung beeinträchtigen kann. Das damit begründete spezifische Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers vermag die Inanspruchnahme der Organgesellschaft als Haftende grundsätzlich zu rechtfertigen. Hinsichtlich des Umfanges der Haftung ist allerdings zu berücksichtigen, dass dieser nur so weit reichen kann, wie ein legitimes Sicherungsbedürfnis besteht. Für denjenigen Teil der Gesamtsteuerschuld, den der Organträger verursacht hat, kann die voranstehende Argumentation keine Gültigkeit beanspruchen. Auch bei fehlender organschaftlicher Verbindung könnte der Steuergläubiger diesen Teil der Gesamtsteuerschuld nämlich einzig und allein von dem Organträger verlangen. Eine Inanspruchnahme der Organgesellschaft für von dem Organträger verursachte Steuerschulden ist deshalb nicht vom Sicherungsprinzip gedeckt. Dementsprechend ist die Inanspruchnahme der Organgesellschaft aufgrund § 73 AO für Körperschaftund Gewerbesteuerschulden des Organträgers auf den von der Organgesellschaft verursachten Teil der Gesamtsteuerschuld zu beschränken. Jede weitergehende Inanspruchnahme übersteigt das legitime Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers, kann daher nicht gerechtfertigt werden und verletzt die Organgesellschaft folglich in ihren verfassungsrechtlich verbürgten Rechten aus Art. 3 Abs. 1 GG und – weil der Eingriff unmittelbar die konsolidierte Vermögenssubstanz berührt – Art. 14 Abs. 1 GG. Diesem Ergebnis steht nicht das von den Vertretern einer vollumfänglichen Einstandspflicht der Organgesellschaft angeführte Argument der wirtschaftlichen Einheit des Organkreises entgegen. Weder der Tatbestand der körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft, der durch den Verzicht auf die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung die organschaftliche Basis willentlicher Beherr-

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E. Haftung bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft

schung teilweise aufgegeben hat, noch deren Rechtsfolgen setzen die Einheitlichkeit der organschaftlich verbundenen Unternehmen um. Ist jedoch die wirtschaftliche Einheit des Organkreises im materiellen Recht nicht umgesetzt, dann kann diese (vermeintliche) Vereinheitlichung erst recht nicht haftungsbegründend wirken, also die grundrechtsrelevante Belastung eines Eingriffs aufgrund § 73 AO rechtfertigen.

Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage: Die Inanspruchnahme der Organgesellschaft gemäß § 73 AO – sachgerechte Besteuerung des Organkreises oder Haftung im Übermaß? In Kongruenz zur dogmatischen Zweiteilung des materiellen Organschaftsrechts, in dessen Folge es kein einheitliches, steuerartübergreifendes Rechtsinstitut der Organschaft gibt, kann die Frage nach der angemessenen Inanspruchnahme der Organgesellschaft nicht steuerartübergreifend beantwortet werden. Im Falle der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft ist die Einstandspflicht der Organgesellschaft gemäß § 73 AO Ausdruck sachgerechter Besteuerung des qualifizierten Unternehmensverbundes „Organkreis“, der aus mehreren zivilrechtlich selbständigen Rechtsträgern besteht, aufgrund wirtschaftlicher Betrachtung jedoch in steuerlichen Angelegenheiten gleich einem zivil- und steuerrechtlichen Einheitsunternehmen behandelt wird. Selbst bei einer Inanspruchnahme für die gesamte Umsatzsteuerschuld des Organkreises wird die Organgesellschaft grundsätzlich nicht übermäßig belastet. Der ihr zustehende Regress gegen die anderen organkreisangehörigen Rechtsträger führt regelmäßig zur sachgerechten Aufteilung der Gesamtsteuerlast innerhalb des Organkreises, wodurch die Belastung der Organgesellschaft im Ergebnis auf ein verursachungs- und damit gleichheitsgerechtes Maß reduziert wird. Steht allerdings zu befürchten, dass ein organkreisinterner Regress nicht zu erreichen ist, muss die Behörde dies im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung berücksichtigen und in entsprechendem Umfang von einer Inanspruchnahme der Organgesellschaft absehen. Eine endgültige Belastung der Organgesellschaft mit Steuerschulden, die nicht sie, sondern andere organkreisbeteiligte Rechtsträger verursacht haben, ist selbst bei vollkommener steuerlicher Vereinheitlichung des Unternehmensverbundes auf der Grundlage wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht zu rechtfertigen. Dem stehen die verfassungsrechtlich verbürgten, individuellen Rechte der Organgesellschaft sowie etwaiger Minderheitsgesellschafter und Drittgläubiger entgegen. Die körperschaft- und gewerbesteuerrechtliche Organschaft betreffend kann die Einstandspflicht der Organgesellschaft dagegen nicht als Maßnahme sachgerechter Besteuerung des Unternehmensverbundes gerechtfertigt werden. Jedwede Inanspruchnahme der Organgesellschaft durchbricht von vornherein das Leistungsfähigkeitsprinzip, kollidiert also mit dem Postulat steuerlicher Lastengleichheit, berührt obendrein die konsolidierte Vermögenssubstanz der Organgesellschaft und bedarf deshalb der besonderen Rechtfertigung. Indes weist die körperschaft- und gewerbesteuerrechtliche Organschaft die Besonderheit auf, dass Steuerverursachung und

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Antwort auf die aufgeworfene Rechtsfrage

Steigerung / Minderung der Leistungsfähigkeit bzw. Steuerschuldnerschaft personell auseinander fallen. Das birgt für den Steuergläubiger die Gefahr, dass er zum Zwecke der Erfüllung seiner Forderung nicht auf Vermögen zugreifen kann, aus dem jedenfalls ein Teil der Steuerschuld erwirtschaftet wurde. Dies kann die Einbringlichkeit der Steuerforderung akut beeinträchtigen. Der Zustand der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft birgt für den Steuergläubiger mithin eine das gewöhnliche Ausfallrisiko übersteigende Gefahr. Dementsprechend besteht bei körperschaft- und gewerbesteuerrechtlicher Organschaft ein legitimes Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers, das die Grundlage einer Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft bildet. Umfänglich kann diese Haftung allerdings nur so weit reichen, wie das Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers besteht. Da die besondere Gefährdungslage des Steuergläubigers von vornherein nur hinsichtlich desjenigen Teiles der Gesamtsteuerschuld bestehen kann, der von der Organgesellschaft verursacht und auf den Organträger übertragen wurde, ist deren Haftungsinanspruchnahme stets auf ihren eigenen Verursachungsbeitrag zu beschränken. Jede weitergehende Inanspruchnahme ist nicht von einem besonderen Sicherungsbedürfnis des Steuergläubigers gedeckt und deshalb nicht zu rechtfertigen.

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Personen- und Sachwortverzeichnis Abhängigkeit in der Willensbildung siehe willentliche Beherrschung Abhängigkeitsvermutung, § 17 Abs. 2 AktG 124 Akquisitionshemmnis 16 allgemeine Staatsfinanzierung 26 Allphasenbruttoumsatzsteuer 47 Analogie 42, 105 Analogieschluss auf die §§ 268 ff. AO 140 Anfechtungsgesetz 111 Angestelltentheorie 40, 43, 83, 162 – Dogmatik 40 – Kritik 40 Asset Deal 16 Aufteilung der Gesamtschuld 140, 144, 146 Ausfallrisiko 24, 25, 36, 139, 140, 143, 148, 195, 196, 202 Ausgleichsfunktion des § 73 AO 114 Ausgleichsfunktion des § 426 BGB 36 Bax, Eckhard 112 Beitrag 27 Belastungsgleichheit 26, 33, 36, 54, 82, 100, 107, 114, 133, 135, 138, 143, 172, 183, 185, 186, 201 Besitzunternehmen 123 Besteuerungsgleichheit siehe Belastungsgleichheit Besteuerungssubstrat 178, 183, 185, 186, 195, 199 Bestimmtheitsgrundsatz 15, 190 Betriebsaufspaltung 123 Betriebskapitalgesellschaft 123 Betriebsstätte 46, 49, 51, 53, 54, 70, 91, 151, 158, 187 Betriebsstättenfiktion 159, 165, 177 Betriebssteuern 62, 64, 93 Braunagel, Ralf U. 16 Brodersen, Carsten 27

Bundesverfassungsgericht 27, 108, 141, 184, 190, 194 Bürgschaft 30 Drittgläubiger 100, 139, 147, 177 Drittleistungen 47, 120, 124, 126, 130, 132 Ehegattenbesteuerung 77, 136, 138, 139, 145 Eigentumsfreiheit 143 Eingliederung – finanziell 45, 46, 49, 56, 61, 91, 121, 152, 168 – mittelbar 127, 161 – organisatorisch 45, 46, 49, 56, 61, 90, 124, 152, 168 – wirtschaftlich 45, 46, 49, 56, 61, 90, 122, 152, 168 Eingriffsintensität 26, 27, 36, 101, 183, 185, 186, 192, 193 Einheitstheorie 41, 49 – Abkehr im Gewerbesteuerrecht 87, 165 – Buchführung und Bilanzierung 52, 89, 97 – „eingeschränkte“ 165, 167 – Einheitsunternehmen 50, 71, 77, 82, 107, 129, 136, 140, 143, 163, 165 – Ermittlung der Bemessungsgrundlage 52 – Leitbild des Einheitsunternehmens siehe Einheitsunternehmen – organkreisinterne Geschäfte 47, 52, 180 – organkreisinterner Ausgleich 73, 75, 131, 135, 138, 177 – rechtstechnische Bewältigung siehe Einheitstheorie; verfahrensrechtliche Umsetzung – Steuersubjekt im Organkreis 50, 69, 129 – Steuersubjekteigenschaft der Organgesellschaft 69, 72, 83, 85, 166 – und § 114 RAO 62, 64 – und Besteuerungsgleichheit 54

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Personen- und Sachwortverzeichnis

– Verbundleistungsfähigkeit 182 – verfahrensrechtliche Umsetzung 68, 77, 128, 143, 174 – zivilrechtliche Selbständigkeit der Vermögenssphären 71, 73, 79, 85, 128 Einnahmevolumen 26 Enkelgesellschaft 127, 130, 161, 187 Ergebnisabführungsvertrag 41, 57, 63, 91, 94, 149, 153, 156, 160, 167, 172, 178, 188, 198 Ergebnisausschlussvereinbarung siehe Ergebnisabführungsvertrag Erhebungsverfahren 32, 69, 134 Erstattung von Steuervergütungen, Anspruch auf 93 Erwerbsgemeinschaft 77 fiscale Eenheid van de Onderneming 128 Flume, Werner 168 Fusion 47 Gebühr 27 Gemeindeschutzfunktion 49, 166 Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse 121 Gesamtgläubigerausgleich 135 Geschäftsabteilung siehe Betriebsstätte Geschäftsführungsvertrag 153 Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts 151 Gewährleistungsgehalt der Grundrechte, subjektiv-rechtlicher 144 Gewerbesteuermessbescheid 159 Gewerbesteuermessbetrag 159 gewerbliche Prägung 150 Gewinnabführungsvertrag siehe Ergebnisabführungsvertrag Gleichheit der Lastenzuteilung siehe Belastungsgleichheit Gleichstufigkeit der Verbindlichkeiten 32, 33, 76, 134 Grundrechtsschutz 144 Grundrechtsträger 144 Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise 39, 46, 69, 74, 82, 105, 106, 108, 113, 128, 143, 164, 169

Gruppenbesteuerung 118, 128 Gutachten des RFH vom 26.7.1932 55, 167 Haftung – Akzessorietät 30 – Begriff der Haftung im Steuerrecht 20 – der Organgesellschaft gemäß §§ 103, 108 RAO 41 – der Organgesellschaft gemäß § 114 RAO 60 – Dritt- 21, 84-85 – Eigen- 22 – Fremd- 22, 81, 85 – Gesamtschuldnerausgleich 34 – Rechtfertigung der steuerlichen 23, 194 – Subsidiarität 31, 36, 76, 83, 134, 146, 179 – und Gesamtschuld 29 Haftungsumfang des § 73 AO – Argument wirtschaftlicher Einheit des Organkreises 98, 197 – Diskussionsstand 95 – Ermessenslösung der Finanzgerichte 109 – Ermessenslösung von Bax 112 – Haftung für Haftungsschulden 189 – Haftungslücken 187 – maßgebliche ermessensbeeinflussende Kriterien bei umsatzsteuerlicher Organschaft 145 – Praktikabilitätsargument 96 – sachgerechter Haftungsumfang bei ertragsteuerlicher Organschaft 198 – teleologische Reduktion 99, 108 – verfassungskonforme Auslegung 102 – vollumfängliche Haftung 95 Hannes, Hans-Joachim 27, 65, 67, 191 hierarchische Struktur siehe Subordinationsverhältnis horizontaler Unternehmenszusammenschluss siehe Unternehmereinheit Individualbesteuerung 139, 142, 158, 163, 169, 196 Innenumsätze 47, 120, 125 Insolvenzrisiko siehe Ausfallrisiko Investitionssicherheit 15 Isensee, Josef 26 Jurkat, Werner 61, 63

Personen- und Sachwortverzeichnis Kohlensteuer 40 Köhler, Wilhelm 53 kollusives Zusammenwirken 28 Kompensation der fehlenden Steuersubjekteigenschaft 79, 83, 131, 176 Lastenausgleichsgesetz 141 Leistungsfähigkeit 27, 78, 106, 112, 171, 173, 176, 177, 179, 181, 183, 185, 192, 194, 199, 201, 202 Leistungsgebot 32, 69 Lüdicke, Jürgen 196 Maßgeblichkeitsgrundsatz 156, 174 Mayer, Stefan 16 Mehrheitsbeteiligung siehe Eingliederung, finanziell Mehr-Personen-Verhältnis 28 Mehrwertsteuersystem 107, 125 Mehrwertsteuersystemrichtlinie 118 Minderheitsgesellschafter 74, 100, 111, 122, 132, 139, 142, 147, 157, 177, 188 Mitverursacher siehe Verursachungsprinzip Mitwirkungspflichten, erhöhte 146, 148 Nebenleistungen, steuerliche 93 Nebenschuldner 33, 76 Objektsteuer 48 ökonomisches Prinzip 65, 68, 79, 176, 191 Organgesellschaft, taugliche – bei ertragsteuerlicher Organschaft 151 – bei umsatzsteuerlicher Organschaft 120 Organkreis, mehrgliedriger – bei ertragsteuerlicher Organschaft 160, 187 – bei umsatzsteuerlicher Organschaft 126, 130, 187 Organschaftskette 161, 190 Organschafts-Verzerrung 74, 131, 136, 138 Organtheorie 17, 39, 40, 57, 63, 116, 149, 162 Organträger, tauglicher – bei ertragsteuerlicher Organschaft 150 – bei umsatzsteuerlicher Organschaft 119 Paschke, Dominic 16 Personalsteuer 64 personelle Verflechtung 124

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Planungssicherheit 15 planwidrige Gesetzeslücke 141 Praktikabilitätsargument siehe Haftungsumfang des § 73 AO Preußisches Oberverwaltungsgericht 38, 49 Probst, Ulrich 101, 102, 108 qualifizierte Nähebeziehung 28, 195 Realsteuer 48 Realsteuerreform 1936 37, 60, 65, 73 Rechtssicherheit 15 Rechtsstaatsprinzip 190 Reform der Abgabenordnung 1977 37, 86, 91, 94, 175 Regulierungsfunktion des § 426 BGB 36 Reinhardt, Fritz 65 Reiß, Wolfram 103 Schätzung der Aufteilungsgrundlagen 146 Schneider, Nobert 16 Schuldnermehrheit 34 Schwestergesellschaft 127, 160 Sicherungsbedürfnis 25, 67, 68, 193, 194, 196, 199, 202 Sicherungsfunktion 33, 68, 84 Sicherungsgedanke 24 Sicherungsinteresse 25, 26 Sicherungsprinzip 67, 68, 84, 183, 192, 194, 196, 199 Sonderabgabe 26, 27 Sonderlast 26, 33, 36, 82, 193 Sonnenschein, Jürgen 67, 84, 192, 194 Staringer, Claus 162, 165 Steuerausfall 25 Steuergestaltung 15 Steuerplanung 15 Steuerquelle 184, 195, 199 Steuersenkungsgesetz 90, 149 Steuerstaat 184 Steuerumlagen 74, 131, 179 Steuerumlagevereinbarung 132 Steuervergünstigung 55, 114 Subordinationsverhältnis 46, 52, 83, 104, 118, 121, 145, 163, 198

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Personen- und Sachwortverzeichnis

Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung 25, 26, 190 Teilgewinnabführungsvertrag 154 Tipke, Klaus 94 Trennungsprinzip siehe zivilrechtliche Ordnungsstruktur Übermaßverbot 99, 109, 139, 201 Über-Unterordnungsverhältnis siehe Subordinationsverhältnis Unterfinanzierung 25 Unternehmenskauf 16 Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz 90, 149 Unternehmensverbund Organkreis 50, 107, 113 Unternehmerbegriff des Umsatzsteuerrechts 46, 60, 120, 129 Unternehmereinheit 103 verdeckte Einlage 164 verdeckte Gewinnausschüttung 164 verfahrensrechtliche Funktion siehe ökonomisches Prinzip Vergleichbarkeit der Interessenlage 141 Vermögensabgabe nach dem Lastenausgleichsgesetz 141 Vermögensstamm siehe Vermögenssubstanz Vermögenssubstanz 132, 184, 186, 192, 193, 199 Vermögensverlagerungen, missbräuchliche 110, 111 Verschmelzung 87 Verursachungsprinzip 65, 68, 80, 81, 136, 175, 180, 186, 191 Verzerrungen in der Belastungswirkung siehe Organschafts-Verzerrung Vogel, Klaus 104, 105 Vollstreckung 69, 134, 140 Vollstreckungsdurchgriff 72, 131 vollstreckungsrechtliche Aufteilungsvorschriften siehe Aufteilung der Gesamtschuld

Vollstreckungsverfahren 69, 134, 140 Vorsteuerabzug 125, 130, 132 Vorsteuerabzugsberechtigung 130, 132 Vorsteuervergütungsanspruch 130, 135 Wettbewerbsvorteile der Organgesellschaft 112 willentliche Beherrschung 46, 121, 145 wirtschaftliche Einheit 143 Wirtschaftseinheit 39, 77 Wirtschaftslenkung, Instrument der 48 Wirtschaftsstandort 15 Wöhe, Günter 182 Zivilrecht, Verhältnis von Steuerrecht und 106 zivilrechtliche Güterzuordnung 69, 71, 131, 144 zivilrechtliche Ordnungsstruktur 54, 101, 102, 108 – Durchbrechung 101 – Rechtfertigung der Durchbrechung 105 Zurechnungstheorie 41, 89, 162 – Bedeutung des Ergebnisabführungsvertrages 167 – Einkommensermittlung 90, 163, 181 – Kumulation der Gesamtleistungsfähigkeit 182 – „modifizierte“ 167 – organkreisinterne Geschäfte 164, 181 – organkreisinterner Ausgleich 178, 193 – Steuersubjekteigenschaft der Organgesellschaft 57, 165, 176 – und Besteuerungsgleichheit 171 – und gewerbesteuerliche Organschaft 165 – verfahrensrechtliche Umsetzung und § 73 AO 176 Zusammenveranlagung 77, 82, 114, 138, 141, 145 Zwangsvollstreckung siehe Vollstreckung Zwei-Personen-Verhältnis 126, 188