Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011: Bilanz und Ausblick [1 ed.] 9783412500627, 9783412209315


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Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011: Bilanz und Ausblick [1 ed.]
 9783412500627, 9783412209315

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Anläßlich des 100. Gründungsjubiläums der Historischen Kommission für Pommern werden in diesem Band erstmals ein Abriß zur Geschichte der Kommission geboten und anschaulich ihre laufenden Editionsvorhaben präsentiert. Neben einem Überblick über bisherige Forschungsergebnisse stehen die Ideen für eine zeitgemäße Landesgeschichtsforschung im Vordergrund, wobei auch Anregungen und Erfahrungen von Mitgliedern benachbarter historischer Kommissionen aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg sowie von Kollegen aus Dänemark, Polen und Schweden einbezogen werden.

Nils Jörn, Haik Thomas Porada (Hg.)

veröffentlichungen der historischen kommission für pommern forschungen zur pommerschen geschichte, band 47

Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011

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Nils Jörn, Haik Thomas Porada (Hg.)

Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011 Bilanz und Ausblick

forschungen zur pommerschen geschichte 9

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IS BN 978 - 3 - 412-20 931- 5  |  W W W. BOEH L AU -V ER L AG .COM

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VERÖFFENTLICHUNGEN DER HISTORISCHEN KOMMISSION FÜR POMMERN herausgegeben von Gerd Albrecht, Felix Biermann, Nils Jörn, Michael Lissok und Haik Thomas Porada REIHE V: FORSCHUNGEN ZUR POMMERSCHEN GESCHICHTE Band 47

DIE HISTORISCHE KOMMISSION FÜR POMMERN 1911–2011 BILANZ UND AUSBLICK Herausgegeben von

NILS JÖRN und HAIK THOMAS PORADA

2018 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH Cie. Köln Weimar Lindenstraße 14, D-50674 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

ISBN 978-3-412-50062-7

Inhalt Nils Jörn und Haik Thomas Porada Ein Jahrhundert außeruniversitärer landesgeschichtlicher Forschung für und über Pommern – eine Einleitung  .................................................................7 Martin Schoebel 100 Jahre Historische Kommission für Pommern  .....................................................15 Die Organisation der außeruniversitären landesgeschichtlichen Forschung bei den Nachbarn Per Nilsén Die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung in Schweden  ................................35 Jens E. Olesen Landesgeschichtsforschung in Dänemark. Themenvielfalt und Pflege der lokalen und regionalen Traditionen  ....................................................................47 Paweł Gut Die Organisation der historischen Forschung in Polen. Geschichtswissenschaftliche Institutionen und Gesellschaften  ..................................59 Andreas Röpcke Außeruniversitäre landesgeschichtliche Forschung in Mecklenburg: Der Geschichtsverein, das Schweriner Landeshauptarchiv und die Historische Kommission für Mecklenburg  ...............................................................67 Uwe Schaper Außeruniversitäre Forschungen zur Landesgeschichte für Berlin und Brandenburg nach dem Zweiten Weltkrieg  ...............................................................81 Die Geschichte der Historischen Kommission für Pommern Klaus Neitmann Die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern 1911/25–1945: Antriebe – Rahmenbedingungen – Wirkungen  ........99 Dirk Schleinert Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern und die Jahre bis 1945  .....................................................................................................131 Jürgen Petersohn Die Historische Kommission für Pommern im Exil (1951–2001)  ............................159

Joachim Wächter Landesgeschichtliche Arbeit im totgeschwiegenen Vorpommern 1945–1990  ...............175 Norbert Buske Die Historische Kommission für Pommern während und nach der Wiedervereinigung Deutschlands  .............................................................................181 Die Publikationen der Historischen Kommission für Pommern Karl-Heinz Spieß Das Pommersche Urkundenbuch  .............................................................................203 Rudolf Benl Die „Quellen zur pommerschen Geschichte“  ............................................................213 Haik Thomas Porada Der Historische Atlas von Pommern. Zum Einfluß historisch-geographischer Ansätze auf die pommersche Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert  ...........221 Ivo Asmus Die „Forschungen zur pommerschen Geschichte“: Die Reihe V der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern  ..............................243 Die Perspektiven der weiteren landesgeschichtlichen Forschung zu Pommern Helmut Börsch-Supan Neue Forschungen zur Romantik in Pommern  .........................................................257 Nils Jörn Perspektiven der pommerschen Rechtsgeschichte  .....................................................267 Matthias Manke Franz Engel (1908–1967). Historiker und Archivar zwischen Mecklenburg, Pommern und Niedersachsen  ...................................................................................279 Felix Biermann Untergegangene Klöster und Stifte in Pommern: Stand und Perspektiven ihrer archäologischen Erforschung  ............................................................................317 Verzeichnis der Abkürzungen und Siglen  ..................................................................349 Autorenverzeichnis  ...................................................................................................353

Nils Jörn und Haik Thomas Porada

Ein Jahrhundert außeruniversitärer landesgeschichtlicher ­Forschung für und über Pommern – eine Einleitung

Am 13. und 14. Mai 2011 kamen im Hauptgebäude der Ernst-Moritz-Arndt-Universität die Mitglieder und Gäste der Historischen Kommission für Pommern zusammen, um den 100. Geburtstag dieses traditionsreichen Gremiums außeruniversitärer Forschung zur Landesgeschichte im südlichen Ostseeraum mit einer gut besuchten wissenschaftlichen Konferenz zu würdigen. Es hat aus verschiedenen Gründen sechseinhalb Jahre gedauert, bis die Dokumentation dieser Tagung in dem vorliegenden Sammelband veröffentlicht werden konnte. Für den Langmut, den die Referenten, die ihre Beiträge auch für den Druck aufbereitet hatten, bis zu diesem Punkt bewiesen haben, sind ihnen die Herausgeber und der Vorstand der Historischen Kommission für Pommern sehr dankbar. Alle Beteiligten freuen sich sehr, hier nun die Bilanz der Arbeit der ersten 100 Jahre der Historischen Kommission für Pommern vorlegen zu können. Möge sie einen guten Ausgangspunkt für das zweite Jahrhundert außeruniversitärer Pommernforschung bilden! Zum Gelingen von Tagung und Band haben zahlreiche Personen beigetragen, denen hier ausdrücklich gedankt werden soll. Neben den damaligen Vorstandsmitgliedern der Historischen Kommission, außer den Herausgebern die Herren Dr. Ludwig Biewer, Dr. Dirk Schleinert und Dr. Martin Schoebel, die die Vorbereitung und Durchführung der Tagung in vielfältiger Weise begleitet haben, gilt unser Dank: •• Dietlind Behnke, Susanne Friebe, Luise Güth, Marie Skepenat und Juliane Trampel, die bei der Vorbereitung und Durchführung des Empfangs geholfen haben, •• den zahlreichen Institutionen und privaten Bildgebern, die schnell und unkompliziert Abbildungsvorlagen zur Verfügung gestellt haben, •• Thomas Helms für die Unterstützung bei der Bildrecherche und -bearbeitung, •• den Referenten und Beiträgern für ihre Geduld und ihre Bereitschaft, ihre Texte für die Veröffentlichung zu aktualisieren, •• Harald Liehr von der Weimarer Niederlassung des Böhlau Verlags für die Betreuung des Manuskripts.

Ein Jubiläum und seine Vorgeschichte In der preußischen Provinz Pommern hat sich seit dem 19. Jahrhundert eine geradezu mustergültige landesgeschichtliche Forschungslandschaft entwickelt, die bis zum heutigen Tag in institutioneller Hinsicht Bestand hat. Dies ist um so bemerkenswerter, als die tiefgreifende Zäsur am Ende und im Nachgang des Zweiten Weltkrieges nicht nur

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den Untergang der Provinz Pommern bedeutete, deren unter deutscher Verwaltung verbleibender Teil lediglich noch 18 Prozent des Gebietsstandes der Vorkriegszeit umfaßte, sondern auch die institutionelle Kontinuität von Vereinen und Gremien auf Jahre hinaus völlig offen war. Während in der Sowjetischen Besatzungszone und später auch in der DDR ein Anknüpfen an die landesgeschichtliche Forschung und den breitenwirksamen Wissenstransfer undenkbar war, entwickelte sich die Situation in der Bundesrepublik bereits in den 1950er Jahren deutlich günstiger. Letztlich wird die Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst, in der auch die Traditionen des aus ihr 1899 entstandenen Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins gewahrt werden, 2024 auf ihr 200jähriges Jubiläum zurückblicken können. Sie hatte nach der nachkriegsbedingten Unterbrechung ebenso wie die Historische Kommission für Pommern über Jahrzehnte hinweg ihre Heimat in Marburg an der Lahn gefunden. In Marburg war mit dem 1950 ins Leben gerufenen Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat für alle Historischen Kommissionen aus den Vertreibungsgebieten in Ostmitteleuropa eine Dachorganisation zur Forschungsförderung entstanden, die nicht zuletzt in personeller Hinsicht insbesondere für Historiker, Kunsthistoriker, Archäologen, Bibliothekare und Archivare, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zu diesem Raum und damit auch zu Pommern forschten, eine gewisse Kontinuität verhieß.1 In der DDR war dagegen der Weg weitaus mühsamer. Schon 1947 war in der Sowjetischen Besatzungszone im Rahmen der von den Alliierten verfügten Auflösung des Freistaates Preußen auch der Name Pommern unter ein Verdikt gestellt worden. Damit war selbst in universitärem Kontext eine Erforschung der pommerschen Geschichte nur noch unter großen Verbiegungen möglich. Einem interessierten Kreis von Pommernforschern gelang es aber seit 1961, unter dem Schirm des Greifswald-Stralsunder Jahrbuches, das von den Museen und Archiven in beiden namensgebenden Städten herausgegeben wurde, ihre Ergebnisse zu Pommern in einer sehr lebendigen wissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlichen.2 Zudem entstand unter dem Dach der Landeskirche, die seit 1968 ebenfalls ihres Namens beraubt war, zu Beginn der 1970er Jahre mit der Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte in der Organisationsform eines landeskirchlichen Werks ein Vermittler landesgeschichtlichen Wissens. Ein Höhepunkt in der Bewußtmachung pommerscher Geschichte war schließlich 1

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Vgl. dazu die Hinweise im Nachruf auf Roderich Schmidt, den langjährigen Vorsitzenden der Historischen Kommission für Pommern, der am 12. September 2011 verstarb, nur wenige Monate nach der Greifswalder Tagung anläßlich ihres 100jährigen Bestehens: Ludwig Biewer, In memoriam Roderich Schmidt, in: BaltStud, N.F., 97/2011, S. 7–11. Vgl. hierzu demnächst die Dokumentation in den BlldtLG zum 44. Tag der Landesgeschichte, mit dem am 19. und 20. Oktober 2017 in Dresden zugleich das 20jährige Bestehen des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde (ISGV) gewürdigt wurde. Bei dieser Veranstaltung referierte Dirk Schleinert über „Das ‚Greifswald-Stralsunder Jahrbuch’ und die ‚Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns’. Zwei Projekte zur Vermittlung der pommerschen Landesgeschichte in der DDR“.

Einleitung

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das Bugenhagen-Jubiläum 1985. In jenem Jahr gelang es auch, beim Kulturbund im Bezirk Neubrandenburg die Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns als Veranstaltungsreihe anzumelden, die dann die Grundlage dafür schufen, daß die Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst neben ihren Abteilungen in Berlin, Hamburg, Bonn und München 1990 in Vorpommern wieder Fuß fassen konnte. Es sollte noch einige Jahre dauern, ehe sowohl die Gesellschaft als auch die Kommission ihren Sitz folgerichtig nach Greifswald verlagerten. Heute sind sowohl in der Gesellschaft als auch in der Kommission und in der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte – alle drei mittlerweile im Status eingetragener Vereine – die Mehrzahl der Mitglieder in Vorpommern beheimatet. Aus den Reihen der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst heraus entstand im Jahre 2000 der Wunsch nach einem eigenständigen Verein zur Förderung der personengeschichtlichen Forschung, der dann mit Sitz in Greifswald als „Pommerscher Greif – Verein für pommersche Familien- und Ortsgeschichte e.V.“ etabliert wurde. In allen vier Vereinigungen sind heute zusammen weit über 1000 Mitglieder aktiv. Während die Gesellschaft die seit 1832 erscheinenden Baltischen Studien als Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte herausgibt, die auch von der Kommission und der Arbeitsgemeinschaft als Mitteilungsorgane genutzt werden, hat der Pommersche Greif mit dem „Sedina-Archiv“ die seit 1955 publizierten Familiengeschichtlichen Mitteilungen Pommerns weitergeführt. Ein weiteres Periodikum, wie das „Sedina-Archiv“ vierteljährlich erscheinend, trägt den Titel „Pommern – Zeitschrift für Kultur und Geschichte“ und wird seit 1963 im Auftrag des Pommerschen Zentralverbandes, derzeit mit Sitz in Lübeck-Travemünde, herausgegeben. Diese Zeitschrift bietet mit ihrer großformatigen Aufmachung und dem Vierfarbdruck eine gern genutzte Möglichkeit zur Publikation von landesgeschichtlich relevanten Themen für ein breites Publikum. Alle hier genannten Vereinigungen und Gremien unterhalten neben diesen Periodika eigene Schriftenreihen. Kennzeichnend für die Situation der landesgeschichtlichen Forschung und Vermittlung ist die starke personelle Verflechtung, die seit Jahrzehnten dazu führt, daß es nicht nur bei den Mitgliedschaften, sondern auch in der Vorstandsarbeit Überschneidungen gibt, was durchaus von Vorteil sein kann. Leider haben sich die Hoffnungen auf eine dauerhafte Institutionalisierung in Form eines Lehrstuhls für pommersche Geschichte und Landeskunde an der Greifswalder Universität mittlerweile zerschlagen. Auch die personellen Ressourcen für eine Verstetigung landesgeschichtlicher Forschung, z.B. im seit 1998 in Greifswald errichteten Pommerschen Landesmuseum, müssen als sehr begrenzt eingeschätzt werden. Der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern konnte man seit 1990 über weite Strecken nicht unbedingt attestieren, daß ihr der Wert und die Bedeutung der Landesgeschichte bewußt gewesen sind. Die ehrenamtliche Arbeit, die in diesem Bereich geleistet wurde, sah sich immer wieder mit bürokratischen Hemmnissen der Schweriner Ministerien konfrontiert, was sowohl bei den Akteuren in Pommern als auch in Mecklenburg ein nicht unerhebliches Frustrationspotential verursachte. In vielen Fällen wurde nicht an Erreichtes angeknüpft, sondern neue Strukturen geschaffen, die

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Abb. 1: Joachim Wächter (*30. April 1926 in Magdeburg – †7. Oktober 2017 in Greifswald) bei der Jahrestagung der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. in Stettin am 25. September 2010 Photo: Thomas Helms, Schwerin

letztendlich nicht trugen. Hoffnungsvolle Editionsprojekte brachen nach einem Band ab, die Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse im Land durch die entsprechenden Stelleninhaber fand nur unzureichend statt, Institutionen wie das Landesarchiv Greifswald wurden personell ausgeblutet. Das, was wissenschaftlich geleistet werden konnte, geschah also zum beträchtlichen Teil durch ehrenamtliche Enthusiasten, die mittlerweile andernorts in Lohn und Brot stehen und dort neben ihrem normalen beruflichen Pensum versuchen, die pommersche Landesgeschichte zu beflügeln. Auch daraus resultiert letztendlich die Verzögerung bei diesem Band. Aus pommerscher Sicht schmerzt diese Erfahrung in besonderer Weise, hatte doch die Historische Kommission nach ihrer Gründung vor dem Ersten Weltkrieg in Stettin alle nur erdenkliche Unterstützung seitens der administrativen Spitze der Provinz und der kommunalen Selbstverwaltung in Gestalt des Provinzialverbandes genießen dürfen. Eine ähnlich rückhaltlose Unterstützung bei der Erforschung der pommerschen Landesgeschichte wäre auch heute sehr willkommen. Dagegen hat sich die Kooperation mit Kollegen aus dem Ostseeraum in den zurückliegenden knapp drei Jahrzehnten erfreulich entwickelt. Hier sei in erster Linie auf die enge Zusammenarbeit mit Kollegen z.B. in Stettin, Köslin, Stargard und Stolp, aber auch in Kopenhagen, Lund, Uppsala und Stockholm hingewiesen. Es bleibt zu hoffen, daß es auch künftig gelingen wird, die Brückenbauerfunktion, die neben der Historischen Kommission für Pommern von der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst, der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte und dem Pommerschen Greif – Verein für pommersche Familien- und Ortsgeschichte zu unseren

Einleitung

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Abb. 2: Jürgen Petersohn (*8. April 1935 in Merseburg – †20. Juli 2017 in Würzburg) während einer Exkursion der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte e.V. in St. Brigitten bei Reval in Estland am 9. Juni 2006 Photo: Annegret Buske, Berlin

Nachbarn im Ostseeraum und in unsere reichhaltige Geschichte wahrgenommen wird, aufrechtzuerhalten, besser noch, sie aktiv auszubauen.

Zur Gliederung der Publikation Dieser Band gliedert sich in eine Einführung, die auf den öffentlichen Abendvortrag des damaligen Vorsitzenden der Kommission, Martin Schoebel, zurückgeht, sowie drei größere thematische Blöcke. Im ersten Abschnitt wird dabei die Organisation der außeruniversitären landesgeschichtlichen Forschung und der ehrenamtlichen Vermittlungsarbeit bei den Nachbarn Pommerns vorgestellt. Per Nilsén hat dies für Schweden, Jens E. Olesen für Dänemark und Paweł Gut für Polen übernommen. Andreas Röpcke beschreibt anschaulich die in mancherlei Hinsicht vergleichbare Entwicklung in Mecklenburg, während Uwe Schaper die durch die deutsche Teilung nach 1945 erheblich verkomplizierte Situation für Brandenburg und Berlin schildert. Der zweite Abschnitt beleuchtet die einzelnen Etappen und Entwicklungsstränge in der Geschichte der Historischen Kommission für Pommern. Eingangs unterzieht Klaus Neitmann die Gründung der einschlägigen Vereine und Gremien in den preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern einem Vergleich.3 Dirk Schleinert widmet sich der Gründung 3

Der Beitrag ist parallel unter Bezugnahme auf den hier vorgelegten Greifswalder Tagungsband mit folgendem Titel erschienen: Klaus Neitmann, Die Historischen Kommissionen der

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der Historischen Kommission für Pommern und ihrer Aufbaujahre bis 1945. Jürgen Petersohn geht auf die Akteure ein, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Westen Deutschlands den Fortbestand der Kommission sicherten. Joachim Wächter führt in seinem Beitrag die Schwierigkeiten vor Augen, unter denen eine Beschäftigung mit der pommerschen Landesgeschichte in der DDR stattfand. Die in jeder Hinsicht spannende Zeit unmittelbar vor, während und nach dem Fall der Berliner Mauer und der innerdeutschen Grenze mit den damals entstehenden Möglichkeiten für eine Rückkehr der Historischen Kommission für Pommern nach Vorpommern ist das Thema von Norbert Buske. Der dritte Abschnitt ist den von der Historischen Kommission für Pommern betriebenen Publikationsprojekten vorbehalten. Karl-Heinz Spieß beschreibt das Pommersche Urkundenbuch, dessen Abschluß seit Jahrzehnten zu den Sorgenkindern der Kommission gehört. Rudolf Benl gibt einen Überblick zur Editionspraxis anhand der Quellen zur pommerschen Geschichte. Haik Thomas Porada zeigt am Beispiel des Historischen Atlas von Pommern, welchen Konjunkturen und Krisen die Historische Geographie in Greifswald und Stettin im 20. Jahrhundert unterworfen war. Die Forschungen zur pommerschen Geschichte, in denen grundlegende Monographien zu ausgewählten Aspekten landesgeschichtlicher Forschung erschienen sind, werden von Ivo Asmus vorgestellt. Ein vierter und abschließender Abschnitt ist den Perspektiven der Landesgeschichte in Pommern gewidmet. Helmut Börsch-Supan zeigt als Kunsthistoriker, welches Potential die Beschäftigung mit der Romantik für die kunstgeschichtliche Forschung noch in sich birgt. Das in den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten in vielfältiger Weise neubelebte Studium der reichhaltigen Rechtsgeschichte Pommerns ist das Thema von Nils Jörn. Matthias Mankes biographische Studie über den Archivar und Landeshistoriker Franz Engel, der in Schwerin, Stettin und Hannover tätig war, kann als Aufforderung zu einer engagierteren Auseinandersetzung mit der eigenen Historiographie verstanden werden.4 Dank mehrerer Grabungsprojekte von deutschen und polnischen Archäologen in Vorund Hinterpommern haben die Studien zur Geschichte der einzelnen Klosterstandorte in Pommern einen großen Aufschwung genommen, wie Felix Biermann anschaulich zu zeigen vermag. Gerade dieser Aspekt läßt hoffen, daß es der Historischen Kommission

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preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern 1911/25–1945. Antriebe – Rahmenbedingungen – Wirkungen, in: Ders., Land und Landeshistoriographie. Beiträge zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen und deutschen Landesgeschichtsforschung, hg. v. Hans-Christof Kraus und Uwe Schaper, Berlin/Boston 2015, S. 137–170. Am 20. und 21. November 2015 fand in der Rostocker Universität eine bemerkenswerte Tagung anläßlich des 150. Geburtstages des dortigen Historischen Seminars sowie des 25jährigen Jubiläums der Neukonstituierung der Historischen Kommission für Mecklenburg statt. Die Beiträge dieser Veranstaltung sind mittlerweile publiziert worden und können jetzt gut zum Vergleich der Entwicklungen in Pommern herangezogen werden: Anke John (Hg.), Köpfe. Institutionen. Bereiche. Mecklenburgische Landes- und Regionalgeschichte seit dem 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe B, N.F.: Schriften zur mecklenburgischen Geschichte, 5), Lübeck 2016.

Einleitung

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für Pommern gelingen könnte, den seit längerer Zeit gehegten Plan für ein Pommersches Klosterbuch in naher Zukunft in die Tat umzusetzen, um an die erfolgreichen Projekte aus der unmittelbaren Nachbarschaft anzuknüpfen.5 Die Beiträge dieses Bandes werden hier, soweit dies nicht anders gekennzeichnet ist, auf dem Stand veröffentlicht, in dem sie von den Autoren nach der Festveranstaltung in Greifswald im Mai 2011 eingereicht worden sind. Seither hat die Erforschung der Wissenschaftsgeschichte für Pommern große Fortschritte gemacht, die in der vorliegenden Publikation nur bedingt nachgeführt werden konnten, was den Herausgebern des Bandes, nicht aber den Autoren angelastet werden kann. Gerade für die Universität Greifswald, die in nahezu allen hier abgedruckten Beiträgen eine zentrale Rolle spielt, sei deshalb stellvertretend für weitere Aktivitäten auf das verdienstvolle Projekt „Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus“ verwiesen, das 2011 vom Rektorat initiiert und zwischen 2012 und 2015 mit großem Einsatz betrieben wurde.6 Auch für die Geschichte des Staatsarchivs Stettin bis 1945 und des Landesarchivs Greifswald nach dem Zweiten Weltkrieg sind in den letzten Jahren grundlegende Forschungseinsätze zu verzeichnen.7 Die Historische Kommission für Pommern war am 12. und 13. Oktober 2012 gemeinsam mit der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst sowie der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte Gastgeberin des 39. Tages der Landesgeschichte, der vom Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 5

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Am 10. März 2017 hatte die Historische Kommission für Pommern zu einem Erfahrungsaustausch mit den Herausgebern der mittlerweile abgeschlossenen Klosterbuchprojekte in den benachbarten Landschaften in den Konzilsaal im Hauptgebäude der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald eingeladen. Orientierung boten dabei die beiden folgenden Publikationen: Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, hg. von Heinz-Dieter Heimann, Klaus Neitmann, Winfried Schich u.a. (Brandenburgische Historische Studien, 14), Berlin 2007 (zwei Bände), und Mecklenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte, Kommenden und Prioreien (10./11.–16. Jahrhundert), hg. von Ernst Münch, Wolfgang Huschner, Cornelia Neustadt und Wolfgang Eric Wagner. Rostock 2016 (zwei Bände). Henrik Eberle: „Ein wertvolles Instrument“. Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus. Köln/Weimar/Wien 2015. Dirk Schleinert, Das Staatsarchiv Stettin von 1930 bis 1945, in: BaltStud, N.F., 99/2013, S. 111–131. Ders., Zeitgenössische Berichte zu den Anfängen des Landesarchivs Greifswald. Eine kommentierte Quellenedition, in: BaltStud, N.F., 101/2015, S. 161–181. Willi Nemitz und Joachim Wächter, Vom Staatsarchiv Stettin zum Landesarchiv Greifswald, in: POMMERN – Zeitschrift für Kultur und Geschichte 53. Jg. (2015), Heft 3, S. 42–46. Außerdem wurde jüngst eine Edition von 370 Briefen publiziert, die der für die Geschichte der Historischen Kommission für Pommern in der Zwischenkriegszeit so bedeutsame Landeshauptmann der Provinz Pommern, Ernst von Zitzewitz, und dessen Gattin, Ellen, von seinen Eltern und Geschwistern in den Jahren 1889–1941 erhielten: "Wir haben schrecklich lange nichts vonein­ ander gehört". Briefe an Ernst und Ellen von Zitzewitz aus den Jahren 1889–1941. Erbschaft Zezenow. Korrespondenz aus den Jahren 1925–1937, hg. von Verena Baldamus und Lisaweta von Zitzewitz. Berlin 2016.

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in Greifswald ausgerichtet wurde, dessen Mitglied wiederum alle drei genannten pommerschen Vereine sind. Der Tag der Landesgeschichte stand unter dem Thema „Regionales Selbstbewußtsein contra gesamtstaatliche Integrationsbestrebungen“ und wurde durch einen Vortrag von Rudolf von Thadden (1932–2015) mit dem Thema „Pommern und die Verpreußung der Provinz“ in der Aula der Ernst-Moritz-Arndt-Universität eröffnet. Die Ergebnisse dieser gut besuchten Veranstaltung, zu der Referenten und Gäste aus der gesamten Bundesrepublik sowie dem Ostseeraum begrüßt werden konnten, sind unter der Ägide von Klaus Neitmann in den Blättern für deutsche Landesgeschichte 2013 publiziert worden.8 Die Drucklegung ihrer Beiträge haben Jürgen Petersohn und Joachim Wächter nicht mehr erleben dürfen.9 Dem Andenken beider Mitstreiter widmen die Herausgeber daher stellvertretend für die Mitglieder unserer Kommission diesen Band.

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Vgl. dazu die Dokumentation von vier der in Greifswald 2012 gehaltenen Vorträge in: BlldtLG 149/2013, S. 1–123. Für eine Einordnung der Verdienste beider Männer um die pommersche Landesgeschichtsforschung vgl. die Würdigung von Ludwig Biewer und Henning Rischer, Dipl.-Archivar Joachim Wächter zum 90. Geburtstag am 30. April 2016, in: BaltStud, N.F., 101/2015, S. 7–14, und den Nachruf von Holger Berwinkel auf Jürgen Petersohn, in: BaltStud, N.F., 103/2017, im Druck.

Martin Schoebel

100 Jahre Historische Kommission für Pommern

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Im Gegensatz zu den einzelnen wissenschaftlichem Beiträgen in diesem Band, die die Geschichte der Kommission in ihren unterschiedlichen Facetten beleuchten und durchdringen, soll an dieser Stelle die Historische Kommission und ihre Entwicklung in ihrer 100jährigen Geschichte im Überblick dargestellt werden. Die Geschichte der Kommission ist nicht nur eng verwoben mit der Geschichte Pommerns, sondern auch maßgeblich von der historischen Entwicklung Deutschlands in den letzten 100 Jahren geprägt. Die beiden Weltkriege sind ebensowenig spurlos an der Kommission vorbeigegangen wie wirtschaftliche Krisen. Um holzschnittartig einen Überblick zu bieten, erscheint ein Zugang über die Personen, die die Entwicklung und Arbeit der Kommission geprägt und gestaltet haben, besonders geeignet. Zudem sollen auch einzelne herausragende Projekte Erwähnung finden, in denen sich die Arbeit und Entwicklung der Kommission gut fassen lassen. Am 13. Mai 2011 beging die Historische Kommission für Pommern mit einem wissenschaftlichen Kolloquium und einem Festakt ihr 100jähriges Jubiläum. Auf den Tag genau vor 100 Jahren trat die Kommission zu ihrer konstituierenden Sitzung im Uhrturm des Stettiner Schlosses zusammen. Einer der zentralen Tagesordnungspunkte war der Beschluß einer Satzung und die „endgültige Bildung der historischen Kommission“.2 Vorausgegangen war ein erstes Treffen eines Komitees zur Bildung einer Historischen Kommission für Pommern am 10. März 1910, das der Meinungsbildung über eine solche Kommission diente.3 Am 13. Mai 1911 entschied man über den Sitz der Kommission, die Gestaltung des Vorstandes und beschloß erste Arbeitsvorhaben. Sitz der Kommission war Stettin. Die Historische Kommission für Pommern war zwar nicht die erste landesgeschichtliche Kommission, aber doch die erste in den preußischen Ostprovinzen. Die älteste Kommission in Preußen war die der Provinz Sachsen, die bereits 1876 ins Leben gerufen worden war. Historische Kommissionen gab es vor 1910 in der Rheinprovinz, in Baden, in Württemberg, in Franken, in Westfalen und gleich drei in Hessen und in Niedersachsen.4 Die Bildung 1 2 3 4

Um Anmerkungen erweiterter und geringfügig veränderter Vortrag, gehalten am 13.05.2011 während des Festaktes zum 100-jährigen Jubiläum der Historischen Kommission für Pommern. Der Vortragsstil wurde weitgehend beibehalten. LAGw Rep. 60g, Nr. 141, fol. 18. A.a.O., fol. 1. Zum Hintergrund der Gründung der Historischen Kommission im Kontext vorangegangener und gleichzeitiger Kommissionsgründungen vgl. Roderich Schmidt, Bewahrung und Erforschung der pommerschen Geschichte durch Geschichtsverein und Historische Kommission, in: ZfO 19/1970, S. 401–420; Ders., Achtzig Jahre Historische Kommission für Pommern 1910–1990, Ebsdorfergrund 1990, S. 2; Klaus Pabst, Historische Vereine und Kommissionen in Deutschland bis 1914, in: Vereinswesen und Geschichtspflege in den böhmischen Ländern

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Martin Schoebel

Abb. 1: Einladung zu einem ersten Treffen eines Komitees beim Oberpräsidenten zur Bildung einer Historischen Kommission in Stettin am 10. März 1910. Quelle: LAGw Rep. 60g, Nr. 141, fol. 1

100 Jahre Historische Kommission für Pommern

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Abb. 2: Einladung zur Gründungsversammlung der Historischen Kommission in Stettin am 13. Mai 1911 im Stettiner Schloß. Quelle: LAGw Rep. 60g, Nr. 141, fol. 18

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Martin Schoebel

Abb. 3: Helmuth Ludwig Wilhelm Freiherr von Maltzahn-Gültz (1840–1923), Oberpräsident der preußischen Provinz Pommern 1900–1911. Quelle: Sammlung Reimar von Alvensleben, Falkenberg bei Fürstenwalde

einer Historischen Kommission entsprach also durchaus dem Zeitgeist, auch wenn weite Teile Deutschlands solche Einrichtungen erst viel später erhalten sollten. Im Grunde hatte die Historische Kommission für Pommern zwei geistige Väter und zwei Initiatoren, ohne die sie kaum entstanden wäre. Bei ihren geistigen Vätern handelte es sich um den Greifswalder Geschichtsprofessor Ernst Bernheim5 und den Stargarder Gymnasialprofessor Martin Wehrmann.6 Beide waren nicht nur profilierte Landeshistoriker, die vielbeachtete Veröffentlichungen vorgelegt hatten und in der Landesgeschichte dieser

(Bad Wiesseer Tagungen des Collegium Carolinum), München 1986, S. 13–38; Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815 bis 1945 (Mitteldeutsche Forschungen, 113), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 55. 5 Horst Buszello, Ernst Bernheim (1850–1942), in: Deutsche Geschichtsdidaktiker des 19. und 20. Jahrhunderts. Wege, Konzeptionen, Wirkungen, hg. v. Siegfried Quandt, Paderborn/ München/Wien 1978, S. 219–256; Fritz Curschmann, Ernst Bernheim zum 70. Geburtstag, in: Der Weg 1/1919–1920, S. 95–97; Unterstell, Klio, (wie Anm. 4), S. 67–76. 6 Rembert Unterstell, Martin Wehrmann (1861–1937) als Historiograph Pommerns. Ein Portrait, in: ZfO 44/1995, S. 375–390. Zu den Arbeiten Martin Wehrmanns siehe Hans Bellée, Die Arbeiten Martin Wehrmanns in zeitlicher Folge, in: BaltStud, N.F., 33/1931, S. 271–321 und Wilhelm Braun, Die Arbeiten Martin Wehrmanns der Jahre 1931 bis 1936 in zeitlicher Folge, in: BaltStud, N.F., 38/1936, S. 343–350.

100 Jahre Historische Kommission für Pommern

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Abb. 4: Ernst Bernheim (1850–1942), Ordinarius für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Universität Greifswald seit 1883, Aufnahme um 1910. Quelle: UAG, Photosammlung

Zeit eine herausragende Stellung einnahmen, beide waren auch fest verankert im historischen Vereinswesen ihrer Zeit. Während Martin Wehrmann häufig in der Gesellschaft für pommersche Geschichte7 vortrug und in ihren Publikationsorganen, den Baltischen Studien und den Pommerschen Monatsblättern, publizierte, war Ernst Bernheim einer der führenden Köpfe des Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins, der sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts von der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde abgespalten hatte.8 Und im Umfeld dieser beiden Geschichtsvereine entstand erstmals die Idee einer Historischen Kommission. Im Jahr 1900 erschien im ersten Heft der Pommerschen Jahrbücher, dem Publikationsorgan des Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins, ein programmatischer Aufsatz Ernst Bernheims zur Lokalgeschichte und Heimatkunde,

7 Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Landesgeschichte im Ostseeraum, in: BaltStud, N.F., 86/2000, S. 7–24. 8 Zum Rügisch-Pommerschen Geschichtsverein und seinem Verhältnis zur Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde siehe Unterstell, Klio, (wie Anm. 4), S. 47–55 u. 127–137; Kyra T. Inachin, Nationalstaat und regionale Selbstbehauptung. Die preußische Provinz Pommern 1815–1945 (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns, 7), Bremen 2005, S. 217–230.

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Abb. 5: Mitarbeiter und Nutzer des Stettiner Staatsarchivs am alten Standort im Schloß im Jahre 1900, von rechts nach links laut Bildunterschrift: "Dr. M. Wehrmann, Dr. von Stojentin, Archivar Dr. Heinemann, Archivassistent Dr. Lau, Prof. Gaebel, Archivhilfsarbeiter Dr. Salzer, Archivrat Dr. Winter, Archiv­diener Wolter, Archivsekretär Nack, Rektor Waterstraat". Quelle: APS, Photosammlung

der das Aufgabenfeld des neu gegründeten Vereins umreißen sollte.9 Manche der von ihm beschriebenen Aufgaben deckten sich mit denen der Gesellschaft, andere waren neu und einer stärker verwissenschaftlichten universitären Geschichtsforschung verpflichtet, wieder andere wie die Sichtung und Verzeichnung regionaler Archive so umfassend und aufwendig, daß sie das Machbare eines Geschichtsvereins deutlich überstiegen. Hier war die Historische Kommission ohne sie zu nennen bereits vorgedacht. Ein Jahr später fiel dann erstmals der Name einer Historischen Kommission in einer Denkschrift Martin Wehrmanns, die dieser auf einer Vorstandssitzung der Gesellschaft für pommersche Geschichte vorlegte. Diese Denkschrift ist heute verloren, aber wir erhalten zumindest Kenntnis von ihrer

9 Ernst Bernheim, Lokalgeschichte und Heimatkunde in ihrer Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht, in: PommJb 1/1900, S. 15–32.

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Abb. 6: Walter Friedensburg (1855–1938), Direktor des Deutschen Historischen Instituts 1892– 1901, Direktor des Staatsarchivs Stettin 1901– 1913, des Staatsarchivs Magdeburg 1913-1923. Quelle: LASA, C 22, Nr. 385

Existenz durch das Protokoll der Vorstandssitzung.10 Auch Martin Wehrmann schwebte eine Institution vor, die Quellen in den schwer zugänglichen kleineren Archiven der Provinz erschließen und der Forschung zugänglich machen sollte. Es ist nicht mehr zu klären, ob er die Ausführungen Bernheims aufgriff, oder ob es sich vielmehr hier um eine allgemein diskutierte Aufgabe handelt, die letztlich von zwei Protagonisten der pommerschen Landesgeschichtsforschung formuliert wurde. Denn Martin Wehrmann stand in einem ausgesprochen engen Kontakt zu den Archivaren des Provinzial- und Staatsarchivs für Pommern, das 1901 großzügige neue Räumlichkeiten erhalten hatte. Dies mag ein Photo verdeutlichen, das Martin Wehrmann im Kreis der Kollegen des Stettiner Staatsarchivs vor dem Umzug in den Archivneubau zeigt.11 Auch die Archivare hatten Anteil an dieser Idee einer Bestandsaufnahme der kleineren, nicht im Staatsarchiv verwahrten Bestände und versuchten bereits seit 1908 solche Verzeichnungsprojekte umzusetzen. Die Idee einer Kommission war geboren und ihr erstes Aufgabenfeld umschrieben. Nun bedurfte es tatkräftiger Personen, die diese Idee in die Tat umsetzten. In dem

10 APS, Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde Nr. 19, S. 147, zitiert nach Unterstell, Klio, (wie Anm. 4), S. 57. 11 Foto in Jerzy Grzelak, Vor 100 Jahren: Bezug des neuerbauten Staatsarchivs in Stettin. Zur Baugeschichte des pommerschen Provinzialarchivs in Stettin im 19. und 20. Jahrhundert, in: Pommern. Zeitschrift für Geschichte und Kultur 39, 4/2001, S. 20–27, hier S. 21 oben.

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Abb. 7: Karl Otto Grotefend (1873–1945), Archivar an den Staatsarchiven Marburg, Münster, Danzig, Stettin und Hannover, Archivdirektor in Stettin, 1923–1930, kommissarischer Archivdirektor in Hannover 1942–1945. Quelle: NLA Hannover BigS, Nr. 22043

Oberpräsidenten der Provinz Pommern, Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz,12 fand die Idee der Kommission den Fürsprecher, der ihr rasch zur Verwirklichung helfen sollte. Der frühere Staatssekretär im Reichsschatzamt stand seit 1900 an der Spitze der Provinz und war als erfahrener Politiker bestens mit den nicht nur landsmannschaftlichen, sondern auch wissenschaftlichen Auseinandersetzungen in den pommerschen Geschichtsvereinen vertraut. Die Gründung einer Historischen Kommission schien ihm wohl die geeignete Form, die sich neben- und auseinander entwickelnden Strömungen regionaler Geschichtsforschung und -vermittlung zusammenzufassen. In dem Stettiner Archivdirektor Professor Walter Friedensburg13 traf er auf einen erfahrenen und guten Taktiker, war er doch von 1888 bis 1901 der Leiter und erste Sekretär des neu gegründeten Historischen Instituts in Rom gewesen. Auch Walter Friedensburg griff unmittelbar nach seiner Versetzung nach Stettin im Jahr 1901 die Idee einer Historischen Kommission für Pommern auf, und er dürfte es gewesen sein, der den Oberpräsidenten für die Idee gewinnen konnte. So war er

12 Helmuth Freiherr von Maltzahn, Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gülz (1840–1923), in: Pommersche Lebensbilder, Bd. 2: Pommern des 19. und 20. Jahrhunderts, Stettin 1936, S. 266–280. 13 Zu Walter Friedensburg vgl. Wolfgang Leesch, Die deutschen Archivare 1500–1945, Bd. 2: Biografisches Lexikon, München u.a. 1992, S. 167f; Martin Schoebel, Gelehrsamkeit und Bürokratie. Das Staatsarchiv Stettin und seine Direktoren (1900–1945), in: Stettiner Museumsangestellte, Archivare und Bibliothekare im 20. Jahrhundert, hg. v. Kasimierz Koslowski, Szczecin 2002, S. 77–98, hier S. 81–85.

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auch der erste Adressat eines Schreibens des Oberpräsidenten vom 1. März 1910, in dem dieser seine Absicht mitteilte, für den 10. März „einige für die pommersche Geschichtsforschung interessierte Herren zum Zwecke einer Vorbesprechung über die Bildung einer Historischen Kommission ... zu versammeln, um einen Meinungsaustausch in dieser Sache herbeizuführen.“14 Am Ende dieser Entwicklung stand die Gründungssitzung vom 13. Mai 1911 auf dem Stettiner Schloß. Es waren anfänglich die ins Auge gefaßten Archivreisen und Archivberichte, die im Mittelpunkt der Kommissionsarbeit standen. Vor allem der Stettiner Archivar Karl Otto Grotefend tat sich hier hervor.15 Ein erstes Ergebnis einer Erweiterung des Aufgabenfeldes, die bereits 1912 beschlossen wurde, war die Veröffentlichung der von Arthur Motzki herausgegebenen „Urkunden zur Camminer Bistumsgeschichte auf Grund der avignonesischen Supplikenregister“. Diese Publikation, neben den Archivberichten die einzige wissenschaftliche Veröffentlichung der Kommission vor 1918, wurde ein völliger Fehlschlag. Sie erhielt in einer Rezension ein so negatives Gutachten, das diese zu heftigen Auseinandersetzungen in der Kommission führte.16 Denn der Publikationsausschuß hatte das Manuskript zuvor geprüft und seinen Druck befürwortet. Eine mögliche Ursache dieser völligen Fehleinschätzung mag auch daran gelegen haben, daß der beste Kenner der Materie, Walter Friedensburg, durch seine Versetzung als Archivleiter nach Magdeburg inzwischen aus der Kommission ausgeschieden war. Der kleine Skandal um die Publikation der Kamminer Urkunden und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges haben das Wirken der Kommission tief erschüttert. Im Frühjahr 1914 waren die Mitglieder letztmals zusammengetreten. Die ersten drei Jahre waren im Rückblick kaum mehr als ein erster Versuch. Für größere Vorhaben fehlte der Kommission die finanzielle Basis, obwohl die Provinzverwaltung jährlich 1 000 Mark bewilligte und das Staatsarchiv aus seinem Etat die Arbeit der Kommission mit 500 Mark unterstützt hatte.17 Auch während der Kriegsjahre 1914 bis 1918 kam die Arbeit zwar nicht völlig zum Erliegen, doch von einer Kommissionstätigkeit im eigentlichen Sinn kann keine Rede sein. Als im August 1920 die Kommission erstmals nach sechs Jahren wieder zusammentrat, nahmen an der Sitzung nur noch sechs Mitglieder teil.18 Der inzwischen aus dem Dienst als Oberpräsident ausgeschiedene Vorsitzende der Kommission legte auf dieser Sitzung sein Amt

14 LAGw, Rep. 60g, Nr. 141, fol. 1. 15 Otto Grotefend, Ergebnisse einer Archivreise im Kreise Greifswald, in: PommJb 11/1910, S. 109–194; Ders., Bericht über die Verzeichnung der kleineren nichtstaatlichen Archive des Kreises Saatzig in Pommern, Stettin 1913. Zu Grotefend Schoebel, Gelehrsamkeit, (wie Anm. 13), S. 88–91. 16 Die Rezension stammte von dem Schweriner Archivdirektor Herrmann Grotefend und erschien 1914 in Band 28 der Monatsblätter der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, S. 11–14. 17 LAGw, Rep. 60g, Nr. 13. 18 A.a.O., fol. 10–12.

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Abb. 8: Auszug aus einer Mitgliederliste der Historischen Kommission für das Jahr 1935. Quelle: LAGw,

Rep. 54, Nr. 622, fol. 22

nieder und schlug zugleich als Nachfolger den Landeshauptmann Johannes Sarnow vor.19 Damit blieb die Historische Kommission eng mit der Provinzialverwaltung verwoben, und diese Bindungen sollten sich in den kommenden Jahren verfestigen. Unter den schwierigen Arbeitsbedingungen der Nachkriegsjahre und der Inflation litt auch die Kommission. In dieser Zeit wuchs jedoch unter den Mitgliedern die Einsicht, daß die Kommission einer grundlegenden Veränderung bedurfte, sollte sie auch in Zukunft lebensfähig bleiben. Ein dreiköpfiger Ausschuß mit dem Stettiner Archivdirektor Otto Grotefend an der Spitze sollte die Neuausrichtung der Kommission und eine neue Satzung vorbereiten, die auf der Jahresversammlung der Kommission im Jahr 1925 angenommen wurde.20 Der erste Paragraph dieser Satzung schrieb das Aufgabenfeld und den Zweck der Kommission wie folgt fest: „Die Historische Kommission hat die Aufgabe, die Erforschung der Geschichte

19 Der Landeshauptmann Sarnow ist bisher nicht Gegenstand biografischer Arbeiten geworden. Vgl. zu ihm lediglich: Aus dem dienstlichen Leben des verstorbenen Landeshauptmanns von Pommern, in: Greifswalder Zeitung vom 14.01.1925, nach Unterstell, Klio, (wie Anm. 4), S. 137 Anm. 81. 20 LAGw, Rep. 60g, Nr. 13, fol. 14f. mit dem Protokoll der Mitgliederversammlung. Die Satzung siehe LAGw, Rep. 54/2, Nr. 250, fol. 3–5, abgedruckt bei Unterstell, Klio, (wie Anm. 4), S. 287–291.

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Abb. 9: Ernst Augustin Wilhelm Otto von Zitzewitz (1873–1945), Landeshauptmann der Provinz Pommern 1925–1934. Quelle: Sammlung Anette von Zitzewitz, Berlin

Pommerns auf jede Art, insbesondere durch Herausgabe von Quellen und Darstellungen pommerscher Geschichte zu fördern.“ Damit unterscheidet sich das Aufgabenfeld der Kommission deutlich von dem Satzungszweck des Jahres 1911. Von einer Sammeltätigkeit ist nun nicht mehr die Rede, dagegen wird auch die Darstellung pommerscher Geschichte in das Aufgabenfeld aufgenommen. Forschung und Darstellung treten nun an die Stelle des Sammelns und Festhaltens. Das Aufgabenfeld umfaßte die Übernahme und Weiterführung der Herausgabe des Pommerschen Urkundenbuches, die Erarbeitung eines Historischen Atlasses der Provinz Pommern und die Sammlung und Bearbeitung der pommerschen Flurnamen. Aufgenommen in den Arbeitsplan wurden auch eine pommersche Biblio­graphie, ein Inventar der pommerschen Burgwälle sowie die Bearbeitung der pommerschen Lebensbilder. Gegenüber den älteren Arbeitsplänen war dies ein sehr anspruchsvolles Programm, zumal auch die Inventarisierung der kleineren Archive fortgeführt werden sollte.21 Nicht alle der genannten Projekte gelangten zu einem befriedigenden Ergebnis. Doch einige dieser Vorhaben bilden noch heute das Aufgabenfeld der Kommission.

21 Zur Arbeit der Kommission in den 1920er und 1930er Jahren siehe Adolf Diestelkamp, Die Historische Kommission für Pommern, in: ZfO 2/1953, S. 281–285; Roderich Schmidt, Die Historische Kommission in Vergangenheit und Gegenwart. Mit einem Verzeichnis der durch sie geförderten Veröffentlichungen zur pommerschen und mecklenburgischen Geschichte, in: BaltStud, N.F., 55/1969, S. 111–124. Eine Liste aller Veröffentlichungen der Kommission auch bei Roderich Schmidt, Achtzig Jahre, (wie Anm. 4).

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Abb. 10: Erich Randt (1887–1948), Direktor des Staatsarchivs Stettin 1930–1935, des Staatsarchivs Breslau 1935–1939, in Krakau 1939–1944, des Geheimen Staatsarchivs Berlin 1944–1945. Quelle: GStAPK, IX. HA, SPAE, VII Nr. 1828

Besonders hervorzuheben ist ein Punkt, der mit Blick auf die heutige Situation bemerkenswert erscheint. Die Kommission wurde im Wesentlichen durch einen großzügigen Zuschuß der Landesverwaltung finanziert, auch wenn dieser nicht zur Bearbeitung des ehrgeizigen Programms genügen konnte. Man benötigte eine breitere finanzielle Basis. Aus diesem Grund kannte die Satzung von 1925 neben den Mitgliedern der Kommission noch die Gruppe der Stifter und die der Förderer. Unter Stiftern waren Institutionen oder Personen zu verstehen, die der Kommission einmalig einen Betrag von mindestens 200 Mark zukommen ließen. Förderer dagegen zahlten jährlich 40 Mark an die Kommission. Der Kreis der Stifter blieb bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf einen ausgesprochen kleinen Kreis beschränkt, während die Zahl der Förderer kontinuierlich ausgeweitet werden konnte. In den Unterlagen der Kommission haben sich Mitgliederlisten mit Stiftern und Förderern erhalten.22 Hierbei wird deutlich, daß neben einzelnen Gutsbesitzern und Bürgern vor allem die Kreise, Städte und Gemeinden Pommerns zur Finanzierung der Kommissionsarbeit beitrugen, und dies etwa in gleichem Umfang wie die Provinzialverwaltung. Heute kennen wir das Institut der Förderer nicht mehr, doch erschien es mir unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung der Kommissionsarbeit an dieser Stelle zumindest einmal bemerkenswert, daß die kommunalen Gebietskörperschaften in Pommern nicht nur von der Arbeit der Kommission profitiert, sondern sie auch finanziell mitgetragen haben.

22 LAGw, Rep. 54, Nr. 622, fol. 22.

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Abb. 11: Adolf Hofmeister (1883–1956), Ordinarius für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Greifswald. Quelle: UB Greifswald, Photosammlung

Auf der Jahresversammlung der Historischen Kommission am 8. Oktober 1925 folgte dem im Jahr zuvor verstorbenen Johannes Sarnow der neue Landeshauptmann Ernst von ­Zitzewitz im Vorsitz nach.23 Er sollte die Kommission bis in das Frühjahr 1934 leiten. Die eigentliche Kommissionsleitung lag jedoch in den Händen des Schriftführers. Dieses Amt hatte stets der leitende Beamte des Staatsarchivs Stettin inne. Mit Karl Otto Grotefend übernahm es eines der Gründungsmitglieder der Kommission, der bereits zu Anfang das Projekt der Archivinventarisierung maßgeblich auf den Weg gebracht hatte. Bis zu seiner Versetzung an das Staatsarchiv Hannover im Jahr 1930 gehörte er dem Vorstand an. Mit seinen beiden Nachfolgern im Amt des Stettiner Archivdirektors und Schriftführers der Historischen Kommission, Erich Randt24 und Adolf Diestelkamp,25 rückt die Phase in der 23 Zu Ernst Augustin Wilhelm Otto von Zitzewitz (28.08.1873–16.03.1945) vgl. Manfred Schultze-Plotzius, Ein Überblick über die Tätigkeit der Provinzialverwaltung von Pommern in den Jahren 1933 bis 1945, in: BaltStud, N.F., 49/1962–63, S. 69–100, hier S. 71; Theodor Wengler, Der Provinzialverband Pommern. Verzeichnis der Mitglieder des Provinziallandtags (Veröffent­ lichungen der Historischen Kommission für Pommern V, 44), Köln/Weimar/Wien 2008. 24 Zu Erich Randt vgl. Karl B. Bruchmann, Erich Randt (1887–1948), in: ZfO 6/1957, S. 403–411; Wolfgang Leesch, Archivare, (wie Anm. 13), S. 473; Schoebel, Gelehrsamkeit, (wie Anm. 13), S. 91–94; Stefan Lehr, Ein fast vergessener Osteinsatz. Deutsche Archivare im Generalgouvernement und im Reichskommissariat Ukraine (Schriften des Bundesarchivs, 68), Düsseldorf 2007. 25 Leesch, Archivare, (wie Anm. 13), S. 119; Mathias Beer, Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Das Großprojekt „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus

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Abb. 12: Manfred Schultze-Plotzius (1883– 1970), Erster Landesrat der Provinz Pommern 1930–1945. Quelle: BaltStud, N.F., 49/1962–63,

nach Tafel XIV

Geschichte der Kommission in den Blick, die zu den fraglos schwierigen Kapiteln zählt. Die Historische Kommission für Pommern in der NS -Zeit ist zwar nicht unerforscht, aber letztlich doch noch nicht in der Form aufgearbeitet, wie es wünschenswert wäre. Auch ist die Aktenlage dieser Zeit nicht besonders günstig. Die Historische Kommission war zu dieser Zeit kein Verein, sondern eine Einrichtung der Provinzialverwaltung, an dessen Spitze stets ein hoher Beamter stand. Mit Ernst Jarmer, Manfred Schultze-Plotzius und Robert Schulz war die Wende hin zu einer nationalsozialistischen Kommission vollzogen.26 Insbesondere Robert Schulz, der als Landeshauptmann der Kommission seit 1936 vorstand, war als SS -Oberführer und einer der führenden Parteimitglieder Pommerns in seine politischen Ämter gelangt. Er brachte der Landesgeschichte und ihrer Erforschung jedoch nur wenig Interesse entgegen. Die bereits ein Jahr zuvor zu einer Landesgeschichtlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern umbenannte Kommission ging schließlich in einer Landeskundlichen Forschungsstelle auf, die alle Einrichtungen der Kulturpflege und des Heimatschutzes vereinen sollte.27 Formal tritt damit die „Fügsamkeit der Kommission“ gegenüber dem NS -Regime deutlich zu Tage, wie es einmal formuliert wurde.28 Immerhin zeigt ein Blick in die Akten, daß die äußere Fügsamkeit nicht ganz mit der Ost-Mitteleuropa”, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46/1998, S. 345–389, hier S. 347 mit Anm. 7; Schoebel, Gelehrsamkeit, (wie Anm. 13), S. 95–98. 26 Unterstell, Klio (wie Anm. 4), S. 143f. 27 LAGw, Rep. 60g, Nr. 13, fol. 47f. 28 Unterstell, Klio, (wie Anm. 4), S. 146.

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Abb. 13: Adolf Diestelkamp (1900–1955), Archivar an den Staatsarchiven Magdeburg, Stettin, Münster, Hannover und am Bundesarchiv Koblenz, Direktor des Staatsarchivs Stettin 1935– 1945. Quelle: Bundesarchiv Koblenz, Photo­ sammlung 146-2011-0048

inneren Einstellung kongruent war. So ist es doch bemerkenswert, daß die Kommission bei der Angleichung ihrer Satzung an die neuen Erfordernisse einer Landesgeschichtlichen Forschungsstelle, zu der übrigens 1935 alle Historischen Kommissionen im Reich umfirmieren mußten, keinen Arier-Paragraphen aufnahm. Dennoch ist Vorsicht geboten, wie ein gerade aufgefundener Schriftwechsel belegt. So war 1936 der Umgang mit einem biographischen Artikel für die Pommerschen Lebensbilder aus der Feder eines jüdischen Autors unter den Mitgliedern keineswegs unumstritten. Die Redaktion der Lebensbilder unter der Leitung von Adolf Hofmeister29 und Martin Wehrmann hatte von dem Berliner Historiker am Reichsarchiv Hans Goldschmidt einen Artikel über Moritz von Blanckenburg, den Jugendfreund Bismarcks und Reichstagsabgeordneten, erbeten. Doch Hans Goldschmidt war Jude und Anfang 1936 aus dem Dienst des Reichsarchivs entlassen worden.30 Er sollte 1939 nach England emigrieren, wo er 1940 als Opfer der deutschen Luftangriffe ums Leben kam. Während Adolf Hofmeister für die Aufnahme aufgrund seiner inhaltlichen Qualität plädierte, rieten andere wie der Vorsitzende Manfred Schultze-Plotzius aus politischer Rücksichtnahme davon ab.31 Letztlich ist der Artikel nicht erschienen. So gewinnt

29 Roderich Schmidt, Hofmeister, Adolf, in: NDB, 9, Berlin 1972, S. 469f.; Dietrich Kausche, Adolf Hofmeister und die pommersche Geschichtsforschung, in: BaltStud, N.F., 69/1983, S. 7–17; Unterstell, Klio, (wie Anm. 4), S. 218–236. 30 Wilhelm Schüssler, Goldschmidt, Hans, in: NDB, 6, Berlin 1964, S. 614f. 31 Zum „Fall Goldschmidt” siehe den umfangreichen Schriftwechsel in LAGw, Rep. 42, Hofmeister, Nr. 3.

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Abb. 14: Roderich Schmidt (1925–2011) in der Aula der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald anläßlich des Festakts zu seinem 70. Geburtstag im Jahre 1995. Quelle: UAG, Photosammlung

man den Eindruck, daß sich die Arbeit der Kommission bzw. der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle nicht völlig frei von politischer Einflußnahme vollzog, und vor allem die Pommerschen Lebensbilder einem erheblichen politischen Druck ausgesetzt waren. So wurde im erwähnten Fall der Verlust der öffentlichen Förderung wegen ideologisch unangemessener Ausrichtung angedroht.32 Eine Regime-Nähe kann man der Kommission auch allein aufgrund der Tatsache unterstellen, daß der Vorstand und zahlreiche Mitglieder in hohen Verwaltungsfunktionen verblieben und zum Teil Mitglieder der NSDAP waren. Mit dem Kriegsbeginn sollte dann auch die Arbeit der Kommission wieder erlahmen und letztlich 1942 zum Erliegen kommen. Der Neuanfang sollte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter dem Dach des Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrates vollziehen. Dieser Verein wurde im April 1950 von Historikern der einstigen deutschen Gebiete, die östlich der damaligen Grenze der Bundesrepublik Deutschland lagen, zur Pflege der „ostdeutschen Landeskunde“ ins Leben gerufen.33 Die zentrale Aufgabe des Vereins war die Unterhaltung des Herder-Instituts, einer Forschungsstelle, in der Material über Ostdeutschland gesammelt und eine 32 LAGw, Rep. 42, Hofmeister, Nr. 3. 33 Vgl. hierzu www.hfr.lmu.de (zuletzt aufgerufen am 26. November 2017).

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beachtliche Bibliothek aufgebaut werden sollte. Wie bei einigen anderen Kommissionen vollzog sich mit Unterstützung des Herder-Forschungsrates am 27. August 1951 in Hannover die Neugründung der Historischen Kommission für Pommern.34 Initiator der Gründung war Adolf Diestelkamp, der ehemalige Direktor des Staatsarchivs Stettin und langjährige Schriftführer der Kommission. Adolf Diestelkamp war im Zweiten Weltkrieg als Soldat eingezogen worden und nach dem Kriegsende in den Westen geflohen. Beruflich hatte er im Staatsarchiv Hannover eine neue Heimat gefunden, wechselte aber schließlich in den Aufbaustab des neuen Bundesarchivs nach Koblenz. Hier wirkte er bis zu seinem Tod am 26. November 1955 als stellvertretender Leiter des Archivs. Seine Berufung in das Bundesarchiv war wegen Diestelkamps Vergangenheit und seiner Tätigkeit in preußischen Archiv­ diensten politisch nicht unumstritten.35 Bereits früh hat sich Adolf Diestelkamp wieder der Landesgeschichtsforschung zugewandt und gab als Schriftleiter seit 1951 die Blätter für deutsche Landesgeschichte heraus. Er gehörte auch seit 1950 dem Herder-Forschungsrat an. Sein Forschungsinteresse richtete sich vor allem auf den ostelbischen Raum und insbesondere auf Pommern. So lag es nahe, daß er mit Gleichgesinnten 1951 den Versuch unternahm, die Historische Kommission für Pommern neu zu beleben. Im zweiten Jahrgang der Zeitschrift für Ostforschung, dem Publikationsorgan des Herder-Forschungsrates und des Herder-Instituts, veröffentlichte er 1953 einen ersten Bericht über die künftigen Aufgaben der Kommission.36 Hierbei galt es zu bedenken, daß ein Großteil der historischen Quellen durch die neue politische Situation dem Zugang der bundesrepublikanischen Forscher verschlossen war. Manches an älteren Vorarbeiten war jedoch gerettet worden, anderes war verloren gegangen. So sollte der Historische Atlas mit einer Besitzstandskarte von 1628 fortgeführt werden. Zudem bestand die Absicht einer Herausgabe der älteren Protokolle der pommerschen Kirchenvisitationen sowie der Bearbeitung einer pommerschen Burgengeschichte und einer pommerschen Geistesgeschichte. Finanziell wurde die Arbeit über den Herder-Forschungsrat abgesichert, der eine entsprechende Unterstützung aus Bundesmitteln erhielt. Nach dem frühen Tod Adolf Diestelkamps folgte Franz Engel im Vorsitz.37 Mit ihm, der von Oktober 1955 bis September 1967 die Kommission leitete, vollzog sich ein grundlegender Wandel hin zu einer wissenschaftlichen Gesellschaft mit einer regen Forschungs- und Publikationstätigkeit. Unter ihm wurden zwei neue Reihen gegründet, die Quellen und die Forschungen zur pommerschen Geschichte. Und die Fortsetzung des Pommerschen Urkundenbuches wurde wieder in Angriff genommen. Ermöglicht wurde dies durch eine Stelle, die beim Herder-Institut aus Bundesmitteln finanziert wurde, und dessen Inhaber

34 Schmidt, Achtzig Jahre, (wie Anm 4), S. 9. 35 Astrid M. Eckert, Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die Rückgabe von deutschem Archivgut nach dem Zweiten Weltkrieg (Transatlantische Historische Studien, 20), Wiesbaden 2004, S. 148–160, bes. S. 155. 36 Diestelkamp, Kommission, (wie Anm. 21). 37 Vgl. den Beitrag von Matthias Manke in diesem Band.

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mit je der Hälfte seiner Arbeitszeit das Pommersche und das Preußische Urkundenbuch bearbeiten sollte. Dieses Großunternehmen der Kommission, das bereits lange vor ihrer Gründung vom Staatsarchiv Stettin begonnen worden war, konnte unter dem Vorsitz von Franz Engel und seinem Nachfolger Roderich Schmidt so weit vorangetrieben werden, daß von den zwölf angestrebten Bänden, die den Zeitraum bis 1350 abdecken sollten, elf Bände im Druck erschienen sind und der zwölfte Band zu weiten Teilen bereits bearbeitet vorliegt. Es ist ein großes Ziel des derzeitigen Vorstandes, die Mittel einzuwerben, um in den nächsten Jahren dieses für unsere Region so wichtige Quellenwerk zu einem Abschluß zu bringen.38 Unter Franz Engel und Roderich Schmidt, der die Historische Kommission von 1967 bis 2001 als Vorsitzender leitete,39 waren viele Mitgliederversammlungen mit wissenschaftlichen Tagungen verbunden. In der Regel nahmen diese Tagungen den gesamten südlichen Ostseeraum in den Blick, behandelten also auch die Geschichte Mecklenburgs, wo es bis 1990 keine eigene historische Kommission gab.40 Im Jahr 2001 vollzog sich die letzte größere Zäsur. Mit dem Ausscheiden von Roderich Schmidt, der bis zu seinem Ableben im September 2011 als Ehrenvorsitzender dem Vorstand der Kommission angehörte, gab die Historische Kommission zugleich ihren Sitz in Marburg auf. Der einstige Rektor der hiesigen Universität, Jürgen Kohler, übernahm nun den Vorsitz und gestaltete die Kommission in einen Verein um. Zugleich kehrte die Kommission nach Pommern zurück und nahm ihren Vereinssitz in Greifswald. Damit trug die Kommission der Tatsache Rechnung, daß pommersche Landesgeschichtsforschung künftig vor allem in Pommern stattfindet. Verbunden mit diesem Umbau ist auch ein Verjüngungsprozeß der Historischen Kommission, der bereits von Roderich Schmidt angestoßen und von seinen Nachfolgern weitergeführt wurde und wird. Heute ist die Historische Kommission wieder ein bedeutender Träger außeruniversitärer Landesgeschichtsforschung in Pommern und arbeitet eng mit den unterschiedlichen Institutionen vor Ort zusammen. Auch wenn sich ihre Aufgabenfelder im Laufe der Zeit kaum gewandelt haben, so geht sie methodisch doch längst auch neue Wege. Der finanzielle Rahmen, der ihr hierfür zur Verfügung steht, ist im Vergleich zu vielen anderen Kommissionen durchaus bescheiden, doch gelingt es zunehmend, zusätzliche Geldquellen zu erschließen. Die Grundfinanzierung stellen das Land Mecklenburg-Vorpommern und das Herder-Institut zur Verfügung. Doch mit diesen Mitteln lassen sich keine Großprojekte finanzieren. Dies ist nur in enger Partnerschaft mit den Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen möglich.

38 Vgl. den Beitrag von Karl-Heinz Spiess in diesem Band. 39 Zu Roderich Schmidt siehe Ludwig Biewer, In memoriam Roderich Schmidt, in: BaltStud, N.F., 97/2011, S. 7–11. 40 Siehe hierzu exemplarisch Beiträge zur pommerschen und mecklenburgischen Geschichte. Vorträge der wissenschaftlichen Tagung „Pommern – Mecklenburg“ 1976 und 1979, veranstaltet von der Historischen Kommission für Pommern, hg. v. Roderich Schmidt (Tagungsberichte des Gottfried Herder-Forschungsrates, 6), Marburg 1981.

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Wie die enge Kooperation mit den Landesuniversitäten die Realisierung größerer Vorhaben ermöglicht und zugleich methodisch neue Wege beschritten werden, soll an einem Beispiel aus dem Forschungsfeld des historischen Atlasses von Pommern erläutert werden. Im Rahmen dieses alten Vorhabens aus den 1920er Jahren sollten auch die Karten der Schwedischen Landesaufnahme, des ältesten deutschen Katasters, bearbeitet werden. Fritz Curschmann, der am Geographischen Institut der Greifswalder Universität die Leitung des Atlasprojektes übernommen hatte, bearbeitete erstmals für die Historische Kommission das Kartenwerk und brachte für den Bezirk Franzburg-Barth eine statistische Zusammenfassung der Beschreibungsbände heraus. Obwohl der Band kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges noch angedruckt wurde, erschien er doch erst nach dem Krieg. Eine Kartenpublikation war noch nicht geplant. Nach dem Krieg setzte man die Arbeiten Curschmanns am Geographischen Institut fort, übersetzte einige Beschreibungen und fertigte Umzeichnungen einiger Karten der Matrikel, doch zu Beginn der 1960er Jahre kam auch dieses Unternehmen zum Ruhen.41 Erst nach der Wiedervereinigung rückte das Matrikelprojekt wieder in den Fokus der Kommission. Nun veröffentlichte die Kommission Übersetzungen der Beschreibungsbände und gab diesen reprographische Kopien der Karten bei. Diese Druckausgaben, die für die Landesgeschichtsforschung von großem Wert sind, waren jedoch sehr kostenintensiv. Dennoch gelang bis heute die Veröffentlichung von mehr als zehn Bänden in der sogenannten Blauen Reihe.42 Möglich war dieses nur durch die unentgeltliche Übersetzungsarbeit vieler Landeshistoriker. Doch den wissenschaftlichen Ansprüchen einer modernen Edition von Text und Karte kann die Blaue Reihe nur bedingt genügen. Einen neuen Schub bekam das Vorhaben durch zwei Projekte, die außerhalb der Kommission durchgeführt wurden. Das Geographische Institut der Universität Greifswald veröffentlichte in einem EU -geförderten Vorhaben zwischen 1999 und 2002 seine 127 Karten der Landesaufnahme im Internet. Etwa gleichzeitig begann das Landesarchiv Greifswald, die von ihm verwahrten 1 455 Karten und 70 Beschreibungsbände digital aufzunehmen. Beide Projekte wurden auf Initiative des Landesarchivs zusammengeführt und sind heute unter

41 Hierzu zuletzt Ivo Asmus, Die bisherige Editionspraxis der Landesaufnahme von Schwe­dischPommern seitens der Historischen Kommission für Pommern, in: Die Schwedische Landesaufnahme von Pommern 1962–1709. Perspektiven eines Editionsprojekts, hg. v. Michael Busch (Die Schwedische Landesaufnahme von Vorpommern 1692–1709, Sonderband 2), Kiel 2011, S. 93–114. 42 Die Schwedische Landesaufnahme von Vorpommern 1692–1709, hg. von der Historischen Kommission für Pommern in Verbindung mit der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Erschienen sind zwei Reihen: Städte, Band 1: Wolgast, o.O. 1992; Band 2: Greifswald, Greifswald 2002; Band 3: Stettin (in zwei Teilbänden), Greifswald 2004–2005; Band 4: Barth, Kiel 2007; Ortsbeschreibungen, Band 1: Insel Usedom, o.O. 1994; Band 2: Insel Rügen (bisher drei Teilbände), Greifswald 1996–2013; Band 3: Distrikt Wolgast, Teil 1: Nördlich der Ziese, Greifswald 1999; Band 4: Die Dörfer der Stadt Greifswald, 2 Bde, Greifswald 2000, Band 5: Die Dörfer der Universität Greifswald, 2 Bde, Greifswald 2001.

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Martin Schoebel

dem Titel „Geogreif“ im Internet veröffentlicht.43 Hierbei handelt es sich jedoch nur um eine Faksimile-Ausgabe, eine wissenschaftliche Bearbeitung und Edition stand noch aus. Lagen die Kosten für einen Band der Blauen Reihe noch bei ca. 8 000 bis 10 000 DM , so konnten für das Projekt des Geographischen Instituts bereits 50 000 D-Mark und für das Vorhaben des Landesarchivs etwa 80 000 D-Mark eingeworben werden. Die beiden letztgenannten Summen deckten dabei noch nicht alle Kosten. Eine wissenschaftliche Bearbeitung und Edition würde jedoch wesentlich größere Mittel verschlingen. Dennoch lag es nahe, diejenigen zusammenzubringen, die sich mit der Landesaufnahme beschäftigt hatten. Neben dem Geographischen Institut, dem Landesarchiv und der Historischen Kommission war dies noch das Historische Institut der Universität Rostock, das in einem Forschungsvorhaben zur frühneuzeitlichen Stadtentwicklung auch pommersche Städte in den Beschreibungen der Landesaufnahme bearbeitet. Alle vier Partner stellten gemeinsam einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Es gelang schließlich, die stolze Summe von fast 850 000 Euro einzuwerben, um eine GIS -gestützte Internetedition der Schwedischen Landesaufnahme anzuschieben. Nach Beendigung des für vier Jahre bewilligten Vorhabens sind die technischen und methodischen Voraussetzungen geschaffen worden, um eine solche Edition zu bearbeiten.44 Zugleich ist etwas weniger als ein Viertel des einstigen schwedischen Pommerns bearbeitet und im Internet verfügbar. Um ganz Vorpommern zu bearbeiten, werden nochmals gut zwölf Jahre Arbeit investiert werden müssen, deren Finanzierung noch nicht gesichert ist. Dieses für viele Bereiche des Landes Mecklenburg-Vorpommern wichtige Projekt, das derzeit eines der großen Vorhaben der Kommission bildet, zeigt, wie sehr sich die Arbeit der Kommission im Verlauf von 100 Jahren gewandelt hat. Solche Projekte sind jedoch nur durch das Zusammenwirken vieler Partner möglich. Neben dem Wandel ist die Kommission auch vielen Aufgaben und Zielen ihrer Anfangsjahre treu geblieben. Denn trotz neuer methodischer Herausforderungen bleibt die Edition historischer Quellen und die Erforschung der pommerschen Landesgeschichte die unveränderte Aufgabe der Historischen Kommission.

43 www.greif.uni-greifswald.de/geogreif/?page_id=9416 und www.svea-pommern.de (zuletzt aufgerufen am 26. November 2017). 44 Das Gesamtprojekt wird in dem Band Die Schwedische Landesaufnahme von Pommern 1962– 1709, (wie Anm. 41) vorgestellt. Siehe hierzu insbesondere das Vorwort von Martin Schoebel und die Beiträge von Bernd Bobitz, Reinhard Zölitz, Michael Busch und Anke Maiwald.

Per Nilsén

Die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung in Schweden 1. Die Bücher Astrid Lindgrens zählen zu den Klassikern der Kinderliteratur. Einige Erzählungen sind reine Abenteuer, einige sind von der Kindheit der Verfasserin und der ihrer Eltern inspiriert.1 Deshalb ist es wohl nicht ganz abwegig, eine kurze Skizze der schwedischen Landesgeschichtsforschung mit einem Zitat aus einem der vielleicht beliebtesten Bücher der Autorin zu beginnen: „In ganz Lönneberga und ganz Småland und ganz Schweden und – wer weiß – vielleicht auf der ganzen Welt hat es noch nie einen Jungen gegeben, der mehr Unfug gemacht hat als dieser Michel, der einmal vor langer Zeit auf Katthult in der Gemeinde Lönneberga in Småland lebte. Daß dieser Junge Gemeinderatspräsident wurde, als er groß war, gehört zu den Wundern dieser Welt. Aber er wurde wirklich Gemeinderatspräsident und der beste Mann in ganz Lönneberga. Da sieht man, daß die allerschlimmsten kleinen Kinder heranwachsen und mit der Zeit richtig gut werden können. Ich finde, es ist schön, darüber nachzudenken.“2 Was hat dieser Michel mit Landesgeschichte zu tun? Die Tatsache, daß er der beste Mann in ganz Lönneberga wurde, deutet ja schon per definitionem ein geschichtliches Interesse an, aber die persönlichen Neigungen des älteren Michels waren für das Zitat nicht ausschlaggebend. Was für das Thema interessanter – oder jedenfalls relevanter – ist, ist wie Astrid Lindgren Michel geographisch einordnet – d.h. Gemeinde Lönneberga in der Landschaft Småland. Und die geographischen Einteilungen, die unterschiedlichen geographischen Einheiten, sind ja für die regionalgeschichtliche Forschung eine zentrale Voraussetzung. Dabei wird der Begriff „regionalgeschichtliche Forschung“ statt „landesgeschichtliche Forschung“ bewußt verwendet: der schwedische Ausgangspunkt ist ja, anders als in Deutschland, der Einheitsstaat. Und um ein Bild dieser schwedischen regionalgeschichtlichen Forschung zu gestalten, braucht man zuerst ein Bild der schwedischen Regionen.

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Es gibt mehrere Astrid Lindgren-Biographien, z.B. Margareta Strömstedt, Astrid Lindgren. En levnadsteckning, Stockholm 2007; eine ältere Auflage auch auf Deutsch: Astrid Lindgren. Ein Lebensbild, Hamburg 2001. Zit. Astrid Lindgren, Michel bringt die Welt in Ordnung, übersetzt von Karl Kurt Peters. Hamburg 1990, S. 5.

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Per Nilsén

2. Eine weitgehend einheitliche schwedische Gesetzgebung gibt es seit der Mitte des 14. Jahrhunderts3 und eine uniforme und standardisierte Staatsverwaltung jedenfalls seit der Regierungsform von 1634. Viele Strukturen der heutigen schwedischen Verwaltung gehen auf die Regelungen von 1634 zurück, nicht nur wenn es um die Zentralbehörden in Stockholm geht, sondern auch in Sachen der regionalen Verwaltung: so wurde z.B. durch die Regierungsform das schwedisch-finnische Reich in Regierungsbezirke (län) eingeteilt,4 Regierungsbezirke, die immer noch existieren, obwohl einige geteilt und wieder einige zusammengelegt worden sind.5 Diese regionale Einteilung des Reiches mit ihren Wurzeln im 17. Jahrhundert ist aber nicht die einzige und wenn es um die regionale Identität geht, bei weitem nicht die wichtigste. Für die Identität eines Schweden ist die Landschaft – im Falle Michels also Småland – in den allermeisten Fällen ausschlaggebend. Der Ursprung der meisten Landschaften verliert sich in der Vorgeschichte:6 die Landschaften waren oft politisch eigenständige Einheiten mit eigenen Rechtsordnungen – den Landschaftsgesetzen – Mundarten, kulturelle Eigenheiten u.s.w. Seit der frühmodernen Zeit spielen die Landschaften als solche keine formelle Rolle mehr, aber die Einteilung in staatliche Regierungsbezirke und auch die Einteilung der evangelisch-lutherischen Schwedischen Kirche folgen meistens deren alten geographischen Grenzen. Die unterschiedlichen Mundarten sind immer noch meistens an die Landschaften gebunden wie auch kulturelle Besonderheiten, Speisen und andere Gewohnheiten. Ferner hat jede Landschaft ein Landschaftswappen, eine Landschaftspflanze und ein Landschaftstier7 und an den beiden ältesten Universitäten in Schweden

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Landrecht und Stadtrecht Magnus Erikssons (Magnus Erikssons landslag) – siehe z.B. die neuschwedische Ausgabe des Landrechts mit (schwedischer) Einführung: Magnus Erikssons landslag i nusvensk tolkning av Åke Holmbäck och Elias Wessén, (Rättshistoriskt bibliotek, 6), Stockholm 1962. Regierungsform 1634, Art. 23, gedruckt in z.B. Sveriges regeringsformer 1634–1809, hg. v. Emil Hildebrand, Stockholm 1891, S. 1–41. Die bisher größten Veränderungen der staatlichen Einteilung in Schweden seit 1634 fanden 1997 und 1998 statt: 1997 wurde aus den bisherigen Regierungsbezirken Malmöhus und Kristianstad (beide eingerichtet 1719) der neue Regierungsbezirk Skåne (Schonen) gebildet; 1998 wurden die westschwedischen Regierungsbezirke Skaraborg (1634), Älvsborg (1634) und Göteborg und Bohus (1680) zum Regierungsbezirk Västra Götaland zusammengefaßt. Die Organisation der regionalen Staatsverwaltung steht z.Zt. in der Diskussion. In Finnland wurden die Regierungsbezirke im Jahre 2010 abgeschafft. Siehe dazu z.B. Asgaut Steinnes, Herluf Nielsen, Jan Liedgren, Aulis Oja, Art. Landskap, in: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid, Bd X, Malmö 1965, Sp. 233–244 mit Literaturhinweisen. Siehe dazu (z.B.): Clara Nevéus, Våra landskapssymboler: vapen, djur och blommor, Lund 2007.

Die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung in Schweden

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(Uppsala und Lund) sind die Studenten nach Landschaftszugehörigkeit in sogenannten Nationen organisiert. Obwohl ein Einheitsstaat, muß Schweden organisatorisch und verwaltungsmäßig als ziemlich dezentralisiert bezeichnet werden. Die kommunale Selbstverwaltung – und zwar auf zwei Ebenen – ist durch die Verfassung gesichert8 und existiert in der heutigen Form seit 1863. In diesem Jahr wurden die kirchlichen Gemeinden – die Kirchspiele – von den bürgerlichen Gemeinden getrennt und die staatlichen Regierungsbezirke erhielten gewählte, kommunale Volksvertretungen: die Bezirkstage.9 Seitdem gibt es zwei kommunale Ebenen: teils die lokalen Primärgemeinden (kommuner), teils die regionalen Bezirkstage (landsting), wobei die Gebiete der Regierungsbezirke und die der Bezirkstage identisch sind. Wie wir uns erinnern, wurde Michel Gemeinderatspräsident in Lönneberga, also in einer kleinen Landgemeinde, deren Gebiet bis in die 1950er Jahre identisch mit dem des mittelalterlichen Kirchspiels war. In den 1950er Jahren wurden die Landgemeinden zu Großgemeinden zusammengelegt und in den 1970er Jahren die Großgemeinden zu noch größeren Großgemeinden – alles, weil die Gemeinden und damit die kommunalen Steuerzahler die Hauptverantwortung für Schule und soziale Fürsorge trugen bzw. tragen. Mit anderen Worten: die kleine Landgemeinde Lönneberga konnte eine siebenjährige Volksschule und ein Armenhaus finanzieren; den Forderungen des Wohlfahrtsstaates auf eine neunjährige Grundschule und ein modernes Altersheim war sie nicht gewachsen. Um ganz kurz ein Bild dieser Entwicklung zu geben, reicht es, darauf hinzuweisen, daß Schweden 1863 ca. 2500 Gemeinden hatte, 1952 1037 und jetzt, 2013, 290.10 Obwohl die bisher behandelte Struktur nicht immer leicht durchschaubar ist, gibt es noch eine Einteilung, die für die historische Forschung von Bedeutung ist. Ein Zitat aus dem literarischen Werk einer anderen schwedischen Autorin kann dabei hilfreich sein: „Er kroch auf das breite Steinmäuerchen, das das ganze Gütchen umgab und das mit Weißdorn und Brombeerranken überwachsen war. Dort ließ er sich nieder, zu überlegen, wie es werden solle, wenn er seine menschliche Gestalt nicht mehr erlangte. Wenn nun Vater und Mutter von der Kirche heimkämen, würden sie sich baß verwundern. Ja, im ganzen Lande würde man sich verwundern, und die Leute würden daherkommen von Ost-Vemmenhög und von Torp und von Skurup, ja, aus dem ganzen Vemmenhöger Bezirk

8 9

Regeringsform (SFS [Schwed. GBl.] 1974:152, Neudr. SFS 2011:109) Kap. 1, § 7; Kap. 14. Kongl. Majestäts Nådiga Förordning (1862:13) om Kommunalstyrelse på landet; Kongl. Majestäts Nådiga Förordning (1862:14) om Kommunalstyrelse i stad; Kongl. Majestäts Nådiga Förordning (1862:15) om Kyrkstämma, samt Kyrkoråd och Skolråd; Kongl. Majestäts Nådiga Förordning (1862:16) om Landsting. Siehe weiter Fritz Kaijser, 1862 års kommunalförordningar […] in: Hundra år under kommunalförfattningarna 1862–1962. En minnesskrift utgiven av Svenska Landskommunernas Förbund, Svenska Landstingsförbundet, Svenska Stadsförbundet, Stockholm 1962, S. 17–66. 10 Eine (übersichtliche) Beschreibung der Entwicklung ist zu finden in Olof Petersson, Kommunalpolitik, Stockholm 2001, S. 44–59 (mit Literaturhinweisen).

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Per Nilsén

würden sie zusammenkommen, ihn anzuschauen. Und wer weiß, vielleicht würden die Eltern ihn sogar mitnehmen, ihn auf den Märkten zu zeigen.“11 Die Verfasserin ist Selma Lagerlöf und das Buch ihre „Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“; die Landschaft ist nicht mehr Småland, sondern Schonen. Ost-Vemmenhög (Östra Vemmenhög), Torp (amtlich Östra Torp) und Skurup waren alle Gemeinden und Kirchspiele im südlichsten Teil der Landschaft. Aber was ist denn der „Vemmenhöger Bezirk“? In der Originalfassung steht Vemmenhögs härad und ein härad war bis in die 1970er Jahre der unterste Gerichtsbezirk auf dem Lande und eine Art historische Untergliederung der Landschaft.12 Eine bessere Übersetzung wäre vielleicht „Kreis“ – besonders da diese Einteilung in härad offenbar eine Inspirationsquelle der Neuordnung der vorpommerschen Kreise von 1806 war.13 Heute entbehren die Kreise jeder verwaltungsmäßigen Funktion, aber existieren weiter, so ungefähr wie die Landschaften – d.h. im Bewußtsein der Einwohner. Damit sind die möglichen geographischen Betätigungsfelder eines geschichtsinteressierten Schweden einigermaßen ausgeschöpft: lokalhistorisch haben wir die Gemeinden (in ihren unterschiedlichen Offenbarungsformen) und die Kreise, regional die Landschaften sowie die staatlichen Regierungsbezirke. Wir können uns jetzt der historischen Forschung hinwenden.

3. Wie erwähnt, war das 17. Jahrhundert eine wichtige und prägende Periode für die schwedische Gesellschaft. Große Teile der Staatsverwaltung gehen auf die Reformen des 17. Jahrhunderts zurück, genau wie die Traditionen der professionalisierten höheren Gerichte und die der höheren Ausbildung.14 Auch die historische Forschung erfuhr im 17. Jahrhundert

11 Zit. Selma Lagerlöf, Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Ein Kinderbuch. Einzige autorisierte Übersetzung aus dem Schwedischen von Pauline Klaiber, München 1920, S. 10. 12 Siehe dazu z.B. Poul Rasmussen, Gerhard Hafström, Aulis Oja, Sølvi Bauge Sogner, Magnús Már Lárusson, Art. Herred, in: Kulturhistoriskt lexikon för nordisk medeltid, Bd VI, Malmö 1961, Sp. 488–495 mit Literaturhinweisen. 13 Siehe Lars Dalgren, Sverige och Pommern 1792–1806. Statskuppen 1806 och dess förhistoria, Uppsala 1914, S. 124; Per Nilsén, Was Unseren getreuen Pommerschen Unterthanen zum wahren Nutzen und Vortheil gereichen könne. Die pommerschen Gerichts- und Ämterreformen von 1806 in: Virtus est satis hoc uno testificata libro. Festgabe für Manfred Herling, hg. v. Dirk Alvermann, Nils Jörn, Kjell Å. Modéer, Münster 2003, S. 334–340. 14 Siehe z.B. Sten Lindroth, Svensk lärdomshistoria. Stormaktstiden, Stockholm 1975, bes. S. 15–72, 349–370; Den svenska juridikens uppblomstring i 1600-talets politiska, kulturella och religiösa stormaktssamhälle. The Flourishing Jurisprudence in the Political, Cultural and Religious Seventeenth Century, Sweden’s Age of Greatness, redigiert von Göran Inger, (Rättshistoriska studier, IX), Stockholm 1989.

Die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung in Schweden

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eine Institutionalisierung: teils als Folge der Universitätsgründungen,15 teils als Folge der Entstehung der Ämter des Reichshistoriographen und des Reichsantiquars.16 Das starke staatliche Interesse für die Vergangenheit des Reiches war mit dem neugewonnenen Status Schwedens als europäischer Großmacht verbunden – Schweden wurde mit der Heimat der Goten identifiziert und Jordanes‘ Getica effektiv in die nationale Geschichtsschreibung inkorporiert. So erhielt Schweden eine durchaus wettbewerbsfähige, lange und ehrenvolle Vergangenheit.17 Aber nicht alles war innovative Konstruktion und nicht alles war notwendigerweise auf die Reichsgeschichte als solche konzentriert. Vom Reichsantiquar in Stockholm gingen schon 1666 Bestrebungen aus, die unterschiedlichen Denkmäler im Reich zu inventarisieren. Das Ergebnis seiner Bestrebungen war nicht nur das erste schwedische Denkmalgesetz vom 28. November 1666, sondern auch die erste Bestandaufnahme schwedischer Denkmäler. Jeder Pastor wurde angehalten, die „Antiquitäten“ – d.h. die Denkmäler – seiner Gemeinde genau zu verzeichnen und das Verzeichnis nach Stockholm einzusenden.18 Im 18. Jahrhundert entstand ein oft merkantilistisch geprägtes Interesse für die Topographie und die Beschreibung der unterschiedlichen Landstriche. Der Landsmann Michels aus Lönneberga, der Småländer Carl Linnæus (von Linné, 1707–1778) wurde vom Reichstag beauftragt, Forschungsreisen nach Öland und Gotland (1741), nach Västergötland (1746) und nach Schonen (1749) zu unternehmen. Seine veröffentlichten Reisebeschreibungen – mit Anmerkungen sowohl der Oeconomie, Naturalien, Antiquitäten, Sitten und Lebensarten betreffend19 sind alle Klassiker, nicht nur unter den Landschaftsbeschreibungen, sondern auch in der schwedischen Literatur überhaupt und werden immer aufs Neue aufgelegt. Gereist wurde im Auftrage des Staates, aber die Reisebeschreibungen waren für die heranwachsende bürgerliche Öffentlichkeit bestimmt. Für das gleiche Publikum wurde vom Extraordinarbeamten im Reichsarchiv Erik Tuneld (1709–1788) eine Geographie des Königreiches Schweden20 ausgearbeitet, deren zweite Auflage übrigens von Karl Ernst Klein, Pastor in Abtshagen, anonym auf Deutsch übersetzt 15

Die mittelalterliche (1477 gegründete) Universität Uppsala wurde in den 1620er Jahren rekonstruiert, danach folgten mehrere Neugründungen: Dorpat/Tartu (1632) Åbo/Turku (1640) und Lund (1666/1668). 16 Sten Lindroth, Svensk lärdomshistoria. Stormaktstiden, Stockholm 1975, S. 235–344, bes. S. 320–327, 338–344. 17 Siehe dazu Inken Schmidt–Voges, De antiqua claritate et clara antiquitate Gothorum. Gotizismus als Identitätsmodell im frühneuzeitlichen Schweden, (Imaginatio Borealis. Bilder des Nordens, Bd. 4), Frankfurt am Main 2004. 18 Die Bestandaufnahme ist veröffentlicht in: Rannsakningar efter antikviteter Bd I:1, II:1, hg. v. Ingemar Olsson; Nils-Gustaf Stahre; Carl Ivar Stråhle, Stockholm 1960 bzw. 1969 und Bd III:1, hg. v. Nils-Gustaf Stahre, Stockholm 1992. 19 „[…] med rön och anmärkningar uti ekonomien, naturalier, antikviteter, seder och levnadssätt”. Zit. vom Titelblatt der schonischen Reise. Carl Linnæi, […] Skånska resa 1749, Stockholm 1975. 20 Eric Tuneld, Inledning til geographien öfwer Swerige upstälda af […], Stockholm 1741.

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Abb. 1: Kapitel I "Über das Herzogtum Pommern" aus: Eric Tuneld, Geographie öfver Konungariket S­ werige, Bd. 4, 6. Aufl. Stockholm 1792, S. 250–251

wurde.21 Die Originalarbeit, bahnbrechend für ihre Zeit, erlebte nicht weniger als acht Auflagen und zählte zuletzt vier Bände (Abb. 1). Hier erfährt der Leser viel über Natur, aber auch über Kultur, Denkmäler, Geschichte u.s.w. – es ist offenbar, daß der Verfasser mit lokalen Korrespondenten in Kontakt gewesen war. Auch an den Universitäten wurde lokale und regionale Geschichte thematisiert, z.B. an der Universität Lund, wo der Professor für Geschichte Sven Lagerbring (1707–1787), Verfasser einer der historiographisch wichtigsten schwedischen Reichshistorien, Swea rikes historia (4 Bde 1769–83),22 sich auch der lokalen und regionalen Geschichte widmete. Er

21 Unter dem Titel Allgemeine physicalisch-historisch und moralische Geographie des Königreichs Schweden. Auf Befehl der hohen Reichsstände ausgearbeitet von Erich Tuneld, Hamburg 1749; Leonard Bygdén, Svenskt anonym- och pseudonymlexikon, Bd. 1, Uppsala 1898–1905, Sp. 39; siehe auch http://runeberg.org/sveanopse/1/0032.html 22 Sven Lagerbring, Swea rikes historia, ifrån de äldsta tider til de närwarande Bd. 1–5, Stockholm 1769–1787. Eine Zusammenfassung, Sammandrag av Swea Rikes historia (1775, 1778–1780), wurde von J.G.P. Möller auf Deutsch übersetzt und in Greifswald (Röse) unter dem Titel Abriß

Die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung in Schweden

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gab in den Jahren 1744–1751 die Serie Monumenta scanensia heraus mit zahlreichen Quellen zur Mittelaltergeschichte Schonens und vergab auch Dissertationsthemen mit regionaloder lokalhistorischem Charakter, z.B. über die Geschichte der Landschaft Halland 1751 (Dissertatio historica de Hallandia, Respondent war der Halländer Johannes G. Grimbeck) oder über die Geschichte der einzelnen südschwedischen Kreise bzw. Städte – beispielsweise wurde so der Kreis Skytts, grenzend an Nils Holgerssons Heimatkreis Vemmenhög 1778, von Nils Henrich Lovén in einer Dissertatio gradualis de territorio Skyttiano (Skytts härad)23 behandelt. Ein ähnliches, lokales und regionales historisches Interesse ist selbstverständlich auch an den anderen schwedischen Universitäten zu verzeichnen. Aber Thema des Beitrages ist eigentlich die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung (oder: Regionalgeschichtsforschung) in Schweden. Und dafür ist das 19. Jahrhundert besonders wichtig. Die Bedingungen der Landwirtschaft veränderten sich grundlegend, vor allem in den südlichen, dicht besiedelten und agrarisch hochentwickelten Gebieten des Landes, wo – in Übereinstimmung mit den Reforminteressen der Staatsmacht – die Bauerndörfer nach genauer Vermessung und Begutachtung der Bodengüte aufgelöst wurden zum Vorteil alleinliegender Einzelhöfe. Die alte Dorfgemeinschaft und ihre Traditionen schwanden dahin, aber die Erträge wurden dank individueller Bewirtschaftung und neuer landwirtschaftlicher Methoden erheblich besser. Die allgemeine Volksschule wurde 1842 eingeführt24 und auch Schweden wurde langsam ein industrialisiertes Land; zwanzig Jahre später (1862) konnte man in weniger als 24 Stunden die Reise Göteborg–Stockholm auf einer in Staatseigentum befindlichen Eisenbahnstrecke absolvieren. Das Neue gebar aber ein verstärktes Interesse für das Alte, das landschaftlich Besondere – seien es Mundart, Sitten, Kleidung, Architektur oder mündliche Überlieferungen; selbstverständlich unter dem Eindruck von dem, was im Ausland publiziert wurde. Ethnographische Schilderungen aus den schwedischen Landschaften wurden veröffentlicht, wie z.B. Gunnar Olof Hyltén-Cavallius’ Wärend och Wirdarne25 über die Verhältnisse im alten Småland und Nils Lovéns (Pseud. Nicolovius) Folklifvet i Skytts härad26 mit Kindheitserinnerungen aus dem Kreise Skytts – also aus dem schonischen Kreis, den sein Onkel in einer Dissertation 1778 an der Lunder Universität historisch und topographisch beschrieben hatte. Veröffentlichungen wie diese inspirierten andere, auch zum Zusammenschluß für die Dokumentation und Pflege regionalen Brauchtums: 1856 wurde Föreningen för Nerikes der schwedischen Reichshistorie von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten entworfen von Swen Lagerbring 1776 herausgegeben. 23 In schwedischer Übersetzung vom Heimatverein des Kreises Skytts herausgegeben unter dem Titel: Nils Henr. Lovén, Skytts härad. En akademisk avhandling från slutet av 1700-talet, Trelleborg 1960. 24 Kongl. Maj:ts Nådiga Stadga (1842:19) angående Folk-underwisningen i Riket. 25 Gunnar Olof Hyltén-Cavallius, Wärend och wirdarne: ett försök i svensk ethnologi, Stockholm, 1863–1868. 26 Nils Lovén (Nicolovius), Folklifwet i Skytts härad i Skåne wid början af detta århundrade: barndomsminnen, Lund 1847.

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folkspråk och fornminnen – der Verein für die Volkssprache und die Altertümer Närkes (eine Landschaft Mittelschwedens) – gegründet und bald folgten ähnliche Gründungen, die entweder auf die Landschaft, den Regierungsbezirk oder die Stadt basiert waren, rund um in Schweden. Auch hier standen Dokumentation und Pflege des regionalen oder lokalen Brauchtums im Fokus, aber auch das Sammeln von Gegenständen, die typisch für die geographische Region waren, aber als Konsequenz der Industrialisierung und der ­industrialisierten Fertigung neuer Produkte nicht mehr im Alltagsleben gebraucht bzw. hergestellt wurden. Diese Sammlungen wurden oft Grundlage lokaler und regionaler Museen, die später entweder von den kommunalen Körperschaften direkt übernommen wurden – oder sie wurden durch primär- bzw. sekundärkommunale Beteiligung in Stiftungen umgewandelt. Das Sammeln von Gegenständen wurde nicht selten – unter Eindruck der Ideen von Artur Hazelius (1833–1901) in Stockholm, des Gründers des Freilichtmuseums Skansen (1891), und Georg Karlin (1859–1939) mit seinem Kulturhistorischen Museum für das südliche Schweden in Lund (1892) – mit der Rettung ganzer Gebäude und Gebäudeensembles verknüpft, die entweder in situ oder an anderer Stelle, zusammen mit passenden Nachbarhäusern und dann als Teil lokaler oder regionaler Freilichtmuseen renoviert bzw. wiederaufgebaut wurden.27 Von den Vereinen wurden auch Schriftserien zur lokalen und regionalen Geschichte veröffentlicht – z.B. gab der 1866 gegründete Historische und Archäologische Verein der schonischen Landschaften (De skånska landskapens historiska och arkeologiska förening) seit 1868 Publikationen heraus;28 die Beispiele sind vielfältig. Daß die Beispiele so vielfältig – ja, fast unübersichtlich – sind, hängt mit der Entwicklung des lokalen und regionalen Geschichtsinteresses zusammen. Die hauptsächlich regionalen „Altertumsvereine“ des 19. Jahrhunderts gaben Inspiration für die Entstehung einer großen Anzahl lokaler Heimatvereine, entweder auf Stadt-, Gemeinde- oder Kreisebene. Die Schweden sind ein vereinsfreudiges Volk und diese Tatsache spiegelt sich auch in der sogenannten Heimatbewegung.29 Oft ist der lokale Heimatverein Mitglied eines regionalen Heimatbundes, der entweder auf der Ebene der Landschaft oder des Regierungsbezirks organisiert ist. Der Heimatbund ist Mitglied der Dachorganisation Sveriges Hembygdsförbund, d.h. des Schwedischen Verbandes für Heimatpflege. 2008 hatte dieser Verband für

27 Siehe dazu Sten Rentzhog, Friluftsmuseerna. En skandinavisk idé erövrar världen, Stockholm 2007; eine immer noch brauchbare Übersicht der älteren Entwicklung ist zu finden in einem Komiteebericht des Kultusminsteriums (Ecklesiastikdepartementet) von 1922: Statens offentliga utredningar (SOU) 1922:11 Betänkande med förslag till lag angående kulturminnesvård samt organisation av kulturminnesvården […]. I. Historik, memorial ang. minnesvårdens nuvarande ståndpunkt, utländsk lagstiftning samt bilagor, Stockholm 1922, bes. S. 136–160. 28 Siehe dazu z.B. Gert Jeppsson, Ale 50 år in: Ale. Historisk tidskrift för Skåne, Halland och Blekinge 4/2011, S. 1–6. 29 Für die Geschichte der Heimatbewegung (hembygdsrörelse), siehe Återblickar. Samfundet för Hembygdsvård 75 år, redigiert von Mats Rolén; Gunilla Lindberg, Bygd och Natur 1991 (bes. S. 7–21 mit Literaturhinweisen); Maria Björkroth, Hembygd i samtid och framtid 1890–1930, (Papers in Museology, 5), Umeå 2000.

Die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung in Schweden

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Abb. 2: Elbogen. Jahrbuch des Historischen Vereins in Malmö 2007 (Einbandvorderseite)

Heimatpflege 1941 lokale Mitgliedsvereine, die in 26 regionalen Heimatbünden organisiert waren. Von diesen fast 2000 Vereine beschäftigen sich – laut statistischen Angaben des Dachverbandes – etwa 44% mit Dokumentation und Forschung und 31% geben Veröffentlichungen heraus, 215 Vereine sind Herausgeber eines Jahrbuchs.30 Wichtige Zentren für die lokal- und regionalgeschichtliche Forschung – und dann auch als Quellen für die Beiträge in den unterschiedlichen Jahrbüchern und anderen Veröffentlichungen der Heimatvereine – sind die sieben Landesarchive.31 Hier werden Akten und Materialien der lokalen und regionalen Verwaltung aufbewahrt und hier wird der Lokalund Regionalhistoriker fündig in seinem Suchen nach Gerichtsprotokollen, Akten der Regierungsbezirke, der Post, in kirchlichem Material (darunter Kirchenbücher) etc. Die Landesarchive und das Personal der Landesarchive arbeiten oft eng mit den lokalen und regionalen Geschichts- bzw. Heimatvereinen zusammen.

4. Wie gestaltet sich nun die außeruniversitäre lokal- und regionalgeschichtliche Forschung rein praktisch? Ich möchte exemplarisch ein paar Beispiele aus meiner eigenen Heimat und aus den letzten Jahren kurz vorstellen. Fangen wir lokal an und mit dem Jahrbuch

30 Für weitere Angaben (und Statistik für das Jahr 2008) siehe http://www.hembygd.se. Kürzere Informationstexte sind auf Deutsch erhältlich. 31 Für weitere Informationen, siehe die Homepage des Reichsarchivs: http://www.riksarkivet.se.

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Per Nilsén

des Kulturhistorischen Vereins Malmö (Malmö Kulturhistoriska Förening32) von 2007 – die Jahrbücher 2008 und 2009 umfassen Register der Totalausgabe der Jahrbücher und sind daher als Beispiel eines typischen Jahrbuchs eher ungeeignet. Das Jahrbuch 200733 umfaßt folgende Beiträge: Der Frieden in Roskilde 350 Jahre – Malmö wird eine schwedische Stadt,34 Vermessungen und Menschen. II – Das Malmöer Stadtingenieuramt 1862–1972,35 Eine Musikerfamilie aus Malmö,36 Der Kampf um das Stimmrecht und weibliche Pioniere in der Malmöer Lokalpolitik,37 Von der Knabenschule zur Koedukationsschule – Die Malmöer Lateinschule aus Genderperspektive,38 Neues aus der Denkmalpflege,39 Neues aus dem Stadtarchiv40 und abschließend: Geschäftsbericht 2006.41 Als Vergleichsobjekt kann das Jahrbuch des ländlichen Heimatvereins des Kreises Oxie (Oxie Härads Hembygdsförening42) 2010 mit dem – buchstäblich – anheimelnden Titel „Geschichte hier zu Hause“43 herangezogen werden. In dieser Veröffentlichung werden recht unterschiedliche Themen behandelt, wie z.B.: Lufthafen Bulltofta,44 Freigelassene Strafgefangene im Kreis Oxie,45 Kulladal – eine kleine Oase zwischen Land und Stadt,46 Die Geheimnisse des Chorgewölbes in der Särslöver Kirche,47 Glanzbilder,48 Bauernhöfe im Kreis Oxie49 und Vellinge in den 30er Jahren.50 Einen anderen Charakter hat die regionalgeschichtliche Zeitschrift „Ale“, herausgegeben von dem schon erwähnten Historischen und Archäologischen Verein der schonischen Landschaften (De skånska landskapens historiska och arkeologiska förening51) und dem Lan32 33

Homepage: http://elbogen.nu. Elbogen. Malmö Kulturhistoriska Förenings Årsskrift 75/2007, redigiert von Rita Rohlin, Kerstin Martinsdotter, Anders Reisnert, Lars Svensson (vgl. Abb. 2 in diesem Beitrag). 34 Göran Larsson, Freden i Roskilde 350 år – Malmö blir en svensk stad, S. 5–7. 35 Susanne Krogh-Bender, Mätningar och människor. II – Malmö stadsingenjörskontor 1862– 1972, S. 9–34. 36 Ulla Fredriksson, En verkstad som var en akademi – Om en musikersläkt i Malmö, S. 35–44. 37 Åke Norström, Rösträttskampen och kvinnliga pionjärer i Malmös kommunalpolitik, S. 45–82. 38 Karin Embro Larsson, Från gosskola till samskola – Malmö latinskola i ett genusperspektiv, S. 83–106. 39 Mimmi Tegnér, Nytt om antikvariskt 2007, S. 107–114. 40 Cecilia Jansson, Nytt om arkivaliskt 2007, S. 115–120. 41 Verksamhetsberättelse för 2006, S. 121–123. 42 Homepage: http://hem.passagen.se/oxieharadshembfor. 43 Historia här hemma. Om livet i Oxie Härad. Oxie Härads Hembygdsförenings Årsbok. Redigiert von Sigvard Tyge, Per Ragnarsson, Malmö 2010. 44 Kjell Wihlborg, Bulltofta, S. 9–16. 45 Kurt Persson, Frigivna straffångar i Oxie härad, S. 17–31. 46 Bengt Olsson, Kulladal – en liten oas mellan landet och staden, S. 33–37. 47 Lars Plantin, Korvalvets hemligheter i Särslövs kyrka, S. 71–76. 48 Annette Stenlund, Rosor, stycken, glansbilder – kärt märke har flera namn, S. 77–87. 49 Bertil Berndtsson, Gårdar i Oxie Härad, S. 109–112. 50 Yngve Hansson, Vellinge på 30-talet, S. 113–122. 51 Homepage: http://www.tidskriftenale.nu.

Die außeruniversitäre Landesgeschichtsforschung in Schweden

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desarchiv Lund mit finanzieller Unterstützung des staatlichen Wissenschaftsrates. Die vierte Nummer der Zeitschrift für 201052 umfaßt vier Beiträge: Moderne Forschung datiert den Bockstensmann ins 14. Jahrhundert,53 Die Kirche in Väsby und die Bedeutung des Patronats für die Baugeschichte,54 „Ein großer Turm und Häuser ringsum“ – die Reichsburg Falkenberg aus neuer Perspektive,55 und abschließend: eine Rezension des Bandes VIII :1 der Geschichte Helsingborgs.56 Mit diesen Beispielen aus dem (südwest-)schonischen Bereich hoffe ich gezeigt zu haben, daß die außeruniversitäre lokal- und regionalgeschichtliche Forschung in Schweden lebendig und vielfältig ist, aber auch, daß sie im hohem Maße – und schon seit Beginn – auf ehrenamtlichen Kräften beruht. Das bedeutet auch, daß der Grad der Wissenschaftlichkeit manchmal variiert. Aber schließlich: wo wären wir, wenn Lokal- und Regionalgeschichte ausschließlich die Sache von Akademikern wären?

52 Ale. Historisk tidskrift för Skåne, Halland och Blekinge 4/2010. 53 Pablo Wiking-Faria, Modern forskning daterar Bockstensmannen till 1300-talets mitt, S. 1–3. 54 Caroline Ranby, Väsby kyrka och patronatsskapets betydelse för byggnadshistorien, S. 4–18. 55 Peter Skoglund; Mats Dahlbom, ”It stort Torn oc Huse omkring” – Nya perspektiv på riksborgen Falkenberg, S. 19–36. 56 Solveig Fagerlund, Helsingborgs historia, VIII, 1 – Landsbygden, S. 37–39.

Jens E. Olesen

Landesgeschichtsforschung in Dänemark. Themenvielfalt und Pflege der lokalen und regionalen Traditionen

In Dänemark herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung traditionell ein großes Interesse an Geschichte. Dies bezieht sich besonders auf die dänische Geschichte auf lokaler und regionaler als auch auf nationaler Ebene. Besonders die Landesgeschichtsforschung blüht seit langem. Überall in kleinen und großen Vereinen werden Lokal-, Regional- sowie Stadtgeschichte und andere verwandte fachliche Themen erforscht und vermittelt. Eine der größten dieser regionalgeschichtlichen Vereinigungen ist u.a. die Geschichtsgesellschaft für das südliche Jütland („Historisk Samfund for Sønderjylland“), mit über 2.400 Mitgliedern überwiegend aus der Region, aber auch aus anderen Teilen Dänemarks sowie aus anderen Staaten.1 Die regionalgeschichtlichen Vereinigungen geben häufig eigene Jahrbücher, Zeitschriften oder Schriftenreihen zu jeweils regional wichtigen Themen heraus. Oft sind es fachlich ausgebildete Historiker, die in diesen Vereinigungen mit interessierten Laien eng zusammenarbeiten und anspruchsvolle Programme wie Vortragsreihen, Exkursionen und Themenveranstaltungen planen und durchführen. Die lokale und regionale Geschichte wird darüber hinaus auch in weiteren Zusammenhängen populär vermittelt. So wird in jedem Jahr im Rahmen der dänischen Volksuniversität eine Vielzahl von Vortragsveranstaltungen durchgeführt, bei denen Hochschullehrer und andere Experten ihr Wissen an ein breit gefächertes interessiertes Publikum vermitteln. An den etwa 100 dänischen Volkshochschulen (Folkehøjskoler) wird das Fach Geschichte ebenfalls aktiv diskutiert und gepflegt.2 Die Geschichte der dänischen Landesgeschichte (auf Dänisch: Lokal- und Regionalgeschichte, das Wort Landesgeschichte wird nicht verwendet) ist interessanterweise bislang noch nicht besonders gut erforscht.3 Im Folgenden sollen einige Hauptlinien dargestellt werden, mit dem Zweck, einige Institutionen zu präsentieren, auch um gewisse lokal- und regionalhistorische Positionen und Probleme in Dänemark zu markieren. Lokal- (und Regional-) Geschichte und Lokalhistoriker sind Wörter, die erst seit dem 20. Jahrhundert in Dänemark Anwendung finden. Früher verwendete man die Bezeichnung „Topographie“ – eine Beschreibung einer Ortschaft oder einer Lokalität. Die Ursprünge der dänischen Landesgeschichtsforschung sind in den topographischen Darstellungen und 1 Jørgen Kühl, Die Geschichtswissenschaft in Dänemark, in: Zeitenblicke 2/2003, Nr. 2. 2 Ove Korsgaard, Kampen om lyset. Dansk voksenoplysning gennem 500 år, Kopenhagen 1997. Gustav Albeck, Universitet og Folk. Bidrag til Folkeuniversitetets historie, Kopenhagen 1984. 3 Knud Prange, Lokalhistorie – en Håndbog, Kopenhagen 1989, S. 47.

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Beschreibungen zu finden. Der erste große Versuch, eine topographische Beschreibung über ganz Dänemark zu unternehmen, wurde von dem Jura-Professor Peder Hansen Resen (1625–1688) unternommen. Er forderte 1666 alle Pfarrer des Landes auf, Beschreibungen von ihren Kirchgemeinden und Kirchspielen an ihn zu liefern. Das umfassend gesammelte Material wurde leider nicht gedruckt und veröffentlicht, und der Hauptteil ist verloren gegangen, aber fast alle erhaltenen Teile sind in den letzten Jahrzehnten publiziert und zugänglich gemacht worden.4 Nach ihm hatte der bekannte Bischof Erik Pontoppidan (1698–1764) mit seinem Werk „Den Danske Atlas“ (erschienen 1763–81) größeres Glück. In diesem Werk wurde eine ausführliche Beschreibung von ganz Dänemark mit „den natürlichen Eigenschaften, Elementen, Einwohnern, Pflanzen, Bäumen und Tieren“ geboten. Zweck der Bände war es, „genauere und verbesserte Nachrichten über jede Provinz, über die natürlichen und bürgerlichen Zustände in den älteren und in den jüngeren Zeiten“, zu geben. Er beschäftigte sich mit den Einwohnern der Regionen, den Eigenschaften der Bewohner, sowie der wirtschaftlichen Situation und dem Schicksal der Städte (hier besonders den Gründen für ihre Entstehung), und mit zahlreichen alten und neuen Sachen, die allgemein nützlich sein könnten. Erik Pontoppidan teilte weiter mit, daß es ab und zu nützlich sein könne zu wissen, wie beispielsweise Häuser aussahen und Menschen vor 200 bis 300 Jahren bekleidet waren, und daß nicht alles aus den alten Zeiten nur positiv aufzufassen sei. In seinem gesamten Aufbau und seiner Themenwahl war „Den Danske Atlas“ ein echtes Kind seiner Zeit. Es herrscht heute kein Zweifel, daß dieses umfangreiche Werk in vielerlei Hinsicht die allgemeine topographische Literatur bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts prägte. Das große Werk definierte für lange Zeit die Themen, die man in gemeinde- und stadthistorischen Werken vorrangig behandeln sollte.5 Schon früh im 17. Jahrhundert existierte eine lokalhistorische Gattung mit Darstellungen von lokalen und regionalen Ereignissen, aber erst nach Pontoppidan und besonders in der Zeit des Rationalismus entwickelten sich die topographischen Werke ernsthaft. Diese Publikationen sind oft von einer starken Heimatliebe getragen worden, kombiniert mit konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Wirtschaft und wie die Ortschaften und die Region zum Blühen gebracht werden könnten. Diese Bücher müssen oft im Zusammenhang mit den damaligen Reformbewegungen betrachtet werden. Es ist vor diesem Hintergrund nur natürlich, daß die Verfasser in der Regel lokale Pfarrer oder andere lokale oder regionale Amtsinhaber waren, die sich der Entwicklung der lokalen Verhältnisse verpflichtet fühlten. Diese Verfasser konnten ihre Darstellungen sowohl auf der Grundlage von Archivalien und Quellen in ihren eigenen Archiven schreiben als auch durch eigene Beobachtungen und Erfahrungen.6 4 Peder Hansen Resen, Atlas Danicus (mehrere Kirchspiele wurden veröffentlicht); Arent Berntsen, Danmarckis og Norgis Fructbar Herlighed, Kopenhagen 1656 (Neuauflage 1971). 5 Erik Pontoppidan, Den Danske Atlas I–IX, Kopenhagen 1763–1781 (Neuauflage 1969–1972). 6 Prange, (wie Anm. 3), S. 48 f.

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Abb. 1: Knud Prange, Lokal Historie - en håndbog, hg. v. Dansk Historisk Håndbogsforlag, Kopenhagen 1989. Dieses Handbuch erfreut sich in Dänemark großer Bekanntheit und Popularität.

Anfang des 19. Jahrhunderts begannen die Bücher und Darstellungen, ihren Charakter zu ändern. Die konkreten Reformvorschläge traten in den Hintergrund und die Vermittlung des historischen Wissens rückte ins Zentrum. Gleichzeitig wurde der Kreis der Verfasser erweitert und umfaßte jetzt zum Beispiel Schullehrer, sowohl von der allgemeinen Volksschule als auch von der gelehrten Schule. Aber man schrieb weiterhin vor allem über den Ort, wo man wohnte, selten über den eigenen Geburtsort. Auch im Inhalt der Bücher läßt sich eine Änderung beobachten: statistische Aspekte, die Zusammensetzung der Bevölkerung, Lebensverhältnisse, Handel und Handwerk spielten jetzt eine größere Rolle. Eine neue Zeit prägte die Gattung, und die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in dieser Hinsicht bestimmend.7 Mindestens drei Aspekte haben Bedeutung gehabt und die lokal- und regionalhistorische Literatur bis heute maßgeblich in Dänemark geprägt. Die Gruppe der Beamten und das Bürgertum spielten eine wachsende politische, soziale und wirtschaftliche Rolle in der Gesellschaft, darum wurden diese Gruppen besonders eingehend in den Stadtgeschichten dargestellt. Der Einfluß der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte des Vaterlandes (vgl. C.F. Allens Handbuch der Geschichte des Vaterlandes 1840) spielte möglicherweise eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dazu kam, daß die Niederlage im dänisch-preußischen/österreichischen Krieg 1864 tiefe Spuren hinterließ. Die Niederlage sollte intern bewältigt werden, und dazu gehörte die Lokalgeschichte. Die lokale und

7

A.a.O., S. 49.

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regionale Geschichte bekam die Aufgabe des Kulturschutzes, oft unter dem Motto: „Die Geschichte ist Lehrmeister der Gegenwart“.8 Im Jahre 1859 wurde mit der Veröffentlichung der lokalhistorischen Zeitschrift „Samlinger til Fyens Historie og Topografi“ begonnen, und 1866 gründeten die Jütländer eine historisch-topographische Gesellschaft, die die Zeitschrift „Samlinger til jydsk Historie og Topografi“ veröffentlichte. Diese Zeitschrift existierte noch bis vor wenigen Jahren unter dem Namen „Historie“, und ging dann in der neuen Zeitschrift „Temp“ auf. Es waren überwiegend Beamte, Gutsbesitzer und Kaufleute, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Initiative ergriffen. Die nationale Sichtweise war besonders deutlich, als die Südjütländer im Jahre 1889 ihre eigene Zeitschrift mit dem Namen „Sønderjydske Aarbøger“ und Hans Peter Hanssen (1862–1936) als Redakteur erhielten. Die Insel Seeland bekam ihre eigene Zeitschrift „Fra Arkiv og Museum“ ebenfalls im Jahre 1889.9 Gleichzeitig mit den Zeitschriften wurden nicht wenige lokal- und regionalhistorische Arbeiten veröffentlicht: Gemeindegeschichten, Gutshofgeschichten und besonders Stadtgeschichten. Die Gattung änderte sich aber deutlich. Fußnoten und Illustrationen wurden häufiger benutzt, und man begegnete einem neuen Typus, den man als „Werbebuch“ bezeichnen könnte, mit umfassenden Beschreibungen des städtischen Gewerbelebens. Auch der Verfasserkreis änderte sich: die Anzahl der schreibenden Pfarrer nahm ab, öffentliche Angestellten, besonders Juristen und Lehrer (inkl. Fachhistoriker) dominierten, und einige Journalisten kamen hinzu.10 In dieser Zeit wurden auch neue Themen aufgegriffen. Im Jahre 1879 wurde mit der Veröffentlichung der noch heute erscheinenden „Personalhistorisk Tidsskrift“ begonnen. Hier machte sich eine enge Verknüpfung und Verzahnung mit lokalhistorischen Themen bemerkbar, und in den Jahren 1891–1900 veröffentlichte Poul Bjerge, Lehrer an der Volkshochschule Askov (dicht an der damaligen deutsch-dänischen Grenze) ein „Aarbog for dansk Kulturhistorie“. Dieses Jahrbuch bildete einen Meilenstein in der lokalhistorischen Erforschung der Geschichte auf dem platten Land (Agrargesellschaft).11 Auch andere Facetten der historischen Arbeit erlebten eine Blütezeit. 1855 wurde eine „Antikvarisk Samling“ in Ripen gegründet, Aarhus bekam 1860 ein „Oldkammer“, und die Städte Odense, Viborg, und Aalborg bekamen bald danach eigene Museen.12 Es verbreitete sich vor diesem Hintergrund eine Reihe von historischen Institutionen über das ganze Land. Einen entscheidenden Beitrag bildete die politische Entscheidung, 1899 Landesarchive in Kopenhagen, Odense und Viborg zu errichten. Dies bedeutete, daß die vielen schriftlichen Quellen, die bisher in den verschiedenen Amtsbüros und anderen

8 C. F. Allen, Haandbog i Fædrelandets Historie, Kopenhagen 1840. 9 Prange, (wie Anm. 3), S. 50. 10 Wie Anm. 9. 11 Personalhistorisk Tidsskrift, hg. v. Samfundet for dansk genealogi og Personalhistorie 1881 ff. Aarbog for dansk Kulturhistorie 1891–1900, hg. v. Poul Bjerge. 12 Vgl. Prange, (wie Anm. 3), S. 50.

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Abb. 2: Historiens Ansigter, Red. Erik Christiansen & Jens Chr. Manniche, Aarhus 1991. Diese Publikation thematisiert Lokal- und Reichsgeschichte, Arbeitergeschichte etc.

Sammlungen aufbewahrt wurden, jetzt gesammelt und für die Forschung zugänglich gemacht werden konnten. Das Dänische Kultusministerium war der Auffassung, daß der Landesarchivar eine „natürliche, zentrale Rolle bei der Erforschung der Geschichte der Lokalität und der Region einnehmen solle, beispielsweise durch die Herausgabe von Zeitschriften“, und daß er „in Verbindung mit Männern treten möchte, die mit ähnlichen Studien arbeiten“, und Kontakte knüpfen würde. Der Reichsarchivar A. D. Jørgensen (1849–1897) äußerte, daß „wichtige Aspekte der historischen Verhältnisse jetzt reicher und ohne vorher festgelegte Meinungen belegt und aufgeklärt werden können, wenn die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Ortschaften und Regionen und durch das Studium der lokalen Quellen gelenkt werden.“13 Die neuen Tendenzen und die neuen Initiativen haben deutliche Spuren hinterlassen, vor allem durch die Gründung von lokalhistorischen Gesellschaften auf Amtsebene. Agrarreformen und Schulgesetzgebung hatten starke Kräfte in der Gesellschaft in Bewegung gesetzt, die politische Modernisierung 1848/49 lieferte neue Möglichkeiten, und Teile der Jugend auf dem platten Land hatten die historisch-poetische Volkshochschule besucht. Es ist charakteristisch, daß die erste Amtsgesellschaft für Geschichte 1902 im Amt Ripen mit Ausgangspunkt in der Volkshochschule Askov gegründet wurde. Poul Bjerge, Lehrer

13 A.a.O., S. 51. Harald Jørgensen, Nordiske Arkiver, Kopenhagen 1968, S. 89–111.

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Abb. 3: Find dine Rødder. Politikens håndbog i Slægtshistorie von Hans H. Worsøe, Kopenhagen 1987. Familien- und Personenforschung ist in Dänemark sehr populär.

an der Volkshochschule, war aktiv bei der Gründung, und andere aktive Kollegen wie Ludvig Schrøder (1836–1908) und H. F. Feilberg (1831–1921) arbeiteten viele Jahre lang im Vorstand der Historischen Gesellschaft für Ribe mit.14 Zweck des Vereins war es „für die Wiederbelebung des historischen Interesses zu wirken bei der Erforschung der lokalen und regionalen Geschichte“, und das Ziel sollte durch die Durchführung von Tagungen, Treffen und besonders durch die Veröffentlichung eines Jahrbuchs mit lokalhistorischen Beiträgen erreicht werden. Die Ripener Gesellschaft gewann innerhalb kürzester Zeit 450 Mitglieder. Das Beispiel diente als Vorbild, und in den folgenden Jahren wurden mehrere Historische Gesellschaften in den anderen dänischen Amtsregionen gegründet: •• Bornholm, Vejle 1905, •• Randers, Thisted, Holbæk 1906, •• Ringkøbing, Aarhus Stift, Svendborg 1907, •• Aalborg, Odense, Assens 1912. Um das Jahr 1914 existierten im größten Teil des Landes Historische Gesellschaften.15 Die neue historische Welle in der dänischen Bevölkerung verzeichnete eine starke Verankerung 14 Steen Busck, Dansk lokalhistorie i det 20. århundrede, in: Historiens ansigter, red. v. Erik Christiansen, Jens Chr. Manniche, Aarhus 1991, S. 89–101, hier S. 92. 15 Peter V. Christensen, De amtshistoriske samfund, in: Fortid og Nutid 28/1979–1980, S. 192– 210; Busck, (wie Anm. 14), S. 89, 92. Vgl. Prange, (wie Anm. 3), S. 51.

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in den Distrikten und Regionen auf dem platten Land unter den Bauernhofbesitzern, den Schullehrern, den Pfarrern und den Volkshochschullehrern. Dieses selbstbewußte Establishment, das nach 1901 die politische und die wirtschaftliche Macht kontrollierte, wollte jetzt seine eigene Geschichte verfassen, auch auf lokaler Ebene. Sie wollten zeigen, wie weit sie es gebracht hatten und sie wollten die Geschichte der guten alten Zeiten darstellen. Denn die alte Bauernkultur verschwand zunehmend. Die Welt war nicht mehr dieselbe für die, die die Zeit vor 1870 erlebt hatten. Jetzt galt es zu retten und zu bewahren, was bewahrt werden konnte.16 Die Volkskundeforschung gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen für die lokalhistorische Welle nach der Jahrhundertwende in Dänemark. Volkskunde hatte eine lange Tradition, wurde aber in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch Namen wie Svend Grundtvig (1824–1883), H. F. Feilberg und Evald Tang Kristensen (1843–1929) verstärkt aufgebaut. Der Begriff „Volk“ und die abgeleiteten Begriffe wie „Volksgeist“, und „Volkskultur“ hatten besonders in der nationalliberalen Epoche eine besondere Bedeutung bekommen, anfangs vor allem abstrakt und theoretisch, seitdem immer konkreter.17 Als die „Bauernkultur“ verschwand und zur harmlosen Geschichte wurde, wurde diese Kultur allgemein idealisiert und zur „Volkskultur“ gemacht. Man sammelte nicht nur alte Erzählungen, Gesänge und Lieder, auch Gegenstände wurden eingesammelt: materielle Volkskultur. Ausstellungen von Bauerninterieuren und Bauerngeräten in Kopenhagen 1879, und 1888 wurde das „Dansk Folkemuseum“ und „Landbrugsmuseet“ gegründet. 1901 standen die ersten wiederaufgebauten Bauernhäuser fertig auf dem Grundstück des „Frilandsmuseet“ nördlich von Kopenhagen.18 Nach dem politischen Systemwechsel 1901 wurden die alten Gegensätze zwischen Beamten und Bauern, Liberalen und Konservativen, professionellen Historikern und Amateuren langsam abgebaut. Die Amtshistorischen Gesellschaften wurden auch für diese Zwecke gegründet und verwendet. Es ist eine allgemeine Auffassung, daß die Kreise, die sich um die Amtsgesellschaften scharten, vor allem Bauern und Lehrer waren, und das aus dieser Gruppe auch die vielen Beiträge in den Amtsjahrbüchern stammten. Dieses Bild ist sowohl richtig als auch falsch. Es muß betont werden, daß große Unterschiede zwischen den einzelnen historischen Amtsgesellschaften nachzuweisen sind. Allgemein waren es federführend Volksschullehrer und Volkshochschullehrer, die bei der Gründung der Amtsgesellschaften aktiv waren, und sowohl sie als auch die Theologen (Pfarrer) dominierten in den Vorständen. Unter den Mitgliedern waren in der Anfangsphase zwei zentrale Gruppen, denn die Bauern machten fast 19 Prozent und die Lehrer etwa 28 Prozent der Mitglieder aus. Die Amtsgesellschaften fanden auch viele Mitglieder in den Städten. Ihre Eltern oder Großeltern stammten vom platten Land und dies könnte erklären, warum die Bürger mit den vielen Aufsätzen über Agrarverhältnisse offenbar zufrieden waren. 16 Busck, (wie Anm. 14), S. 89. 17 A.a.O., S. 90. 18 Wie Anm. 17.

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Schon von Anfang an zeichneten die professionellen Historiker für zehn Prozent des Inhaltes in den Jahrbüchern verantwortlich, Pfarrer und Lehrer für etwa 40 Prozent und andere Akademiker für zwölf Prozent. Eine Untersuchung hat ergeben, daß bis 1978 ca. 4000 Autoren Beiträge für die Jahrbücher verfaßt hatten, aber eine sehr kleine Gruppe spielte eine besonders dominierende Rolle. 146 Verfasser sind für etwa 44 Prozent der gedruckten Seiten verantwortlich. Im Verlauf der Jahre kann eine Veränderung in der Zusammensetzung der Verfassergruppe konstatiert werden. Der Anteil der professionellen Historiker verdoppelte sich auf etwa 20 Prozent, und dazu kommt eine neue Gruppe Professioneller: Studierende, oft Geschichtsstudenten, die ca. 5 Prozent ausmachen.19 Die Inhalte in den Historischen Jahrbüchern haben sich bis vor wenigen Jahren nur wenig geändert: Die soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie das Wachstum der Städte haben keine tiefen Spuren hinterlassen. Es war, als hätte sich eine Schablone gebildet: Agrargeschichte, Personalgeschichte, Geschichte einzelner Gebäude sowie topographische Darstellungen und Beschreibungen nehmen viel Platz in den Bänden ein. Aufsätze über Stadtgeschichte und soziale Verhältnisse waren hingegen selten. In den 1930er Jahre steckten viele der Historischen Amtsgesellschaften in einer Krise, und gleichzeitig entstanden konkurrierende Heimatvereine. Das Verhältnis zwischen den verschiedenen Vereinen und ihrer Arbeit ist leider noch nicht untersucht. In der Zeitepoche von 1900 bis 1929 wurden übrigens 40 neue Museen gegründet.20 Die vielen verschiedenen Aktivitäten steigerten früh den Wunsch, ein gemeinsames Forum zu etablieren, und im Jahre 1909 bildeten 32 Vereine, Museen und Archive „Dansk Historisk Fællesforening“ (DHF), eine Institution ohne individuelle Mitglieder. Innerhalb der historischen, topographischen, archäologischen und folkloristischen Gebiete wollte man Gemeinschaftsprojekte fördern und entwickeln. Der DHF erfüllte ein klares Bedürfnis, und zum 50-jährigen Jubiläum hatte der Verein etwa 200 Mitgliedsinstitutionen, 1989 mehr als 700 Mitglieder. Seit 1914 wird die Zeitschrift „Fortid og Nutid“ jährlich veröffentlicht. Es sollte eine kultur- und lokalhistorische Zeitschrift mit methodischen Neuerungen und Debattenartikeln werden. Noch heute gehört „Fortid og Nutid“ zu den führenden kulturhistorischen Zeitschriften Dänemarks.21 Die Jahre vor dem Zweiten. Weltkrieg waren in vielerlei Hinsicht eine fruchtbare Zeit für die lokal- und regionalhistorische Arbeit in Dänemark, aber es gab auch Krisenzeichen. Besonders die Historischen Amtsgesellschaften bekamen dies zu spüren, auch hinsichtlich der Gemeinde- und stadthistorischen Arbeiten. Oft wurden zu viele Fakten präsentiert und zu wenige Fragen gestellt. Positive Kritik wurde von dem bekannten Historiker Johan

19 Prange, (wie Anm. 3), S. 51ff. 20 Vgl. a.a.O., S. 53. 21 Knud Fabricius, Dansk Historisk Fællesforening og det historiske arbejde genmnem et halvt århundrede, in: Fortid og Nutid 20/1957–1959, S. 371–380. Die Zeitschift ”Fortid og Nutid. Tidsskrift for kulturhistorie og lokalhistorie”, hg. v. Dansk Historisk Fællesforening 1914 ff.; Busck, (wie Anm. 14), S. 93.

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Hvidtfeldt (1908–1979) und Albert Olsen (1890–1949) geäußert. Die Lokalhistoriker wurden kritisiert, daß sie die nationale Geschichte nicht besonders bereichert hätten, weil sie die Aufgaben der Lokalgeschichte zu traditionell auffaßten, auch weil viele Lokalhistoriker ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren.22 Der Historiker Johan Hvidtfeldt (später Reichsarchivar) betonte die Bedeutung der Probleme und plädierte für eine enge Zusammenarbeit zwischen regionalen und nationalen Historikern. Die Kritik wurde glücklicherweise positiv aufgenommen. Johan Hvidtfeldt wurde 1946 Sekretär der DHF und damit Redakteur der Zeitschrift „Fortid og Nutid“ und 1950 wurde er Vorsitzender der DHF. In dieser zentralen Position und dank seiner imposanten Dynamik, realisierte er die Herausgabe eines Handbuches für dänische Lokalhistoriker in den Jahren 1952–1956. Noch heute gehört dieses Werk zu den wohl am häufigsten benutzten Handbüchern für Lokal- und Regionalhistoriker in Dänemark.23 Es herrscht kein Zweifel, daß die Lokalhistoriker aufholten, was die Anwendung der kritischen historischen Methode, der Technik, der Anwendung von Fußnoten etc. betrifft. Und im Laufe der folgenden Jahre wurden die Historischen Amtsjahrbücher merklich verbessert, und dies sowohl inhaltlich als auch was die äußere Präsentation betrifft. Andere Verhältnisse trugen dazu bei, die lokal- und regionalgeschichtliche Arbeit in Dänemark zu erneuern. Neben den traditionellen historischen Amtsgesellschaften wurden eine Reihe neuer lokaler Vereine gegründet, zuerst in den Vororten rund um Kopenhagen, seitdem überall im Lande. Diese Vereine drückten ein historisches Interesse aus, das die traditionellen Amtsgesellschaften offenbar nicht zufriedenstellend decken konnten. Man kann allgemein von Graswurzel-Bewegungen sprechen. Diese grüne Welle hat viele dauerhafte Spuren hinterlassen. Beispielsweise wurden Studienkreise, lokalhistorische Theateraufführungen und die sogenannte „Volksforschung“ realisiert. Die Bezeichnung „Volksforschung“ steht für die Bemühung, die lokale Bevölkerung in die Erforschung der Geschichte des Ortes / der Region mit einzubeziehen und ihr auch Verantwortung zu übertragen.24 Die markanteste Bedeutung für die moderne dänische Lokal- und Regionalgeschichte hat aber die Gründung vieler lokalhistorischer Archive gehabt. Besonders in den 1960er Jahre wurde dies fast zu einer Bewegung im ganzen Land. Oft wurden Räumlichkeiten in der neuen Zentralschule der Kommune bereitgestellt. Heute gibt es oft mehrere lokalhistorische 22 Johan Hvidtfeldt, Samarbejdet mellem Rigshistorikere og Lokalhistorikere, in: Fortid og Nutid 14/1941–1942, S. 206–225; Albert Olsen, Lokalhistorie – rigshistorie, in: Fortid og Nutid 15/1943–1944, S. 1–8; Busck, (wie Anm. 14), S. 95 f. 23 Johan Hvidtfeldt, Håndbog for danske lokalhistorikere, Kopenhagen 1952–1956 (Neuauflage 1965). 24 Vagn Jensen, „Spritten“ som Projekt og produkt, in: Den Jyske Historiker 17/1980, S. 52–82; Søren Kolstrup, Lokalhistorien, nuet og fremtiden, in: Den Jyske Historiker 17/1980, S. 83–91. Viele ähnliche Projekte („Grav, hvor du står“ sowie „Med rødder i historien“) wurden in diesen Jahren nach Vorbildern in Schweden entwickelt und realisiert.

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Abb. 4: Den Jyske Historiker, historieteoretisk tidsskrift, Nr. 17: Lokalhistorie, Aarhus 1980. In chrift dieser für die Zeit „progressiven“ Zeits­ „Den Jyske Historiker“ wurden damals auch meh­rere lokalgeschichtliche Aufsätze veröffentlicht.

Archive in den einzelnen Kommunen, und viele verfügen über ausgebildetes Personal. Die Archivbewegung hat neue Kreise für die lokalhistorische Arbeit gewinnen können. Es herrscht kein Zweifel, daß die lokalhistorische Forschung positiv davon geprägt worden ist.25 Auch die dänische Museumswelt hat mittlerweile bedeutende Veränderungen erlebt. Nach der neuen Gesetzgebung von 1958 bekamen 17 Museen den Status als Regionalmuseen mit ausgebildetem Fachpersonal, inkl. Museumspädagogen. Die staatliche Schulgesetzgebung von 1969 betonte die Bedeutung der Lokalgeschichte und die Rolle der lokalen Sammlungen in der Lehre und im Unterricht.26 Der Bedarf für Lokal- und Regionalgeschichte ist in den vergangenen Jahrzehnten größer geworden. Impulse sind aus dem Ausland gekommen, und neue Fachgebiete wie u.a. Ethnologie und Anthropologie haben neue Möglichkeiten eröffnet. Die Zusammenarbeit zwischen Lokalhistorikern und den vielen regionalen Institutionen (Museen, Archiven, Sammlungen) funktioniert allgemein sehr gut.27 Früher wurden Lokalhistoriker oft gefragt, ob Lokalgeschichte im Stande ist, die Nationalgeschichte Dänemarks zu bereichern. Die Antwort ist heute klar: ja, Lokalgeschichte 25 Hans H. Worsøe, Find dine rødder. Politikens Håndbog i slægtshistorie, Kopenhagen 1987, S. 77–82. Busck, (wie Anm. 14), S. 97f.; Prange, (wie Anm. 3), S. 58 f. 26 Prange, (wie Anm. 3), S. 59. 27 Siehe das Sammelwerk Nye Strømninger i dansk lokalhistorie, Aarhus 1981.

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kann Bausteine zur nationalen Geschichte liefern, aber gleichzeitig ist die Aufgabe eine andere. Die methodische Debatte in den letzten Jahrzehnten hat gezeigt, daß die Aufgabe der Lokal- und Regionalhistoriker vor allem in der Beschäftigung mit der lokalen Geschichte besteht. In seiner Forschung muß er/sie nach wissenschaftlichen Kriterien arbeiten, aber die Lokal- und Regionalgeschichte hat auch ihre eigenen Arbeitsaufgaben. Sie beschäftigt sich mit Menschen, die in lokalen Strukturen lebten, und den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandlungen untergeben waren.28 Die lokale und regionale Abgrenzung der Geschichte ist also genauso legitim wie die nationale Geschichte. An der Universität Kopenhagen existierte von 1971 bis 2000 eine Abteilung für Lokalgeschichte. Der langjährige Leiter Knud Prange (1930–2012) hat sich unermüdlich für das Fach eingesetzt und viel dauerhafte Inspiration für die Arbeit mit der lokalen Geschichte landesweit gebracht.29 Die Inspiration zur erweiterten wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Lokalgeschichte kam in den 1970er Jahre übrigens besonders aus England und Frankreich. Hier operierte man mit dem Begriff „Totalgeschichte“, einer Untersuchung, die die ökonomische Geschichte, Sozialgeschichte, Kulturgeschichte, politische Geschichte etc. innerhalb eines Rahmens vereinigte (Monttaillou). Lokal- und Regionalgeschichte macht allgemein einen wichtigen Teil des Geschichtsfaches aus.30 Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Landesgeschichtsforschung in Dänemark, Lokal- und Regionalgeschichte, heute so populär ist wie nie zuvor. Mit vielen großen und kleinen lokal- und regionalgeschichtlichen Vereinigungen in allen Teilen des Landes wird Geschichte erforscht und auf verschiedene Weise der interessierten Öffentlichkeit vermittelt. Durch Publikationen, Vorträge, Ausstellungen, Exkursionen, Theaterstücke und Zeitungsartikel sowie durch Archivstudienkreise und im Schulunterricht wird dieses Interesse umfassend gepflegt. Die Druckkosten für die historischen Jahrbücher und Publikationen sind leider gestiegen, und einige Zeitschriften überlegen, zukünftig nur elektronische Fassungen und nur wenige gedruckte Exemplare bereitzustellen. Dies ist u.a. der Fall bei der altehrwürdigen Zeitschrift „Historie“, die mit der Zeitschrift „Den Jydske Historiker“ vor wenigen Jahren fusionierte. Die elektronischen Medien bieten aber auch neue Möglichkeiten und Perspektiven für die Landesgeschichtsforschung, u.a. bei der Zugänglichkeit von Archivalien für ein breiteres historisch interessiertes Publikum. Die Vielfalt innerhalb des Faches Geschichte mit neuen Disziplinen spiegelt sich auch in den Themen der lokal- und regionalhistorischen Studien wider. Zum Beispiel sind Beiträge über regionale Gewerbs-, sowie Freizeit- und Sportgeschichte nicht selten auftretende Themen, und die oft mehrbändigen Werke zu den Städten Dänemarks 28 Vgl. das Sammelwerk Lokalhistorie-Rigshistorie sowie andere Aufsätze aus der Zeitschrift Fortid og Nutid, hg. v. Dansk Historisk Fællesforening, Kopenhagen 1967. 29 Knud Prange, Hvorfor lokalhistorie, Lokalhistorisk Afdeling, Kopenhagen 1971. 30 Busck, (wie Anm. 14), S. 100.

können als eine eigene Form der ursprünglichen Lokal- und Regionalgeschichte betrachtet werden. Die neue Themenvielfalt verbindet sich vor diesem Hintergrund mit Tradition und trägt zur Erneuerung und Modernisierung der Landesgeschichte bei. Es gibt gewiß eine interessante Zukunftsperspektive für die lokal- und regionalgeschichtlichen Studien in Dänemark.

Paweł Gut

Die Organisation der historischen Forschung in Polen. Geschichtswissenschaftliche Institutionen und Gesellschaften

Die Geschichtswissenschaft in Polen verfügt über eine gut ausgebaute organisatorische Struktur, die aus verschiedenen gesellschaftlichen, beruflichen, korporativen, kommunalen und staatlichen Institutionen besteht. Diese Struktur reflektiert im gewissen Sinne die polnische Gesellschaft und den polnischen Staat. Davon zeugen zahlreiche historische Veröffentlichungen in der Bibliographie der Geschichte Polens.1 Im Jahre 1988 beinhaltete sie 5600, im Jahre 1992 6000, und im Jahre 2008 über 9000 Publikationen, die sich nur auf die Geschichte Polens oder die Stellung des polnischen Staates oder der polnischen Gesellschaft in der Weltgeschichte bezogen. Leider findet der interessierte Leser in dieser Bibliographie keine einzige Arbeit der polnischen Historiker, die der Weltgeschichte gewidmet ist. In Polen gibt es über 500 Körperschaften, die sich mit der Geschichtsforschung von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart befassen. In erster Linie sind es die Fakultäten und Institute der zwanzig polnischen Universitäten und anderer Hochschulen, und dazu zählen nicht nur die, in deren Name das Wort Geschichte (historia) vorkommt, wie z.B. die Geschichtswissenschaftliche Fakultät der Warschauer Universität oder das Institut für Geschichte der Stettiner Universität, sondern auch andere, wie z. B. für Politikwissenschaften, Journalistik, Wirtschaftswissenschaften oder sogar Medizin, wie etwa der Lehrstuhl für Geschichte der Medizin an der Warschauer Medizinischen Universität. Die oben genannten Fakultäten und Institute sind didaktische und wissenschaftliche Einrichtungen, die zur wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der weit gefaßten Geschichte und ihrer Hilfswissenschaften verpflichtet sind. Jede der Universitätseinrichtungen für Geschichte in Warschau, Posen und Krakau – hier finden sich die größten Institute in Polen – beschäftigt etwa 100 wissenschaftliche Mitarbeiter. In kleineren Institutionen gibt es etwa 20–50 Mitarbeiter. Universitätshistoriker erforschen die Universalgeschichte, die polnische und die Regionalgeschichte. Außer den Studien von der Frühgeschichte bis zur Gegenwart entstehen an den Universitäten geschichtliche Monographien über bestimmte Orte oder Regionen. Sie werden am häufigsten durch regionale Verwaltungen, eine Stadt oder eine Gemeinde in Auftrag gegeben, die die Forschung zur Geschichte ihrer Orte fördern wollen. Als Beispiel solch einer Zusammenarbeit zwischen den lokalen Behörden und der Stettiner 1

Aktuell: Bibliografia Historii Polski za rok 2008, hg. von Stefan Gąsiorowski, Paweł Gołdyn, Anna Gruca, Stanisław Jędryka, Jacek Andrzej Kabata, Kraków 2010, 757 S. In der Datenbank „Bibliografia Historii Polski” sind zur Zeit für die Jahre 1988–2008 über 125 000 verschiedene Veröffentlichungen zur Geschichte Polens: http://www.bibliografia.ipn.gov.pl/portal/ bhp/1046/8338/Katalog.html [Nutzung am 22.09.2011].

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Abb. 1: Titelblatt der vierbändigen Geschichte von Preußen (Historia Prus. Narodziny – Mocarstwo – Obumieranie): Band 2. Preußen in der Zeit des Absolutismus. Bis 2017 wurden drei Bände publiziert (Preußen bis 1871).

Universität kann die Monographie Geschichte von Neustettin (Dzieje Szczecinka) dienen, die 2010 unter der Leitung der Professoren Radosław Gaziński und Kazimierz Kozłowski von der Stettiner Universität veröffentlicht wurde.2 Eine andere Gruppe bilden Forschungsinstitute und Akademien der Wissenschaften. In Polen gibt es zur Zeit zwei Akademien: die Polnische Akademie der Wissenschaften (Polska Akademia Nauk) und die Polnische Akademie der Künste und Wissenschaften (Polska Akademia Umiejętności). Die erste entstand 1952 und ist eine staatliche wissenschaftliche Institution, die als Korporation der Wissenschaftler, ihrer Institute und Organe tätig ist. Die Polnische Akademie der Künste und Wissenschaften entstand 1872 und wurde 1952 auflöst. 1990 wurde sie als eine allgemeine wissenschaftliche Gesellschaft und Korporation der Wissenschaftler wiedergegründet. Beide Institutionen werden sowohl durch die öffentliche Hand als auch aus anderen Einnahmequellen finanziert. Die Geschichtsforschung wird in der Polnischen Akademie der Wissenschaften im Professor-Tadeusz-Manteuffel-Institut für Geschichte (Instytut Historii im. Prof. Tadeusza Manteuffla), im Institut für Geschichte der Wissenschaften (Instytut Historii Nauki), im Institut der Literaturforschung (Instytut Badań Literackich), im Institut für Politikwissenschaften (Instytut Studiów Politycznych) und im Komitee für Geschichtswissenschaften (Komitet Nauk Historycznych) betrieben. Das Komitee für Geschichtswissenschaften besteht aus 14 Unterausschüssen (z. B. für Frauengeschichte, Hilfswissenschaften und 2

Dzieje Szczecinka, Bd. I, hg. v. Radosław Gaziński, Szczecinek-Pruszcz Gdański 2010; Bd. II, hg. v. Kazimierz Kozłowski, Joanna Powałka, Szczecinek-Pruszcz Gdański 2010.

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slawische Studien). Darüber hinaus ist im Rahmen des Komitees für demographische Wissenschaften die Sektion für historische Demographie tätig. Das Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften besteht aus 17 wissenschaftlichen Einrichtungen für bestimmte Forschungsgebiete, z. B. der Sektion für die Geschichte der Frühen Neuzeit (Pracownia Dziejów Nowożytnych), der Abteilung für die Geschichte Pommerns und der Baltischen Staaten (Zakład Historii Pomorza i Krajów Bałtyckich) in Thorn oder der Sektion für die Geschichte Deutschlands und der deutsch-polnischen Beziehungen (Pracownia Historii Niemiec i Stosunków Polsko-Niemieckich) in Posen. Die letztgenannte Einrichtung gibt u.a. die mehrbändige Geschichte von Brandenburg und Preußen heraus, von der drei Bände 2003, 2010 und 2014 erschienen sind.3 Die Abteilung für die Geschichte Pommerns beschäftigt sich mit der Erforschung der Geschichte Pommerns, das in dieser Konzeption von Memel bis Stralsund reicht. Diese Bearbeitung ist die Verwirklichung der Idee von Gerard Labuda aus dem Jahre 1954, gegenwärtig wird an dem Band gearbeitet, der die 1920er und 1930er Jahre umfassen soll (1919–1939).4 In der Polnischen Akademie der Künste und Wissenschaften wird die historische Forschung im Rahmen der II . historisch-philosophischen Abteilung organisiert und durchgeführt. In ihr sind Ausschüsse tätig, die sich mit der Geschichtsforschung zu speziellen Themen wie Mitteleuropa, Osteuropa, der Geschichte und Kultur der Juden, Rechtswissenschaft, der Geschichte der Kriege und des Militärs befassen. Beide Akademien verfügen außer den Forschungsinstituten und -ausschüssen über wertvolle Archive und Bibliotheken, die sich in den Einrichtungen in Danzig, Kurnik, Krakau, Warschau und Breslau befinden. Darüber hinaus betreibt die Polnische Akademie der Wissenschaften Forschungsstellen in Moskau, Paris, Rom und Wien. Im Jahre 2006 wurde das Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Berlin gegründet, das die erste historisch-wissenschaftliche Einrichtung der Akademie im Ausland ist. Die Aufgabe des Zentrums ist die Erforschung historischer und aktueller Fragen der deutsch-polnischen Beziehungen im europäischen Kontext. Beide Akademien veröffentlichen auch geschichtswissenschaftliche Zeitschriften und Serien. Die Polnische Akademie der Wissenschaften gibt u.a. „Kwartalnik Historyczny“ (die älteste polnische historische Zeitschrift, die seit 1887 erscheint), „Dzieje Najnowsze“, „Acta Poloniae Historica“, „Studia Źródłoznawcze“, „Czasopismo Prawno-Historyczne“ und mehrere andere Zeitschriften heraus. Die Polnische Akademie der Künste und Wissenschaften

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Historia Prus. Narodziny – Mocarstwowość – Obumieranie, hg. v. Bogdan Wachowiak, Bd. 1: Dzieje Brandenburgii-Prus na progu czasów nowożytnych (1500–1701), Poznań 2003; Bd. 2: Prusy w okresie monarchii absolutnej (1701–1806), Poznań 2010; ; Bd. 3: Prusy w dobie kształtowanie się kapitalizmu (1806-1871), Poznań 2014. Historia Pomorza, Bd. 1–4, hg. v. G. Labuda, S. Salmonowicz, Poznań 1966–2003; G. Labuda, O założeniach programowych syntezy Historia Pomorza, Zapiski Historyczne, Bd. LXVII (2002), H. 3–4, S. 177–196.

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Abb. 2: Titelbaltt der ältesten polnischen historischen Zeitschrift (Vierteljahresheft): Kwartalnik Historyczny. Diese Zeitschrift erscheint seit 1887.

setzt die Herausgabe von Quellen „Monumenta Poloniae historia“ fort, und gibt auch „Annales seu cronicae incliti Regni Poloniae – Roczniki, czyli kroniki słynnego Królestwa Polskiego“ von Jan Długosz heraus. Außerdem müssen regionale Forschungsinstitute genannt werden: das Wojciech-Kętrzyński-Forschungszentrum (Ośrodek Badań Naukowych im. Wojciecha Kętrzyńskiego) in Allenstein, das Staatliche Forschungsinstitut – Schlesisches Forschungsinstitut (Państwowy Instytut Naukowy – Instytut Śląski) in Oppeln und das Großpolnische Institut (Instytut Wielkopolski). Die ersten beiden sind interdisziplinäre Forschungseinrichtungen, die unter der Schirmherrschaft des Kultusministeriums stehen, das Großpolnische Institut ist als eines der geschichtswissenschaftlichen Zentren der Adam-Mickiewicz-Universität in Posen tätig Die oben erwähnten Einrichtungen in Allenstein und Oppeln erforschen die regionale Geschichte, erstere die des Ermlands und von Masuren, als auch des Kaliningrader Gebietes, also der historischen Landschaften Preußen und Ostpreußen. Die zweite Institution konzentriert sich in ihrer historischen Forschung auf das weit gegriffene Gebiet Schlesiens und die deutsch-polnischen Beziehungen. Über die Ergebnisse dieser Forschung berichten Zeitschriften, die beide Institute herausgeben: „Komunikaty Warmińsko-Mazurskie“ und „Studia Śląskie“. Eine ähnliche Position nimmt auch das Jüdische Emanuel-Ringelbaum-Institut für Geschichte (Żydowski Instytut Historyczny im. Emanuela Ringelbluma) in Warschau ein. Es ist eine wissenschaftliche und kulturelle Einrichtung unter der Schirmherrschaft des Kultusministeriums. In seinem Forschungsbereich liegt die Geschichte der jüdischen

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Gemeinschaft und die jüdische Kultur auf dem historischen und heutigen Territorium des polnischen Staates. Unter den öffentlichen Einrichtungen, zu deren Aufgabengebieten auch historische Forschung gehört, sind staatliche Archive und wissenschaftliche Bibliotheken zu nennen (Biblioteka Narodowa in Warschau, Książnica Kopernikańska in Thorn,), als auch zahlreiche Museen, angefangen vom Nationalmuseum (Muzeum Narodowe) in Warschau bis zu den regionalen Museen. Viele von ihnen geben wissenschaftliche Zeitschriften heraus und ihre Mitarbeiter sind, abgesehen von ihren satzungsmäßigen Aufgaben, zusätzlich in der Geschichtsforschung tätig.5 Unter diesen öffentlichen Institutionen nimmt das 1999 gegründete Institut für Nationales Gedenken (Instytut Pamięci Narodowej) eine besondere Stellung ein. Außer der Archivierung der Akten der Geheimdienste aus den Jahren 1944–1989 und der Überprüfung der im öffentlichen Dienst tätigen Personen auf Aktivitäten für den früheren Geheimdienst betätigt es sich auch wissenschaftlich im Bereich der polnischen Geschichte zwischen 1918 und 1989. Das Institut hat eine ausgebaute Struktur und die Forschung wird gleichzeitig von einigen hundert Mitarbeitern des Büros für öffentliche Bildung (Biuro Edukacji Publicznej) geführt. Die Ergebnisse der Forschung werden in mehreren Zeitschriften und Monographien veröffentlicht, die vom eigenen Verlag des Instituts herausgegeben werden. Die größte gesellschaftliche Organisation, die sich mit der Erforschung der polnischen Geschichte und der Universalgeschichte befaßt, ist die Polnische Historische Gesellschaft (Polskie Towarzystwo Historyczne). Es ist eine allgemeine Forschungsgesellschaft, zu deren Mitglied jeder werden kann, der sich an der Tätigkeit der Gesellschaft beteiligen und ihre Ziele verwirklichen möchte. Die Gesellschaft fördert in der wissenschaftlichen Forschung sowohl Projekte professioneller Historiker als auch Initiativen von Hobbyhistorikern, die sich am häufigsten für regionale Geschichte interessieren. Die Gesellschaft hat 51 regionale Abteilungen. Zwei von ihnen sind zugleich regionale historische Gesellschaften, die Breslauer Gesellschaft der Geschichtsfreunde (Wrocławskie Towarzystwo Miłośników Historii) und die Gesellschaft der Geschichtsfreunde (Towarzystwo Miłośników Historii) in Warschau. Unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft werden gesamtpolnische Zeitschriften („Przegląd Historyczny“), regionale Zeitschriften („Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka“, „Studia Zielonogórskie“), viele wissenschaftliche und populär-wissenschaftliche Publikationen, darunter zahlreiche Monographien zur Geschichte einzelner Orte herausgegeben. Einen gesamtpolnischen Charakter haben auch gesellschaftliche Organisationen wie die Polnische Gesellschaft für Heraldik (Polskie Towarzystwo Heraldyczne) und die Polnische Gesellschaft für Genealogie (Polskie Towarzystwo Genealogiczne). Das Forschungsinteresse der Mitglieder beider Gesellschaften beschränkt sich auf ausgewählte Fachbereiche der Geschichtswissenschaft. Beide Gesellschaften vereinigen vor allem Laien, obwohl 5

Z.B. ist das Staatsarchiv in Stettin (Archiwum Państwowe w Szczecinie) Herausgeber des Jahrbuches „Szczeciński Informator Archiwalny“ (Stettiner Archivmitteilungen). Bis Ende 2016 waren 25 Bände erschienen.

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Abb. 3: Titelblatt eines Bandes der mehrbän­ digen Geschichte von Pommern (Historia Pomorza) nach der Idee von Gerard Labuda. Dieses Werk wurde 1966–2015 veröffentlicht.

viele der Mitglieder auch professionelle Historiker sind, die sich entweder aus beruflichen Gründen oder als Hobby für die oben genannten Fachgebiete interessieren. Heutzutage ist die Polnische Gesellschaft für Genealogie sehr aktiv. Ihre Mitglieder sind Autoren von vielen Ratgebern und Online-Publikationen auf dem Gebiet der Genealogie und benachbarter Gebiete. Die größte Gruppe unter den Vereinen und Gesellschaften zur Erforschung der Geschichte bilden verschiedene regionale Gesellschaften, deren Wirkungsbereich sehr unterschiedlich ist, von der Ortgeschichte, über die Geschichte eines kleinen Territorium bis zur Geschichte einer großen Region. Ein Teil von ihnen hat einen allgemein wissenschaftlichen Charakter. Unter ihnen gilt das besondere Augenmerk der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn (Towarzystwo Naukowe w Toruniu) und der Posener Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften (Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk), die die Korporation der Wissenschaftler aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen bilden. Beide wurden im 19. Jahrhundert gegründet. Beide Institutionen haben im Bereich der historischen Forschung eine langjährige Tradition und eine fundierte Position. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Regionen Großpolen, Pommern und auf den Ostseeraum. Das Ergebnis dieser Forschung sind zahlreiche Monographien und Periodika. Die Posener Gesellschaft gibt zwei historische Zeitschriften heraus, und zwar „Roczniki Dziejów Społeczno-Gospodarcze“ und „Roczniki Historyczne“, die nicht nur wissenschaftliche Fragen der polnischen Geschichte erörtern, sondern sich auch mit der Universalgeschichte befassen. Die „Zapiski Historyczne“, die von der Gesellschaft in Thorn herausgegeben werden, befassen

Abb. 4: Titelblatt der historischen Zeitschrift (Vierteljahresheft) der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn: Zapiski Historyczne

sich nicht nur mit der Geschichte Pommerns, Ermlands und Masurens, sondern auch mit der Geschichte des Ostsee- und Nordseeraumes. Allgemeinwissenschaftliche Gesellschaften sind auch in anderen Regionen und Städten Polens aktiv, u.a. in Warschau (Warszawskie Towarzystwo Naukowe), Breslau (Wrocławskie Towarzystwo Naukowe), Lublin (Lubelskie Towarzystwo Naukowe), Płock (Towarzystwo Naukowe Płockie) und Drohiczyn (Drohiczyńskie Towarzystwo Naukowe). Jede von ihnen hat in ihrer Struktur Sektionen oder Abteilungen für Geschichte, die professionelle oder Amateurhistoriker versammeln. In regionalen historischen Gesellschaften sind eher Amateurhistoriker tätig: Geschichtslehrer, Geschichtsfreunde, die zwar oft eine geschichtswissenschaftliche Ausbildung haben, aber in anderen Berufen arbeiten. Beispiele solcher Gesellschaften sind: „Pomorskie Towarzystwo Historyczne” in Stettin, „Włoszczowskie Towarzystwo Historyczne” in Włoszczowa, „Gostyńskie Towarzystwo Historyczne” in Gostyn, „Regionalne Towarzystwo Historyczne Ziemi Choszczeńskiej” in Arnswalde und „Towarzystwo Przyjaciół Archiwum i Pamiątek Przeszłości” in Landsberg an der Warthe. Die Letzte ist sehr eng mit dem Staatsarchiv in Landsberg (Archiwum Państwowe w Gorzowie) verbunden.6 6

Das Archiv in Landsberg an der Warthe und die dortige Historisch-Archivalische Gesellschaft sind Herausgeber des Jahrbuches „Nadwarciański Rocznik Historyczno-Archiwalny“ (Warthe Jahrbuch für Geschichte und Archive). Es erscheint seit dem Jahr 1994.

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Abb. 5: Titelblatt des Jahrbuchs des Stettiner Staatsarchivs: Szczeciński Informator Archivalny

Das Ziel der lokalen oder regionalen Gesellschaften ist die Pflege der Erinnerung an die Vergangenheit der Region, die Vermittlung des historischen Wissens in der lokalen Gesellschaft sowie die Förderung der Wertschätzung des historischen, materiellen und geistigen Erbes. Die Forschungen dieser lokalen Gesellschaften beschränken sich meistens auf die Mikrogeschichte oder die Wiederveröffentlichung der alten „historischen Entdeckungen“, die oft in heute unzugänglichen Materialien aus dem 19. oder dem Anfang des 20. Jahrhunderts publiziert wurden. Doch ein Teil der Arbeiten der Mitglieder dieser Gesellschaften zur lokalen oder regionalen Geschichte hat einen sehr hohen wissenschaftlichen Wert, sie werden auch durch anerkannte wissenschaftliche Verlage herausgegeben. Unter den regionalen historischen Gesellschaften zeichnet sich das Kaschubische Institut (Instytut Kaszubski) in Danzig aus. Es wurde 1996 gegründet. Obwohl es zu den jüngeren regionalhistorischen Institutionen gehört, wurde es dank seiner Exklusivität – 108 Mitglieder, vor allem Wissenschaftler aus verschiedenen Fachdisziplinen – zu einem starken Zentrum der Erforschung der Geschichte der Kaschuben, von Pommerellen und des südlichen Ostseeraumes. Das Resultat der Tätigkeit des Instituts sind 100 wissenschaftliche Publikationen sowie das Jahrbuch Acta Cassubiana. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die große Zahl und Mannigfaltigkeit der verschiedenen öffentlichen und gesellschaftlichen Institutionen und Vereine, die sich mit der geschichtswissenschaftlichen Forschung befassen, die Entwicklung und Intensivität der Forschung fördert, und eine fundierte Erforschung sowohl der polnischen als auch der Universalgeschichte ermöglicht.

Andreas Röpcke

Außeruniversitäre landesgeschichtliche Forschung in ­Mecklenburg: Der Geschichtsverein, das Schweriner Landeshauptarchiv und die Historische Kommission für Mecklenburg Die Aufgabe, die außeruniversitäre landesgeschichtliche Forschung in Mecklenburg zu strukturieren und im Überblick darzustellen, will ich folgendermaßen angehen: 1. Der Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde und seine Urkundenbuchkommission bis 1918, 2. Die Krise der Weimarer Zeit, die Landesgeschichte in der NS -Zeit und die Gründung der Historischen Kommission für beide Mecklenburg, 3. Orts- und Landesgeschichte 1945–1990, 4. Historische Kommission, Geschichtsverein und Landeshauptarchiv als Stützen der Landesgeschichte seit 1990.

Der Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde und seine Urkundenbuchkommission bis 1918 Das Aufblühen der Landesgeschichte in Mecklenburg im 19. Jahrhundert ist eng mit dem Namen des Schweriner Archivars Friedrich Lisch verknüpft. Er war 1835 Mitbegründer des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde und Herausgeber der Jahrbücher, die unter den landesgeschichtlichen Publikationsorganen Deutschlands bald einen angesehenen Platz einnahmen.1 Lisch ist schon oft und vielfältig gewürdigt worden.2 Ich kann mich deshalb kurz fassen. 2001 gab es in Schwerin aus Anlaß seines 200. Geburtstags eine aufwändige Ausstellung, die ihn als Mecklenburgs Humboldt apostrophierte und neben seinen historischen gerade auch seine prähistorischen Interessen und 1 Gerhard Heitz; Ernst Münch, Die Bedeutung von Friedrich Lisch für die mecklenburgische Landesgeschichte, in: G. C. Friedrich Lisch (1801–1883). Ein großer Gelehrter aus Mecklenburg. Beiträge zum internationalen Symposium 22.–24. April 2001 in Schwerin (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns, 42), Lübstorf 2003, S. 33–50. 2 G. C. Friedrich Lisch, (wie Anm. 1); Mecklenburgs Humboldt: Friedrich Lisch. Ein Forscherleben zwischen Hügelgräbern und Thronsaal. Ausstellungskatalog (Archäologie in Mecklenburg-Vorpommern, 2), Lübstorf 2001, mit Lit; Schriftenverzeichnis und Personalbibliographie Friedrich Lisch von Grete Grewolls in: MJB 116/2001, S. 291–396; Peter-Joachim Rakow, Friedrich Lisch, in: Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 3, Rostock 2001, S. 149–160; zuletzt Hans-Heinz Schütt, Friedrich Lisch – Initiator und Seele des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, in: MJB 125/2010, S. 209–224.

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Andreas Röpcke

Abb. 1: Ernst Heinrich Hermann Grotefend (1845–1931), Archivar an den Staatsarchiven Breslau und Aurich sowie am Stadtarchiv Frankfurt am Main, Direktor des Geheimen und Hauptarchivs Schwerin 1887–1921. Quelle: LHA SN 13.1-2, Hermann Grotefend Nr. 1

Verdienste deutlich machte. „Altertumskunde“ nannte man das und betrieb auch mit Eifer das Sammeln geschichtlicher wie vorgeschichtlicher Gegenstände und Funde zu einer Zeit, als es eine museale Instanz dafür in Mecklenburg noch nicht gab. Man darf sich den Verein nicht so vorstellen wie heute, bestehend aus etwa 200 überwiegend älteren Leuten mit landesgeschichtlichem Interesse. Er war eine einflußreiche, gesellschaftlich wichtig genommene Einrichtung, die das Wohlwollen des Fürstenhauses genoß und Regierungsmitglieder in ihren Reihen hatte. Im Verein sammelten sich die Kräfte, die (um mit Peter-Joachim Rakow zu formulieren) Anspruch auf geistige Führung bei der Formung des regionalen Geschichtsbildes erhoben oder an diesem Prozeß teilhaben wollten: bürgerliche Intelligenz, protestantische Geistlichkeit, Gutsbesitzer, Offiziere, Beamte, Bürgermeister, kaum Kleinbürgertum.3 Als es um das große Projekt eines allgemeinen Mecklenburgischen Urkundenbuches ging, wurde damit nicht etwa die Universität Rostock befaßt, sondern der Verein für mecklenburgische Geschichte beschloß auf einer Festsitzung aus Anlaß seines 25-jährigen Bestehens, das Vorhaben in Angriff zu nehmen. Er bildete eine Urkundenbuchkommission, der Lisch als Dirigent vorsaß, und machte sich an die Arbeit.4 Von 3 Peter-Joachim Rakow, Friedrich Lisch (1801–1883) – Geheimer Archivrat und bürgerliche Forscherpersönlichkeit, in: Mecklenburgische Persönlichkeiten und ihre Beiträge zum wissenschaftlich-technischen Fortschritt in der Geschichte, Rostock 1986, S. 17–23, hier S. 18. 4 Andreas Röpcke, Zur Geschichte und Perspektive des Mecklenburgischen Urkundenbuches, in: Stand, Aufgaben und Perspektiven territorialer Urkundenbücher im östlichen Mitteleuropa,

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1863 bis 1913 erschienen 24 Bände in hervorragender Qualität – 24 Bände in 50 Jahren, das ist eine bewunderungswürdige, großartige, vielleicht singuläre editorische Leistung in der deutschen Landesgeschichte. Lisch übrigens, dem das Urkundenbuch als wichtigste persönliche Leistung gutgeschrieben wird,5 war in Wahrheit ursprünglich gar kein Freund des Projekts. Er hatte Fondseditionen wie die Urkunden von Neukloster oder thematische Editionen wie die Urkunden der Familien Hahn, Maltzan und von Oertzen vorgezogen6 und versucht, den Plan eines allgemeinen mecklenburgischen Urkundenbuchs so zu umgehen, konnte sich in der Hochstimmung des 25-jährigen Vereinsjubiläums dem politisch gewollten Unternehmen aber nicht mehr entziehen7 und brachte es dann tatkräftig voran. Finanziert wurde es sowohl von den Ständen als auch von den Großherzoglichen Regierungen in Schwerin und Neustrelitz, und niemand nahm Anstoß daran, daß die Schweriner Archivbeamten einen Großteil ihrer Arbeitskraft in das vom Geschichtsverein herausgegebene Urkundenbuch steckten und andere Arbeiten im Archiv zwangsläufig liegen blieben. Das hingebungsvolle Engagement der Archivare für das Urkundenbuch wird verständlicher, wenn man weiß, daß die Arbeiten extra honoriert wurden, und zwar so gut, daß fast ein zweites Gehalt dabei heraussprang.8 Dennoch bleibt festzuhalten, daß eine Aufgabe der historischen Grundlagenforschung mit Unterstützung der mecklenburgischen Regierungen und Stände vom Geschichtsverein wahrgenommen wurde, der sie mit Hilfe v.a. der Schweriner Archivare bearbeitete und erledigte. Die enge Verbindung von Geschichtsverein und Archiv setzte sich auch nach Lisch fort: Wigger, Schildt und schließlich Grotefend verbanden wie er die Archivleitung mit der Herausgeberschaft der Jahrbücher des Vereins. Lisch hatte 44 Jahrgänge herausgegeben und auch als Autor dominiert – manche Bände füllte er fast im Alleingang mit seinen Arbeiten. Lisch war auch als korrespondierendes oder Ehrenmitglied von 50 Geschichtsvereinen im In- und Ausland bestens vernetzt.9 Ganz so war es bei seinen Nachfolgern nicht mehr. Aber auch Grotefend spielte z.B. im Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine eine führende Rolle.10 In der Diskussion um die Fortsetzung des Mecklenburgischen Urkundenbuches im 15. Jahrhundert setzte er seine Vorstellung von einer

hg. v. Winfried Irgang; Norbert Kersken, Marburg 1998, S. 99. 5 Schütt, Friedrich Lisch, (wie Anm. 2), S. 217. 6 Friedrich Lisch, Meklenburgische Urkunden Bd. 2: Neukloster, Schwerin 1841; Ders., Urkunden-Sammlung zur Geschichte des Geschlechts von Maltzan, 3 Bde, 1842–1851; Ders., Geschichte und Urkunden des Geschlechts Hahn, 4 Bde, 1844–1856; Ders., Urkundliche Geschichte des Geschlechts von Oertzen, 3 Bde, 1847–1866. 7 Mecklenburgs Humboldt, (wie Anm. 2), S. 164. 8 Röpcke, Urkundenbuch, (wie Anm. 4), S. 102. 9 Mecklenburgs Humboldt, (wie Anm. 2), S. 165 f. 10 Andreas Röpcke, Hermann Grotefend, in: Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 3, Rostock 2001, S. 99–105, hier S. 103.

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Abb. 2: Friedrich Stuhr (1867–1945). seit 1892 Mitarbeiter und 1923–1933 Direktor des Geheimen und Hauptarchivs Schwerin, 1928 Gründungsmitglied der Historischen Kommission für Mecklenburg, 1920–1936 Herausgeber der Mecklenburgischen Jahrbücher. Quelle: LHA SN 13.1-2, Friedrich Stuhr Nr. 1

Regestensammlung durch,11 die wiederum als Projekt des Vereins betrieben wurde und es auf knapp 25 000 Regesten brachte. Die Sammlung, die im Landeshauptarchiv verwahrt wird,12 ist übrigens unlängst im Zusammenhang mit den Arbeiten am Mecklenburgischen Klosterbuch an der Universität Leipzig digitalisiert worden und kann so auch außer Haus von der Forschung genutzt werden. Als 1909 mit Hilfe des Freiherr v. Bielschen Legats die Ribnitzer Klosterchronik des Lambert Slaggert publiziert werden konnte,13 fungierte wieder der Verein als Herausgeber. Es war der erste Band einer neuen Reihe „Mecklenburgische Geschichtsquellen“, die mit der Kirchberg-Chronik und von Karl Schmaltz bereits abgeschriebenen Kirchenvisitationsprotokollen fortgesetzt werden sollte,14 was aber nicht gelang. Die Kirchberg-Chronik erschien 1997 im Auftrag der Historischen Kommission für Mecklenburg,15 die Edition der Kirchenvisitationsprotokolle ist bis heute ein Desiderat der landesgeschichtlichen Forschung geblieben.

11 Röpcke, Urkundenbuch, (wie Anm. 4), S. 104; LHAS, 10.63-1 Verein für meckl. Geschichte, Nr. 206. 12 LHAS, 11.11. 13 Die Chroniken des Klosters Ribnitz, bearb. v. Friedrich Techen, Schwerin 1909. 14 Jahresbericht 1909 des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, S. 7 f. 15 Mecklenburgische Reimchronik des Ernst von Kirchberg, hg. v. Christa Cordshagen; Roderich Schmidt, Köln/Weimar/Wien 1997.

Außeruniversitäre landesgeschichtliche Forschung in ­Mecklenburg

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Als die Monarchie 1918 gestürzt wurde, hatte der Geschichtsverein das Urkundenbuch bis 1400 in 24 Bänden abgeschlossen und 81 gehaltvolle Jahrbücher zur mecklenburgischen Landesgeschichte veröffentlicht. Der Jahrgang 1917 trägt wie ein Freud’sches Versehen den kuriosen Aufdruck: Schlußheft. Eine Zeit ging zu Ende, in der vaterländische Geschichte im Staatsinteresse betrieben wurde und höchste Anerkennung genoß. Schlußheft – so als konnte man sich nicht vorstellen, daß und wie es weitergehen würde mit der mecklenburgischen Geschichte. Es ging weiter – bergab zwar, aber weiter ging es.

Die Krise der Weimarer Zeit, die Landesgeschichte in der NS-Zeit und die Gründung der Historischen Kommission für beide Mecklenburg Der gesellschaftliche Umbruch 1918 und die folgenden Krisenjahre mit Kapp-Putsch und Inflation gingen dem Geschichtsverein wirtschaftlich an die Substanz: Der fertig vorliegende Nachtragsband 25 des Mecklenburgischen Urkundenbuchs konnte aus finanziellen Gründen zunächst nicht publiziert werden.16 Die Jahrbücher erschienen weiter, aber die Jahrgänge 1918–1923 sind auffallend dünne Hefte mit jeweils weniger als 200 Seiten. Erst danach stabilisierten sich der Verein und sein Publikationsorgan. Der für lange Zeit letzte Band erschien 1940. Der Bärensprungschen Buchdruckerei wurde 1941 mitgeteilt, daß im Rahmen der Kriegswirtschaft weitere Anträge auf Papierzuteilung für die Mecklenburgischen Jahrbücher zwecklos seien und nicht mehr beantwortet würden.17 Damit war das zentrale Organ der mecklenburgischen Landesgeschichte verstummt. Der Geschichtsverein und das Schweriner Archiv hatten die landesgeschichtliche Szene auch nicht mehr so dominiert wie vor 1918. Es gab die vom Rostocker Geschichtsverein publizierten Rostocker Beiträge mit wissenschaftlichem Anspruch,18 und in Strelitz begründete der Archivar Hans Witte19 1925 einen Geschichtsverein und die gehaltvollen Mecklenburg-Strelitzer Geschichtsblätter, die dann allerdings nur 10 Jahre Bestand hatten. Und es gab gewisse landesgeschichtliche Schwerpunktsetzungen an der Rostocker Universität, die bei unserem Thema aber außer Betracht bleiben sollen.20 Die NS -Produktion „Mecklenburg – Werden und Sein eines Gaues“ wurde 1938 von der Gauleitung herausgegeben und bediente sich für den historischen Teil der Dienste des Schweriner Archivars Georg Tessin, der geradezu als „Haus- und Hofhistoriker“ des

16 Röpcke, Urkundenbuch, (wie Anm. 4), S. 103. 17 LHAS, 10.63-1 Verein für mecklenburgische Geschichte, Nr. 96. 18 Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock Bd. 1–22, 1890 (1895)–1941. 19 Christel Schütt, Hans Witte, in: Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 5, Rostock 2009, S. 324–329. 20 Dazu z.B. Niklot Klüssendorf, Landesgeschichte oder Mittelalter? Heinz Maybaum als Professor an der Universität Rostock (1935–1945), in: MJB 121/2006, S. 223 f.

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Gauleiters Friedrich Hildebrandt bezeichnet worden ist.21 Hildebrandt, als Landarbeiter aus einfachsten Verhältnissen stammend, interessierte sich für Geschichte. Seine Aversionen gegen Adel und Junkertum erhielten aus der Bauernforschung Nahrung, die er mit Wohlwollen förderte. In seiner Privatbibliothek stand eine Reihe der Mecklenburgischen Jahrbücher, wie ein Inventar im Nachlaß ausweist.22 Und es gab eine weitere Einrichtung, die der landesgeschichtlichen Forschung verpflichtet war: die Historische Kommission beider Mecklenburg. „Die Gründung einer historischen Kommission ist für Mecklenburg eine unabweisliche Notwendigkeit geworden, wenn Mecklenburg nicht hinter allen anderen deutschen Landschaften zurückstehen wollte, wo seit geraumer Zeit, zum Teil seit sechs oder sieben Dezennien, historische Kommissionen bestehen, welche die landesgeschichtliche Forschung nachdrücklich fördern“, schrieb der gerade zum Vorsitzenden berufene Rostocker Historiker Hans Spangenberg am 14. Juli 1928 an das Mecklenburgische Staatsministerium, um seinen Forderungen nach finanzieller Unterstützung Nachdruck zu verleihen.23 Für die Provinz Sachsen gab es seit 1876 eine Historische Kommission.24 Die Idee der historischen Kommissionen war so einfach wie nützlich. Sie bestand darin, die Hauptkräfte und Hauptinstitutionen landesgeschichtlicher und landeskundlicher Forschung zusammenzufassen und ihre Arbeiten zu koordinieren. Dabei ging es den Kommissionen vor allem darum, mit vereinter Kraft und eigenem Etat die Veröffentlichung wichtiger und grundlegender Quellen und Darstellungen zur Landesgeschichte, aber auch von Archivinventaren, Bibliographien und historischen Kartenwerken zu fördern. Von existentieller Bedeutung für das Gedeihen der Kommissionen waren deshalb immer enge Beziehungen zur Staatsmacht, meistens in Person des Kultusministers, und das Wohlwollen des Fiskus. Die Bemühungen, auch für Mecklenburg eine Historische Kommission zu schaffen, begannen schon im Jahre 1920. Die Akten lassen indes nicht erkennen, wer hinter diesen ersten Anstößen stand. Man kam aber auch über Absichtserklärungen nicht hinaus. Am 22. Juni 1928 war es dann aber soweit. Die Kommission wurde in Güstrow gegründet. Laut Statut bestand sie aus den beiden Inhabern des Lehrstuhls für mittlere und neuere Geschichte an der Landesuniversität, je einem Vertreter der Universitätsbibliothek und 21 Matthias Manke, Vom Hofhistoriker des Gauleiters zum Militärarchivar des Bundes. Der Archivar Georg Tessin im Staatsarchiv Schwerin und im Bundesarchiv Koblenz, in: Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus. 75. Deutscher Archivtag 2005 in Stuttgart, hg. v. Robert Kretzschmar u.a. (Tagungsdokumentation zum Deutschen Archivtag, 10), Essen 2007, S. 281–312, hier S. 284. 22 LHAS, 10.9-H/8 Nachlaß Hildebrandt, Nr. 68. 23 Dies und das Folgende nach Peter-Joachim Rakow, Die Historische Kommission für Mecklenburg 1928–1945 – Bestrebungen und Erfahrungen, in: Agrargeschichte 24/1990, S. 83–88. 24 Ernst Pitz, Neue Methoden und Betrachtungsweisen in der landesgeschichtlichen Forschung nach 1918, in: BlldtLG 124/1988, S. 483–506, hier S. 485. Der Aufsatz thematisiert auch die Bedeutung der staatlichen Archive für die landesgeschichtliche Forschung.

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der Landesbibliothek in Schwerin, der beiden Staatsarchive in Schwerin und Neustrelitz, der beiden großen Stadtarchive Rostock und Wismar, der Geschichtsvereine in Schwerin, Neustrelitz, Rostock und Schönberg sowie des Heimatbundes. Als notwendigste Aufgaben formulierte sie die Herausgabe der Regesten seit 1400, der Landtagsakten und Kirchenvisitationsprotokolle, ferner die Erarbeitung eines Historischen Atlasses, eines Historischen Ortsnamen- und Wüstungsverzeichnisses, einer mecklenburgischen Biographie sowie einer historischen und landeskundlichen Bibliographie. Den Vorsitz übernahm wie gesagt Prof. Spangenberg aus Rostock, seine Vertretung der Schweriner Archivdirektor Friedrich Stuhr. Die hochfliegenden Pläne scheiterten wie so oft am fehlenden Geld. Mit den geringen Mitteln, die die Kommission erbetteln konnte, gelang es gerade so, den Bearbeiter für das Projekt einer Historischen Bibliographie zu finanzieren. In entsagungsvoller Arbeit konnte Wilhelm Heeß die bis heute unentbehrliche „Geschichtliche Bibliographie von Mecklenburg“ fertigstellen25 – ein Meilenstein für die Landesgeschichte, wenn auch nur ein Bruchteil von dem, was 1928 als unbedingt nötig in den Raum gestellt worden war. Der Historische Atlas, der als nächstes Projekt in Angriff genommen werden sollte, wurde mangels geeigneter Bearbeiter im Krieg zurückgestellt. Nach 1945 stellte die Historische Kommission von Mecklenburg ihr Wirken ziemlich sang- und klanglos ein. Der Verein für mecklenburgische Geschichte übrigens tat das auch.

Orts- und Landesgeschichte 1945–1990 In die brachliegenden Aufgaben sollte das 1948 von Heinrich Sproemberg in Rostock gegründete „Historische Institut des Landes Mecklenburg“ hineinwachsen, das mit dessen Berufung nach Leipzig allerdings schon 1950 wieder einging.26 Während die Landesgeschichte Mecklenburgs nach 1952 in der DDR nicht mehr intensiv betrieben wurde,27 bot für Orts- und Heimatgeschichte der Kulturbund den Rahmen, um in Form von Arbeitsgemeinschaften ehrenamtliche Tätigkeit zu organisieren und professionell betreuen zu lassen. Die Vor- und Frühgeschichte sei hier beispielhaft genannt, und die Ortschronistik, in deren Betreuung auch das Staatliche Archiv eingebunden war. 25 Wilhelm Heess, Geschichtliche Bibliographie von Mecklenburg, 3 Bde, Rostock 1944. Dazu: Grete Grewolls, Die Mecklenburgische Bibliographie und ihre Bearbeiter, in: Stier und Greif 1993, S. 31–37. 26 Lothar Elsner, Zur Geschichte des Historischen Instituts des Landes Mecklenburg 1948– 1950, in: Beiträge zur Geschichte der Wilhelm-Pieck-Universität Rostock, H.2, Rostock 1982, S. 51–54. 27 Es wurden allgemein Einwände und Anschuldigungen gegen die Landesgeschichte erhoben, sie galt als bürgerlich und reaktionär, s. mit Beispielen aus Sachsen Karlheinz Blaschke, Die Landesgeschichte in der DDR – ein Rückblick, in: BlldtLG 126/1990, S. 243–261, hier S. 249 u. 251. Für Pommern entsprechend Horst Wernicke, Eine Geschichte Vorpommerns?, in: Stier und Greif 1991, S. 4–8, hier S. 8.

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Abb. 3: Helge bei der Wieden (1934–2012), Neugründer des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 1984 und Vor­ sitzender der Historischen Kommission für Mecklen­ burg 1990–2002. Quelle: Strukturen und Konjunkturen. Faktoren der schaumburgischen Wirtschaftsgeschichte, hg. von Hubert Höing (Schaumburger Studien), Bielefeld 2004, S. 11

In den siebziger und achtziger Jahren entwickelten sich aus den vorherigen Arbeitskreisen des Kulturbundes eigene Gesellschaften, die aber weiterhin dem Kulturbund unterstanden, so 1979 die „Gesellschaft für Heimatgeschichte“.28 Seit 1981 erschienen die „Schweriner Blätter“ als Beiträge zur Heimatgeschichte des Bezirks Schwerin, in Rostock die „Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock. Neue Folge“. Die wissenschaftliche Landesgeschichte konnte im neuen Gewand der Regionalgeschichte wieder unbeanstandet betrieben werden. Seit 1965 erschien das Periodikum „Jahrbuch für Regionalgeschichte“, in dem auch ein Schweriner Archivar (Rakow) mitarbeitete. Aktivitäten und Ergebnisse wie in Brandenburg29 oder auch Sachsen30 sind aus den Nordbezirken der DDR allerdings nicht zu vermelden. Unter den Schlagworten „Erbe und Tradition“ war nach dem IX . Parteitag 1976 wieder der Blick auf die Geschichte der Länder im Territorium der DDR möglich,31 eine Möglichkeit, von der man auch in Rostock Gebrauch machte. In der Sektion Geschichte bildete sich eine Forschungsgruppe Geschichte Mecklenburgs und erarbeitete unter der Federführung von Prof. Gerhard Heitz, heute Ehrenmitglied des Vereins für mecklenburgische Geschichte, ab 1987 ein Konzept für eine neue Gesamtdarstellung, zu dem u.a. Ernst Münch, Wolf Karge und Peter-Joachim Rakow beitrugen – alle heute Mitglieder

28 Henning Rischer, Dirk Schleinert, 25 Jahre Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns, in: BaltStud, N.F., 96, 2010, S. 93–104, hier S. 95 f. 29 Lieselott Enders, Brandenburgische Landesgeschichte in der DDR, in: BlldtLG 127/1991, S. 305–327. 30 Reiner Gross, Zum Anteil der Archivare an staatlichen Archiven an der landesgeschichtlichen Forschung – das Beispiel Sachsen, in: BlldtLG 133/1997, S. 55–62. 31 Rischer, Schleinert, (wie Anm. 27), S. 93.

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bzw. Vorstandsmitglieder des Vereins für mecklenburgische Geschichte wie der Historischen Kommission für Mecklenburg. Ein erstes Kolloquium zur Geschichte Mecklenburgs fand am 7. Dezember 1988 statt und diskutierte die Konzeption, die 1989 im Druck veröffentlicht wurde.32 Da diese Aktivitäten schwerpunktmäßig an der Universität verankert waren, gehören sie eigentlich nicht zum Thema, aber diese Wiederaufnahme der intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschichte Mecklenburgs in den letzten Jahren der DDR ist doch so interessant und wichtig, daß sie nicht unerwähnt bleiben darf. Die Demminer Kolloquien sind ja als ein ähnliches Beispiel der Hinwendung zur Landesgeschichte unlängst von Henning Rischer und Dirk Schleinert thematisiert worden.33 Die Wende beendete die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft. Der Verein für mecklenburgische Geschichte, seit 1984 auf Anregung von Helge Bei der Wieden im Rahmen der Stiftung Mecklenburg wieder aktiv,34 kehrte ins Land zurück.35 Und die Historische Kommission für Mecklenburg, in den zwanziger Jahren ein absoluter Nachzügler und in der Bundesrepublik nur im Schlepptau der Pommerschen Kommission aktiv,36 hatte es diesmal besonders eilig.

Historische Kommission, Geschichtsverein und Landeshauptarchiv als ­Stützen der Landesgeschichte seit 1990 Bereits am 21. November 1990 konstituierte sich die Historische Kommission für Mecklenburg als Verein mit Sitz in Schwerin, um für die Landesgeschichte einen Rahmen zu schaffen, in dem Experten aller Sparten aus Hochschulen und der außeruniversitären Forschung gemeinsam wirken konnten. Anders als die Historische Kommission für Pommern, die in der Bundesrepublik weiter gearbeitet hatte, mußte die mecklenburgische Schwesterkommission völlig neu aufgebaut werden und den Anschluß an bestehende 32 Gerhard Heitz, Karl Heinz Jahnke, Lutz Werner, Geschichte Mecklenburgs: Konzeption. Wilhelm-Pieck-Universität Rostock, Rostock 1989. 33 Rischer, Schleinert, (wie Anm. 27), S. 93–104. 34 MJB 105/1985, Vorwort des Herausgebers. 35 Tätigkeitsbericht in: MJB 109/1993, S. 201 f. 36 Franz Engel, Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern 1955–1967, begründete 1960 den Historischen Atlas von Mecklenburg: 8 Karten mit Textheften wurden publiziert und zwei Kartenwerke des 18. Jh. neu bearbeitet, s. Roderich Schmidt, Die Historische Kommission für Pommern. Acht Jahrzehnte Landesgeschichtsforschung, in: Pommern. Geschichte – Kultur – Wissenschaft. 1. Kolloquium zur Pommerschen Geschichte 13.–15. November 1990, Greifswald 1991, S. 24–35, hier S. 27. Siehe auch die Beiträge von Petersohn u. Manke in diesem Band. Helge Bei der Wieden, Die Historische Kommission für Mecklenburg, in: MJB 110/1995, S. 239–244, weist darauf hin, daß der Wissenschaftliche Arbeitskreis für Mitteldeutschland, dem er seit 1979 angehörte, „die Aufgaben einer Historischen Kommission für die in der DDR beseitigten Länder“ wahrgenommen habe. In den „Mitteldeutschen Forschungen“ konnten Arbeiten zur mecklenburgischen Geschichte erscheinen, a.a.O. S. 241.

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Abb. 4: Peter Joachim Rakow (*1933), Archivar am Staatsarchiv bzw. Landeshauptarchiv Schwerin 1958–1998, Mitglied der Historischen Kommission für Mecklenburg seit deren Neugründung 1990. Quelle: LHA SN 13.4-3 Photosammlung

Strukturen in der Bundesrepublik suchen. Die Historische Kommission für Mecklenburg war die erste Neugründung dieser Art in der ehemaligen DDR , der die anderen neuen Länder bis 1996 folgten. Am Buß- und Bettag 1990 trafen sich im Landeshauptarchiv Schwerin neun Fachleute aus Ost und West, um Möglichkeiten und Arbeitsprogramme für eine Kommission zu diskutieren und der mecklenburgischen Landesgeschichte wieder eine Organisationsform zu geben, die ihr seit Kriegsende gefehlt hatte. Als Ergebnis der Beratungen wurde die Kommission gegründet. Erster Vorsitzender wurde Dr. Helge Bei der Wieden, ein Geschichtslehrer aus Bückeburg und renommierter Autor einschlägiger historischer Arbeiten zu Mecklenburg.37 Er leitete die Kommission bis zum Jahre 2002. Stellvertretende Vorsitzende wurde mit Frau Dr. Pettke eine Rostocker Theologin, Schriftführer Dr. Rakow vom Mecklenburgischen Landeshauptarchiv. Wenn auch laut Satzung keine institutionellen Mitglieder vorgesehen waren wie bei der ersten Kommission, so war doch die Zusammenarbeit mit dem Schweriner Archiv und der Rostocker Universität Programm. Roderich Schmidt und Helge Bei der Wieden konnten eine Brücke zur pommerschen Kommission schlagen, in der sie auch Mitglieder waren. Die Satzung enthält einen Passus, daß bei Vorhaben, die sich nennenswert auch auf Pommern erstrecken, das Einvernehmen mit der pommerschen Kommission herzustellen

37 Niklot Klüssendorf, Historische Kommission für Mecklenburg neu gegründet, in: Der Archivar 44/1991, H.1, Sp. 185 f.; Bei der Wieden, (wie Anm.35), S. 242 ff (mit falschem Gründungsjahr 1991). Helge Bei der Wieden verstarb am 08.01.2012.

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ist.38 Man hatte ordentlich Respekt und wollte Streit vermeiden. Das Bemühen um ein freundlich-nachbarschaftliches Verhältnis zu den Pommern dauert bis heute an. Mit Nils Jörn und Sabine Bock, beide Mitglieder der Historischen Kommission für Pommern, sind später zwei weitere Bindeglieder in die mecklenburgische Kommission berufen worden, und tatsächlich hat es nennenswerte Rivalitäten und Zänkereien nicht gegeben. In einem Fall gab es sogar konkrete Zusammenarbeit im haushaltstechnischen Bereich, und 2011 fand ein Sondierungsgespräch zwischen den Kommissionen statt, das Möglichkeiten der Zusammenarbeit in Bezug auf eine neue Landesgeschichte ausloten sollte – Ansätze, die zwischenzeitlich leider im Sande verlaufen sind. Inhaltlich könnte man sicher noch mehr zusammen machen, etwa zum Bistum Kammin, wie einmal angeregt wurde. Da liegen durchaus noch Möglichkeiten, die noch nicht genutzt werden. Der starke Einfluß der Kommissionsmitglieder aus dem Westen in den ersten Jahren hat sich nach und nach relativiert. 2002 erklärte sich der Verf. zu einer Kandidatur für den Vorsitz bereit mit dem erklärten Ziel, die Kommission mit ihrer Vorstandsarbeit und ihren Mitgliederversammlungen nach Mecklenburg zu holen. Das ist dann auch gelungen. Inzwischen sind mehr als 70% der 24 Kommissionsmitglieder in Mecklenburg tätig und/oder ansässig. Von den bei der Gründungsversammlung beschlossenen Arbeitsvorhaben waren die Regesten des 15. Jahrhunderts und die Mecklenburgische Biographie schon 1928 genannt worden. Die Biographie wurde nun auch in Angriff genommen. Frau Pettke übernahm die Herausgeberschaft für das Biographische Lexikon für Mecklenburg, das sich am Schleswig-Holsteinischen Biographischen Lexikon orientierte und eigentlich mehr eine Sammlung von Lebensbildern ist als ein Lexikon. Sie betreute bis 2004 vier Bände, Band 5 bis 8 wurden seitdem vom Verfasser herausgegeben, die Arbeiten für Band 9 laufen. Als Reihe B Schriften zur Mecklenburgischen Geschichte veröffentlichte die Kommission vor allem sieben Tagungsbände. Außerdem gab es eine Schrift von Eike Wolgast zur Reformation in Mecklenburg39 und einen numismatischen Band von Michael Kunzel über die Gnadenpfennige und Ereignismedaillen Mecklenburgs.40 In der auf zwölf Bände angewachsenen Quellenreihe ist harte Grundlagenforschung publiziert worden wie die von Ernst Münch bearbeiteten jeweils mehrteiligen Grundregister von Rostock und Wismar41 sowie die von Dietrich Poeck und Tilmann Schmidt her38 Satzung der Historischen Kommission für Mecklenburg vom 21.11.1990, § 1 Abs. 3.:“Das Arbeitsgebiet der Kommission ist Mecklenburg. Wenn ein Vorhaben sich in nennenswertem Umfang auch auf Pommern erstreckt, so soll das Einvernehmen mit der Historischen Kommission für Pommern hergestellt werden.“ 39 Eike Wolgast, Die Reformation in Mecklenburg, Rostock 1995. 40 Michael Kunzel, Die Gnadenpfennige und Ereignismedaillen der regierenden Herzöge und Großherzöge von Mecklenburg 1537 bis 1918, Rostock 1995. 41 Das Rostocker Grundregister (1600–1820), hg. v. Ernst Münch (Quellen zur Mecklenburgischen Geschichte, 2), 3 Teile, Rostock 1998–1999; Das Wismarer Grundbuch (1677/80–1838), hg. v. Ernst Münch (Quellen zur Mecklenburgischen Geschichte, 4), 4 Teile, Rostock 2002–2004.

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Abb. 5: Andreas Röpcke (*1946), Archivar am Staatsarchiv Bremen seit 1976, seit 1994 Direktor des Landeshauptarchivs Schwerin, Leiter der Abteilung Landesarchiv im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege 2006–2011, seit 1995 Mitglied der Historischen Kommission für Mecklenburg und seit 2003 Vorsitzender des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde. Quelle: LHA SN 13.4-3, Dr. Andreas Röpcke, Nr. 951/1

ausgegebenen Stadtbücher von Schwerin und Rostock,42 zuletzt auch Personaldokumente wie die Boddienschen Familienbriefe und die Lebenserinnerungen des Ministers Richard Moeller.43 Über 8000 Druckseiten landesgeschichtlicher Quellen und Literatur sind in den zwanzig Jahren der Existenz der Kommission (bis 2011) von ihr publiziert worden. Wenn man bedenkt, wie klein sie ist, und wie gering die vom Ministerium gewährten Mittel, so ist das Ergebnis sehr achtbar. Der Verein für mecklenburgische Geschichte wurde 1991 in Schwerin unter Anknüpfung an seinen traditionsreichen Vorgänger und unter Einbeziehung der im Rahmen der Stiftung Mecklenburg im Westen agierenden Arbeitsgemeinschaft neu gegründet. Mit Christa Cordshagen übernahm eine gestandene, angesehene Schweriner Archivarin im Ruhestand den Vorsitz, Helge Bei der Wieden fungierte weiter als Herausgeber der Jahrbücher. Das ging nicht lange gut, und Helge Bei der Wieden legte 1994 die Schriftleitung

42 Das Schweriner Stadtbuch (1421–1597/1622), hg. v. Dietrich W. Poeck (Quellen zur Mecklenburgischen Geschichte, 6), Rostock 2004; Das Rostocker Stadtbuch 1270–1288, hg. v. Tilmann Schmidt (Quellen zur Mecklenburgischen Geschichte, 7), Rostock 2007. 43 Boddiensche Familienbriefe 1802–1856, hg. v. Ernst Münch (Quellen zur mecklenburgischen Geschichte, 8), Rostock 2008; Richard Moeller – Lebenserinnerungen, hg. v. Bernd Kasten (Quellen zur Mecklenburgischen Geschichte Bd.9), Rostock 2010.

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der Jahrbücher nieder.44 Von 1995 an war Christa Cordshagen also auch Herausgeberin der mit Unterstützung des Kultusministeriums von da an wieder jährlich erscheinenden Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte. Seit dem Jahrgang 115/2000 liegt die Schriftleitung beim Verfasser. Mit festem Einband und in der Regel mehr als 300 Seiten Umfang können sie sich unter den landesgeschichtlichen Zeitschriften sehen lassen. Mehrere von Hartwig Bull in mühseliger ehrenamtlicher Arbeit erstellte und durch Spenden eines Vereinsmitglieds finanzierte Registerbände sorgen für eine besonders intensive Erschließung unserer Zeitschrift. Zum Vereinsjubiläum 2010 erschien ein Gesamtregister der Aufsätze von Bd. 1–125 von Grete Grewolls. Im Vorstand des Vereins ist das Schweriner Archiv mit zeitweise drei Wissenschaftlern dominant vertreten, mit Ernst Münch aber auch der Landeshistoriker der Universität Rostock. Im weiteren Sinne kulturgeschichtliche Arbeitsergebnisse aus Mecklenburg und Vorpommern publizierte das vom Kulturbund herausgegebene, inzwischen eingestellte Periodikum „Stier und Greif“.45 Forschungen zur Stadtgeschichte enthalten die vom Stadtarchiv Wismar betreuten „Wismarer Beiträge“46 und die „Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock“,47 die der Rostocker Geschichtsverein herausgibt. Mit einem regionalen Fokus auf Nordwestmecklenburg seien die vom Landkreis herausgegebenen „Einblicke“ erwähnt,48 für den Strelitzer Bereich schließlich ist das „Neubrandenburger Mosaik“49 als regionale kulturgeschichtliche Zeitschrift zu nennen. Das Landeshauptarchiv Schwerin endlich darf bei der Darstellung der außeruniversitären landesgeschichtlichen Forschungsszene nicht fehlen. An seiner Spitze stand bis Ende April 2011 der Verf. als ein bekennender Historiker-Archivar, der der Überzeugung war und ist, daß es dem Archiv wie der Landesgeschichte gut tut, wenn Archivare sich selbst auch an der landesgeschichtlichen Forschung beteiligen. So haben wir es – nach Brandenburger Vorbild – auch ins Landesarchivgesetz von Mecklenburg-Vorpommern geschrieben.50 Mit einem gemeinsamen Kraftakt haben Martin Schoebel und der Verfasser in den 1990er Jahren durchgekämpft, daß die Landesarchive Mittel für Veröffentlichungen erhalten. 44 45 46 47 48 49 50

Tätigkeitsbericht des Vereins für mecklenburgische Geschichte für das Jahr 1994, in: MJB 110/1995, S. 256. Jg. 1–21, 1991–2011, hg. in Verbindung mit dem Mecklenburgischen Volkskundemuseum Schwerin und in Zusammenarbeit mit dem Landeshauptarchiv Schwerin von Dr. Ralf Wendt. Wismarer Beiträge, hg. v. Stadtarchiv Wismar, H. 1–22, 1984–2016. Beiträge zur Geschichte der Stadt Rostock, hg. v. Verein für Rostocker Geschichte e.V., Bd.23– 33, 1999–2014. Bd.1–22 erschienen 1890 (1895)–1941. Einblicke zwischen Schaalsee und Stepenitz H. 1–3, 1991–1993. Einblicke zwischen Schaalsee und Salzhaff, hg. v. Landkreis Nordwestmecklenburg, H. 4–18, 1997–2014. Neubrandenburger Mosaik, hg. v. Kulturhistorischen Museum, später Regionalmuseum Neubrandenburg, H. 1–40, 1975–2016. Archivgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern v. 07.07.1997, § 5 Abs. 6 „Die Archive wirken an der Auswertung des von ihnen verwahrten Archivgutes sowie an der Erforschung und Vermittlung insbesondere der mecklenburgisch-vorpommerschen Geschichte, der Heimat- und Ortsgeschichte mit und leisten dazu eigene Beiträge.“

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Wichtige Dissertationen z.B., die aus Archivquellen des Landes erarbeitet wurden, sollten im Lande Mecklenburg-Vorpommern einen Publikationsort haben. Inzwischen sind in der Archivreihe „Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns“ auch schon drei Habilitationsschriften publiziert.51 Diese Veröffentlichungsreihe, die die beteiligten Archivare viel Zeit und Kraft kostet, ist zweifellos auch ein Medium der Förderung der landesgeschichtlichen Forschung. Sie umfaßt derzeit 20 Bände. Mecklenburgische und pommersche Themen sind in der Reihe vertreten, Mecklenburg proportional stärker. Wie vor 1918 ist das Schweriner Archiv der Dreh- und Angelpunkt der außeruniversitären Forschung zur mecklenburgischen Landesgeschichte geworden. Die enge Verbindung zum Geschichtsverein ist traditionell und bewährt sich immer wieder. So finden die Vortragsveranstaltungen des Vereins wie zu Grotefends Zeiten kostenfrei im Landeshauptarchiv statt. Die Geschäftsstelle des Vereins hat ebenso ihren Sitz im Archiv wie die Redaktion der Mecklenburgischen Jahrbücher. Neu im Vergleich zu früher ist das Wirken der Historischen Kommission für Mecklenburg, deren Geschäftsstelle sich ebenfalls im Landeshauptarchiv befindet. Daß sich im Vorstand mit Ernst Münch und dem Verf. bis 2011 dieselben Personen finden bzw. fanden wie im Vorstand des Geschichtsvereins, zeigt einerseits den überschaubaren Kreis der Aktiven in der landesgeschichtlichen Szene, andererseits das Bemühen, die vorhandenen Kräfte zu bündeln und zielgerichtet einzusetzen. Es wird sicher eher ein von manchen Zufällen geprägter Sonderfall bleiben, daß in Mecklenburg in den zehn Jahren 2001–2011 Archivleitung, Vereinsvorsitz, Schriftleitung der Jahrbücher und Vorsitz der Historischen Kommission in einer Hand (der des Verf.) lagen. Eines ist nicht zu bestreiten: Effizient war das mit denkbar kurzen Wegen und einfacher Kommunikation. Die Episode ging im Mai 2011 zu Ende,52 und neue personelle Strukturen der außeruniversitären landesgeschichtlichen Forschung in Mecklenburg haben sich herausgebildet. Daß der Geschichtsverein, die Historische Kommission und das Landeshauptarchiv dabei weiter tragende Rollen spielen werden, ist notwendig und von entscheidender Bedeutung.

51 Kyra T. Inachin, Nationalstaat und regionale Selbstbehauptung: Die preußische Provinz Pommern 1815–1945 (Quellen und Studien, VII), Bremen 2005; Bernd Kasten, Herren und Knechte. Gesellschaftlicher und politischer Wandel in Mecklenburg-Schwerin 1867–1945 (Quellen und Studien, XI), Bremen 2011. Michael Busch, Machtstreben – Standesbewußtsein – Streitlust. Landesherrschaft und Stände in Mecklenburg 1755 bis 1806, Köln/Weimar/ Wien 2013. 52 Der Verfasser trat Ende April 2011 als Archivleiter in den Ruhestand; am 20. Mai 2011 schied er aus dem Vorstand der Historischen Kommission für Mecklenburg aus. Neuer Vorsitzender wurde Prof. Ernst Münch, siehe: Aus der Arbeit der Historischen Kommission für Mecklenburg e.V., in: MJB 126/2011, S. 388.

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Außeruniversitäre Forschungen zur Landesgeschichte für Berlin und Brandenburg nach dem Zweiten Weltkrieg 1

Berlin-Brandenburg kann auf eine durchaus beachtliche Anzahl von Geschichtsvereinen oder von anders organisierten Zusammenschlüssen geschichtsinteressierter Personen blicken, die, wie in anderen Regionen Deutschlands auch, im wesentlichen im 19. Jahrhundert entstanden sind, auch heute noch mit und durch ihre Tradition leben und deren Mitglieder durchaus kontinuierlich beachtenswerte wissenschaftliche Leistungen produzieren. Das Traditionsbewußtsein geht z. B. im Falle des Vereins für die Geschichte Berlins e. V. gegr. 1865 so weit, daß sogar das Gründungsjahr in den offiziellen Vereinsnamen aufgenommen wurde. Später als sonst vielerorts in Deutschland entstanden die Historischen Kommissionen in „Ostelbien“, da sich hier die Interessen- und Tätigkeitsbereiche der größeren Vereine schon meist mit den Grenzen der Pro­vinzen deckten. In der Mark hatten 1837 die führenden Vertreter der Landesgeschichte den „Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg“ gegründet.2 Dieser „Märkische Geschichtsverein“ wurde 1899 anläßlich einer grundlegen­den Umformung seiner Statuten zu einer „Historischen Kommission für die Mark Brandenburg“ ausgestaltet. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte die deutsche landesgeschichtliche Forschung einen starken Auftrieb und so entstand der Wunsch, die Tätigkeit in der Provinz durch Zu­sammenfassung der zersplitterten Kräfte zweckmäßig zu organisieren sowie zu verstärken und zu diesem Zwecke die lokalen Vereine als körperschaftliche Mitglieder aufzunehmen. Vorbild war dafür die bereits bestehende Vereinigung 1

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Ich danke Herrn Prof. Dr. Wolfgang Ribbe für die Möglichkeit, sein Material für diese Publikation verwenden zu dürfen. Vgl. Wolfgang Ribbe, Außeruniversitäre Forschungen zur Geschichte von Berlin-Brandenburg: Die Historische Kommission, in: Die Historische Kommission zu Berlin. Forschungen und Publikationen zur Geschichte von Berlin-Brandenburg und Brandenburg-Preußen (Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, Heft 3), hg. v. Wolfgang Ribbe, Potsdam 2000, S. 11–17. Vgl. Festvortrag von Wolfgang Ribbe zum fünfzigjährigen Jubiläum der Historischen Kommission zu Berlin, gehalten am 13.Februar 2009 im Berliner Rathaus: Die Historische Kommission zu Berlin. Einsichten und Aussichten, in: Schloß – Macht und Kultur, hg. v. Jürgen Kloosterhuis, Wolfgang Ribbe und Uwe Schaper, Berlin 2012, S. 15–22. Die Gründung des Vereins, sein Wirken und seine Bedeutung für die brandenburgisch-preußische Landesgeschichtsforschung beschreibt anschaulich nach den Quellen Klaus Neitmann in seinem Beitrag: Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, in: Krise, Reformen – und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hg. v. Bärbel Holtz, Berlin 2010, S. 249–298, bes. S. 275–290.

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der brandenburgischen Heimatmuseen. Diese Bestrebungen waren erfolgreich. Seit 1924 fanden alljährlich gemeinsame Tagungen aller Vereine und Museen an wechselnden Orten der Provinz statt, und 1925 wurde in Landsberg an der Warthe der „Verband der brandenburgischen Geschichtsvereine“ mit der Aufgabe gegründet, gemeinsame Ziele, wie die Sammlung der Flurnamen und die Erschließung der lo­kalen Quellen zu fördern und gleichmäßig durchzuführen. Zweck des Verbandes war auch, es den Mitgliedern der angeschlossenen Vereine zu ermöglichen, Fragen brandenburgischer Ge­schichtsforschung in größerem Kreise zu besprechen und die Kenntnis der Heimatprovinz durch die alljährlich stattfindenden Treffen zu erweitern. Auf der Tagung in Landsberg 1925 wurde ferner beschlossen, die brandenburgische Provinzialverwaltung und den Magistrat der Stadt Berlin zur Bildung einer Historischen Kommission anzuregen. Diese Anregung fand bei beiden Stellen Gehör. Nach dem Vorbild zahlreicher deutscher Länder und preußischer Pro­vinzen gründeten dann Ende des Jahres die Provinzialverwaltung und die Stadt Berlin gemein­schaftlich eine „Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshaupt­stadt Berlin“ mit der Aufgabe, die Quellen zur Geschichte der Mark und der Reichshauptstadt herauszugeben und die Geschichtsforschung durch Untersuchungen und Darstellungen zur brandenburgischen Geschichte zu fördern, wozu Provinz und Stadt finanzielle Mittel zu gleichen Teilen bewilligten.3 Dieser neuen Kommission stand Ulrich Stutz vor, fachlich assistiert von Archivaren des Geheimen Staatsarchivs, dem Berliner Stadtarchivar Ernst Kaeber und vor allem von Johannes Schultze, der dann bis zu seinem Tod 1976 der richtungweisende Mentor der landesgeschichtlichen Forschung in Berlin-Brandenburg blieb. Die Kommission hatte sich ein umfangreiches Ar­beitsprogramm gestellt, aus dem in den folgenden Jahren in rascher Folge ansehnliche Veröf­fentlichungen hervorgingen. Sie gliedern sich in drei größere Gruppen: 1. Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Berlin, 2. Quellen und Arbeiten zur Geschichte der Provinz und ihrer Landschaften und 3. Historischer Atlas der Provinz Brandenburg. Die fruchtbare Tätigkeit der Kommission wurde dann infolge einseitiger Kürzung der Mittel seitens der Stadt Berlin eingeschränkt und schließlich ganz abgebrochen, als die Pro­vinzialverwaltung und die Stadt Berlin übereinkamen, dieses Institut zum 1. April 1939 aufzulösen und jeweils eigene Kommissionen einzurichten. Damit fand eine für die kurze 3

Zur Gründung dieser neuen Historischen Kommission äußert sich als Zeitzeuge Johannes Schultze, Meine Erinnerungen. Im Auftrage des Autors herausgegeben von Gerhard Knoll. Als Manuskript gedruckt Berlin 1976, S. 23–25. Siehe auch die Mitteilung in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 37/1925, Rubrik „Sitzungsberichte“, S. 7–9. Ausführlich: Klaus Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. v. Wolfgang Neugebauer, Berlin 2006, S. 115–181. Vgl. auch den Beitrag von Klaus Neitmann in diesem Band.

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Wirkungsdauer im Großen und Ganzen sehr erfolgreiche Periode für die Quellenforschung der Mark Brandenburg ein frühes Ende. Wenige Jahre später wurden die Kommissionen neu begründet: seit dem 11. Januar 1943 gab es die „Historische Kommission für die Provinz Brandenburg“ und vom 16. November 1943 an die „Landesstelle der Reichshaupt­stadt für Geschichte, Heimatforschung und Volkskunde“. Doch an eine fachliche Tätigkeit konnte in den letzten Kriegsjahren nicht mehr gedacht werden. Neben diesen Historischen Kommissionen wirkte der „Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg“, bei dem es sich um eine Honoratioren-Vereinigung handelte, deren aktive Mitglieder Universitätsprofessoren bzw. Mitglieder der preußischen Akademie der Wissenschaften waren. Weiterhin gaben sie neben der renommierten Schriftenreihe „Veröffentlichungen des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg“ die Zeitschrift „Märkische Forschungen“ heraus, die 1888 in „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ umbenannt worden war und die – betreut von Johannes Schultze – bis 1944 erschien. Zwar blieben die Arbeitsprogramme, Buchveröffentlichungen und auch die Zeitschrift der landesgeschichtlichen Vereine in Berlin und Brandenburg während der NS -Zeit im wesentlichen frei von ideologisch-politischer Parteinahme für die Ziele des herrschenden Systems, doch gilt das nicht für einige der führenden Landeshistoriker.4 Länger als ein Dutzend Jahre hat es gedauert, bis sich die Landesgeschichtsforschung für Berlin und Brandenburg nach dem Ende der NS -Herrschaft wieder organisieren konnte. In der Sowjetischen Besatzungszone resp. in der DDR wurden die traditionellen außeruniversitären Organisationen zur Erforschung der Landesgeschichte nicht wiederbelebt. Dies gilt auch für den Ostteil Berlins sowie für das 1952 aufgelöste Land Brandenburg, an dessen Stelle die Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder und Cottbus traten.5 Den Anstoß in West-Berlin gaben neu berufene Professoren der noch jungen Freien Universität. Ohne die Freie Universität ist die Historische Kommission zu Berlin nicht zu denken, hätte es diese Kommission nicht gegeben. Gründungsrektor der neuen, vom totalitären Zwang „freien“ Universität war der Nestor der deutschen Historiker und spätere Namenspatron des Historischen Seminars der FU , der damals 86jährige Friedrich Meinecke. Ihm widmeten die Professoren des Historischen Seminars zum 90. Geburtstag 1952 eine Festschrift, die zugleich als erster Band einer neuen Zeitschrift fungierte, der sie in der noch unmittelbaren Nachkriegszeit und der vermeintlich noch nicht endgültig geklärten politischen Zukunft des

4 5

Vgl. z. B.: Klaus Neitmann, Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichte und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit, in: BlldtLG 141–142/2005–2006, S. 19–60. Ausführlicher: Klaus Neitmann, Im Dienste der Erforschung und Darstellung brandenburgischer Landesgeschichte. Rückblicke und Ausblicke auf die Arbeit der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., in: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 55/2004, hg. v. Felix Escher im Auftrage der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e. V. (gegr. 1884), S. 265.

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Reichsterritoriums östlich von Oder und Neiße den Namen „Jahrbuch für die Geschichte des deutschen Ostens“ gaben. Titel dieser Festschrift war: „Das Hauptstadtproblem in der Geschichte“ mit dem Tenor der Beiträge: „Berlin muß wieder Deutschlands Hauptstadt werden“.6 Eben dieses Jahrbuch, das in den folgenden Jahren und seither bis heute unter dem Namen „Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands“ erscheint,7 war Ausgang und Grundlage für die Einrichtung der „Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin“. Da (im Jahre 1959) lagen von dem Jahrbuch bereits mehrere Bände vor.8 Der am 6. Februar 1954 verstorbene Friedrich Meinecke, schon maßgeblich an der Gründung der Historischen Reichskommission beteiligt,9 sollte also die Gründung der Berliner Historischen Kommission nicht mehr erleben, die erst am 28. Juli 1958 von Professoren und Dozenten des Friedrich-Meinecke-Instituts ins Leben gerufen wurde. Sie nahm mit der ersten Jahreshauptversammlung am 14. Februar 1959 offiziell ihre Arbeit auf. Erster Vorsitzender war Hans Herzfeld und zu seinem Stellvertreter wurde Walter Schlesinger gewählt.10 In einer Denkschrift vom 12. Oktober 1961 stellte sich die Historische Kommission in die Nachfolge der „Historischen Kommission für die Mark Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“, „des leitenden Zentrums der landesgeschichtlichen Forschung auf Universitätsebene im Vorkriegsberlin“.11 Die Formulierung „auf Universitätsebene“ war natürlich nicht unbedacht gewählt worden. Zumindest unter Fachleuten war bekannt, daß die „alte“ Historische Kommission selbstverständlich keine Einrichtung der Berliner Universität war, auch wenn sie sich fachlich auf Hochschulniveau verortet hatte. Immerhin konnten die Väter der Denkschrift aus der Formulierung ihre Legitimation entwickeln, die „neue“ Historische Kommission als Annex der Freien Universität gegründet zu haben. Neben einer Aufzählung der bisherigen in Qualität und Quantität anerkannten wissenschaftlichen Leistungen ist die Selbstdarstellung des Aufgabengebiets bemerkenswert: „Ihr Arbeitsprogramm, das die Planung, Förderung und Veröffentlichung wissenschaftlicher 6

Jahrbuch für die Geschichte des deutschen Ostens, Band 1. Das Hauptstadtproblem in der Geschichte. Festgabe zum 90. Geburtstag Friedrichs Meineckes. Gewidmet vom FriedrichMeinecke-Institut an der Freien Universität Berlin, Tübingen 1952. 7 Das Jahrbuch, das von der Historischen Kommission zu Berlin herausgegeben wird, führt seit 1996 den vollständigen Namen „Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. Zeitschrift für vergleichende und preußische Landesgeschichte“. 8 Wolfgang Ribbe, Die Historische Kommission zu Berlin. Einsichten und Aussichten, (wie Anm. 1). 9 Vgl. Matthias Herrmann, Das Reichsarchiv (1919–1945). Eine archivische Institution im Spannungsfeld deutscher Politik, Diss. masch., Berlin 1995, S. 89–109. 10 Nachfolgende Ausführungen entstammen in ihren wesentlichen Teilen der Denkschrift, die die Historische Kommission mit Datum vom 12.10.1961 dem Berliner Senat mit dem Ziel der Erhöhung der finanziellen Zuwendungen überreichte. Die Unterlagen befinden sich im Landesarchiv Berlin, B Rep. 002, Nr. 8008. Erster Sitz der Kommission war ein Nebengebäude des Friedrich-Meinecke-Instituts in der Altensteinstrasse 44a in Berlin-Dahlem. 11 Landesarchiv Berlin, B Rep. 002, Nr. 8008, Denkschrift vom 12.10.1961, S. 2.

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Arbeiten über Berlin und sein Umland vorsieht, erkennt jenen Vorhaben besonders Gewicht zu, die Berlins Stellung als Hauptstadt Deutschlands und im europäischen Geistesleben sowie in seiner weltwirtschaftlichen Verflechtung behandelt. Angesichts der politischen Lage faßte es die Kommission zudem als besondere Verpflichtung auf, die Auseinandersetzung mit den Erzeugnissen östlicher Pseudowissenschaft zu führen.“12 Was schon durch die verschiedenen Titel des Jahrbuchs angedeutet worden war, wurde nun deutlich: Die Berliner Historische Kommission ging in ihrem Selbstverständnis, wissenschaftlich und territorial, weit über das der „Vorkriegs-Kommission“ hinaus. Dabei war das Arbeitsprogramm so global beschrieben, daß es jedwede Interpretation und Erweiterung zuließ.13 Darüber hinaus konnte nun, nachdem die politische Situation durch den Bau der Mauer vom 13. August 1961 an zementiert schien, auch der politische Auftrag beschrieben werden, wobei die Einschätzung der Leistungen der DDR -Geschichtswissenschaft nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließ.14 Unscharf blieb man allerdings mit dem nicht weiter definierten Begriff des „Berliner Umlands“, wahrscheinlich mit Rücksicht auf die sich entwickelnden Beziehungen zu Polen (s.u.). Die eben zitierte Denkschrift war durch intensive Kontakte zum Berliner Senat und zu den im Berliner Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien auch politisch gründlich vorbereitet worden, bevor sie mit Schreiben vom 27. Oktober 1961 an den Regierenden Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei ging.15 Ziel der Denkschrift war natürlich die Etatisierung der Zuwendungen durch den Senat bei gleichzeitiger Erhöhung auf 118 950,- DM für das Jahr 1962 (105 000,- DM für 1963), wie aus dem dort beigefügten Wirtschaftsplan hervorgeht.16 12 Ebd. 13 Im Rückblick hat es der damalige Vorsitzende der Kommission, Otto Büsch, anläßlich des 25jährigen Bestehens so formuliert: „Damit bahnte sich endgültig eine Phase des Selbstverständnisses der Mitglieder des Vereins an, in der die D o p p e l a u f g a b e einer Historischen Kommission am Ort Berlin verstanden wurde – nämlich die Wahrnehmung l a n d e s geschichtlicher u n d a l l g e m e i n geschichtlicher Forschungs- und Publikationstätigkeit, letztere zumindest i m A u s s c h n i t t der historischen Landschaft Berlin-Brandenburg.“ Zitiert nach: Otto Büsch, Historikervereinigung und Forschungsinstitution. 25 Jahre „Historische Kommission zu Berlin“. Zur Geschichte eines hauptstadt- und weltstadtorientierten Zentrums historischer Forschung in Deutschland, in: Beiträge zur Organisation der historischen Forschung in Deutschland aus Anlaß des 25jährigen Bestehens der „Historischen Kommission zu Berlin“ am 3. Februar 1984, hg. v. der Historischen Kommission zu Berlin, Berlin/New York 1984, S. 7. 14 Auf der anderen Seite fehlte es auch nicht an verbalen Übergriffen aus der DDR. So beschäftigte sich die Staatliche Archivverwaltung der DDR, Abteilung Auswertung, noch 20 Jahre später, am 25. Juni 1981, mit der „konterrevolutionären Tätigkeit“ der Historischen Kommission, wie aus dem Bericht des Direktors des Stadtarchivs Berlin (Ost) vom 26.06.1981, Dr. Werner Gahrig, an den Stellvertreter des Oberbürgermeisters Berlin für Inneres, hervorgeht. Vgl. Landesarchiv Berlin, C Rep. 104, Nr. 2195, ohne Seitenzählung. 15 Landesarchiv Berlin, B Rep. 002, Nr. 8008, Schreiben vom 27.10.1961, ohne Seitenzählung. 16 A.a.O., Denkschrift Anlage D, Wirtschaftsplan für die Jahre 1962 und 1963, S. 15 f. Die Verringerung der Summe für das Jahr 1963 erklärt sich aus dem Wegfall einmaliger Aufwendungen

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Um überhaupt förderwürdig im Sinne der Vorschriften werden zu können, beschloß eine außerordentliche Mitgliederversammlung am 12. Oktober 1961 die Umwandlung der ­Historischen Kommission in einen gemeinnützigen eingetragenen Verein.17 Allerdings blieb die enge Verbindung zum Friedrich-Meinecke-Institut weiterhin bestehen. Durch die Festeinstellung von sieben Personen (Geschäftsführer, gleichzeitig wissenschaftlicher Referent, stv. Geschäftsführer, gleichzeitig wissenschaftlicher Referent, zwei wissenschaftliche Mitarbeiter, eine Buchhalterin, gleichzeitig Vorstandssekretärin, eine weitere Sekretärin sowie eine Schreibkraft) sollten zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten in Angriff genommen werden: „Eine finanzielle Basis in der beantragten Höhe würde die Kommission in die Lage versetzen, ihre Planungen besonders auf den Gebieten der modernen Wirtschafts- und Sozialgeschichte und der Geschichte der Arbeiterbewegung zu intensivieren und in eine fundierte Auseinandersetzung mit der kommunistischen Pseudowissenschaft auf den von dieser bevorzugten Gebieten einzutreten.“18 Wie dem auch sei: Berlin-Brandenburg-Preußen, aber auch die übrigen mitteldeutschen Territorien waren zunächst Gegenstand der historischen, speziell landesgeschichtlichen Untersuchungen, deren Ergebnisse sowohl im Jahrbuch als auch in einer neu gegründeten Schriftenreihe (den „Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin“) publiziert werden konnten. Die Autoren entstammten sowohl dem Lehrkörper als auch den Absolventen der alten Friedrich-Wilhelms-Universität und deren Freunden. Zu ihnen gesellten sich die aus Sachsen und Thüringen emigrierten Angehörigen der Leipziger Schule von Rudolf Kötzschke. Stark beeinträchtigt wurde die Arbeit durch den Verlust des Zugangs zu den Archivalien. Was nicht dem Krieg zum Opfer gefallen war, gelangte von den Auslagerungsorten, die auf dem Territorium der DDR lagen, nicht mehr in das Geheime Staatsarchiv in Berlin-Dahlem zurück, sondern wurde – nicht nur für die westliche Forschung größtenteils unzugänglich – nach Potsdam und Merseburg verbracht. Veröffentlicht werden konnten zunächst lediglich Manuskripte, die bereits vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden waren und wegen der Zeitumstände nicht mehr zum Druck gelangten oder auch Untersuchungen, die aus früher gesammelten Materialien resultierten. Über kurz oder lang sah sich die Kommission gezwungen, nach anderen, neuen Aufgabenfeldern zu suchen oder aber Themen zu bearbeiten, die aufgrund veröffentlichter Quellen und Darstellungen realisierbar waren. Dazu gehört der von Walter Schlesinger initiierte „Historischer Handatlas für Brandenburg und Berlin“. Die Historische Kommission zu Berlin ist zwar als West-Berliner Einrichtung gegründet worden, pflegte aber – trotz anderslautender politischer Bekenntnisse – von vornherein auch Kontakte zu renommierten Wissenschaftlern, die in der DDR lebten, und hatte ebenso

für den Kauf von Mobiliar und technischen Geräten. 17 A.a.O., Denkschrift Anlage C, Satzungsentwurf vom 12.10.1961, S. 11–14. 18 A.a.O., Denkschrift, S. 5 f.

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Kontakte zu Wissenschaftlern in der Bundesrepublik.19 Zu den Landeshistorikern in der DDR, die seit Beginn an den Sitzungen der neuen HiKo teilnahmen, gehörten Rudolf Lehmann vom Landesarchiv Lübben, schon langjähriges Mitglied der „alten“ Historischen Kommission, und Friedrich Beck, Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam. Um ihnen keine politischen Schwierigkeiten zu bereiten, sind sie – im gegenseitigen Einverständnis – nicht als offizielle Mitglieder geführt worden. Bereits die erste Jahresversammlung hat eine interdisziplinäre Mitgliedschaft angestrebt und ein vorläufiges Arbeitsprogramm beschlossen, das die Mitwirkung u. a. von Sprachwissenschaftlern (Germanisten und Slawisten) und Geographen (auch Kartographen) erforderte. Im Gründungsbericht heißt es: „Zu ihren vordringlichen Aufgaben rechnet die Kommission Untersuchungen zur Geschichte Berlins in der Epoche der Weimarer Republik, Studien über die kulturelle Stellung Berlins als Hauptstadt Deutschlands und im europäischen Geistesleben sowie eine den Hintergründen des Hauptstadtproblems gerecht werdende Geschichte der Berliner Stadtverfassung. Neben der Sozial-, Wirtschafts- und Parteiengeschichte soll auch die Entwicklung des Theater- und Filmlebens, der bildenden Künste und der Literaturkritik besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.“20 Eröffnet wurde das Arbeitsprogramm der Kommission nach Beschluß der ersten Jahresmitgliederversammlung durch eine Studie über die Berliner kommunalen Betriebe während der Weimarer Republik.21 An dieses Vorhaben sollte sich die Herausgabe eines Urkundenbuches zur Geschichte des Templerordens im Gebiet der nordostdeutschen Kolonisation22 und die Erarbeitung einer Besitzstandskarte der Mark Brandenburg für die Mitte des 16. Jahrhunderts anschließen. Außerdem sollte die Veröffentlichung der märkischen Visitationsakten fortgesetzt und das künftig als Publikationsorgan der Kommission dienende „Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands“ mit einem umfassenden Rezensionsteil ausgestattet werden. Es enthielt vom 8. Jahrgang an auch Sammelberichte (Monographien und Zeitschriftenbeiträge für die Jahre 1941–1956). Als Sammelberichte für spätere Bände wurden vorgesehen: Historische Geographie und Landeskunde

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Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 162 A, Historische Kommission zu Berlin, Nr. 1, ohne Seitenzählung. „Berliner Historische Kommission gegründet.“ Pressemitteilung vom 10.02.1959, Bl.2, in: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 162 A, Historische Kommission zu Berlin, Nr. 1, ohne Seitenzählung. Es handelt sich um die Dissertation des späteren langjährigen HiKo-Vorsitzenden Otto Büsch, Geschichte der Berliner Kommunalwirtschaft in der Weimarer Epoche (Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission, 1), Berlin 1960. Bei diesem Vorhaben handelte es sich um eine Materialsammlung von Helmut Lüpke für dessen Berliner Dissertation von 1933, die nur in einem Teildruck vorliegt. Sie ist erst drei Jahrzehnte später von der Historischen Kommission für Pommern realisiert worden: Helmut Lüpke; Winfried Irgang, Urkunden und Regesten zur Geschichte des Templerordens im Bereich des Bistums Cammin und der Kirchenprovinz Gnesen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern IV, 10), Köln 1987.

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(von Anneliese Krenzlin), Berlin (von Berthold Schulze), Kirchengeschichte (von Carl Hinrichs), ältere Wirtschafts- und Sozialgeschichte (von Herbert Helbig), ältere Verfassungsgeschichte (von Walter Schlesinger), Schlesien (von Gerhard Zimmermann). Im Vordergrund der weiteren Pläne stand neben industriehistorischen und kartographischen Arbeiten eine dreibändige Geschichte der Mark Brandenburg und Berlins. In Potsdam hatte bereits 1957 Rudolf Lehmann beim Brandenburgischen Landesarchiv eine „Forschungsstelle für Brandenburgische Landesgeschichte“ begründet, die sich bis 1961 auch dem Arbeitsprogramm der alten Kom­mission widmete, dann aber auf politischen Druck hin ihre Tätigkeit einstellen mußte. Im Archiv selbst sind u. a. eine Brandenburg-Bibliographie und ein Historisches Ortslexikon erarbeitet worden, Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften legten ein nach Landschaften gegliedertes Histori­sches Ortsnamenverzeichnis vor.23 Die landesgeschichtliche Arbeit der neuen Kommission mit Standort in West-Berlin war auch weiterhin vom Quellenmangel bestimmt, da die Zuständigen in der DDR Mitgliedern dieser Historischen Kommission den Zugang zu den nun von ihnen verwalteten Archivalien verweigerten.24 Soweit Schöppenbücher, Kirchenvisitationsabschiede und Acta Borussica veröffentlicht wurden, handelte es sich ebenfalls fast aus­schließlich um Manuskripte, die bereits vor 1945 erarbeitet worden waren. Unabhängig von den verlagerten Archivalien wurden hier aber zwei Großunternehmungen, eine „Berlin-Bibliographie“ sowie vor allem der Historische Handatlas, verwirklicht. Andere Desiderate der mittelalterli­chen und frühneuzeitlichen Landesgeschichtsforschung konnten während der deutschen Teilung nicht beseitigt werden.

23 Vgl. Klaus Neitmann, Im Dienste der Erforschung und Darstellung brandenburgischer Landesgeschichte, (wie Anm. 5), S. 265 f. 24 Vgl. Michael Scholz, Die Öffnung der Archive für jedermann. Zur Geschichte der öffentlichen Benutzung, in: Brandenburgische Archive 10/1997, S. 4–8. Zitat S. 6: „Die Benutzungsordnungen [der DDR] von 1965 und 1976 schrieben schließlich den Anfang der sechziger Jahre erreichten Stand für lange Zeit fest. Eine Sperrfrist war nicht vorgesehen, stattdessen konnten aus verschiedensten Gründen Benutzungsbeschränkungen verhängt werden. Ausführlich wurde geregelt, wer in welchem Falle die Benutzungserlaubnis zu erteilen hatte, wobei man 1965 zwischen den Antragstellern mit Wohnsitz innerhalb der DDR und solchen mit Wohnsitz außerhalb der DDR, 1976 zwischen DDR-Bürgern und Ausländern unterschied. Die Genehmigungspraxis gegenüber letzteren, besonders denen aus dem Westen … zeigt im Laufe der Jahre gleichsam spiegelbildlich das Verhältnis der beiden Militärblöcke bzw. der beiden deutschen Staaten an – etwa wenn unmittelbar nach dem Mauerbau auch die Auskunftstätigkeit nach Westdeutschland bis auf wenige Ausnahmefälle eingestellt wurde oder – um ein Beispiel zu nennen – im Vorfeld der Westberliner Preußenausstellung 1981 zu bestimmten Forschungsthemen der preußischen Geschichte keine Westbenutzung zugelassen wurde.“ Eine Lockerung der Benutzungspraxis ist für die 1980er Jahre festzustellen. Insofern war der Umgang mit Mitgliedern der Berliner Historischen Kommission prinzipiell keine Ausnahme, wurde jedoch aufgrund der „konterrevolutionären Tätigkeit“ der Kommission besonders strikt gehandhabt. Vgl. hierzu Anm. 13.

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Die Janusköpfigkeit bezogen auf die wissenschaftliche Ausrichtung der Kommission, die spätestens mit der Denkschrift von 1961 deutlich geworden war und die auch mit der Umbenennung in „Historische Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin“ zum 1. März 1963 auch nach außen sichtbar wurde,25 veranlaßte die Kommissionsmitglieder zu einem weiteren Schritt: Dem Berliner Senator für Wissenschaft und Kunst wurde am 1. Juni 1965 eine weitere Denkschrift eines Gründungsausschusses „Historisches Forschungszentrum Berlin“ vorgelegt. „Der Gründungsausschuß hat sich auf Veranlassung der Historischen Kommission zu Berlin aus Vertretern der Geschichtswissenschaft, Persönlichkeiten aus dem Kreis der Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses sowie der Berliner Wirtschaft und der Gewerkschaften in der Erkenntnis konstituiert, daß das geplante Forschungszentrum einem dringendem Bedürfnis der Geschichtspflege in Berlin entspricht.“26 Das Zentrum sollte die Aufgabe haben, „in enger Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin sowie mit überregionalen und internationalen Forschungsstellen die Geschichtswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte Berlins, seines Umlandes und Preußens zu fördern. Zu diesem Zweck hätte das Historische Forschungszentrum geschichtswissenschaftliche Forschungs- und Publikationsvorhaben sowie Studienaufenthalte auswärtiger Gelehrter in Berlin zu fördern und Kongresse, Arbeitstagungen und Vorträge im Sinne eines modernen Konsultationsprogramms zu veranstalten. Der Ausschuß hofft damit zugleich einen jener Impulse zu geben, die darauf abzielen, Berlins Geltung als kulturelles Zentrum erneut zu bestätigen.“27 Inhaltlich sollte zwar auf der bisherigen Arbeit der Historischen Kommission aufgebaut werden, jedoch war man durchaus bereit, im Rahmen der Verbreiterung des Aufgaben­ spektrums selbst die Bezeichnung „Historische Kommission“ aufzugeben. Der Zuschuß des Senats sollte unter Einbeziehung der bisherigen Zuwendung der Historischen Kommission bis zum Jahre 1970 auf jährlich 850 000,- DM aufgestockt werden. Einhergehend 25 Vgl. Rosemarie Baudisch, Chronik der Historischen Kommission zu Berlin e. V., in: Die Historische Kommission zu Berlin. Forschungen und Publikationen zur Geschichte von BerlinBrandenburg und Brandenburg-Preußen (Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, 3), hg. v. Wolfgang Ribbe, Potsdam 2000, S. 82. 26 Landesarchiv Berlin, B Rep 002, Nr. 8008, Anschreiben des Gründungsausschusses an den Senator für Wissenschaft und Kunst vom 01.06.1965, ohne Seitenzählung. Neben dem Vorsitzenden Hans Herzfeld wurde die Denkschrift von weiteren Mitgliedern der Historischen Kommission unterschrieben. Weitere Unterzeichner waren: Dr. Klaus-Peter Schulz (SPD), MdA und MdB sowie damals Leiter des Berlin-Studios der Deutschen Welle, Dr. Ella Barowsky (FDP), MdA und damals Leiterin des Lette-Vereins Berlin, der spätere Präsident des Abgeordnetenhauses Peter Lorenz (CDU), MdA und damals Rechtsanwalt, Dr. Günter Milich (AEG), Ralph Wagenhuber und Anneliese Girnatis-Holtz (beide DGB). Vgl. zu den Abgeordneten: Werner Breunig; Andreas Herbst, Biografisches Handbuch der Berliner Stadtverordneten und Abgeordneten 1946–1963, hg. v. Uwe Schaper (Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, 14), Berlin 2011. 27 A.a.O., Anschreiben zur Denkschrift.

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mit einem bedeutenden Personalzuwachs war der Aufbau von insgesamt sechs Forschungsabteilungen vorgesehen (Brandenburg und Berlin / Zeitgeschichte / Preußen / Wirtschaftsund Sozialgeschichte / Arbeiterbewegung und schließlich Kulturgeschichte). Als Dienstsitz, für den überregionalen und internationalen wissenschaftlichen Austausch sowie als Unterbringungsmöglichkeit für Stipendiaten war der Gründungsausschuß vorab mit der Volkswagenstiftung in Verbindung getreten und hatte positive Signale zur Unterstützung beim Ankauf oder bei der Neuerrichtung eines Gebäudes erhalten.28 Bemerkenswert war die fachliche Begründung für die Errichtung des Forschungs­ zentrums. In dieser Begründung wurde davon ausgegangen, daß an den Universitäten für das Lehrpersonal wegen des steigenden Mißverhältnisses der Zahl der Studierenden bezogen auf die Zahl der Lehrkräfte sowie durch ansteigende Prüfungsverpflichtungen und Ausweitung der Aufgaben innerhalb der akademischen Selbstverwaltung die Forschungstätigkeit weitgehend eingeschränkt sei. Darüber hinaus behindere oder beinträchtige die Fluktuation im Lehrkörper die Durchführung langfristiger Forschungsvorhaben. „Im Hinblick auf diese Lage ist der Deutsche Wissenschaftsrat zu dem Ergebnis gelangt, daß umfangreiche und unentbehrliche Forschungsfunktionen für die gesamte Geschichtswissenschaft schwerlich von einem Hochschulseminar üblichen Umfangs und üblicher Ausstattung wahrgenommen werden könnte.“29 Insofern, so die Konsequenz der Verfasser der Denkschrift, müßten in Übereinstimmung mit dem Wissenschaftsrat langfristige Gruppenprojekte (überregional und interdisziplinär) von außeruniversitären Forschungseinrichtungen mit festangestelltem Personal und in enger Verbindung zur Universität wahrgenommen werden. Historische Kommissionen, so der dezente Hinweis, würden als reine Gelehrtengesellschaften nicht mehr den modernen Anforderungen entsprechen. Als „leitendes Zentrum für die Geschichtsforschung im Land Berlin“, so die Selbsteinschätzung des Friedrich-Meinecke-Instituts, habe man „entscheidende Impulse“ für die Errichtung von Einrichtungen für die Geschichtsforschung gegeben. Hierzu wurde neben der Historischen Kommission ausdrücklich auch die Abteilung Zeitgeschichte des Landesarchivs Berlin genannt, in der die Berliner Stadtchronik und Dokumentationen zur Geschichte Berlins nach 1945 erstellt wurden, sowie die „Historische Gesellschaft“ zur Vermittlung neuer Forschungsergebnisse an die breite Öffentlichkeit.30 Die Arbeit der Historischen Kommission habe bald nach ihrer Gründung gezeigt, das weder Arbeitsorganisation noch wissenschaftliche Konzeption, 28 A.a.O., Denkschrift, Abschnitt III B, Finanzbedarf und Finanzierung, sowie Anlage C, Wirtschaftsplan. 29 A.a.O., Denkschrift, S. 2. 30 A.a.O., S. 5. Die Stadtchronik (seit 1993 im Berliner Archivgesetz als gesetzliche Aufgabe formuliert) sowie eine Theaterchronik (jeweils seit 1945) werden bis auf den heutigen Tag vom Landesarchiv geführt und in seinem Jahrbuch veröffentlicht. Die Stadtchronik ist auch elektronisch verfügbar: http://www.landesarchiv-berlin-chronik.de. In den (nicht revidierten) Statuten der Historischen Gesellschaft vom 24.04.1972 heißt es in § 1: „Zweck der Gesellschaft ist die gegenseitige Belehrung durch Vorträge und Referate der Mitglieder über die Resultate fremder oder eigener Untersuchungen.“ Der Verein ist 1996 aufgelöst worden.

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also „die ursprünglich angestrebte regionale Beschränkung auf Berlin und die Mark Brandenburg den weitergehenden Verflechtungen der brandenburgisch-preußischen Residenz und preußisch-deutschen Hauptstadt Berlin nicht gerecht zu werden vermochte.“ Aber, das „landesgeschichtliche Prinzip ist bei aller unvermeidlicher Ausdehnung des Blickfeldes und bei der Notwendigkeit des überregionalen Vergleichs auch für die allgemeineren Abteilungen verbindlich.“31 So entwickelten sich Ansätze zu historio­graphischen Interessen, die aus dem Rahmen einer rein landesgeschichtlichen Kommission herauswuchsen: zunächst Themen zur preußischen Geschichte – allgemein wie zu ihren einzel­nen territorialen und sachthematischen Problemen – und zur Geschichte des Verhältnisses zwi­schen Deutschen und Slawen im Bereich Mittel- und Ostdeutschlands. Die beiden zuletzt ge­nannten Themenbereiche ergaben sich schon aus der Verpflichtung zu ihrer Betreuung, die die Historische Kommission mit ihrer Übernahme des „Jahrbuchs für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands“ als ihr Publikationsorgan übernommen hatte, in dem, wiederum seit dem 8. Band nicht nur Aufsätze zu Themen und Epochen der Geschichte des mittel- und ostdeutschen Raumes, sondern nun in einem Besprechungsteil und in einer Zeitschriften­umschau auch eine vollständige Erfassung und Würdigung sämtlicher bekannt gewordener Forschungsergebnisse des In- und Auslandes zu diesem Bereich stattfand. Darüber hinaus wur­den für die Berliner Kommission nun Themen relevant, die zwar stets auch oder gar primär einen Berlin-Bezug aufwiesen, in der Behandlung aber weit in die deutsche und europäi­sche Geschichte hineinreichten: etwa mit Studien zur Geschichtsschreibung in Deutschland oder zur deutsch-jüdischen Geschichte und Geschichtsschreibung. Daneben gab es breit angelegte Studien zur deutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte im Ausschnitt der Berlin-Brandenburgischen Ge­schichte, aber auch zum deutschen Widerstand im NS -Staat und schließlich zur deutschen ge­werkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung. Mit der Aufnahme des letztgenannten Themenbereiches wurde den Mitgliedern der Kommission die grundsätzliche Erweiterung der Kommissionstätigkeit erstmals voll bewußt, die sie bis dahin unter der Formel „Landesgeschichte ist auch allgemeine Geschichte im Ausschnitt einer histo­rischen Landschaft“ mehr indirekt akzeptiert hatten.32 „Die Kommission“, so Otto Büsch in seinem Rückblick im Jahre 1984, „machte … auch Ernst mit der nunmehr angestrebten Universalität ihrer Forschungen mit den Bezugspunkten, die sich aus der Arbeit und den Programmen ihrer Forschungsabteilungen ergab … Aber der allgemeine Trend der ins Universale gerichteten Verstärkung der Kommissionsarbeit war doch so unverkennbar, daß die „Historische Kommission zu Berlin“ erstmals den Gedanken erwog und ihm auch Ausdruck verlieh, ihren Anspruch auf eine im Rahmen ihrer Interessen unbegrenzte Teilhabe an der deutschen und internationalen Geschichtsforschung durch eine entsprechende Organisationsform anzumelden.“

31 A.a.O., Denkschrift, S. 6. 32 Vgl. Anm. 13.

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Die Mitglieder der Kommission, in der Regel Hochschullehrer, regten die Aufnahme einschlä­giger Forschungsprojekte an. Diese wurden dann in Sektionen als satzungsgemäße Träger der Forschungsarbeiten bearbeitet. Notwendige Serviceaufgaben (Lektorat, Satzabteilung, Karto­graphie, Konsultationsbüro) übernahmen Mitarbeiter der Forschungsstelle, die ihrerseits – ent­sprechend dem Aufgabenprofil ihrer Stelle – auch eigene Forschungsvorhaben bearbeiteten. In den Bereich der Forschungsförderung fielen das Stipendienprogramm der Historischen Kom­mission zu Berlin sowie die Betreuung einzelner wissenschaftlicher Projekte, sei es in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen oder seien es solche, die innerhalb der Universität nicht verfolgt werden konnten. Zu zentralen Forschungsschwerpunkten entwickelten sich: 1. Berlin und Brandenburg im historisch-politischen Umfeld, 2. Preußen und seine Nachbarn sowie 3. deutsche und europäische Fragen, die in ihren wechselseitigen Bezügen wie ein System „konzentrischer Kreise“ aufgefaßt wur­den. Sie knüpften vielfach an die traditionellen stadt- und landesgeschichtlichen Fragestellun­gen an und führten zugleich deutlich über sie hinaus. Das Interesse galt insbesondere den poli­tischen, wissenschaftlichen und kulturellen Beziehungen Preußens zu seinen Nachbarn (speziell seinem Verhältnis zu Polen und zu Frankreich), sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Fragen (Minderheiten, die innere Modernisierung Preußens und seiner Hauptstadt, Entstehung und Tätigkeit der Arbeiterbewegung) und schließlich der Erforschung der Geschichte Berlins im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen. Mit ihren Bemühungen um die Aufstockung des Etats war die Historische Kommission über die Jahre äußerst erfolgreich. Für das von ihr entwickelte Aufgabenspektrum standen der Historischen Kommission zu Berlin schließlich im Jahre 1991 insgesamt 40 fest angestellte resp. über Drittmittel- oder Arbeitsbeschaffungsprojekte zeitweise angestellte Mitarbeiter zur Verfügung und das Haushaltsvolumen betrug in diesem Jahr 3,8 Millionen DM zuzüglich 1,4 Millionen DM an eingeworbenen Drittmitteln.33 Im Jahre 1964 war es gelungen, mit Mitteln der Volkswagenstiftung den „Mittelhof“ in Berlin-Nikolassee anzukaufen,34 in dem nun alle Forschungsabteilungen zusammengeführt werden konnten und der bis zum heutigen Tag der Sitz der Kommission ist. Ebenso blieb die öffentliche Anerkennung durch den deutschen Wissenschaftsrat nicht aus, der im Jahre 1965 in seinem Gutachten zum Ausbau der Forschungseinrichtungen empfahl, die Kommission wegen ihrer besonderen Bedeutung weiter zu unterstützen. Der Kommission

33 Empfehlungen und Stellungnahmen 1992, Stellungnahmen zur Historischen Kommission zu Berlin und zum Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat in Marburg vom Mai 1992, hg. v. Wissenschaftsrat, Köln 1993, S. 331. 34 Vgl. Der Mittelhof in Berlin-Nikolassee. Geschichte eines Baudenkmals, hg v. Wolfram Fischer (Historische Kommission zu Berlin. Informationen, Beiheft 15), Berlin 1992. Vgl. Mathias Hopp; Heinrich Kaak, Der Mittelhof von Hermann Muthesius in Berlin-Nikolassee. Ein Bau- und Gartendenkmal im Wandel der Zeiten, Berlin 2005.

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sei es gelungen „die klassische Konzeption landesgeschichtlicher Forschung mit den Gegenwartsaufgaben des überregionalen und internationalen Vergleichs und Kontaktes in Übereinstimmung zu bringen.“35 Da der „Mittelhof“ auch über Gästezimmer verfügte, konnte nun der wissenschaftliche Austausch auf internationaler Ebene intensiviert werden. Das schon bestehende Konsultationsprogramm für ausländische Wissenschaftler, die an gleichen oder ähnlichen Themen wie die Mitglieder der Kommission arbeiteten, wurde erheblich ausgebaut und im Laufe der 1970er Jahre durch Konsultations-, Stipendien- und Austauschvereinbarungen mit der Stanford University, der „Hoover Institution on War, Revolution and Peace“, dem „Centre des recherches sur Berlin et l`Allemagne du Nord“ der Universität Paris sowie besonders mit dem Institut für Geschichte der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau fest verankert.36 Die Ergebnisse des Programms schlugen sich in einer überaus fruchtbaren Publikationstätigkeit nieder.37 Als Zwischenresümee kann konstatiert werden, daß sich die Historische Kommission zu Berlin zum Zeitpunkt des politischen Umbruchs 1989/90 auf dem Höhepunkt ihres Schaffens befand. Sie war fester Bestandteil der historischen Wissenschaftslandschaft in der Bundesrepublik Deutschland, finanziell ausreichend ausgestattet, hochproduktiv und wissenschaftspolitisch exzellent vernetzt. Mit dem Ende der DDR eröffneten sich auch der landesgeschichtlichen Forschung neue Möglichkeiten. Die dort lagernden historischen Quellen wurden für die Wissenschaft wieder unbeschränkt zugänglich, alle Wissenschaftler konnten nun auch ihre Themen wieder frei wählen. Allerdings führte die „Wende“ auch zu einem Umbau der Wissenschaftslandschaft nicht nur auf dem Gebiet der ehemaligen DDR , sondern schließlich auch im vereinigten Deutschland. Die Historische Kommission zu Berlin entwarf für zahlreiche von den ostdeutschen Akademien, Archiven und Universitäten „abgewickelte“ Historiker, die sie in Förderprogrammen wissenschaftlich betreute, Forschungsprogramme mit dem Ziel, diese insgesamt 42 Kollegen an andere wissenschaftliche Institutionen zu vermitteln.

35 Zitiert nach: Otto Büsch, Historikervereinigung und Forschungsinstitution, (wie Anm. 13), S. 15 f. Im Jahre 1982 erfolgte eine Prüfung durch fünf auswärtige Wissenschaftler, die der Kommission bestätigten, sie habe die Grenzen der Landesgeschichte im engeren Sinne hinter sich gelassen und sie habe es durch die Teilhabe an überregionalen und internationalen Projekten geschafft, an der Forschungsentwicklung im europäischen Raum teilzunehmen. Vgl. hierzu: a.a.O., S. 42. 36 Vgl. a.a.O., S. 20. Insbesondere der intensive deutsch-polnische Austausch gehörte in den 1970er und 1980er Jahren zum festen und nicht mehr wegzudenkenden Bestandteil des Programms. 37 Zuletzt erfolgte eine Zusammenstellung der Veröffentlichungen durch Christan Schädlich, Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin (Stand: 1. Januar 2000), in: Wolfgang Ribbe, Die Historische Kommission zu Berlin. Forschungen und Publikationen zur Geschichte von Berlin-Brandenburg und Brandenburg-Preußen, Potsdam 2000, S. 55–79. Elektronisch sind die neueren Publikationen unter www.hiko-berlin.de verzeichnet.

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Es entstanden u. a. Bestandsaufnahmen der „Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der ostdeutschen Länder“ sowie „Inventare zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (Neue Länder bzw. Zentrale Überlieferung)“. Die Kommission hat auch weiterhin Arbeitsergebnisse, die aus diesen Förderprogrammen resultieren, veröffentlicht, so z.B. die Edition der Matrikel der Berliner Universität für die Zeit von 1810 bis 1850 sowie die Lageberichte der Geheimen Staatspolizei für Brandenburg und Berlin in den Jahren 1933 bis 1936, von denen bisher der den Regierungsbezirk Potsdam betreffende Band erschienen ist. Mit Unterstützung der Historischen Kommission entstand auch in einer „Ost-West-Kooperation“ eine „Brandenburgische Geschichte“, und damit erstmals ein Handbuch zur Geschichte eines „neuen Bundeslandes“, das zeitlich bis zur „Wende“ von 1989/1990 reicht. Die Historische Kommission zu Berlin leistete damit auch einen beträchtlichen Beitrag zur Zusammenführung des Wissenschaftspotentials aus Ost und West. Bereits zuvor war – in Verbindung mit dem Friedrich-Meinecke-Institut – eine zweibändige Geschichte Berlins erschienen (die in zeitlich ergänzter Fassung in dritter Auflage vorliegt) und kürzlich konnte auch als umfassendes Handbuch eine dreibändige „Preußische Geschichte“ abgeschlossen werden. In dieser Phase des Aufbruchs führte eine erneute Begutachtung der Historischen Kommission durch den Wissenschaftsrat im Hinblick auf eine seit langem angestrebte Aufnahme in die Bund-Länder-Förderung („Blaue Liste“) aber zu nicht vorhersehbaren einschneidenden Änderungen, die einer Katastrophe gleich kamen.38 Anerkannt wurde zunächst, daß die Historische Kommission zu Berlin, in der „alten“ Bundesrepublik nicht nur Berliner, brandenburgische und brandenburg-preußische Landesgeschichte betrieben, sondern auch sehr erfolgreich und kontinuierlich Forschungen zur deutsch-jüdischen Geschichte, Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen, neueren Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie zur Geschichte der Arbeiterbewegung angestellt hatte. Trotz gleichzeitiger Anerkennung der Leistung, daß die Historische Kommission in den Zeiten der politischen Spaltung „Landesgeschichte ohne Land“ betrieb, wurde moniert, daß die über die Landesgeschichte hinausgehenden Forschungen nur ausschnittsweise und nicht vollständig betrieben worden seien. Die Stärke der fest angestellten Mitarbeiter der ­Historischen Kommission zu Berlin läge, wie u. a. aus der hohen Summe der eingeworbenen Drittmittel unschwer zu erkennen sei, unter dem Stichwort des Forschungsmanagements auf der Vorbereitung und Betreuung von Forschungsprojekten sowie auf Quellen­ editionen. Negativ wurde auch angemerkt, daß durch die im Jahre 1991 noch bestehende enge Verbindung mit dem Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität zu Berlin Forschungsvorhaben durchgeführt würden, die eindeutig Sache der universitären Forschung seien. Als Konsequenz wurde aufgrund „der Verschiedenheit und zum Teil auch

38 Empfehlungen und Stellungnahmen 1992. Stellungnahme zur Historischen Kommission zu Berlin und zum Johann-Gottfried-Herder Forschungsrat in Marburg, (wie Anm. 33), S. 317– 368.

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Unvereinbarkeit der Ansätze und Forschungsschwerpunkte“39 der Historischen Kommission zu Berlin empfohlen, „sich künftig auf stadt- und landesgeschichtliche Forschung, die traditionell Hauptaufgabe Historischer Kommissionen in Deutschland ist, [zu] konzentrieren.“40 Hierbei sollten auch die aufgebauten internationalen Beziehungen gepflegt und die Beziehungen zu den Berliner Museen ausgebaut werden. Aufgaben, die keinen oder keinen erkennbaren Bezug zur Landes- oder Stadtgeschichte hätten, sollten an den umliegenden Hochschulen oder Universitäten fortgeführt werden. Allerdings fehlte auch nicht der Hinweis, daß sich die HiKo-Berlin, wie bei anderen Historischen Kommissionen durchaus üblich, auch aus Mitteln speisen könne, die den Mitgliedern der Kommission als Lehrstuhlinhabern zur Verfügung ständen. Der Wissenschaftsrat legte also Wert auf eine strikte Trennung von Gelehrtengesellschaft und Forschungsinstitut und sah durchaus eine enge Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Landesgeschichte zwischen Historischer Kommission und landesgeschichtlichen Lehrstühlen an den Hochschulen bei ebenfalls strikter Aufgabentrennung. Universitäre Forschung sollte also gestärkt, durch außeruniversitäre Einrichtungen unterstützt und deren Kontinuität und Qualität durch die personelle Verbindung der Lehrstuhlinhaber als gleichzeitige Mitglieder der außeruniversitären Einrichtungen gewährleistet werden. Diese Stellungnahme traf die Verantwortlichen der Historischen Kommission zu Berlin offenbar vollkommen unvorbereitet.41 Die konzeptionelle Grundlage der Kommission, die dreißig Jahre Bestand gehabt hatte und die von Politik und Wissenschaft goutiert und mit erheblichen Mitteln gefördert worden war, hatte nun keinen Wert mehr. Mit dem Hinweis auf die Verschiedenheit resp. sogar Unvereinbarkeit der Forschungsansätze und die Stärken der Kommission im Forschungsmanagement wurde im Grunde das Scheitern als Forschungseinrichtung attestiert. Die Konsequenzen wurden schnell gezogen: Die Aufnahme in die „Blaue Liste“ war gescheitert. Da die Historische Kommission zu Berlin für ihre Forschungsstelle keine etatmäßige Förderung durch die zuständige Senatsverwaltung mehr erhielt, mußte sie zum 30. Juni 1996 allen Mitarbeitern kündigen. Die Sektionen der Forschungsstelle, das Lektorat, die Kartographie sowie das Internationale Konsultations-, Stipendien- und Austauschprogramm stellten ihre Tätigkeit wegen fehlender Finanzmittel ein. Auch das Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands erschien zunächst nicht mehr, konnte aber schon im Jahre 1999 unter der Herausgeberschaft von Klaus Neitmann und Wolfgang Neugebauer in Verbindung mit dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv und mit dem

39 A.a.O., S. 344. 40 Ebd. 41 Dies geht aus den Stellungnahmen der Kommission zum Gutachten hervor. Vgl. zum Prozeß der Evaluierung durch den Wissenschaftsrat und dessen Konsequenzen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 162 A, Historische Kommission zu Berlin, insb. Nrn. 39, 70 f., 77, 96–105 und 107.

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neuen Untertitel „Zeitschrift für vergleichende und preußische Landesgeschichte“ in leicht modifizierter Form weitergeführt werden.42 Einzelne Arbeits- bzw. Themenbereiche aus den Arbeitsfeldern der Kommission konnten zwar an andere Institutionen transloziert werden, die Mitarbeiter jedoch nicht. Was blieb, war der „eingetragene Verein“ Historische Kommission zu Berlin, eine wissenschaftliche Vereinigung von Gelehrten aus ganz Deutschland, aus Polen, Frankreich und aus „Übersee“, mit einer Geschäftsstelle im angestammten Domizil, dem Mittelhof in Berlin-Nikolassee, der dem Land Berlin übereignet werden mußte. Die revidierte Satzung umschreibt das For­schungsfeld der Kommission wie folgt: „Der Verein bezweckt die Förderung und Erforschung der Landesgeschichte und der Historischen Landeskunde Berlin-Brandenburgs bzw. Branden­burg-Preußens, und zwar in Form von wissenschaftlichen Arbeiten, Vorträgen, Tagungen und Veröffentlichungen. Er führt auch die Aufgaben der ehemaligen ‚Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin‘ fort.“ Der weitere Umbau der Wissenschaftslandschaft in Berlin bezogen auf die Landesgeschichte Berlin-Brandenburg-Preußens muß als wenig erfolgreich bezeichnet werden: Eine Gründungskommission für die künftige Tätigkeit eines separaten Preußen-Instituts nannte sieben Themenbereiche, die sich weitgehend mit den bisherigen Preußen-Forschungen der Historischen Kommission zu Berlin deckten. Das „Forschungsinstitut für die Geschichte Preußens e.V.“ ist dann erst mit Verzögerung gegründet worden, aber seine finanzielle und personelle Ausstattung ließ während der Zeit des Bestehens eine umfassende Forschungstätigkeit nicht zu.43 Ebenfalls wurden die landesgeschichtlichen Lehrstühle an den Berliner Universitäten umgewandelt und auf ein Minimum reduziert, so daß sich inzwischen das Fehlen des wissenschaftlichen Nachwuchses auf breiter Basis bemerkbar macht.44 Als unglücklich mußte in der damaligen Situation die Gründung der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V. am 20. November 1996 empfunden werden, die im Rückblick als eine Konsequenz der im Mai des Jahres gescheiterten Länderfusion von Berlin und Brandenburg zu werten ist. Die Arbeit dieser Kommission, die ebenfalls mit der Entwicklung der Landesgeschichte im universitären Bereich und mit der unzureichenden finanziellen Ausstattung zu kämpfen hat, konzentrierte sich zunächst auf Forschungs- und

42 Von Band 56/2010 an ist der Vorsitzende der Kommission wieder in das Herausgebergremium eingetreten. 43 Vgl. anstelle einer ausführlichen Darstellung, die den Rahmen dieses Aufsatzes sprengen würde, zwei Artikel des Tagesspiegels: Preußeninstitut: Chronologie eines Streits unter: http:// www.tagesspiegel.de/kultur/preusseninstitut-chronologie-eines-streits/167296.html [Stand: 02.01.2012] und Nachruf Preußen, unvollendet unter: http://www.tagesspiegel.de/wissen/ nachruf-preussen-unvollendet/1495798.html [Stand: 02.01.2012]. 44 An der Freien Universität wird Landesgeschichte nicht mehr gelehrt, an der Humboldt-Universität wird sie in einem „kombinierten“ Lehrstuhl für „Mittelalterliche und Landesgeschichte“ mit vertreten. Immerhin ist preußische Geschichte an der Humboldt-Universität seit etwa einem Jahr über eine Stiftungsprofessur wieder vertreten. An der Universität Potsdam wird hingegen Landesgeschichte mit dem Schwerpunkt Brandenburg-Preußen gelehrt.

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Publikationstätigkeiten im biographischen Bereich und in den Bereichen der Regionalund Ortsgeschichte sowie der Stadtgeschichte.45 Mit den „Brandenburgischen Historischen Studien“ und der Schriftenreihe „Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission“ werden erfolgreich zwei Publikationsreihen betrieben. Mehr als eine Ergänzung ist die „Forschungsstelle für brandenburgische Landesgeschichte beim Brandenburgischen Landeshauptarchiv“, die seit 1990 die Tradition der 1957 von Rudolf Lehmann gegründeten Forschungsstelle wieder aufnimmt (s.o.). Das Schwergewicht der Arbeit liegt „auf der Aufbereitung und Darbietung von Archivbeständen in Form von Bestandsübersichten, sachthematischen Inventaren und Findhilfsmitteln sowie auf der Edition von Urkunden und Akten mit einem zeitlichen Spektrum vom hohen Mittelalter bis zu den Jahrzehnten der SED -Herrschaft.“46 Mitglieder und geladene Gäste treffen sich zweimal jährlich, um den Stand der Aktivitäten zu besprechen und weitere Vorhaben zu planen. Zu jeweils einem Thema wird vorgetragen und diskutiert. Die enge Verbindung zwischen Gelehrtengesellschaft, Universität und Archiv wird auch in Brandenburg erfolgreich betrieben und ergänzt sich mit der Arbeit der Berliner Histo­ rischen Kommission auf den gemeinsamen Arbeitsfeldern. Zudem hat die Historische Kommission zu Berlin seitens des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in der schwierigen Zeit des Übergangs nach der Auflösung ihrer eigenen Forschungsstelle vielseitige Unterstützung erfahren. Sie konnte mit dem Archiv in Potsdam einen Kooperationsvertrag zur Übernahme der älteren Aktenüberlieferung sowie von Teilen der Bibliothek als Deposita schließen. Beide Institutionen begründeten mit der „Bibliothek der brandenburgischen und preußischen Geschichte“ eine gemeinsame Schriftenreihe und sie gaben über zehn Jahre hinweg auch gemeinsam das „Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands“ heraus. Für die drei Forschungsfelder (Berlin, Brandenburg, Preußen) hat die Historische Kommission zu Berlin nicht nur Handbücher erarbeitet, deren Komplettierung bzw. Aktualisierung in Neuauflagen zu ihren Hauptaufgaben zählt. Dies gilt ebenso für umfassende Quelleneditionen zur Geschichte Berlins, Brandenburgs und Preußens, die von den Archiven nicht oder nicht allein erarbeitet werden können. Für jedes der drei genannten Felder führt die Historische Kommission mindestens ein drittmittelfinanziertes Forschungsprojekt durch, dessen Ergebnisse sie in ihren angestammten, aber auch in mehreren neuen Schriftenreihen publiziert. In diesen Schriftenreihen veröffentlicht sie weitere, externe Manuskripte, die sich thematisch in das Forschungskonzept einfügen. Tagungen, meist zu wissenschafts-aktuellen Themen, begleiten diese Tätigkeiten. Selbstverständlich sind

45 Vgl. ausführlich die Selbstdarstellung der Kommission in: Klaus Neitmann, Im Dienste der Erforschung und Darstellung brandenburgischer Landesgeschichte, (wie Anm. 5), S. 261–285. 46 A.a.O., S. 267. Vgl. Klaus Neitmann, Brandenburgisches Landeshauptarchiv und brandenburgische Landesgeschichtsforschung, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 45/1999, hg. im Auftrage der Historischen Kommission zu Berlin und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs v. Klaus Neitmann; Wolfgang Neugebauer, München 1999, S. 407–427.

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diese Leistungen nur in Kooperation mit anderen Einrichtungen zu erbringen. Die Kommission bemüht sich durch eine gezielte Kooperationspolitik, institutionelle Verbindungen auch personell zu untermauern. So sind die drei Vorsitzenden der Sektionen (Berlin, Brandenburg und Preußen) die Direktoren des Landesarchivs Berlin, des Brandenburgischen Landeshauptarchivs und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz. Ebenso wird der Kontakt, auch der fachübergreifende Kontakt, zu anderen außeruniversitären Einrichtungen gepflegt und erweitert. Für den Bereich der Landesgeschichte seien hier nur die Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg und der Verein für die Geschichte Berlins erwähnt, mit denen seit vielen Jahren, auch über „Doppelmitgliedschaften“, die Zusammenarbeit gepflegt wird. Beide genannten Institutionen veröffentlichen ihr eigenes Jahrbuch sowie Schriftenreihen oder Einzelpublikationen und tragen über Publikationstätigkeit und Veranstaltungen sowie Tagungen und Vorträge im Netzwerk des bürgerschaftlichen und institutionellen Engagements weiterhin dazu bei, die landesgeschichtliche Forschung z.T. in fachübergreifenden Ansätzen produktiv und auf einem hohen Niveau zu halten.47

47 Vgl. Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte, hg. im Auftrage der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e. V. (gegr. 1884) v. Lorenz Beck; Felix Escher. Dieses Jahrbuch zeichnet sich neben Aufsätzen, Berichten und Rezensionen durch eine Bibliografie der Neuerscheinungen und eine Zusammenstellung von Tätigkeitsberichten der Historischen Kommission zu Berlin, der Brandenburgischen Historischen Kommission, der Forschungsstelle für Brandenburgische Landesgeschichte beim Brandenburgischen Landeshauptarchiv, des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte und des Museumsverbandes des Landes Brandenburg aus. Internetauftritt erreichbar unter: www.geschichte-brandenburg.de [Stand: 02.01.2012]. Vgl. Der Bär von Berlin. Jahrbuch für die Geschichte des Vereins von Berlin, hg. v. Susanne Kähler; Wolfgang Krogel sowie Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins e. V., gegr. 1865, hg. v. Wolther von Kieseritzky. Die Publikationskonzeption des Vereins für die Geschichte Berlins beruht auf zwei Periodika. Das Jahrbuch enthält im Wesentlichen Aufsätze zur Geschichte Berlin auf einer fachübergreifenden und thematisch breiten Palette sowie einen Rezensionsteil und den Tätigkeitsbericht. Die „Mitteilungen“ erscheinen in der Regel vierteljährlich und immerhin schon im 108. Jahrgang. Sie enthalten wenige Aufsätze und Rezensionen, geben darüber hinaus aktuelle Auskunft über das Vereinsleben (Veranstaltungskalender sowie Mitteilungen). Internetauftritt erreichbar unter: www.diegeschichteberlins.de [Stand: 01.01.2012].

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Die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern 1911/25–1945: Antriebe – ­Rahmenbedingungen – Wirkungen

I. Historische Kommissionen sind bekanntlich seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in kontinuierlicher Folge, in den Jahrzehnten des Kaiserreiches ebenso wie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, in und für fast alle damaligen Länder des Deutschen Reiches bzw. Provinzen des Königreiches und Freistaates Preußen mit einem landesgeschichtlichen Aufgabengebiet gegründet worden. Ihnen waren seit dem Vormärz, seit den 1820er Jahren Geschichtsvereine in der Beschäftigung mit der Vergangenheit eines politischen Territoriums oder einer Kulturlandschaft im untergegangenen Alten Reich vorausgegangen.1 Die Kommissionen verdrängten nicht die Vereine, zumeist traten sie neben diese, nur gelegentlich gingen sie aus ihnen hervor, aber ihre Entstehung ist auf die gesteigerten fachwissenschaftlichen Ansprüche an die landesgeschichtliche Forschung zurückzuführen, denen die Vereine auf Grund der Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft und deren Qualifikationen nicht mehr gerecht zu werden vermochten. „Je wissenschaftlicher, methodischer, spezialistischer, positivistischer die allgemeine Geschichtswissenschaft wurde, desto schärfer wurde die Kritik an der Liebhaberei, an dem Dilettantismus der Liebhaber und der Vereine“. Insbesondere die methodische Erschließung der archivalischen Quellen eines Landes, in deren Mittelpunkt vor dem Ersten Weltkrieg die territorialen Urkundenbücher standen, verlangte den Einsatz des der Aufgabe gewachsenen Spezialisten ebenso wie angesichts des Umfanges des Forschungsfeldes die längerfristige Planung und Zusammenfassung der verfügbaren geeigneten Kräfte. „So entstanden die Historischen Kommissionen nicht mehr als Vereine von Geschichtsfreunden, sondern als Verbände von Fachhistorikern bei sachlicher Arbeitsteilung. … Die historischen Kommissionen wurden die Räume, in denen die Fachhistoriker der Universitäten und der Archive den Weg in die Landesgeschichte fanden.“2

1 Georg Kunz, Verortete Geschichte. Regionales Geschichtsbewußtsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 138), Göttingen 2000; Gabriele B. Clemens, Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 106), Tübingen 2004. 2 Hermann Heimpel, Über Organisationsformen historischer Forschung, in: Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1858–1959. Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den

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In das an Motiven reiche Gemälde, das Hermann Heimpel in seinem gedankentiefen, immer noch sehr lesenswerten Aufsatz von 1959 über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland im Allgemeinen und deutscher orts- und landesgeschichtlichen Forschung im Besonderen mit klarer Linienführung entworfen hat, sollen auf den folgenden Seiten die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern eingefügt werden. Sie wurden wenige Jahre vor bzw. nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, gelangten zu umfassenderer Tätigkeit jedenfalls erst seit 1925, nach der Überwindung der Währungskrise und der Inflation, und versuchten ihre landesgeschichtlichen Ziele unter wechselnden wirtschaftlichen und organisatorischen Schwierigkeiten fast zwei Jahrzehnte lang zu erreichen, bis die kurzfristigen Auswirkungen und die langfristigen Folgen des Zweiten Weltkrieges zunächst ihre Aktivitäten zum Erliegen brachten und dann sogar ihre Existenz faktisch beendeten, so daß erst in den 1950er Jahren unter völlig gewandelten äußeren Umständen bescheidene Neuanfänge die landesgeschichtliche Arbeit für Brandenburg und Pommern wieder auf die Beine stellten. Auch wenn man sich für die Betrachtung der beiden Kommissionsgeschichten zwischen 1911/25 und 1945 eingangs an Heimpels Gedankenführung orientiert, zeigt sich doch rasch, daß diese in ihrer Absicht zur Herausarbeitung der wesentlichen Entwicklungslinien die individuellen Vorgänge in einzelnen deutschen Ländern oder Provinzen mit ihren treibenden Absichten, beteiligten Kräften, maßgeblichen Rahmenbedingungen und erreichten oder unerreichten Ergebnissen nur unvollständig aufzufangen vermag, zumal sie ohnehin ihre detaillierte Darstellung mit dem Ersten Weltkrieg abbricht und die nachfolgenden Jahrzehnte nur noch kursorisch behandelt. Selbst wenn man die Landeshistoriographien von Brandenburg und Pommern, also von zwei Territorien, die in ihrer Geschichte eng miteinander verbunden waren, wie hier für einen begrenzten Zeitraum und unter Konzentration auf eine bestimmte geschichtswissenschaftliche Organisationsform untersucht, ergibt sich trotz gleicher oder ähnlicher äußerer Umstände alles andere als ein gleichartiger Verlauf. Es lohnt sich offensichtlich, einmal die Historischen Kommissionen dieser beiden preußischen Provinzen in ihrer Tätigkeit und in deren Bedingungen miteinander zu vergleichen und dadurch beide in ihren Gemeinsamkeiten wie in ihren Eigenarten schärfer zu profilieren. Mehr als eine knappe Skizze kann hier nicht geboten werden: Die folgenden Seiten wollen die Kommissionsarbeiten unter Verzicht auf die Anführung allzu vieler Einzelheiten in den prägenden Grundzügen herausstellen, sie wollen insbesondere die Voraussetzungen klären, unter denen sie wahrgenommen werden konnten (oder mußten). Vorrangig wird geschildert werden, von welchen Antrieben und von welchen Erwartungen die Kommissionsgründer geleitet, welche Organisationsformen für den Zusammenschluß der Landeshistoriker gefunden und welche wissenschaftlichen Planungen unter solchen Bedingungen dann von ihnen verfolgt deutsch­sprachigen Ländern, hg. v. Theodor Schieder (Historische Zeitschrift, 189), München 1959, S. 139–222, hier S. 189–222, bes. S. 193–214 (zu den Geschichtsvereinen) u. S. 215–218 (zu den Historischen Kommissionen), Zitate S. 212, 215.

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oder verfehlt wurden. Den Forschungsschwerpunkten des Verfassers sei es nachgesehen, daß er sich stärker auf Brandenburg als auf Pommern bezieht und daß er sich hierfür auf eigene, aus Archivalien erarbeitete Forschungsergebnisse stützt, während er für Pommern nur auf vorliegende Literatur zurückgreift. Die Darstellung ist so aufgebaut, daß die Histo­ rischen Kommissionen in beiden Provinzen in ihren individuellen Geschicken getrennt voneinander behandelt und sie abschließend systematisch miteinander verglichen werden.

II. Die moderne brandenburgische Landesgeschichtsforschung geht auf den 1837 gegründeten Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, auf die in ihm tätigen Landeshistoriker und auf die von ihnen betriebenen Vorhaben zurück.3 Auf Initiative des Historikers, Archivars und Staatswissenschaftlers Adolph Friedrich Riedel schlossen sich zum ersten Mal aktive Wissenschaftler sowie Freunde und Liebhaber der märkischen Vergangenheit aus den Kreisen der Berliner Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen und der staatlichen und kommunalen Bürokratien in der Hauptstadt und der Provinz zu einer historischen Gesellschaft zusammen, die nach ihren Statuten ihre wesentlichen Aufgaben in der Erforschung und Bearbeitung der früheren Verhältnisse der Mark Brandenburg und die Sammlung, Aufbewahrung und Würdigung der in ihr zerstreut sich findenden Denkmal der Vorzeit4 sah und dazu drei Sektionen schuf, für die Sammlung und Aufbewahrung geschichtlicher Quellen, für die Bearbeitung der äußeren und inneren Landesgeschichte und für Sprache, Kunst und Altertümer. Die Sektionen spiegelten die disziplinären Interessen der Mitglieder mit weitgespanntem landeskundlichen Horizont wider, und von ihrem gemeinsamen Zusammenwirken im neuen Verein erhofften sich die Protagonisten die Bearbeitung eines umfangreichen Forschungsprogramms zur märkischen Geschichte, 3 Klaus Neitmann, Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830 bis 1848, in: Krise, Reformen und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hg. v. Bärbel Holtz (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Beiheft 11), Berlin 2011, S. 249–298; Johannes Schultze, Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Rückblick, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 35/1923, S. 1–20; die Darstellung, die Kunz, Verortete Geschichte, (wie Anm. 1), S. 189–238, von der Vereinsgeschichte bis 1918 liefert, ist vielfach fragwürdig, vgl. die Kritik bei Klaus Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. v. Wolfgang Neugebauer (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, S. 115–181, hier S. 119 Anm. 10, S. 122 Anm. 19, S. 173 Anm. 120, S. 174 Anm. 122. 4 Zitiert nach Neitmann, Riedel, (wie Anm. 3), S. 276.

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sowie es einer von ihnen, Georg Wilhelm von Raumer, 1832 programmatisch in seinem „Vorschlag zur Beförderung des Brandenburgischen Geschichtsstudiums“ verkündet hatte.5 Aber die Vereinswirklichkeit blieb hinter den allzu hochgespannten Erwartungen deutlich zurück. Die beabsichtigten Sammlungen von „Altertümern“ wie von Schriftquellen kamen über bescheidene Anfänge nicht hinaus – die erste aus (berechtigter) Rücksichtnahme auf das leistungsfähigere staatliche Museum in Berlin –, und für die erwogenen wissenschaftlichen Großvorhaben fehlten die Kräfte, da die forschenden Mitglieder vornehmlich durch ihre jeweiligen hauptamtlichen Aufgaben beansprucht waren und die bescheidene finanzielle Unterstützung, die gelegentlich von König Friedrich Wilhelm IV . und einzelnen dem Anliegen und den Führungspersönlichkeiten des Vereins besonders verbundenen Staatsministern gewährt wurde, konkreten Einzelzwecken diente, aber nicht langfristige oder geradezu unabsehbare Projekte ins Auge faßte. Die bisherige Wirksamkeit des Vereins für vaterländische Geschichte bestand … nicht sowohl in der Ausführung gemeinschaftlicher Unternehmungen, als vielmehr hauptsächlich in der ermunternden Anregung zu Forschungen und Aufklärungen über Gegenstände der vaterländischen Geschichte, welche den einzelnen Mitgliedern durch das lebhafte Interesse der Gesamtheit an solchen Abhandlungen geboten wurden.6 Riedels Beschreibung des Vereinslebens von 1842 galt noch jahrzehntelang: Es wurde getragen von den Forschungsneigungen und -arbeiten einzelner Mitglieder, aus ihnen speiste sich die Wirksamkeit des Vereins, und mit ihnen wurde die – wegen der finanziellen Verlegenheiten unregelmäßig erscheinende – Zeitschrift, die „Märkischen Forschungen“, gefüllt. Aber trotz aller Einschränkungen bleibt als dauerhafte Leistung des Vereins festzuhalten, daß zum ersten Mal ein landesgeschichtliches Forschungsprogramm aufgestellt und seine Bearbeitung wenigstens punktuell, wenn auch nicht systematisch in Angriff genommen wurde, daß ein organisatorischer Mittelpunkt der Landeshistoriker und damit ein Diskussionsforum für die Vorstellung ihrer Untersuchungen geschaffen und daß zu deren Veröffentlichung und Verbreitung eine Fachzeitschrift ins Leben gerufen und kontinuierlich unterhalten wurde. In die zeitweise trägen und nicht sonderlich produktiven Vereinsaktivitäten brachte seit den späten 1880er Jahren der 1882 an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufene Nationalökonom Gustav Schmoller mit seinen weit ausgreifenden historischen Interessen neuen, ungeahnten Schwung.7 Schmoller baute den Verein für Geschichte der Mark 5

6 7

Georg Wilhelm von Raumer, Vorschlag zur Beförderung des Brandenburgischen Geschichtsstudiums, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates 7/1832, S. 5–27. Zum Verfasser vgl. Klaus Neitmann, Georg Wilhelm von Raumer (1800–1856), in: Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker, hg. v. Friedrich Beck; Klaus Neitmann (Brandenburgische Historische Studien, 16), Berlin-Brandenburg 2013, S. 40–49. Zitiert nach Neitmann, Riedel, (wie Anm. 3), S. 282. Fritz Hartung, Gustav von Schmoller und die preußische Geschichtsschreibung, in: Ders., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, S. 470–496 (zuerst 1938); Otto Hintze, Gustav Schmoller. Ein Gedenkblatt, in: Ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, hg. u. eingeleitet

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Brandenburg in sein „Wissenschaftsimperium“ ein, dessen Kern aus dem vom Preußischen Kultusministerium großzügig finanziell geförderten, an der Preußischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten editorischen Großunternehmen „Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert“ bestand,8 er richtete seine inhaltliche Arbeit merklich auf die von ihm bevorzugten Forschungsfeldern aus, so daß die Entstehung des Königreiches Preußen aus der Mark Brandenburg nach vorne trat, und er erschloß ihm gerade aus dem gesamtpreußischen Programm neue materielle Quellen.9 Die 1899 verabschiedete neue Satzung des Vereins umschrieb seine Aufgabe folgendermaßen: Er bezweckt die wissenschaftliche Erforschung der Vergangenheit der Provinz Brandenburg und der jetzt zur Provinz Sachsen gehörigen Altmark, einschließlich der Entwicklung der Mark Brandenburg zum preußischen Staate. Die Vorhaben wurden sowohl von Geldgebern in der Provinz Brandenburg als auch in der preußischen Staatsverwaltung finanziert. Einerseits wurden kommunale Körperschaften in der Provinz Brandenburg, ein Teil der Kreise und die größeren Städte, sowie einzelne märkische Adelsfamilien als Stifter und Patrone mit der Pflicht zur Zahlung eines Jahresbeitrages von mindestens 50 Mark gewonnen, und der Brandenburgische Provinzialverband, die 1875 geschaffene kommunale Selbstverwaltungskörperschaft der Provinz, gewährte einen jährlichen Zuschuß von 2 500,- Mark. Andererseits verstand sich der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive zu einer mäßigen Förderung, und vor allem wurden Mittel der Acta Borussica für die Vorhaben des Vereins wegen der engeren Verbindung der brandenburgischen und der preußischen Geschichtsforschung abgezweigt. Die „Märkischen Forschungen“ wurden eingestellt, an ihre Stelle traten – mit einer bezeichnenden Titeländerung – die „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußi­ schen Geschichte“, ein regelmäßig in zwei umfangreichen Heften pro Jahr erscheinendes Fachorgan, das dank der Qualität der Beiträge aus dem Verein bzw. aus dem Schmoller-Kreis rasch in den Kreis der führenden historischen Zeitschriften Deutschlands aufstieg.10 Ein anspruchsvolles wissenschaftliches Arbeitsprogramm, von dem Raumer 1832 v. Gerhard Oestreich (Otto Hintze, Gesammelte Abhandlungen, II), 2., erweiterte Auflage, Göttingen 1964, S. 519–543 (zuerst 1919). 8 Wolfgang Neugebauer, Die „Schmoller-Connection“. Acta Borussica, wissenschaftlicher Großbetrieb im Kaiserreich und das Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers, in: Archivarbeit für Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlaß der 400. Wiederkehr der Begründung seiner archivischen Tradition, hg. v. Jürgen Kloosterhuis (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 2), Berlin 2000, S. 261–301; Ders., Zum schwierigen Verhältnis von Geschichts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften am Beispiel der Acta Borussica, in: Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, hg. v. Jürgen Kocka, Berlin 1999, S. 235–275. 9 Das Folgende nach Neitmann, Geschichtsvereine, (wie Anm. 3), S. 122–126, das nachfolgende Zitat aus der Satzung von 1899, in: a.a.O., S. 124. 10 Gerd Heinrich, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Rückblick auf einen Thesaurus, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte,

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geträumt hatte, wurde jetzt wirklich vornehmlich mit der Erarbeitung von Monographien in Angriff genommen und verwirklicht, auf Grund der Ressourcen, die von Schmoller für seinen wissenschaftlichen „Großbetrieb“ herbeigeschafft worden waren. Bis zum Ende der ­Monarchie wurden in der neugeschaffenen Schriftenreihe, den „Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“, 20 Bände publiziert, Quellenbearbeitungen ebenso wie Darstellungen, die – im Gegensatz zur Zeitschrift – auf die Mark Brandenburg konzentriert waren, darunter solche grundlegenden Quelleneditionen wie die von Hermann Krabbo bearbeiteten „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause“, die von Walter Friedensburg herausgegebenen Kurmärkischen Stände­ akten aus der Zeit Joachims II. und die von Hermann von Caemmerer edierten Testamente der hohenzollernschen Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg, und solche bedeutenden Untersuchungen wie Friedrich Holtzes „Geschichte des Kammergerichts“, Hans Spangenbergs „Hof- und Zentralverwaltung der Mark Brandenburg im Mittelalter“ und Fritz Curschmanns „Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums“ – Werke, deren häufige Zitierung bis auf den heutigen Tag beweist, das hier eine in ihren Themenstellungen wohlüberlegte Projektfolge mit fruchtbarer Langzeitwirkung in Gang gesetzt wurde. Die brandenburgische Landesgeschichtsforschung wurde, so könnte man mit gewisser Überspitzung formulieren, zur Blüte gebracht, indem sie an die gesamtpreußische Historiographie angebunden und mit ihr verknüpft wurde. Die neue Satzung von 1899 brachte ausgesprochen und unausgesprochen zum Ausdruck, daß der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg sich als Forschungszentrum der brandenburgischen Landesgeschichte verstand und sich auf Grund der verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen zu einer beachtlichen Arbeitsleistung in der Lage sah, daß er also im Stil einer Historischen Kommission wirkte, wie sie damals in einzelnen preußischen Provinzen und deutschen Ländern schon bestanden, ohne daß er – zur sichtbaren Wahrung der Vereinskontinuität – den Namen einer Historischen Kommission angenommen hätte. „Der märkische wurde zu einem preußischen Verein in publikationspolitischer Arbeitsteilung und Zuordnung zu den Acta Borussica. Er war eigentlich … längst aufgestiegen zu einer Historischen Kommission. Hier arbeiteten um 1910 die Kapazitäten von verschiedenem beruflichen Status mit beachtlichem wissenschaftlichen Kaliber“.11 Die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges stürzten den Verein in eine tiefe Krise,12 da die zunehmende Diskrepanz zwischen den Einnahmen und Ausgaben die Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgaben, die Bearbeitung einzelner Vorhaben und insbesondere

N.F., 1/1991, S. 5–13. 11 Neugebauer, Schmoller-Connection, (wie Anm. 8), S. 292. 12 Neitmann, Geschichtsvereine, (wie Anm. 3), S. 126–129; Ders., Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Spiegel der „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945, hg. v. Hans-Christof Kraus

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die Herausgabe der Vereinszeitschrift und von Monographien in der Vereinsreihe, grundsätzlich gefährdete oder gar unmöglich machte. Die Vereinsspitze suchte nach Auswegen, indem sie den bisherigen Hauptförderer, den Brandenburgischen Provinzialverband, um eine Erhöhung seines Zuschusses ersuchte und die Zahl der Stifter und Patrone aus den Kreisen von Banken, Industrieunternehmen und Adelsfamilien zu erweitern trachtete. Der Verein fügte 1921 im Rahmen einer Satzungsänderung seinem bisherigen Namen die Bezeichnung „Historische Kommission für die Mark Brandenburg“ zu, in der Erwartung, daß dadurch der auf die zuvor erreichten wissenschaftlichen Ergebnisse gegründete Anspruch auf die Führung der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung bekräftigt werde, und in der Hoffnung, daß die landesgeschichtliche Arbeit auf verbreiterter Grundlage fortgeführt werde. Alle derartigen Bemühungen gingen ohne nennenswerte Resultate im Strudel der Inflation unter. Als sich nach der Währungsreform das wirtschaftliche Leben wieder stabilisierte, entschied sich der Vereinsvorstand auf Initiative seines Vorsitzenden Melle Klinkenborg,13 des Zweiten Direktors des Preußischen Geheimen Staatsarchivs, und mit Unterstützung seines Schriftführers Johannes Schultze,14 Archivrates am Geheimen Staatsarchiv, dazu, zur Wiederbelebung und Ausweitung der Landesgeschichtsforschung eine neue Organisationsform anzustreben, eben eine Historische Kommission,15 die im Gegensatz zu den ersten Nachkriegsüberlegungen unabhängig vom Geschichtsverein sein und mit eigenem Profil neben ihn treten sollte. Ihre Gründung versprach allerdings, wie ihnen bewußt war, nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Finanzierung der von ihr verfolgten wissenschaftlichen Pläne auf eine breite, sichere Grundlage gestellt wurde, wenn also die öffentliche Hand sich zu einer ausreichenden und dauerhaften Mittelbereitstellung verstand. Die Bestrebungen der Historiker führten zu einem unerwartet günstigen Ergebnis, da sie ihren Vorstoß sehr geschickt eingefädelt hatten und zwei große öffentliche Verwaltungen für sich gewannen. Klinkenborg, der als nebenamtlicher Leiter des die ständische Überlieferung verwahrenden Archivs des Provinzialverbandes mit dessen Landesdirektor Joachim von Winterfeldt-Menkin, einem Kenner von Kunst und Wissenschaft und Förderer der märkischen Geschichtsforschung, vertraut war, vermochte diesen von seinen Absichten zu überzeugen, und Winterfeldt-Menkin wiederum vermochte den Berliner Oberbürgermeister Gustav Böss, in dessen Magistrat Klinkenborgs Verbündeter, der Berliner Stadtarchivar Ernst Kaeber,16 bereits in seinem Sinne gewirkt hatte, einzubeziehen. (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N.F., Beiheft 12), Berlin 2013, S. 31–100, bes. S. 34–47. 13 Klaus Neitmann, Melle Klinkenborg (1872–1930), in: Lebensbilder, (wie Anm. 5), S. 72–80. 14 Gerd Heinrich, Johannes Schultze (1881–1976). Lebensweg und Werk eines brandenburgischen Landeshistorikers, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 26/1977, S. 452–467; Wolfgang Ribbe, Johannes Schultze (1881–1976), in: Lebensbilder, (wie Anm. 5), S. 97–102. 15 Zu den folgenden Absätzen vgl. ausführlich Neitmann, Geschichtsvereine, (wie Anm. 3), S. 129–154. 16 Werner Vogel, Ernst Kaeber (1882–1961), in: Lebensbilder, (wie Anm. 5), S. 250–257.

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Gemäß den getroffenen Absprachen wurde im Oktober 1925 die „Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“ gegründet, eine – gemessen an den bisherigen Organisationsformen der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung – vollständige Neuschöpfung, deren Konstruktionsprinzipien und Finanzausstattung ihr zuvor ungeahnte Aussichten eröffneten. Die Kommission wurde von zwei gleichberechtigten, auf ihre Parität achtenden Partnern getragen, vom Brandenburgischen Provinzialverband und von der Reichshauptstadt Berlin. Deren Spitzen – der Landesdirektor und der Oberbürgermeister bzw. ihre beauftragten Vertreter – gehörten der Mitgliedschaft der Kommission von Amts wegen an, ebenso kraft ihrer amtlichen Funktion die in beiden Verwaltungen für Archiv- und Geschichtswissenschaft zuständigen Fachleute, der brandenburgische Provinzialkonservator und der Berliner Stadtarchivar. Institutionell waren in der Kommission ferner das Geheime Staatsarchiv – wegen seiner Aufgabe als Staatsarchiv für die Provinz Brandenburg – und die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin mit einem Archivar und drei Professoren vertreten. Die Mitgliederversammlung war befugt, darüber hinaus höchstens zehn weitere Mitglieder zu wählen, welche mit den landesgeschichtlichen Aufgaben vertraute und darin hervorgetretene Fachgelehrte sein müssen.17 Provinzialverband und Reichshauptstadt sicherten der Kommission zu, ihre Arbeit jährlich mit jeweils 15 000 Reichsmark (RM ) zu unterstützen, nachdem sie von den Initiatoren auf die 30 000 RM hingewiesen worden waren, die der Provinzialverband der preußischen Provinz Sachsen damals der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt bewilligt hatte. Die Lösung von 1925 erfüllte wahrlich die Erwartungen, die Klinkenborg in einer vorbereitenden Denkschrift folgendermaßen umschrieben hatte: Bietet die Teilnahme jener öffentlichen Körperschaften [sc. der Brandenburgischen Provinzial- und Berliner Stadtverwaltung] die Gewähr einer dauerhaft finanzierten Tätigkeit und des behördlichen Nachdrucks, so kann doch die eigentliche Arbeit nur in den Händen wissenschaftlich vorgebildeter Historiker liegen. Es wird darauf ankommen, die bedeutendsten Kenner märkischer Landesgeschichte zu vereinen.18 Die Kommission war auf Grund ihrer Konstruktion ein von politischen ­Instanzen getragenes, ausschließlich von ihnen finanziertes fachwissenschaftliches Gremium, dessen qualifizierte, umfangmäßig begrenzte Mitgliedschaft mit dem aus ihren Reihen gewählten Vorsitzenden für die Konzipierung und Durchführung des wissenschaftlichen Programms verantwortlich war – in den Worten der damaligen Verantwortlichen: Die Kommission war einerseits ein halbamtliche[s] Unternehmen (ihr Schriftführer Ernst Kaeber), andererseits war sie nicht Geschichtsverein, sondern ein akademieähnliches Amt mit der Aufgabe, größere wissenschaftliche Unternehmungen zur Geschichte von Provinz und Stadt herauszubringen (ihr Vorsitzender Ulrich Stutz).19 Das erste Jahrfünft der Kommissionsgeschichte belegte eindrucksvoll die Tragfähigkeit und Ergiebigkeit der gefundenen Konstellation. 17 Die Kommissionsstatuten von 1925 sind abgedruckt in: Neitmann, Geschichtsvereine, (wie Anm. 3), S. 177 f., Zitat S. 177. 18 Die Denkschrift ist abgedruckt in: a.a.O., S. 175 f., Zitat S. 176. 19 Zitiert in: a.a.O., S. 132.

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Die Kommission war dank ihrer Mittel, die, gemessen an der (direkten) kaiserzeitlichen Förderung des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg durch Provinzialverband und Archivverwaltung, reichlich flossen, in die von ihr überlegt genutzte Lage versetzt, ein hochwertiges Forschungsprogramm zu verfolgen und umzusetzen. Sein Augenmerk lag eindeutig, wie es Klinkenborgs Denkschrift schon verkündet hatte und die nachfolgende Praxis bestätigte, auf dem Gebiet der Quelleneditionen, vornehmlich der Edition frühneuzeitlicher Aktenüberlieferungen. Die Auswahl dieses Schwerpunktes war von der Überlegung geleitet, daß allein ein kleines Fachgremium und qualifizierte Bearbeiter umfassende, auf ganz Brandenburg ebenso wie auf seine Regionen und Gemeinden bezogene Quelleneditionen zu bewältigen imstande seien, nicht aber Geschichtsvereine mit ihrer fachlich gemischten Mitgliedschaft, ihren eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten und ihrer mangelnden Eignung zu längerfristigen Projekten. Mit dem Vorgang von 1925 wurde innerhalb der brandenburgischen Landesgeschichte entgegen den Verhältnissen und Absichten zu Zeiten Gustav Schmollers und der ersten Nachkriegsjahre eine deutliche Trennung zwischen dem Geschichtsverein und der Histo­ rischen Kommission gezogen: Die Kommission, ein kleiner Kreis von Fachhistorikern, betrieb vornehmlich die gewichtige, aufwendige und anspruchsvolle Editionsarbeit, während die lokalen, regionalen und überregionalen Vereine, bestehend aus größeren Kreisen von Fachleuten und geschichtsinteressierten Laien, sich auf Einzelforschungen und Darstellungen verwiesen sahen. Die Scheidung, wie sie Klinkenborg 1925 andeutungsweise skizzierte, ist zwar in der Folgezeit nicht in aller Schärfe und Eindeutigkeit durchgeführt worden, sie trifft aber tendenziell die geänderten Verhältnisse. Die Kommission konzentrierte sich stark auf spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Quelleneditionen oder überhaupt auf Grundlagenforschung, wie es schon ihr 1925 vorgelegter Arbeitsplan zeigt. Die Edition der Visitationsprotokolle des 16. Jahrhunderts (Viktor Herold), die der Protokolle und Relationen des Geheimen Rates seit seiner Gründung 1604 (Melle Klinkenborg) und die von landständischen Verhandlungen der späteren Reformationszeit (Helmuth Croon) sind hier wegen ihres Gehaltes und Umfanges an erster Stelle zu erwähnen, sie werden ergänzt durch die Edition spätmittelalterlicher Amtsbücher wie etwa des Landbuches Kaiser Karls IV . (Johannes Schultze) oder die von frühneuzeitlichen Bürgerbüchern wie etwa der Bürgerbücher und Bürgerprotokollbücher Berlins aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Ernst Kaeber). Der Grundlagenforschung diente neben einer hilfswissenschaftlichen Untersuchung zu den markgräflichen Siegeln (Hermann Bier) vornehmlich – mit einem damals methodisch neuen Ansatz – die Erstellung eines geschichtlichen Atlas von Brandenburg, in dessen Rahmen Karten zur märkischen Kirchen-, Verwaltungs- und Siedlungsgeschichte mit darstellenden Begleitveröffentlichungen bearbeitet und herausgebracht wurden (Gottfried Wenz, Fritz Curschmann, v.a. Berthold Schulze). Neben Quellenwerken und Hilfsmitteln der Forschung kümmerte sich die Kommission auch um Forschung und Darstellung, veröffentlichte derartige Arbeiten in ihren Schriftenreihen, die freilich zumeist unabhängig von ihr in anderen wissenschaftlichen und universitären Zusammenhängen entstanden waren, zwar wegen ihres brandenburgischen Bezuges aufgenommen wurden,

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aber, wie Kaeber einmal formulierte, aus dem eigentlichen Programm der Historischen Kommission herausfallende Schriften waren.20 Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg hielt – auch nach der Kommissionsgründung – seine wissenschaftlichen Zielstellungen und Anstrengungen unverändert aufrecht, er setzte seine Schriftenreihe mit Monographien und Sammelwerken fort. Insbesondere gab er weiterhin die führende Zeitschrift der brandenburg-preußischen Geschichtswissenschaft heraus, die „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“.21 Aber es war unverkennbar, daß seine wissenschaftliche Leistungskraft infolge seiner allzu schmalen finanziellen Mittel, verglichen mit seiner Produktion vor 1918, deutlich nachgelassen hatte. Seine Veröffentlichungsreihe wurde nur noch um wenige, in größeren Zeitabständen erscheinende Arbeiten bereichert, vorrangig bemühte er sich stattdessen darum, mit Zuschüssen des Preußischen Kultusministeriums, der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften und mit eigenen Geldern die Zeitschrift am Leben zu erhalten. Bezeichnenderweise lehnte es der Brandenburgische Provinzialverband im Dezember 1925 ab, dem Verein wie vor dem Weltkrieg 2 500 Mark jährlich zu gewähren, da jetzt größere Veröffentlichungen von der Historischen Kommission herausgebracht würden, und beschränkte seinen Zuschuß fortan auf 1 000 Mark. Während der Verein unter diesen Voraussetzungen kaum eigene Forschungsvorhaben zu betreiben vermochte – nur die Fortsetzung der für die märkische Mediävistik fundamentalen Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause sind hier noch zu erwähnen –, vermochte die Kommission mit ihrer anfänglich üppigen Finanzausstattung in ganz anderer Weise Landesgeschichtsforschung intensiv zu betreiben. Sie honorierte die Bearbeiter der abgesprochenen Manuskripte gemäß einem festgesetzten Bogenhonorar, so daß ihr freiwilliger Einsatz wenigstens mit einer kleineren Entlohnung verbunden war, und bezahlte den Druck der vorgelegten Werke. Und sie beschritt neue Wege für ausgewählte längerfristige Arbeitsvorhaben, indem sie den damit beauftragten Wissenschaftlern – Berthold Schulze für den Historischen Atlas, Hugo Rachel für die Geschichte der landesherrlichen Ämter und Helmuth Croon für die Ständeakten – ein festes monatliches Honorar auf Grund einer festen wöchentlichen Arbeitszeit bezahlte. Ihre finanziellen Möglichkeiten rückten sie dadurch, daß sie sie zu einem wissenschaftlich durchdachten Programm nutzte, kraft der erreichten durchgängig qualitätvollen Veröffentlichungen in die Mitte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung. Der bislang dominierende Verein für Geschichte der Mark Brandenburg trat hingegen hinter ihr zurück – ohne daß eine Konkurrenzsituation entstanden wäre, denn dieselben maßgeblichen Persönlichkeiten gehörten sowohl dem Verein als auch der Kommission an und sorgten entsprechend den unterschiedlichen Vorgaben und Ressourcen für eine Arbeitsteilung, mit der sich die beiderseitigen Aktivitäten gegenseitig ergänzten und nicht überschnitten.

20 Zitiert in: a.a.O., S. 153. 21 Neitmann, Preußische Geschichtswissenschaft, (wie Anm. 12).

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Der unvermutete Aufschwung, den die Gründung der Historischen Kommission der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung bescherte, hielt freilich gerade einmal ein Jahrfünft an, bis sich seine Voraussetzungen zunächst als brüchig erwiesen und dann die Konstruktion überhaupt in Frage gestellt wurde – die gesamten 1930er Jahre bestanden für die Kommission aus einer nahezu unausgesetzten Finanz- und Organisationskrise.22 Sie ergab sich daraus, daß sich zwei benachbarte Problemkreise miteinander verquickten, genauer gesagt, daraus, daß die Finanznöte der beiden administrativen Träger der Kommission in deren grundsätzlichen politischen Dissenz über die künftige berlin-brandenburgische Kulturpolitik mündeten. Die Lage der Kommission wurde zunächst dadurch zugespitzt, daß infolge der Weltwirtschaftskrise ab 1930 die einst zugesagte Förderung von 30 000 RM zuerst reduziert und dann seit 1932 gar fast vollständig eingestellt wurde. Dabei schritt die Reichshauptstadt Berlin mit ihren Kürzungen voran, aber gemäß der vereinbarten paritätischen Finanzierung schloß sich der Provinzialverband ihr an. Die Kommission reagierte schrittweise, indem sie zuerst keine neuen Vorhaben in Angriff nahm, dann die laufenden verringerte oder abbrach und schließlich nur noch mit den in ihren guten Jahren angesparten Geldern die Atlasarbeiten weiterführte. Aber im Frühjahr 1935 sah der Vorsitzende Stutz sie finanziell am Ende, da der endgültige Verbrauch der letzten Reserven absehbar und eine grundlegende Neuregelung nicht erkennbar war, und er zog mit seinem Rücktritt vom Vorsitz und seinem Austritt aus der Kommission seine persönliche Konsequenz. In diesen Jahren hatte sich schon das unterschiedlich stark ausgeprägte Interesse der beiden Träger an der Kommission gezeigt, die Berliner Zurückhaltung und die Brandenburger Fürsprache. Diese Differenz wurde nun entscheidend durch die neuen politischen Rahmenbedingungen ab 1933 verstärkt, als Berlin und die Provinz Brandenburg unterschiedlichen Gauen und Gauleitern der NSDAP zugeordnet waren und die gesamte Region von deren Rivalitäten bestimmt wurde. Der Brandenburgische Provinzialverband, der zwar formal dem Oberpräsidium angegliedert war, aber unter dem neuen Landesdirektor (bzw. Landeshauptmann) Dietloff von Arnim-Rittgarten weiterhin sein Eigenleben führte und seine eigenen politischen Zielen verfolgte, drängte darauf, die Provinz Brandenburg wie möglichst auf allen Gebieten, so ganz besonders in dem kulturellen Sektor ein Eigenleben führen zu lassen, wie Arnim im Rückblick 1943 betonte.23 Der Landeshauptmann und der Leiter der 1936 neugeschaffenen Kulturabteilung des Provinzialverbandes, Oskar Karpa, gingen daher darauf aus, angesichts der bestehenden Mißhelligkeiten zwischen Brandenburg und Berlin die bisherige gemeinsame Historische Kommission aufzuheben und durch zwei getrennte historische Einrichtungen, eine allein für die Provinz Mark Brandenburg, eine allein für die Reichshauptstadt Berlin, zu ersetzen, sie hielten zwecks Vereinheitlichung der Brandenburgischen Geschichtsforschung eine klare Trennung der berlinischen und provinz-brandenburgischen Geschichtsforschung für geboten und suchten ihre wissenschaftlichen Gesprächspartner für ihre Pläne zu gewinnen, indem sie ihnen mit einem erhöhten Mittelansatz in Aussicht 22 Zu den folgenden Abschnitten vgl. Neitmann, Geschichtsvereine, (wie Anm. 3), S. 154–160. 23 Zitiert in: a.a.O., S. 157.

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stellten, daß die Historische Kommission unter der alleinigen Führung der Provinz besser fährt als unter dem Doppelgespann.24 1938/39 fielen die Entscheidungen: Provinzialverband und Reichshauptstadt verständigten sich darauf, die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin zum 1. April 1939 aufzulösen. Jede Seite schuf für sich in der Folgezeit ihre eigene historische Forschungsgemeinschaft, Berlin im November 1943 die „Landesstelle für Geschichte, Heimatkunde und Volksforschung“ und Brandenburg im Januar 1943 die „Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg“. Die lange Verzögerung ergab sich daraus, daß der auf beiden Seiten bestimmende Wissenschaftler, der Landeshistoriker Willy Hoppe,25 wegen seiner starken Beanspruchung durch sein bis 1942 andauerndes Rektorat der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität nicht vorher die erforderliche Zeit zu den organisatorischen und personellen Vorbereitungen fand. Die Historische Kommission von 194326 unterschied sich nicht in ihrer allgemeinen inhaltlichen Aufgabenbeschreibung von ihrem Vorgänger von 1925, die beiden Satzungen stimmten in dieser Beziehung inhaltlich vollständig und wörtlich weitgehend überein, indem sie die Herausgabe von Quellen und die Förderung von Darstellungen betonten. Aber ansonsten war die jüngere Kommission organisatorisch und personell erheblich anders konstruiert, was in den gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Nationalsozialismus, in der bestimmenden Rolle des Provinzialverbandes und in den landesgeschichtlichen Zielvorstellungen des Vorsitzenden Hoppe begründet war. Hatte Kaeber einst die ältere Kommission als halbamtliches Unternehmen bezeichnet, so könnte man ihre Nachfolgerin als „vollamtliches Unternehmen“ charakterisieren: Der Landeshauptmann, also der Leiter des Provinzialverbandes, ernannte den Vorsitzenden und auf dessen Vorschlag die weiteren Mitglieder; der Vorsitzende war ihm für die von jenem selbständig geführten Geschäfte verantwortlich und hatte das jährliche Arbeitsprogramm von ihm genehmigen zu lassen. Die Mitgliederversammlung war in ihren Befugnissen auf bloße Beratungsfunktionen beschränkt, insbesondere stand ihr wegen des Führerprinzips nicht mehr das Recht zur Kooptation neuer Mitglieder zu. Die Kommission war, wie ihre Satzung zeigte, geradezu als Organ des Provinzialverbandes angelegt. Ob dieser bzw. sein Abteilungsleiter Kultur in der Alltagswirklichkeit ihre inhaltliche Arbeit so hätte lenken können (oder auch nur wollen), wie es ihm theoretisch die Satzung zugestand, ist nicht mehr erprobt worden, da die Gründung von 1943 infolge des Kriegsverlaufes nicht mehr in nennenswerte Wirksamkeit getreten ist.

24 Zitiert in: a.a.O., S. 159. 25 Klaus Neitmann, Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit, in: BlldtLG 141–142/2005–06, S. 19–60; Ders., Willy Hoppe (1884–1960), in: Lebensbilder, (wie Anm. 5), S. 108–119. 26 Zu den folgenden Abschnitten vgl. ausführlich Neitmann, Geschichtsvereine, (wie Anm. 3), S. 160–168. Die Kommissionssatzung von 1943 ist abgedruckt in: a.a.O., S. 178 f.

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Die Auswahl der Mitglieder lag jedenfalls im Vorfeld ausschließlich in Hoppes Hand und richtete sich nach dessen Vorstellungen von der allgemeinen Orientierung der neuen Kommission. Sie sollte – im Vergleich zu ihrer Vorgängerin – stärker auf die Provinz Brandenburg und die dortigen Geschichtsfreunde ausgerichtet und mit ihren Aktivitäten wie Versammlungen, Vorträgen und Ausstellungen nachhaltiger auf deren Kreise einwirken. Die Zahl der Mitglieder war neben dem Landeshauptmann und dem Vorsitzenden auf weitere acht begrenzt, da ein Arbeitsgremium mit befähigten und einsatzbereiten Landeshistorikern geschaffen werden sollte, während die repräsentativen Funktionen, die Vermittlung der Kommissionsziele an weitere Wissenschaftler und Verwaltungsleiter, dem zahlenmäßig wesentlich größeren Beirat zugeschrieben waren. Zu den acht Mitglieder sollten nach der Satzung je einer dem Geheimen Staatsarchiv und der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin angehören, um die Verbindung zu dem für die Provinz Brandenburg zuständigen Staatsarchiv und zur nächstgelegenen Hochschule – Berlin wurde nicht als brandenburgische „Landesuniversität“ angesehen – zu pflegen. Aber ansonsten wünschte Hoppe insbesondere Landes- und Regionalhistoriker einzubeziehen, die in der Provinz wirkten und in ihrer wissenschaftlichen Arbeit sich auf die Mark insgesamt oder ihre einzelnen Landschaften konzentrierten, so daß die Satzung forderte, es sollten möglichst vier [Mitglieder] in der Provinz angesessen sein. Dementsprechend wurden in der Mitgliedschaft die vier in Berlin tätigen Kräften (Heinrich Harmjanz [Reichserziehungsministerium], Eugen Meyer [Universität], Johannes Schultze und Gottfried Wentz [Geheimes Staatsarchiv]) von vier herausragenden Historikern aus brandenburgischen Landschaften (Hans Bütow [Neumark], Rudolf Lehmann [Niederlausitz], Hans Neumann [Brandenburg an der Havel] und Emil Schwartz [Uckermark]) ergänzt. Hoppe ließ sich grundsätzlich leiten von seiner Absicht, mehr Männer von draußen hineinzunehmen; … Ein Haupterfordernis wird immer sein, daß wir mit unserer Arbeit wirklich draussen, in der Provinz, Fuß fassen. Eine im wesentlichen berlinische Gelehrtenakademie wäre nicht das, was ich mir vorstelle.27 Die letzte Bemerkung richtete sich unausgesprochen gegen die Kommission von 1925, denn in ihr hatten eindeutig die Angehörigen Berliner wissenschaftlicher Einrichtungen vorgeherrscht, und insbesondere manche Zuwahl hatte einen Berliner Wissenschaftler wegen seines allgemeinen Renommes, aber ohne ausgeprägte brandenburgische Forschungsneigungen in die Kommission gebracht. Bezeichnenderweise verschob Hoppe den Berliner Verfassungshistoriker Fritz Hartung, das Gründungsmitglied von 1925, in den Beirat seiner Kommission und zog ihm als Mitglied Eugen Meyer vor, da Hartungs preußisch-deutsche Forschungsschwerpunkte ihn weniger anzogen als Meyers landesgeschichtlichen Leistungen. Es ist aus der Rückschau vorbehaltlos anzuerkennen, daß Hoppes Problematisierung der brandenburgischen Landeshistoriographie und Landeshistoriographen einen wunden Punkt nachhaltig getroffen hat. Die Masse und das Gewicht der Berliner wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen hatten von Anfang an, schon seit der Gründung

27 Zitiert in: a.a.O., S. 163.

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des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, bewirkt, daß die in Berlin tätigen Fachleute deutlich die in der Provinz Brandenburg wirkenden Gelehrten überwogen, daß sie mehr als Teil des Berliner wissenschaftlichen Lebens in Erscheinung traten und die Einbeziehung der außerberlinischen Landes- und Regionalhistoriker und der dortigen Geschichtsvereine vernachlässigt wurde. Hoppes Absichten zielten außerdem darauf ab, die Kommission nicht als reine Gelehrtengesellschaft für den innerakademischen Diskurs zu verstehen, sondern die Vermittlung ihrer landesgeschichtlichen Forschungsergebnisse an ein breiteres brandenburgisches Publikum zu einem besonderen Anliegen zu erheben – worauf der akademische wie außerakademische Landeshistoriker im Allgemeinen mehr Wert legt als der universitäre Allgemeinhistoriker. Ob Hoppes Bestrebungen zu nachhaltigen Wirkungen im angestrebten Sinne geführt hätten, ob insbesondere die Summe von 12 000 RM jährlich, die der Landeshauptmann ihm zugestand, auch nur für die begrenzte Umsetzung der von Hoppe aufgestellten, sehr umfassenden Forschungsziele28 ausgereicht hätte, konnte wegen des politischen und wissenschaftspolitischen Umbruchs nach 1945 nicht mehr erprobt werden.

III. Wenden wir uns Pommern zu und streifen einleitend nur in äußerster Knappheit das erste Dreivierteljahrhundert der modernen pommerschen Landesgeschichtsforschung, das ganz im Zeichen der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, eines der ältesten Geschichtsvereine des deutschen Vormärz überhaupt, stand. Sie wurde 1824 auf nachhaltiges Betreiben und mit tatkräftiger Unterstützung des zweiten Oberpräsidenten der Provinz Pommern, Johann August Sack, gegründet, der sich dabei von seiner grundsätzlichen kulturpädagogischen Einsicht leiten ließ: Welchen Stoff zur Cultur … Land und Volk besitzen, ist im Allgemeinen bekannt; aber nicht, wieviel zerstreute Kräfte darin vorhanden sind, die nur einer größeren Belebung … und gemeinsamer Theilnahme bedürfen, um in und durch sich selbst die Cultur mächtig zu fördern. Das von Sack erlassene Statut der Gesellschaft bezeichnete als ihren Zweck, die Denkmäler der Vorzeit in Pommern und Rügen … zu retten und gemeinnützlich zu machen, mit dem Ziel, dadurch dem künftigen Geschichtsschreiber Pommerns brauchbare Vorarbeiten zu liefern und so die Abfassung einer quellenmäßígen älteren Geschichte des Pommernschen Landes und Volkes zu erleichtern. Die Arbeit der Gesellschaft wurde in den ersten Jahrzehnten von den herausragenden Bildungseinrichtungen der Provinz, dem Marienstiftsgymnasium in Stettin und der Universität Greifswald, getragen. 1832 erschien der erste Band des von ihnen angeregten wissenschaftlichen Publikationsorgans, 28 Willy Hoppe, Brandenburgische und berlinische Geschichtsforschung auf alten und neuen Wegen, in: Ders., Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, eingeleitet u. hg. v. Herbert Ludat, Köln/Graz 1965, S. 347–359. Zur Einordnung vgl. Neitmann, Willy Hoppe, (wie Anm. 25), S. 55–59.

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der ebenfalls noch von Sack befürworteten „Baltischen Studien“.29 Das ganze nachfolgende 19. Jahrhundert hindurch war die Gesellschaft das (einzige) Zentrum der pommerschen Landesgeschichtsforschung,30 in ihr fanden sich sowohl die schmale Gruppe gelehrter Fachleute als auch eine breite bildungsbürgerliche Schicht von Geschichtsinteressierten zusammen und trugen mit ihren Untersuchungen und deren Rezeption und Verbreitung pommersche Geschichtsforschung und pommersches Geschichtsbewußtsein, wobei im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zunehmend die Anwendung der geschichtswissenschaftlichen Methodik angemahnt wurde. Die Gesellschaft hatte von Anfang an zwei Mittelpunkte, die Provinzhauptstadt Stettin und die Universitätsstadt Greifswald, unter denen die erstere wegen der dort ansässigen Mehrzahl der Mitglieder und des dort konzentrierten Vereinslebens lange Zeit vorherrschte. Das Unbehagen an dem Stettiner Übergewicht in der Gesellschaft und zugleich das vornehmlich aus der schwedischen Periode abgeleitete eigenständige historische Selbstbewußtsein bewog die Mitglieder ihrer Greifswalder Abteilung 1899 dazu, sich organisatorisch vollständig zu verselbständigen und einen eigenen „Rügisch-pommerschen Geschichtsverein“ zu gründen, der in seinen Bestrebungen auf die Geschichte „Neuvorpommerns“ ausgerichtet war, in seinen Arbeiten vornehmlich von Greifswalder Universitätsdozenten getragen wurde und eine zahlreiche Anhängerschaft in Greifswald, Stralsund und ihrem Umland fand. Der neue Verein verkündete umfassende Aufgaben: die Inventarisierung der nichtstaatlichen Archive, die Ergänzung prähistorischer Sammlungen, die Erarbeitung eines pommerschen Wörterbuches, das Studium der Volkskunde, wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtliche Darstellungen. Der große Anspruch blieb unerfüllt – weil für die multidisziplinären landeshistorischen und landeskundlichen Ziele auf manchen Feldern die befähigten Fachleute fehlten und Mittel zur Bearbeitung der angesprochenen Themen nicht bereitstanden. Einsichtigen mußte in der kritischen Analyse der Lage und Möglichkeiten der Landesgeschichtsforschung die Erkenntnis kommen, daß die bestehenden Vereinsstrukturen den verkündeten größeren Forschungsaufgaben nicht mehr gewachsen waren – und nichts lag dann näher, als sich an dem Vorbild anderer preußischer Provinzen oder deutscher Staaten zu orientieren und die Übernahme der dort schon bestehenden „moderneren“ Form der Landesgeschichtsforschung zu fordern. 29 Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Landesgeschichte im Ostseeraum, in: BaltStud, N.F., 86/2000, S. 7–24, hier S. 7–14, Zitate S. 8, 10. 30 Zum Folgenden vgl. auch Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815 bis 1945 (Mitteldeutsche Forschungen, 113), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 21–55; zusammenfassend Ders., Provinziale Altertumsgesellschaft, regionaler Geschichtsverein und landesgeschichtliche Kommission. Zur Institutionalisierung der außeruniversitären Landesgeschichte in der preußischen Provinz Pommern, in: Tausend Jahre pommersche Geschichte, hg. v. Roderich Schmidt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 31), Köln/ Weimar/Wien 1995, S. 369–386, hier S. 371–380.

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Der Gedanke an die Gründung einer historischen Kommission für die Provinz Pommern31 wurde in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst mehrfach öffentlich und nicht-öffentlich in Historikerkreisen von kenntnisreichen und angesehenen Vertretern der pommerschen Landesgeschichte artikuliert. 1901 trug Martin Wehrmann32, damals als Gymnasialprofessor am Marienstiftsgymnasium in Stettin tätig und bereits durch zahlreiche landesgeschichtliche Studien hervorgetreten, dem Vorstand der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde eine Denkschrift vor, in der er die Bildung einer historischen Kommission für Pommern anregte. Der Vereinsvorstand befürwortete seine Idee und beschloß, zu ihrer Verwirklichung den Oberpräsidenten der Provinz Pommern und den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive in Berlin um Unterstützung zu bitten.33 Wenige Jahre später, 1904, trat Ernst Bernheim,34 angesehener Mediävist an der Universität Greifswald und ebenfalls mit der pommerschen Landesgeschichte eng vertraut, in einer Besprechung von Wehrmanns „Geschichte von Pommern“ in der Zeitschrift des Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins für eine historische Kommission ein, weil die Quellenerfassung zur Grundlegung von Forschungen zu den inneren Verhältnissen des Landes verstärkt werden müsse, und unter Hinweis auf die landesgeschichtlichen Aktivitäten in anderen preußischen Provinzen wünschte er, daß endlich auch bei uns die Kräfte der Provinz in einer Kommission zusammengefaßt, reichlichere Mittel für historische Arbeit zur Verfügung gestellt werden möchten.35 Wie man sieht, befürworteten führende Persönlichkeiten in den beiden bestehenden Geschichtsvereinen der Provinz die Gründung einer historischen Kommission – zur Verstärkung anspruchsvoller Forschungsarbeit, zur Durchführung langfristiger umfassender Forschungsprojekte. Die dafür zwingend erforderlichen

31 Die folgende Darstellung beruht in der Wiedergabe der Vorgänge auf Unterstell, Klio, (wie Anm. 30), S. 55–61, 137–155; Dirk Schleinert, Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern und die Jahre bis 1945, in diesem Band. Herrn Dr. Schleinert danke ich herzlich für die Bereitstellung seines Druckmanuskriptes. – Unter Hinweis auf diese beiden detaillierten Beiträge zur Kommissionsgeschichte verzichte ich im Folgenden weitgehend auf Einzelnachweise. – Vgl. auch: Unterstell, Provinziale Altertumsgesellschaft, (wie Anm. 30), S. 380–386; Roderich Schmidt, Pommersche Landesgeschichte und die Historische Kommission für Pommern, in: Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, hg. v. Werner Buchholz, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998, S. 75–92, hier S. 76–83. 32 Unterstell, Klio, (wie Anm. 30), S. 185–200; Ders., Martin Wehrmann (1861–1937) als Historiograph Pommerns, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 44/1995, S. 375–390; jüngst Dirk Mellies, Martin Wehrmann und die Geschichtsschreibung in Pommern, in: Die Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns. Ausgewählte Beiträge 1995–2011, hg. v. Henning Rischer; Dirk Schleinert, Greifswald 2012, S. 213–222 (Man wundert sich allerdings darüber, daß das gegenwärtige Interesse an „demokratischen Traditionslinien der Geschichte Pommerns“ [S. 218 f.] zum Maßstab der Urteilsbildung über Wehrmann – trotz des Versuches zur Abschwächung dieses Gedankenganges – erhoben wird.). 33 Unterstell, Klio, (wie Anm. 30), S. 57, 190. 34 A.a.O., S. 67–76. 35 Zitiert in: a.a.O., S. 56 f.

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Abb. 1: Martin Wehrmann (1861–1937), Lehrer an den Franckeschen Stiftungen in Halle und am Marienstiftsgymnasium in Stettin, Direktor der Gymnasien in Greifenberg 1912–1921 und Stargard 1921–1926. Quelle: Monatsblätter, hg.

v. d. Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, 51/1937, S. 159

Mittel erhoffte man sich von öffentlichen Stellen, in erster Linie dachte man an die Gewinnung der obersten staatlichen Spitze der Provinz, des Oberpräsidenten, für die eigenen Pläne. Als anstehende vorrangige Aufgabe wurden von Wehrmann wie von Bernheim die Ermittlung und Beschreibung von verstreuten, unerschlossenen Archivalien außerhalb der Staatsarchive genannt, womit auch die preußische Archivverwaltung bzw. das preußische Staatsarchiv Stettin indirekt ins Spiel gebracht war, da ohnehin preußische Staatsarchive damals in etlichen Provinzen an der Inventarisierung vornehmlich kommunalen Archivgutes mitwirkten. Dem Einsatz des Generaldirektors der preußischen Staatsarchive, Reinhold Koser, war es anscheinend zu verdanken, daß die Anregungen der pommerschen Historiker nicht verpufften, so wie es zunächst aussah, sondern daß sie mit etlichen Jahren Verzögerung von dem angesprochenen Oberpräsidenten, Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz, 1910/11 aufgegriffen und verwirklicht wurden.36 Zunächst an der Vorbesprechung und anschließend an der förmlichen Kommissionsgründung waren Fachhistoriker bzw. Vertreter der fachhistorischen Gesellschaften ebenso wie Provinzialverwaltungsbehörden bzw. ihre Leiter beteiligt, einerseits Bernheim und Fritz Curschmann37 von der Universität Greifswald 36 So jedenfalls die Darstellung in den Lebenserinnerungen des Oberpräsidenten; der entsprechende Auszug ist abgedruckt bei Schleinert, Gründung, (wie Anm. 31), Anlage 1. 37 Unterstell, Klio, (wie Anm. 30), S. 201–217; Werner Vogel, Fritz Curschmann (1874–1946), in: Lebensbilder, (wie Anm. 5), S. 580–584.

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und vom Rügisch-Pommerschen Geschichtsverein sowie Wehrmann von der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde, andererseits von Maltzahn-Gültz als Oberpräsident, Paul von Eisenhart-Rothe als Landeshauptmann des Pommerschen Provinzialverbandes und Walter Friedensburg als Direktor des Staatsarchivs Stettin, als solcher ein Verwaltungsbeamter mit archiv- und geschichtswissenschaftlicher Aufgabenstellung. Diese Institutionen und Gesellschaften sollten folgerichtig, wie es die sehr knapp gefaßte Satzung38 festlegte, als erste der Kommission angehören: Oberpräsident und Landeshauptmann, Staatsarchivdirektor, Universitätsangehöriger, Geschichtsvereinsvertreter, und sie sollten dann um andere um die Pommersche Geschichte verdiente Männer ergänzt werden. Zum ersten Vorsitzenden wurde der Oberpräsident gewählt. Die Aufgabenbeschreibung der Satzung griff die in der vorhergehenden Diskussion einzig geäußerte konkrete Forschungsaufgabe, die Erfassung nicht-staatlichen Archivgutes auf, forderte dessen Verzeichnung, Zugänglichmachung und Sicherung, verlangte darüber hinaus aber auch ganz allgemein, die Erforschung und Bearbeitung der heimischen Geschichte auf jede andere Art, insbesondere durch geeignete Publikationen zu fördern. Dementsprechend lief die praktische Arbeit der Kommission in der Weise an, daß das zur Vorbereitung ihrer Gründung von einem Stettiner Staatsarchivar durchgeführte Pilotprojekt, nämlich die Inventarisierung der nicht-staatlichen Archive eines einzigen pommerschen Kreises (des Kreises Greifswald), für weitere Kreise fortgeführt wurde und umfassend geplant war. Die bestimmenden Historiker gedachten sich freilich nicht mit der archivalischen Quellenermittlung zu begnügen, Bernheim und Curschmann legten auf der ersten regulären Mitgliederversammlung 1912 eine umfangreiche Wunschliste von Forschungsvorhaben vor. In ihrem Mittelpunkt standen einerseits Quellenbearbeitungen und -editionen zu herausragenden Überlieferungen, Persönlichkeiten und Vorgängen der pommerschen Landesgeschichte (wie zur Schwedischen Landesaufnahme Vorpommerns und zu Stadtbüchern und -plänen Pommerns, den Herzogen Bogislaw X. und Ernst Bogislaw von Croy oder zu pommerschen Parlamentariern in der Revolution von 1848), andererseits zentrale Hilfsmittel der Grundlagenforschung wie eine Bibliographie, ein historisches Ortslexikon oder eine Genealogie des pommerschen Herzogshauses. Das Programm hätte mindestens für eine Historikergeneration ausgereicht – aber es blieb vorläufig weitestgehend auf dem Papier stehen, weil die dafür benötigten Mittel nicht annäherungsweise zur Verfügung gestellt wurden. Bescheidene Summen flossen vom Provinzialverband – auf Grund seiner ihm durch die Dotationsgesetze von 1875 vorgeschriebenen Fürsorge für die Kulturpflege in der Provinz – und vom Generaldirektor der preußischen Staatsarchive – auf Grund der Archivinventarisation. In das Jahr 1913 übernahm die Kommission einen Geldbestand von 2 000 Mark, erzielte im Jahr selbst 1 000 Mark Einnahmen und gab knapp 2 600 Mark aus, für Honorierung und Reisekostenerstattung von Projektbearbeitern wie für den Druck ihrer Arbeitsergebnisse. Mit solchen Summen waren keine großen Erfolge zu erzielen – aber

38 Abgedruckt bei Schleinert, Gründung, (wie Anm. 31), Anlage 2.

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Abb. 2: Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz (1840–1923), erster Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern. Quelle: Sammlung Axel Freiherr von Maltzahn, Freudenstadt

die Tätigkeit der Kommission lief ja erst an, und man durfte wohl die Hoffnung hegen, wenigstens den Grundstein eines künftig wachsenden Hauses gelegt zu haben. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen machten aber derartige Erwartungen zunichte. Die wissenschaftlichen Vorhaben kamen während des Krieges fast vollständig zum Erliegen, und die wirtschaftlichen Nöte nach Kriegsende verhinderten zunächst ihre Wiederaufnahme. Daß der Provinziallandtag auf Antrag des Landeshauptmanns 1921 die jährliche Beihilfe von 1 000 auf 3 000 Mark erhöhte, wirkte sich wegen der folgenden Hyperinflation nicht aus. Die Verantwortlichen waren sich darüber im klaren, daß ein neuer Anlauf erforderlich war – nach Überwindung der akuten Währungs- und Wirtschaftskrise. Die Neuorientierung der Kommission wurde mit den Beschlüssen der Jahresversammlung vom Oktober 1925 in die Wege geleitet, indem in Anknüpfung an die vor dem E ­ rsten Weltkrieg erörterten Absichten und getroffenen Maßnahmen ihre Tätigkeit in organi­ satorischer wie in inhaltlicher Hinsicht präziser beschrieben, ihre Organisation auf eine festere und breitere Grundlage gestellt und ihr Forschungsprogramm mit der Festlegung und Inangriffnahme verschiedener gewichtiger Einzelprojekte ausgeweitet wurde. Die neu ausgearbeitete Satzung39 suchte die finanzielle Basis dadurch auszuweiten, daß sie – wie etwa der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg schon vor dem Ersten Weltkrieg40 39 Abgedruckt bei Unterstell, Klio, (wie Anm. 30), Anhang, Dokument 3, S. 287–291. 40 Daß das Modell mit Stiftern und Förderern von der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde übernommen worden sei, wie Unterstell, a.a.O., S. 139, behauptet, ist daher keine zwingende Annahme.

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– Stifter und Förderer in ihre Reihen aufnahm, Stifter, die einen einmaligen Betrag von 200 Reichsmark, Förderer, die einen jährlichen Betrag von 20 Reichsmark zahlten. Man hoffte darauf, daß einzelne Kommunen, Kommunalverbände oder Gutsherren mit historischem Sinn die Kommission finanziell unterstützen würden, und in einem bescheidenen, in seinen Dimensionen von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängigen Rahmen erfüllte sich die Absicht. 1932 gehörten der Kommission vornehmlich aus den bezeich­neten Kreisen (Städten, Kreisausschüssen und Landwirten) acht Stifter und 44 Förderer an, 1939 sieben Stifter und 51 Förderer. Ansonsten vertraute die Satzung in finanzieller Hinsicht auf den von dem Direktorium der Staatsarchive und dem Provinzialverbande Pommern zu erbittenden Zuschüssen (§ 4). Da der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive die Kommission nur wegen eines bestimmten Vorhabens, nämlich wegen der fortgeführten Archivinventarisierung förderte, ruhte ihr Gedeihen in allererster Linie auf den Zuschüssen des Provinzialverbandes; anders ausgedrückt: Die Kommission vertraute darauf, daß dieser nicht nur wie vor 1914 mit schmalen Beträgen überhaupt ihre Wirksamkeit ermöglichte, sondern daß er endlich mit der deutlichen Steigerung seiner Zuwendungen die Durchführung eines umfassenden Forschungsprogramms, wie man es sich schon damals ausgemalt hatte, gewährleistete. Der von der Satzung neu eingeführte Vorstand bestand zwar aus denselben sechs in­­ stitutionellen Mitgliedern, die schon 1911 genannt worden waren, mit dem Oberpräsidenten an der Spitze der Aufzählung, aber zum Vorsitzenden wurde der Landeshauptmann des Provinzialverbandes gewählt. Wenn er auch erst 1935 nach einer Satzungsänderung von Amts wegen für diese Funktion vorgesehen wurde, führte schon vorher an ihm kein Weg vorbei, da das Gedeihen der Kommission vornehmlich von ihrer Finanzierung durch seine Behörde abhing. So nahm sie nolens volens hin, daß die personellen Wechsel im Amt des Landeshauptmanns nach dem politischen Umschwung von 1933 geradezu automatisch zu einem Wechsel im Kommissionsvorsitz führten. Fritz Curschmann, einer der führenden Wissenschaftler unter den Kommissionsmitgliedern, brachte den Sachverhalt im Mai 1934 nach dem Rücktritt des bisherigen Landeshauptmanns Ernst von Zitzewitz prägnant auf den Punkt: Wie die Kommission einmal mit der Provinzialverwaltung [Provinzialverband] verbunden ist, finanziell ganz auf sie angewiesen ist, so kann eigentlich nur der Landeshauptmann als Vorsitzender in Betracht kommen.41 Curschmanns Greifswalder Kollege Adolf Hofmeister äußerte sein Unbehagen über die Dominanz des Provinzialverbandes im April 1936 in einem Schreiben an seinen brandenburgischen Freund Willy Hoppe noch sehr viel deutlicher: Bei uns ist leider vor einiger Zeit mit Hilfe des Stettiner Archivs die H[istorische] K[ommission] so gut wie ein Ausschuß der Provinzialverwaltung geworden, indem der ständige Vorsitz des Landeshauptmanns oder seines gesetzlichen Stellvertreters erzwungen wurde – mit der (natürlich uns durchzufühlenden [!]) Drohung sonst die Provinzialmittel zu sperren, von denen wir ja fast ausschließlich leben; das Staatsarchiv sicherte sich bei dieser Gelegenheit

41 Zitiert in: a.a.O., S. 143.

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Abb. 3: Ernst von Zitzewitz (1873–1945), Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern 1925–1934. Quelle: Samm­lung Anette von Zitzewitz, Berlin

ständig die Schriftführerstelle. Der Universität will man großmütig den stellvertretenden Vorsitzenden überlassen.42 Freilich standen die Landeshauptmänner fachlich den Anliegen der Kommission so ferne, daß sie trotz ihrer Anwesenheit auf Vorstandssitzungen und Jahresversammlungen die inhaltlichen Diskussionen kaum beeinflußten und allenfalls eine populäre Sonderausgabe von pommerschen Biographien oder eine Sammlung von Soldatenbiographien anregten. Größeres Gewicht warf seitens des Provinzialverbandes der für die Kulturpflege zuständige erste Landesrat, der offiziell ab 1936 als erster stellvertretender Vorsitzender auftrat, in die Waagschale. Man muß an dieser Stelle sogleich hinzufügen, daß die finanziellen Hoffnungen der Wissenschaftler vom Provinzialverband nicht enttäuscht wurden. Die von ihm bereitgestellten Gelder wuchsen im Laufe der Jahre an, 1929 wurden sie auf 5 000 RM erhöht, überschritten Mitte der 1930er Jahre die 10 000 RM-Grenze und beliefen sich 1937 auf 12 000 RM . Der überragende Anteil des Provinzialverbandes an der Finanzierung der Kommission ist beispielsweise an den Einnahmen des Jahres 1939 abzulesen: Von den 19 370 RM stellte der Provinzialverband 18 000 RM bereit. Zu erwähnen ist außerdem, daß einzelne Projekte von Dritten mitfinanziert wurden, so der Historische Atlas von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. 42 Adolf Hofmeister an Willy Hoppe, 12.04.1936, in: UAG, NL Adolf Hofmeister, 14/4. – Herrn Universitätsarchivar Dr. Alvermann, Greifswald, danke ich vielmals für die Bereitstellung von Kopien aus dem Nachlaß Hofmeister.

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Die Satzung der Kommission von 1925 sah deren inhaltliche Aufgabe darin, die Erforschung der Geschichte Pommerns auf jede Art, insbesondere durch Herausgabe von Quellen und Darstellungen pommerscher Geschichte zu fördern. Diese Formulierung unterschied sich in ihrem Kern nicht allzu sehr von der entsprechenden Aussage von 1911, abgesehen davon, daß sie nicht wie damals einen zentralen Ansatzpunkt der Tätigkeit ausdrücklich erwähnte.43 Aber im Gegensatz zu 1911 wurden nach 1925 verschiedene konkrete Arbeitsvorhaben entwickelt und in Angriff genommen, wurden gezielt Projekte entworfen und bearbeitet. Ihrem Charakter nach sind sie vornehmlich dem Bereich der Grundlagenforschung zuzuordnen. Unverzichtbare Hilfsmittel und Nachschlagewerke der historischen Forschung wie Quellensammlungen und Quelleneditionen, Bibliographien und Biographien wurden in die Planung aufgenommen und ihre Erstellung fachkundigen Wissenschaftlern in Pommern übertragen. Die klassische Aufgabe der mittelalterlichen Landesgeschichte, das Pommersche Urkundenbuch, oder die archivische Erschließungs- und Sicherungsaufgabe, die Inventarisierung nichtstaatlichen Archivgutes in Kommunal-, Guts- und Pfarrarchiven, wurden wiederaufgenommen und weitergeführt. Sie wurden ergänzt durch damals neue methodische Ansätze wie die Zusammenarbeit mit Archäologen zur Erfassung vor- und frühgeschichtlicher Wall- und Wehranlagen oder die kartographische Darstellung historischer Vorgänge und Zustände im Historischen Atlas von Pommern. An ein breiteres Publikum richteten sich die mehrbändigen pommerschen Lebensbilder mit ihren Kurzbiographien ausgewählter bedeutender Persönlichkeiten der Provinz aus dem 18. bis 20. Jahrhundert. Mit der Genealogie des Greifengeschlechtes wurde das maßgebliche biographische Hilfsmittel für das angestammte pommersche Herrscherhaus vorgelegt. Einzelne Spezialthemen wurden in Monographien bearbeitet. Der Erfolg oder Mißerfolg des jeweiligen Vorhabens, sein gelungener Abschluß durch eine Publikation oder der Fehlschlag durch das ausbleibende Druckmanuskript, hing von Umfang und Schwierigkeit des zu bearbeitenden Gegenstandes, von der Person bzw. der Leistungsfähigkeit des Bearbeiters und von den äußeren, finanziellen Arbeitsbedingungen ab. Die Mittel reichten nicht zur Anstellung und Beschäftigung eines hauptamtlichen Mitarbeiters aus, stattdessen dienten sie dazu, mit Honoraren den Bearbeiter und ggf. dessen Hilfskräfte finanziell zu unterstützen und anfallende Sachkosten und schließlich die Druckkosten zu tragen. Die Kommission war unter solchen Umständen darauf angewiesen, daß sie für ihre landesgeschichtlichen Themen Institutionen und Fachleute fand, die an deren Bearbeitung interessiert und dazu bereit waren und die zugleich eigene personelle und materielle

43 Demgegenüber schließt Unterstell, Klio, (wie Anm. 30), S. 139, aus dem Vergleich der beiden Satzungen: „Die geschichtsschreibende Präsentation des Erforschten wurde [1925] gegenüber dem positivistisch eingefärbten, antiquarischen Sammeln in den Vordergrund gerückt. Forschung und Darstellung sollten an die Stelle des Sammelns und Festhaltens treten“. Eine solche Interpretation scheint mir den Satzungsformulierungen zu viel Gewicht beizumessen und außer Betracht zu lassen, daß die Intentionen von 1911/12 wegen des Weltkrieges nur sehr bruchstückhaft umgesetzt werden konnten.

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Abb. 4: Adolf Hofmeister (1883–1956), seit 1923 Mitglied und seit 1925 Vorstandsmitglied der Historischen Kommission für Pommern, 1927–1935 Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica (MGH), 1931–1955 Leiter des Universitätsarchivs Greifswald. Quelle: UAG, Photosammlung

Ressourcen in das vereinbarte Projekt einbrachten. Bezeichnenderweise sind die beiden gewichtigsten Kommissionsvorhaben, das Urkundenbuch und der Historische Atlas, durch die enge Absprache und Zusammenarbeit mit angesehenen Wissenschaftseinrichtungen der Provinz, mit dem Staatsarchiv Stettin und der Universität Greifswald, bewerkstelligt worden. Daß in den 1930er Jahren im offiziellen Auftrage der Kommission ein weiterer Band des Urkundenbuches bearbeitet und veröffentlicht wurde, war dadurch ermöglicht worden, daß die preußische Archivverwaltung einen Stettiner Staatsarchivar zum hauptamtlichen Einsatz für das Unternehmen abgestellt hatte – und selbst dadurch wegen der dienstlich bedingten Bearbeiterwechsel und anderer archivarischer Arbeitsschwerpunkte wie dem „Ariernachweis“ nach 1933 die Schwierigkeiten nicht ausgeschaltet waren.44 Die Atlasarbeiten waren unter Leitung von Fritz Curschmann an der Universität angesiedelt. Die Kommission profitierte zudem davon, daß Adolf Hofmeister,45 seit 1921 Inhaber des Lehrstuhls

44 Vgl. die angedeuteten Probleme in der Urkundenbuchbearbeitung in einem Schreiben Hofmeisters: Sachlich ist unsere größte Sorge das Urkundenbuch, das unbedingt rasch vorwärts getrieben werden muß; das kostet sehr viel Geld, und noch viel schwieriger ist die Sorge um Bearbeiter, da die Archivare höchstens noch außerdienstlich dafür zu haben sind, wenn sie nicht andere lohnendere Beschäftigung finden. Man sieht ja freilich ein, daß die dienstlichen Anforderungen im Augenblick sehr groß sind. Adolf Hofmeister an Willy Hoppe, 12.04.1936, in: UAG, NL Adolf Hofmeister, 14/4. 45 Unterstell, Klio, (wie Anm. 30), S. 218–236.

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für mittlere und neuere Geschichte an der Greifswalder Universität, schwerpunktmäßig mittelalterlicher Historiker, in die pommersche Landesgeschichte nachhaltig einstieg und an mehreren Kommissionsvorhaben mitwirkte, insbesondere sich nachdrücklich um die Pommerschen Lebensbilder kümmerte. Für die Bibliographie zur Geschichte und Landeskunde Pommerns fanden sich nacheinander zwei Bearbeiter, ein Kösliner Gymnasiallehrer und der Direktor der Greifswalder Universitätsbibliothek, aber beide vermochten die Aufgabe neben ihren hauptamtlichen Tätigkeiten nicht zu vollenden. Der Gymnasialdirektor Robert Holstein46 erarbeitete sein wissenschaftliches Hauptwerk, die pommersche Flurnamensammlung, im Wesentlichen in angestrengter ca. fünfzehnjähriger Tätigkeit in seinem Ruhestand; wegen der Kriegsumstände konnte der Druck nicht mehr abgeschlossen werden, so daß der Band erst lange nach 1945 veröffentlicht wurde. Auf der Grundlage von Erörterungen in der Konferenz der preußischen Landesdirektoren und nach dem Vorbild des in der provinzialen Kulturarbeit führenden Provinzialverbandes Westfalen beabsichtigte der pommersche Provinzialverband 1938/39, die gesamte landschaftliche Kulturpflege unter seiner Leitung neu zu organisieren, wobei die bestehenden wissenschaftlichen Vereine und Einrichtungen, darunter die – 1935 in Landesgeschichtliche Forschungsstelle der Provinz Pommern umbenannte – Historische Kommission, unter Wahrung einer bedingten Eigenständigkeit in einer neuen Dachorganisation zusammengeschlossen werden sollten. Wie die Aufgabengebiete der vorgesehenen einzelnen Organisationseinheiten zeigen,47 war bezweckt, verschiedene bestehende Wissenschaftsdisziplinen, vornehmlich geisteswissenschaftliche bzw. historisch-philologische, aber auch naturwissenschaftliche Fächer, zu vereinen, damit durch die Kombination der unterschiedlichen fachlichen Sichtweisen auf das allen gemeinsame Objekt, die Provinz bzw. den Kulturraum Pommern, eine umfassende Landeskunde entstand. Die „Landeskundliche Forschungsstelle der Provinz Pommern“ war in acht Abteilungen gegliedert, unter denen die historischen in engerem und weiteren Sinne dominierten: Geschichte, Vor- und Frühgeschichte, 46 A.a.O., S. 173–185. 47 Vgl. die Ordnung über die Verwaltung der Landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern vom 21.08.1939, abgedruckt in: a.a.O., Anhang, Dokument 5, S. 294–300. – Vgl. die aufschlußreiche Schilderung der Landeskundlichen Forschungsstelle in einem Schreiben Adolf Diestelkamps, des damaligen Schriftführers der Historischen Kommission, an einen archivarischen Fachkollegen vom 29.06.1939, u.a.: Es ist also die Landeskunde im weitesten Sinne, die von der Landeskundlichen Forschungsstelle im ganzen und den einzelnen Abteilungen im besonderen betreut wird. Jede Abteilung hat ihren ehrenamtlichen Geschäftsführer, den der Leiter der Landeskundlichen Forschungsstelle ernennt. Er ernennt dazu in erster Linie die Leiter der entsprechenden maßgeblichen wissenschaftlichen Vereine oder Einrichtungen (dementsprechend sollen alle in Pommern vorhandenen wissenschaftlichen Einrichtungen in der Landeskundlichen Forschungsstelle vertreten sein.) … Diese Verbindung halte ich für außerordentlich glücklich, da ja doch letzten Endes die wissenschaftlichen Vereine die Träger der Arbeit sind. … Alles in allem soll also die Landeskundliche Forschungsstelle neben der Kulturpflegeabteilung der Provinz die gesamte Kulturarbeit unserer engeren Heimat zusammenfassen. GStAPK, Berlin-Dahlem, I. HA Rep. 178 Nr. 1749, Bl. 25–26.

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Ahnenforschung und Sippenkunde, Volkskunde, Kunstgeschichte und Denkmalpflege, literarisches Schrifttum, Erdkunde, Naturkunde. Die Historische Kommission stand als Abteilung für Geschichte nicht nur in der Aufzählung der Abteilungen an erster Stelle, sondern nach dem ersten Paragraphen war die neue Landeskundliche Forschungsstelle aus der alten Landesgeschichtlichen Forschungsstelle hervorgegangen; die organisatorischen und finanziellen Regelungen orientierten sich deutlich an der Kommissionssatzung von 1925/35, und auch die allgemeine Aufgabenbeschreibung lehnte sich an diese an: Die Forschungsstelle hat die Aufgabe, die wissenschaftliche Erforschung des pommerschen Landes und seiner Bevölkerung, insbesondere durch Herausgabe von Quellen und Darstellungen, zu fördern. Die Landeskundliche Forschungsstelle war ihrem Schöpfer, dem Provinzialverband, straff untergeordnet: Sie war als dessen „Einrichtung“ geplant, ihr Leiter war der Landeshauptmann, und dem Verwaltungsrat, den der Leiter vor seinen Entschlüssen zur Beratung hinzuzuziehen hatte, gehörten weitere Mitarbeiter des Provinzialverbandes an, der ständige Vertreter des Landeshauptmanns als stellvertretender Vorsitzender, der Leiter der Kulturpflegeabteilung des Provinzialverbandes und der Hauptgeschäftsführer der Landeskundlichen Forschungsstelle, der vom Provinzialverband bestellt wurde. Die Verwaltungsordnung gab deutlich zu erkennen, daß der Provinzialverband die wissenschaftliche Erforschung und Darstellung der Landesgeschichte und Landeskunde Pommerns zu intensivieren und zu verbreitern gedachte; dazu war er bereit, aus seinem Personal zur Führung der laufenden Geschäfte einen hauptamtlichen wissenschaftlichen Geschäftsführer (Hauptgeschaftsführer) zur Verfügung zu stellen, und ihm wird klar gewesen sein, daß sein Ziel über die Zuwendungen der Stifter (einmalige Zuwendung von mindestens 500 RM ) und Förderer (jährliche Beitragszahlung von 50 RM ) hinaus nur durch Steigerung seiner eigenen Fördermittel erreicht werden konnte. Ob aus der administrativen Planung, also aus der organisatorischen Zusammenfassung der mit Pommern befaßten wissenschaftlichen Gesellschaften, der angestrebte quantitative und qualitative Erkenntniszuwachs für eine umfassende pommersche Landeskunde folgen würde, war freilich schwer vorherzusagen, da in der Wissenschaft erfahrungsgemäß Organisationsmaßnahmen nicht automatisch zu inhaltlichen Erkenntnisfortschritten führen. Es hing von der nachfolgenden Praxis und von der wissenschaftlichen Leistungskraft der geschaffenen Abteilungen und ihrer Mitwirkenden sowie ihrer Fähigkeit zu interdisziplinärer Zusammenarbeit ab, ob sie bloß neben­ einander ihre alten Vorhaben weiterverfolgen oder durch neue übergreifende Fragestellungen ein neues Niveau der wissenschaftlichen Diskussion erreichen würden. Die Probe auf die Ertragfähigkeit der an sich bedenkenswerten Konstruktion ist nicht gemacht worden, denn wegen des folgenden Kriegsausbruches und des Kriegsverlaufes blieb die Landeskundliche Forschungsstelle auf dem Papier stehen. Die Historische Kommission bzw. die Landesgeschichtliche Forschungsstelle führten gemäß dem in ihren Reihen beschlossenen Programm ihre einzelnen Vorhaben weiter fort, bis sie schließlich früher oder später vornehmlich durch den Wehrmachteinsatz der Bearbeiter abgebrochen wurden.

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IV. Die Historischen Kommissionen in Brandenburg und in Pommern zwischen 1911/25 und 1945 stehen, so könnte man cum grano salis behaupten, für eine neue Entwicklungsstufe der landesgeschichtlichen Forschung in ihrem jeweiligen Land, was in Pommern deutlicher als in Brandenburg sichtbar wird. Die Vorhaben, die sie konzipierten und mit größeren, geringeren oder gar keinen Ergebnissen verfolgten, konzentrierten sich auf Grundlagenforschung, auf die Erarbeitung einerseits von Hilfsmitteln wie Bibliographien, Ortslexika oder Atlaskarten, andererseits von Quellenwerken wie mittelalterlichen Urkundenbüchern oder (früh)neuzeitlichen Akteneditionen. Darstellungen zu ausgewählten schmaleren oder umfassenderen Themen waren zwar in die Planungen einbezogen und wurden vorgelegt, aber sie standen in ihrem Gewicht innerhalb der Aktivitäten zurück, merklicher als in Pommern in Brandenburg, wo man programmatisch 1925 und praktisch in der Folgezeit den Vorrang der Quellenedition proklamierte und in die Tat umsetzte. Die unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte, die sowohl in der jeweiligen Landesgeschichte als auch in den Traditionen und im aktuellen Stand der jeweiligen Landesgeschichtsforschung begründet waren, können vernachlässigt werden, wenn man den grundsätzlichen Ansatz der Kommissionsgründer betrachtet. In beiden Provinzen wurde ein zeitlich und sachlich umfangreiches Forschungsprogramm aufgestellt und zu verwirklichen getrachtet. Weit ausgreifende Ideen zu bedeutenden historischen Untersuchungsgegenständen waren zwar schon im 19. Jahrhundert vorgetragen worden, aber die Geschichtsvereine waren an der Verwirklichung von anspruchsvollen Einzel- oder Gemeinschaftswerken, wenn man einmal von der regelmäßigen Herausgabe landesgeschichtlicher Zeitschriften absieht, gescheitert. Der Ruf nach historischen Kommissionen erklang um 1900 immer deutlicher und vernehmbarer, weil führende Historiker über individuelle Arbeiten hinaus ein großes und arbeitsteilig zu bestellendes Aufgabenfeld zur Intensivierung der Forschung anstrebten und dazu als neue Organisationsform den Zusammenschluß von kompetenten Fachleuten wünschten, unter Ausschluß der historischen „Dilettanten“, die die gesteigerten fachlichen Standards nicht mehr zu erfüllen vermochten. Die Aufgabenzusammenstellungen der Kommissionen offenbaren die entsprechend dem allgemeinen Gang der Historiographie gesteigerten methodischen Herausforderungen der Landesgeschichtsforschung, deren Erörterung und Bewältigung nur noch von akademisch gebildeten und tätigen Fachhistorikern zu erwarten war. Es war die erhoffte wissenschaftliche Effektivitätssteigerung, die eine neue Organisationsstruktur jenseits des Geschichtsvereins beförderte. Freilich sind Historische Kommissionen und Geschichtsvereine nicht als unbedingte, unvereinbare Gegensätze zu sehen, sondern sehr viel mehr als einander ergänzende Bestrebungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Kommissionen gingen aus den Vereinen hervor, es waren gerade deren bestimmende Vertreter, die die Forderung nach Kommissionsgründungen artikulierten. Außerdem zeigt der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, daß er unter Wahrung der überkommenen Vereinsstrukturen durch die Vereinigung der maßgeblichen Fachleute in seinen Reihen und durch deren Initiative

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eindrucksvolle wissenschaftliche Leistungen entsprechend den gesteigerten Erwartungen zu erbringen vermochte und sich dadurch in seinem Charakter einer Historischen Kommission schon stark anglich. Und nach den Kommissionsgründungen gaben die Vereine ihre wissenschaftlichen Aspirationen nicht auf, was besonders daran abzulesen ist, daß sie weiterhin die maßgeblichen landesgeschichtlichen Zeitschriften, die „Baltischen Studien“ und die „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“, auf hohem Niveau herausgaben. Daß historische Fachkreise aus fachlichen Gründen die Inangriffnahme eines anspruchsvollen Forschungsprogramms verlangten, entsprang zwar wissenschaftsimmanenten Überlegungen, aber die Umsetzung in die Tat hing, wie ihren Urhebern sehr bewußt war, von der Bereitstellung zusätzlicher Forschungsgelder ab, somit von der Wissenschafts- und Kulturpolitik, die die Berechtigung des Anliegens zu erkennen und dafür Mittel aufzubringen gewillt und in der Lage war. Die Landesgeschichtsforschung des 19. Jahrhunderts hätte ohne staatliche und kommunale materielle Unterstützung nicht erblühen können – spätestens, wenn es darum ging, ihre Arbeitsergebnisse in Druckwerken zu veröffentlichen, war sie (auch) auf die öffentliche Hand angewiesen. Die Rufer nach der Historischen Kommission erhofften sich, daß die zuständigen Stellen aus Einsicht in die angestrebten Ziele deren dauer­hafte Finanzierung gewährleisten würden. Die Frage nach der zuständigen Stelle war in Brandenburg und in Pommern während des 19. Jahrhunderts von den Geschichtsvereinen unterschiedlich beantwortet worden. Die Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde ebenso wie die von ihr herausgegebene Zeitschrift waren mit Förderung des Oberpräsidenten der Provinz Pommern ins Leben getreten. Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg beschritt einen anderen Weg, indem er sich an seinem Hauptsitz Berlin, der Hauptstadt Preußens, Zugang zu preußischen Zentral­ instanzen, zu König und Ministern, vornehmlich zum Kultusminister, erschloß – weil seine maßgeblichen Persönlichkeiten auf Grund ihrer amtlichen Stellung innerhalb der Ministerialressorts und nicht innerhalb der Provinzialverwaltungen wirkten – und weil er auf Grund des Ganges der brandenburg-preußischen Geschichte auch den Gesamtstaat Preußen auf seine Fahnen zu schreiben und dadurch auch für seine landes- bzw. provinzialgeschichtlichen Vorhaben Mittel preußischer Projekte abzuzweigen vermochte. Der brandenburgische Verein profitierte in den Zeiten Raumers und Riedels, Schmollers und Hintzes von seinen Verbindungen in die preußische Staatsspitze, die brandenburgischen Instanzen spielten für sie nur eine nebensächliche Rolle. Ein solcher Ansatz war den pommerschen Landeshistorikern in ihrer pommerschen Position und mit ihrem pommerschen Anliegen von vornherein verwehrt, sie sahen sich ausschließlich auf die provinzialen Instanzen verwiesen. Innerhalb der preußischen Provinzialverfassung gab es nun seit 1875 eine neue Instanz, der die Aufgabe der landschaftlichen Kulturpflege durch Gesetz übertragen war. Die im Rahmen der preußischen Verwaltungsreformen der 1870er Jahre geschaffenen Provinzialverbände der einzelnen preußischen Provinzen hatten zur Wahrnehmung ihrer Aufgabengebiete im sogenannten Dotationsgesetz staatliche Mittel zur Wahrnehmung ihrer

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Aufgaben erhalten, darunter zur Fürsorge für die landschaftliche Kulturpflege, zu der die Landesgeschichtsforschung damals gezählt wurde. Nach dem Preußischen Gesetz vom 30. April 1875 zur Dotation der Provinzial- und Kreisverbände, das bis 1945 in Gültigkeit blieb, waren die den Provinzialverbänden überwiesenen Jahresrenten u.a. zu verwenden zu Zuschüssen für Vereine, welche der Kunst und Wissenschaft dienen, desgleichen für öffentliche Sammlungen, welche diesen Zweck verfolgen, Erhaltung und Ergänzung von Landesbibliotheken, Unterhaltung von Denkmälern und für ähnliche, im Wege der Gesetzgebung festzustellende Zwecke.48 Brandenburgische und pommersche Landesgeschichtsforschung sind in monarchischen Zeiten von ihren jeweiligen Provinzialverbänden gefördert worden, aber diese gaben, wie die Vorgänge und Zustände vor 1914 belegen, noch nicht den entscheidenden Ausschlag. Der märkische Geschichtsverein profitierte sehr stark von der (indirekten) Förderung des Preußischen Kultusministeriums, und die Historische Kommission für Pommern wurde vornehmlich mit dem Beistand des Oberpräsidenten der Provinz Pommern in die Welt gesetzt, wenn auch der Provinzialverband von Anfang an beteiligt war. Erst nach dem Ersten Weltkrieg und nach der Inflation traten die Provinzialverbände von Brandenburg und Pommern beherrschend in den Vordergrund und ermöglichten es, daß in Brandenburg eine neue Historische Kommission gegründet wurde bzw. in Pommern eine nominell bestehende Historische Kommission in nachhaltige Wirksamkeit trat und daß in beiden Provinzen verschiedene gewichtige Forschungsgebiete besetzt wurden. In Brandenburg erreichte die Verbindung des Provinzialverbandes mit der Reichshauptstadt Berlin, daß die reichlich fließenden Mittel die Kommission zu einem ausgedehnten Arbeitsprogramm in einem zuvor nicht erahnten Ausmaß in den Stand versetzten. Wohl und Wehe der Historischen Kommissionen waren damit aufs engste mit der Kulturpolitik der Provinzialverbände verknüpft, schärfer formuliert, sie waren finanziell und organisatorisch von diesen und ihren Leitlinien abhängig. Verständlicherweise gehörten die Geldgeber der Mitgliedschaft bzw. dem Vorstand der Kommissionen an, ohne daß dadurch freilich die Wissenschaftler in der freien Bestimmung und Gestaltung ihrer Themen und in der freien Auswahl ihrer neuen Mitglieder beeinträchtigt worden wären. Die Modelle von 1925 erschienen erfolgversprechend, und die auf ihrer Grundlage erreichten Ergebnisse der Folgezeit bewiesen ihre Tragfähigkeit. Gefährdet und verändert wurden die Konstruktionen zunächst durch die Weltwirtschaftskrise und die daraus folgenden Nöte der öffentlichen Haushalte, die zu einer drastischen Reduzierung der Förderung führte. Dann schränkten die Folgen der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 und die Anwendung nationalsozialistischer Prinzipien die vorherige Gestaltungsfreiheit der Kommissionen spürbar ein. Sie wurden als Ergebnis 48 Klaus Neitmann, Die Kulturverwaltung und Kulturpolitik der Provinz Brandenburg und die Begründung der brandenburgischen Provinzialarchäologie, in: Miscellanea Archaeologica III. Berlin und Brandenburg. Geschichte der archäologischen Forschung, hg. v. Jörg Haspel; Wilfried Menghin (Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, 22), Petersberg 2006, S. 179–189, hier S. 179 f.

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von Satzungsänderungen ausdrücklich der Leitung der Provinzialverbände unterstellt, geradezu zu ihrem Organ umgewandelt. Die Mitgliederversammlungen verloren ihr Recht zur Wahl neuer Mitglieder, sie wurden auf die bloße Beratung des Vorstandes bzw. des Vorsitzenden beschränkt, und der Vorsitz wurde entweder dem Landeshauptmann übertragen, oder der Vorsitzende war diesem rechenschaftspflichtig. Die organisatorischen Bestrebungen des pommerschen Provinzialverbandes gingen dabei noch weiter als die des brandenburgischen, indem er einen landeskundlichen Forschungsverbund aller auf die Erforschung Pommerns bezogener Vereine und Gesellschaften einrichtete und darin die Historische Kommission als eine Abteilung aufgehen ließ. Einen solchen umfassenden Zusammenschluß hat der brandenburgische Provinzialverband zwar zeitweise erwogen49, aber nicht nachdrücklich weiterverfolgt, so daß die formale Eigenständigkeit der Historischen Kommission hier nicht länger zur Debatte stand. Ob die organisatorische Vereinigung der verschiedenen landeskundlichen Gesellschaften und der von ihnen vertretenen Disziplinen sich in der inhaltlichen Arbeit im Sinne interdisziplinärer Fragestellungen, wie sie damals vor allem die in die deutsche Landesgeschichte eingeführte Kulturraumforschung propagierte,50 produktiv ausgewirkt hätte, kann nicht beurteilt werden, da der Ansatz des Provinzialverbandes wegen des Krieges faktisch nicht umgesetzt wurde. Ebenso wurde infolge der wenigen Friedensjahre, in der die Forschung noch nachhaltig arbeiten konnte, die Frage nicht beantwortet, ob die Provinzialverbände die inhaltliche Arbeit der Landesgeschichtsforschungen maßgeblich nach ihren Vorstellungen ausgerichtet hätten. Die vorliegenden Akten ihres Wirkens zeugen vornehmlich von ihren verwaltungsorganisatorischen Absichten, kaum hingegen von eigenen konkreten landeskulturellen oder landeskundlichen Zielsetzungen; die neuen Organisationsformen sollten dazu dienen, die auf die eigene Provinz bezogenen wissenschaftlichen und kulturellen Arbeiten zu verstärken und auszuweiten, ohne daß damit von vornherein bestimmte, ausgedehnte inhaltliche Erwartungen verbunden gewesen wären. Wenn auch wie bemerkt prinzipiell seit 1925 die Provinzialverbände in beiden preußischen Provinzen über Wohl und Wehe der Kommissionen entschieden, so führte ihre Kulturpolitik doch auf Grund unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen für diese zu unterschiedlichen Ergebnissen. In Pommern hatte es die Kommission auf Seiten der öffentlichen 49 Vgl. die Aktennotiz von Dr. Georg Winter (Preußische Archivverwaltung) über sein Gespräch mit Dr. Oskar Karpa (Brandenburgischer Provinzialverband) am 14.09.1937, mit der Bemerkung: Wir besprachen dann die Frage der neuen Organisation der Historischen Kommission für Brandenburg und deren Eingliederung in ein großes provinziales Institut für die kulturellen Aufgaben. Auf diesem Gebiet wird künftig, wie auch sonst, und wenigstens für eine gewisse Zeit, eine Absonderung der Provinz von der Stadt Berlin erfolgen. GStAPK, I. HA, Rep. 178, Nr. 245, Aktennotiz Winters vom 15.09.1937. 50 Matthias Werner, Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit. Wege und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hg. v. Peter Moraw; Rudolf Schieffer (Vorträge und Forschungen, 62), Ostfildern 2005, S. 251–364.

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Verwaltung ausschließlich mit dem Provinzialverband zu tun. In Brandenburg verdankte sie ihre Existenz dem Bündnis von Brandenburgischem Provinzialverband und Reichshauptstadt Berlin, die dem Provinzialverband nicht angehörte. Diese Verbindung begann unter dem Druck der Finanzkrise seit 1930 und wegen des unterschiedlichen Engagements der Partner zu bröckeln, und es zerbrach nach 1933, als der Provinzialverband in bewußter Abwendung von Berlin, von Berliner kommunalen und staatlichen Einrichtungen und von der Zusammenarbeit mit Berlin nachdrücklich den Aufbau eines eigenständigen, berlinfernen brandenburgischen Kulturlebens betrieb. Eine gemeinsam mit Berlin getragene Historische Kommission paßte nicht mehr in die allgemeine kulturpolitische Zielsetzung, auch wenn die maßgeblichen Historiker anfänglich der Trennung widerstrebten, da sie aus Forschungserwägungen heraus nicht abzuleiten war. So entstanden schließlich zwei historische Gesellschaften, allerdings unter demselben Vorsitzenden, so daß auch hier erst die Praxis hätte Vor- oder Nachteile einer solchen Konstruktion hätte erweisen können. Die Berlin-Problematik zeigte sich für die Historische Kommission jenseits ihrer verwaltungsorganisatorischen Konsequenzen noch in forschungsinternen Schwierigkeiten, die auf Grund der unterschiedlichen Forschungslandschaft in Pommern gar nicht oder nur abgeschwächt – wenn man an die Konkurrenz zwischen Stettin und Greifswald und den jeweiligen dort ansässigen Wissenschaftseinrichtungen denkt – auftraten. Das überragende Gewicht der in Berlin ansässigen Wissenschafts- und Kultureinrichtungen und des in ihnen tätigen Personals hatte dazu geführt, daß schon der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg sich vornehmlich aus in Berlin wirkenden Historikern rekrutierte, seine Aktivitäten stark auf Berlin konzentriert waren und sich hier sein wissenschaftliches Leben abspielte. Nicht zufällig waren seit den 1860er Jahren in einzelnen historischen Landschaften bzw. Städten der Mark bzw. Provinz Brandenburg eigene Geschichtsvereine entstanden, weil sie sich mit ihren Anliegen vom märkischen Verein nicht ausreichend berücksichtigt fühlten. Die Kommission von 1925 hatte die Berliner Dominanz erneut bekräftigt, indem ihr vornehmlich Berliner Gelehrte angehörten, darunter sogar zunehmend solche, die wegen ihrer Berliner Position, nicht aber wegen ihres brandenburgischen Schwerpunktes hinzugewählt wurden. Hoppe hatte nicht Unrecht, wenn er später die mangelnde Präsenz der „Provinz“ bzw. die unzureichende Berücksichtigung von Landes- und Regionalhistorikern beklagte und hierin für seine Kommission von 1943 eine grundlegende Änderung herbeiführte. Ebenso richtete sich seine Kritik dagegen, daß die Vorgängerkommission in der Provinz nicht in Erscheinung getreten war – er erwartete hingegen, daß seine landesgeschichtliche Schöpfung sich mit Vorträgen, Ausstellungen und Veröffentlichungen dem geschichtsinteressierten Publikum überall in der Provinz bemerkbar machte. Diese Problematik ist von ihm ebenfalls zu Recht aufgezeigt worden, auch wenn seine Lösungswege vielleicht die angestrebte Wirkung nur eingeschränkt erreicht hätten. Schließen wir mit einem Resümee in wenigen Sätzen. Die Vereine und Kommissionen in Brandenburg und Pommern wirkten zwischen 1824/1837 bzw. 1911/25 und 1945 innerhalb des Königreiches bzw. Freistaates Preußen, präziser ausgedrückt, innerhalb zweier preußischer Provinzen und innerhalb der preußischen Provinzialverfassung. Ihr Anliegen war

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die Erforschung und Darstellung der Geschichte ihrer jeweiligen Provinz und deren Vorgängerterritorien, mit Programmen, die mit ihrer Bevorzugung der Grundlagenforschung mancherlei Gemeinsamkeiten aufwiesen. Aber in zweierlei Hinsicht unterschied sich die Lage in Brandenburg von der in Pommern. Die brandenburgische Landesgeschichtsforschung sah sich in der Kernprovinz des Staates gewichtiger Konkurrenz ausgesetzt: Das Interesse des Publikums, der Wissenschaft wie der Politik richtete sich im intellektuellen und administrativen Mittelpunkt der Provinz, in der preußischen und Reichshauptstadt Berlin, vornehmlich auf die Geschichte des Gesamtstaates Preußen, so daß es den Gründervätern des märkischen Geschichtsvereins nicht leicht fiel und nur sehr begrenzt gelang, in den ihnen zugänglichen preußischen Zentralinstanzen einen Sinn für ihre „provinziellen“ Bestrebungen zu erwecken und sie zu einer stärkeren und dauerhaften Förderung zu bewegen. Während die höchste Provinzialinstanz, der Oberpräsident, in Brandenburg für die historischen Belange völlig ausfiel, verhalf er umgekehrt in Pommern den Bemühungen der Geschichtsfreunde zum Durchbruch. Nach der Schaffung der preußischen Provinzialverbände 1875 und ihren in den Dotationsgesetzen festgeschriebenen kulturpolitischen Aufgaben erwiesen sie sich in Brandenburg wie in Pommern als wichtige, schließlich gar erstrangige Partner der Landesgeschichtsforschung, wenn auch deren nachhaltige Unterstützung erst in der Weimarer Zeit, nach der Überwindung der Inflation, gewährt wurde. Aber dann führte das zweite allgemein- und kulturpolitische Problem der Provinz Brandenburg, ihre Auseinandersetzung bzw. ihre Trennung von der Reichshauptstadt Berlin und die eigenständige Behauptung gegen deren Schwergewicht, zu neuen Komplikationen für die Forschungsorganisation. Die Historische Kommission wurde unter dem Druck der politischen Instanzen in einen brandenburgischen und einen Berlinischen Zweig auseinandergebrochen, was allein aus den sachlichen Forschungsaufgaben und dem personellen Forscherreservoir nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Ob die Historische Kommission der Provinz Brandenburg langfristig einen erfolgreichen Weg beschritten hätte, konnte infolge des Ausganges des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erprobt werden. Die Provinzialverbände in Brandenburg und Pommern waren jedenfalls zur Förderung der landesgeschichtlichen Arbeit bereit, freilich unter Ausweitung ihrer statutengemäßen Einwirkungsmöglichkeiten, die die wissenschaftliche Eigenständigkeit der gelehrten Gesellschaften hätten merklich beeinträchtigen können.

Dirk Schleinert

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern und die Jahre bis 1945 1

1. Inhaltlich-Chronologisches Wenn am 13. Mai 2011 der 100. Jahrestag der Gründung der Historischen Kommission für Pommern begangen wurde, so handelte es sich um ein in der Vorbereitungsphase dieser Tagung festgelegtes Datum. Denn schaut man sich die Anfänge der Kommission und die dazu inzwischen erschienene Literatur an,2 so stößt man auf zwei Angaben aus zwei verschiedenen Jahren. Die erste ist der 1. bzw. 10. März 1910 und die zweite eben der 13. Mai 1911. Was hat es damit auf sich und warum haben wir uns für das zweite Datum entschieden? Wie im vorhergehenden Beitrag deutlich geworden ist, gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine zweite Gründungswelle von Historischen Kommissionen im Deutschen Reich. Auch in der Provinz Pommern, wo die landesgeschichtliche Forschung bisher hauptsächlich in den Händen der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde sowie des im Jahre 1899 neu hinzugetretenen Rügisch-pommerschen Geschichtsvereins lagen,3 mehrten sich die Stimmen, die die Bildung einer Historischen Kommission als sinnvoll und notwendig erachteten. Am 1. März 1910 lud deshalb Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz, Oberpräsident der Provinz Pommern, einige Herren zu einer Vorbesprechung wegen der 1

Der erste Abschnitt stellt den nur geringfügig überarbeiteten Vortragtext vom 13. Mai 2011 dar. Für die Hilfe bei der Beschaffung der archivalischen Quellen und der in Magdeburg nicht vorhandenen Spezialliteratur sei den Herren Dr.es Dirk Alvermann, Greifswald, Paweł Gut, Stettin, und Martin Schoebel, Greifswald, sowie Frau Kirsten Schäffner, Greifswald, ganz herzlich gedankt. Der Beitrag bildet den Forschungsstand von 2013 ab. Neuere Arbeiten, insbesondere die erst während der Drucklegung erschienenen Bände von Dirk Alvermann (Hg.), „ ... die letzten Schranken fallen lassen. Studien zur Universität Greifswald im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2015 und Henrik Eberle, „Ein wertvolles Instrument“. Die Universität Greifswald im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2015, konnten nicht mehr berücksichtigt werden. Auf sie sei hier daher ausdrücklich verwiesen. 2 Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie (Mitteldeutsche Forschungen, 113), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 55–61; Roderich Schmidt, Pommersche Landesgeschichte und die Historische Kommission für Pommern, in: Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, hg. v. Werner Buchholz, Paderborn 1998, S. 75–92 (Neudruck in: Roderich Schmidt, Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V, 41), Köln/Weimar/Wien 2007, S. 677–697. 3 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 37–55.

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Gründung einer Historischen Kommission in seine Diensträume im Stettiner Schloß ein.4 Das Treffen fand am 10. März 1910 statt und es nahmen außer von Maltzahn teil Staatsminister Ernst-Matthias von Köller, Archivdirektor Dr. Walter Friedensburg, Gymnasialdirektor Prof. Martin Wehrmann, der Greifswalder Historiker und Privatdozent Dr. Fritz Curschmann sowie Landeshauptmann Paul von Eisenhart-Rothe. Die Notwendigkeit einer Historischen Kommission in Ergänzung zu den bisherigen Trägern der landesgeschichtlichen Forschung wurde auf dieser Besprechung anerkannt und es wurde ein Gründungskomitee gebildet. Erste und wichtigste Aufgabe der Kommission sollte die Erfassung des nichtstaatlichen Archivguts sein.5 Um die Machbarkeit dieses Vorhabens zu prüfen, beauftragte man mit Zustimmung des Generaldirektors der preußischen Staatsarchive Dr. Otto Grotefend vom Staatsarchiv Stettin, den Kreis Greifswald zu bereisen und ein Inventar von den dort aufgesuchten Archiven zu erstellen.6 Diese Inventarisierung fand in der Zeit vom 20. Mai bis 9. Juli 1910 statt und ihr Ergebnis ist in Band 11 der „Pommerschen Jahrbücher“, der Vereinszeitschrift des Rügisch-pommerschen Geschichtsvereins, veröffentlicht worden.7 Der Erfolg dieser Probeinventarisierung führte zu einer zweiten Sitzung des besagten Gründungskomitees am 13. Mai 1911, wiederum im Stettiner Schloß.8 Jetzt wurde die eigentliche Bildung der Kommission in organisatorischer Hinsicht durchgeführt, indem man eine vorbereitete Satzung annahm.9 Der Kommission gehörten satzungsgemäß der Oberpräsident der Provinz, der Landeshauptmann, der Direktor des Staatsarchivs Stettin, je ein Vertreter der Universität Greifswald, der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde und des Rügisch-pommerschen Geschichtsvereins, sowie einige um die pommersche Landesgeschichte verdiente Männer an. Erster Vorsitzender wurde Oberpräsident Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz.10 Da man erst mit der Annahme der Satzung von der Kommission als im rechtlichen Sinne existierender Einrichtung sprechen kann, hatte sich die Kommission bei der Vorbereitung des Jubiläums auf den 13. Mai 1911 als Gründungsdatum geeinigt. Damit steht

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A.a.O., S. 57f. A.a.O., S. 58. Mitteilung über die erfolgte Gründung in: Monatsblätter, hg. v. d. Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, 24/1910, S. 123. 6 Schreiben des Oberpräsidenten Maltzahn-Gültz an den Kurator der Universität Greifswald vom 25.04.1910 in: UAG, R 565, Bl. 95. 7 Otto Grotefend, Ergebnisse einer Archivreise im Kreise Greifswald, in: PommJbb, 11/1910, S. 109–194. 8 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 58. 9 Vgl. Anlage 1. 10 Biographie in: Pommersche Lebensbilder, 2. Band: Pommern des 19. und 20. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle (Historischen Kommission) für Pommern), hg. v. Martin Wehrmann, Adolf Hofmeister, Wilhelm Braun, Stettin 1936, S. 266–280.

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Abb. 1: Besuch Kaiser Wilhelms II. (links im Vordergrund) und Prinz Oskars (rechts) in Pommern um 1910, in der Mitte steht der Oberpräsident der Provinz, Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz. Quelle: Sammlung Axel Freiherr von Maltzahn, Freudenstadt

sie auch in der Tradition der Kommission selbst, die 1936 mit ausdrücklichem Bezug auf das Datum 13. Mai 1911 ihr fünfundzwanzigjähriges Jubiläum beging.11 Wichtigste Aufgabe der Kommission blieb weiterhin die Inventarisierung der nichtstaatlichen Archive.12 Daran sollte sich laut Satzung aber auch die Herausgabe von größeren geschichtlichen Werken anschließen. Bis zur weitestgehenden Einstellung der Arbeiten während des Ersten Weltkrieges wurden noch die Kreise Saatzig und Pyritz vollständig inventarisiert und mit den Arbeiten im Kreis Demmin begonnen. Geplant waren darüber hinaus noch Bereisungen der Kreise Anklam, Regenwalde und Greifenberg.13 Gleich auf der ersten regulären Versammlung der Kommission am 22. April 1912 wurde ein noch viel weitergehendes Arbeitsprogramm ins Auge gefaßt. Die beiden Greifswalder

11 Protokoll der Vorstandssitzung und Hauptversammlung vom 04.12.1936, LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 49 VS bzw. 49d RS. Vgl. auch den Auszug aus den Erinnerungen des 1. Vorsitzenden Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz in Anlage 1. 12 Erich Winguth (†), Die Verzeichnung der nichtstaatlichen Archive des Kreises Bütow nach dem Stand von 1939/40. Einleitung und Kommentar von Klaus-Dieter Kreplin, Haik Thomas Porada und Dirk Schleinert, in: BaltStud, N.F., 86/2000, S. 115–143, hier. S. 115 mit weiterführenden Literaturhinweisen. 13 Jahresberichte des Vorsitzenden der Kommission für 1912 bis 1919 in: LAGw, Rep. 54, Nr. 620.

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Abb. 2: Martin Wehrmann (1861–1937), seit 1886 Vorstandsmitglied der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, 1887–1912 Redaktionsmitglied der Baltischen Studien, seit 1911 Mitglied der Historischen Kommisison für Pommern. Quelle: Stet­t iner Bürgerbrief 2007, S. 29

Hochschullehrer Ernst Bernheim und Fritz Curschmann legten eine ganze Liste von Forschungs- und Publikationsvorhaben vor. Hierzu zählten neben anderen eine Genealogie des pommerschen Herzogshauses, Urkunden- und Akteneditionen zu Herzog Bogislaw X. und Herzog Ernst Bogislaw von Croy, eine Sammlung der Stadtbücher und Stadtpläne Pommerns, die Bearbeitung der schwedischen Landesaufnahme Vorpommerns vom Ende des 17. Jahrhunderts, eine Bibliographie zur Geschichte Pommerns, ein historisches Ortslexikon und eine Edition von Akten und Briefen der pommerschen Teilnehmer an den Parlamenten des Jahres 1848.14 Die erste kommissionseigene Quellenedition neben den Archivinventaren, Arthur Motzkis Urkunden zur Camminer Bistumsgeschichte, die 1913 erschien, ging auf eine Anregung Martin Wehrmanns zurück.15 Finanziert wurde die Arbeit der Kommission durch Zuschüsse des Provinzialverbandes der Provinz Pommern und des Generaldirektoriums der preußischen Staatsarchive.16 Von Sommer 1914 bis Sommer 1920 ruhte die Arbeit der Kommission.17 Die letzte Mitgliederversammlung vor dem Krieg hatte am 9. März 1914 stattgefunden,18 die erste nach 14 LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 2. 15 Ebenda. 16 Vgl. dazu die Protokolle der Jahresversammlungen in LAGw, Rep. 54, Nr. 621. 17 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 61. 18 Protokoll in: LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 7–9.

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dem Krieg wurde am 20. August 1920 durchgeführt.19 In den Jahren dazwischen hatte lediglich der Vorsitzende 1917 und 1919 zusammenfassende Jahresberichte vorgelegt.20 Doch die Arbeit der Kommission kam auch nach dem Krieg insbesondere wegen der schwierigen finanziellen Lage nicht wieder so richtig in Gang. Das Protokoll der Jahresversammlung vom 27. Juni 1923 vermerkt dazu: „Weitere Drucklegungen, z. B. des Inventarisierungsberichtes über den Kreis Pyritz von Dr. Grotefend, des ältesten Stralsunder Bürgerbuches von Dr. Ebeling, sowie sonstige Arbeiten konnten mangels der erforderlichen recht erheblichen Geldmittel nicht in Angriff genommen werden. Die derzeitige ungeheure Preissteigerung legt alle Unternehmungen der Kommission vorläufig lahm; aus diesem Grunde konnte auch für das nächste Jahr in dieser Hinsicht kein bestimmter Beschluß gefaßt werden.“21 Wie weit die Wirksamkeit der Kommission zu dieser Zeit gesunken war, belegt nicht zuletzt die 1926 veröffentlichte Darstellung ihres im Jahr zuvor gewählten Vorsitzenden, des Landeshauptmanns Ernst von Zitzewitz, zur Tätigkeit des Provinzialverbandes. Obwohl der Provinzialverband die Kommission maßgeblich mit Geld unterstützte, wird sie im Abschnitt „Förderung von Kunst und Wissenschaft sowie ähnlicher Zwecke“ mit keinem Wort erwähnt.22 Deshalb wurde bereits auf der Kommissionssitzung am 27. Juni 1923 bei allen anwesenden Kommissionsmitgliedern grundsätzliche Übereinstimmung darüber erzielt, daß eine organisatorische Neuausrichtung notwendig sei. Diese wurde 1925 vollzogen, indem man eine neue Satzung annahm.23 Rückblickend läßt sich sagen, daß diese Maßnahme quasi einer zweiten Gründung der Kommission gleichkam. Die Aufgabe wurde dahingehend abgeändert, als daß jetzt „die Erforschung der Geschichte Pommerns auf jede Art, insbesondere durch Herausgabe von Quellen und Darstellungen pommerscher Geschichte zu fördern“ sei. Rembert Unterstell hat hierzu bemerkt, daß an die Stelle des antiquarischen Sammelns und Festhaltens das Forschen und Darstellen getreten seien.24 Die zweite tief greifende Veränderung betraf die personelle Zusammensetzung der Kommission. Sie bestand von nun an aus Stiftern, Förderern und Mitgliedern. Stifter konnte werden, wer der Kommission einen einmaligen Betrag von mindestens 200 Reichsmark zukommen lassen hatte, Förderer zahlten einen regelmäßigen jährlichen Beitrag von mindestens 20 Reichsmark. Dieses Modell hatte man von der „Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde“ übernommen, wo es bereits seit 1881 Stifter und Patrone gab.25 Die Neuformulierung der Aufgabe der Kommission brachte eine Erweiterung des Arbeitsprogramms mit sich. Langzeitprojekte, die teilweise bis heute noch die Kommission 19 20 21 22

Protokoll in: a.a.O., Bl. 10–12. LAGw, Rep. 54, Nr. 620, Bl. 5–8. LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 13. 50 Jahre Provinzialverband von Pommern, hg. v. Landeshauptmann der Provinz Pommern, [Stettin] 1926, S. 83–85. 23 Protokoll in: LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 14–18, Satzung Bl. 16–18, abgedruckt bei Unterstell, (wie Anm. 2), S. 287–291. 24 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 139. 25 Ebenda.

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Abb. 3: Ernst von Zitzewitz (1873–1945), Landeshauptmann der Provinz Pommern 1925– 1934. Quelle: Sammlung Anette von Zitzewitz, Berlin

beschäftigen, wurden begonnen. Hierzu zählen insbesondere die Wiederaufnahme der Bearbeitung des Pommerschen Urkundenbuches und der Historische Atlas von Pommern. Daneben wurden die bereits begonnenen Großvorhaben, insbesondere die Inventarisierung der nichtstaatlichen Archive, fortgeführt, und auch verschiedene Einzelprojekte realisiert. Zunehmend kam es dabei zur Kooperation mit anderen Einrichtungen. Das Pommersche Urkundenbuch wurde vom Staatsarchiv Stettin bearbeitet,26 der Historische Atlas von Pommern entstand zeitgleich mit dem Historischen Atlas für Brandenburg und wurde von der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, der heutigen DFG , sowie privaten Geldgebern mitfinanziert.27 Des Weiteren kooperierte die Kommission mit der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung der nord- und ostdeutschen vor- und frühgeschichtlichen

26 Vgl. dazu den Beitrag von Karl-Heinz Spieß in diesem Band. Die Arbeiten sind nachgewiesen in den Jahresberichten des Staatsarchivs Stettin an den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive in: GStAPK, I. HA, Rep. 178, Nr. 2763. 27 Berichte des Hauptbearbeiters Fritz Curschmann sind in allen überlieferten Protokollen der Vorstandssitzungen und Mitgliederversammlungen bis einschließlich 1939 enthalten (LAGw, Rep. 54, Nr. 621). Vgl. dazu auch den Beitrag von Haik Thomas Porada in diesem Band.

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Wall- und Wehranlagen, deren Erfassung in der Provinz Pommern 1929 begann.28 Das im selben Jahr gebildete Institut für die Geschichte des Zeitungswesens in Pommern wurde schließlich nach mehreren Jahren der finanziellen Unterstützung 1937 unter der Bezeichnung Gesellschaft für Zeitungskunde und Buchdruck der Kommission auch organisatorisch angeschlossen.29 Bereits seit Bildung am 1. Oktober 1931 war die Archivberatungsstelle der Provinz Pommern mit der Kommission durch einen gesonderten Etat verbunden.30 Das änderte sich prinzipiell auch nicht, als sie 1934 aus der Verwaltung des Provinzialverbandes aus- und dem Staatsarchiv Stettin eingegliedert wurde.31 Herrschte also in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre eine Aufbruchstimmung, so erhielt diese mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 wieder einen erheblichen Dämpfer, denn ab da gab es einen kontinuierlichen Rückgang bei den Förderern, wodurch der Kommission ein Teil der Einnahmen wegbrach.32 Hierzu trug sicher auch bei, daß die Tätigkeit der Kommission in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Und ein Großteil der Förderer waren öffentliche Einrichtungen wie z. B. Kreisausschüsse und Stadtverwaltungen.33 Der Übergang zum NS -Regime ab 1933 machte sich zunächst in Form von Personalveränderungen an der Spitze der Kommission bemerkbar. Im April 1934 wurde Landeshauptmann Ernst von Zitzewitz, seit 1925 Vorsitzender der Kommission, vom Gauleiter Karpenstein aus dem Amt gedrängt und durch dessen Freund, Rechtsanwalt Dr. Ernst Jarmer, ersetzt.34 Dieser trat aber so gut wie nicht in Erscheinung, da er nur bis Anfang 1935 sein Amt ausübte und daher lediglich an der Vorstandssitzung und Hauptversammlung am 30. Mai 1934,35 also kurz nach seiner Amtsübernahme, teilnahm. Im Sommer 1934 war im Zusammenhang mit dem so genannten Röhmputsch Franz Schwede-Coburg neuer

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Bericht Adolf Hofmeisters im Protokoll der Vorstandssitzung vom 18.04.1928, Pkt. 9 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 29), sowie gemeinsame Berichte von Adolf Hofmeister und Otto Kunkel auf der Mitgliederversammlung am 08.11.1928, Pkt. 4i (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 33RS). Bericht des Vorsitzenden auf der Mitgliederversammlung am 15.11.1929, Pkt. 12 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 37d), sowie Bericht von Adolf Diestelkamp auf der Mitgliederversammlung am 18.11.1937, Pkt. 3k (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 51d). Bericht des Vorsitzenden auf der Mitgliederversammlung am 07.06.1932, Pkt. 14 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 42e). Protokoll der Vorstandssitzung am 26.11.1935, Pkt. 5 H (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 47bRS). Vgl. auch Bericht des Staatsarchivdirektors Adolf Diestelkamp an den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive über die Betreuung des nichtstaatlichen Archivguts im Jahr 1935 (GStAPK, I. HA, Rep. 178, Nr. 2763, Bl. 69–72). Protokoll der Vorstandssitzung am 23.11.1931, Pkt. 3 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 41). Bericht des Vorsitzenden über das Ausscheiden zahlungsunfähiger Förderer im Protokoll der Vorstandssitzung am 07.06.1932, Pkt. 1 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 42). Kyra T. Inachin, Der Gau Pommern – eine preußische Provinz als NS-Gau, in: Die NSGaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“, hg. v. Jürgen John, Horst Möller, Thomas Schaarschmidt (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer), München 2007, S. 283. LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 46–46d.

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Gauleiter in Pommern geworden, der bald den gesamten Verwaltungsapparat der Provinz durch ihm nahe stehende Personen besetzte.36 Neuer Landeshauptmann wurde der aus Pyritz stammende Konditorgehilfe Robert Schulz, zur Zeit seiner Ernennung im Rang eines SS -Obersturmbannführers und Leiter des SD in den Gauen Pommern und Mecklenburg.37 Schulz übernahm den Vorsitz in der Kommission mit der Satzungsänderung vom 26. November 1935.38 Diese war anders als die Neufassung von 1925 nicht von innen heraus angestoßen worden, sondern, auch dies ein typischer Zug in der NS -Zeit, wurde der Kommission von außen regelrecht aufgezwungen. Am 8. Juni 1934 hatte die Landesdirektorenkonferenz der preußischen Provinzialverbände eine Stellungnahme abgegeben, nach der die bisherigen Historischen Kommissionen in den einzelnen Provinzen in Landesgeschichtliche Forschungsstellen umzubenennen seien.39 Vorstand und Mitgliederversammlung nahmen dies auf den jeweiligen Sitzungen am 26. November 1935 zur Kenntnis und beschlossen eine entsprechende Satzungsänderung.40 Zugleich wurde die bisherige faktische Verknüpfung einiger Vorstandsposten mit den Inhabern bestimmter Verwaltungsämter in der Satzung festgeschrieben. Das heißt, Vorsitzender war jetzt automatisch der Landeshauptmann oder dessen gesetzlicher Vertreter, Schriftführer der Direktor des Staatsarchivs Stettin und Schatzmeister der Geschäftsführende Direktor der Provinzialbank Pommern.41 Robert Schulz blieb Landeshauptmann und damit Vorsitzender der Kommission bzw. Landesgeschichtlichen Forschungsstelle bis zu seiner Versetzung 1940, als er das Amt des Gauhauptmanns im neu eingerichteten Warthegau übernahm.42 Bei den Sitzungen bis 1939 war er zwar anwesend, inhaltlich beteiligte er sich aber kaum. Fast scheint es, als wenn der bereits seit 1930 im Vorstand tätige erste Landesrat Manfred Schultze-Plotzius der eigentliche geschäftsführende Vorsitzende war. Dieser Eindruck kommt auch nicht von ungefähr, denn auch in der Verwaltung des Provinzialverbandes war er der Fachmann.43 Eine zweite, noch tiefgreifendere organisatorische Umbildung der Kommission wurde noch im Sommer 1939 begonnen.44 Ausgehend von Versuchen in der Provinz Westfalen 36 Inachin, (wie Anm. 34), S. 280 f. 37 A.a.O., S. 283. 38 LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 47. Die Übernahme des Vorsitzes erfolgte nicht namentlich, sondern institutionell durch die per Satzungsänderung bestimmte Verknüpfung des Vorsitzes mit dem Amt des Landeshauptmanns. 39 Bericht des Ersten Landesrates Schultze-Plotzius auf der Vorstandssitzung am 26.11.1935, ebenda. 40 A.a.O., Bl. 47RS (Beschluß des Vorstandes), Bl. 47c (Annahme durch die Mitgliederversammlung). 41 Ebenda. 42 Inachin, (wie Anm. 34), S. 283. 43 Eine Biographie fehlt bisher. Vgl. auch Manfred Schultze-Plotzius, Ein Überblick über die Tätigkeit der Provinzialverwaltung von Pommern in den Jahren 1933 bis 1945, in: BaltStud, N.F., 49/1962–63, S. 69–100. 44 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 146 f.

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

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sollte die Kulturarbeit in Pommern zentralisiert und alle von der Provinzialverwaltung (Provinzialverband) geförderten Institutionen und Einrichtungen unter dem Dach einer einzigen Organisation, der „Landeskundlichen Forschungsstelle“, vereinigt werden. Unmittelbar vor Kriegsausbruch wurde im August 1939 eine Verwaltungsordnung für diese neue Organisation erlassen.45 Als Leiter war Staatsarchivdirektor Adolf Diestelkamp vorgesehen,46 der aber bereits am 22. August 1939 zum Militärdienst einberufen wurde.47 Eine für den Herbst vorgesehene konstituierende Sitzung fand ebenfalls nicht mehr statt.48 Faktisch firmierte daher lediglich die alte Kommission unter der neuen Bezeichnung weiter, bis auch sie mit Ablauf des Jahres 1942 ihre Tätigkeit einstellte.49 Der in Anlage 3 wiedergegebene Tätigkeitsbericht für die Zeit vom 10. März 1939 bis 30. November 1942 zeigt zwar einerseits, daß an den verschiedenen Projekten weitergearbeitet wurde und auch keine formale Einstellung der Arbeit stattfand, andererseits verdeutlicht er aber auch die Schwierigkeiten, insbesondere bei der Publikation fertiger Vorhaben und der zunehmenden Personalknappheit infolge der Einberufungen zum Wehrdienst. In die inhaltliche Tätigkeit der Kommission griffen das NS -Regime bzw. dessen örtliche Funktionsträger nur marginal ein, was einmal mehr das bereits früher konstatierte Desinteresse des Gauleiters Schwede-Coburg und seiner Anhänger an der Kulturarbeit unterstrich.50 Lediglich an einem Punkt trafen sich die Interessen der Nationalsozialisten mit den Arbeitsergebnissen der Kommission. Auf Anregung des Heimatforschers Erich Gülzow veröffentlichte die Kommission ab 1934 nach dem Vorbild einer entsprechenden Publikationsreihe in der Provinz Schlesien die „Pommerschen Lebensbilder“, d. h. Biographien von bedeutenden Persönlichkeiten der Provinz.51 Dieses Projekt entwickelte sich rasch zum populärsten Vorhaben der Kommission, deren Tätigkeit ansonsten trotz aller gegenteiligen Bemühungen eher im Verborgenen stattfand.52 Auf der Vorstandssitzung am 4. Dezember 1936 sprach der Vorsitzende der Kommission, Landeshauptmann Schulz, den Wunsch aus, von einigen bedeutenden Männern, namentlich genannt wurden der 45 46

Abdruck in Unterstell, (wie Anm. 2), S. 294–300. Bericht Diestelkamps an den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive vom 11.02.1939 (GStAPK, I. HA, Rep. 178, Nr. 2763, Bl. 211a–214. 47 Ergänzungsbericht Diestelkamps an den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive vom 20.04.1940 (a.a.O., Bl. 272–275a). 48 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 147. 49 A.a.O., S. 148. 50 Schultze-Plotzius, (wie Anm. 43), S. 91. 51 Antrag Gülzows und Einsetzung einer Unterkommission zur Bearbeitung einer Pommernbiographie, Pkt. 14 des Protokolls der Vorstandssitzung am 06.11.1930 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 39a); Bericht Erich Randts über den Stand der Arbeiten an Bd. 1 auf der Vorstandssitzung am 06.05.1931 (a.a.O., Bl. 40a). Vgl. auch Unterstell, (wie Anm. 2), S. 150. 52 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 141f. Vgl. auch Otto Grotefend, Die Historische Kommission für Pommern, in: Monatsblätter, hg. v. d. Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde, 44/1930, S. 8–10, wo der geringe Bekanntheitsgrad der Kommission gleich im ersten Satz beklagt wird.

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Dirk Schleinert

Luftschiffer Hans Curt Flemming und der Kolberger Bürgermeister Joachim Nettelbeck sowie die Militärs, Sonderdrucke anzufertigen, die man der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädchen übergeben könnte.53 1939 regte Schulz zudem in Ergänzung der bisherigen Lebensbilder eine Sammlung von Soldatenbiographien an.54 Ein Forschungsgebiet, das die Kommission nur mittelbar berührte, aber für die Zwischenkriegszeit in den Ostprovinzen von erheblicher Bedeutung war, stellte die Ostforschung dar. Darunter verstand und versteht man insbesondere die Erforschung des Deutschtums in Ostmitteleuropa. Nach dem für Deutschland verlorenen Ersten Weltkrieg, der im Osten auch mit Gebietsverlusten und der Wiederbegründung eines selbstständigen polnischen Staates verbunden war, wandelte sich diese Forschung, die nicht losgelöst von der damaligen aktuellen politischen Lage betrachtet werden kann, immer mehr zu einer Auseinandersetzung mit den slawischen Völkern und Staaten.55 Pommern war durch die Grenzziehung von 1919 zur Grenzprovinz geworden und man verstand sich im Laufe der Zeit immer mehr als Grenzland, das sich im Kampf mit den Völkern im Osten, speziell mit Polen, befand. In der Kommission machte sich diese Stimmung auf der Mitgliederversammlung am 28. Juni 1933 bemerkbar, als unter Punkt 14 der Tagesordnung die „Tendenziöse polnische Geschichtsforschung“ behandelt wurde. Folgender Beschluß wurde gefaßt: „Zwecks geeigneter Maßnahmen zur Abwehr wissenschaftlicher Angriffe der polnischen Geschichtsforschung auf das pommersche Gebiet wurde ein aus den Herren Hofmeister, Kunkel, Murawski, Schinkel und Randt bestehender Ausschuß gebildet.“56 Die Auseinandersetzung mit der polnischen Geschichtsschreibung übertrug man der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde oder besser gesagt ihrem Jahrbuch, den Baltischen Studien. Dieses war von Umfang und Inhalt her ab 1933 erheblich erweitert worden. Neben den üblichen Aufsätzen enthielt es nun auch Forschungsberichte 53 LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 49b. Bereits auf der Vorstandssitzung am 30.05.1934 wurde unter Pkt. 9 die Anfertigung von Sonderdrucken aus den Lebensbildern angeregt, die zusammen mit dem von Martin Wehrmann anzufertigenden Abriß der pommerschen Geschichte, der 1935 als Veröffentlichung der Kommission unter dem Titel „Pommern. Ein Gang durch seine Geschichte“ in erster Auflage erschien, der HJ und dem BDM zur Verfügung gestellt werden sollten (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 46a). 54 Protokoll der Vorstandssitzung am 10.03.1939, Pkt. 3f (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 52aRS). Der Tätigkeitsbericht für 1939–42, (vgl. Anlage 3) erwähnt einen geplanten Sonderband für Soldatenbiographien. 55 Michael Burleigh, Germany turns Eastwards. A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988; Hans Mommsen, Der faustische Pakt der Ostforschung mit dem NS-Regime. Anmerkungen zur Historikerdebatte, in: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, hg. v. Winfried Schulze, Otto Gerhard Oexle, München 1999, S. 265–273; Deutsche Ostforschung und polnische Westforschung im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. Disziplinen im Vergleich, hg. v. Jan M. Piskorski, Jörg Hackmann, Rudolf Jaworski, Osnabrück 2002. Vgl. dazu auch die kritische Rezension von Blazej Bialkowski in: H-Soz-u-Kult, 28.05.2003, . 56 LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 44cRS.

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

141

und einen Rezensionsteil. Die Redaktion lag in den Händen des Staatsarchivs Stettin, dessen Direktor Erich Randt seit 1933 auch Vorsitzender der Gesellschaft war. Er wurde nach seinem Weggang aus Pommern 1935 von seinem Nachfolger als Staatsarchivdirektor, Adolf Diestelkamp, auch in den Ämtern der Gesellschaft und Kommission beerbt. Den ersten Bericht „Polonica“ mit einer, allerdings auf hohem wissenschaftlichen Niveau geführten Auseinandersetzung mit der polnischen geschichtswissenschaftlichen Literatur in den Baltischen Studien Neue Folge 35, erschienen 1933, verfaßte Erich Randt selbst. Nach seinem Weggang übernahmen andere Archivare des Staatsarchivs diese Aufgabe.57 Hintergrund dieser Konstellation war u. a. die Tatsache, daß die preußische Archivverwaltung unter ihrem damaligen Leiter Albert Brackmann, der ebenfalls ein wichtiger Vertreter der Ostforschung war, verstärkt wissenschaftliche Archivare mit Kenntnissen slawischer Sprachen, insbesondere Polnisch, ausbildete. Von Randts Nachfolger Adolf Diestelkamp ist bekannt, daß er mit Brackmann noch bis zu seiner Einberufung in den aktiven Kriegsdienst über Fragen der Ostforschung und der Beteiligung Pommerns und des Staatsarchivs Stettin korrespondierte.58 Fragen wir abschließend nach der Verstrickung der Kommission und ihrer Mitglieder in das NS-Regime, so werden wir zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen. Zweifellos gab es zumindest in der Anfangsphase der NS-Herrschaft Schnittmengen mit den politischen Ansichten vieler Kommissionsmitglieder, die überwiegend konservativ bis deutsch-national eingestellt waren.59 Daß sich solche grundsätzlichen Teilübereinstimmungen rasch ändern konnten, zeigt das Beispiel von Fritz Curschmann. Er war nicht nur deutsch-national ausgerichtet, sondern auch aktives Mitglied der DNVP, die in Pommern vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten die einflußreichste politische Kraft darstellte. Wissenschaftlich kann man ihn durchaus auch als Vertreter der Ostforschung bezeichnen. Aber wegen seiner jüdischen Vorfahren geriet er nach Erlaß der Nürnberger Rassengesetze in das Visier der NS-Rassenpolitik, die ihn als Mischling 2. Grades einstufte und ihn zwischen 1936 und seiner Erimitierung 1939 stufenweise aus dem Lehrbetrieb der Universität Greifswald herausdrängte.60 57 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 122 ff. Vgl. auch Protokoll der Vorstandssitzung am 05.12.1933, Pkt. 3 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 45a RS) sowie die Jahresberichte des Staatsarchivs Stettin, Teilbericht wissenschaftliche Arbeiten der Mitarbeiter, für diese Jahre (GStAPK, I. HA, Rep. 178, Nr. 2763). 58 Maciej Szukała, Stettiner Archivare und die „deutsche Ostforschung“, in: Berichte und Forschungen 10/2002, S. 27–58. 59 Beispiele anhand ihrer Publikationen bei Unterstell, (wie Anm. 2), S. 167 ff (Erich Gülzow) und S. 184 f. (Robert Holsten). Vgl. auch Thomas Stamm-Kuhlmann, Die Philosophische Fakultät, in: Universität und Gesellschaft. Festschrift zur 550-Jahrfeier der Universität Greifswald, Bd. I: Die Geschichte der Fakultäten im 19. und 20. Jahrhundert, hg. v. Dirk Alvermann, Karl-Heinz Spiess, Rostock 2006, S. 403 ff. 60 A.a.O., S. 201–217. Vgl. auch Benno von Knobelsdorff-Brenkenhoff, Prof. Dr. Fritz Curschmann (1874–1946). Begründer der Historischen Geographie in Greifswald. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, in: Perspektiven der Historischen Geographie. Siedlung, Kulturlandschaft, Umwelt in Mitteleuropa. Mit zahlreichen Fachbeiträgen von Mitarbeitern

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Dirk Schleinert

Soweit es der gegenwärtige, in keiner Weise als abschließend und damit befriedigend zu bezeichnende Kenntnisstand zuläßt, verhielten sich die meisten Kommissionsmitglieder apolitisch wie Adolf Hofmeister oder opportun.61 Die weitere Erforschung der Wissenschaftlerbiographien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zählt somit zu den wichtigsten Aufgaben der jüngeren pommerschen Landesgeschichte.

2. Organisatorisch-Statistisches Die organisatorische Grundlage der Kommissionstätigkeit waren die Satzungen von 1911 und 1925. Die 1939 ausgearbeitete Verwaltungsordnung für die Landeskundliche Forschungsstelle entfaltete keine praktische Wirksamkeit mehr. Weder die für den Sommer 1939 geplante konstituierende Sitzung der Forschungsstelle kam infolge des Kriegsausbruchs zustande, noch sind irgendwelche späteren Sitzungen protokolliert. Damit dürften die am 10. März 1939 abgehaltene Vorstandssitzung und Hauptversammlung die letzten Zusammenkünfte bis Kriegsende gewesen sein. Im Tätigkeitsbericht für die Jahre 1939/40 heißt es einleitend dann auch: „Die in der am 21.8.1939 erlassenen neuen Satzung der umgewandelten Landeskundlichen Forschungsstelle vorgesehene Erweiterung ihres Aufgabenkreises mußte infolge des Krieges noch zurückgestellt werden.“62 Die sehr kurz gehaltene Satzung von 1911 benannte lediglich die nach Wunsch der Initiatoren in der Kommission vertretenen Institutionen und als ausführende Funktionsträger den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter. Erst die Satzung von 1925 schuf einen Vorstand, bestehend aus sechs Funktionsträgern (Vorsitzender, Schriftführer und Schatzmeister mit ihren jeweiligen Stellvertretern) und mindestens sechs Beisitzern, der die eigentliche Arbeit zwischen den Hauptversammlungen der Kommission übernahm und letztere inhaltlich vorbereitete. Der erste Vorstand von 1925 bestand aus:63 •• Landeshauptmann Ernst von Zitzewitz, Vorsitzender •• Universitätsprofessor Dr. Hans Glagau, Stellvertreter •• Staatsarchivdirektor Dr. Otto Grotfend, Schriftführer •• Staatsarchivrat Dr. Georg Kupke, Stellvertreter des Schriftführers •• Bankdirektor Suhle, Schatzmeister •• Bankdirektor Friesen, Stellvertreter des Schatzmeisters und Absolventen des Seminars für Historische Geographie der Universität Bonn und einer umfangreichen institutsbezogenen wissenschaftsgeschichtlichen Dokumentation. Anläßlich des 25jährigen Dienstjubiläums von Klaus Fehn in Bonn und seines 60. Geburtstages, hg. v. Klaus-Dieter Kleefeld, Bonn 1997, S. 497–521. 61 Unterstell, (wie Anm. 2), S. 218–236. Vgl. auch Dirk Alvermann, Hofmeister, Adolf Ludwig Eduard, in: Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 5 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Mecklenburg, Reihe A), Rostock 2009, S. 177–181. 62 APS, Staatsarchiv Stettin (Hausbestand), Nr. 812 (ohne Blattzählung). 63 Protokoll der Jahresversammlung vom 08.10.1925, Pkt. 7 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 14RS/15).

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

143

Beisitzer: Oberpräsident Julius Lippmann, Karl Graf von Bismarck-Osten, Rektor Robert Burkhardt, Universitätsprofessor Fritz Curschmann, Oberstudiendirektor Prof. Dr. Carl Fredrich, Universitätsprofessor Dr. Adolf Hofmeister, Rittergutsbesitzer von Saldern-Brallentin, Rittergutsbesitzer Dr. Freiherr von Wangenheim und Gymnasialdirektor Prof. Dr. Wehrmann. In der Folgezeit wurde der Vorstand laufend nach Bedarf ergänzt, zumeist durch Tod oder Wegzug aus der Provinz bedingt.64 Eine gesonderte Vorstandssitzung neben der Hauptversammlung fand erstmals am 9. Mai 1927 statt, nachdem eine solche auf der Jahresversammlung am 29. Oktober 1926 von Prof. Glagau in Vorschlag gebracht wurde. Erst ab da benannte man die Sitzungen der gesamten Kommission zur Unterscheidung von den Vorstandssitzungen Hauptversammlung. Gewöhnlich gab es zwei Vorstandssitzungen pro Jahr, eine unmittelbar vor der Hauptversammlung am selben Tag und eine ca. ein halbes Jahr zwischen zwei Hauptversammlungen. Ab 1935 gab es nur noch eine Vorstandssitzung pro Jahr in unmittelbarer Verbindung mit der Hauptversammlung. 1931 fanden nur zwei Vorstandssitzungen statt, 1938 gar keine. Die Hauptversammlung sollte, wie schon in der Satzung von 1911 festgelegt, mindestens einmal jährlich stattfinden.65 Auf ihr wurden nach der Satzung von 1925 die grundlegenden Entscheidungen getroffen (Abnahme des Jahresberichtes, Arbeitsplan für das folgende Jahr, Festsetzung der Vergütung der Vorstandsmitglieder, Abnahme der Jahresrechnung und Entlastung des Schatzmeisters und des Vorstandes, Wahl von Kommissions- und Vorstandsmitgliedern, Satzungsänderungen und ggf. Auflösung der Kommission).66 Der regelmäßige, mindestens einmal jährliche Turnus der Versammlungen wurde mehrfach durchbrochen, erstmals bereits mit Kriegsausbruch 1914, wodurch eine Unterbrechung bis 1920 entstand. Auch in den Folgejahren fanden die Sitzungen unregelmäßig statt, erst ab Verabschiedung der neuen Satzung 1925 pendelte sich der jährliche Turnus ein. Die Hauptversammlung fand nach anfangs wechselnden Terminen von 1925 bis 1930 im späten Herbst (Oktober bis Anfang Dezember) statt, von 1932 bis 1934 im Mai oder Juni, ab 1935 bis 1937 wieder im November bzw. Dezember, und zuletzt am 10. März 1939. Keine Hauptversammlungen wurden nach 1925 in den Jahren 1931 und 1938 durchgeführt. Der Terminwechsel der Hauptversammlung ab 1932 war durch eine Satzungsänderung herbeigeführt worden, nach der das Geschäftsjahr der Kommission nicht mehr das Kalender-, sondern das Rechnungsjahr (1. April bis 31. März) sein sollte. Hintergrund dieser Verschiebung war, daß die Hauptfinanzierung durch den Provinzialverband erfolgte, dessen Zuschüsse aber erst nach der Sitzung des Provinziallandtages im April freigegeben wurden.67

64 65 66 67

Entsprechend § 9 der Satzung vom 08.10.1925. § 16. § 18. Protokoll der Vorstandssitzung vom 23.11.1931, Pkt. 3 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 41), nachträgliche Genehmigung durch Hauptversammlung am 07.06.1932 (a.a.O., Bl. 42d).

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Dirk Schleinert

Tabelle 1: Die Sitzungen der Historischen Kommission zwischen 1911 und 193968 Art der Sitzung

Datum

Ort

Jahresversammlung

22. April 1912

Stettin

Jahresversammlung

17. April 1913

Stettin, Landeshaus

Jahresversammlung

9. März 1914

Stettin

Jahresversammlung

26. August 1920

Stettin, Landeshaus

Jahresversammlung

27. Juni 1923

Stettin, Landeshaus

Jahresversammlung

8. Oktober 1925

Stettin, Landeshaus

Jahresversammlung

29. Oktober 1926

Stettin Landeshaus

Vorstandssitzung

9. Mai 1927

Stettin, Landeshaus

Vorstandssitzung

9. Dezember 1927, 16:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Hauptversammlung

9. Dezember 1927, 17:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Vorstandssitzung

18. April 1928

Stettin, Landeshaus

Vorstandssitzung

8. November 1928

Stettin

68 69 70 71

Quelle: LAGw, Rep. 54, Nr. 621. Die Verwaltung des Provinzialverbandes war 1927 in den Neubau an der Kaiser-Wilhelm-Straße gezogen. Das alte Landeshaus in der Luisenstraße wurde 1928 zum Sitz des Provinzialmuseums pommerscher Altertümer, ab 1934 Pommersches Landesmuseum. Angabe von Ort und Uhrzeit für die Hauptversammlung fehlen im gemeinsamen Protokoll, wahrscheinlich nachmittags im selben Gebäude. Auch für das neue Verwaltungsgebäude des Provinzialverbandes bürgerte sich der Name Landeshaus ein.

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

Hauptversammlung

8. November 1928

Stettin

Vorstandssitzung

7. Mai 1929, 15:30 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude69

Vorstandssitzung

15. November 1929, 10:45 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Hauptversammlung

15. November 1929, 15:30 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Vorstandssitzung

14. Mai 1930, 16:00 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Vorstandssitzung

6. November 1930, 10:30Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Hauptversammlung

6. November 193070



Vorstandssitzung

16. Mai 1931, 16:00 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Vorstandssitzung

23. November 1931, 16:00 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Vorstandssitzung

7. Juni 1932, 10:30 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Hauptversammlung

7. Juni 1932, 16:00 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Vorstandssitzung

10. Dezember 1932, 16:00 Uhr

Stettin, Provinzialverwaltungsgebäude

Vorstandssitzung

28. Juni 1933, 10:30 Uhr

Stettin

Hauptversammlung

28. Juni 1933, 16:00 Uhr

Stettin

Vorstandssitzung

5. Dezember 1933, 16:00 Uhr

Stettin, Landeshaus71

Vorstandssitzung

30. Mai 1934, 12:00 Uhr

Stettin

145

146

Dirk Schleinert

Hauptversammlung

30. Mai 1934, 14:30 Uhr

Stettin

Vorstandssitzung

26. November 1935, 11:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Hauptversammlung

26. November 1935, 15:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Vorstandssitzung

4. Dezember 1936, 11:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Hauptversammlung

4. Dezember 1936

Stettin, Landeshaus

Vorstandssitzung

18. November 1937, 11:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Hauptversammlung

18. November 1937, 15:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Vorstandssitzung

10. März 1939, 11:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Hauptversammlung

10. März 1939, 15:00 Uhr

Stettin, Landeshaus

Ort der Zusammenkünfte war – soweit angegeben, in allen anderen Fällen kann dies vermutet werden – stets das Landeshaus in Stettin als Sitz des Provinzialverbandes. Die Kommission war ja bekanntlich eine Einrichtung des Provinzialverbandes und wurde von diesem hauptsächlich finanziert. Dementsprechend war der Landeshauptmann als Leiter der Verwaltung des Provinzialverbandes mit Ausnahme des ersten Vorsitzenden, Oberpräsident Helmuth von Maltzahn, auch stets Vorsitzender der Kommission. Kurzzeitige Unterbrechungen bzw. Vakanzen ergaben sich durch den Wechsel im Amt des Landeshauptmanns. Mit der Satzungsänderung von 1935 waren der Landeshauptmann bzw. 1. Landesdirektor automatisch Vorsitzender und dessen Stellvertreter 1. Stellvertreter der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle. Ebenso waren die übrigen Vorstandsämter automatisch mit bestimmten Institutionen verbunden. Von dort her kamen zwar auch bereits zuvor die Inhaber, aber jetzt wurde das in der Satzung von 1925 noch bestimmte und bis dahin auch formal ausgeübte Wahlrecht der Hauptversammlung abgeschafft. Allerdings wurde bereits 1933 der Mitgliederbestand der Kommission per Ernennung ergänzt, worüber lediglich vom Vorsitzenden berichtet wurde.72

72 Protokoll der Vorstandssitzung vom 05.12.1933 (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 45).

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

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Tabelle 2: Die Vorsitzenden, 1. Stellvertreter und Schriftführer der Kommission73 Vorsitzender

1. Stellvertreter

Schriftführer

Helmuth Frhr. v. Maltzahn (13.05.1911–26.08.1920)

Ernst-Mathias von Köller (13.05.1911–Sommer 192072)



Johannes Sarnow (26.08.1920–1924)

Hermann Hoogeweg (26.08.1920–192373) Otto Grotefend (1923–08.10.1925)

Ernst von Zitzewitz (08.10.1925–Apr. 1934)

Hans Glagau (08.10.1925–03.12.193474)

Ernst Jarmer (30.05.1934–Frühjahr 1935) von Frühjahr 1935 bis 26.11.1935 unbesetzt

Erich Randt (06.11.1930– 31.03.193576) von Ende 1934 bis 4.12.1936 unbesetzt

Manfred Schultze-Plotzius (26.11.1935–04.12.1936) Robert Schulz (04.12.1936–31.03.1940) Emil Mazuw (ab 01.04.1940)77

73 74 75 76 77 78 79

Otto Grotefend (08.10.1925– 30.06.193075)

Manfred Schultze-Plotzius (ab 04.12.1936)

Adolf Diestelkamp (ab 26.11.1935) ab Aug. 1939 Wahrnehmung durch die Vertreter Diestelkamps als Staatsarchivdirektoren (bis Aug. 1941 Fritz Morré, danach Hermann Gollub)

Quelle, wenn nicht anders angegeben: LAGw, Rep. 54, Nr. 621. Auf der Jahresversammlung am 26.08.1920 verlas der Vorsitzende v. Maltzahn das Schreiben v. Köllers über dessen Rücktritt. Der Wechsel von Hoogeweg auf Grotefend ist in den Protokollen nicht dokumentiert, aber wohl im Zusammenhang mit Hoogewegs 1923 erfolgter Versetzung in den Ruhestand als Direktor des Staatsarchivs Stettin zu sehen. Todesdatum nach der Personalakte im Universitätsarchiv Greifswald (UAG , Personalakten wissenschaftlicher Angestellter und Beamter, Nr. 48). Wechsel an das Staatsarchiv Hannover zum 01.07.1930 (GStAPK, I. HA, Nr. 2763, Bl. 6/7). Wechsel an das Staatsarchiv Breslau zum 01.04.1935 (GStAPK, I. HA, Nr. 2763, Bl. 61RS). Schreiben von Schultze-Plotzius an das Staatsarchiv Stettin vom 07.06.1940 (APS, Staatsarchiv Stettin (Hausbestand), Nr. 812 (ohne Blattzählung)).

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Dirk Schleinert

Die Arbeitsvorhaben der Kommission wurden entweder Einzelpersonen oder eigens dafür gebildeten Unterkommissionen, z. B. für die Pommerschen Lebensbilder, übertragen. Die Bearbeitung wäre ohne den institutionellen Rückhalt der Beauftragten nicht möglich gewesen. Eine besondere Rolle spielten hierbei das Historische Institut und das Historisch-Geographische Seminar der Universität Greifswald sowie das Staatsarchiv Stettin, wo so zentrale Vorhaben wie der Historische Atlas von Pommern, die Inventarisierung der nichtstaatlichen Archive und das Pommersche Urkundenbuch realisiert wurden. Durch kontinuierliche Zuwahl der Leiter weiterer Institutionen in Kommission und Vorstand wurden auch diese in die Kommissionsarbeit mit eingebunden. Die von Anfang an bereits satzungsmäßig beschlossene Einbeziehung der beiden wichtigsten Geschichtsvereine der Provinz, der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde und des Rügisch-pommerschen Geschichtsvereins, sicherte zudem die Beteiligung der nicht institutionell gebundenen Geschichtsforscher in der Provinz ab. Überhaupt möglich wurde die Tätigkeit der Kommission jedoch erst durch eine gesicherte finanzielle Ausstattung. Als Einrichtung des Provinzialverbandes von Pommern wurde sie die gesamte Zeit ihrer Existenz bis zum Zweiten Weltkrieg in erster Linie durch dessen Zuschüsse finanziert. In den ersten Jahren erfolgte eine Kofinanzierung durch den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, was v. a. durch die ursprüngliche Hauptbetätigung der Kommission, die Inventarisierung der nichtstaatlichen Archive, bedingt war. Mit der Satzungsänderung von 1925 traten private und öffentliche Stifter und Förderer hinzu. Ihr Anteil an der Gesamtfinanzierung sank jedoch infolge der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre erheblich. Dagegen wuchsen die Zuschüsse des Provinzialverbandes, und für einzelne Vorhaben, wie z. B. den Historischen Atlas, gab es auch eine Gegenfinanzierung von Dritten, hier der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Insgesamt wuchs das Haushaltsvolumen der Kommission zwischen 1913 und 1939 beträchtlich. Beliefen sich die Ausgaben des Jahres 1913 auf insgesamt 2 590,65 Mark, wurden sie 1939 auf 30 600 Reichsmark zuzüglich 6 397 Reichsmark für die Gesellschaft für Zeitungskunde und Buchdruck veranschlagt.

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

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Tabelle 3: Die Finanzen der Kommission zu ausgewählten Stichjahren80 Jahr

Bestand

Einnahme

Ausgabe

1913

2 000 Mark

1 000 Mark

2 590,65 Mark

1923

3 461,60 Mark

2 000 Mark für 1922 20 000 Mark für 1923

keine Angabe wegen der Inflation

1927

9 819,15 Reichsmark81

15 088,05 Reichsmark

3 174,45 Reichsmark

1933

3 191,36 Reichsmark82

9 653,55 Reichsmark

6 462,19 Reichsmark

1939

17 107,33 Reichsmark83

19 370 Reichsmark84

30 600 Reichsmark

Anlage 1 Auszug aus den Lebenserinnerungen des 1. Vorsitzenden der Historischen Kommission für Pommern, Helmuth Frhr. von Maltzahn-Gültz unter dem Titel „Erinnerungen Stettin 1900–1911, H. v. Maltzahn-Gültz“ maschinenschriftliches Manuskript im Besitz von Prof. Dr. Reimar von Alvensleben, Falkenberg, S. 73. In neuester Zeit ist nun noch eine dritte Organisation, die historische Kommission der Provinz Pommern, unter meinem Vorsitz ins Leben getreten. Den Anlaß dazu bot die Erkenntnis, daß überall in der Provinz in kirchlichen, kommunalen und Privatarchiven und im Privatbesitz eine Menge geschichtlich wertvollen Materials fast unbenutzt vorhanden ist, vielfach der Verwahrlosung entgegengeht, und daß die Aufspürung, Registrierung und Nutzbarmachung dieses Materials von hohem Wert sein würde. Diese Arbeit war ohne Mithilfe der staatlichen Archivverwaltung nicht auszuführen, einer solchen aber stellte sich der Umstand hindernd entgegen, daß eine für ganz Pommern zuständige Zentralstelle für solche Forschungen bisher fehlte. Auf Vorschlag des Generaldirektors des Staatsarchive wurde deshalb im Jahre 1911 nach dem Vorgang anderer Provinzen auch für Pommern eine historische Kommission gebildet, 80 81 82 83

Bestand am 27.10.1926. Bestand am 09.12.1933. Bestand am 10.03.1939. Davon 18 000 Reichsmark Zuschuß des Provinzialverbandes

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Dirk Schleinert

in welcher die Universität und die beiden Geschichtsvereine vertreten sind, und welcher der Oberpräsident, der Landeshauptmann und der Direktor des Stettiner Staatsarchivs angehören, deren Vorsitzender aber von der Kommission frei gewählt wird. Diese Kommission hat in den ersten Jahren ihres Bestehens fleißig gearbeitet, während jetzt des Krieges wegen ein gewisser Stillstand vorübergehend eingetreten ist.

Anlage 2 Satzung der Historischen Kommission für Pommern vom 13. Mai 1911 2 Seiten handschriftlich, zeitgleiche reprographische Vervielfältigung Quelle: UAG , R Nr. 884, Bl. 2 Satzung der historischen Kommission für die Provinz Pommern § 1. Es wird eine historische Kommission für die Provinz Pommern gebildet, deren Aufgabe es sein soll, •• das in der Provinz zerstreut vorhandene, geschichtlich wichtige Material an Urkunden, Akten usw. aufzusuchen, zu verzeichnen, der Benutzung zugänglich zu machen und, wo es gefährdet ist, vor Verwahrlosung zu schützen, •• die Erforschung und Bearbeitung der heimischen Geschichte auf jede andere Art, insbesondere durch geeignete Publikationen zu fördern. § 2. Der Kommission sollen angehören: •• der Oberpräsident der Provinz, •• der Landeshauptmann der Provinz, •• der Direktor des Königlichen Staatsarchivs zu Stettin, •• ein Vertreter der Universität Greifswald, •• ein Vertreter der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde, •• ein Vertreter des Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins, •• andere um die Pommersche Geschichte verdiente Männer. § 3. Die Kommission, welche zur Zeit aus den hier unterzeichneten sechs Mitgliedern besteht, ergänzt sich durch Zuwahl. Sie wählt den Vorsitzenden und dessen Stellvertreter aus ihrer Mitte durch Stimmenmehrheit der Anwesenden. Sie beschließt über alle zur Erfüllung ihres Zweckes erforderlichen Maßnahmen, insbesondere über die Verwaltung der ihr anvertrauten Gelder.

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Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

§ 4. Die Kommission tritt auf Einladung ihres Vorsitzenden nach Bedürfnis – mindestens einmal jährlich – zusammen. Alljährlich ist über die ausgeführten Maßregeln Bericht zu erstatten und über die Verwaltung der Gelder Rechnung zu legen. Stettin, den 13. Mai 1911 Dr. Freiherr von Maltzahn-Gültz, Oberpräsident.

Ernst Matthias von Köller, Staatsminister.

von Eisenhart-Rothe, Landeshauptmann.

D. Dr. Friedensburg, Archivdirektor.

Professor Dr. Bernheim, Geheimer Regierungsrat.

Dr. Wehrmann, Professor.

Anlage 3 Verteilung der Ausgaben der Historischen Kommission bzw. Landesgeschichtlichen Forschungsstelle für Pommern zu ausgewählten Stichjahren Quelle: LAG w, Rep. 54, Nr. 621 1.) 1913 (Bl. 6RS ) Druck von Heft 184 Ehrensold für Dr. Motzki Druckkosten für den Bericht über Saatzig85 etwa Reisekosten für Pyritz etwa Druckkosten und Ehrensold für das Stralsunder Bürgerbuch,86 zur Hälfte, etwa Schreibhülfe für Dr. Bergsträsser

44,65 Mark 200 Mark 600 Mark 600 Mark 600 Mark 150 Mark 2  590,65 Mark

84 Arthur Motzki, Urkunden zur Camminer Bistumsgeschichte auf Grund der Avignonesischen Supplikenregister (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, 1, H. 1), Stettin 1913. 85 Otto Grotefend, Bericht über die Verzeichnung der kleineren nichtstaatlichen Archive des Kreises Saatzig in Pommern (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, 2, H. 1), Stettin 1913. 86 Robert Ebeling, Das älteste Stralsunder Bürgerbuch (1319–1348) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, 1, H. 2), Stettin 1926.

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Dirk Schleinert

2.) 1928 (Bl. 27) Historischer Atlas für Pommern Pommersches Urkundenbuch Druck der Kantzowschen Chronik87 Bearbeitung des Ebo, Vita Ottonis88 Inventarisierung im Kreise Stolp89 Flurnamenforschung Pommersche Bibliographie Urkundenabschriften aus dem St. A. Danzig im ganzen

1 800 Reichsmark 300 Reichsmark 2 000 Reichsmark 900 Reichsmark 500 Reichsmark 1  000 Reichsmark 500 Reichsmark 500 Reichsmark 7  500 Reichsmark

3.) 1933 (Bl. 44RS ) Historischer Atlas 2  600 Reichsmark Urkundenbuch 2  680 Reichsmark Flurnamenforschung 1  000 Reichsmark Literaturberichte des Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins 300 Reichsmark Pommersche Lebensbilder90 800 Reichsmark Ebos Vita Ottonis 700 Reichsmark Bibliographie zur pommerschen Geschichte 300 Reichsmark 91 Forschungsbeihilfe Gohrbandt 100 Reichsmark 7  480 Reichsmark 4.) 1939 (Bl. 52b) B Ausgabe

87 Georg Gaebel, Des Thomas Kantzow Chronik von Pommern in niederdeutscher Mundart (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, 1, H. 4), Stettin 1929. 88 Vgl. Adolf Hofmeister, Eine metrische Bearbeitung von Ebos Vita Ottos von Bamberg. Ein Beitrag zur Geschichte seines Fortlebens in Pommern im späteren Mittelalter, in: BaltStud, N.F., 33/1931, H. 1, S. 23–45. 89 Georg Kupke, Bericht über die Verzeichnung der kleineren nichtstaatlichen Archive des Kreises Stolp in Pommern (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, 4, H. 1), Stettin 1929. 90 Pommersche Lebensbilder, 1. Band: Pommern des 19. und 20. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle (Historischen Kommission) für Pommern), hg. v. Adolf Hofmeister, Erich Randt, Martin Wehrmann, Stettin 1934. 91 Mittelschullehrer Emil Gohrbandt hatte einen Atlas mit mehreren Spezial- und einer Übersichtskarte zur Situation in Pommern zum Zeitpunkt der Aufhebung der Erbuntertänigkeit angefertigt und im Staatsarchiv Stettin deponiert. Dafür und für weitere Forschungen wurden ihm auf der Hauptversammlung am 28.06.1933 auf Antrag von Staatsarchivdirektor Erich Randt 100 Reichsmark Beihilfe gewährt (LAGw, Rep. 54, Nr. 621, Bl. 44b).

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

1) Inventarisation der nichtstaatlichen92 Archive Druckkosten: a. Inventar Anklam93 b. Inventar Lauenburg c. Inventare Regenwalde und Rummelsburg d. Inventar Randow

2) Historischer Atlas a. Honorar für Prof. Dr. Curschmann b. Honorar für Dr. v. Schulmann c. Honorar für Dr. Rubow d. Druckkosten (Fa. Krause) e. Reisekosten u. Portoauslagen

3) Pommersches Urkundenbuch a. Honorare b. Druckkosten c. Reisekosten u. Portoauslagen

4) Flurnamenforschung 5) Pommersche Bibliographie 6) Pommersche Lebensbilder a. 1. Jahresrate b. Reisekosten

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2  300 Reichsmark 500 Reichsmark 600 Reichsmark 300 Reichsmark 3  700 Reichsmark

800 Reichsmark 1 800 Reichsmark 400 Reichsmark 3 100 Reichsmark 500 Reichsmark 6  600 Reichsmark

3  000 Reichsmark 1  200 Reichsmark 200 Reichsmark 4  400 Reichsmark 1  200 Reichsmark 600 Reichsmark

800 Reichsmark 300 Reichsmark 1  100 Reichsmark

7) Bestandsaufnahme der Wall- und Wehranlagen

50 Reichsmark

8) Regesten der Herren v. Putbus94

1  500 Reichsmark

92 In der Vorlage steht „nichstattlichen“. 93 Hans Bellée, Bericht über die Verzeichnung der kleineren nichtstaatlichen Archive des Kreises Anklam (Veröffentlichungen der landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern, Abt. Geschichte, 2, H. 6), Stettin 1941. Die Inventarisationen der anderen angeführten Kreise sind nicht mehr dokumentiert worden. 94 Dietrich Kausche, Putbusser Regesten. Regesten und Urkunden zur Geschichte der Herren von Putbus und ihres Besitzes im Mittelalter (Veröffentlichungen der landeskundlichen

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9) Geschichte der pom. Prov. Stände95

300 Reichsmark

10) Literaturbericht

550 Reichsmark

11) Erforschung der Auswanderung aus Pommern

500 Reichsmark

12) Druckkostenzuschuß (Pfälzer Kolonisation)96

2 100 Reichsmark

13) Zuschuß an die Gesellschaft für Zeitungskunde und Buchdruck

3  000 Reichsmark

14) Anklamer Stadtbuch97

1  000 Reichsmark

15) Für allgemeine Geschäftsbedürfnisse

1 000 Reichsmark

16) Restausgaben 1938

3 000 Reichsmark 30  600 Reichsmark

Anlage 4 Tätigkeitsbericht der Landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern, Abt. Geschichte (ehemals Historische Kommission) für den Zeitraum vom 10. März 1939 bis zum 30. November 1942 Quelle: APS , Staatsarchiv Stettin (Hausbestand 9, Nr. 812 (ohne Blattzählung, aber interne Seitenzählung des Dokuments) Korrigierter Entwurf, 5 Seiten, handschriftlich, wahrscheinlich unvollständig, o. O. u. D., Verfasser unbekannt

Forschungsstelle der Provinz Pommern, Abt. Geschichte, 7), Stettin 1940. 95 Bearbeiter war Oskar Eggert. Aus den geretteten Resten seiner Forschungen ist später erschienen: Stände und Staat in Pommern im Anfang des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe 5, H. 8), Köln/Graz 1964. 96 Otto Gebhard, Friderizianische Pfälzerkolonien in Brandenburg und Pommern (Veröffentlichungen der landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern, Abt. Geschichte, 6, zugleich: Brandenburgische Forschungen, 1), Stettin 1939. 97 Johannes Weygardus Bruinier, Das Stadtbuch von Anklam, Bd. 1–3 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe 4, H. 4–6), Köln/Graz 1960–65.

Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern

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(S. 1) Arbeiten der Landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern – Abt. Geschichte – (seit der letzten Hauptversammlung vom 10.3.1939 bis zum 30.11.1942). 3a)98 Inventarisation: Erschienen ist 194199 als Bd. II Heft 6 der „Veröffentlichungen der Landeskundl. Forschungsstelle d. Prov. Pommern“ das Inventar des Kreises Anklam von Staatsarchivrat Dr. Bellée und Rektor i. R. R. Bollnow unter Mitarbeit von Staatsarchivrat Dr. Branig und Oberstudienrektor Dr. Heydel (Kommissionsverlag L. Saunier, Stettin100 [251 Seiten]). Die Inventarisation der Lauenburger und Bublitzer Kreise durch StARt. Dr. Branig und StAD irektor Dr. Diestelkamp konnte infolge Kriegsausbruchs nicht fortgesetzt werden. 3b) Historischer Atlas der Provinz Pommern. Erschienen ist 1939:101 Die Besitzstandskarte von 1780, bearbeitet von F. Curschmann, E. Rubow u. G. Steckhan.102 Dazu ein „Erläuterungsheft“ von F. Curschmann u. G. Steckhan. Die Arbeiten sind inzwischen von Prof. Curschmann unter zeitweiliger Mitarbeit von Dr. W. v. Schulmann weitergeführt worden und zwar ist eine „Besitzstandskarte von 1630“ in Angriff genommen, die voraussichtlich nach Kriegsende gedruckt werden kann. Da ferner endlich das Papier für die schwedischen „Matrikelkarten“ bereitgestellt ist, kann deren Druck in nächster Zeit beginnen. (Deren Finanzierung trägt die Forschungsgemeinschaft u. die Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung, nicht aber die Landeskundliche Forschungsstelle). (S. 2) 3c) Pommersches Urkundenbuch (PUB ). Erschienen ist 1940:103 Die 3. Lieferung von Bd. VII , bearbeitet von StAR t. Dr. Sandow. Diese Lieferung enthält104 nur Nachträge zu Bd. I–VII des PUB , und zwar aus den105 Jahren 1190–1329.106

98 Die Gliederung des Berichtes und die Bezeichnung der Gliederungspunkte folgen der Gliederung des Protokolls der Hauptversammlung vom 10.03.1939. 99 Jahreszahl über der Zeile nachgetragen. 100 Danach gestrichene Jahreszahl „1941“. 101 Jahreszahl über der Zeile nachgetragen. 102 Danach gestrichene Jahreszahl „1939“. 103 Jahreszahl über der Zeile nachgetragen. 104 Danach gestrichenes „für“. 105 Wortgruppe „und zwar aus den“ über gestrichener Wortgruppe „d. h. für die“ nachgetragen. 106 Jahresangabe hinter gestrichener Angabe „1225–1329“ nachgetragen.

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Dirk Schleinert

Das Register zu Bd. VII . hat StAR t.107 Dr. Frederichs begonnen. Vom108 Sommer 1939 führte109 diese Arbeit Dr. Koeppen bis zum Kriegsausbruch fort. Von April110 1942 bis August111 bearbeiteten es die StAR te. Dr. Gollub und Dr. Reuter,112 seit September letzterer allein. Im Jahre 1940 hatte StAR t. Dr. Morré bereits 7 Bogen113 des Bds. VIII . des PUB – für die Jahre 1331–1335 – 114drucken lassen, als seine Einberufung erfolgte. Z. Zt. werden Bogen 8–21 von Prof. Hofmeister zum Druck fertig gestellt, während Bogen 22 und 23 bereits im Satz stehen. Zur Fortsetzung des PUB wurde 1.6.39 Frl. Magister S. Lübe aus Reval (jetzt verehelichte Hildebrand115) hauptamtlich116 eingesetzt. Sie hat bis zum 31.12.1941117 beachtliche Vorarbeiten für die Bde. IX –XI , die die Jahre 1336–1350 behandeln118 sollen, geleistet. Da die anfängliche Planung des PUB nur den119 alten Umfang Pommerns berücksichtigte, wurde nach der Angliederung der neumärkisch-grenzmärkischen Kreise eine entsprechende Erweiterung des Arbeitsgebietes für das PUB beschlossen. Ein Ergänzungsband sollte den Urkundenstoff dieser angegliederten Kreise bis 1350 enthalten. Der Krieg hat die Ausführung dieses in der Grenzmark lebhaft begrüßten Planes bisher verhindert. 3d) Sammlung der Flurnamen: Geh. Rat Holsten teilt mit, daß umfangreiche Sammlungen für die Kreise Regenswalde und Greifenberg vorliegen, jedoch nicht abgeschlossen werden können, weil die beiden zuständigen Mitarbeiter im Felde stehen. Die „Forst- (S. 3) Flurnamen der Ueckermünder Heide“ von Heinrich Bosse sind zwar gesetzt, können aber wegen Papiermangels nicht erscheinen. Aus demselben Grunde war der Druck des gleichfalls gesetzten Werkes von Geheimrat Holsten selbst: „Die pommersche120 Flurnamensammlung“ nicht möglich, doch konnten eine kleine121 Anzahl von122 Sonderdrucken zum 80. Geburtstag des Verfassers hergestellt werden.

107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122

Davor gestrichenes „Dr.“. Wort über der Zeile nachgetragen. Wort über gestrichenem „übernahm“ nachgetragen. Wort über gestrichenem „Anfang“ nachgetragen. Wort über gestrichenem „Februar“ nachgetragen. Davor gestrichenes „For“. Wortgruppe „bereits 7 Bogen“ über der Zeile nachgetragen, danach Wortgruppe „(den Druck)“ gestrichen. Davor gestrichenes „begonnen“. Name über gestrichenem „Zimmermann“ nachgetragen.. Davor gestrichenes „als“. Wortgruppe „bis zum 31.12.1941“ über der Zeile nachgetragen. Wort über gestrichenem „umfassen“ nachgetragen. Wort korrigiert aus „der“. Wort korrigiert aus „Pommersche“. Wort über der Zeile nachgetragen. Wort über der Zeile nachgetragen.

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Die Arbeiten von Holsten und Bosse sollten als Bd. 1 und 2 der Abteilung Volkskunde der Veröffentlichungen des Landeskundlichen Forschungsstelle erscheinen. 3e) Pommersche Bibliographie. Univ. Bibliotheksdirektor Dr. Menn berichtet: Die Erscheinungen des Jahres 1939 wurden verzettelt und in die Zettelkästen im Anschluß an die Jahresbibliographie eingeordnet. Für die Rückwärtsergänzung hat Bibliothekar Dr. Zunker große Teile des Alfabetischen Katalogs der UBibl. Greifswald durchgearbeitet. Diese Arbeit hat123 Dir. Menn nach Einberufung des Dr. Zunker fortgesetzt, doch ist er jetzt infolge der Kriegslage dazu bis auf weiteres nicht imstande. 3f ) Pommersche Lebensbilder. Bd. 4 wird von Prof. Hofmeister u. Stadtbüchereirat Dr. Braun bearbeitet. Er umfaßt Beiträge aus dem 17. bis 20. Jht. Bisher sind etwa 28 Bogen gesetzt, der Ausdruck aber wegen Papiermangels nicht möglich. Geplant ist ein weiterer Band mit besonderer Berücksichtigung der neu zu Pommern gelangten Kreise und ferner ein eigner Soldatenband. Erschienen ist als Sonderheft „Schill“ von Prof. Klaje. 3g) Verzeichnis der Wall- und Wehranlagen. Herr Studienrat Dr. Bollnow, Anklam, hat sich, soweit ihm möglich war, eingehend mit (S. 4) geschichtlichen Burgwällen beschäftigt und besonders umfangreiche Untersuchungen über Wollin, Kolberg, Cammin und Usedom ausgeführt. 3h) 1. Die Putbusser Regesten, bearbeitet von StAR t. Dr. Kausche als Bd. VII der Veröffentlichungen der Landesk. Forsch.Stelle, Abt. Geschichte, 1940 erschienen. (2. Lorentz, Etymologisches Wörterbuch der slawischen Ortsnamen Pommerns, befindet sich z. Zt. noch in Berlin). 3. Geschichte der pommerschen Provinzialstände, bearbeitet von Heeresstudienrat Dr. Eggert. Infolge der Kriegszustände konnten nur einzelne Abschnitte bearbeitet werden, nämlich: die Auseinandersetzungen der Stände mit den Franzosen 1806–08; die Einführung der Städteordnung in Pommern 1809. Falls keine Hindernisse eintreten, werden bis Ostern 1943 beendet sein: das Kriegsschuldenwesen in Pommern bis 1811 und die Bauernbefreiung bis zum Beginn der Notabelnversammlung 1811. 4. Literaturbericht, bearbeitet von Bibliotheks124-Oberinspektor Hans Ziegler. Die Bibliographie für 1939 ist erschienen im Bd. 34 der Pommerschen Jahrbücher (1940, S. 127–210). Berücksichtigt sind hierbei die neu zu Pommern geschlagenen Kreise. Die Bibliographie für 1940 ist handschriftlich völlig, die für 1941 nahezu abgeschlossen. Die Veröffentlichung ist erst mit dem Wiedererscheinen der Pomm. Jahrbücher möglich. 123 Korrigiert aus „hatt“. 124 Wort über der Zeile nachgetragen.

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Dirk Schleinert

5. Anklamer Stadtbuch, bis März 1939 bearbeitet von Stud. Rat Dr. Bruinier, seitdem von Prof. Hofmeister und Stud. Rat Dr. Bollnow fortgesetzt. Ausgedruckt sind 29 Bogen, 2 ½ Bogen sind gesetzt. Es stehen noch aus: das Register und die Einleitung. 6. Die Kirchenvisitationen Pommerns von 1535–1555, bear-(S. 5) beitet von Pfarrer H. Heyden. Die bisherige Niederschrift umfaßt rund 720 Schreibmaschinenseiten,125 ist soweit ausgearbeitet, daß der Ausdruck erfolgen könnte. 7. Auswanderung aus Pommern. Da der Bearbeiter, StAR t. Dr. Seeberg-Elverfeldt, bereits seit 1939 nach dem Generalgouvernement abgeordnet ist, ruhen die begonnenen Forschungen vorläufig. 8. Friederizianische Pfälzerkolonien in Brandenburg und Pommern. Erschienen 1939/40 als Bd. VI . der Veröffentlichungen der Landesk. Forsch. Stelle, Abt. Geschichte, bearbeitet von Schulrat Gebhard. 9. Die geplante Konferenz de landesgeschichtlichen Institute konnte des Krieges wegen nicht stattfinden. 3i) Geschichte des pommerschen Buchdrucks im 17. Jht., geplant als Veröffentlichung für das Gutenberg-Jubiläum 1940 im Rahmen der Ges. f. Zeitungskde. u. Buchdruck in Pommern. Das Zettelverzeichnis der pommerschen Drucke – fortgeführt bis etwa 1800 – befindet sich teils auf der Univ. Bibliothek in Greifswald, teils bei Direktor Prof. Dr. Luther, der die Bearbeitung der Darstellung des 17. Jhdts. übernommen hat. 3k) Die Archivberatungsstelle beim StA. Stettin (Sonderbericht aus Jahresbericht für 1941 ist vorgelegt). 5) Arbeit des Herrn E. Gohrbandt über das Bauernlegen in Ostpommern liegt abgeschlossen vor, kann aber Kriegswegen nicht gedruckt werden. Herr G. arbeitet z. Zt. an einer Darstellung des Amtes Rügenwalde bis zur Aufhebung der Erbuntertänigkeit.

125 Danach gestrichene Wortgruppe „damit sind die“.

Jürgen Petersohn

Die Historische Kommission für Pommern im Exil (1951–2001) Historische Kommissionen für territoriale Einheiten könnte man definieren als Zusammenschlüsse von Fachleuten, die mit der Erforschung und Nutzbarmachung der geschichtlichen Quellen und Befunde eines bestimmten historisch-politischen Raumes beauftragt sind. Wie aber, wenn dieses Objekt plötzlich nicht mehr existiert oder für nicht existent erklärt wird? Ist damit auch die „commissio“ eines solchen Gremiums erloschen? Wird das Interesse an dieser Thematik bzw. die Verantwortung für diese Aufgabe dann zum privaten Hobby (wie Orchideenzüchten oder Käfersammeln), das allenfalls eine Vereinsbildung rechtfertigt, ohne einen öffentlichen Auftrag zu genießen und eine staatliche Förderung beanspruchen zu können? Dieser absurde, aber, wie die Erfahrung gelehrt hat, durchaus mögliche Zustand trat für eine große Zahl Historischer Kommissionen in Deutschland mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein, als einerseits nahezu ein Viertel des deutschen Staatsgebietes jenseits von Oder und Neiße vom Deutschen Reich abgetrennt, anderen politischen Hoheiten zugesprochen und seine Bevölkerung vertrieben wurde, andererseits in den Gebieten der nunmehrigen DDR die anfänglich errichteten Länder durch eine zentralistisch verwaltete Bezirkseinteilung ersetzt und die Beschäftigung mit der jeweiligen Landesgeschichte aus politischen Gründen tabuisiert wurde. Waren Historische Kommissionen traditioneller Form für Pommern, Schlesien, Ost- und Westpreußen usw. außerhalb ihres eigentlichen Zuständigkeitsgebietes und ohne ihre ursprünglichen Auftrags- und Förderungsinstitutionen überhaupt möglich? Mit diesen Fragen sind Problematik und Rahmensituation für das Fortbestehen der Historischen Kommission für Pommern1 in der Bundesrepublik Deutschland während der von mir zu behandelnden Zeit umrissen, einer Zeit, die ich als „Existenz im Exil“ bezeichnen möchte. Es handelte sich zwar um ein zeitlich begrenztes Exil, da der Historischen Kommission durch eine glückliche politische Fügung schließlich nach dem Jahr 1989 die Rückkehr in den unter deutscher Hoheit verbliebenen und wieder einer freiheitlichen Willensbildung fähigen Teil ihres eigentlichen Arbeitsgebietes gelang; aber eben doch, was die 1

Zur Kommissionsgeschichte insgesamt Roderich Schmidt, Die Historische Kommission für Pommern in Vergangenheit und Gegenwart, in: BaltStud, N.F., 55/1969, S. 111–124; Ders., Die Historische Kommission für Pommern, Acht Jahrzehnte Landesgeschichtsforschung, in: Pommern. Geschichte – Kultur – Wissenschaft. 1. Kolloquium zur Pommerschen Geschichte 13. bis 15. November 1990, Greifswald 1991, S.24–36; Ders., Pommersche Landesgeschichte und die Historische Kommission für Pommern, in: Ders., Das Historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, Köln/Weimar/Wien 2007, S. 677–711; Ders., Achtzig Jahre Historische Kommission für Pommern 1910–1990. Verzeichnis ihrer Veröffentlichungen, Ebsdorfergrund 1990.

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Jürgen Petersohn

strukturellen Bedingungen und Wirkungen angeht, eines Exils. Chronologisch gesehen umfaßt dieser Abschnitt ein halbes Jahrhundert Kommissionsgeschichte vom Jahre 1951 bis zum Jahre 2001. Ich gliedere ihn in drei Kapitel, die sich mit der Wiederbegründung und Sammlung der Historischen Kommission durch Adolf Diestelkamp (1951–1955), ihrem Aufblühen unter Franz Engel (1955–1967) und der fast dreieinhalb Jahrzehnte umfassenden Kommissionsführung durch Roderich Schmidt (1967–2001) beschäftigen. Erläuternd möchte ich hinzufügen, daß mir diese Aufgabe eher nolens als volens zugewachsen ist, da der eigentlich hierfür Berufene sich aus gesundheitlichen Gründen zu unser aller Bedauern dazu außerstande sah. Klarstellen muß ich auch, daß mir keine offiziellen Kommissionsakten zur Verfügung standen, so daß ich über allgemeine Publikationen hinaus im wesentlichen auf meine eigenen Unterlagen und Aufzeichnungen seit dem Beginn meiner Mitgliedschaft in der Historischen Kommission im Jahre 1958 angewiesen war2 und gelegentlich auch das Archiv meines Gedächtnisses zu Hilfe nehmen muß. Eine aktenkundliche Geschichte der Historischen Kommission dieser Jahre kann ohnehin nicht Aufgabe des heutigen Vortragsprogramms sein, bleibt somit Desiderat der Zukunft.

Wiederbegründung und Sammlung: Adolf Diestelkamp (1951–1955) Daß das Jahr 1945 kein definitives „Aus“ der Historischen Kommission für Pommern brachte, ist der Entschlossenheit und Tatkraft Adolf Diestelkamps zu verdanken. Diestelkamp kam aus der Geschichts- und Forschungslandschaft Sachen-Anhalts, für die er wichtige mediävistische Grundlagenarbeiten leistete.3 1933 als Direktor an das Staatsarchiv Stettin berufen, übernahm er die Schriftführung der Historischen Kommission, deren offizielle Benennung – im wesentlichen unter Beibehaltung ihrer Aufgabenstellung – 1934 in „Landesgeschichtliche...“, 1939 in „Landeskundliche Forschungsstelle der Provinz Pommern“ umgewandelt wurde.4 Nach 1945 erfaßte Adolf Diestelkamp mit anderen im Westen die Schaffung von Institutionen und Zusammenschlüssen für die Fortführung landesgeschichtlicher Arbeit über die einstigen Ostprovinzen als aktuelle Herausforderung. Seine wichtigste Leistung in diesem Zusammenhang war die Rekonstitution der Historischen Kommission für Pommern und die Sammlung und Zusammenführung ihrer verbliebenen Mitglieder. Daß ihm bereits am 27. April 1951 in Hannover die Wiederbegründung der Historischen Kommission unter ihrem alten Namen gelang,5 war nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, daß sich im Jahr zuvor unter maßgeblicher Trägerschaft des Bundes der Johann Gottfried

2 Diese werden jeweils mit dem Sigle UP = Unterlagen Petersohn gekennzeichnet. 3 Kurt Dülfer, Adolf Diestelkamp (1900–1955), in: ZfO 5/1956, S. 538 f., 541 f. 4 Schmidt, Die Historische Kommission in Vergangenheit, (wie Anm. 1), S. 113. 5 Adolf Diestelkamp, Die Historische Kommission für Pommern, in: ZfO 2/1953, S. 281–285.

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Herder-Forschungsrat mit dem von ihm geleiteten Herder-Institut in Marburg konstituiert hatte,6 der gegenüber den Historischen Kommissionen Ostdeutschlands zentrale Funktionen der organisatorischen und finanziellen Koordination übernahm. Paragraph 4 der neuen Kommissionssatzung besagt: „Die für ihre Zwecke erforderlichen Mittel erhält die Historische Kommission vom Johann Gottfried Herder-Forschungsrat auf ihren Antrag für bestimmte Forschungsvorhaben“. Auf die nunmehrigen Gegebenheiten und Bedürfnisse zugeschnitten war auch § 1: „Sitz der Kommission ist der Wohnort des jeweiligen Vorsitzenden“ – also kein fester, auf die Institution bezogener Sitz, wie bislang Stettin oder später einmal Greifswald, sondern mit dem Vorsitzenden durch die Lande ziehend, wie einst das mittelalterliche deutsche Königtum (was für die Archivierung übrigens ähnliche Folgen hatte wie bei diesem). Durch diesen Paragraphen ist auch der zeitliche Endpunkt unserer Thematik durch den offiziellen Wechsel des Vereinssitzes von Marburg nach Greifswald im Jahre 2001 zwingend gefordert. Mit der Wiederherstellung der Historischen Kommission begann die Sammlung ihrer überlebenden und über ganz Restdeutschland verstreuten Mitglieder. Hatte der Mitgliederbestand vor 1945 etwa 100 Personen in den Kategorien Stifter, Förderer und Mitglieder umfaßt, so konnte Diestelkamp in seiner Überschau des Jahres 1953 gerade „etwa 20“, nun unterschieden in ordentliche und außerordentliche Mitglieder, nennen.7 Adolf Diestelkamp starb wenige Jahre nach dem Neubeginn der Kommissionsarbeit am 26. Februar 1955.8 Der erfolgreiche Aufbruch von diesen Fundamenten aus gelang erst seinem Nachfolger.

Der Aufbruch: Franz Engel (1955–1967) Zum neuen Vorsitzenden wurde am 25. Oktober 1955 der Mecklenburger Franz Engel, als Diestelkamps Mitarbeiter im Staatsarchiv Hannover bereits mit den Aufgaben und ­Problemen der Historischen Kommission vertraut, gewählt. Franz Engel, seit November 1936 am Staatsarchiv Stettin tätig, 1939 Archivrat in Schwerin, alsbald aber zum Militärdienst

6 Hugo Weczerka, Johann Gottfried Herder-Forschungsrat, in: Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz, hg. von Erwin Oberländer, Stuttgart 1992, S. 256–275; Eduard Mühle, Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung (Schriften des Bundesarchivs, 65), Düsseldorf 2005, S. 414 ff. Zur Vorgeschichte a.a.O., S. 393 ff. Diestelkamp gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Herder-Forschungsrates (a.a.O., S. 415 Anm. 1094). Vgl. auch das Schreiben Aubins an Diestelkamp vom 01.02.1950 in: Briefe des Ostforschers Hermann Aubin aus den Jahren 1910–1968 (Quellen zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, 7), Marburg 2008, S. 419, Nr. 151. 7 Diestelkamp, Die Historische Kommission, (wie Anm. 5), S. 283. 8 Dülfer, Adolf Diestelkamp, (wie Anm. 3), S. 538.

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eingezogen, war seinen Interessen und Publikationen nach Siedlungshistoriker mit ausgeprägt kartographischen Neigungen.9 Seine bleibende Leistung für die Historische Kommission war die zu dieser Zeit kühne, um nicht zu sagen: gewagte Neufassung ihres Arbeits- und Publikationsprogramms. Hatte die alte Kommission ihre Veröffentlichungen im wesentlichen, so wie es kam, in durchgezählten Bänden und Heften vorgelegt, sollten die künftigen entsprechend dem Entwurf von 1958 in fünf systematische Abteilungen gegliedert erscheinen, deren erste (I) als „Ältere Reihe“ die vor 1945 erschienenen Bände mit dem Zusatz „vergriffen“ umfaßte. Zu jener Zeit noch völlig unbesetzt waren die Reihen II : „Pommersches Urkundenbuch“, III: „Historischer Atlas von Pommern“, IV: „Quellen zur pommerschen Geschichte“, V: „Forschungen zur pommerschen Geschichte“. Das war, genau besehen, ein Wechsel auf die Zukunft, der jedoch erstaunlich rasch eingelöst wurde, obwohl die Frage der Mit- und Zuarbeiter sich zunächst als kaum lösbares Problem aufzutürmen schien. Das Mitgliederverzeichnis vom Jahre 1959 umfaßte, abgesehen von dem Ehrenvorsitzenden Dr. Schultze-Plotzius und dem dreiköpfigen Vorstand 20 ordentliche und ein korrespondierendes, jenes vom Jahre 1963 23 ordentliche und ein korr. Mitglied.10 Im Jahre 1954 hatte man sich unter Diestelkamp darauf geeinigt, daß die Zahl von 20 Mitgliedern nicht überschritten werden solle. Die Kommissionssitzung vom Jahre 1959 entschloß sich, angesichts der veränderten Bedürfnisse und Herausforderungen dieses Limit auf 25 zu erhöhen.11 Wesentlich für die Gewinnung neuer Mitglieder und die Inauguration neuer Vorhaben wurden die Vorträge der mit den Geschäftssitzungen verbundenen Arbeitstagungen der Historischen Kommission. Zu nennen sind hier jene vom 07. bis 09. Mai 1959 in Hannover, jene vom 01. bis 03. November 1963 in Bückeburg, wo Engel inzwischen die Leitung des neugegründeten Staatsarchivs übernommen hatte, und jene vom 03. bis 05. Juni 1966 in Bad Godesberg. Für den gebürtigen Schweriner Franz Engel war es selbstverständlich, in die Arbeit der Historischen Kommission für Pommern auch seine Heimat Mecklenburg einzubeziehen, was im übrigen der anfänglichen staatlichen Zusammenfassung von Mecklenburg und Vorpommern, die erst sehr viel später bleibende Wirklichkeit werden sollte, entgegenkam. Um diesen Möglichkeiten zu genügen, zumal Mecklenburg keine funktionsfähige Historische Kommission besaß, nannte Engel das wissenschaftliche Programm der Kommissionstagungen von 1963 und 1966 schlicht „Pommern-Mecklenburg“ und vereinte auf

9 Hans Branig, Franz Engel. 28. Juni 1908–11. September 1967, in: BaltStud, N.F., 54/1968, S. 125–129; Roderich Schmidt, Franz Engel in Memoriam, in: Franz Engel, Beiträge zur Siedlungsgeschichte und historischen Landeskunde. Mecklenburg – Pommern – Niedersachsen, hg. von Roderich Schmidt, Köln/Wien 1970, S. XI–XXXIX. 10 Beilagen zu den Berichten über die Mitgliederversammlungen vom 08.05.1959 und 01.11.1963 (UP). 11 Bericht über die Mitgliederversammlung vom 08.05.1959, S. 3 (UP).

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ihnen Vorträge dieser Rahmenthematik, wie überhaupt die Bandbreite der unter diesem Oberbegriff berührten Themen erstaunlich weit gespannt war. Die Tagung des Jahres 1966 fand bereits unter dem Damoklesschwert der schweren Erkrankung Franz Engels statt. Am 11. September 1967 erlag er seinem Leiden. Franz Engels Verdienst um die Historische Kommission für Pommern wird für alle Zeiten in der entschlossenen und erfolgreichen Erweiterung ihres Arbeits- und Publikationsprogramms und in dem tatkräftigen Bemühen um die Gewinnung jüngeren Nachwuchses bestehen. Durch seinen Einsatz war die personelle und wissenschaftliche Zukunft der Historischen Kommission gesichert.

Roderich Schmidt (1967–2001) Mit dem Tod Franz Engels wurde bereits der dritte Amtswechsel im Vorsitz der Historischen Kommission innerhalb von zwei Jahrzehnten notwendig. Die Neuwahl fand am 18. November 1967 in Göttingen statt. Sie fiel, wie zu erwarten auf Roderich Schmidt, der am 08. Mai 1959 als ord. Mitglied in die Historische Kommission aufgenommen und am 01. November 1963 in deren Vorstand berufen worden war.12 Roderich Schmidt, geboren am 07. Februar 1925 in Demmin, war entscheidend durch das Studium der Geschichte und Theologie an der pommerschen Landesuniversität geprägt. Er hat seine Greifswalder Schulung, die er namentlich bei Adolf Hofmeister empfing, stets stolz und dankbar bekannt. Seit 1951 Assistent am Historischen Institut, profilierte er sich in den folgenden Jahren insbesondere durch Forschungen zum Greifswalder Universitätsjubiläum von 1956, sah sich zwei Jahre später freilich, da er nicht bereit war, auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus zu arbeiten, gezwungen, seine Heimat zu verlassen. An der Universität Bonn wurde er Assistent des Mediävisten Helmut Beumann, mit dem er 1964 nach Marburg ging, wo er sich 1969 habilitierte. Marburg wurde durch die hier – vor allem in Gestalt des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates und des Herder-Instituts – gebotenen Arbeitsmöglichkeiten und Chancen für die Ostmitteleuropa-Forschung auch für sein Wirken als Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern bestimmend.13 Mit der Vorstandswahl des Jahres 1967 brach in der Geschichte der Historischen Kommission die fast dreieinhalb Jahrzehnte währende Ära Roderich Schmidt an, die deren Bestand und Entwicklung im westdeutschen Exil maßgeblich geformt hat; dreieinhalb Jahrzehnte

12 Protokoll über die Sitzung der Historischen Kommission für Pommern am 18.11.1967 in Göttingen (UP). 13 Jürgen Petersohn, Laudatio für Prof. Dr. Roderich Schmidt. Zur Verleihung des Pommerschen Kulturpreises für Wissenschaft 1982 der Pommerschen Landsmannschaft am 26. Juni 1982 in Dortmund, in: Pommern. Kunst – Geschichte – Volkstum 20,3/1982, S. 1–5; Ludwig Biewer, Schmidt, Roderich, Historiker, *7.2.1925, http://www.ostdeutsche-biographie.de/ schmi_r.htm (ohne Paginierung; Zugriff: 04.01.2011).

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freilich, die keineswegs als Einheit gesehen werden können, sondern unterschiedliche Phasen der Intensität und des Wachstums umfassen. Ich möchte sie in drei Abschnitte gegliedert vorstellen: Jahre der Prosperität, Krisenzeichen, Rückkehr nach Pommern.

Jahre der Prosperität Wissenschaftliche Kompetenz und organisatorisches Talent erklären, daß Roderich Schmidt im Jahre 1970 zum Geschäftsführenden Vorstandmitglied des J. G. Herder-Forschungsrates gewählt und 1972 zum Direktor des Marburger Herder-Instituts ernannt wurde,14 während seine Dozentur an der Philipps-Universität von einer Honorarprofessur abgelöst wurde. Da Roderich Schmidt zudem im Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Mitteldeutschland, einem 1953 von Walter Schlesinger ins Leben gerufenen Forschungsverbund für geschichtliche Landeskunde der historischen Territorien der hier als „Mitteldeutschland“ umschriebenen DDR,15 die Belange Mecklenburgs und Vorpommerns vertrat, waren ihm breite Befugnisse für die außerhalb der Bundesrepublik gelegenen deutschen Geschichtslandschaften anvertraut, die auch der pommerschen Kommission zugute kamen. In seiner Amtsführung als Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern hat Roderich Schmidt die von Franz Engel begründete Jumelage Pommerns und Mecklenburgs fortgeführt, indem Pommern Mecklenburg gewissermaßen „Huckepack“ nahm und in seine Arbeit und Förderung einbezog, ohne seine institutionelle Selbstständigkeit aufzugeben oder den Status einer Doppelkommission anzustreben. Spürbar wird daran, daß Pommern aus seiner preußischen Verwaltungsherkunft heraus eine jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit dem historisch-landeskundlichen Arbeitsinstrument „Historische Kommission“ besaß, die Mecklenburg abging, das eine solche endgültig erst im Jahre 1990, also nach der Wende, einrichten sollte. Wirksam wurde die pragmatische, wenn auch durchaus historisch gerechtfertigte Gemeinsamkeit beider Geschichtslandschaften sowohl in der Förderung von Arbeitsvorhaben und Publikationen als auch in den Wissenschaftlichen Tagungen seiner Amtszeit, die weiterhin unter dem Obertitel „Pommern-Mecklenburg“ stattfanden. Über seine Tätigkeit selbst, die Planungen und Ergebnisse der Kommissionsarbeit berichteten außer vervielfältigten Mitteilungen an die Kommissionsmitglieder die Jahresberichte der Historischen Kommission, die seit dem Jahr 1969 (Baltische Studien, N.F., 55) in gekürzter Form auch in den Baltischen Studien, die nunmehr den Untertitel „Mitteilungsorgan

14 Schreiben an die Mitglieder vom 11.05.1970 (UP); Jahresbericht der Historischen Kommission für 1973, in: BaltStud, N.F., 60/1974, S. 162. Vgl. Weczerka, (wie Anm. 6), S. 266, 269. 15 http://www.hlgl.de/wirueberuns.html (Zugriff: 04.01.2011): „Anfänge und Entwicklung der Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“.

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der Historischen Kommission für Pommern“ trugen, veröffentlicht wurden.16 Zuvor waren sie satzungsgemäß im J. G. Herder-Forschungsrat vorgetragen worden. Das Jahrzehnt nach 1967 war für wissenschaftliche Vorhaben, die sich mit „Ostforschung“ befaßten, wie der inzwischen verpönte Sammelbegriff damals lautete, im ganzen gesehen eine Zeit der Prosperität. Mir waren keine Unterlagen zugänglich, die das Budget der Historischen Kommission kontinuierlich zu rekonstruieren erlauben. Daher hier nur zwei Streiflichter: In dem Bericht des Vorsitzenden über die Wirtschaftslage der Kommission auf der Mitgliederversammlung des Jahres 1971 heißt es: „Nach einem Tiefpunkt während der Rezession 1967 (rd. 6 300,- DM ) hat sich die finanzielle Lage allmählich wieder gebessert. 1969 sind die Zuschüsse aufgrund eines Memorandums des Vorsitzenden sprunghaft auf 9 650,- DM angestiegen“.17 1973 ist vom Abstieg von einem „Kulminationspunkt von 13 000 rd. im Jahre 1971 auf DM 10 075,- im vergangenen Jahre“ die Rede.18 Summen wie die genannten hatten in den 1960er/1970er Jahren einen erheblich höheren Nutzwert als die gleichen Zahlen in Euro heute. Vor allem für die Förderung wissenschaftlicher Arbeiten und den Druck von Monographien ließ sich damit durchaus etwas anfangen. Insofern ist es verständlich, daß die Historische Kommission in jenem Abschnitt einen beachtlichen Ausstoß an Publikationen zu verzeichnen hatte. Die begrenzte Zeit erlaubt keine Einzelaufzählung der damaligen Planungen und Veröffentlichungen, so daß ich mich auf zwei Großkomplexe beschränken darf. Hohes Ansehen hat sich die Historische Kommission durch ihre Leistungen auf dem Gebiet der Quellenpublikationen und hier vor allem durch das zügige Voranschreiten des Pommerschen Urkundenbuches erworben. Es ist eine Ehrenpflicht, an dieser Stelle seines langjährigen Bearbeiters Klaus Conrad zu gedenken, der trotz seiner starken Behinderung – er hatte sich als junger Mann bleibende Lähmungen durch Poliomyelitis zugezogen – auf diesem Felde für das Pommersche wie für das Preußische Urkundenbuch (seine Arbeitspflicht im Rahmen des Herder-Forschungsrates bezog sich hälftig auf beide Werke) – eine erstaunliche Leistung erbracht hat. 1970 erschien die wissenschaftlich hoch anspruchsvolle Neuausgabe des ersten Bandes des PUB (Jahre 786–1253), 1984 Bd. 10 (Jahre 1336–1340), 1990 Bd. 11 (1341–1345). Bei seinem Eintritt in den Ruhestand am 30. April 1995 war Bd. 12 mit dem Bearbeitungsziel 1350 weitgehend vollendet.19 Das Schicksal des nur noch einer kurzen Überarbeitung bedürfenden Bandes ist seitdem ein ärgerliches Drama, das erst in unseren Tagen hoffentlich ein Ende findet. Weniger begünstigt, da immer wieder durch den Tod

16 17 18 19

Vgl. für 1967–1969 Schmidt, Die Historische Kommission in Vergangenheit, (wie Anm. 1), S. 117 ff. Protokoll über die Mitgliederversammlung der Historischen Kommission am 02.05.1971, Pkt. 3 (UP). Protokoll über die Mitgliederversammlung der Historischen Kommission am 30.09.1973, Pkt. 2 (UP). Vgl. Historische Kommission für Pommern. Jahresbericht 1995, BaltStud, N.F., 82/1996, S. 189 f.

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von Bearbeitern abgebrochen oder nie über den Planungsstand hinausgelangt,20 waren die Vorhaben für ein anderes Großprojekt der Historischen Kommission, den Historischen Atlas für Pommern. Obwohl nicht im Pflichtenkatalog ihrer Satzung verankert, erwiesen sich öffentliche Tagungen mit wissenschaftlichen Vorträgen nach wie vor als wichtiges Instrument der Selbstdarstellung der Historischen Kommission. Der von Franz Engel übernommene Obertitel „Pommern-Mecklenburg“ bot Gelegenheit, Forscher unterschiedlicher Ausrichtung zu Fragen dieser Thematik zu Wort kommen zu lassen. Die Redner rekrutierten sich allerdings nur zum Teil aus der Kommission selbst, kamen vielmehr ganz allgemein aus der Schar der über diese Landschaften arbeitenden Gelehrten, vor allem aber aus dem jüngeren Nachwuchs. Veranstaltungen dieser Art fanden im Zusammenhang mit Kommissionssitzungen 1969 in Bückeburg, 1971, 1976, 1979 und dann nach einer längeren Pause 1985 in Marburg statt. Eine Analyse der dort gehaltenen Vorträge zu geben, ist leider ausgeschlossen, obwohl sie in vieler Hinsicht erhellend wäre.21 Anhand der Namen und Themen ließe sich näm20 Mein auf der Mitgliederversammlung vom 02.05.1971 vorgetragener Planungsaufriß zur Erstellung von Atlaskarten und Erläuterungsheften über die Klöster und Stifte der mittelalterlichen Diözesen Kammin, Ratzeburg und Schwerin setzte sich zum Ziel, anstelle der üblichen Klosterkarten moderner politischer Einheiten (Mecklenburg, Pommern, Brandenburg usw.), in denen die kirchlichen Raumeinheiten stets nur ausschnittweise erfaßt werden, die Diözesen des südlichen Ostseeraumes als Darstellungsgrundlage zu wählen; vgl. oben Anm. 17 Pkt. 5. Dazu auch (nur für Kammin) BaltStud, N.F., 58/1972, S. 158; BaltStud, N.F., 60/1974, S. 163. Die Durchführung dieses Projekts ist nicht über den Planungsstand hinaus gediehen. 21 1969 sprachen u.a. Max Braubach über Ernst Moritz Arndt, Roderich Schmidt über „Franz Engel und die historische Landeskunde Mecklenburgs und Pommerns“, Brigitte Poschmann über „Die Beziehungen Pommerns zum Deutschen Orden im 14. und 15. Jahrhundert“, Helge bei der Wieden über „Rostock zwischen Abhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit“, Wolfgang Kehn über „Der Oderhandel und seine Beziehungen zur Hanse im 13. und 14. Jh.“; vgl. Schmidt, Die Historische Kommission in Vergangenheit, (wie Anm. 1), S. 117 f. 1971 beschränkte sich das Programm im wesentlichen auf Arbeitsberichte geplanter Vorhaben sowie den öffentlichen Abendvortrag von Herbert Jankuhn über „Die skandinavische Niederlassung Menzlin“, Jürgen Petersohn, „Gründung, Frühzeit und rechtliche Stellung des Bistums Kammin“, Henning von Bonin, „Die Bedeutung der ältesten Siegel in Pommern für die Lokalisierung der Adelsgeschlechter“; vgl. Jahresbericht der Historischen Kommission in: BaltStud, N.F., 57/1957, S. 123 f. Umfassender griff die Tagung von 1976 aus mit Themen wie: „Motivationen bei der Gründung der Universitäten Rostock (1419) und Greifswald (1456)“ (Roderich Schmidt), „Probleme und Aufgaben der Geschichtsschreibung über den Kirchenkampf in Pommern“ (Gerhard Krause), „Zur Überlieferung und Deutung frühen slawischen Namenguts in Pommern“ (Hans-Bernd Harder), „Neue Forschungen zu gegengestempelten Doppelschillingen der Kipper- und Wipperzeit in Mecklenburg und Pommern“ (Niklot Klüßendorf ), „Die Rostocker Überlieferung des ´Reineke Fuchs´“ (Hubertus Menke); vgl. den Jahresbericht der Historischen Kommission, in: BaltStud, N.F., 63/1977, S. 107 f. 1979 sprachen Joachim Gerhardt über „Burgen, Schlösser und Herrenhäuser in Pommern“, Robert Stupperich über „Hermann Cremers Greifswalder Tätigkeit“, Christoph Frh. von Maltzahn

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lich zeigen, daß auf diesen Tagungen alles andere als Flüchtlingserinnerungen zelebriert wurden, sondern Pommern und Mecklenburg als integrierte Bestandteile der deutschen Geschichte der Frühzeit, des Mittelalters und der Neuzeit in Erscheinung traten.

Krisenzeichen Weisen Publikations- und Vortragstätigkeit der Historischen Kommission für die 1970er Jahre ein insgesamt erfreuliches Bild auf, so lassen sich bei einer rückschauenden Betrachtung doch gewisse Krisen- und Ermüdungserscheinungen im Gefüge und Funktionieren dieses Gremiums nicht übersehen. Wenn ich erst für die 1980er Jahre darauf zu sprechen komme, so nicht zuletzt deshalb, weil ich, seit 1979 dem Vorstand als Beisitzer angehörend, im Jahre 1981 als Nachfolger Helmut Beumanns nach Marburg berufen wurde und damit in die unmittelbare räumliche Nähe Roderich Schmidts trat, die mich nun leichter als zuvor Einblicke in die Planung und Aktionen der Historischen Kommission gewinnen ließ. Stärkeren Anteil an diesen gewann ich allerdings durch meine Übersiedlung vom Main an die Lahn nicht. Die universitären Lehr- und Verwaltungsaufgaben sowie meine thematisch ganz anders ausgerichteten Forschungsvorhaben nahmen mich voll in Anspruch. Roderich Schmidt hingegen, geschäftserfahren und dank seiner Stellung mit einem weiten Überblick über Verhältnisse und Personen ausgestattet, handelte souverän, und das hieß auch: in zunehmendem Maße unter Beiseitelassung der Kommission. Der Anteil ihrer Mitglieder an den Planungen und Entscheidungen war geringfügig. Mitgliederversammlungen fielen aus in den Jahren 1970, 1972, 1974, 1975, 1977, 1978, 1980–1984, 1986–1989, obwohl laut § 10 der Satzung „jährlich ... möglichst eine Hauptversammlung stattfinden“ sollte. Die Jahresberichte wurden den Mitgliedern per Post zugeschickt oder waren den Baltischen Studien zu entnehmen. Es wäre falsch und ungerecht, Roderich Schmidt aufgrund dieses Befundes Neigung zu persönlicher Dominanz in der Geschäftsführung zu unterstellen. Die skizzierte Situation beruhte vielmehr, abgesehen von dem Bemühen um rationelle und sparsame Handhabung der begrenzten Finanzmittel, in entscheidendem Maße auf Schmidts geschäftlicher Überlastung durch die Leitung des Herder-Instituts und des Herder-Forschungsrates, die seit den 1980er Jahren einer ministeriell verordneten Umstrukturierung unterzogen wurden, sowie auf der Beanspruchung durch zahlreiche verwandte Gremien und Institutionen, denen gegenüber die Historische Kommission für Pommern nur eine unter vielen, z.T. höherrangigen Aufgabenbereichen war. Die Folge jedoch war, daß die Kontakte zwischen über „Bismarcks Entlassung im Spiegel der Aufzeichnungen des späteren Oberpräsidenten der Provinz Pommern Helmuth Frh von Maltzahn-Gültz“, Jürgen Petersohn über „Pommerns staatsrechtliches Verhältnis zu den Nachbarmächten im Mittelalter“ und Sönke Lorenz, über „Der Rostocker Jurist J. G. Godelmann und seine Stellung zur Hexerei“; vgl. den Jahresbericht der Historischen Kommission, in: BaltStud, N.F., 66/1980, S. 133.

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den Mitgliedern und der Kommissionsspitze, aber auch untereinander spürbar abnahmen. Die Teilnehmerliste der Wissenschaftlichen Tagung Pommern-Mecklenburg in Marburg 1976 verzeichnete die stattliche Zahl von 57 Namen, davon gehörten lediglich ca. zwölf der Historischen Kommission an,22 1985 war das Verhältnis 23 zu zwölf.23 Die Überalterung des Mitgliederkreises und das Stagnieren von Neuaufnahmen taten ein übriges, um die Kommissionsarbeit zu lähmen. Das unübersehbare Zurücktreten der Mitglieder im Alltag der Kommission hatte letztlich aber auch, das möchte ich mit Nachdruck betonen, strukturelle Ursachen, die im Grunde der zeitlich nicht absehbaren Exilsituation dieser Institution anzulasten sind. Sie lebten in der Bundesrepublik eben nicht, wie vor 1945, in einem räumlich geschlossenen Territorium rund um den Kommissionssitz mit der Möglichkeit zu ständigem Austausch untereinander, sondern zwischen Kiel und München verstreut, auf ihren jeweiligen Berufsund Lebenskreis bezogen, isoliert und ohne kontinuierlichen Kontakt miteinander, mit pommerschen Dingen nur nebenberuflich und ehrenamtlich befaßt, abgeschnitten von den für sie so gut wie unzugänglichen archivarischen Quellen in Greifswald und Stettin. In steigender Einsicht in diese Probleme bemühte ich mich 1984 um die baldige Abhaltung einer Kommissionssitzung, auf der eine spürbare Vermehrung des Mitgliederbestandes durch verdiente Pommernforscher vorzunehmen sei, mit einem wissenschaftlichen Vortragsprogramm unter möglichst hoher Beteiligung von Kommissionsmitgliedern. Ergebnis war jene Marburger Tagung vom Oktober 1985,24 auf der es zu einem stattlichen Pairsschub kam. Auch die begleitende Wissenschaftliche Tagung war weitgehend von Kommissionsmitgliedern getragen. 1985 – ein verheißungsvoller Neuanfang? Ich lasse die Frage unbeantwortet. In den folgenden Jahren trat, was Zusammenkünfte und Außenwirkung betrifft, wieder Funkstille ein. Sie wurde erst an jenem Abend des 9. November 1989 aufgehoben, an dem die Grenze der DDR zur Bundesrepublik fiel.

22 Vgl. die Liste der Teilnehmer an der Tagung „Pommern-Mecklenburg“ der Historischen Kommission für Pommern vom 29. bis 31.10.1976, enthaltend insgesamt 60 Meldungen, davon zwei Namen von Kommissionsmitgliedern als nicht anwesend und ein weiterer Teilnehmer, weil doppelt gezählt, wieder gestrichen (UP). 23 Liste der Teilnehmer an der wissenschaftlichen Tagung „Pommern-Mecklenburg“ 1985 der Historischen Kommission für Pommern vom 11.10. bis 13.10.1985 (UP). 24 Vgl. Jahresbericht der Historischen Kommission, in: BaltStud, N.F., 71/1985, S. 174–176.

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Rückkehr nach Pommern Welche ungeahnten Kräfte und Energien mit der Öffnung des „eisernen Vorhangs“ für die private wie die institutionalisierte Pommernforschung freigesetzt wurden, kann weder in seinem unmittelbaren Erlebnisgehalt noch aus der rückschauenden wissenschaftsgeschichtlichen Analyse heraus überschätzt werden. Die zwar nicht geheime, aber doch, was den Namen betrifft, verdeckte Beschäftigung mit der Landesgeschichte in Vorpommern – bezeichnend war, daß die geplante Wiederaufnahme der „Pommerschen Jahrbücher“ 1961 nur unter dem Namen „Greifswald-Stralsunder Jahrbuch“ möglich war und schließlich auch 1982 mit Bd. 13/14 aufgegeben werden mußte25 – hatte in den vorausgehenden Jahrzehnten ein Reservoir von Forschungsleistungen und ein lange zurückgestautes Publikumsinteresse für Pommersches angesammelt, das sich nun spontan Bahn brach. Der Pommernforschung im Westen wiederum war endlich der Zugang zu den Quellen landesgeschichtlicher Arbeit möglich, auf denen auf die Dauer ihre Existenz beruhte. Beide Seiten gingen aufeinander zu und fanden schneller und problemloser, als jede Skepsis hätte erahnen lassen, zueinander. Und keineswegs fand in diesem Zusammenhang eine „Kolonisation“ des Ostens durch den Westen statt. Beide Seiten bereicherten und befruchteten einander. Man handelte spontan und zeitgleich. Das gilt nicht nur für die Historische Kommission, sondern ebenso für die breiter verankerten Träger des pommerschen Geschichtsinteresses, wie sie im Westen die 1824 gegründete „Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst“ mit dem traditionsreichen Publikationsorgan der „Baltischen Studien“26, in Vorpommern die 1971 gegründete „Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte“, die sich nun endlich das Pommern-Attribut offen zulegen konnte,27 und die 1985 begonnenen „Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns“28 darstellten. Die „Wiedervereinigung“ der Pommernforschung vollzog sich auffällig schnell: Am 01. September 1990 sprach in Demmin auf der 18. Tagung der Arbeitsgemeinschaft 25 Vgl. Joachim Wächter, Zur Geschichte des Greifswald-Stralsunder Jahrbuchs, in: Beiträge zur Geschichte Vorpommerns, (wie Anm. 28), S. 406–408. Herrn Wächter bin ich für weitere Aufhellungen dieses Vorgangs sehr zu Dank verpflichtet. 26 Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Landesgeschichte im Ostseeraum. Festvortrag beim Festakt am 25.09.1999 im Rathaus Stralsund, in: BaltStud, N.F., 86/2000, S. 7–24, Wiederabdruck in: Ders., Das Historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, (wie Anm. 1). Bereits 1990 war es zur Einrichtung einer eigenen Abteilung Vorpommern gekommen; vgl. den Jahresbericht 1990/91 der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V., in: BaltStud, N.F., 77/1991, S. 141 ff. 27 Norbert Buske, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte der Pommerschen Evangelischen Kirche – ein persönlicher Rückblick, Schwerin 1995. 28 Beiträge zur Geschichte Vorpommerns. Die Demminer Kolloquien 1985–1994, hg. von Haik Thomas Porada, Schwerin 1997; Henning Rischer; Dirk Schleinert, 25 Jahre Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns, in: BaltStud, N.F., 96/2010, S. 93–104.

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Kirchengeschichte ein Mitglied der Historischen Kommission über „Gründung, Vorgeschichte und Frühzeit des pommerschen Bistums“,29 Anfang November 1990 in Marburg der Archivar der Landeskirche, Joachim Wächter, über „Landesgeschichtsforschung in Vorpommern“.30 Vierzehn Tage später fand in der Aula der Universität Greifswald das „1. Kolloquium für Pommersche Geschichte“ statt, eine beeindruckende Heerschau der Jahrzehnte hindurch unterdrückten Pommernforschung, auf der Roderich Schmidt den Anteil der Historischen Kommission an acht Jahrzehnten Landesgeschichtsforschung herausstellte.31 Ausdruck der gegenseitigen Öffnung war die Aufnahme verdienstvoller und angesehener Forscher aus Vorpommern als ordentliche Mitglieder in die Historische Kommission auf der genannten Kommissionssitzung vom November 1990: Rudolf Biederstedt, Norbert Buske, Herbert Ewe, Günter Mangelsdorf, Hans Georg Thümmel, Joachim Wächter, dazu als korrespondierende Mitglieder Manfred Herling und Brigitte Metz.32 Dem damit beginnenden Einsatz der Historischen Kommission in Vorpommern kam zugute, daß ihr Vorsitzender Roderich Schmidt im Jahre 1990 durch das Erreichen des Pensionierungsalters von den dienstlichen Belastungen durch den Herder-Forschungsrat und das Herder-Institut befreit wurde und in dem folgenden Jahrzehnt seine Arbeitsenergie intensiv seiner ihm nun wieder zugänglichen Heimat zuwenden konnte. Wie vorbehaltlos er hier willkommen geheißen wurde, zeigt die Tatsache, daß noch in eben diesem Jahr die Theologische Fakultät der Universität Greifswald seinen Einsatz für die pommersche Kirchengeschichte in den zurückliegenden Jahren mit der Verleihung des theologischen Ehrendoktorats würdigte.33 Die Kommission nahm nunmehr auch Forschungsvorhaben in und aus Vorpommern in ihr Arbeitsprogramm auf. Die Bearbeitung der Schwedischen Landesaufnahme von 1692–1709 gehörte zu den traditionellen Aufgaben der Kommission.34 Neu dagegen war das Projekt der Erforschung von Topographie und geschichtlicher Funktion der Örtlichkeit Usedom im frühpommerschen Herzogsstaat des 12. Jahrhunderts, das von Mittelalterarchäologen und Mediävisten nachdrücklich aufgegriffen wurde und in den folgenden Jahren wichtige Aufschlüsse erbrachte.35 Die in Parallele zur Feier der urkundlichen Ersterwähnung

29 Buske, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft, (wie Anm. 27), S. 81. 30 Tagung der Historischen Kommission für Pommern 01.–03.11.1990 in Marburg/Lahn. Programm (UP); Jahresbericht der Historischen Kommission 1990–1994, in: BaltStud, N.F., 80/1994, S. 137. 31 Roderich Schmidt, Die Historische Kommission für Pommern, (wie Anm. 1). Zum Gesamtprogramm mit weiteren Anteilen von Kommissionsmitgliedern Ralf-Gunnar Werlich, Greifswalder Kolloquium zur Geschichte Pommerns 13.–15.11.1990, in: BaltStud, N.F., 77/1991, S. 146–148. 32 Jahresbericht 1990–1994, (wie Anm. 1), S. 137 f. 33 Vgl. Biewer, Schmidt, Roderich, (wie Anm.13). 34 Vgl. Jahresbericht 1990–1994, (wie Anm. 1), S. 138 f. 35 A.a.O., S. 139 f. Vgl. im einzelnen: Die Insel Usedom in slawisch-frühdeutscher Zeit, hg. v. Günter Mangelsdorf (Greifswalder Mitteilungen. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte und

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der „Mecklenburg“ veranstaltete, von der Historischen Kommission und der Ernst-Moritz-Arndt-Universität getragene Wissenschaftliche Tagung „Tausend Jahre pommersche Geschichte“ vom 18. bis 21. Oktober 1995 in Greifswald vereinte die Pommernspezialisten aus Ost und West zu einem weitgespannten, repräsentativen Forschungsüberblick.36 Die Entwicklung drängte weiter und es zeigte sich immer deutlicher, daß der Motor des Voranschreitens für die Kommissionsarbeit in Vorpommern, seinen Forschungsressourcen und personellen Reserven lag. Das Schwergewicht der Kommission begann sich unaufhaltsam vom Westen, also aus der Exilsituation, zurück nach Pommern zu verlegen. Hier fanden die künftigen Sitzungen statt: 1996 in Stralsund, 2000 in Greifswald, 2001 in Pasewalk.37 Unausweichliche Konsequenz dieser Entwicklung war der Entschluß, den Kommissionssitz wieder in Pommern zu etablieren. Die entscheidenden Überlegungen hierzu konkretisierten sich in der Ausarbeitung einer die gewandelte Situation berücksichtigenden neuen „Satzung der Historischen Kommission für Pommern“, die auf der Kommissionssitzung vom 27. September 2000 in Greifswald diskutiert, modifiziert und einstimmig beschlossen wurde.38 Wichtigstes Ergebnis dieser Satzung, auf deren Details hier nicht einzugehen ist, war die Umwandlung der Rechtsform der Historischen Kommission in die eines eingetragenen Vereins (e.V.) und die damit verbundene Verlegung ihres Sitzes nach Greifswald. Mit diesem Satzungsbeschluß leitete Roderich Schmidt seinen Rückzug aus der Kommissionsleitung ein. Seine Idealvorstellung für deren künftige Besetzung war, in Anlehnung an die Situation in den Anfangsjahrzehnten nach der Gründung, in der entweder

Mittelalterarchäologie, 1), Frankfurt /M. 1995; Ders., Die Insel Usedom in slawisch-frühdeutscher Zeit. Stand und Aufgaben der Forschung, in: Tausend Jahre Pommersche Geschichte, hg. von Roderich Schmidt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V, 31), Köln/Weimar/Wien 1999, S. 19–25; Jürgen Petersohn, Usedom im frühpommerschen Herzogsstaat, in: a.a.O., S. 27–65; zuletzt Roderich Schmidt, Das wendische Uznam, das deutsche Usedom und das Prämonstratenserstift Grobe, in: Ders., Das Historische Pommern, (wie Anm. 26), S. 133 ff. – Das Grabungsunternehmen ist nach dem Tod Günter Mangelsdorfs leider ins Stocken geraten. 36 Historische Kommission für Pommern. Jahresbericht 1995, in: BaltStud, N.F., 82/1996, S. 188. Vgl. den daraus entstandenen Sammelband Tausend Jahre, (wie Anm. 35). 37 1996 Stralsund: Mitgliederversammlung der Historischen Kommission für Pommern am 25./26.10.1996 im Hotel „Schweriner Hof“ zu Stralsund (UP); Historische Kommission für Pommern 1996–2000, in: BaltStud, N.F., 86/2000, S. 266 f. – 2000 in Greifswald: a.a.O., S. 267 sowie unten zu Anm. 38. – 2001 in Pasewalk: unten zu Anm. 42. 38 Maschinenschriftl. Entwurf der „Satzung der Historischen Kommission für Pommern e.V.“, mit eigenhändigen Zusätzen, Korrekturen, Streichungen usw. (UP). Zu den Veränderungen vgl. das Protokoll der Mitgliederversammlung am 27.09.2000 im Konzilssaal der ErnstMoritz-Arndt-Universität, Bemerkungen zu TOP 9 (UP). Das abschließende Ergebnis mit den Unterschriften Schmidts und einzelner Greifswalder Kommissionsmitglieder als Ablichtung des Originals (UP).

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Jürgen Petersohn

der Oberpräsident oder hohe Landesbeamte der Provinz Pommern den Vorsitz innehatten,39 die formelle Leitung der Historischen Kommission einem erfahrenen und angesehenen Juristen der Universität Greifswald anzuvertrauen. Es gelang ihm, den Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht in der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald, Prof. Jürgen Kohler, der in den Jahren 1994–2000 als Rektor der Ernst-Moritz-Arndt-Universität vorgestanden hatte, für diese Funktion zu gewinnen.40 Nachdem am 12. März 2001 die neue Kommissions-Satzung ins Greifswalder Vereinsregister eingetragen worden war,41 stellte Roderich Schmidt auf der Mitgliederversammlung vom 29. September 2001 in Pasewalk nach 34-jähriger Tätigkeit sein Amt zur Verfügung. Jürgen Kohler wurde einstimmig zum 1. Vorsitzenden der Historischen Kommission gewählt.42 Damit brach eine neue Ära in deren Geschichte an, über die zu reden nicht mehr meine Aufgabe ist. Lediglich für ein abschließendes Resumée erbitte ich noch Ihre Aufmerksamkeit.

Resumée Die Wiederbegründung und Sammlung der Historischen Kommission für Pommern im westdeutschen Exil unter Adolf Diestelkamp (1951–1955), das Aufspüren und Gewinnen von Nachwuchskräften sowie die Entwicklung und Förderung neuer Arbeitsprogramme unter Franz Engel (1955–1967), schließlich die Führung der Kommission zu Ansehen und Prosperität durch Roderich Schmidt in den Jahren 1967–2001, dies alles war Ergebnis einer organisatorischen und menschlichen Leistung, die nur mit Enthusiasmus und Wagemut, mit der Überzeugung vom Erfolg und Nutzen des anvisierten Ziels, dazu mit Kontaktfreudigkeit und Kommunikationsgeschick, sicherer Urteilskraft und der Bereitschaft zum Risiko zu bewältigen war. Die Kommissionsvorsitzenden der Exilszeit haben sich um die historische Pommernforschung in bleibender Weise verdient gemacht. Ob die strukturelle Krise, die sich in den 1980er Jahren abzeichnete, ohne die – unvorhersehbare – politische und geistige Wende des Jahres 1989 aus eigenen Kräften zu überwinden gewesen wäre, stehe dahin. Aber: Wer schreibt, der bleibt. Die eindrucksvolle Dokumentation der Publikationen der Historischen Kommission seit ihrer Gründung im Jahre 1910, die Roderich Schmidt im Jubiläumsjahr 1990 vorlegte,43 beweist, daß die Historische

39 Vgl. Schmidt, Achtzig Jahre, (wie Anm. 1), S. 5 f. 40 Wahl zum ord. Mitglied auf der Mitgliederversammlung vom 27.09.2000; vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung, (wie Anm. 38), Bemerkungen zu TOP 8. 41 Gestempelter und unterschriebener Eintragsvermerk auf der den Mitgliedern zugesandten Ablichtung des Originalexemplars (UP). 42 Protokoll der Mitgliederversammlung vom 29.09.2001 in Pasewalk, TOP 7 (UP). 43 Schmidt, Achtzig Jahre, (wie Anm. 1), S. 12–38. Ich zähle bei der folgenden Aufreihung nur die zum fraglichen Zeitpunkt erschienenen, nicht die noch im Druck befindlichen Publikationen.

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Kommission für Pommern während der Exilszeit durch ihre Forschungs­leistungen und Publikationen ein solides wissenschaftliches Fundament gelegt hatte, das den Anspruch auf Fortführung verbürgte. Die Komplettierung und Weiterführung des Pommerschen Urkundenbuches bis zum Jahre 1345, der Ausbau des Atlasunternehmens, 10 Bände „Quellen zur pommerschen Geschichte“, über 20 Einzelwerke „Forschungen zur pommerschen Geschichte“, dazu zahlreiche weitere von der Historischen Kommission geförderte, von ihren Mitgliedern sowie nun auch von deren Schülern verfaßte Veröffentlichungen, die z.T. auch in Verbindung mit dem Herder-Institut oder dem Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Mitteldeutschland in anderen Reihen erschienen, stellen ihrer Arbeitskraft und ihrer Leistungsfähigkeit ein vorzügliches Zeugnis aus und lassen verstehen, daß das mit dem Jahre 1990 anbrechende Jahrzehnt der Einbeziehung der vorpommerschen Fachwissenschaftler und der damit verbundenen Rückkehr nach Pommern eine verläßliche Fortsetzung und einen intensiven Ausbau der Kommissionsarbeit im ersten Jahrzehnt des dritten Jahrtausends möglich machte.

Der Gesamtbestand ist in den darauffolgenden Jahren erheblich erweitert worden. Vgl. dazu die jeweiligen Prospekte des Böhlau-Verlags.

Joachim Wächter

Landesgeschichtliche Arbeit im totgeschwiegenen Vorpommern 1945–1990 1

1. Das Greifswald-Stralsunder Jahrbuch Mitte der 1950er Jahre, als noch die nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 eingetretenen Lockerungen mancher Beschränkungen in der DDR spürbar waren und 1956 das Greifswalder Universitätsjubiläum unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und mit akademischen Anklängen an alte Zeiten gefeiert wurde, entstand der Gedanke, in Vorpommern an alte geschichtliche Veröffentlichungen anzuknüpfen. In den quellentragenden Einrichtungen, d.h. den Archiven, Bibliotheken und Museen sowie in den Universitätsinstituten wurde ja wissenschaftlich gearbeitet, gerade auch zum Universitätsjubiläum. Es fehlte aber an ausreichenden Veröffentlichungsmöglichkeiten. Im Westteil Deutschlands war 1955 der erste Nachkriegsband des traditionsreichen pommerschen Jahrbuchs „Baltische Studien“ erschienen. Da lag es nahe, die zweite Jahrbuchreihe der Vorkriegszeit, d.h. die „Pommerschen Jahrbücher“, wieder aufleben zu lassen. Freilich kam in der DDR als Herausgeber kein Verein in Frage, denn das dortige Vereinswesen war auf Grund der staatlichen Genehmigungspflicht praktisch tot. Infolgedessen mußten Institutionen die Herausgabe übernehmen. Es war an eine Partnerschaft der quellentragenden Einrichtungen in Greifswald und Stralsund mit Universitäts-Instituten, die auf historischem Gebiet arbeiteten, wie das Historische Institut, das Institut für Kunstgeschichte und das Institut für Historische Geographie gedacht. Dabei war aber darauf zu achten, daß die Kontaktpersonen dieser Institute nicht ideologisch an den Marxismus-Leninismus gebunden waren, denn es sollte ein landesgeschichtlich-sachliches, nicht ideologisch gelenktes Jahrbuch entstehen. Unter diesen Gesichtspunkten fand 1957 ein Gespräch zwischen dem Leiter des Landesarchivs Greifswald und Dr. Roderich Schmidt, damals Mitarbeiter am Greifswalder Historischen Institut, statt. Weitere Unterredungen verschiedener Personen folgten. 1958 wurde durch die ideologische Säuberung unter den Mitarbeitern der Greifswalder Universität, durch die auch Dr. Roderich Schmidt betroffen wurde, die Situation gründlich geändert. Unter dem eingetretenen staatlichen Zwang war offiziell keine sachliche 1 Die landesgeschichtliche Arbeit in Vorpommern entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in drei Etappen. Da ich sie alle erlebt und an ihnen Anteil genommen habe, habe ich mich entschlossen, diesen Bericht zusammenzustellen. Obwohl viele Vorgänge bereits bekannt sind, soll der Bericht eine Übersicht und Vergleichsmöglichkeiten bieten. Die Zahl der Anmerkungen wurde so gering wie möglich gehalten.

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Zusammenarbeit mit den Universitäts-Instituten mehr denkbar. Deshalb wurde vorgesehen, daß die Träger des beabsichtigten Jahrbuchs auf die Archive und Museen in Stralsund und Greifswald beschränkt blieben, d.h. auf das Kulturhistorische Museum Stralsund, das Stadtarchiv Stralsund, das Landesarchiv Greifswald, das Museum der Stadt Greifswald und das Stadtarchiv Greifswald. Im Titel des Jahrbuchs konnte natürlich der Name „Pommern“ oder „Vorpommern“ nicht erscheinen, nachdem schon 1947 auf Betreiben der Sowjetischen Militäradministration der Landesname aus „Mecklenburg-Vorpommern“ in „Mecklenburg“ geändert war und seither offiziell krampfhaft versucht wurde, Pommern totzuschweigen. Als Ausweg haben die Herausgeber den Titel „Greifswald-Stralsunder Jahrbuch“ gewählt. Als erster Band bot sich eine Sammlung von Aufsätzen an, die vom Kulturhistorischen Museum Stralsund anläßlich seines hundertjährigen Bestehens 1958 als Jubiläumsband gedacht war. Sie spiegelte in den Autoren ein wenig die Beziehungen des Museums, auch nach Westdeutschland und Skandinavien, wider. Dieser erste Band konnte erst 1961 beim Petermänken-Verlag in Schwerin erscheinen, nachdem ein mühseliger Weg zur Genehmigung endlich überwunden war. Die nächsten Bände blieben thematisch vielfältig. Dabei haben die Herausgeber sehr darauf geachtet, daß in jedem Band Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung enthalten waren. Das war eine vorbeugende Maßnahme gegen thematische und ideologische Forderungen von staatlicher Seite, wobei nicht verkannt wurde, daß dieser Themenkreis auch seine Berechtigung hatte. Damals, nach dem Mauerbau der DDR von 1961, konnte man in der DDR kaum noch wagen, im Westen geschichtliche Arbeiten zu veröffentlichen, sofern man nicht beruflich vom staatlichen Bereich unabhängig war, wie Vertreter der Kirchen.2 Umgekehrt blieben die Bände des Greifswald-Stralsunder Jahrbuchs von 1962 an weitgehend auf Autoren aus der DDR beschränkt. Nachdem die jährliche Herausgabe eines Bandes des Greifswald-Stralsunder Jahrbuchs üblich geworden war, wurde auch die Veröffentlichung einzelner Quellenbände ins Auge gefaßt. Das bedeutete eine Anknüpfung an die Publikationen der Historischen Kommission für Pommern vor dem Zweiten Weltkrieg. Als erster Sonderband erschien 1966 die von Rudolf Biederstedt erarbeitete Bestandsübersicht des Stadtarchivs Greifswald. Sein Obertitel, der gleichzeitig ein Reihentitel werden sollte, lautete „Quellen zur vorpommerschen Regionalgeschichte“. Hier gelang es, die Bezeichnung „vorpommersche“ durchzubekommen, vielleicht, weil die Veröffentlichung auch einen Hinweis auf Quellen zur Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung enthielt. Als Herausgeber der Quellenreihe waren wie beim Jahrbuch die fünf Archive und Museen in Stralsund und Greifswald angegeben.3

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Diese Möglichkeit nutzte glücklicherweise Hellmuth Heyden, der bis zum Zweiten Weltkrieg evangelischer Pastor in Stettin und zuletzt Superintendent in Richtenberg war, um grundlegende Werke zur pommerschen Kirchengeschichte zu veröffentlichen. 3 Rudolf Biederstedt, Übersicht über die Bestände des Stadtarchivs Greifswald und Archivalischer Quellennachweis zur Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung (Quellen zur vorpommerschen Regionalgeschichte), red. v. Willi Nitschke, Herbert Ewe, Joachim Wächter, Ursula Meyer, Rudolf Biederstedt, Greifswald 1966.

Landesgeschichtliche Arbeit im totgeschwiegenen Vorpommern

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Als zweite Publikation war ein Teil der „Schwedischen Landesmatrikel von Vorpommern“ vorgesehen und zwar die sechs Zusammenzeichnungen der Matrikelkarten von den Meßtischblattbereichen Neuenkirchen, Greifswald, Wusterhusen, Hanshagen, Kröslin und Wolgast durch Ernst Rubow. Die ersten vier Blätter waren schon einmal, 1960, als „Matrikelkarten von Vorpommern 1692–1698 nach der schwedischen Landesaufnahme“ in den Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Länderkunde Leipzig mit Erläuterungen von Marianne Rubow-Kalähne erschienen4 und den Teilnehmern des Internationalen Archivkongresses 1960 in Stockholm durch die DDR -Archivverwaltung überreicht worden. Inzwischen waren auch die Kartenblätter Kröslin und Wolgast gedruckt worden. Außerdem lag von Marianne Rubow-Kalähne die Übersetzung des Textes zu den sechs Kartenblättern ins Deutsche im Manuskript vor. Diese Textübersetzung sollte ebenfalls gedruckt werden. Da änderte sich die Situation. 1971 übte die SED -Kreisleitung Greifswald in Verbindung mit dem neuen Direktor des Staatsarchivs Greifswald5 – so hieß das Landesarchiv seit 1965 – ideologische Kritik an den Bänden 8 und 9 des Jahrbuchs. Auch ging es um einen größeren Anteil von Aufsätzen zur neuesten Geschichte. Das Ergebnis war die Bildung eines Redaktionsbeirates. Aber es ging nur schleppend weiter. Der Band 11 erschien erst nach vier Jahren. Man hatte den Eindruck, daß den bisherigen Redaktionsmitgliedern der Schwung, mit dem sie die Redaktionsarbeit betrieben hatten, abhanden gekommen wäre. Schließlich wollte der Verlag die Betreuung des Jahrbuchs nicht weiterführen. So ging das Greifswald-Stralsunder Jahrbuch mit dem Band 13/14 im Jahr 1982 zu Ende. Auch die Quellen zur vorpommerschen Regionalgeschichte wurden nicht fortgeführt.

2. Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte der Evangelischen Landeskirche Greifswald 1971 fand sich erstmals ein Kreis von an der Kirchengeschichte Pommerns Interessierten zu einer Tagung zusammen.6 Das war der äußere Anfang eines zweiten Kapitels landesgeschichtlicher Arbeit in Vorpommern nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach weiteren Zusammenkünften gelang es 1978, anläßlich des Gedenkens an das missionarische Wirken des Bischofs Otto von Bamberg 1128 im Peenegebiet, die Druckgenehmigung für eine Veröffentlichung über das Geschehen vor 850 Jahren zu erhalten. Die Überschrift im Kopf

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Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Länderkunde, Neue Folge 17/18, Leipzig 1960. 1969 war die Leitung des Staatsarchivs Greifswald aus politischen Gründen neu besetzt worden; vgl. Hermann Schreyer, Das staatliche Archivwesen der DDR – Ein Überblick (Schriften des Bundesarchivs, 70), Düsseldorf 2008. Vorangegangen war wohl eine Anregung von Bischof Dr. Krummacher an Superintendent Dr. Günther Ott, einen solchen Kreis zu bilden.

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des Titelblatts „Kirchengeschichtliche Beiträge“ brachte die Absicht der Herausgeber zum Ausdruck, weitere Publikationen folgen zu lassen.7 Tatsächlich gelang es 1980, den Druck einer Festschrift zu den 700-Jahrfeiern der Greifswalder Kirchen genehmigt zu bekommen.8 Vermutlich war das der Ausdruck eines gewissen politischen Tauwetters auf Grund der Unterredung 1978 zwischen der DDR -Staatsführung und der Leitung der evangelischen Kirchen in der DDR . 1980/81 wurde die kirchengeschichtliche Arbeit in der pommerschen Kirche neu organisiert. Es bildete sich ein Gremium, das sich als Leitungskreis der Arbeitsgemeinschaft für Kirchengeschichte der Evangelischen Landeskirche Greifswald bezeichnete. Die Arbeitsgemeinschaft befand sich damit unter dem Schirm der Landeskirche und war in ihrer Tätigkeit von vornherein staatlichen Einsprüchen etwas entzogen. Der Leitungskreis sorgte dafür, daß regelmäßig kirchengeschichtliche Tagungen stattfanden. Im übrigen galt auf Anregung des Geschäftsführers der Grundsatz, nach Möglichkeit die Aufgaben einer Gesellschaft für pommersche Geschichte und einer Historischen Kommission stellvertretend mit wahrzunehmen. 1985 wurde in Greifswald des 500. Geburtstages des pommerschen Reformators Johannes Bugenhagen, der am 24. Juni 1485 in Wollin geboren wurde, mit beachtlichen Veranstaltungen unter ökumenischer Beteiligung gedacht.9 Bei der Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltungen war die Arbeitsgemeinschaft in starkem Maße gefordert und tätig. Die geschichtlichen Vorträge wurden durch ihre Mitglieder gehalten, so der Festvortrag durch Brigitte Metz. Mehrere Bücher konnten erscheinen, sowohl Darstellungsbände als auch eine Quellenpublikation, d.h. die der pommerschen Kirchenordnung von 1535. Als Autoren, auch von Aufsätzen, haben sich insbesondere betätigt Norbert Buske und Hans-Günter Leder, beide dem Leitungskreis angehörend. Nach einer Rügen-Exkursion im Rahmen des Bugenhagen-Gedenkens erfolgte eine Einladung des Roskilder Bischofs Bertil Wiberg zu einem Symposium über die alten Beziehungen zwischen dem Bistum Roskilde und Rügen. So weilte eine Delegation der Greifswalder bzw. pommerschen Landeskirche, der auch Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte angehörten und die schon an der Fähre in Gedser durch Bischof Bertil Wiberg und Pastor Søren Bülow Jensen empfangen wurde, im Sommer 1986 auf Seeland, in Liselund und Kopenhagen.10 Auf Grund einer Gegeneinladung fand 1987 ein weiteres dänisch-deutsches Kolloquium statt, in Zarrendorf bei Stralsund. Auch zur Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und 7 8 9 10

Bischof Otto I. von Bamberg, Beginn der Christianisierung des Peenegebietes, hg. v. Norbert Buske (Kirchengeschichtliche Beiträge), Grimmen 1978. Festschrift zu den 700-Jahrfeiern der Greifswalder Kirchen, red. v. Norbert Buske, Joachim Wächter, Greifswald/Berlin 1980. Einen Überblick über die Veranstaltungen bietet: Ökumenisches Bugenhagen-Gedenken in Greifswald, Dokumentation des Festtages am 24. Juni 1985 in Greifswald, red. v. Norbert Buske, Christoph Ehricht, Joachim Wächter, Greifswald 1987. Die auf dem Symposium gehaltenen Vorträge wurden veröffentlicht in: Bistum Roskilde und Rügen, hg. v. Bertil Wiberg, Roskilde 1987.

Landesgeschichtliche Arbeit im totgeschwiegenen Vorpommern

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Kunst bahnten sich persönliche Kontakte an. Der Vorsitzende Hellmut Hannes weilte z.B. auf einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft in Pasewalk, aber begleitet von der Ungewißheit, wie die DDR-Behörden reagieren würden. Die Bemühungen um eine Genehmigung eines ersten Bandes einer Reihe für Kirchengeschichte waren 1988/89 schließlich erfolgreich. Ehe das Manuskript aber zum Druck gelangte, kam es zur politischen innerdeutschen Wende. In einer Beratung am 11./12. Juni 1990 in Travemünde über den Weg der künftigen pommerschen landesgeschichtlichen Tätigkeit, an der von westlicher Seite Hellmut Hannes und Roderich Schmidt, von östlicher Seite Norbert Buske, Manfred Herling und Joachim Wächter teilnahmen, wurde vereinbart, auf die Herausgabe des Bandes zu verzichten.11 Seine Beiträge wie auch künftige Aufsätze zur pommerschen Kirchengeschichte konnten in den „Baltischen Studien“ erscheinen. Die Arbeitsgemeinschaft blieb aber bestehen, nun unter der zutreffenden Bezeichnung „Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte“, und veranstaltet bis heute Jahrestagungen und Exkursionen.

3. Die Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns Völlig unabhängig von dem kirchengeschichtlichen Geschehen 1985 in Greifswald wurde am 6. Juli 1985 ein erstes Kolloquium zur Geschichte Vorpommerns in Demmin durchgeführt.12 Damit begann ein drittes Kapitel der landesgeschichtlichen Arbeit nach 1945 in Vorpommern. Ursprung des Kolloquiums war das Demminer Museum, das damals von Hans Clemens geleitet wurde. Dort hatten schon im kleinen Kreis Zusammenkünfte zur Information über die pommersche Geschichte, die ja in der Öffentlichkeit weitgehend totgeschwiegen war, stattgefunden. 1984 entstand die Absicht, die Veranstaltungen einem größeren Kreis zugänglich zu machen. Für das erste Kolloquium wurde als Thema gewählt „Einige Aspekte der Schwedenzeit in Vorpommern“. Das war geschickt und zugleich gewagt. Einerseits war die Schwedenzeit 1815 zu Ende gegangen, lag also genau 170 Jahre zurück. Außerdem spielten die von der DDR veranstalteten Ostseewochen in der Öffentlichkeit eine große Rolle. Andererseits war der Begriff „Vorpommern“ in der DDR noch immer nicht üblich. So kam auch kurze Zeit vor dem Kolloquium eine Anfrage der SED -Kreisleitung, warum dieser Name gebraucht würde. Aber dem Kulturbund, in dessen Namen solche Veranstaltungen durchzuführen waren, gelang es offensichtlich, die SED zu beruhigen; der damalige Kreissekretär war Helmut Kruse, der aus dem hinterpommerschen Stolp stammte. Vom zweiten Kolloquium an ist dann der Begriff „Demminer Kolloquium zur Geschichte Vorpommerns“ gebraucht worden. Tatsächlich war aber die Geschichte des gesamten Pommern gemeint. Hauptorganisator und Leiter der Kolloquien war immer in 11 Es wäre ohnehin schwer gewesen, Jahr für Jahr einen Band zu füllen. 12 Einen ausgezeichneten, äußerst inhaltsreichen Überblick über die ersten zehn Jahre der Demminer Kolloquien bietet der Band: Beiträge zur Geschichte Vorpommerns, Die Demminer Kolloquien 1985–1994, hg. v. Haik Thomas Porada, Schwerin 1997.

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bewährter Weise Dr. Henning Rischer. Nachdem im zweiten Kolloquium mit der Würdigung des Kapitalismus-Kritikers Karl Rodbertus, der im Kreis Demmin, in Jagetzow, ansässig gewesen war, und mit dem vierten Kolloquium, das die Geschichte der Arbeiterbewegung als Thema hatte, dem DDR -Zeitgeist entsprochen war, konnten künftig ideologiefreie Gesamtthemen gewählt werden. Dann kam es auch zu einer Berücksichtigung durch die Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte und zu einer Themenabsprache mit ihr für die Tagungen. Eine besondere Bedeutung bekam das achte Kolloquium, das am 7. Juli 1990 stattfand und an dem weit über 100 Besucher, erstmalig auch westdeutsche, teilnahmen. Dieses Kolloquium war eigentlich der Hanse und einem Stadtjubiläum Demmins gewidmet. Daneben sollte aber über die künftige Form der landesgeschichtlichen Arbeit in Vorpommern entschieden werden. Drei Möglichkeiten waren im Gespräch gewesen. Im Grunde ging es aber nur um die Entscheidung zwischen einem neuen selbständigen Verein oder einer Eingliederung in die Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Nach einer lebhaften Aussprache ergab sich in geheimer, schriftlicher Entscheidung eine klar überwiegende Mehrheit für die Bildung einer Abteilung Vorpommern in der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Seither finden die Demminer Kolloquien weiterhin jährlich statt, nur jetzt im Rahmen der Abteilung Vorpommern der „Pommerschen Gesellschaft“, wie man öfter kurz sagt.

4. Abschließende Gesamtschau Nach dem Zweiten Weltkrieg waren zahlreiche Pommern im Westen und Osten Deutschlands bestrebt, an die guten Traditionen der Historischen Kommission für Pommern und der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde anzuknüpfen, im ­Westen offiziell, im Osten – soweit möglich – inoffiziell, unter verschleiertem Namen. Seit der politischen Wende sind die offiziellen Mitglieder im Westen mit den beiden Vereinigungen auf den Boden Pommerns zurückgekehrt und die verhinderten Mitglieder im Osten endlich offiziell geworden. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands ist auf diese Weise auch eine Vereinigung der landesgeschichtlichen Arbeit Pommerns geschehen.

Norbert Buske

Die Historische Kommission für Pommern während und nach der Wiedervereinigung Deutschlands

Anläßlich des 100jährigen Bestehens der Historischen Kommission für Pommern ist mir die Aufgabe zugefallen, die Geschehnisse und Entwicklungen während und nach der Wiedervereinigung Deutschlands darzustellen. Den Hintergrund bilden vielschichtige Wiedervereinigungsprozesse. Zu beachten sind ferner die vor der Wiedervereinigung gegebenen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Erwartungen, die sich aus dem Blickwinkel jener ergaben, die sich im Bereich der DDR – unter den Bedingungen des „real existierenden Sozialismus“ – um die Bewußtmachung und Erforschung der Geschichte Pommerns bemühten. Vor dem Hintergrund der sich seit dem Herbst 1989 überstürzenden Ereignisse trafen sich im Frühsommer, im Juni 1990, im Pommernzentrum in Lübeck-Travemünde die Vorsitzenden der drei durch ähnliche, gelegentlich auch gleiche Aufgabenstellungen einander zugeordneten, der Erforschung und Darstellung der pommerschen Geschichte verpflichteten Einrichtungen: die Historische Kommission für Pommern, vertreten durch Prof. Dr. Roderich Schmidt aus Marburg, die Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V., vertreten durch Dr. Hellmut Hannes aus Celle; sowie die im Bereich der pommerschen Landeskirche tätige Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte, die ich zu vertreten hatte. Angesichts der sich nun deutlich abzeichnenden Wiedervereinigung Deutschlands und dem damit aufs Engste verbundenen Aufbau des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern sollte es zu verbindlichen Absprachen zwischen diesen drei Einrichtungen kommen. Die Grundlage hierfür bildete ein seit langem gewachsenes Vertrauensverhältnis zwischen den drei Vorsitzenden. Die Teilung Deutschlands, ein Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, hatte dazu geführt, daß zwei dieser Einrichtungen, die Gesellschaft für pommersche Geschichte und die Historische Kommission, in den 1950er Jahren nicht in Vorpommern, dem Deutschland verbliebenen Teil Pommerns, sondern in Westdeutschland wieder- beziehungsweise neu errichtet wurden. Ihre Wirksamkeit blieb allerdings – das ergab sich zwangsläufig aus den politischen Rahmenbedingungen jener Zeit – auf das Gebiet der Bundesrepublik beschränkt. Der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft, die sich im Schutz der pommerschen Kirche Arbeitsmöglichkeiten im Bereich der DDR erschließen konnte, wuchsen daher für ihren Wirkungsbereich auch Aufgaben einer Historischen Kommission sowie eines pommerschen Geschichtsvereins zu, Aufgaben, die sie – soweit die Kräfte reichten – stellvertretend wahrzunehmen versuchte. Nach der Überwindung der deutschen Teilung galt es nun, die Gesellschaft für pommersche Geschichte und die Historische Kommission auch in Vorpommern neu und fest zu verankern. Die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft

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hatte das Feld hierfür vorbereitet. Problemlos ließ sich daher der Wirkungsbereich beider Einrichtungen auf das Gebiet des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern ausweiten. Kurzzeitige Bemühungen anderer, einen eigenen pommerschen Geschichtsverein in Vorpommern zu gründen, liefen rasch ins Leere.1

Vor der Wiedervereinigung gegebene Voraussetzungen, Möglichkeiten und Erwartungen Der mit dem Treffen in Lübeck-Travemünde bezeichnete Anfang hatte eine weit zurückreichende Vorgeschichte. Schon bald nach dem Ersten Weltkrieg hatten und pflegten jene, die sich der Erforschung und Darstellung der pommerschen Kirchengeschichte widmeten, Kontakte zur Gesellschaft für pommersche Geschichte sowie zur Historischen Kommission. Einzelheiten hierzu sind wiederholt dargestellt worden.2 Erneut hinzuweisen ist jedoch auf die Zusammenarbeit, die sich während und trotz der Teilung Deutschlands sowohl mit der Historischen Kommission als auch mit der sich neu formierenden Gesellschaft für pommersche Geschichte ergab.

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Vgl. hierzu im Blick auf die Demminer Kolloquien Henning Rischer, Einführung in die Vorgeschichte und Entstehung der Demminer Kolloquien, in: Beiträge zur Geschichte Pommerns. Die Demminer Kolloquien 1985–1994, hg. v. Haik Thomas Porada, Schwerin 1997, S. 13f. Auch andere Bemühungen im Raum Stralsund/Rügen wurden rasch in die Gesellschaft für pommersche Geschichte eingebunden. Norbert Buske, Zur Geschichte und zu den Aufgaben der Territorialkirchengeschichtsforschung im Gebiet der Evangelischen Landeskirche Greifswald, in: Territorialkirchengeschichte. Entwicklung, Aufgaben, Beispiele, hg. v. der Sektion Theologie (damit war die Theologische Fakultät gemeint) der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Redaktion: Norbert Buske, Hans-Günter Leder, Greifswald 1984, S. 6–30; Ders., Zur Arbeit und zu den Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte der Pommerschen Evangelischen Kirche, in: Pommern. Geschichte, Kultur, Wissenschaft. 1. Kolloquium zur Pommerschen Geschichte vom 13. bis 15. November 1990, hg. v. Historischen Institut der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald. Greifswald 1991, S. 36–42; Ders., Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte e.V, in: Handbuch. Deutsche Landeskirchengeschichte, hg. v. Dietrich Blaufuss, Neustadt an der Aisch 1999, S. 109–128, 2. erw. Aufl., in: Territorialkirchengeschichte. Handbuch für Landeskirchen- und Diözesangeschichte, hg. v. Dieter Blaufuss; Thomas Scharf-Wrede, Neustadt an der Aisch 2005, S. 85–101; Ders., 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte der Pommerschen Evangelischen Kirche. Ein persönlicher Rückblick, in: 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte der Pommerschen Evangelischen Kirche, Schwerin 1995, S. 6–69; Ders., Bemühungen um die Bewußtmachung der pommerschen Geschichte beim Aufbau des neuen Bundeslandes MecklenburgVorpommern. Ein persönlicher Rückblick, in: 35 Jahre Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte e.V., hg. v. Norbert Buske Schwerin 2008, S. 11–71; Irmfried Garbe: Der Weg zur ersten pommerschen Kirchengeschichtszeitschrift. Forscher, Verbände, Programme. a.a.O., S. 161–172.

Die Historische Kommission für Pommern während und nach der Wiedervereinigung

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Die Historische Kommission veröffentlichte seit den 1960er Jahren grundlegende Arbeiten des pommerschen Kirchenhistorikers, Pfarrers und Superintendenten Hellmuth Heyden.3 Mit der Herausgabe der Visitationsprotokolle der Reformationszeit durch Heyden konnte die in Westdeutschland wieder begründete Historische Kommission ihre vierte Veröffentlichungsreihe, die Herausgabe der für die Geschichte Pommerns wichtigen Quellen, eröffnen.4 Hellmuth Heyden hatte während des Zweiten Weltkrieges nicht nur die Leitung der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft, die sich damals Landesgruppe Pommern der Luthergesellschaft nannte, sondern auch die Verantwortung für die von dieser Landesgruppe herausgegeben Blätter für Kirchengeschichte Pommerns übernommen. Während des Zusammenbruchs Deutschlands hatte auch Heyden Stettin – er war dort Pfarrer gewesen – verlassen müssen. Die Sowjetunion unterstellte Hinterpommern, und schließlich auch Stettin, der polnischen Verwaltung. Die Bewohner, soweit sie nicht bereits geflohen waren und jene, die nach der Beendigung der Kriegshandlungen wieder zurückgekehrt waren, wurden nahezu vollständig vertrieben. Heyden übernahm nun eine Pfarrstelle im vorpommerschen Richtenberg. Mit seinen Veröffentlichungen in den Reihen der Historischen Kommission leistete er von Vorpommern aus einen wichtigen Beitrag zum Aufbau der sich in Westdeutschland neu konstituierenden Historischen Kommission. Entsprechendes galt für die Kontakte zur Gesellschaft für pommersche Geschichte. Sie ergaben sich aus der von Greifswald aus geleisteten Mitarbeit an dem von der Gesellschaft seit der Mitte der 1950er Jahre wieder herausgegebenen Jahrbuch, den Baltischen Studien. Von Anfang an hatten neben Hellmuth Heyden von Vorpommern aus weitere Forscher, die sich nicht nur der pommerschen Geschichte, sondern auch der pommerschen Kirche verpflichtet fühlten, Beiträge für dieses Jahrbuch geliefert.5 Weitere Mitglieder der kir-

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Brigitte Metz, Dr. Hellmuth Heyden. Sein Leben und Wirken, in: BaltStud, N.F., 81/1995, S. 94–105. Roderich Schmidt, Achtzig Jahre Historische Kommission für Pommern 1910–1990. Verzeichnis ihrer Veröffentlichungen, Ebsdorfergrund 1990. Verwiesen sei auf die von Hellmuth Heyden bearbeiteten Bände: 1. Protokolle der Pommerschen Kirchenvisitationen 1535–1539 (1961); 2. Protokolle der Pommerschen Kirchenvisitationen 1540–1555 (1963); 3. Protokolle der Pommerschen Kirchenvisitationen. Anlagen und Register, mit einem Vorwort von Franz Engel (1964). Weitere Arbeiten von Heyden erschienen seit der Mitte der 1960er Jahre in der fünften Reihe der Veröffentlichungen der Historischen Kommission, in den Forschungen zur pommerschen Geschichte. Beispielhaft verwiesen sei auf die Bände 11 und 12, Pommersche Geistliche vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (1965) und Neue Aufsätze zur Kirchengeschichte Pommerns (1965). Hier ist vor allem der noch kurz vor der Wiedervereinigung Deutschlands in Greifswald zum Professor ernannte Kunsthistoriker Dr. Nikolaus Zaske zu nennen. Zwei seiner Aufsätze seien beispielhaft genannt: Hinrich Brunsberg, ein ordenspreußischer Baumeister der Spätgotik, in: BaltStud, N.F., 44/1957; und: Die Marienkirche in Greifswald und der märkische Einfluß im Wendischen Quartier der Hanse, in: BaltStud, N.F., 45/1958.

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chengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft stießen hinzu.6 Wer sich die damals erschienenen Jahrgänge der Baltischen Studien anschaut, erkennt rasch die Bedeutung, die Beiträge aus Vorpommern für das von der Gesellschaft herausgegebene Jahrbuch gewannen.7 Die Baltischen Studien waren zugleich das Mitteilungsorgan der Historischen Kommission für Pommern. Bei dem genannten Treffen im Frühsommer 1990 kam es rasch zu einer Vereinbarung. Die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft erklärte, daß sie auch weiterhin die Baltischen Studien für Beiträge aus dem Bereich der Kirchengeschichte nutzen würde. Im Blick auf die seit langem praktizierte Zusammenarbeit stellte die Gesellschaft für pommersche Geschichte ihr daraufhin die Baltischen Studien als Mitteilungsorgan zur Verfügung. Die Arbeitsgemeinschaft ihrerseits verzichtete im Gegenzug auf die Wiederbegründung der Blätter für Kirchengeschichte Pommerns.8 Es ging jetzt darum, alle verfügbaren Kräfte zu bündeln. Die für das ursprünglich vorgesehene erste Heft einer wieder zu begründenden kirchengeschichtlichen Veröffentlichungsreihe bereits vorliegenden Aufsätze wurden nun in den Baltischen Studien abgedruckt, zahlreiche weitere Beiträge folgten.9 6 7

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Seit 1969 beteiligte ich mich selbst nahezu in jedem Jahr mit einem Beitrag. In den 1980er Jahren stießen weitere Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft hinzu. Genannt seien der damals schon im Ruhestand lebende Oberkonsistorialrat Walter Kusch und Pastorin Brigitte Metz. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf eine im Bereich der DDR geschaffene Veröffentlichungsmöglichkeit, die Greifswald-Stralsunder Jahrbücher, die innerhalb Vorpommerns einen gewissen Ausgleich bot. Diese Jahrbücher konnten von 1961 bis 1982 erscheinen. Sie wurden herausgegeben vom Kulturhistorischen Museum Stralsund, dem Stadtarchiv Stralsund, dem Staatsarchiv Greifswald, dem Museum der Stadt Greifswald und dem Stadtarchiv Greifswald. Von Anfang an gehörten auch Vertreter der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft zu den Autoren. Andere Autoren dieses Jahrbuchs waren der Arbeitsgemeinschaft verbunden und unterstützten sie. Seit der ersten Hälfte der 1980er versuchte nun die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft in dem ihr möglichen Bereich diese Veröffentlichungslücke zu schließen. Vgl. Buske, 20 Jahre, (wie Anm. 2), S. 87–91. Noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands war der Arbeitsgemeinschaft die damals in der DDR notwendige, nur schwer zu erlangende Lizenz für die Wiederbegründung dieses kirchengeschichtlichen Periodikums vor dem Hintergrund der vielfältigen Absprachen zur Renovierung und Wiedereinweihung des Greifswalder Doms zugesagt worden. Vgl. hierzu Buske, Blätter für Kirchengeschichte, (wie Anm. 2) und zu den Druckgenehmigungsverfahren Buske, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft, (wie Anm. 2), S.62ff. Bei diesen vor der Wiedervereinigung Deutschlands niemals offiziell, sondern bewußt privat gestalteten Kontakten zur Schriftleitung der Baltischen Studien, vor allem zu Dr. Claus Conrad in Göttingen, ist zu berücksichtigen, daß Postsendungen nach Westdeutschland jederzeit von den Zensurbehörden der DDR geöffnet werden konnten und auch geöffnet wurden. Die uns als den Verfassern der veröffentlichten Aufsätze aus Westdeutschland übersandten Sonderdrucke wurden seitens der nun zusätzlich eingeschalteten Zollverwaltung als verbotene Literatur beschlagnahmt. In einigen Fällen konnte ich die mir zugeschickten Sonderdrucke, nach einem langwierigen Antragsverfahren, im Rostocker Hauptzollamt persönlich abholen. Wir suchten daher nach anderen Wegen, um in den Besitz der eigenen gedruckten Texte zu gelangen, und hatten dabei zumeist Erfolg. Zu berücksichtigen ist ferner, daß es seit den

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Seit den 1970er und 1980er Jahren war es zu mehreren persönlichen Begegnungen der an der Geschichte Pommerns Interessierten gekommen. Sie ergaben sich anläßlich von Besuchen unserer westdeutschen Gäste.10 Als unsererseits Besuchsreisen zu den nächsten Angehörigen in der Bundesrepublik und in Westberlin anläßlich hoher Geburtstage möglich wurden, sowie bei gelegentlichen Dienstreisen nach Westdeutschland in kirchlichem Auftrag, kamen weitere Begegnungen in Westdeutschland hinzu.11 Andererseits konnte der Vorsitzende der Gesellschaft für pommersche Geschichte – sicher argwöhnisch von den entsprechenden Dienststellen der DDR beobachtet – wiederholt an den öffentlichen Jahrestagungen der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft teilnehmen, ein Grußwort im Namen der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. sprechen und schließlich sogar einen im Programm deutlich ausgewiesenen Vortrag halten. Was uns heute simpel erscheint, war damals durchaus nicht selbstverständlich. Anläßlich einer kirchlichen Dienstreise konnte ich bald darauf Hellmut Hannes einen Gegenbesuch abstatten. Weitere Kontakte ergaben sich anläßlich des Bugenhagen- und Reformationsjubiläums 1985 in Greifswald12 sowie im Juni 1989 anläßlich der Wiedereinweihung des renovierten Greifswalder Doms.13 Auch der Vorsitzende der Historischen Kommission Roderich Schmidt sowie weitere Vertreter der Historischen Kommission gehörten zu den von der Arbeitsgemeinschaft benannten und von der Landeskirche eingeladenen Ehrengästen. Nach den offiziellen Veranstaltungen zur Domeinweihung saßen wir anschließend noch lange – Prof. Dr. Jürgen Petersohn, stellvertretender Vorsitzender der Historischen Kommission,

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1970/80er Jahren – soweit es mir jetzt im Rückblick erinnerlich ist – nur noch Privatpersonen und kirchlichen Mitarbeitern möglich war, die genannten Veröffentlichungsmöglichkeiten in Westdeutschland zu nutzen. Angehörige staatlicher Einrichtungen, dazu gehörte selbstverständlich die Universität, mußten zuvor bei ihrer vorgesetzten Dienststelle entsprechende Veröffentlichungsgenehmigungen einholen. Spätestens seit den 1970/80er Jahren war daher der Personenkreis, der die in Westdeutschland gebotenen Veröffentlichungsmöglichkeiten nutzen konnte, von vornherein begrenzt. Die Besuche erfolgten oft aufgrund gezielt ausgesprochener Einladungen unsererseits. Hierfür mußten sorgfältig auszufüllende Anträge auf Genehmigung zur Einreise „aus dem nicht sozialistischen Ausland“ gestellt werden. Das habe ich ausführlich in meinem persönlichen Rückblick geschildert. Buske, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft, (wie Anm. 2). Norbert Buske; Christoph Ehricht; Joachim Wächter, Verpflichtendes Vermächtnis. Ökumenisches Bugenhagen-Gedenken in Greifswald aus Anlaß der Reformation im Herzogtum Pommern vor 450 Jahren und des 500. Geburtstages des Reformators Dr. Johannes Bugenhagen, Pomeranus. Dokumentation des Festtages am 24. Juni 1985 und Hinweise auf weitere Veranstaltungen zum Bugenhagen-Gedenken (sowie eine Zusammenstellung der Ausstellungen und Veröffentlichungen), Greifswald 1986. Norbert Buske, Symposium und Ausstellung anläßlich der Wiedereinweihung des Doms St. Nikolai in Greifswald im Juni 1989. Zur Geschichte, zum Bau und zu den Restaurierungen des Domes. Gottlieb Giese, Maler und Architekt 1787–1838. Dokumentation und Rückblick, Schwerin 2005.

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stieß hinzu – im Pfarrhaus in Levenhagen beieinander. Wir sprachen über Perspektiven der pommerschen Geschichtsforschung und sorgenvoll über Auflösungserscheinungen und den damit verbundenen Verhärtungen einzelner Vertreter der Partei- und Staatsführung der DDR , nicht ahnend, daß sich wenige Monate später Chancen zur Wiedervereinigung Deutschlands eröffnen würden. Zu den hier nur stichpunktartig zu nennenden Verbindungen nach Westdeutschland gehörten weitere Kontakte. Hervorzuheben sind die Vermittlungen des Juristen und Rechtshistorikers Prof. Dr. Hans Hattenhauer aus Kiel. Ähnlich wie wir von Greifswald aus die Kontakte zu Historikern und geschichtlichen Vereinen in Westdeutschland suchten, bemühte sich Hattenhauer von Kiel aus um Kontakte zu Kollegen in der DDR . Was damals im Bereich der Territorialgeschichtler schon schwierig war, erschien im Bereich der Vertreter der Rechtswissenschaften, soweit es sich nicht um staats- und SED -konforme Veranstaltungen handelte, als nahezu ausgeschlossen. Auf Bitten Hattenhauers bot sich die Kirche auch hier als Veranstalter an. In enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft für mecklenburgische Kirchengeschichte unter der Leitung von Pfarrer Dr. Michael Bunners konnten wir mehrere Ökumenische Studientagungen zur Kirchenrechtsgeschichte, an denen auch Vertreter aus Skandinavien teilnahmen, ausrichten.14 Diese Begegnungen gewannen vor dem Hintergrund der wirtschaftlich und ideologisch rasch zusammenbrechenden DDR unvermutet an Bedeutung.15 Die Kontakte zu Hattenhauer erwiesen sich als Glücksfall für das neue Bundesland. Hattenhauer stand mir – und damit dem Rechtsausschuß des Landtages – für Rechtsfragen und zur Vermittlung weiterer anerkannter Fachleute jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Das wurde vor allem im Blick auf die Arbeit an der Landesverfassung wichtig. Wenn ich rückblickend die weitere Entwicklung der Historischen Kommission betrachte und mir die vielfältigen Querverbindungen jener Zeit in Erinnerung rufe, dann ist die 14 Vgl. Buske, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft, (wie Anm. 2), S. 46ff. Vieles mußte damals stellvertretend von der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft für andere wahrgenommen werden. Als die Greifswalder Universität im Herbst 1989 ihrer Wiedererrichtung vor 450 Jahren gedachte, mußte seitens der Theologischen Fakultät von der Territorialkirchengeschichte mit einem Vortrag an die inzwischen nicht mehr bestehende Juristische Fakultät erinnert werden. a.a.O., S. 49f. 15 Es begann im Frühjahr 1988 mit Vorgesprächen zur Aufnahme informeller Kontakte zwischen Vertretern des Hauptvorstandes der CDU in Ostberlin mit Vertretern des Landesverbandes der CDU in Schleswig-Holstein. Vermittler auf westdeutscher Seite waren ein Vertreter der Hermann-Ehlert-Stiftung in Kiel und Hans Hattenhauer. Ich hatte das Pfarrhaus in Levenhagen hierfür zur Verfügung gestellt. Etwa eine Stunde vor dem vereinbarten Termin erreichte uns eine telefonische Absage des Vertreters der CDU-Ost. Ihn hatte offenbar eine politische Erkältung ereilt. Daraufhin wurden andere Verbindungen geknüpft und ausgebaut. Beispielhaft genannt seien die Kontakte zu den Sprechern der Pommerschen Landsmannschaft: Dr. Hans Edgar Jahn, langjähriges Mitglied des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments, sowie Philipp v. Bismarck und Günter Friedrich. Auch Georg Poetzsch-Heffter, Staatssekretär a.D. der Staatskanzlei Schleswig-Holstein ist hier zu nennen.

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zunächst zufällig wirkende, für eine Historische Kommission ungewöhnliche weitere Entwicklung, die dazu führte, daß die Historische Kommission seit September 2000 in der Nachfolge von Roderich Schmidt von einem Juristen, Prof. Dr. Jürgen Kohler,16 und ihm folgend von Dezember 2005 bis Oktober 2009 wiederum von einem Juristen, Prof. Dr. Jürgen Regge, geleitet wurde, wohl doch nicht ganz so zufällig, wie es zunächst scheinen mag. Zu den Einzelheiten und Hintergründen, die zu dieser Entwicklung führten, werden sich die damaligen Vorsitzenden sicherlich selbst gelegentlich äußern. Dankbar zu nennen ist ferner der damalige Synodalpräses der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche, Dr. Hans-Rolf Dräger.17 Vieles, was auch den Kontakten zur Historischen Kommission und zur pommerschen Gesellschaft zugute kam, wäre ohne seinen Einsatz nicht möglich gewesen. Zu nennen sind ferner die Stiftung Pommern unter der Leitung von Helga Wetzel, die Verbindung zur kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft in Schleswig-Holstein unter der Leitung von Prof. Dr. Lorenz Hein sowie der politische Rückhalt, den uns die freundschaftliche, vom pommerschen Bischof Dr. Horst Gienke geknüpfte Verbindung zum dänischen Bischof Bertil Wiberg in Roskilde bei den Verhandlungen um Druckgenehmigungen und Veranstaltungen bot. Die Verantwortlichen in der nach internationaler Wertschätzung lechzenden DDR zeigten sich beeindruckt von diesen Kontakten und ermöglichten Genehmigungen, auf die wir zuvor nicht hatten hoffen können. Im Rahmen dieses kurzen Beitrags muß ich mich mit diesen stichpunktartigen Hinweisen auf die vor der Wiedervereinigung Deutschlands bestehenden Kontakte nach Westdeutschland und Dänemark begnügen. Ein ergänzender Hinweis sei allerdings angefügt. Er gilt den kleineren regionalen Archiven und kleinen Museen in der DDR , deren Leiter – gelegentlich unterhalb der offiziellen Ebene – gerne und freundlich mit uns zusammenarbeiteten. Es ist auch diesen Einrichtungen zu verdanken, daß die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft bereits damals über den kirchlichen Bereich hinaus in die Öffentlichkeit hinein wirken konnte. Stellvertretend für sie alle seien der Direktor des Stralsunder Stadtarchivs Prof. Dr. Herbert Ewe, der Archivar des Greifswalder Stadtarchivs Rudolf Biederstedt, der Archivar des Greifswalder Universitätsarchivs Manfred Herling und der mit seinen Forschungen zu Gerhard Hauptmann bekannt gewordene Germanist Dr. Gustav Erdmann18 genannt. So hat alles seine Vorgeschichte und beginnt bereits lange vor seinem Anfang.19 Auf die enge Zusammenarbeit mit den kirchengeschichtli16 Auf der Mitgliederversammlung im September 2000 in Pasewalk wurde ein neuer Vorstand gewählt: 1. Vorsitzender: Jürgen Kohler, 2. Vorsitzender: Roderich Schmidt; Beisitzer: Jürgen Petersohn, Norbert Buske, Joachim Wächter. 17 Vgl. hierzu Buske, 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft, (wie Anm. 2), S. 58ff. 18 Gustav Erdmann leitete die Gerhard-Hauptmann-Gedächtnisstätte in Berlin Erkner. 19 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang auch die im Rahmen des Kulturbundes der DDR von Henning Rischer, Lehrer in Loitz, seit 1985 initiierten Demminer Kolloquien, die sich der Bewußtmachung der vorpommerschen Geschichte widmeten. Vgl. hierzu: Henning Rischer; Dirk Schleinert, 25 Jahre Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns, in: BaltStud,

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chen Arbeitsgemeinschaften der anderen Landeskirchen innerhalb der DDR brauche ich nicht weiter einzugehen. Sie verstand und versteht sich von selbst. Manches kann hierzu in den einschlägigen Berichten dieser weiterhin locker zusammengeschlossenen Arbeitsgemeinschaften nachgelesen werden.20

Zur Zusammenarbeit mit Vertretern der Greifswalder Universität Auf dem Treffen im Frühsommer 1990 sprachen wir ferner über die für uns selbstverständliche Zusammenarbeit mit der Greifswalder Universität, jene hohe Schule, die mit ihrem Namen Ernst-Moritz-Arndt-Universität auch während der DDR-Zeit die Nachdenkenden

N.F., 96/2010, S. 93–104. Den Veranstaltern der Demminer Kolloquien war es gelungen, einige der auf den Tagungen gehaltenen Vorträge drucken zu lassen. Das wird in den oben genannten Ausführungen von Rischer und Schleinert sowie in der Einleitung von Henning Rischer , (wie Anm. 1), nur ganz am Rande genannt und sei hier ergänzt. Herausgegeben wurden diese Vorträge vom „Kulturbund der DDR-Gesellschaft für Heimatgeschichte Demmin“, dem „Rat des Kreises Demmin“ und dem „Rat der Stadt Demmin“. Mir liegen die Hefte zum 2. (1985) und zum 3. (1986) Kolloquium vor. Für die Titelblattgestaltung dieser Hefte hatten die Initiatoren – zu meiner Freude – das große neunfeldrige pommersche Wappen übernommen, das die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft als Unterdruck für ihre Briefbögen benutzte. „Nach den ersten Kolloquien erfolgte eine inhaltliche Abstimmung mit der damals schon sehr erfolgreich tätigen Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte der evangelischen Kirche.“ Rischer, (wie Anm. 1), S. 13. Rischer gehörte zum Leitungskreis der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft. Aufschlußreich ist ein Vergleich zwischen den 1987 zum 2. und 3. Kolloquium gedruckt vorliegenden Vorträgen mit deren erneutem Abdruck 1997 bei Porada, (wie Anm. 1). Während bei mehreren Vorträgen die Fassungen weitgehend übereinstimmen, sind einige Vorträge für die Druckfassung nach der Wiedervereinigung Deutschlands überarbeitet und ergänzt worden. Das war den Autoren ausdrücklich freigestellt worden (S. 9). Joachim Wächter weist in seinem ersten Beitrag ausdrücklich darauf hin [Porada, (wie Anm. 1), S. 24,]. Der Herausgeber merkt dazu an: „Einige Beiträge erscheinen hier in ihrer Originalform, sind somit also auch Dokumente ihrer Entstehungszeit.“ [Porada, (wie Anm. 1), S. 10]. Nach 1990 fanden die Demminer Kolloquien unter dem Dach der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. statt. 20 Diese Berichte wurden in den Herbergen der Christenheit, Jahrbücher für deutsche Kirchengeschichte veröffentlicht. Diese Jahrbücher erschienen seit 1957. Bemühungen zu ihrer Herausgabe setzen allerdings bereits 1951 ein. Herausgeber waren die kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaften der evangelischen Landeskirchen im Bereich der DDR . Diese sich hieraus ergebende, lockere Zusammenarbeit wurde in Leipzig gebündelt und bot Arbeiten zur Kirchengeschichte des mitteldeutschen Raums. Sie wird bis heute weiter geführt. Eine ausführliche, detailreiche Darstellung zu den Bemühungen um Forschung und Bewußtmachung der sächsischen Landesgeschichte unter den nach 1945 zu berücksichtigenden Voraussetzungen und Behinderungen bietet Winfried Müller, Landes- und Regionalgeschichte in Sachsen 1945–1989. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaften in der DDR, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 144/2008, S. 87–186.

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an die Einheit Deutschlands erinnert hatte. Unser Ansprechpartner war der neue, im späten Frühjahr 1990 gewählte Rektor der Universität, der Greifswalder Alttestamentler Prof. Dr. Hans-Jürgen Zobel. Er gehörte seit langem zu den Freunden und Förderern der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft.21 Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands unterstützte er dann, nicht zuletzt auch im Blick auf das neu aufzubauende Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, alle Bemühungen, die darauf gerichtet waren, pommersche Identität wieder bewußt und für die Entwicklung der Region Vorpommern fruchtbar zu machen.22 Bereits im Herbst 1990 erklärte er den Beitritt der Universität zur Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. Auch im Blick auf andere Mitglieder der Theologischen Fakultät konnten wir nahtlos an längst bestehende Verbindungen anknüpfen. Stellvertretend sei hier Prof. Dr. Hans-Günter Leder genannt.23 Gleiches galt für den Bereich der Archäologie. Prof. Dr. Günter Mangelsdorf, der ebenfalls seit langem die Arbeit der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft freundlich begleitet hatte, stellte sich sofort in den Dienst der Historischen Kommission und griff das von Jürgen Petersohn entwickelte Forschungsprojekt „Usedom“ auf. Hieraus ergaben sich mehrere Arbeitstreffen und Tagungen. Von entsprechenden Voraussetzungen konnten wir im Blick auf die Sektion Geschichtswissenschaften, die sich seit dem Frühsommer 1990 wieder „Historisches Institut“ nannte, nicht ausgehen. Seit dem Ende der 1950er Jahre gab es an der Greifswalder Universität – von den Arbeiten zur Territorialkirchengeschichte abgesehen – keine auf die Geschichte Pommerns gerichtete Forschung. Wenn dieser Bereich in der Sektion Geschichtswissenschaften überhaupt berührt wurde, dann geschah dies entweder unter übergreifenden Gesichtspunkten, bei denen man Pommern nicht völlig ausklammern konnte – ich begnüge mich hier mit dem Stichwort Hanseforschung – oder man beschränkte sich ganz auf das vorpommersche Gebiet. Prof. Dr. Konrad Fritze, langjähriger Direktor der Sektion Geschichtswissenschaften, benennt vor dem Hintergrund der bereits erfolgten Umbrüche im Herbst 1990 Fehler und Versäumnisse. Er stellte fest, daß nach den damaligen Maßgaben 21 Im Frühjahr 1984 hatte er sich als Direktor der Sektion Theologie – das war die damalige Bezeichnung für den Dekan der Theologischen Fakultät – nachdrücklich dafür eingesetzt, daß die Territorialkirchengeschichte wieder in das Lehrprogramm aufgenommen wurde. Verwiesen sei auf sein, zusammen mit dem Kirchenhistoriker Hans-Günter Leder verfaßtes Vorwort zu der bereits genannten Veröffentlichung: Territorialkirchengeschichte. Entwicklung, Aufgaben und Beispiele, (wie Anm. 2). Zu denen, die an der Theologischen Fakultät der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft besonders verbunden waren und ihr seit den 1980er Jahren weitere Wirkungsmöglichkeiten eröffneten, gehörte auch der damalige archäologisch interessierte Prof. Dr. Günther Kehnscherper. Sein Fachgebiet war die Praktische Theologie. Er darf nicht mit seinem Vater Prof. Dr. Gerhard Kehnscherper, für den in Greifswald eine Professur für Angewandte Theologie errichtet worden war, verwechselt werden. 22 Hans-Jürgen Zobel war während der 2. Wahlperiode Mitglied des Landtages MecklenburgVorpommern. 23 Der Greifswalder Kirchenhistoriker gehörte zum Leitungskreis der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft.

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der Partei- und Staatsführung „die Oder gewissermaßen auch eine wissenschaftliche Grenzlinie“ bildete. Die in jener Zeit vorgelegten Arbeiten hätten überdies „einen sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Wert“ gehabt, „weil sie sehr unterschiedlich stark politisch indoktriniert“ waren. Seine jüngeren Kollegen forderte Konrad Fritze deshalb auf, künftig eng mit der Historischen Kommission für Pommern und mit der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. zusammenzuarbeiten.24 Konrad Fritze konnte mit seinem Aufruf daran anknüpfen, daß die Sektion Geschichtswissenschaften seit den 1980er Jahren damit begonnen hatte, sich im Blick auf Forschungen zur pommerschen Geschichte im Windschatten der kirchlichen Bemühungen langsam und sehr vorsichtig neu zu orientieren.25 Beispielhaft verwiesen sei auf das Lutherjubiläum 1983 24 Konrad Fritze, Pommernforschung am Historischen Institut der Universität Greifswald, in: Pommern. Geschichte, Kultur, Wissenschaft. 1. Kolloquium zur Pommerschen Geschichte von 13. bis 15. November 1990. Greifswald 1991, S. 13–23, hier vor allem S. 16–19. Fritze war im Herbst 1990 schwer erkrankt und starb bald darauf. Seine Nachfolge als Direktor des Historischen Instituts übernahm 1991 Doz. Dr. Horst Wernicke. 25 Ein Jahrzehnt früher als die Sektion Geschichtswissenschaften begann sich die Sektion Germanistik, Kunst- und Musikwissenschaft Fragestellungen der pommerschen Kunstgeschichte zu öffnen. Vor allem im Blick auf die kirchliche Kunst des Mittelalters, speziell auch der Backsteingotik, waren die entsprechenden Greifswalder Traditionen niemals völlig abgebrochen. Sie wurden vom damaligen Dozenten Dr. Nikolaus Zaske, zum Teil unter der Hand, fortgeführt (vgl. Anm. 5). Dabei ist zu berücksichtigen, daß es neben den Vertretern der Kunstgeschichte im Rahmen der genannten Sektion auch, das nach wie vor der Sektion Theologie (Theologische Fakultät) zugeordnete Victor Schulze Institut für christliche Archäologie, gab. Dort beschäftigte man sich weiterhin mit diesen Fragestellungen. Vgl. hierzu den Beitrag von Prof. Lic. Dr. Klaus Wessel, Victor Schultze, in: Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald, Greifswald 1956, Bd. II, S. 63–68. Später übernahm Hans Georg Thümmel, anfangs als Assistent, später Dozent, nach der Wiedervereinigung Deutschlands als Professor diesen Aufgabenbereich. Vertreter der Sektion Germanistik, Kunst- und Musikwissenschaft nutzten seit der Mitte des 1970er Jahre die Caspar-David-Friedrich Ehrung in der DDR 1974 für ihre Greifswalder Romantik Konferenzen. Verwiesen sei auf den ersten Tagungsband „Caspar David Friedrich“, der 1976 als Sonderband der Wissenschaftlichen Zeitschrift der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald erschien. Stellvertretend seien hier Prof. Dr. Hannelore Gärtner und Dr. Klaus Haese genannt. Angemerkt sei ferner, daß das von der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft anläßlich der Wiedereinweihung des Greifswalder Doms St. Nikolai 1989 ausgerichtete Symposium im Blick auf den 150. Todestag von Caspar David Friedrich für die Zeit vom 3. bis 6. Mai 1990 mit einem „Gesamtdeutschen wissenschaftlichen Symposion“ eine Fortsetzung finden sollte. Die Landeskirche war als Ausrichter vorgesehen. Vertreter der Universität sollten eingebunden werden. Aufgrund der sich überstürzenden Ereignisse zur Wiedervereinigung Deutschlands mußte diese Tagung jedoch abgesagt werden. „Nach dem Rücktritt von Bischof Dr. Horst Gienke war niemand in der Landeskirche bereit, die Mitverantwortung für diese Tagung zu übernehmen. Der Arbeitsgemeinschaft Kirchengeschichte fehlte die Rückendeckung und die für eine solche Tagung erforderliche organisatorische Hilfestellung. Anderes drängte sich in den Vordergrund.“ Verwiesen wurde auf die Gutachten zur Bildung des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern. Vgl. hierzu Buske 2005, (wie Anm. 13), S. 12f. Dort auch ausführlich zu den Referenten, die zumeist schon zugesagt

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und 1985 auf das von der pommerschen Landeskirche ausgerichtete Reformations- und Bugenhagen-Gedächtnis.26 Mit der nach der Wiedervereinigung gegebenen Einbeziehung des Historischen Instituts in die Arbeit der Historischen Kommission für Pommern wurde ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Zusammenarbeit eröffnet. Neue Berufungen wurden ausgesprochen. Auch eine Stiftungsprofessur für pommersche Geschichte konnte errichtet werden.27 Einer der Berater der neuen Landesregierung in Schwerin für entsprechende universitäre Fragen war der Vorsitzende der Historischen Kommission Roderich Schmidt. Im Spätherbst 1990 konnte das erste Kolloquium zur pommerschen Geschichte in feierlichem Rahmen von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald ausgerichtet werden. Nach der Eröffnung und der Begrüßung der zahlreichen Ehrengäste durch den Rektor, Hans-Jürgen Zobel, wandte sich der Vorsitzende der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Hellmut Hannes, mit einem Grußwort an die Versammlung. Für das Histo­rische Institut, das erst seit kurzem wieder diesen Namen trug, skizzierte und wertete Konrad Fritze die Arbeit der Sektion Geschichtswissenschaften vor der Wiedervereinigung Deutschlands. Roderich Schmidt gab einen Überblick über die Bemühungen und Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Mir fiel es zu, Arbeit und Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte darzustellen. Es folgten über 40 Beiträge zur pommerschen Geschichte aus den verschiedensten Forschungsbereichen. Sie wurden im Jahr darauf in einem Sammelband veröffentlicht.28 Verbunden wurde dieses Kolloquium zur pommerschen Geschichte mit einer Ehrenpromotion. Die Theologische Fakultät verlieh dem Vorsitzenden der Historischen Kommission für Pommern, Roderich Schmidt, in Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen und als Wiedergutmachungsakt des an ihm Ende der 1950er Jahre begangenen Unrechts die Ehrendoktorwürde. Es ist für die Umbruchssituation jener Zeit bezeichnend, daß nicht die unmittelbaren Fachkollegen Schmidts diese Ehrung veranlaßten und vollzogen, sondern die Theologische Fakultät.29

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hatten, und deren Themen. Dieser Hinweis auf die Romantik-Konferenzen ist in die Anmerkungen verwiesen, da kunstgeschichtliche Fragestellungen damals nur am Rande ins Blickfeld der Historischen Kommission gerieten. Buske; Ehricht; Wächter, Verpflichtendes Vermächtnis, (wie Anm. 12). Berufen wurde Prof. Dr. Werner Buchholz. Er wurde bald darauf Beisitzer im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte. Pommern. Geschichte, Kultur, Wissenschaft, (wie Anm. 24). Bezeichnend ist die aus den Vorstellungsbereichen der DDR übernommene, ausführlich aufgeführte Hierarchie der für die Herausgabe Verantwortlichen. Herausgeber war der Rektor der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Prof. Dr. Hans-Jürgen Zobel, das Historische Institut mit seinem Direktor Doz. Dr. Horst Wernicke, die Presse- und Informationsstelle mit ihrem Leiter Dr. Siegfried Lotz. Die Redaktion hatten Prof. Dr. Wolfgang Wilhelmus, Dr. Agneta Schönrock, Dr. Michael F. Scholz, Dr. Thomas Brück, Dr. Ralf-Gunnar Werlich und Edine Breier. Eine weitere Ehrung wurde Roderich Schmidt anläßlich seines 70. Geburtstages zuteil. Eine Festschrift mit 35 Beiträgen zur Geschichte Pommerns wurde ihm gewidmet und in feierlichem

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Schon im Frühherbst 1991 kam es zu einem zweiten von der Universität ausgerichteten, breit angelegten Kolloquium zur pommerschen Geschichte. Der noch im gleichen Jahr veröffentlichte Tagungsband zeigt, daß die anfängliche allgemeine Begeisterung für Pommern, die sich in jener Umbruchssituation gezeigt hatte, im Schwinden begriffen war. Diesmal standen nur noch 11 Beiträge zur Verfügung.30 Das ist in vielerlei Hinsicht für die sich hier bereits andeutende weitere Entwicklung bezeichnend. Schon im Blick auf das zweite Kolloquium sind eine unmittelbare Beteiligung der Historischen Kommission und der Gesellschaft für pommersche Geschichte nicht mehr erkennbar.31 In der Folgezeit ergriff die Historische Kommission allerdings ihrerseits wiederholt die Initiative zu gemeinsamen mit der Universität verantworteten Tagungen – verwiesen sei auf die im Herbst 1995 durchgeführte Tagung „Tausend Jahre pommersche Geschichte“ – oder ließ sich durch die jeweiligen Lehrstuhlinhaber bei Tagungen zu speziellen Fragestellungen als fördernde Einrichtung einbinden. Insgesamt bleibt aber festzustellen, daß die aus den alten Bundesländern übernommenen Vorstellungsmuster nicht den breit gefächerten Möglichkeiten, die sich aus der damaligen Umbruchssituation ergaben, gerecht wurden. Man arbeitete weitgehend unabhängig voneinander an seinen jeweiligen Forschungsvorhaben, die man sich suchte oder mitgebracht

Rahmen überreicht, diesmal von Vertretern der Philosophischen Fakultät: Land am Meer. Pommern im Siegel seiner Geschichte, hg. v. Werner Buchholz, Günter Mangelsdorf, (Forschungen zur pommerschen Geschichte, 29), Köln/Weimar/Wien 1995. 30 Pommern. Geschichte, Kultur, Wissenschaft. 2. Kolloquium zur Pommerschen Geschichte am 13. und 14. September 1991, Greifswald 1991. Als Herausgeber werden wieder der Rektor und der Direktor des Historischen Instituts genannt. 31 Eine Verbindung ergab sich lediglich indirekt aus meiner Beteiligung mit einem Beitrag „Ein Wort über die steigende Not des Tagelöhners in Pommern“ – der Bericht eines Pfarrers aus dem Jahr 1821, in: Pommern, 2. Kolloquium, (wie Anm. 30), S. 115–129. Im Blick auf das „3. Kolloquium zur Pommerschen Geschichte. Pommern im Reich und in Europa“ vom 13.–14.10.1993 gab es überhaupt keine Querverbindungen mehr, weder zur Historischen Kommission noch zur Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte. Der von Horst Wernicke und Ralf-Gunnar Werlich herausgegebene, 1996 erschienene Tagungsband bietet 30 Beiträge. In seinem einleitenden Aufsatz stellt Horst Wernicke – er war inzwischen zum Professor und Direktor des Historischen Instituts ernannt worden – hierzu folgendes fest: „Die vielfach isoliert und von einzelnen Forschern getragenen Aktivitäten laufen nur rein zufällig zusammen.“ (S.15) Er erinnert zwar daran, daß sich mit der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft „seit Anfang der siebziger Jahre die einzige sich kontinuierlich mit pommerscher Landesgeschichte in Ostdeutschland beschäftigende Gruppe“ herausbildete (S. 18), geht aber auf die parallel zum „3. Kolloquium“ laufenden Vorbereitungen zu der von der Historischen Kommission in Verbindung mit der von Ernst-Moritz-Arndt-Universität ausgerichteten Tagung „Tausend Jahre pommersche Geschichte“, in die auch die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft eingebunden war, nicht ein. (Vgl. hierzu Anm. 50 u. 51.) Auf dieser 1995 ausgerichteten von der Historischen Kommission initiierten Tagung gab der Rektor der Universität Hans-Jürgen Zobel eine ausführliche, eindrückliche Darstellung zur „Erneuerung der Ernst-Moritz-ArndtUniversität nach der Wende“ seit dem Herbst 1989 (siehe Anm. 51).

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hatte. Die Beteiligung von einzelnen Lehrstuhlinhabern an den Mitgliederversammlungen der Historischen Kommission konzentrierte sich mehr und mehr auf die Einwerbung von zusätzlichen, über die Historische Kommission zur Verfügung zu stellenden Druckkostenzuschüssen für Veröffentlichungen aus den Bereichen ihrer jeweiligen Lehrstühle. Das schloß nicht aus und sei dankbar festgehalten, daß es im Blick auf einzelne Fragestellungen und Forschungsvorhaben sowie hinsichtlich der Ausrichtung von Tagungen weiterhin zu mancherlei fruchtbaren Kontakten kam. Stellvertretend seien hier Prof. Dr. Jens E. Olesen und Prof. Dr. Werner Buchholz genannt. Entsprechende erfreuliche Beispiele wechselseitiger Zusammenarbeit ergeben sich inzwischen auch mit Vertretern der jüngeren, der nachwachsenden Generation, von denen sich mehrere der Erforschung und Bewußtmachung der pommerschen Geschichte verpflichtet wissen. Das wird auch an der deutlichen Verjüngung der Vorstände, sowohl der Historischen Kommission als auch der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft, deutlich. Es gibt aber noch genug Möglichkeiten, diese Zusammenarbeit weiter auszubauen.

Organisatorische Veränderungen Mit der Wiedervereinigung Deutschlands waren von der Historischen Kommission zwangsläufig auch organisatorische Fragen zu klären. Auf ihrer Mitgliederversammlung in Marburg, Anfang November 1990, wurden Mitglieder aus dem sich neu konstituierenden Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hinzu gewählt. 32 Zwei von ihnen rückten bald darauf in den fünfköpfigen Vorstand auf.33 Es handelte sich um den Geschäftsführer der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft Dipl.-Archivar Joachim Wächter34 und um mich, den Vorsitzenden dieser Arbeitsgemeinschaft. Hieran wird deutlich, wie rasch die Zusammenarbeit zwischen der Historischen Kommission und der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft vorangetrieben worden war.35 Als Vorstandsmitglieder bestätigt wurden 32 Nach einer Zusammenstellung privater Unterlagen, die zusammen mit diesem Manuskript dem Vorsitzenden der Historischen Kommission, dem Direktor des Landesarchivs Greifswald Dr. Martin Schoebel, übergeben wurden. Bl. 1–5. 33 Die erste vollständige Liste, sowohl der ordentlichen Mitglieder als auch der Korrespondierenden Mitglieder sowie die genaue Zusammensetzung des Vorstandes, die mir vorliegt, wurde im Anschluß einer mit einer Mitgliederversammlung verbundenen Vorstandssitzung 1996 in Stralsund angefertigt. Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 69–76. 34 Joachim Wächter leitete das Archiv der Landeskirche. Zuvor hatte er das Staatsarchiv Greifswald geleitet, mußte dort jedoch ausscheiden. Daraufhin wurde er von der Landeskirche übernommen. Ihm wurde die Ordnung des kirchlichen Archivwesens übertragen. Vgl. meine Laudatio anläßlich des ihm von der Pommerschen Landsmannschaft verliehenen Pommerschen Kulturpreises für Wissenschaft am 25.08.1995 in Barth, in: Pommern. Kunst, Geschichte, Volkstum 33, 4/1995, S. 6–8. 35 Bereits am 7. September 1991 hatte mir die Pommersche Landsmannschaft in Stralsund den Pommerschen Kulturpreis für Wissenschaft verliehen. Als Vorsitzender der Historischen

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erneut Prof. Dr. Roderich Schmidt, Vorsitzender der Kommission, Prof. Dr. Jürgen Petersohn, Stellvertreter des Vorsitzenden, sowie Archivdirektorin Dr. Brigitte Poschmann.36 Mir oblag es darüber hinaus, da ich als Abgeordneter der ersten Legislaturperiode des Landtages Mecklenburg-Vorpommern an den einschlägigen Beratungen des Landes unmittelbar beteiligt war, die Historische Kommission im Bewußtsein der neu in verantwortliche Positionen Aufgerückten zu verankern. 37 Neben den weiterlaufenden, von der Bundesrepublik Deutschland der Historischen Kommission zugewandten Mittel wurden nun auch Mittel des neuen Bundeslandes in den Landeshaushalt eingestellt.38 Ferner galt es, eine den neuen Gegebenheiten entsprechende, rechtsverbindliche Satzung für die Historische Kommission zu erarbeiten.39 Die Kommission konstituierte sich nun als ein beim Amtsgericht in Greifswald eingetragener Verein. Nach ihrer neuen Satzung steht sie weiterhin in der Traditions- und Rechtsnachfolge der auf Anregung des Oberpräsidenten der damaligen preußischen Provinz Pommern 1910 in Stettin gegründeten,40 nach dem Ersten Weltkrieg neu organisierten,41 1934 in „Landesgeschichtliche Forschungsstelle“ und 1939 in „Landeskundliche Forschungsstelle“ umbenannten, 1951 in der Bundesrepublik rekonstruierten Historischen Kommission für Pommern. Seit dem Sommer 2000 beschäftigte sich der Vorstand mit diesen Satzungsfragen.42 Auf der Mitgliederversammlung am 27. September 2000, die in Greifswald stattfand, wurde der vom Vorstand vorgelegte Entwurf beschlossen.43

Kommission hielt Roderich Schmidt die Laudatio. Sie ist, zusammen mit meinem Dankeswort zur Preisverleihung, in dem ich den „Strukturen zur Vergangenheitsbewältigung“ nachgegangen bin, abgedruckt in: Pommern. Kunst, Geschichte, Volkstum 29/1991, S. 1–6. Als ein weiteres Beispiel für die sich rasch weiterentwickelnde Zusammenarbeit zwischen der Historischen Kommission, der Gesellschaft für pommersche Geschichte und der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft sei auf den Festvortrag verwiesen, den Jürgen Petersohn vor einer großen Festversammlung in der Greifswalder Jakobikirche anläßlich der Erinnerung an „1000 Jahre pommersches Bistum“ am 27. September 2000 hielt. 36 Vgl. hierzu den von Roderich Schmidt gegebenen Bericht „Die Historische Kommission für Pommern. 1990–1994“ in: BaltStud, N.F., 80/1994, S. 137–141. 37 Das galt nicht zuletzt für meine Mitgliedschaft im Finanzausschuß. Entsprechende Bemühungen galten auch der Gesellschaft für pommersche Geschichte, deren enge Verbindung zur Historischen Kommission vom Land mit einem jährlichen Druckkostenzuschuß für deren Jahrbücher, die Baltischen Studien, gewürdigt wurde. 38 Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 50–67. 39 Die Historische Kommission für Mecklenburg e.V. hatte ihre Satzung bereits am 21.11.1990 beschlossen (geändert am 15.4.1991; 30.07.1991; 06.02.1992). Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 135f. 40 Es handelt sich um die Satzung vom 13.05.1911. 41 Es handelt sich um die Satzung vom 08.10.1925. 42 Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 177–180, 183–188, 563–566. 43 Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 148–157; 204–209; 221–223 (zu den Beschlüssen und zum Protokoll). Am 12.03.2001 erfolgte die Eintragung ins Vereinsregister. Bl. 233ff.

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Verstärkt bemühte sich der Vorstand seitdem, neue jüngere Mitglieder zu berufen und zur Mitarbeit heranzuziehen.44 Dabei kamen weitere Aufgaben und Arbeitsfelder in den Blick. Hatte sich die Historische Kommission bisher nahezu ausschließlich mit der Auswertung von Schriftgut, das in den Archiven aufbewahrt wird, und archäologischen Fundstücken aus Bereichen, in denen es noch keine ausgeformte schriftliche Überlieferung gab, beschäftigt, wandte sie sich nun dem gesamten Bereich der kulturellen Überlieferungen zu. Das galt sowohl für die Archäologie insgesamt als auch für die Kunstgeschichte. Zur Verantwortung für die Sicherung und Pflege des Archivgutes gesellte sich nun das Wissen um eine Mitverantwortung auch im Blick auf die Denkmalpflege.45 Auch zeitgeschichtliche Fragen gerieten, vor dem Hintergrund der Wiedervereinigungsprozesse, zwangsläufig ins Blickfeld. Diese Ausweitung des Aufgabenbereichs der Historischen Kommission ergab sich aus einer zurückhaltenden Beharrlichkeit, auf die ich stolz bin. Ich freue mich, daß vor allem die jüngeren Mitglieder die neue Beschreibung der Aufgabenbereiche inzwischen als selbstverständlich empfinden. Aus diesen neuen Arbeitsfeldern ergaben sich und werden sich auch künftig weitere fruchtbare Querverbindungen ergeben.46

Erste Aufgabenbereiche und Arbeitsfelder der Historischen Kommission im wiedervereinigten Deutschland In dem hier gegebenen Vortragsrahmen können zwangsläufig nur Beispiele für die seit der Wiedervereinigung Deutschlands bearbeiteten Wissenschaftsfelder stichpunktartig skizziert werden.47 An erster Stelle ist das bereits genannte, von Jürgen Petersohn 1991 angeregte,

44 Nach einer Aufstellung von 1996 kamen von den 37 Mitgliedern der Historischen Kommission 23 aus den alten Bundesländern, zwölf aus den neuen Bundesländern und zwei aus Skandinavien. Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 699. 45 Beispielhaft sei auf die engagierte Mitarbeit von Prof. Dr. Sabine Bock verwiesen. 46 Nicht aufgegriffen wurde bislang ein Vorschlag, den Prof. Dr. Jürgen Kohler während der Sitzung der Kommission im Landesarchiv Greifswald Ende 2005 unterbreitete. Der Vorschlag wurde nach meiner Erinnerung zustimmend zur Kenntnis genommen. Nach diesem Vorschlag sollten sich die Vorsitzenden der Historischen Kommission, der Gesellschaft für pommersche Geschichte und der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft in größeren Abständen zu informellen Gesprächen treffen. Ziel dieser Gespräche sollten wechselseitige Informationen zu geplanten Vorhaben und gegebenenfalls Absprachen zur Zusammenarbeit bei einzelnen Vorhaben sein. Vor diesem Hintergrund ergab sich auch mein Rückzug als Beisitzer aus dem Vorstand der Kommission. Es ging um die Ermöglichung einer damals dringend notwendig gewordenen Verjüngung des Vorstandes der Historischen Kommission, die dann allerdings doch noch einige Zeit in Anspruch nahm. Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 589–593, 644. 47 Verwiesen sei wiederum auf den von Roderich Schmidt in den Baltischen Studien gegebenen Bericht (siehe Anm. 36). Alle früheren in den Baltischen Studien gegebenen Berichte betreffen die Zeit vor 1989.

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von Günter Mangelsdorf sofort aufgegriffene und weiter geführte, sich über mehrere Jahre hinziehende Forschungsvorhaben „Grobe / Usedom“ zu nennen.48 Es ging um „Untersuchungen und Grabungen zur Bedeutung und zum Standort des Klosters Grobe/Usedom“ und um die „Erforschung des Platzes Usedom im frühmittelalterlichen pommerschen Herzogsstaat“. Hieraus ergab sich zwangsläufig zugleich eine enge Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Bodendenkmalpflege.49 Parallel hierzu liefen Zuarbeiten für das vom neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ausgerichtete Jubiläum „1000 Jahre Mecklenburg“.50 Die Historische Kommission beteiligte sich an diesem Jubiläum darüber hinaus mit der bereits genannten, gemeinsam mit der Greifswalder Universität ausgerichteten Tagung „Tausend Jahre pommersche Geschichte.“ In einer ihrer Veröffentlichungsreihen wurden die während der Tagung gehaltenen Vorträge dokumentiert.51 Die Erforschung und Bewußtmachung der pommerschen Geschichte hatte vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung Deutschlands und der damit verbundenen Errichtung des neuen Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern eine aktuelle, eine politische Bedeutung gewonnen. Durch die Partei- und Staatsführung der DDR war das Wissen um die deutsche Kulturlandschaft Pommern jahrzehntelang gezielt verdrängt worden. Die Bezeichnung „Vorpommern“ hatte man aus dem Namen des 1945 von der sowjetischen Militäradministration errichteten Landes schon wenige Jahre später wieder gestrichen.52 Vorpommern wurde im Blick auf seine Geschichte kurzerhand Mecklenburg 48 Einzelheiten hierzu in den privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 242ff. 49 Zur Präzisierung der Fragestellungen und zur Diskussion der erzielten Ergebnisse lud die Historische Kommission bis 1997 zu mehreren interdisziplinären Arbeitstagungen nach Usedom ein. Verwiesen sei auf die interdisziplinären Arbeitstagungen am 16.11.1992, am 04./05.03.1994 sowie am 20.11.1997 in Usedom. Die Forschungsergebnisse sind von den jeweils unmittelbar Beteiligten in den von ihnen herausgegebenen Veröffentlichungsreihen vorgelegt worden. 50 Verwiesen sei auf: 1000 Jahre Mecklenburg. Geschichte und Kunst einer europäischen Region. Katalog zur Landesaustellung, hg. v. Johannes Erichsen, Schloß Güstrow, 23. Juni–15. Oktober 1995. In der Ausstellung wurden auch hochrangige Exponate aus Vorpommern gezeigt. In einem Beitrag „Mecklenburg und Vorpommern. Konkurrenten, Nachbarn, Partner“ (S. 121–127) beschäftigte ich mich im ersten Teil des Kataloges, der die Aufsätze bietet, mit dem damals breit diskutierten, durchaus nicht spannungsfreien Verhältnis zwischen Mecklenburg und Vorpommern. Erste Unterrichtungen der Historischen Kommission zu den vom Bundesland vorgesehenen Veranstaltungen erfolgten im Oktober 1991. 51 Tausend Jahre pommersche Geschichte, hg. v. Roderich Schmidt, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V, 31), Köln/Weimar/Wien 1999. Hier wird der Bogen von den „Anfängen der pommerschen Geschichte im Spiegel schriftlicher Überlieferung“ (durch Roderich Schmidt, S. 1–17) bis zur aktuellen Beschreibung der rechtlichen Situation des Landesteils Vorpommern im neuen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern unter dem Titel „Die Region Vorpommern im Rahmen des Verfassungsrechtes nach der Wiedervereinigung Deutschlands“ (durch Norbert Buske, S. 439–461) gespannt. 52 Zu den Hintergründen für das Verbot des Namens Vorpommern gehörte die durch den Alliierten Kontrollrat am 25.02.1947 beschlossene Auflösung des Staates Preußen. Hinzu kam die zielgerichtet verfolgte Absicht der sowjetischen Besatzungsmacht, die Gebiete jenseits von

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einverleibt. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands galt es nun, ein seinerzeit zugeschüttetes Wissen um pommersche Identität in Vorpommern wieder freizulegen. Es ging um die Herausbildung eines neuen Selbstbewußtseins. Es galt, diesen abseits gelegenen Landesteil an den allgemeinen Entwicklungsstand heranzuführen. Er sollte beim Aufbau des neuen Bundeslandes nicht erneut ins Hintertreffen geraten.53 Ein weiteres, sich lange hinziehendes Vorhaben galt den erhalten gebliebenen Zeugnissen der Herrschaft des pommerschen Greifenhauses. Einschlägige Arbeiten sind vor kurzem in einer mit zahlreichen Abbildungen versehenen Veröffentlichung vorgelegt worden.54 Ich nutze die Gelegenheit, den Mitherausgebern, Dr. Joachim Krüger und Dr. Ralf-Gunnar Werlich, sowie allen darüber hinaus Beteiligten, nicht zuletzt Dr. Haik Thomas Porada, der sich der mühevollen Arbeit der Registerherstellung unterzogen hat, herzlich für ihre Arbeit zu danken. Anlaß und Ausgangspunkt für dieses Vorhaben war die Sicherung und Neugestaltung der herzoglichen Grablege in der Wolgaster Petrikirche.55 Aus diesem Projekt ergab sich folgerichtig eine enge Zusammenarbeit mit der Pommerschen Evangelischen Kirche, mit der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte e.V. und mit dem Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern. Viele der Forschungsergebnisse zu den erhalten gebliebenen Zeugnissen des pommerschen Herzogshauses wurden auf den Jahrestagungen der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. vorgetragen.56 Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens kam es darüber hinaus zur Zusammenarbeit mit polnischen Kollegen.57 Auch hier hatte die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft seit den 1990er Jahren das Feld vorbereitet.58

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Oder und Neiße dem polnischen Staat als Kompensation für dessen östliche Gebiete, die sich die Sowjetunion einverleibt hatte, zuzuweisen. Vgl. Norbert Buske, Pommern. Territorialstaat und Landesteil von Preußen, Schwerin 1997, S. 78. Die kirchengeschichtliche Arbeitsgemeinschaft hatte sich bereits im Dezember 1989 mit einem Gutachten zur Länderbildung im Bereich der DDR an den Hauptvorstand der CDU (Ost) gewandt. Die Herzöge von Pommern. Zeugnisse der Herrschaft des Greifengeschlechts, hg. v. Norbert Buske, Joachim Krüger, Ralf-Gunnar Werlich, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V, 45), Köln/Weimar/Wien 2012. Zur Entwicklung und zur Durchführung dieses Forschungsvorhabens sei auf das Vorwort verwiesen. Eine erste Besprechung zur Sicherung der Herzogsgruft in Wolgast fand am 09.03.1999 statt. – Vgl. hierzu Anm. 32, Bl. 109; 236ff. und 252f. Vgl. hierzu die einschlägigen Berichte in den Baltischen Studien. Beispielhaft verwiesen sei auf die „Deutsch-polnische Tagung der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte e.V. und des Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg Vorpommern in Verbindung mit dem Staatsarchiv Stettin und dem Nationalmuseum Stettin“ zum Thema „Grablegen der pommerschen Herzöge“ am 26. und 27.10.2006 in Wolgast. Hier kann ich auf meine „Begrüßung und Erläuterung zur Veranlassung der Tagung“, (wie Anm. 57), verweisen. Dort wird einiges zur Entwicklung dieser Kontakte ausgeführt. Ende der 1990er Jahre hatte ich Professor Kasimierz Kosłowski, den Direktor des Staatsarchivs in Stettin, im Auftrag der Pommerschen Evangelischen Kirche aufgesucht. Ziel der Gespräche

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Für weitere gelegentliche Zuarbeiten, die von Mitgliedern der Historischen Kommission auf Bitten der verschiedensten Einrichtungen geleistet wurden, sei – nur um auch diesen Tätigkeitsbereich zu benennen – als Beispiel das groß angelegte Projekt der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern „Wege zur Backsteingotik“ genannt.59 Gelegentlich wurden auch Gutachten zum Erhalt kultureller Einrichtungen erbeten und geliefert.60 Zu den großen, besonders nachdrücklich von der Historischen Kommission vorangetriebenen Projekten gehört die Bearbeitung und Herausgabe der Schwedischen Landesaufnahme. Bis 1944 hatte bereits Fritz Curschmann einen ersten Band fertig gestellt, der aber kriegsbedingt erst 1948 in Greifswald ausgeliefert werden konnte.61 Kurzfristig griff dann die Staatliche Archivverwaltung der DDR dieses Vorhaben auf, um den Teilnehmern war es, die umfangreichen Archivbestände des Konsistoriums der pommerschen Kirche, die seinerzeit an das Pommersche Provinzialarchiv abgegeben worden waren und sich jetzt im Staatsarchiv Stettin befinden, für uns in Deutschland leichter zugänglich zu machen. Rasch konnten die aufgeworfenen Fragen gelöst werden. Schon bei diesen ersten Gesprächen in Stettin beschränkten wir uns nicht auf Fragen zum Verfahren. Es kam zu wechselseitigen Informationen im Blick auf die Bearbeitung spezieller historischer Themen. Kasimierz Kosłowski unterbreitete bei einem Gegenbesuch im Landeskirchlichen Archiv in Greifswald den Vorschlag, eine gemeinsame Tagung in Stettin unter dem Thema „Protestanten und Katholiken in der Zeit des Nationalsozialismus und Stalinismus“ auszurichten. Ein 2003 in Stettin erschienener Dokumentationsband gehört zu den Ergebnissen dieser Tagung. Von Anfang an waren sowohl auf polnischer Seite als auch auf deutscher Seite weitere Einrichtungen – und auch einzelne Interessierte – in die Gespräche eingebunden. Manches verselbständigte sich, manches lief parallel. Einige der polnischen Kollegen wurden korrespondierende Mitglieder der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft. Auch weitere Institutionen in Stettin beteiligten sich an der sich entwickelnden Zusammenarbeit. Genannt seien das Nationalmuseum in Stettin und die Pommersche Bibliothek. Gern erinnere ich mich – um ein Beispiel aufzugreifen – an die in Stettin zu Ehren des ersten pommerschen Provinzialkonservators Hugo Lemcke durchgeführte Tagung und die hierzu 2001 erschienene Dokumentation. Darüber hinaus ist auf die von der kirchengeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft erarbeiteten, vom Thomas Helms Verlag Schwerin gestalteten Ausstellungen zur pommerschen Kirchengeschichte und zum pommerschen Reformator Johannes Bugenhagen zu verweisen. Diese Ausstellungen wurden bei mehreren Anlässen auch in Polen gezeigt. Dafür wurden die Texte der Ausstellungen ins Polnische übersetzt. 59 Verwiesen sei auf die Ausstellung „Gebrannte Größe. Wege zur Backsteingotik“ im Rahmen der Arbeit der Deutschen Stiftung Denkmalschutz 2002. Ein Teil der Ausstellung „Dialog des Geistes“ wurde in der Greifswalder Jakobikirche gezeigt, andere Teile in Stralsund, Rostock und Wismar. Dazu gab es fünf gesondert hergestellte Kataloge. Beispielhaft genannt sei nur der Katalog zur Greifswalder Ausstellung: Dialog des Geistes. Geist und Religion im Mittelalter. Monumente. Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Zur Breitenwirkung sei angemerkt, daß die Ausstellung bereits im ersten Jahr insgesamt 200.000 Besucher zählte. Der in Greifswald gezeigte Teil der Ausstellung wurde noch einmal 2003 anläßlich eines Ökumenischen Kirchentages gezeigt. 60 Beispielhaft verwiesen sei auf ein Gutachten zur Sammlung Schmiterlöw in Franzburg vom 21.01.2001. Nach privaten Unterlagen, (wie Anm. 32), Bl. 231f. 61 Fritz Curschmann, Matrikelkarten von Vorpommern, 1692–1698. Karten und Texte. Amt Barth und Stralsunder Distrikt, Amt Franzburg, Rostock 1948.

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des IV . Internationalen Archivkongresses 1960 in Stockholm etwas überreichen zu können.62 Nach der Wiedervereinigung Deutschlands zog die Historische Kommission dieses Vorhaben an sich. Seit 1995 konnten erste Ergebnisse vorgelegt werden.63 Inzwischen sind zahlreiche Bände erschienen. Den Bearbeitern sei herzlich für den hier gezeigten Einsatz gedankt. Ein weiterer Dank gilt jenen, die im Wissen um ihre Verantwortung für die Region Vorpommern die Drucklegung dieses vielbändigen Werkes immer wieder durch finanzielle Förderung ermöglicht und verständnisvoll begleitet haben. Es handelt sich um die Sparkasse Vorpommern und ihre Stiftung für Wissenschaft, Kultur, Sport und Gesellschaft. Die Bände zur Veröffentlichung der „Schwedischen Landesaufnahme von Vorpommern“ werden von der Historischen Kommission in Verbindung mit dem Landesarchiv Greifswald und seit 2000 auch in Verbindung mit der Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V. herausgegeben.64

Weitere Weggefährten und zeitweilige Partner Zum Abschluß dieses kurzen zeitgeschichtlichen Überblicks zur jüngsten Geschichte der Historischen Kommission scheint es mir angemessen, auch jene Weggefährten und zeitweiligen Partner zu nennen, die sich inzwischen nicht mehr im Blickfeld der Historischen Kommission befinden. Aus der Umbruchssituation zu Beginn der 1990er Jahre ergaben sich Querverbindungen, die für eine Historische Kommission nicht selbstverständlich sind. Sie führten zu fruchtbaren Begegnungen und zu wechselseitiger Förderung. Obgleich diese Querverbindungen von vornherein nicht auf Dauer angelegt waren, haben sie bei den Beteiligten Spuren hinterlassen. An erster Stelle ist hier – das wird Sie zunächst verwundern – die Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern zu nennen. Zur Direktorin war Christa Drews-von Steinsdorf berufen worden. Es gab für diese neu geschaffene Einrichtung lediglich organisatorische Vergleichsmöglichkeiten in den alten Bundesländern, für Inhalte und Zielvorstellung, die für das neue Bundesland Mecklenburg-Vorpommern zu entwickeln waren, gab es keinerlei Vorläufer. Man baute auf die Mitarbeit derer, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Der Informationsbedarf zur Geschichte der nun miteinander verbundenen Landesteile Mecklenburg und Vorpommern und vor allem zu den Auseinandersetzungen mit den vom „real existierenden Sozialismus“ verfälschten Geschichtsdarstellungen war groß. Es wurde daher in enger Verbindung zu Vertretern des Landtages

62 Marianne Rubow-Kalähne, Matrikelkarten von Vorpommern, 1692–1698. Nach der Schwedischen Landesaufnahme, Leipzig 1960. 63 Genannt seien die ersten drei Bände: Insel Usedom (1995); Insel Rügen, Teil I: Halbinsel Jasmund (1996); Distrikt Wolgast, Teil I: Land Wusterhusen (1999). 64 Vgl. hierzu das Vorwort zum 2000 erschienenen 4. Band.

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die Schriftenreihe der „Landeskundlichen Hefte“ begründet, von denen sich mehrere mit verfassungsrechtlichen und zeitgeschichtlichen Fragen beschäftigen.65 Parallel hierzu liefen die Arbeiten an einem von der Landeszentrale herausgegeben zweibändigen historisch-geographischen Atlas von Mecklenburg und Pommern.66 Vor allem der zweite Band, der 27 ausführlich erläuterte Geschichtskarten bietet, basiert auf der Mitarbeit mehrerer Mitglieder sowohl der Historischen Kommissionen für Pommern als auch der Historischen Kommission für Mecklenburg. Dieser Atlas wird noch für längere Zeit das einschlägige Standardwerk bleiben. Inzwischen werden von der Landeszentrale für politische Bildung andere Akzente gesetzt. Zu den weiteren zeitweiligen, vor allem politisch interessierten Weggefährten gehörte der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern der Paneuropa-Union Deutschland, der bei den verschiedensten Gelegenheiten auf die Geschichte Pommers und ihre europäische Bedeutung im Blick auf die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen neuen Voraussetzungen aufmerksam machte.67 Zu nennen ist ferner das Forum für Pommern, ein informeller Gesprächskreis, dessen Ziel es war, Informationen aufzubereiten und Gespräche, die sich beim Einsatz für den sich im Rahmen der europäischen Einigung entwickelnden gesamten Raum Pommern ergeben, sachkundig zu begleiten.68

65 Einige Beispiele seien genannt. Dabei beschränke ich mich auf die von mir verantworteten, in mehreren Auflagen erschienenen Veröffentlichungen, die bundesweit zur Kenntnis genommen wurden. Genannt seien N. Buske, Dokumentation zur kampflosen Übergabe der Stadt Greifswald im April 1945, Schwerin 1993/2001; Ders., Kurzer Abriß der vorpommerschen Verfassungsgeschichte. Die Landtage, Schwerin 1994/2001; Ders., Das Kriegsende in Demmin 1945, Berichte, Erinnerungen, Dokumente, Schwerin 1995/2001/2003; Ders., Das Kreuz auf dem Golm. Kriegsgräber in politischem Besitz, Schwerin 1995/2003. 66 Historischer und Geographischer Atlas von Mecklenburg und Pommern, hg. v. der Landeszentrale für politische Bildung, Schwerin 1995. Band 1: Das Land im Überblick, Band 2: Das Land im Rückblick. – Angemerkt sei, daß auch der erste Ministerpräsident des neuen Bundeslandes, der Greifswalder Geograph Dr. Alfred Gomolka, das Atlaswerk nachdrücklich vorantrieb. Während der Arbeiten am Atlas vertrat Gomolka als Mitglied des Europäischen Parlaments das neue Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. 67 Beispielhaft genannt sei ein im Herbst 1992 in Koserow/Damerow auf der Insel Usedom von der Paneuropa-Union veranstaltetes Seminar. Mein dort gehaltener Vortrag „Pommern als Territorialstaat. Ein Überblick über die politische Entwicklung“ wurde unmittelbar darauf in der neuen Schriftenreihe der CDU-Fraktion des Landtages Mecklenburg-Vorpommern veröffentlicht. Neu bearbeitet und durch Abbildungen und Geschichtskarten vielfach ergänzt und mit einem zusätzlichen Abschnitt versehen, der sich mit den Entwicklungen in Vorpommern nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt: Norbert Buske, Pommern. Territorialstaat und Landesteil von Preußen, Schwerin 1997. 68 Als Beispiele für die dort geleistete Arbeit seien zwei im Jahr 2000 erschienene Hefte genannt. „Die pommersche Kirche als Element im verständigungspolitischen Prozeß zwischen Deutschland und Polen.“ und „Die Rolle Vorpommerns im verständigungspolitischen Prozeß zwischen Deutschland und Polen und beim Zusammenwachsen in der Europäischen Union.“ Zum Vorstand dieses Gesprächskreises gehörten: Prof. Dr. Alfred Gomolka, MdEP, als Vorsitzender,

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Dieser zuletzt genannte Hinweis bietet zugleich eine Überleitung für eine sich deutlich abzeichnende Herausforderung, der sich die Historische Kommission zu stellen hat. Es gilt, die Erforschung und Bewußtmachung der Geschichte Pommerns – deutlicher als bislang – auch als eine politische Aufgabe zu begreifen.69 Ein sorgfältiger Umgang mit der Geschichte ermöglicht nicht nur Verständnis und Versöhnung zwischen benachbarten Völkern, sondern weist nach vorn. Wir können inzwischen, vor dem Hintergrund des zusammenwachsenden Europas, gemeinsam mit unseren Partnern in Polen, nicht nur im Blick auf die Geschichte unbefangen von einer deutschen Kulturlandschaft Pommern, sondern auch im Blick auf die Gegenwart inzwischen unbefangen von einer europäischen Kulturlandschaft Pommern sprechen. Zu dieser europäischen Kulturlandschaft gehören heute das deutsche Vorpommern und das jetzt polnische Hinterpommern. Mir steht dabei das vom langjährigen Präsidenten der Kommission der Europäischen Gemeinschaft Jacques Delors geprägte Bild von unserem „gemeinsamen Haus Europa“ vor Augen. Es geht inzwischen – das gilt auch für Pommern – längst nicht mehr um nach den Weltkriegen notwendig gewordene Reparaturarbeiten, sondern um einen sich wechselseitig stützenden weiteren Ausbau dieses „Hauses Europa“. Wenn wir von der Geschichte Pommerns sprechen, dann meinen wir zugleich auch die Menschen, die sich als zusammengehörig betrachten, die eine bestimmte naturräumlich gegliederte Region von anderen übernommen, durch ihre Arbeit weiter erschlossen und geprägt haben und schließlich anderen weitergeben müssen, sei es im Rahmen der Generationenfolge oder auf Grund fremdbestimmter Ereignisse, die wir zu respektieren haben. Wir nutzen die materiellen Zeugnisse der Bewohner und Vorbewohner, jene sich Jahrhunderte lang behauptenden Spuren, die Naturräume zu Kulturräumen werden ließen, für einen gemeinsamen Weg in die Zukunft. Wenn wir anläßlich des 100jährigen Bestehens der Historischen Kommission für einen Augenblick innehalten, dann wird uns bewußt, daß wir diesen gemeinsamen Weg – wann und wie auch immer – bereits betreten haben.70 Hier werden künftig weitere Schlußfolgerungen zu ziehen sein. Anläßlich einer künftigen Tagung der Historischen Kommission – wenn sie ihres 110jährigen Bestehens gedenkt – wird dann vielleicht ein Überblick zur pommerschen Geschichtsforschung und Geschichtsaneignung seit 1945 im ehemaligen hinterpommerschen, jetzt zu Polen gehörenden Gebiet aus dem Blickwinkel der Arbeit der Historischen Kommission gegeben, Ulrich Adam, MdB, und ich als Stellvertretende Vorsitzende, Dieter Ritscher als Schatzmeister, Dr. Ulrich Born, MdL, Prof. Dr. Conrads und Christa Drews-von Steinsdorf. 69 Beispielhaft verwiesen sei hier auf meinen Prof. Dr. Kazimierz Kosłowski gewidmeten Beitrag „Wege zur europäischen Kulturlandschaft Pommern“ sowie den Beitrag von OKR Dr. Christoph Ehricht „Protestantische Partnerschaft auf beiden Seiten der Oder. Erfahrungen und Perspektiven der Zusammenarbeit der evangelischen Kirchen in Pommern“, in: 487 Jahre Rechtsprechung, Organisation, Leitung und Verwaltung der Pommerschen Evangelischen Kirche, hg. v. Christoph Ehricht, Schwerin 2012, S. 121–156 und 157– 162. 70 Der hier gebotene Aufsatz basiert auf einer Vortragsfassung vom 13. Mai 2011, die kurz darauf mit Anmerkungen versehen für die Drucklegung eingereicht wurde.

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eine Darstellung der Rezeptionsgeschichte der deutschen wissenschaftlichen Arbeiten in Polen sowie eine Darstellung der Rezeptionsgeschichte der vielfältigen, inzwischen vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten polnischer Historiker zur Geschichte Pommerns in Deutschland. Dabei wird nicht nur den Prozessen zur Erforschung der pommerschen Geschichte, sondern auch den davon deutlich abzuhebenden Prozessen der Bewußtmachung der pommerschen Geschichte sowie den hiervon wiederum abzuhebenden Prozessen der Aneignung übernommener Geschichte nachzugehen sein. Hier bietet Pommern aufgrund der beispiellosen politischen Umbrüche, dem nahezu vollständigen Austausch der Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg, ein anschauliches Beispiel.

Karl-Heinz Spieß

Das Pommersche Urkundenbuch Die an mich herangetragene Bitte einen Vortrag über das Pommersche Urkundenbuch zu halten, gibt mir eine willkommene Gelegenheit, der Historischen Kommission für Pommern für meine 2001 erfolgte Zuwahl als Mitglied zu danken, zum anderen lese ich gerne Urkundenbücher und das trifft auch und gerade für das Pommersche Urkundenbuch zu. In den dort gedruckten Urkunden und Quellenzeugnissen steht eine solche Vielfalt an lebendigen Aussagen über die Welt des Mittelalters, daß es manchmal schwer fällt, nicht immer noch weiter zu blättern und auch noch die nächste Urkunde für den Zettelkasten zu nutzen. Meist ist der Historiker nur auf der Suche nach einem bestimmten Dokument oder einem bestimmten Namen und liest nicht sämtliche Urkunden für ein oder mehrere Jahre. Dadurch entgehen ihm aber viele überraschende Details. In meinen Seminaren erfolgt immer ein lobender Hinweis auf die kritischen Urkunden­ editionen, die so viel mehr an Informationen bieten als die leider fast ausschließlich von den Studierenden herangezogenen Übersetzungen. Zugleich erwähne ich regelmäßig die oft jahrzehntelange entsagungsvolle Arbeit der Bearbeiter von Urkundenbüchern. Um das Pommersche Urkundenbuch von dem Vorwurf zu entlasten, es enthalte nur staubtrockene, mäßig interessante Rechtsgeschäfte, seien einige Streiflichter aus einer flüchtigen Lektüre des Jahres 1321 aus dem 6. Band mitgeteilt. Zu den ersten Nummern gehört eine Notiz über einen Erbstreit um den Nachlaß des Greifswalder Bürgers Westerholt, in den seine drei Söhne aus der ersten Ehe und seine drei Töchter aus der zweiten Ehe verwickelt sind. Ein typischer Fall für eine Patchwork-Familie, aber keine eigentliche Urkunde.1 Das Pommersche Urkundenbuch enthält mit Einträgen aus den Stadtbüchern von Greifswald oder auch Stralsund viel mehr Quellengattungen als der Name besagt. Nach der erwähnten Stadtbuchnotiz folgt einige Nummern später eine echte Urkunde vom 24. März 1321, in der Herzog Otto I. von Pommern der Stadt Stettin um ihrer treuen Dienste willen einfach die ca. 15 Kilometer nördlich gelegene Stadt Pölitz schenkt, ohne daß eine Mitwirkung der betroffenen Stadt erkennbar ist.2 Pölitz blieb übrigens bis 1808 unter der Oberhoheit Stettins, dem es zahlreiche Abgaben schuldete.3 Wenig später, am 23. April 1321, verpfändete die Ritterfamilie Behr aus dem heutigen Behrenhoff für die große

1 PUB, VI, bearb. v. Otto Heinemann, Stettin 1907, Nr. 3447 (17.01.1321). Die Notiz ist aus dem ältesten Greifswalder Stadtbuch. Sie ist undatiert, folgt aber auf einen datierten Eintrag vom 17.01., während der nachfolgende Eintrag auf den 16.01. datiert ist. 2 PUB, VI, (wie Anm. 1), Nr. 3479 (24.03.1321). 3 Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 12: Mecklenburg / Pommern, hg. v. Helge bei der Wieden; Roderich Schmidt (Kröners Taschenausgabe, 315), Stuttgart 1996, S. 249f .

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Summe von 3 600 Mark dem Greifswalder Bürger Eberhard Letzenitz ihre Besitzungen bei Behrenhoff, u.a. eine Hufe und 150 Hühner aus Stresow. Der Ort umfaßt nur wenige Häuser, so daß damals dort auf jeden Fall viel mehr Hühner als Menschen gelebt haben. Die Bewohner müssen aber häufig im Krug von Groß Kiesow gezecht haben, weil dieser eine hohe Abgabe an den Gläubiger zahlen mußte.4 Im August 1321 klopfte dann die große Politik an die Tür, denn die Stadt Prenzlau begab sich in den Schutz der pommerschen Herzöge, bis die Kurfürsten einträchtig einen römischen König erwählt hätten.5 Damals befanden sich Ludwig der Bayer und Friedrich der Schöne seit der Doppelwahl von 1314 immer noch im Thronstreit, der erst im folgenden Jahr durch die Schlacht bei Mühldorf am Inn entschieden wurde.6 In das Jahr 1321 fallen auch kriegerische Auseinandersetzungen mit Brandenburg und wir hören u.a. von zwei Bogenschützen des Herren Ludolf von Wedel, die bei Freienwalde an der Oder in Gefangenschaft geraten waren. Für sie zahlte der Herzog von Pommern das Lösegeld, für den einen 28 Mark Silber, für den anderen 6 Mark.7 Diese Aufstellung ist ein Beleg, wie unterschiedlich Lösegelder ausfallen konnten, auch dafür, daß nicht nur für Ritter, wie manchmal zu lesen ist, sondern auch für einfache Leute Lösegeld gezahlt wurde. Die Blütenlese soll mit dem Hinweis auf das Bruchstück einer Haushaltsrechnung des Herzogs Witzlaw III . von Rügen aus dem Jahr 1325 enden, die nicht nur interessante Details über die auf der Burg Hertesburg bei Barth verzehrten Lebensmittel, wie z. B. Milch, Käse, Grütze, Eier, Zwiebeln oder Senf, vermittelt, sondern auch nebenbei hochgestellte Besucher, wie den Herzog von Sachsen oder den Grafen von Schwerin verzeichnet.8 Aber jetzt soll der eigentliche Vortrag beginnen, der mit einem Rückblick auf die Geschichte des Pommerschen Urkundenbuchs eröffnet wird. Im zweiten Teil soll es um den noch ausstehenden zwölften Band für die Jahre 1346 bis 1350 gehen, während am Schluß noch ein paar Gedanken für die Edition von Urkunden für die Zeit nach 1350, d. h. nach dem Abschluß des Pommerschen Urkundenbuches folgen. Die Geschichte des Pommerschen Urkundenbuches ist wesentlich von dem Umstand beeinflußt, daß es sich hierbei um ein territoriales bzw. regionales Urkundenbuch handelt. Man muß sich einmal vor Augen halten, was eine solche Konzeption für den Bearbeiter beinhaltet. Er muß zunächst die Grenzen des Territoriums festlegen, was gar nicht so einfach ist, weil territoriale und kirchliche Verwaltungseinheiten meist nicht deckungsgleich sind und sich zudem im Lauf der Jahrhunderte ändern. Sodann müssen in einem 4 PUB, VI, (wie Anm. 1), Nr. 3484 (23.04.1321). 5 A.a.O., Nr. 3532 (24.08.1321). 6 Hans-Dieter Homann, Kurkolleg und Königtum im Thronstreit von 1314–1330 (Miscellanea Bavarica Monacensia, 56 = Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, 75), München 1974; Stefan Schieren, Die Schlacht bei Mühldorf am 28. September 1322, in: Die Schlacht bei Mühldorf. 28. September 1322. Ursachen – Ablauf – Folgen, Mühldorf am Inn 1993, S. 33–68. 7 PUB, VI, (wie Anm. 1), Nr. 3560 (1321), S. 82. 8 A.a.O., Nr. 3860 ([1325] Juli 14–August 9), S. 279–282. Zum reichen Ertrag des PUB vgl. auch PUB, III, bearb. v. Rodgero Prümers, Stettin 1891, Nr. 1748 (1295).

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jahrelangen Vorlauf sämtliche Urkunden gesammelt werden, die das Territorium betreffen, unabhängig davon, wer sie an welchem Ort ausgestellt hat. Die Zahl der aufzusuchenden Archive ist potentiell unendlich. Das Ideal der Vollständigkeit ist zugegebenermaßen niemals erreichbar. Deshalb ist der Fortgang eines territorialen Urkundenbuches wesentlich davon abhängig, wie weit der Bearbeiter von diesem Ideal abzurücken bereit ist. Später aufgefundene Urkunden, die eigentlich in einen bereits erschienenen Band gehören, müssen wegen der chronologischen Ordnung des Urkundenbuches im nächsten Band folgen. Somit gehören Nachträge zu früheren Bänden zur fast unvermeidlichen Begleiterscheinung eines jeden territorialen Urkundenbuches und machen dessen Benutzung unübersichtlich und umständlich. Was gerade allgemein für jedes territoriale Urkundenbuch formuliert wurde, trifft besonders für das Pommersche Urkundenbuch zu. Seine Wurzeln reichen zurück bis zur Sammeltätigkeit Friedrichs von Dreger, der 1738 zum Wirklichen Kriegs- und Domänenrat in Pommern ernannt worden war und bei seinem Tod 1750 einen elf Bände umfassenden „Codex Pomeraniae vicinarumque terrarum diplomaticus“ für die Jahre 1270 bis 1590 im Manuskript hinterließ. Ein erster Band für die Zeit von 1140 bis 1269 war 1748 im Druck erschienen, der Rest existiert bis heute nur handschriftlich.9 Es dauerte fast hundert Jahre, bis sich erneut zwei Editoren an die gewaltige Aufgabe eines Pommerschen Urkundenbuches heranwagten, nämlich der Greifswalder Professor Johann Ludwig Kosegarten (1781–1864) und der Stettiner Gymnasialdirektor Karl Friedrich Wilhelm Hasselbach (1781–1864).10 Wie ein Rezensent trocken formuliert hat, verwarfen beide Dregers Anfang und „begannen von vorn, um in 19 Jahren hinter ihrem Vorgänger um 16 Jahre zurückzubleiben, dann gerieth auch dies von vorneherein viel zu breit und weitschichtig aufgelegte Unternehmen für immer ins Stocken“.11 Nach dem Tod Kosegartens lagen 503 Urkunden aus den Jahren 786 bis 1253 vor und wurden 1862 von Johann Ludwig Quandt publiziert.12 9

Codex Pomeraniae vicinarumque terrarum diplomaticus oder Urkunden so die Pommersch-, Rügianisch- und Caminschen, auch die benachbarten Laender Brandenburg, Mecklenburg, Preussen und Pohlen angehen, hg. v. Friedrich von Dreger, Stettin 1748. Vgl. hierzu und auch zum Folgenden Roderich Schmidt, Geschichte des Pommerschen Urkundenbuchs, in: Stand, Aufgaben und Perspektiven territorialer Urkundenbücher im östlichen Mitteleuropa, hg. v. Winfried Irgang; Norbert Kersken (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung, 6), Marburg 1998, S. 43–50, hier S. 43f. Zu der Existenz von zwei Exemplaren der handschriftlichen Sammlung Dregers und deren Unterschieden vgl. Joachim Zdrenka, Bestände zur pommerschen Geschichte des 14./15. Jh.s in polnischen Archiven und Bibliotheken, in: Stand, S. 81–86, hier S. 83f. 10 Codex Pomeraniae Diplomaticus, Bd. 1, zunächst hg. v. Karl Friedrich Wilhelm Hasselbach; Johann Gottfried Ludwig Kosegarten; Friedrich Baron von Medem, Greifswald 1843, später hg. v. Karl Friedrich Wilhelm Hasselbach; Johann Gottfried Ludwig Kosegarten, Greifswald 1862. 11 Max Perlbach, Rezension PUB, IV, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen, 165/1903, S. 398–410, hier S. 399. 12 Siehe Anm. 10.

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Ein dritter Anfang war notwendig und wurde 1868 mit dem ersten Band des Pommerschen Urkundenbuches im eigentlichen Sinn verwirklicht. Als Antrieb für den Neuanfang ist das Bemühen des preußischen Staates zu vermuten, der neugewonnenen Provinz Pommern mit einem regionalen Urkundenbuch zu einer eigenen historischen Identität zu verhelfen.13 Zumindest war man in den westlichen preußischen Provinzen ähnlich vorgegangen und hatte dort das Westfälische Urkundenbuch,14 das Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt preußischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien15 und das Ostfriesische Urkundenbuch16 in Auftrag gegeben. Von daher ist es verständlich, daß das preußische Staatsarchiv Stettin die Herausgabe übernahm und Robert Klempin als damit beauftragter Archivar die territorialen Grenzen des Urkundenbuches neu festlegte. Hatten Dreger sowie Kosegarten und Hasselbach auch Urkunden benachbarter Länder in ihrem „Codex diplomaticus Pomeraniae“ aufgenommen, erfolgte jetzt eine Einschränkung auf die preußische Provinz Pommern. Der erste Band stellt allerdings gar kein Urkundenbuch im eigentlichen Sinne dar, sondern enthält Regesten, Berichtigungen und Ergänzungen zu Hasselbachs und Kosegartens „Codex Pomeraniae diplomaticus“,17 wobei jetzt entsprechend der neuen Richtlinie z. B. alle auf Pomerellen bezogenen Urkunden weggelassen wurden. Mit dem Hinweis im Vorwort, „daß zu allen Zeiten besonders die Klostergeistlichen den frommen Betrug der Urkundenfälschung zur Aneignung eines weltlichen Vortheils nicht gescheut haben“, wird zugleich stolz der Fortschritt der kritischen Diplomatik vermeldet, der es im Unterschied zu den Vorgängern gelungen sei, nicht weniger als 22 Falsifikate zu entlarven.18 Die Geschichte des Pommerschen Urkundenbuchs beginnt somit mit Nachträgen und Berichtigungen. Da solche Ergänzungen, wie bereits eingangs vermerkt, zur systemimmanenten Begleiterscheinung territorialer Urkundenbücher gehören, kann es kaum verwundern, daß auch dieser erste Band 1970 eine Neubearbeitung durch Klaus Conrad erfahren hat. Zusätzlich zu den Nachträgen wurden jetzt alle Urkunden in einem Band vereinigt,

13 Vgl. Peter Johanek, Territoriale Urkundenbücher und spätmittelalterliche Landesgeschichtsschreibung, in: Stand, (wie Anm. 9), S. 5–21, hier S. 13. 14 Westfälisches Urkundenbuch, 11 Bde., bearb. v. Heinrich August Erhard; Wilhelm Diekamp; Roger Wilmans; Ludwig Perger; Eduard Aander Heyden; Heinrich Finke; Hermann Hoogeweg; Robert Krumbholtz; Joseph Prinz; Manfred Wolf (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, I), Münster 1847–1997. 15 Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die preussischen Regierungsbezirke Coblenz und Trier bildenden mittelrheinischen Territorien, 5 Bde., hg. v. Heinrich Beyer; Leopold Eltester; Adam Goerz; Albert Hardt, Coblenz-Wiesbaden 1860–2007. 16 Ostfriesisches Urkundenbuch, 3 Bde., hg. v. Ernst Friedländer; Günther Möhlmann (Quellen zur Geschichte Ostfrieslands, 10), Emden-Aurich 1874–1975. 17 PUB 1. Regesten, Berichtigungen und Ergänzungen zu Hasselbach’s und Kosegarten’s Codex Pomeraniae diplomaticus, hg. v. Robert Klempin, Stettin 1868. 18 Das Vorwort stammt nicht von dem Bearbeiter Robert Klempin, sondern von Theodor von der Nahmer.

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denn die Werke von Kosegarten/Hasselbach und Klempin konnten nur nebeneinander benutzt werden.19 Nach den schwierigen Anfängen ging die Publikation der Urkunden unter der Federführung stettinischer Archivare nun zügig voran. Band II für die Jahre 1254–1286 erschien 1885, in kurzen Abständen auch die Bände 3, 4, 5 und 6, so daß man 1907 bereits bis zum Jahr 1325 gelangt war.20 Der sechste Band enthielt zudem die unvermeidlichen Nachträge zu den vorherigen Bänden. Im Vorwort zu diesem Band finden sich folgende Hinweise zum künftigen Vorgehen: „An der Fortsetzung des Urkundenbuches wird gearbeitet, doch wird das Erscheinen des nächsten Bandes erst in einigen Jahren zu erwarten sein, da das ge­samte, nun immer reichlicher fließende urkundliche Material bis 1350 vollständig gesammelt werden soll, bevor mit dem Druck begonnen wird“.21 Mit dieser Maßnahme wollten die Bearbeiter die Zahl der späteren Nachträge, die man als Erzübel für den Benutzer ansah, möglichst klein halten. Schon der dritte Band hatte nicht weniger als 444 Nachträge zu den beiden ersten Bänden gebracht, der vorliegende sechste Band erneut 229 Nachträge und Ergänzungen zu den Nachträgen,22 was ein unendliches Nachschlagen für den Benutzer zur Folge hat. Das Sammeln wiederum war wegen der Vielzahl der infrage kommenden Archive sehr zeitaufwändig. So stammen z. B. die 237 Urkunden aus der zweiten Lieferung des siebten Bandes von Mai 1328 bis Ende 1330 aus Stettin, Greifswald und Stralsund, während außerhalb Pommerns Funde in Schwerin, Berlin, Königsberg, Danzig, Rostock, Wismar, Lübeck, Hamburg, Kiel, München, Kopenhagen, Uppsala, Krakau, London und Rom gemacht wurden.23 Als weiterer Schritt wird im Vorwort angekündigt, daß ab jetzt weniger wichtige Urkunden nur in Regestenform gebracht werden sollen.24 Diese neue Richtlinie des Arbeitsplans sollte den Umfang der Bände begrenzen. Was Otto Heinemann als Archivar zu Stettin im August 1907 in einer ruhigen politischen Großwetterlage – gerade war der Dreibund zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien verlängert worden – zu Papier brachte, wurde im August 1914 durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges Makulatur. Der Satz von Martin Wehrmann „Über dem pommerschen Urkundenbuch waltet kein günstiger Stern“, den er bereits 1904 in seiner Besprechung des vierten Bandes geäußert hatte,25 sollte sich jetzt erst recht bewahrheiten. 19 PUB, I, 2. Aufl., neu bearb. von Klaus Conrad, Köln/Wien 1970. 20 PUB, II, hg. v. Rodgero Prümers, Stettin 1881; PUB, III, (wie Anm. 8); PUB, IV, bearb. v. Georg Winter, Stettin 1903; PUB, V, bearb. v. Otto Heinemann, Stettin 1905; PUB, VI, (wie Anm. 1). 21 PUB, VI, (wie Anm. 1), S. V. 22 In seiner Rezension von Band VI, 2, in: HZ 102/1909, S. 399–401 hat Martin Wehrmann schon wieder auf weitere Ergänzungen hingewiesen. 23 Vgl. die Zusammenstellung von Adolf Hofmeister in seiner Rezension des Bandes in: HZ 15/1937, S. 359–362, hier S. 359f. 24 PUB, VI, (wie Anm. 1), S. V. 25 Die Rezension von Martin Wehrmann in: HZ 92/1904, S. 504f., hier S. 504.

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Abb. 1: Klaus Conrad (1930–2002) am Rande einer Zusammenkunft der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung in Göttingen 1977; links im Vordergrund Getrud Mortensen (1892–1992), rechts im Bild Bernhart Jähnig (*1941). Photo: Sven Ekdahl, Berlin

Die Historische Kommission für Pommern, in deren Zuständigkeit das Pommersche Urkundenbuch seit 1917 gehörte, konnte nichts daran ändern, daß die Herausgabe für 27 Jahre ins Stocken geriet. Die zwischen 1934 und 1940 dann doch mit unsäglichen Mühen gedruckten Exemplare von Band 7 wurden im Krieg vernichtet, so daß 1958 ein photomechanischer Nachdruck hergestellt werden mußte.26 Bereits 1961 konnte Band 8 mit den Jahren 1331–1335 folgen, der noch stark von den in Stettin während des Krieges getätigten Vorarbeiten profitieren konnte. Erwin Aßmann äußerte sich als Bearbeiter dieses Bandes im Vorwort pessimistisch zum Stand des Unternehmens: „Die Herausgabe des Pommerschen Urkundenbuches hat seit je unter keinem guten Stern gestanden: Das ist schon früher mit Bedauern festgestellt worden, und es scheint, als ob im vorliegenden Band VIII dieses seinen Tiefpunkt erreicht habe“.27 Nach der Neuorganisation der Historischen Kommission für Pommern sollte es jedoch wieder aufwärts gehen und dieses Aufblühen ist eng mit dem Namen Klaus Conrad verbunden.

26 Vgl. Schmidt, Geschichte, (wie Anm. 9), S. 46f. 27 PUB, VIII, hg. v. Erwin Assmann, Köln 1961, S. III.

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Er bearbeitete nicht nur die zweite Auflage des ersten Bandes,28 sondern ihm gelang auch 1984 nach 23 Jahren Pause mit Band X wieder der Anschluß an die Urkundenedition von Erwin Aßmann.29 Band XI mit den Jahren 1341–1345 folgte schon 1990,30 doch seitdem ist leider nichts mehr publiziert worden. Klaus Conrad sammelte zwar unermüdlich bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1995 weiter für den Band XII , der bis 1350 reichen und das Urkundenbuch vorläufig abschließen sollte, aber sein Nachfolger Norbert Kersken konnte aufgrund von hausinternen Umstrukturierungen im Herder-Institut das Projekt nur ganz geringfügig vorantreiben.31 Es blieb nur die Kraft für eine Zwischenbilanz, wie sie auf der 1997 abgehaltenen Tagung „Stand, Aufgaben und Perspektiven territorialer Urkundenbücher im östlichen Mitteleuropa“ im Herder-Institut versucht wurde.32 Von den dort gehaltenen Vorträgen und Diskussionen, die im Tagungsband erfreulicherweise mit abgedruckt sind,33 habe ich damals als Teilnehmer profitiert und verwende sie deshalb auch im zweiten und dritten Teil meines Vortrages. Die bisher nur knapp skizzierte Geschichte des Pommerschen Urkundenbuchs beinhaltet das Vermächtnis an die gegenwärtige Historische Kommission für Pommern, das Werk bis zumindest 1350 fortzuführen. Herr Dr. Schoebel und ich selbst stellen uns seit einiger Zeit dieser Herausforderung und planen einen Drittmittelantrag, um den 12. Band vollenden zu können. Als Voraussetzung hierfür mußte erst das bisher vorhandene Material aus Marburg nach Greifswald geschafft und gesichtet werden. Klaus Conrad hat den 12. Band bis einschließlich August 1350 vorbereitet und damit den Kernbestand erfaßt, wobei die Vorlagen für den Druck von unterschiedlicher Qualität sind. Hinzu kommen noch die unvermeidlichen Nachträge zu den früheren Bänden. Auf jeden Fall stehen noch die brandenburgischen Archive und das vatikanische Archiv insgesamt sowie die Monate September bis Dezember 1350 aus. Seine Arbeitsberichte und Briefe bis 1995, die sich in dem Nachlaß Conrad im Landesarchiv Greifswald befinden, geben Aufschluß über die Details. Im Wesentlichen profitierte er von der noch vor dem Zweiten Weltkrieg im Stettiner Archiv angelegten Materialsammlung. Auf dieser Basis wurden 393 Stücke für den Druck vorbereitet, von denen bei 136 noch originale Vorlagen beschafft werden mußten. Die für die Drucklegung notwendige Arbeitszeit beträgt mindestens zwei Jahre. Zum Abschluß meines Beitrages soll noch über die Edition pommerscher Quellen nach 1350 nachgedacht werden. Klaus Conrad hat am Ende seiner Tätigkeit für eine Fortsetzung im gewohnten Stil plädiert, weil 1350 kein historisch oder vom Material her sinnvoller 28 Siehe Anm. 19. 29 PUB, X, bearb. v. Klaus Conrad, Köln 1984. Band IX enthält nur die Register der Bände VII und VIII. PUB, IX, bearb. v. Brigitte Poschmann, Köln 1962. 30 PUB, XI, bearb. v. Klaus Conrad, Köln 1990. 31 Vgl. Schmidt, Geschichte, (wie Anm. 9), S. 49. 32 Norbert Kersken, Das Pommersche Urkundenbuch – eine Zwischenbilanz, in: Stand, (wie Anm. 9), S. 51–60. 33 Diskussion, in: Stand, (wie Anm. 9), S. 38–41, 91–97, 122–124, 143–152, 195–207, 224–226, 258–260.

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Einschnitt sei. Außerdem seien Vollabdrucke weniger arbeitsaufwändig als Vollregesten.34 Jedem Kenner der Materie ist jedoch klar, daß das Pommersche Urkundenbuch in dieser Form in der heutigen Zeit nicht weitergeführt werden kann. Zu sehr schwillt das Material an, zu lange würden die Vorarbeiten dauern, bis dann endlich nach vielen Jahren ein neuer Band erscheinen könnte. Mein Lehrstuhlvorgänger Adolf Hofmeister sah bei seiner Besprechung der ersten Lieferung von Band 6 im Jahr 1936 noch eine Lösung in einer verstärkten Zahl von Regestierungen, zugleich forderte er für eine Fortführung der Edition über 50 oder gar 100 Jahre hinaus eine personelle Verstärkung: „Aber die Kraft eines einzelnen, der in steigendem Maße daneben durch Amtspflichten in Anspruch genommen wird, reicht dafür nicht aus. Es müssen mehr Kräfte eingesetzt und stärkere Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden“.35 Der Ruf nach mehr Personal und mehr Geld klingt immer gut, war aber damals nicht erfolgreich und wäre es heute wohl auch kaum. Immerhin ist es kürzlich gelungen, den seit Jahrzehnten ins Stocken geratenen „Codex diplomaticus Saxoniae“ fortzuführen und als Projekt mit zwei hauptamtlichen Mitarbeitern an der Leipziger Akademie zu verankern.36 Da eine solche Lösung für das Pommersche Urkundenbuch nicht in Sicht ist, müssen wir andere Wege gehen. Einen solchen Weg hatte schon Martin Wehrmann 1907 in seiner Besprechung der zweiten Abteilung des 5. Bandes gewiesen: „Aber schon taucht die Frage auf, ob das Werk dann bei dem immer mehr anwachsenden Stoffe wird ebenso weitergeführt werden können. Sollte man nicht auch in Pommern zu einer Teilung der Arbeit schreiten müssen durch Herstellung von ‚institutionellen‘ Urkundensammlungen?“.37 Was Wehrmann hier ausspricht, wurde auf der Marburger Tagung nach dem Vortrag von Martin Schoebel über Probleme und Perspektiven einer Edition der spätmittelalterlichen Urkunden aus Pommern intensiv unter dem Begriff „fondbezogene Edition“ diskutiert, d. h. separate Urkundeneditionen z. B. für einzelne Klöster oder Städte Pommerns auf der Grundlage von deren Archiven. Martin Schoebel hatte nämlich eine Schätzung vor­ gestellt, wonach für eine die Zeit von 1351 bis 1500 umfassende Edition ca. 17 000–18 000 Nummern zu veranschlagen wären, allein für 1351 bis 1400 sei mit zehn weiteren Bänden im bisherigen Stil zu rechnen.38 Roderich Schmidt gab in der Diskussion die Hoffnung nicht auf, daß man das Urkundenbuch bis 1400 fertigstellen und damit den Anschluß an das Mecklenburgische Urkundenbuch schaffen könnte, fügte aber hinzu: „Zu irgendeinem Zeitpunkt werden wir aber sicher zu dem Fondsprinzip übergehen müssen“.39 34

Brief von Dr. Klaus Conrad an Prof. Dr. Dr. h.c. Roderich Schmidt, Marburg vom 19.01.1996 (Nachlaß Conrad). 35 Rezension von Adolf Hofmeister zum PUB VII, 1, in: HZ 154/1936, S. 163–165, hier S. 165. 36 www.saw-leipzig.de/forschung/projekte/codex-diplomaticus-saxoniae. 37 Rezension von Martin Wehrmann zum PUB V, 2, in: HZ 98/1907, S. 424f., hier S. 425. 38 Martin Schoebel, Überlieferung spätmittelalterlicher Urkunden aus Pommern im Landesarchiv Greifswald. Probleme und Perspektiven einer Edition, in: Stand, (wie Anm. 9), S. 61–79, hier S. 71, 75. 39 Diskussion, in: Stand, (wie Anm. 9), S. 91–97, hier S. 96.

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Martin Schoebel hatte in seinem Vortrag bereits Vor- und Nachteile dieses Editions­ prinzips abgewogen: „So ist der Wert fondsbezogener Urkundenbücher oder entsprechender Regestenwerke sicher geringer im Vergleich zu einem regionalen Urkundenbuch anzusehen, doch lassen sich mit diesen Bearbeitungsformen raschere Bearbeitungs- und Publikationszyklen erzielen“.40 Ich möchte an dieser Stelle nachhaltig für Fondseditionen plädieren, zumal die Bestände mit Hilfe moderner Datenbanken virtuell wieder zu einem territorialen Urkundenbuch zusammengesetzt werden könnten. Aus diesem Grund habe ich schon in Marburg für eine intensive deutsch-polnische Zusammenarbeit geworben,41 Herr Conrad hielt in seinem erwähnten Brief eine Kooperation bei der Urkundenedition schon aus sprachlichen Gründen für sehr problematisch.42 Darüber und über die anderen Fragen kann man unterschiedlicher Meinung sein. Die Diskussion darüber ist sicher notwendig und sinnvoll. Vordringlich ist jedoch zunächst der Abschluß des Pommerschen Urkundenbuches in seiner herkömmlichen Form bis 1350.

40 Schoebel, Überlieferung, (wie Anm. 38), S. 76. 41 Diskussion, in: Stand, (wie Anm. 9), S. 143–152, hier S. 145. 42 Wie Anm. 34.

Rudolf Benl

Die „Quellen zur pommerschen Geschichte“ Die Edition landesgeschichtlicher Quellen gehört zu den hervorragenden Aufgaben der Historischen Kommissionen in Deutschland, wenn diese Verpflichtung nicht überhaupt als die wichtigste unter den ihnen gestellten Aufträgen bezeichnet werden kann. Die Historische Kommission für Pommern bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Dem Auftrag, Editionen von Quellen zur Geschichte Pommerns vorzulegen, ist sie unter anderem durch die Herausgabe der Reihe „Quellen zur pommerschen Geschichte“ gerecht zu werden bestrebt.1 15 Bände sind seit 1961 in der Reihe „Quellen zur pommerschen Geschichte“ erschienen. Da sich darunter jedoch auch mehrbändige Werke befinden, handelt es sich nur um elf verschiedene Werke. 1960 wurde der erste Band vorgelegt, er trug allerdings innerhalb der Reihe gleich die Nummer 4. Aus welchem Grund diese Zählung erfolgt ist, wird gleich zu zeigen sein. Es handelte sich bei diesem 1960 erschienenen Buch um den ersten von drei Bänden der Edition des ältesten Anklamer Stadtbuches durch Johannes Weygardus Bruinier.2 Das Manuskript der Edition hatte Bruinier, Studienrat in Anklam, schon in den 1920er Jahren vollendet. 1939 war mit Unterstützung der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle – also der Historischen Kommission – mit dem Druck des ersten Bandes des auf drei Bände geplanten Werkes begonnen worden. 1944 lagen die ersten Bogen fertig ausgedruckt vor, vom Rest des ersten Bandes Korrekturfahnen. Danach ging alles Vorliegende scheinbar verloren. Doch 1957 tauchten ein Exemplar der ausgedruckten Bogen, mehrere Korrekturfahnen und das gesamte Manuskript wieder auf und gelangten in die Hände der Historischen Kommission für Pommern. Einzelheiten, die recht wissenswert wären, verschweigt das Vorwort von Franz Engel aus Gründen, über die man nur spekulieren kann. Da ausgedruckte Bogen und Fahnen zur Verfügung standen, erschien der erste

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Die Reihe „Quellen zur pommerschen Geschichte“ hätte ich gern nach vorherigem Studium der einschlägigen Verwaltungsakten der Historischen Kommission für Pommern vorgestellt. Als ich den Vortrag zusagte, hoffte ich zuversichtlich, daß ich in solche Akten Einblick nehmen und anhand ihrer Sinn und Zweck der Reihe „Quellen zur pommerschen Geschichte“ und die Hintergründe der Planung und der Gestaltung dieser Reihe darstellen könnte. Doch mußte ich bald erfahren, daß solches nicht möglich ist. So bin ich gezwungen, mich im folgenden allein auf die Bücher selbst, ihre Vorworte und den Inhalt, zu stützen. Stadtbuch von Anklam. Ältester Teil 1401–1429, nach der Handschrift, bearb. v. J. W. Bruinier, mit einem Vorwort von Franz Engel und Hermann Bollnow und einer Widmung „Dem Andenken von Dr. Johannes Weygardus Bruinier, † 16. März 1939“ von Hermann Bollnow; Zweiter Teil 1429–1453, nach der Handschrift, bearb. v. J. W. Bruinier, mit einem Vorwort von Franz Engel; Dritter Teil 1454–1474, nach der Handschrift, bearb. v. J. W. Bruinier, mit einem Vorwort von Franz Engel (Quellen zur pommerschen Geschichte, 4–6), Köln/Graz 1960, 1964, 1965.

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Band der Edition weitestgehend als photomechanischer Nachdruck. Die zwei folgenden Bände mußten allerdings neu gesetzt werden. Bruinier hatte bei der Erstellung seines Manuskripts die im Stadtbuch vorgefundene Ordnung der Einträge aufgelöst. Im Stadtbuch gab es zumindest eine Tendenz, die Eintragungen topographisch zu ordnen und somit eine Art Grundbuch der Stadt entstehen zu lassen. Bruinier zog aus Gründen, die er erläuterte, den Abdruck der Eintragungen in rein chronologischer Reihung vor. Erstaunlich könnte man es finden, daß das Vorwort von Franz Engel mit keinem Wort auf die Tatsache eingeht, daß mit diesem Buch die erste Erscheinung einer neuen Quelleneditionsreihe der Kommission vorgelegt wurde. Auch das dürfte mit der Vorsicht zu erklären sein, die von der politischen Lage gefordert wurde. 1961 wurde als zeitlich zweiter Band der Reihe deren in der Zählung erster vorgelegt. Es handelte sich um den ersten von drei Bänden der von Hellmuth Heyden bearbeiteten Edition der pommerschen Kirchenvisitationen der Jahre 1535 bis 1555.3 Der Bearbeiter, von Beruf evangelischer Pfarrer, bis 1945 in Stettin, hat dem Band ein Vorwort vorangestellt. Ein Vorwort des Kommissionsvorsitzenden Franz Engel sucht man vergeblich. Vielleicht lag dem 1961, im Jahr des Mauerbaus, auch eine politische Rücksichtnahme zugrunde. Heyden lebte in Stralsund, und der Staat bzw. die ihn leitende Partei konnte es grundsätzlich nicht gutheißen, daß ein Bürger ein Buch zur pommerschen Geschichte veröffentlichte, noch dazu in einem Kölner Verlag. Dem Vorwort von Heyden ist zu entnehmen, daß er das Material zu seiner Edition zumindest im großen und ganzen bereits vor 1945 zusammengetragen hatte, also zu einer Zeit, da er selbst noch in Stettin lebte. Der erste Band hätte gleich nach dem Kriege erscheinen sollen, was sich damals nicht habe verwirklichen lassen. Nun erscheine er mit 15jähriger Verspätung. Da die Edition der Kirchenvisitationsprotokolle offenbar schon von etwas längerer Hand geplant war und da die Heydenschen Bände innerhalb der Reihe fortlaufend, ohne Zwischenschaltung anderer Bände, gezählt werden sollten, waren für Heyden die Plätze 1 bis 3 bereits reserviert, als der erste Band des Anklamer Stadtbuches erschien. Dieses mußte deshalb gleich auf die Position 4 rücken. Stettin steht im ersten Band der Edition von Heyden im Vordergrund, 19 von 60 Nummern betreffen diese Stadt. Stark vertreten sind auch rügensche Pfarren und das Land Stolp. Ganz fehlt aus einsichtigen Gründen das Kamminer Stiftsland. Die Vermögensverhältnisse der Pfarren und die Besoldung der Prediger spielen in den Quellen eine große Rolle. Erst im zweiten Band, der 1963 vorgelegt wurde, findet man Quellen auch zum Stiftsland, und zwar erst für die Zeit nach 1550. Der dritte Band, der schmalste der drei, brachte noch Anlagen und vor allem umfangreiche Register. Er bot nun auch – als „Vorwort“ betitelte – Ausführungen aus der Feder Franz Engels, die jedoch nicht mehr darstellen als Hinweise zur Benutzung der Register. Insgesamt führt die Edition bis 1555, also ins Jahr des Augsburger Religionsfriedens. Heyden scheint zunächst beabsichtigt zu haben, bis 1563 3

Protokolle der Pommerschen Kirchenvisitationen, 3 Bände, Band 1: 1535–1539; Band 2: 1540– 1555; Band 3: Anlagen und Register, bearb. v. Hellmuth Heyden (Quellen zur pommerschen Geschichte, 1–3), Köln/Graz 1961, 1963, 1964.

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zu gelangen. Jedenfalls hielt er dieses Jahr für einen sinnvollen Einschnitt. Weitere Bände sind aber nicht erschienen. Heyden ist 1972 gestorben. 1965 lagen sowohl die drei Bände der Kirchenvisitationsedition als auch die drei des Anklamer Stadtbuches vor. Als siebenter Band innerhalb der Reihe „Quellen zur pommerschen Geschichte“ erschien 1966 die Edition der hinterpommerschen Einwohnerverzeichnisse von 1655 und 1666.4 Auch diese Edition war schon vor dem Kriege erstellt worden und wurde nun mehr als ein Vierteljahrhundert später vorgelegt. Schulmann zog die Namen der Landbewohner aus zwei Quellen: aus den aufgrund einer Forderung von seiten des Großen Kurfürsten eingegangenen Berichten der Gutsherren über ihren Besitz und aus den elf Jahre jüngeren, viel vollständigeren Berichten der Dorfgeistlichen. Die eine Quelle hatte Schulmann im Staatsarchiv Stettin benutzt, die andere im Preußischen Geheimen Staatsarchiv. Auch der nächste Band, der achte der Reihe, reicht noch weit in die Vorkriegszeit zurück. Es handelt sich um „Einwohnerverzeichnisse von Rügen nach den Steuererhebungen von 1577 und 1597“.5 Alfred Haas, ein um die Erforschung der Geschichte Rügens verdienter Heimatforscher, hatte ein druckfertiges, sauber geschriebenes Manuskript hinterlassen, als er 1950 90jährig starb. Den 1966, 16 Jahre später, erfolgenden Druck leitete Franz Engel mit einem Vorwort ein. Von Engel stammten auch die Register, er starb 1967. Nun trat in der Reihe „Quellen zur pommerschen Geschichte“ eine lange Unterbrechung ein. Erst 1980 legte die Kommission den folgenden, den neunten Band vor. Er fiel schon durch sein Format aus der Reihe. Es war das von Johannes Hildisch verfaßte Buch: „Die Münzen der pommerschen Herzöge von 1569 bis zum Erlöschen des Greifengeschlechtes“.6 Während keiner von den heutigen Mitgliedern der Historischen Kommission für Pommern und den jetztlebenden Forschern und Freunden der pommerschen Geschichte Johannes Weygardus Bruinier, Alfred Haas und Werner von Schulmann noch persönlich kennengelernt haben dürfte und auch nur wenige Hellmuth Heyden, ist Johannes Hildisch, um die Erforschung seiner Heimatstadt verdienter Pyritzer, sicherlich noch einigen in guter Erinnerung. Das Buch ist aus dem von Hildisch als Steckenpferd betriebenen Sammeln pommerscher Münzen erwachsen. Entstanden ist ein recht ansprechender, gut bebilderter Katalog der in den Teilherzogtümern Pommern-Stettin und Pommern-Wolgast, im Bistum Kammin, in den Ämtern Franzburg und Barth unter Bogislaw XIII ., im Amt Rügenwalde unter Bogislaw XIV . und im wiedervereinigten Pommern geprägten Münzen. Mit den

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Einwohnerverzeichnisse von Hinterpommern nach den Steuererhebungen von 1655 und 1666, bearb. v. Werner von Schulmann (Quellen zur pommerschen Geschichte, 7), Köln/Graz 1966. 5 Einwohnerverzeichnisse von Rügen nach den Steuererhebungen von 1577 und 1597, bearb. v. Alfred Haas, mit einem Vorwort „Alfred Haas, der verdiente rügensche Heimatforscher“ von Franz Engel (Quellen zur pommerschen Geschichte, 8), Köln/Graz 1966. 6 Johannes Hildisch, Die Münzen der pommerschen Herzöge von 1569 bis zum Erlöschen des Greifengeschlechtes, mit einer Vorbemerkung von Roderich Schmidt (Quellen zur pommerschen Geschichte, 9), Köln/Wien 1980.

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Münzen, die 1654 aus Anlaß der Beisetzung Bogislaws XIV . und der Fürstin Hedwig, der Witwe Herzog Ulrichs, geprägt worden waren, schließt der Band. Die Tradition des Rückgriffs auf ältere Manuskripte nimmt der folgende, der zehnte Band der Reihe, auf: „Urkunden und Regesten zur Geschichte des Templerordens im Bereich des Bistums Cammin und der Kirchenprovinz Gnesen“.7 Es lag ein aus der Vorkriegszeit stammendes Manuskript von Helmut Lüpke vor, der 1933 mit einer Dissertation über die Geschichte des Templerordens in Nordostdeutschland promoviert worden war. Winfried Irgang, der Bearbeiter des Schlesischen Urkundenbuches, hat das Manuskript von Lüpke überarbeitet und auf den neuesten Stand gebracht. Die wenigsten von den insgesamt 86 edierten Urkunden betreffen allerdings Pommern. Immerhin 17 können als pommersch betrachtet werden. Fast alle davon sind im „Pommerschen Urkundenbuch“ gedruckt. Dort nicht vorhanden sind die Nummern 18, 64, 73 und 79. Die meisten Urkunden betreffen die Neumark und Schlesien. Mit den ersten acht Bänden der Reihe eint diesen zehnten auch, daß über die Quellen, die unmittelbare Vorlage der Edition waren, und über deren Verwahrort ein mehr oder weniger dichter Schleier gezogen wurde. Irgang war von der Staatlichen Archivverwaltung der DDR die Archivbenutzung verweigert worden, auch die Zusendung von Reproduktionen war abgelehnt worden. Die Verschleierung scheint mir aber auch die schlesischen Archivalien zu betreffen, die bis in die 1980er Jahre in Magdeburg verwahrt wurden. 1993 kam als elfter Band der Reihe ein Mundartwörterbuch für das im Lande Stolp gelegene Dorf Groß Garde heraus.8 Ein Mundartwörterbuch würde zwar anderswo kaum als Quellenedition angesehen werden, doch in bezug auf die ostdeutschen Vertreibungsgebiete möchte ich einem solchen doch den Charakter einer geschichtlichen Quelle zuerkennen. Auch hatte die Historische Kommission für Pommern schon 1912 die Erarbeitung eines pommerschen Idiotikons als eines ihrer Ziele benannt, wie Roderich Schmidt in seinem Vorwort hervorhob. Der Wortschatz war schon in den 1920er und den 1930er Jahren aufgenommen worden, und zwar durch Franz Jost, der aus Groß Garde stammte und dort als Landwirt und ab 1929 oder 1930 auch als ehrenamtlicher Bürgermeister tätig war. Nach der Vertreibung kam er in einen Kreis von an der niederdeutschen Sprache Interessierten, der sich um Professor Niekerken von der Hamburger Universität scharte. Diesem gelang es, Josts Scheu zu überwinden und ihn zu veranlassen, seine Kenntnis der Groß Garder Mundart unter Mithilfe Niekerkens zu Papier zu bringen. Als Jost 1958 starb, gelangten

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Urkunden und Regesten zur Geschichte des Templerordens im Bereich des Bistums Cammin und der Kirchenprovinz Gnesen, nach der Vorlage von Helmut Lüpke, neu bearb. von Winfried Irgang, mit einem Vorwort von Roderich Schmidt (Quellen zur pommerschen Geschichte, 10), Köln/Wien 1987. Hinterpommersches Wörterbuch der Mundart von Groß Garde (Kreis Stolp). Auf Grund der von Franz Jost (1887–1958) gesammelten Materialien, bearb. und zu einem Wörterbuch gestaltet von Hans-Friedrich Rosenfeld (Quellen zur pommerschen Geschichte, 11), Köln/ Weimar/Wien 1993.

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die Unterlagen an Niekerken, nach dessen Tod an Hans-Friedrich Rosenfeld in München. Dieser stellte aus den in vier offenen Holzkästen befindlichen Karteikarten Josts das erste Lokalwörterbuch Pommerns zusammen. Über die damit verbundenen Schwierigkeiten berichtet Rosenfeld in seinem Vorwort. Rosenfeld war damals selbst schon hochbetagt und starb während der Drucklegung des Buches. Er weist in der Einführung der Mundart von Groß Garde auch ihren Platz innerhalb des Ostniederdeutschen zu und hebt hervor, daß sie mehr mit der Sprache des östlich gelegenen Lauenburg als mit der des westlich gelegenen Stolp gehe. Rosenfeld beschreibt auch knapp den Vokalismus und den Konsonantismus der Mundart. Eine ähnliche Geschichte hat das nächste innerhalb der Reihe „Quellen zur pommerschen Geschichte“ erschienene Buch. Auch hierbei handelt es sich um ein lokales Mundartwörterbuch: „Hinterpommersches Wörterbuch des Persantegebietes“.9 Ein Aufruf des bedeutenden Marburger Germanisten Ludwig Erich Schmitt, des Leiters des „Deutschen Sprachatlas“, der 1967 in einer überregionalen Zeitung erschien, stand am Anfang. S­ chmitt hatte die Heimatvertriebenen gebeten, alles, was sie von ihrer Mundart noch wüßten, niederzuschreiben und ihm zuzusenden. Daraufhin begann der aus dem Kreise Belgard stammende Oberstudienrat Robert Laude 1967, alles ihm aus seiner Heimat noch Erinnerliche an Wortschatz, Redensarten, Kinderliedern, Flurnamen usw. schriftlich festzuhalten. Von Ludwig Erich Schmitt wurde Laude an Rosenfeld gewiesen, der ihm nun mit Rat zur Seite stand. Es entstand ein Manuskript von 2 813 Schreibmaschinenseiten mit 54 000 Mundartwörtern. 1981 übergab Laude, mittlerweile 85 Jahre alt, es dem Germanisten Dieter Stellmacher. Über die Schwierigkeiten, die es zu überwinden galt, als daraus ein handliches, wissenschaftlichen Ansprüchen genügendes Mundartwörterbuch entstehen sollte, berichtet der Herausgeber, Dieter Stellmacher, im Vorwort. Wie bei dem von Jost zusammengetragenen Wortschatz lag ein Gutteil der Schwierigkeiten in der von den Lexikographen, die auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft letztlich Laien waren, gewählten Lautschrift. Auch die Unterschiedlichkeit der Dichte in den einzelnen Alphabetstrecken spielte eine Rolle. Die Drucklegung seines Werkes erlebte der Bearbeiter leider nicht mehr. Das Buch von Laude hat auch einen volkskundlichen Charakter. Das bewirken die Erläuterungen zu den einzelnen Lemmata und eine umfängliche, nach Sachgruppen geordnete Liste von Sprichwörtern. Es bereitet Freude, in dem Buch zu blättern und sich festzulesen.10

9 Robert Laude, Hinterpommersches Wörterbuch des Persantegebietes, hg. v. Dieter Stellmacher, unter der Leitung des Herausgebers, bearb. v. Frank Schnibben, unterstützt von Maike Dörries (Quellen zur pommerschen Geschichte, 12), Köln/Weimar/Wien 1995. 10 So habe ich daraus erfahren, daß das Wort „plachandern“, das ich von meiner aus Danzig stammenden Schwiegermutter kenne und für ein typisch westpreußisches Wort gehalten hatte, auch im mittleren Hinterpommern gebräuchlich war. Merkwürdig ist, daß im Wörterbuch der Mundart von Groß Garde, das Westpreußen doch näher liegt, das Wort „plachandern“ nicht vorkommt.

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Das Wörterbuch von Laude ist 1995 erschienen. Mit den drei folgenden Bänden der „Quellen zur pommerschen Geschichte“ nähern wir uns bereits sehr stark unseren Tagen. Im Jahre 2000 erschien der erste Halbband des ersten Bandes einer Edition der „Pommerschen Landtagsakten“, die Jahre von 1521 bis 1535 umfassend. Bearbeitet war er von Andreas Ritthaler und Sabine Teubner-Schoebel, herausgegeben von Werner Buchholz.11 Mit dem Vorhaben knüpfte man an einen Beschluß der Historischen Kommission aus dem Jahre 1925 an. Die Bearbeiter bieten 73 Aktenstücke: nicht nur die Landtagsabschiede, deren aus diesem Zeitraum gar nicht viele überliefert sind, sondern auch Einladungen, Propositionen, Korrespondenzen zu den Landtagen. Über die benutzten Archive und Bibliotheken sowie über die Editionsrichtlinien unterrichtet Sabine Teubner-Schoebel in einer ausführlichen Einleitung. Darin gibt sie auch einen Überblick über die Landtage während der Regierungszeit Bogislaws X. und seiner Söhne bzw. seines Enkels Philipp I., und zwar bis 1541. Die Frage der Aufbringung von Steuern, Münz- und Zollfragen, die Türkensteuer, die Erbeinigung mit Brandenburg und die Religionsfrage bildeten die Gegenstände der Verhandlungen, letztere aber nicht in dem Maße, wie man vielleicht erwarten sollte. Es ist bedauerlich, daß bis jetzt der zweite Halbband nicht erschienen ist, der bis 1541 führen soll. Laut den im ersten Halbband zu lesenden Ausführungen war damals das Material für den zweiten bereits zusammengetragen.12 Im gleichen Jahre 2000 hat die Historische Kommission eine weitere gewichtige Edition vorgelegt. Als Band 14 erschien die Edition des ältesten Greifswalder Stadtbuches, das die Jahre 1291 bis 1332 umspannt.13 Der Bearbeiter, Dietrich W. Poeck, konnte sich auf Vorarbeiten des 1990 verstorbenen Horst-Diether Schroeder stützen. Von ihm lag bei seinem Tode eine vollständige Transkription vor. Sie wurde vom Bearbeiter, Dietrich Poeck, offensichtlich noch stark überarbeitet. Ausschließlich aus dessen Feder stammt die mehr als 60seitige Einleitung, die eine kurze Handschriftenbeschreibung bietet und wertvolle, ins einzelne gehende Ausführungen zur Führung, zum Inhalt und zu den Schreibern des Stadtbuches. Über das bei einer solchen Edition Erforderliche hinaus geht bereits die 50seitige sozialgeschichtliche Auswertung. Das Obligationenbuch der Stadt Greifswald, das sich zeitlich an das älteste Stadtbuch anschließt, wird in Regestenform teilediert, und zwar für die Jahre 1349 bis 1371. Das vorerst letzte Buch in der Reihe ist 2004 erschienen. Es ist eine von Matthias Kruske besorgte Neuedition eines neulateinischen Epos, das in den Jahren des Dreißigjährigen 11 Pommersche Landtagsakten. Band 1: 1521–1535, hg. v. Werner Buchholz, bearb. v. Andreas Ritthaler; Sabine Teubner-Schoebel (Quellen zur pommerschen Geschichte, 13), Köln/ Weimar/Wien 2000. 12 Da es sich bei den Landtagsakten um eine zentrale Quelle der Geschichte Pommerns handelt, wäre es außerordentlich wünschenswert, daß der Herausgeber den im Manuskript offenbar seit langem vorliegenden zweiten Halbband sehr bald herausbrächte. 13 Das älteste Greifswalder Stadtbuch (1291–1332), bearb. von Dietrich W. Poeck, unter Heranziehung der nachgelassenen Vorarbeiten von Horst-Diether Schroeder (Quellen zur pommerschen Geschichte, 14), Köln/Weimar/Wien 2000.

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Krieges vom damaligen Pfarrer von Voigdehagen, Jakob Liefer, verfaßt wurde und das 1639 erstmals und 1715 ein zweites Mal im Druck erschien.14 Gegenstand des Epos ist ein Ereignis der spätmittelalterlichen pommerschen Geschichte, die Belagerung der Stadt Stralsund durch den dänischen König Erich Menved und Fürst Wizlaw III . von Rügen. Kruske folgt bei seiner Edition dem Erstdruck von 1639, das Manuskript, das diesem zugrunde lag, ist heute nicht mehr erhalten. Auf die Edition folgt die Übersetzung ins Deutsche. In einem sehr umfangreichen Anhang werden die Quellen vorgestellt, aus denen Liefer geschöpft hat. Dazu gehören die Chronik des Ernst von Kirchberg ebenso wie Albert Krantz, Johannes Bugenhagen und Thomas Kantzow. Auch behandelt der Autor die Frage, welche Vorlagen Liefer aus der römischen Literatur herangezogen hat. Vor allem Vergil ist von Liefer als Steinbruch benutzt worden. Im übrigen wäre dem Buch eine stärkere Begleitung von seiten der Historischen Kommission zu wünschen gewesen. Dann wäre vielleicht die Behauptung, Liefer, der Autor des Epos sei 1571 zu Lippen in der Mark geboren, unterblieben und die Geburtsstadt des Dichters und Pfarrers hätte ihren richtigen Namen, Lippehne, erhalten. Eine vorsichtige zusammenfassende Charakterisierung der Reihe soll am Schluß stehen. Was auffällt, ist die lange Unterbrechung zwischen 1966 und 1980. Sie teilt die Reihe in zwei Schübe. Bemerkenswert ist zweitens, daß viele der Bände, was die Planung und die Erstellung des Manuskripts angeht, in die Vorkriegszeit zurückreichen. Dies hängt mit den besonderen Forschungs- und Veröffentlichungsbedingungen eines Landes zusammen, das von der Vertreibung fast vollständig erfaßt worden ist. Darauf ist auch zurückzuführen, daß die meisten Bände, zumindest im Kern, nicht von zünftigen Historikern in strengem Sinne, schon gar nicht von Universitätshistorikern stammen. Johannes Weygardus Bruinier, Hellmuth Heyden, Werner von Schulmann, Alfred Haas, Johannes Hildisch, Franz Jost und Robert Laude haben sich ihren Lebensunterhalt nicht als Historiker oder in einem geschichtsforschenden Beruf verdient, sie waren Heimatforscher im besten Sinne. Daß Editionen aus der Feder von Hochschullehrern, Archivaren usw. jahrzehntelang nicht vorgelegt worden sind, hat mit der besonderen Situation der pommerschen Landesgeschichtsforschung im bundesdeutschen Staat zu tun, die im wesentlichen vom Idealismus der vertriebenen Pommern leben mußte und muß. Der Begriff „Quellen“ mußte deshalb zwangsläufig etwas weiter gefaßt werden. So kamen die Numismatik und die Sprachwissenschaft zum Zuge. Die Historischen Kommissionen anderer Länder hätten hier vielleicht eine Schranke gezogen und solche Veröffentlichungen anderswo untergebracht. Veröffentlichung von Quellen ist meines Erachtens die wichtigste Aufgabe einer landesgeschichtlichen Kommission. Auch im Zeitalter von Netzeditionen und dergleichen ist die Vorlage sorgfältig erarbeiteter Editionen in Buchform bis auf weiteres unerläßlich und darf nicht eingestellt werden. Ich will abschließend einen vergleichenden Blick auf eine andere Historische Kommission werfen, da ich auch dieser, und zwar seit 16 Jahren, 14 Jacob Liefer, Bellum Sundense – Der Sundische Krieg. Eine zweisprachige Edition, hg., übersetzt und kommentiert von Matthias Kruske (Quellen zur pommerschen Geschichte, 15), Köln/Weimar/Wien 2004.

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angehöre: auf die Historische Kommission für Thüringen. Sie teilt ihre Veröffentlichungen in zwei Reihen: die sogenannte Große Reihe und die Kleine Reihe. Weder was das Format noch was den durchschnittlichen Umfang der Bücher angeht, besteht zwischen den Reihen ein Unterschied. Die Kleine Reihe ist auf 29 Bände angewachsen. Es handelt sich im allgemeinen um Monographien, zumeist sind es Dissertationen. Die Große Reihe ist im wesentlichen eine Editionsreihe. Zwölf der 17 seit 1994 vorgelegten Bände sind Quellenausgaben, die übrigen Bände haben Handbuchcharakter. Es konnte also fast in jedem Jahr eine Edition vorgelegt werden. Ich wünschte der Historischen Kommission für Pommern, daß sie im Bereich der Quellenedition in eine fruchtbare Konkurrenz mit ihrer thüringischen Schwester träte.

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Der Historische Atlas von Pommern. Zum Einfluß ­historisch-geographischer Ansätze auf die pommersche ­Landes­geschichtsforschung im 20. Jahrhundert Die Historische Kommission für Pommern hat sich in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens als ein „Publikationsinstitut“ verstanden. Ähnlich wie beim Pommerschen Urkundenbuch oder bei der Inventarisation des nichtstaatlichen Archivguts in den einzelnen Kreisen der Provinz Pommern standen auch andere zentrale Vorhaben dieses Publikationsinstituts unter keinem guten Stern. Die Gründe dafür waren vielfältig – Geld- und Personalmangel, der Erste Weltkrieg und die anschließende Währungs- und Wirtschaftskrise, der Zweite Weltkrieg, in dessen Folge mit dem Deutschen Reich und dem Freistaat Preußen auch die Provinz Pommern unterging. Zu den Vorhaben, die mit großem Elan gestartet wurden, bald in eine Krise gerieten und mittlerweile völlig zum Erliegen gekommen sind, gehört auch der Historische Atlas für Pommern. Die wenigen erschienenen Lieferungen legen aber trotzdem Zeugnis ab von einer aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht bemerkenswerten Innovation, die vor dem Zweiten Weltkrieg eng mit der Greifswalder Universität verknüpft war, und von dem Bemühen, einige der aus diesem Zusammenhang nach dem Krieg in den Westen Deutschlands geretteten Vorarbeiten zur Druckreife zu befördern.1 Bereits auf der ersten regulären Geschäftssitzung der Kommission waren am 22. April 1912 in Stettin historisch-geographische Themen behandelt worden. Ernst Bernheim und Fritz Curschmann hatten neben der Edition und Auswertung der schwedischen 1

Überarbeitete und mit Anmerkungen versehene Fassung des Vortrags auf der Tagung zur 100-Jahrfeier der Historischen Kommission für Pommern am 14. Mai 2011 in Greifswald. Darin haben z.T. auch Thesen Eingang gefunden, die der Verf. bereits am 3. Juli 2010 in einem Vortrag auf dem 28. Demminer Kolloquium zur Geschichte Vorpommerns entwickelt hatte. Ein größerer Teil der in Demmin in den zurückliegenden Jahren gehaltenen Vorträge zur Entwicklung der Landesgeschichtsforschung in Pommern liegt jetzt im Druck vor: Die Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns. Ausgewählte Beiträge 1995–2011, hg. v. Henning Rischer und Dirk Schleinert, Greifswald 2011. Auf eine Darstellung des Editionsvorhabens zur schwedischen Landesaufnahme von Pommern, das ursprünglich als Teil des Historischen Atlas von Pommern gestartet wurde, konnte hier verzichtet werden, da es an verschiedenen Stellen bereits ausführlich gewürdigt worden ist, vgl. zuletzt: Ivo Asmus, Die bisherige Editionspraxis der Landesaufnahme von Schwedisch-Pommern seitens der Historischen Kommission für Pommern, in: Die schwedische Landesaufnahme von Pommern 1692–1709 – Perspektiven eines Editionsprojekts. Beiträge des Workshops am 9. und 10. Oktober 2009 im Pommerschen Landesmuseum Greifswald, hg. von Michael Busch, Stefan Kroll, Jens E. Olesen, Martin Schoebel und Reinhard Zölitz ( Die Schwedische Landesaufnahme von Vorpommern 1692–1709, Sonderband 2), Kiel 2011, S. 93–114.

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Abb. 1: Fritz Curschmann: Karte „Westliches Hinterpommern Anfang des 18. Jhs.“ (Ausschnitt). Quelle: wie Anm. 3

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Landesaufnahme u.a. auch die Sammlung pommerscher Stadtpläne, eine historische Topographie für Stralsund sowie ein historisches Ortslexikon für ganz Pommern angeregt.2 Bei dieser Sitzung erhielten alle anwesenden Mitglieder vom Kommissionsvorsitzenden den Band 12 der Pommerschen Jahrbücher mit dem ausdrücklichen Hinweis auf den darin enthaltenen Beitrag von Fritz Curschmann zur Historischen Geographie des westlichen Hinterpommerns überreicht.3 Da sich diese Arbeit explizit als Probe für ein damals von Curschmann noch angestrebtes größeres Atlaswerk zur Geschichte der östlichen Provinzen Preußens verstand, war also dank des Engagements zweier Greifswalder Hochschullehrer auch eine historisch-geographische Komponente Grundlage und Ausgangspunkt für das Wirken der Historischen Kommission für die Provinz Pommern. Die eingangs erwähnte Sternstunde aus wissenschaftsgeschichtlicher Sicht ist untrennbar mit dem Namen Fritz Curschmann (1874–1946) verknüpft. Er war der Initiator des Historischen Atlas von Pommern, weswegen an dieser Stelle kurz auf seine bemerkenswerte Biographie eingegangen werden soll, die dank der Darstellungen von Werner von Schulmann, Roderich Schmidt, Rembert Unterstell, Benno von Knobelsdorff-Brenkenhoff und Heinrich F. Curschmann gut dokumentiert ist:4 Bereits während seiner Studienzeit in Leipzig, die maßgeblich von seinem Lehrer Karl Lamprecht geprägt wurde, hatte er sich für die Historische Geographie begeistert. Nachdem er für den Verein für Geschichte der Mark Brandenburg die kirchliche Geographie des Bistums Brandenburg im Mittelalter untersucht und sich mit dieser Arbeit in Greifswald 1905 habilitiert hatte, fanden seine Bemühungen um die Historische Geographie als einer damals neuen und innovativen 2 LAGw, Rep. 54, Nr. 621: Protokollbuch der Historischen Kommission für Pommern, fol. 2f. 3 Fritz Curschmann, Die Landeseinteilung Pommerns im Mittelalter und die Verwaltungseinteilung der Neuzeit, in: PomJb 12/1911, S. 159–179, mit einer Karte. Dazu heißt es im Protokollbuch der Historischen Kommission, (wie Anm. 2): „Seitens des Herrn Oberpräsidenten sind der Kommission eine Anzahl Exemplare des 12. Bandes der Pommerschen Jahrbücher überwiesen, welcher eine Arbeit des Professors Dr. Curschmann über die Kreise zwischen der Oder und dem Fürstentum Cammin enthält. Dieselben werden an Mitglieder verteilt.“ 4 Werner von Schulmann, Fritz Curschmann (1874–1946) und die historisch-geographische Forschung an der Universität Greifswald, in: BaltStud N.F. 60/1974, S. 127–133; Roderich Schmidt, Der Historische Atlas der Historischen Kommission für Pommern – begründet von Fritz Curschmann – und der Historische Atlas von Mecklenburg – begründet von Franz Engel – Bericht des Herausgebers, in: POMMERN 31, 3/1993, S. 11–18; Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815–1945 (Mitteldeutsche Forschungen, 113), Köln/Weimar/Wien 1996, insbesondere S. 201–217; Benno von Knobelsdorff-Brenkenhoff, Prof. Dr. Fritz Curschmann (1874–1946), Begründer der Historischen Geographie in Greifswald. Ein Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, in: Perspektiven der Historischen Geographie. Siedlung – Kulturlandschaft – Umwelt in Mitteleuropa (Festschrift Klaus Fehn), hg. von Klaus-Dieter Kleefeld und Peter Burggraaff, Bonn 1997, S. 497–521; Heinrich F. Curschmann, Das Historisch-Geographische Seminar in Greifswald von 1926–1940, in: Geographische und historische Beiträge zur Landeskunde Pommerns. Eginhard Wegner zum 80. Geburtstag, hg. von Ivo Asmus, Haik Thomas Porada und Dirk Schleinert (Greifswalder Geographische Arbeiten, Sonderband), Schwerin 1998, S. 35–39.

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Abb. 2: Fritz Curschmann (1874–1946), seit 1919 außerordentlicher Professor für Histo­ rische Geographie an der Universität Greifswald, 1926–1939 Direktor des dortigen Historisch-Geographischen Seminars, 1921–1946 Vorsitzender des Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins und zweiter Vorsitzender der Pommerschen Geographischen Gesellschaft (vormals Greifswalder Geographische Gesellschaft). Quelle: UAG, Photosammlung

Teildisziplin der Geschichtswissenschaften Anerkennung beim Greifswalder Ordinarius Ernst Bernheim, der in den folgenden Jahren sein engagiertester Förderer wurde. 1912 erhielt Curschmann einen Lehrauftrag an der Greifswalder Universität. Nach einem Intermezzo am Ende des Ersten Weltkrieges als Professor an der Universität Dorpat wurde ihm 1919 eine außerordentliche Professur für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Greifswald zuteil. Dabei galt in den Folgejahren sein Hauptaugenmerk neben der Historischen Geographie und der Wirtschaftsgeschichte in besonderem Maße den klassischen hilfswissenschaftlichen Teildisziplinen. Die im Juni 1926 auf seine Initiative hin begründete Historisch-Geographische Abteilung des Historischen Seminars der Greifswalder Universität entwickelte sich bald zu einer Geschäftsstelle internationaler Gremien. Nachdem Curschmann im März 1928 zum persönlichen Ordinarius ernannt worden war, wurde er auf dem internationalen Historikerkongreß, der in jenem Jahr in Oslo stattfand, zum Vorsitzenden des Internationalen Ausschusses für Historische Geographie gewählt. In den Folgejahren wurden von Greifswald aus die internationalen Tagungen dieses Gremiums in Brüssel, Antwerpen, Lüttich, Budapest und Den Haag vorbereitet. Seitens der Greifswalder Universität, insbesondere der Kuratoren, konnte Curschmann kaum auf Unterstützung rechnen, da sie seine Fachrichtung als nicht notwendig für die Außenwirkung dieser Alma mater ansahen. Seine persönliche Lage verschlechterte sich seit 1936 dramatisch, nachdem er nach den Nürnberger Rassegesetzen als „Mischling 2. Grades“ eingestuft worden war. Ihm wurde die Prüfungserlaubnis entzogen, was die Zahl der Besucher

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Abb. 3: Reproduktion aus dem Protokollbuch der Historischen Kommission für Pommern: Anlage zur Niederschrift über die Sitzungen des Vorstandes und der Hauptversammlung der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle am 26. November 1935 – Vorläufiger Entwurf aus der Feder von Fritz Curschmann für die Gliederung eines „Kleinen Pommerschen Geschichtsatlas – Karten und Bilder zur Geschichte Pommerns“. Quelle: LaGw, Rep. 54, Nr. 621, fol. 48r–50r

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Abb. 4: Textkartusche der Pommerschen Kreiskarte 1817/18. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien

seiner Lehrveranstaltungen deutlich drückte. 1938 wurde er schließlich gezwungen, den Vorsitz des ihm so wichtig und lieb gewordenen Ausschusses für Historische Geographie im internationalen Historikerverband niederzulegen. Dank der Solidarität einiger Kollegen in der Fakultät blieb ihm wenigstens die ehrabschneidende vorzeitige Entpflichtung als Hochschullehrer erspart, so daß er 1939 regulär in den Ruhestand treten konnte. Seine Historisch-Geographische Abteilung des Historischen Seminars wurde 1941 in ein eigenständiges „Institut für Historische Geographie und Kulturlandschaftsforschung“ innerhalb der Philosophischen Fakultät umgewandelt, dessen Leitung der aus Königsberg nach Greifswald berufene Friedrich Mager übernahm. Mager verfolgte die starke Konzentration

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Curschmanns auf historische Fragestellungen zur administrativen Geographie Pommerns in Mittelalter und Neuzeit nicht weiter, sondern pflegte ausgehend von seinen eigenen Forschungen insbesondere zur Waldentwicklung in Schleswig-Holstein, in Ostpreußen und im Baltikum einen stärker naturwissenschaftlichen Ansatz, was folgerichtig 1951 zur Integration seines Instituts in das Geographische Institut führte, welches alsbald auch die Philosophische Fakultät verließ und zum Gründungsinventar der neuen Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät gehören sollte. Historisch-geographische Themen rückten unter den neuen wissenschaftspolitischen Prämissen der DDR in den 1950er und 1960er Jahren auch am Geographischen Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in den Hintergrund.5 Diese Tatsache gehört zu den merkwürdigen Parallelen im ideologisch ansonsten in jenen Jahren doch so um Abgrenzung voneinander bemühten Wissenschaftsbetrieb im Osten und Westen Deutschlands. Denn auch in der alten Bundesrepublik erlebte die Historische Geographie einen schleichenden Verfall ihrer akademischen Akzeptanz, die nach dem Kieler Geographentag von 1969 zu einer völligen Marginalisierung dieser Disziplin an fast allen westdeutschen Universitäten führte.6 Nach diesem Exkurs zur Krise der Historischen Geographie nach dem Zweiten Weltkrieg kommen wir auf Fritz Curschmann zurück, der jene Entwicklungen nicht mehr miterleben mußte. Curschmann stand von 1921 bis zu seinem Tod 1946 dem Rügisch-Pommerschen Geschichtsverein vor, der Ende des 19. Jahrhunderts aus der Greifswalder Abteilung der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde hervorgegangen war. Da­ neben engagierte er sich in der Geographischen Gesellschaft zu Greifswald, aus der in den 1920er Jahren eine mit mehreren Ortssektionen in der gesamten Provinz tätige Pommersche Geographische Gesellschaft wurde. Diese bewußte Hinwendung zur aktiven Erforschung der Geschichte und Landeskunde der preußischen Provinz, die für mehr als vier 5

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Vgl. für die institutionelle Entwicklung der Historischen Geographie und der Geographie im 20. Jahrhundert die grundlegende Darstellung von Paul Hauck, Die Geschichte der Geographie an der Universität Greifswald von der Gründung der Hochschule 1456 bis zur Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 in Beziehung zur Entwicklung der Geographie im deutschsprachigen Raum (Greifswalder Geographische Arbeiten, 44), Greifswald 2009; Paul Hauck, Die Geographie an der Universität Greifswald nach dem 2. Weltkrieg (1945–1968), in: Raum und Zeit – Zeiträume in kulturgeographischen Untersuchungen, hg. v. Wilhelm Steingrube (Greifswalder Beiträge zur Regional-, Freizeit- und Tourismusforschung, 19), Greifswald 2009, S. 1–71. Einen kurzgefaßten, sehr informativen Überblick bietet jetzt auch Dirk Schleinert, Zur historisch-geographischen Forschung an der Universität Greifswald, in: Eginhard Wegner (†), Das Land Loitz zwischen 1200 und 1700. Ein Beitrag zu einer historisch-geographischen Untersuchung Vorpommerns, hg. und eingeleitet von Dirk Schleinert (Die schwedische Landesaufnahme von Vorpommern 1692–1709, Sonderband), Kiel 2009, S. 15–18. Vgl. zum Paradigmenwechsel in der westdeutschen Geographie die grundlegenden Darstellungen von Klaus Fehn, „Genetische Siedlungsforschung“ als Aufbruch: Optionen und Bindungen bei der Gründung des „Arbeitskreises für genetische Siedlungsforschung in Mitteleuropa“ 1974, in: Siedlungsforschung 24/2006, S. 13–34, und Ute Wardenga, Zwischen Innovation und Tradition: Geographische Siedlungsforschung in den 1960er Jahren, in: a.a.O., S. 35–49.

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Abb. 5: Textkartusche der Besitzstandskarte von 1780. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien

Jahrzehnte seinen Lebensmittelpunkt bildete, war kennzeichnend für ihn. So verwundert es nicht, daß er auch sofort beherzt die Möglichkeiten ergriff, die sich aus der Gründung der Historischen Kommission für die Provinz Pommern ergaben. Damit bot sich ihm der Zugang zur Spitze der Provinzialverwaltung. Seit 1912 gab es kaum eine Mitgliederversammlung und Vorstandssitzung, an der er nicht aktiv beteiligt war. Für Curschmann wurden die Ideen des renommierten Grazer Geographen Eduard Richter (1847–1905), der von der Wiener Akademie der Wissenschaften mit der Herausgabe des „Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer“ beauftragt worden war, zur Richtschnur seiner Bemühungen, die zuerst auf sämtliche östliche Provinzen der preußischen Monarchie ausgerichtet waren und von Anfang an eine vergleichende Perspektive in die Landesgeschichte bringen wollten.7 Vom aktuellen Zustand ausgehend verfolgte Curschmann das Ziel, in ältere, vornehmlich mittelalterliche Zustände, zurückzuschreiten, um eine Entwicklungsperspektive in den Karten darstellen zu können. Einen exemplarischen Test dieser Methode unternahm er mit der Arbeit „Die Landeseinteilung Pommerns im Mittelalter und die Verwaltungseinteilung der Neuzeit“, die der Oberpräsident Helmuth Freiherr von Maltzahn-Gültz als Vorsitzender der Historischen Kommission, wie bereits erwähnt, auf der ersten regulären Geschäftssitzung allen Mitgliedern aushändigte. Damit wurde für das westliche Hinterpommern eine Machbarkeitsstudie vorgelegt. Curschmann ging von der Forschungshypothese aus, die Gemarkungsgrenzen und damit auch die meisten Verwaltungsgrenzen hätten sich seit dem Mittelalter kaum verändert. Um mittelalterliche 7

Historischer Atlas der österreichischen Alpenländer, 1. Abt.: Die Landgerichtskarte, 1. Lfg: Salzburg, Oberösterreich, Steiermark, bearb. v. Eduard Richter (†), Wien 1906.

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Abb. 6: Textkartusche der Besitzstandskarte von 1628. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien

Zustände rekonstruieren zu können, bräuchte man demnach nur von jüngeren bekannten Gegebenheiten über gut dokumentierte Zwischenschritte zurückzugehen.8 Folgerichtig begann das pommersche Atlasvorhaben mit der Pommerschen Kreiskarte von 1817/18 im Maßstab 1:350 000 sowie mit der Besitzstandskarte für 1780, der solche für 1628, um 1530 und schließlich um 1400 folgen sollten. In den Protokollen der Jahresversammlungen und später auch der Vorstandssitzungen der Historischen Kommission läßt sich das Werden des Historischen Atlas von Pommern unter der Ägide Curschmanns gut nachvollziehen. Um einen Eindruck vom Zeitkolorit jener Zusammenkünfte zu vermitteln, werden im folgenden einige Zitate aus den Protokollen von 1925 bis 1927 angeführt: Am 8. Oktober 1925 war man im Landeshaus in der Luisenstraße 28 in Stettin zu einer Jahresversammlung zusammengekommen. Unter Punkt 10 wurde im dabei geführten Protokoll festgehalten: „Prof. Dr. Curschmann berichtete eingehend über den Plan eines historischen Atlasses für Pommern, für den schon erhebliche Vorarbeiten geleistet sind. Die Vollendung dieses Werkes wurde allgemein als sehr wünschenswert bezeichnet. Herr Prof. Dr. Curschmann wurde mit der Ausführung und Leitung dieser Arbeit betraut; für das kommende Jahr werden ihm 1 200 RM hierfür bewilligt“.9 Im Protokoll zur Jahresversammlung der Kommission am 29. Oktober 1926 heißt es unter: „5. Professor Dr. Curschmann berichtet über die bisherigen Arbeiten am Historischen Atlas Pommerns in Stettin, Berlin und Greifswald, wo am Historischen Seminar 8 Wie Anm. 3. 9 LAGw, Rep. 54, Nr. 621, fol. 15r.

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der Universität mit Genehmigung des Herrn Ministers eine historisch-geographische Abteilung eingerichtet worden ist, sowie über die künftige Weitergestaltung des ganzen Unternehmens. Auf diesem Gebiete der historischen Kartographie arbeitet die Historische Kommission für Pommern infolge Personalunion des Bearbeiters Hand in Hand mit der Historischen Kommission für Brandenburg. Professor Dr. Curschmann beantragt und erhält für das nächste Geschäftsjahr für sich 1 200 RM und 600 RM zur Verfügung für etwaige Hilfskräfte“.10 Daneben wurde bei jener Zusammenkunft die Einsetzung eines Ausschusses zur Vorbereitung des von Robert Holsten vorgeschlagenen Flurnamenprojekts beschlossen, in dem sich Fritz Curschmann von Anfang sehr rege zeigte, war ihm doch die Bedeutung der räumlichen Verteilung von Flurnamen als einem wichtigen Hilfsmittel der Historischen Geographie sehr vertraut. Im Protokoll zur Sitzung des Vorstandes der Historischen Kommission für Pommern am Montag, dem 9. Mai 1927, nachmittags 5 Uhr, wiederum im Landeshaus Stettin heißt es unter: „3. Prof. Dr. Curschmann berichtet eingehend über seine Vorarbeiten zum histo­ rischen Atlas Pommerns und stellt den Antrag im Rahmen seiner historisch-geographischen Aufgabe die Grundkartenzeichnung für Pommern wieder aufzunehmen, deren einziges ganz-pommersches Blatt (Sekt. 158/190 Tempelburg-Kallies) seinerzeit von der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde herausgegeben worden ist. Prof. Curschmann wird sich mit den in Betracht kommenden Stellen in Verbindung setzen und feststellen, wie hoch sich die Kosten für derartige Blätter jetzt belaufen“. Bei dieser Sitzung wurde auch der Bericht seitens des Ausschusses zur Vorbereitung des Flurnamenprojekts durch Fritz Curschmann erstattet, der zuvor im Landeskulturamt in Frankfurt an der Oder die älteren Flurkarten gesichtet hatte und dazu riet, eine Stoffsammlung aus archivalischem und kartographischem Material ins Auge zu fassen.11 Schließlich heißt es im Protokoll zur Sitzung des Vorstandes und der Hauptversammlung der Historischen Kommission für Pommern am Freitag, dem 9. Dezember 1927, 16 bzw. 17 Uhr, im Landeshaus: „I. Vorstandssitzung… 7. Professor Dr. Curschmann spricht eingehend über die Anfertigung der Historischen Grundkarten für Pommern, deren Kosten sich infolge eifriger Privatarbeit eines Greifswalder Schulrektors ganz bedeutend ermässigen… II . Hauptversammlung… 4.c. Professor Dr. Curschmann berichtet eingehend über die Arbeiten am Historischen Atlas für Pommern und legt Karten mit eingezeichneten Gemarkungs- und Gemeindegrenzen vor. Er beantragt für 1928 denselben Betrag wie bisher (1 800 RM ).“12 Diese Zitate ließen sich aus den Protokollen der Folgejahre problemlos fortsetzen. Sie zeigen uns einen durchsetzungsstarken Hochschullehrer, der für seine noch junge Disziplin mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln durchaus recht erfolgreich kämpfte. Ein 10 A.a.O., fol. 30r. 11 A.a.O., fol. 22v. 12 A.a.O., fol. 24v und 25v.

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Ergebnis waren zahlreiche Hilfskräfte, die unter seiner Ägide ihr Handwerkszeug lernten und teils noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg von ihren Greifswalder Erfahrungen zehren konnten. In der Zwischenkriegszeit war es das Kennzeichen des pommerschen Atlasvorhabens, das dieses in personeller Hinsicht eng mit dem für die Provinz Brandenburg verzahnt war. Berthold Schulze war Mitarbeiter an Curschmanns Historisch-Geographischer Abteilung in Greifswald. Auf diese Weise entstanden hier die ersten Blätter des Historischen Atlas von Brandenburg. Damit lag auch die Keimzelle für das in der Nachkriegszeit so erfolgreiche Vorhaben eines „Historischen Handatlas von Brandenburg und Berlin“, dessen 67 Lieferungen mit zusammen 102 Haupt- und 149 Nebenkarten bis in die 1980er Jahre erschienen, in Greifswald.13 Eine ähnliche Patenschaft übernahm die Historische Kommission für Pommern seit den 1950er Jahren für das mecklenburgische Atlasvorhaben. Da es nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland nicht gelungen war, eine Historische Kommission für Mecklenburg zu begründen, hatten zuerst Franz Engel und später dann auch Roderich Schmidt die Betreuung des Historischen Atlas für Mecklenburg übernommen. Mehrmals erschienen bis in die 1980er Jahre Lieferungen thematisch parallel für Pommern und Mecklenburg im Kölner Böhlau-Verlag.14 Der Historische Atlas von Pommern zehrte noch bis in die 1980er Jahre von den Vorarbeiten, die unter der Leitung Fritz Curschmanns in Greifswald bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs geleistet wurden. Mit Werner von Schulmann stand auch ein Bearbeiter aus Greifswalder Tagen zur Verfügung, der seine kostbare Freizeit bis zu seinem Lebensende weiter für dieses Vorhaben einsetzte. Die beiden maßgeblichen Kommissionsvorsitzenden in den ersten fünf Jahrzehnten nach dem Krieg, Franz Engel und Roderich Schmidt, förderten eifrig das pommersche und das mecklenburgische Atlasvorhaben, ja beide machten diese zu wesentlichen Bestandteilen ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit.15 Das Herder-Institut in Marburg und das Nordostdeutsche Kulturwerk in Lüneburg entwickelten sich institutionell zu wesentlichen Stützen der beiden Atlasprojekte. Zwei Männer seien 13 Wolfgang Scharfe, Historischer Handatlas von Brandenburg und Berlin, in: Berlin-Brandenburg im Kartenbild. Wie haben uns die anderen gesehen? Wie haben wir uns selbst gesehen? Ausstellung vom 10. Oktober bis 18. November 2000 in der Staatsbibliothek zu Berlin, hg. v. Wolfgang Scharfe und Holger Scheerschmidt (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ausstellungskataloge, N.F., 42), Wiesbaden 2000, S. 153–156. 14 Schmidt, Der Historische Atlas, (wie Anm. 4), S. 17f. Eine kritische Würdigung der Tätigkeit Franz Engels für das mecklenburgische Atlasvorhaben findet sich bei: Hans Patze, Regionale Atlanten, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 6/1980, S. 36–40, insbesondere S. 38. 15 Die ersten Bemühungen um eine Fortsetzung des Vorhabens nach dem Zweiten Weltkrieg werden in einem programmatischen Aufsatz deutlich: Franz Engel, Erläuterungen zur historischen Siedlungsformenkarte Mecklenburgs und Pommerns. Aufgabenstellung und Abgrenzung des Arbeitsgebietes. Mit 2 Karten: „Übersicht über die Kartenwerke des 18. Jahrhunderts und ihre Blatteinteilung“ und „Siedlungsformen in Mecklenburg und Pommern“, in: ZfO 2/1953, S. 208–230.

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Abb. 7: Ausschnitt aus der Karte der historischen Dorfformen. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/ Wien

an dieser Stelle besonders gewürdigt – in Marburg der Kartograph Wolfgang Kreft und in Lüneburg der Kartographiehistoriker und Antiquar Eckhard Jäger. Aus der Marburger Werkstatt sei hier exemplarisch auf zwei Karten hingewiesen, für die Klaus Conrad, der Bearbeiter des Pommerschen Urkundenbuchs, als Autor verantwortlich zeichnete: „Burgen und Städte im mittleren und westlichen Pommern bis 1250“ sowie „Besitz pommerscher Kirchen und Klöster bis zum Jahre 1200“. Sie waren für die Zeitschrift für Ostforschung bestimmt, geben uns aber eine Ahnung, welche Themen noch für einen pommerschen Atlas durchaus hätten neu entwickelt und bearbeitet werden können.16 In einer Sonderreihe des Historischen Atlas von Pommern konnte in Lüneburg z.B. 1980 ein Nachdruck der Lubinschen Karte erscheinen, nachdem zuvor bereits 1969 bei Böhlau in Köln die Schmettausche Karte für Pommern in einem Reprint herausgekommen war. Seit Ende der 1970er Jahre bemühte sich das Nordostdeutsche Kulturwerk in Lüneburg aktiv um die Katalogisierung seiner Kartenbestände, die von topographischen bis zu thematischen Karten aus mehreren Jahrhunderten für den gesamten ostmitteleuropäischen Raum reichten. Zu den daraus erwachsenden Katalogpublikationen zählte dann auch ein Band für Pommern, womit eine wichtige Dienstleistung für das pommersche Atlasvorhaben erbracht 16 Klaus Conrad, Urkundliche Grundlagen einer Siedlungsgeschichte Pommerns bis 1250, in: ZfO 31, 3/1982, S. 337–360.

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Abb. 8: Ausschnitt aus der Karte der pommerschen Landesteilungen des 16. Jahrhunderts. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien

wurde.17 Spätestens 1987 nahm man in Lüneburg auch einen kommentierten „Gesamtkatalog gedruckter Pommern-Karten des 16. bis 19. Jahrhunderts“ ins Programm auf, der leider bis heute nicht vollendet wurde.18 Den Lüneburgern gelang es, das unschätzbare Spezialwissen der privaten Sammler für die eigene Forschungsarbeit nutzbar zu machen, in dem man diesem international zusammengesetzten Personenkreis in Form des sog. „Sammler-Privatissimums“ eine Möglichkeit zum regelmäßigen Gedankenaustausch bot. Daneben gab es aber auch immer wieder Atlasprojekte mit einer avancierten thematischen Kartographie, die ganz unterschiedliche Reifegrade erreichten. Hier sei an den Pommern-Atlas erinnert, den Manfred Vollack seit Ende der 1980er Jahre vorbereitete. Ihm war es seit den 1960er Jahren gelungen, eine der bedeutendsten Privatsammlungen

17 Nordost-Bibliothek Lüneburg – Bestandskatalog der Landkartensammlung, bearb. v. Jobst-Heinrich Müller und Barbara Waechter (Bestandskataloge der Nordost-Bibliothek Lüneburg, N.F., 1, hg. von Eckhard Matthes), Lüneburg 1984. 18 Eckhard Jäger, Kartographiegeschichte im Institut Nordostdeutsches Kulturwerk – eine Übersicht erschienener Publikationen und laufender Forschungsprojekte, in: Mitteilungsblatt des Arbeitskreises für Historische Kartographie, im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Historischer Kommissionen und Landesgeschichtlicher Institute, hg. von Heinz Stoob, Nr. 27, Warendorf 1987, S. 35–38.

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Abb. 9: Ausschnitt aus der Karte zur Entwicklung des Eisenbahnetzes. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien

pommerscher Karten zusammenzutragen. Sein früher Tod ließ sein Atlasprojekt, für das bereits Musterkarten und Werbeprospekte existierten, nicht zur Vollendung gelangen. In Vorbereitung der 1 000-Jahrfeier Mecklenburgs im Jahre 1995 hatte die Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern ein zweibändiges Atlasvorhaben initiiert, das in den Jahren 1995/96 erfolgreich abgeschlossen werden konnte.19 Während der physischund anthropogeographisch ausgerichtete erste Band das Land Mecklenburg-Vorpommern in einem Überblick darstellt, widmet sich der zweite Band in thematischen Karten in einem Rückblick der Geschichte Mecklenburgs und Pommerns. In erster Linie waren Mitarbeiter der Universitäten Greifswald und Rostock sowie der Historischen Kommissionen für Pommern und Mecklenburg an diesem Vorhaben beteiligt. Mit Gerd Heinrich war aber auch ein maßgeblicher Vertreter des brandenburgischen Handatlas-Vorhabens involviert. Eine wichtige Datengrundlage für diesen zweiten Band bot bei mehreren thematischen Karten der Historische Atlas von Pommern. 19 Historischer und geographischer Atlas von Mecklenburg und Pommern, hg. von der Landes­ zentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern. Band 1: Mecklenburg-Vorpommern – das Land im Überblick. Band 2: Mecklenburg und Pommern – das Land im Rückblick, Schwerin 1995/96.

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Zehn Jahre nach dieser Publikation konnte die Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte die aufwendige Edition des „Atlas der Kirchenprovinz Pommern“ nach dem Stand von 1931 vorlegen. Dabei handelte es sich um den Nachdruck in Atlasform einer Karte der Kirchenprovinz, die der aus Kurland stammende Pfarrer Hans Christel Gläser im Maßstab 1:200 000 erarbeitet hatte.20 Dieses kirchenadministrative Kartenwerk sollte eigentlich in der Zwischenkriegszeit für alle deutschen Landeskirchen und preußischen Kirchenprovinzen erarbeitet werden. Wirklich erschienen ist dann nur die pommersche Karte, die 2005 wiederum die Vorlage für den mit topographischen Registern ausgestatteten Atlas bildete. Wenn wir schon mit der Karte der Kirchenprovinz Pommern bei einem Rekurs auf die Zwischenkriegszeit sind, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, daß auch das Geographische Institut damals unabhängig von Fritz Curschmanns Historisch-Geographischer Abteilung eine Großtat im Bereich der thematischen Kartographie vollbrachte: Im Auftrag des Landeshauptmanns der Provinz Pommern gab Werner Witt 1934 in Stettin den Wirtschafts- und verkehrsgeographischen Atlas von Pommern heraus.21 Dieser Atlas markierte zusammen mit denen für Schlesien, für das Rhein-Main-Gebiet sowie für Mitteldeutschland um Halle und Leipzig das, was man im heute wieder etwas martialischer klingenden Antragsdeutsch als Forschungsfront bezeichnen würde. Ein Gremium, das im Zusammenhang mit dem Historischen Atlas für Pommern unbedingt erwähnt werden muß, ist der Arbeitskreis für Historische Kartographie in der Arbeitsgemeinschaft Historischer Kommissionen und Landesgeschichtlicher Institute. Diese Arbeitsgemeinschaft knüpfte an ein Vorgängergremium der sog. Publikationsinstitute an, das sich im Rahmen der Deutschen Historikertage bereits in der Vorkriegszeit regelmäßig versammelte und in dem die Historische Kommission der Provinz Pommern fast immer durch einen Vertreter aus Stettin oder Greifswald präsent war. Der Arbeitskreis für Historische Kartographie, den über viele Jahre Heinz Stoob von Münster aus leitete, gab seit Ende der 1960er Jahre in unregelmäßiger Folge ein Mitteilungsblatt heraus, welches für unsere Kenntnis über den jeweiligen Stand und die Planungen der pommerschen Atlas­arbeiten eine Fundgrube ersten Ranges darstellt. Dies gilt um so mehr, als in dem Arbeitskreis Vertreter aus dem gesamten deutschsprachigen Raum vertreten waren. Auf diese Weise ist auch ein vergleichender Blick auf die Situation der einzelnen landesgeschichtlichen Atlasvorhaben möglich. Roderich Schmidt vertrat die Historische Kommission für Pommern

20 Atlas der Kirchenprovinz Pommern 1931, Maßstab 1:200 000, nach der von Hans Christel Glaeser erarb. Karte der Kirchenprovinz Pommern. Neu hg. von der Arbeitsgemeinschaft für pommersche Kirchengeschichte. Mit einer Einf. von Norbert Buske (Beiträge zur pommerschen Landes-, Kirchen- und Kunstgeschichte, 6), Schwerin 2005. 21 Wirtschafts- und verkehrsgeographischer Atlas von Pommern, bearb. v. Werner Witt, Stettin 1934. Vgl. zu den Hintergründen für die Entstehung dieses Werks: Werner Witt, Geographie, Raumforschung und Landesplanung in Pommern 1881–1945, in: Geographische und historische Beiträge zur Landeskunde Pommerns, (wie Anm. 4), S. 27–34.

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Abb. 10: Besitzstandskarte der Insel Rügen 1577/1597. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien

in diesem Gremium. Im Dezember 1980 gab er folgende, sehr ehrliche Einschätzung der Ressourcen, die der Historischen Kommission für Pommern damals für ihre Kartenlieferungen zur Verfügung standen: „Anders als bei den meisten westdeutschen Atlaswerken sind für diese beiden Atlanten [gemeint waren die für Pommern und Mecklenburg, H.P.] die finanziellen wie die personellen Möglichkeiten begrenzt, ganz abgesehen davon, daß auch der Zugang zu Archivmaterialien beschränkt, z.T. gar nicht möglich ist. Man ist also bei der Bearbeitung in erster Linie auf gedruckte Quellen oder aber auf vorhandene

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Abb. 11: Textkartusche der Besitzstandskarte von 1530. Quelle: Böhlau Verlag Köln/Weimar/Wien

Quellenauszüge oder -notizen angewiesen. Feste Mitarbeiter, geschweige denn ein Arbeitsstab, stehen nicht zur Verfügung. Es können nur von Fall zu Fall interessierte Bearbeiter für bestimmte Karten gewonnen werden. Eine umfassende Planung unter übergreifenden systematischen Gesichtspunkten und mit festen Terminen ist unter diesen Gegebenheiten nicht zu realisieren. So entbehrt die Abfolge der bisher erschienenen und der in Arbeit befindlichen Karten nicht einer gewissen Zufälligkeit. Man wird es schon als Erfolg anzusehen haben, daß die beiden Atlaswerke überhaupt weitergeführt werden können.“22 Während der pommersche Atlas seit den 1950er Jahren nur kleine Fortschritte machte, gedieh das brandenburgische Schwestervorhaben, das wie erwähnt aus der gleichen Wurzel hervorgegangen war, umso prächtiger. Knapp die Hälfte aller von Berthold Schulze und Fritz Curschmann ursprünglich geplanten Themen konnte bis Anfang der 1980er Jahre erscheinen.23 Aus pommerscher Sicht ist der große Vorteil vieler dieser Lieferungen, daß man sich bei der herausgebenden Historischen Kommission zu Berlin darum bemühte, die thematische Kartographie flächendeckend für das jeweilige gesamte Kartenblatt zu entwickeln. Die pommerschen Karten sind dagegen von vornherein nur als reine Insel­ karten angelegt gewesen, mit einer Ausnahme, der zuletzt erschienenen Lieferung 7, die die Eisenbahnkarte von Manfred Vollack enthält. Somit ist der brandenburgische Handatlas auch für den pommerschen Nutzer ein wichtiges Hilfsmittel, bietet er doch häufig für das südliche Pommern eine gediegene thematische Kartographie. 22 Roderich Schmidt, Historische Atlanten von Pommern und Mecklenburg, in: Mitteilungsblatt des Arbeitskreises für Historische Kartographie, im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Histo­ rischer Kommissionen und Landesgeschichtlicher Institute, hg. von Heinz Stoob, Nr. 16, Münster 1980, S. 6–9. 23 Gerd Heinrich, Historischer Handatlas und Historischer Atlas von Brandenburg, in: Mitteilungsblatt des Arbeitskreises für Historische Kartographie, im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Historischer Kommissionen und Landesgeschichtlicher Institute, hg. von Heinz Stoob, Nr. 18, Münster 1981, S. 3–5 und 37. Siehe dort auch auf S. 5–8 die Erläuterungen von Wolfgang Scharfe, Karten zur preußischen Geschichte, die die geplante Fortentwicklung der beiden brandenburgischen Vorhaben auf einer gesamtstaatlichen Ebene für ganz Preußen beschreiben.

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Leider haben sowohl der Deutsche Städteatlas als auch der Polnische Städteatlas die pommerschen Städte im Vergleich z.B. mit den schlesischen oder preußischen bisher mehr als stiefmütterlich behandelt, weswegen auf diese beiden Teilprojekte eines internationalen Großvorhabens der vergleichenden Städteforschung hier nicht näher eingegangen werden soll. Auf polnischer Seite ist durch die Akademie der Wissenschaften vor knapp einem Jahrzehnt die Erarbeitung eines Atlas des polnischen Dorfes abgeschlossen worden, der auch für ausgewählte pommersche Dörfer interessante Dorf- und Flurformenkarten bietet.24 Seit den 1980er Jahren sind fast alle noch laufenden landesgeschichtlichen Atlasprojekte in eine schwere Krise geraten. Dies hat in erster Linie mit veränderten Finanzierungs­ modellen für die außeruniversitäre Forschungslandschaft in allen Ländern der Bundes­ republik Deutschland zu tun. Solche Großvorhaben sind im Prinzip heute nur noch über die deutschen Akademien oder über die Deutsche Forschungsgemeinschaft umsetzbar. Diese Institutionen der Forschungsförderung haben jedoch aus den negativen Erfahrungen mit Atlasvorhaben, die permanente Verzögerungen und Kostensteigerungen produzierten, eine außerordentlich zurückhaltende Einstellung gegenüber derartigen Projekten entwickelt. Dabei spielt auch die Tatsache eine Rolle, daß regionale Atlasvorhaben, da sie nicht auf die gesamte Bundesrepublik bezogen sind, derzeit kaum Chancen auf eine Förderung haben. Eines der wenigen Beispiele für ein neu bzw. wieder aufgegriffenes Großprojekt ist der Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, den Karlheinz Blaschke an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 1992 institutionalisieren konnte. Aber auch dieses Vorhaben wurde Ende 2010 nach den dafür vorgesehenen 18 Jahren abgeschlossen, obwohl bis dahin nur etwas mehr als die Hälfte der geplanten Lieferungen erschienen war.25 Die überschaubaren Resultate des 100jährigen Bemühens der Historischen Kommission für Pommern um eine eigenständige Atlaskartographie stellen sich wie folgt dar:26

24 Halina Szulc, Atlas Historyczny Wsi w Polsce – Historical Atlas of Villages in Poland – Histo­ rischer Atlas der ländlichen Siedlungen in Polen, Warszawa 2002. 25 Jana Moser, Wie Geschichte in Karten kommt. Der Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen, in: Denkströme. Journal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, hg. von P. Stekeler-Weithofer, 3/2009, S. 96–109. Vgl. dazu auch (ungedruckt): Jana Moser, Historischer Atlas von Sachsen (Atlas zur Geschichte und Landeskunde von Sachsen) Vorhaben II.D.17 – Abschlußbericht. Leipzig/Dresden 2010, sowie: http://www.saw-leipzig. de/publikationen/landeskunde (Zugriff am 11.04. 2012). 26 Ergänzt nach: Roderich Schmidt, Achtzig Jahre Historische Kommission für Pommern 1910–1990. Verzeichnis ihrer Veröffentlichungen, Ebsdorfergrund 1990, S. 17–19. Dort sind auf S. 35 f. auch die Lieferungen des Historischen Atlas von Mecklenburg, der seit 1960 in enger Verbindung zwischen der Historischen Kommission für Pommern und dem Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Mitteldeutschland herausgegeben wurde, verzeichnet.

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Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe III: Historischer Atlas von Pommern Erste Folge (seit 1935), begründet von Fritz Curschmann Abt. I: Pommersche Kreiskarte. Die alten und die neuen pommerschen Kreise nach dem Stande von 1817/18. 3 Blätter, Maßstab 1:350 000, bearb. von Fritz Curschmann, Ernst Rubow, hg. von der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle (Historische Kommission) der Provinz Pommern. Mit Erläuterungsheft von Fritz Curschmann, Stettin 1935. (46 S.) Abt. II : Pommersche Besitzstandskarte von 1780. 3 Blätter, Maßstab 1:350 000, bearb. von Fritz Curschmann, Ernst Rubow, Gertrud Steckhan, hg. von der Landeskundlichen Forschungsstelle (Historische Kommission) der Provinz Pommern. Mit Erläuterungsheft von Fritz Curschmann, Gertrud Steckhan, Stettin 1939. (VI , 69 S.) Abt. III : Matrikelkarten von Vorpommern 1692–1698. Karten und Texte. I. Teil, bearb. von Fritz Curschmann. Dorfbeschreibungen zu Blatt 3, 4, 7 und 8: Amt Barth, Barther und Stralsunder Distrikt, Amt Franzburg, Greifswald 1944/Rostock 1948. (XXXII , 662 S.) 4 Blätter, Maßstab 1:50 000 (Blatt 3: Prerow, Blatt 4: Barth, Blatt 7: Damgarten, Blatt 8: Franzburg), Rostock 1952.

Neue Folge (seit 1959), begründet von Franz Engel Karte 1: Besitzstandskarte von 1628, Maßstab 1:350 000, bearb. von Werner von Schulmann, Franz Engel, Köln/Graz 1959. (VIII , 59 S., auch für Karte 2) Karte 2: Besitzstandskarte von 1780, Maßstab 1:350 000, auf Grund der von der Landesgeschichtlichen Forschungsstelle 1939 herausgegebenen Besitzstandskarte neu bearb. von Franz Engel, Köln/Graz 1959. (Seitenangaben siehe Karte 1) Erläuterungsheft zu den Besitzstandskarten von 1628 und 1780 von Werner von Schulmann. Mit einem Vorwort von Franz Engel, Köln/Graz 1959. (VIII , 59 S.) Karte 3: Karte der historischen Dorfformen, Maßstab 1:350 000. Mit Erläuterungen zur historischen Dorfformenkarte Pommerns, bearb. von Franz Engel, Köln/Graz 1963. (9 S.) Karte 4: Karte der älteren Bronzezeit, Maßstab 1:350 000, bearb. und mit Erläuterungen von Hans-Jürgen Eggers, Köln/Graz 1963. (28 S.) Karte 5: Karte der Landesteilungen des 16. Jahrhunderts, Maßstab 1:350 000, auf Grund der Arbeit von Günter Linke, Die pommerschen Landesteilungen des 16. Jahrhunderts (Baltische Studien N.F. 37/1935 und 38/1936) entworfen von Franz Engel. Mit Erläuterungen von Franz Engel, Köln/Graz 1964. (16 S.)

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Karte 6: Besitzstandskarte der Insel Rügen 1577/1597, Maßstab 1:100 000, bearb. von Franz Engel (†), Roderich Schmidt. Mit Erläuterungen von Roderich Schmidt, Köln/ Graz 1969. (IV , 21 S.) Karte 7: Entwicklung des Eisenbahnnetzes 1842–1945, Maßstab 1:350 000, bearb. und mit Erläuterungen von Manfred Vollack, Köln/Weimar/Wien 1993. (42 S., 1 Beikartenheft mit 8 S.) Karte 8: Besitzstandskarte von 1530, Maßstab 1:350 000, bearb. von Werner von Schulmann (†). Mit Erläuterungsblatt von Roderich Schmidt, Köln/Wien 1984. (3 S.)

Sonderreihe (seit 1969) Schmettausche Karten von Pommern (um 1780), 33 Blätter, Maßstab 1:50 000, bearb. und hg. von Franz Engel. Übersichtsblatt von Roderich Schmidt, Erläuterungsheft von Heinz Hinkel, Köln/Wien 1969. (V, 23 S.) Die große Lubinsche Karte von Pommern aus dem Jahre 1618, neu hg. von Eckhard Jäger, Roderich Schmidt. Mit beschreibendem Text von Alfred Haas (1926) und einer Einführung von Manfred Vollack (Quellen zur Geschichte der Deutschen Kartographie 2, zugleich Historischer Atlas von Pommern, Sonderreihe), Lüneburg 1980, 13 Kartenblätter in Mappe, (XXIX , 79 S.)27 Derzeit hegt die Historische Kommission für Pommern leider keine aktiven Pläne für eine Fortführung des auf thematischen Karten basierenden Historischen Atlas von Pommern. Zu überlegen wäre aber in jedem Fall, ob nicht wenigstens die offensichtlich weit gediehenen Kartenentwürfe noch zur Druckreife befördert werden sollten. Dazu finden sich in den Berichten Roderich Schmidts, des langjährigen Vorsitzenden der Kommission, wichtige Ansatzpunkte: In einem Bericht von 1980 aus seiner Feder heißt es für Pommern:28 „3. Als Gegenstück zu der entsprechenden Karte des mecklenburgischen Atlasses ist eine „Karte der kirchlichen Gliederung Pommerns um die Mitte des 16. Jahrhunderts“ (auf Grund der Unterlagen von Hellmuth Heyden bearb. v. Roderich Schmidt) schon länger im Entwurf fertiggestellt; doch bestehen für einzelne Teile Hinterpommerns immer noch offene Fragen, so daß sich die Reinzeichnung der Karte immer wieder verzögert hat“. Weiter heißt es hier: „5. Im Zusammenhang mit einem Pommerschen Ortslexikon und den für dieses gezeichneten Gemeindegrenzenkarten nach Kreisen hat Manfred Vollack eine Gemeindegrenzenkarte für die gesamte preußische Provinz Pommern erstellt, die als Grundlage für

27 Vgl. dazu die Ausführungen bei: Roderich Schmidt, Die „Pomerania“ des Eiland (sic!) Lubin (1618) und die Anfänge der Landesbeschreibung und Kartographie in Pommern, in: Mitteilungsblatt des Arbeitskreises für Historische Kartographie, im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Historischer Kommissionen und Landesgeschichtlicher Institute, hg. von Heinz Stoob, Nr. 18, Münster 1981, S. 11–17. 28 Wie Anm. 22, hier S. 8.

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weitere thematische Karten dienen soll“. Unter den Hinweisen auf das mecklenburgische Atlasvorhaben heißt es schließlich: „6. Die Arbeit an Karten der mittelalterlichen Klöster und Stifter für die Bistümer Ratzeburg, Schwerin und Cammin, die Jürgen Petersohn (Würzburg) übernommen hat, mußte wegen anderweitiger Verpflichtungen des Bearbeiters zurückgestellt, soll aber weitergeführt werden. Die entsprechenden Karten für die Diözesen Ratzeburg und Schwerin sind für den mecklenburgischen, die Karte für die Diözese Cammin für den pommerschen Atlas vorgesehen“. Einige Ergebnisse der hier genannten Vorarbeiten Jürgen Petersohns haben Eingang in den von Erwin Gatz in Rom 2009 ­herausgegebenen „Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart – Heiliges Römisches Reich, deutschsprachige Länder“ gefunden.29 Dem Vorstand unserer Kommission obliegt es nun, die bisher nicht publizierten Karten­ entwürfe aufzuspüren, auf die Roderich Schmidt bis in die 1990er Jahre in seinen gedruckten Berichten immer wieder hingewiesen hat. Auch gilt es, mit Hilfe des Universitätsarchivs sowie der Kartensammlung im Geographischen Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität nach den erhalten gebliebenen Vorarbeiten aus der Zwischenkriegszeit zu recherchieren. Dirk Schleinert hat einzelne Spuren der damals in Greifswald tätigen Kartographen bereits im Landesarchiv entdecken können. Gemeinsam mit der Professur für Kartographie und Geoinformationssysteme im Institut für Geographie und Geologie sowie den Kollegen am Historischen Institut der Greifswalder Universität sollte es eigentlich auch im 21. Jahrhundert möglich sein, neue thematische Karten zur pommerschen Geschichte zu entwickeln. Fritz Curschmann hat uns mit seinem Organisationstalent gezeigt, daß die Entstehung des Historischen Atlas für Pommern in erster Linie eine Frage des persönlichen Engagements war.

29 Jürgen Petersohn, Bistum und Hochstift Kammin um 1500, in: Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart. Heiliges Römisches Reich – Deutschsprachige Länder, hg. von Erwin Gatz in Zusammenarbeit mit Rainald Becker, Clemens Brodkorb und Helmut Flachenecker, Regensburg 2009, S. 86 f.

Ivo Asmus

Die „Forschungen zur pommerschen Geschichte“: Die Reihe V der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für ­Pommern In den hundert Jahren seit ihrer „endgültige[n] Bildung“ bei der zweiten diesbezüglichen Zusammenkunft des Gründungskomitees und der „Feststellung der Satzung“ am 13. Mai 1911 hat die Historische Kommission für Pommern insgesamt fünf Veröffentlichungsreihen ins Leben gerufen, wobei die Reihen II bis V nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen worden sind und unter dem Titel „Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern“ noch fortgesetzt werden. Hier ist nicht der Ort, sich eingehender mit der Geschichte der einzelnen Reihen auseinanderzusetzen, nicht zuletzt, weil in der Historiographie ein nicht unerheblicher Teil der Aufarbeitung bereits geschehen ist.1 Hier soll lediglich ein Überblick über die Reihe V gegeben werden, die eine der tragenden Säulen der Publikationstätigkeit der Historischen Kommission für Pommern darstellt: die Beschäftigung mit der Geschichte Pommerns im engeren Sinne.2 Zu diesem Zweck soll im folgenden ein Überblick über die Werke gegeben werden, die in der Reihe V erschienen sind, wobei deutlich werden wird, in welchem Umfang das Anwachsen der Reihe vom jeweiligen Herausgeber der Reihe abhängt. Insbesondere die Zeit nach der Wende und der Wiedervereinigung finden eine genauere Berücksichtigung, um die Lücken in der Erscheinungsfolge zu erklären. Den Beitrag beschließen eine summarisch gehaltene sachthematische Auswertung sowie eine vollständige Liste der bis zum Zeitpunkt der Drucklegung des vorliegenden Bandes erschienenen Bände. Ein auch nur knapper Überblick über die Verlagsgeschichte muß hier allerdings unterbleiben. Wie erwähnt, wurden die Publikationstätigkeit der Historischen Kommission für Pommern nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen. Mit „Reihe I“ wurden die Veröffentlichungen bis 1945 bezeichnet, wiewohl sie außer verschiedenen Quelleneditionen auch Monographien genealogischen, siedlungshistorischen und biographischen Inhalts

1

2

Vgl. Roderich Schmidt, Achtzig Jahre Historische Kommission für Pommern 1910–1990. Verzeichnis ihrer Veröffentlichungen, Ebsdorfergrund 1990; Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815 bis 1945 (Mitteldeutsche Forschungen, 113; zugl. Diss. phil. Marburg 1994), Köln/Weimar/Wien 1996, die Zitate auf S. 57f. Vgl. auch die Beiträge von Karl-Heinz Spieß, Haik Thomas Porada und Rudolf Benl in diesem Band. In Ergänzung zur Grundlagenforschung wie der Edition von Quellen in den Reihen II – dem PUB – und IV – den Quellen zur pommerschen Geschichte; einen Sonderfall stellen die Publikationen der Reihe III – dem Historischen Atlas von Pommern – dar.

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Abb. 1: Schmutztitel (links) und Titelblatt (rechts) von Heft 1 der Reihe V

umfaßt.3 Reihe II (Pommersches Urkundenbuch, PUB ) und III (Historischer Atlas von Pommern) setzten vor dem Krieg begonnenes fort, während Reihe IV (Quellen zur pommerschen Geschichte) und V (Forschungen zur pommerschen Geschichte) einen echten Neubeginn bedeuteten. Die Wiederaufnahme der Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern ist das Werk des zweiten Nachkriegsvorsitzenden Franz Engel, der sich bis zu seinem Tod am 11. September 1967 energisch um die Veröffentlichungstätigkeit, insbesondere um den Historischen At­las gekümmert hat.4 Ihm ist darüber hinaus die Eigenständigkeit der beiden Reihen IV und V zu verdanken. Während seiner Amtszeit sind innerhalb von nicht einmal zehn Jahren 15 seinerzeit noch als „Hefte“ bezeichnete Werke der „Forschungen“ erschienen.5 In allen vier Nachkriegsreihen konnten dabei verlorengeglaubte Arbeiten veröffentlicht werden; in der Reihe V waren dies die Hefte 2, 6, 7 und 15 (s. u. im Anhang), worunter 3 Schmidt, Achtzig Jahre, (wie Anm. 1), S. 12–14. 4 Vgl. Roderich Schmidt, Die Historische Kommission für Pommern in Vergangenheit und Gegenwart, in: BaltStud, N.F., 55/1969, S. 111–124, hier S. 113f. 5 Dazu vier Bände des PUB, fünf Karten und eine Sonderreihe des Historischen Atlasses von Pommern sowie acht Bände der „Quellen“, vgl. a.a.O.

Die „Forschungen zur pommerschen Geschichte“

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sich eine Habilitationsschrift befindet. Außerdem konnten hier drei Dissertationen publiziert werden. Engels Nachfolger Roderich Schmidt6 verantwortete in den 20 Jahren bis zur Wende 1989 weitere sechs „Hefte“ (16 bis 20) sowie zwei „Bände“ (21 u. 23), das sind verglichen mit den in der halb so langen Amtszeit Engels erschienenen 15 Publikationen knapp die Hälfte. Darunter war wiederum eine Habilitationsschrift, allerdings nur eine Dissertation, die darüber hinaus gleich zu Beginn von Schmidts Amtszeit erschienen. Die Erscheinungsfrequenz kann nur als sporadisch bezeichnet werden, zu Beginn von Schmidts Amtszeit kamen drei Werke heraus, dann nach einer Pause von sieben Jahren innerhalb zweier Jahre zwei Werke sowie nach einer weiteren Pause von sieben Jahren zwei Publikationen innerhalb eines Jahres. Allerdings waren zu dem Zeitpunkt mehrere Arbeiten teils unmittelbar vor der Fertigstellung; die Planung sah das Erscheinen der Bände Nr. 22 (Franz Bluhm, Milchwirtschaft und Molkereiwesen in Pommern), Nr. 23 (Werner Schwarz, Pommersche Musikgeschichte, Teil 2) und Nr. 24 (Hans Branig, Geschichte Pommerns, Teil 1) vor.7 Davon war vor der Wende bereits einer erschienen, allerdings mit einer anderen Bandnummer als geplant: Die posthum herausgegebene Arbeit von Bluhm hatte die Nr. 23 erhalten, während diejenige von Schwarz dann 1994 mit der Nr. 28 herauskam. Der ebenfalls posthum – von Werner Buchholz, dem Inhaber des Lehrstuhls für pommersche Geschichte und Landeskunde – 1997 herausgegebene erste Teil von Branigs Werk erhielt die Nr. 22,1 (der zweite Teil folgte im Jahr 2000 mit der Nr. 22,2). Dies führte dazu, daß der Band mit der Nr. 24 nicht erschienen ist. Zudem ist die inkonsequente Verwendung der Bezeichnung „Band“ zu konstatieren, denn die Nr. 25, 28, 29 und 30 wurden auf den Schmutztitelblättern stattdessen als „Hefte“ bezeichnet. Ab Heft 19 war der Buchdeckel nicht mehr ein hellgrauer, etwas flexibler Karton (s. Abb. 1 des Farbanhangs), sondern ein dunkelblauer fester Einband (s. Abb. 2 des Farbanhangs). In dieser äußeren Form erschienen nach der Wende weitere 21 Bände der Reihe V, ein deutliches Zeichen für ein auflebendes Interesse an regionalgeschichtlicher Forschung, nicht zuletzt an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. In den verbleibenden zwölf Amtsjahren Schmidts sind von 1992 bis 2001 insgesamt 13 Arbeiten erschienen, davon waren zwei Habilitationsschriften und drei Dissertationen. Die Habilitationen entstanden in Kiel bzw. Hamburg und in Münster (Westfalen), die Dissertationen in Marburg, Rostock und Greifswald. Unter Roderich Schmidts beiden Amtsnachfolgern – Jürgen Kohler, Professor für bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht und Rektor der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald von 1994 bis 2000, im Amt 2001 bis 2005, sowie Jürgen Regge, Professor für Strafrecht und Strafverfahrensrecht, im Amt 2006 bis 2009 – sind in der Zeit von 2002

6 7

Vgl. Ludwig Biewer, In memoriam Roderich Schmidt, in: BaltStud, N.F., 97/2011, S. 7–11. Vgl. R. Schmidt, Achtzig Jahre, (wie Anm. 1), S. 25.

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Abb. 2: Schmutztitel (links) und Titelblatt (rechts) von Heft 19 der Reihe V

bis 2008 noch acht Bände der Reihe V erschienen. Davon sind vier Dissertationen, zwei aus Greifswald und zwei aus Göttingen. Ab 2011 übernahm laut Verlagshomepage der seit 10. Oktober 2009 amtierende Vorstand der Historischen Kommission für Pommern die Herausgeberschaft der Reihe V, also Dr. Martin Schoebel – Leiter der Landesarchive Mecklenburg-Vorpommerns –, Dr. Nils Jörn – Mitarbeiter, seit 2012 Leiter des Archivs der Hansestadt Wismar –, Dr. Ludwig Biewer – Leiter des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes in Berlin –, Dr. Dirk Schleinert – Direktor des Stadtarchivs Stralsund – und Dr. Haik Thomas Porada, Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Landeskunde Leipzig. Der 2011 zuerst erschienene Band 46 weist allerdings lediglich den Vorstandsvorsitzenden als Herausgeber aus, während der im Jahr darauf herausgekommene Band 45 den gesamten Vorstand nennt. Unter den neuen Herausgebern wurde einerseits der alte Verlagsvertrag aus dem Jahr 1957, der 1963 geringfügig angepaßt worden war, durch einen mit zeitgemäßen Regelungen ersetzt;8 andererseits in diesem Zusammenhang auch das äußere Erscheinungsbild der Reihe geändert (vgl. Abb. 3 des Farbanhangs).

8

Vgl. den Bericht des Vorsitzenden vom 26.05.2010, S. 3.

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Abb. 3: Schmutztitel (links) und Titelblatt (rechts) von Band 46 der Reihe V

Die eingangs angesprochene sachthematische Auswertung beruht auf der in der Universitätsbibliothek Greifswald vorgenommenen Systematisierung der einzelnen Bände der Reihe V, die nicht als solche Aufstellung gefunden hat, sondern eben sachthematisch eingeordnet wurde. Die zugrunde liegende Systematik ist die sogenannte Regensburger Verbund­klassifikation, die für „Regionale Landeskunde“ eigene, differenzierte Spielräume ermöglicht. Eine der Veröffentlichungsform genügende Liste läßt sich leicht über eine entsprechende Abfrage der Online-Katalogdatenbank (dem sogenannten OPAC , Online Public Access Catalogue) der Universitätsbibliothek Greifswald abrufen;9 darüber hinaus sei hier auf den Anhang des Beitrages verwiesen. In der Universitätsbibliothek Greifswald ist die Spezialsammlung Pomeranica in 13 Themengruppen unterteilt, wobei jede Themengruppe in diverse Untergruppen differenziert ist;10 die „Forschungen zur pommerschen Geschichte“ sind auf zehn davon verteilt (vgl. Abb. 4).

9 Siehe https://lhgrw.gbv.de/ (Zugriff am 31.10.2017). 10 https://ub.uni-greifswald.de/bibliothek/information/spezialsammlungen/pomeranica/systematik/ (Zugriff am 15.11.2016).

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Abb. 4: Systematik der Spezialsammlung Pomeranica der UB Greifswald

Zur Rubrik „Allgemeines“ sind sechs Werke der Untergruppe „Biographische Sammlungen“ zuzurechnen: die Hefte 11, 15 und 20 sowie die Bände 40, 44, 48,1 und 48,2. In der nächsten Themengruppe „Landes-, Bevölkerungs- und Siedlungskunde“ findet sich eine Arbeit, Band 33, zur Untergruppe „Bevölkerungskunde, -statistik“. Am stärksten vertreten sind Bücher, die der Landesgeschichte zuzuordnen sind, und zwar sowohl in der Themengruppe „Geschichte: Hilfswissenschaften“ mit einer Arbeit zur Untergruppe „Genealogie“ (Heft 1) als auch zur Themengruppe „Geschichte“ allgemein: insgesamt 20 Arbeiten sowie eine Arbeit in zwei Bänden zur „Kriegsgeschichte“ (Heft 13 und 14). Davon sind sieben „Einführungen, Gesamtdarstellungen“ (die Bände 22,1; 22,2; 29; 31 und 41 sowie Heft 5), zwei behandeln die „Geschichte des pommerschen Herzogshauses“ (die Bände 45 und 50), drei sind über mittelalterliche Geschichte (die Hefte 7, 10 und 19), vier über die Zeit von „1500 bis 1815“ (die Hefte 8, 16 und 25 sowie Band 36) sowie je ein Buch zu den Zeitabschnitten „1815 bis 1918“ (Band 43) und „1918 bis 1945“ (Band 39). Hierbei ist zu beachten, daß ein Werk sachthematisch in mehreren Gruppen vertreten sein kann; dies wird im OPAC durch die recherchierbare Angabe „Sachgebiete“ angezeigt. Von „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ handeln insgesamt sieben Bände der Reihe, darunter fünf kirchengeschichtliche Werke (die Hefte 3, 4, 12, 18 und 30), ein Band zum Thema „Evangelische und katholische Kirche“ (Band 42) sowie einer zu „Verfassung, Verwaltung, Recht“ (Band 32). Zwei der Dissertationen haben ein ausgesprochen agrarhistorisches Thema, weshalb sie in der entsprechenden Untergruppe bei „Wirtschaft“ eingeordnet sind (Heft 23 und Band 34); eine weitere – Band 36 – ließe sich hier ebenfalls einordnen, hat aber keinen spezifisch agrarhistorischen, sondern einen eher allgemeinhistorischen Zusammenhang, weshalb sie dort aufgestellt ist. Im Themenbereich „Soziales“ verhält es sich mit der genannten Arbeit ähnlich, so daß de facto dort nur ein Band, Heft 9, einsortiert ist.

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In die Themengruppe „Politik, Recht, Verwaltung“ gehört ein Band, Nr. 26, unter „Verwaltung“, während drei Bände, Band 21, Heft 28 und Band 49, der Untergruppe „Musik – Allgemeines“ im Themenfeld „Künste“ zuzurechnen sind; die beiden ersteren, insbesondere der zweite, ließen allerdings auch eine Aufstellung unter „Biographische Sammlungen“ zu, während sich der dritte – eine weitere Dissertation – einen einzelnen Ort zum Gegenstand hat. Mit zwei Arbeiten zur „Namenkunde“ – Heft 2 und Heft 6 – ist die Themengruppe „Sprache und Literatur (ohne Niederdeutsch11)“ vertreten. Fünf Bände – Heft 17, Band 27, Band 37, Band 38 und Band 49 – widmen sich dem Themenkreis „Einzelne Orte und Kreise (A–Z)“, wobei einer der Bände aus der Rubrik „Biographische Sammlungen“ ebenfalls einen lokalen Bezug hat (Band 40). Auch regional läßt sich eine Differenzierung vornehmen; innerhalb der fünfstelligen ersten Zahl der Signatur dient die fünfte Stelle dieser Unterscheidung: eine Arbeit ist unter „Allgemeines / ganzes Pommern“ eingeordnet, sechs Bände beschränken sich auf Rügen, Vorpommern haben drei Bände zum Thema sowie Hinterpommern vier; ein Band handelt von einer weiteren Region. Zusammenfassend läßt sich bestätigen, was seinerzeit Roderich Schmidt festgestellt hat,12 daß nämlich zu den ursprünglichen Zielen der Publikationstätigkeit der Historischen Kommission für Pommern – dem Pommerschen Urkundenbuch, den Quelleneditionen und dem Historischen Atlas für Pommern (insbesondere der Übersetzug der Unterlagen der geometrischen Landesaufnahme von Schwedisch-Pommern 1692–1709) – weitere gekommen sind. Die „Forschungen zur pommerschen Geschichte“ als eigenständige Reihe V der „Publikationen der Historischen Kom­mission für Pommern“ vereinigen „Darstellungen, Einzelmonographien und Sammelbände“, wobei auch die „Lebensbilder“ fortgesetzt werden. Dabei gilt nach wie vor, daß aufgrund der seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts auftretenden Schwierigkeiten für Druckvorhaben eine ganze Reihe von Werken über die pommersche Geschichte oder ihre Teilaspekte außerhalb dieser Reihe V erschienen sind. Daran hat auch die im Grunde positiv veränderte Situation nach der Wende nicht grundlegend etwas geändert, wobei die von jeher kleine Anzahl der ursprünglich auf diesem

11 Da es eine eigene „Niederdeutsche Abteilung“ gibt, ist diese Themengruppe nicht in die Pomeranica eingegliedert. Die einstige Niederdeutsche Abteilung ist nur noch als ein geringer, wenn auch nicht unerheblich ausgebauter Teil in der Universitätsbibliothek Greifswald vorhanden. 1906 hatte sie der damalige Direktor der UB, Fritz Milkau, aus Anlaß der 450-Jahrfeier der Universität gegründet, die sich das Ziel setzte, das erreichbare niederdeutsche Schrifttum zu sammeln, vgl. Wilhelm Braun, Aus der Geschichte der Universitätsbibliothek Greifswald, in: Festschrift zur 500-Jahrfeier der Universität Greifswald 17. 10. 1956, Band 1, hg. von Werner Rothmaler, Greifswald 1956, S. 175–198, hier S. 191; Christine Petrick, Universitätsbibliothek Greifswald, in: Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg (Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, 16), hg. von Friedhilde Krause, Hildesheim 1996, S. 55–94, hier S. 58. 12 Schmidt, Achtzig Jahre, (wie Anm. 1), S. 11f.

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Forschungsgebiet Arbeitenden zwischenzeitlich zwar gestiegen ist, es aber absehbar ist, daß sie wieder sinken wird, nicht zuletzt durch den Wegfall des Lehrstuhls für pommersche Geschichte und Landeskunde am Historischen Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald im Jahr 2013.

Anhang Ursula Scheil, Zur Genealogie der einheimischen Fürsten von Rügen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 1, zugl.: Diss. phil. Greiswald 194513), Köln/Graz 1962. Heinrich Bosse, Die Forst-, Flur- und Gewässernamen der Ueckermünder Heide. Durch einen Anhang ergänzter Nachdruck [der 1941 nicht mehr gedruckten Auflage],14 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 2), Köln/Graz 1962. Jürgen Petersohn, Das Breviarium Caminense der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts in der ehem. Preuss. Staatsbibliothek. Ms. theol. lat. 208 der Westdeutschen Bibliothek in Marburg (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pom­merschen Geschichte, 3), Köln/Graz 1963. Klaus Wriedt, Die kanonischen Prozesse um die Ansprüche Mecklenburgs und Pommerns auf das Rügische Erbe 1326–1348 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 4, zugl.: Diss. phil. Kiel 1962), Köln/Graz 1963. Wilhelm Steffen, Kulturgeschichte von Rügen bis 1815 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 5), Köln/Graz 1963. Robert Holsten, Die pommersche Flurnamensammlung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 6), hg. von Franz Engel, ND Köln/Graz 1963.15 Hermann Bollnow, Studien zur Geschichte der pommerschen Burgen und Städte im 12. und 13. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für

13 Vgl. die Rezension von Dietrich Kausche, in: BaltStud, N.F., 55/1969, S. 114. 14 Wegen des Krieges nicht erschienen; fotomechanischer Nachdruck des Umbruchexemplars in Fraktur mit Korrekturen und Ergänzungen am Ende des Buches. 15 Durch Kriegseinwirkung war der gesamte, 1942 in Stettin hergestellte Satz vernichtet worden; die Veröffentlichung stellt einen nach Handabzügen gefertigten reprografischen Nachdruck mit Korrekturen und Ergänzungen am Ende des Buches dar.

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Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 7; zugl.: Habil.-Schr. [masch.] Greifswald 194216), Köln/Graz 1964. Oskar Eggert, Stände und Staat in Pommern im Anfang des 19. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 8), Köln/Graz 1964. Oskar Eggert, Die Maßnahmen der preußischen Regierung zur Bauernbefreiung in Pommern (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pom­merschen Geschichte, 9), Köln/Graz 1965. Dietmar Lucht, Die Städtepolitik Herzog Barnims I. von Pommern 1220–1278 (Veröffentli­ chungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 10, zugl.: Diss. phil. Kiel 1963), Köln/Graz 1965. Hellmuth Heyden, Pommersche Geistliche vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 11), Köln/Graz 1965. Hellmuth Heyden, Neue Aufsätze zur Kirchengeschichte Pommerns (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 12), Köln/Graz 1965. Georg Tessin, Die deutschen Regimenter der Krone Schweden I: Unter Karl X. Gustav (1654–1660) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 13), Köln/Graz 1965. Georg Tessin, Die deutschen Regimenter der Krone Schweden II : Unter Karl XI . und Karl XII. (1660–1718) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 14), Köln/Graz 1967. Pommersche Lebensbilder 4 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pom­ mern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 15), bearb. von Walter Menn, Köln/Graz 1966. Wolfgang Kehn, Der Handel im Oderraum im 13. und 14. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 16, zugl. Diss. phil.17 Kiel 196818), Köln/Graz 1968. Manfred Stürzbecher, Über die Stellung und Bedeutung der Wundärzte in Greifswald im 17. und 18. Jahrhundert. Ein geschichtlicher Beitrag zur medizinischen Versorgung der Bevölkerung und der Medizinalordnungen im wendischen Quartier

16 Im „ersten Vorwort“ des gedruckten Werkes – von Oskar Eggert 1964 verfaßt – wird erwähnt, daß die Arbeit 1942 als Habilitationsschrift eingereicht und angenommen wurde. 17 Vgl. Roderich Schmidt, Historische Kommission, (wie Anm. 4), in: BaltStud, N.F., 55/1969, S. 114. 18 Lt. Vorwort.

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(Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 17), Köln/Wien 1969. Jürgen Petersohn, Forschungen und Quellen zur pommerschen Kultgeschichte, vornehmlich des 12. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 18; teilweise zugl.: Habil.-Schr. Würzburg 1969/70), Köln/Wien 1972. Pommern und Mecklenburg. Beiträge zur mittelalterlichen Städtegeschichte, [Vorträge von Tagungen der Historischen Kommission für Pommern] (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 19), hg. von Roderich Schmidt, Köln/Wien 1981. Hugo Gotthard Bloth, Die Kirche in Pommern. Auftrag und Dienst der evangelischen Bischöfe und Generalsuperintendenten der pommerschen Kirche von 1792 bis 1919. Pommersche Lebensbilder, 5 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 20), Köln/Wien 1979. Werner Schwarz, Pommersche Musikgeschichte. Historischer Überblick und Lebensbilder. Teil 1: Historischer Überblick (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 21), Köln/Wien 1988. Hans Branig, Geschichte Pommerns, 1: Vom Werden des neuzeitlichen Staates bis zum Verlust der staatlichen Selbständigkeit 1300–1648 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 22,1), bearb. und hg. von Werner Buchholz, Köln/Weimar/Wien 1997. Hans Branig, Geschichte Pommerns, 2: Von 1648 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 22,2), bearb. und hg. von Werner Buchholz, Köln/Weimar/Wien 2000. Franz Bluhm (†), Die Milchwirtschaft und das Molkereiwesen in Pommern. Unter besonderer Berücksichtigung der Genossenschaftsmolkereien (Veröffentlichungen der Historischen Kom­mission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 23), hg. von Martin Golling, Köln/Wien 1988. 19 Nicht erschienen: (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 24). Werner Buchholz, Öffentliche Finanzen und Finanzverwaltung im entwickelten frühmodernen Staat. Landesherr und Landstände in Schwedisch-Pommern, 1720–1806 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 25, zugl.: Habil.-Schr. Hamburg 1990), Köln/ Weimar/Wien 1992.

19 Franz Bluhm starb „1986 […] mit nahezu 94 Jahren“, vgl. die Vorbemerkung von Roderich Schmidt auf S. IX; das Vorwort Bluhms stammt vom Mai 1983, vgl. S. XII.

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Hans Fenske, Die Verwaltung Pommerns 1815–1945. Aufbau und Ertrag (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 26), Köln/Weimar/Wien 1993. Rudolf Biederstedt, Die Entstehung ständiger Bürgervertretungen in Greifswald und anderen vorpommerschen Städten 1600–1625 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 27), Köln/Weimar/Wien 1993. Werner Schwarz, Pommersche Musikgeschichte. Teil 2: Lebensbilder von Musikern in und aus Pommern (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 28), Köln/Weimar/Wien 1988. Land am Meer – Pommern, im Spiegel seiner Geschichte. Festschrift für Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 29), hg. von Werner Buchholz;. Günter Mangels­dorf, Köln/Weimar/Wien 1995. Werner Klän, Die evangelische Kirche Pommerns in Republik und Diktatur. Geschichte und Gestaltung einer preußischen Kirchenprovinz 1914–1945 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 30; zugl.: Habil.-Schr. Münster (Westfalen) 1993), Köln/Weimar/ Wien 1995. Tausend Jahre pommersche Geschichte (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 31), hg. von Roderich Schmidt, Köln/Weimar/Wien 1999. Peter Wiegand, Diözesansynoden und bischöfliche Statutengesetzgebung im Bistum Kammin, Zur Entwicklung des partikulären Kirchenrechts im spätmittelalterlichen Deutschland (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pom­merschen Geschichte, 32; zugl.: Diss. phil. Marburg 1996/97), Köln/Weimar/Wien 1998. Brage bei der Wieden, Die Entwicklung der pommerschen Bevölkerung 1701 bis 1918 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 33), Köln/Weimar/Wien 1999. Hans Wolf v. Koeller, Die pommersche Landwirtschaftskammer. Entwicklung und Leistung von der Gründung bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 34; zugl.: Diss. phil. Rostock 1998), Köln/Weimar/Wien 1999. Harald Scherbarth, Das Marienstiftsgymnasium zu Stettin. Kollegiatstiftung – Pädagogium – Gymnasium (1261–1945) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission

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für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 35), Köln/Weimar/ Wien: nicht erschienen.20 Dirk Schleinert, Die Gutswirtschaft im Herzogtum Pommern-Wolgast im 16. und frühen 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 36; zugl.: Diss. phil. Greifswald 1999), Köln/Weimar/Wien 2001. Andreas Niemeck, Die Zisterzienserklöster Neuenkamp und Hiddensee im Mittelalter (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 37; zugl.: Diss. phil. Greifswald 2000/2001), Köln/ Weimar/Wien 2002. Eberhard Völker, Die Reformation in Stettin (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 38; zugl.: Diss. phil. Göttingen 2002), Köln/Weimar/Wien 2003. Martin Holz, Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene auf der Insel Rügen 1943–1961 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 39; zugl. Diss. phil. Greifswald 2001), Köln/ Weimar/Wien 2003. Eckhard Wendt, Stettiner Lebensbilder (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 40), Köln/ Weimar/Wien 2004. Roderich Schmidt, Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 41), Köln/Weimar/Wien 2007, 2. Aufl. 2009. Bengt Büttner, Die Pfarreien der Insel Rügen. Von der Christianisierung bis zur Reformation (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 42; zugl. Diss. phil. Göttingen 2004 unter dem Titel: Pfarrei und Klerus auf Rügen im Mittelalter), Köln/Weimar/ Wien 2007. Pommern im 19. Jahrhundert. Staatliche und gesellschaftliche Entwicklung in vergleichender Perspektive (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 43), hg. von Thomas Stamm-Kuhlmann, Köln/Weimar/Wien 2007. Der Provinzialverband Pommern. Verzeichnis der Mitglieder des Provinziallandtages, hg. von Theodor Wengler (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 44), Köln/Weimar/Wien 2008.

20 Vgl. http://www.boehlau-verlag.com/newbuchliste.aspx?id=5 (Zugriff am 10.03.2013); dort ist dieser Band als „vergriffen“ bezeichnet.

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Die Herzöge von Pommern. Zeugnisse der Herrschaft des Greifenhauses (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 45), hg. von Norbert Buske; Joachim Krüger; Ralf-Gunnar Werlich, Wien/Köln/Weimar 2012. Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 46), hg. von Dirk Alvermann; Irmfried Garbe, Köln/Weimar/Wien 2011. Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011. Bilanz und Ausblick (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 47), hg. von Nils Jörn; Haik Thomas Porada, Wien/Köln/ Weimar 2018. Biographisches Lexikon für Pommern, Bd. 1 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 48:1), hg. von Dirk Alvermann; Nils Jörn, Wien/Köln/Weimar 2013. Biographisches Lexikon für Pommern, Bd. 2 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 48:2), hg. von Dirk Alvermann; Nils Jörn, Wien/Köln/Weimar 2015. Beate Bugenhagen, Die Musikgeschichte Stralsunds im 16. und 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 49), Wien/Köln/Weimar 2015. Zwischen Thronsaal und Frawenzimmer. Handlungsfelder pommerscher Fürstinnen um 1600 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 50), hg. von Dirk Schleinert; Monika Schneikart, Wien/Köln/Weimar 2017.

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Neue Forschungen zur Romantik in Pommern Der Titel des kurzen Berichtes würde treffender lauten „Neue Forschungen zu Romantikern aus Pommern“, denn die beiden berühmtesten deutschen Maler der Romantik, Caspar David Friedrich und Philipp Otto Runge, stammten zwar aus Pommern, haben aber hauptsächlich in Dresden und Hamburg gewirkt. Der Bericht beschränkt sich auf die Malerei, obgleich es romantische Architektur in Pommern gibt, wie der ausgezeichnete Ausstellungskatalog des Vineta-Museums der Stadt Barth von 2004 „Schinkel und seine Schüler. Auf den Spuren großer Architekten in Mecklenburg und Pommern“, herausgegeben von Melanie Ehler und Matthias Müller, eindrucksvoll belegt. Das Referat beginnt mit dem Jahr 1989, in dem mit dem Zusammenbruch der DDR eine streng marxistisch orientierte Kunstgeschichte, die alles von außen aus den gesellschaftlichen Verhältnissen ableiten wollte, eine Sichtweise, die den aus den Tiefenschichten des Subjektes schöpfenden Romantikern wenig gerecht werden konnte, nicht mehr opportun war. Für den Aufstieg der Landschaftsmalerei zu einer führenden Bildgattung bereits in vorromantischer Zeit ist an die künstlerische Entdeckung der Insel Rügen durch den Preußen Jakob Philipp Hackert 1763 zu erinnern, wodurch im Norden Deutschlands eine bis dahin abgelegene Region neben Rhein, Harz, Sächsischer Schweiz und Riesengebirge plötzlich große Beachtung nicht nur durch ihre Schönheit in der Verbindung von Land und Meer, sondern auch durch geschichtliche Erinnerungen fand. 1994 erschienen gleich drei wichtige Veröffentlichungen zu dem vorher unterbewerteten Maler.1 „Rügen als Künstlerinsel von der Romantik bis zur Gegenwart“ heißt eine Schrift von Gerd Helge Vogel und Bernfried Lichtnau von 1993. Roswitha Schieb und Gregor Wedekind haben 1999 in ihrem Buch „Rügen. Deutschlands mythische Insel“ die Entdeckungsgeschichte aus bereits erschlossenen, aber nicht zitierten Quellen nachzuzeichnen gesucht. Es hat sich eine eigene kunstgeschichtliche Rügenliteratur, auch dank stetiger Impulse durch Reinhard Piechocki, entwickelt.2 Friedrichs „Kreidefelsen auf Rügen“ fordern unablässig zu neuen, auch absurden, Deutungen heraus. Zu wünschen wäre ein Lexikon der Künstler,

1 Wolfgang Krönig; Reinhard Wegner; Jakob Philipp Hackert. Der Landschaftsmaler der Goethezeit, Köln/Weimar/Wien 1997; Claudia Nordhoff; Hans Reimer, Jakob Philipp Hackert 1737–1807. Verzeichnis seiner Werke, 2 Bde., Berlin 1994; Il paesaggio secondo natura. Jacob Philipp Hackert e la sua cerchia, Ausstellungskatalog, hg. v. Paolo Chiarini, Roma 1994. 1998 folgte von Thomas Weidner, Jakob Philipp Hackert. Landschaftsmaler im 18. Jahrhundert, Bd. 1, Berlin 1998. 2 Reinhard Piechocki, Der Vilm. Insel der Maler, Mönche und Mächtigen, Vilmnitz auf Rügen 1995; Ders., Romantiker auf Rügen, Hiddensee und Vilm, Putbus 1996.

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die die Insel besucht haben, ebenso eine zusammenfassende Arbeit über die Malerei in Pommern in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, wie sie für die Architektur mit dem Katalog des Vineta-Museums von 2004 „Schinkel und seine Schüler“ geleistet ist. Von Gottlieb Giese‚ Maler und Architekt, der sowohl Schinkel wie Friedrich nahe stand, sind anläßlich der Wiedereinweihung des Doms St. Nikolai in Greifswald 1989 64 Gemälde und Zeichnungen in einer Ausstellung zusammengetragen worden. Dokumentiert wurde sie 2005 von Thomas Helms im Rahmen eines von Norbert Buske herausgegebenen Sammelbandes zu dem sechs Jahre zurückliegenden Ereignis.3 Norbert Buske wird auch eine Veröffentlichung von 1990 „Das Album der Rügen- und Peenelandschaften von Anton Heinrich Gladrow 1785–1855“, einer von Theodor Pyl zusammengetragenen Sammlung von Zeichnungen und Gouachen, verdankt‚ die durch Stil und Motivwahl das Greifswalder Umfeld Friedrichs beschreibt.4 Sonst muß der, der sich über den Greifswalder Kreis um Friedrich informieren will, immer noch bei dem kleinen Katalog des Museums der Hansestadt Greifswald von 1993 Rat suchen „Caspar David Friedrich und Künstler seiner Zeit“. Den mit Friedrich und Runge befreundeten Friedrich August von Klinkowström, ein eher bescheidenes Talent‚ das in Greifswald durch seine Correggio-Kopie in der Marienkirche bekannt ist, hat ein Ausstellungskatalog des Pommerschen Landesmuseums „Friedrich, Runge, Klinkowström. Die Geburt der Romantik“ 2010 vorgestellt.5 Michael Lissok hat den Altar hier behandelt.6 Sonst lehrt der 2000 erschienene von Hans-Christian Feldmann bearbeitete Band des Dehio-Handbuches „Mecklenburg-Vorpommern“, daß die wenigen kirchlichen Gemälde im nazarenischen Stil in Pommern von auswärtigen‚ hauptsächlich mecklenburgischen Malern geschaffen worden sind. Der Nazarener Heinrich Lengerich aus Stettin hat 1825 einen Altar für Demmin geliefert, 1827 einen weiteren für seine Vaterstadt, ging dann aber 1828 nach Berlin.7 Sonst kommen Gottlieb Giese und Wilhelm Titel mit solchen Arbeiten vor.8 Wie Lengerich haben der Stettiner Theodor Hildebrandt und der Kolberger Hermann Plüddemann ihre Heimat verlassen, um in Düsseldorf eine Karriere zu machen. Beide können nur sehr bedingt als Romantiker bezeichnet werden. Ekkehard

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Zur Geschichte, zum Bau und zur Restaurierung des Domes, Gottlieb Giese – Maler und Architekt 1787–1838. Symposium und Ausstellung anläßlich der Wiedereinweihung des Doms St. Nikolai in Greifswald im Juni 1989. Dokumentation und Rückblick hg. v. Norbert Buske (Beiträge zur pommerschen Landes-, Kirchen- und Kunstgeschichte, 5), Schwerin 2005. 2. Auflage, 1995. Konzept der Ausstellung und des Kataloges von Birte Frenssen. Michael Lissok, Ein neuer Altar für die Jacobikirche,1797–1837, in: Friedrich, Runge, Klin­ ckowström. Die Geburt der Romantik, S. 107–131. Die „Kreuzabnahme“ für die Jacobikirche ist ein Kriegsverlust. Eine kleinformatige Fassung‚ wohl eine Vorarbeit, ist kürzlich vom Pommerschen Landesmuseum erworben worden. Von Giese acht Szenen aus dem Leben Christi und Aposteldarstellungen in St. Marien in Barth. Von Titel ein „Dornengekrönter Christus“ in der Kirche in Neu Boltenhagen.

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Mai hat 2004 ein Verzeichnis der Werke Plüddemanns zusammengestellt.9 Ein Nachfahre der Romantiker ist der 1834 in Tribsees geborene und seit 1895 in Barth lebende Landschaftsmaler Louis Douzette. Zu ihm sind 2001 und 2004 zwei Publikationen erschienen.10 So karg die Literaturausbeute bei den kleineren Malern ist, so ausufernd ist sie bei den beiden Hauptmeistern der deutschen Frühromantik Philipp Otto Runge und mehr noch bei Caspar David Friedrich. Ihr Altersabstand beträgt nur drei Jahre und die Entfernung ihrer Geburtsstädte Wolgast und Greifswald etwa 30 km. Beide haben – nacheinander – in Kopenhagen studiert. Es gab familiäre und kollegiale Beziehungen, und doch sind sie im Wesen und in der Erscheinung ihrer Werke grundverschieden. Den Jüngeren, schon um 1810 Gestorbenen, eine anima candida, hat das Erlebnis der Liebe als Ursprung neuen Lebens zu einem Aufstieg in gänzlich neue Regionen inspiriert, wie die jüngst in Hamburg und jetzt in München gezeigte Gedächtnisausstellung mit dem glücklich gewählten Titel „Kosmos Runge. Der Morgen der Romantik“ eindrucksvoll vor Augen führt, dem anderen, noch vom Pietismus geprägten geradezu todessüchtigen Künstler war die Schönheit der Natur als Schöpfung Gottes die Verheißung einer jenseitigen Welt, eine dem modernen Menschen eher fremde Anschauung. Ein Titel „Kosmos Friedrich“ wäre gänzlich verfehlt. Das Fremdgewordensein zu verdrängen und Friedrich zu aktualisieren, hat viele, auch kluge Köpfe beschäftigt und eine große Menge Literatur erzeugt. Deren Eigenart weist, dem Wesen der beiden Künstler entsprechend, große Unterschiede auf. Runge stiftet Frieden, Friedrich bereits seit dem Ramdohrstreit von 1808 Unfrieden, bis heute. Runges kurzes Leben und Schaffen ist dank der vorzüglichen Quellenlage der Publikation seiner Äußerungen zur Kunst bereits 1840 und der unumstößlichen Chronologie seiner Werke den jeweils zeitbedingten Sehweisen und Deutungen von Impressionismus über den Expressionismus, das Dritte Reich, den Marxismus und die postmoderne Beliebigkeit entgangen, die die Friedrichliteratur so umfangreich, schillernd und labyrinthisch gemacht haben. Über Runge sind seit 1989 etwa 80 Bücher und Aufsätze geschrieben worden. Elf davon waren erst später in einem 2013 erschienenen Band zu einem Kolloquium von 2009 zu lesen.11 Die Ergebnisse sind jedoch offenbar in den voluminösen Ausstellungskatalog von 2010/11 eingeflossen, der drei informative Aufsätze und zu den elf Abteilungen der Ausstellung verfaßte Einführungen enthält. Außer dieser Ausstellung hat lediglich Hanna Hohl 2000 eine kleine Schau „Runge und die Seinen“ für seinen Geburtsort Wolgast zusammengestellt. Von Friedrich sind in diesem Zeitraum über 180 Publikationen zu verzeichnen, darunter etwa ein Dutzend mehr oder weniger anspruchsvolle Bücher und elf Ausstellungskataloge,

9 Hermann Freihold Plüddemann (1809–1868), Maler und Illustrator zwischen Spätromantik und Historismus. Ein Werkverzeichnis, hg. v. Ekkehard Mai, Köln/Weimar/Wien 2004. 10 Louis Douzette. Spätromantische Malerei an der Ostsee, hg. v. Melanie Ehler, Berlin 2000; Jörg Scheffelke; Klaus Haese, Louis Douzette. Ein Malerleben in Berlin und Vorpommern, Fischerhude 2004. 11 Der von Markus Bertsch herausgegebene Band ist 2013 noch nicht erschienen.

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darunter zwei für Madrid sowie je einer für London‚ New York, Kopenhagen und Stockholm, die allein Friedrich gewidmet waren. Rechnet man die Zahl der Aufsätze in den Katalogen‚ durch die diese den Charakter wissenschaftlicher Werke erhalten sollen, obgleich ihr Ertrag für die Forschung meistens gering ist, zu den etwa 180 Veröffentlichungen hinzu, so kommt man auf etwa 220 Titel. Hier kann nur auf wenige Schriften eingegangen werden. Strömungen sollen aufgezeichnet, der Gewinn an Quellen- und Materialkenntnis registriert und neue Einsichten in bisher Unterbewertetes und nicht Wahrgenommenes erörtert werden. Ein groß angelegter Versuch, das Wesen der deutschen Malerei der Frühromantik im Zusammenhang mit Dichtung, Philosophie und Religion zu erfassen, ist Christian Scholls Buch von 2007 „Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst. Studien zur Bedeutungsgebung bei Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und den Nazarenern“. Die Untersuchung wendet sich ab von den vorherrschenden ahistorischen Deutungsmustern, bei denen, um Wurzeln der Moderne und Postmoderne aufzuspüren, Seh- und Verhaltensweisen unserer Zeit auf die Vergangenheit übertragen werden. Diese Sicht manifestiert sich besonders deutlich in einem gigantischen, ja megalomanen englisch-deutschen Gemeinschaftsunternehmen einer in Edinburgh, London und München gezeigten Ausstellung „Ernste Spiele. Der Geist der Romantik in der deutschen Kunst 1790–1990“ mit 283 Werken in England und 510 in Deutschland.12 Hier bildeten Friedrich mit 43 und Runge mit 39 Arbeiten die bei weitem umfangreichsten Werkgruppen. Es sollte eine Brücke von der Gegenwart zurück zur Romantik geschlagen werden, wobei die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Schwind, Böcklin, Klinger und Thoma lediglich gestreift wurde. Ein schwerer Katalogband mit 47 bzw. 44 Essays suchte diese Konstruktion zu befestigen. Den Veranstaltern war nicht bewußt, welche Kluft zwischen der Demutshaltung der Romantik und dem Willen zur Machtdemonstration unserer Tage besteht. Unter den 406 Abbildungen des deutschen Kataloges befinden sich nur sieben mit biblischen Themen aus der romantischen Zeit, deutlich in der Absicht, die christlichen Grundlagen der deutschen Kultur auch für das frühe 19. Jahrhundert zu leugnen. Die narkotisierende Wirkung des Wortes „modern“‚ mit dem man Vergangenes zu adeln glaubt, äußert sich in vielen Titeln. Thomas Lange wagte 2006 den Spagat zwischen Runge und Blinky Palermo.13 Häufiger sind solche Sprünge über die Jahrhunderte hinweg bei Friedrich, obgleich der Maler, anders als Runge, nie mit dem Anspruch aufgetreten ist, ein Neuerer zu sein. Hans Dickel etwa schrieb 1990 einen Aufsatz „Eiszeit der Moderne. Zur Kälte als Metapher in Caspar David Friedrichs ‘Eismeer‘ und Joseph Beuys‘ Installation ‘Blitzschlag mit Lichtschein auf

12 Der Titel der englischen Ausstellung lautete: „The Romantic Spirit in German Art 1790–1990“, hg. v. Keith Hartley, London 1990. 13 Licht, Farbe, Entfernungen. Über Palermo, Runge und die Orientierung an der Durchlässigkeit von „Bild“ und „Welt“, in: Blinky Palermo. Eine Tagung des Hessischen Landesmuseums Darmstadt 18./19.März 2006, hg. v. Hessisches Landesmuseum, Mannheim 2006, S. 31–47.

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Hirsch‘“.14 Friedrichs Naturszenerien sind so sehr bekannt, daß sein Name bei jeder Mondscheinstimmung oder öden Küstenpartie‚ ob gemalt, photographiert oder in der Natur gesehen, assoziiert wird. Besonders weit hat sich Kyllikki Zacharias vorgewagt. In ihrem Beitrag zum Essen-Hamburger Friedrich-Katalog von 2006 „Was du im Dunkeln gesehen 1999–2005“, hat sie in dunklen Räumen gesehene Videokunst auf Friedrich zurückgeführt.15 Sie geht aus von einem der bekanntesten Aussprüche des Künstlers „Schließe dein leibliches Auge, damit du, mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ Das Dunkle ist der innere Kern unseres Wesens. Das setzt Zacharias gleich mit einem dunklen Vorführungsraum. „Der Romantiker Friedrich ist zweifelsohne ein Wegbereiter der Moderne“‚ heißt es lapidar. Ist das Forschung? Das ist aus der Warenwerbung bekannte Vernebelungsstrategie. Eine Untersuchung, wie sehr die Kommerzialisierung der Kultur auch die Kunstliteratur erfaßt hat, wäre lohnend. Beschränken wir uns hier zunächst auf das Schrifttum, das unbestreitbar praxisnahe Forschung vermittelt und keine Gedankenflüge wiedergibt. Das 1975 erschienene Standardwerk des 2005 verstorbenen Jörg Traeger „Philipp Otto Runge und sein Werk“ ist eine solide Basis für alles Spätere. Traeger, der zuletzt 1999 über Runge publiziert hat, war die führende Autorität in der Forschung über den Maler.16 Wo er das Fortleben von Runges Gedankengut bis in das 20. Jahrhundert hinein untersucht hat, blieb er vorsichtig.17 Es fällt auf, daß fünf Jahre nach seinem Tod seine Verdienste nur noch aus den Anmerkungen zu ersehen sind. Nur wenige Werke Runges sind seit 1989 neu entdeckt worden und so gut wie keine schriftlichen Quellen, die dem Bekannten Wesentliches hinzufügen. Eine „Ruhe auf Flucht“ hat Traeger 1992 veröffentlicht und zugleich ein angeblich 1801 gemaltes, etwas grobschlächtiges Profilporträt, das ein Selbstbildnis sein soll und das die Hamburger Kunsthalle 1996 erworben hat.18 Ich halte es nicht für ein Werk von ihm ebenso wie ein angebliches „Selbstbildnis mit Kappe“, das Cornelia Vogt 1997 zur Diskussion gestellt hat.19 Über die 21 seit 1996 zum Verkauf gelangten Zeichnungen, darunter drei hervorra-

14 In: Idea. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle 9/1990, S. 229–248. 15 In: Caspar David Friedrich. Die Erfindung der Romantik, S. 66–73. 16 Philipp Otto Runge in Dresden. Geburt der romantischen Kunst, in: Dresden und die Anfänge der Romantik, Dresdner Hefte 17/1999, S. 62–69. 17 Siehe das Kapitel „Wirkungen im 20. Jahrhundert. Materialien und Probleme“ in seinem Buch von 1975 „Philipp Otto Runge und sein Werk“; S. 193–202. 18 Aus Philipp Otto Runges Anfängen als Maler. Eine frühe Fassung der „Ruhe auf der Flucht“. Mit Bemerkungen zu Otto Sigismund Runge in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 55/1992, S. 463–482 (Ausstellungskatalog Hamburg/München 2010, Nr. 170 und 2). 19 Cornelia Vogt, „Selbstbildnis mit Kappe“. Ein wiederentdecktes Gemälde von Philipp Otto Runge, in: Pantheon 55/1997, S. 126–136. Die gleiche Verfasserin hat 1988 eine andere irrige Zu­schreibung an Runge publiziert: „Pauline im weißen Kleid vor sommerlicher Baumlandschaft. Ein wiederentdecktes Gemälde von Philipp Otto Runge, in: Pantheon 46/1988, S. l06–116.

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gende Bildnisse von 1801, berichtet zusammenfassend ein Artikel von David Klemm und Andreas Stolzenburg „Runge als Zeichner“, einer der drei informativen Einleitungsaufsätze des Hamburger Kataloges von 2010. Hier wird auch die Geschichte der Hamburger Zeichnungssammlung mit dem nahezu vollständigen Nachlaß Runges dargestellt. Manche neuen Beobachtungen an diesem Bestand werden mitgeteilt, verbunden mit einer Würdigung dieser besonderen Zeichenkunst unter Einbeziehung aller Fakten, die sich beobachten lassen. Große Vertrautheit mit Runges Werk und Kennerschaft hinsichtlich der Inspirationsquellen verrät auch der Aufsatz von Markus Bertsch „Beobachtungen zu Runges bildnerischem Werk und seiner Kunstauffassung“. Jenns Howoldt hat sich in einem knappen Text „Runges Nachruhm“ auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts beschränkt. Verdienstvoll ist die ausführliche Behandlung der 41 abgebildeten Scherenschnitte und der sechs bekannten Schattenrisse in ihrer Bedeutung als frühe Zeugnisse des Künstlers für eine haptisch erfahrene Wirklichkeit. Der Katalog im ganzen unterscheidet sich vorteilhaft von dem der in Essen und Hamburg 2006/2007 gezeigten Friedrich-Ausstellung, die so gut wie keine neuen wissenschaftlichen Ergebnisse erbracht hat und nur den Weg Hubertus Gaßners als Museumsdirektor von Essen nach Hamburg begleiten sollte. Ebenso wie Friedrich findet auch Runge verstärkt Beachtung im Ausland. Eine Dissertation an der Universität von Los Angeles „Philipp Otto Runge and the intellectual Circles around Matthias Claudius“ wurde 1994 von Johann K. Reusch abgeschlossen. In Paris widmet sich Julie Ramos dem Studium der Kunst Runges.20 Dessen Beziehungen zu dem Goethe-Tischbein haben Hermann Mildenberger und Peter Prange beleuchtet.21 Bettina Baumgärtel hat nach dem Wiederauftauchen eines verschollenen Gemäldes von Angelika Kauffmann „Lasset die Kindlein zu mir kommen“, das Runge 1797 als Zeichnung kopiert hat, über dessen Verhältnis zu der berühmten Malerin geschrieben.22 Mehr und mehr wird die naturwissenschaftliche Untersuchung des Materials, aus dem Kunstwerke bestehen, ein Thema der Forschung. Für Runge ist ein Beitrag von Silvia Castro und Viola Möckel zu seiner Maltechnik in dem Kolloquiumsband erschienen. Die Friedrich-Literatur besitzt eine ungewöhnliche Spannweite zwischen einer gleichsam bodenständigen Sach- und Quellenforschung und einer philosophiegetränkten Überschauliteratur. Damit ist eine steile Hierarchie entstanden, die zur Unversöhnlichkeit bei Diskussionen beigetragen hat. Von großem Wert ist eine Veröffentlichung sämtlicher 105 bekannter Briefe Friedrichs, von drei an ihn gerichteten sowie dreißig anderen, die über sein Verständnis von Kunst

20 Vier Aufsätze aus den Jahren 2003 bis 2010. 21 Hermann Mildenberger, Hamilton, Tischbein und Philipp Otto Runge, in: Journal of the History of Collections 9/1997, S. 295–303; Peter Prange, Philipp Otto Runge und Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, in dem Tagungsband von 2013 (vgl. Anm.11). 22 Lasset die Kindlein zu mir kommen. Angelika Kauffmann und Philipp Otto Runge, in: ­Wallraf-Richartz-Jahrbuch 70/2009, S. 195–222.

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Aufschluß geben, durch Herrmann Zschoche 2005.23 Die Briefe sind kenntnisreich kommentiert und sollten eigentlich eine Basis für die Friedrich-Forschung liefern, da sie das im Grunde schlichte, geradlinige Denken und feine Fühlen des Künstlers im Zusammenhang mit den Lebensumständen vor Augen führen. Von herausragender Bedeutung ist eine von Petra Maisak 1990 veröffentlichte Abschrift eines verschollenen Briefes, in dem sich Friedrich über seine Hauptwerke „Mönch am Meer“ und „Abtei im Eichwald“ äußert.24 Schon 1993 hatte Zschoche, kein promovierter Kunsthistoriker, sondern ein mit gutem Blick begabter Autodidakt, fünf unbekannte Briefe Friedrichs an Frederik Christian Sibbern veröffentlicht.25 Stets nahe am nachprüfbar Tatsächlichen hat Zschoche 1998 Friedrichs Reise in den Harz und 2000 seine Aufenthalte auf Rügen in zwei Büchern behandelt.26 Die eindeutige Lokalisierung von Naturstudien ist das Ziel auch anderer ähnlich ausgerichteter Autodidakten. Gisela Helbig (1989), der auch früher schon um die Friedrich-Forschung verdiente Theologe Karl-Ludwig Hoch (1990) und Frank Richter (2009) haben Bestimmungen für Motive aus Meißen, der Sächsischen Schweiz und dem Dresdner Umland geliefert.27 Auch Petra Kuhlmann-Hodick ist es gelungen (1996), zwei Aquarelle in Angers und Dresden als Tore der von Friedrich mehrfach dargestellten Klosterruine Heilig-Kreuz bei Meißen zu identifizieren.28 Das umfangreichste um 1830 niedergeschriebene Manuskript des Malers „Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden von größtentheils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern“ mit zahlreichen verschlüsselten Künstlernamen hat Gerhard Eimer 1999 in der ursprünglichen Schreibweise neu ediert und bearbeitet.29 Der Referent hat sich in seinem Buch von 2008 „Caspar David Friedrich. Gefühl als Gesetz“ darum bemüht, die Künstler zu identifizieren, um so die Konflikte Friedrichs mit seiner

23 Caspar David Friedrich. Die Briefe, hg. und komm. v. Herrmann Zschoche, Hamburg 2005, eine 2. Auflage 2006. 24 Petra Maisak, Caspar David Friedrich und Claude Lorrain. Zu einer Briefsendung Friedrichs an Amalie von Beulwitz in Rudolstadt um 1810, in: Pantheon 48/1990, S. 123–l29. 25 Hermann Zschoche, Fünf unbekannte Briefe Caspar David Friedrichs an Frederik Christian Sibbern, in: Dresdener Kunstblätter 6/1993, S. 177–186. 26 Ders., Caspar David Friedrich auf Rügen, Dresden/Amsterdam 1998; Ders., Caspar David Friedrich im Harz, Dresden/Amsterdam 2000. 27 Gisela Helbig, Die alte Elbbrücke von Meißen. Zur Bestimmung von Bildmotiven bei Caspar David Friedrich, in: Sächsische Heimatblätter 35/1989, Heft 1, S.1–3; Karl-Ludwig Hoch, Caspar David Friedrich und die Sächsische Schweiz, in: Pantheon 48/1990, S. 130–134; Frank Richter, Caspar David Friedrich. Spurensuche im Dresdner Umland und in der Sächsischen Schweiz, Dresden 2009. 28 Petra Kuhlmann-Hodick, Zwei Aquarelle Caspar David Friedrichs in Dresden und Angers, in: Dresdener Kunstblätter 4/1996, S. 116–127. 29 Gerhard Eimer, Caspar David Friedrich. Kritische Edition der Schriften des Künstlers und seiner Zeitzeugen I. „Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden von größtentheils noch lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern“ (Frankfurter Fundamente zur Kunstgeschichte, XVI)‚ Frankfurt 1999.

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Umgebung, insbesondere mit Carus, bewußt zu machen. Das Buch betont die Notwendigkeit, Friedrichs Kunst im Zusammenhang mit seiner Biographie als aus seelischen Tiefenschichten emporsteigende Äußerungen zu ergründen. Eine 2010 erschienene Publikation der „Sächsischen Bilderchronik“ von Bärbel Kovalevski, der vollständig in Reproduktionsstichen wiedergegebenen Ankäufe des Sächsischen Kunstvereins von 1828 bis 1836, insgesamt 293 Werke von 95 Künstlern, darunter sechs von Friedrich, gibt ein getreues Abbild des Dresdner Kunstlebens dieser Jahre und illustriert Friedrichs Manuskript.30 Fortschritte wurden auch auf dem Gebiet der Provenienzforschung erzielt. Ein Rudolf Biederstedt geglückter Archivfund (1993) hat Erkenntnisse über den Greifswalder Kommerzienrat Georg von Vahl erbracht, der sechs Gemälde Friedrichs, darunter das Spätwerk „Die Lebensstufen“ besaß.31 Für dieses Jahr wird der Werkkatalog der Zeichnungen Friedrichs von Christina Grummt und damit ein wesentlicher Erkenntnisgewinn erwartet. Seit 2003 hat sich die Verfasserin in mehreren Aufsätzen zu diesem Gebiet geäußert. Die Entwürfe für Grabmäler und Denkmäler hat Hans Joachim Kluge 1993 in einem Buch zusammengestellt.32 Einen Beitrag zu den architektonischen Planungen hat Johannes Grave, ein intensiv mit dem Künstler befaßter jüngerer Forscher, 2002 mit einem Aufsatz über das Projekt einer Kapelle in Vitt auf Rügen gegeben.33 Wenige neu entdeckte und publizierte Gemälde haben das Œuvre Friedrichs bereichert, das 1992 von der Nationalgalerie erworbene „Waldinnere bei Mondschein“, eine Ölskizze zum „Großen Gehege“, die das Metropolitan Museum in New York erworben hat, die „Nordische Frühlingslandschaft“, die nach Washington gelangte, sowie ein kleines Bild „Welle und Düne“ in Privatbesitz. Hinzu kommen mehrere Zeichnungen. Eine heftige, vor allem 1990 in Ausstellungen in London und Dortmund ausgetragene Kontroverse über Kopien bei Friedrich entstand mit dem Auftauchen der 1987 von der Londoner National Gallery erworbenen „Winterlandschaft“.34 Dieses sind Bereiche, die fraglos mit nüchternem Blick zu erforschen sind, aber das eigentliche Problem der Friedrich-Literatur besteht in der Deutung, in der Frage, was der Maler mit seinen Bildern eigentlich mitteilen will und wie seine Stellung in der Geschichte

30 Bärbel Kovalevski, Die Bilder-Chronik des Sächsischen Kunstvereins Dresden 1828-1836, Frankfurt 2010. 31 Rudolf Biederstedt, Unbekannte Werke Caspar David Friedrichs?, in: BaItische Studien N.F. 79/1993, S. 78-80. 32 Hans Joachim Kluge, Caspar David Friedrich. Entwürfe für Grabmäler und Denkmäler, Berlin 1993. 33 Johannes Grave, Caspar David Friedrich als Architekt für eine Kapelle zu Vitt? Überlegungen zu seinen Nürnberger Entwürfen für einen Kirchenbau‚ in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 65/2002, S. 251-264. 34 John Leighton; Colin J. Bailey, Caspar David Friedrich. Winter Landscape. Ausstellungs­ katalog London, National Gallery 1990. Winterlandschaften. Ausstellungskatalog Dortmund, Museum für Kunst und Kulturgeschichte 1990.

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ist, ob man seinen kometenhaften Aufstieg in der Kunstgeschichtsschreibung tatsächlich dazu benutzen darf‚ ihn zum Großvater der Moderne zu machen, oder ob er nicht doch stärker einer pietistischen Tradition verhaftet ist. Zwei Fronten stehen sich unversöhnlich gegenüber, auf der einen Seite die Kollegen, die die Mehrsinnigkeit, „Sinnoffenheit“ oder ein „polyfokales Sehen“‚ wie es bei Werner Hofmann heißt, konstatieren, auf der anderen Seite, in der Minderzahl, diejenigen, die die Eindeutigkeit der Bildbotschaften aus der existentiellen Notwendigkeit dieser Kunst folgern. Um hier zu klarerer Einsicht zu gelangen, ist außer genauester Vertrautheit mit dem Werk, das die Registrierung jeder Einzelheit einschließt, den schriftlichen Äußerungen und den Zeitumständen ein Einfühlungsvermögen in die psychischen Bedingtheiten seines Arbeitens erforderlich. Friedrich gehört zu den Künstlern, bei denen Leben und Werk nicht zu trennen sind. Das heißt Verzicht auf die Stilisierung Friedrichs zu einer kompliziert denkenden Persönlichkeit, auf die man die eigene Wissensfülle projizieren kann. So spricht Hilmar Frank in seinem Buch von 2004 „Aussichten ins Unermeßliche. Perspektivität und Sinnoffenheit bei Caspar David Friedrich“ von „hochintellektuellen Bildern als Konkretion sehr verschiedener Aspekte des Perspektivitätsdenkens“.35 Friedrich forderte: „Hüte dich vor kalter Vielwisserei, vor frevelhaftem Vernünfteln, denn sie tötet das Herz, und wo das Herz und Gemüt im Menschen erstorben ist‚ da kann Kunst nicht wohnen“. Und: „Bewahre einen reinen, kindlichen Sinn in dir und folge unbedingt der Stimme deines Inneren, denn sie ist das Göttliche in uns und führt uns nicht irre.“36 Der Konflikt kann hier nicht diskutiert werden. Nur die wichtigsten Veröffentlichungen seien noch genannt. Werner Hofmann, ein brillanter Essayist mit breitester Kenntnis in der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts, aber kein Kärrnerarbeit leistender Forscher, hat 2000 nach vielen anderen Veröffentlichungen seine Ansichten in einem Buch „Caspar David Friedrich. Naturwirklichkeit und Kunstwahrheit“ zusammengefaßt. Ihm folgte 2003 Werner Busch, nicht nur ein profunder Kenner der Kunstgeschichte, sondern auch ein Forscher, mit seinem Buch „Caspar David Friedrich. Ästhetik und Religion“. Er vertritt eine „tendenzielle Sinnoffenheit“. Auf der Rückseite des Schutzumschlages ist zu lesen: „Um die Deutung der Werke Caspar David Friedrichs konkurrieren drei Modelle: die religiöse, die politische und die frühromantisch-naturmystische Variante. Dagegen unternimmt es diese Darstellung zu zeigen, daß sie alle gleichermaßen einseitig sind. Sie besticht durch eine detaillierte Analyse des Werkprozesses. Dabei legt sie ein höchst wirksames Ordnungsprinzip offen – begründet in Friedrichs ästhetisch fundierter Religionsauffassung. Werner Busch gibt damit dem Werk Caspar David Friedrichs seinen geschichtlichen und ästhetischen Ort zurück.“ Darauf habe ich 2008 mit einem Buch „Caspar David Friedrich. Gefühl als Gesetz“ geantwortet. Aufgrund genauer Werkanalysen hat Reinhard 35 Hilmar Frank, Aussichten ins Unermeßliche. Perspektivität und Sinnoffenheit bei Caspar David Friedrich, Berlin 2004, S. 5. 36 Caspar David Friedrich in Briefen und Bekenntnissen, hg. v. Sigrid Hinz, 2. Aufl., Berlin 1974, S. 83.

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Zimmermann in zwei Aufsätzen dargelegt, wie Friedrichs Werke, so z. B. seine Bilderpaare eindeutig zu lesen sind.37 Auf das Buch von Christian Scholl ist bereits verwiesen worden. Thomas Noll schließlich gelangt in seinem kleinen Buch von 2006 „Die Landschaftsmalerei von Caspar David Friedrich. Physikotheologie, Wirkungsästhetik und Emblematik. Voraussetzung und Deutung“ zu dem Schluß, daß sich „eine vom Künstler beabsichtigte begrifflich faßbare Aussage und eine unterschiedliche Wahrnehmung seiner Werke durch die Betrachter“ von Anfang an gegenüberstanden.38 Er verbindet Friedrichs Bildsprache zu Recht mit traditioneller Allegorie und Emblematik. Man darf auf den weiteren Fortgang der Diskussion über Friedrich gespannt sein.

37 Das Geheimnis des Grabes und der Zukunft. Caspar David Friedrichs „Gedanken“ in den Bilderpaaren, in: Jahrbuch der Berliner Museen 2000, S. 187-257. „Kommet und sehet“. Caspar David Friedrichs Bildverständnis und die Frage des „Offenen Kunstwerks“ in: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft 62/2002, S. 65-93. 38 Thomas Noll, Die Landschaftsmalerei von Caspar David Friedrich. Physikotheologie, Wirkungsästhetik und Emblematik. Voraussetzung und Deutung, München 2006, S. 7.

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Es war im Jahre 2010, als ich eine mail von einem Greifswalder Landtagsabgeordneten der FDP erhielt. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Kreisgebietsreform bat er mich um ein Gespräch zur pommerschen Rechtsgeschichte. Es ist unter den Anwesenden ein offenes Geheimnis, daß die Neuorganisation der Landkreise eines der großen Projekte der Landesregierung in der letzten Legislaturperiode war. Aus sehr vielen guten Gründen ist diese Neuorganisation höchst umstritten. Die Städte Stralsund, Greifswald, Neubrandenburg und Wismar haben ihre Kreisfreiheit verloren, bestehende Kreise wurden ohne jede Rücksicht auf historische Zusammenhänge zusammengelegt. Es entstanden sehr große administrative Einheiten, flächenmäßig z.T. größer als andernorts ganze Bundesländer, von denen Kritiker fürchten, sie seien unregierbar, bürgerfern und ohne jeden inneren Zusammenhalt. Gegen all diese Ideen sollte nun also die pommersche Rechtsgeschichte helfen. Der Plan war frech, aber in einer Situation wie dieser konnte nur noch Frechheit etwas bewirken. Der Abgeordnete ging davon aus, daß den pommerschen Städten Greifswald und Stralsund von der schwedischen Krone ihre in der Herzogszeit erworbenen Sonderrechte garantiert worden waren. Als die Schweden Vorpommern an Preußen abtraten, taten sie dies unter der ausdrücklichen Bedingung, daß Preußen die alten Rechte und Freiheiten Pommerns anerkennen würde. Preußen hielt sich weitgehend daran, überführte diese Privilegien staatsrechtlich mit in den Norddeutschen und Deutschen Bund und schließlich in das Deutsche Reich. Was in der Weimarer Republik und während der NS-Zeit passierte, war ein bißchen unklar, aber darum ging es gar nicht. Schweden hatte den Pommern 1815 als Abschiedsgeschenk die alten Freiheiten garantiert, es mußte jetzt als Schutzmacht gegen die drohend aufmarschierten Verwaltungsreformer der Landesregierung aktiviert werden, die tatsächlich versuchten, die seit vielen hunderten von Jahren bestätigten Rechte der pommerschen Städte aufzuheben und Vorpommern am grünen Tisch Territorien zu entreißen, die es in offenem Feld gegen die Mecklenburger nie verloren hatte. Der Plan wurde in meiner Anwesenheit in der FDP-Landtagsfraktion diskutiert und nicht für völlig abwegig befunden. Dem Greifswalder Landtagsabgeordneten gelang es, der schwedischen Botschafterin bei einem Besuch in Greifswald ihre neue, etwas ungewohnte Rolle als Schutzmacht schmackhaft zu machen. Auf dem Photo in der OZ lächeln beide tapfer. Viel mehr passierte nicht, die Reform wurde wegen zahlreicher Klagen vor dem Landesverfassungsgericht diskutiert und kurz vor dem Ende der Legislaturperiode noch umgesetzt – und das alles trotz der Argumente aus der pommerschen Rechtsgeschichte?!

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Der Vortragsstil des Beitrages ist weitgehend beibehalten worden, der Text wurde jedoch um Anmerkungen ergänzt.

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Eine derartige Instrumentalisierung durch die Politik mußte doch einen kräftigen Schub für dieses Fach auslösen! Doch Spaß beiseite. Kenner unserer Landesgeschichte werden sich wehmütig an die große Blütezeit der pommerschen Rechtsgeschichte erinnern. Zwischen 1730 und 1736, also mitten in der Schwedenzeit, erinnerte der Hofgerichtsregistrator Johann Franz von Boltenstern mit einer Serie von Lebensläufen an die Direktoren des Wolgaster bzw. Greifswalder Hofgerichts seit der frühen Schwedenzeit, die er mit zahlreichen Informationen zur Geschichte dieses Gerichts würzte, dessen Archiv er verwaltete und offenbar für seine Arbeit rege nutzte.2 Augustin von Balthasar veröffentlichte 1733 die „Historische Nachricht von denen Landes=Gerichten“,3 1740 ließ er die „Historische Nachricht von denen Landes=Gesetzen im Hertzogthum Pommern“ folgen.4 1747 folgte schließlich die „Historische Nachricht von den Landesprivilegien“.5 Albert Georg Schwartz brachte 1735 seine „Einleitung in die pommersche und rügianische Justitz=Historie“ heraus und stellte damit die Anfänge bis etwa 1500 dar.6 Damit waren die grundlegenden Fakten für die Geschichte des Wismarer Tribunals, des Hofgerichts, des Konsistoriums, des Rügener Landgerichts und der großen Stadtgerichte in handlicher Form versammelt, Besetzungslisten für das Tribunal mit weitergehenden Informationen gedruckt, die Privilegien von Landständen und Städten sowie die Rechtsgrundsätze lagen in komprimierter Form vor – der zugängliche Wissenstand der Zeit war veröffentlicht und fand reges Interesse. 1748 setzte zudem der Assessor, später Vizepräsident des Tribunals, Hermann Heinrich von Engelbrecht (1709–1760) die „Decisiones“ von David Mevius fort, kommentierte also die Urteile des Wismarer Tribunals.7 Leider konnte er an die Bestsellererfolge seines berühmten Vorgängers, des Gründungsdirektors des Tribunals, nicht anknüpfen. Das Tribunal, der große Reformentwurf für die Reichsgerichtsbarkeit, war durch die Schwäche der schwedischen Krone, die ihre Großmachtstellung im Großen Nordischen Krieg verloren hatte, aus dem Gesichtsfeld der Interessenten aus dem Alten Reich geraten. In Wismar wurde immer noch eine ordentliche Arbeit gemacht, sie wurde nur nicht mehr 2 Diese einzeln in den Vitae Pomeranorum in der Greifswalder Universitätsbibliothek überlieferten Drucke sind buchstabengenau und kommentiert in dem Band: Die Pommerschen Hofgerichte. Geschichte – Personal – Probleme der Forschung, hg. v. Nils Jörn (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft, 2), Hamburg 2007 vorgelegt worden. 3 Augustin von Balthasar, Historische Nachricht von denen Landes=Gerichten, Greifswald 1733. 4 Ders., Historische Nachricht von denen Landes=Gesetzen, Greifswald 1740. 5 Ders., Historische Nachricht von denen Landesprivilegien, Greifswald 1747. 6 Albert Georg Schwartz, Einleitung in die pommersche und rügianische Justitz=Historie, Greifswald 1735. 7 Hermann Heinrich von Engelbrecht, Observationum selectiorum forensium, maximam partem accessionum ad Mevii opus decisionum, Specimen 1, Leipzig/Wismar 1748; Specimen II, Leipzig/Wismar 1749, Specimen III, Leipzig/Wismar 1750. Specimen posthumum ordine quartum. Cum indice rerum et verborum in tribus prioribus et in hoc specimine occurentium, Wismar/Bützow 1771.

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in dem Maße zur Kenntnis genommen wie während der Großmachtzeit. 1765 schließlich begann Johann Carl Dähnert ein Projekt, das ihn und Gustav von Klinckowström bis 1802 beschäftigen sollte, die „Sammlung gemeiner und besonderer pommerscher und rügischer Landes-Urkunden, Gesetze, Privilegien, Verträge, Constitutionen und Ordnungen“. Viele weitere Werke von Christian von Nettelbla, Thomas Heinrich von Gadebusch und anderen wären zu nennen – es bleibt zwischen 1730 und ca. 1770 eine sehr erfreuliche, nie wieder erreichte Blüte der pommerschen Rechtsgeschichte zu konstatieren. Begleitet und beflügelt wurde das Erscheinen dieser Werke durch die Gründung zweier gelehrter Gesellschaften in Greifswald, der Teutschen Gesellschaft, gegründet 1739 und der Societas Collectorum Historiae et juris patrii, gegründet 1742. Zwei der eifrigsten Rechtshistoriker, Augustin von Balthasar und Johann Franz von Boltenstern, waren auch in diesen Gesellschaften die treibenden Kräfte und schufen sich ein weiteres Medium zur Diskussion ihrer Ideen.8 Woher rührte diese Begeisterung für die Geschichte des Vaterlandes, Pommerns, seiner alten Privilegien und Gesetze? Anders als heute, wo wir uns manchmal nach den Schweden zurücksehnen, ging es in diesen Jahrzehnten in Pommern darum, eine gefühlte Überfremdung aus Schweden abzuwehren. Man wollte in der pommerschen Provinz keineswegs nur Befehlsempfänger sein, sondern sich auf eigene Werte besinnen, die zu vergebenden Ämter mit Einheimischen besetzen und an den alten Privilegien festhalten.9 Alle Versuche der Schweden, die aufwendig durchgeführte Vermessung Vorpommerns zur neuen Grundlage der Besteuerung zu machen, neue Gesetze einzuführen oder die Grundlagen der Arbeit für das Wismarer Tribunal als oberstes Gerichts zu ändern, wurden von den Landständen abgewehrt.10 Versuche, das Land zu modernisieren, wurden mißtrauisch abgeblockt, lange geprüft, oft verworfen oder nur unter großen Zugeständnissen der Schweden schließlich durchgesetzt.11 Sowohl die „Teutsche Gesellschaft“ als auch die „Gesellschaft zur Sammlung vaterländischer Altertümer“ verfolgten keinen akademischen Selbstzweck, sondern stärkten das Selbstbewußtsein gegenüber dem Landesherrn. Aus diesen Motiven entsprang also die Blüte der pommerschen Rechtsgeschichte. Sie ähneln damit stark der eingangs geschilderten Idee eines findigen FDP -Mannes, unter Rückgriff auf die alten Rechte unliebsame Reformen zu verhindern.

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Siehe dazu aus berufener Feder Im Hause des Herrn immerdar. Die Lebensgeschichte des Augustin von Balthasar (1701–1786) von ihm selbst erzählt, hg. v. Dirk Alvermann (Publikationen des Lehrstuhls für Nordische Geschichte, 2), Greifswald 2003. Siehe die energischen Proteste der pommerschen Ritterschaft bei den Versuchen der schwe­ di­schen Krone während der Großmachtzeit, die Kandidaten der Ritterschaft bei der Vergabe von Ämtern am Tribunal zu übergehen und eigene Kandidaten durchzusetzen. Siehe dazu die Beiträge zur Schwedischen Landesmatrikel in: Geographische und historische Beiträge zur Landeskunde Pommerns. Eginhard Wegner zum 80. Geburtstag, hg. v. Ivo Asmus; Haik Thomas Porada; Dirk Schleinert, Schwerin 1998. Davon zeugen die Prozesse vor dem Wismarer Tribunal um die Einführung von Blitzableitern oder um Maßnahmen zur Wegebesserung in Pommern und auf Rügen, die oft jahrelang vor Gericht diskutiert wurden.

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Bisher hat die umstrittene gegenwärtige Reform der Landesregierung noch keinen neuen Schub der Rechtsgeschichte ausgelöst, die Voraussetzungen, in Pommern Rechtsgeschichte zu betreiben, waren aber nicht nur im 18. Jahrhundert sehr gut. Ich behaupte jedoch, daß diese Voraussetzungen bisher nur im 18. Jahrhundert mit dem nötigen Engagement genutzt worden sind. Das muß dringend anders werden. Im folgenden sollen kurz die Voraussetzungen skizziert werden, die geschaffen werden müssen, um der Rechtsgeschichte in Pommern und zu Pommern neuen Schwung zu verleihen. Dabei wird es immer auch um Themen und Fragestellungen gehen, die mir wichtig erscheinen und die sicher hinsichtlich ihrer Relevanz und Machbarkeit diskutiert werden müssen. Mir erschienen das runde Jubiläum unserer Kommission und der nun daraus hervorgehende Band als geeignetes Forum dafür. Obwohl vor allem im 19. und auch im beginnenden 20. Jh. in vielen pommerschen Archiven scharf kassiert wurde und der Zweite Weltkrieg zu weiteren einschneidenden Aktenverlusten beigetragen hat, sind die Voraussetzungen für unser Fachgebiet immer noch sehr gut. Sehr viel besser als noch vor zwei oder drei Jahrzehnten kennen wir heute die Instanzenzüge, wissen um die inhaltliche Abgrenzung von Gerichtszuständigkeiten. Zudem sind außerhalb Pommerns von führenden Rechtshistorikern Deutschlands und Europas in den vergangenen beiden Jahrzehnten zahlreiche moderne Fragestellungen entwickelt worden, die wir für unser Territorium fruchtbar machen können. Ich werde mich im folgenden auf die Zeit zwischen den Reichsreformen am Ende des 15. Jh.s und der Epochengrenze 1806 /1815 konzentrieren, um zu skizzieren, wo meiner Meinung nach der Hebel mit Gewinn angelegt werden könnte. Mit Gewinn meint in diesem Falle nicht nur für Pommern und angrenzende Territorien, sondern durchaus für das Gebiet des Alten Reiches und sogar für europäische Zusammenhänge. Doch beginnen wir mit einem Problem, für das dringend eine Lösung gefunden werden muß. Seit 1978 wurde bundesweit mit großem Erfolg ein Projekt zur Inventarisierung der Reichskammergerichtsakten durchgeführt. Dieses oberste Reichsgericht war in den 1970er Jahren endlich in das Blickfeld der Forschung gerückt, sehr bald erkannten Bernhard Diestelkamp und Filippo Ranieri, seinerzeit beide in Frankfurt / Main, den Wert der deutschlandweit verstreut liegenden Prozeßakten für die historische Forschung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft legte ein umfassendes Programm zur Inventarisierung dieser zentralen Quelle auf, das im Jahre 2006 mit einer Abschlußtagung in Berlin beendet worden ist.12 Außer einem kleinen Bestand zur Reichsstadt Aachen ist deutschlandweit nur 12 Siehe dazu den sehr anregenden, „Bernhard Diestelkamp, dem Nestor moderner Reichskammergerichtsforschung gewidmet“(en) Tagungsband Das Reichskammergericht im Spiegel seiner Prozeßakten. Bilanz und Perspektiven der Forschung, hg. v. Friedrich Battenberg; Bernd Schildt (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 57), Köln/Weimar/Wien 2010, in dem neben einleitenden Beiträgen (Bernhard Diestelkamp, Rückblick auf das Projekt zur Inventarisierung der Reichskammergerichtsakten; Raimund J. Weber, Praktische Erfahrungen aus der Inventarisierung von Reichskammergerichtsakten am Beispiel südwestdeutscher Staatsarchive; Bernd Schildt, Wandel in der Erschließung der Reichskammergerichtsakten. Vom gedruckten Inventar zur Online-Recherche in der

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ein weiterer Bestand nicht verzeichnet, der pommersche! Die Gründe dafür liegen auf der Hand, der Bestand liegt kriegsbedingt heute in Stettin, das wissenschaftliche Interesse ist überwiegend auf deutscher Seite vorhanden. Durch die neue Qualität der Zusammenarbeit mit den Stettiner Kollegen, die sich u.a. in der Anwesenheit mehrerer verantwortlicher Archivare bei unserer Jubiläumstagung gezeigt hat, ist es möglich geworden, die Akten zu verfilmen und eine Kopie dieser Filme in Deutschland zur Verfügung zu haben, eine Antragsstellung bei der DFG ist aber bisher nicht erfolgt. Dies sollte sehr schnell nachgeholt werden. Noch erinnert man sich in der DFG an dieses Großprojekt, noch sind die Männer aktiv, die es von wissenschaftlicher Seite verantwortlich begleitet haben, außerdem gibt es durch ergänzende und darauf aufbauende, ebenfalls DFG -geförderte Projekte einen positiven Druck, um diese Lücke zu schließen. So hat die Bochumer Arbeitsgruppe unter Prof. Bernd Schildt seit Jahren neue Fragestellungen zur quantifizierenden Auswertung von Prozeßakten entwickelt und wartet darauf, diese auch auf unseren Bestand anwenden zu können. Bisher sind in nahezu 100 Bänden Akten aus dem Bundesarchiv, den Hauptstaatsarchiven Düsseldorf, Hannover, München, Stuttgart und Wiesbaden, den Staatsarchiven Aurich, Bremen, Bückeburg, Darmstadt, Detmold, Hamburg, Koblenz, Marburg, Münster, Oldenburg, Osnabrück, Sigmaringen, Stade, Weimar und Wertheim, dem Landeshauptarchiv Schwerin, dem Schleswig-Holsteinischen Landesarchiv, dem Landesarchiv Magdeburg, den Stadtarchiven Köln und Frankfurt am Main und dem Archiv der Hansestadt Lübeck der Forschung zugänglich gemacht worden. Ich weigere mich zu glauben, daß Greifswald neben Aachen das einzige große Archiv sein soll, in dem nicht möglich ist, was bundesweit möglich gemacht wurde! In den vergangenen Jahren sind über Projekte am Lehrstuhl für die Allgemeine Geschichte der Neuzeit anhand des Registraturbuches der pommerschen RKG -Akten Thesen zur Nutzung beider oberster Reichsgerichte erarbeitet worden, die darauf warten, am verzeichneten Bestand geprüft und erweitert zu werden. Durch die Mitarbeit mehrerer Greifswalder Historiker in der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung und im Netzwerk Reichsgerichtsbarkeit sind wir mit der dort angewendeten Methodik vertraut,13 haben interdisziplinär mit zahlreichen Kollegen aus Deutschland zusammengearbeitet und könnten den Schatz, der sich mit der Inventarisierung eröffnen würde, heben. Datenbank) zahlreiche auswertende Berichte zu Teilaspekten aus der Arbeit mit RKG-Akten gibt sowie Blicke von außen (Reichshofrat, Parlement de Paris, Hoher Rat von Mechelen und Wismarer Tribunal). Abschließend werden noch einmal die „Frankfurter Grundsätze“ zur Verzeichnung der Prozeßakten des Reichskammergerichts vorgestellt, die seither bei anderen Verzeichnungsprojekten am Reichshofrat und am Wismarer Tribunal zugrundegelegt wurden und die Inventare der Akten des Reichskammergerichts aufgelistet. 13 So hat Robert Riemer in seiner Greifswalder Dissertation die Inanspruchnahme des Reichskammergerichts aus Hamburg und Frankfurt am Main mit Gewinn miteinander verglichen. Robert Riemer, Frankfurt und Hamburg vor dem Reichskammergericht. Zwei Handels- und Handwerkszentren im Vergleich (Quellen und Darstellungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 60), Köln/Weimar/Wien 2012.

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Mit der Erschließung dieser Akten würden sich für die pommersche Rechtsgeschichte ganz neue Möglichkeiten eröffnen, um die Reform-Jahrzehnte des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jh.s zu erforschen. In der Tat läßt sich aus dem im Landesarchiv Greifswald erhaltenen Registraturband entnehmen, daß die Pommern recht früh, zehn Jahre nach Gründung des Gerichts, von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machten, die das Alte Reich ihnen zur Kontrolle ihrer Landesgerichte einräumte.14 Das bedeutet, daß durch die Inanspruchnahme des Reichskammergerichts ein positiver Druck auf die Untergerichte entstand, von der mündlichen zur schriftlichen Aktenführung zu wechseln. Denn nur, was schriftlich dokumentiert war, konnte in der nächsthöheren Instanz kontrolliert und beurteilt werden. Wir dürfen also davon ausgehen, daß die Vorwürfe, die der pommerschen Justiz gern immer wieder von der Forschung gemacht wurden und werden, man sei im Nordosten reichsfern gewesen, habe keine gelehrten Juristen gehabt und sich von der Entwicklung im Reich abgekoppelt, nach Auswertung dieser frühen Prozeßakten grundlegend berichtigt werden können. Analog zur Situation in Mecklenburg wird sich auch für Pommern das Gegenteil zeigen: Die pommerschen Gerichte reagierten sehr schnell auf die neuen Herausforderungen, verschriftlichten die Prozesse und wandten, soweit dies notwendig war, gelehrtes Recht an. Unterstützt wurden sie dabei durch Experten aus dem Mutterland des Römischen Rechts. Bogislaw X. hatte von seiner großen Reise ins Heilige Land bekanntlich zwei Rechtsgelehrte aus Ravenna mitgebracht, die beide in Bologna studiert und promoviert hatten: Petrus und seinen Sohn Vincentius de Ravenna. Beide hatten zwischen 1498 und 1502 abwechselnd das Rektorat der Greifswalder Universität inne, beide wurden zu engen Beratern des pommerschen Herzogs, beide saßen, wie das zu dieser Zeit üblich war, als gelehrte Richter im Pommerschen Hofgericht und beide werden ihre Kollegen auf kurzem Wege im Gelehrten Recht geschult haben. Bei der geringen Größe der Universität, die ein in jeder Beziehung familiäres Klima ermöglichte, war es völlig normal, daß man an zahlreichen Disputationen teilnahm, sich aktiv am akademischen Leben beteiligte, vom Kollegen lernte. In den einzelnen Gerichtskollegien werden die neuen Erkenntnisse dann ganz selbstverständlich weitergegeben worden sein, man darf davon ausgehen, daß sowohl durch die beiden Italiener wie auch durch den Rechtsgelehrten Henrich Mulert, der Anfang des 16. Jh.s aus Zwolle nach Greifswald kam, eine „berufsbegleitende Qualifizierung“ der einheimischen Juristen stattgefunden hat.15 Diese Fakten sind in Pommern mittlerweile bekannt, in der

14 Im Jahre 1505 klagte nach diesem Wetzlarer Ablieferungsverzeichnis, das im LAGw aufbewahrt wird,Wedige von der Osten zu Batewitz gegen Georg von Platen als Vormund der Kinder des Venz von der Osten und der Witwe Margarethe von der Platen zu Karow um die Rückgabe von 200 Maltern Gerste. 15 Nils Jörn, Die Herkunft der Professorenschaft der Greifswalder Universität zwischen 1456 und 1815, in: Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums, hg. v. Dirk Alvermann, Nils Jörn, Jens E. Olesen (Nordische Geschichte, 5), Berlin 2007, S. 155–190, vor allem S. 160–163.

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deutschen Rechtsgeschichte wird immer noch darauf beharrt, daß in dieser Zeit sehr wenige Pommern die italienischen und süddeutschen Universitäten besucht haben und so wird ihnen gern unterstellt, daß sie nicht in der Lage waren, mit der Entwicklung in anderen Territorien Schritt zu halten. Sicherlich studierten unsere Vorfahren vergleichsweise selten im Reichssüden, sie mußten aber nicht dorthin fahren, wenn entsprechende Experten in Pommern wirkten und ihre Erfahrungen dort vermitteln konnten. Einblicke in diesen langwierigen und an bestimmte Personen gekoppelten Prozeß der Professionalisierung der Rechtsprechung könnte ein Gerichtsbuch bieten, auf das Martin Schoebel vor einigen Jahren in der Festschrift für Joachim Wächter hingewiesen hat und dessen Edition er damals bereits angekündigt hat. Dieses Gerichtsbuch, das in einem ­ersten Teil 255 Gerichtstermine zwischen dem 04. Dezember 1504 und dem 14. August 1523 dokumentiert, liefert die gewünschte Ergänzung zu den frühen Prozeßakten des Reichskammergerichts, findet sich doch hier die Vorinstanz, das Pommersche Hofgericht, über dessen Wirken in der Frühzeit wir so wenig wissen. Das Buch, das Martin Schoebel thesenhaft ausgewertet hat,16 zeigt, daß Petrus und Vincentius de Ravenna ganze Arbeit bei der Organisation des Gerichts geleistet hatten. Der Prozeß fand ganz selbstverständlich schriftlich statt, die Parteien waren durch Anwälte vertreten, es gab 6wöchige Frist­setzungen, in denen man auf die Einlassungen der Gegenpartei zu antworten hatte, gegen die Urteile konnten Rechtsmittel eingelegt werden – damit bestanden am Pommerschen Hofgericht alle Voraussetzungen für den weiteren Instanzenzug an das Reichskammergericht und den Kaiserlichen Hof. Zudem werden wichtige Grundzüge der Pommerschen Hofgerichtsordnung, wie sie bis zum Ende des Bestehens des Hofgerichts in Kraft war, hier bereits sichtbar. Dieses Urteilsbuch, das schnellstens der Forschung ediert zugänglich gemacht werden sollte, stellt eine deutschlandweit herausragende Quelle zur Rechtsprechung des frühen Hofgerichts dar, deren Wert man erst ermessen können wird, wenn man sie vor sich hat und sie gründlich auswerten kann. Wir müssen also alles tun, um sie schnell und gründlich im Rahmen eines Projektes zu edieren! Ein weiterer glücklicher Umstand, den wir für uns verbuchen können, wurde mir bewußt, als ich vor einigen Jahren in die Antragsstellung eines Projektes zur letztinstanzlichen Rechtsprechung im Alten Reich involviert war. Das Ziel des an der Forschungsstelle für Reichskammergerichtsforschung anhängigen Projektes bestand darin, neben den mittlerweile sehr gut inventarisierten Prozeßakten des Reichskammergericht und dem Erschließungsprojekt zum Reichshofrat, das in den vergangenen Jahren durch die gemeinsamen Bestrebungen der Göttinger Akademie und des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs beeindruckende Fahrt aufgenommen hat, einen Überblick über die Judikatur der kurfürstlichen Gerichte zu gewinnen, die letztinstanzlich und anstelle der beiden obersten Reichsgerichte für Kurmainz, Kurköln, Kurtrier, Kurpfalz, Kursachsen, Kurbrandenburg, 16 Martin Schoebel, Städtepolitik und Gerichtsverfassung unter Herzog Bogislaw X. Zur Verdichtung territorialer Herrschaft in Pommern um 1500, in: Verfassung und Verwaltung Pommerns in der Neuzeit, hg. v. Henning Rischer, Martin Schoebel, Bremen 2004, S. 13–28.

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Kurböhmen, Kurbayern oder Kurhannover Recht sprachen. Zu keinem dieser kurfürstlichen Oberappellationsgerichte haben sich die Prozeßakten erhalten, zu Kurhannover nur ein bescheidener Rest in Ostfriesland, der mittlerweile ausgewertet worden ist.17 Insofern bekommen der sehr gut erhaltene Bestand zum Wismarer Tribunal im Archiv der Hansestadt Wismar und der durch Kassationen leider sehr stark dezimierte Bestand zu Pommern im Greifswalder Landesarchiv eine neue Bedeutung. Für Wismar lassen sich zu immerhin 75% der am Tribunal geführten Prozesse zwischen 1653 und 1783 Aussagen machen, zu Pommern zu vielleicht 5%. Das klingt möglicherweise extrem wenig, es ist aber mehr als wir für andere oberste Landesgerichte besitzen, die mit den obersten Reichsgerichten gleichgestellt waren und sie ersetzten. Besondere Bedeutung erhalten diese 5% erhaltene Fälle dadurch, daß das Landesarchiv einen sehr ausführlichen Bestand von ca. 3000 Assessorenvoten aufbewahrt, die zwischen 1760 und 1815 einen fast vollständigen Einblick in das juristische Denken der Richter liefern, da sie uns Urteilsbegründungen liefern, wie sie selbst für die Reichsgerichte nur in den seltensten Fällen überliefert sind.18 In den Voten, die zumeist von einem Referenten und einem Koreferenten abgegeben wurden, wird der Fall zunächst knapp zusammengefaßt. Damit verfügen wir in gewisser Weise über Material, das den Verlust der Prozeßakten inhaltlich zumindest teilweise ausgleicht. Nach dieser Zusammenfassung gibt der Referent sein Urteil ab und begründet es ausführlich, der Koreferent kommentiert es ausführlich, die anderen Mitglieder des Kollegiums nehmen knapp Stellung – diese Relationen liefern somit einen seltenen Einblick in das juristische Denken der zweiten Hälfte des 18. Jh.s und laden förmlich dazu ein, in eigenen Forschungsprojekten ausgewertet zu werden! Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die meisten pommerschen Tribunalsprozesse Appellationen sind, in denen sich regelmäßig die Rationes decidendi, also die Urteilsbegründungen der Vorinstanzen, finden, die den Votenbestand des Tribunals perfekt ergänzen. Wir können also nicht nur den Richtern am obersten Gericht bei der Arbeit über die Schulter sehen, sondern auch ihren Kollegen an den Vorinstanzen – ein deutschlandweit seltener Glücksumstand, den man nutzen sollte. Ergänzt werden diese Quellen zur Geschichte Pommerns und Mecklenburgs durch die sehr gute, tiefe Erschließung der Tribunalsakten, die sich aus den Herzogtümern Bremen und Verden erhalten haben und von einer der besten Kennerinnen der Schwedenzeit in den beiden Herzogtümern, Dr. Beate-Christine Fiedler, inventarisiert wurden.19

17 Stefan Andreas Stodolkowitz, Das Oberappellationsgericht Celle und seine Rechtsprechung im 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 59), Köln/Weimar/Wien 2011. 18 Gedruckte Relationen und Voten des Reichskammergerichts vom 16. bis 18. Jahrhundert. Ein Findbuch, bearb. v. Anette Baumann, Quellen und Forschungen zur höcchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 48, Köln/Weimar/Wien 2004. 19 Akten des Schwedischen Tribunals zu Wismar im Niedersächsischen Landesarchiv – Staats­ archiv Stade – Herzogtümer Bremen und Verden 1653–17115, bearb. und eingeleitet von Beate-­ Christine Fiedler, Hannover 2012.

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Von nicht so großem inhaltlichen Wert ist eine Sammlung, die sich im Greifswalder Stadtarchiv erhalten hat, bei der sich interessierte Greifswalder Juristen die Urteile des Tribunals, die pro Gerichtstag gefällt worden waren, zuschicken ließen. Auch diese Sammlung mit einer Laufzeit von 1735 bis 1785 und ebenfalls ca. 3 000 Fällen ist noch nicht inventarisiert, sie könnte es aber mit vergleichsweise geringem Aufwand ebenso werden wie die Assessorenvoten. Auch diese Urteilssammlung schließt Lücken, die an anderen obersten Gerichten vergleichbarer Art bestehen bleiben müssen. Auf diese Weise könnte man in der rechtshistorischen Forschung das Tribunal als drittes letztinstanzlich rechtsprechendes Gericht neben den beiden obersten Reichsgerichten etablieren, Grundlagen dafür wurden in den vergangenen Jahren durch die Inventarisierung der Prozeßakten des Wismarer Tribunals im Staatsarchiv Stade und im Archiv der Hansestadt Wismar sowie das Erscheinen des Findbuches für Stade und der ersten acht Bände für Wismar gelegt.20 In jedem Fall sind dies Chancen, die dringend genutzt werden sollten. Die Ergebnisse solcher Forschungsprojekte werden nicht nur deutschlandweit Aufsehen erregen, sie werden auch dazu beitragen, unser Verständnis davon zu verbessern, wie sowohl das Tribunal als auch das Pommersche Hofgericht, die Konsistorien in Greifswald und Stralsund und andere Untergerichte in das Rechtssystem der schwedischen Großmacht integriert waren. Neben den sehr aussagekräftigen Beständen zum Tribunal besitzen wir nämlich auch große Mengen an Hofgerichtsakten, die bisher nicht als solche erkannt und inventarisiert worden sind. Im Greifswalder Bestand zum Wismarer Tribunal, der Rep. 29, der durch ein DFG-Projekt erschlossen wird, finden sich zahlreiche Akten des Pommerschen Hofgerichts, des Konsistoriums und der Landesregierung. Umgekehrt erwarte ich, daß sich in den entsprechenden Beständen weitere Akten zum Tribunal und den anderen Gerichten finden. Diese Bestände müssen nach ihrer Provenienz grundlegend neu geordnet, inventarisiert und dann ausgewertet werden. Der Ertrag wird für sich sprechen. Welche hervorragenden Ergebnisse auf diese Weise erzielt werden können, haben die bei Prof. Jürgen Regge entstandenen Dissertationen von Anja Tews21 und Sascha Ott22 zum OAG Greifswald in preußischer Zeit gezeigt. So wie Tews und Ott in ihrer Arbeit für das Oberappellationsgericht den Wechsel von der Schweden- zur Preußenzeit mit in den Blick genommen haben, so ließen sich für Hofgerichte und Konsistorien Kontinuitäten und Brüche zwischen Herzogszeit und Schwedenzeit, Schweden- und Preußenzeit untersuchen.

20 Inventar der Prozeßakten des Wismarer Tribunals, Teil 1: Bestand des Archivs der Hanse­ stadt Wismar, bearb. v. Nils Jörn (Findbücher, Inventare und kleine Schriften, 1–8,) Wismar 2008–2010. 21 Anja Tews, Die Kriminalverfassung in Neuvorpommern und Rügen 1815–1851. Ein Beitrag zur preußischen Justizgeschichte, Herdecke 2004 22 Sascha Ott, Die Rechtsprechung des Greifswalder Oberappellationsgerichts in Strafsachen (1815–1849). Zur Entwicklung des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts in Neu-Vorpommern (Schriftenreihe der David-Mevius-Gesellschaft, 4), Hamburg 2009.

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Hinzu kommen Parallelüberlieferungen, die genutzt werden können. So finden sich in der ausgezeichneten und vergleichsweise gut erschlossenen Rep. 3 des Stadtarchivs Stralsund tausende Prozeßakten des Ratsgerichts mit Kopien der Prozeßakten der höheren Instanzen, also des Hofgerichts und des Tribunals. Durch den landesweiten Archivverbund ARIADNE, der sich für solche Fragestellungen immer wieder bewährt, wird es möglich, archivübergreifend gezielt nach Tribunals-, Hofgerichts-, Konsistorial- oder Ratsgerichtsakten zu suchen, wenn diese denn als solche erkannt und in der Verzeichnung gekennzeichnet worden sind. So läßt sich virtuell aus den Resten der Überlieferung der verschiedenen Gerichte wieder etwas zusammenfügen, was keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, aber doch aussagekräftig ist für das Wirken dieser Spruchkollegien. Die Fragestellungen, die an den obersten Reichsgerichten durch die moderne Forschung vielfach erprobt worden sind, können für die Landesgerichte überprüft und ausgebaut werden: Wie lange dauerten Prozesse? Um welche Gegenstände wurde vorrangig gestritten? Wie veränderte sich dies in bestimmten Zeiträumen? Was sagt uns das für Wirtschaftskonjunkturen und andere bisher wenig erforschte Phänomene? Der Fragenkatalog ließe sich endlos auffächern, aus den genannten Projekten am Greifswalder Lehrstuhl für die Geschichte der Neuzeit sind in den letzten 15 Jahren zahlreiche Anregungen gekommen, die von anderen Forschern deutschland- und europaweit überprüft worden sind, mit der Bereitstellung der Bestände durch die Archive ließe sich dies weiter vertiefen.23 Neben der Institutionengeschichte halte ich vor allem die Erforschung von Juristennetzwerken für ein zentrales Desiderat und eine der großen Chancen für einen substantiellen Erkenntniszuwachs. In den 1980er Jahren hatte sich am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt eine Arbeitsgruppe um Filippo Ranieri und Karl Härter gebildet, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, alle Juristen des Alten Reiches zwischen 1500 und 1806 mit allen verfügbaren biographischen Angaben zu erfassen. Das Projekt wurde nach einigen Jahren abgebrochen, man war immerhin bis zum Buchstaben E bei den Familiennamen der Juristen gekommen.24 Die Zeit, in der solche Mammutprojekte auf langfristige Förderung hoffen konnten, ist zwar leider vorbei, es wäre aber sehr gut vorstellbar, eine solche Datenbank für die Juristen in Pommern für den genannten Zeitraum und darüber hinaus bis 1945 zu entwerfen. Die Voraussetzungen für eine solche Datenbank wären gegeben. Uns liegen die Universitätsmatrikel vor, aus der die Jurastudenten, Professoren und außerordentlichen Lehrkräfte der Juristenfakultät problemlos 23 Siehe z.B. Nils Jörn, Stand und Aufgaben bei der Erforschung der Geschichte des Wismarer Tribunals, in: Die Integration des südlichen Ostseeraumes in das Alte Reich, hg. v. Nils Jörn, Michael North (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 35), Köln/Weimar/Wien 1999, S. 235–273; Ders., Integration durch Recht? Versuch eines Fazits und Perspektiven der Forschung, in: Integration durch Recht. Das Wismarer Tribunal (1653–1806), hg. v. Nils Jörn, Bernhard Diestelkamp, Kjell Åke Modéer (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich, 47), Köln/Weimar/Wien 2003, S. 247–275. 24 Die Unterlagen zu diesem Projekt finden sich im Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main und sind dort nutzbar.

Perspektiven der pommerschen Rechtsgeschichte

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herausgezogen werden können. Wir verfügen nach Inventarisierung der Prozeßakten über komplette Listen der an den pommerschen Gerichten tätigen Personen, vom Anwalt über die Notare bis zum Gerichtspräsidenten. Wir kennen die Namen derer, die in der Landesregierung, im Rügener Landvogteigericht und in den verschiedenen Stadtgerichten wirkten bzw. könnten sie relativ einfach ermitteln. Diese Sammlung würde natürlich zunächst die Bedeutung von Juristendynastien wie den Berglases, Corswants, Engelbrechts, Gerdes, Mevius, Normanns, Stephanis oder Usedoms beweisen, aber auch zeigen, daß immer wieder frischer Wind von außen für neue Ideen in Pommern sorgte. Auf die Bedeutung von Petrus und Vincentius de Ravenna für Universität und Hofgericht zu Beginn des 16. Jh.s ist schon kurz hingewiesen worden, Georg Walther aus Preußen und Henrich Mulert aus Zwolle wären für das erste Jahrhundert der Universität zu nennen, Johann Graf von Lillienstedt, Samuel von Palthen oder Johann Christian von Quistorp für die Rechtsprechung am Tribunal im 18. Jahrhundert. Es wäre wichtig zu erfahren, wie sich Familien in der Rechtsprechung Pommerns etablierten, ob und wie sie sich für lange Zeiträume dort festsetzen konnten, ob die Berufung Nachgeborener aus fachlichen Gründen zu rechtfertigen war oder allein aus Familienräson erfolgte. Es wäre zu untersuchen, ob die zumeist engen familiären, intellektuellen und geschäftlichen Verbindungen zwischen den großen Juristensippen nur nachteilig waren – wie dies zumeist gesehen wird, oder auch, vor allem in Krisenzeiten, sehr nützlich sein konnte, um Gerichte und Institutionen am Laufen zu halten.25 Die Bilanz meines kleinen Beitrags ist sicher etwas zwiespältig, sollte insgesamt aber positiv ausfallen. Wir besitzen in Pommern zentrale Quellen für die Rechtsgeschichte der Frühen Neuzeit und bis ins 19. Jahrhundert hinein, die bisher von der Forschung noch nicht ausgewertet worden sind, die aber von zumindest deutschlandweiter Relevanz sind. Natürlich müssen diese zunächst durch Inventarisierung und Edition zugänglich gemacht werden, die Möglichkeiten dafür sollten in einem so reichen Land wie unserem aber so gut wie lange nicht sein. Es gibt zahlreiche Fördermöglichkeiten im Land, Deutschland- und EU-weit, die genutzt werden können, durch Archivportale wie ARIADNE bestehen hervorragende Möglichkeiten der Abfrage und Vernetzung und ganz wichtig: der menschliche Faktor macht eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich, ja, die sympathischen Kollegen aus Polen, Schweden, Finnland oder Dänemark laden geradezu zu gemeinsamen Projekten ein. Der 400. Jahrestag des Svea-Hofgerichts im Jahre 2014 wird einer der Termine sein, wo der Platz Pommerns im Rechtssystem der schwedischen Großmacht einmal mehr zur Debatte stehen wird. Die Vorbereitungen der skandinavischen Kollegen laufen und wenn alles klappt, wird es zu dieser Gelegenheit eine erste große Zusammenschau der Gerichte geben, die während der Schwedenzeit im großen Konglomeratstaat existiert haben. Dann 25 Nils Jörn,Familienbeziehungen am Tribunal. Probleme und Chancen, in: Gemeinsame ­Be­kannte. Schweden und Deutschland in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Helmut Backhaus, hg. v. Ivo Asmus, Heiko Droste, Jens E. Olesen, Münster 2003, S. 227–251.

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Nils Jörn

wird die Gelegenheit bestehen, die Leistungen der pommerschen Gerichte vorzustellen, in den Kontext der schwedischen Großmacht zu stellen und abzuwägen.26 Darüber hinaus gibt es das europäische Projekt einer Zusammenschau der obersten Gerichtsbarkeit im Europa der Frühen Neuzeit, das zum einen für die Ausbildung von Juristen genutzt werden soll, zum anderen aber die Chance bietet, den Platz Pommerns in diesem europäischen Kosmos zu bestimmen.27 Die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Pawel Gut, als wir den Forschungsstand zu den Pommerschen Hofgerichten dargestellt haben, aber auch mit Barbara Sztark aus der Pommerschen Bibliothek, macht Mut und Lust zur weiteren Zusammenarbeit. Auf den Rechtshistorikertagen des Ostseeraums wird diese seit Jahren erfolgreich organisiert, Zusammenhänge werden dort auf kurzem Wege klar. Es wäre schön, wenn die Greifswalder Rechtsgeschichte demnächst dort wieder mit einem Lehrstuhlinhaber vertreten wäre, der sich den großen Traditionen seiner pommerschen Vorgänger bewußt wäre. Wäre er dann noch gewillt und intellektuell in der Lage, daran anzuknüpfen, müßte es uns um dieses Fach und seinen Beitrag zur Landesgeschichte nicht mehr bange sein. Ich stehe sicher nicht im Verdacht, nach Bayern zu schielen und am dortigen Wesen genesen zu wollen. Wenn ich aber einen Katalog sehe wie „Gerechtigkeit erhöht ein Volk. Recht und Rechtspflege in Bayern im Wandel der Geschichte“, der vom Bayerischen Hauptstaatsarchiv begleitend zu einer Ausstellung erstellt wurde, dann habe ich einen Traum. Warum sollte es nicht möglich sein, die europaweite Bedeutung des Wismarer Tribunals in der schwedischen Großmachtzeit angemessen museal darzustellen? Es gibt in diesem Bundesland ja durchaus einiges, worauf man neben Rapsfeldern und Ostseestrand stolz sein darf, u.a. darauf, einmal, wenn auch nur für ein halbes Jahrhundert, einen Modellgerichtshof beherbergt zu haben, auf den das alte Europa sah, zu dem Juristen pilgerten, um sich anzuschauen, wie man eine effektive Rechtsprechung organisiert. Mit der Inventarisierung der erhaltenen Prozeßakten und flankierender Bestände hätten wir die Möglichkeit, diese Geschichte fundiert darzustellen, entsprechende Exponate gäbe es sowohl für dieses als für viele andere Themen der Pommerschen Rechtsgeschichte – packen wir es an!

26 Die Beiträge auf der Tagung sind in dem Sammelband: The Svea Court of Appeal in the early modern period. Historical Reinterpretations and new perspectives, hg. v. Mia Korpiola, Stockholm 2014 nachzulesen. Leider ist Pommern in dem Band nicht vertreten. 27 Nils Jörn, The Holy Roman Empire: the Court of Wismar, in: Euroepan Supreme Courts. A portrait through history, ed. by. A.A. Wijfels; C.H. van Rhee, London 2013, S. 104–113. Auch in Niederländisch: Nils Jörn, Het Heilige Roomse Rijk: het Tribunal van Wismar, in: Hoogste Gerechtshoven in Europa. Een Historisch Portret, red. A.A. Wijfels, C.H. van Rhee, Antwerpen 2013, S. 104–113.

Matthias Manke

Franz Engel (1908–1967). Historiker und Archivar zwischen Mecklenburg, Pommern und Niedersachsen 1

1. Vorbemerkung Die bekannten und publizierten Photographien von Franz Engel2 zeigen einen zufrieden dreinblickenden Herrn mittleren Alters. In mancherlei Hinsicht konnte und, zumindest im Rückgriff auf wenigstens 22 Nachrufe und biographische Artikel über ihn,3 durfte der 1

Dirk Alvermann (Universitätsarchiv Greifswald), Ivo Asmus (Universitätsbibliothek Greifswald), Dieter Brosius (Hannover), Stefan Brüdermann (StA Bückeburg), Pawel Gut (APS), Michael Hammermeister (Pommersche Landsmannschaft), Christian Heppner (Stadtarchiv Hannover), Christian Hoffmann (NLA Hannover), Nils Jörn (Stadtarchiv Wismar), Bernd Kasten (Stadtarchiv Schwerin), Joachim Krüger (Universität Greifswald), Anett Müller (Stadtarchiv Leipzig), Klaus Neitmann (Brandenburgisches Landeshauptarchiv), Daniel Nösler (Archäologische Denkmalpflege des Landkreises Stade), Haik Thomas Porada (Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig), Dirk Schleinert (Stadtarchiv Stralsund) und Ralf Schumacher (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen) bin ich für den jeweiligen Beitrag dankbar, den sie am Zustandekommen dieses Aufsatzes haben. 2 Hans Branig, Franz Engel, in: BaltStud, N.F., 54/1968, S. 125–129, hier S. 129 (Abb. 1), dies. bei Daniel Nösler, Die archäologischen Forschungen in Mecklenburg von 1933–1945, Unveröffentlichte Magisterarbeit Humboldt-Universität, Berlin 2003, S. 78 (publiziert: Neustrelitz 2016); Beiträge zur Siedlungsgeschichte und historischen Landeskunde Mecklenburg – Pommern – Niedersachsen von Franz Engel, hg. v. Roderich Schmidt, Köln/Wien 1970 (Abb. 2), dies. bei Dieter Brosius, Dr. phil. Franz Karl Heinrich Max Engel, in: Schaumburger Profile, Tl. 1, hg. v. Hubert Höing, Bielefeld 2008, S. 101–104, hier S. 103, ähnlich bei Manfred Hamann, Archivrat Dr. Franz Engel †, in: Unser Mecklenburg. Heimatblatt für Mecklenburger und Vorpommern 287/1967, S. 2 und Christian Madaus, Dr. Franz Engel (1908–1967), in: Mecklenburg. Zeitschrift für Mecklenburg und Vorpommern 36, 2/1994, S. 14. 3 Wie Anm. 2. Georg Tessin, Staatsarchivdirektor L[an]dsm[ann] Dr. Franz Engel, Bückeburg †, in: Informationsblatt der Landsmannschaft Mecklenburg 9/1967, S. 4; Theodor Ulrich, Nachruf Franz Engel 1908–1967, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 39/1967, S. 415–417; Carl Haase, Franz Engel †, in: Der Archivar 21/1968, Sp. 481–484; Dieter Brosius, Franz Engel, in: Archivalische Zeitschrift 64/1968, S. 179–181; Hans Koeppen, Nachruf Franz Engel, in: ZfO 17/1968, S. 677–679; Manfred Hamann, Franz Engel †, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostmitteleuropas 16–17/1968, S. 717–719 und in: Carolinum. Historisch-literarische Zeitschrift 35, 52/1969, S. 99–101; Gerhard Böhmer, Mecklenburger im Rheinland und in Westfalen. Eine biographische Darstellung, Dortmund 1968, S. 153–155; Roderich Schmidt, Franz Engel. Vorsitzender der Historischen Kommission für Pommern, in: Pommern. Zeitschrift für Kultur und Geschichte 7, 3/1969, S. 32 f.; Ders., Franz Engel

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Abb. 1/2: Franz Engel nach 1961 (Quellen: Branig, wie Anm. 2, S. 129/Schmidt, Beiträge, wie Anm. 2)

zweite Nachkriegsvorsitzende der Historischen Kommission für Pommern diese Zufriedenheit auch an den Tag legen. Die genannte Fülle biographischer Sekundärquellen bringt es aber mit sich, daß eine Recherche nach den biographischen Spuren von Franz Engel kurz nach ihrem Beginn bereits am Ziel angekommen zu sein scheint. Bei genauerem Hinsehen werden allerdings Verkürzungen, Auslassungen und Fehler in der biographischen Literatur deutlich, die den Eindruck erwecken, daß Franz Engel in mancherlei Hinsicht innerlich weniger aufgeräumt war, als es die Sprache der Bilder vermittelt.

in memoriam. Einleitung, in: Ders., Beiträge (wie Anm. 2), S. XI–XXXIX; Fünfunddreißig Jahre Forschungen über Ostmitteleuropa. Veröffentlichungen der Mitglieder des J. G. HerderForschungsrates 1950–1984, bearb. v. Hermann Böhm (Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas 1), Marburg 1985, S. 59–60; Wolfgang Leesch, Die deutschen Archivare, Bd. 2, München 1992, S. 140; Siehe auch Walter Maack, Staatsarchivdirektor Dr. Franz Engel †, in: Schaumburger Zeitung vom 12.09.1967; Archivdirektor Dr. Franz Engel gestorben, in: Schaumburg-Lippische Landes-Zeitung vom 13.09.1967; Großer Kenner der Geschichte, in: Hannoversche Presse Nr. 215 vom 14.09.1967 (StA Bückeburg, L 6: Staatsarchiv Bückeburg, Spez. PO-107: PA Staatsarchivrat Dr. Franz Engel, fol. 217–219). Schmidt, Beiträge, (wie Anm. 2), S. 360 nennt zudem noch Nachrufe von Otto Bernstorf, in: General-Anzeiger Stadthagen vom 15.09.1967, Albrecht Wehling, in: a.a.O. vom 06.10.1967 und Erhard W. Appelius, in: Der Greif. Zeitschrift des Studentischen Arbeitskreises Pommern 8, 1–2/1968, S. 24 f.

Historiker und Archivar zwischen Mecklenburg, Pommern und Niedersachsen

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2. Der Werdegang bis 1945 Herkunft, Bildung, Studium, Anfänge der beruflichen Laufbahn Franz Engel kam am 28. Juni 1908 in Schwerin als Sohn des Lebensmittelgroßkaufmanns Friedrich Engel (1875–1944) und seiner Frau Anna, geb. Schumacher (1888–1978) zur Welt.4 Nach erfolgreichem Besuch der Grundschule 1915 bis 1918 und des Gymnasium Fridericianum 1918 bis 1927 in seiner Vaterstadt begann er Ostern 1927, in Heidelberg Geschichte, Germanistik, Geographie und Leibesübungen zu studieren. Am Neckar wurde er, geradezu typisch für eine angestrebte Laufbahn als höherer mecklenburgischer Beamter, Mitglied der Burschenschaft Leonensia.5 Für das Sommersemester 1929 wechselte Franz Engel nach München und, nach einem weiteren Semester in Heidelberg, Ostern 1930 nach Kiel. Hier bestand er nach dem Turn- und Sportlehrerexamen im November 1933 auch die wissenschaftliche Staatsprüfung für das höhere Lehramt mit Auszeichnung und wurde im März 1934 magna cum laude promoviert.6 Über seine Dissertation erging noch zu Beginn 4

5

6

LHAS, 5.12-7/1 Mecklenburg-Schwerinsches Ministerium für Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinalangelegenheiten (1849–1945), Nr. 5888: PA des Staatsarchivrats Franz Engel, fol. 17: Personalbogen o.D. (ähnlich a.a.O., Nr. 5888 anteacta: PA des Angestellten Franz Engel beim HA Neustrelitz, unfol.); a.a.O., fol. 19: Fragebogen vom 18.04.1938. Sterbejahr der Mutter nach Stadtarchiv Schwerin, Standesamt, Sterberegister 1978. Siehe auch Hamann, (wie Anm. 3), S. 717 [ohne Geburtsdaten] sowie Haase, (wie Anm. 3), Sp. 481; Branig, (wie Anm. 2), S. 125 und Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XI [ohne Nennung der Mutter]. HStAHan, Nds 171, Hannover 15003: Entnazifizierung des Archivrats Franz Engel, unfol.: Fragebogen des Military Government of Germany. Siehe zur Bedeutung der Leonensia LHAS, 10.9-T/1: Nachlaß Dr. Georg Tessin (1899–1985), Nr. 31: Georg Tessin, Jahrgang 1899 [unveröffentlichte Autobiografie], Kap. 8: Schwerin 1933–1939, fol. 5 sowie Matthias Manke, Vom Hofhistoriker des Gauleiters zum Militärarchivar des Bundes. Der Archivar Georg Tessin im Staatsarchiv Schwerin und im Bundesarchiv Koblenz, in: Das deutsche Archivwesen und der Nationalsozialismus. 75. Deutscher Archivtag 2005 in Stuttgart, red. v. Robert Kretzschmar u.a. (Tagungsdokumentation zum Deutschen Archivtag, 10), Essen 2007, S. 281–312, hier S. 297 Anm. 70. LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888 anteacta (wie Anm. 4), unfol.: Vorschlag zur Ernennung vom Archiv­ assessor zum Archivrat, o.D.; a.a.O., unfol.: Lebenslauf o.D., vermutl. Ende 1935; a.a.O., Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 18/18a: Lebenslauf o.D., vermutl. April 1938, jeweils mit Datierung der Doktorprüfung auf den 03.03.1934. A.a.O., fol. 8: Beglaubigte Abschrift der Verleihung des Doktorgrades am 04.02.1935. Zeitpunkt des Münchner Semesters a.a.O., fol. 7: Beglaubigte Abschrift des Zeugnisses der Lehramtsprüfung vom 10.11.1933 (dass. a.a.O., fol. 30); a.a.O., fol. 29: Beglaubigte Abschrift des Reifezeugnisses vom 07.03.1927; StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 1–6, hier fol. 1: Lebenslauf vom 10.02.1952. Siehe zu diesem Lebensabschnitt auch Ulrich, (wie Anm. 3), S. 415 [ohne Schulbesuch und ohne Datierung des Studiums]; Haase, (wie Anm. 3), Sp. 481 f. [Datierung der Prüfungen auf 10.11.1933 bzw. 04.02.1935], ähnlich Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XI; Brosius, (wie Anm. 3), S. 180 [Datierung beider Examen auf 1934]. Hingegen Branig, (wie Anm. 2), S. 125 [ohne Studienfächer und ohne Datierung]; Koeppen, (wie Anm. 3), S. 677 [ohne Studienorte]; Tessin, Staatsarchivdirektor,

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Abb. 3/4: Franz Engel ca. 1935 (Quelle: LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, wie Anm. 10, ad quadr. 70)

des 21. Jahrhunderts das profunde Urteil, sie sei eine „bis heute zum Teil mit Recht als für Mecklenburg bahnbrechend bezeichnete siedlungsgeographische Untersuchung.“ Im Unterschied zu allen anderen posthumen Lobpreisungen bzw. Würdigungen dieser Arbeit wurde nur in dieser Einschätzung auf „die großzügige Förderung der Drucklegung […] durch den Reichsstatthalter für Mecklenburg, Friedrich Hildebrandt,“ hingewiesen.7 In

7

(wie Anm. 3), S. 4 [Studienfächer Geschichte und Geographie]; Hamann, (wie Anm. 3), S. 717 [„philosophisches Studium“ und „mit Glanz“ bestandene Examina]; Böhmer, (wie Anm. 3), S. 153 [„philologisches Studium“ in Heidelberg und Kiel]; Schmidt, Vorsitzender, (wie Anm. 3), S. 32 [nur Studienfächer und -orte]; Leesch, (wie Anm. 3) S. 140 [ohne Staatsexamen, Prädikate und die Promotion auf 1935 datierend]; Madaus, (wie Anm. 2), S. 14 [ohne Studienort München, Lehramtsexamen und Prädikate]; Brosius, (wie Anm. 2), S. 101 [ohne Prädikate]. Ernst Münch, Mecklenburg – ein mittelalterliches Bauernland? Die Gadow-Kontroverse 1935 und ihr Nachwirken, in: Festschrift für Gerhard Heitz zum 75. Geburtstag, hg. v. Ernst Münch; Ralph Schattkowsky (Studien zur ostelbischen Gesellschaftsgeschichte, 1), Rostock 2000, S. 95–111, hier S. 101 sowie Nösler, (wie Anm. 2), S. 37. Siehe aber auch Georg Tessin, Slavische und deutsche Einflüsse in der Dobbertiner Kulturlandschaft, in: Mecklenburg.

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diesem Zusammenhang sei angemerkt, daß Franz Engel im Frühjahr 1933 noch vor seinem Lehramtsexamen in NSDAP und SA eingetreten war.8 „Die Anfänge der beruflichen Laufbahn,“ so heißt es in der biographischen Literatur, führten Franz Engel „im Februar 1934 an das Landesmuseum Neustrelitz, dann über das Schweriner Staatsarchiv und das Dahlemer Institut für Archivwissenschaft an das Staatsarchiv Stettin.“9 Tatsächlich nahm er im Februar 1934 eine Tätigkeit zunächst als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und sodann als Angestellter im Hauptarchiv Neustrelitz auf, die insgesamt sieben Monate währte10 und womöglich von vornherein auf den Besuch des Zeitschrift des Heimatbundes Mecklenburg 29/1934, S. 95 f.; Paul Steinmann, Quellen und Studien zur Geschichte des mecklenburgischen Bauerntums, in: NB, Nr. 250 vom 26.10.1935 und Ders., Siedlungsgeographische und wirtschaftsgeschichtliche Probleme in der Kieler Dissertation von Franz Engel (Schwerin) über deutsche und slawische Einflüsse in der Dobbertiner Kulturlandschaft, in: MJB 99/1935, S. 219–238, hier S. 221. Neben dem Gauleiter gaben die Philosophische Fakultät der Universität Kiel und das Preußische Kultusministerium eine Beihilfe zur Drucklegung. Siehe Franz Engel, Deutsche und slawische Einflüsse in der Dobbertiner Kulturlandschaft. Siedlungsgeographie und wirtschaftliche Entwicklung eines mecklenburgischen Sandgebietes (Schriften des Geographischen Instituts der Universität Kiel, 2,3), Kiel 1934, S. [III]. HStAHan, (wie Anm. 5), unfol.: Vermerk des Entnazifizierungsausschusses für den RB Han8 nover vom 17.06.1947 [Auf Befragen erklärt Engel in seiner heutigen Vernehmung: „Ich bin im April 33 in die NSDAP und SA als Student eingetreten“]. LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888 anteacta, unfol.: Lebenslauf 1935, (wie Anm. 6) [Mitglied von NSDAP und SA]; a.a.O., unfol.: Vorschlag zur Ernennung, (wie Anm. 6) [NSDAP-Mitglied seit 01.05.1933]; a.a.O., Nr. 5888, fol. 18/18a, (wie Anm. 6) [NSDAP seit 01.05.1933, SA seit 01.06.1933]; a.a.O., fol. 32: Bescheinigung des SA-Sturms 2/2 vom 23.06.1938 [SA-Mitglied seit 01.05.1933 und Rottenführer seit 19.01.1937]; APS, Rep. 48 Staatsarchiv in Stettin (1826–1945), Nr. 1060/158: PA Franz Engel, fol. 23: Personalbogen vom 12.02.1937 [NSDAP-Mitglied seit 01.05.1933, Rottenführer im SA-Sturm 2/2]; Bundesarchiv, ehem. Berlin Document Center, NSDAP-Mitgliedskarte Franz Engel [01.05.1933 Aufnahme in die NSDAP]. 9 Hamann, (wie Anm. 3), S. 717. Ähnlich Böhmer, (wie Anm. 3), S. 153. Wenn sich die postgraduale Phase vor der Ausbildung zum Archivar in der Literatur widerspiegelt, dann als Tätigkeit im Landesmuseum Neustrelitz. Ulrich, (wie Anm. 3), S. 415; Hamann, (wie Anm. 3), S. 717; Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XI; Leesch, (wie Anm. 3), S. 140. Franz Engel gab das so auch selber einmal an. StA Bückeburg, fol. 3: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). Hingegen Böhmer, (wie Anm. 3), S. 153 und Madaus, (wie Anm. 2), S. 14: 1934 Landesmuseum Schwerin. Siehe dafür zu Anm. 14. 10 LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888 anteacta, unfol.: Vorschlag zur Ernennung, (wie Anm. 6) [01.02.– 30.09.1934] und a.a.O., unfol.: Lebenslauf, (wie Anm. 6). StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 20: Anlage zum Lebenslauf vom 10.02.1952 über die Dienstzeit im öffentlichen Dienst und a.a.O., fol. 54: Berechnung der Dienstzeit, o.D. [Angestellter vom 09.02. bis 30.09.1934]. Aufgrund dessen erfolgte die Festsetzung seines 25jährigen Dienstjubiläums auf den 09.02.1959. Siehe a.a.O., fol. 19: Anlage zum Lebenslauf vom 10.02.1952 über die Festsetzung der Grundvergütung vom 12.06.1950. Der Aufstieg vom Hilfsarbeiter zum Angestellten erfolgte zum 09.06.1934. LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888 anteacta, (wie Anm. 4), quadr. 1: Dienstvertrag vom 30.06.1934; dass. a.a.O., 5.12-7/6 Mecklenburgisches Geheimes und Hauptarchiv / Mecklenburgisches

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Vorbereitungskurses für den höheren Archivdienst am Institut für Archivwissenschaft in Berlin Dahlem (IfA) zielte.11 Sein Neustrelitzer Chef Carl August Endler empfahl Franz Engel jedenfalls bereits nach vier Wochen an Albert Brackmann, Generaldirektor der preußischen Archive. Tatsächlich absolvierte Franz Engel zwischen Oktober 1934 und Dezember 1935 den IfA-Kursus,12 an den sich im ersten Halbjahr 1936 die Praxisausbildung im Geheimen und Hauptarchiv Schwerin anschloß.13 Dort wäre eine Weiterbeschäftigung Franz Engels als Angestellter zur Bewältigung der Ariernachweis-Flut und unter Umständen auch in der Archivpflege gern gesehen gewesen, aber das vorgesetzte Ministerium war zunächst nicht bereit oder nicht in der Lage, auf die wiederholten Forderungen des Archivs nach mehr Personal für die Erarbeitung der Abstammungsnachweise zu reagieren. Als die Angestelltenstelle im Herbst schließlich für ein halbes Jahr bewilligt wurde,14 hatte Franz Engel bereits einen anderen Weg eingeschlagen. Im Juli / August des Jahres war er in der Abteilung Reichsbodenschätzung des mecklenburgischen Landesvermessungsamtes tätig, im September / Oktober in der Abteilung Mecklenburgisches Bauernmuseum (Wossidlo-Sammlung) des Landesmuseums als wissenschaftlicher bzw. als Archivhilfsarbeiter.15 Bei erstgenannter Anstellung kam ihm sicherlich zugute, daß er neben dem Archivreferendariat vorgeschichtliche Studien betrieb und sich mit regem Eifer an prähistorischen Übungen und Ausgrabungen des Berliner Museums für

Landeshauptarchiv Schwerin (1796–1945/55), Nr. 149: PA Franz Engel, quadr. 17. Siehe auch a.a.O., quadr. 13 / quadr. 19: HA Neustrelitz am 03.04./10.07.1934 an Bezirkskasse; a.a.O., 4.12-6/6 Verwaltung der Strelitzer Landesschlösser, des Hauptarchivs, der Landesbücherei und des Landesmuseums, Nr. 17: Angestellte des Hauptarchivs Neustrelitz (1934–1939), quadr. 2: HA Neustrelitz am 10.07.1934 an Allgemeine Ortskrankenkasse Neustrelitz. Siehe auch a.a.O., quadr. 4 / 6: HA Neustrelitz am 17.07./ 05.09.1934 an Bezirkskasse Neustrelitz. 11 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 10: HA Neustrelitz am 27.03.1934 an StM/ AU. 12 A.a.O., quadr. 7: HA Neustrelitz am 09.03.1934 an GenDirStA; A.a.O., quadr. 8: Zeugnis über die archivalische Staatsprüfung vom 23.12.1935, (dass. APS, wie Anm. 8, fol. 3). 13 A.a.O., quadr. 9: StM/AU am 08.07.1936 an GHA. 14 A.a.O., Nr. 113b: Allgemeine Dienstverhältnisse (1936–1940), quadr. 131: GHA am 02.07.1936 an StM/AU; a.a.O., quadr. 181: StM/AU am 25.08.1936 an GHA; a.a.O., quadr. 182: GHA am 31.08.1936 an StM/AU; a.a.O., quadr. 186: StM/AU am 23.10.1936 an GHA. Die Stellenbesetzung erfolgte mit Dr. Fritz Jessel. 15 LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888 anteacta, unfol.: Vorschlag zur Ernennung, (wie Anm. 6); a.a.O., Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 4: Franz Engel am 07.04.1937 an StM/AU; a.a.O., quadr. 27: Franz Engel am 27.02.1939 an StM/AU; StA Bückeburg, fol. 20: Anlage Dienstzeit, (wie Anm. 10) und a.a.O., fol. 54: Berechnung Dienstzeit, (wie Anm. 10). APS, (wie Anm. 8), fol. 11: Franz Engel am 22.10.1936 an StADir Stettin. Siehe auch Leesch, (wie Anm. 3), S. 140 [von Juli bis Oktober 1936 Landesvermessungsamt und Volkskundemuseum], ähnlich Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XI; Ulrich, (wie Anm. 3), S. 415 und Haase, (wie Anm. 3), Sp. 482 [Museumstätigkeit ohne Datierung, keine Berücksichtigung der Tätigkeit am Landesvermessungsamt]; Branig, (wie Anm. 2), S. 125 [nach IfA-Kurs aushilfsweise Beschäftigung in Schwerin und Befassung mit archäologischen und volkskundlichen Gegenständen].

Historiker und Archivar zwischen Mecklenburg, Pommern und Niedersachsen

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Vor- und Frühgeschichte beteiligte.16 Auch später wurde in Schwerin auf sein Fachwissen durch Beauftragung als gleichsam ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger gern zurückgegriffen.17 Nicht zuletzt dürfte ihm die Tätigkeit als wissenschaftlicher und technischer Hilfsarbeiter des Landesvermessungsamtes für eigene wissenschaftliche Arbeiten von großem Nutzen gewesen sein: Mit sogenannten technischen Vorarbeiten für die Reichsbodenschätzung betraut, bestand seine Aufgabe in der Feststellung von Flurnamen im Geheimen und Hauptarchiv zur Übernahme in das Vermessungswerk.18 Wohl zu Recht deklarierte Franz Engel im Nachhinein die befristeten Anstellungen ebenso wie die am genannten Berliner Museum erworbenen Kenntnisse moderner museumstechnischer Konservierungsverfahren als Ergänzung bzw. Vervollständigung seiner beruflichen Ausbildung.19

Archivar im Staatsarchiv Stettin und im Geheimen und Hauptarchiv Schwerin Im November 1936 begann Franz Engel als Archivhilfsarbeiter im preußischen Staatsarchiv Stettin, was er bis März 1938 blieb. Im April 1938 wurde er Archivassistent, ab Mai Archiv­ assessor.20 Insgesamt währte seine Tätigkeit hier, im historischen Gedächtnis Pommerns,

16 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, quadr. 8: Zeugnis archivalische Staatsprüfung, (wie Anm. 12), Zitat. Siehe auch LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 3a: Zeugnis für das Praxishalbjahr vom 30.06.1936 und a.a.O., fol. 43: GenDirStA am 19.09.1938 an StM/AU; a.a.O., 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 4), quadr. 11: Zeugnis des HA Neustrelitz vom 13.09.1936. Erwähnung vorgeschichtlicher Studien bzw. vorgeschichtlichen Studiums neben dem Referendariat auch bei Brosius, (wie Anm. 3), S. 180 und Brosius, (wie Anm. 2), S. 101, hingegen bei Haase, (wie Anm. 1), Sp. 481 als Teil des Universitätsstudiums dargestellt. 17 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 25: Denkmalpfleger vor- und frühgeschichtliche Denkmale am 02.03.1939 an StM, Abt. Kunst. Siehe dazu auch Franz Engel, Das germanische Urnenfeld in Kirch Jesar. Achtet die Zeugnisse der Vorzeit! Bestattungsbräuche vor 2300 Jahren (Grabungen in Mecklenburg), in: NB, Nr. 225/226 vom 27./28.09.1935 und jetzt vor allem Nösler, (wie Anm. 2), S. 72 f. Anm. 313 und 315, S. 77–82, S. 173. Horst Börjesson, Bibliothek, Archiv und Museum in Neustrelitz 1796–1950. Zur Kulturgeschichte von Mecklenburg Strelitz, Tl. III, in: Carolinum. Historisch-literarische Zeitschrift 48, 91/1984, S. 47–70, hier S. 48 erwähnt die Beteiligung eines „Hilfsarbeiter[s] am Hauptarchiv Dr. Engel“ an einer Ausgrabung bei Bargensdorf im Oktober 1934. Der Autor kann sich die Beziehung Franz Engels zum HA Neustrelitz allerdings nicht erklären. 18 LHAS, 5.12-4/5 Messungsbüro / Landesvermessungsamt Schwerin (1865–1945), Nr. 154: PA Franz Engel, unquadr.: Dienstvertrag vom 18.06.1936; a.a.O., unfol.: Personalbogen vom 13.08.1936; a.a.O., unfol.: Zeugnis vom 15.10.1936. 19 StA Bückeburg, fol. 2–3: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). Siehe auch Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483. 20 LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888 anteacta, unfol.: Vorschlag zur Ernennung, (wie Anm. 6); a.a.O., Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 4: Franz Engel am 07.04.1937 an StM/AU; a.a.O., quadr. 27: Franz Engel am 27.02.1939 an StM/AU. APS, (wie Anm. 8), fol. 6: GenDirStA am 26.09.1936 an StA Stettin [Berufung als Archivhilfsarbeiter zum 16.10.1936]; a.a.O., fol. 10: GenDirStA am

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Abb. 5: Franz Engel ca. 1938 (Quelle: LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, wie Anm. 4, ad fol. 27)

reichlich zwei Jahre. Zum 6. Januar 1939 trat er dann „die erstrebte Stelle als Archivrat in Schwerin“ an,21 der er sich letztlich, wie noch deutlicher werden wird, nicht allzu lange erfreuen konnte. Obwohl die Personalfluktuation bzw. -rotation im Staatsarchiv Stettin bzw. zwischen den preußischen Staatsarchiven insgesamt hoch war,22 erscheint Franz Engels Rückkehr von Pommern nach Mecklenburg doch fast fluchtartig. Die Initiative dazu ging bereits Anfang April 1937, d.h. kein halbes Jahr nach Dienstantritt in Stettin, von Franz Engel 09.10.1936 an Franz Engel [Dienstantritt zum 01.11.1936], a.a.O., fol. 12–14: Vereidigungsverhandlung und -nachweis vom 02.11.1936; a.a.O., fol. 51: GenDirStA am 10.03.1938 an StADir Stettin. StA Bückeburg, fol. 20: Anlage Dienstzeit, (wie Anm. 10) und a.a.O., fol. 54: Berechnung Dienstzeit, (wie Anm. 10). Hingegen Leesch, (wie Anm. 3), S. 140 [ab November 1936 Archivassistent in Stettin]; Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XI [ab 01.11.1936 Archivdienst in Stettin]; Ulrich, (wie Anm. 3), S. 415 [Beginn in Stettin als Hilfsarbeiter]; Branig, (wie Anm. 2), S. 125 [„wissenschaftlicher Hilfsarbeiter (heute Archivreferendar)“ in Stettin]. Letztere Aussage ist auch unabhängig vom Bezug sachlich falsch. 21 Hamann, (wie Anm. 3), S. 717. Böhmer, (wie Anm. 3), S. 152, Madaus, (wie Anm. 2), S. 14 und Leesch, (wie Anm. 3), S. 140 lassen die neuerliche Archivarstätigkeit in Schwerin im Übrigen unerwähnt. 22 So Dirk Schleinert am 21.06.2011 in seinem Vortrag über das Staatsarchiv Stettin 1933–1945 beim 21. Landesarchivtag Mecklenburg-Vorpommerns in Neubrandenburg. Mittlerweile publiziert: Dirk Schleinert, Das Staatsarchiv Stettin von 1930 bis 1945, in: BaltStud, N.F., 99/2013, S. 111–131.

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selbst aus23 – ob die Anstellung unter Qualifikation motivierend war oder ob der Mecklenburger in Pommern fremdelte, kann nur spekuliert werden. Unmittelbar nach seinem entsprechenden Gesuch bemühte sich das Schweriner Archiv um die Einrichtung einer neuen, mit Franz Engel zu besetzenden Archivratsstelle. Selbst der Generaldirektor der preußischen Archive schien davon auszugehen, daß eine gegebenenfalls freie Archivratsstelle in Schwerin entweder – worauf Franz Engel nach eigener Aussage bis Oktober 1937 hoffte – mit einem jüngere[n] Beamte[n] der Preußischen Archivverwaltung (Dr. Engel?) oder mit einem Absolventen des laufenden IfA-Kurses besetzt werden würde.24 Als sich ein Erfolg hinsichtlich einer Stellenneueinrichtung nicht abzeichnete, brachte das Geheime und Hauptarchiv im Februar 1938 die Besetzung der dort möglicherweise frei werdenden Archivratsstelle von Carl August Endler mit Franz Engel ins Gespräch.25 Letzteres beschied das vorgesetzte Ministerium bereits im April positiv und schlug, unter gleichzeitiger Benachrichtigung des Staatsarchivs Stettin, dem Reichswissenschaftsministerium im Juni die Ernennung Franz Engels zum Staatsarchivrat in Schwerin vor.26 Der Stettiner Staatsarchivdirektor Adolf Diestelkamp bestand trotz großer Sorgen um die Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs in seinem Hause nicht unbedingt auf Einhaltung der vierteljährlichen Kündigungsfrist bzw. der daraus resultierenden Freigabe zum 1. Oktober 1938. Vielmehr schlug er eine Freigabe schon zum 1. August vor, da zu diesem Datum ohnehin eine Beurlaubung Franz Engels für einen zweimonatigen Militärlehrgang bevorstand. Die Wehrübung sollte er dann entweder wie vorgesehen absolvieren oder bereits in Schwerin verfügbar sein und die Übungsteilnahme auf den Winter verschieben. In Abhängigkeit vom Geschäftsgang im Reichswissenschaftsministerium konnte Schwerin den Zeitpunkt der beabsichtigten Ernennung Franz Engels jedoch nicht, wie von Adolf Diestelkamp gewünscht, genau datieren. Letzterer war folglich nicht zu einer unterminierten Freigabe seines abwanderungswilligen Mitarbeiters bereit, so daß der an sich unstrittige Wechselvorgang eine merkwürdige Eigendynamik zu entwickeln begann: Es wurde keiner der aufeinander bezogenen und voneinander abhängigen Verwaltungsvorgänge (Freigabe für

23 LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 4: Franz Engel am 07.04.1937 an StM/AU. 24 A.a.O., fol. 5: GHA am 15.04.1937 an StM/AU; LHAS, 5.12-7/6, Nr. 113b, (wie Anm. 14), quadr. 47: GenDirStA am 25.05.1937 an GHA (Zitat). Reflektiert wurde auf entsprechende Interessen von Wolf-Heino Struck, der bei Aussicht auf eine freie Stelle in Schwerin dort sinnvollerweise bereits sein Praxishalbjahr absolvieren könnte. Siehe zur Biografie des gebürtigen Schweriners und späteren Zerbster bzw. Wiesbadener Archivars Winfried Schüler, Wolf-Heino Struck, in: Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 6, hg. v. Andreas Röpcke, Rostock 2011, S. 264–266. APS, (wie Anm. 8), fol. 47: Franz Engel am 21.02.1938 an GenDirStA; a.a.O., fol. 94: Franz Engel am 20.07.1938 an GenDirStA und StADir Stettin. 25 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 113b, (wie Anm. 14), quadr. 55: GHA am 10.09.1937 an StM/AU; LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 10: GHA am 04.02.1938 an StM/AU. 26 LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888 anteacta, (wie Anm. 4), quadr. 7: StM/AU am 05.04.1938 an GHA; a.a.O., quadr. 8: StM/AU am 29.06.1938 an Reichswissenschaftsministerium; a.a.O., Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 13: StM/AU am 16.06.1938 an StA Stettin, (dass. APS, wie Anm. 8, fol. 72).

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die Wehrübung, Freigabe aus dem preußischen Archivdienst, Versetzung in den mecklenburgischen Archivdienst und Ernennung in Schwerin) ausgelöst, sondern die beteiligten Stellen erwarteten – vergebens – wechselseitig den ersten Schritt voneinander.27 Die Auflösung dieser Pattsituation ermöglichte schließlich die fehlerhafte Auskunft des Reichswissenschaftsministeriums, der Übergang von einer auf eine andere Stelle des mittelbaren Reichsdienstes könne formlos erfolgen. Infolge dessen wurde Franz Engel ohne Freigabe der preußischen Archivverwaltung am 16. bzw. 28. Dezember 1938 während eines Urlaubs in Schwerin zum Archivrat ernannt und am 6. Januar 1939 in seine Stelle im Geheimen und Hauptarchiv Schwerin eingewiesen. Weil ein Schweriner Staatsarchivrat aber nicht gleichzeitig Stettiner Archivassessor sein könne und durch die erstere Ernennung aus letzterem Dienst ausgeschieden sei, lehnte Franz Engel danach die von Adolf Diestelkamp geforderte Rückkehr nach Stettin sehr zu dessen Verdruß geradezu hartnäckig ab. Während der Stettiner Archivdirektor den Wechselabsichten seines Mitarbeiters bis dato nicht im Wege gestanden hatte, sah er sich nun von der Entwicklung überrollt und drängte im Interesse der Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes in seinem Hause auf ein formell ordnungsgemäßes Dienstende oder angesichts der Verweigerungshaltung Franz Engels zumindest auf ein Dienststrafverfahren.28 Derselbe löste unterdessen seine Wohnung in Stettin, die er erst Ende 1937 bezogen hatte,29 bereits zum 1. Februar 1939 auf und wurde am 26. Januar schließlich rückwirkend zum 6. aus dem preußischen Archivdienst entlassen.30 Der am Ende von Franz Engel rigoros gezogene Schlußstrich erklärt sich wohl in erster Linie damit, daß die entscheidungsunfähige Bürokratie durch vollendete Tatsachen in Zugzwang versetzt werden sollte. Als Hauptaufgaben seiner Berufstätigkeit in Stettin bezeichnete Franz Engel später, nach 1945, die Pflege des nichtstaatlichen Archivguts bei Städten, Gemeinden und Innungen des Bezirkes Vorpommern. In seiner dienstlichen Beurteilung jedoch ist vor allem von Ordnungsarbeiten die Rede, von Tätigkeiten in der Recherche und in der Benutzerbetreuung. Eine ähnliche Aussage enthält eine Einschätzung Adolf Diestelkamps im Vorfeld der 27 A.a.O., fol. 14: StA Stettin am 18.06.1938 an StM/AU; a.a.O., fol. 16: GenDirStA am 25.06.1938 an StM/AU , (dass. APS , wie Anm. 8, fol. 75); APS , (wie Anm. 8), fol. 64: StAD ir Stettin am 17.06.1938 an GenDirStA; a.a.O., fol. 76: StADir Stettin am 29.06.1938 an GenDirStA; a.a.O., fol. 77: StADir Stettin am 29.06.1938 an Franz Engel; a.a.O., fol. 78: Franz Engel am 07.07.1938 an StADir Stettin. 28 Siehe zu Ernennung, Einweisung und den damit verbundenen Komplikationen APS, (wie Anm. 8), fol. 129–149, besonders fol. 130–134: StADir Stettin am 09.01.1939 an GenDirStA und LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, (wie Anm. 4), quadr. 17–26, besonders ad quadr. 18: Gesprächsvermerk des StM/AU vom 06.01.1939, quadr. 21: StM/AU am 17.01.1939 an Reichswissenschaftsministerium und quadr. 23: Vermerk zu einem Telefonat des StM/AU am 13.01.1939 mit StADir Stettin. 29 APS, (wie Anm. 8), fol. 44: Franz Engel am 21.01.1938 an GenDirStA. A.a.O., fol. 45: GenDirStA am 04.02.1938 an StADir Stettin. 30 APS, (wie Anm. 8), fol. 149: GenDirStA am 26.01.1939 an Franz Engel; LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, quadr. 26: GHA am 16.02.1939 an StM/AU.

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Beförderung vom Archivhilfsarbeiter zum Archivassistenten, wobei hier neben Tätigkeiten in Benutzer- und Recherchedienst sowie der mit gewisse[n] Schwierigkeiten behafteten Ordnung und Verzeichnung der von Bohlenschen Sammlung und von Konkursakten noch die Führung der Fondskontrolle Erwähnung findet. Mit dem inneren Geschäftsbetrieb der letztgenannten Art sowie dem Kassen- und Rechnungswesen hätte Franz Engel Probleme gehabt, wobei er im Schweriner Praxishalbjahr allerdings auch nie mit Kanzleigeschäften befaßt gewesen wäre. In Schwerin sei er – so Franz Engels spätere Selbstaussage – an Planungen zum Aufbau der Archivpflegeorganisation beteiligt gewesen, aber auch an der Organisation und Durchführung der Überführung der Bestände des Hauptarchivs Neustrelitz in das Geheime und Hauptarchiv Schwerin. Des Weiteren habe er hier mehrere Urkundenbestände verzeichnet. Letzteres erledigte er während der Praxisausbildung nachweislich ebenso wie die Verzeichnung eines großen Teils der Kartensammlung.31 Die Mitwirkung an der Zusammenführung der Neustrelitzer mit den Schweriner Beständen bestätigte sein damaliger Vorgesetzter Carl August Endler.32 Während die von Franz Engel nach dem Krieg ebenfalls geltend gemachten bibliothekarischen Kenntnisse, die er bei der Betreuung der Bibliotheken des pommerschen bzw. mecklenburgischen Geschichtsvereins erworben habe, zumindest hinsichtlich Intensität und Umfang zu hinterfragen sind,33 scheint die von ihm behauptete Einbeziehung in die Archivpflege des Staatsarchivs Stettin marginal bis zweifelhaft.34 Ähnliches gilt für diese Tätigkeit im Geheimen und Hauptarchiv Schwerin, das tatsächlich keine derart institutionalisierte 31 StA Bückeburg, fol. 2 f. Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). Siehe auch Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483; LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, fol. 3a: Zeugnis Praxishalbjahr, (wie Anm. 16); a.a.O., fol. 43: GenDirStA am 19.09.1938 an StM/AU; a.a.O., 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 11: Zeugnis, (wie Anm. 16); APS, (wie Anm. 8), fol. 5: StADir Stettin am 13.08.1937 an GenDirStA, (Zitat) und fol. 7: StADir Stettin am 30.01.1937 an GenDirStA. 32 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 11: Zeugnis, (wie Anm. 16). Siehe zum Hintergrund Matthias Manke, „Schwer aber hat uns die Verlegung des Hauptarchivs getroffen.“ Die Vereinigung des Hauptarchivs Neustrelitz mit dem Geheimen und Hauptarchiv Schwerin im Jahre 1935, in: Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern 15, 1/2011, S. 5–12. 33 StA Bückeburg, fol. 3: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). Siehe auch Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483. APS, fol. 10, (wie Anm. 20). Die im MJB veröffentlichten Jahresberichte des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde weisen bis 1937 Paul Crain und sodann Carl August Endler als „Bücherwart“ des Vereins aus. 34 StA Bückeburg, fol. 2: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). In der Historischen Kommission für Pommern wurde regelmäßig über die Inventarisierung nichtstaatlicher Akten und die Archiv­ beratungsstelle berichtet, ohne daß Franz Engel darin Erwähnung findet. Freundlicher Hinweis von Dirk Schleinert nach Durchsicht der Sitzungsprotokolle bis 1939, (LAGw, Rep. 54: Provinzialverband, Nr. 621). Hingewiesen sei auf ein Schreiben in Franz Engels Stettiner Personalakte, demnach Fritz Morré für eine Inventarisierungsreise in den hinterpommerschen Kreis Rummelsburg vorgesehen war. APS, (wie Anm. 8), fol. 98: StADir Stettin am 10.08.1938 an GenDirStA. Siehe allgemein Erich Randt, Hundert Jahre Archivpflege in Pommern im Überblick, in: Monatsblätter der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde

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Archivpflege wie Stettin unterhielt. Dennoch befand sich das nichtstaatliche Archivgut in regelmäßiger Betreuung eines Staatsarchivars – einzig zu diesem Zweck unternahm etwa Paul Steinmann jährlich vier bis fünf Reisen in die ostmecklenburgischen Landkreise.35 Franz Engel wirkte zwar im Zuge seiner praktischen Ausbildung 1936 bei einer Aussonderung von Akten des Landkreises Ludwigslust mit und das Geheime und Hauptarchiv hätte ihn, wie bereits angedeutet, beim Zustandekommen eines Angestelltenverhältnisses nach Absolvierung der praktischen Ausbildung auch in der Archivpflege eingesetzt. Der organisatorische Aufbau der Archivpflege dürfte jedoch, als er 1939 in sein Amt kam, bereits abgeschlossen gewesen sein.36 Schließlich habe er, so Franz Engel nach dem Kriege über seine bisherigen archivfachlichen Arbeiten, zeitweilig die Kirchenbuchabteilung geleitet.37 Die Rahmenbedingungen sprechen allerdings eher dagegen. Schon aufgrund seiner bald nach dem Schweriner Dienstantritt erfolgten Einberufung, die am 25. August 1939 datierte, stellt sich zunächst durchaus die Frage nach dem „Wann?“ und „Wie?“. Die Antwort muß vermutlich dahingehend ausfallen, daß Franz Engel während seiner Tätigkeit im Hauptarchiv Neustrelitz vor allem in der familienkundlichen (Arier-)Abteilung arbeitete,38 während des Praxishalbjahrs in Schwerin zeitweilig entsprechend eingesetzt sowie für die Stellvertretung des Leiters der Schweriner Arierabteilung vorgesehen war.39

Unterbrechung der beruflichen Entwicklung – die Jahre 1939 bis 1945 Der ‘erstrebten Stelle als Archivrat in Schwerin’ konnte sich Franz Engel, wie bereits angedeutet, nicht lange erfreuen. Der mit Beginn des Jahres 1939 Wirklichkeit gewordene Traum von der Arbeit an den mecklenburgischen Akten platzte bereits acht Monate später 52/1938, S. 62–70 und Hans Branig, Das Staatsarchiv Stettin und die Pflege des nichtstaat­ lichen Archivgutes in Pommern, in: a.a.O., S. 82–90. 35 LHAS, 5.12-7/6, (wie Anm. 10), Nr. 323: Archivpflege Paul Steinmann, Fasz. Pflege der kleinen Archive und Fasz. Archivalienschutz mit entsprechenden Berichten aus den Jahren 1936–1939. 36 A.a.O., Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 7: GHA am 29.06.1936 an StM. Werner Strecker, Die Archivarbeit in Mecklenburg seit Kriegsende, in: Archivmitteilungen 1/1952, S. 8 f., hier S. 9, resümierte im Übrigen, daß die im Zuge der Vorkriegs-Archivpflege erfolgte Ordnung von 16 kleineren Stadtarchiven durch Paul Steinmann selbst oder unter dessen Leitung erfolgte. 37 StA Bückeburg, fol. 1: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). 38 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 11: Zeugnis, (wie Anm. 16). Siehe auch a.a.O., quadr. 2, 3 und 5: HA Neustrelitz am 5./19.02. / 9.03.1934 an Ministerium des Innern, Abwicklungsstelle; a.a.O., 5.12-7/1, (wie Anm. 4), Nr. 6000: Personal des HA Neustrelitz (1933–1935), quadr. 14: HA Neustrelitz am 04.03.1934 an StM, Abt. Kunst; a.a.O., quadr. 21 Anlage 2: HA Neustrelitz am 19.02.1934 an Ministerium des Innern; a.a.O., quadr. 26: StM/AU am 04.05.1934 an HA Neustrelitz; a.a.O., 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 10: HA Neustrelitz am 27.03.1934 an StM/AU; a.a.O., Nr. 113b, (wie Anm. 14), quadr. 182, (wie Anm. 14). 39 A.a.O., 5.12-7/6, Nr. 113b, (wie Anm. 14), quadr. 131, (wie Anm. 14) und a.a.O., quadr. 182, (wie Anm. 14).

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mit der Einberufung zum Wehrdienst, genauer zur Luftwaffe. Obwohl Franz Engel die – zwischenzeitlich mit verschiedenen Auszeichnungen dekorierte – Uniform während des gesamten Zweiten Weltkrieges erhalten bleiben sollte, reflektiert die biographische Literatur dieses halbe Dutzend Jahre allenfalls rudimentär. Dabei spiegelt es die realen Gegebenheiten aber nur teilweise, daß er „vom 25. August 1939 bis zum 30. Januar 1946 Kriegsdienst [leistete], zunächst bei der Flak, dann aber beim fliegenden Personal, wo er in der Luftbildaufklärung tätig war“,40 bzw. daß der Krieg „ihn weit nach Rußland hinein[führte].“41 Tatsächlich diente Franz Engel zunächst bei der Flak, d.h. beim Flakscheinwerferregiment Wismar bis November 1940, sodann bis November 1941 beim fliegenden Personal, d.h. vermutlich als Luftbildaufklärer beim Flieger- bzw. Leithorst Schwerin des Luftgaus Hamburg, und schließlich nach einem Lazarettaufenthalt im ersten Quartal 1943 drei Jahre bei der Luftbildauswertung. Für den Zeitraum Juni 1941 bis Dezember 1942 findet sich auch die Angabe einer Zugehörigkeit zum – seit Juli 1941 auf der Krim stationierten und im Dezember 1942 aufgelösten – Fliegerführer Ostsee und Krim bzw. für das Einsatzgebiet Sowjetunion, für den Zeitraum März 1943 bis zur Gefangennahme im Mai 1945 eine Zugehörigkeit zur Stabsbildabteilung der – im September 1944 aufgelösten – Luftflotte II mit dem Einsatzgebiet Italien. Dort erlitt er eine weitere Kriegsverletzung und dort wurde er am 19. Januar 1946 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.42 Mehr oder weniger einer Zufälligkeit ist die Erkenntnis zu verdanken, wie weit der Krieg Franz Engel wirklich führte. Der „Niederdeutsche Beobachter“ als Mecklenburg-Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ veröffentlichte unter dem Titel „So sieht es in Sewastopol aus“ zwei Monate nach dem Fall der Festung einen „Uffz. Engel aus Schwerin“ gezeichneten Brief, dessen Autorschaft sich Franz Engel 1961 in einem eigenhändigen Publikationsverzeichnis selbst zuschrieb!43 In diesem Artikel thematisierte er, daß die Sowjets „in den engen 40 Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483. Ähnlich Brosius, (wie Anm. 2), S. 102. Tessin, Staatsarchivdirektor, (wie Anm. 3), S. 4: „In der kurzen Spanne bis zum Kriegsausbruch widmete er sich […]“. Ulrich, (wie Anm. 3), S. 415: „Im Zweiten Weltkrieg war er in der Luftbildaufklärung eingesetzt, […]“; ähnlich Brosius, (wie Anm. 3), S. 180. Koeppen, (wie Anm. 3), S. 677: „Teilnahme am Zweiten Weltkrieg“; ähnlich Böhmer, (wie Anm. 3), S. 153 und Madaus, (wie Anm. 2), S. 14. Hamann, (wie Anm. 3), S. 717: „Ende August 1939 erreichte ihn der Gestellungsbefehl zur Luftwaffe. Als er Ende Januar 1946 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen wurde, […]“; ähnlich Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XI. 41 Branig, (wie Anm. 2), S. 126. 42 StA Bückeburg, fol. 2: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6), Zitate; a.a.O., fol. 102: Übersicht über den Werdegang des Staatsarchivrats Dr. Franz Engel vom 03.08.1958; HStAHan, unfol.: Fragebogen Military Government, (wie Anm. 5). A.a.O. auch seine militärischen Auszeichnungen: Ostmedaille (1942), Rumänische Ostmedaille (1942), Krimschild (1942), Kriegsverdienstkreuz Zweiter Klasse (Ende 1943) bzw. Erster Klasse (Anfang 1945). Siehe zu den Formationen http:// www.lexikon-der-wehrmacht.de/ Gliederungen/ Luftflotten/Luftflotte2.htm und http://www. lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/Fliegerfuhrer/Fliegerfuhrer Sued.htm. 43 [Franz] Engel, So sieht es in Sewastopol aus, in: NB, Nr. 207 vom 04.09.1942, S. 3; StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 153: Veröffentlichungen von Franz Engel im Zeitraum 1934–1960.

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Höhlen und Bunkern“ bis zu „4 600 Menschen, außer Soldaten meist geflüchtete Frauen und Kinder und Verwundete, in die Luft gesprengt hatten.“ Darüber hinaus redete er bei dieser blutigen, zerstörerischen und zahllose Opfer fordernden Schlacht „unbedingte[m] Vertrauen zu unserer Führung und unseren Truppen“ das Wort und sprach von einem „Schritt“, der „nun also geschafft“ ist, so daß es „jetzt an die nächste Aufgabe [geht]. […] Natürlich waren wir irgendwie nötig dabei, aber jeder einzelne tut doch nur seine Pflicht und ist nur ein kleines unwesentliches Rädchen, das bei Ausfall sofort durch ein anderes ersetzt wird. Nur ganz wenige haben Gelegenheit, maßgebend in das Geschehen einzugreifen. Und warum soll man besonders stolz darauf sein, wenn man nichts als seine Pflicht tut?“44 Dieses fast devote Verschanzen hinter der Pflicht, einer in Briefen von der Front durchaus ambivalent gebrauchten Begrifflichkeit,45 findet sich auch drei Jahre später in einem Brief aus Italien an die liebe[n] Arbeitskameraden im Geheimen und Hauptarchiv: Ich kann mir gut vorstellen, daß auch Sie in der Heimat viel Arbeit und mancherlei Mühen zu bewältigen haben. Es wird genau wie hier draußen oft genug Verdrießlichkeiten und mancherlei kleine Anlässe zur Unzufriedenheit geben. Wir alle haben ja den Krieg und seine Folgen herzlich satt. Aber erinnern wir uns immer daran, daß ihm keiner entrinnen kann und je strammer wir ihn durchstehen, desto eher und desto besser geht er zu Ende. […] Heil Hitler.46 Sowohl die Pflichtbetonung als auch die Verwendung des Hitlergrußes erscheinen in erster Linie als zeitverhaftete Reflexe, erstere zudem als ‘preußische Tugend’ in einer längeren Traditionslinie, denen keine zu große Bedeutung beizumessen ist.47 Objektiv betrachtet 44 Engel, Sewastopol, S. 3. Im Unterschied zu dieser Darstellung findet sich auch die Information, die Deutschen hätten Anfang Juni den Zugang zum sowjetischen Höhlensystem gefunden, Benzin hineingeleitet und angezündet [http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Sewastopols]. Belegt ist massiver deutscher Flammenwerfereinsatz im Kampf um Sewastopol ebenso wie die Sprengung der Höhlen und Bunker durch darin befindliche sowjetische Truppen, letzteres allerdings mit unterschiedlichen Angaben. Alex Buchner, Sewastopol. Der Angriff auf die stärkste Festung der Welt 1942, Friedberg 1978, S. 148 datiert das Geschehen auf ca. 23./24.06.1942 und lokalisiert es an den Steilhängen der Sewernaja-Bucht. Gerhard Taube, Festung Sewastopol, Bonn 1995, S. 35 datiert es auf den 28.06.und lokalisiert es auf dem Inkerman-Fels zwischen Gajtani und Inkerman. Beide Ortschaften liegen östlich der Sewernaja-Bucht. Paul Carell, Unternehmen Barbarossa. Der Marsch nach Russland, Frankfurt am Main / Berlin 91998, S. 419 datiert sie nach dem 27.06.und lokalisiert sie „am Steilufer der Nordbucht“, d.h. der Sewernaja-Bucht. Allerdings heißt es hier, deutsche Pioniere bereiteten die Sprengung schon vor, aber der kommandierende sowjetische Kommissar sei ihnen zuvorgekommen. A.a.O., S. 417 ist auch die Rede davon, daß sich die Zentrale des Forts Maxim Gorki am 17.06. selbst in die Luft sprengte. Bei dessen Erstürmung kam nach Taube, S. 34 auch brennendes Öl zum Einsatz. 45 Klaus Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis – Kriegserfahrungen 1939–1945, Paderborn u.a. 1998, S. 318–320. 46 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 60: Franz Engel, o. O. [Italien], am 25.07.1944 an GHA. 47 Dieser Absatz ist in erster Linie dem Umstand geschuldet, daß der Abschnitt „Unterbrechung der beruflichen Entwicklung – die Jahre 1939 bis 1945“ des Tagungsreferates am 14.05.2011 mit

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verkörperte aber diese Schlußformel keinesfalls eine Notwendigkeit, auch kein eventuell mit der Postzensur zu rechtfertigendes Erfordernis. Die Aufgabe der Zensurbehörden bestand in erster Linie in der Sicherung der militärischen Geheimhaltung bzw. der Verhinderung von Spionage und (Wehrkraft-)Zersetzung. Daher kontrollierten sie den Feldpostverkehr auf die Einhaltung bestimmter Mitteilungsverbote, denen die Sprengung der Höhlensysteme durchaus unterlegen haben könnte, bzw. nicht auf etwaige politisch-ideologisch korrekte Formalien. Folglich kamen, trotz einer denkbaren Selbstbeschränkung oder einer „inneren Zensur“ aufgrund möglicherweise propagandistisch überhöhter Imagination der Institution der „äußeren Zensur“, ungezählte Frontbriefe sowohl privater als auch dienstlicher Natur ohne den sogenannten Deutschen Gruß aus, zumal den Schreibern die angesichts des gewaltigen Feldpostaufkommens lediglich stichprobenartig mögliche Kontrolle durchaus bewußt gewesen sein konnte.48 Der relativ stramme Nationalsozialist Carl August Endler etwa, nach dessen Wechsel vom Geheimen und Hauptarchiv in die Leitung der Landesbibliothek für Franz Engel eine Stelle in Schwerin frei wurde, schrieb Anfang 1940 von der Front an den lieben Neese – gemeint war der die Bibliotheksgeschäfte führende Oberregierungsrat Dr. Wilhelm Neese – wegen einer nicht ganz eindeutigen Rechnungsangelegenheit in Sachen Bibliotheksausstattung und zeichnete als Dein CAE ndler, seine 1943 an das Ministerium gerichtete Information über seine Beförderung zum Oberstleutnant allerdings mit dem Führergruß.49 Auch mußte Franz Engel seine zivile Dienststelle dem obigen Zitat endete und dessen bloße Verwendung in der anschließenden Diskussion teilweise heftig angegriffen wurde. Das dabei vorgebrachte Argument, der Hitlergruß mußte in Briefen von der Front gebraucht werden, entspricht aber nicht der Realität, wie nachfolgend deutlich gemacht wird. Der in der Diskussion vorgebrachte Hauptvorwurf lautete im Grunde jedoch, eine gekünstelte Überhöhung von Marginalien ziele offenbar auf eine Art Enthüllungs- und Abrechnungshistoriografie. Derartiges war und ist meinen Intentionen vollkommen fern, während umgekehrt womöglich die Auseinandersetzung mit anderen, nur schwerlich wegzudiskutierenden NS -Einlassungen Franz Engels vermieden werden sollte. Siehe dazu unten, v.a. den Abschnitt „Historische Bauernforschung im Dienst des Nationalsozialismus“ bzw. pointiert Anm. 131. 48 Das andere Gesicht des Krieges. Deutsche Feldpostbriefe 1939–1945, hg. v. Ortwin Buchbender; Reinhold Sterz, München 1982, S. 24 beispielsweise konstatieren nach der Auswertung von mehr als 50 000 Feldpostsendungen, daß ein Großteil der Schreiber die Zensurbestimmungen wenigstens teilweise ignorierte und mit seinen Ansichten und Meinungen sehr offen umging. Siehe auch Latzel, (wie Anm. 45), S. 25–31; Martin Humburg, Das Gesicht des Krieges. Feldpostbriefe von Wehrmachtssoldaten aus der Sowjetunion 1941–1944, Opladen 1998, S. 17–18 und 95–117; Katrin Kilian, Das Medium Feldpost als Gegenstand interdisziplinärer Forschung. Archivlage, Forschungsstand und Aufbereitung der Quelle aus dem Zweiten Weltkrieg, Phil. Diss. Berlin 2001, S. 21, 99–102 sowie Dies., Die Briefzensur 1939 bis 1945 [http://www.feldpost-archiv.de/11-zensur.shtml]. 49 LHAS , 5.12-7/1, (wie Anm. 4), Nr. 5965: PA Carl August Endler, quadr. 171: Carl August Endler, O.U. am 22.01.1940 an Landesbibliothek; a.a.O., quadr. 21: Carl August Endler am 26.06.1943 an StM/AU. Erwähnt sei hier der noch unbearbeitete Bestand LHAS, 10.9-V/2 Nachlaß Friedrich Vick. Er erhält einige hundert Schreiben aus den Jahren 1942–1944, die

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nicht im nationalsozialistischen Sinne hofieren, weil von derselben nichts zu befürchten war – die Parteigenossen unter den Schweriner Archivarskollegen befanden sich ebenfalls im Fronteinsatz und der Dienststellenleiter Werner Strecker war kein NSDAP -Mitglied. Er zeichnete, soweit ersichtlich, seine dienstlichen Schreiben im Übrigen nie mit dem Hitlergruß. Denselben gebrauchten zwar die mecklenburgischen Parteidienststellen bzw. er fand im ministeriellen Briefwechsel mit ihnen Verwendung,50 aber sowohl Reichs- als auch mecklenburgische und preußische Landesbehörden verzichteten darauf im innerdienstlichen Schriftverkehr. Diesem Regelfall tut es keinen Abbruch, daß Franz Engel selbst sein erstes Schreiben an seinen Stettiner Vorgesetzten mit deutschem Gruß und zwei weitere mit Heil Hitler! beendete bzw. letzteres gelegentlich auch Adolf Diestelkamp für die umgekehrte Richtung verwendete,51 da der situative Kontext kein gewöhnlicher (mehr) war. Wie hingegen die entsprechende Schlußformel von Hans Branig in seiner Eigenschaft als Vertreter des Staatsarchivdirektors einzuordnen ist,52 kann hier nicht zuletzt mangels kritischer Masse kein Betrachtungsgegenstand sein.

etwa 60 Absender aus der militärischen Ausbildung und von der Front an ihren ehemaligen Klassenlehrer schickten. Den Hitlergruß verwendeten fünf der Absender (Hans-Joachim Hein, Hans Lierk, Walter Knochenhauer, Alfred Koch und Gerd Köhler) in etwa zwei Dutzend Schreiben! In der wesentlich umfangreicheren Feldpost der Mitarbeiter der Mecklenburgischen Depositen- und Wechselbank bzw. ihrer Nachfolgerin, der Mecklenburger Bank, an Betriebsleitung, Personalabteilung und Kollegen sind die Anteile deutlich höher, ohne auch nur annähernd so etwas wie ‘Vollständigkeit’ zu erreichen. Bei kursorischer Durchsicht der Konvolute entsteht der Eindruck einer sich mit zunehmender Dauer des Krieges reduzierenden Verwendung des Hitlergrußes. Siehe LHAS, 10.23-2 Mecklenburgische Depositen- und Wechselbank, Nr. 16–21 und a.a.O., 10.23-3 Mecklenburger Bank, Nr. 412–414 und 417. 50 Siehe als entsprechendes Beispiel LHAS, 5.12-7/1, (wie Anm. 4), Nr. 5855a: Geschäftsbetrieb im Archiv (1937–1950), quadr. 151: StM/Hauptverwaltung am 13.03.1945 an NSDAP-Kreisleitung Schwerin-Stadt, gez. Lobedanz. 51 APS, (wie Anm. 8), fol. 11 / fol. 79 / fol. 129: Franz Engel am 22.10.1936 / 01.10.1938 / 07.01.1939 an StADir Stettin; a.a.O., fol. 81 / fol. 104 / fol. 176: StADir Stettin am 08.07./ 20.08.1938 / 25.01.1939 an Franz Engel. 52 A.a.O., fol. 35: Hans Branig i.V. StADir Stettin am 22.06.1937 an Franz Engel; a.a.O., fol. 91: Hans Branig i.V. StADir Stettin am 23.06.1938 an Adolf Diestelkamp.

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3. Der Werdegang nach 1945 Der berufliche Neuanfang im Staatsarchiv Hannover „Seine Teilnahme am Zweiten Weltkrieg und die Wirren der Nachkriegszeit“53 bzw. „die veränderten Verhältnisse nach Kriegsende erzwangen den Verzicht auf Rückkehr in die Heimat,“54 so daß Franz Engel nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft „den Wiedereinstieg in den Beruf nicht in Mecklenburg, sondern in Niedersachsen [suchte]“55 und „in Hannover […] von neuem anfangen [mußte].“56 Ob er sein ‘Vaterland’ je wiedersah, ist ungewiß.57 Die Hintergründe dieser in der biographischen Literatur suggerierten Zwangslage bleiben allerdings im Dunkeln. Franz Engels Ehefrau Louise, geb. Kühne (*1910), die er am 15. Juni 1937 geheiratet hatte, lebte mit den beiden kleinen, 1938 und 1941 geborenen Söhnen noch bis August 1949 im sowjetisch besetzten Schwerin.58 Auch wähnte sich Franz Engel selbst nicht aus dem mecklenburgischen Archivdienst entlassen,59 und sogar seinem bisherigen Dienstherrn galt, daß er lediglich den Dienst am Meckl. Geheimen und Hauptarchiv nicht wieder aufgenommen hat.60 Sein Schweriner Vorgesetzter Werner ­Strecker, von 1934 bis 1953 Leiter des Geheimen und Hauptarchivs,61 attestierte Franz Engel noch 1949 sowohl eine sachgemäße und fleißige Arbeitsweise als auch, daß darüber, 53 Koeppen, (wie Anm. 3), S. 677. 54 Brosius, (wie Anm. 3), S. 180. 55 Brosius, (wie Anm. 2), S. 103. 56 Hamann, (wie Anm. 3), S. 718. 57 Am 22.11.1956 beantragte Franz Engel Sonderurlaub für eine Vortragsreise in die sowjetische Besatzungszone. StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 84. Über Hintergründe, Genehmigung und Durchführung ist weiter nichts bekannt. 58 Haase, (wie Anm. 2), Sp. 483; Brosius, (wie Anm. 2), S. 102; APS , (wie Anm. 8), fol. 20: Verlobungsanzeige vom Dezember 1936; a.a.O., fol. 26: Franz Engel o. D. an GenDirStA und an StADir Stettin [Heiratsabsicht zum (!) 10.06.1937]; a.a.O., fol. 34: Anzeige der Vermählung vom 15.06.1937; dass. LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 20; LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 13 / quadr. 53: Anzeigen der Geburten des ersten / zweiten Sohnes des Ehepaars Engel, Stettin / Schwerin; dass. für den älteren Sohn APS, (wie Anm. 8), fol. 62 sowie dessen Geburtsdatum auch a.a.O., fol. 89: Beihilfeantrag vom 15.07.1938; Geburtstage und Namen von Ehefrau und Söhnen auch StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 33 und 52. Die Ehe auch erwähnt bei Branig, (wie Anm. 2), S. 125, eine temporäre Trennung von der Familie auch bei Hamann, (wie Anm. 3), S. 717. 59 StA Bückeburg, fol. 20: Anlage Dienstzeit, (wie Anm. 10). 60 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 113a, (wie Anm. 14), ad quadr. 202: GHA am 12.05.1948 an Ministerium des Innern, Hauptabteilung Personal, fol. 538. 61 Aus dem Mitarbeiterkreis, in: Archivmitteilungen 2/1953, S. 39–40; H[ugo] Cordshagen, Nachruf Werner Strecker †, in: Archivmitteilungen 11/1961, S. 202–203; Christa Cordshagen, Nachruf Werner Strecker †, in: Der Archivar 15/1962, Sp. 307–313; Peter Joachim Rakow, Staatsarchivdirektor Dr. Werner Strecker († 1961) in memoriam, in: MJB 126/2011, S. 382–386.

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daß er imstande ist, eine wissenschaftliche Archivstelle voll auszufüllen, kein Zweifel herrschen kann.62 Womöglich kehrte Franz Engel jedoch nicht nach Schwerin zurück, weil ihm die Nachkriegsschicksale seiner politischen und wissenschaftlichen Weggefährten – dem im August 1945 aus dem Archivdienst entlassenen und kurz darauf im NKWD -Sonderlager Neubrandenburg-Fünfeichen bis 1948 internierten Georg Tessin, und dem im September 1945 ebenfalls entlassenen und in den letzten beiden Monaten des Jahres als Totengräber tätigen Paul Steinmann63 – nicht unbekannt geblieben waren. Während ein Zusammenhang zwischen Neuanfang und militärischem Kriegseinsatz spekulativ bleiben muß, wies Franz Engels Vita hinsichtlich NSDAP -Mitgliedschaft und wissenschaftlichem Œuvre durchaus gewisse Parallelen zu seinen vormaligen Schweriner Archivarskollegen auf. D ­ arauf wird zu einem späteren Zeitpunkt noch einzugehen sein. Anfang Februar 1946 jedenfalls begann Franz Engel als – zum Teil mit anspruchsvollen Aufgaben betrauter – Hilfsarbeiter beim Staatsarchiv Hannover.64 Im späten Frühjahr 1949 wurde er als Angestellter übernommen, aber ein reichliches Jahr darauf beurlaubt zwecks Übertragung besser bezahlter Verzeichnungsarbeiten in der dortigen Kartenabteilung.65 Ein weiteres Jahr danach kehrte er in das finanziell mittlerweile aufgewertete Angestelltenverhältnis zurück.66 Nach erfolglosen Bewerbungen um Anstellung beim Lippeschen Landesarchiv Anfang 194967 und um die Leitung des Stadtarchivs Hannover im Sommer 195168 muß es für Franz Engel schockierend gewesen sein, Ende September 1951 zum 31. März 1952 gekündigt zu werden – der Landesrechnungshof monierte das Nichtvorhandensein 62 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 621: GHA am 28.02.1949 an Lippisches Landesarchiv. 63 Manke, Georg Tessin, (wie Anm. 5), S. 305; Peter Starsy, Paul Steinmann (1888–1973). Biographische Anmerkungen aus Anlaß seines 25. Todestages, in: Carolinum. Historisch-literarische Zeitschrift 62, 120/1998, S. 19–29, hier S. 24. 64 StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 54: Berechnung Dienstzeit, (wie Anm. 10) und a.a.O., fol. 102: Übersicht Werdegang, (wie Anm. 42) [3. Februar 1951]; a.a.O., fol. 20: Anlage Dienstzeit, (wie Anm. 10) [06.02.1951]. Im Auftrag der Stadtverwaltung Hannover ordnete und verzeichnete Franz Engel von Februar bis Juni 1948 die hochwassergeschädigten Altregistraturen der Städte Hannover und Linden, die dann in das Stadtarchiv Hannover überführt wurden. Daran schloß sich bis August die Aussonderung und Verzeichnung der Hauptrechnungsbücher der Stadt Hannover an. A.a.O., fol. 2–3: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). 65 A.a.O., fol. 11: Übernahmemitteilung vom 29.04.1949; a.a.O., fol. 15: Beurlaubungs- und Versetzungsmitteilung vom 01.06.1950. 66 A.a.O., fol. 23: Rückversetzungsmitteilung vom 05.06.1951. 67 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 62: Lippesches Landesarchiv am 19.02.1949 an StA Schwerin und a.a.O., quadr. 621, (wie Anm. 62). Im genannten Jahr dürfte in Detmold nur eine freie Stelle des gehobenen Archivdienstes zu besetzen gewesen sein, eingestellt wurde ein Archivinspektorenanwärter. Über die Bewerbung von Franz Engel sind keine Unterlagen vorhanden. Freundliche Mitteilung von Ralf Schumacher. 68 StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 24. Leiter des Stadtarchivs Hannover wurde 1951 Dr. Herbert Mundhenke, der 1939 als Historiker in Göttingen promoviert und 1949/50 die Archivschule in Marburg absolviert hatte. Freundliche Mitteilung von Christian Heppner.

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seiner und einer weiteren Angestelltenstelle im Haushaltsplan 1951 sowie eine nicht absehbare Stellenbewilligung für 1952.69

Die berufliche Etablierung im niedersächsischen Staatsarchivdienst Allerdings erhielt die Angelegenheit eine glückliche Wendung, indem der Arbeitsvertrag noch im Januar 1952 geändert wurde und ab April sogar die unbefristete Einstellung als Referent des Staatsarchivs im Angestelltenverhältnis stattfand.70 Schließlich erfolgte zum 1. Juni 1954 die Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit als Staatsarchivrat.71 Diese späte Verbeamtung Franz Engels im Vergleich zu anderen Kollegen, die wie Adolf Diestelkamp oder Erich Randt vor 1945 in Archiven östlich von Elbe und Oder tätig waren bzw. erst nach dem Krieg 1945 in den hannoverschen Staatsarchivdienst wechselten,72 war womöglich eher der vorbeschriebenen Stellensituation als einer bedenklichen nationalsozialistischen Belastung oder gar einer späten Retourkutsche Adolf Diestelkamps geschuldet. Als Krönung der beruflichen Laufbahn erfolgte im Januar 1961 die mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Leiters verbundene Versetzung Franz Engels an das neue Staatsarchiv Bückeburg bzw. wenig später die Beförderung zum Staatsarchivdirektor und Leiter des Staatsarchivs Bückeburg.73 Dieser letzte Karriereschritt verkörperte eine gleichsam logische Konsequenz der archivfachlichen Tätigkeiten, die Franz Engel in den vorangegangenen Jahren geleistet hatte. Denn die Kernbestände des neuen Staatsarchivs bildete das vormalige Schaumburg-Lippesche Landesarchiv, das in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre in das Staatsarchiv Hannover überführt und seit den 1950er Jahren von Franz Engel bearbeitet worden war.74

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StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 35–36: Kündigungsschreiben vom 22.09.1951. A.a.O., fol. 32: Änderungsmitteilung vom 29.01.1952. A.a.O., fol. 39: Einstellungsmitteilung vom 03.04.1952. A.a.O., fol. 62: Mitteilung der Lebenszeitverbeamtung vom 12.06.1954. Freundlicher Hinweis von Christian Hofmann. StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 135 / fol. 139: Versetzungsmitteilung vom 16.01.1961. A.a.O., fol. 160: Ernennungsmitteilung vom 26.06.1961. A.a.O., fol. 3: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6); Ulrich, (wie Anm. 3), S. 415–416; Haase, (wie Anm. 3), Sp. 484; Brosius, (wie Anm. 3), S. 180. Siehe auch Branig, (wie Anm. 2), S. 126; Hamann, (wie Anm. 3), S. 118, Schmidt, Vorsitzender, (wie Anm. 3), S. 32; Madaus, (wie Anm. 2), S. 14; Brosius, (wie Anm. 2), S. 102; Franz Engel, Die Errichtung des Niedersächsischen Staatsarchivs in Bückeburg, in: Der Archivar 17/1964, Sp. 269–276, hier Sp. 273 datiert die Zusammenführung des schaumburgischen Samtarchivs in Hannover auf „nach 1946“, Brosius, (wie Anm. 2), S. 102 auf 1947 und Übersicht über die Bestände des Niedersächsischen Staatsarchivs in Bückeburg, bearb. v. Hubert Höing (Veröffentlichungen der Niedersächsischen Archivverwaltung, 57), Göttingen 2004, S. 10 Anm. 6 auf 1949/50.

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Sein Weg verlief, anders als der in der biographischen Literatur bisweilen suggerierte stetige und steile Aufstieg im niedersächsischen Archivdienst,75 alles andere als geradlinig und führte zwischenzeitlich im wahrsten Sinne des Wortes sogar einmal abwärts: Am 5. März 1956 brachen beim Betreten der Plankammer im dritten Magazingeschoß schadhafte guß- oder schmiedeeiserne Roste unter Franz Engel weg und er stürzte in die darunter liegende Galerie, deren Roste an der Aufschlagstelle ebenfalls durchbrach, so daß er fast weiter in das Erdgeschoß gestürzt wäre, hätte er sich nicht noch geistesgegenwärtig an der unteren Roste festklammern können.76 Er kam mit Prellungen davon, so daß er sich weiterhin mit Archivalienrestaurierung und -massenverfilmung beschäftigen konnte. Die dabei erworbenen Kenntnisse kamen ihm in Bückeburg zugute, wo er die zentrale Sicherungsverfilmungsstelle der niedersächsischen Staatsarchive aufbaute.77 Daraus resultierte, gleichermaßen Anerkennung der entsprechenden Verdienste wie ehrenvolle Aufgabe für den ausgewiesenen Fachmann, 1966 ein Auftrag der italienischen Regierung zur Begutachtung der flutgeschädigten Florentiner Archive und Bibliotheken. Nach der Rückkehr machte sich, nachdem Franz Engel sich bereits im Vorjahr einer Nierenoperation hatte unterziehen müssen, wegen eines Krebsleidens eine Bestrahlungstherapie erforderlich, die das Ausgreifen des Krebses auf die Lungen jedoch nicht verhindern konnte. Am 11. September 1967 verstarb Franz Engel in einer hannoverschen Klinik.78

75 Beispielsweise Tessin, Staatsarchivdirektor, (wie Anm. 3), S. 4: „Nach dem Kriege kam er zum Staatsarchiv in Hannover und wurde zum 01.04.1961 Staatsarchivdirektor in Bückeburg“; Hamann, (wie Anm. 3), S. 718: „Man übertrug ihm, neben anderem, den Aufbau eines Staatsarchivs in Bückeburg“; Branig, (wie Anm. 2), S. 126: „Nach Kriegsende fand er eine neue Wirkungsstätte als Archivrat bei dem Staatsarchiv in Hannover.“ – Die beruflichen Mißlichkeiten hingegen berücksichtigend Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483; Brosius, (wie Anm. 3), S. 180; Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XI–XII; Leesch, (wie Anm. 3), S. 140; Brosius, (wie Anm. 2), S. 102. 76 StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 74–75: Unfallmeldung vom 05.03.1956 und Zeugenaussage von Georg Schnath. 77 Ulrich, (wie Anm. 3), S. 416; Haase, (wie Anm. 3), Sp. 484; Brosius, (wie Anm. 3), S. 180. Siehe auch Branig, (wie Anm. 2), S. 127; Schmidt, Vorsitzender, (wie Anm. 3), S. 32; Brosius, (wie Anm. 2), S. 102. 78 Ulrich, (wie Anm. 3), S. 417; Haase, (wie Anm. 3), Sp. 481; Hamann, (wie Anm. 3), S. 718; Böhmer, (wie Anm. 3), S. 154; Madaus, (wie Anm. 2), S. 14; Brosius, (wie Anm. 2), S. 104.

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4. Historiker im Nationalsozialismus Fremd- und Selbstwahrnehmung Die Biografen zeichneten ein Bild von Franz Engel, auf dem die NSDAP -Mitgliedschaft keines Federstrichs wert war und auf dem, von zwei Ausnahmen abgesehen,79 selbst nuancierende Schattierungen nicht vorkamen. Ebenso wenig unterschieden sich Fremd- und Selbstdarstellung des wissenschaftlichen Ansatzes des Historikers, wobei diesbezüglich zwischen Vor- und Nachkriegswerk zu trennen ist. Die Biografen hoben überwiegend auf die thematischen und regionalen Schwerpunkte der historischen Arbeiten Franz Engels ab – mecklenburgische, pommersche und schaumburg-lippische Kolonisations- bzw. Siedlungsgeschichte in Verbindung von Archäologie, Geographie und Geschichte, auf archäologischen Methoden basierende Volkskunde, historische Geographie und Kartographie – und gelegentlich auf seine editorischen Tätigkeiten, kaum jedoch auf geistig-ideologische Ansätze bzw. Inhalte.80 Wenn, dann sei sein Programm lediglich „in gewisser Weise vom Zeitgeist mitbestimmt“ gewesen, da er „wie viele seiner Generation von den Ideen, die damals den Tag beherrschten, erfüllt war.“ Seine Mitwirkung an der sogenannten Historischen Bauernforschung, auf die noch zurückzukommen sein wird, „entsprang […] einer im Grunde unpolitischen Begeisterung für den Gegenstand seiner Forschungen.“81 Diesbezüglich scheint es dann mindestens merkwürdig, daß der Verfasser dieser Einschätzung im Wiederabdruck eines von Franz Engel im Jahre 1936 publizierten Aufsatzes die Einleitung mit Formulierungen Franz Engels aus dem Jahr 1956 ersetzte.82 Darüber hinaus sei die Frage erlaubt, ob es einen Ausdruck unpolitischer Begeisterung darstellt, 1936 „von der Pflicht gerade unserer Zeit“ zu sprechen, „der Großtat der deutschen Landnahme im Mittelalter endlich den Platz zuzuweisen, der ihr in der Geschichte unseres Bauernstandes gebührt“?83 Näher an der Realität dürfte es

79 Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483; Brosius, (wie Anm. 2), S. 102. 80 Siehe dazu die in Anm. 2 und 3 genannte Literatur. 81 Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XVI–XVII. Siehe auch die bekräftigende Wiederholung bei Ders., Zum Gedenken an Georg Tessin (1899–1985), in: MJB 106/1987, S. 159–167, hier S. 161. 82 Franz Engel, Archäologische Methoden in der mittelalterlichen Siedlungsforschung. Neue Wege zur Erforschung der Ostkolonisation, in: Schmidt, Beiträge, (wie Anm. 2), S. 1–10, hier S. 10. Der Erstabdruck, auf den bei nachfolgender Verwendung zurückgegriffen wird, erfolgte in MJB 100/1936, S. 249–260. Die Ersatzformulierung entnahm der Herausgeber nach eigener Angabe bei Franz Engel, Niedersachsen – Mecklenburg – Pommern. Über die Einheit des norddeutschen Raumes seit der mittelalterlichen Ostkolonisation (Schriftenreihe der Landeszentrale für Heimatdienst in Niedersachsen, B/3), Hannover 1956, [S. 7], erneut abgedruckt in Ders. / Hans Goetting / Erwin Nadolny, Niedersachsen und der deutsche Osten, Göttingen 1961, S. 7–69. 83 Engel, Archäologische Methoden, (wie Anm. 82), S. 259 (Hervorhebung – d. Verf.].

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daher zunächst sein, Franz Engels Forschungen der dreißiger Jahre als „nicht ideologiefrei“ zu charakterisieren.84 Franz Engel selbst stellte sein Wirken als Historiker in den Kontext der unpolitischen Lesart. 1952, im Vorfeld seiner niedersächsischen Verbeamtung charakterisierte er [s]eine vor- und frühgeschichtlichen Forschungen [als] sich im besonderen auf das Mittelalter [erstreckend] und hatten das Ziel, bei einem Versiegen der historischen Überlieferung für die älteste Geschichte unserer Städte und Dörfer archäologische Methoden nutzbar zu machen und dadurch die Lücke zwischen Geschichte und Vorgeschichte zu schließen.85 Fünf Jahre zuvor hatte er gegenüber dem Entnazifizierungsausschuß Hannover sogar noch angegeben, meine wissenschaftlichen Forschungen und deren Veröffentlichungen über die Slawen in Ostdeutschland waren durch offizielle Richtlinien vielfach behindert und standen in scharfen [sic!] Gegensatz zu der von Parteidienststellen versuchten Unterdrückung der historischen Wahrheit. Wohl zur Bekräftigung folgte der Hinweis auf die Mitgliedschaft seines Vaters in einer Freimau­ rerloge, in die er selbst bereits als Gast eingeführt gewesen sei und der er lediglich wegen des allgemeinen Logenverbotes nicht mehr beitreten konnte86 – Vergleichbares hatte er 1938 bei Unterzeichnung der Erklärung über Nichtmitgliedschaft in einer Loge natürlich nicht geltend gemacht.87 Insofern begann sich Franz Engel nach dem Zweiten Weltkrieg als scheinbar typischer „Märzgefallener“ bzw. typisches „Maiveilchen“88 vom – vielleicht – idealistischen Opportunisten zum genötigten Parteigenossen und Opfer zu stilisieren. In der Befragung durch 84 Nösler, (wie Anm. 2), S. 79. 85 StA Bückeburg, fol. 4: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). 86 HStAHan, (wie Anm. 5), unfol.: Anlage 2 zum Protokoll über die Sitzung des EntnazifizierungsKomitees IV am 19.09.1947 (Zitat). Die Freimaurer wurden 1933/34 in zwei Wellen verboten. Allgemein siehe dazu Helmut Neuberger, Winkelmaß und Hakenkreuz, Die Freimaurer und das Dritte Reich, München 2001. Obige Aussage über den Vater läßt sich nicht überprüfen, da die Geschichte der mecklenburgischen Freimaurerei allenfalls oberflächlich erforscht ist. Siehe Karl-Heinz Lock, Zwischen Winkel und Zirkel. Beiträge zur Geschichte der Freimaurerei in Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 1995; Festschrift 200. Stiftungsfest 1800–2000 St. Johannisloge „Tempel der Wahrheit“ in Rostock, hg. v. Siegfried Mielke, Rostock 2000; Festschrift zum 200. Stiftungsfest der Johannisloge Harpokrates zur Morgenröthe zu Schwerin, Schwerin 2009. 87 LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 23: Erklärung vom 18.04.1938. 88 Nach der „Machtergreifung“ sah sich die NSDAP von Mitgliedsanträgen überrollt und verhängte vom 01.05.1933 einen bis 1937 währenden Aufnahmestopp. Siehe Jürgen W. Falter, Die „Märzgefallenen“ von 1933. Neue Forschungsergebnisse zum sozialen Wandel innerhalb der NSDAP -Mitgliedschaft während der Machtergreifungsphase, in: Geschichte und Gesellschaft 24/1998, S. 595–616 nach Martin Broszat, Der Staat Hitlers, Grundlegung und Entwicklung seiner Verfassung, München 1969, S. 525; auch Michael Ruck, Administrative Eliten in Demokratie und Diktatur. Beamtenkarrieren in Baden und Württemberg von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit, in: Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg 1930–1952, hg. v. Cornelia Rauh-Kühne; Michael Ruck (Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland, 1), München 1993, S. 37–69, hier S. 57; Christoph

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den Entnazifizierungsausschuß Hannover am 17. Juni 1947, in der er immerhin den Beginn seiner Parteimitgliedschaft wahrheitsgemäß angab, erklärte er NSDAP - und SA -Eintritt als Student […], teils einem gewissen Druck folgend, teils aber auch, weil ich der Ueberzeugung war, daß die NSDAP die sozialpolitischen Verhältnisse bessern würde. Etwa im Jahre 1934 begann ich einzusehen, daß ich mich geirrt hatte. An größeren Aufmärschen, Parteitagen u. dergl. habe ich mich nicht beteiligt, auch nicht an dem Judenprogrom [sic!] 1938. Als wir im Archiv hörten, daß die Synagoge in Stettin brenne, wurden wir vom Archiv aus dienstlich beauftragt, die Archivalien der Synagoge sicher zu stellen. Die Archivalien wurden uns von dem Synagogen-Vorsteher ausgehändigt, der sich auch einige Wochen später persönlich davon überzeugte, daß sie im Archiv gut untergebracht waren. In den letzten Jahren vor dem Kriege habe ich mich am Partei- u. SA Dienst fast gar nicht beteiligt und mehrfach Auseinandersetzungen mit SA Männern gehabt. […]89 Diese mündlich getätigten Einlassungen gegenüber dem Entnazifizierungsausschuß enthalten einige Ungereimtheiten, z.B. hinsichtlich des Judenpogroms. Am 9. November 1938 erhielt der Vorsitzende der Stettiner Synagogen-Gemeinde, Rechtsanwalt Arthur Abrahamson, nachts um 3.00 Uhr – d.h., es war bereits der 10. November – einen anonymen Anruf, daß die Synagoge brenne. Einige Thora-Rollen konnten von Gemeindeangestellten aus dem brennenden Gebäude gerettet und in die Hamburger Dammtor-Synagoge gebracht werden, wo sie aber 1942 einem Bombenangriff zum Opfer fielen. Der Stettiner Gemeindevorstand wurde wie nahezu alle männlichen Gemeindemitglieder noch am 10. November 1938 in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo sie zwischen 14 Tagen und mehreren Wochen – die letzten bis Februar 1939 – zubrachten. Während bei einem gut informierten Zeitzeugen von einer irgendwie gearteten Rettung von Archivalien bzw. anderem Gemeindeschriftgut keine Rede ist90 und Adolf Diestelkamp im Jahresbericht des StaatsarWagner, Entwicklung, Herrschaft und Untergang der nationalsozialistischen Bewegung in Passau 1920 bis 1945 (Geschichtswissenschaft, 9), Berlin 2007, S. 145–146. 89 HStAHan, unfol.: Vermerk Entnazifizierungsausschuß, (wie Anm. 8). Siehe aber zur NSDAPMitgliedschaft in Gegenüberstellung zu den Angaben in Anm. 8 auch a.a.O., unfol.: Fragebogen Military Government, (wie Anm. 5) [Mitglied der NSDAP und der SA seit J u n i 1933]; a.a.O., unfol.: Stellungnahme des Deutschen Entnazifizierungsausschusses des Regierungsbezirks Hannover vom 22.10.1947 [Herr Dr. Engel war Mitglied der NSDAP ab 1933 ohne Amt, der SA ab Juni 1933 – Rottenführer ab 1934]; StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 36: Einreihungsbescheid (Kategorien II und IV) der Militärregierung Deutschland (Britisches Kontrollgebiet) vom 23.12.1947 [NSDAP 1933–1945, SA-Rottenführer 1933–1945]. 90 Jacob Peiser, Die Geschichte der Synagogen-Gemeinde zu Stettin. Eine Studie zur Geschichte des pommerschen Judentums, 2. bearb. u. erw. Auflage (Ostdeutsche Beiträge aus dem Göttinger Arbeitskreis, 37), Würzburg 1965, S. 127–129 und 137. A.a.O., S. 158 werden im Quellenverzeichnis „Akten der Synagogen-Gemeinde Stettin aus dem Gemeindearchiv“ und „im Gesamtarchiv der deutschen Juden, Berlin“ aufgeführt. Es war jedoch sehr wahrscheinlich bereits Bestandteil der ersten Auflage, die 1935 erschien, als das Gemeindearchiv noch existierte. Während dasselbe wohl als verloren gelten muß, verwahrt das Gesamtarchiv bzw. dessen Nachfolgeinstitution heute 173 Akteneinheiten der Jüdischen Gemeinde Stettin mit 1,72

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chivs Stettin von der Vernichtung des Stettiner Synagogenarchivs sprach,91 übernahm die Gestapo 1938/39 die Archivalien der jüdischen Gemeinden Pommerns und gab lediglich die weniger polizeirelevanten Unterlagen an das Staatsarchiv Stettin ab. Gegenwärtig ist dort ein neun Akteneinheiten umfassender Bestandsrest der jüdischen Gemeinde Stettin überliefert.92 In seinen schriftlichen Angaben gegenüber dem Entnazifizierungsausschuß äußerte sich Franz Engel ähnlich wie während der mündlichen Anhörung: Als ich nach beendetem Studium 1933 mein Referendarexamen ablegen wollte, war ich genötigt, vorher der Partei u. SA . beizutreten, obwohl ich mich bis dahin gegen eine Aufnahme in den nationalsozialistischen Studentenbund mit Erfolg gewehrt hatte. Ich stellte damals meine Bedenken gegen eine diktatorische Staatsführung zurück, weil ich 1933 noch an eine Lösung der sozialen Frage mit Hilfe der Partei glaubte. Als ich später die Wahrheit erkannte, war ein Austritt nicht mehr möglich. Als Archivbeamter habe ich rein wissenschaftlich gearbeitet (vgl. Anlage 1) und mich um Parteipolitik nie bekümmert, sodaß ich häufig Schwierigkeiten wegen mangelnder Teilnahme an Partei- und SA -Versammlungen hatte. Wegen meines Widerstandes gegen diese Organisationen habe ich nie ein Amt in ihnen übernommen, obwohl ich als Staatsbeamter häufig dazu gedrängt worden bin.93 Derlei Einlassungen stützten Zeugen, unter denen sich im Übrigen keine Berufskollegen befanden. So zeigte sich der äußerst honorige Dr. Friedrich Stratmann – 33 Tage mecklenburgischer Staatsminister unter der britischen Besatzungsmacht, ehemaliges Landtagsmitglied sowie amtierender zweiter Vorsitzender der Liberal-Demokratischen Partei Mecklenburgs und Präsident der Mecklenburgischen Landessynode94 – überrascht von der NSDAP -Zugehörigkeit, denn für deren politische Ziele habe sich Franz Engel schon

lfm aus dem Zeitraum 1820 bis 1917. Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, Bd. 6/1, hg. v. Stefi Jersch-Wenzel; Reinhard Rürup, München 2001, S. 501–510. 91 Freundlicher Hinweis von Dirk Schleinert. 92 Staatsarchiv Stettin – Wegweiser durch die Bestände bis zum Jahr 1945, bearb. v. Radoslaw Gazinski; Pawel Gut; Maciej Szukala (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 24), München 2004, S. 498 f. 93 HStAHan, unfol.: Anlage 2, (wie Anm. 86). Siehe zu der genannten Anlage 1 unten zu Anm. 103. 94 Siehe zur Biografie Die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern unter sowjetischer Besatzung 1945 bis 1949, Bd. 1: Die ernannte Landesverwaltung, Mai 1945 bis Dezember 1946, Schwerin 2003, bearb. v. Detlev Brunner (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns, 5), S. 109–114 und 651 sowie Ines Soldwisch, „… etwas für das ganze Volk zu leisten und nicht nur den Zielen einer Partei zu dienen …“ Geschichte der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) in Mecklenburg 1946–1952 (Rostocker Schriften zur Regionalgeschichte, 1), Berlin 2007, S. 56, 60–62, 157, 169–170, 261. Im Übrigen wurde der Spitzenkandidat der LDP 1946 Ziel einer Verleumdungskampagne der SED. A.a.O., S. 119– 120, 150. Siehe jetzt auch Michael Buddrus, Prime Minister für 33 Tage. Dokumentation der Erinnerungen von Friedrich Stratmann an seine Amtszeit als Mecklenburgischer Staatsminister im Mai/Juni 1945, in: MJB 127/2012, S. 295–337.

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deshalb nicht einsetzen können, weil sein Vater, ein ehrenwerter Kaufmann, Freimaurer war. Die Parteimitgliedschaft konnte Friedrich Stratmann sich deshalb nur mit einem Eintritt unter dem Druck der Verhältnisse erklären: Gleich vielen jugendlichen Akademikern wird er den Versprechungen geglaubt haben, daß die NSDAP die sozialen Schwierigkeiten, die Arbeitslosigkeit beseitigen werde. Idealismus der Jugend!95 Diese Sicht stützte ein weiterer Gewährsmann, der Schweriner Stadtrat Krause, unter Berufung auf seine persönliche Bekanntschaft mit der Familie Engel und auf weitere als bewußte Antifaschisten bekannte Persönlichkeiten. Er gab an, daß Franz Engel seinen Eintritt nur vollzog um seine Stellung im Archiv zu erhalten bezw. zu sichern.96 Der Realitätsgehalt dieses grundsätzlich ebenso verbreiteten realen Eintrittsmotivs97 wie gängigen Rechtfertigungsmusters ist in Bezug auf Franz Engel mehr als zweifelhaft: einerseits konnte zum Zeitpunkt des NSDAP -Beitritts, der mehr als ein Jahr vor dem Beginn des Archivreferendariats lag, von der geltend gemachten Veranlassung wahrlich keine Rede sein; andererseits hatte er 1934, als sein Referendariat begann, die Irrtümlichkeit seiner nationalsozialistischen Überzeugung nach eigener Aussage ja bereits bemerkt. Immerhin lassen die dienstlichen Beurteilungen nicht zwangsläufig auf ein sonderlich großes NSDAP -Engagement Franz Engels schließen, obwohl Adolf Diestelkamp 1936/37 – was bei einem Pg. und SA -Mann […] wohl keiner näheren Begründung bedarf – Franz Engel vorbehaltlos auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung stehen sah und über ihn sowohl aus Sicht des Stettiner Staatsarchivdirektors als auch des Generaldirektors der preußischen Archive 1938 ohne weiteres gesagt werden [konnte], daß er sich vorbehaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetzen wird.98 Derlei Überlegungen zu seinem Mitarbeiter waren dem Schweriner Staatsarchivdirektor Werner Strecker, selbst kein Parteimitglied und über die braunen Jahre hinaus bis 1953 als Archivleiter amtierend, 1936 noch völlig fremd. 1938 war ihm dann, explizit zur Beurteilung der weltanschauliche[n] Haltung und Festigung Franz Engels sowie seines nationalsozialistischen Einsatzes aufgefordert, diesbezüglich Nachteiliges niemals bekannt geworden. Er wußte zwar sehr wohl um die NSDAP-Mitgliedschaft seines damaligen Wunschkandidaten, aber schon hinsichtlich der SA-Zugehörigkeit war er sich nicht ganz sicher und am Ende fiel ihm gerade noch ein, daß der Stab des NSDAP -Gaues Mecklenburg Franz Engel mit der Mitarbeit an einem

95 HStAHan, (wie Anm. 5), unfol.: Anlage 6: Friedrich Stratmann am 29.11.1946 und Bescheinigung Schwerin 28.07.1947. 96 A.a.O., unfol.: Stadtrat Krause, Schwerin, am 28.09.1946 unter Berufung auf die Herren Petow, Martin Gerath und Otto Glatz. Letzterer, ein Regierungsbaumeister, war vor dem allgemeinen Logenverbot Logenmeister der Schweriner Johannisloge Harpokrates. Lock, (wie Anm. 86), S. 69 und 321–322. 97 Falter, (wie Anm. 88), S. 604–607. 98 APS, fol. 5, (wie Anm. 31); a.a.O., fol. 10, (wie Anm. 10); a.a.O., fol. 106–107: StADir Stettin am 14.09.1938 an GenDirStA; LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, (wie Anm. 4), fol. 43: GenDirStA am 19.09.1938 an StM/AU.

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größeren heimatkundlichen Werke beauftragt hatte.99 Im Unterschied zu dieser Beurteilung war von Franz Engels (selbst-)behaupteter Distanz zum Nationalsozialismus jedoch wenig spürbar, wenn er etwa über die Frontsituation in der Schlacht um Sewastopol berichtete und Ergebnisse seiner im folgenden Abschnitt zu erörternden Historischen Bauernforschung publizierte. Insofern dürften die von Franz Engel geltend gemachten Behinderungen seiner Forschungen aus mehreren Gründen nicht den Tatsachen entsprochen haben, auch wenn sie sich zumindest konstruieren ließen. Gegen äußere Zwänge spricht zunächst die mehr als nur einmal betonte methodische Kontinuität von der Dissertation, die Gauleiter Friedrich Hildebrand bekanntlich förderte, zu seinen anderen Vorkriegsarbeiten.100 Zweitens schrieb Franz Engel den erwähnten Beitrag für den 1938 vom Gauamtsleiter herausgegebenen Sammelband zur mecklenburgischen Geschichte,101 während er am zeitlich nahezu parallelen Konkurrenzunternehmen der nationalsozialistischen Landesregierung, mit dem das gespaltene Verhältnis zwischen Gauleiter und Staatsminister geradezu greifbar wurde, gleich den anderen in der Historischen Bauernforschung tätigen Archivbeamten nicht beteiligt war.102 Als drittes Moment kommen diese Forschungen selbst hinzu, als viertes Franz Engels Nachkriegsumgang mit seiner diesbezüglichen Beteiligung. 1947 legte er dem Entnazifizierungsausschuß auch seine

99 LHAS, 5.12-7/1, Nr. 5888, fol. 3a: Zeugnis Praxishalbjahr, (wie Anm. 16); a.a.O., fol. 40: Beurteilung des Archivassessors Franz Engel vom 01.09.1938 durch StADir Werner Strecker (Zitat). Siehe dazu auch die Beurteilungsanforderung des Ministeriums und das Konzept der Beurteilung. LHAS, 5.12-7/6, Nr. 149, (wie Anm. 10), quadr. 7016–17. Bei dem in Rede gestellten Beitrag handelte es sich um Franz Engel, Zur Siedlungsgeschichte Mecklenburgs, in: Mecklenburg. Werden und Sein eines Gaues, hg. v. Richard Crull, Bielefeld-Leipzig 1938, S. 263–275. 100 Ulrich, (wie Anm. 3), S. 416 und Hamann, (wie Anm. 3), S. 718 bspw. zu Engel, Archäologische Methoden, (wie Anm. 82), letzterer auch zu Ders., Zur Siedlungsgeschichte, (wie Anm. 99); Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XVI bspw. zu Franz Engel, Bäuerliches Handwerk im Mittelalter. Die Ausgrabung der Töpferwerkstätten von Dümmer und Granzin, in: Mecklenburg. Zeitschrift des Heimatbundes Mecklenburg 32/1937, S. 18–22; Schmidt, Vorsitzender, (wie Anm. 3), S. 32 bspw. zur „Bauernhausforschung“ und zum „Brennverfahren in den mittelalterlichen Töpferwerkstätten“. Gemeint waren neben dem vorgenannten Artikel vermutlich Franz Engel, Bäuerliches Handwerk vor 600 Jahren. Eine mittelalterliche Töpferwerkstatt bei Dümmer entdeckt, in: NB, Nr. 233 vom 06.10.1936, S. 10; Ders., Historische Bauernforschung: Das mecklenburgische Bauernhaus im Mittelalter. Ausgrabungen in Hungerstorf bei Grevesmühlen, in: NB, Nr. 249 vom 24.10.1939, S. 7 und Ders., Die Urformen des Niedersachsenhauses in Mecklenburg, in: MJB 104/1940, S. 101–158. 101 Engel, Zur Siedlungsgeschichte, (wie Anm. 99). 102 Mecklenburg. Ein deutsches Land im Wandel der Zeit, hg. v. Ernst Schulz, Rostock 1938. Im Unterschied zu den Schweriner Archivaren Georg Tessin, Paul Steinmann und Franz Engel wirkten der ehemalige Neustrelitzer Archivdirektor Hans Witte und auch Carl August Endler an diesem, vom Direktor des Statistischen Landesamtes im Auftrag des Staatsministeriums herausgegebenen Band mit. Siehe zu den Dissonanzen zwischen Gauleiter und Staatsminister Bernd Kasten, Konflikte zwischen dem Gauleiter Friedrich Hildebrandt und dem Staatsministerium in Mecklenburg 1933–1939, in: MJB 112/1997, S. 157–175.

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Bibliographie vor, die zehn Positionen umfaßte.103 1952 reichte er im Vorfeld seiner Ver­ beamtung ebenfalls eine Bibliographie ein, die nunmehr seine 23 wesentlichste[n] wissenschaftliche[n] Arbeiten aufführte.104 Bis 1961, d.h. bis zur Ernennung zum Staatsarchivdirektor, stieg die Zahl seiner von ihm für den Zeitraum 1934–1960 aufgelisteten Veröffentlichungen auf 109. Da die Nummer 20 aus dem Jahre 1952 im Jahre 1961 die Nummer 57 darstellte, können die Nachkriegspublikationen nur bedingt ursächlich für diese Steigerung gewesen sein – Berücksichtigung fanden nunmehr neben Berichten über die Versammlungen der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde auch die verschiedene[n] kleinere[n] wissenschaftliche[n] Aufsätze und Referate in Tageszeitungen und Zeitschriften, d.h. die Bauernforschungs-Beiträge im „Niederdeutschen Beobachter“ als dem ursprünglichen „Kampfblatt der NSDAP Mecklenburg“.105 Die Frage, ob diese Entwicklung mehr über Franz Engel oder über die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft aussagt, sei offen gelassen. Hingegen könnten die von Franz Engel geltend gemachten Behinderungen aus der sogenannten „Wendenfrage“ resultiert haben, die Mecklenburg nicht gänzlich unberührt ließ.106 Es gibt jedoch keine Indizien, daß sich Franz Engel mit seiner Beteiligung an der von seinem Archivarskollegen Georg Tessin maßgeblich initiierten und popularisierten Historischen Bauernforschung in diesem verminten Dunstkreis bewegte, der im Frühjahr 1937

103 HStAHan, (wie Anm. 5), unfol.: Anlage 1 Veröffentlichungen und Reden beinhaltete neben der Dissertation die größeren Zeitschriftenaufsätze und Beiträge in Sammelbänden sowie unter 10. die Information: Außerdem verschiedene kleinere wissenschaftliche Aufsätze und Referate in Tageszeitungen und Zeitschriften. Siehe auch zu Anm. 105. 104 StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 6–8: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). 105 A.a.O., fol. 153: Veröffentlichungen 1934–1960, (wie Anm. 43). Siehe zur Geschichte des mecklenburgischen NSDAP-Blattes jetzt Michael Buddrus, Der „Niederdeutsche Beobachter“. Anmerkungen zur Geschichte der mecklenburgischen NSDAP -Gauzeitung 1925–1945, in: MJB 129/2014, S. 109–191, zu den wechselnden Untertiteln besonders S. 190. 106 Streitauslösend waren die slawischstämmigen Lausitzer Sorben, die anders als die traditionell als Wenden bezeichneten Nord-, Elb- oder Ostseeslawen in der nationalsozialistischen Diktion als Wenden firmierten. Die eine Konfliktpartei verkörperte der 1933 entstandene Bund Deutscher Osten (BDO), der die Sorben nach „einem jahrhundertelangen Prozeß der Selbstgleichschaltung“ als vollständig assimiliert in der „deutschen Volksgemeinschaft“ betrachtete. Diese Negierung einer autonomen sorbischen Kultur bzw. überhaupt der Existenz eines Sorbentums als nichtdeutscher eigenständiger Volksgruppe im Reich sollte durch wissenschaftliche Forschungen untermauert werden. Frank Förster, Die „Wendenfrage“ in der deutschen Ostforschung 1933–1945. Die Publikationsstelle Berlin Dahlem und die Lausitzer Sorben (Schriften des Sorbischen Instituts, 43), Bautzen 2007, S. 70–82, bes. S. 78 und Zitat S. 71. Auf der anderen Seite stand die 1931 gegründete Publikationsstelle Berlin-Dahlem (PuSte), die als Geschäftsstelle der 1933 ins Leben gerufenen Nordostdeutschen Forschungsgemeinschaft (NOFG) fungierte, mit ihrem Anspruch völliger Kontrolle über alle Fragen der deutschen Ostforschung zum Zweck koordinierter offensiver Abwehrmaßnahmen gegen polnische bzw. slawische Wissenschaftler. Um letzteren erst gar keine propagandistischen Angriffspunkte zu liefern, sollte Wendenforschung zwar schon aufgrund politischer Notwendigkeiten stattfinden, jedoch nicht bzw. nicht ohne Zensur der PuSte publiziert werden. A.a.O., S. 107–117.

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zugunsten des Alleinvertretungsanspruchs der Publikationsstelle Berlin-Dahlem (PuSte) über alle Gegenstände der deutschen Ostforschung aufgelöst wurde.107

Historische Bauernforschung im Dienst des Nationalsozialismus Der nun schon mehrfach angesprochenen Historischen Bauernforschung der mecklenburgischen Archivare kam eine politische Funktion zu und sie genoß deshalb politisch höchst einflußreiche Förderung, wie es bereits der Druckkostenzuschuß des mecklenburgischen Reichsstatthalters zu Franz Engels Dissertation symbolisierte. Unter Historischer Bauernforschung ist zunächst einmal der Paradigmenwechsel in der mecklenburgischen Landesgeschichtsforschung zu verstehen, der weg von Gutsherrschafts- bzw. Adelsgeschichte und hin zur Geschichte der bäuerlichen Situation inklusive des Bauernlegens erfolgte. Dieser Paradigmenwechsel begann mit ersten Vorarbeiten Paul Steinmanns in den Jahren ab 1912, setzte sich fort mit einer Verbesserung der Quellenlage nach der Überführung des Landständischen Archivs in das Geheime und Hauptarchiv Schwerin im Jahre 1922 und fand schließlich seine Vollendung in der Interessenkonvergenz zwischen einem neuen politischen System und einer neuen Forschergeneration. Ersteres war der sich vordergründig eher antiadlig-bauernfreundlich gerierende Nationalsozialismus, dessen Demagogie eine historische Rechtfertigung durchaus gut zupaß kam – letzterer gehörten alle mecklenburgischen Staatsarchivare im wissenschaftlichen Dienst außer Archivleiter Werner Strecker an. Der Archivar Georg Tessin bereitete der Bauernforschung im hier gebrauchten Verständnis 1935 den Boden und besorgte den Schulterschluß von Wissenschaft und nationalsozialistischer Ideologie, der Archivar Franz Engel formulierte 1936 mit dem programmatischen und demzufolge von nichts weniger als nur ‘unpolitischer Begeisterung’ zeugenden Beitrag „Neue Wege in der historischen Bauernforschung“ ihre Zielsetzung.108 Die Historische Bauernforschung bzw. expressis verbis Franz Engel charakterisierte das mittelalterliche Mecklenburg als gleichsam reines Bauernland und lieferte damit, da doch mit der „Machtergreifung“ die „entscheidende Wendung für das Bauerntum ein[trat],“ der bauernfreundlichen nationalsozialistischen Propaganda gerade in der frühen Machtphase

107 A.a.O., S. 148–162. Innerhalb dieses Spannungsfeldes geriet 1939 aber beispielsweise die Arbeit „Die wendischen Ortsnamen Ostholsteins, Lübecks, Lauenburgs und Mecklenburgs“ des Leipziger Slawisten Reinhold Trautmann auf den Index, um nicht mit wissenschaftlichen Arbeiten über die slawische Vergangenheit von Teilen des deutschen Reiches der Polemik und Propaganda eines slawischen Imperialismus Vorschub zu leisten. A.a.O., S. 154–162, bes. S. 155. 108 Matthias Manke, Unter braunen Schatten. Das Geheime und Hauptarchiv Schwerin 1933 bis 1945, in: Zeitgeschichte regional 15, 2/2011, S. 5–19, hier S. 12–14. Zum programmatischen Inhalt von Franz Engel, Neue Wege der historischen Bauernforschung. Über die bisherigen Forschungsergebnisse in Mecklenburg, in: NB, Nr. 241 vom 15.10.1936, S. 11 siehe unten zu Anm. 128.

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eine historische Legitimation.109 Selbiges gilt hinsichtlich der Förderung der Erbhofforschung, die sich die Historische Bauernforschung selbst auf die Fahnen schrieb und die in einem engen Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933 stand. Auch in dieser Hinsicht läßt sich auf Franz Engel verweisen, der in der Errichtung von Erbhöfen „durch den nationalsozialistischen Staat“ dessen Anknüpfung „an eine alte bäuerliche Überlieferung“ sah.110 Und schließlich sicherte der archivarischen Bauernforschung einen hohen Verbreitungsgrad, daß die Publikation zunächst vorwiegend im „Niederdeutschen Beobachter“ erfolgte. Das NSDAP -Organ gedachte damit seinerseits, dem mecklenburgischen Dorf als „Gemeinschaft bäuerlicher Menschen, als Zelle des Staates, […] in unserm nationalsozialistischen Staate wieder die Beachtung“ zu geben, die es verdiene.111 Insofern wußten sowohl NSDAP -Gauleiter Friedrich Hildebrandt, der dem Landarbeitermilieu entstammte, als auch der nationalsozialistische Staatsminister Friedrich Scharf, der aus einer Pächterfamilie kam, die Historische Bauernforschung aus vor allem politischen und nicht zuletzt persönlichen Gründen zu schätzen: Wenn der Gauleiter dann abends im Dorfkrug seine Rede hielt, so konnte er anhand dieser kurzen Daten, die zumeist Georg Tessin oder einer der anderen Archivare über das jeweilige Dorf zusammen gestellt hatte, den Bauern so viel von der Geschichte ihres Dorfes erzählen, wie sie nie zuvor gehört hatten. [...] ‘Un dat soll ein Landarbeiter gewesen sin, dä weit ja von unserem Dörp mier als wi.’ Und die Bewunderung für den Gauleiter stieg. Dieses politische Moment per se verstärkte die zugehörige Frage der Bauernehrung. Die Partei hatte eine solche Ehrung für die Bauern vorgesehen, die schon seit Generationen, ja Hunderte von Jahren auf ihrem Hof saßen und es war unsere dienstliche Aufgabe, dies konkret nachzuweisen.112 Das gelang vermutlich zur Zufriedenheit der NSDAP -Stellen, wie die Anwesenheit Carl August Endlers, Paul Steinmanns und Georg Tessins bei der „ersten mecklenburgischen Altbauernehrung“ am 18. Dezember 1936 in Gegenwart der regionalen Partei-, Staats- und Bauernführer verdeutlicht113 – Franz Engel war zu diesem Zeitpunkt bekanntlich noch in Stettin tätig. Die eminent politische Note der Bauernehrung illustriert nicht zuletzt ein offizielles Merkblatt der Landesbauernschaft Mecklenburg von April 1935: Die Landesbauernschaft Mecklenburg ehrt einmal jährlich Bauernsippen, die nachweislich mindestens 200 Jahre auf demselben

109 Münch, (wie Anm. 7), S. 105–107. Siehe auch Engel, Zur Siedlungsgeschichte, (wie Anm. 99), S. 264. Beispielhaft für die bauernfreundliche Propaganda ist der Artikel: 48 alte Bauerngeschlechter wurden geehrt. Feierstunde in der Landesbauernschaft, in: NB , Nr. 296 vom 19.12.1936, S. 5 (Zitat). 110 Manke, Unter braunen Schatten, (wie Anm. 108), S. 12 und 14, Zitate nach Franz Engel, Hausmarkenbuch der Domanialämter Gadebusch und Rehna (Mecklenburg) (Quellen zur bäuerlichen Hof- und Sippenforschung, 6), Goslar 1938, S. 8. Ähnlich auch Ders., Hausmarkenforschung in Mecklenburg, in: Mecklenburgische Monatshefte 15/1939, S. 438–441, hier S. 438. 111 Die Geschichte des meckl[enburgischen] Dorfes, in: NB, Nr. 22 vom 28.01.1936. 112 LHAS, 10.9-T/1, Nr. 31, Kap. 8, (wie Anm. 5). 113 48 alte Bauerngeschlechter, (wie Anm. 109), S. 5.

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Anwesen sitzen. Das deutsche Bauerntum hat in den vergangenen 200 Jahren seiner Geschichte unsäglich viel Schweres durchgemacht. Generationen haben den Bauern vernichtet und doch wären Volk und Staat nichts ohne ihn geworden. Immer wieder hat der Landmann bewiesen, daß keine Gewalt der Erde imstande ist, ihm seinen Lebenswillen zu nehmen und ihm die Kräfte zu entziehen, die den Aufstieg eines Volkes herbeiführen können.114 Wenn es dennoch heißt, daß lediglich die Ideen seiner Zeit Franz Engels historische Forschungsarbeit im Nationalsozialismus fortrissen, so kann das allenfalls bedingt Geltung beanspruchen, nämlich für die größeren wissenschaftlichen Aufsätze.115 Während er hier weitgehend auf propagandistische Töne verzichtete, lassen seine zum Teil themengleichen Zeitungsbeiträge116 eine gewisse ideologische Radikalität erkennen. Letztere verkörperte mehr als nur unpolitische Begeisterung, denn „es galt, das slawische Element interpretatorisch zurückzudrängen.“117 In diese Richtung weist neben anderen Äußerungen Franz Engels118 sein erster Beitrag zu der im „Niederdeutschen Beobachter“ veröffentlichten Serie „Das mecklenburgische Dorf“ mit der Formulierung, daß „kein Zweifel [ist], daß diese großzügige und rational durchdachte Fluraufteilung […] nur bei strengster genossenschaftlicher Disziplin der deutschen Siedler möglich war. Wir müssen uns überhaupt frei machen von der Anschauung, daß unsere Vorfahren in zügellosen Haufen oder als Flüchtlinge und Abenteurer nach Ostelbien gezogen sind, wie es bei der Kolonisation Nordamerikas vielfach der Fall gewesen ist. Der deutsche Westen entsandte vielmehr seine besten und widerstandsfähigsten Leute, die von eisernem Aufbauwillen getrieben den Osten dem Deutschtum zurückgewannen.“ Mag dies vielleicht noch als bloßer Zeitgeist durchgehen, so impliziert

114 LHAS, 5.12-7/6, Nr. 323, (wie Anm. 33), unfol.: Merkblatt der Landesbauernschaft Mecklenburg zur Ehrung alteingesessener Bauernfamilien. Dass. a.a.O., Nr. 111b: Allgemeines (1919–1936), quadr. 109. 115 Siehe dazu aber auch nachfolgende Anmerkungen. Gemeint sind Engel, Archäologische Methoden, (wie Anm. 82); Ders., Zur Siedlungsgeschichte, (wie Anm. 99); Ders., Die Urformen, (wie Anm. 100). Des Weiteren kann hier als ganz und gar sachlicher Forschungsbericht Ders., Bäuerliches Handwerk im Mittelalter, (wie Anm. 100) Erwähnung finden. 116 Soweit nicht ohnehin an Engel, Deutsche und slawische Einflüsse, (wie Anm. 7) angeknüpft wurde, hatte sich Ders., Zur Siedlungsgeschichte, (wie Anm. 99) mit den Beispielen Kirch Kogel und Lohmen bereits in Ders., Lohmen, der alte Klosterbesitz (Das mecklenburgische Dorf ), in: NB, Nr. 70 vom 24.03.1936 und Ders., Kirch- und Rum-Kogel im Kreise Güstrow (Das mecklenburgische Dorf ), in: NB, Nr. 222 vom 23.09.1936, S. 11 befaßt. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht zwischen Ders., Das mecklenburgische Bauernhaus im Mittelalter, (wie Anm. 100) und Ders., Die Urformen, (wie Anm. 100). 117 Nösler, (wie Anm. 2), S. 79. Ähnlich Münch, (wie Anm. 7), S. 101. Die o.g. Intention bzw. Bedeutung wies Tessin, Slavische und deutsche Einflüsse, (wie Anm. 7), S. 95 im Übrigen bereits Franz Engels Dissertation zu! 118 Engel, Archäologische Methoden, (wie Anm. 82), S. 250 und 260; Ders., Zur Siedlungsgeschichte, (wie Anm. 99), S. 264: „Die auf den mageren Sandböden sitzende wendische Bevölkerung wurde keineswegs mit Feuer und Schwert ausgerottet, wie heute vielfach von slawischer Seite behauptet wird.“ – Siehe auch unten zu Anm. 128.

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die Wortwahl bei der Gegenüberstellung deutscher „Niedersachsenhäuser“ und slawischer „Katen“ durchaus Höher- und Minderwertigkeit. Und der Beitrag endet mit explizitem Gegenwartsbezug und eindeutiger Positionierung: „Erst durch das neue Reich konnte das vor über 100 Jahren begonnene Werk der Bauernbefreiung zu Ende geführt werden.“119 Auch der Artikel über die Forsthöfe in der Schwinzer Heide propagiert eine deutsche Über- bzw. slawische Unterlegenheit. Denn in der völligen Verödung der slawischen Siedlungen in der von deutscher Siedlung im Wesentlichen unberührt gebliebenen Schwinzer Heide „liegt der Beweis, daß die slawische Kultur und Wirtschaft sich in keiner Weise mit der deutschen messen konnte.“120 Ähnliches wiederholte Franz Engel wenig später, als er den slawischen Gründern von Wendisch Kogel attestierte, daß sie gegenüber „der wirtschaftlichen und kulturellen Überlegenheit der Deutschen jegliche Widerstandskraft [verloren] und ihre Dörfer wüst fallen [ließen].“121 Kurz darauf hieß es in einem Grabungsbzw. Fundbericht über eine Töpferwerkstatt nahe Dümmer sogar, daß die Überlegenheit der Deutschen „so groß [war], daß die slawischen Elemente in erstaunlich kurzer Zeit vom deutschen Volkstum aufgesogen wurden.“122 Die Relativität eines derart unbestimmten Zeitbegriffs obliegt zwar der Interpretation des Rezipienten, der diesbezügliche Hilfe aber in der Dissertation von Franz Engel finden kann: „Sicher sind eine Anzahl kleiner Wendenorte schon vor der Kolonisationszeit oder in deren Verlauf wüst geworden, aber eine Reihe bleibt noch bis ins 14. und 15. Jahrhundert bestehen und wird erst dann von der Bevölkerung verlassen.“123 Franz Engels ebenfalls zur genannten Artikelserie gehörender Beitrag über Dobbin sowie seine späteren Beiträge über Hungerstorf und Kuhstorf kamen im Grunde ohne Ideologie aus.124 Im Artikel über Vorbeck blieb der Abschnitt über „Das Niedersachsenhaus in Mecklenburg“ deskriptiv, einen suggestiven Vergleich versagte sich Franz Engel allerdings auch hier nicht. Die Ausführungen, daß Viehzucht und Fischfang die wesentlichen Nahrungsquellen der Wenden in der Gegend um Vorbeck darstellten, „die Hauptstärke der einwandernden Deutschen jedoch in der rationellen Durchführung des Ackerbaus in einer für die slawischen Länder bis dahin ungekannten Intensität [lag],“ so daß die deutschen anders als die slawischen Gründungen in der Feldmark und nicht am Rande des Warnowtals erfolgten, sind aber wohl weitgehend begründet. Allerdings bestand dieser 119 Engel, Lohmen, (wie Anm. 116). Siehe zu Anspruch und Hintergrund der erwähnten Serie Manke, Unter braunen Schatten, (wie Anm. 108), S. 12. 120 Franz Engel, Forsthöfe in der Schwinzer Heide. Die Siedlungen Schwinz, Jellen und Kleesten (Das mecklenburgische Dorf ), in: NB, Nr. 98 vom 28.04.1936. 121 Engel, Kirch- und Rum-Kogel, (wie Anm. 116). 122 Engel, Bäuerliches Handwerk vor 600 Jahren, (wie Anm. 100), Hervorhebung d. Verf. 123 Engel, Deutsche und slawische Einflüsse, (wie Anm. 7), S. 44. 124 Franz Engel, Dobbin bei Dobbertin einst und jetzt. Die Geschichte einer Feldmark (Das mecklenburgische Dorf ), in: NB, Nr. 121 vom 27.05.1936, S. 10; Ders., Historische Bauernforschung, (wie Anm. 100); Ders., Kuhstorf und seine Geschichte. Zum Dorftag am 8. und 9. Juli, in: NB, Nr. 157 vom 08.07.1939, S. 5.

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Randstreifen aus „feuchte[n] Weideflächen“ und „Moore[n]“,125 also für Unbehaglichkeit und Siedlungsunzuträglichkeit bzw. -feindlichkeit stehendes Gelände. Als Franz Engel 1939, nach dreijähriger Pause, erneut über ein mecklenburgisches Dorf publizierte, positionierte er sich auch erneut zu den ‘Segnungen’ seiner Gegenwart. Denn wenn „eine Gesamtübersicht über die Zahl der Bauernstellen von 1407–1939 […] die Entwicklung des Dorfes darstellen soll,“126 dann soll deren Zunahme mehr als nur den grundlegenden Wandel des Dorfbildes symbolisieren. Freilich bleibt nicht nur mancher Faktor – und sei es nur das allgemeine Bevölkerungswachstum – ausgeblendet, sondern es erschließt sich auch erst auf den zweiten Blick, daß sich im Gegensatz zur deutlich gesteigerten Zahl der Häuslerstellen die der Hüfner- und Büdnerstellen seit 1850 bzw. letztere sogar seit 1820 kaum verändert hatte. Seine Begründung für Wandel und Entwicklung des Dorfes hatte Franz Engel bereits im Vorjahr veröffentlicht und vermutlich wesentlich früher geschrieben: „Wenn heute der nationalsozialistische Staat durch Errichtung von Erbhöfen ein bodenständiges Bauerntum schaffen will, so knüpft er damit an eine alte bäuerliche Ueberlieferung an, die im 18. und 19. Jahrhundert […] festeingewurzeltes Gewohnheitsrecht geworden war.“127 Mag bis hierher möglicherweise immer noch über ‘Zeitgeist’ diskutiert oder auch ein imaginäres pragmatisches, vorauseilend gehorsames, opportunistisches Handeln geltend gemacht werden, so hatte sich Franz Engel im Herbst 1936 doch eindeutig auf den Boden und in den Dienst nationalsozialistischer Wissenschaftspolitik und damit Ideologie gestellt. In programmatischer Funktion und noch deutlicher als in seinen Beiträgen über „Das mecklenburgische Dorf“ wandte er sich mit seinen Ausführungen über die neuen Wege der historischen Bauernforschung scharf gegen die mit „unheimlicher Kraft […] immer noch vorhandenen falschen Anschauungen über den slavischen [sic!] Einfluß auf Mecklenburgs Land und Leute.“ Während „vermeintliche Beweise“ wie slawische Ortund Familiennamen für die Assimilation bzw. Integration slawischer Elemente durch die deutsche Kolonisation „natürlich vom slawischen Ausland immer wieder begierig aufgegriffen“ würden, könne und würde es nun „gelingen, die Ueberwindung des Slawentums in der Kolonisationszeit […] zu erforschen und die Ergebnisse unserem Volk nutzbar zu machen.“ Die deutschen Kolonisten „verschmähten die Ansiedlung in den Wendendörfern,“ die in der Konkurrenz mit den deutschen Siedlungen dann bald verödeten. Im Grunde zwangsläufig, denn „das wendische Volkstum war innerlich schon so sehr geschwächt,“ daß es sich der Konkurrenz gar nicht mehr stellen konnte. Nicht nur „die Widerstandskraft der Slawen [war] gebrochen,“ sondern „das Wendentum [befand

125 Franz Engel, Vorbeck im Kreis Güstrow. Vom Leben der mecklenburgischen Bauern in früheren Jahrhunderten. Anregung für Landlehrer (Das mecklenburgische Dorf ), in: NB, Nr. 146 vom 26.06.1936, S. 7 (Zitate). 126 Franz Engel, Aus der Geschichte des Dorfes Warlow. Zum morgigen Dorftag, in: NB, Nr. 116 vom 20.05.1939, S. 6. 127 Engel, Hausmarkenbuch, (wie Anm. 110), S. 8.

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sich] auf der ganzen Linie im Rückzug. […] Sie waren ein sterbendes Volk, dessen Kraftquellen versiegt waren. Das slawische Volkstum war dahingesiecht und verkümmert und konnte von der frischen Kraft der deutschen Bauernkolonisten kulturell und blutsmäßig sehr rasch spurlos aufgesogen werden.“128 Es mag verlockend sein, die vorstehenden Einlassungen aus den „Das mecklenbur­ gische Dorf“-Artikeln als Aneinanderreihung aus dem Zusammenhang gerissener Zitate abzuqualifizieren, oder, mit etwas mehr Wohlwollen, als deutsch-nationales und nicht typisch nationalsozialistisches Gedankengut zu bezeichnen oder als bloße Konzessionen an die herrschende Ideologie zu charakterisieren. Eine derartige Beschönigung oder gar Negation wäre allerdings wenig zielführend, trüge sie doch rein gar nichts zum Verständnis der biographischen Wege und Irrwege von Franz Engel und zum Verständnis von ­wenigstens zwölf Jahren deutscher Geschichte bei. Mit dem „Neue Wege“-Artikel rückte er die Historische Bauernforschung in den Dunstkreis einer auf „Rasse“, „Blut“ und „Boden“ fußenden „Volksgeschichte“ und des ihr nahe stehenden, als „Ostforschung“ bezeichneten wissenschaftlichen Abwehrkampfes gegen slawische Ansprüche. Nun waren weder Volks­geschichte noch Bauern- oder Ostforschung Erfindungen der mecklenburgischen Archivare oder der Nationalsozialisten,129 aber die Historische Bauernforschung wurde von ersteren unter Einschluß Franz Engels willig betrieben und übernahm für den Nationalsozialismus die Funktion einer partiellen Legitimationswissenschaft. In diesem Zusammenhang sei an das gleichermaßen strenge wie strittige Verdikt von Götz Aly über die Theoretiker der Volkstumspolitik erinnert,130 das auf die Historische Bauernforschung

128 Engel, Neue Wege, (wie Anm. 108), S. 11 (Hervorhebung – d. Verf.); Ders., Bäuerliches Handwerk vor 600 Jahren, (wie Anm. 100) hatte in der Woche zuvor wesentlich sachlicher über die „Aufgaben der historischen Bauernforschung“ geschrieben. 129 Siehe dazu, abgesehen von der Bauernforschung, mit weiterführenden Literaturhinweisen beispielsweise Ingo Haar, Osteuropaforschung und „Ostforschung“ im Paradigmenstreit: Otto Hoetzsch, Albert Brackmann und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: Hundert Jahre Osteuropäische Geschichte. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, hg. v. Dittmar Dahlmann (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 68), Stuttgart 2005, S. 37–54; Horst Wallraff, Regional- und Landesgeschichte, in: Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus, hg. v. Jürgen Elvert; Jürgen Nielsen-Sikora (Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, 72), Stuttgart 2008, S. 246–288; Hans-Christian Petersen; Jan Kusber, Osteuropäische Geschichte und Ostforschung, in: a.a.O., S. 289–311. 130 „Die Tatbeiträge einzelner lassen sich daher nicht genau messen. Doch bildete eben diese Diffusität eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Holocaust. Sie erlaubte es, die traditionellen juridischen und moralischen Schranken zu überwinden, weil erst die anonyme, tausendfache Mittäterschaft die persönliche Verantwortung des einzelnen soweit reduzierte, daß sie für das Gewissen aseptisch wurde. Die Organisatoren der Deportationsfahrpläne erfüllten dabei andere Funktionen als die Theoretiker der Volkstumspolitik, […] Notwendig aber waren die Tatbeiträge aller.“ Götz Aly, Theodor Schieder, Werner Conze oder Die Vorstufen der physischen Vernichtung, in: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, hg. v. Winfried Schulze; Otto Gerhard Oexle, Frankfurt am Main 1999, S. 163–182, hier S. 177.

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und damit auch auf Franz Engel übertragen werden könnte. Ein solcher Analogieschluß wäre, zumal treffende Einschätzungen NS -kompatibler Historiographie „fern aller propagandistischen Fan­farenstöße“ vorliegen,131 allerdings überzogen – Franz Engel war kein Denunziant und kein ‘williger Vollstrecker’, aber ebenso wenig war er ein nur unpolitischer und lediglich von seinem Forschungsgegenstand begeisterter Fachmann.

5. Schlußbemerkung Die Verdienste, die sich Franz Engel nach dem Krieg um die mecklenburgische, pommersche und schaumburgische Geschichtsforschung erwarb, sind – mit landschaftlich unterschiedlich bezogener Akzentuierung – ausführlich und eingehend gewürdigt worden. Deshalb bedarf es an dieser Stelle keiner wiederholenden Ausbreitung, sondern nur der bekräftigenden Anerkennung und zweier Ergänzungen. Einerseits sei der wissenschaftlichen Objektivität und der Vollständigkeit halber auf die ebenso selten wie spät aufkommende Kritik an Einzelaspekten seiner wissenschaftlichen Arbeit hingewiesen.132 Andererseits bedürfen 131 Siehe beispielsweise Willi Oberkrome, Regionale Geschichte als ‘kämpfende Wissenschaft’. Allgemeine Entwicklung und die Beispiele Westfalens und Thüringens, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 141–142/2005–2006, S. 61–74, hier S. 73. A.a.O., S. 74 heißt es, wenn international anerkannte Experten wie etwa Rudolf Kötzschke dem Verantwortlichen für die rassenpolitische nationalsozialistische Ostplanung mit „in keiner Weise erzwungener Bereitschaft“ entgegenarbeiteten, dann wäre es „wohl unmöglich, ihre vermeintlich apolitischen, seriös und quellennah erarbeiteten Schriften mit den Attributen ‘wertfrei’, ‘zeitlos’ o.ä. zu belegen.“ Esther Ludwig, Rudolf Kötzschke – Das schwere Bemühen um die Bewahrung der „unantastbaren Reinheit des geschichtlichen Sinnes“, in: Rudolf Kötzschke und das Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde an der Universität Leipzig. Heimstadt sächsischer Landeskunde, hg. v. Wieland Held; Uwe Schirmer (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft, 1), Beucha 1999, S. 21–70, hier S. 46–57 verdeutlichte „die Gefährlichkeit der Gratwanderung [s]einer Geschichtsschreibung, die zwar mit wissenschaftlichen Methoden arbeitet und sie teilweise sogar weiterentwickelt, aber versucht, sich politisch zu legitimieren“ (S. 47). 132 Siehe zur Würdigung die Literatur in Anm. 2 und 3. Kritisch zu Einzelaspekten hingegen Hans Patze, Regionale Atlanten, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 6/1980, S. 36–40 und Ernst Münch, Das Dierkower Feld – Rostocker Stadtacker oder Dierkower Hufenacker? Eine überfällige Richtigstellung, in: Geschichte im Spiegel agrarischer, sozialer und regionaler Entwicklungen. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums vom 29.03.1995 anläßlich des 70. Geburtstages von Gerhard Heitz, hg. v. Kersten Krüger (Agrargeschichte, 25), Rostock 1995, S. 37–46. Letzterer bezeichnet eine „völlig falsche Lokalisierung des sogenannten Dierkower Feldes“, aus der dann falsche Schlüsse resultieren, als Hauptfehler von Engel, Deutsche und slawische Einflüsse, (wie Anm. 7). Ersterer hingegen würdigte zunächst die seinerzeit aktuellen Atlasprojekte für die Pfalz und Westfalen, und äußerte dann, „daß Atlas-Programme oft aus äußeren Gründen trotz bester Vorsätze geändert werden müssen, weiß jeder, der mit der Sache zu tun gehabt hat. In dieser Hinsicht geradezu unberechenbar war, was Franz Engel […] als Blätter des ‘Mecklenburgischen Geschichtsatlas’ in unregelmäßigen Abständen vorlegte. Allerdings muß man bei dieser scheinbar unüberlegten

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sowohl seine neben der historischen Forschung erbrachten archivwissenschaftlichen und -praktischen Verdienste133 als auch seine vielleicht zu wenig beachtete Verbindung der innovativen siedlungsarchäologischen Methodik mit den archivalischen Quellen134 einer besonderen Hervorhebung. Nicht zuletzt mit Blick auf das Jubiläum der Historischen Kommission für Pommern sollen jedoch noch einmal Franz Engels wissenschaftsorganisatorische Leistungen in den Blick genommen werden. Diesbezüglich verkörpern die Mitgliedschaften in den Historischen Kommissionen für Pommern, Niedersachsen und zu Berlin, im Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrat, im Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Mitteldeutschland und in der Historischen Arbeitsgemeinschaft für Schaumburg135 nur einen, nicht zuletzt auch honorigen Aspekt. Aber reichlich einen Monat nach dem Ableben des Kommissionsvorsitzenden Adolf Diestelkamp am 26. Februar 1955 reiste Franz Engel zwecks Abwicklung

Programmatik berücksichtigen, daß Engel die Karten einmal selbst entwarf und zum anderen durch die verfügbaren Unterlagen eingeschränkt war.“ 133 Ulrich, (wie Anm. 3), S. 415 f.; Brosius, (wie Anm. 3), S. 180; Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483 f.; Branig, (wie Anm. 2), S. 127; Koeppen, (wie Anm. 3), S. 677; Hamann, (wie Anm. 3), S. 719; Schmidt, Einleitung, (wie Anm. 3), S. XII; Brosius, (wie Anm. 2), S. 104. 134 Steinmann, Quellen und Studien, (wie Anm. 7) und Ders., Probleme, (wie Anm. 7), S. 221 f.; Wolfgang H. Fritze, Germania slavica. Zielsetzung und Arbeitsprogramm einer interdisziplinären Arbeitsgruppe, in: Germania slavica, Bd. 1, hg. v. Dems. (Berliner historische Studien, 1), Berlin 1980, S. 11–40, hier S. 24 und daran anknüpfend Winfried Schich, „Germania Slavica“ – die ehemalige interdisziplinäre Arbeitsgruppe am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 48/2002, S. 269–297, hier S. 279; Münch, (wie Anm. 7), S. 101; Nösler, (wie Anm. 2), S. 78 f. Ansätze einer entsprechenden Würdigung auch bei Ulrich, (wie Anm. 3), S. 416; Haase, (wie Anm. 3), S. 482; Hamann, (wie Anm. 3), S. 718; Schmidt, Vorsitzender, (wie Anm. 3), S. 32; Ders., Einleitung, S. XV; Brosius, (wie Anm. 2), S. 101. 135 Ulrich, (wie Anm. 3), S. 416 f.; Brosius, (wie Anm. 3), S. 180; Haase, (wie Anm. 3), Sp. 484; Branig, (wie Anm. 2), S. 127; Koeppen, (wie Anm. 3), S. 677; Schmidt, Vorsitzender, (wie Anm. 3), S. 33; Ders., Einleitung, (wie Anm. 3), S. XII; Brosius, (wie Anm. 2), S. 104. Die von Branig, (wie Anm. 2), S. 127 behauptete Übernahme des Vorsitzes der Historischen Kommission für Mecklenburg entspricht hingegen nicht den Tatsachen, da eine solche zu diesem Zeitpunkt gar nicht existierte. In der von 1928–1945 bestehenden Kommission war Franz Engel kein Mitglied. Peter Joachim Rakow, Die Historische Kommission für Mecklenburg 1928–1945 – Bestrebungen und Erfahrungen, in: Agrargeschichte 24/1990, S. 83–88, hier S. 85. Franz Engel selbst bezeichnete sich bereits 1952 als Mitglied eines mecklenburgischen Forschungsrates. StA Bückeburg, fol. 5: Lebenslauf 1952, (wie Anm. 6). Möglicherweise reflektierte er auf die von ihm 1951 begründeten „Wissenschaftlichen Tagungen Mecklenburg – Pommern“ im Rahmen der Mitgliederversammlungen der Historischen Kommission für Pommern. Siehe dazu Roderich Schmidt, Die Historische Kommission für Pommern in Vergangenheit und Gegenwart, in: BaltStud, N.F., 55/1969, S. 111–123, hier S. 116. Hamann, Archivrat, (wie Anm. 2), S. 2 erwähnt noch eine Mitarbeit in der Landsmannschaft Mecklenburg. Darüber hinaus war Franz Engel wohl Mitglied des Rotary Clubs. HStAHan, VVP 25, Nr. 111: Papiere von Dr. Carl Haase, Bd. En–Ew, Fasz. Engel.

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der dringendsten Geschäfte der Historischen Kommission für Pommern und der Übernahme eines Teiles des wissenschaftlichen Nachlasses von Herrn Oberarchivrat Dr. Diestelkamp nach Koblenz.136 Am 25. Oktober des Jahres erfolgte die Wahl des neuen Kommissionsvorsitzenden, der Franz Engel hieß und die Kommissionsarbeit „mit neuen Impulsen erfüllte.“137 Die detaillierte Nachvollziehbarkeit dieser Aussage ist mangels Überlieferung schwierig.138 Sie ist jedoch, obwohl die ersten vier Jahre nach der Neugründung keineswegs ungenutzt verstrichen waren,139 an der Wiederaufnahme der Publikationstätigkeit der Kommission in vier neuen Veröffentlichungsreihen ablesbar. Zwei dieser Reihen – Pommersches Urkundenbuch (Reihe II ) und Historischer Atlas von Pommern (Reihe III ) – knüpften an Vorkriegsprojekte an, zwei weitere – Quellen zur pommerschen Geschichte (Reihe IV ) und Forschungen zur pommerschen Geschichte (Reihe V) – rief Franz Engel ins Leben: „In noch nicht zehn Jahren sind unter der Herausgeberschaft Engels 4 Bände des Pommerschen Urkundenbuchs, 5 Karten des Historischen Atlasses von Pommern, eine Sonderreihe, […] 8 Bände der ‘Quellen’ und 15 Bände der ‘Forschungen’ erschienen. Das ist mehr als alles, was in den über 30 vorangehenden Jahren von der Kommission veröffentlicht worden ist.“140 Es kann kein Zweifel aufkommen, daß darin ein bleibendes Verdienst besteht, auf das Franz Engel – um das Eingangsbild aufzugreifen – zu Recht mit Zufriedenheit blicken konnte. Es kann jedoch ebenso wenig einem Zweifel unterliegen, daß die Überhöhung der archivfachlichen Vorkriegsarbeiten in den von Franz Engel verfaßten Nachkriegs­viten und die unzutreffende Geltendmachung politischen Drucks in der Berufsausübung ein 136 StA Bückeburg, (wie Anm. 3), fol. 68: Antrag auf Dienstbefreiung für den Zeitraum 28.– 30.03.1955. 137 Schmidt, Die Historische Kommission, (wie Anm. 135), S. 113. 138 Das Staatsarchiv Bückeburg verwahrt lediglich den wissenschaftlichen Nachlaß Franz Engels, der Niedersachsen betrifft. Höing, Übersicht, (wie Anm. 74), S. 145. Anfragen an weitere Institutionen zum Verbleib anderer Nachlaßteile blieben erfolglos, lediglich die Dokumentation der Ausgrabung in Kirch Jesar, (siehe oben Anm. 17) übergab seine Witwe 1969 den Schweriner Archäologen. Nösler, (wie Anm. 2), S. 81 f., Anm. 368–369 und Anm. 371. Das Landesarchiv Greifswald übernahm 2010 zwar Unterlagen der Historischen Kommission für Pommern, aber darunter befanden sich keine Protokolle von Kommissionssitzungen o.ä. Einen gewissen Ersatz für die Zeit ab 1965 kann der ebenfalls in Greifswald befindliche Nachlaß des Kommissionsmitglieds Klaus Conradt darstellen. Freundlicher Hinweis von Martin Schoebel, LAGw. 139 Adolf Diestelkamp, Die Historische Kommission für Pommern, in: ZfO 2/1953, S. 281–285 erwähnt im Arbeitsprogramm Projekte, die trotz „bereits vorliegender Manuskripte“ ohne direkten Bezug zur Kommission bzw. wesentlich später realisiert wurden. Entsprechende Beispiele sind Oskar Eggert, Besatzungszeit in Pommern 1806–1808, Hamburg [1954] bzw. Hermann Bollnow, Studien zur Geschichte der pommerschen Burgen und Städte im 12. und 13. Jahrhundert, Köln/Graz 1964 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V/7). 140 Schmidt, Die Historische Kommission, (wie Anm. 135), S. 113. Siehe dazu auch Ders., Achtzig Jahre Historische Kommission für Pommern 1910–1990. Verzeichnis ihrer Veröffentlichungen, Ebsdorfergrund 1990, S. 15–25. Ähnlich Brosius, (wie Anm. 2) S. 104.

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Makel bleiben. Allerdings läßt sich für diese Handlungsweise in Berücksichtigung der anfänglichen beruflichen Notlage und der Verantwortung für eine Familie durchaus ein gewisses Verständnis aufbringen, zumal die fachlichen Qualitäten und Voraussetzungen für den wissenschaftlichen Archivdienst außer Frage stehen. Ohne Zweifel schließlich werfen Franz Engels nationalsozialistische Einlassungen braune Schatten auf seine Biographie: Sie basieren weniger auf Einzelaspekten wie seiner Pflichtapologetik und seiner unnötig erscheinenden Verwendung des Hitlergrußes, auch nicht vordergründig in seiner NSDAP -Mitgliedschaft an sich – sie basieren vielmehr auf der Kombination mit der Historischen Bauernforschung. Zugute zu halten ist Franz Engel, daß er – wohl im Unterschied zu Georg Tessin141 – „diesen Weg nach dem Krieg gelegentlich bitter bereut“ habe.142 Möglicherweise lag der von Franz Engel eingeschlagene Weg der Vergangenheitsbewältigung in einer gelegentlich konstatierten Rastlosigkeit in der Übernahme immer neuer Funktionen, Aufgaben und Projekte,143 deren Fülle ein weiterer Vergleich mit Georg Tessin erahnen läßt.144

141 Manke, Georg Tessin, (wie Anm. 5), S. 310–312. 142 Haase, (wie Anm. 3), Sp. 483. 143 Ulrich, (wie Anm. 3), S. 416 f.; Tessin, Staatsarchivdirektor, (wie Anm. 3), S. 4; Hamann, Archivrat, (wie Anm. 2), S. 2; Brosius, (wie Anm. 3), S. 180, Haase, (wie Anm. 3), Sp. 484; Brosius, (wie Anm. 2), S. 104. 144 Vera Tessin; Carl Meltz, Bibliographie Georg Tessin, in: Aus tausend Jahren mecklenburgischer Geschichte. Festschrift für Georg Tessin zur Vollendung seines 80. Lebensjahres, hg. v. Helge Bei der Wieden (Schriften zur mecklenburgischen Geschichte, Kultur und Landeskunde, 4), Köln/Wien 1979, S. 206–210 umfaßt 44 Publikationen, von denen 27 (61,4 %) vor und 17 (38,6 %) nach 1945 erschienen. Roderich Schmidt, Bibliographie Franz Engel, in: Ders., Beiträge, (wie Anm. 2), S. 343–359 umfaßt ohne Reihenherausgeberschaften 175 Publikationen, von denen 33 (18,9%) vor und 142 (81,1 %) nach 1945 erschienen. Georg Tessin war knapp ein Jahrzehnt älter und ihm war ein mehr als ein Vierteljahrhundert längeres Leben als Franz Engel beschieden.

Felix Biermann

Untergegangene Klöster und Stifte in Pommern: Stand und ­Perspektiven ihrer archäologischen Erforschung

Einleitung Klöster und Stifte hatten für die Religiosität und Kultur, die Besiedlung, die Wirtschaft und Herrschaftsorganisation Pommerns seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine große Bedeutung. Da fast alle Konvente durch die Reformation im 16. Jahrhundert aufgehoben, vielfach später zerstört worden und teilweise vollständig von der Erdoberfläche verschwunden sind, ist ihre archäologische Untersuchung oft der einzige Schlüssel, um Näheres über Lage, Gestalt und Baugeschichte, aber auch über das wirtschaftliche Wirken der Klöster und den Alltag ihrer Mitglieder zu erfahren. Forschungsprojekte zu Klöstern sollten nach Möglichkeit interdisziplinär angelegt sein und naturwissenschaftliche Datierungs- und Analysemethoden (Dendrochronologie, Anthropologie, Archäozoologie), archäologische Grabungen und Fundauswertungen, Bauforschung und Kunstgeschichte, geophysikalische Prospektionsmethoden sowie historische Quellenstudien mit einbeziehen, darüber hinaus den jeweiligen politischen und siedlungsgeschichtlichen Kontext der Gründung und Entwicklung der Konvente untersuchen. Anders wird man dem komplexen Forschungsgegenstand kaum gerecht. Die Historische Kommission für Pommern hat hier mit den beiden Forschungsprojekten zu den Prämonstratenserstiften Grobe bei Usedom und Belbuck (Białoboki) unfern Treptows an der Rega (Trzebiatów) eine Vorreiterrolle eingenommen.1 Darüber hinaus 1

Beide Projekte wurden maßgeblich durch die Historische Kommission für Pommern unterstützt. Vgl. Günter Mangelsdorf, Kloster Grobe bei Usedom – Bericht über die Ergebnisse einer Ausgrabung, in: Von der Steinzeit zum Mittelalter, hg. von Dems. (Greifswalder Mitteilungen, 3), Frankfurt/M. u. a. 1999, S. 155–190; Günter Mangelsdorf; Norbert Benecke; Felix Biermann, Untersuchungen zum frühgeschichtlichen Wirtschafts- und Herrschaftszentrum Usedom II: Die spätslawische Siedlung am Priesterkamp, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 2004–2005, S. 397–545; zusammenfassend zum Usedom-Projekt: Roderich Schmidt, Das wendische Uznam, das deutsche Usedom und das Prämonstratenserstift Grobe, in: Ders., Das historische Pommern. Personen – Orte – Ereignisse, Köln/Weimar/Wien 2009, S. 127–138; Felix Biermann; Marian Rębkowski, UsedomGrobe und Treptow (Trzebiatów)-Belbuck – Herrschafts- und Sakraltopographie pommerscher Zentralorte im 12./13. Jahrhundert, in: aedificatio terrae. Beiträge zur Umwelt- und Siedlungsarchäologie Mitteleuropas. Festschrift für Eike Gringmuth-Dallmer, hg. von Gerson H. Jeute; Jens Schneeweiss; Claudia Theune (Studia honoraria, 26), Rahden/Westfalen 2007, S. 69–78; Marian Rębkowski, Kołbacz (Kolbatz) and Białoboki (Belbuck) – archaeology of two 12th

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sind jedoch seit den 1950er Jahren (und vereinzelt bereits in der vorangegangenen Zeit) immer wieder Ausgrabungen und anderweitige archäologische Forschungen an ­Klöstern und Stiften Pommerns erfolgt, so in Altentreptow/Verchen,2 Bergen auf Rügen,3 Buckow (Bukowo Morskie),4 Eldena,5 Hiddensee,6 Kolbatz (Kołbacz),7 Köslin (Koszalin),8 Marienthron

century monasteries in Pomerania, in: Glaube, Macht und Pracht. Geistliche Gemeinschaften des Ostseeraums im Zeitalter der Backsteingotik, hg. von Oliver Auge; Felix Biermann; Christo­fer Herrmann (Archäologie und Geschichte im Ostseeraum, 5), Rahden/Westfalen 2009, S. 125–139; Ders., Die Christianisierung Pommerns. Eine archäologische Studie (Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie, 197), Bonn 2011, S. 36 ff.; Klasztor Premonstratensów w Białobokach. Archeologia i Historia, hg. von dems.; Felix Biermann, ­Szczecin 2015; Dies./Marek Dworaczyk, Archäologische Forschungen am Prämonstratenserstift Belbuck bei Treptow an der Rega, in: BaltStud, N.F., 101/2015 (2016), S. 15–36. 2 Felix Biermann, Der mittelalterliche Nonnenkonvent auf dem Klosterberg von Altentreptow, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 59/2011 (2012), S. 107–160. 3 Heiko Schäfer, Archäologische Untersuchungen im ehemaligen Nonnenkloster zu Bergen, in: Der Klosterhof und die Kirche St. Marien in Bergen auf Rügen, Bergen 2005, S. 17–21. 4 Henryk Janocha; Jerzy Kalicki, Badania archeologiczno-architektoniczne nad pocysterskim zespołem zabudowań klasztornych w Bukowie Morskim k. Darłowa w 1995–1997 roku, in: Koszalińskie Zeszyty Muzealne 22/1998, S. 133–190. 5 Hans Kloer, Kloster Eldena (Kunstwissenschaftliche Studien, I), Berlin 1929; Günter Mangelsdorf, Neue Ausgrabungen in der Klosterruine von Eldena bei Greifswald, in: Ders., Steinzeit, (wie Anm. 1), S. 225–291. 6 Felix Biermann, Zisterzienser auf Hiddensee 1296–1536. Geschichte und Archäologie eines verschwundenen Klosters (Hiddensee-Reihe, 2), Vitte auf Hiddensee 2009; Ders., Archäologische Untersuchungen am Zisterzienserkloster Hiddensee, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 57/2009 (2010), S. 265–357. 7 Eugeniusz Cnotliwy, Stan dotychczasowych badań archeologicznych w obrębie klasztoru cysterskiego w Kołbaczu, in: Historia i kultura Cystersów w dawnej Polsce i ich europejskie związki, hg. v. Jerzy Strzelczyk, Poznań 1987, S. 291–303; Ders., Aktualny stan i wstępne wyniki badań archeologicznych opactwa Kołbackiego, in: Dziedzictwo kulturowe Cystersów na Pomorzu. Materiały z seminarium które odbyło się 18 września 1994 roku w Kołbaczu, hg. v. Kazimiera Kalita-Skwirzyńska; Małgorzata Lewandowska, Szczeczin 1995, S. 113–118; Ders., Osadnictwo w północnej części ziemi pyrzyckiej przed i na początku działalności cystersów kołbackich w świetle nowszych badań, in: Cystersi w społeczeństwie Europy Środkowej, hg. v. Andrzej M. Wyrwa; Józef Dobosz, Poznań 2000, S. 419–435; zuletzt Rębkowski, Kołbacz, (wie Anm. 1); Ders., Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 42 f. 8 Ignacy Skrzypek, Archeologiczne badania ratownicze na terenie Starego Miasta w Koszalinie, in: Archaeologia et historia urbana, hg. v. Roman Czaja; Grażyna Nawrolska; Marian Rębkowski; Janusz Tandecki, Elblag 2004, S. 181–192, hier S. 183 f. Abb. 2.

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(Świątki),9 Neuenkamp,10 Stolpe an der Peene11 sowie Treptow an der Rega (Trzebiatów).12 Kleinere Notgrabungen wurden an etlichen weiteren Plätzen durchgeführt.13 Dargun – im pommersch-mecklenburgischen Grenzland – war Gegenstand eines großen interdisziplinären Forschungsprojektes, bei dem Ausgrabungen an der Anlage selbst allerdings nicht im Vordergrund standen.14 Natürlich waren viele der Grabungen in der Fläche recht begrenzt, und jene älteren Datums entsprechen meist nicht mehr heutigen methodischen Ansprüchen; die Untersuchungen des Kunsthistorischen Instituts der Greifswalder Universität aus den 1950er und 1960er Jahren auf Hiddensee, in Stolpe und Neuenkamp beispielsweise beschränkten sich auf die Freilegung von Fundamentresten. Stratigraphische Beobachtungen oder Fundanalysen spielten kaum eine Rolle.15 Gleichwohl ermöglichen schon die vorhan9 Henryk Janocha, Wzgórze Świątki koło Szczecinka, in: Zapiski Koszalińśkie 6/1960, S. 14–37. 10 Margit Hertel, Die Zisterzienserklosterkirche Neuenkamp (Franzburg) nach dem Befund der Ausgrabungen 1959/60, in: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch 5/1965, S. 129–148; Dies., Bericht über die Ausgrabungen der Zisterzienserklosterkirche Neuenkamp, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 10, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 4–5/1961, S. 367–374; Norbert Buske, Die Stadt- und Klosterkirche zu Franzburg, Schwerin 2006, S. 5 ff. 11 Joachim Fait, Die Ruine in Stolpe an der Peene und ihre Bedeutung für die romanische Baukunst in Nordostdeutschland, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe 8/1957–1958, S. 203–217; Ders., Die Benediktinerkirche in Stolpe an der Peene. Ein Ausgrabungsbericht und Rekonstruktionsversuch, in: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch 3/1963, S. 119–134. 12 Tadeusz Nawrolski; Ryszard Rogosz, Zespół klasztorno-pałacowy w Trzebiatowie w świetle badań archeologiczno-architektonicznych, in: Materiały Zachodniopomorskie 28/1982, S. 51–160; Rębkowski, Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 39 f. 13 Vgl. zum Überblick: Manfred Schneider, Klöster in Vorpommern. Ein Überblick über den archäologischen und baugeschichtlichen Forschungsstand, in: Tausend Jahre pommersche Geschichte, hg. v. Roderich Schmidt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, 31), Köln/Weimar/Wien 1999, S. 67–83; Rainer Szczesiak, „Das Leben Gott geweiht…“ – Die geistlichen Gemeinschaften und ihre Niederlassungen in Mecklenburg-Vorpommern vom 12. bis zum 16. Jahrhundert, in: Archäologie unter dem Straßenpflaster. 15 Jahre Stadtkernarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern, hg. v. Hauke Jöns; Friedrich Lüth; Heiko Schäfer, Schwerin 2005, S. 387–392; Ders., Stein gewordene Zeugnisse des Glaubens – Architektur und Kunst der Klöster und Stifte, in: Jöns; Lüth; Schäfer, S. 401–410; Rębkowski, Kołbazcz, (wie Anm. 1); Ders., Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 32 ff.; einen ansprechenden Überblick zu den erhaltenen wie nur noch archäologisch erfaßbaren Klöstern Vorpommerns (und Mecklenburgs) geben auch Martin Ebert; Thomas Grundner, Klöster in Mecklenburg-Vorpommern. Edition Kulturlandschaft Mecklenburg-Vorpommern, Rostock 2009. 14 Hansjürgen Brachmann; Elżbieta Foster; Christine Kratzke; Heike Reimann, Das Zisterzienserkloster Dargun im Stammesgebiet der Zirzipanen. Ein interdisziplinärer Beitrag zur Erforschung mittelalterlicher Siedlungsprozesse in der Germania Slavica, Stuttgart 2003. 15 Fait, Ruine, (wie Anm. 11); Ders., Benediktinerkirche, (wie Anm. 11); Hertel, Zisterzienserklosterkirche, (wie Anm. 10); Dies., Bericht, (wie Anm. 10); Nikolaus Zaske, Das Zisterzienserkloster zu Kloster auf Hiddensee. Bericht über die Grabungsperiode 1959, in: Wissenschaftliche

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Abb. 1: Ruine des Westriegels der Klosterkirche Stolpe von Nordwesten (Photo: Felix Biermann).

denen Forschungen bemerkenswerte Einblicke in die mittelalterliche Kloster- und damit Kulturgeschichte Pommerns; über einige wichtige Aspekte des Wirkens der Klöster, die insbesondere durch die archäologischen Forschungen deutlicher erkennbar sind, soll hier ein kurzer Überblick gegeben werden. Zugleich soll herausgestellt werden, welche weiteren Aufgaben sich der Forschung bieten. Die Bettelordenklöster, die seit dem 13. Jahrhundert in vielen pommerschen Städten entstanden, bleiben dabei unberücksichtigt, um diesen Aufsatz thematisch nicht zu weit auszudehnen. Überdies standen die Bettelordensniederlassungen Pommerns bislang nur vereinzelt im Fokus der Archäologie.16

Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 10/1961, S. 337–358; Karl Ebbinghaus, Ausgrabungen im Gelände des Zisterzienserklosters auf Hiddensee (Grabungsperiode 1960/61), in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 18/1969, S. 405–417. 16 Kleinere Untersuchungen betrafen das Franziskanerkloster in Greifswald, vgl. Stefan Fassbinder, Vom Kloster zum Museum – 750 Jahre Geschichte zwischen Mühlenstraße und Stadtmauer in Greifswald, in: Klöster und monastische Kultur in Hansestädten. Beiträge des 4. Wissenschaftlichen Kolloquiums Stralsund, 12.–15. Dezember 2001, hg. v. Claudia KimminusSchneider; Manfred Schneider (Stralsunder Beiträge zur Archäologie, Geschichte, Kunst und Volkskunde in Vorpommern, IV), Rahden/Westfalen 2003, S. 157–164; zu den Klöstern in Stralsund gibt einen Überblick Gunnar Möller, Zur Topographie der Klosteranlagen in der Hansestadt Stralsund, in: Kimminus-Schneider; Schneider, S. 91–102. Ausgrabungen

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Standorte und Gründung Die meisten Klöster bzw. Stifte in Pommern und auf Rügen wurden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts gegründet, wobei Stolpe an der Peene (gegen 1153) (Abb. 1) und Grobe (zwischen 1153 und 1155) den Anfang machten. Viele frühe Klöster in Pommern suchten Anschluß an einen zentralen Ort – eine herzogliche Burg oder eine Burgstadt. So entstand das Prämonstratenserstift Grobe im Suburbium der Burgstadt Usedom, des bedeutendsten Wirtschafts- und Siedlungszentrums des westlichen Odermündungsgebietes, zugleich wichtigster Stützpunkt der Greifenherzöge in Vorpommern und in den 1170er Jahren auch Sitz des pommerschen Bistums.17 Innerhalb dieser Siedlungsagglomeration wurde kein abgeschiedener Platz gewählt, sondern mit der Siedlung Grobe ein Ort mit Krug, Markt, Handwerksproduktion und Handel,18 bei der es sich wahrscheinlich um eine Niederlassung westlicher Kaufleute handelte.19 Ganz ähnlich wie in Grobe wurden auch die Prämonstratenser in Belbuck zwischen 1176 und 1182 nicht in der Wildnis angesiedelt, sondern bei einem politisch und wirtschaftlich bedeutenden zentralen Platz, der Burgstadt und Kastellanei Treptow an der Rega. Das Stift entstand auf einer Anhöhe nordwestlich Treptows im Bereich einer älteren Befestigung über dem Regafluß, der als Wasserweg zum Meer eine wichtige Kommunikationslinie bildete. Auch in Belbuck setzte bald eine intensive nicht-agrarische Wirtschaftsbetätigung ein.20 Diese Ortswahl erklärt sich aus einem generellen Zug der Prämonstratenser: Sie ließen sich, anders als die eher weltabgewandten Zisterzienser, oft an zentralen Orten nieder, wo in größerem Ausmaß fanden dort im Johanniskloster der Franziskaner statt, vgl. dazu Jörg Ansorge; Heiko Schäfer, Die Ausgrabungen im Stralsunder Johanniskloster in den Jahren 2006 und 2007 unter besonderer Berücksichtigung der spätgotischen und renaissancezeitlichen Ofenkacheln, in: Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 16/2009, S. 136–176; umfangreiche Untersuchungen wurden in den letzten Jahren am Augustinereremitenkloster in Stargard an der Ihna unter Leitung von Dr. Marcin Majewski (Stargard) durchgeführt, vgl. Archeologia Stargardu II.1. Badania na obszarze dawnego kościoła augustiańskiego, hg. von Marcin Majewski, Stargard 2016. 17 Jürgen Petersohn, Usedom im frühpommerschen Herzogsstaat, in: Schmidt, Tausend Jahre, (wie Anm. 13), S. 27–65; Schmidt, Uznam, (wie Anm. 1); Felix Biermann, Usedom – an early and high medieval political and economic centre in the Oder Estuary, in: Across the western Baltic. Proceeding from an archaeological conference in Vordingborg, hg. v. Keld Møller Hansen; Kristoffer Buck Pedersen, Vordingborg 2006, S. 293–303. 18 Winfried Schich, Usedom-Grobe und Brandenburg-Parduin, in: Die Insel Usedom in slawischfrühdeutscher Zeit, hg. v. Günter Mangelsdorf (Greifswalder Mitteilungen, 1), Frankfurt/M. u. a. 1995, S. 151–161, hier S. 152, 155 f.; Jürgen Petersohn, Usedom, (wie Anm. 17); Mangelsdorf u. a., (wie Anm. 1). 19 Felix Biermann; Ottilie Blum; Cecilia Hergheligiu, Neue Forschungen zum Prämonstratenserstift Grobe auf der Insel Usedom – Ausgrabungen am Wilhelmshofer Priesterkamp im Jahre 2010, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 63, 2016 (2017), S. 53–144. 20 Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1); Rębkowski, Kołbacz, (wie Anm. 1), S. 136.

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sie Einfluß auf die Eliten und weite Bevölkerungskreise nehmen sowie seelsorgerisch tätig werden konnten.21 Ebenso deutlich wie bei den Chorherren ist die Beziehung von Zentralort und monastischer Niederlassung bei den frühen Frauenklöstern: Die Benediktinerinnen (später ­Zisterzienserinnen) von Bergen auf Rügen wurden vom Rügenfürsten Jaromar 1193 auf einer Hochfläche unterhalb seiner Residenz, des Rugard, angesiedelt. Dort befanden sich auch die fürstliche Gerichtsstätte, ein Markt und ein Krug. Bald nahm die Siedlung stadtartige Züge an.22 Das Nonnenkloster in Altentreptow entstand zwischen 1191 und 1203 auf dem heutigen „Klosterberg“, einer Erhebung mitten in der Tollenseniederung 800 m nördlich Altentreptows. Daselbst existierte im 12. Jahrhundert eine Burg als Mittelpunkt einer pommerschen Kastellanei,23 und es gab bereits eine 1175 schriftlich genannte Kirche.24 Im Areal der 1245 privilegierten Rechtsstadt wurden zahlreiche spätslawische Siedlungsfunde sowie auch ein Schatz des 11. Jahrhunderts aufgedeckt, die den zentralen Charakter des Ortes untermauern.25

21 Zu dieser prämonstratensischen Eigenheit vgl. Franz Winter, Die Prämonstratenser des 12. Jahrhunderts und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland. Ein Beitrag zur Geschichte der Christianisierung und Germanisierung des Wendenlandes, Berlin 1865, S. 188; Hermann Hoogeweg, Die Stifter und Klöster der Provinz Pommern 1, 2, Stettin 1924/25, hier 2, S. 263; Schich, Usedom, (wie Anm. 18), S. 151; Helmut Flachenecker, Die Rolle der Prämonstratenser im Ostseeraum, in: Auge u. a., (wie Anm. 1), S. 323–338, hier 331 f.; Rębkowski, Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 57. 22 Ernst Bahr; Roderich Schmidt, Bergen auf Rügen, in: Mecklenburg Pommern. Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 12, hg. v. Helge bei der Wieden; Roderich Schmidt, Stuttgart 1996, S. 166–168; Sven Wichert, Zur Geschichte des Klosters, in: Klosterhof, (wie Anm. 3), S. 4–16. 23 Vgl. hierzu Fred Ruchhöft, Vom slawischen Stammesgebiet zur deutschen Vogtei. Die Entwicklung der Territorien in Ostholstein, Lauenburg, Mecklenburg und Vorpommern im Mittelalter (Archäologie und Geschichte im Ostseeraum, 4), Rahden/Westfalen 2008, S. 150; ferner Marian Rębkowski, Chrystianizacja Pomorza Zachodniego. Studium Archeologiczne, Szczecin 2007, S. 62. 24 PUB I, Erste Abtheilung 786–1253, Regesten, Berichtigungen und Ergänzungen zum Codex Pomeraniae diplomaticus, bearbeitet und hg. v. Robert Klempin, Stettin 1868, S. 66; vgl. Jürgen Petersohn, Der südliche Ostseeraum im kirchlich-politischen Kräftespiel des Reichs, Polens und Dänemarks vom 10. bis 13. Jahrhundert. Mission – Kirchenorganisation – Kultpolitik (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 17), Köln/Wien 1979, S. 316 Anm. 268. 25 Vgl. Ulrich Schoknecht, Zum Stand der archäologischen Stadtkernforschung in den mecklenburgischen Bezirken, in: Archäologische Stadtkernforschung in Sachsen. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven, hg. v. Heinz-Joachim Vogt (Arbeits- und Forschungsberichte zur sächsischen Bodendenkmalpflege, Beiheft 19), Berlin 1990, S. 217–228; zu den Fundplätzen: Jens Schneeweiss, Der Werder zwischen Altentreptow–Friedland–Neubrandenburg vom 6. Jh. vor bis zum 13. Jh. n. Chr. (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie, 102), Bonn 2003, S. 106 ff. Eine Burg ist noch nicht erwiesen, aber sehr wahrscheinlich, vgl. Ruchhöft, Stammesgebiet, (wie Anm. 23), S. 150 f., 177.

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Diese Ortswahl der Nonnen wird, ähnlich wie bei den Norbertinern, mit dem Bedürfnis zu tun gehabt haben, im Zentrum und nicht an der Peripherie zu wirken. Dazu kam, daß es sich gerade für ein Frauenkloster empfohlen haben wird, im anfangs unruhigen und in vieler Hinsicht noch paganen Land die Nähe einer herzoglichen Burg zu suchen; Klöster waren als Symbole des neuen Glaubens im 12. Jahrhundert bei heidnischen Reaktionen stets besonders gefährdet.26 Bei den zentralen Burgen waren die Möglichkeiten für karitative Aktivitäten auch besonders günstig, eine der Hauptaufgaben der frühen Frauenkonvente in Mecklenburg und Pommern.27 Im 13. Jahrhundert wurden weibliche Niederlassungen der Zisterzienser und Prämonstratenser dann sogar direkt in Städten gegründet, so in Köslin und Treptow an der Rega.28 Überdies benötigten die Ordensfrauen Priester, die den Altardienst versahen. In Altentreptow gab es bereits im späten 12. Jahrhundert einen Geistlichen an der Burgkirche. Während in Grobe der Bezug zu einem Zentralort sehr deutlich ist, ist dies bei Stolpe, dem wenige Jahre zuvor gestifteten Benediktinerkloster an der Peene, nicht im selben Maße nachvollziehbar. In der Nähe des Klosters lag jedoch die schriftlich überlieferte Burg Groswin, Zentrum einer gleichnamigen Provinz.29 Die Befestigung muß im Umkreis des Klosters gesucht werden; man kann an den 2,3 km entfernten Burgwall Grüttow denken, der bislang allerdings vorwiegend frühslawische Funde erbracht hat.30 Zudem lag Stolpe in einem wirtschaftlichen und politischen Kernraum Pommerns, in dem während des 12. Jahrhunderts zahlreiche Siedlungen mit Handwerk, Handel und Hafen sowie, mit den Plätzen Ziethen und Görke, auch herausragende Wirtschaftszentren bestanden. Ein Hauptgrund für die Stiftung des Klosters an jener Stelle dürfte jedoch in der Verbindung des Ortes mit dem märtyrergleichen Tod des Herzogs Wartislaw I. liegen. Herzog Ratibor I. gründete die Abtei an oder unfern jener Stelle, wo sein Bruder Wartislaw, der christliche Gastgeber Bischof Ottos von Bamberg, um 1135 erschlagen worden war. 26 Beispielsweise wurde das Kloster Doberan beim letzten großen heidnischen Aufstand 1179 zerstört, zahlreiche Mönche fanden den Tod (Petersohn, Ostseeraum, [wie Anm. 24], S. 65, 91; Sven Wichert, Das Zisterzienserkloster Doberan im Mittelalter, [Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser, 9], Berlin 2000, S. 17); weitere Beispiele bei Felix Biermann, Glaube, Macht und Pracht. Geistliche Gemeinschaften des Ostseeraums im Zeitalter der Backsteingotik – Einführung, in: Auge u. a. (wie Anm. 1), S. 9–37, hier S. 12 f. 27 Ernst Badstübner, Zisterzienserkirchen im nördlichen Mitteleuropa, Rostock 2005, S. 59; Biermann, Glaube, (wie Anm. 26), S. 9 ff. 28 Skrzypek, (wie Anm. 8); Nawrolski; Rogosz, (wie Anm. 12). 29 Vgl. Joachim Wächter, Zur Geschichte der Besiedlung des mittleren Peeneraums, in: Beiträge zur Geschichte Vorpommerns. Die Demminer Kolloquien 1985–1994, hg. v. Haik Thomas Porada, Schwerin 1997, S. 333–342; Schneider, Klöster, (wie Anm. 13), S. 70 ff.; Felix Biermann, Spätslawische Wirtschaftsstrukturen in Ostvorpommern, in: Das wirtschaftliche Hinterland der frühmittelalterlichen Zentren, hg. v. L. Polaček (Internationale Tagungen in Mikulčice, 6), Brno 2008, S. 27–46; Rębkowski, Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 32 f. 30 Vgl. Ulrich Schoknecht, Krien und Grüttow, zwei altslawische Burgwälle im Kreise Anklam, in: Ausgrabungen und Funde 17/1972, S. 192–202.

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Abb. 2: Klosterkirche Kolbatz von Süden mit Querhaus sowie Ansätzen des ehemaligen Seitenschiffs und Kreuzgangs (Photo: Kai Schaake).

Zumindest nach der Legende war es ein Heide, der den Herzog tötete, eine Kirche am Orte erinnerte bereits daran. Es ist interessant, daß in Stolpe 1176 auch eine Rotunde geweiht wurde, die als Tauf- oder Gedächtniskapelle gedient haben mag. Jedenfalls läßt die Ballung historischer Ereignisse und Sakralbauten vermuten, daß religiöse Motive und dynastische Memorialbedeutung diese Ortswahl maßgeblich bestimmten.31 Generell konnte die besondere Würde und Tradition eines Platzes Anlaß für eine Klostergründung sein. Diese mochte einerseits in die Frühzeit des Christentums in Pommern zurückgehen, die ja zur Zeit der ersten Stiftungen noch nicht allzu lange zurücklag. In Kolberg (Koło­ brzeg) beispielsweise hatte Bischof Otto von Bamberg bei seiner ersten Missionsreise 1125 eine Marienkirche gegründet, in einer Vorburgsiedlung nördlich des zentralen Burgwalls der Burgstadt „Altstadt“ (Budzistowo) am Persanteufer. Dort entstand später ein Kollegiatstift St. Marien, das 1219 erwähnt wird, und das 1277 – nach Verlegung des Kollegiats in die neu entstandene Rechtsstadt – in ein Benediktinerinnenkloster umgewandelt wurde.

31 Hoogeweg 2, (wie Anm. 21); Ernst Bahr; Klaus Conrad, Stolpe, in: bei der Wieden; Schmidt, (wie Anm. 22), S. 290–292; Rębkowski, Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 32 ff.

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Abb. 3: Westfront der Klosterkirche Eldena (Photo: Felix Biermann)

Dieses blieb bis in das 15./16. Jahrhundert in Altstadt bestehen, obgleich sich das urbane Zentrum schon lange in die Rechtsstadt Kolberg, 2,5 km flußabwärts, verlagert hatte.32 Andererseits konnte die Lage der Abtei auch auf heidnische Kultplätze Bezug nehmen, um deren Tradition sozusagen zu brechen: Das Kloster Belbuck bei Treptow an der Rega, das im Namen den „Weißen Gott“ (Biały Bog) trägt, soll an der Stelle eines paganen Heiligtums errichtet worden sein; der Konvent versuchte später erfolglos, den etwas anstößigen Namen durch St. Petersburg (Castrum sancti Petri) zu ersetzen. Auch für Altentreptow in Vorpommern sowie Broda und Doberan in Mecklenburg vermutet man heidnische Bezüge.33 In Altentreptow ergaben die Ausgrabungen von 2009 jedoch keine 32 Vgl. Hoogeweg 1, (wie Anm. 21), S. 372 ff.; Hermann Bollnow, Studien zur Geschichte der Pommerschen Burgen und Städte im 12. und 13. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V, 7), Köln/Graz 1964, S. 131 ff.; Felix Biermann, Die Kirchen des Bischofs Otto von Bamberg in Pommern – ein Beitrag zur Frühgeschichte der Kirche St. Paul in Usedom und zur Lage der missionszeitlichen Sakralbauten im Odermündungsgebiet, in: Pfarrkirchen in den Städten des Hanseraums, hg. v. Felix Biermann; Manfred Schneider; Thomas Terberger (Archäologie und Geschichte im Ostseeraum, 1), Rahden/Westfalen 2006, S. 21–38, hier S. 29. 33 Felix Escher, Slawische Kultplätze und christliche Wallfahrtsorte. Bemerkungen zum Problem der Christianisierung des Raumes zwischen Elbe und Oder, in: Germania Slavica II, hg. v.

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entsprechenden Befunde,34 in Belbuck immerhin gelang der archäologische Nachweis einer slawischen Besiedlung am Platze des späteren Klosters. Ein Abschnittsgraben des 10. bis 12. Jahrhunderts trennte den Sporn über der Rega von der Höhe ab. Er erfüllte vielleicht Befestigungsfunktionen. Eine kultische Nutzung kann aber nicht näher belegt werden.35 Seit den 1170er Jahren wurden indessen regelrechte Feldklöster errichtet, ohne direkten Bezug zu einer herzoglichen Burg, z. B. Dargun (1172),36 Kolbatz (Kołbacz) (1173) (Abb. 2) und Eldena (1199) (Abb. 3). Das hatte zum einen damit zu tun, daß sich die Gefahrensituation mit der zunehmenden christlichen Durchdringung des Landes nach und nach entspannt hatte. Zum anderen fielen den Klöstern im beginnenden ostsiedlungszeitlichen Landesausbau wichtige Aufgaben als Grundherren und Organisatoren von Einwanderung und Urbarmachung zu. Namentlich die Zisterzienser wurden gern eingesetzt, um unbesiedelte Gebiete zu kultivieren und westliche Zuwanderer anzuwerben. Das zisterziensische Ideal, sich in einer Wildnis niederzulassen und diese durch eigener Hände Arbeit zu gottgefälligem Wohlstand auszubauen, fand im relativ dünn besiedelten Pommern zunächst ein reiches Betätigungsfeld. Im Laufe des 13. Jahrhunderts nahmen Bevölkerung und Kulturland jedoch bald zu, die Einöden ab, so daß solche Regionen knapp wurden. Die letzte Gründung der Zisterzienser in Pommern bzw. im damaligen Fürstentum Rügen mußte, um dieses Leitbild noch zu realisieren, 1296 auf der kleinen und kargen Insel Hiddensee angelegt werden, also in einem eher abgelegenen Winkel des Herrschaftsgebiets.37 Generell gilt, daß man für den Bau gerade der Klöster gern herausgehobene topographische Situationen wählte, denn die Klöster und ihre Kirchen waren Symbole des neuen Glaubens im noch keineswegs vollständig christlichen Pommern. Altentreptow entstand auf einem Berg mitten im Tollensetal, Belbuck auf einem hohen Geländesporn über der Rega; das auf dem Hochufer der Peene erbaute Kloster Stolpe überblickte weithin diesen wichtigen Wasserweg. Der Gründungsort des Stifts Grobe war die höchste Stelle (Flurname „Klosterberg“) einer in den Usedomer See vorkragenden Halbinsel, an der jedes die Burgstadt Usedom ansteuernde Schiff vorbeikam, und der 1184 geplante Versetzungsort – der Berg

Wolfgang H. Fritze (Berliner Historische Studien, 4), Berlin 1981, S. 121–141, hier S. 132 f.; Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1); Biermann, Glaube, (wie Anm. 26), S. 12 f., mit weiterer Literatur. 34 Biermann, Altentreptow, (wie Anm. 2). 35 Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1). 36 Die Burg Dargun war bereits oder wurde bei der Klostergründung aufgegeben; vgl. z. B. Heike Reimann, Dänische Einflüsse auf Zisterzienserklöster im slawischen Siedlungsgebiet. Das Beispiel Dargun, in: Zwischen Reric und Bornhöved. Die Beziehungen zwischen den Dänen und ihren slawischen Nachbarn vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Beiträge einer internationalen Konferenz, Leipzig 4.–6. Dezember 1997, hg. v. Ole Harck und Christian Lübke (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 11), Stuttgart 2001, S. 187–195, hier S. 189. 37 Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 16 f.

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„Watchow“/„Marienberg“ bzw. heutige Gruppenberg38 – lag exponiert über dem Stettiner Haff direkt an der Klüne, der Durchfahrt in den Usedomer See. Die im noch weithin von Holz- und Lehmarchitektur geprägten Pommern ohnehin beeindruckende Stein- oder Backsteinarchitektur der neuen Klöster wurde so durch die Geländetopographie noch zusätzlich hervorgehoben. Man schuf Landmarken des triumphierenden Christentums.

Verlegungen Es ist ein überregional bekanntes Phänomen, daß viele Klöster ihre Gründungsorte nach einiger Zeit aufgaben und eine mehr oder weniger nahegelegene neue Stätte aufsuchten.39 Das war auch in Pommern der Fall: Das Stift Grobe sollte 1184 zum wenige Kilometer entfernten „Marienberg“ umziehen, 1307/09 wurde es dann tatsächlich nach Pudagla verlegt; das 1231 gegründete Neuenkamp wurde im späten 13. Jahrhundert um eine geringe Distanz verlagert, das Kloster neu errichtet;40 die Zisterze Buckow wurde 1248 zunächst für Büssow (Boryszewo) südlich Rügenwaldes (Darłowo) vorgesehen, entstand dann aber 1252 in dem nahe gelegenen Ort, dessen Namen es fortan trug.41 Die Gründe dafür sind jeweils lokal zu klären. Z. T. handelte es sich wohl von vornherein um Provisorien. Teilweise erwies sich der Gründungsort aus wirtschaftlichen oder anderweitigen Gründen als ungeeignet, und zuweilen zwangen wohl auch Fehlplanungen zu Ortswechseln. Besonders oft wurde das Kloster Altentreptow/Verchen verlegt: Es war zwischen 1191 und 1203 durch die lutizischen Adeligen Heinrich und Borts, Söhne des Rannus, gegründet worden und fand seinen ersten Standort auf dem Altentreptower Klosterberg. Nach kurzer Zeit versetzten die Nonnen ihre Niederlassung jedoch um wenige Kilometer nach Klatzow. Nach den Ausgrabungsergebnissen, die auf dem Altentreptower Klosterberg wohl eine Kirche (Abb. 4), jedoch praktisch keine Nutzungspuren der Zeit um 1200 nachwiesen, haben die Nonnen die Stätte nur kurz genutzt, vielleicht auch gar nicht erst dort gelebt. Klatzow war ihnen von Heinrich und Borts bei der Gründung des Klosters zunächst nicht übergeben worden. Die Brüder behielten sich den Ort auf Lebzeiten vor,42 möglicherweise, weil sie dort ihre Residenz besaßen. Offenkundig waren die beiden Stifter aber mittlerweile verstorben und die Nonnen konnten in deren Hof übersiedeln. Auch in Klatzow bestand das Kloster nicht lange, sondern wurde 1245 um gut 30 Kilometer auf den Marienwerder bei Verchen

38 Mangelsdorf u. a., (wie Anm. 1). 39 Vgl. z. B. Matthias Untermann, Handbuch der mittelalterlichen Architektur, Stuttgart 2009, S. 13. 40 Vgl. Andreas Niemeck, Die Zisterzienserklöster Neuenkamp und Hiddensee im Mittelalter (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, V, 37), Köln/Weimar/Wien 2002, S. 271; Buske, Franzburg, (wie Anm. 10), S. 1. 41 Klaus Conrad, Buckow, in: bei der Wieden; Schmidt, (wie Anm. 22), S. 170 f. 42 Hoogeweg 2, (wie Anm. 21), S. 771.

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Abb. 4: Fundament und Ausbruchgrube der Apsis der Klosterkirche Altentreptow, Ausgrabungen 2009 (Photo: Felix Biermann).

verlegt, eine Talsandinsel im Tal der Peene; der genaue Ort ist uns unbekannt. An dieser Stelle lag es wiederum nur wenige Jahre: 1269 wurde es an jenen Platz in Verchen verlagert, an dem es bis zu seiner Aufhebung 1534 bestand.43 Mit dem Ortswechsel gab das Kloster in Altentreptow auch seine ursprünglich zentralörtliche Lage nahe der Verwaltungsburg Altentreptow auf und wählte einen neuen, anscheinend abgelegenen Platz, so daß es zum Feldkloster wurde. Möglicherweise waren damit Wechsel in den sozialen und religiösen Aufgaben des Klosters verbunden, hin zu einer mehr weltabgewandten Lebensgestaltung und einer stärker auf Land und Grundbesitz bezogenen Klosterwirtschaft.44

43 Vgl. Hoogeweg 2, (wie Anm. 21), S. 771 ff.; Ursula Creutz, Bibliographie der ehemaligen Klöster und Stifte im Bereich des Bistums Berlin, des bischöflichen Amtes Schwerin und angrenzender Gebiete (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte, 26), Leipzig 1988, S. 11; Dies., Geschichte der ehemaligen Klöster im Bistum Berlin in Einzeldarstellungen (Studien zur katholischen Bistums- und Klostergeschichte, 38), Leipzig 1995, S. 176 ff. 44 Verchen lag allerdings in der Nähe der Demminer Residenz des Herzogs Wartislaw III., was die Ortswahl beeinflußt haben mag; vgl. Szczesiak, Zeugnisse, (wie Anm. 13), S. 403.

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Baugestalt und Architektur Da manche Klöster und Stifte in Pommern vollständig von der Erdoberfläche verschwunden sind (Altentreptow, Belbuck, Grobe, Hiddensee, Marienthron [Świątki],45 Pudagla46 u. a.), bieten archäologische Forschungen die einzige Möglichkeit, etwas zu ihrer Baugestalt und Architektur zu erfahren; freilich sind einige davon so restlos zerstört, daß sogar ihre genaue Lage heute unbekannt ist. Das gilt für den Gründungskonvent von Neuenkamp,47 die Klosterstandorte in Klatzow und Marienwerder bei Verchen (s. oben), und auch in Grobe mußte die Lokalität bei den archäologischen Forschungen erst gesucht werden, ohne daß das Ergebnis – die Ortung des Chorherrenstifts auf dem „Priesterkamp“ bei Usedom (Gemarkung Wilhelmshof ) – allseits akzeptiert worden wäre.48 Andere Klöster sind überbaut und daher nur schwer zu erforschen, was etwa für Belbuck gilt, in dessen Ruinen sich seit dem 17./18. Jahrhundert eine bis heute bestehende Kleinsiedlung von Kätnern und Tagelöhnern entwickelt hatte.49 In allen Fällen müssen die Ausgrabungen aus Gründen der Kosten und des Aufwands flächenmäßig begrenzt bleiben; bislang ist es noch nicht gelungen, ein Kloster oder Stift auch nur annähernd vollständig auszugraben. Ein solches Ansinnen wird dadurch beeinträchtigt, daß die Klosterkirchen und ihr Umfeld in der Regel über die Zeit des Klosters hinaus zur Bestattung gedient haben. Der Ausgräber sieht sich entsprechend mit großen Mengen von Gräbern konfrontiert, deren zeitaufwändige Bergung die weiträumige Aufdeckung von Gebäudestrukturen erschwert.50 Schließlich wurden seitens der Landesarchäologie in Vorpommern bis zum Jahre 2006 Forschungsgrabungen stark beschränkt, da sie als Zerstörung des Denkmals betrachtet wurden. Diese Berufung auf den Bodendenkmalschutz war bei der Stiftsstätte Grobe und anderen Fundplätzen, die durch die fortwährende landwirtschaftliche Nutzung des Geländes erheblich geschädigt werden, allerdings disputabel.

45 Vgl. Hoogeweg, 2, (wie Anm. 21), S. 224 ff. 46 Das in Pudagla erhaltene Schloß scheint im Wesentlichen ein Neubau des 16./17. Jahrhunderts zu sein, die als Wirtschaftsgebäude in Teilen erhaltene Kirche wurde 1984 abgerissen, vgl. Arthur Behn, Das Kloster Grobe, in: Prémontré des Ostens. Das Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg vom 11. bis 17. Jahrhundert, hg. v. Matthias Puhle; Renate Hagedorn, Oschersleben 1996, S. 89–92, hier S. 91 f. 47 Vgl. Schneider, Klöster, (wie Anm. 13), S. 78. 48 S. Hans Georg Thümmel, Zur Erforschung des Prämonstratenserklosters Grobe/Usedom – Ergebnisse und Fragen, in: Aus der Frühgeschichte des südwestlichen Ostseegebietes, hg. v. Günter Mangelsdorf (Greifswalder Mitteilungen, 5), Frankfurt/M. u. a. 2002, S. 33–50; ferner Rębkowski, Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 34 ff. 49 Vgl. Rębkowski, Kołbacz, (wie Anm. 1), S. 127. 50 Zudem stören die meist nicht genau datierbaren und daher für sich gesehen wenig aussagekräftigen Gräber die älteren Befundzusammenhänge; diese Situation war z. B. für die eher bescheidenen Ergebnisse der Ausgrabungen der 1990er Jahre im Kloster Eldena verantwortlich (vgl. Mangelsdorf, Eldena, [wie Anm. 5]).

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Abb. 5: Rekonstruktion des Grundrisses der Zisterze Hiddensee auf Grundlage der Grabungsschnitte von 1954 bis 2008 (Zeichnung: Thomas Kinkeldey).

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Abb. 6: Schnitt durch den westlichen Kreuzgang von Hiddensee mit der Ausbruchgrube der Kreuzgangwand (hinten), einer Bestattung (Mitte) und dem Kellerfußboden des Westflügels (vorn), Ausgrabung 2008 (Photo: Felix Bier­mann).

Gleichwohl lassen auch kleinere Grabungen häufig bereits interessante Schlüsse zu, da die Klöster und Stifte stets einem ähnlichen Baumuster folgen. Klöster waren Gehäuse für eine klar umrissene Form der Organisation von Alltagsleben, Glaubenspraxis und Arbeit, und dafür hatte sich bereits ein bestimmtes Bau- und Grundrißmuster herausgebildet, bevor das erste Kloster in Pommern überhaupt gegründet wurde. Diesem benediktinischen Klosterschema, das aus einer Kirche und der rechteckigen, daran im Süden, seltener im Norden anschließenden Klausur um Kreuzgang und Paradiesgarten bestand, folgten offenkundig sämtliche Klöster in Pommern. In Stolpe wurde die im Norden an die Kirche anschließende Klausur in kleinen Teilen freigelegt,51 ebenso auf Hiddensee. Das dortige Claustrum hatte 44–46 m Länge und befand sich im Süden der Kirche (Abb. 5). Dort gelang es auch, mittels einer Warmluftheizung im Südflügel das Calefaktorium, den Wärmeraum für die kranken und schwachen Mönche, sowie im Westflügel das Cellerarium, den Vorratskeller des Klosters, nachzuweisen (Abb. 6). Das spricht für die übliche Nutzung des Westarms der Klausur als Konversenflügel, also als Wohn- und Arbeitsbereich der Laienbrüder. Ferner gibt es Hinweise auf eine Brunnenkapelle im Südteil des Paradiesgartens, was die Ortung des Refektoriums, des Speisesaals, im anschließenden Südflügel ermöglicht. Auch wenn in der Abtei Hiddensee, deren Gelände heute teils überbaut ist, teils als Gärtnerei genutzt wird, nur kleine Schnitte möglich waren, so läßt sich doch das Kloster recht detailliert rekonstruieren.52 In Kolbatz, wo die etwa 70 m lange Kirche (Abb. 2) und der Klausur-Westteil 51 Fait, Ruine, (wie Anm. 11); Ders., Benediktinerkirche, (wie Anm. 11). 52 Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 51 ff.

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– der Konversenflügel – noch aufrecht stehen und deshalb die Grundanlage bis heute gut erkennbar ist, wurden bei Ausgrabungen die abgetragenen Teile des Klausurgevierts mit Refektorium und Brunnenkapelle am Südarm nachgewiesen. Obgleich der Bau knapp 100 Jahre älter als Hiddensee war und die Ausmaße mit über 50 m Seitenlänge deutlich stattlicher, so war der Aufbau doch fast identisch.53 Das gilt auch für Eldena, wo bereits in den 1920er Jahren durch kunstgeschichtlich orientierte Grabungen der Klosterplan um die im Untergrund erhaltenen Fundamente ergänzt und eine klassische Klausurgliederung – nebst einer Warmluftheizung – erfaßt werden konnte. Die mit über 60 m Seitenlänge sehr ausgedehnte Klausur war nicht nur in backsteingotischen Formen errichtet, sondern auch repräsentativ ausgestattet worden, wie z. B. die bei den Grabungen aufgefundenen Fußböden aus prächtigen, glasierten und ornamentierten Fliesen in Kapitelsaal, Kapelle und Wärmeraum erwiesen.54 In Grobe ermöglichen geomagnetische Prospektionen den Rückschluß auf eine Klausur von etwa 45–50 m Seitenlänge im Norden der Kirche,55 größere Ausgrabungen im Bereich des Gebäudegevierts stehen noch aus. In Belbuck hingegen, dessen Stelle heute ein Dorf einnimmt, konnten die kleinen Grabungsschnitte lediglich die tiefen und breiten Gräben der bis in den Grund ausgebrochenen Fundamente der Baulichkeiten nachweisen (Abb. 7). Ein auch nur annähernder Grundriß von Kirche und Kloster war nicht mehr zu gewinnen.56 Interessant war der Befund auf dem Klosterberg von Altentreptow, jenem Ort, an dem zwischen 1191 und 1203 ein Benediktinerinnenkloster gegründet, nach kurzer Zeit allerdings schon ins benachbarte Klatzow verlegt worden war (s. oben). Hier wurden die Grundmauern einer stattlichen Kirche erfaßt (Abb. 4), die in beherrschender Position am Rande des Gipfelplateaus errichtet worden war. Im südlich anschließenden Terrain, wo nach der Geländesituation die Klausur zu erwarten war, ließen sich indessen keinerlei Spuren derselben antreffen. Auch wenn Gräber des 14. bis 16. Jahrhunderts das gesamte Areal stark gestört hatten, so sollten sich doch wenigstens geringe Reste etwaiger Konventsbauten erhalten haben. Anscheinend begann die Errichtung des Klosters also mit der Kirche, und zwar üblicherweise mit deren Apsis- und Chorbereich im Osten; die Nonnen nahmen derweil in leicht gebauten Holz- oder Holz-Lehm-Häusern Quartier, sofern sie überhaupt schon vor Ort waren. Bevor aber mit der Errichtung der Klausur begonnen werden konnte, vermutlich auch vor der Vollendung der Kirche, änderte sich die P ­ lanung: Das Stift wurde in Klatzow errichtet, die Arbeiten auf dem Klosterberg eingestellt. So gewinnen wir auch einen interessanten allgemeinen Einblick in die Organisation und den anscheinend gelegentlich nicht sehr geordneten Ablauf von Klostergründungen des 12. Jahrhunderts.57 Dabei ist hervorzuheben, daß man die Kirche augenscheinlich gleich in Stein baute. Ein 53 Rębkowski, Kołbacz, (wie Anm. 1), S. 128 ff. Abb. 2, 3. 54 Kloer, (wie Anm. 5), S. 58 f., 66 ff. Abb. 47. 55 Biermann u. a., (wie Anm. 19). 56 Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1). 57 Biermann, Altentreptow, (wie Anm. 2).

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Abb. 7: Ausgrabungen am Stift Belbuck 2005, unter starken Auflagerungen werden Fundamentsteine der Klausur sichtbar (Photo: Felix Biermann).

erstes hölzernes Gotteshaus, wie es für Klostergründungen oft vermutet wird,58 läßt sich in Altentreptow nicht belegen. Neben den Kirchen und den direkt anschließenden Klausuren gehörten zu den Klöstern zahlreiche weitere Bauten, die der Wirtschaft, der Herberge, der Repräsentation und Verteidigung dienten. So wurden in Hiddensee und Belbuck die Abtshäuser ergraben – separate Residenzen, die offenkundig komfortabler waren als die kargen Räume der Mönche bzw. Chorherren. Das Abtshaus in Hiddensee besaß eine große Warmluftheizung, die Kunde vom Komfort gibt, den der Abt und seine Gäste hier genossen.59 In Kolbatz steht das Abtshaus bis heute südöstlich der Konventsanlage (Abb. 8). Ausgrabungen in seinem Umfeld legten Spuren einer zweiten Kreuzganganlage, des sog. „kleinen Klosters“, frei, zu dem die Residenz des Klostervorstehers, ein Gästehaus, eine Schule, ein Garten sowie Wirtschaftsgebäude gehörten, wahrscheinlich auch ein Hospital. Der auf das frühe 14. Jahrhundert zurückgehende Baukomplex war mit einer aufwändigen Kanalisation versehen, die vom hohen hygienischen Standard der Abtei zeugt.60 Die geomagnetische

58 Z. B. für Eldena (Kloer, Eldena, [wie Anm. 5], S. 86; Mangelsdorf, Eldena, [wie Anm. 5], S. 239) und Kolbatz (vgl. Rębkowski, Kołbacz, [wie Anm. 1], S. 131; Ders., Christianisierung, [wie Anm. 1], S. 42). 59 Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 88 ff. 60 Cnotliwy, Stan, (wie Anm. 7), S. 298 ff.; Roman Kamiński, Kołbacki dom opata i zabudowa jego otoczenia na podstawie badań archeologiczno-architektonicznych, in: Wielkopolskie sprawozdania archeologiczne 7/2005, 25–33.

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Abb. 8: Das Abtshaus von Kolbatz (Photo: Kai Schaake).

Untersuchung von Grobe läßt etliche Nebengebäude erkennen, wohl Ställe, Werkstätten, Spital oder Herberge, doch ohne weitere Ausgrabungen kann die genaue Funktion nicht bestimmt werden. Umgeben waren die Klöster von starken, teils grabenbewehrten Mauern, die als Rechtsgrenzen und auch zur Verteidigung im Falle eines Angriffs dienten. Gerade im unruhigen 14./15. Jahrhundert hatten praktisch alle Klöster Händel mit benachbarten Rittern und Städten auszufechten.61 Feste Mauern wurden u. a. in Belbuck (Abb. 9) und Hiddensee ausgegraben, und die in Grobe in Luftbild und Geomagnetik erfaßten Gräben, die den Klosterbereich sowie die dabei gelegene Siedlung einfriedeten, werden ebenfalls in diesen Zusammenhang gehören.62 So ermöglicht die Archäologie, ein farbiges Bild der komplex aufgebauten Klöster zu zeichnen, deren vielfältige Funktionen sich in ihrer Bebauung spiegeln.

61 Vgl. z. B. G. F. Brummer, Das Kloster Belbog bey Treptow an der Rega, in: BaltStud 2/1833, S. 3–78; Franzisca Müller, Kloster Buckow. Von seiner Gründung bis zum Jahre 1325, in: BaltStud, N. F., 22/1919, S. 1–84. 62 Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6); Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1); Rębkowski, Kołbacz, (wie Anm. 1), S. 133; Biermann u. a., (wie Anm. 19).

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Abb. 9: Ausbruchgrube der Umfassungsmauer des Stifts Belbuck in Planum (vorn) und Profil (hinten), Ausgrabung 2005 (Photo: Felix Biermann).

Kirchen Die Kirchen, die archäologisch erfaßt werden konnten, bestätigen die Varianz des Bildes, das die bis heute ruinös oder unter Dach erhaltenen Stifts- und Klosterkirchen Pommerns bieten. Anfangs waren die Gotteshäuser meist noch recht bescheiden; gewaltige Prachtbauten wie in Dargun und Neuenkamp gehören einer späteren Epoche an. In Grobe wurde in den 1150er Jahren eine einschiffige Kirche von 10 m Breite und mindestens 33 m Länge, wahrscheinlich aber deutlich größeren Ausmaßes errichtet; zum Ostabschluß und einem möglichen Querhaus kann bislang noch nichts gesagt werden. Die Grober Saalkirche findet Analogien unter anderen Prämonstratenserkirchen, so im nahe gelegenen, wohl erst gegen 1230 eingerichteten ostmecklenburgischen Prämonstratenserstift Broda,63 sowie auch im Westen: Gut vergleichbar ist z. B. die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtete Kirche des Prämonstratenserstifts Sayn bei Neuwied am Rhein, ein ca. 50 m langer und 9,50 m breiter, ganz gewölbter, kreuzförmiger Saal.64 Aber auch die mit 26 m Länge sehr kleine Saalkirche des Benediktinerklosters Lubin in Großpolen aus dem mittleren

63 Vgl. R. Szczesiak, Die mittelalterlichen geistlichen Ordensgemeinschaften in MecklenburgVorpommern – dargestellt am Beispiel der Institutionen der Herrschaft Stargard (Südostmecklenburg), in: Auge u. a., (wie Anm. 1), S. 141–180, hier S. 149 Abb. 5. 64 Günther Binding; Matthias Untermann, Kleine Kunstgeschichte der mittelalterlichen Ordensbaukunst in Deutschland, Darmstadt 1985, S. 309 Abb. 354.

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12. Jahrhundert65 oder die wenig jüngeren, prunklosen, einschiffigen Kirchen der norwe­ gischen Zisterzen Lyse, Munkeby und Tautra66 sind gut vergleichbar und zeigen, daß man in jener frühen Zeit oft eher anspruchslose Bauten errichtete. Dafür verantwortlich waren die begrenzten materiellen und technischen Möglichkeiten der Bauherren sowie die Selbstbeschränkungen der damals noch sehr strengen Orden und Kanonikergemeinschaften. Als Baumaterial verwendete man in Grobe qualitätvolle Granitquader, die aus Findlingen zurecht geschlagen wurden; genauso zeigte sich auch die Front des spätromanischen Westturms der nahe gelegenen, zeitgleichen Kirche von Stolpe an der Peene (Abb. 1).67 Bei den ersten Klöstern Pommerns scheint der Backstein noch nicht vorrangig zur Anwendung gekommen zu sein. Erst in den 1170er bis 1190er Jahren setzte er sich als Baumaterial durch. Klöster haben mit ihren weiträumigen Verbindungen bei der Einführung dieser Technik aus Norditalien, in Pommern vermittelt wohl über Dänemark, eine entscheidende Rolle gespielt.68 Auch in Altentreptow handelte es sich um eine Saalkirche recht großer Ausmaße: Ihr rechteckiger Chor wies etwa 13,50 m Breite, die halbrunde Apsis gut 12,50 m Breite und 7 m Tiefe auf (Abb. 4).69 Die nach 1269 in Verchen erbaute Nachfolgekirche war desgleichen ein einschiffiger Saal; die Nonnen waren sich darin treu geblieben.70 Saalkirchen waren für Nonnenklöster generell charakteristisch.71 Der Typus scheint im Rheinland in spätromanischer Zeit aufgekommen zu sein und sich von dort im späten 12. und 13. Jahrhundert in Nord- und dann auch Nordostdeutschland ausgebreitet zu haben.72 65 Vgl. Magdalena Żurek, Kościół konwentualny Panny Marii w Lubiniu. Rekonstrukcja kolejnych faz budowy i rozbudowy w XI–XIII wieku, in: Opactwo Benedyktynów w Lubiniu. Pierwsze wieki istnienia (Prace Komisji Archeologicznej PTPN, 16), hg. v. Zofia Kurnatowska, Poznań 1996, S. 35–57, hier S. 40 ff. Abb. 2–15. 66 Vgl. zuletzt Christine Kratzke, Die Architektur der Zisterzienser im Ostseegebiet: Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Einflüsse, in: Harck; Lübke, (wie Anm. 36), S. 197–225, hier S. 216 ff. Abb. 12–14. 67 Szczesiak, Zeugnisse, (wie Anm. 13), S. 401 f. Abb. 2. 68 Ernst Badstübner, Feldstein und Backstein als Baumaterial in der Mark Brandenburg während des 12. und 13. Jahrhunderts, in: architectura 1994, S. 34–45, besonders S. 34, 44; Ders., Zur Rolle märkischer Zisterzienserkirchen in der Baukunst des Ordens und in der Backsteinarchitektur, in: Zisterzienser in Brandenburg (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser, 1), hg. v. Oliver H. Schmidt; Dirk Schumann, Berlin 1997, S. 22–37, hier S. 28 f.; Hans Krongaard Kristensen, Backsteinarchitektur in Dänemark bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, in: Dänen in Lübeck 1203 · 2003. Danskere i Lübeck (Ausstellungen zur Archäologie in Lübeck, 6), hg. v. Manfred Gläser; Doris Mührenberg; Palle Birk Hansen, Lübeck 2003, S. 94–103, hier S. 95–98. 69 Biermann, Altentreptow, (wie Anm. 2). 70 Georg Dehio Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Mecklenburg-Vorpommern, hg. v. Hans-Christian Feldmann, München/Berlin 2000, S. 654 f. 71 Vgl. Binding; Untermann, (wie Anm. 64), S. 273; Untermann, (wie Anm. 39), S. 13. 72 Rolf Bärenfänger, Archäologie auf den ehemaligen Klosterplätzen Ostfrieslands, in: Zisterzienser im Norden. Neue Forschungen zur Klosterarchäologie. Symposium bei der Ostfriesischen

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Abb. 10: Die Franzburger Kirche, Querhausflügel der ehemaligen Klosterkirche (Photo: Felix Biermann).

Die Kirche von Stolpe, eine dreischiffige querhauslose Basilika von gut 39 m Länge und 13 m Breite mit gerade geschlossenem Chor und mächtigem, westwerkartigem Westriegel, dessen Ruine noch heute erhalten ist (Abb. 1), nahm Magdeburger Stilelemente auf. Das ist kein Wunder angesichts der Herkunft der Stolper Benediktiner aus Kloster Berge bei Magdeburg und der Bedeutung, die die Magdeburger Kirche generell für diese frühe ­Klostergründung besaß. Das Bauwerk wurde aus Feld- und Haustein errichtet.73 In Hiddensee entstand im 14. Jahrhundert eine mindestens 50 m lange dreischiffige Kirche mit Querhaus und unbekanntem Westabschluß, deren Aufgehendes – so zeigen es zahlreiche Back- und Formsteine – in Technik und Formen der Backsteingotik aufgeführt waren

Landschaft in Aurich vom 19.–20. Oktober 2006, hg. v. Dems., Rahden/Westfalen 2007, S. 67–76, hier S. 70. 73 Fait, Ruine, (wie Anm. 11); Ders., Benediktinerkirche, (wie Anm. 11); Nikolaus Zaske, Ausgrabungs- und Forschungsergebnisse zum norddeutschen Backsteinbau des Mittelalters, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschaftsund sprachwissenschaftliche Reihe Nr. 3, 4, 18/1969, S. 371–379; Rębkowski, Christianisierung, (wie Anm. 1), S. 34.

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(Abb. 5). Von dieser Kirche wurden Grundmauern und Pfeilerfundamente freigelegt, wobei insbesondere die gewaltigen Feldsteine (bis zu 1,80 m Durchmesser) in der Basis der Außenmauern beeindrucken.74 Die starke Fundamentierung steht im Gegensatz zu den sehr schwachen Grundmauern, die die Kirchen des 12. Jahrhunderts in Grobe und Altentreptow aufweisen. Die Hiddenseer Kirche war jener ihres Mutterklosters, Neuenkamp, offenkundig ähnlich, daher wohl auch eine Hallenkirche, indes viel kleiner: Der imposante Bau von Neuenkamp, eine dreischiffige Hallenkirche mit dreischiffigem Querhaus und gerade abgeschlossenem Chor aus der Zeit von ca. 1280 bis 1340, war mit ca. 90 m Länge eine der größten Kirchen im mittelalterlichen Pommern.75 So sollte auch veranschaulicht werden, daß die Neuenkamper Mutter bedeutender war als die Tochter auf Hiddensee.76 Die Kirche von Neuenkamp ist heute bis auf den südlichen Querhausarm abgetragen, der ausreichte, um als herzogliche Schloß- und später Ortskirche zu dienen (Abb. 10).77 Gerade bei den Kirchen werden überregionale Kontakte immer wieder deutlich; neben deutschen, vor allem Magdeburger und rheinischen Beziehungen, die später durch Einflüsse aus den benachbarten Handelsstädten ergänzt werden, wiesen die Kirchen Pommerns im 12./13. Jahrhundert auch starke Verbindungen nach Dänemark auf. Freilich sind derlei Bezüge eher am aufgehenden Mauerwerk als an den Fundamenten zu erkennen, mithin ein Gegenstand besonders von Bauforschung und Kunstgeschichte.78

Wirtschaft und Landesausbau Es ist bekannt, daß die Zisterzienser von Eldena die Entwicklung Greifswalds zur Stadt förderten,79 die Kanoniker von Belbuck jene Treptows,80 andere pommersche Klöster bemühten sich um die Gründung von Marktorten.81 Man war an Salinen und an der Fischerei interessiert, und selbst die weltabgewandten Zisterzienser standen einer Vermarktung der 74 Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 55 ff., 118 f., mit weiterer Literatur. 75 Badstübner, Zisterzienserkirchen, (wie Anm. 27), S. 53. 76 Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 57. 77 Hertel, Neuenkamp, (wie Anm. 10); Dies., Bericht, (wie Anm. 10); Zaske, Forschungsergebnisse, (wie Anm. 73), S. 373 f.; Buske, Franzburg, (wie Anm. 10), S. 5 ff.; Schneider, Klöster, (wie Anm. 13), S. 78 f.; Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 56 f. Abb. 38, 39. 78 Vgl. zuletzt Kratzke, Architektur, (wie Anm. 66), S. 197–225, hier S. 208 f.; Hans Krongaard Kristensen, Architectural relations between Danish Cistercian churches and the Daughters of Esrum at Dargun, Eldena and Kolbatz, in: Auge u. a., (wie Anm. 1), S. 59–75. 79 Günter Mangelsdorf, Zur Ur- und Frühgeschichte des Greifswalder Gebietes, zu den Anfängen des Klosters Eldena und der Stadt Greifswald im 12./13. Jahrhundert, in: Greifswald. Geschichte der Stadt, hg. v. Horst Wernicke, Schwerin 2000, S. 15–32. 80 Hoogeweg 1, (wie Anm. 21), S. 24 ff. 81 So versuchte sich Neuenkamp in der Etablierung eines Marktes in Richtenberg (Joachim Wächter, Zisterzienserklöster im Grenzraum Pommern-Mecklenburg, in: Grenzregion zwischen Pommern und Mecklenburg. Vorträge 2002, hg. v. Hans-Joachim von Oertzen, Schwerin

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Erträge ihrer Güter nicht ablehnend gegenüber.82 Die Stadthöfe der Zisterzienser in den größeren Städten Pommerns, die als Warenlager und Handelsstützpunkte der Klöster dienten, machen dies deutlich.83 Aber auch direkt an ihren Standorten, in den Klostersiedlungen, konnten handwerkliche und marktorientierte Werkstätten entstehen, wie die Ausgrabungen bei den Prämonstratenserstiften in Grobe und Belbuck zeigten. Grobe wurde in einer bestehenden Siedlung gegründet, bei der es sich wahrscheinlich um eine Niederlassung westlicher Kaufleute handelte.84 Ausgrabungen auf dem „Priesterkamp“ im Jahre 2001, dem Standort des Konvents bis 1307/09, legten Teile einer ausgedehnten und intensiv genutzten Siedlung frei. Technische Anlagen wie ein großer Grubenofen, aber auch mit dem Handwerk und Handel verbundene Funde belegen einen erheblichen nicht-agrarischen Anteil an der Wirtschaftsgrundlage.85 Diese archäologischen Hinweise auf eine wirtschaftliche Bedeutung der Siedlung vor der Ankunft und zur Zeit der Prämonstratenser werden schriftlich bestätigt: Ein Krug, eine Institution des Marktverkehrs im frühen pommerschen Herzogtum, und ein Markt werden 1159 erwähnt, und die Mönche wollten 1184 ihren Klosterplatz sogar aufgeben, da der Lärm des zahlreichen Volkes und des Markttreibens störe.86 Die Untersuchungen in den dem Stift Belbuck vorgelagerten Siedlungen deckten ausgedehnte handwerkliche Areale auf, in denen vom 12. oder frühen 13. bis in das 15. Jahrhundert vor allem Eisen und Bronze bearbeitet wurden. Hier fanden sich große Halden mit zahlreichen Eisen- und Buntmetallschlacken sowie viele Endprodukte: Schnallen, Platten, diverse Geräte. 20 Dendrodaten belegen die Zeit zwischen 1245 und 1256 (sieben Waldkanten-Daten).87 Sie deuten an, daß hier, direkt am für den Handel bedeutenden Regastrom,

2004, S. 27–38, hier S. 33 f.; Buske, Franzburg [wie Anm. 10], S. 3) und Dargun um Selbiges im Ort Röcknitz (Brachmann u. a., [wie Anm. 14], S. 275 f.). 82 Vgl. z. B. Winfried Schich, Der Beitrag der Zisterzienser zur Entwicklung der Kulturlandschaft und der Wirtschaft südlich der Ostsee, in: Auge u. a., (wie Anm. 1), S. 235–253. 83 Zur vielfältigen Funktion dieser Einrichtungen vgl. Winfried Schich, Zur Rolle des Handels in der Wirtschaft der Zisterzienserklöster im nordöstlichen Mitteleuropa während der zweiten Hälfte des 12. und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, in: Zisterzienser-Studien 4, Berlin 1979, S. 133–168; Ders., Die Wirtschaftstätigkeit der Zisterzienser im Mittelalter: Handel und Gewerbe, in: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit, Ergänzungsband, hg. v. Kaspar Elm u. a., Bonn 1980, S. 217–236; Doris Bulach, Zisterzienser und Stadt: Die städtischen Beziehungen der vorpommerschen Klöster Eldena, Neuenkamp und Hiddensee, in: Die Wirtschaftstätigkeit von Zisterzienserklöstern zwischen Ostsee und Erzgebirge, hg. v. Winfried Schich (Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser, 19), Berlin 2004, S. 15–178. 84 Biermann u. a., (wie Anm. 19). 85 Mangelsdorf u. a. (wie Anm. 1). Zu den Grabungsfunden kommen große Mengen von Detektorfunden. 86 Schich, Usedom, (wie Anm. 18), S. 152, 155 f.; Petersohn, Usedom, (wie Anm. 17); Mangelsdorf u. a., (wie Anm. 1). 87 Datierung durch Dr. Karl-Uwe Heußner, Berlin.

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bereits vor der Berechtung Treptows als Stadt die Chorherren in ihrer Siedlung über eine professionelle Handwerksproduktion verfügten. Im Nordosten des Konvents wurde die Klosterziegelei nachgewiesen. Während diese vorwiegend dem eigenen Gebrauch bei den diversen Baumaßnahmen des Stiftes gedient haben wird, hat die metallurgische Produktion in Belbuck sicher über den Bedarf der Chorherren hinaus gewiesen und einen regionalen Markt mit modischen sowie zweckmäßigen Buntmetall- und Schmiedeprodukten versorgt.88 Die Umgestaltung der Kulturlandschaft im Zuge des Siedlungs- und Akkulturationsprozesses der deutschen Ostsiedlung erfolgte in Pommern und auf Rügen seit dem frühen 13. Jahrhundert nahezu flächendeckend. Sie war also keine Spezialität der Klostergüter. Das Herrschafts- und Wirtschaftssystem wurde auf die Grundherrschaft umgestellt, was die Vermessung und Verhufung praktisch des gesamten Kulturlandes zur Folge hatte. Im Zuge dieser Prozesse kam es auch zur Einführung der typischen Straßen-, Anger- und Hagenhufendörfer. Durch die Einwanderung großer Menschengruppen vorwiegend aus dem deutschen und niederländischen, seltener vielleicht auch aus dem dänischen Raum stieg die Bevölkerung stark an. Die Veränderungen in der Organisation der Wirtschaft und der Ländereien betrafen aber Zuwanderer und Einheimische gleichermaßen. Die Konvente nahmen als Grundbesitzer natürlich an diesen Prozessen teil, und manche Schriftquellen sprechen dafür, daß ihnen von Seiten der landesherrlichen Stifter, die um die gute Organisation und hohe Effizienz der Orden wußten, eine Vorreiterrolle zugedacht war. So erhielten die Klöster Dargun und Eldena bereits 1174 und 1209 die ausdrückliche Genehmigung der Herzöge, Deutsche, Dänen oder Slawen auf ihren Gütern anzusiedeln, etwa gleichlautend die hinterpommersche Zisterze Buckow mehrfach zwischen 1252 und 1274,89 und das Stift Belbuck bekam bei seiner Gründung fast nur wüste Dörfer, die es offenkundig peuplieren sollte.90 Auf den Besitzungen der Zisterzienserabtei Kolbatz wird bereits im 12. Jahrhundert eine villa Teutonicorum erwähnt.91 Überdies hatten die Konvente durch ihre Verbindungen in den Westen Vorteile bei der Anwerbung von deutschen, flämischen oder niederländischen Siedlern, um die die verschiedenen Akteure des Landesausbaus im östlichen Mitteleuropa konkurrierten. In den Klosterterritorien kam es frühzeitig zu Rodungen und Meliorationen, zu Dorfneugründungen und Mühlenbau. Die Aktivitäten und die Herangehensweise der Klöster war dabei nicht nur von Orden zu Orden, sondern auch von Konvent zu Konvent 88 Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1); Rębkowski, Kołbacz, (wie Anm. 1), S. 134 f. 89 Urkunden und erzählende Quellen zur deutschen Ostsiedlung im Mittelalter I. Mittel- und Norddeutschland, Ostseeküste (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein – Gedächtnisausgabe, XXVIa), hg. v. Herbert Helbig; Lorenz Weinrich, Darmstadt 1968, Nr. 71, 105; vgl. Müller, Buckow, (wie Anm. 61), S. 41 f.; Petersohn, Ostseeraum, (wie Anm. 24), S. 451 Anm. 69, mit älterer Literatur; Christine Kratzke, Dargun. Burg, Kloster, Schloss – Nutzungskontinuität und Herrschaftssicherung, in: Castella Maris Baltici 3; 4, Turku-Tartu-Malbork 2001, S. 91–98, hier S. 93. 90 Brummer, (wie Anm. 61), S. 5; Hoogeweg 1, (wie Anm. 21), S. 16. 91 Reimann, Einflüsse, (wie Anm. 36), S. 189.

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unterschiedlich: Während das Prämonstratenserstift Grobe in der Kolonisation und dem Landesausbau zumindest in seiner Frühzeit kaum aktiv wurde,92 betätigten sich die Kanoniker von Belbuck mit Eifer in der Anwerbung von Bauern und der Dorfgründung;93 als manche Klöster von Anfang an auf Rentengrundherrschaft setzten, bildete bei anderen die Eigenwirtschaft mit Klosterhöfen noch immer einen wesentlichen Teil der ökonomischen Basis.94 Gerade siedlungsgeschichtliche Studien sind erst für einen kleinen Teil der vielen Konvente Pommerns durchgeführt worden, u. a. für Dargun,95 Kolbatz96 und Eldena.97

Glaube und Alltag Der Kern der klösterlichen Lebensform, der christliche Glaube, wird mit archäologischen Funden nur indirekt beleuchtet, ebenso wie sich die Mentalität und Gedankenwelt der mittelalterlichen Menschen allein anhand der Bodenfunde nicht erschließt; hierzu sind schriftliche Quellen vielfach aussagekräftiger. Gleichwohl geben Grabungsfunde und -befunde zahlreiche Hinweise zur Alltagsgestaltung, zur religiösen Praxis und zu den Lebensverhältnissen in den Stiften und Klöstern. Typische Funde sind Buchbeschläge als letzte Relikte der großen Klosterbibliotheken, Schreibgriffel, Glöckchen, Trachtbestandteile wie Gürtelschnallen, Gewandnadeln und Knöpfe, Arbeitsgerät, außerdem zahlreiche Scherben des tönernen Alltagsgeschirrs, Glasscherben und Reste von Metallgefäßen; aus Belbuck liegt auch ein bleigefüllter Spielstein aus Knochen vor. In Kolbatz wurde eine bleierne Papstbulle aus dem frühen 15. Jahrhundert geborgen, Beleg für die weiträumigen politisch-religiösen Verbindungen der Mönche in ganz Europa (Abb. 11). Münzen und importierte Keramik, etwa Steinzeug aus dem Rheinland und aus Sachsen, deuten an, daß die Abwendung von der Welt nicht absolut war, sondern Handelsverbindungen in die Umgebung bestanden.98

92 Petersohn, Usedom, (wie Anm. 17), S. 61 Anm. 144. 93 Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1). 94 Vgl. z. B. Werner Rösener, Gründungsfaktoren und agrarische Wirtschaftsstrukturen der Zisterzienser in Mecklenburg-Vorpommern, in: Auge u. a., (wie Anm. 1), S. 221–233; Schich, Beitrag, (wie Anm. 82). 95 Brachmann u. a., (wie Anm. 14); Rębkowski, Chrystianizacja, (wie Anm. 23), S. 54–57. 96 Cnotliwy, Osadnictwo, (wie Anm. 7), S. 419 ff.; Rębkowski, Chrystianizacja, (wie Anm. 23), S. 57 ff.; Ders., Kołbacz, (wie Anm. 1). 97 Günter Mangelsdorf, Kloster Eldena bei Greifswald und der Beginn des deutsch-slawischen Landesausbaues in Vorpommern, in: Struktur und Wandel im Früh- und Hochmittelalter. Eine Bestandsaufnahme aktueller Forschungen zur Germania Slavica, hg. v. Christian Lübke (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 5), Stuttgart 1998, S. 301–311. 98 Vgl. Mangelsdorf, Grobe, (wie Anm. 1), S. 170 ff.; Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 93 ff.; Ders., Untersuchungen (wie Anm. 6), S. 299 ff.; Biermann; Rębkowski, (wie Anm. 1), zur Papstbulle aus Kolbatz: Cnotliwy, Aktualny stan, (wie Anm. 7), S. 115, 118 Abb. 3.

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Abb. 11: Bleierne Papstbulle von 1414–1417 aus Kolbatz (nach Cnotliwy, Aktualny stan, [wie Anm. 7], S. 118 Abb. 3).

Instruktiv sind stets die Gräberfelder an den Kloster- und Stiftskirchen, die auch Bewohnern der Klostergüter, der Familia des Klosters, zur Bestattung dienten, und die überdies meist über den Zeitraum der Klöster hinaus genutzt wurden (Abb. 12). Die anthropologische Bestimmung der Skelette läßt interessante Einblicke in die Lebensverhältnisse, die Ernährung und die Krankheitsbelastungen der mittelalterlichen Bevölkerung zu.99 Die Gräber sind in der Regel beigabenlos, wenn wir von den Gürtelschnallen absehen, die den Toten an der Kleidung belassen wurden. Bemerkenswert ist aber, daß auch bei Gräbern auf Klosterfriedhöfen Gepflogenheiten nachweisbar sind, die mit dem Volks- und Aberglauben

99 Vgl. z. B. Bettina Jungklaus, Anthropologische Untersuchungen an zehn Skeletten vom Gelände des Zisterzienserklosters Hiddensee, in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 57/2009, S. 359–368.

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Abb. 12: Spätmittelalterlich-frühneuzeitliches Kin­ dergrab vom Belbucker Klosterfriedhof, Ausgrabung 2005 (Photo: Felix Biermann).

zu tun haben.100 Bei der Hiddenseer Klosterkirche fand sich eine Doppelbestattung eines 50–60jährigen Mannes und eines 15–16jährigen Mädchens, wobei der Mann mit einem Nagel durch die Schulter an den Grabboden geheftet war – eine bekannte Maßnahme, um Wiedergänger bzw. Vampire vom Aufstehen abzuhalten. Überdies trug der Mann einen Schlüssel an der Hüfte.101 Auf dem Friedhof der Kapelle, die an der Stelle des Alten Klosters Grobe stand, sowie am Kloster Eldena waren wohl erst im 15. oder frühen 16. Jahrhundert einzelne Personen auf dem Bauch niedergelegt worden. Das geschah ebenfalls, um das Aufstehen der Leichen zu verhindern.102 In Eldena hatte darüber hinaus ein in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bestatteter Mann einen Beutel mit 23 Münzen ins Grab bekommen, und ganz ungewöhnlich war dort ein wahrscheinlich noch in das 12. Jahrhundert gehörendes Männergrab mit zwei Pfeilspitzen, einem Spinnwirtel, einer eigenartig mit Kreuzen und Einritzungen verzierten Geweihscheibe an der Hüfte (Abb. 13), einem Belemniten, einem Rohbernstein und einem Eisennagel – diese Beigaben 100 Zu abergläubischen Vorstellungen im Bestattungswesen Pommerns vgl. Felix Biermann, Archäologische Zeugnisse magischer Vorstellungen im mittelalterlichen und frühneuzeit­ lichen Bestattungswesen Vorpommerns und benachbarter Gebiete, in: Czary i Czarownictwo na Pomorzu, hg. v. Aleta Majewska, Stargard 2008, S. 39–57. 101 Vgl. Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 81 ff. 102 Zu Grobe: Biermann u. a., (wie Anm. 19); zu Eldena: Peter Kaute, Eldena, Hansestadt Greifswald, Fpl. 9, in: Kurze Fundberichte 2009, Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Jahrbuch 57/2009 (2010), S. 409–564, hier S. 488–493; Ders., Bemerkenswerte Bestattungen vom Kirchhof des Kloster Eldena, Hansestadt Greifswald, in: Archäologische Berichte aus Mecklenburg-Vorpommern 18/2011, S. 149–161, hier S. 153 f.

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Abb. 13: Knochenscheibe mit religiöser Symbolik (Durchmesser 10 cm) aus einem Grab an der Eldenaer Klosterkirche (nach Kaute, Bestattungen [wie Anm. 102]).

erscheinen wie die Ausrüstung für magische Praktiken und lassen auf eine zauberkundige Person schließen, deren Niederlegung mit solcher Ausstattung in so später Zeit überrascht, erst recht auf einem Klosterfriedhof.103 Klöster waren bedeutende Stätten der Memoria, des Totengedenkens für die Stifterfamilie, und zahlreiche Mitglieder der Greifensippe haben in den pommerschen Klöstern ihre letzte Ruhe gefunden. Im Stift Grobe beispielsweise, dem für die Totenmemoria der Herzöge offenkundig eine große Rolle zugedacht war,104 wurden Ratibor I. († 1156) und seine Gattin Pribislawa († nach 1156), Bogislaw I. (†1187), wahrscheinlich auch Woislawa, Tochter Herzog Bogislaws II . und Miroslawas (†1229) sowie vielleicht Kasimir I. (†1180), Kasimir II . (†1219) sowie die erste Gemahlin Bogislaws I., Walburgis (†1177), bestattet.105 Die Auffindung dieser und ähnlicher Gräber wäre zweifellos von außergewöhnlichem landesgeschichtlichem Reiz, ist aber bislang noch nicht gelungen. In Grobe wurde zwar an der Nordwand der Kirche eine mit gemörtelten Steinen gefaßte Gruft freigelegt, die sicherlich eine sozial hervorgehobene Person barg (Abb. 14),106 und auch im Kloster Hiddensee wurde an prominenter Stelle im östlichen Abschnitt des Langhauses der Kirche ein

103 Kaute, Eldena, (wie Anm. 102), S. 489 ff.; Ders., Bestattungen, (wie Anm. 102), S. 154 ff. 104 Vgl. Oliver Auge, Der so genannte Ratiborstein in der Usedomer Marienkirche – neue Erkenntnisse zum frühesten epigraphischen Zeugnis einer Greifenmemoria, in: „Die Dinge beobachten…“. Archäologische und historische Forschungen zur frühen Geschichte Nordund Mitteleuropas. Festschrift für Günter Mangelsdorf, hg. v. Felix Biermann; Ulrich Müller; Thomas Terberger (Archäologie und Geschichte im Ostseeraum, 2), Rahden/Westfalen 2008, S. 347–355, hier S. 353. 105 Creutz, Geschichte, (wie Anm. 43), S. 104 f.; Petersohn, Usedom, (wie Anm. 17), S. 42 f. 106 Biermann u. a., (wie Anm. 19).

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Toter geborgen, der als Würdenträger gedeutet wurde.107 Die Identitäten jener Personen sind jedoch nicht genau zu fassen. Interessante Schlüsse auf die allgemeine kulturelle Entwicklung sowie auf die Geistes­ haltung und den Habitus der Klosterinsassen lassen sich beispielsweise aus den Ofenkachelfunden von Hiddensee ziehen. Gerade die Zisterzienser mußten den Widerspruch zwischen dem realen Reichtum, den der Handel, die grundherrlichen Abgaben sowie die geschickte Bewirtschaftung ihrer Güter erbrachten, und der verordneten Armut auflösen, und daran sind sie auf die Dauer gescheitert. Besonders die schönen, oft bunt glasierten Bildkacheln als Relikte prachtvoller Öfen, die sich in den Ruinen des Klosters Hiddensee – besonders im Bereich des Abtshauses – fanden, belegen, daß man in der Spätzeit der Abtei den Komfort warmer Räume zu schätzen und überhaupt seinen Reichtum zu zeigen gelernt hatte. Von den Vorstellungen des Gründers des Zisterzienserordens, Bernhard von Clairvaux, der im 12. Jahrhundert Askese predigte und jeglichen Luxus und Prunk verdammte, hatten sich die Mönche von Hiddensee weit entfernt. So wird verständlich, daß sie der Aufhebung ihres Klosters in der Reformation keinen ernsthaften Widerstand mehr entgegenzusetzen vermochten.108

Perspektiven Die Klöster und Stifte gehören aufgrund ihrer großen kulturellen, namentlich geschichtlichen und architekturhistorischen Bedeutung sicherlich zu den bedeutendsten Forschungsobjekten des hohen und späten Mittelalters in Pommern, wobei dieses große Potential bislang lediglich in kleinen Teilen erschlossen worden ist. In Ostdeutschland erst in den letzten beiden Jahrzehnten, in Polen etwas frühzeitiger, hat sich die Archäologie den hoch- und spätmittelalterlichen Relikten stärker zugewandt, doch stehen hier Aktivitäten in Stadtkernen im Vordergrund, und Forschungsprojekte haben nur in kleinem Ausmaß stattgefunden. Diesen aber wird obliegen, die archäologische Klosterforschung in Pommern weiter voranzutreiben. Es bestehen in allen hier angesprochenen Problemkreisen noch Fragen, die sich vor allem durch großflächigere Ausgrabungen in Kombination mit geophysikalischen Prospektionen klären lassen werden. Zahlreiche Klöster und Stifte wurden noch nie archäologisch erforscht, darunter so interessante Anlagen wie Krummin und Pudagla; bei anderen lassen die bisherigen kleinen und methodisch bescheidenen Ausgrabungen weitere Forschungen als sehr dringlich erscheinen. Das gilt etwa für Neuenkamp und insbesondere für Stolpe an der Peene: Die Untersuchung des ältesten Klosters Pommerns verspräche enormen Wissenszuwachs zur Christianisierung, zur frühen Memoria der Herzöge, zur 107 Hans Grimm, Skelett eines kirchlichen Würdenträgers aus der ehemaligen Klosterkirche auf Hiddensee, in: Ausgrabungen und Funde 20/1975, S. 276–281; Biermann, Untersuchungen, (wie Anm. 6), S. 285 f. 108 Biermann, Hiddensee, (wie Anm. 6), S. 116.

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Abb. 14: Mittelalterliche Gruft an der Klosterkirche von Grobe, Ausgrabung 2010 (Photo: Felix Biermann).

Architektur und zur Umbruchszeit des 12./13. Jahrhunderts. Noch völlig unerforscht sind die Grangien und Wirtschaftshöfe der Zisterzienserklöster, wobei der heute wüste Neuenkamper Klosterhof Endingen (Abb. 15) zweifellos besonders gute Bedingungen bieten würde. Zum Landesausbau sind weitere transdisziplinäre Kleinraumstudien notwendig. So ist zu hoffen, daß sich auch weiterhin Forschungsprojekte zu den Klöstern Pommerns realisieren lassen. Die Bedingungen dafür haben sich mit den Einsparungen der letzten Jahre im Bereich der archäologischen Denkmalpflege und Forschung, insbesondere der Einstellung des Studiengangs für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Greifswald, allerdings nicht verbessert. Zu den Projekten, die unbedingt fortgeführt werden sollten, gehört die Erforschung des Stifts Grobe auf Usedom, von dem sich noch ausgezeichnete Relikte im Boden des „Priesterkamps“ erhalten haben. Die detektivische Spurensuche nach der Lage dieses Klosters, die auf der scharfsinnigen Kombination historischer Mitteilungen, Flurnamen und Geländebeobachtungen beruhte und von kontroversen Diskussionen begleitet wurde, treibt die Forschung seit dem 19. Jahrhundert um, hat bislang aber noch nichts von ihrer Faszination verloren. Wenn es um vergessene Klöster geht, so reizt auch die Suche nach dem Marienwerder bei Verchen, wohl eines Geländehorstes mitten im sumpfigen Tal der Peene, in dessen Untergrund sich Reste eines Klosters des 13. Jahrhunderts bewahrt haben dürften. Auch die Lage des Vorgängerbaus in Klatzow ist noch unbekannt, ebenso die erste Stelle des

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Abb. 15: Ruinen des Gutshauses der ehemaligen Grangie Endingen (Photo: Felix Biermann).

Klosters Neuenkamp. Es ist nicht nur der Reiz der (Wieder-)Entdeckung eines historischen Ortes, der diese Plätze so interessant macht, sondern auch der Umstand, daß die nur relativ kurz genutzten Klosterplätze besonders günstige Erhaltungsbedingungen versprechen. Die Auffindung eines verschollenen Konventes ist jedoch schwieriger, als man zunächst annehmen könnte. In Fällen wie Klatzow und Marienwerder, wo bislang alle archäologischen, namenskundlichen oder historischen Anhaltspunkte fehlen, muß man auf glückliche Zufallsfunde hoffen – solche Klöster können wohl gefunden, aber nur schwer mit Erfolgsaussichten gesucht werden. Da Klöster im Allgemeinen eine dichte und lebhafte schriftliche Überlieferung aufweisen, und da infolge der schematischen Grundpläne schon spärliche Mauerreste auch dem Laien nachvollziehbare Baurelikte bieten, sind Klöster und Stifte, das sei abschließend betont, auch für die Visualisierung historischer Orte von größter Bedeutung. Schon aus wenigen aufgedeckten oder im Gelände markierten Fundamenten ersteht für den Betrachter ein ganzes Kloster von Neuem, und zwar um so eindrucksvoller, je abgelegener und einsamer der Platz heute ist und je stärker er seinen Charakter verwandelt hat. Auf der Priesterkamp-Halbinsel ließe sich dies mit dem Stift Grobe sicherlich ausgezeichnet verwirklichen, auf dem Klosterberg von Altentreptow wäre dies ebenfalls möglich, und auf Hiddensee konnten der Ort und die Geschichte des Klosters bereits durch eine Tafel, eine populärwissenschaftliche Publikation und eine Dauerausstellung im Inselmuseum wieder ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt werden. Die Erforschung der Klöster und Stifte in Pommern hat insofern noch große und vielfältige Aufgaben und Perspektiven.

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am angegebenen Ort AG Arbeitsgemeinschaft AEG Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft Anm. Anmerkung APS Archiwum Państwowe w Szczecinie ARIADNE ARchives Information & ADministration NEtwork Aufl. Auflage BaltStud Baltische Studien (– Pommersche Jahrbücher für Landesgeschichte) BDM Bund Deutscher Mädel BDO Bund Deutscher Osten BigS Bildgutsammlung BlldtLG Blätter für deutsche Landesgeschichte CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands DHF Dansk Historisk Fællesforening DDR Deutsche Demokratische Republik DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DGB Deutscher Gewerkschaftsbund Diss. Dissertation DM Deutsche Mark Ebd. ebenda EU Europäische Union FDP Freie Demokratische Partei fol. folio FU Freie Universität GBl Gesetzblatt GHA Geheimes Hauptarchiv GIS Geographisches Informationssystem GStAPK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz HA Hauptabteilung HA Neustrelitz Hauptarchiv Neustrelitz HiKo Historische Kommission HStAHan Hauptstaatsarchiv Hannover ISGV Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde KZ Konzentrationslager LAGw Landesarchiv Greifswald LASA Landesarchiv Sachsen-Anhalt LDP Liberal-Demokratische Partei LHAS Landeshauptarchiv Schwerin M.A. Magister Artium

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Zeitschrift für Ostforschung

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Autorenverzeichnis Ivo Asmus, M.A., MA (LIS ) (*1964 in Darmstadt), seit 1999 Fachreferent an der Universitätsbibliothek Greifswald. Dr. Rudolf Benl (*1953 in Nürnberg), Stadtarchivdirektor a. D. Dr. Felix Biermann (*1969 in Herdecke), Privatdozent für Ur- und Frühgeschichte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan (*1933 in Köln), 1961–1995 bei der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin tätig, 1984–2005 Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin. Kirchenrat i.R. Dr. Norbert Buske (*1936 in Demmin), 1973–1998 Mitglied der Landessynode der Evangelischen Landeskirche Greifswald bzw. der Pommerschen Evangelischen Kirche, 1991–1994 Vorsitzender des Rechtsausschusses im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, 1995–1999 Beauftragter der Pommerschen Evangelischen Kirche und 1997–1999 auch der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs bei Parlament und Landtag Mecklenburg-Vorpommern. Dr hab. Paweł Gut (*1971 in Berlinchen), seit 1995 Archivar im Staatsarchiv Stettin und seit 2017 Professor an der Pommerschen Akademie in Stolp. Dr. Nils Jörn (*1964 in Bergen auf Rügen), seit 2012 Leiter des Archivs der Hansestadt Wismar. Dr. Matthias Manke (*1968 in Greifswald), seit 2000 Wissenschaftlicher Archivar am Landeshauptarchiv Schwerin und seit 2009 dessen stellvertretender Leiter. Prof. Dr. Klaus Neitmann (*1954 in Minden in Westfalen), seit 1993 Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Potsdam, 2008 Habilitation an der Universität Potsdam, seit 2014 apl. Professor ebenda. Dr. Per Nilsén (*1967 in Lomma), seit 2008 Universitätslektor an der Juristischen Fakultät der Universität Lund. Prof. Dr. Dr. h. c. Jens E. Olesen (*1950 in Casablanca), 1996–2017 Lehrstuhlinhaber für Nordische Geschichte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität.

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Autorenverzeichnis

Prof. Dr. Jürgen Petersohn (*1935 in Merseburg, †2017 in Würzburg), 1981–2000 Professor für mittelalterliche Geschichte an der Philipps-Universität Marburg, 1998–2001 Vorsitzender des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte e.V. Dr. Haik Thomas Porada (*1972 in Greifswald), seit 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Instistut für Länderkunde in Leipzig. Dr. Andreas Röpcke (*1946 in Eutin in Ostholstein), bis 2011 Leiter des Landesarchivs Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender der Historischen Kommission für Mecklenburg, seit 2000 Herausgeber der „Mecklenburgischen Jahrbücher“ des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde e.V. Prof. Dr. Uwe Schaper (*1958 in Herne in Westfalen), seit 2005 Direktor des Landesarchivs Berlin. Dr. Dirk Schleinert (*1966 in Greifswald), seit 2014 Direktor des Stadtarchivs der Hansestadt Stralsund. Dr. Martin Schoebel (*1958 in Bad Kreuznach), Leitender Archivdirektor, seit 2012 Leiter des Landesarchivs Mecklenburg-Vorpommern im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege. Prof. em. Dr. Karl-Heinz Spieß (*1948 in Bockenheim in der Pfalz), 1994–2014 Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Greifswald. Dipl.-Archivar Joachim Wächter (*1926 in Magdeburg, †2017 in Greifswald), 1953–1969 Leiter des Landesarchivs bzw. Staatsarchivs Greifswald, 1969–1974 Abteilungsleiter ebenda, 1974–1991 Referent für das kirchliche Archiv- und Bibliothekswesen der Landeskirche Greifswald bzw. der Pommerschen Evangelischen Kirche, 1991–1993 Referatsleiter Bibliotheken und Archive im Kultusministerium bzw. im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Kultur, Jugend und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin.