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German Pages 298 [300] Year 2016
Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 130 herausgegeben von Rolf Stürner
Meik Thöne
Die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die EuGVVO Bestandsaufnahme, Bewertung, Ausblick
Mohr Siebeck
Meik Thöne, geboren 1984; Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen und Nottingham, UK; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Privat- und Prozessrecht der Universität Göttingen; Masterstudium an der University of Oxford, UK (M.Jur.); 2015 Promotion; derzeit Referendariat am OLG Braunschweig.
Gedruckt mit Unterstützung der Studienstiftung ius vivum.
e-ISBN PDFF 978-3-16-154782-9 ISBN 978-3-16-154309-8 ISSN 0722-7574 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2016 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times New Roman gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät im Sommersemester 2015 als Dissertation angenommen. Sie ist während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, deutsches und ausländisches Zivilprozessrecht von Herrn Prof. Dr. Joachim Münch an der Georg-August-Universität Göttingen entstanden und wurde im Wesentlichen im Frühjahr 2015 fertiggestellt. Neuere Rechtsprechung und Literatur konnten für die Druckfassung bis einschließlich November 2015 berücksichtigt werden. Dank sagen möchte ich zunächst meinem verehrten Doktorvater Herrn Professor Dr. Joachim Münch. Er verstand es, das rechte Maß im Rahmen seiner Betreuung zu finden und schuf hervorragende Rahmenbedingungen für das Anfertigen dieser Arbeit: Einerseits gewährte er mir ausreichend wissenschaftlichen Freiraum und ermöglichte es mir, diese Arbeit frei von Bevormundung zu verwirklichen, andererseits besaß er aber stets ein offenes Ohr und unterstützte mich mit zahlreichen gewinnbringenden Anregungen. Mein herzlicher Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Volker Lipp für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner für die Befürwortung der Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe „Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht“. Des Weiteren danke ich der Studienstiftung ius vivum für die großzügige Unterstützung im Rahmen der Drucklegung. Bei Herrn Dr. Mohamed Bou Sleiman und Herrn Benjamin Seidel bedanke ich mich für die wertvollen Hinweise und sorgfältigen Korrekturen. Außerdem danke ich dem gesamten Lehrstuhlteam, durch welches ich meine Promotionszeit stets in schöner Erinnerung behalten werde. Darüber hinaus möchte ich mich bei meiner Freundin Sophie-Kristin Marsch bedanken. Sie hat durch ihr Verständnis, ihre unerschöpfliche Geduld und ihre zahlreichen Ermunterungen ganz entscheidend zur Fertigstellung dieser Schrift beigetragen. Die Arbeit ist meinen Eltern, Thomas und Andrea Thöne, gewidmet. Ihnen bin ich ganz besonders für ihren uneingeschränkten Rückhalt, ihre Fürsorge und Unterstützung zu Dank verpflichtet. Sie haben mir Studium und Promotion ermöglicht, mich in jeder Hinsicht unterstützt und damit ganz wesentlichen Anteil am Gelingen dieser Arbeit. Göttingen, November 2015
Meik Thöne
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Erster Teil: Einführung § 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 § 2. Problemstellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . 7 Zweiter Teil: Grundlagen § 3. Historische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Civilprozeßordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 C. Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 D. Europäische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I.
Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen – EuGVÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung – EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Abschaffung des Exequaturverfahrens innerhalb des Europäischen Justizraumes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel (EuVTVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuMahnVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3. Verordnung zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO) . . . . . . . . . . . 31 4. Europäische Unterhaltsverordnung (EuUnthVO) . . . . . . . . 33 5. Grünbuch zur Überprüfung der EuGVVO . . . . . . . . . . . 34
§ 4. (Rechts-)Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Amerika . 36
VIII
Inhaltsverzeichnis
Dritter Teil: Das Exequaturverfahren und dessen Abschaffung § 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001 . . . . . 43 A. Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Verfahren der Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . 45 C. Funktionen des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 50 I. Implementationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Perpetuierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 III. Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Ordre public-Vorbehalt, Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a. F. . . . . . . 57 2. Verletzung des rechtlichen Gehörs, Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Unvereinbare Entscheidungen (Urteilskollision), Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVVO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4. Verletzung der internationalen Zuständigkeit, Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5. Rechtsfolge: Versagung bzw. Aufhebung der Vollstreckbarerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 IV. Integrationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
§ 6. Status quo: EuGVVO – VO (EU) Nr. 1215/2012 . . . . . . . . 75 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 B. Abschaffung des Exequaturverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Unmittelbare Vollstreckbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Maßnahmen einstweiligen Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . 79 C. Funktionserhalt oder -verzicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I. Implementationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Perpetuierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Aufhebung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit – Einstellung der Zwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . 88 2. Einwand nachträglicher Zahlung – Reichweite der Vollstreckungsabwehrklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 III. Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Verletzung des ordre public, Art. 45 Abs. 1 lit. a) EuGVVO . . 100 2. Verletzung des rechtlichen Gehörs und Vorliegen unvereinbarer Entscheidungen, Art. 45 Abs. 1 lit. b)–d) EuGVVO . . . 103 3. Verletzung der internationalen Zuständigkeit, Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4. Anwendbarkeit der Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 IV. Integrationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
D. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Inhaltsverzeichnis
IX
Vierter Teil: Ausblick § 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit? . . . . . . . 119 A. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht . . . . . . . . . . . . . 120 I. Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention . 124 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 B. (Voll-)Harmonisierung der Rechtsordnungen . . . . . . . . . . 126 C. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung . . . . . . . . . . . . . 129 I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. forum shopping und Torpedoklagen . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Anwendungsprobleme des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . 148 3. Besonderheiten der grenzüberschreitenden Prozessführung . 150 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 D. Funktionserhalt oder -verzicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I. Implementationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 II. Perpetuierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 III. Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Ordre public-Vorbehalt im Besonderen . . . . . . . . . . . . . 157 2. Schutz des rechtlichen Gehörs im Besonderen . . . . . . . . . 208 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4. Alternativer Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Integrationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
Fünfter Teil: Ergebnis und Zusammenfassung § 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 § 9. Abschließende Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
Erster Teil:
Einführung
§ 1. Ausgangslage Nicht immer endet die Verfolgung der eigenen Rechte mit dem stattgebenden Urteilsspruch des erkennenden Richters. Oftmals ermöglicht erst die Zwangsvollstreckung den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners und damit die Realisierung des materiellen Gläubigerrechts. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings, wenn das Schuldnervermögen in einem fremden Staat belegen ist.1 Aus dem völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatz folgt, dass ausländische Gerichtsentscheidungen als Akte hoheitlicher Gewalt nicht über die Grenzen des Urteilsstaates hinaus wirken und ihre Vollstreckung damit auf das Territorium beschränkt ist, in dem die Entscheidung ergangen ist.2 Der Gläubiger kann sich aus diesem Grund nicht ohne Weiteres an ein ausländisches Vollstreckungsorgan wenden und dieses zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens veranlassen.3 Im Ausland befindliches Schuldnervermögen ist dem Geltungsbereich der deutschen Zwangsvollstreckung damit grundsätzlich entzogen und das – möglicherweise nach langwierigem Prozessieren – erstrittene Urteil droht damit faktisch wertlos zu werden. Es liegt allerdings nicht im Interesse eines Staates die Vollstreckung ausländischer Urteile von vornherein abzulehnen. Denn eine allzu protektionistische Haltung in der Frage der Vollstreckbarkeit ausländischer Titel würde dazu führen, dass ausländische Gläubiger zur Sicherung ihrer eigenen Rechte auf Vorauszahlungen bestünden oder zu Preiserhöhungen griffen, um so das bestehende Ausfallrisiko aufzufangen – mit der Konsequenz, dass die Verbraucherpreise im Inland stiegen. Darüber hinaus würde die Einnahme eines derartigen Standpunktes dem Schuldner die Möglichkeit eröffnen, sich eigenen Verpflichtungen durch einen Wegzug oder eine Vermögensverlagerung zu entziehen. Dies zöge eine 1 Vgl. schon von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Bd. I I, S. 462 („Wer klagen will, mag sich vorsehen, stets in dem Staate zu klagen, in welchem Executionsobjecte sich befinden“). 2 Geimer, in: Festschrift f. Georgiades, S. 489, 492; ders., JuS 1965, 475; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 26; St. Huber, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer, Hdb. Zwangsvollstreckungsrecht, Teil 3, Kap. 8, Rn. 1; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 12 Rn. 2; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147 f.; M. Stürner, GPR 2010, 43, 44; Bitter, Vollstreckbarerklärung in der EU, S. 220; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 45; Beitzke, MDR 1954, 312; Riezler, IZPR, S. 509 unter Hinweis auf die territorial begrenzte Rechtskraft; a. A. G. Roth, Ordre Public, S. 13 f. 3 Schack, IZVR, Rn. 1024; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 148; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 183, § 722 Rn. 1 f.; Zöller/Geimer, ZPO, § 722 Rn. 3.
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§ 1. Ausgangslage
Schwächung der Schuldnermoral und des Vertrauens in die Rechtsordnung nach sich. Daher ist, insbesondere angesichts der zunehmenden Globalisierung, der vielfältigen Auslandsberührungen in allen Lebensbereichen und der sich ausbreitenden wirtschaftlichen Verflechtungen, die Notwendigkeit internationaler Rechtsverfolgung mittlerweile allgemein anerkannt.4 Neben diesen volkswirtschaftlichen Aspekten streitet die Prozessökonomie für die Anerkennung fremder Entscheidungen als verbindlich, da auf diese Weise den Parteien die Mühen und Kosten eines erneuten Verfahrens erspart und die Gerichte entlastet werden. Nichtsdestotrotz und ungeachtet des aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch fließenden Rechts des Gläubigers auf effektive Vollstreckung des erstrittenen Titels – schließlich schlüge der Zweck des gerichtlichen Rechtsschutzes fehl, könnte der erstrittene Vollstreckungstitel nicht zwangsweise durchgesetzt werden – verbleibt es die eigene, souveräne Entscheidung eines jeden Staates, ob und unter welchen Voraussetzungen er ausländischen Entscheidungen Geltung innerhalb seines Hoheitsgebietes beimisst. Eine dahingehende völkerrechtliche Verpflichtung besteht nicht.5 Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass jede Rechtsordnung ein legitimes Interesse daran hat, eigene elementare Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen auch dann berücksichtigt zu wissen, wenn eine ausländische Rechtsordnung zur Entscheidungsfindung berufen ist.6 Aus diesem Grund sehen die meisten nationalstaatlichen und völkerrechtlichen Regelungen der Anerkennung und Vollstreckung eine nachgelagerte Kontrolle ausländischer Urteile zum Schutze höherrangiger Interessen vor, die es ihnen erlaubt, dem ausländischen Urteil unter gewissen Umständen „die Einreise […] zu verwehren.“7 Dem Recht der Anerkennung und Vollstreckung als Teildisziplin des Internationalen Verfahrensrechts kommt mithin die Aufgabe zu, einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse an einer zügigen und kostengünstigen Vollstreckung einerseits sowie der Wahrung zweitstaatlicher Interessen und elementarer Gerechtigkeitsvorstellungen andererseits herbeizuführen.8 4 Schack, IZVR, Rn. 876 ff.; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 25; im schiedsrechtlichen Kontext Raeschke-Kessler/Bühler, ZIP 1987, 1157, 1165. 5 Siehe schon Hahn/Mugdan, Materialien, Abt. 1, S. 431; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 86; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 25; R. Wagner, FamRZ 2006, 744, 746; Schütze, Dt. IZPR, Rn. 287; Martiny, Hdb. IZPR III/1, Rn. 156 ff.; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 52; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147 f.; Schilling, IPRax 2011, 31, 32; Nagel, ZZP 75 (1962), 408, 421; Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 46; Rijavec/Jelinek/ Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 252; a. A. einschränkend Geimer, IZPR, Rn. 2757 mit 151; ders., ZfRV 1992, 401, 405; Verbeek, NiemeyersZ 45 (1931/32), 1, 5 f. Beachte zudem EGMR v. 28.06.2007, Nr. 7240/01, FamRZ 2007, 1529 ff., § 123 – Wagner/Luxemburg, welcher entschied, dass die Versagung der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen einen (zu rechtfertigenden) Eingriff in geschützte Menschenrechte darstellen kann. 6 M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 692. 7 Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 29. 8 Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 59; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 258; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I /2, S. 1379; Geimer, JuS 1965, 475, 476.
1. Ausgangslage
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Auch wenn die Termini der Anerkennung und Vollstreckung bzw. Vollstreckbarkeit häufig in einem Atemzug genannt werden, sind sie funktional zu trennen. Der Begriff der Anerkennung beschreibt die Erstreckung der Wirkungen eines ausländischen Urteils auf das Inland und die darauf basierende Beachtlichkeit der ausländischen Entscheidung.9 Von der Anerkennung wird jedoch grundsätzlich nicht die Vollstreckbarkeit eines Urteils umfasst.10 Um den ausländischen Urteilsspruch mittels staatlicher Gewalt durchsetzen zu können, bedarf es daher über die Anerkennung hinaus noch der Vollstreckbarerklärung der ausländischen Entscheidung. In einem förmlichen, titelschaffenden Verfahren, dem sog. Vollstreckbarerklärungs- oder Exequaturverfahren, wird dem ausländischen Titel für den Bereich des Inlands die Vollstreckbarkeit originär verliehen.11 Allein die inländische Vollstreckbarerklärung und nicht die anerkannte, ausländische Entscheidung ist Vollstreckungstitel und bildet sodann die Grundlage der Zwangsvollstreckung im Zweitstaat.12 Der bereits angesprochene Interessenausgleich zwischen zügiger grenzüberschreitender Vollstreckung und der Gewährleistung unverrückbarer Werte und Schuldnerrechte verwirklicht sich in diesem Verfahren, welches neben der Titelkreation vor allem der (Urteils-)Kontrolle dient. Nach Ansicht der Europäischen Kommission entspricht die Notwendigkeit, ein Urteil durch die Erteilung eines Exequaturs in einem anderen Mitgliedstaat zur Vollstreckung zulassen zu müssen, jedoch nicht mehr dem erreichten Stand der Europäischen Integration und stellt ein ungerechtfertigtes Hindernis des europäischen Rechtsschutzes dar.13 Sie strebt deshalb die Gleichstellung sämtlicher mitgliedstaatlicher Vollstreckungstitel und damit die Herstellung vollständiger Urteilsfreizügigkeit innerhalb des Europäischen Binnenmarktes an.14 Zu diesem Zweck beabsichtigt die Europäische Kommission die Abschaffung sämtlicher Zwischenverfahren, die der Vollstreckung mitgliedstaatlicher Titel innerhalb der Europäischen Union vorauszu9 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 68; Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, S. 71 ff.; Beitzke, MDR 1954, 321; G. Roth, Ordre Public, S. 14; Riezler, IZPR, S. 512; K. Müller, ZZP 79 (1966), 199 ff.; Werneburg, ZZP 56 (1931), 239 ff. 10 Geimer, IZPR, Rn. 2824, 3100 f.; ders., in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 38 EuGVVO Rn. 1; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I /1, S. 972, 1133. 11 BGHZ 118, 312, 315 f.; BGH NJW 1986, 1440, 1441; Geimer, IZPR, Rn. 3100 ff.; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO, Rn. 15, 17; Wolff, in: Hdb. IZVR III/2, Kap. IV, Rn. 11, 110 ff.; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 12 Rn. 3; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 12; Zöller/Geimer, ZPO, § 722 Rn. 3; ders., JuS 1965, 475, 476; Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 278; Eichel, GPR 2011, 193, 199. 12 BGHZ 122, 16, 18; BGH MDR 2008, 1231; Geimer, IZPR, Rn. 3101, 3155; ders., in: Festschrift f. Georgiades, S. 489, 492; Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 278; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO, Rn. 15; ders., ZZPInt 4 (1999), 276, 277; ders., ZIP 1994, 1577, 1578; H. Roth, IPRax 2007, 423, 424; Wolff, in: Hdb. IZVR III/2, Kap. IV Rn. 127; a. A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 408. 13 Vgl. KOM(2009) 175 endgültig, S. 2 f. 14 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament, „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“, ABl. EG 1998 Nr. C 33, S. 3, 8 f., Rn. 16 ff.
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§ 1. Ausgangslage
gehen haben. Das Exequaturverfahren, welches – im Anwendungsbereich der EuGVVO15 – bislang die Voraussetzung für die Vollstreckung eines ausländischen Urteils darstellte und dem Schuldner ein gewisses Maß an Rechtsschutz vermittelte, wurde dementsprechend durch die neugefasste EuGVVO16 abgeschafft und Urteile fremder Provenienz damit unmittelbar zur Vollstreckung zugelassen.
15 Verordnung (EG) Nr. 4 4/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1. Nachfolgend als „EuGVVO a. F.“ bezeichnet. 16 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (Neufassung), ABl. EU 2012 Nr. L 351, S. 1. Nachfolgend als „EuGVVO“ bezeichnet; ferner existieren die Bezeichnungen „Brüssel Ia-VO“ oder „Brussels Ibis“.
§ 2. Problemstellung und Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, die Rechtfertigung der Abschaffung des Exequaturverfahrens in der EuGVVO, als zentralem Instrument des Europäischen Zivilverfahrensrechts, zu hinterfragen und widmet sich damit einer Frage, in der (Europäischer) Gesetzgeber und Wissenschaft nahezu unversöhnlich auseinander zu liegen scheinen. Denn während die Abschaffung des Exequaturverfahrens von der Europäischen Kommission als weiterer wesentlicher und vor allem konsequenter Schritt im europäischen Integrationsprozess und als ein Beitrag zur Gesundung der europäischen Wirtschaft betrachtet wird, wurde und wird sie von anderer Seite als unverantwortlicher Verzicht auf das letzte Bollwerk des Schuldnerschutzes im grenzüberschreitenden europäischen Rechtsverkehr angesehen. Im Mittelpunkt der Arbeit steht daher, neben der Vereinbarkeit ausländischer Tenorierungsgewohnheiten mit den Anforderungen heimischer Vollstreckungsrechte und einem aus der Divergenz der europäischen Vollstreckungsrechte folgenden Anpassungs- und Integrationsbedürfnis, vor allem die Frage nach der Notwendigkeit und dem Nutzen einer zweitstaatlichen Kontrolle im Rahmen der grenzüberschreitenden Vollstreckung. Dabei erfolgt die Untersuchung in vier Schritten: Ausgehend von einem historischen Überblick (§ 3), der kurz die Entwicklung des europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts – von einem behäbigen System der Rechtshilfe zu einem (sektoriell begrenzten) System der unmittelbaren Vollstreckbarkeit – nachzeichnen und dadurch aufzeigen soll, welche Schritte hin zur Herstellung eines einheitlichen und schrankenlosen Europäischen Justizraumes bislang unternommen wurden, wird die Frage aufgeworfen, ob eine weitere Verfahrensbeschleunigung im Anwendungsbereich der EuGVVO mit den praktischen Erfordernissen des grenzüberschreitenden Prozessierens und den Geboten des Schuldnerschutzes vereinbar ist (1. Schritt). Zu diesem Zweck wird zunächst eine Parallele zum US-amerikanischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht gezogen (§ 4), ehe sich eine Darstellung des bisherigen Systems der EuGVVO – allerdings begrenzt auf das Recht der Anerkennung und Vollstreckung – anschließt (§ 5). Durch diese sollen die Grundlagen für die folgende Auseinandersetzung mit der Neufassung der EuGVVO vom 12.12.2012 sowie den darüber hinausgehenden Bestrebungen der Europäischen Kommission gelegt werden. Den Kern dieses Abschnittes bildet die Darstellung der Funktionen des Exequaturverfahrens: die Implementations-, die Perpetuierungs-, die Kontroll- sowie die Integrationsfunktion.
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§ 2. Problemstellung und Gang der Untersuchung
Dabei wird zum einen aufgezeigt, warum es nötig ist, Urteile fremder Provenienz an die Anforderungen des nationalen Vollstreckungsrechts anzupassen, welche Bedeutung der inländischen Titelkreation beizumessen ist, unter welchen Voraussetzungen ausländischen Urteilen, vor allem mit Blick auf anerkennungsstaatliche Interessen und die Gewährleistung eines effektiven Schuldnerschutzes, die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden kann sowie in welchem Umfang auch das Exequaturverfahren auf die fortschreitende Rechtsharmonisierung in der Europäischen Union einwirkt. Ein Schwerpunkt wird in diesem Abschnitt, entsprechend seiner dogmatischen und ideologischen Bedeutung, auf den ordre public-Einwand gelegt. Dabei wird versucht, insbesondere vor dem Hintergrund der europäischen Einwirkungen, die Systematik und Struktur dieses generalklauselartig gefassten Anerkennungsversagungsgrundes aufzuzeigen, um ihn abseits einer zweckwidrigen Definition zu konkretisieren. Diese „Vorarbeiten“ scheinen unerlässlich, wenn zu klären versucht wird, ob die – im Wesentlichen durch die ordre public-Kontrolle bewerkstelligte – Kontrollfunktion des Exequaturverfahrens der EuGVVO obsolet ist, etwa weil sie jegliche praktische Bedeutung verloren hat oder es gleichwertige Rechtsinstitute gibt, die diese Aufgaben wahrnehmen können (2. Schritt). Anschließend wird zur Abschaffung des Exequaturverfahrens in der revidierten EuGVVO übergeleitet (§ 6). Dabei wird zunächst der gegenwärtige Regelungsrahmen erläutert und sodann aufgezeigt, dass mit dem Verzicht auf die Notwendigkeit eines Exequaturs nicht nur die unmittelbare Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Entscheidungen, sondern auch die Erweiterung der territorialen Reichweite der Vollstreckungsgegenklage einhergeht. Daran anknüpfend wird anhand einer funktionalen Betrachtung untersucht, ob die neugefasste EuGVVO als konsequente und überzeugende Weiterentwicklung der überaus erfolgreichen Vorgängerverordnung angesehen werden kann (3. Schritt). Die Arbeit endet schließlich mit einem umfassenden Ausblick, der die Frage zu beantworten sucht, ob der Europäische Normgeber über die Neufassung der EuGVVO hinaus die letzten, noch bestehenden Hemmnisse der grenzüberschreitenden Vollstreckung beseitigen kann, um eine uneingeschränkte Zirkulation mitgliedstaatlicher Urteile innerhalb des Europäischen Justizraumes zu ermöglichen (§ 7). Dabei wendet sich die Arbeit zunächst den Bedenken zu, ein Verzicht auf sämtliche zweitstaatlichen Anpassungs- bzw. Kontrollverfahren widerspreche höherrangigem Recht (§ 7.A.). Bevor im Anschluss daran auf die Argumentation der Europäischen Kommission eingegangen wird, der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung stelle eine ausreichende Legitimation für den Verzicht auf jegliche zweitstaatliche Einwirkungsmöglichkeit dar, wird festgestellt, dass eine vollständige Rechtsharmonisierung, die sämtliche Anpassungs- und Kontrollbedürfnisse entfielen ließe, bislang nicht erreicht wurde (§ 7.B.). Die auf dem postulierten Vertrauen in die Äquivalenz der europäischen Rechtsordnungen fußende Begründung und Rechtfertigung
2. Problemstellung und Gang der Untersuchung
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des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung wird sodann zum Anlass genommen, Fragen des forum shopping sowie vereinzelter Renationalisierungsbestrebungen zu behandeln und Probleme bei der Anwendung des Unionsrechts aufzuzeigen (§ 7.C.). Die kontrovers geführte Debatte über ein bestehendes oder zulässigerweise abzuverlangendes gegenseitiges Vertrauen außer Acht lassend, wird der Fokus der Arbeit schließlich erneut auf die funktionale Betrachtung des Exequaturverfahrens gelegt. Ausgehend von der Prämisse, dass eine Vollstreckbarerklärung oder ein äquivalent ausgestaltetes Instrument zukünftig verzichtbar wären, wenn die Erfüllung der Funktionen des Exequaturverfahrens nicht mehr erforderlich ist oder auf andere Weise zufriedenstellend erfüllt werden kann, wird – anknüpfend an die vorangegeganenen Ausführungen zur Abschaffung des Exequaturverfahrens in der EuGVVO – in erster Linie die Verzichtbarkeit einer zweitstaatlichen Kontrolle, insbesondere vor dem Hintergrund der Ausbildung eines europäischen ordre public und der geringen praktischen Relevanz der Vorbehaltsklausel, diskutiert. Darüber hinaus wird über Alternativen zur Vorbehaltsklausel, unabhängig davon, ob nationalen oder europäischen Ursprungs, ob in Form von Minimumstandards oder in Form einer Generalklausel, ob im Urteils- oder im Vollstreckungsstaat verortet, nachgedacht (4. Schritt).
Zweiter Teil:
Grundlagen
§ 3. Historische Grundlagen A. Ausgangslage Die Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ausländische Gerichtsentscheidungen anerkannt und vollstreckt werden sollen, stellte sich bereits in der Antike und im Mittelalter. Schon damals existierten Regelungen zur Rechtsverfolgung durch Fremde.1 Das internationale Zivilprozessrecht heutiger Prägung entstand indes erst infolge der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung des 18. Jahrhunderts. Der wachsende internationale Handel verstärkte das Bedürfnis nach Regelungen zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen Angehörige fremder Staaten und die Gewährleistung des freien Zugangs zu den Gerichten.2 Mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu Beginn des 19. Jahrhunderts verfielen die einzelnen Partikularstaaten jedoch in einen „Souveränitätsrausch“ und wachten eifersüchtig über die eigene Justizhoheit.3 Zu dieser Zeit drang zunehmend die Ansicht in den Vordergrund, dass die Zuständigkeit fremder Gerichte für die eigenen Staatsangehörigen und die Vollstreckung eines ausländischen Urteils im eigenen Staatsgebiet die neu gewonnene persönliche Souveränität bedrohe.4 Dies hatte zur Folge, dass die privaten Interessen an einer grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung dem staatlichen Souveränitätsstreben verstärkt untergeordnet und nur unter vielen Beschränkungen Berücksichtigung fanden.5 Die Bereitschaft zur Vollstreckung ausländischer Urteile wurde aufgrund des bestehenden praktischen Bedürfnisses an der grenzüberschreitenden Forderungsdurchsetzung letztlich aber nie ernsthaft in Frage gestellt.6 1 Vgl. Riezler, IZPR, S. 50 ff.; Graupner, in: Festschrift f. Ferid, S. 183, 184. Siehe als prominentes Beispiel den Sachsenspiegel, Ssp. Ldr. III 82, 1 („Wer sin recht vor gerichte verluset in einer stat, der hat ez ubir al verloren …“). 2 Schütze, Dt. IZPR, Rn. 40; Mittermaier, AcP 14 (1831), 84, 97. 3 Feuerbach, Themis, oder Beiträge zur Gesetzgebung S. 77, 78 f.; Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung ausländischer Zivilurteile, S. 7; ders., in: Festschrift f. Smend, S. 163, 168; Sellert, JuS 1977, 781. 4 Mittermaier, AcP 14 (1831), 84, 85, 93 („missverstandenes Souveränitätsstreben“); Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 38; Schack, IZVR, Rn. 876. 5 Mittermaier, AcP 14 (1831), 84, 85; Nagel, in: Maurach u. a., Zeitgenössische Fragen des IZVR, S. 13, 15; Spangenberg, Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß, Band III, S. 423 f. 6 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 32; Graupner, in: Festschrift f. Ferid, S. 183, 185; Sedlmeier, EuLF I-2002, 35; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 31.
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§ 3. Historische Grundlagen
Dies wird auch durch den von Feuerbach im Jahre 1812 veröffentlichte Entwurf eines „Staatsvertrages über die gegenseitigen Gerichtsverhältnisse zweier benachbarter Staaten“, der Fragen der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen und der internationalen Zuständigkeit regelte und Ausgangspunkt für eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge war, unterstrichen.7 Seine Bedeutsamkeit für das damalige Anerkennungsrecht erlangte der Vertragsentwurf vor allem dadurch, dass er, basierend auf der Annahme, Anerkennung und Vollstreckung erfolgten als quasi-völkerrechtliche Pflicht, eine weitgehende Anerkennung befürwortete.8 Auf diese Weise verlieh er dem der Lehre von der comitas gentium9 entstammenden Gegenseitigkeitsgedanken Ausdruck, der die Folgen der Souveränitätslehre durch ein gegenseitiges Entgegenkommen abzumildern suchte, um sicherzustellen, dass auch eigene Entscheidungen im Ausland Geltung beanspruchen können, und ebnete so den Weg zu einer Abkehr von der anerkennungsrechtlichen Isolationshaltung.10 Für die Vollstreckung ausländischer vermögensrechtlicher Entscheidungen wurde zu dieser Zeit auf das Instrument der Requisition zurückgegriffen.11 Die Beantragung einer Requisition und die Vollstreckung ausländischer Urteile stellten Akte zwischenstaatlicher Rechtshilfe unter Gerichten gleichen Ranges dar.12 Einem Ersuchen um die Vollstreckung einer Entscheidung wurde dabei in der Regel entsprochen, wenn die ausländischen Gerichte ihrerseits Gegenseitigkeit übten.13 Ob neben der Requisition noch die Möglichkeit einer Judikatsklage (sog. actio iudicati) des Obsiegenden im Vollstreckungsstaat bestand, wurde örtlich, d. h. in den jeweiligen Partikularstaaten, unterschiedlich gehandhabt.14 Streitgegenstand einer solchen Judikatsklage war nicht die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils, sondern die im ausländischen Urteil festgestellte „Judikatsobligation“ des Schuldners. Ihr lag also der Gedanke zu Grunde, dass durch die ausländische Entscheidung eine „obligatio“, ähnlich einer schuldrechtlichen Ver7
Feuerbach, in: Themis, oder Beiträge zur Gesetzgebung, S. 77–131. Wetzell, System des ordentlichen Civil-Prozesses, S. 416 ff.; Graupner, in: Festschrift f. Ferid, S. 183, 190, 192. 9 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 26 mit Verweis auf P. Voet, De statutis eorumque concurs (1661), X c. 14 – die Vollstreckung erfolgt „ob reciprocam utilitatem, et ex comitate“. 10 Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung ausländischer Zivilurteile, S. 7; Graupner, in: Festschrift f. Ferid, S. 183, 192 f. 11 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1582; Spangenberg, Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß, Band III, S. 423 ff.; Gesterding, Ausbeute von Nachforschungen über verschiedene Rechtsmaterien II, S. 310 ff.; Wetzell, System des ordentlichen Civil-Prozesses, S. 417. 12 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 39; Matscher, in: Festschrift f. Schima, S. 265, 269. 13 Zum Gegenseitigkeitserfordernis traten je nach Staat und abhängig vom Bestehen etwaiger völkerrechtlicher Verträge weitere Vollstreckungsvoraussetzungen hinzu (z.B. Rechtskraft des Urteils, Zuständigkeit des anerkennenden Gerichts), vgl. hierzu Mittermaier, AcP 14 (1831), 84, 86 ff.; von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Bd. II, S. 519 ff.; Graupner, in: Festschrift f. Ferid, S. 183, 193 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 38. 14 Vgl. Martiny, Hdb. IZVR III/1, Rn. 1582 (mwN); Spangenberg, Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß, Band III (1840), S. 423, 427; Graupner, in: Festschrift f. Ferid, S. 183, 189. 8
B. Civilprozeßordnung
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pflichtung, zwischen der unterlegenen und der obsiegenden Partei begründet wurde, welche für den Obsiegenden ein neues Klagerecht begründete.15 Unabhängig davon, ob die Form der Requisition oder einer erneuten Klage gewählt wurde, war zur Vollstreckung eines ausländischen Urteils aber stets eine ausdrückliche Anordnung eines inländischen Gerichts und damit des inländischen Souveräns erforderlich.
B. Civilprozeßordnung Mit der Verabschiedung der Civilprozessordnung (CPO) vom 30.1.187716 wurde schließlich eine einheitliche Rechtsordnung für das wenige Jahre zuvor errichtete Deutsche Reich geschaffen und die extreme Verfahrensvielfalt in den einzelnen deutschen Territorien beseitigt.17 Die deutschen Gerichte stellten in ihrem Verhältnis zueinander von nun an inländische Gerichte dar, deren Urteile im gesamten Reich unmittelbar vollstreckbar waren.18 Die Frage der Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile fand ihren Niederschlag in den §§ 660, 661 CPO und sollte die Einnahme eines „den internationalen Beziehungen entgegenkommenden Standpunkte[s]“ unterstreichen.19 Einem ausländischen Titel konnte mit Inkrafttreten der CPO ausschließlich im Wege der Vollstreckungsklage zur Vollstreckbarkeit verholfen werden.20 Neben der Verwirklichung der Rechtseinheit auf deutschem Boden wurden damit auch das praktizierte Prinzip der gegenseitigen Rechtshilfe und die Möglichkeit der actio iudicati überwunden.21 Streitgegenstand der Vollstreckungsklage war nun, im Gegensatz zu ebenjener actio iudicati, unmittelbar 15 OAG Jena 16.7.1844, SeuffArch 16 (1863) Nr. 269; OAG Cassel 21.02.1854, SeuffArch 11 (1857) Nr. 104; Martiny, Hdb. IZVR III/1, Rn. 1582; Schack, IZVR, Rn. 1034; von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Bd. II, S. 464 f.; Zöller/Geimer, ZPO19, § 328 Rn. 280. Zu beachten ist, dass die actio iudicati im hier verstandenen Sinn von der actio iudicati römischen Rechts zu unterscheiden ist. Letztere erfüllte die Funktion einer Nichtigkeits- und Restitutionsklage, vgl. Wach, Handbuch des deutschen Civiprozessrechtes (1885) S. 225, Anm. 18. 16 Civilprozeßordnung für das Deutsche Reich, RGBl. 1877, S. 83 – als Teil der Reichsjustizgesetze am 1. Oktober 1879 in Kraft getreten. 17 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 4 4; Zöller/Vollkommer, ZPO, Einleitung Rn. 1; ders., JZ 1987, 105; Sellert, JuS 1977, 781 mit Hinweis auf Thibaut, Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts in Deutschland, 1814, S. 14, der das zersplitterte deutsche Recht als „ein[en] endlose[n] Wust einander widerstreitender, vernichtender undscheckiger Bestimmungen“ beschrieb, der dazu geeignet sei, „die Deutschen voneinander zu trennen und den Richtern und Anwälden die gründliche Kenntnis des Rechts unmöglich zu machen“. 18 Vgl. §§ 157, 161 GVG idF vom 27.1.1877, RGBl. S. 77; Endemann, Der Deutsche Civilprozess, Bd. 3, S. 131; Seuffert, CPO, § 660 Nr. 1. 19 So die Begründung des Entwurfs, siehe Hahn/Mugdan, Materialien, Abt. 1, S. 431. 20 Vgl. § 660 CPO; dazu: Seuffert, CPO, § 660, Nr. 4; Endemann, Der Deutsche Civilprozess, Bd. 3, S. 132 f.; Schack, IZVR, Rn. 1034. 21 Von der Beibehaltung der actio iudicati ging indes noch RGZ 13, 347, 348 aus. Dagegen aber von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Bd. II, S. 494, 519 f.; Rintelen, ZZP 9 (1886), 191, 194 f.
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§ 3. Historische Grundlagen
die Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels.22 Das inländische, mit der Vollstreckungsklausel (§ 663 CPO) versehene Vollstreckungsurteil bildete schließlich die Grundlage der Zwangsvollstreckung. Keine Erwähnung in der CPO fand hingegen die Frage der Anerkennung ausländischer Urteile. Es wurde jedoch angenommen, dass die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit auch für die Frage der Urteilsanerkennung Geltung beanspruchten.23 Im Zuge der CPO-Novelle von 189824 wurde diesem hier nicht weiter zu erörternden Problem durch eine Reformierung der Vollstreckungs- und Anerkennungsregelungen abgeholfen. Während die Vollstreckbarkeit in die §§ 722 f. ZPO verschoben wurde, wurde für die Frage der Anerkennung eine eigenständige Vorschrift in § 328 ZPO geschaffen. Damit wurde eine klare Trennung von Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen statuiert und gleichzeitig der Grundsatz der automatischen Anerkennung verankert.25
C. Zivilprozessordnung Auch in der aktuellen Fassung der Zivilprozessordnung26 befinden sich die Regelungen über Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in den §§ 328, 722 f. ZPO27 und sehen nach wie vor das Erheben einer Vollstreckungsklage vor. Zusammen mit dem Grundsatz der automatischen Anerkennung und dem Verbot der révision au fond, der sachlichen Nachprüfung des fremden Urteils, hält das deutsche Recht eine sehr liberale Anerkennungs- und Vollstreckungsregelung bereit.28 Gleichwohl ist das kontradiktorische Urteilsverfahren, welches ein selbstständiges Verfahren zwischen dem ausländischen Erkenntnisund dem inländischen Zwangsvollstreckungsverfahren bildet, sehr umständlich, kostspielig und zeitraubend.29 Dies birgt die Gefahr, dass Gläubiger geringfügiger Forderungen davon abgehalten werden, ihre Rechte durchzusetzen, wodurch jene 22 RGZ 16, 427, 432 ff.; 36, 381, 383 ff.; Endemann, Der Deutsche Civilprozess, Bd. 3, S. 132; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1 Rn. 1584; Schack, IZVR, Rn. 1034. 23 RGZ 8, 385, 387 ff.; Wach, Handbuch des deutschen Civilprozessrechtes, S. 225 f.; Kohler, ZZP 10 (1887), 449, 463 ff.; Heidecker, ZZP 18 (1893), 453, 457; Niemeyer, Zur Vorgeschichte des IPR in Deutschland, S. 376. 24 RGBl. 1898, 369 – am 1. Januar 1900 in Kraft getreten. 25 Vgl. hierzu Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 54. 26 In der Fassung der Bekanntmachung vom 05.12.2005 (BGBl. 2005 I, S. 3202). 27 Beachte auch § 110 Abs. 2 FamFG, vgl. dazu Finger, FuR 2010, 3 ff. 28 Wie liberal das deutsche Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht ausgestaltet ist, zeigt insbesondere der Rechtsvergleich im sog. Jenard-Bericht, ABl. 1979 EG Nr. C 59, S. 1, 2 ff., der aufzeigt, dass bspw. in Belgien eine révision au fond bis zum Inkrafttreten des code judiciaire zulässig war und das ausländische Urteile in den Niederlanden in der Vergangenheit grundsätzlich gar nicht vollstreckbar waren. 29 Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht11, § 12 III 1; Schack, IZVR, Rn. 1041; Geimer, IZPR, Rn. 3125; Kropholler, IPR, S. 682; Seidl, Ausländischer Vollstreckungstitel, S. 119.
D. Europäische Implikationen
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faktisch entwertet werden, wenn die Vollstreckung im Ausland zu erfolgen hat. Im Interesse der Förderung und Beschleunigung des internationalen Rechtsverkehrs wurden deshalb die Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel in Deutschland sukzessive durch bi- und multilaterale Staatsverträge, die vom System der §§ 722 f. ZPO abweichen und Erleichterungen zu Gunsten der Exequaturerteilung vorsehen, reduziert.30 Auch die Europäische Union hat zwischenzeitlich, insbesondere vor dem Hintergrund der Vollendung des Gemeinsamen Binnenmarktes, zahlreiche, vom autonomen deutschen Recht abweichende Regelungen erlassen, um die grenzüberschreitende Vollstreckung innerhalb ihres Hoheitsgebietes zu vereinfachen. Die Vereinheitlichung der grenzüberschreitenden Vollstreckung wurde in diesem Zusammenhang als essentiell für die Verwirklichung der Marktfreiheiten angesehen,31 die zu ihrer wirksamen Durchsetzung einer nachhaltigen prozessualen Absicherung bedürfen.32 Dies führte dazu, dass sich das Europäische Zivilprozessrecht nach und nach von den autonomen Verfahrensrechten ablöste und sich als eigene Materie – dem sog. „Binnenmarktprozess“33 – verselbstständigte. Diese hat mittlerweile auch deutlich sichtbare Spuren in der Zivilprozessordnung hinterlassen, in die sie als eigenständiges elftes Buch unter der Überschrift „Justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union“ (§§ 1067–1117 ZPO) Eingang fand.
D. Europäische Implikationen I. Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen – EuGVÜ Als Ausgangspunkt für ein europaweit vereinheitlichtes System der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile wird gemeinhin eine Note der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, später: Europäische Gemeinschaft, schließlich Europäische Union34) aus dem Jahre 1959 angeführt. 30 Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht11, § 12 III 1; R. Wagner, IPRax 2002, 75; vgl. die Übersicht bei Schack, IZVR, Rn. 59 ff. 31 Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 Nr. 59, S. 1, 7, der in diesem Zusammenhang von der „Freizügigkeit der Urteile“ spricht. Vgl. ferner die Mitteilung der EG-Kommission an den Rat und die Kommission „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“, ABl. EG 1998 Nr. C 33, S. 3 ff.; Hess, EuZPR, § 3 Rn. 3. 32 Hess, EuZPR, § 1 Rn. 1; ders., IPRax 2001, 389, 390; ders., NJW 2000, 23; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 59. 33 Hess, EuZPR, § 3 Rn. 3; ders., JZ 1998, 1021 ff.; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 56 f.; McGuire, ecolex 2008, 100 f.; siehe auch M. Stürner, Jura 2015, 813 ff. 34 Gegründet durch den Vertrag von Maastricht über die Europäische Union vom 07.02.1992, ABl. EG 1992 Nr. C 224, S. 1.
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§ 3. Historische Grundlagen
Darin hieß es: „Ein echter Binnenmarkt zwischen den [Mitgliedstaaten] wird erst dann verwirklicht sein, wenn ein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet ist. Es wären Störungen und Schwierigkeiten im Wirtschaftsleben der Gemeinschaft zu befürchten, wenn die sich aus den vielfältigen Rechtsbeziehungen ergebenden Ansprüche nicht erforderlichenfalls auf dem Rechtswege festgestellt und durchgesetzt werden könnten. Da die Gerichtshoheit in Zivilund Handelssachen bei den Mitgliedstaaten liegt und die Wirkungen eines gerichtlichen Aktes jeweils auf ein bestimmtes Staatsgebiet beschränkt bleiben, hängt der Rechtsschutz und damit die Rechtssicherheit im Gemeinsamen Markt wesentlich von der Annahme einer befriedigenden Regelung der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen durch die Mitgliedstaaten ab.“35
Daran anknüpfend und bestimmt von der Überzeugung, dass eine unterschiedliche Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnungen die justizielle Zusammenarbeit im Europäischen Binnenmarkt beeinträchtigen und Unionsbürger von der Aufnahme grenzüberschreitender Handelsbeziehungen abhalten könnte, unternahm die EWG in den 1960er Jahren erste Schritte zur Verwirklichung eines europäischen Vollstreckungsraumes, der die wirksame Durchsetzung der Rechte europäischer Bürger gewährleisten sollte.36 Mit der Ausarbeitung des am 27.09.1968 verabschiedeten Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ)37 handelten die damaligen EWG-Gründerstaaten38 dieser Überzeugung entsprechend und kamen dem Auftrag des Art. 220 EWG (später: Art. 293 EG, nun: Art. 81 AEUV) nach, welcher die Verpflichtung enthielt, „die Vereinfachung der Förmlichkeiten für die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen und Schiedssprüche sicherzustellen.“ Im Unterschied zu traditionellen, vorangegangenen Staatsverträgen regelte das EuGVÜ nicht nur die Anerkennungsvoraussetzungen und das Vollstreckbarerklärungsverfahren, sondern enthielt zugleich einheitliche Rechtshängigkeits- und Zuständigkeitsvorschriften (sog. convention double) und ermöglichte auf diese Weise die Koordinierung von Zivilprozessen in ganz Europa.39 Dieses geschlos35 Note der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 22.10.1959 an die (damals sechs) Mitgliedstaaten. Zitiert nach dem Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1, 3. 36 Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 24; Pfeiffer, BauR 2005, 1541. 37 Brüsseler Übereinkommen über gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (BGBl. 1972 II, S. 774 [Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens, BGBl. 1998 II, S. 1412]). Das im EuGVÜ angelegte Verfahren wurde später durch das parallele Luganer Übereinkommen (Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [BGBl. 1994 II, S. 2660]) auch auf die sog. EFTA-Staaten (Island, Norwegen, Schweiz, aber nicht Liechtenstein) erstreckt. 38 Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande. 39 Hess, EuZPR, § 3 Rn. 2; ders., IPRax 2001, 389, 391; vgl. zur autonomen Auslegung: Pfeiffer, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1991, S. 71 ff.
D. Europäische Implikationen
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sene System von internationaler Zuständigkeit und Urteilsanerkennung bildete von nun an den Kern eines einheitlichen europäischen Zivilprozessrechts.40 Es erleichterte den grenzüberschreitenden Zug der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen41 und half, die nationalen Grenzen als Hemmnisse einer zwangsweisen Durchsetzung von mitgliedstaatlichen Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union zu überbrücken.42 Ein weiterer, wesentlicher Vorteil des EuGVÜ lag darin, dass es ein obligatorisches Beschlussverfahren (vgl. Artt. 31 ff. EuGVÜ und § 6 Abs. 1, 2 AVAG43) anstelle des schwerfälligen kontradiktorischen Exequaturverfahrens vorsah, wodurch die Vollstreckung aller in den Vertragsstaaten erlassenen gerichtlichen Entscheidungen erheblich erleichtert und beschleunigt wurde.44 Während ergangene Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten ipso iure anerkannt wurden, war die Vollstreckbarerklärung nach dem EuGVÜ zwar auch weiterhin von einer eigenen hoheitlichen Maßnahme des Vollstreckungsstaates abhängig, sie konnte nun aber leichter und schneller erreicht werden. Sofern nicht die von Amts wegen45 zu prüfenden Versagungsgründe vorlagen, vgl. Artt. 27, 28, 34 Abs. 2 EuGVÜ,46 und die notwendigen Formulare eingereicht wurden, wurde die Vollstreckungsklausel unverzüglich durch richterlichen Beschluss erteilt.47 Der Schuldner wurde gemäß Artt. 34, 36 EuGVÜ erst im Rechtsbehelfsverfahren gehört. 40 Schack, SchlHA 2006, 115; ders., IZVR, Rn. 84; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 60; Spellenberg, EuR 1980, 329, 347; Hess, EuZPR, § 1 Rn. 2; Staudinger, EuLF 2004, 273. 41 EuGH, Urt. v. 04.02.1988, Rs. 145/86, Slg. 1988, I-645, Rn. 10 – Hoffmann/Krieg („Freizügigkeit der Urteile“); BGHZ 65, 291, 296; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 81; Hess, EuZPR, § 1 Rn. 2; Sedlmeier, EuLF I-2002, 35, 36. 42 Vgl. Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“, ABl. EG 1998 Nr. C 33, S. 3, 8 f., Rn. 16 ff.; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 73. 43 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 03.12.2009 (BGBl. I, S. 3830). 44 Kropholler, IPR, S. 683; St. Huber, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer, Hdb. Zwangsvollstreckungsrecht, Teil 3, Kap. 8, Rn. 39 f.; Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen, S. 176 f.; ders., IZPR, Rn. 3125. 45 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 271; ders., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 149; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 79. 46 Nach Art. 27 EuGVÜ ist die Anerkennung zu versagen, wenn diese gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaates verstieße (Nr. 1), das rechtliche Gehör des Beklagten aufgrund nicht ordnungsgemäßer oder rechtzeitiger Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks beeinträchtigt würde (Nr. 2), das anzuerkennende Urteil mit einem im Anerkennungs- oder in einem Drittstaat ergangenen Urteil unvereinbar wäre (Nr. 3, 5) oder es auf einem Verstoß gegen das Kollisionsrecht des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaates beruhte (Nr. 4). Darüber hinaus kann der Anerkennung nach Art. 28 EuGVÜ die fehlende internationale Zuständigkeit in Verbraucher- und Versicherungssachen und der Verstoß gegen die ausschließliche Zuständigkeit des Art. 16 EuGVÜ entgegengehalten werden. 47 Einer gesonderten Vollstreckungsklausel nach § 725 ZPO bedurfte es nicht mehr, da diese bereits von der Vollstreckbarerklärung umfasst war, vgl. R. Wagner, IPRax 2002, 75, 81; Geimer,
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§ 3. Historische Grundlagen
Obwohl dieses durch das EuGVÜ eingeführte Verfahren eine gewaltige Verbesserung im Vergleich zum kontradiktorischen Klageverfahren nach § 722 f. ZPO darstellte,48 folgte aus seiner Rechtsnatur ein gewichtiger Nachteil: Als selbstständiger völkerrechtlichen Vertrag, welcher zur Gewährleistung einer einheitlichen Handhabung zwar durch den EuGH ausgelegt wurde,49 der aber gleichwohl keinen Bestandteil des Gemeinschaftsrechts (jetzt: Unionsrechts50) bildete, musste das Abkommen mit beitretenden Mitgliedstaaten jeweils neu vereinbart und ratifiziert werden.51
II. Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung – EuGVVO Mit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages52 am 01.05.1999 und dem damit einhergehenden „Säulenwechsel“53 ermächtigte Art. 65 EG (jetzt: Art. 81 AEUV) die Gemeinschaft, Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit zu treffen, soweit diese für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes erforderlich sind.54 Diese Handlungsbefugnis nutzte die Europäische Gemeinschaft schließlich zur Verabschiedung der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 38 EuGVVO Rn. 96; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 4c. 48 Schack, SchlHA 2006, 115; Sedlmeier, EuLF I-2002, 35 f.; Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 645; Hess, JZ 1998, 1021 („EuGVÜ [gehört] zu den weltweit erfolgreichsten Übereinkommen der Prozeßrechtsvereinheitlichung“); ders., in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 60; Laborde, in: Freitag/Leible u. a., Internationales Familienrecht, S. 77, 78. 49 Vgl. das Luxemburger Protokoll über die Auslegung des Übereinkommens vom 03.06.1971 (BGBl. 1972 II, S. 845). 50 Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist am 01.12.2009 die Europäische Union an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft getreten, Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV. Das bisherige Gemeinschaftsrecht wurde damit in Unionsrecht überführt. 51 Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 60; Hess, EuZPR, § 2 Rn. 3; Schack, IZVR, Rn. 83; Kropholler, IPR, S. 590; Kropholler/von Hein, EuZPR, Einl EuGVO Rn. 22; Koch, in: Festschrift f. Beys, S. 733, 739; Briggs, Conflict of Laws, S. 56; Kohler, in: Festschrift f. Geimer, S. 461, 462 ff., 473. 52 Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, konsolidierte Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 10.11.1997, ABl. EG Nr. C 340, S. 173 ff. 53 Der Bereich der justiziellen Zusammenarbeit wurde von der dritten Säule, der intergouvernementalen Zusammenarbeit, in die erste Säule, der unmittelbaren Zuständigkeit der EG, überführt, vgl. Jayme/Kohler, IPRax 1997, 385. 54 Aufgrund dieser Einschränkung und dem in Art. 5 EG verankerten Subsidiaritätsprinzip wird angezweifelt, ob Art. 65 EG wirklich eine tragfähige, zulässige und geeignete Rechtsgrundlage für die EU-weite Vereinheitlichung des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts sein kann, vgl. hierzu Schack, IZVR, Rn. 114; ders., ZEuP 1999, 805, 807; ders., SchlHA 2006, 115, 116; Mansel, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 1, 4; allg. hierzu Hess, NJW 2000, 23, 27; ders., JZ 2001, 573.
D. Europäische Implikationen
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Handelssachen (sog. EuGVVO oder Brüssel I-Verordnung),55 welche das völkerrechtlich begründete EuGVÜ ersetzte.56 Seit diesem Zeitpunkt nimmt die EuGVVO aufgrund ihres umfassenden Anwendungs- und Regelungsbereiches57 eine zentrale Position im Gefüge des Europäischen Zivilverfahrensrechts ein und verkörpert das meist angewendete Instrument des Europäischen Justizraumes. Dementsprechend ist es durchaus gerechtfertigt, sie als das Herzstück des Europäischen Zivilprozessrechts zu bezeichnen.58 Mit dem Übergang vom EuGVÜ zur EuGVVO, der sog. Vergemeinschaftung des EuGVÜ, war somit ein Wechsel der Rechtsform verbunden, der Änderungen der Rechtslage erleichterte: Die zuvor bestehende Notwendigkeit, bei jeder Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft neue Beitrittsübereinkommen zu schließen und diese in allen Mitgliedstaaten zu ratifizieren, entfiel.59 Damit änderte sich das Handlungsinstrument, das bereits erfolgreich erprobte Grundgerüst des EuGVÜ wurde aber weitestgehend übernommen. Zur Vereinfachung und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Vollstreckung zivilrechtlicher Urteile innerhalb der Europäischen Union60 sowie der generellen Verbesserung des europäischen Rechtsschutzes61 vereinheitlichte die Verordnung – in Kontinuität zum EuGVÜ – zentrale Materien des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs, strebt einen hohen Grad an Rechtssicherheit an und koordiniert grenzüberschreitende Prozesse. Auch das Exequaturverfahren wurde, entgegen zunächst anders lautender Pläne der Europäischen Kommission, beibehalten. Die Vollstreckbarerklä-
55
Siehe § 1 Fn. 15. Dies galt grds. nicht für das Verhältnis zu Dänemark, vgl. Art. 1 Abs. 3 EuGVVO a. F. Im Rahmen eines Abkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennunng und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2005 Nr. L 299, S. 62) wurde aber die Geltung der EuGVVO im Verhältnis zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Dänemark vereinbart. 57 Nach Art. 1 Abs. 1 EuGVVO a. F. (sowie auch nach der Neufassung) erfasst die Verordnung grundsätzlich alle zivil- und handelsrechtlichen Streitigkeiten. Der Begriff der Zivil- und Handelssache ist dabei autonom zu bestimmen und grundsätzlich extensiv auszulegen, vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.1976, Rs. 29/76, Slg. 1976, 1541 – LTU/Eurocontrol; EuGH, Urt. v. 16.12.1980, Rs. 814/79, Slg. 1980, 3807 – Niederlande/Rüffer; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 4 ff. 58 Mankowski, in: Festschrift f. Kropholler, S. 829, 832 („Magna Charta des IZPR in Europa“); von Hein, RIW 2013, 97 („Herzstück des Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts“); Magnus, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Introduction Rn. 12; Hess, EuZPR § 6 Rn. 1 („Kernregelungen des Europäischen Zivilprozessrechts“); Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409, 410 („dogmatisches und rechtstatsächliches Kernstück“); Adolphsen, in: Festschrift f. Kaissis, S. 1 („Allgemeiner Teil [des Europäischen Zivilverfahrensrechts]“). 59 Kropholler/von Hein, EuZPR, Einl EuGVO Rn. 22; Briggs, Conflict of Laws, S. 56; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Einl. EuGVVO Rn. 18; ders., IPRax 2002, 69, 71. 60 Erwägungsgründe Nr. 1 und 2 zur EuGVVO a. F.; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 21; Magnus, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Introduction Rn. 2. 61 EuGH, Urt. v. 17.06.1992, Rs. C-26/91, Slg. 1992 I-3967 Rn. 11 – Handte/TMCS; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Einl. EuGVVO Rn. 17. 56
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rung blieb damit nach wie vor konstitutives Element für die Vollstreckung im Zweitstaat.62 Die Vollstreckung ausländischer Titel wurde gegenüber dem EuGVÜ aber weiter vereinfacht und beschleunigt. Der wesentliche Unterschied zum System des EuGVÜ ist in der Verlagerung der Anerkennungshindernisse in das Rechtshelfsverfahren zu erblicken.63 Zwar wurde dem Schuldner schon nach dem EuGVÜ erst im Rechtsbehelfsverfahren rechtliches Gehör gewährt, doch konnten die Anerkennungshindernisse auch ohne dessen Beteiligung bereits im Zuge der Vollstreckbarerklärung geprüft werden. Die Verlagerung hatte nunmehr zur Konsequenz, dass die Prüfung der einzelnen Versagungsgründe im Rahmen der EuGVVO ausschließlich auf den Rechtsbehelf des Schuldners hin vorgenommen wurde. Entsprechendes galt für die rechtspolitisch sehr bedeutsame ordre public-Prüfung, die nun ebenfalls nicht mehr von Amts wegen durch den Exequaturrichter erfolgte, sondern zur Disposition des Schuldners gestellt und somit gleichsam privatisiert wurde.64
III. Abschaffung des Exequaturverfahrens innerhalb des Europäischen Justizraumes Mit der Schaffung einer Kompetenz der Gemeinschaft zur Vereinheitlichung des internationalen Zivilprozessrechts und der Errichtung eines europäischen Justizraumes durch den Vertrag von Amsterdam, die die Grundlage für den Erlass der EuGVVO bildete, ging zudem die Beauftragung des Rates und der Kommission einher, einen Aktionsplan zu der Frage auszuarbeiten, „wie die Bestimmungen des Vertrages von Amsterdam über den Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts am besten umzusetzen sind.“65 Das Ergebnis der Arbeiten beschränkte sich jedoch auf allgemeine Ausführungen. Es blieb mithin dem Europäischen Rat vorbehalten, die Idee eines Europäischen Justizraumes mit Leben zu füllen. Im Rahmen einer Sondertagung in Tampere räumte er der Verwirklichung dieses Vorhabens schließlich absolute Priorität ein und erhob zu diesem 62 Geimer, in: Festschrift f. Georgiades, S. 489; ders., IZPR, Rn. 3155; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 150; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 2 f.; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 82; Hess, NJW 2000, 23, 27 (Fn. 75); Kennet, Enforcement of Judgments in Europe, S. 213. 63 Kropholler, IPR, S. 684; Junker, RIW 2002, 569, 575; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 10; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 272; ders., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 150; Schack, SchlHA 2006, 115, 116; ders., in: Festschrift f. Leipold, S. 317, 318. 64 Stadler, IPRax 2004, 2, 5; krit. Mansel, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 1, 12; Stein, IPRax 2004, 181, 183 f.; Kohler, in: Festschrift f. Geimer, S. 461, 481 f. 65 Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vom 23.01.1999, ABl. EG 1999 C 19, S. 1; Tarko, ÖJZ 1999, 401, 407.
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Zweck den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung66 „zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit“ in der Europäischen Union.67 Damit markiert die Konferenz von Tampere einen fundamentalen Wendepunkt im Europäischen Zivilprozessrecht:68 Denn von nun an stand die Schaffung eines Binnenmarktes, in welchem mitgliedstaatliche Entscheidungen frei zirkulieren können, ohne dass es eines weiteren Hoheitsaktes des Vollstreckungsstaates bedarf (sog. Urteilsfreizügigkeit),69 und damit der Abbau sämtlicher Zwischenmaßnahmen, die wie das Exequaturverfahren für die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung im ersuchten Staat notwendig sind,70 im Mittelpunkt der Europäischen Gesetzgebungsaktivitäten. Grundlage dieses Bestrebens war und ist der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der auf dem gegenseitigen Vertrauen in die Rechtspflege der einzelnen Mitgliedstaaten fußt,71 sowie die Überzeugung, dass Unternehmer wie auch Verbraucher ein vitales Interesse daran haben, ihre Rechte grenzüberschreitend durchzusetzen und die Verwirklichung der Grundfreiheiten in der Europäischen Union daher nicht allein durch die Gewährleistung der freien Zirkulationsfähigkeit von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital zu erreichen ist. Danach bestehe ein enger Zusammenhang zwischen den wirtschaftlichen Grundfreiheiten und der Möglichkeit einer effektiven, grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung.72 Die zunehmende Integration in der Europäischen Union setze mithin eine 66
Siehe dazu unten, § 7.C. Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat (Tampere), 15. und 16. Oktober 1999, Einleitung und Nr. 33; abrufbar u. a. auf: http://europa.eu/european-council/index_de.htm; auszugsweise abgedruckt in NJW 2000, 1925 (nachfolgend bezeichnet als „Schlussfolgerungen von Tampere“); R. Wagner, IPRax 2002, 75, 76; Hess, EuZPR, § 2 Rn. 35. 68 Hess, EuZPR, § 2 Rn. 36; Kennett, Enforcement of Judgments, S. 51 ff.; Pfeiffer, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 75, 78 ff.; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 82. 69 Anhang zur Mitteilung der Kommission „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven“, SEK(2004) 693, 2.2.1.2.; Kohler, ZEuS 2001, 575, 587; ders., FamRZ 2002, 709, 710; Lopez-Tarruella, EuLF 2000/2001, 122, 123. 70 Schlussfolgerungen von Tampere, Nr. 34; Anhang zur Mitteilung der Kommission „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven“, SEK(2004) 693, 2.2.1.2; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 266; St. Huber, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer, Hdb. Zwangsvollstreckungsrecht, Teil 3, Kap. 8, Rn. 3. 71 Siehe Erwägungsgründe Nr. 16 und 17 zur EuGVVO a. F. (ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1) und Erwägungsgrund Nr. 18 zur EuVTVO (ABl. EU 2004 Nr. L 143, S. 15); Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 149, 156; Georganti, Zukunft des ordre public, S. 8. Vereinzelt werden das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und das des gegenseitigen Vertrauens gleichgesetzt, vgl. Lopez-Tarruella, EuLF 2–2000/01, 122, 123. Tatsächlich sind diese Begrifflichkeiten sehr eng miteinander verbunden; m.E. stellt jedoch das gegenseitige Vertrauen die tatsächliche – wenn auch teilweise vorgegebene – Bedingung für die Rechtstechnik der gegenseitigen Anerkennung dar, deren Anwendung letztlich auf dem Vertrauen fußt. 72 Vgl. EuGH, Urt. v. 10.07.1980, Rs. 811/79, Slg. 1980, 2545 – Administrazione delle Finanze dello Stato; EuGH, Urt. v. 19.06.1990, Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433 – The Queen/Secretary of State for Transport; Koch, in: Festschrift f. Beys, S. 733, 736; Ehricke, IPRax 1999, 311, 312; Pfeif67
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prozessuale Absicherung der Grundfreiheiten voraus.73 In der Rechtswirklichkeit werde die effektive Rechtsdurchsetzung jedoch durch die unterschiedlichen und (oft) unbekannten Zivilverfahrensrechte der Mitgliedstaaten, die fremdenrechtlichen Zugangsbarrieren für ausländische Prozessparteien sowie langwierige und kostenintensive Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren erheblich behindert.74 Die Einwirkungen der Marktfreiheiten wurden dementsprechend als ein umfassendes „Gebot zum Abbau prozessualer Schranken im Binnenmarkt“ interpretiert,75 um auf diese Weise Hindernisse bei der Ausübung der subjektiven Rechte der Unionsbürger zu beseitigen.76 Dem Vorhaben, einen einheitlichen Europäischen Justizraum zu schaffen, wurden durch die Europäische Kommission und den Europäischen Rat regelmäßig neue Impulse verliehen. Bereits fünf Jahre nach den Schlussfolgerungen von Tampere wurden das „Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union“77 und weitere fünf Jahre später das „Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger“78 verabschiedet. Sie setzten den in Tampere eingeschlagenen Weg konsequent fort und entwickelten die Idee des Europäischen Rechtsraumes weiter. Eine inhaltliche Kontinuität, tritt vor allem in der Befürwortung der Abschaffung des Exequaturverfahrens klar zu Tage. Stellte die Beibehaltung des Exequaturverfahrens bei Erlass der EuGVVO noch einen politischen Kompromiss zwischen Schuldnerschutz und Verfahrensbeschleunigung dar,79 wurde der auf dem Gipfel von Tampere beschlossene Abbau der für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen not-
fer, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 75, 79; Storme, in: Festschrift f. Nakamura, S. 581, 584. 73 Vgl. Note der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) vom 22.10.1959 an die (damals sechs) Mitgliedstaaten, siehe oben, § 3.D.I.; Hess, EuZPR, § 3 Rn. 1; ders., IPRax 2001, 389, 391; Müller-Graff/Kainer, DRiZ 2000, 350 f.; Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rn. 1; Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 188; Andersson, ELBR 2006, 747. 74 Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“, ABl. EG 1998 Nr. C 33, S. 3; Hess, EuZPR, § 1 Rn. 1. 75 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. C 12, S. 1; Hess, JZ 1998, 1021, 1023 (Zitat); ders., EuZPR, § 1 Rn. 29. 76 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 478; Kohler, IPRax 2003, 401; ders., ZSR 2005 II, 263, 283; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 106. 77 ABl. EU 2005 Nr. C 53, S. 1; siehe dazu den Aktionsplan von Rat und Kommission, ABl. EU 2005 Nr. C 198, S. 1. 78 ABl. EU 2010 Nr. C 115, S. 1; siehe dazu den Aktionsplan der Europäischen Kommission, KOM(2010) 171 endgültig; ferner Sensburg, GPR 2010, 158; R. Wagner, IPRax 2010, 97; Wagner/ Beckmann, RIW 2011, 44. 79 Stadler, IPRax 2004, 2, 5.
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wendigen Zwischenmaßnahmen für nachfolgende Verordnungen im Bereich des Internationalen Zivilprozessrechts umgesetzt.80 „Grenzen zwischen den Ländern Europas [sollten] für die Beilegung zivilrechtlicher Streitigkeiten […] und die Vollstreckung zivilrechtlicher Entscheidungen kein Hindernis mehr darstellen“.81 Dementsprechend wurde das Vollstreckbarerklärungsverfahren in verschiedenen Bereichen des Europäischen Zivilverfahrensrechts abgeschafft und durch gewisse prozessuale Mindestvoraussetzungen, beschränkte Nachprüfungsverfahren und die Implementation kollisionsrechtlicher Regelungen als Bedingung für die europaweite Vollstreckung ersetzt. Aufbauend auf dem (postulierten) Vertrauen in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten und dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung entfiel neben dem Exequaturverfahren damit auch der ordre public-Vorbehalt als ein Residuum der nationalen Souveränität.82 Die EU strebte auf diese Weise die Verwirklichung des Herkunftslandprinzips im europäischen Zivilprozessrecht an und schuf die Voraussetzungen dafür, dass ausländische Titel genauso wie inländische vollstreckt werden konnten.83 1. Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel (EuVTVO) Den Anfang machte die Verordnung zur Einführung eines Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen.84 Sie stellte das „Pilotprojekt“ für die vollständige Abschaffung des Exequaturverfahrens im europäischen Zivilprozessrecht dar und nahm so eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung der Beschlüsse von Tampere und der damit einhergehenden Schaffung eines Europäischen Justizraumes ein.85 80 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 266; St. Huber, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer, Hdb. Zwangsvollstreckungsrecht, Teil 3, Kap. 8, Rn. 3; Stein, IPRax 2004, 181, 182 f. 81 Haager Programm, ABl. EG 2005 Nr. C 53, S. 1; ferner Aktionsplan von Rat und Kommission, ABl. EG 2005, C 198, S. 1. 82 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 18 zur EuVTVO; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 459, 465. 83 Kohler, in: Reichelt/Rechberger, Europäisches Kollisionsrecht, S. 63, 65; Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rn. 399; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 64. 84 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. EU 2004 Nr. L 143, S. 15. 85 Stadler, RIW 2004, 801; R. Wagner, NJW 2005, 1157; ders., IPRax 2002, 75; Stein, IPRax 2004, 181, 183; Luckey, ProzRB 2005, 242, 243. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach Schätzung des Wirtschafts- und Sozialausschusses unbestrittene Forderungen ca. 90% der gerichtlichen Entscheidungen ausmachen, die grenzüberschreitend vollstreckt werden, vgl. ABl. EG 2003 Nr. C 85, S. 1, 4. In der Praxis hat die EuVTVO eine solche Bedeutung jedoch noch nicht erlangt, vgl. Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 237 f.; Mankowski, VuR 2010, S. 16 (Fn. 8). Dies mag auch in dem Wahlrecht begründet sein, welches dem Gläubiger aufgrund der parallelen Anwendbarkeit von EuVTVO und EuGVVO zusteht, vgl. Art. 27 EuVTVO.
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Kern der Verordnung ist die Abschaffung des Exequaturverfahrens für bestimmte Vollstreckungstitel, vgl. Art. 5 EuVTVO. Durch den Verzicht auf ein förmliches Verfahren der Vollstreckbarerklärung soll es dem Gläubiger einer unbestrittenen und vollstreckbaren Geldforderung erleichtert werden, die grenzüberschreitende Vollstreckung schnell und kostengünstig durchzuführen.86 Erfüllt ein im Urteilsstaat erwirkter Titel die in der Verordnung niedergelegten Voraussetzungen, erhält er auf Antrag des Gläubigers die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel, Art. 6 Abs. 1 EuVTVO. Trotz der Bezeichnung als Europäischer Vollstreckungstitel wird also kein originär europäischer Titel geschaffen,87 sondern dem Gläubiger lediglich ein Instrument an die Hand gegeben, mit dessen Hilfe dem nationalen Titel eine EU-weite Vollstreckbarkeit verliehen werden kann. Das bedeutet, dass Europäische Vollstreckungstitel in allen Mitgliedstaaten den nationalen Urteilen gleichgestellt werden, Art. 20 Abs. 1 UAbs. 2 EuVTVO,88 so dass sie ohne weitere Prüfungsmöglichkeit zu vollstrecken sind. Auf diese Weise wird zum einen der Rechtsschutz des Schuldners vollständig in den Urteilsstaat verschoben89 und ihm die Möglichkeit genommen, sich im Anerkennungsstaat auf Versagungsgründe, zum Beispiel einen ordre public-Verstoß, zu berufen90 und zum anderen der Grundsatz der einheitlichen, unmittelbaren und unbedingten Urteilsgeltung in Europa statuiert.91 Dies setzt allerdings voraus, dass dem Vollstreckungstitel eine unbestrittene Forderung zu Grunde liegt. Eine unbestrittene Forderung in diesem Sinne ist gegeben, wenn ihr der Schuldner im Verfahren durch Anerkennung oder gerichtlichen Vergleich zugestimmt oder ihr nicht widersprochen hat, zum Beispiel im Fall eines Versäumnisurteils.92 Ferner ist nach Art. 5 EuVTVO erforderlich, dass die Entscheidung im Urteilsstaat als Europäischer Vollstreckungstitel „bestätigt“ 86 Erwägungsgrund Nr. 8 zur EuVTVO; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 1 EuVTVO Rn. 1 ff.; Coester-Waltjen, Jura 2005, 394; dies., in: Festschrift f. Beys, S. 183, 186; K. Gebauer, NJ 2006, 103; Hess, NJW 2002, 2417, 2425. 87 Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Ansay, S. 47 ff.; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305; Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 28; Hau, GPR 2007, 93, 94; Rechberger, in: Festschrift f. Leipold, S. 301, 308. 88 Erwägungsgrund Nr. 8 zur EuVTVO; Adolphsen, in: MünchKomm-ZPO, § 1082 Rn. 1; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 20 EuVTVO Rn. 1. 89 Stadler, RIW 2004, 801, 803; Schlosser, EuZPR, Art. 1 VTVO Rn. 1; K. Gebauer, NJ 2006, 103, 106; R. Wagner, NJW 2005, 1157, 1158; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 804; Stein, IPRax 2004, 181, 182. 90 BGH NJW 2014, 2363; Stadler, RIW 2004, 801; dies., IPRax 2004, 2, 5; Hüßtege, in: Festschrift f. Jayme, S. 371 ff.; Mankowski, RIW 2004, 587 f.; Stein, IPRax 2004, 181, 182; Windolf/ Zemmrich, JuS 2007, 803, 804. 91 Sujecki, ZEuP 2008, 458, 475; Hess, ZSR 2005 II, 183, 195; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 676. 92 Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 3 VO (EG) 805/2004 Rn. 3 –5; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rn. 4 ff.; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 3 EuVTVO Rn. 7 ff.; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 276; Geimer, in: Festschrift f. Georgiades, S. 489, 494; K. Gebauer, NJ 2006, 103, 104.
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worden ist. Der Bestätigung kommt die Wirkung der Vollstreckbarerklärung für alle übrigen Mitgliedstaaten zu. Sie gibt dem Gläubiger die Möglichkeit, ohne Weiteres die Vollstreckung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zu betreiben und sich zu diesem Zweck direkt an die dortigen Vollstreckungsbehörden zu wenden.93 Einer deutschen Vollstreckungsklausel wie in § 725 ZPO bedarf es nicht mehr, vgl. § 1082 ZPO. Eine Bestätigung kann jedoch nur erfolgen, wenn das Verfahren im Urteilsstaat gewissen Mindestvorschriften genügt, vgl. Art. 6, 12 ff. EuVTVO.94 Diese Mindeststandards begründen zwar keine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, ihr innerstaatliches Recht an die prozessualen Mindestvorschriften in der EuVTVO anzupassen, stellen aber die Voraussetzung für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel dar, so dass ein starker Anreiz für die Mitgliedstaaten besteht, ihr autonomes Recht den Vorgaben der EuVTVO anzupassen.95 Sie ersetzen gewissermaßen das Exequaturverfahren und dienen dazu, den Schuldner zu schützen und so die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Im Wesentlichen regeln sie die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und die notwendige Information des Schuldners und sollen sicherstellen, dass dessen Grundrechte und insbesondere dessen rechtliches Gehör im Urteilsstaat angemessen beachtet werden.96 Ein förmlicher Rechtsbehelf ist gegen eine ergangene Bestätigung nicht gegeben, vgl. Art. 10 Abs. 4 EuVTVO.97 Im Urteilsstaat bestehen lediglich die in der Verordnung vorgesehenen Möglichkeiten, „materielle“ Fehler auf Antrag berichtigen oder die Bestätigung widerrufen zu lassen, „wenn sie hinsichtlich der in … [der] Verordnung festgelegten Voraussetzungen eindeutig zu Unrecht erteilt wurde“,98 Art. 10 Abs. 1 EuVTVO.99 Vor dem Hintergrund, dass der Schuldner im Bestätigungsverfahren nicht gehört wird, § 1080 Abs. 1, S. 1 ZPO, ist es allerdings höchst fraglich, ob mit dieser Regelung tatsächlich ein faires Verfahren zu gewährleisten ist.100 93
Kohler, ZSR 2005 II, 263, 279; K. Gebauer, NJ 2006, 103; Stein, EuZW 2004, 679, 681. Sujecki, ZEuP 2008, 458; K. Gebauer, NJ 2006, 103; Stein, EuZW 2004, 679, 680. Insbesondere für Verbrauchersachen und Versäumnisurteile gelten Besonderheiten, vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. c) und lit. d) EuVTVO. 95 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 19 zur EuVTVO; Stein, EuZW 2004, 679, 680; Eichele, BRAKMitt. 2003, 53, 55; Adolphsen, in: Festschrift f. Kaissis, S. 1, 5. 96 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 277 f.; Stein, EuZW 2004, 679, 680; M. Stürner, GPR 2010, 43, 44; Andersson, EBLR 2006, 747, 750; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 187 ff. 97 A.A. Stein, IPRax 2004, 181, 190, nach dessen Ansicht Art. 10 Abs. 1 EuVTVO ausreichenden Schuldnerschutz gewährt und Art. 10 Abs. 4 EuVTVO in der Folge sehr restriktiv zu verstehen ist. Klarstellend sei noch erwähnt, dass sich Art. 10 EuVTVO nur auf die Bestätigung und nicht auf den Titel selbst bezieht. Gegen diesen kann selbstverständlich mit denjenigen Rechtsmitteln vorgegangen werden, die das Recht des Urteilsstaates bereithält. 98 Hervorhebung durch den Verfasser. 99 Zum Begriff der „Eindeutigkeit“, vgl. Giebel, IPRax 2011, 529, 534; Stein, EuZW 2004, 679, 681; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 10 EG-VollstrTitelVO Rn. 17; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 192 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 10 EuVTVO Rn. 7. 100 Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 163; Stadler, RIW 2004, 801, 805; Schack, 94
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Auch im Vollstreckungsstaat ist das Bereitstellen eines Rechtsbehelfes zur Überprüfung der Bestätigung unzulässig, Art. 21 Abs. 2 EuVTVO. Zwar folgt die Zwangsvollstreckung gemäß Art. 20 Abs. 1 EuVTVO dem Recht des Vollstreckungsstaates – mit der Konsequenz, dass dem Schuldner der generelle Schutz der Vollstreckungsregelungen zusteht,101 doch darf die Berufung auf die §§ 765a, 766, 767,102 775 f. ZPO weder zu einer Überprüfung der Entscheidung noch deren Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel führen.103 Eine dem Art. 34 Nr. 1 EuGVVO vergleichbare Prüfung des ordre public ist damit weder im Urteilsnoch im Vollstreckungsstaat vorgesehen, so dass im Einzelfall ordre public-unverträgliche Ergebnisse zugunsten einer schnelleren Vollstreckung hinzunehmen sind.104 Dieses Verbot, die Anerkennung der bestätigten Entscheidung außerhalb des Ursprungsstaates in Frage zu stellen,105 und die hiermit verbundene Verkürzung des Rechtsschutzes im Vollstreckungsstaat, stellen einen System-, wenn nicht gar einen Paradigmenwechsel im internationalen Zivilprozessrecht dar.106 Unter Umständen ließe sich dieser eingeschränkte Schuldnerschutz aber durch die Beschränkung des Anwendungsbereiches auf unbestrittene Forderungen rechtfertigen. Bestreitet der Schuldner die Forderung weder der Art noch nach der Höhe nach, so fehlt es ihm im konkreten Fall möglicherweise an der notwendigen Schutzwürdigkeit. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass selbst Forderungen, die nach der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel noch bestritten werIZVR, Rn. 1054; M. Stürner, GPR 2010, 43, 45; siehe auch Stein, IPRax 2004, 181, 190 dem zufolge Art. 10 EuVTVO „geeignet ist, eine gewisse Verwirrung zu stiften.“ 101 R. Wagner, IPRax 2005, 401, 405, 407 f.; K. Gebauer, NJ 2006, 103, 106; Coester-Waltjen, Jura 2005, 394, 396. 102 Vgl. § 1086 ZPO. Da nach der Systematik der EuVTVO materiell-rechtliche Einwendungen gegen den Titel allein beim Prozessgericht vorgebracht werden können (sog. Herkunftslandprinzip), ist umstritten, ob die Möglichkeit, eine Vollstreckungsabwehrklage zu erheben mit Art. 21 Abs. 2 EuVTVO zu vereinbaren ist. Dafür spricht, dass nicht die Entscheidung oder die Bestätigung in der Sache überprüft, sondern nachträglich eingetretene Umstände geltend gemacht werden, die in der Ursprungsentscheidung keine Berücksichtigung finden konnten. Ebenso OLG Köln, IPRax 2015, 158; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 1086 Rn. 1; Mäsch, in: Kindl/ Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 1086 ZPO Rn. 1; Zöller/Geimer, ZPO, § 1086 Rn. 1; Adolphsen, in: MünchKomm-ZPO, § 1086 Rn. 1; Coester-Waltjen, Jura 2005, 394, 397; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 137, 143; Luckey, ProzRB 2005, 242, 246; M. Stürner, GPR 2010, 43, 46. Ablehnend dagegen Hess, IPRax, 2004, 493, 494; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 311; Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453, 461. 103 Pfeiffer, BauR 2005, 1541, 1549; Coester-Waltjen, Jura 2005, 394, 397; a. A. Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 67, 178, der, entgegen Art. 21 Abs. 2 EuVTVO, im Rahmen des § 826 BGB eine ordre public-Prüfung zulassen möchte. 104 Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 5 EuVTVO Rn. 5; K. Gebauer, NJ 2006, 103. 105 Eine Ausnahme gilt gemäß Art. 21 Abs. 1 EuVTVO für den Fall der Unvereinbarkeit der bestätigten Entscheidung mit einem früher ergangenen Urteilsspruch. 106 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 279 f.; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 13; a. A. Stein, IPRax 2004, 181, 184, der diesen Schritt als konsequente Weiterführung des in der Schaffung der EuGVVO eingeschlagenen Weges ansieht.
D. Europäische Implikationen
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den, als unbestrittene Forderungen im Sinne der Verordnung anzusehen sind, vgl. Art. 3 Abs. 2 EuVTVO, und dass die EuVTVO überdies weitere Belastungen für den Schuldner mit sich bringt. So stellt sie die Geschwindigkeit der Vollstreckung über die ordre public-Kontrolle und hat in weit größerem Maße als bisher zur Folge, dass den Schuldner eine Obliegenheit trifft, Prozesse im Erststaat aufzunehmen. Deshalb führt die EuVTVO, die gemäß Art. 27 EuVTVO die EuGVVO nicht verdrängt,107 nach Ansicht vieler Autoren nicht zu einem angemessenen Interessenausgleich, sondern birgt vielmehr die Gefahr, dass der Schuldnerschutz zunehmend den Gläubigerinteressen geopfert wird.108 2. Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuMahnVO) Die EuVTVO stellte jedoch nur den ersten Schritt auf dem Weg zur Herstellung eines Europäischen Justizraumes dar.109 Ihr folgten weitere europäische Verordnungen, die im Interesse der Urteilsfreizügigkeit auf die Notwendigkeit eines Exequaturverfahrens sowie eine ordre public-Kontrolle verzichten und dabei merklich über die Zielsetzung der EuVTVO hinausgehen, welche lediglich Mindestvorgaben vorsieht, die ein nationaler Titel einhalten muss, um in Europa frei zirkulieren zu können.110 Den nächsten Schritt bildete der Erlass der Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens,111 welche ein einheitliches europäisches Verfahren zur Erwirkung eines genuin europäischen Titels etablierte.112 Dieses soll eine vereinfachte und beschleunigte gerichtliche Durchsetzung faktisch unstreitiger Geldforderungen mit grenzüberschreitendem113 Bezug ermöglichen und so der besonderen Bedeutung einer raschen und effizienten Bei107 A.A. OLG Stuttgart, Beschluss v. 20.04.2009, 5 W 68/08 = NJW-RR 2010, 134 mit Anm. Kienle, EuZW 2010, 334. Das OLG nahm an, dass bei Erteilung eines Europäischen Vollstreckungstitels das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO entfalle. Diese Ansicht steht jedoch im offensichtlichen Widerspruch zu Art. 27 EuVTVO, der die parallele Anwendbarkeit beider Verordnungen gewährleistet. Vgl. dazu Bittmann, IPRax 2011, 55. 108 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Vorbemerkung EuZPR Rn. 2; dies., RIW 2004, 801, 802 f.; Heringer, Der europäische Vollstreckungstitel, S. 82 ff.; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 198 ff.; Kohler, ZSR 2005 II, 263 ff.; ders., in: Reichelt/Rechberger, Europäisches Kollisionsrecht, S. 63 ff.; Schack, IZVR, Rn. 1053 f.; a. A. Hüßtege, in: Festschrift f. Jayme, S. 371, 383 ff.; Stein, IPRax 2004, 181, 190; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 481 ff. 109 Frattini, ZEuP 2006, 225, 230; Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 30; Stoppenbrink, ERPL 2002, 641, 646 f. 110 Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 30; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305; Schollmeyer, IPRax 2002, 478, 480 f.; McGuire, GPR 2007, 303. 111 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. EU 2006 Nr. L 399, S. 1. 112 Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 4; McGuire, GPR 2007, 303; Vollkommer/Huber, NJW 2009, 1105; Hau, GPR 2007, 93, 94. 113 Art. 2 Abs. 1 EuMahnVO. Dies ist nach Art. 3 Abs. 1 EuMahnVO der Fall, wenn mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedsstaat als dem des mit der Sache befassten Gerichts hat.
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§ 3. Historische Grundlagen
treibung ausstehender Forderungen Rechnung tragen.114 Gemäß Art. 1 Abs. 2 EuMahnVO und Erwägungsgrund Nr. 10 der EuMahnVO steht das Europäische Mahnverfahren alternativ neben den nationalen Verfahren. Einem deutschen Gläubiger bleibt es somit unbenommen ein Auslandsmahnverfahren gemäß § 688 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 32 Abs. 1 AVAG oder auch ein reines Inlandsverfahren anzustrengen. Der durch die EuMahnVO angestrebte Effizienzgewinn soll vor allem durch das vorgesehene standardisierte und auf Formblättern basierende Verfahren gewährleistet werden. Dies zeigt sich bereits bei der Verfahrenseinleitung: Der Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls ist unter Verwendung des in Anhang I der Verordnung bereitgehaltenen Formblattes zu stellen, vgl. Art. 7 Abs. 1 EuMahnVO. Hieran schließt sich eine Prüfung durch das zuständige Gericht an, Art. 8 EuMahnVO. Aufgrund der offenen Formulierung der Norm ist jedoch umstritten, wie weit die Prüfungskompetenz des Gerichts tatsächlich reicht. Sowohl eine Plausibilitäts-115 als auch eine Schlüssigkeitsprüfung116 erscheinen möglich. Angesichts des Zwecks des Europäischen Mahnverfahrens, zügig und kostengünstig einen Titel zu schaffen, und der (voll-)automatisierten Prüfung der Mahnanträge sollte aber eher davon ausgegangen werden, dass nur eine Kontrolle dahingehend vorgenommen werden kann, ob es sich um offensichtlich unbegründete Forderungen handelt.117 Anschließend erlässt das Gericht einen Zahlungsbefehl, der – ähnlich der Regelungen in der EuVTVO – gewisse Mindeststandards bei der Zustellung und der Belehrung einhalten muss, vgl. Artt. 12–15 EuMahnVO. Versäumt es der Antragsgegner schließlich fristgerecht Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl einzulegen (vgl. Art. 16 EuMahnVO), wird gemäß Art. 18 Abs. 1 EuMahnVO die Vollstreckbarkeit des Europäischen Zahlungsbefehls durch das Mahngericht festgestellt. Ein weiterer Rechtsbehelf gegen den Erlass des Zahlungsbefehls ist nicht gegeben. Der Verordnungsgeber hat sich damit, im Unterschied zur deutschen Regelung,118 für ein einstufiges Mahnverfahren entschieden.119 Lediglich unter den sehr engen Voraussetzungen des Art. 20 EuMahnVO ist der Antragsgegner nach Ablauf der Einspruchsfrist dazu berechtigt, eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls zu beantragen.120 Wurde die Vollstreckbarkeit 114 Erwägungsgrund Nr. 9 zur EuMahnVO; Rauscher, in: Rauscher, EuZPR 2, Einf. MahnVO Rn. 6; Sujecki, NJW 2007, 1622; Rellermeyer, RPfleger 2009, 11. 115 Rauscher, in: Rauscher, EuZPR 2, Einf. MahnVO Rn. 22 mit Hinweis auf den Wortlaut „ob die Forderung begründet erscheint“; ebenso Jahn, NJW 2007, 2890, 2891. 116 Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 307 mit Hinweis auf Art. 12 Abs. 4 lit. a) EuMahnVO und den Erwägungsgrund Nr. 16 „nach dem schlüssig zu prüfen [ist], ob die Forderung begründet ist.“ 117 Schlosser, EuZPR, Art. 8 MahnVO Rn. 2; Sujecki, NJW 2007, 1622, 1624; Pernfuß, Effizienz des Mahnverfahrens, S. 219 f.; ebenso wohl auch McGuire, GPR 2007, 303, 307, die eine echte Schlüssigkeitsprüfung schon aus praktischen Gründen nicht für möglich hält. 118 Vgl. §§ 688 ff. ZPO, insbes. §§ 694, 700 iVm. 338 f. ZPO. 119 Hess, EuZPR, § 10 Rn. 70; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 309; Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 8. 120 Hinsichtlich der Rechtsbehelfe im Vollstreckungsstaat gilt das zur EuVTVO Ausgeführte,
D. Europäische Implikationen
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schließlich festgestellt – in Deutschland gemäß § 20 Nr. 7 RPflG durch den Rechtspfleger121 –, kann der Europäische Zahlungsbefehl nach Art. 19 EuMahnVO in jedem EU-Mitgliedstaat vollstreckt werden, ohne dass es dafür der Durchführung eines Exequaturverfahrens bedürfte. 3. Verordnung zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO) Die nächste Entwicklungsstufe stellte die Verordnung zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen dar.122 Sie führte ein originär europäisches Erkenntnisverfahren ein, durch welches Streitigkeiten in grenzüberschreitenden Rechtssachen mit geringem123 Streitwert einfacher, schneller und kostengünstiger beigelegt werden sollten (vgl. Art. 1 EuGFVO) und ließ damit erstmals das Exequaturverfahren auch für streitige Forderungen entfallen.124 Der Erlass dieser Verordnung beruhte dabei vornehmlich auf der Überlegung, vgl. § 3.D.III.1. So kann die Vollstreckung versagt werden, wenn der Europäische Zahlungsbefehl mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist oder der Schuldner bereits gezahlt hat, Art. 22 EuMahnVO. Darüber hinaus kann sich der Schuldner auf den generellen nationalen Vollstreckungsschutz berufen. Insoweit ist jedoch das Verbot der révision au fond zu beachten, Art. 22 Abs. 3 EuMahnVO. Vgl. hierzu Preuß, ZZP 122 (2009), 3, 18 ff. 121 Vgl. Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 307, die auf einen (vermeintlichen) Wertungswiderspruch hinweisen: Während für das Vollstreckbarerklärungsverfahren nach Art. 38 EuGVVO a. F. der Vorsitzende Richter am Landgericht zuständig ist, § 3 AVAG, ist das Titel schaffende Verfahren nach der EuMahnVO der richterlichen Kontrolle entzogen und einem Rechtspfleger zugewiesen. Dies erscheint zunächst widersprüchlich, doch ist zu beachten, dass es bei der beschränkten Prüfung nach der EuMahnVO, die sich aus der standardisierten Natur des Mahnverfahrens ergibt, keiner vertieften rechtlichen Kontrolle durch den Richter bedarf. Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund Nr. 16 a. E. zur EuMahnVO. Im Rechtsbehelfsverfahren ist schließlich ein Richter zuständig, vgl. § 20 Nr. 7 a. E. RPflG. Hierdurch bleiben die rechtstaatlichen Erfordernisse des Art. 19 Abs. 4 GG gewahrt. 122 Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. EU 2007 Nr. L 1999, S. 1 – auch Europäisches Bagatellverfahren genannt; dazu: Kern, JZ 2012, 389 ff.; Jahn, NJW 2007, 2890 ff.; Freitag/Leible, BB 2009, 2 ff.; Salten, MDR 2009, 244 ff.; Sujecki, EWS 2008, 323 ff. Siehe aber den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 vom 11.07.2007 zur Einführung eines Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2013) 794 final. 123 Bis 2.000 Euro, vgl. Art 2 Abs. 1 EuGFVO – nachdem der Kommissionsvorschlag zur Änderung der EuGFVO, COM(2013) 794 final, noch die Erhöhung der Streitwertgrenze auf 10.000 Euro vorsah (dazu BRAK-Stellungnahme Nr. 2/2014, S. 3 „irritierend“; den Nutzen dieser Änderung bezweifelnd Sujecki, ZRP 2014, 84 ff.), haben sich das Europäische Parlament (vgl. zur zunächst bevorzugten differenzierten Anhebung GPR 2015, 156) und der Europäische Rat am 23. Juni 2015 auf eine Anhebung des Schwellenwertes auf 5.000 Euro geeinigt, vgl. http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-roo m/content/20150622IPR69236/html/Small-claims-procedure-MEPs-strike-a-deal-with-Council (zuletzt abgerufen am 15.11.2015). 124 Jahn, NJW 2007, 2890, 2893; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 311; Nardone, RPfleger 2009, 72; Kern, JZ 2012, 389, 391, 397.
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§ 3. Historische Grundlagen
dass in den erfassten Fällen der Zeit- und Kostenaufwand und die Schwierigkeiten, die mit der Rechtsverfolgung im Ausland verbunden sind, oftmals in keinem Verhältnis zum Wert der Forderung stehen, die beigetrieben werden soll, so dass Gläubiger häufig auf eine Durchsetzung verzichten.125 Neben dem Verzicht auf das Exequaturverfahren wird das Verfahren dadurch beschleunigt und vereinfacht, dass es durch die Einführung von Formblättern standardisiert wurde, es grundsätzlich schriftlich durchzuführen ist, Art. 5 Abs. 1 EuGFVO, das Freibeweisverfahren zugelassen, Art. 9 Abs. 1 EuGFVO, und es dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterworfen wurde, nach dem Aufwand und Kosten des Verfahrens nicht außer Verhältnis zu Bedeutung und Wert der Angelegenheit stehen dürfen, vgl. Erwägungsgrund Nr. 7.126 Ebenfalls von Bedeutung ist die Tatsache, dass es sich bei der verfahrenstechnischen Ausgestaltung der EuGFVO, anders als dies noch bei der EuVTVO und der EuMahnVO der Fall war, nicht um bloße Mindeststandards, sondern um Verfahrensvorschriften handelt, die von den Mitgliedstaaten zu beachten sind.127 Dies ist Konsequenz der Einführung eines einheitlichen europäischen Verfahrens. Dessen ungeachtet schafft die EuGFVO letztlich aber keinen europäischen Titel; am Ende des europäischen Verfahrens wird ein nationaler Titel ausgefertigt.128 Wird dieser anschließend gemäß Art. 20 Abs. 2 EuGFVO als im Bagatellverfahren ergangener Titel bestätigt, wird er gemeinschaftsweit anerkannt und kann ohne jegliche Zwischenmaßnahmen vollstreckt werden. Wie auch bei der EuVTVO und im Rahmen des Europäischen Mahnverfahrens scheidet eine Überprüfung des Urteils im Vollstreckungsstaat an den Maßstäben der Artt. 34, 35 EuGVVO aus.129 Rechtsschutz kann der Beklagte unter den Voraussetzungen des Art. 18 EuGFVO erlangen, wonach er die Überprüfung des Urteils und dadurch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 1104 ZPO, verlangen kann. Ob gegen die Entscheidung im Übrigen ein Rechtsmittel statthaft ist, ergibt sich gemäß Art. 17 EuGFVO aus dem nationalen Recht. In Deutschland ist daher ab einem Beschwerdewert von 600 Euro die Berufung (§§ 511 ff. ZPO) und bei Zulassung auch die Revision (§§ 542 ff. ZPO) statthaft.130 Das Vollstreckungsverfahren richtet sich schließlich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates, Art. 21 Abs. 1 EuGFVO. 125 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 7, 8, 30 zur EuGFVO mit KOM(2002) 746 endgültig, S. 50; Varga, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-BagatellVO Rn. 25 ff.; Jahn, NJW 2007, 2890; Kern, JZ 2012, 389, 392. 126 Jahn, NJW 2007, 2890, 2892; Vollkommer/Huber, NJW 2009, 1105, 1107; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 312; Kern, JZ 2012, 389, 391; Varga, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 9 EG-BagatellVO Rn. 11 ff. 127 Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 312; Rauscher, in: Rauscher, EuZPR 2, Einl. EuBagatellVO Rn. 11; Jahn, NJW 2007, 2890, 2893. 128 Vgl. Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 313. 129 Art. 20 Abs. 1 EuGFVO; Jahn, NJW 2007, 2890, 2894; Freitag/Leible, BB 2009, 2, 5; krit. Kern, JZ 2012, 389, 397; Hau, JuS 2008, 1056, 1059. 130 Freitag/Leible, BB 2009, 2, 5; Schlosser, EuZPR, Art. 17 BagatellVO; Salten, MDR 2009, 244, 246.
D. Europäische Implikationen
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4. Europäische Unterhaltsverordnung (EuUnthVO) Schließlich wurde die Europäische Unterhaltsverordnung131 erlassen. Sie soll dem Schutz des Unterhaltsgläubigers dienen und dessen Stellung nachhaltig verbessern;132 insbesondere soll sie es einer unterhaltsberechtigten Person ermöglichen, in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung zu erwirken, die automatisch in anderen Mitgliedstaaten ohne weitere Formalitäten vollstreckbar ist.133 Aus diesem Grund beseitigt die EuUnthVO die Möglichkeit, die Anerkennung von Entscheidungen anzufechten, die aus einem Mitgliedstaat stammen, der an das Haager Protokoll134 gebunden ist, Art. 17 Abs. 1 EuUnthVO, und hebt für diese Entscheidungen die Notwendigkeit eines Exequaturverfahrens auf, Art. 17 Abs. 2 EuUnthVO. Der eingeschlagene Weg der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wurde mit dieser Verordnung verlassen; ausländische Entscheidungen können nach der EuUnthVO ohne weiteren Rechtsakt direkt vollstreckt werden. Um die Achtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens zu gewährleisten, steht dem Beklagten gemäß Art. 19 EuUnthVO ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Verfügung. Sofern er sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, kann er unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift die Nachprüfung der Entscheidung beantragen und gegebenenfalls deren Nichtigerklärung erreichen, vgl. Art. 19 Abs. 3 EuUnthVO. Darüber hinausgehende außerordentliche Rechtsbehelfe, die im Ursprungsland vorgesehen sind, bleiben von Art. 19 EuUnthVO unberührt.135 Daneben kann sich der Schuldner, wie auch in den übrigen dargestellten Verordnungen, auf den generellen Vollstreckungsschutz des Zweitstaates berufen. Ist ein Mitgliedstaat jedoch nicht an das Haager Protokoll gebunden,136 verbleibt es bei der Notwendigkeit eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens und damit auch bei der Möglichkeit einer umfassenderen Nachprüfung, vgl. Art. 23 ff. EuUnthVO. Die Stärkung der Gläubigerposition und die damit korrespondierende Reduzierung des Schuldnerschutzes sind damit an die Voraussetzung eines vereinheitlichten Kollisionsrechts geknüpft.137 131 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 Nr. L 7, S. 1. 132 Gruber, IPRax 2010, 128, 129; Martiny, FamRZ 2008, 1681, 1986; krit. Rauscher, in: Rauscher, EuZPR 2, Einf. EG-UnterhaltsVO-E Rn. 3. 133 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 5, 9, 25 zur EuUnthVO. 134 Beschluss des Rates vom 30. September 2009 über den Abschluss des Haager Protokolls vom 23. November 2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht der Europäischen Gemeinschaft, ABl. EU 2009 L 331, S. 17, 19. 135 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 29 zur EuUnthVO. 136 Der Europäische Rat hat am 30.11.2009 einen Beschluss über den Abschluss des Haager Unterhaltsprotokolls durch die EG gefasst, vgl. ABl. EG 2009 L 331, S. 17. Nach der Unterzeichnung des Protokolls sind alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreiches an das Haager Protokoll gebunden; siehe die Erwägungsgründe Nr. 11 und 12 des Beschlusses. 137 Gruber, IPRax 2010, 128, 137; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 8; Heger, ZKJ 2010, 52, 55.
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§ 3. Historische Grundlagen
5. Grünbuch zur Überprüfung der EuGVVO Entsprechend ihrer in Art. 73 EuGVVO a. F. niedergelegten Verpflichtung legte die Europäische Kommission im April 2009 einen Bericht über die praktische Anwendung der EuGVVO vor.138 Anknüpfend an eine umfassende wissenschaftliche Evaluation (sog. „Heidelberg Report“139) stellte sie der Verordnung darin ein sehr gutes Zeugnis aus und bezeichnete diese als „höchst erfolgreiches Instrument“, das die Erledigung grenzüberschreitender Streitsachen erleichtert habe.140 Gleichwohl veröffentlichte die Kommission parallel ein Grünbuch,141 in welchem sie den Bericht um einige Vorschläge zur Verbesserung der Verordnung ergänzte. Zur Erleichterung und Beschleunigung der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union wurde – auch im Lichte der erfolgten Weiterentwicklung des Europäischen Zivilverfahrensrechts142 – insbesondere für eine Abschaffung des Exequaturverfahrens geworben.143 Dies begründete die Europäische Kommission mit praktischen wie ideologischen Argumenten.144 Für den Verzicht auf das Exequaturverfahren spreche vor allem die Tatsache, dass es ein zeit- und kostenintensives145 Hemmnis für die grenzüberschreitende Vollstreckung darstelle, welches geeignet sei, Gläubiger von der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung abzuhalten. In einem einheitli138 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 21.04.2009, KOM(2009) 174 endgültig. 139 Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I Regulation (EC) No 44/2001. The Heidelberg Report on the Application of Regulation Brussels I in 25 Member States (Study JLS/C4/2005/03). 140 Bericht der Kommission, KOM(2009) 174 endgültig, S. 3 f.; ebenso Hess, in: Hess/Pfeiffer/ Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 1. 141 Grünbuch zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 4 4/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 21.04.2009, KOM(2009) 175 endgültig. 142 Siehe oben, § 3.D.III.1–4. 143 Bericht der Kommission, KOM(2009) 174 endgültig, S. 4 mit Bezug auf die Schlussfolgerungen von Tampere (1999) und das Haager Programm (2004), vgl. KOM(2006) 331 endgültig; Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig, S. 2; Bericht über die Umsetzung und Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (2009/2140(INI)), A7–0219/2010 (nachfolgend bezeichnet als „Zwiefka-Bericht“), sub C. 144 KOM(2009) 175 endgültig, S. 2. Vgl. dazu auch für die Parallelverordnungen: Erwägungsgründe Nr. 8 und 9 zur EuVTVO, Erwägungsgründe Nr. 6 –9 zur EuMahnVO, Erwägungsgrund Nr. 8 zur EuGFVO; Cuniberti, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 568, 569. 145 Nach einer von der Europäischen Kommission veröffentlichten Studie wäre der ökonomische Effekt der Abschaffung des Exequaturverfahrens – basierend auf dem bestehenden Umfang des grenzüberschreitenden Handels – auf schätzungsweise 47 Millionen Euro pro Jahr zu beziffern, CSES, Data Collection and Impact Analysis – Certain Aspects of a Possible Revision of Council Regulation No. 44/2001 on Jurisdiction and the Recognition and Enforcement of Judgments in Civil and Commercial Matters (‘Brussels I’), 17.12.2010, (hiernach: CSES-Studie) abrufbar unter: http://ec.europa.eu/justice/civil/files/study_cses_brussels_i_final_17_12_10_en.pdf, S. vi, 37, 45 (zuletzt abgerufen am 15.11.2015); ebenso SEK(2010) 1548 endgültig, sub 2.1.1.
D. Europäische Implikationen
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chen Binnenmarkt, in dem Grenzen ihre Bedeutung verlieren und Bürger und Waren frei ziehen können, sei eine solche Beschränkung nur schwer zu rechtfertigen.146 Vor allem die Tatsache, dass lediglich zwischen einem und fünf Prozent aller Vollstreckbarerklärungen angefochten werden147 und die Einlegung eines Rechtsbehelfs durch den Schuldner in aller Regel erfolglos ist,148 belege, dass das Exequaturverfahren nicht mehr als eine verzichtbare Formalität im Rahmen der grenzüberschreitenden Vollstreckung darstelle. Die Beibehaltung des Verfahrens sei daher im Verhältnis zur generellen Kosten- und Verzögerungsbelastung, die dem System inhärent ist, unangemessen.149 Mit Blick auf das übergreifende Ziel des europäischen Gesetzgebers, die Urteilsfreizügigkeit zu fördern und damit einen gemeinsamen europäischen Justizraum herzustellen, erschien es – zumindest aus Sicht der Europäischen Kommission – nur als konsequent, die Frage nach der Notwendigkeit der Beibehaltung eines Exequaturverfahrens zu stellen.
146 Ebenso Hess, EuZPR, § 3 Rn. 24 und Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2010, 1, 2, nach deren Ansicht die Abschaffung des Exequaturverfahrens der Logik des Integrationsprozesses entspräche. 147 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 4 47; CSES-Studie, S. 55. 148 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 474–477, 481, 495; CSES-Studie, S. 52. 149 CSES-Studie, S. 55.
§ 4. (Rechts-)Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Amerika Der Blick auf die Entwicklung des europäischen Zivilprozessrechts zeigt die eindeutige Tendenz, die grenzüberschreitende Vollstreckung stetig zu beschleunigen. Von einem von Souveränitätsdenken geprägten System der Rechtshilfe und einem aufwendigen, kontradiktorischen Vollstreckbarerklärungsverfahren über ein einseitiges Klauselerteilungsverfahren bis hin zu einem System der unmittelbaren Urteilsgeltung in Europa veränderte sich mit der Zeit auch das Selbstverständnis der (Mitglied-)Staaten. Während das EuGVÜ und die EuGVVO noch auf dem Grundgedanken basierten, die Zivilrechtspflege sei eigenverantwortliche und originäre hoheitliche Aufgabe der einzelnen Staaten, so dass ein gewisses Maß an Kontrolle bei grenzüberschreitender Anerkennung und Vollstreckung wie selbstverständlich schien, wurde diese Haltung nach und nach aufgegeben. Souveränitätsvorbehalte haben damit, wie dies schon aus der Natur der Europäischen Union folgt, mehr und mehr an Bedeutung verloren.1 Diese Entwicklung wirft aber die Frage auf, wann ein Höchstmaß an Gläubigerfreundlichkeit erreicht ist, weil über Gebühr in die Rechte der Schuldner eingegriffen wird oder ob das stetige Zusammenwachsen der Europäischen Union die Notwendigkeit eines Exequaturverfahrens samt der mit ihm verknüpften Funktionen mittlerweile hat entbehrlich werden lassen. Möchte man den Vergleich zu einem anderen aus autonomen (Teil-)Staaten bestehenden Staaten(ver)bund, der über einen einheitlichen „rechtlichen Überbau“ sowie einen geschlossenen Wirtschaftsraum verfügt, ziehen, fällt der Blick unweigerlich auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Diese bilden einen aus fünfzig rechtlich inhomogenen Gliedstaaten bestehenden Bundestaat und ähneln daher in gewisser Weise dem Gebilde der Europäischen Union,2 welches in Anlehnung an die USA auch als die Vereinigten Staaten von Europa bezeichnet wird. 1 Gerasimchuk, Urteilsanerkennung, S. 47; Stadler, IPRax 2004, 2, 5. Neben der verminderten Strahlkraft des Souveränitätsgedankens hat sicherlich auch die europäische Integration als Überwindung der Staatlichkeit zu dieser Entwicklung beigetragen. Denn durch Kompetenzübertragungen auf die Europäische Union und die Verortung der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen (Art. 81 AEUV) im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 293 AEUV; früher: Mitentscheidungsverfahren) haben sich die Mitgliedstaaten nach und nach – möglicherweise ohne es recht zu merken (so jedenfalls Schack, SchlHA 2006, 115, 116) – ihrer Gesetzgebungs- und Justizhoheit auf dem Gebiet des Internationalen Zivilprozessrechts begeben und damit an Einfluss verloren. 2 Die Europäische Union stellt jedoch weder einen Staatenbund noch einen Bundesstaat dar, sondern wird im Allgemeinen als supranationaler Zusammenschluss souveräner Staaten bzw.
§ 4. (Rechts-)Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Amerika
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Innerhalb der USA, also im Verhältnis der Schwesterstaaten zueinander, vollzieht sich die Anerkennung nach der Full Faith and Credit Clause der US-amerikanischen Bundesverfassung.3 Nach dieser Regelung sind die Gerichte der amerikanischen Bundesstaaten dazu verpflichtet, alle von einem Gericht eines anderen Bundesstaates erlassenen Entscheidungen anzuerkennen und in demselben Umfang durchzusetzen, in dem auch ihre eigenen Entscheidungen durchsetzbar sind.4 Dies mag zunächst den Eindruck erwecken, als sei die Urteilsfreizügigkeit im US-amerikanischen Anerkennungsrecht, im Gegensatz zum Europäischen Justizraum, bereits verwirklicht. Bei näherer Betrachtung erweist sich dieser erste Anschein allerdings in zweierlei Hinsicht als unzutreffend. Zum einen erfährt das Full Faith and Credit-Prinzip insbesondere durch gegenläufige Verfassungsprinzipien, wie beispielsweise den Grundsatz des due process,5 zahlreiche Durchbrechungen. Der Grundsatz des due process garantiert ein faires Verfahren und setzt damit voraus, dass ein sachlich sowie örtlich zuständiges Gericht über den jeweiligen Rechtsstreit entscheidet und den Parteien ausreichendes rechtliches Gehör gewährt wird.6 Ein Staat kann danach die Anerkennung verweigern, wenn die Gerichte des Erststaates nicht zuständig waren oder die von ihnen angenommene Zuständigkeit oder das Verfahren gegen das Gebot eines fairen Verfahrens verstößt oder wenn das anzuerkennende Urteil auf einem Betrug ( fraud) beruht. In Extremfällen kann eine Anerkennung auch wegen Verstoßes gegen den materiellen ordre public des Zweitstaates versagt werden.7 Zum anderen werden Entscheidungen einzelstaatlicher Gerichte zwar aufgrund der verfassungsrechtlichen Bestimmung der Full Faith and Credit Clause im ganzen Bundesgebiet der USA anerkannt, sie sind aber nicht ohne Weiteres vollstreckbar. Es bedarf vielmehr der Transformation in einen lokalen Titel. Der Gläubiger kann zu diesem Zweck entweder eine auf das Urteil gestützte Vollstreckungsklage (action upon the judgment) erheben oder das Urteil in einem in fast Staatenverbund (so BVerfGE 89, 155) qualifiziert. Denn im Gegensatz zu einem Staatenbund besitzt sie eigene Souveränitätsrechte, anders aber als ein Bundesstaat mangelt es ihr an einer Kompetenz-Kompetenz, vgl. Art. 5 Abs. 2 EUV. Siehe hierzu Herdegen, Europarecht, § 5 Rn. 9 ff. 3 US Const. Article IV, Section 1: „Full Faith and Credit shall be given in each State to the public Acts, Records and Proceedings of every other State. And the Congress may by such general Laws prescribe the Manner in which such Acts, records and Proceedings shall be proved, and the Effect thereof.“ 4 Voegele, Full Faith and Credit, passim; U. Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht, Rn. 15; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 132; Regen, Prozeßbetrug, Rn. 481. 5 US Const. Amendment XIV, Section 1: „… nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property, without due process of law; …“ 6 Voegele, Full Faith and Credit, S. 77 ff., 90 ff.; Bruns, JZ 1999, 278, 283; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 326. 7 Restatement, Second, Conflict of Laws in § 103: „A judgment rendered in one State of the United States need not to be recognized or enforced in a sister State if such recognition or enforcement is not required by the national policy of full faith and credit because it would involve an improper interference with important interests of the sister State“; Bruns, JZ 1999, 278, 282; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 133; Schlosser, IPRax 2010, 101, 102.
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§ 4. (Rechts-)Vergleich mit den Vereinigten Staaten von Amerika
allen Bundesstaaten vorgesehenen vereinfachten Verfahren registrieren lassen.8 Die meisten Bundesstaaten haben das Registrierungsverfahren nach dem Muster des Uniform Enforcement of Foreign Judgments Act (1964) gestaltet.9 Dieser sieht ein vereinfachtes Verfahren zur Erlangung der Vollstreckbarkeit vor. Die Registrierung bei den Gerichten des Zweit- bzw. Vollstreckungsstaates kann dadurch erreicht werden, dass der Gläubiger eine beglaubigte Kopie des Urteils vorlegt und eine eidesstattliche Versicherung abgibt, nach der der titulierte Anspruch weiterhin fortbesteht und die Vollstreckung des Urteils im Erststaat nicht ausgesetzt wurde. Erfüllt der Antrag des Gläubigers diese Voraussetzungen, wird das Urteil von der Geschäftsstelle des Gerichts registriert, ohne dass etwaige Versagungsgründe geprüft oder der Schuldner vorher angehört oder auch nur benachrichtigt wird.10 Sobald die Registrierung im entsprechenden Schwesterstaat bewilligt wurde, kann der Schuldner einen Aufhebungsantrag gegen diese Maßnahme stellen. In diesem Fall entscheidet ein Richter, ob ein Grund für die Versagung bzw. die Rücknahme der Registrierung gegeben ist.11 Allerdings neigen die Gerichte, wie auch in Europa, deutlich dazu, schwesterstaatliche Entscheidungen im Zweifel zu akzeptieren und die Versagungsgründe restriktiv anzuwenden. Bruns führt dies auf die Erkenntnis zurück, dass die föderalistische Freiheit einen wechselseitigen Respekt für historisch und kulturell gewachsene Eigenheiten verlange.12 Dies zeigt, dass das US-amerikanische Recht der Anerkennung und Vollstreckung schwesterstaatlicher Urteile, entgegen dem ersten Anschein, der bisherigen Ausgestaltung der EuGVVO doch sehr stark ähnelt13 und die grenzüberschreitende Vollstreckung in den USA nicht einfacher oder günstiger als die (bisherige14) Vollstreckung in der Europäischen Union ist.15 Wenn nun also die USA, wie im Übrigen auch Kanada,16 die als echter Bundesstaat zweifellos ein höheres Integrationsniveau aufweist als die Europäische Union, in ihrem Souveränitätsgebiet auf eine vollständige Urteilsfreizügigkeit verzichtet und eine letzte Restkontrolle 8 Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 168; Lange/Black, Zivilprozess in den Vereinigten Staaten, Rn. 139; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 191; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 320 ff. 9 Siehe in diesem Zusammenhang § 5401 CPLR, nach dem die Möglichkeit der Registrierung für Versäumnis- und Anerkenntnisurteile im Bundesstaat New York nicht besteht, vgl. Voegele, Full Faith and Credit, S. 55 (Fn. 19); Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 172. 10 Hierzu Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 172; Voegele, Full Faith and Credit, S. 56. 11 Schlosser, IPRax 2010, 101, 102; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 173; Voegele, Full Faith and Credit, S. 59 ff. 12 Bruns, JZ 1999, 278, 284. 13 Schlosser, IPRax 2010, 101, 102 mit Verweis auf Art. 38 Abs. 2 EuGVVO a. F., welcher explizit klarstellt, dass im Vereinigten Königreich ein Registrierungsverfahren an die Stelle des Exequaturs tritt; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 319. 14 Dies meint die unter § 3.D.II. dargestellte Vollstreckung nach der EuGVVO a. F. 15 Schlosser, IPRax 2010, 101, 102; Bruns, JZ 1999, 278, 282. 16 Vgl. hierzu Castel/Walker, Canadian Conflict of Laws, Kap. 14.
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bei der Anerkennung und Vollstreckung gliedstaatlicher Urteile wahren will,17 dann stellt sich auch die Frage, warum die Europäische Union auf diese Schutzinstrumente verzichten sollte.18 Zusätzlich könnte man diese Überlegung noch durch die Klägerfreundlichkeit des amerikanischen Prozessrechts – Zuständigkeitsrecht basierend auf der minimum contacts-Lehre, anwaltliche Erfolgshonorare vor allem auf Klägerseite, keine (klägerische) Kostentragung bei Prozessverlust (sog. american rule of costs) und weitreichende pretrial discovery19 – akzentuieren und dadurch hervorheben, dass selbst eine derart klägerfreundliche Rechtsordnung nicht auf ein Kontrollsystem im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung verzichten will. Der Grund dafür könnte darin zu sehen sein, dass Prozesse, die in einem weit entfernten Bundesstaat verhandelt werden und damit über hohe Entfernungen hinaus geführt werden, schlichtweg fehleranfälliger sind und aus diesem Grund neben einer horizontalen auch der vertikalen Fehlerkorrektur bedürfen.20 Festzuhalten bleibt daher, dass auch Staaten, die über ein weit höheres Maß an Integration verfügen als dies in der EU der Fall ist, nicht auf eine Restkontrolle bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung verzichten wollen. Das nordamerikanische Beispiel zeigt damit, dass ein Binnenmarkt, anders als dies die Verlautbarungen der Europäischen Union nahe legten, nicht zwingend den Verzicht auf jegliche Überprüfungsmöglichkeit im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung erfordert. Da aber auch in einem nicht so klägerfreundlichen System, wie dem europäischen, Missbrauchsmöglichkeiten und die Gefahr nicht tolerierbarer Urteile bestehen, spricht der Vergleich mit dem US-amerikanischen Anerkennungssystem eher für eine Beibehaltung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens samt der darin verwirklichten Kontrolle oder die Bereitstellung eines gleichwertigen Ersatzes.
17
Schlosser, IPRax 2010, 101, 102; Bruns, JZ 1999, 278. Bruns, JZ 1999, 278, 287; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 285 f.; krit. R. Wagner, IPRax 2002, 75, 86, der aus einem Vergleich mit den USA keinen zwingenden Schluss ziehen will, da es sich um eine rechtspolitische Frage handele, ob man eine ordre public-Kontrolle zulassen will oder nicht. 19 Bruns, JZ 1999, 278, 285; Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 18 ff., 65 ff., 109 ff., 44 ff. 20 R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 690, der für eine neben dem innerstaatlichen Instanzenzug stehende anerkennungsrechtliche Kontrolle eintritt. 18 Ebenso
Dritter Teil:
Das Exequaturverfahren und dessen Abschaffung
§ 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001 A. Anerkennung und Vollstreckung Ausgehend von der Feststellung, dass ein Gerichtsurteil Ausdruck staatlicher Souveränität ist, sind seine Wirkungen auf das Hoheitsgebiet des Urteilsstaates begrenzt. Soll es auch über die Grenzen des Hoheitsstaates hinaus im Ausland Wirkung entfalten und vollstreckt werden, bedarf es der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung.1 Basierend auf der Annahme der rechtsstaatlichen Äquivalenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Union erfolgte die Anerkennung eines mitgliedstaatlichen Urteils im Anwendungsbereich der EuGVVO a. F. ipso iure („ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf“, Art. 33 Abs. 1 EuGVVO a. F.; siehe aber auch Abs. 2), sofern kein Anerkennungsversagungsgrund im Sinne von Artt. 34, 35 EuGVVO a. F. vorlag; eine inhaltliche Prüfung des ausländischen Urteils, eine sog. révision au fond,2 war untersagt, Art. 36 EuGVVO a. F. Unter der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung versteht man ganz grundsätzlich die Erstreckung der Wirkungen eines ausländischen Urteils auf das Inland und die darauf basierende Beachtlichkeit der ausländischen Entscheidung.3 Gegenstand der Anerkennung ist mithin nicht das Urteil als Ganzes, sondern vielmehr die einzelnen (Urteils-)Wirkungen,4 wie beispielsweise materielle Rechtskraft, Präklusions-, Gestaltungs-, Streitverkündungs- oder Interventionswirkung.5 Nach der vom EuGH gestützten Theorie der Wirkungserstreckung kommen der ausländischen Entscheidung im Anerkennungsstaat damit die gleichen rechtlichen Wirkungen zu wie im Urteilsstaat.6 1 Siehe oben, § 1; Schack, IZVR, Rn. 865; Brödermann/Rosengarten, IPR/IZVR, Rn. 673; Geimer, IZPR, Rn. 2776 mit Rn. 3100; Linke/Hau, IZPR, Rn. 12.1. 2 Dazu unten, § 5.C.III.1.a. 3 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 363 ff.; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 3 ff.; Brödermann/Rosengarten, IPR/IZVR, Rn. 673; Geimer, IZPR, Rn. 2776; Linke/Hau, IZPR, Rn. 12.2. 4 Schack, IZVR, Rn. 866; Geimer, IZPR, Rn. 2752, 2776; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 33 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 2; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 33 EuGVVO Rn. 2. 5 Ausführlich zu den anerkennungsfähigen Urteilswirkungen, Geimer, IZPR, Rn. 2799 ff. 6 EuGH, Urt. v. 04.02.1988, Rs. 145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 10 f. – Hoffmann/Krieg; Urt. v. 28.04.2009, Rs. C-420/07, Slg. 2009 I 3571 Rn. 66 – Apostolides/Orams; OGH ZfRV 2004, 156; Köln OLGR 2005, 83; OLG Hamm FamRZ 1993, 213; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 33 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 2; Geimer,
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§ 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001
Nicht anerkennungsfähig war unter der EuGVVO a. F. allerdings – neben der Tatbestandswirkung, deren Beachtung sich nach dem anwendbaren materiellen Recht, der sog. lex causae, beurteilt7 – die Vollstreckungswirkung (Vollstreckbarkeit).8 Um einen ausländischen Titel gegen einen in Deutschland wohnhaften Schuldner vollstrecken zu können, war es daher erforderlich, den Titel in einem förmlichen Verfahren (Vollstreckbarerklärungs- oder Exequaturverfahren) im Vollstreckungsstaat für vollstreckbar erklären zu lassen.9 Die Vollstreckbarkeit musste ausländischen Urteilen mit anderen Worten erst durch einen eigenen Hoheitsakt, die Vollstreckbarerklärung bzw. das Exequatur, verliehen werden, vgl. Artt. 38 ff. EuGVVO a. F. in Verbindung mit §§ 3 ff. AVAG. Das Vollstreckbarerklärungsverfahren stellte dabei ein titelschaffendes (Erkenntnis‑)Verfahren dar, an dessen Ende die Vollstreckbarerklärung stand.10 Streitgegenstand war der Anspruch des Titelinhabers auf Verleihung der Vollstreckbarkeit im Inland, nicht hingegen der dem ausländischen Titel zugrunde liegende materiell-rechtliche Anspruch.11 Die zweitstaatliche Vollstreckbarerklärung und nicht die ausländische Entscheidung selbst verkörperte schließlich den Vollstreckungstitel.12 Das ExeRIW 1976, 141 f.; ders., in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 33 EuGVVO Rn. 1; Schlosser, EuZPR, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Kropholler/von Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 9; Linke/Hau, IZPR, Rn. 12.2, 12.6 ff.; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 182; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 655. A.A. BGH NJW 1983, 514, 515; BGH IPRax 1985, 225 (allerdings nicht zum EuGVÜ oder der EuGVVO): Dem ausländischen Urteil sind die Wirkungen eines entsprechenden Urteils im Anerkennungsstaat zuzuerkennen (Theorie der Wirkungsgleichstellung). A.A. Schack, IZVR, Rn. 886; ders., IPRax 1991, 139, 142: Dem ausländischen Urteil kommen im Anerkennungsstaat die gleichen Wirkungen zu wie im Urteilsstaat (Wirkungserstreckung), sofern die Wirkungen des ausländischen Urteils nicht diejenigen eines entsprechenden anerkennungsstaatlichen Urteils übersteigen. „Die Wirkungen reichen [mithin] nur bis an die Grenze eines entsprechenden inländischen Urteils“ (Kumulationstheorie). 7 Geimer, IZPR, Rn. 2826; Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 160; Schack, IZVR, Rn. 870; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 432. 8 Geimer, IZPR, Rn. 2824; Mankowski, in: Festschrift f. Kropholler, S. 829, 836; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 33 Brüssel I-VO Rn. 10. Vgl. zur Unterscheidung zwischen Wirkungserstreckung und Wirkungsverleihung Geimer, IZPR, Rn. 3101 ff.; Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, passim. 9 Siehe oben, § 1; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 2; Botur, FamRZ 2010, 1860. 10 An die Stelle der Vollstreckbarerklärung durch Klauselerteilung tritt im Vereinigten Königreich die Registrierung der Entscheidung in einem Gerichtsbezirk, Art. 38 Abs. 2 EuGVVO a. F. Vgl. dazu Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 38 EuGVO Rn. 18 ff.; Gärtner, Probleme der Auslandsvollstreckung, S. 99 ff. 11 BGH NJW-RR 2009, 279 f.; OLG Bamberg FamRZ 1980, 67; Geimer, IZPR, Rn. 3105; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 722 Rn. 30; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 722 Rn. 7; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 723 Rn. 9. 12 BGHZ 122, 16, 18; BGH MDR 2008, 1231; Mankowski, ZZPInt 4 (1999) 276; ders., in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 3; H. Roth, IPRax 2006, 38 f.; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 739; Geimer, IZPR, Rn. 3101, 3155; ders., in: Festschrift f. Georgiades, S. 489, 492; Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 278; Wolff, in: Hdb. IZVR
B. Verfahren der Vollstreckbarerklärung
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quaturverfahren stellte damit keinen Bestandteil des Vollstreckungsverfahrens, sondern vielmehr dessen Voraussetzung dar.
B. Verfahren der Vollstreckbarerklärung Das Exequaturverfahren der EuGVVO a. F. war als zweiphasiges Verfahren ausgestaltet. Die Vollstreckbarerklärung erfolgte auf Antrag des Gläubigers in einem stark formalisierten und dem Klauselerteilungsverfahren nach §§ 724 ff. ZPO angenäherten Verfahren,13 in dem der Beklagte keine Gelegenheit zur Äußerung erhielt. Um die Urteilsfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union möglichst effektiv zu verwirklichen, wurde dem Schuldner erst in einem nachgelagerten kontradiktorischen Rechtsbehelfsverfahren rechtliches Gehör gewährt und ihm die Möglichkeit gegeben, Vollstreckungshindernisse geltend zu machen, Art. 43 Abs. 1 EuGVVO a. F. Das bedeutete, dass der Vollstreckungsgläubiger zunächst einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung stellen musste, ehe er eine ausländische Entscheidung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union vollstrecken konnte. Der Antrag war beim Vorsitzenden einer Kammer des Landgerichts zu stellen, Art. 39 Abs. 1 EuGVVO a. F. i. V. m. Anhang II EuGVVO a. F., und konnte schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden, § 4 Abs. 2 AVAG. Ein Anwaltszwang bestand im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nicht, § 6 Abs. 3 AVAG. Der Antragsteller musste jedoch nach Art. 40 Abs. 2 EuGVVO a. F., § 5 AVAG einen Zustellungsbevollmächtigten bestellen. Unterließ er dies, durfte die Vollstreckbarerklärung aus diesem Grund zwar nicht versagt werden,14 Zustellungen erfolgten dann Fall allerdings durch Aufgabe zur Post nach § 184 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 ZPO. Sofern der Gläubiger seinen Antrag mit einer Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung sowie einem vom Ursprungsgericht auszustellenden Vollstreckungsformular, welches Angaben über den Ursprungsstaat, das Gericht, das die Entscheidung erlassen hatte, die Art und Vollstreckbarkeit der Entscheidung, die Parteien sowie den Urteilsspruch enthielt (vgl. Anhang V zur EuGVVO), versehen hatte,15 wurde die Vollstreckbarerklärung in einem formalisierten Verfahren unverzüglich erteilt, Artt. 41, 53 f. EuGVVO a. F. Es handelte sich lediglich um III/2, Kap. IV Rn. 127; Meller-Hannich, GPR 2012, 90. Nach der Gegenansicht bildete jedoch das ausländische Urteil samt der Vollstreckbarerklärung die Grundlage der Zwangsvollstreckung, arg. § 8 AVAG, vgl. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 340, 408; Riezler, Internationales Zivilprozessrecht, S. 567; Rintelen, ZZP 9 (1889), 191, 195. 13 Hess, JZ 2001, 573, 578; ders., EuZPR, § 3 Rn. 192; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83. 14 Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 40 VO (EG) 44/2001 Rn. 3; Dörner, in: Hk-ZPO5, Art. 40 EuGVVO Rn. 3; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 40 EuGVO Rn. 10. 15 Für öffentliche Urkunden und Vergleiche siehe Artt. 57, 58 EuGVVO a. F.
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§ 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001
eine formale Überprüfung.16 Neben dem Vorliegen der genannten Dokumente prüfte das vollstreckungsstaatliche Gericht unter Zuhilfenahme des Vollstreckungsformulars lediglich, ob die EuGVVO a. F. im konkreten Fall anwendbar war und eine vollstreckungsfähige17 Entscheidung vorlag, die dem vollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügte.18 Lagen diese Voraussetzungen vor, wurde die ausländische Entscheidung ohne Weiteres im Wege des Beschlusses für vollstreckbar erklärt und der ausländische Titel mit einer Vollstreckungsklausel versehen, § 8 Abs. 1 AVAG. Eine Prüfung etwaiger Versagungsgründe oder gar eine Prüfung in der Sache erfolgte in diesem einseitigen Verfahren nicht, Artt. 41, 45 Abs. 2 EuGVVO a. F.19 Angesichts des reduzierten Prüfungsumfangs erging die Vollstreckbarerklärung in den meisten Mitgliedstaaten innerhalb weniger Tage20 und wurde dem Schuldner unverzüglich nach den Vorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates zugestellt, Art. 42 Abs. 1 EuGVVO a. F. Gegen die Entscheidung des Exequaturgerichts konnte die beschwerte Partei – der Gläubiger im Falle der Zurückweisung des Antrags bzw. der Schuldner im Falle der Klauselerteilung – Beschwerde gemäß Art. 43 Abs. 1 EuGVVO a. F., §§ 11, 55 AVAG einlegen. Durch Einlegung der Beschwerde gegen die Vollstreckbarerklärung konnte das bisher einseitige Vollstreckbarerklärungsverfahren in ein kontradiktorisches Rechtsbehelfsverfahren übergeleitet werden, Art. 43 Abs. 3 EuGVVO a. F., §§ 11 ff., 55 AVAG. Die Einlegung des Rechtsbehelfes war jedoch an die Beachtung einer einmonatigen Frist, beginnend mit der ordnungsgemäßen 21 Zustellung der Vollstreckbarerklärung, gebunden, Art. 43 Abs. 5 S. 1 EuGVVO a. F., § 55 Abs. 2 Nr. 1 AVAG. Lediglich wenn der Schuldner in einem anderen als dem Vollstreckungsstaat wohnhaft war, betrug die Frist zwei Monate, Art. 43 Abs. 5 S. 2 EuGVVO a. F., § 55 Abs. 2 Nr. 2 AVAG.22 Im Rechtsbehelfsverfahren hatte sodann das zuständige Gericht – in Deutschland das Oberlandesgericht23 – neben den (bereits) im Rahmen der Vollstreckbar16 Hess, EuZPR, § 3 Rn. 16; Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 188; Junker, RIW 2002, 569, 575; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemswechsel, S. 147, 150; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 21; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105. 17 Vorläufige Vollstreckbarkeit genügt insoweit. 18 Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44 f.; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 739. 19 Junker, RIW 2002, 569, 575; Kohler, in: Festschrift f. Geimer, S. 461, 481; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83. 20 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 454; ders., EuZPR, § 6 Rn. 224. 21 EuGH, Urt. v. 16.02.2006, C-3/05, Slg. 2006, I-1579 – Verdoliva/Van der Hoeven. 22 Inwieweit die Beschwerde des Antragstellers einer Frist unterlag, war umstritten. Für eine unbefristete Beschwerde Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 43 EuGVO Rn. 13; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 43 VO (EG) 44/2001 Rn. 3; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 740; für eine Anwendung des § 569 Abs. 1 ZPO (zwei Wochen) Hess, EuZPR, § 6 Rn. 227. 23 Vgl. Anhang III der EuGVVO a. F. (ABl. EU 2010 Nr. L 119, S. 12); § 11 Abs. 1 AVAG.
B. Verfahren der Vollstreckbarerklärung
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erklärung gemäß Artt. 38 ff. EuGVVO a. F. relevanten Kriterien auch das Vorliegen der abschließend aufgezählten Anerkennungshindernisse nach Artt. 45, 34 f. EuGVVO a. F. zu prüfen. In diesem Stadium wurde somit, auf den Einwand des Schuldners hin,24 erstmals untersucht, ob die ausländische Entscheidung möglicherweise gegen tragende Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verstieß (sog. ordre public-Vorbehalt, Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a. F.), ob dem Schuldner vom ausländischen Gericht ausreichendes rechtliches Gehör gewährt wurde (Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F.), ob das ausländische Urteil mit einer im Vollstreckungsstaat ergangenen oder dort Geltung beanspruchenden Entscheidung kollidierte (Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVVO a. F.) und ob das ausländische Gericht gegebenenfalls spezielle Zuständigkeitsvorschriften missachtet hatte (Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a. F.).25 Die Prüfungskompetenz des Exequaturrichters war folglich stark zurückgenommen. Insbesondere war es dem Gericht im Rahmen des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nicht gestattet, das anzuerkennende Urteil in der Sache nachzuprüfen, Art. 45 Abs. 2 EuGVVO a. F., oder mit Blick auf Art. 45 Abs. 1 EuGVVO a. F. („nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe“) nachträglich entstandene Einwendungen zu berücksichtigen.26 Durch die Vollstreckungshindernisse wurden mithin ausschließlich die essentialia der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates geschützt.27 24 (Str.) Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 188; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 669; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 101; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 41; Kropholler/von Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 6; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 228; a. A. OLG Hamm NJW-RR 2008, 586, 587 f. Rn. 24; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 21; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 45 EuGVVO Rn. 3; Schack, IZVR, Rn. 974 (für eine amtswegige Prüfung). Im Ergebnis erlangte dieser Streit (soweit absehbar) aber kaum praktische Bedeutung, da ein Schuldner, der das Rechtsbehelfsverfahren einleitete, gleichzeitig auch Verstöße gegen sämtliche, denkbare Versagungsgründe gerügt haben wird. 25 Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 45; Junker, RIW 2002, 569, 575 f.; Mäsch, in: Kindl/ Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 45 EuGVVO Rn. 2. 26 § 12 AVAG wurde insoweit als europarechtswidrig qualifiziert, siehe EuGH, Urt. v. 13.10.2011, Rs. C-139/10 – Prism Investments BV/Jaap Anne van der Meer mit Anm. Sujecki, EWS 2012, 110. Vgl. zu der dem Urteil vorausgegangenen Diskussion Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR 3, Art. 45 Brüssel I-VO Rn. 4 ff. (mwN). Im Einzelnen: Für eine Anwendbarkeit der § 12 AVAG im Anwendungsbereich der EuGVVO a. F. insbesondere aus Gründen der Prozessökonomie, vgl. BT-Drs. 11/351, S. 22; BGH NJW-RR 2008, 586, 590; BGH NJW 2007, 3432 Ls. 3; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung1, § 45 EuGVVO Rn. 4; Hub, NJW 2001, 3145, 3146 f.; H. Roth, JZ 2007, 898, 899 f.; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83; dagegen OLGR Koblenz 2005, 276; OLG Oldenburg NdsRpfl 2006, 246; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO3, Art. 43 EuGVO Rn. 7; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 231; ders., IPRax 2008, 25, 26 ff.; differenzierend, d. h. auf liquide Einwendungen beschränkend, OLG Düsseldorf NJW-RR 2005, 933, 934 f.; OLG Düsseldorf FamRZ 2006, 803, 804; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 45 EuGVVO Rn. 11; ders., IPRax 2003, 337, 339; Münzberg, in: Festschrift f. Geimer, S. 745, 748 ff.; Schlosser, EuZPR, Art. 45 EuGVVO Rn. 4. 27 Kohler, in: Baur/Mansel, Systemswechsel, S. 147, 149.
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§ 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001
Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts war die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eröffnet, Art. 44 EuGVVO a. F. i. V. m. Anhang IV EuGVVO a. F., §§ 15 ff., 55 AVAG. Sie war gemäß § 15 Abs. 2 AVAG binnen eines Monats einzulegen. Über die statthaften Rechtsbehelfe (Beschwerde und Rechtsbeschwerde) hinaus waren weitere Rechtsbehelfe, insbesondere nach nationalem Recht, nicht zugelassen; die EuGVVO a. F. war insoweit abschließend.28 Allerdings bestand auch im Vollstreckbarerklärungsverfahren die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes. Art. 46 EuGVVO a. F. diente insoweit dem Schuldnerschutz und erlaubte eine Verfahrensaussetzung für den Fall der Anfechtung des für vollstreckbar erklärten Urteils im Ursprungsstaat, wohingegen Art. 47 EuGVVO a. F. dem Gläubiger vorläufigen Rechtsschutz während des Anerkennungsbzw. Vollstreckbarerklärungsverfahrens nach Maßgabe des autonomen Rechts des Vollstreckungsstaates gewährte.29 Im Rahmen des Art. 47 EuGVVO a. F. war zwischen dem Zeitraum vor (Abs. 1) und nach (Abs. 2) der erstinstanzlichen Vollstreckbarerklärung zu unterscheiden. Abs. 1 schloss die Inanspruchnahme einstweiliger Maßnahmen nicht aus und verwies insofern auf das Recht des Vollstreckungsstaates. Einstweilige Maßnahmen konnten demnach in Anspruch genommen werden, wenn die nach autonomem Recht dafür aufgestellten Voraussetzungen erfüllt waren. Abs. 2 gab dem Gläubiger dagegen einen direkt aus der Verordnung fließenden Anspruch auf Schutz durch einstweilige Maßnahmen,30 welcher ohne vorgeschaltete Zulassungsverfahren oder die Notwendigkeit, ein konkretes Sicherungsbedürfnis darzulegen,31 zu gewähren war. Hierin lag der Unterschied zu Abs. 1. Bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist des Art. 43 Abs. 5 EuGVVO a. F. oder einer Entscheidung im Rechtsbehelfsverfahren war der einstweilige Rechtsschutz nach Art. 47 Abs. 2 EuGVVO a. F. aus Gründen des Schuldnerschutzes jedoch auf Maßnahmen der Sicherung begrenzt, vgl. Art. 47 Abs. 3 EuGVVO a. F., § 22 Abs. 1 AVAG32 – es handelte sich um eine auf Sicherungsmaßnahmen beschränkte Vollstreckung des ausländischen Titels. Hierauf nahm § 9 Abs. 1 AVAG Bezug, wenn er im Rahmen der Exequatur- bzw. Vollstreckungsklausel vorsah (bzw. im28 EuGH, Urt. v. 11.08.1995, Rs. C-432/93, Slg. 1995, I-2269, Rn. 38 f. – SISRO/Ampersand; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 225; a. A. (hinsichtlich der neg. Feststellungsklage) Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO35, Art. 43 EuGVVO Rn. 1. 29 Siehe aber Art. 46 Abs. 3 EuGVVO a. F. (Beschränkung auf Sicherungsmaßnahmen). 30 Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 47 EuGVVO Rn. 8 ff.; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 47 EuGVVO Rn. 10. 31 EuGH, Urt. v. 03.10.1985, Rs. 119/84, Slg. 1985, 3147 – Capelloni/Pelkmans; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 47 EuGVVO Rn. 15 („durch das Gemeinschaftsrecht garantierte[r] Anspruch auf Sicherungsvollstreckung“); Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 47 EuGVVO Rn. 8; Schlosser, EuZPR, Art. 47 EuGVVO Rn. 3. 32 § 22 Abs. 2 und 3 AVAG verstießen gegen den eindeutigen Wortlaut des Art. 47 Abs. 3 EuGVVO a. F. („…Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung…“), vgl. Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 47 EuGVVO Rn. 23 ff.; unkritisch hingegen Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 47 EuGVVO Rn. 14.
B. Verfahren der Vollstreckbarerklärung
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mer noch vorsieht), dass die „Zwangsvollstreckung […] über Maßregeln zur Sicherung nicht hinausgehen [darf], bis der Gläubiger eine gerichtliche Anordnung oder ein Zeugnis vorlegt, dass die Zwangsvollstreckung unbeschränkt stattfinden darf.“ Welche Maßnahmen im Rahmen des Art. 47 EuGVVO a. F. im Einzelnen zulässig waren, bestimmte sich nach dem Recht des Vollstreckungsstaates. In Deutschland kamen zugunsten des Gläubigers insoweit der Arrest (§§ 916 ff. ZPO), die einstweilige Verfügung (§§ 935 ff. ZPO), die Vorpfändung (§ 845 ZPO) sowie die Sicherungsvollstreckung (§ 720a ZPO) in Betracht.33 Der durch das einseitige und (nahezu ausschließlich)34 schriftlich geführte Verfahren, in dem (zumindest erstinstanzlich) auf eine inhaltliche Prüfung verzichtet wurde, zu Gunsten des Gläubigers erzeugte Überraschungseffekt konnte daher durch die Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes noch verstärkt werden.35 Erwies sich die auf der Grundlage des ausländischen Titels erfolgte Zwangsvollstreckung im Nachhinein allerdings als rechtswidrig – entweder weil der Titel im erststaatlichen Rechtsmittelverfahren aufgehoben oder weil die Vollstreckbarerklärung rechtskräftig abgelehnt worden war – bestand nach § 28 Abs. 1 AVAG ein verschuldensunabhängiger Schadensersatzanspruch des Schuldners gegen den Gläubiger. Gemäß Abs. 2 war das Gericht, das erstinstanzlich über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung entschieden hatte, für die Geltendmachung dieses Anspruches ausschließlich zuständig. Vom Vollstreckbarerklärungsverfahren zu unterscheiden war das Vollstreckungsverfahren, welches von den Regelungen der EuGVVO a. F. nicht umfasst wurde und sich einschließlich der zulässigen Rechtsbehelfe allein nach dem autonomen Recht des Vollstreckungsstaates richtete. Damit standen in Deutschland in erster Linie die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO), die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) sowie der allgemeine Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO zur Verfügung, sofern und soweit die Berufung auf sie nicht zu einer Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Verordnung führte. Aufgrund ihrer praktischen Relevanz ist insoweit die Geltendmachung nachträglicher Ein-
33 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 237 f.; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 47 EuGVVO Rn. 3, 9; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 47 EuGVVO Rn. 14; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 47 EuGVVO Rn. 22 ff., 29. 34 Ausnahme: § 6 Abs. 2 S. 2 AVAG. Die rechtswidrige Information des Gläubigers über das Vorliegen eines Antrags auf Vollstreckbarerklärung konnte Amtshaftungsansprüche auslösen, vgl. Schlosser, EuZPR, Art. 41 EuGVVO Rn. 1. 35 Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 26; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 1; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 22; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 38 EuGVVO Rn. 65; ders., IZPR, Rn. 3126; Kropholler/ von Hein, EuZPR, Art. 38 EuGVO Rn. 3. Dieser Überraschungseffekt wird in Deutschland jedoch oft durch die „schematische Anwendung“ des § 329 ZPO relativiert, vgl. Hess, EuZPR, § 6 Rn. 224.
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§ 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001
wendungen im Wege der gegen die nationale Vollstreckbarerklärung zu richtenden Vollstreckungsabwehrklage nach §§ 14 AVAG, 767 ZPO hervorzuheben.36
C. Funktionen des Exequaturverfahrens Die Funktionen des Exequaturverfahrens verwirklichten sich in beiden Phasen des Verfahrens. Während im Stadium der Vollstreckbarerklärung die Voraussetzungen für die Betreibung des Zwangsvollstreckungsverfahrens aus dem ausländischen Titel – vor allem die Zulassung zur Vollstreckung durch Klauselerteilung (sog. Perpetuierungsfunktion) sowie die Anpassung des ausländischen Vollstreckungstitels an die Besonderheiten des nationalen Vollstreckungsrechts (sog. Implementationsfunktion) – geschaffen wurden, standen auf der zweiten Stufe, dem Rechtsbehelfsverfahren, die Integrations- sowie die Kontrollfunktion des Exequaturverfahrens im Mittelpunkt. In diesem Verfahren konnte der Schuldner die Nichtanwendbarkeit der Verordnung sowie die in Artt. 34 f. EuGVVO a. F. genannten Versagungsgründe geltend machen und die Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils verhindern bzw. aufheben lassen, vgl. Art. 45 Abs. 1 S. 1 EuGVVO a. F.
I. Implementationsfunktion Gegenstand der unionsrechtlichen Regelungen war bis zum jetzigen Zeitpunkt in erster Linie die Frage der Vollstreckbarerklärung, mit der ausländische Titel zur Zwangsvollstreckung im Inland zugelassen werden. Die eigentliche Vollstreckung, die dem autonomen Recht des Vollstreckungsstaates (sog. lex fori executionis)37 unterliegt, ist dagegen weitestgehend von den Harmonisierungsbestrebungen innerhalb der Europäischen Union unberührt geblieben.38 Daraus resultieren 36 Abweichend vom Wortlaut des § 14 AVAG war nicht der Abschluss des Vollstreckbarerklärungsverfahrens, sondern der Zeitpunkt, in dem das Urteil erlassen wurde bzw. bis zu dem Einwendungen im Urteilsstaat geltend gemacht werden konnten maßgeblich für den Eintritt der Präklusion, siehe EuGH, Urt. v. 13.10.2011, Rs. C-139/10 – Prism Investments BV/Jaap Anne van der Meer mit Anm. Sujecki, EWS 2012, 110; Meller-Hannich, GPR 2012, 153, 156; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 45 EuGVVO Rn. 5. 37 Vgl. Art. 20 Abs. 1 EuVTVO; Art. 27 EuUnthVO; Art. 21 EuGFVO; Art. 21 Abs. 1 EuMahnVO. Ferner Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 38 EuGVVO Rn. 86; Bitter, Vollstreckbarerklärung in der EU, S. 223. 38 Fawzy, DGVZ 2015, 1 ff., 7; Hess, DGVZ 2010, 45 ff.; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 311; siehe aber die Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 189, S. 59 – dazu Hess/Raffelsieper, IPRax 2015, 46 ff.; Heitmann/Lukas, GPR 2015, 66, 70; krit. Stamm, IPRax 2014, 124 ff. – sowie die Ent-
C. Funktionen des Exequaturverfahrens
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unweigerlich Friktionen zwischen ausländischen Titulierungs- und inländischen Vollstreckungsverfahren.39 Inhalt und Formulierung von Vollstreckungstiteln sind stets auf das nationale Zwangsvollstreckungsrecht des Ursprungsstaates zugeschnitten. Die Kompatibilität eines ausländischen Titels mit dem inländischen Vollstreckungsverfahren ist daher nicht ohne Weiteres gewährleistet.40 Besondere Aufmerksamkeit ist im Fall der Vollstreckung in Deutschland dem Bestimmtheitsgrundsatz zu widmen, denn die Anpassung des ausländischen Titels an die Bestimmtheitserfordernisse des inländischen Vollstreckungsrechts bereitet in der Praxis die größten Schwierigkeiten.41 Hiernach ist ein Titel nur dann zur Vollstreckung geeignet, wenn er die Parteien des Vollstreckungsverfahrens bezeichnet (vgl. § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO) und einen vollstreckungsfähigen und inhaltlich hinreichend bestimmten Inhalt hat.42 Aus dem Titel selbst muss sich eindeutig ergeben, zu welcher Handlung, Duldung, Unterlassung oder Willenserklärung der Schuldner verpflichtet ist oder welche Sache er herauszugeben hat.43 Außerhalb des Titels liegende Umstände bleiben außer Betracht.44 Obwohl ein solcher Grundsatz nirgends in der Zivilprozessordnung ausdrücklich erwähnt wird, ergibt sich diese Notwendigkeit zum einen aus verfassungsrechtlichen Erwägungen und zum anderen aus der Struktur des Zwangsvollstreckungsverfahrens.45 Die Zwangsvollstreckung dient der Durchsetzung privater Rechte mit Hilfe staatlicher Zwangsmittel und stellt damit Ausübung hoheitlicher Gewalt dar.46 Kommt der Schuldner der titulierten Forderung nicht freiwillig nach, ermächtigt der Titel zur zwangsweisen Durchsetzung, bei der es zu vielgestaltigen Eingriffen in die Grundrechte des Schuldners kommen kann.47 Die Pfändung von beweglichen Sachen und Forderungen oder die Vollstreckung in das Grundeigentum stelschließung des Europäischen Parlaments vom 22. April 2009 zu der effizienten Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens, ABl. EU 2010 Nr. C 184E, S. 7. 39 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, S. 32. 40 BGHZ 122, 16, 17 f.; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel und inländischer Bestimmtheitsgrundsatz, S. 32; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 48 f.; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 21; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 64 Brüssel Ia-VO Rn. 1, 3 ff.; Yessiou-Faltsi, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 213, 223. 41 Vgl. Study JLS/C4/2005/03, German Report, 3rd questionnaire, question 4.1.1. 42 Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 56 ff.; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 10 Rn. 21 ff.; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 13.2 f. 43 Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, Rn. 20; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 56. Zu unbestimmt sind beispielsweise Titel, die Unterhalt unter der Bedingung eines „ernsthaften Studiums“ (OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1430, krit. Geimer, in: Festschrift f. Georgiades, S. 489, 508) oder in Höhe von einem Viertel des Nettoeinkommens des Schuldners zusprechen (AG Wiesbaden FamRZ 2006, 562). 44 BGH NJW 1986, 1440; Köln OLGZ 1986, 86, 88; KG NJW-RR 1988, 1406. 45 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.24; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 35; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 10 Rn. 21 ff. 46 RGZ 82, 85, 86 ff.; BGHZ 93, 287, 298; 119, 75, 78; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 5.13; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 1 Rn. 16. 47 Ausführlich Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 7.2–7.16.
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§ 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001
len beispielsweise Eingriffe in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum des Schuldners dar. Die Vollstreckung von Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten schränkt die in Art. 2 Abs. 1 GG verbürgte Handlungsfreiheit des Schuldners ein, bei Anordnung von Zwangshaft gar seine in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG niedergelegte körperliche Bewegungsfreiheit. Ferner drohen Eingriffe in die Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 Abs. 1 und 2 GG, oder durch das öffentliche Schuldnerverzeichnis, §§ 882b ff. ZPO, in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Aufgrund des drohenden hoheitlichen Eingriffs in subjektive Rechte des Schuldners ergibt sich das Erfordernis eines hinreichend bestimmten Vollstreckungstitels bereits unmittelbar aus dem Rechtsstaatsprinzip.48 Das im Titel enthaltene Vollstreckungsgebot muss aus diesem Grund so gefasst sein, dass der Schuldner erkennen kann, was von ihm verlangt wird und bei welchem Verhalten die Anwendung staatlicher Zwangsmittel droht.49 Daneben erfordert auch der Grundsatz der Formalisierung der Vollstreckungsvoraussetzungen eine (gewisse) vollstreckungsrechtliche Bestimmtheit.50 So ist das deutsche Zivilverfahren durch die organisatorische und funktionale Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren gekennzeichnet. Verhandlung und Entscheidung über Bestehen und Umfang des vom Gläubiger geltend gemachten Anspruchs sind dem Erkenntnisverfahren zugewiesen. Das Vollstreckungsverfahren dient dagegen allein der Durchsetzung des im Erkenntnisverfahren zugesprochenen Gläubigerrechts.51 Grundlage der Zwangsvollstreckung ist nicht der materiell-rechtliche Anspruch des Gläubigers, sondern allein der Vollstreckungstitel,52 dessen Rechtmäßigkeit von den Vollstreckungsorganen nicht zu würdigen ist.53 Sie dürfen lediglich das Vorliegen der formalen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung – Titel, Klausel, Zustellung – prüfen.54 Diese Aufgabenteilung führt zu einer Entprozessionalisierung sowie Formalisierung des Zwangs-
48 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.24; Hess, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 704 Rn. 7; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 36 f. 49 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 37. 50 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 10 Rn. 21 ff.; R. Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 315. 51 „Im Erkenntnisprozeß wird verhandelt, im Vollstreckungsprozeß gehandelt“, Rosenberg, Zivilprozeßrecht, § 169 II § a) (Hervorhebung durch den Verf.). 52 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 5 Rn. 42, Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 38. 53 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 5 Rn. 39 f., 42 ff., § 16 Rn. 5; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 6.53; vgl. aber Stürner/Münch, JZ 1987, 178, 184–186. 54 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 5 Rn. 39; R. Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 315.
C. Funktionen des Exequaturverfahrens
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vollstreckungsverfahrens,55 was der Einfachheit und Präzision der Vollstreckung dient und ihr auf diese Weise eine besondere Schlagkraft verleiht.56 Mit dem Verbot, den titulierten Anspruch in Frage zu stellen, welches die Übertragung der Vollstreckungstätigkeit auf nichtrichterliche Organe ermöglicht, korrespondiert sodann das Gebot an die titelschaffende Instanz, Art und Umfang des zu vollstreckenden Anspruches im Titel ausreichend bestimmt zu bezeichnen und so dem Vollstreckungsorgan eine bindende Handlungsanweisung zu geben.57 Schließlich streitet noch ein weiteres Argument für die Notwendigkeit eines hinreichend bestimmten Titels. Mit den Vollstreckungsorganen, Drittschuldnern und Rechtsnachfolgern der Parteien sind Personen an der Vollstreckung des Titels beteiligt, die nicht an seiner Entstehung mitgewirkt und die demzufolge keinerlei Kenntnis des ihm zugrunde liegenden Sachverhalts haben. Hinzu kommt, dass deutsche Gerichtsvollzieher – im Vergleich zu den Äquivalenten anderer europäischer Rechtsordnungen – über keine vertiefte juristische Ausbildung verfügen.58 Schon aus Praktikabilitätsgründen ist die zu vollstreckende Leistung daher so genau zu bezeichnen, dass sie auch ohne entsprechende Vorkenntnisse eindeutig identifizierbar ist. Fehlt es einem Titel an der notwendigen Bestimmtheit und ist das Ziel der Vollstreckung aus dem Titel selbst einschließlich der Entscheidungsgründe oder auch mit Hilfe „offenkundiger“, insbesondere aus dem Grundbuch ersichtlicher Daten nicht erkennbar, so ist er grundsätzlich nicht vollstreckbar.59 Der Gläubiger ist dann gezwungen, entweder auf Feststellung des Urteilsinhaltes zu klagen60 oder nach umstrittener Auffassung einen vollständig neuen, nun aber ausreichend bestimmten Titel zu erstreiten.61
55 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 6.53; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 5 Rn. 39; H. Roth, IPRax 1989, 14, 15; R. Stürner, ZZP 99 (1986) 291, 315; Stürner/Münch, JZ 1987, 178, 182. 56 Hahn/Mugdan, Materialien, Abt. 1, S. 422; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 5 Rn. 39, § 40 Rn. 2; Nierwetberg, Rpfleger 2009, 201, 202. 57 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 38; Hess, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 704 Rn. 7; Stürner/Münch, JZ 1987, 178, 182; H. Roth, IPRax 1989, 14, 15. 58 Hess, in: Andenas/Hess/Oberhammer, Enforcement agency practice in Europe, S. 25, 37; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 39. 59 BGHZ 118, 229, 232; 122, 16, 18; BGH NJW 1986, 1440; Köln OLGZ 1986, 86, 88; KG NJWRR 1988, 1406; Lackmann, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 10 Rn. 43; Jauernig/Berger, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, Rn. 20. 60 RGZ 82, 161, 164; 147, 27, 29; BGHZ 36, 11, 14; BGH NJW 1972, 2268; 1997, 2320, 2321; BAG NJW 2002, 3045, 3046; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 13.3; Gaul/ Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 10 Rn. 43; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 44. 61 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 13.3; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 44; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Vor § 704 Rn. 22; a. A. BGHZ 22, 54, 63; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 10 Rn. 43 (mwN).
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§ 5. Status quo ante: EuGVVO a. F. – VO (EG) Nr. 44/2001
Ausländische Titel erfüllen die Anforderungen, die das deutsche Recht – aufgrund rechtsstaatlicher Grundsätze und der Formalisierung der Vollstreckung – an die Bestimmtheit eines Titels stellt, nicht immer. Schwierigkeiten bereiten namentlich indexierte Unterhaltstitel sowie ausländische Urteile, die schlicht auf Zahlung der „gesetzlichen Zinsen“ lauten oder die Urteilssumme mittels einer Wertsicherungsklausel variabel halten.62 Im Anwendungsbereich des Unionsrechts liefe eine starre Anwendung des inländischen Bestimmtheitsgrundsatzes auf den ausländischen Titel jedoch der umfänglichen Vollstreckbarkeit zuwider und stünde im Widerspruch zu unionsrechtlichen Bindungen.63 So folgte aus Art. 38 EuGVVO a. F. die Pflicht, die Vollstreckung eines Titels aus einem Mitgliedstaat zuzulassen, sofern eine Implementierung möglich war.64 Daher wurde das Exequaturverfahren, welches dem Vollstreckungsverfahren als besonderes Erkenntnisverfahren vorgelagert war, dazu genutzt, den europarechtlichen Bindungen Rechnung zu tragen und ausländische Titel – auf Antrag des Gläubigers – zu konkretisieren.65 Das für die Vollstreckbarerklärung zuständige Gericht konnte im Rahmen dieses Verfahrens den ausländischen Vollstreckungstitel so weit präzisieren, dass dieser dem deutschen Bestimmtheitsgrundsatz entsprach und damit eine ausreichend klare Grundlage schaffen, auf der die Vollstreckung zügig betrieben werden konnte.66 Auf diese Weise konnte der ausländische Titel seine volle Geltung behalten. Eine Vollstreckung schied erst und auch nur dann aus, wenn alle Möglichkeiten fremde Titel zu implementieren und den Bestimmtheitserfordernissen des deutschen Rechts anzugleichen, ausgeschöpft waren und sich die inhaltlichen Zweifel bezüglich Gegenstand und Umfang des titulierten Anspruches nicht im Rahmen der im Vollstreckungsverfahren zulässigen Ausle-
62 Vgl. hierzu Gössl, NJW 2014, 3479, 3480; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.25; Stürner/Münch, JZ 1987, 178 ff.; Yessiou-Faltsi, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 213, 223. 63 OLG Köln IPRspr. 1999, Nr. 16; Geimer, Rn. 3160; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 51, 53; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.24. 64 BGH NJW 1993, 1801 ff.; Stürner/Münch, JZ 1987, 178 ff.; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.24. Nach BGH NJW 2014, 702 ff. ermöglicht die Konkretisierung des ausländischen Titels im Exequaturverfahren sogar die Vollstreckung von Forderungen, die im ausländischen Titel nicht ausdrücklich erwähnt werden, sofern sie im Erststaat ohne eine solche Titulierung im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben werden können. 65 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.26; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 189; Geimer, IZPR, Rn. 3160; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 38 EuGVO Rn. 11; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 38 EuGVO Rn. 12; H. Roth, IPRax 2006, 22, 23; Schack, IZVR, Rn. 1031; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 26; Schlosser, EuZPR, Art. 38 EuGVVO Rn. 13; ders., IPRax 2010, 101, 104; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 739. 66 BGHZ 122, 16, 17 f.; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 48 f.; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 21; Yessiou-Faltsi, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 213, 223.
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gung und Konkretisierung beseitigen ließen.67 Dies macht deutlich, dass der Vollstreckbarerklärung, als „Scharnier“ zwischen ausländischem Erkenntnis- und inländischem, d. h. deutschem68 Vollstreckungsverfahren, eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukam.
II. Perpetuierungsfunktion Die zweitstaatliche Vollstreckbarerklärung und nicht die ausländische Entscheidung selbst stellte bislang den Vollstreckungstitel dar.69 Dies hatte zur Folge, dass sich die Frage der Vollstreckbarkeit im Zweitstaat nach dem nationalen Hoheitsakt, sprich der Vollstreckbarerklärung, richtete. Ein Wegfall der Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels im Urteilsstaat beseitigte mithin nicht dessen Vollstreckbarkeit im Zweitstaat.70 Diese musste in Deutschland vielmehr durch eine separate Vollstreckungsabwehrklage, die gegen die nationale Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung zu richten war, beseitigt werden, vgl. § 14 Abs. 1 AVAG i. V. m. § 767 ZPO. Hier manifestierte sich der wesentliche Unterschied zwischen der Wirkungserstreckung im Rahmen der Anerkennung und der Wirkungsverleihung im Rahmen der Vollstreckbarerklärung. Diese durch die nationale Entscheidung bewirkte Perpetuierung der ausländischen Vollstreckbarkeit durch einen inländischen Hoheitsakt erachtete Geimer aus Gründen der Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit für geboten.71 Ihm zufolge sprachen zum einen die aus den divergierenden nationalen Vollstreckungsrechten folgenden normativen Spannungen gegen die Anerkennung der Vollstreckungswirkung und zum anderen die 67 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 83; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 13.3, 55.24; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 44; Götz, in: MünchKomm-ZPO, § 704 Rn. 8; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 704 Rn. 6 f.; Zöller/Stöber, ZPO, § 704 Rn. 5; Stürner/Münch, JZ 1987, 178, 181. Die Begründung ist indes unterschiedlich: Teilweise wird argumentiert, es läge ein Verstoß gegen den deutschen ordre public vor, vgl. BGHZ 122, 16, 19; Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809, 814; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 675. Nach anderer Auffassung fehlt es im Falle einer zu unbestimmten Tenorierung bereits an der Vollstreckbarkeit der Entscheidung, vgl. umfassend hierzu Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 178 ff., 213 ff.; ferner OLG Köln NJW-RR 2005, 932 als Beispiel für eine unmögliche Konkretisierung. 68 Anders gestaltete sich dies in Staaten, in denen das Vollstreckungsverfahren regelmäßig mit einer gerichtlichen Entscheidung beginnt. Wenn bereits nach autonomem Recht ein Gericht mit dem Vollstreckungsantrag befasst ist, besteht kein Bedürfnis nach einem zusätzlichen Vollstreckbarerklärungsverfahren. Aus diesem Grund gab es auch in Österreich bis zu dessen Beitritt zur EU im Jahr 1995 kein Exequaturverfahren: Die Prüfung, ob ein ausländischer Titel im Inland vollstreckt werden kann, erfolgte im Rahmen des der Vollstreckung vorgeschalteten Exekutionsbewilligungsverfahrens, vgl. hierzu Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, Rn. 119. 69 Siehe oben, § 1. 70 Geimer, IZPR, Rn. 3101; krit. bzgl. der Verleihungswirkung Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 408 („formalisierte Anerkennung“). 71 Geimer, Anerkennung, S. 163; ders., IZPR, Rn. 3101; Schack, IZVR, Rn. 1026.
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unangemessenen Verzögerungen des zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahrens, die aus der notwendigen Einholung von Gutachten rührten, da man von zweitstaatlichen Vollstreckungsorganen nicht die Kenntnis ausländischen Vollstreckungsrechts erwarten könne.72
III. Kontrollfunktion Zudem kam dem Exequaturverfahren die Aufgabe zu, sicherzustellen, dass die EuGVVO anwendbar73 und die anzuerkennende Entscheidung wirksam war,74 dass die Parteien der Gerichtsbarkeit des Urteilsstaates unterlegen haben75 sowie dass wesentliche anerkennungsstaatliche Interessen und unabdingbare Schuldnerrechte durch die Anerkennung und Vollstreckung der fremden Entscheidung nicht verletzt wurden. Im Exequaturverfahren wurde damit – über verfahrensrechtliche Grundfragen hinaus – namentlich die Einhaltung elementarer, rechtsstaatlicher Standards durch das Ursprungsgericht kontrolliert. Diese Funktion wurde in erster Linie dadurch erfüllt, dass einer Vollstreckbarerklärung – unter der Voraussetzung, dass der Schuldner einen Rechtsbehelf nach Art. 43 Abs. 1 EuGVVO a. F. einlegte – die Versagungsgründe der Artt. 34 und 35 EuGVVO a. F.76 entgegengehalten werden konnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Versagungsgründe als Hemmnis für die Verwirklichung eines der grundlegenden Ziele der Verordnung, durch ein einfaches und schnelles Vollstreckungsverfahren soweit wie möglich die Freizügigkeit der Urteile herzustellen,77 eng auszulegen waren.78 Die Beweislast für das Vorliegen eines der abschließend auf-
72 Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I /1, S. 972; vgl. auch Wolff, in: Hdb. IZVR III/2, Kap. IV Rn. 10. Vgl. zu dieser Argumentation, unten § 6.C.II., § 7.D.II. 73 Dies wurde bereits auf der ersten Stufe, der Vollstreckbarerklärung (siehe oben, § 5.B.), geprüft und konnte durch den Schuldner zusätzlich im Rechtsbehelfsverfahren gerügt werden. 74 Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 3; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 33 EuGVVO Rn. 7, Art. 34 EuGVVO Rn. 2. 75 Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 4; Kropholler/von Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 5, Art. 34 EuGVVO Rn. 1; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 6. 76 Siehe überdies aber auch Artt. 61 S. 2 , 2. Hs., 72 EuGVVO a. F. 77 Erwägungsgründe Nr. 6, 11 und 15 zur EuGVVO a. F. 78 EuGH, Urt. v. 02.06.1994, Rs. C-414/92, Slg. 1994, I-2237, 2256, Rn. 20 – Solo Kleinmotoren; Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, 1965, Rn. 21 – Krombach/Bamberski; Urt. v. 11.05.2000, Rs. C-38/98, Slg. 2000, I-2973, 3020, Rn. 25 – Renault/Maxicar; Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 1; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 1; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 2; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 669; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105; dies., JPIL 2010, 249, 253.
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gezählten Versagungsgründe trug der Schuldner, arg. Art. 33 Abs. 1 EuGVVO a. F. (Vermutung zu Gunsten der Anerkennung).79 Über die Prüfung der Versagungsgründe im Rechtsbehelfsverfahren hinaus war ferner zu beachten, dass das für die Exequaturerteilung zuständige Landgericht (§ 3 AVAG)80 bereits in erster Instanz zu prüfen hatte, ob die anzuerkennende Entscheidung in den Anwendungsbereich der EuGVVO a. F. fiel und daher nach deren Regeln vollstreckt werden durfte. Sofern die Verordnung nicht anwendbar war, etwa weil es sich bei der zu vollstreckenden Entscheidung um keine Zivil- oder Handelssache oder um keine Entscheidung im Sinne des Art. 32 EuGVVO a. F. handelte, war der Antrag auf Vollstreckbarerklärung durch begründeten Beschluss abzulehnen, § 8 Abs. 2 AVAG. Das Exequaturverfahren entfaltete demnach bereits erstinstanzlich eine gewisse Kontrollfunktion. 1. Ordre public-Vorbehalt, Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a. F. An der „Spitze der Versagungsgründe“81 steht seither der ordre public-Vorbehalt. Dieser ist nahezu allen Rechtsordnungen der Welt bekannt82 und ragt insbesondere aufgrund seiner generalklauselartigen Struktur aus dem Kreis der Anerkennungshindernisse hervor. a. Allgemeines Nach dem Grundsatz des Verbots der révision au fond,83 welchen auch die Artt. 36 und 45 Abs. 2 EuGVVO a. F. statuierten, darf die Fehlerfreiheit einer ausländischen Entscheidung im Zweitstaat nicht in Zweifel gezogen werden. Weder das Verfahren, auf welchem das Urteil beruht, noch die tatsächlichen oder rechtlichen Feststellungen des Gerichts dürfen nachgeprüft werden. Dies hat zur Folge, dass Fehler im Verfahren wie in der Urteilsfindung der Anerkennung grundsätzlich nicht im Wege stehen.84 Begründet liegt dieses Verbot im Sinn und Zweck der 79
Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 1. der Vorsitzende der Zivilkammer des Landgerichts, vgl. dazu Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277 ff. die eine Kompetenzübertragung auf den Rechtspfleger anregten. 81 Bruns, JZ 1999, 278; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 120; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 143. 82 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 963; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 4. 83 Der Begriff der révision au fond charakterisiert die von der Cour de cassation bis zur Grundentscheidung Munzer (Cass.civ. 1re section, 07/01/64, Rev.crit.d.i.p. 1964, 344) gegenüber ausländischen Urteilen geübte Praxis, nach der französische Richter dazu befugt waren, ausländische Urteile umfassend zu überprüfen und ihnen das Exequatur zu versagen, falls nach ihrer Ansicht eine Tatbestands- oder Rechtsfrage im Ausland nicht angemessen beurteilt worden war, vgl. Volken, in: Heini/Keller/Siehr/Vischer/Volken, IPRG, Art. 27 Rn. 56 f. 84 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 9; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 116, 158; Netzer, in: Kindl/Meller/Hannich, Recht der Zwangsvollstre80 Genauer:
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Anerkennung fremder Entscheidungen: Ausländische Ergebnisse sollen als verbindlich übernommen werden, um den Parteien die Mühen und Kosten eines erneuten Verfahrens zu ersparen, für eine Arbeitsentlastung der Gerichte zu sorgen (Prozessökonomie), den Entscheidungseinklang zu fördern und widersprechende Urteile, die für das Ansehen der Justiz schädlich sein können, zu verhindern.85 Eine révision au fond liefe diesem Ziel zuwider. Denn nähme man im Rahmen der Prüfung der Anerkennungsvoraussetzungen eine umfassende Nachprüfung des ausländischen Urteils vor, so läge keine Anerkennung, sondern eine selbstständige, neue Rechtsfindung vor.86 Von der Regel der Unnachprüfbarkeit des ausländischen Urteils, mit der der Anerkennungsstaat ein grundsätzliches Vertrauen in die Ordnungsgemäßheit ausländischer Rechtspflege ausspricht, ist jedoch dann eine Ausnahme zu machen, wenn höherrangige Interessen eine Durchbrechung erfordern.87 Dies ist anzunehmen, wenn die Anerkennung der fremden Entscheidung im Widerspruch zu den Grundwerten und den tragenden Gerechtigkeitsvorstellungen der anerkennenden Rechtsordnung steht. In einem solchen Fall obliegt es dem ordre public-Vorbehalt, der die Maximen der zweitstaatlichen Jurisdiktion verkörpert, die Anerkennung des konkreten ausländischen Titels zu verhindern.88 Die ordre public-Kontrolle dient insoweit der Sicherung der wesentlichen Grundprinzipien materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Gerechtigkeit sowie dem Schutz fundamentaler staatlicher Interessen und der Rechtsordnung als solcher.89 Der Schwerpunkt der autonomen wie auch der europäischen ordre public-Kontrolle liegt – wie die ausdrückliche Bezugnahme auf die Grundrechte in § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO und die Koppelung der Prüfung der Anerkennungshindernisse an einen Rechtsbehelf des Vollstreckungsschuldners in der EuGVVO unterstrei-
ckung, § 723 ZPO Rn. 2; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 723 Rn. 1; M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 717 f. 85 Siehe bereits oben, § 1; zu den dogmatischen Argumenten, die für einen Anerkennung sprechen, vgl. Martiny, Hdb. IZVR III/1, Rn. 253 ff. (mwN). 86 Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I /2, S. 1467; Geimer, in: Geimer/ Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 10; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16; M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 718. 87 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 12; ders., IZPR, Rn. 2911; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 23; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 117; Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 444; M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 718. 88 Neben dem anerkennungsrechtlichen existiert der kollisionsrechtliche ordre public-Vorbehalt (vgl. Art. 21 ROM I-VO, Art. 26 ROM II-VO, Art. 6 EGBGB). Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass er die Anwendung ausländischen Rechts durch den inländischen Richter und damit die Korrektur einer an sich gegebenen kollisionsrechtlichen Verweisung, nicht aber die Kontrolle einer bereits erfolgten ausländischen Rechtsanwendung betrifft. 89 Geimer, IZPR, Rn. 28; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 992; Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 444; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 61 ff.; Stein, IPRax 2004 181, 183 f.
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chen – auf dem Individualrechtsschutz.90 Die Bewahrung hoheitlicher Interessen ist demgegenüber zunehmend in den Hintergrund getreten.91 Die ordre public-Klausel bringt, ihrem Zweck entsprechend,92 den grundsätzlichen Vorrang der Anerkennung zum Ausdruck. Sie stellt keinen weiteren (außerordentlichen) Rechtsbehelf zur Überprüfung der Fehlerfreiheit eines fremdländischen Urteils dar, sondern vielmehr eine Schutzklausel, die es, als Reaktion auf die Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen und deren Rechtsanwendung,93 dem Zweitstaat ermöglicht, einer ausländischen Entscheidung die Anerkennung zu versagen, wenn das Ergebnis ihrer Anerkennung in so starkem Widerspruch zur heimischen Rechtskultur steht, dass eine Anerkennung für die anerkennende Rechtsordnung untragbar wäre.94 Damit enthielt auch der in Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a. F. generalklauselartig umschriebene ordre public-Vorbehalt einen Ausnahmetatbestand, der den Regelfall der Anerkennung außer Kraft setzte, falls dies zum Schutze unverzichtbarer Güter unbedingt geboten erschien.95 b. Struktur und Inhalt des ordre public-Vorbehaltes Die Besonderheit eines ordre public-Vorbehaltes gegenüber den übrigen Katalogtatbeständen der Artt. 34, 35 EuGVVO a. F. besteht ganz allgemein darin, dass er sich nicht auf eine mehr oder weniger fest umgrenzte, konkrete Fallgestaltung bezieht. Vielmehr stellt er einen allgemein gehaltenen Auffangtatbestand dar, dem die Aufgabe zukommt, auch unvorhersehbaren Sachverhalten, die mit den Wertungen der anerkennenden Rechtskultur konfligieren, begegnen zu können. Er ist damit eine Reaktion auf die Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit des Lebens.96 Denn allein die Elastizität des ordre public-Vorbehaltes erlaubt es, trotz der Fülle der Lebenssachverhalte und der Schwierigkeiten der begrifflichen Re90 Sujecki, ZEuP 2008, 458, 464; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 31; Hess, IPRax 2001, 301, 304; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 83; Stadler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 56; Georganti, Zukunft des ordre public, Fn. 718, 719; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 125. 91 C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 63; Staudinger/Spellenberg (1992) § 328 Rn. 398; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 994; Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 865. 92 Vgl. bzgl. der Verordnungszwecke die Erwägungsgründe Nr. 16, 17 zur EuGVVO a. F. sowie die Artt. 33, 36, 41, 45 Abs. 2 EuGVVO a. F. 93 Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 539; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 460. 94 BGHZ 50, 375 f.; 75, 43; 118, 312, 318, 324; 123, 268, 270; 138, 331, 334 f. 95 G. Roth, Ordre Public, S. 70 f.; Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809; R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 683. 96 Vgl. BVerfGE 58, 257, 275 f. („Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit der Materie“); 78, 205, 213 („Vielschichtigkeit der […] zu regelnden Sachverhalte“); 92, 1, 12: („Vielgestaltigkeit des Lebens“). O. Bülow, Gesetz und Richteramt, S. 30 („Tag für Tag spottet das wirkliche Leben der gesetzgeberischen Voraussicht. Immer und immer wieder lehrt seine unerschöpfliche Mannigfaltigkeit, wie vermessen die Hoffnung wäre, der Gesetzgeber könne alles, was die Zukunft bringen wird, überblicken, vordenken und in seine starren todten Regeln zwängen“).
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daktion, auf neu auftretende Konstellationen zu reagieren.97 Dieser Unvorhersehbarkeit trägt die Vorbehaltsklausel Rechnung. Deshalb wird sie auch als „Notbremse“,98 „Sicherheitsventil“99 oder „Rettungsanker“ bezeichnet. Mit dem Vorteil der Flexibilität ist nolens volens aber auch der Nachteil der Unbestimmtheit verbunden. Die Elastizität einer Generalklausel stellt nur eine Seite der Medaille dar, denn ein Vorbehalt der „wesentlichen Grundsätze“ einer Rechtsordnung besitzt naturgemäß nur einen geringen normativen Gehalt. Wie viele andere Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe eignet er sich nicht zur Rechtsgewinnung mittels syllogistischer Schlüsse,100 sondern bedarf der Präzisierung durch die Rechtsprechung. Ihre Ausfüllung und damit die Konkretisierung eines Rechtsprinzips zu positivem Recht verlangt stets einen Urteilsakt, der eine (richterliche) Wertung umfasst.101 Generalklauseln weisen dem Richter damit normsetzende Aufgaben zu. Daher spricht man auch von delegierter oder richterlicher Normsetzung,102 einem „Stück offengelassener Gesetzgebung“103 oder „Delegationsnormen“.104 Bezogen auf den ordre public des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a. F. bedeutet dies: Welche Prinzipien des eigenen Rechts der Richter als „wesentliche Grundsätze“ für besonders schützenswert erachtete und welche er im internationalen Rechtsverkehr zur Disposition zu stellen bereit war, hing stark von den Gebräuchen, der Moral und den wirtschaftlichen Gegebenheiten des jeweiligen (Anerkennungs-)Staates sowie den individuellen wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen des Richters ab.105 Der ordre public unterlag somit als Spiegelbild des politischen und wirtschaftlichen Zeitgeistes einem steten Wandel.106
97 Ebenso
Stein, IPRax 2004, 181, 183 f. Stadler, RIW 2004, 801, 803; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13; Linke/Hau, IZPR, Rn. 13.30. 99 Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 524; ders., in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 321; Matscher, IPRax 2001, 428, 431 f.; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 143. 100 Dazu Larenz, Methodenlehre, S. 271 ff. 101 Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 211; Heck, AcP 112 (1914), 1, 173 f.; Basedow, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 291, 292; Larenz, Methodenlehre, S. 223 f.; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 103. 102 Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, Rn. 839; Röthel, Normkonkretisierung, S. 161. Zur Frage, ob der Delegationsgedanke noch zeitgemäß ist, vgl. Röthel, Normkonkretisierung, S. 52 (mwN). 103 Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 58. 104 Heck, Grundriss des Schuldrechts, § 4, 1. 105 Basedow, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 291, 293; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 994; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 142 f.; Laptew, IPRax 2004, 495. 106 Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 142 f.; Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 582 ff.; Laptew, IPRax 2004, 495; Steinbach, Anerkennung und Vollstreckung, S. 110; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 246 f.; allgemein zum Zivilrecht: Schneider, Richterrecht, Verfassungsrecht, Gesetzesrecht, S. 36. 98
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Gleichwohl ist es (nach wie vor) abzulehnen, den ordre public in das enge Korsett einer Definition107 zu zwängen und vielmehr, mit Martiny, festzustellen, dass es nicht so sehr darauf ankommt, „wie man den ordre public formuliert, sondern wie man ihn handhabt.“108 Schließlich ist ein ordre public-Vorbehalt gerade darauf angelegt, bis zu einem gewissen Grad unpräzise zu bleiben, um seine Aufgabe als „Rettungsanker“ zu erfüllen und elementare Rechtsgüter und Interessen auch in unvorhersehbaren und wechselnden Konstellationen im internationalen Rechtsverkehr zu schützen. Übermotivierte Definitionsversuche könnten dagegen die Flexibilität, als große Stärke der Generalklausel, gefährden und zuweilen – entgegen der ursprünglichen Intention – Verwirrung stiften.109 Den Ausgangspunkt hat mithin stets die Feststellung zu bilden, dass der ordre public denjenigen Teil der Rechtsordnung des Anerkennungsstaates repräsentiert,110 dessen Geltung durch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile nicht beeinträchtigt werden darf, weil er von elementarer Bedeutung für die anerkennende Rechtsordnung ist.111 Es ist allein darauf abzustellen, ob die der Anerkennung entgegenstehende Norm in allen Fällen Durchsetzung beansprucht – sie also aus zweitstaatlicher Sicht internationale Geltung in dem Sinne verlangt, dass sie auch gegenüber ausländischen Entscheidungen durchzusetzen ist.112 Solche wesentlichen Grundsätze, die eine internationale Geltung für sich in Anspruch nehmen, zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass über ihre Berechtigung breiter Konsens in Rechtsprechung, Wissenschaft und Gesellschaft herrscht. Die Grundlage für die Bestimmung des Inhalts des ordre public bildet dabei das
107 Vgl. insoweit Baur, in: Festschrift f. Guldener, S. 1, 13; G. Roth, Ordre public, S. 63 f.; Geimer, JuS 1965, 475, 478; Spickhoff, Ordre public, S. 139; Simitis, in: Beitzke, Vorschläge und Gutachten, S. 267, 289 f. Siehe aber die Definitionen aus der Rechtsprechung: Danach greife der ordre public ein, wenn das ausländische Verfahren „gegen die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenwürde“ verstoße (BGHZ 48, 327, 333 f.) oder wenn „das einheimische Rechtsgefühl durch die Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Urteils in unerträglicher Weise verletzt würde“ (BGE I 1959, S. 39, 47 f.). 108 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1175; ebenso Matscher, in: Maurach u. a., Zeitgenössische Fragen des IZVR, S. 355, 393; ähnlich Simitis, in: Beitzke, Vorschläge und Gutachten, S. 267, 289 („Über den Inhalt des ordre public sagt das Gesetz nichts, die Rechtsprechung dafür aber alles“). 109 Vgl. hierzu und zur näheren Konkretisierung des ordre public C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 94 ff., 252 ff., 303 f., der von einem „Begriffs-overkill“ spricht, sowie G. Roth, Ordre public, S. 54 ff. 110 BGHZ 75, 167, 171; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 2; Schack, IZVR, Rn. 952; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 460. 111 Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 992 mit Verweis auf Jaenicke, Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 7 (1967), S. 78. 112 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 14; ders., IZPR, Rn. 28. Vgl. zur Beachtlichkeit zwingender Eingriffsnormen im anerkennungsrechtlichen ordre public M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691 ff.
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positive Recht, sofern es den wesentlichen Grundwerten und -prinzipien des nationalen Rechts Geltung verleiht.113 Einen wesentlichen Orientierungs- und Bezugspunkt des internationalen Zivilverfahrensrechts und damit des ordre public-Vorbehaltes bildet insoweit das nationale Verfassungsrecht: Das Vorliegen wesentlicher Grundsätze wird regelmäßig dann angenommen, wenn es um die Durchsetzung von Grundrechten geht.114 Sie stellen die Leitprinzipien der deutschen Rechtsordnung und damit auch die Basis der deutschen öffentlichen Ordnung dar.115 Dass die Grundrechte nach allgemeiner Meinung zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts zu zählen sind, bedeutet indes nicht, dass jede Grundrechtsverletzung zwangsläufig ein Eingreifen des ordre public-Vorbehaltes nach sich zieht.116 Denn die Anerkennung und Vollstreckung der fremden Entscheidung muss sich weiterhin in einem offensichtlichen Widerspruch zu den wesentlichen Grundsätzen des Rechts des Anerkennungsstaates befinden. Das bedeutet, dass sich die Diskrepanz zwischen eigener und fremder Interessenbewertung als so gravierend erweisen muss, dass die von der EuGVVO vorgesehene Zuständigkeitsordnung zugunsten der inländischen Grundwerte zurücktritt. Gegenstand der Überprüfung ist dabei das konkrete Ergebnis der Anerkennung des ausländischen Urteils.117 Prüfungsobjekt ist mithin weder die fremde Entscheidung als solche noch der Rechtssatz, auf dem diese beruht. Um Kritik an der ausländischen Entscheidung zu vermeiden, ist allein die Auswirkung der (potentiellen) Anerkennung der Entscheidung im Inland maßgeblich.118 Im Rahmen der Überprüfung ist sodann nicht bei einer punktuellen Rechtsvergleichung stehen zu bleiben; es ist vielmehr das Gesamtsystem des fremden Rechts im Auge zu behalten und dessen Regelungszwecke, ungeachtet der konkreten Art und Weise der Umsetzung, mit denen des eigenen Rechtssystems zu vergleichen. Es ist eine zweckorientierte und funktionale Betrachtungsweise anzustellen: Nicht die einzelne, anerkennungsstaatli113 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht15, § 176 I 3 (Fn. 9) („Konkrete Ergebnisse lassen sich […] aus Grundwerten nicht ableiten“); Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 454; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 993; Birk, ZZP 81 (1968), 314, 315 f.; Kornblum, KTS 1968, 143, 154; Nagel/Gottwald, IZPR4, S. 406; a. A. G. Roth, Ordre public, S. 28, 76 ff., 87 ff., 184, der ausschließlich auf übergeordnete rechtliche Grundwerte, Rechtsprinzipien und Gerechtigkeitspostulate abstellen möchte. 114 EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 Rn. 25 – Krombach/Bamberski; BGHZ 140, 395, 397 = NJW 1999, 2372; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 8; Schack, IZVR, Rn. 951; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 23; Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 2; Dörner, in: Hk-ZPO5, § 328 Rn. 48, Art. 34 EuGVVO Rn. 5. 115 Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 456; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 178, 1000 ff. 116 Vgl. BGHZ 123, 268, 272; 140, 395 = NJW 1999, 2372; Baur, in: Festschrift f. Guldener, S. 1, 18 f.; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1001 f. (mwN); Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 455 (mwN). 117 Vgl. Art. 34 Nr. 1 EuGVVO a. F. Für das autonome deutsche Recht gilt nichts anderes, vgl. etwa Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 449. 118 Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1, 44; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 10.
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che Norm ist Maßstab für die Prüfung, ob das erststaatliche Rechtsinstitut dem Verdikt der ordre public-Widrigkeit ausgesetzt wird, sondern die hinter dem Normenkomplex stehenden Wertungen, „die aus dem positiven Recht herauszudestillieren [sind].“119 Die aus dem positiven Recht gefilterten Wertungen sind schließlich denen gegenüberzustellen, die dem ausländischen Urteil zu Grunde liegen. Ferner erfordert die Annahme eines ordre public-Verstoßes das Vorliegen eines hinreichenden Inlandsbezuges120 sowie eine zureichende Verteidigung des Schuldners im Ausgangsverfahren. Der Schuldner ist gehalten, sich umfänglich im Urteilsstaat zu verteidigen. Andernfalls ist sein Vortrag, es liege ein ordre public-Verstoß vor, präkludiert.121 Es besteht mithin eine umfassende Einlassungs- und Verteidigungslast des Schuldners im Erststaat – er kann nicht darauf hoffen, der Vollstreckung im Anerkennungsverfahren erfolgreich entgegentreten zu können.122 c. Europäischer ordre public Zwar ist der ordre public nationalen Ursprungs;123 angesichts des europäischen Integrationsprozesses und der Zunahme europäischer Regelungen gewann er jedoch immer stärker an europäischem Gehalt und ist damit längst nicht mehr rein national zu verstehen.124 Das autonome Recht wurde zunehmend durch die 119 BGHZ 22, 24, 29; 48, 327, 333; BGH NJW 2009, 3306, 3308; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 208 [Zitat]; G. Roth, ZZP 82 (1969) 152, 154 f.; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 68; Zöller/Geimer, ZPO19, § 328 Rn. 155; a. A. Schlosser, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Rn. 868; Marx, Schiedssprüche, S. 19. Vgl. zur funktionalen Rechtsvergleichung Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, S. 33 ff. 120 BGHZ 118, 312, 348; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 40; Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I /2, S. 1589; Siehr, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 424, 432; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 117; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 1027; Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 476; G. Roth, Ordre public, S. 95; M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 708; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 309; a. A. Hess, EuZPR, § 8 Rn. 208, da sich der Inlandsbezug ohnehin aus der Anerkennung sowie dem folgenden Vollstreckungsverfahren ergebe (dagegen M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 726). 121 BGH NJW 1990, 2203; OLG Hamm RIW 1994, 244; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 18; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 4; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 ZPO Rn. 126, Art. 34 EuGVO Rn. 17; Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 471; a. A. Schack, IZVR, Rn. 957 („Wenn der andere mit gezinkten Karten spielt, nützt es nichts, den Einsatz zu erhöhen“); R. Stürner, JZ 1992, 325, 332. Anders allerdings wenn die anfechtbare Entscheidung dem Vollstreckungsschuldner gar nicht bekannt war, vgl. hierzu BGH NJW 2009, 3306. 122 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 209; Staudinger, EuLF 2004, 273, 275; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 178; krit. M. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691, 718 f.; Schack, IZVR, Rn. 957. 123 Siehe oben, § 5.C.III.1.b; BGHZ 75, 167, 171; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 2; Schack, IZVR, Rn. 952; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 460. 124 Nagel/Gottwald, IZPR, § 12 Rn. 32; Jayme, in: Ludwig-Boltzmann-Institut, S. 265 ff.; Gundel, EWS 2000, 442; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 12; R. Stürner, in:
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Grundfreiheiten, Werte und Rechtsprinzipien des Unionsrechts sowie die immer dichtere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum EuGVÜ und der EuGVVO überlagert.125 Damit verstärkte sich zwangsläufig der Einfluss des Unionsrechts auf Gestalt und Struktur des ordre public, so dass inzwischen vielfach von einem „europäischen ordre public“ die Rede ist.126 Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind insoweit zwei Entscheidungen hervorzuheben: In der sog. K rombach-Entscheidung bekräftigte der Gerichtshof, dass die Bestimmung des Inhalts des ordre public, als Refugium des nationalen Rechts, den Mitgliedsstaaten obliege und beschränkte seine Aufgabe auf die Überwachung der Grenzen, innerhalb derer sich ein Mitgliedstaat auf den ordre public stützen dürfe.127 Obwohl der Gerichtshof die Aufgabe der Konkretisierung des ordre public ausdrücklich den Mitgliedstaaten überließ, ließ der Hinweis auf die eigene Kompetenz zur Grenzziehung deutlich das Spannungsfeld zwischen unionsrechtlichen Zielen und zugestandenen nationalen Unterschieden zum Vorschein treten und kann – möglicherweise entgegen des ersten Anscheins – als erster Schritt zur inhaltlichen Ausgestaltung des ordre public durch den Europäischen Gerichtshof angesehen werden.128 Mit der nachfolgenden Gambazzi-Entscheidung stellte der Europäische Gerichtshof sodann klar, dass auch dem ordre public zurechenbare, fundamentale Rechtsprinzipien beschränkt werden können, sofern diese Beschränkungen Zielen des Allgemeininteresses entsprechen und keine offensichtliche oder unverhältnismäßige Beeinträchtigung der garantierten Rechte darstellen.129 Auf diese Weise reduzierte er die Spielräume der nationalen Gerichte ein weiteres Mal und erlegte ihnen eine zusätzliche Begründungslast auf, wenn sie ihre Entscheidung ausschließlich auf den inländischen ordre public stützen wollen.130 Durch die Rechtsprechung des EuGH erhielt der ordre public-Vorbehalt damit einen doppelten Bezugsrahmen: Während die wesentlichen Grundprinzipien der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nach wie vor den inneren Maßstab des ordFestschrift f. d. BGH III, S. 677, 687 ff.; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523; Renfert, Über die Europäisierung der ordre public-Klausel, passim. 125 Dies folgt aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts, vgl. EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269 ff. – Costa/ENEL. 126 Vgl. Föhlisch, Der gemeineuropäische ordre public, S. 27 f.; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 286 ff. 127 EuGH Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I 1935, Rn. 22 ff. – Krombach/Bamberski; Urt. v. 02.04.2009, C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Rn. 26 – Gambazzi/Daimler Chrysler Canada Inc. u. a.; Urt. v. 11.05.2000, Rs. C-38/98, Slg. 2000 I 2973, Rn. 28 – Renault/Maxicar; Schack, IZVR, Rn. 952; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 461; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 84; Gundel, EWS 2000, 446; a. A. BGHZ 75, 167, 171; 88, 17, 20. 128 So Jayme, in: Ludwig-Boltzmann-Institut, S. 265, 267; Geimer, ZIP 2000, 863, 864. 129 EuGH, Urt. v. 02.04.2009, C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Rn. 29, 48 – Gambazzi/Daimler Chrysler Canada Inc. u. a. 130 Jayme, in: Ludwig-Boltzmann-Institut, S. 265, 279 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 – Krombach/Bamberski.
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re public bilden,131 welcher sich damit von Staat zu Staat unterscheiden kann, gibt das Unionsrecht dessen äußeren Grenzen vor.132 Namentlich die europäischen Grundrechte, der Marktfreiheiten sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz133 beschränken die inhaltliche Ausgestaltung des (nationalen) ordre public. Daraus folgt zunächst, dass der ordre public-Vorbehalt auch bei untragbaren Verstößen gegen fundamentale Wertvorstellungen des Unionsrechts eingreift.134 Gleichermaßen hat aber auch ein Rückgriff auf die Vorbehaltsklausel auszuscheiden, wenn die Anwendung der Klausel gegen europäisches Primärrecht, wie das Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit135 verstieße oder europäische Ziele, wie beispielsweise die Urteilsfreizügigkeit, in nicht zu rechtfertigender Weise gefährdete136 – eine sich als verhältnismäßig erweisende Beeinträchtigung eines nationalen Rechtsprinzips kann eine Anerkennungsversagung mithin nicht rechtfertigen. Zusammenfassend bedeutet dies, dass sich der (nationale) ordre public mittlerweile nicht mehr ausschließlich aus Vorschriften autonomen Ursprungs speist. Vielmehr wird der Kernbestand der öffentlichen Ordnung ebenso durch supranationale Rechtssätze determiniert. Das Unionsrecht kann mithin die Anwendung des ordre public-Vorbehaltes erfordern, zugleich aber auch eine gewisse Zurückhaltung bei der Anerkennungsverweigerung gebieten. Der europäische ordre public bildet damit keinen eigenständigen Vorbehalt, ihm kommt jedoch als Gesamtheit der wesentlichen Grundsätze und Rechtsprinzipien der Europäischen Union, die die nationalen Vorbehalte überformt und auf diese einwirkt, eine korrigierende Funktion zu.137 Der europäische ordre public einschließlich der insoweit ergangenen Rechtsprechung des EuGH muss daher, auch wenn der Inhalt der öffentli131 Hess, EuZPR, § 6 (Fn. 940); Gundel EWS 2000, 442, 446; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 630 ff.; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 532; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 460. 132 Maßgeblich bleibt also weiterhin das nationale Recht. Dem EuGH kann (grds.) keine Frage zur inhaltlichen Konkretisierung des ordre public, sondern lediglich zu dessen Grenzen vorgelegt werden. Dabei ist freilich anzumerken, dass je nachdem wie man Grenzen zieht, in der Grenzziehung durchaus die Bestimmung des konkreten Inhalts erblickt werden kann. 133 Ferner das Diskriminierungsverbot nach Art. 18 AEUV, das Funktionieren des Binnenmarktes und das Effizienzgebot, Art. 4 Abs. 3 S. 2 EUV. 134 EuGH, Urt. v. 04.02.1988, Rs. 145/86, Slg. 1988, 645, Rn. 21 – Hoffmann/Krieg; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVO Rn. 2; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 7; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVO Rn. 14; Schack, IZVR, Rn. 952; R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 687 ff. Es ist jedoch jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die Verstöße ein solches Gewicht haben, dass die Urteilsfreizügigkeit zurückzutreten hat, vgl. EuGH, Urt. v. 11.05.2000, Rs. C-38/98, Slg. 2000 I 1935, Rn. 32 f. – Renault/Maxicar; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 200, 206. 135 Siehe insoweit die Möglichkeit der Teilanerkennung, vgl. Geimer, IZPR, Rn. 3068 ff. 136 Vgl. Art. 4 Abs. 3, S. 2 EUV; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 148; Föhlisch, Der gemeineuropäische ordre public, S. 26, 38. 137 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 6; Basedow, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 291, 317 f.; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 536; R. Wagner, IPRax 1992, 75, 87 f.; Thoma, Europäisierung des ordre public, S. 162.
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chen Ordnung originär national zu bestimmen ist, von den mitgliedstaatlichen Gerichten berücksichtigt werden und Eingang in ihre Entscheidungen finden. Durch diese Europäisierung hat sich der ordre public-Vorbehalt zusehends von nationalen Besonderheiten, insbesondere anachronistischen Souveränitätsansprüchen, emanzipiert und sich zu einem Instrument des Grundrechtsschutzes auf europäischem Niveau entwickelt. d. Aufspaltung des anerkennungsrechtlichen ordre public Eine fortschreitende Konkretisierung von Generalklauseln durch die Rechtsprechung führt mit dem Lauf der Zeit zur Präjudizien- bzw. Regelbildung – es entstehen einzelne Fallgruppen. Innerhalb der Kategorien der Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, die Anlass zur Verweigerung der Anerkennung bieten können, ist zwischen dem verfahrens-138 und dem materiell-rechtlichen ordre public zu unterscheiden.139 Ein Widerspruch zum ordre public kann sich damit sowohl dann ergeben, wenn das Urteil eine Rechtsfolge ausspricht, die tragenden Grundsätzen der deutschen (Sach-)Rechtsordnung zuwiderläuft, als auch in Fällen, in denen die anzuerkennende Entscheidung in einer verfahrensrechtlich anstößigen Weise zu Stande gekommen ist.140 Diese Fallgruppen sollen im Folgenden näher untersucht werden. aa. Verfahrensrechtlicher ordre public Eine Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public liegt vor, wenn der anzuerkennenden Entscheidung ein Verfahren zu Grunde lag, welches insgesamt nicht mehr als geordnetes, rechtsstaatliches Verfahren angesehen werden konnte.141 Im Vordergrund steht mithin nicht das materiell-rechtliche Ergebnis der ausländischen Entscheidung, sondern vielmehr die Kontrolle des konkreten, der ausländischen Entscheidung vorausgegangen Verfahrens.142 Wenn die anzuerkennende fremde Entscheidung nicht notwendigerweise auf den materiellen Vorschriften 138 Siehe aber G. Roth, Ordre public, S. 40 ff., 44 f., 53, 184, der verfahrensrechtliche Fragen vollständig aus dem ordre public ausgliedern will. Ähnlich Schack, IZVR, Rn. 953. 139 Stein, IPRax 2004, 181, 184; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 203; Staudinger, EuLF 2004, 273, 275; Basedow, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 291, 298 ff.; Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809, 811. 140 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, § 328 Rn. 25; Geimer, IZPR, Rn. 2913, 2945 ff.; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 126, Art. 34 EuGVVO Rn. 16; Dörner, in: Hk-ZPO5, § 328 Rn. 53, Art. 34 EuGVVO Rn. 9. 141 BGHZ 48, 327, 331; 53, 357, 359 f.; 98, 70, 73; 118, 312, 321; BGH WM 1977, 1230, 1231; 1984, 748, 749; BGH NJW 2010, 153, 154 f.; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 16; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 203; Geimer, IZPR, Rn. 2913; Stein, IPRax 2004, 181, 185. 142 Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 119, 126, Art. 34 EuGVO Rn. 17; Staudinger/ Spellenberg, § 328 Rn. 452, 516 ff.; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 13.
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beruht, die innerstaatliche Gerichte angewandt hätten, dann soll sie zumindest in einem rechtsstaatlichen Verfahren ergangen und damit die Einhaltung der Verfahrensgerechtigkeit, die von Verfassungs wegen geboten ist, gewährleistet sein. Auch insoweit gilt, dass nicht das gesamte zwingende nationale Verfahrensrecht, sondern ausschließlich diejenigen fundamentalen Verfahrensmaximen, die zur Aufrechterhaltung prozessualer Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit unabdingbar sind, den Inhalt des ordre publics bilden.143 Im Vordergrund stehen hierbei die Gewährleistung der Neutralität des Gerichts sowie des rechtlichen Gehörs und das Prinzip der Waffengleichheit. Aufgrund der Bindung sämtlicher Mitgliedstaaten an die prozessualen Mindeststandards von Art. 6 EMRK ist bei der Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen im Grundsatz davon auszugehen, dass diese in einem rechtsstaatlichen Verfahren ergangen sind. Eine Unvereinbarkeit des erststaatlichen Verfahrens mit den grundlegenden Verfahrensmaximen des Zweitstaates ist daher nur begrenzt vorstellbar.144 Gleichwohl kann sie nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Verstöße gegen den verfahrensrechtlichen ordre public können aus Defiziten bei der Umsetzung der Mindeststandards der EMRK145 oder Rechtsanwendungsfehlern, die – auch in gut funktionierenden Rechtsordnungen – nicht immer durch Rechtsmittel im Ursprungsstaat heilbar sind, resultieren.146 Überdies kann der Grund für die Verletzung des ordre public in einem unlauteren Klägerverhalten liegen. Dieses kann beispielsweise darin bestehen, dass gefälschte Urkunden oder Falschaussagen zur Beeinflussung der Entscheidung in den Prozess eingebracht werden oder die andere Partei mittels Täuschung von der Verteidigung bzw. der Einlegung von Rechtsmitteln abgehalten wird (sog. Prozessbetrug). Einem solchen durch unlautere Mittel erschlichenen Urteil ist die Anerkennung in gleichem Maße zu versagen.147 bb. Materiell-rechtlicher ordre public Während der verfahrensrechtliche ordre public die Anerkennung einer in rechtsstaatlich anstößiger Weise zustande gekommenen Entscheidung, gleich welchen 143 Vgl. Art. 103 GG und Art. 6 EMRK; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 145 f.; Hofmann, in: Grundrechte und grenzüberschreitende Sachverhalte, S. 175; Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 968; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 24. 144 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 203; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 14; Stadler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 45; Stein, IPRax 2004, 181, 184 f. 145 Vgl. bspw. C.Cass., 23.03.1999, Rev. Crit. 89(2000), 224 – Pordéa, dazu Hess, EuZPR, § 6 Rn. 204. 146 Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 804; R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 686. Vgl. insoweit für Deutschland nur §§ 522 Abs. 2, 3, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Darüber hinaus: OLG Stuttgart RIW 1997, 684 (Italien); OLG Düsseldorf RIW 2001, 620 (Italien); OLG Düsseldorf IPRspr. 1994 Nr. 171 (Niederlande). 147 BGH IPRax 1987, 236, 237 m. Anm. Grunsky, IPRax 1987, 219, 220; Schack, IZVR, Rn. 956; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 14.
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Inhalts, verhindern soll, umfasst der materiell-rechtliche ordre public den Kernbereich der zweitstaatlichen Sachrechtsordnung und stellt damit den Maßstab für die inhaltliche Bewertung der ausländischen Entscheidung dar.148 Insoweit wird ebenfalls ein anerkennungsfreundlicher Standpunkt eingenommen; nicht jede national unzulässige Regelung oder jedes Fehlurteil verstößt gegen den ordre public.149 Genauso wie ein inländisches Urteil seine Wirkungen ohne Rücksicht darauf entfaltet, ob über die Klage richtig oder falsch entschieden wurde, werden auch die Wirkungen ausländischer Urteile auf das Inland erstreckt, ohne dass es darauf ankommt, ob das ausländische Gericht richtig entschieden hat.150 Unter Berücksichtigung der starken inhaltlichen Beschränkung des ordre public-Vorbehaltes151 einerseits und die überwiegend homogenen Privatrechtsordnungen in den Mitgliedstaaten im Bereich des Zivil- und Handelsrechts andererseits, ist dem materiell-rechtlichen ordre public lediglich eine nachrangige Bedeutung beizumessen.152 Gleichwohl erfolgt die Annahme, die Nivellierung der Gegensätze der europäischen Rechtssysteme, die ein Eingreifen des ordre public-Vorbehaltes hätten auslösen können, habe zu einem vollständigen Bedeutungsverlust des materiell-rechtlichen ordre public geführt, verfrüht.153 2. Verletzung des rechtlichen Gehörs, Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. sollte die Beachtung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs sicherstellen und damit die effektive Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten garantieren.154 Die Gewährleistung des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. um148 Schütze, Dt. IZPR, Rn. 339; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 253; Jayme, in: Ludwig-Boltzmann-Institut, S. 265, 268. 149 Schack, IZVR, Rn. 958; Nagel/Gottwald, IZPR, § 12 Rn. 32; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 117; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 67. 150 Geimer/Schütze, Internationale Urteilsanerkennung, Bd. I /2, S. 1467; Geimer, in: Geimer/ Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 11; ders., IZPR, Rn. 2910; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 67. 151 Siehe insoweit BGHZ 140, 395 = NJW 1999, 2372. 152 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 491; ders., EuZPR, § 6 Rn. 206; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 310 f.; Stein, IPRax 2004, 181, 184; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 2; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 19, 21; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 804; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 67; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 168. 153 Siehe bspw. auf europäischer Ebene EuGH, Urt. v.11.05.2000, Rs. C-38/98, Slg. 2000 I-2973, Rn. 31 – Renault/Maxicar; Urt. v. 01.06.1999, Rs. C-126/97, Slg. 1999 I-3055, Rn. 36 – Eco Swiss/ Benetton; bzw. auf nationaler Ebene BGHZ 123, 268; LG Düsseldorf FamRZ 1991, 581 = IPRspr 1991 Nr. 212; AG Hamburg IPRspr 1985 Nr. 175 mit Anm. Henrich, IPRax 1986, 178; OLG Zweibrücken FamRZ 1997, 93; vgl. ferner das Beispiel bei Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13 (Fn. 28). 154 EuGH, Urt. v. 16.06.1981, Rs. C-166/80, Slg. 1981, I-1593 Rn. 9 – Klomps/Michel; Urt. v. 21.04.1993, Rs. C-172/91, Slg. 1993 I-1963, Rn. 38 – Sonntag/Waidmann; Urt. v. 13.07.1995, Rs. C-474/93, Slg. 1995, I-2113, Rn. 17 – Hengst Impost/Campese; Urt. v. 10.10.1996, Rs. C-78/95, Slg. 1996, I-4943, Rn. 15 – Hendrikman/Magenta Druck; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34
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fasste allerdings nicht den Schutz des rechtlichen Gehörs in Gänze, sondern ausschließlich in der für den Beklagten besonders heiklen Situation der Verfahrenseinleitung.155 Eine Vorenthaltung des rechtlichen Gehörs nach dem Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung konnte daher nur über den ordre public-Einwand gerügt werden.156 Die Vollstreckbarerklärung konnte nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. versagt werden, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück im Fall der Nichteinlassung des Beklagten nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden war, dass er sich verteidigen konnte. Eine Einlassung des Beklagten in diesem Sinne war in jedem Verhandeln des Beklagten zu erblicken, das darauf schließen ließ, dass der Beklagte Kenntnis vom Verfahren und die Möglichkeit der Verteidigung hatte. Es genügte die Erhebung prozessualer Einwendungen; zur Sache musste der Beklagte nicht verhandeln.157 Unter dem Begriff des verfahrenseinleitenden Schriftstückes war jedes Schriftstück zu verstehen, dessen rechtzeitige Zustellung den Beklagten in die Lage versetzte, seine Rechte vor Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung im Urteilsstaat geltend zu machen158 – besondere inhaltliche Anforderungen an die Qualifikation als verfahrenseinleitendes Schriftstück wurden nicht gestellt.159 Das verfahrenseinleitende Schriftstück musste schließlich so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sein, dass der Beklagte tatsächlich die Möglichkeit besessen hatte, sich zu verteidigen.160 Von der Rechtzeitigkeit der Zustellung war auszugehen, wenn der Beklagte unter Berücksichtigung der konkreten Umstände EuGVO Rn. 18; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 19; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 22; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 18. 155 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 174; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 22. 156 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 5; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 16, 20; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 13, 19. 157 EuGH, Urt. v. 21.04.1993, Rs. C-172/91, Slg. 1993, I-1963 – Sonntag/Waidmann; Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-39/02, Slg. 2004-I, 9657, Rn. 57 – Maersk Oli & Gas/de Haan & Boer; OLG Düsseldorf RIW 1996, 1043; OLG Hamm NJW-RR 1995, 189; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 34 EuGVVO Rn. 112; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 20; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 197 (Fn. 20); Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 40. 158 EuGH, Urt. v. 13.07.1995, Rs. C-474/93, Slg. 1995, I-2113, Rn. 19 – Hengst Import/Campese. In Deutschland stellten die Klageschrift und der Mahnbescheid insofern verfahrenseinleitende Schriftstücke dar, nicht dagegen der Vollstreckungsbescheid, vgl. EuGH, Urt. v. 16.06.1981, Rs. C-166/80, Slg. 1981, I-1593, Leitsatz 2 – Klomps/Michel. 159 Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 23; Dörner, in: Hk-ZPO5, Art. 34 EuGVVO Rn.13; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 25. 160 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 43; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 29; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 33, 38; Dörner, in: Hk-ZPO5, Art. 34 EuGVVO Rn. 19; Kohler, in: Festschrift f. Geimer, S. 461, 481.
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des Einzelfalls genügend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung gehabt hatte.161 Eine Einlassungsfrist von sechs bis neun Tagen wurde von deutschen Oberlandesgerichten insoweit als unzureichend angesehen.162 Hinsichtlich der Art und Weise der Zustellung war nicht auf die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung abzustellen. Ein bloß formaler und für die Verteidigungsmöglichkeiten des Schuldners unbeachtlicher Zustellungsmangel sollte – anders als noch in Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ163 – keinen Grund für die Versagung der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung darstellen können.164 Dies galt indes nicht bei schwerwiegenden Mängeln im Rahmen der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes, die regelmäßig ein starkes Indiz dafür darstellten, dass dem Schuldner kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden war.165 Insbesondere bei einer Verletzung des Art. 8 EuZustVO, der dem Beklagten im Fall der Zustellung eines nicht übersetzten Schriftstückes ein Annahmeverweigerungsrecht unter den dort genannten Voraussetzungen einräumte, bestand eine Vermutung hinsichtlich der Verletzung des rechtlichen Gehörs.166 Umgekehrt indizierte die Einhaltung der Zustellungsvorschriften die Möglichkeit einer effektiven Verteidigung des Beklagten.167 Auch eine fiktive Inlandszustellung168 stand nicht automatisch im Konflikt mit der Gewähr rechtlichen Gehörs. Hier kam es ebenfalls allein darauf an, ob der Beklagte rechtzeitig vom verfahrenseinleitenden Schriftstück erfahren und in der Folge die Möglichkeit besessen hatte, sich effektiv zu verteidigen.169 Die Beurteilung der Frage, inwie161 Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 34; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/ Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 25; Dörner, in: Hk-ZPO5, Art. 34 EuGVVO Rn. 18. 162 OLG Hamm IPRax 2004, 258; OLG Düsseldorf RIW 2000, 230, 231; OLG Düsseldorf RIW 2001, 143, 144. 163 Daher kam Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. eine im Verhältnis zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ reduzierte praktische Bedeutung zu, vgl. Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 474. 164 EuGH, Urt. v. 14.12.2006, Rs. C-283/05, Slg. 2006, I-12041= NJW 2007, 825, 826, Rn. 20 – ASML Netherlands BV/SEMIS; BGH NJW-RR 2008, 586, 588, Rn. 27; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 39 f.; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 683. 165 BGH NJW-RR 2008, 586, 588, Rn. 28 mit Anm. H. Roth, IPRax 2008, 501; Hamburg OLGR 2009, 188; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 683; Heiderhoff, EuZW 2006, 236. 166 OLG Celle IPRax 2005, 450; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 45; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 29; Dörner, in: Hk-ZPO5, Art. 34 EuGVVO Rn. 18; a. A. Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 28. 167 Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 29; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 30; Leible, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 45; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 685. 168 Vgl. dazu Fleischhauer, Inlandszustellungen an Ausländer, passim; Nagel/Gottwald, IZPR, § 12 Rn. 49; Geimer, IZPR, Rn. 2093; Schack, IZVR, Rn. 669 ff. 169 BGH WM 1992, 286, 288; OLG Koblenz EuZW 1990, 486, 487 f.; Mäsch, in: Kindl/
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fern eine effektive Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich bestand, war schließlich – ohne Bindungen an die Feststellungen des Ursprungsgerichts – dem anerkennungsstaatlichen Gericht übertragen.170 Eine Berufung auf Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. hatte indes auszuscheiden, wenn der Beklagte es versäumt hatte, einen Rechtsbehelf gegen die ergangene Entscheidung im Ursprungsstaat einzulegen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre. Dies wiederum setzte voraus, dass er Kenntnis vom Inhalt der Entscheidung erlangt hatte und – nach Kenntniserlangung – noch die rechtliche Möglichkeit bestand, einen Rechtsbehelf einzulegen.171 3. Unvereinbare Entscheidungen (Urteilskollision), Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVVO a. F. Vor dem Hintergrund, dass „das Rechtsleben in einem Staat gestört [würde], wenn man sich auf zwei einander widersprechende Entscheidungen berufen könnte“,172 regelten die Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVVO a. F. das Verhältnis unvereinbarer173 Entscheidungen, deren Erlass – trotz aller Vorkehrungen (vgl. Artt. 27 ff. EuGVVO a. F.) – nicht a priori ausgeschlossen werden konnte.174 Gemäß Art. 34 Nr. 3 EuGVVO a. F. wurde innerstaatlichen Hoheitsakten uneingeschränkter Vorrang vor ausländischen Entscheidungen, unabhängig vom Erlasszeitpunkt und somit abgekoppelt vom Prioritätsprinzip, eingeräumt. Folglich stand ein später erlassenes inländisches Urteil der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines fremden Urteils entgegen. Damit stellte Art. 34 Nr. 3 EuGVVO a. F. die einzige vom Prioritätsprinzip abweichende Vorschrift im Europäischen Prozessrecht175 und dementsprechend einen rechtspolitisch verfehlten Systembruch dar, zumal sie geradezu die Missachtung ausländischer RechtshänMeller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 29; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 34; a. A. Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Hdb. EU-Wirtschaftsrecht, Kap. Q, Rn. 684. 170 EuGH, Urt. v. 16.06.1981, Rs. 166/80, Slg. 1981, I-1593, Rn. 16 – Klomps/Michel; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 35; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 25. 171 EuGH, Urt. v. 28.04.2009, Rs. C-420/07, EuGRZ 2009, 210 – Apostolides/Orams; Urt. v. 14.12.2006, Rs. C-283/05, Slg. 2006, I-12041, Rn. 34 ff. – ASML Netherlands/SEMIS; BGH NJWRR 2008, 586, 589; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 10; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 33; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 42. 172 Vgl. Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1, 45. 173 Vgl. hierzu Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 45 f. (mwN); Kropholler/ von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 49 ff., 58 (mwN). 174 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 11; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 47. 175 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 180; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 48.
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gigkeit honorierte und im Widerspruch zum Grundsatz der Gleichwertigkeit mitgliedstaatlicher Rechtspflege stand.176 Anders verhielt es sich dagegen bei dem nach dem Wortlaut enger gefassten Art. 34 Nr. 4 EuGVVO a. F. („in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs“), der das Verhältnis zwischen einer anerkennungsfähigen drittstaatlichen Entscheidung und der jeweiligen, zu vollstreckenden mitgliedstaatlichen Entscheidung regelte. Er kehrte – im Gegensatz zu Nr. 3 – wieder auf den Pfad des Prioritätsprinzips zurück.177 Hier setzte sich das früher erlassene Urteil durch. Abzustellen war diesbezüglich auf den Erlasszeitpunkt und nicht auf die Verfahrenseinleitung.178 Etwas anderes konnte sich indes dann ergeben, wenn die später erlassene Entscheidung im Rahmen eines förmlichen Anerkennungsverfahrens im Inland anerkannt wurde: In diesem Fall war die Kollision aufgrund der inländischen (Anerkennungs-)Entscheidung nach Nr. 3 aufzulösen.179 4. Verletzung der internationalen Zuständigkeit, Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a. F. Eine Verletzung der internationalen Zuständigkeit durch das Erstgericht war nach Art. 35 Abs. 3 EuGVVO a. F. grundsätzlich unbeachtlich. Die Verordnung verzichtete damit auf eine Zuständigkeitskontrolle.180 Bis auf die in Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a. F. aufgeführten Sonderfälle konnten Fehlentscheidungen in der Zuständigkeitsfrage im Nachhinein nicht mehr gerügt werden. Insbesondere konnte ein Verstoß gegen das von der EuGVVO a. F. aufgestellte Zuständigkeitssystem nicht in Form eines ordre public-Verstoßes die Anerkennung hindern, vgl. Art. 35 Abs. 3 EuGVVO a. F.181 Nur ausnahmsweise ließ Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a. F. die Nachprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts zu. Lediglich die Verletzung der ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 22 EuGVVO a. F. sowie der Zuständigkeiten in Verbraucher- und Versicherungssachen konnte eine Anerkennungsversagung begründen. Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a. F. schützte damit primär die ihren Vertrags176 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 180; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 213; Schack, IZVR, Rn. 945; Martiny, in: Hdb. IZVR III/2, Kap. II, Rn. 261 („überdenkenswert“); Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 48 mit Fn. 131; Francq, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 34 EuGVVO Rn. 71. 177 Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 52; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 14. 178 Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 42; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 211; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 34 VO (EG) 44/2001 Rn. 14; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 57. 179 Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 41. 180 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 183; Bajons, ZfRV 1993, 45, 50; Stadler, in: Musielak/ Voit, ZPO, Art. 35 VO (EG) 44/2001 Rn. 1; dies begrüßend Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 35 EuGVO Rn. 1; krit. hingegen mit Blick auf Art. 4 EuGVVO a. F. Hess, EuZPR, § 6 Rn. 214. 181 EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I-1935, Rn. 31 ff. – Krombach/Bamberski; a. A. Matscher, IPRax 2001, 428, 433 (im Fall der Verletzung des Justizgewährungsanspruchs).
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partnern typischerweise unterlegenen Personengruppen davor, sich an einem für sie unzumutbaren Gerichtsstand verteidigen zu müssen.182 Außerhalb dieser Tatbestände wurde dem Beklagten die Pflicht auferlegt, sich auf das ausländische Verfahren einzulassen und dort die Zuständigkeitsrüge zu erheben, um sich vor der Inanspruchnahme durch ein international unzuständiges Gericht zu schützen. 5. Rechtsfolge: Versagung bzw. Aufhebung der Vollstreckbarerklärung Stellte das Beschwerde- oder Rechtsbeschwerdegericht das Vorliegen einer der genannten Versagungsgründe oder das Fehlen einer Voraussetzung der Vollstreckbarerklärung fest, so war es nach Art. 45 Abs. 1 S. 1 EuGVVO a. F. dazu berechtigt, die Vollstreckbarerklärung zu versagen oder aufzuheben.183 Die (erneute) Überprüfung der Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen – Anwendbarkeit der EuGVVO, hinreichende Bestimmtheit des Titels und Vollstreckbarkeit der Entscheidung – wurde zwar nicht ausdrücklich von Art. 45 EuGVVO a. F. angesprochen, allerdings galt insoweit der Erst-recht-Schluss (argumentum a fortiori). Wenn diese Voraussetzungen bereits erstinstanzlich auf der formalisierten Vollstreckbarerklärungsebene überprüft werden konnten, dann war eine dahingehende Kontrolle erst recht in der Rechtsbehelfsinstanz zulässig.184 Darüber hinaus bestand die Möglichkeit, die fehlende Zuständigkeit des Exequaturgerichts zu rügen.185 Dass das Gericht der zweiten oder dritten Instanz nach Art. 45 EuGVVO a. F. dazu berechtigt war („darf“), dem ausländischen Titel die Vollstreckbarerklärung zu versagen oder aufzuheben, darf jedoch nicht in die Richtung gedeutet werden, dass es im Ermessen des erkennenden Gerichts stand, inwieweit der ausländische Titel für vollstreckbar erklärt wurde. Lagen Versagungsgründe vor oder fehlten Vollstreckbarerklärungsvoraussetzungen, so war der fremden Entscheidung die Vollstreckbarerklärung zu versagen. Dies ergab sich aus dem angestrebten Gleichlauf von Anerkennung und Vollstreckung, vgl. Art. 34 EuGVVO a. F. („wird nicht anerkannt, wenn“), und der Bedeutung der durch die Versagungsgründe geschützten Rechtsgüter und Interessen.186 Die Tatsache, dass die Kontrollfunktion im Exequaturverfahren angesiedelt war, darf nicht dazu verleiten, sie vorschnell als einen präventiven Mechanismus 182 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 13 zur EuGVVO a. F.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 184; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 53; krit. Martiny, in: Hdb. IZVR III/2, Kap. 2, Rn. 261; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 35 EuGVO Rn. 7; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 215. 183 Die Varianten stellten auf die erstinstanzliche Entscheidung ab – Vollstreckbarerklärung oder Ablehnung der Vollstreckbarerklärung. 184 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 45 Brüssel I-VO Rn. 2 f.; Mäsch, in: Kindl/ Meller-Hannich/Wolf, Zwangsvollstreckungsrecht, Art. 45 EuGVVO Rn. 2; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 45 EuGVO Rn. 6. 185 Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 45 EuGVO Rn. 6; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 45 VO (EG) 44/2001 Rn. 1a. 186 Siehe oben, § 5.C.III.1.–4.
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zu qualifizieren. Denn die ausländische Entscheidung wurde regelmäßig ohne Weiteres für vollstreckbar erklärt, ehe sie ggf. im Rechtsbehelfsverfahren erstmalig auf ihre Vereinbarkeit mit den Artt. 34 f. EuGVVO a. F. untersucht wurde. Eine Kontrolle erfolgte damit erst nach der Zulassung zur Zwangsvollstreckung und damit gewiss nicht (eindeutig) präventiv. Vielmehr liegt doch die Einordnung als repressives Instrument nahe. Dies gilt namentlich in den Fällen, in denen der Gläubiger auf der Grundlage der Vollstreckbarerklärung bereits Sicherungsmaßnahmen eingeleitet hatte, vgl. insoweit Art. 47 Abs. 1, 3 EuGVVO a. F.
IV. Integrationsfunktion Die Anerkennungsversagungsgründe verwirklichten über die Kontrolle ausländischer Entscheidungen hinaus eine weitere Funktion. Durch die Möglichkeit der Anerkennungsversagung gewährleistete das Exequaturverfahren die Durchsetzung eines angemessenen Grundrechtsniveaus im Europäischen Justizraum.187 Um sicherzustellen, dass die heimischen Urteile über die eigenen Grenzen hinaus Geltung beanspruchen konnten, waren alle Mitgliedstaaten dazu berufen, auf grundrechtswidrige Regelungen zu verzichten – mit der Konsequenz, dass die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hinsichtlich des Grundrechtsniveaus sukzessive zusammenwuchsen. Die im Exequaturverfahren geltend zu machenden Versagungsgründe stellten damit nicht lediglich ein Hemmnis der Urteilsfreizügigkeit dar. Sie waren vielmehr auch Instrument zur Durchsetzung eines einheitlichen europäischen Grundrechtsstandards und führten damit eine Harmonisierung der Rechtsordnungen herbei. Sie wirkten mithin nicht ausschließlich repressiv und sanktionierend, sondern auch generalpräventiv und schufen Anreize, die jeweils eigene Rechtsordnung dem allgemeinen Grundrechtsstandard anzupassen, um potentielle Konflikte zu vermeiden.188 Den Versagungsgründen, und insbesondere dem ordre public-Vorbehalt, kam insoweit – neben der offensichtlicheren Kontrollfunktion – auch ein integratives Element zu.189
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Siehe hinsichtlich der Bedeutung des europäischen Grundrechtsschutzes, oben, § 5.C.III.1.c. Vgl. insoweit die der K rombach-Entscheidung (oben, § 5 Fn. 127) zu Grunde liegende französische Verfahrensvorschrift, Art. 630 CPP: Obwohl diese bereits mehrfach durch den EGMR als grundrechtsverletzend qualifiziert wurde (EGMR v. 23.11.1993, Ser. A Nr. 277-A, ÖJZ 1994, 467, Tz. 34 f. – Poitrimol/Frankreich), änderte der französische Gesetzgeber sie erst als Reaktion auf den europäischen Urteilsspruch und die folgende deutsche Vollstreckungsverweigerung. Dazu Hess, IPRax 2001, 389, 392; ders., in: Festschrift f. Jayme, S. 339, 350; Gundel, EWS 2000, 442, 443 f (mwN); vgl. auch unten § 7.D.III.1.b.cc.(bb).(1) 189 Ähnlich R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 695; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 91; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 53; Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, S. 145 (Fn. 748) („positive effects“). 188
§ 6. Status quo: EuGVVO – VO (EU) Nr. 1215/2012 A. Einführung Im Zuge der steten Bestrebungen, das Verfahren der grenzüberschreitenden Vollstreckung im Europäischen Binnenmarkt kosteneffizient, einfach und in erster Linie zügig auszugestalten,1 veröffentlichte die Europäische Kommission am 14.12.2010 einen Vorschlag zur Neufassung der EuGVVO.2 Den Kern dieses Vorschlages bildete die Abschaffung des Exequaturverfahrens.3 Daneben sah er ein zwischen Urteils- und Vollstreckungsstaat aufgeteiltes Nachprüfungsverfahren vor, welches es dem Schuldner aufgab, Rechtsschutz zunächst im Urteilsstaat zu suchen, ehe die Verletzung wesentlicher Grundsätze, die dem Recht auf ein faires Verfahren zugrunde liegen, im Vollstreckungsstaat gerügt werden konnte.4 Dem Kommissionsentwurf folgten eine Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA)5 sowie auf dem Text des EuGVVO-E aufbauende Verordnungsentwürfe des Europäischen Rates6 und des Euro1
Siehe oben, § 3.D.III.5. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), KOM(2010) 748 endgültig. Nachfolgend als „EuGVVO-E“ bezeichnet. Vgl. zum EuGVVO-E: Hess, IPRax 2011, 125 ff.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252 ff.; Leible, ecolex 2011, 708 ff.; Bach, ZRP 2011, 97 ff.; Kieninger, VuR 2011, 243 ff.; Briggs, [2011] LMCLQ 157 ff.; D. Müller, ZEuS 2012, 329 ff.; Weller, GPR 2012, 34 ff. 3 Ausgenommen von der Entbehrlichkeit einer Vollstreckbarerklärung waren jedoch Verleumdungsklagen und Klagen des kollektiven Rechtsschutzes, vgl. Artt. 37 Abs. 3, 50 ff. EuGVVO-E. 4 Weitere Schwerpunkte bildeten die Ausweitung der Zuständigkeiten auf Drittstaatensachverhalte, Artt. 25 f. EuGVVO-E (dazu J. Weber, RabelsZ 75 (2011), 619 ff.; Schaper/Eberlein, RIW 2012, 43 ff.), die verbesserte Verfahrenskoordinierung, Artt. 29 ff. EuGVVO-E (dazu Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 ff.; McGuire, in: Festschrift f. Kaissis, S. 671 ff.), insbesondere bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung, Art. 32 Abs. 2 EuGVVO-E (dazu Magnus, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 664 ff.) sowie die bessere Verzahnung mit der Schiedsgerichtsbarkeit, Artt. 29 Abs. 4, 33 Abs. 3 EuGVVO-E (dazu Illmer, SchiedsVZ 2011, 248 ff.; ders., RabelsZ 75 (2011), 645 ff.). 5 ABl. EU 2011 Nr. C 218, S. 78. 6 Rat der Europäischen Union, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), Dok. Nr. 10609/12; dazu Weller, GPR 2012, 328 ff. 2
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§ 6. Status quo: EuGVVO – VO (EU) Nr. 1215/2012
päischen Parlamentes.7 Diese hielten zwar an der Streichung des Exequaturverfahrens fest, wichen aber hinsichtlich der Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe von der im Kommissionsentwurf angedachten Lösung grundlegend ab. Vielmehr befürworteten sie die Beibehaltung eines einheitlichen und ausschließlich im Vollstreckungsstaat verorteten Rechtsbehelfes, der der bisherigen Struktur der Anerkennungsversagungsgründe entsprach. Diese Entwürfe bildeten schließlich auch die Grundlage der Neufassung der EuGVVO,8 die am 20.11.2012 durch das Europäische Parlament verabschiedet,9 am 06.12.2012 durch den Rat angenommen wurde und nunmehr seit dem 10. Januar 2015 Anwendung findet, Art. 81 S. 2 EuGVVO.10 Zum Zwecke ihrer Durchführung fügte der deutsche Gesetzgeber die §§ 1110–1117 ZPO in die Zivilprozessordnung ein,11 mit denen er die dem nationalen Gesetzgeber überantworteten Fragen regelt und notwendige Konkretisierungen vornimmt. Das bislang insoweit
7 Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) (nachfolgend als „Parlamentsvorschlag“ bezeichnet), 15.10.2012, A7–0320/2012, abrufbar unter: http://europarl.europa.eu. Zuvor wurde bereits der Entwurf des Berichts vorgelegt, vgl. Draft Report on the proposal for a regulation of the European Parliament and the Council on jurisdiction and the recognition and enforcement of judgments in civil and commercial matters (recast) (nachfolgend als „Entwurf des Parlamentsvorschlages“ bezeichnet), 28.06.2011, PE467.046, abrufbar unter: http://europarl.europa.eu. 8 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), ABl. EU 2012 Nr. L 351, S. 1; siehe bereits oben, § 1 Fn. 16. Vgl. Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409 ff.; Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 ff.; Grohmann, ZIP 2015, 16 ff.; Alio, NJW 2014, 2395 ff.; Reinmüller, IHR 2015, 1 ff.; Pohl, IPRax 2013, 109 ff.; Hau, MDR 2014, 1417 ff. 9 Legislative Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 20.11.2012 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), P7_TA (2012)0412, abrufbar unter: http://europarl.europa.eu. 10 Siehe insoweit auch die Übergangsvorschrift des Art. 66 EuGVVO. Die EuGVVO gilt auch für das Vereinigte Königreich und Irland, vgl. Erwägungsgrund Nr. 40 zur EuGVVO. Sie wird überdies mittelbare Anwendung im Verhältnis zu Dänemark finden, welches entsprechend dem mit der Europäischen Gemeinschaft geschlossenen Abkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennunng und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (ABl. EG 2005 Nr. L 299, S. 62) die Änderungen der EuGVVO innerstaatlich umsetzen wird, vgl. ABl. EU 2013 Nr. L 79, S. 4. Noch bevor die ersten Vorschriften der neugefassten EuGVVO zur Anwendung gelangt sind, hat die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Verordnung vorgelegt, vgl. COM(2013) 554 final. Dieser ist jedoch maßgeblich durch die Einführung eines Europäischen Patents sowie der Einrichtung eines Europäischen Patentgerichts motiviert. 11 Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 8. Juli 2014 (BGBl. I, S. 890); vgl. auch den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, 31.01.2014, BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823.
B. Abschaffung des Exequaturverfahrens
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maßgebliche AVAG, welches die Regelung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens enthält, verliert damit an Bedeutung.
B. Abschaffung des Exequaturverfahrens I. Unmittelbare Vollstreckbarkeit Die Regeln zur Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen finden sich – in jeweils eigenständigen Abschnitten (Artt. 36–38 und Artt. 39– 44) – im dritten Kapitel der EuGVVO. Der Bedeutung der Entscheidung entsprechend, findet sich die Abschaffung des Exequaturverfahrens gleich zu Beginn des Abschnittes über die Vollstreckung, vgl. Art. 39 EuGVVO.12 Im Zusammenspiel mit dem in Art. 41 Abs. 1 S. 2 EuGVVO enthaltenen Gleichstellungsgebot, demgemäß eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wird wie eine im Vollstreckungsstaat ergangene Entscheidung,13 folgt hieraus, dass Gläubiger direkt und ohne weiteres Zwischenverfahren die Zwangsvollstreckung einleiten können. Ausländische Entscheidungen sind mithin innerhalb des Anwendungsbereiches der EuGVVO unmittelbar vollstreckbar.14 Für die Vollstreckung einer mitgliedstaatlichen Entscheidung sind der zuständigen Vollstreckungsbehörde nunmehr lediglich eine beweiskräftige Ausfertigung der Entscheidung sowie die nach Art. 53 EuGVVO und unter Verwendung des Formblattes in Anhang I der Verordnung ausgestellte Bescheinigung vorzulegen,15 Art. 42 Abs. 1 EuGVVO.16 Letztere enthält Angaben zum Ursprungsgericht, den Parteien, der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstückes sowie der zu vollstreckenden Entscheidungen, deren Vollstreckbarkeit und Tenor sowie den erstattungsfähigen Kosten. Ferner kann sie gegebenenfalls um einen Auszug aus der Entscheidung ergänzt werden. Aus Gründen der Kostenersparnis kann die zustän12 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO Rn. 1 bezeichnet die Abschaffung des Exequaturverfahrens als „das Herzstück der Reform“; vgl. auch Geimer, in: Festschrift f. Schütze, S. 109 ff. 13 Ebenso Erwägungsgrund Nr. 26 S. 3 zur EuGVVO. Siehe insoweit auch Art. 20 Abs. 1 S. 2 EuVTVO, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 EuMahnVO, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 EuGFVO. 14 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO Rn. 1, Art. 39 Brüssel Ia-VO Rn. 11 f. Die unmittelbare Vollstreckbarkeit kommt dabei unterschiedslos allen mitgliedstaatlichen Urteilen zu Gute. Die noch in Art. 37 Abs. 3 EuGVVO-E getroffene Unterscheidung zwischen exequaturbedürftigen und nicht-exequaturbedürftigen Entscheidungen wurde nicht übernommen. Damit geht die Neufassung der EuGVVO, zumindest in dieser Hinsicht, über den Kommissionsentwurf (EuGVVO-E) hinaus. 15 Die Zuständigkeit für die Ausstellung der „Bescheinigung über eine Entscheidung in Zivilund Handelssachen“ nach Art. 53 EuGVVO liegt bei den Gerichten, denen die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung nach § 724 ZPO obliegt, vgl. § 1100 ZPO. 16 Bisher Artt. 53 f. EuGVVO a. F.
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dige Vollstreckungsbehörde grundsätzlich nur die Übersetzung oder Transliteration der Bescheinigung verlangen. Eine Übersetzung der vollständigen Entscheidung kann ausschließlich dann angefordert werden, wenn dies zur Fortsetzung des Vollstreckungsverfahrens notwendig ist, Art. 42 Abs. 3, 4 EuGVVO.17 Die Bescheinigung – erforderlichenfalls samt der zu vollstreckenden Entscheidung18 – ist dem Schuldner innerhalb einer angemessenen Frist vor der ersten Vollstreckungsmaßnahme zuzustellen, Art. 43 Abs. 1 EuGVVO.19 Der Schuldner, der seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Urteilsstaat hat, ist gem. Art. 43 Abs. 2 EuGVVO berechtigt, eine Übersetzung der Entscheidung zu verlangen, sofern er die Vollstreckung der Entscheidung anfechten möchte und letztere nicht in einer Sprache, die er versteht, oder der Amtssprache des Mitgliedstaates, in dem er seinen Wohnsitz hat, abgefasst ist. Die Vollstreckung ist in diesem Fall solange auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt bis der Schuldner die Übersetzung erhalten hat, Art. 43 Abs. 2 UAbs. 2 EuGVVO. Das eigentliche Vollstreckungsverfahren richtet sich auch weiterhin nach dem Recht des Vollstreckungsstaates – der lex fori executionis, Art. 41 Abs. 1 S. 1 EuGVVO. Demgemäß erfolgt die Bestimmung des zuständigen Vollstreckungsorgans sowie des verfügbaren Vollstreckungsschutzes nach autonomem Recht. Der Rückgriff auf den allgemeinen Vollstreckungsschutz – in Deutschland nach §§ 765a, 766, 767, 771 ZPO – ist aber nur insoweit zulässig, als die nationalen Vorschriften nicht im Widerspruch zur Verordnung stehen oder dieser die praktische Wirksamkeit nehmen, vgl. Art. 41 Abs. 2 EuGVVO. Dies bedeutet, dass das nationale Recht identische Fragen, insbesondere solche der Anerkennungs- und Vollstreckungsversagung, nicht großzügiger oder restriktiver behandeln darf, als dies von der Verordnung vorgegeben ist.20 17 Vgl. hierzu Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 42 Brüssel Ia-VO Rn. 46. Anders noch der Kommisionsvorschlag (EuGVVO-E), der eine Übersetzung der vollständigen ausländischen Entscheidung grundsätzlich ausschloss. Krit. dazu BRAK-Stellungnahme Nr. 39/2011, S. 6, da sowohl der Schuldner als auch das Vollstreckungsorgan verstehen sollten, was sie tun bzw. was sie betrifft. 18 Aus Erwägungsgrund Nr. 32 zur EuGVVO lässt sich ableiten, dass die Zustellung der zu vollstreckenden Entscheidung nur dann notwendig ist, wenn diese dem Schuldner nicht bereits auf anderem Wege bekanntgegeben wurde; ebenso Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 43 Brüssel Ia-VO Rn. 7 f. 19 Die Verordnung geht damit in zeitlicher Hinsicht – zulasten des Überraschungseffekts – über die nationale Regelung des § 750 ZPO hinaus („bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird“), vgl. insoweit Heßler, in: MünchKomm-ZPO, § 750 Rn. 67; Baumbach/Albers/Hartmann/ Lauterbach, ZPO, § 750 Rn. 14; Kindl, in: Hk-ZPO, § 750 Rn. 7; Zöller/Stöber, ZPO, § 750 Rn. 15; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 750 Rn. 15 – krit. mit Blick auf den insoweit entfallenden Überraschungseffekt innerhalb der EuGVVO Hess, in: Festschrift f. Gottwald, S. 273, 280. 20 Zur EuGVVO: EuGH, Urt. v. 11.08.1995, Rs. C-432/93, Slg. 1995, I-2269, Rn. 38 f. – SISRO/ Ampersand; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 225; Geimer, in: Festschrift f. Georgiades, S. 489 ff. Vgl. zur EuUnthVO: Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 21 VO Nr. 4/2009 Rn. 61; Bittmann, in: Gebauer/ Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 36 Rn. 120; allgemein: Meller-Hannich, GPR 2012, 90, 91.
B. Abschaffung des Exequaturverfahrens
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II. Maßnahmen einstweiligen Rechtsschutzes In der Konsequenz der unmittelbaren Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Entscheidungen stellt Art. 40 EuGVVO klar, dass jede vollstreckbare Entscheidung die Befugnis umfasst, Sicherungsmaßnahmen zu veranlassen, die im Recht des Vollstreckungsstaates vorgesehen sind. Dies entspricht der bisherigen Regelung des Art. 47 Abs. 2 EuGVVO a. F., welcher dieses Recht dem Anspruchsinhaber ab dem Zeitpunkt der Vollstreckbarerklärung zugestand.21 Der Gläubiger verfügt mithin über das Recht zur Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes, welches nicht durch vorgeschaltete Zulassungsverfahren, die Erforderlichkeit, ein konkretes Sicherungsbedürfnis nachzuweisen, oder sonstige Ausschlussfristen oder aufschiebende Wirkung entfaltende Rechtsmittel entwertet werden darf.22 Darüber hinaus sieht Art. 42 Abs. 2 EuGVVO die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat angeordneter einstweiliger Maßnahmen vor und erspart Gläubigern damit den oft mühsameren Weg, einstweilige Maßnahmen direkt im Vollstreckungsstaat zu beantragen.23 Voraussetzung ist lediglich die Vorlage einer beweiskräftigen Ausfertigung der Entscheidung und der nach Art. 53 EuGVVO ausgestellten Bescheinigung, die eine Beschreibung der Maßnahme enthält und bestätigt, dass das in der Hauptsache zuständige Gericht gehandelt hat und die Entscheidung im Ursprungsmitliedstaat vollstreckbar ist. In Abweichung von der bisherigen Rechtslage,24 nach der einer Entscheidung im Sinne von Art. 32 EuGVVO a. F. ein potentiell kontradiktorisches Verfahren zu Grunde liegen musste,25 sieht die Neufassung in Art. 42 Abs. 2 EuGVVO ausdrücklich die Vollstreckung ex parte angeordneter einstweiliger Maßnahmen 26 vor. Deren Zulässigkeit knüpft die Verordnung jedoch an die weitere Voraussetzung des Nachweises der Zustellung der zu vollstreckenden Entscheidung. Hierin tritt deutlich das Spannungsfeld 21
Siehe oben, § 5.B. Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 40 Brüssel Ia-VO Rn. 1; zur EuGVVO a. F. siehe oben, § 5.B; ferner EuGH, Urt. v. 03.10.1985, Rs. 119/84, Slg. 1985, 3147 – Capelloni/Pelkmans; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 47 EuGVVO Rn. 8; Schlosser, EuZPR, Art. 47 EuGVVO Rn. 3. 23 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 33 zur EuGVVO. 24 EuGH, Urt. v. 21.05.1980, Rs. 125/79, Slg. 1980, I-1553 – Denilauler; dem folgend (zum EuGVÜ) OLG Hamm NJW-RR 1995, 189; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 1623; (zur EuGVVO) BGH NJW-RR 2007, 1573 m. Anm. Mankowski, EWiR 2007, 329; Rauscher, WuB VII B. Art. 34 EuGVVO 1.07; Heinze, ZZP 120 (2007), 303. 25 Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 32 EuGVVO Rn. 8; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 31 VO (EG) 44/2001 Rn. 4; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 35; Schack, IZVR, Rn. 916; Rauscher, WuB VII B., Art. 34 EuGVVO 1.07; krit. Mankowski, EWiR 2007, 329 f. 26 Einstweilige Maßnahmen im Sinne der EuGVVO sind Maßnahmen, die „eine Veränderung der Sach- oder Rechtslage verhindern sollen, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird.“, st. Rspr., EuGH, Urt. v. 26.03.1992, Rs. C-261/90, Slg. 1992, I-2149, 2184, Rn. 34 – Reichert und Kockler/Dresdner Bank AG. 22
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zutage, in dem sich die Frage nach der Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Vollstreckung einseitig angeordneter einstweiliger Maßnahmen befindet: Auf der einen Seite wird der Verzicht auf ein (zumindest potentiell) kontradiktorisches Verfahren als Voraussetzung für die Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen als Beseitigung einer oft kritisierten „Schwachstelle der EuGVVO“27 angesehen, auf der anderen Seite wird auf die mit den teilweise recht großzügig ausgestalteten Regelungen des einstweiligen Rechtsschutzes einhergehenden Gefährdungen der Schuldnerrechte hingewiesen.28 Die gewählte Lösung beschreitet einen Mittelweg. Zwar lässt sie die Vollstreckung ex parte angeordneter einstweiliger Maßnahmen zu, doch beschränkt sie durch das Erfordernis der Zustellung der zu vollstreckenden Entscheidung, welche das rechtliche Gehör des Schuldners sicherstellt,29 die Möglichkeit des Gläubigers das Überraschungsmoment des einstweiligen Rechtsschutzes effektiv auszunutzen.30 Die Wirkung einstweiliger Maßnahmen, die nicht vom Gericht der Hauptsache angeordnet wurden oder gegen die kein Rechtsbehelf des Schuldners im Ursprungsstaat besteht, ist dagegen auch weiterhin auf den Ursprungsstaat beschränkt.31
C. Funktionserhalt oder -verzicht? Die Hinweise auf den angestrebten Effizienzgewinn und die seltenen Fälle der Vollstreckungsversagung32 entbinden den europäischen Gesetzgeber nicht von der Pflicht auch die nachteiligen Auswirkungen einer Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens zu betrachten.33 So muss es das Ziel einer nachhaltigen Rechtsetzung sein, die widerstreitenden Interessen der Gläubiger an einer schnellen und kostengünstigen Vollstreckung mit denen der Schuldner an einem effektiven Grundrechtsschutz einem gerechten Ausgleich zuzuführen.34 27 Mankowski, EWiR 2007, 329 (Zitat); Remien, WRP 1994, 25, 27; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 23; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 36 ff.; Heinze, ZZP 120 (2007), 303 ff.; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 266; Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 273 ff.; Schack, IZVR, Rn. 916. 28 Zum EuGVVO-E (KOM(2010) 748 endgültig) BRAK-Stellungnahme Nr. 39/2011, S. 5 („drohen durch die vorläufige Beschlagnahme verheerende Folgen für das Schuldnervermögen“). 29 Von Hein, RIW 2013, 97, 107. 30 Von Hein, RIW 2013, 97, 108; Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 546; siehe nun aber den durch das Instrument der vorläufigen Kontopfändung erzeugten Überraschungseffekt, vgl. Hess/Raffelsieper, IPRax 2015, 46, 51 f.; Fawzy, DGVZ 2015, 1, 5 f. 31 Erwägungsgrund Nr. 33 zur EuGVVO, Art. 2 lit. a) UAbs. 2 EuGVVO; vgl. ebenso Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 42 Brüssel Ia-VO Rn. 25 f. 32 Vgl. oben, § 3.D.III.5. 33 Ähnlich Cuniberti, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 568, 570 f., der die (erwarteten) Effizienzgewinne als „A Matter of Perspective“ bezeichnet. 34 Es darf zu keiner Opferung des Schuldnerschutzes auf dem Altar der Gläubigerinteressen
C. Funktionserhalt oder -verzicht?
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Gleichzeitig dürfen auch die Interessen der Mitgliedstaaten an einem funktionierenden Vollstreckungsverfahren nicht vernachlässigt werden. Mit der Beurteilung, ob das Exequaturverfahren eine verzichtbare, den zwischenstaatlichen Urteilsverkehr hemmende Formalität darstellt, ist daher zwingend auch die Frage verbunden, ob trotz der Abschaffung dieses Verfahrens weiterhin die Möglichkeit der Anpassung eines ausländischen Urteils an die formalen Voraussetzungen der autonomen Vollstreckungsrechte sichergestellt ist, zukünftig ein effektiver Rechtsschutz im Rahmen der grenzüberschreitenden Vollstreckung gewährt werden kann und auch darüber hinaus kein unverantwortlicher Funktionsverlust eintritt. Wäre diese Frage zu verneinen, hätte das Exequaturverfahren trotz der mit ihm einhergehenden Hemmnisse der grenzüberschreitenden Vollstreckung mitgliedstaatlicher Urteile beibehalten und nach anderen Wegen der effizienteren Ausgestaltung der EuGVVO gesucht werden müssen. Unabhängig von einem etwaigen gegenseitigen Vertrauen ist mithin entscheidend, inwieweit die wesentlichen Funktionen des Exequaturverfahrens auch künftig außerhalb eines eigenständigen Verfahrens zufriedenstellend erfüllt werden können.
I. Implementationsfunktion Mit dem Verzicht auf das Exequaturverfahren entfällt die Möglichkeit, einen ausländischen Titel in einem vorgelagerten Verfahren an die Vorgaben des nationalen Vollstreckungsrechts anzupassen.35 Der ausländische Titel steigt – gemeinsam mit der Bescheinigung nach Art. 53 EuGVVO36 – zur unmittelbaren Grundlage der Vollstreckung im Inland auf, so dass sich der Gläubiger ohne weitere Umwege an das zuständige Vollstreckungsorgan des Zweitstaates wenden kann.37 Die Vollstreckung aus dem ausländischen Urteilsspruch setzt dann jedoch voraus, dass dieser den Anforderungen der autonomen Vollstreckungsrechte genügt.38 Anknüpfend an die EuVTVO, die EuGFVO sowie die EuUnthVO sucht die neugefasste EuGVVO das Problem der Implementation ausländischer Urteilssprüche in erster Linie durch die Verwendung des in Anhang I der Verordnung bereitgekommen, vgl. Stadler, RIW 2004, 801, 802 f.; dies., in: Musielak/Voit, ZPO, Vorbemerkung EuZPR Rn. 2. 35 Vgl. dazu oben, § 5.C.I. 36 Diese übernimmt funktionell die Aufgaben der Vollstreckungsklausel, den Bestand und die Vollstreckbarkeit des Titels zu dokumentieren, vgl. BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823, zu § 1110 ZPO; von Hein, RIW 2013, 97, 109. 37 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO Rn. 1, Art. 39 Brüssel Ia-VO Rn. 11 f.; vgl. überdies Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 23; Geimer, in: Festschrift f. Georgiades, S. 489, 494; Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 279; Strasser, RPfleger 2007, 249, 250; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 233; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 48. 38 Gundlach, Europäische Prozessangleichung, S. 144; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 233.
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stellten Formblattes „Bescheinigung über eine Entscheidung in Zivil- und Handelssachen“, zu lösen, vgl. Artt. 42 Abs. 1 lit. b), 53 EuGVVO.39 Dieses erläutert die Tenorierung des Titels und enthält die zur Vollstreckung notwendigen Informationen,40 wodurch eine Konkretisierung im Vollstreckungsstaat weitgehend entbehrlich wird.41 Da sich die Ausstellung dieser Formulare größtenteils auf das Eintragen von Eigennamen, Ziffern, Markierungen oder Kreuzchen beschränkt, können ausländische Vollstreckungsorgane den Inhalt der Formblätter durch schlichten Abgleich mit den in ihrer Heimatsprache verfassten Dokumenten ermitteln und auf diese Weise Kenntnis vom vollstreckungsrelevanten Inhalt des ausländischen Titels nehmen. Die verwendeten Formulare sind infolgedessen „international verständlich“.42 Auch wenn die Praxis zeigt, dass die Einführung solcher Formblätter nicht sämtliche (Anpassungs-)Probleme beseitigen kann – die Begleitdokumente werden beispielsweise nicht immer sorgfältig ausgefüllt 43 oder fehlerhaft verwandt 44 –, sollten durch ihren Gebrauch die meisten Konkretisierungsprobleme entfallen45 und die Abschaffung des Exequaturverfahrens weitgehend kompensiert werden.46 Angesichts des umfassenden Anwendungsbereichs der EuGVVO kann das Bereitstellen dieser Hilfsmittel allerdings nicht per se zur Entbehrlichkeit jedweder Titelanpassung führen.47 Denn im Hinblick auf Urteile, die keine Geldforderung zum Gegenstand haben, stößt die durch Formblätter zu erreichende Standardisierung an ihre Grenzen. Da es stark vom Einzelfall abhängt, welche Angaben für die vollstreckungsrechtliche Bestimmtheit von Unterlassungs-, Duldungs-, Handlungs- oder Herausgabetiteln notwendig sind, ist eine erschöpfende formularmä39 Siehe oben, § 3.D.III. Siehe hinsichtlich öffentlicher Urkunden oder gerichtlicher Vergleiche überdies Art. 60 EuGVVO sowie Anhang II der Verordnung. 40 Sie enthält u. a. Angaben zum Ursprungsgericht, zu den Parteien, zur zu vollstreckenden Entscheidung, insbesondere hinsichtlich ihres Erlasses, ihrer Vollstreckbarkeit und ihrer Zustellung an den Beklagten, Erläuterung des Tenors einschließlich der zugesprochenen Zinsen sowie der Kostenfestsetzung. 41 Oberhammer, IPRax 2010, 197, 198; Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 164; St. Huber, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer/Huber, Hdb. Zwangsvollstreckungsrecht, Kap. 8, Rn. 206. 42 Bach, ZRP 2011, 97, 98; Staudinger, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 53 Brüssel Ia-VO Rn. 3. 43 Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 49; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 245. 44 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, in: Brussels I-Regulation Rn. 4 49 mit Verweis auf den französischen Landesbericht (3. Fragebogen, Frage 4.1.1.), demnach veraltete Vollstreckbarerklärungsformulare benutzt wurden. 45 Mit Blick auf Zahlungstitel: Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 280; Oberhammer, JBl. 2006, 477, 483, 485; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 254; Rechberger, in: Festschrift f. Geimer, S. 903, 917. 46 Vgl. Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 280; Oberhammer, JBl. 2006, 477, 483, 485; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 254; Rechberger, in: Festschrift f. Geimer, S. 903, 917. 47 Vgl. oben, § 5.C.I.; siehe auch Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409, 428.
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ßige Abfrage dieser Angaben wohl nicht möglich.48 Diesem Umstand trägt Art. 54 EuGVVO Rechnung. Er stellt einen Beleg dafür dar, dass die Abschaffung des Exequaturverfahrens nicht zwingend auch einen vollständigen Verzicht auf einen Implementationsmechanismus bedeuten muss. Für den Fall, dass eine zu vollstreckende Maßnahme oder Verfügung im Vollstreckungsstaat nicht bekannt ist, sieht Art. 54 Abs. 1 EuGVVO eine Anpassung an eine im Vollstreckungsstaat vorgesehene Maßnahme oder Verfügung vor, mit der vergleichbare Wirkungen verbunden sind und die ähnliche Ziele und Interessen verfolgt.49 Der Begriff der Anpassung meint in diesem Zusammenhang die Bestimmung einer zulässigen Vollstreckungsmaßnahme; eine Abänderungsbefugnis beinhaltet die Regelung nicht.50 Insbesondere darf die Anpassung nach Art. 54 Abs. 1 UAbs. 2 EuGVVO – in der Konsequenz des Grundsatzes der Wirkungserstreckung – nicht dazu führen, dass Wirkungen entstehen, die über die im Recht des Ursprungsmitgliedstaates vorgesehenen Wirkungen hinausgehen. Dass dagegen die Versagung der Vollstreckung keine Rechtsfolge ist, die die Verordnung von vornherein ausschließt, unterstreicht der Wortlaut des Art. 54 Abs. 1 EuGVVO („soweit möglich“). Sie kommt jedoch allenfalls nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Anpassung und unter einer unionsrechtlich gebotenen Abschwächung der nationalen Vollstreckungsanforderungen51 in Betracht. Die konkrete Ausgestaltung des Anpassungsverfahrens überlässt die Verordnung den Mitgliedstaaten.52 Insbesondere mit Blick auf das Gleichstellungsgebot des Art. 41 Abs. 1 S. 2 EuGVVO53 schied in diesem Zusammenhang eine Erstreckung des Klauselerteilungsverfahrens auf die nach der EuGVVO zu vollstreckenden Titel nicht a priori aus.54 Da im Rahmen der Klauselerteilung keine 48 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 252; Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 280; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 49; D. Müller, ZEuS 2012, 329, 345; Leible, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Art. 54 Brüssel Ia-VO Rn. 1; zur Brüssel IIa-VO: Hess, IPRax 2000, 361. Siehe überdies Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 49 mit Verweis auf BGH WM 2010, 5620 (Erstellung eines Buchauszugs durch einen Sachverständigen in den Geschäftsräumen einer in Österreich ansässigen Schuldnerin); Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 254. 49 Vgl. auch Art. 48 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000; nachfolgend als „EuEheVO“ bezeichnet. 50 Siehe auch die Begründung zu § 1114 ZPO, BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823, zu § 1114 ZPO. 51 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 255, 258; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 54 Brüssel Ia-VO Rn. 7; Geimer, DNotZ 2011, 317, 318. Siehe aber BGH NJW 2010, 2137 (Unbestimmtheit eines Europäischen Vollstreckungstitels). 52 Erwägungsgrund Nr. 28 zur EuGVVO. 53 Gleichstellungs- aber kein Besserstellungsgebot. Siehe auch Art. 20 Abs. 1 S. 2 EuVTVO, Art. 21 Abs. 1 S. 2 EuMahnVO, Art. 21 Abs. 1 S. 2 EuGFVO. 54 Oberhammer, IPRax 2010, 197, 199 bezeichnete ein Klauselerfordernis für ausländische Titel gar als „sehr wahrscheinlich“. Vgl. zu einem etwaigen Klauselerfordernis in der EuUnthVO Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 41 EG-UntVO Rn. 4; krit. Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 41 VO Nr. 4/2009 Rn. 20.
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Überprüfung in der Sache erfolgt,55 verstieße das Erfordernis der Vollstreckungsklausel nicht gegen das Verbot der révision au fond. Auch widerspräche es nicht schlechthin der Abschaffung des Exequaturverfahrens, führte es doch gerade eine Gleichstellung inländischer und ausländischer Titel herbei.56 Ein Klauselerfordernis, das gleichermaßen anpassungsbedürftige wie nicht anpassungsbedürftige Titel träfe, stünde jedoch der intendierten Beschleunigung der grenzüberschreitenden Vollstreckung entgegen. Folgerichtig entschied sich der deutsche Gesetzgeber dazu, dem Erfordernis einer Vollstreckungsklausel eine Absage zu erteilen, § 1112 ZPO,57 und überantwortet die Konkretisierung des ausländischen Vollstreckungstitels den jeweils zuständigen Vollstreckungsorganen.58 Damit wählt er das mit Blick auf die erfolgende Einschränkung der Urteilsfreizügigkeit „mildere Mittel“. Dies führt in Deutschland jedoch dazu, dass – im Unterschied zu einigen Mitgliedstaaten – nicht zwingend ein Richter mit der Vollstreckung befasst ist.59 Nach § 753 Abs. 1 ZPO ist vielmehr der Gerichtsvollzieher das zentrale Vollstreckungsorgan. Da dieser im Rahmen der Zwangsvollstreckung selbstständig tätig ist, vgl. § 58 GVGA,60 ohne umfassend juristisch geschult zu sein, ist nicht auszuBeachte überdies die Parallele zur EuVTVO: Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel führt in Österreich und Slowenien nicht zum Wegfall des Exekutionsbewilligungsbeschlusses, vgl. Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 290. 55 Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 41 EG-UntVO Rn. 4; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 724 Rn. 6; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 108; Giers, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 724 ZPO Rn. 8. 56 Oberhammer, IPRax 2010, 197, 199; Rechberger/Frauenberger-Pfeiler, in: Festschrift f. Fischer, S. 399, 412 (Fn. 22); Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 41 EG-UntVO Rn. 4 („kein verstecktes Exequaturverfahren“); a. A. Yessiou-Faltsi, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 213, 233 mit Verweis auf die Anmerkungen zu Art. 5 EuVTVO in KOM(2002) 159 endgültig. Hier scheint indes ein Übersetzungsfehler (o.Ä.) bei Yessiou-Faltsi vorzuliegen, da eine Diskrepanz zwischen der zitierten Passage („einer der Hauptvorteile dieses Vorschlages […] die Bestätigung eines europäischen Vollstreckungstitels ist, welche vom Ursprungsstaat erfolgt, und dass keine Gerichts-oder anderen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaates sich einmischen dürfen [sic!] …“) und der verfügbaren deutschen Fassung besteht, die mit „kein anderes Gericht oder keine andere Behörde eingeschaltet zu werden braucht“. Letztere Wortwahl mildert die Aussagen Yessiou-Faltsis doch bedeutend ab. 57 Krit. hinsichtlich der fehlenden Regelung für die Fälle, in denen die Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung abhängt, DAV, Stellungnahme Nr. 46/2013 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz „Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 […]“, S. 5 f.; dagegen – allerdings zur EuUnthVO – Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 41 VO Nr. 4/2009 Rn. 20. 58 BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823, zu § 1114 ZPO; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 54 Brüssel Ia-VO Rn. 9. 59 Siehe oben, § 5.C.I; Oberhammer, IPRax 2010, 197 – anders in Staaten, in denen die Einbeziehung eines Gerichts bei der Zwangsvollstreckung ohnehin verpflichtend ist. Siehe zum Beispiel Frankreich (Artt. 2190 ff. CCP) oder England (Civil Procedure Rules, Part 72). 60 Eingriffe in konkrete Vollstreckungsakte durch den aufsichtsführenden Richter des Amtsgerichts sind ausgeschlossen, vgl. Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, § 154 GVG Rn. 10; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 25 Rn. 24; Kissel/Mayer, GVG, § 154 Rn. 4.
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schließen, dass Umstände auftreten, unter denen der Gerichtsvollzieher nicht in der Lage ist, eine Anpassung der zu vollstreckenden Maßnahme vorzunehmen, dass er eine Vollstreckungsmaßnahme ergreift, die das deutsche Zwangsvollstreckungsrecht nicht kennt oder dass er sich entgegen der Vollstreckungsanordnung des Art. 39 EuGVVO weigert, die ihm unbekannte Maßnahme durchzuführen.61 Insbesondere wenn die Konkretisierung in die Zuständigkeit nichtrichterlicher Organe fällt, könnte deren fehlende juristische Qualifikation damit einer zügigen Vollstreckung entgegenstehen. Da der Gerichtsvollzieher für die Durchführung der Zwangsvollstreckung zuständig ist, soweit diese nicht den Gerichten zugewiesen ist, fallen in erster Linie die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliche Sachen (§§ 808 ff. ZPO) sowie zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen (§§ 883 ff. ZPO) in seine Kompetenz. Die beschriebenen Probleme wären insofern wohl allenfalls im Rahmen der Herausgabevollstreckung zu erwarten. Regelmäßig werden diese aber hinsichtlich der genauen Bestimmung des herauszugebenden Gegenstandes auftreten und daher eher sprachlicher als rechtlicher Natur sein, so dass die Einschaltung eines Sachverständigen Abhilfe schaffen dürfte.62 Die weitaus problematischeren Fälle der Vollstreckung einer (vertretbaren und unvertretbaren) Handlung, Duldung oder Unterlassung fallen hingegen in die Zuständigkeit des Prozessgerichts, vgl. §§ 887 Abs. 1, 888 Abs. 1, 890 Abs. 1 ZPO, und damit auch stets in den richterlichen Verantwortungsbereich.63 So jedenfalls für die Vollstreckung inländischer Titel. Für die Vollstreckung eines ausländischen Urteils, das weder von einem inländischen Gericht erlassen noch für vollstreckbar erklärt worden ist, fehlt es hingegen an einem Prozessgericht im Sinne der §§ 887 ff. ZPO.64 An einer Zuständigkeitsregelung für die Vollstreckung derartiger, ausländischer Titel, die derzeit schon auf der Grundlage der EuGFVO65 ergehen können, mangelt es bislang. Dessen ungeachtet geht § 1114 Nr. 2 ZPO von der Möglichkeit der Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung durch das Prozessgericht aus. Hier bietet es sich an, im Einklang mit den Regelungen die Vollstreckungsabwehrklage (§§ 1117 Abs. 1, 1086 ZPO) sowie die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung (§ 1115 Abs. 2 ZPO) betreffend, demjenigen Gericht am inländischen Wohnsitz des Schuldners oder mangels inländischem Wohnsitz im Bezirk, in dem die Zwangsvollstreckung stattfinden soll, die örtliche Zuständigkeit zuzuweisen.66 61 Vgl.
Cadet, EuZW 2013, 218, 222 (allerdings hinsichtlich gerichtlicher Verweigerung). Bendtsen, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 883 ZPO Rn. 6; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 883 ZPO Rn. 7. 63 Anders als im Fall der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts, welches regelmäßig in der Person des Rechtspflegers tätig wird, vgl. §§ 3 Nr. 1 i, 20 Nr. 15–17 RPflG. 64 Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 256 (Fn. 95). 65 Vgl. zur EuGFVO § 3.D.III.3. 66 Zu Frage der Vollstreckung auf der Grundlage der EuGFVO ergangener Entscheidungen durch das Prozessgericht, siehe Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 256 (Fn. 95). 62
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Da die fehleranfälligen Konstellationen mithin den richterlichen Vollstreckungsorganen zugewiesen wären und im Vollstreckungsverfahren überdies der Beibringungsgrundsatz gilt,67 so dass der Vollstreckungsgläubiger an der Konkretisierung des Titels mitwirken müsste, scheint die Anpassung eines ausländischen Titels durch die Vollstreckungsorgane möglich. Hinzu kommt, dass die Verordnung den Parteien Rechtsschutz gegen fehlerhafte Entscheidungen der Vollstreckungsorgane gewährt. § 1114 ZPO erklärt insoweit die allgemeinen Rechtsbehelfsmöglichkeiten der §§ 766, 793 ZPO, § 71 GBO für anwendbar. Diese sind auch bei Untätigkeit des Vollstreckungsorgans statthaft. Obwohl der Wortlaut des Art. 54 Abs. 2 EuGVVO lediglich „die Anpassung der Maßnahme oder Anordnung“ erfasst, gebietet es die ratio der Verordnung – Ausschöpfung sämtlicher Möglichkeiten der Anpassung und damit Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes des Gläubigers68 – den Rechtsschutz auf diese Fälle auszuweiten, so dass der Gläubiger auch dann auf eine (notwendige) Anpassung hinwirken kann. Durch die Übertragung der Aufgabe der Konkretisierung auf die Vollstreckungsorgane, die ohnehin schon dazu berufen sind, unklare Formulierungen und Bezeichnungen im Vollstreckungstitel nach den allgemeinen Grundsätzen auszulegen, wird deren Bedeutung signifikant69 erweitert70 und zugleich der Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung aufgeweicht:71 Eine auf die (formale) Auslegung des (ausländischen) Vollstreckungstitels beschränkte Kompetenz des Vollstreckungsorgans, die jegliche Wertung ausschlösse, ist im Anwendungsbereich der EuGVVO abzulehnen. Schließlich ergäbe sich daraus die Konsequenz, dass alle über eine Auslegung hinausgehenden und eine materiell-rechtliche Bewertung einschließenden Anpassungen der ausländischen Entscheidung der Rechtsbehelfsebene zugewiesen wären.72 Dies stünde dem Impetus des Verordnungsgebers, die grenzüberschreitende Vollstreckung zu beschleunigen, entgegen und ist daher abzulehnen.73 Um eine Überforderung des Vollstreckungsorganes zu vermeiden, erlegt Art. 42 Abs. 1 lit. b) EuGVVO dem Gläubiger daher die Last auf, die nach Art. 53 EuGVVO ausgestellte Bescheinigung vorzulegen, wel67 Dazu
R. Stürner, ZZP 99 (1986), 291, 307 ff. Vgl. BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823 zu § 1114 ZPO. 69 Noch weitergehender allerdings BGHZ 161, 67, 71 = BGH NJW 2005, 367 (Berücksichtigung des Erfüllungseinwands durch das Vollstreckungsorgan). Vgl. dazu Gruber, in: MünchKomm-ZPO, § 887 Rn. 17 ff.; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 887 Rn. 19; siehe ebenfalls Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 54 Brüssel Ia-VO Rn. 9. 70 Vgl. Gössl, NJW 2014, 3479, 3481, die zunächst annimmt, dass sich die Stellung des Vollstreckungsorgans nicht erweitert habe, da es sich bei der Anpassung lediglich um eine Ausprägung der Auslegung handele, kurz darauf aber konzediert, dass „[d]er Maßstab, dass außerhalb des Titels liegende Umstände unbeachtlich sind […] bei der Auslegung eines ausländischen Titels [etwas gelockert wird]“. 71 Thöne, GPR 2015, 149, 151. Vgl. zur Formalisierung der Zwangsvollstreckung oben, § 5.C.I. 72 Vgl. § 1114 ZPO. Darüber hinaus wäre an eine gesonderte Feststellungsklage nach § 256 ZPO zur Titelkonkretisierung zu denken. 73 Thöne, GPR 2015, 149, 151. 68
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che die zur Vollstreckung erforderlichen Informationen enthält. Auf dieser Grundlage hat das Vollstreckungsorgan eine Anpassung des Titels an die Erfordernisse des autonomen Vollstreckungsrechts vorzunehmen, soweit ihm dies möglich ist. Die Verantwortung des Gläubigers wird mithin – im Vergleich zu bisherigen System – erhöht.74 Es gilt creditor incumbit probatio. Der Gläubiger hat dafür Sorge zu tragen, den Nachweis aller für die Anpassung erforderlichen Tatsachen sowie die Ermittlung des anwendbaren ausländischen Rechts zu erbringen, vgl. Art. 42 Abs. 1 lit. b) EuGVVO;75 will er in den Genuss einer zügigen Vollstreckung kommen, hat er bereits im Rahmen der Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 EuGVVO durch das Ursprungsgericht auf deren Vollständigkeit und Fehlerfreiheit hinzuwirken.76 Die Zuweisung dieser Aufgabe an die Vollstreckungsorgane hat über die erhöhte Eigenverantwortung des Gläubigers zur Folge, dass die Spezialisierung, die aus der Zuständigkeitsregelung des § 3 AVAG resultierte, ein Stück weit verloren geht,77 dies ist aber angesichts der generellen Beschleunigung der grenzüberschreitenden Vollstreckung, die durch den Verzicht auf das Vollstreckbarerklärungsverfahren bewirkt wird, und der Tatsache, dass nicht jedes Urteil der Konkretisierung bedarf, zu vernachlässigen. Andere Methoden der Adaption des ausländischen Vollstreckungstitels an die nationalen Vollstreckungsrechte schieden dagegen bereits von vornherein aus: Ein an § 245 FamFG angelehntes Verfahren, welches die Konkretisierung inländischer Vollstreckungstitel zuließe, um auf diese Weise die Auslandsvollstreckung zu erleichtern,78 würde in zahlreichen Fällen – insbesondere angesichts des umfangreichen Anwendungsbereiches der EuGVVO und der divergierenden Vollstreckungsrechte – an seine Grenzen stoßen.79 Auch der mit der EuMahnVO beschrittene Weg der Schaffung eines einheitlichen Erkenntnisverfahrens mit vereinheitlichter Titulierung, welche eine Implementierung überflüssig werden ließe,80 hätte nicht auf die EuGVVO übertragen werden können. Einem solchen Vorhaben hätten kompetenzrechtliche81 sowie funktionelle Gesichtspunkte entge74 Ebenso
Gössl, NJW 2014, 3479, 3481 f. Gössl, NJW 2014, 3479, 3481 f. 76 Thöne, GPR 2015, 149, 151. 77 Krit. insoweit Hess, in: Festschrift f. Gottwald, S. 273, 279. Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.79 weisen zudem auf die dezentrale Zwangsvollstreckung und die daraus resultierende Gefahr divergierender Ergebnisse und gesteigerter Rechtsunsicherheit bei der Vollstreckung unbestimmter ausländischer Titel hin. 78 Bömelburg, in: Prütting/Helms, FamFG, § 245 Rn. 3; Schwedhelm, in: Bahrenfuss, FamFG, § 245 Rn. 1. 79 Geimer, DNotZ 2011, 317; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 120 ff. 80 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I-Regulation, Rn. 452 f.; ders., IPRax 2000, 361, 362; ders., IPRax 2001, 389, 392; ders., JZ 2001, 573, 582; ders., § 3 Rn. 32. 81 Vgl. Gruber, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 3 EG-MahnVO Rn. 2 , Art. 3 EG-Bagatell-VO Rn. 1 (mwN) zu kompetenzrechtlichen Bedenken bei der Schaffung der EuMahnVO und der EuGFVO. 75
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gengestanden. Da die Kompetenzzuweisung des Art. 81 AEUV auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt ist, wären reine Inlandssachverhalte auszusparen gewesen; für sie hätte das Konkretisierungsbedürfnis mithin fortbestanden und es insoweit weiterhin der Anpassung bedurft.
II. Perpetuierungsfunktion 1. Aufhebung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit – Einstellung der Zwangsvollstreckung Aus dem Verzicht auf die förmliche Verleihung der Vollstreckbarkeit folgt, dass der Grundsatz der Wirkungserstreckung erstmals auch für den Bereich der EuGVVO auf die Vollstreckungswirkung ausgedehnt wird.82 Die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung wird damit, auch wenn die systematische Unterscheidung zwischen Anerkennung und Vollstreckung beibehalten wurde,83 unmittelbar in den (jeweiligen) Zweitstaat übertragen. Dass sich die Vollstreckbarkeit nunmehr ausschließlich nach erststaatlichem Recht beurteilt, belegt auch Art. 54 Abs. 1 UAbs. 2 EuGVVO, welcher Ausdruck des dem Grundsatz der Wirkungserstreckung zugrunde liegenden Axioms ist, dass die Wirkungen eines Urteils im Vollstreckungsstaat nicht über diejenigen im Ursprungsstaat hinausreichen können.84 In der Folge entfaltet grundsätzlich auch die Aufhebung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils im Ursprungsstaat unmittelbare Wirkung im Vollstreckungsstaat. Gleichwohl regelt Art. 44 Abs. 2 EuGVVO, dass das Vollstreckungsverfahren auf Antrag des Schuldners ausgesetzt wird. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass es den zuständigen Vollstreckungsorganen, insbesondere dem deutschen Gerichtsvollzieher, wohl nicht zuzumuten wäre, die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Titels selbstständig zu prüfen85 und trägt damit den Bedenken Rechnung, eine Übertragung des Grundsatzes der Wirkungserstreckung auf die Vollstreckungswirkung gefährde die 82 Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 36 Brüssel Ia-VO Rn. 13; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 39 Brüssel Ia-VO Rn. 36; Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409, 427. Die Anerkennungsfähigkeit der Vollstreckungswirkung bereits zuvor allgemein bejahend: Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 408 („im Exequatur [ist] eine formalisierte Anerkennung der Vollstreckungswirkung des ausländischen Urteils zu sehen“); ebenso Eichel, GPR 2011, 193, 199; a. A. unter Hinweis auf Souveränitätsgründe Meller-Hannich, GPR 2012, 90. Für die EuUnthVO: Lipp, in: MünchKomm-FamFG, Art. 17 EG-UntVO Rn. 13; Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 17 VO Nr. 4/2009 Rn. 22 ff. 83 Vgl. die Abschnitte 1 bzw. 2 des Kapitels III der EuGVVO. 84 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 18; zur EuVTVO: Geimer, IZPR, Rn. 3180j („keine […] losgelöste, europäische Vollstreckbarkeit‘); Adolphsen, in: MünchKomm-ZPO, Art. 11 VO (EG) 805/2004 Rn. 2; zur EuUnthVO: Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 17 VO Nr. 4/2009 Rn. 22 ff. 85 Schack, IZVR, Rn. 1024; siehe auch § 5.C.II.
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durch die Perpetuierung der ausländischen Vollstreckbarkeit gewährleistete Rechtssicherheit. Die Kenntnis des fremden Prozess- bzw. Vollstreckungsrechts wird damit nicht dem zweitstaatlichen Vollstreckungsorgan, sondern dem Rechtsschutz suchenden Schuldner abverlangt. Im Rahmen der näheren Verfahrensausgestaltung sieht § 1116 ZPO86 vor, dass das Vollstreckungsverfahren bei Vorlage eines Nachweises über den Wegfall oder die Beschränkung der Vollstreckbarkeit entsprechend § 775 Nr. 1 und 2 ZPO einzustellen oder zu beschränken ist und Vollstreckungsmaßregeln entsprechend § 776 ZPO aufzuheben sind.87 Dieser Nachweis wird in aller Regel – auch um den Aufwand der Vollstreckungsorgane, an die sich die §§ 775 f. ZPO richten, gering zu halten und unnötige Verzögerungen zu vermeiden – eine Übersetzung der ausländischen Dokumente erfordern.88 Aus diesem Grund wäre, um dem Schuldner eine möglichst effektive und kostengünstige Verteidigung zu ermöglichen, die Aufnahme einer vereinheitlichten und damit international verständlichen89 Bescheinigung über die Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckbarkeit – entsprechend dem Formular in Anhang IV zur EuVTVO – wünschenswert gewesen. 2. Einwand nachträglicher Zahlung – Reichweite der Vollstreckungsabwehrklage Für den Einwand der nachträglichen Zahlung bedeutet der Verzicht auf die Vollstreckbarerklärung, dass die Diskussion über die Europarechtswidrigkeit des § 12 AVAG und die Möglichkeit, materielle Einwendungen entgegen Art. 45 EuGVVO a. F. bereits im Exequaturverfahren geltend zu machen,90 nunmehr endgültig entfällt. Gleichzeitig wirft die Abschaffung des Exequaturverfahrens aber eine andere Frage auf. Da die inländische Vollstreckbarerklärung bislang die Grundlage des Vollstreckungsverfahrens bildete, war eine Vollstreckungsgegenklage zur Geltendmachung nachträglicher Einwendungen ausschließlich gegen diese zu richten.91 Dies hatte zur Konsequenz, dass die Vollstreckungsgegenklage von vornherein nur die durch die Vollstreckbarerklärung verliehene, auf das Inland begrenzte92 Vollstreckbarkeit beseitigen konnte. Die Gestaltungswirkung der Voll86
Vgl. auch § 1085 ZPO, § 32 AUG. BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823 zu § 1115 ZPO. 88 BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823 zu § 1115 ZPO. 89 Vgl. hierzu oben, § 6.C.I. 90 Vgl. EuGH, Urt. v. 13.10.2011, Rs. C-139/10 – Prism Investments BV/Jaap Anne van der Meer; zur vorangegangen Diskussion Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 45 Brüssel I-VO Rn. 4 ff (mwN). 91 So die h.M., siehe oben, § 5.C.II; differenzierend Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 340, 408. 92 Vgl. inswoweit Art. 38 Abs. 1 EuGVVO a. F. („[…] werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind“ (Hervorhebung durch den Verfasser)); Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 38 EuGVVO Rn. 1. 87
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streckungsgegenklage war mithin schon a priori auf das Inland begrenzt. Mit dem Verzicht auf das Exequatur tritt nun aber das ausländische Urteil an die Stelle der inländischen Vollstreckbarerklärung,93 so dass auch die Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwendungen im Wege der Vollstreckungsabwehrklage unmittelbar den ausländischen Vollstreckungstitel adressiert. Wenn sich die Vollstreckungsabwehrklage nun aber nicht mehr gegen den zweitstaatlichen Hoheitsakt richtet, dessen Wirkungen – Verleihung der Vollstreckbarkeit im Inland – sich auf das Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaates beschränken, ist die Beseitigung der Vollstreckbarkeit im Unterschied zur bisherigen Rechtslage nun nicht mehr zwingend auf das Inland beschränkt. Mit Blick auf den veränderten Gegenstand der Vollstreckungsgegenklage könnte vielmehr in Betracht gezogen werden, dass die (Gestaltungs-)Wirkung94 einer erfolgreichen Vollstreckungsgegenklage auf der Grundlage der automatischen Wirkungserstreckung unionsweit anzuerkennen wäre und dem angegriffenen Vollstreckungstitel auf diese Weise vollumfänglich die Vollstreckbarkeit nähme. Ein solch globales Wirkungsverständnis stünde immerhin im Einklang mit der europäischen Vorstellung der vollständigen Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und wirkte einer Qualifikation des Europäischen Zivilverfahrensrechts als Einbahnstraße zulasten nationaler Vollstreckungsrechtsbehelfe entgegen. Die überwiegende Ansicht in der Literatur geht jedoch davon aus, dass ein Vollstreckungsabwerklageurteil schon mangels anerkennungsfähiger Wirkungen auf das Inland beschränkt ist.95 Folgt man dieser Auffassung griffe eine Urteilsanerkennung a apriori ins Leere und eine Erstreckung der Gestaltungswirkung auf andere Mitgliedstaaten schiede aus. Das punctum saliens ist vor diesem Hintergrund, ob die Wirkungen einer Vollstreckungsabwehrklage tatsächlich von vornherein auf das Inland beschränkt sind oder ob sich diese Auffassung in der Beschreibung der überkommenen Rechtslage, nach der sich die territoriale Begrenzung der Vollstreckungsgegenklage schon aus dem Klagegegenstand, dem inländischen Exequatur, ergab, erschöpft und angesichts der veränderten Realitä93
Siehe oben, § 5.A.I.C., II. H.M., vgl. BGHZ 22, 54, 56; 55, 255, 259; 85, 367, 371; 124, 164, 170; 127, 146, 149; K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 767 Rn. 3 (mwN); Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 767 Rn. 2; Zöller/Herget, ZPO, § 767 Rn. 1; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 45.3; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 13. 95 Hess, IPRax 2004, 493, 494; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 310 f.; R. Wagner, IPRax 2005, 401, 408; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 32 EuGVVO Rn. 5; Meller-Hannich, GPR 2012, 153, 155; a. A. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 328; Schlosser, EuZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 5. In BGH FamRZ 2008, 400 wird zu dieser Frage keine Stellung genommen. Vielmehr widmet sich diese Entscheidung ausschließlich der Anerkennung der materiellen Rechtskraft der österreichischen Oppositionsklage nach § 35 öZPO und nicht der Gestaltungswirkung der österreichischen Entscheidung. 94
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ten – unmittelbare und unionsweite Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Urteile – neu zu überdenken wäre. a. Vollstreckungsgegenklage als Inversion der Vollstreckbarerklärung? Für die Negation grenzüberschreitender Urteilswirkungen spricht die der Vollstreckungsgegenklage gemeinhin zugeschriebene Rechtsnatur. Als prozessuale Gestaltungsklage, die sich gegen die Vollstreckbarkeit des Titels richtet,96 könnte sie als Umkehrung der Vollstreckbarerklärung qualifiziert werden, so dass in der Konsequenz auch der Grundsatz exequatur sur exequatur ne vaut97 auf die Vollstreckungsabwehrklage zu übertragen wäre. Es erscheint jedoch fraglich, ob ein solches Verständnis – Vollstreckungsgegenklage als Inversion der Vollstreckbarerklärung – eine hinreichende Grundlage für die Übertragung dieser anerkennungsrechtlichen Parömie und der damit einhergehenden Begrenzung der Urteilswirkungen auf das Inland darstellen kann. Denn eine Interpretation der Vollstreckungsgegenklage als Umkehrung der Vollstreckbarerklärung trägt der – nahezu ausnahmslosen98 – Beschränkung des Exequaturs auf den prozessualen Vollstreckbarerklärungsanspruch des Gläubigers unzureichend Rechnung. Schon wegen des Verbots der révision au fond, Art. 45 Abs. 2 EuGVVO a. F., beschränkte sich dieses auf den prozessualen Vollstreckbarerklärungsanspruch; Streitgegenstand des Vollstreckbarerklärungsverfahrens war folglich allein der Anspruch des Titelinhabers auf Verleihung der Vollstreckbarkeit im Inland, nicht hingegen der dem ausländischen Titel zu Grunde liegende materiell-rechtliche Anspruch.99 Mit der Vollstreckungsgegenklage konnte hingegen sowohl das Nichtbestehen des prozessualen Anspruchs auf Vollstreckbarerklärung als auch das Nichtbestehen des im ausländischen Urteil zu 96 BGHZ 22, 54, 56; 55, 255, 259; 85, 367, 371; 118, 229, 235 f.; 124, 164, 170; 127, 146, 149; 163, 187, 189; 167, 150, 153 f.; BGH NJW-RR 2008, 1512, 1513; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 13; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1313, 1372; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 767 Rn. 2; Gaul, JuS 1962, 1; Geißler, NJW 1985, 1865, 1866; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 45.3; Graba, NJW 1989, 481, 482. 97 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 32 VO (EG) 44/2001 Rn. 5; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 722 Rn. 28, Art. 32 EuGVO Rn. 13; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 32 EuGVVO Rn. 5; vgl. zum Doppelexequatur in der Schiedgerichtsbarkeit Münch, in: MünchKomm-ZPO, § 1061 Rn. 32 ff. 98 Eine Ausnahme bildet allenfalls eine Nachprüfung des ausländischen Urteils unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des materiellen ordre publics. 99 BGHZ 72, 23, 29; 118, 312, 316; BGH NJW-RR 2009, 279 f.; OLG Bamberg FamRZ 1980, 67; Geimer, IZPR, Rn. 3105; Zöller/Geimer, ZPO, § 722 Rn. 6; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 722 Rn. 30; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 722 Rn. 7; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 723 Rn. 9. Vgl. zur Zulassung von Vollstreckungseinwänden im Sinne des § 767 ZPO im Exequaturverfahren oben, § 5 Fn. 26; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 45 Brüssel I-VO Rn. 4 ff. (mwN).
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Grunde liegenden materiellen Anspruchs gerügt werden.100 Aus dem Wortlaut des § 767 Abs. 1 ZPO („den durch das Urteil festgestellten Anspruch“) sowie der Tatsachen, dass der (erloschene) materielle Anspruch allein im erststaatlichen Urteil, nicht aber in der Exequaturentscheidung festgestellt wurde, folgerte Nelle überdies, dass sich die Vollstreckungsabwehrklage im Falle der grenzüberschreitenden Vollstreckung nicht gegen die Vollstreckbarerklärung, sondern vielmehr gegen das erststaatliche Urteil richtete.101 Dies verdeutlicht, dass der Gegenstand der Vollstreckungsgegenklage über den der Vollstreckbarerklärung hinausging und sich mitnichten in einer bloßen Inversion erschöpfte. Das Fehlen anerkennungsfähiger Wirkungen kann mithin nicht durch den Hinweis auf die bislang erforderliche Vollstreckbarerklärung und eine daran anknüpfende Übertragung des althergebrachten Grundsatzes exequatur sur exequatur ne vaut begründet werden. Führt man sich vor Augen, dass – ungeachtet der Beschränkung des Streitgegenstandes der Vollstreckungsabwehrklage durch die herrschende Meinung102 – im Rahmen der Vollstreckungsgegenklage über nichts anderes prozessiert wird, als über das (Fort-)Bestehen des materiellen Anspruches,103 offenbart sich vielmehr die Parallelität zwischen Vollstreckungsgegenklage und allgemeiner Leistungsklage.104 Dieser Ähnlichkeit wird sowohl in Rechtsprechung105 als auch Literatur bisweilen dadurch Ausdruck verliehen, dass die Vollstreckungsgegenklage als „genaue[s] Gegenstück“106, „negatives Spiegelbild“107, „vollwertiges Äquivalent“108 der Leistungsklage oder als Fortsetzung des Ausgangsprozesses mit umgekehrten Parteirollen109 bezeichnet wird. Besonders deutlich tritt die Vergleichbarkeit der beiden Klagearten im „Zusammenspiel der vollstreckbaren Urkunde mit der Vollstreckungsgegenklage“, die der Nachholung des Erkenntnisverfahrens dient und damit gewissermaßen die fehlende Leistungsklage des Ur100 Vgl. zur materiell-rechtlichen oder prozessualen Qualifikation des zu vollstreckenden Anspruchs Münch, Vollstreckbare Urkunde, passim; Gaul, in: Festschrift f. G. Lüke, S. 81, insbes. S. 89 ff. und 102 ff.; Münzberg, JZ 1998, 378. 101 So, entgegen der h.M., Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 340. 102 BGH NJW 1995, 3318; BGH NJW-RR 2008, 1512, 1512; 2009, 1431, 1432; BGHZ 85, 367, 371 f.; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 767 Rn. 16; Kindl, in: Hk-ZPO, § 767 Rn. 1; K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 767 Rn. 41; Zöller/Herget, ZPO, § 767 Rn. 5. 103 BGH NJW 1978, 1811, 1812; Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 314, 324 f. mit Verweis auf RG, SeuffA 88 (1934) Nr. 59, S. 115, 116; ders., NJW 1991, 795, 801. 104 Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 327; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 296. 105 BGH NJW 1980, 1393 („Sie […] kommt in der Sache einer Fortsetzung des früheren Rechtsstreits nahe“). 106 Goldschmidt, Ungerechtfertigter Vollstreckungsbetrieb, S. 56 ff., 57; Bettermann, Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform, S. 45; Blomeyer, AcP 165 (1965), 481, 493. 107 Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 105. 108 Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 327. 109 Bettermann, Rechtshängigkeit und Rechtsschutzform, S. 51 ff.; Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 319 ff., 327 f. („nachgeholte[s] Erkenntnisverfahren“).
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kundengläubigers substituiert, zu Tage.110 Im Ergebnis ist die Vollstreckungsgegenklage daher nicht als Umkehrung der Vollstreckbarerklärung, sondern vielmehr als Parallelstück zur Leistungsklage mit (rein formal) vertauschten Parteirollen zu begreifen, deren Gegenstand die Entscheidung über den im Titel niedergelegten Anspruch ist.111 Auch wenn die herrschende Meinung nicht den Schritt gehen und die Vollstreckungsgegenklage als negative Leistungsklage, deren Streitgegenstand die Entscheidung über den im Vollstreckungstitel niedergelegten Anspruch ist, ansehen will, so muss auch sie konzedieren, dass die Vollstreckungsgegenklage „nicht allein durch das Ziel der Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung bestimmt“ wird und im Gegensatz zur Vollstreckbarerklärung über eine materiell-rechtliche Grundlage verfügt.112 Dieses Maß an Ähnlichkeit legt es schließlich nahe, sich hinsichtlich der Frage etwaiger anerkennungsfähiger Wirkungen eher an der allgemeinen Leistungsklage denn an der auf das Inland beschränkten Vollstreckbarerklärung zu orientieren. Das Argument, der Vollstreckungsgegenklage mangele es schon allein deshalb an anerkennungsfähigen Urteilswirkungen, weil sie bloß die Umkehrung der in ihren Wirkungen begrenzten Vollstreckbarerklärung darstelle, verfängt mithin nicht. b. Einwand mangelnder Kompetenz Nämliches gilt für den Einwand mangelnder Kompetenz.113 Zwar ist es grundsätzlich richtig, dass kein Staat die Wirkungen eigener Urteile über die heimischen Grenzen hinaus erstrecken kann. Dies gilt aber gleichermaßen für Leistungs- wie für Gestaltungs- oder Feststellungsurteile und kann nicht bedeuten, dass die Wirkungen eines vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfs apriorisch auf das Inland zu beschränken wären. Die Wirkungserstreckung wird vielmehr durch einen gesonderten Rechtsakt, hier die Anerkennungsregelung der EuGVVO, angeordnet und wurzelt nicht im nationalen Recht des Vollstreckungsstaates. Das Unionsrecht vermittelt mithin die Kompetenz, die Wirkungen eines Urteils über die Grenzen des Erlassstaates hinaus zu erstrecken. Die Frage der Wirkungserstreckung ist daher klar von der Frage zu trennen, ob ein Urteil überhaupt anerkennungsfähige Wirkungen zeitigt. Vielmehr bilden diese beiden Fragenkomplexe eine logische Kette. Zunächst ist danach zu fragen, ob einem Urteil anerkennungsfähige Wirkungen beigemessen werden können und bejahendenfalls ist die 110
Münch, NJW 1991, 795, 801; ders., Vollstreckbare Urkunde, S. 331, 417. Münch, Vollstreckbare Urkunde, S. 320 f., 331; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 296; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 45.3 Rn. 8; Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 105 f.; Blomeyer, Zivilprozeßrecht – Vollstreckungsverfahren, § 33 VII; ders., AcP 165 (1965), 481, 491; Halfmeier, IPRax 2007, 381, 382 f. 112 Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 19; Gaul, ZZP 85 (1972), 295. 113 Siehe Meller-Hannich, GPR 2012, 153, 156. 111
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Frage zu erörtern, inwiefern diese Urteilswirkungen auch auf andere Staaten zu erstrecken sind. Das Argument, es stehe dem Vollstreckungsstaat nicht zu, die Vollstreckbarkeit eines mitgliedstaatlichen Urteils über die eigenen Grenzen hinaus zu beseitigen, vermischt daher Fragen der konkreten Urteilswirkung mit denen der Urteilsanerkennung. c. Anerkennungsfähigkeit prozessualer Gestaltung – § 323 ZPO Zudem streitet ein Vergleich mit der Abänderungsklage des § 323 ZPO für eine international wirkende prozessuale Gestaltung. Der Blick auf ausländische Abänderungsurteile verdeutlicht, dass die Anerkennung einer fremden Gestaltungswirkung unserer Rechtsordnung keineswegs fremd ist. So entspricht es mittlerweile allgemeiner Auffassung, dass die Abänderung eines ausländischen oder deutschen Urteils in einem Drittstaat, die neben dem Titelinhalt auch die Vollstreckbarkeit eines Urteils erfasst, in Deutschland unmittelbar anerkannt werden kann114 – auch wenn ihr weitergehende Wirkungen zukommen, als dies die nationale Rechtsordnung vorsieht.115 Angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Abänderungsklage nur um einen Spezialfall der Geltendmachung von Vollstreckungseinwänden handelt116 und auch ein ausländisches Abänderungsurteil nach § 775 Nr. 1 ZPO vorgelegt werden kann, um die Zwangsvollstreckung zu stoppen,117 ist den Rechtswirkungen der Vollstreckungsgegenklage ebenso wie denen der Abänderungsklage Anerkennungsfähigkeit beizumessen. Der mögliche Einwand, eine Vergleichbarkeit der beiden Klagearten sei aufgrund des erweiterten Streitgegenstandes der Abänderungsklage, welche auch den Titel abändert, nicht gegeben, stellt vor dem Hintergrund der bestehenden Parallelen zwischen Vollstreckungsgegenklage und der Abänderungsklage sowie der Leistungsklage118 kein zwingendes Argument für eine Begrenzung der Urteilswirkungen auf das Inland dar.
114 OLG Köln IPRax 1988, 30; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 323 Rn. 103; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 335 (Fn. 56); Geimer, IZPR, Rn. 2859; Schlosser, IPRax 1981, 120. 115 Geimer, IZPR, Rn. 2776 ff.; Martiny, Hdb. IZVR III/1, Rn. 362 ff.; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 328 Rn. 7; Staudinger/Spellenberg, § 328 ZPO Rn. 121 (mwN); Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 504; Riezler, IZPR, S. 512; K. Müller, ZZP 79 (1966), 199, 202 ff. 116 Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 348 f. unter Verweis auf Schlosser, FamRZ 1973, 424, 426 f. und Meister, FamRZ 1980, 864, 865 f. Zu den bestehenden Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Vollstreckungsgegenklage und Abänderungsklage, vgl. BGH NJW 1978, 753, 755; 1985, 64, 66; K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 767 Rn. 4 (mwN); Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 75; Baur/Stürner/ Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 45.32. 117 Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 132; Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 329. 118 Siehe oben, § 6.C.II.2.a.
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d. Eingriff in die Souveränität des Urteilsstaates In der Bejahung anerkennungsfähiger Urteilswirkungen und der damit (ggf.) einhergehenden Beseitigung der Vollstreckbarkeit eines Urteils ist kein Eingriff in die Souveränität des Urteilsstaates zu erblicken. Bereits aus der Präklusionsvorschrift des § 767 Abs. 2 ZPO ergibt sich, dass mit der Vollstreckungsgegenklage kein Verdikt über ein fremdes Urteil angestrebt werden kann – können doch nur Einwendungen geltend gemacht werden, die im Ausgangsverfahren keine Berücksichtigung fanden. Es wird also weder die Entscheidung selbst angegriffen, noch ihre Richtigkeit in Frage gestellt. Gestützt wird diese Annahme zudem durch die soeben angesprochene, allgemein akzeptierte Anerkennung von Abänderungsurteilen, die den Titel abändern und in die Rechtskraft eingreifen;119 obwohl sie damit ein Mehr gegenüber der Vollstreckungsgegenklage darstellen,120 werden sie nicht als unzulässiger Eingriff in die fremde Staatssouveränität angesehen.121 e. Dispositionsgrundsatz Schließlich spricht auch der Dispositionsgrundsatz für eine grenzüberschreitende Wirkung der prozessualen Gestaltung. Wenn die herrschende Meinung den Willen des klagenden Schuldners zu einem maßgeblichen Kriterium im Rahmen der Festlegung des Streitgegenstandes und der Urteilswirkungen erhebt,122 so muss dies auch hinsichtlich der Frage gelten, ob die gestaltenden Wirkungen einer Vollstreckungsgegenklage über die Grenzen des Vollstreckungsstaates reichen können. Ein solcher Wille des Klägers kann indes nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden. Auch die Tenorierung eines stattgebenden Urteils, die auf Unzulässigerklärung der Vollstreckung aus dem Titel lautet,123 sieht keine Begrenzung auf das Inland vor und steht damit einer (potentiell) über die Grenzen des Vollstreckungsstaates hinausreichenden Gestaltungswirkung nicht entgegen.
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Leipold, in: Festschrift f. Nagel, S. 189, 204 f. die Vollstreckungsgegenklage kann zur Durchbrechung der Rechtskraft führen, sofern und soweit Einwendungen geltend gemacht werden, die den titulierten Anspruch ex tunc entfallen lassen, vgl. Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S.417; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 82. 121 Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 323 Rn. 103; Borth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 323 Rn. 42; Henrich, IPRax 1982, 140, 141; Schlosser, IPRax 1981, 120. 122 Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1373; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 40 Rn. 15. 123 K. Schmidt/Brinkmann, in: MüKo-ZPO, § 767 Rn. 91; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1369. 120 Auch
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f. Problem: Forum shopping im Zwangsvollstreckungsrecht? Aus der fehlenden Harmonisierung der nationalen Zwangsvollstreckungsrechte124 könnte sich jedoch die missliebige Konsequenz eines zwangsvollstreckungsrechtlichen forum shopping ergeben.125 Schuldner könnten bestrebt sein, die nationalen Unterschiede bei der Berücksichtigung von Einwendungen gegen den festgestellten Anspruch auszunutzen. Insbesondere drohte die Gefahr, dass Schuldner nachträgliche Einwendungen ausschließlich in Staaten geltend machen könnten, die zwar keinen Bezug zum Ausgangsverfahren aufweisen, aber durch die Gewährung allgemeinen Vollstreckungsschutzes, auch außerhalb eines (konkreten) Vollstreckungsverfahrens,126 und einem Mehr an Schuldnerschutz zulasten der Rechtskraft und strenger Präklusionsregelungen,127 aus Klägersicht sehr attraktiv erscheinen. Die Zulassung einer umfassenden Anerkennung der Gestaltungswirkung könnte dann die angestrebte Durchsetzung der Urteilsfreizügigkeit unterminieren.128 Dieser in der sukzessiven Durchsetzung der Europäischen Integration liegenden Konsequenz, wird – soweit es das deutsche Recht anbelangt – im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit entgegengewirkt. Nach §§ 1117 Abs. 1, 1086 Abs. 1 ZPO ist ausschließlich dasjenige Gericht für die Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Wohnsitz hat, oder, sofern er über keinen inländischen Wohnsitz verfügt, das Gericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung stattfinden soll oder stattgefunden hat. Die „isolierte“ Erhebung einer Vollstreckungsabwehrklage scheidet mithin aus.129 Eine Begrenzung der Möglichkeit des forum shopping ließe sich auch durch strengere Anforderungen an das Rechtsschutzbedürfnis erreichen. Geht man im 124
Vgl. bereits oben, § 5 Fn. 38. Vgl. auch Linke/Hau, IZPR, Rn. 14.2 („enforcement shopping“). 126 In Deutschland genügt beispielsweise die bloße Existenz eines Vollstreckungstitels um die Zulässigkeit einer Vollstreckungsgegenklage zu begründen. Die französische contestation (vgl. hierzu Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 29 ff.; Peiffer, Grenzüberschreitende Titelgeltung in der EU, S. 415 ff.) wie auch die griechische Erinnerung (vgl. hierzu Georganti, Der Zukunft des ordre public, S. 193 ff., 200) sind im Unterschied zum deutschen Recht nicht auf die Beseitigung der Vollstreckbarkeit eines Titels, sondern auf die Aufhebung einer konkreten im Inland vollzogenen Vollstreckungsmaßnahme gerichtet und erfordern demzufolge ein bereits eingeleitetes Vollstreckungsverfahren, ehe sie geltend gemacht werden können; die abstrakte Vollstreckungsmöglichkeit genügt dort mithin nicht. 127 Vgl. Yessiou-Faltsi, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 213, 243 f. mit Verweis auf Art. 330b und 933 § 3 grZGB; Fahrenholz, Zwangsvollstreckungsrecht in der Tschechischen Republik, S. 291 f. mit Verweis auf § 268 Abs. 1 lit. g), h) tZPO. 128 Vgl. Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 311; Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 197 ff.; Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453, 461. 129 Ein entsprechendes Ergebnis ließe sich auch hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit erzielen. Der Wortlaut des Art. 24 Nr. 5 EuGVVO („Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll oder durchgeführt worden ist“) stünde dem nicht entgegen. 125
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Rahmen der Vollstreckungsabwehrklage grundsätzlich davon aus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis bereits gegeben ist, sobald ein Vollstreckungstitel besteht,130 könnte man in der beschriebenen Situation der zweckwidrigen Forumswahl erhöhte Anforderungen an die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses stellen und die Klageerhebung erst dann als zulässig erachten, sofern ein Vollstreckungsverfahren eingeleitet wurde bzw. dessen Einleitung unmittelbar bevorsteht. Auf diese Weise ließe sich einem drohenden zwangsvollstreckungsrechtlichen forum shopping wirkungsvoll begegnen. g. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich mithin feststellen, dass mit dem veränderten Gegenstand der Vollstreckungsgegenklage die Aussage, ein Vollstreckungsabwehrklageurteil verfüge über keine anerkennungsfähigen Wirkungen, ihre allgemeine Geltung verloren hat. Im Gegensatz dazu spricht das Gros der Argumente für eine grundsätzliche Anerkennungsfähigkeit der umfänglichen Beseitigung der Vollstreckbarkeit. Dies entspräche auch dem sowohl der ZPO als auch der EMRK zugrundeliegenden Prinzip der Waffengleichheit: Ließe man eine Erstreckung der Gestaltungswirkung nicht zu, müsste der Schuldner nachträglich entstandene Einwendungen in jedem Vollstreckungsstaat einzeln klageweise geltend machen – im Unterschied zum Gläubiger, der nur einmal den Klageweg beschreiten muss, um eine unionsweite Vollstreckungsmöglichkeit zu erwirken. Auch wenn im Kern um den gleichen Stoff gestritten wird, steht die obsiegende Partei im Rahmen eines Leistungsklageverfahrens besser als die eines Vollstreckungsabwehrklageverfahrens. Dieses Ungleichgewicht könnte durch die Zulassung einer unionsweiten Aufhebung der Vollstreckbarkeit beseitigt werden, so dass das Prinzip der Waffengleichheit zur Untermauerung der hier aufgestellten These herangezogen werden kann. Überdies entspräche dies der postulierten Gleichwertigkeit131 der europäischen Gerichte, diente der allgemeinen Prozessökonomie und beseitigte die Gefahr divergierender Entscheidungen und damit auch hinkender Vollstreckungstitel, die grundsätzlich als Argument gegen die Zulassung einer Vollstreckungsgegenklage gegen ausländische Vollstreckungstitel angeführt wird.132 Die Frage der Reichweite der Wirkungserstreckung sollte daher – ähnlich dem Leistungsurteil – allein dem Anerkennungsrecht anheim gestellt werden.
130 BGHZ 120, 387, 391; BGH NJW 1992, 2159, 2160; K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 767 Rn. 43; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 767 Rn. 18; Schneiders, in: Mäsch/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 767 ZPO Rn. 32. 131 Hier gleichsam in Form einer „umgekehrten“ Gleichwertigkeit. 132 Vgl. insoweit Hess, IPRax 2004, 493, 494; relativierend R. Wagner, IPRax 2005, 401, 408.
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III. Kontrollfunktion Die Neufassung der EuGVVO geht nicht so weit, die Europäische Urteilsfreizügigkeit umfassend und unter Verzicht auf jegliche Nachprüfung herzustellen. Um zu vermeiden, dass die Abschaffung des Exequaturverfahrens in einer Rechtlosstellung des Schuldners mündet, hielt es der Europäische Gesetzgeber vielmehr für erforderlich, den Verzicht auf die Vollstreckbarerklärung an die Einhaltung entsprechender Rechtsschutzgarantien zu knüpfen.133 Nach der Konzeption der EuGVVO entfällt das Erfordernis einer vorgeschalteten Vollstreckbarerklärung. Dem Schuldner verbleibt gleichwohl die Möglichkeit, während des Vollstreckungsverfahrens den Einwand zu erheben, es liege ein Vollstreckungshindernis vor. Das bislang insoweit maßgebliche Rechtsbehelfsverfahren (Artt. 43 ff. EuGVVO a. F., §§ 11 ff., 55 AVAG) wird damit durch ein nachgelagertes, gerichtliches Antragsverfahren ersetzt, mit dessen Hilfe der Schuldner die Versagung der Vollstreckung aus dem mitgliedstaatlichen Urteil erreichen kann. Die Abschaffung des Exequaturverfahrens bedeutete folglich nicht den Verzicht auf jegliche Kontrolle des ausländischen Vollstreckungstitels, sondern vielmehr deren Verlagerung in das Vollstreckungsverfahren (sog. „umgekehrtes Verfahren“).134 Die EuGVVO hält damit, trotz Abschaffung des Exequaturverfahrens, umfangreichere Prüfungskompetenzen der vollstreckungsstaatlichen Gerichte bereit als dies nach den sektoriell begrenzten (Parallel-)Verordnungen der Fall ist.135 Nach Art. 46 EuGVVO wird die Vollstreckung einer Entscheidung auf Antrag des Schuldners versagt, wenn festgestellt wird, dass einer der in Art. 45 EuGVVO genannten Anerkennungsversagungsgründe gegeben ist. Diese entprechen – mit kleinen Abweichungen136 – den bislang in Artt. 34 f. EuGVVO a. F. niedergelegten Versagungsgründen. Die nähere Verfahrensausgestaltung wurde den nationalen Gesetzgebern überlassen und erfolgt für die Bundesrepublik Deutschland durch § 1115 ZPO. Danach ist das Landgericht, in dessen Wohnsitz der Schuldner seinen Wohnsitz hat oder, mangels inländischem Wohnsitz, das Landgericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, für Anträge auf Ver133 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 29 zur EuGVVO; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 39 Brüssel Ia-VO Rn. 13, 17. 134 R. Wagner, NJW 2012, 1333, 1334; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 8; von Hein, RIW 2013, 97, 109; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 200; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 39 Brüssel Ia-VO Rn. 13 f., 18 f.; Hess, in: Festschrift f. Gottwald, S. 273, 276 („neuer Typus der Urteilsfreizügigkeit“). 135 Siehe oben, § 3.D.III. 136 Siehe insbesondere Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO; dazu unten § 6.C.III. Ausweislich der Erwägungsgründe Nr. 29 und Nr. 36 zur EuGVVO können Verstöße gegen Anerkennungsabkommen mit Drittstaaten, Art. 72 EuGVVO, trotz des Wortlautes des Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO, auch weiterhin die Anerkennung und Vollstreckung eines mitgliedstaalichen Urteils hindern, vgl. von Hein, RIW 2013, 97, 109.
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sagung der Anerkennung oder der Vollstreckung ausschließlich zuständig, § 1115 Abs. 1 und 2 ZPO.137 Über den Antrag entscheidet der Vorsitzende einer Zivilkammer in einem kontradiktorischen Verfahren durch Beschluss. Dieser kann auch ohne mündliche Verhandlung ergehen, sofern der Antragsgegner vor der Entscheidung gehört wurde, § 1115 Abs. 4 ZPO. Gegen die Entscheidung findet innerhalb einer Notfrist von einem Monat beginnend mit der Zustellung der Entscheidung die sofortige Beschwerde statt, § 1115 Abs. 5 ZPO. Um einer Aushöhlung der außerordentlichen Rechtsbehelfe durch ein zügig eingeleitetes Zwangsvollstreckungsverfahren vorzubeugen, werden die Artt. 45 f. EuGVVO durch Art. 44 EuGVVO ergänzt.138 Dieser soll die Rechte des Schuldners angesichts der umfassenden, unmittelbaren Vollstreckbarkeit mitgliedstaatlicher Entscheidungen im Anwendungsbereich der EuGVVO – eine Beschränkung auf Sicherungsmaßnahmen bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist, wie sie Art. 47 Abs. 3 EuGVVO a. F. noch vorsah, fehlt nunmehr zugunsten der beschleunigten Vollstreckung – und den damit drohenden irreversiblen Schädigungen des Schuldnervermögens während des Nachprüfungsverfahrens schützen. Im Falle einer Nachprüfung nach Art. 46 EuGVVO ermöglicht es Art. 44 EuGVVO daher, das Vollstreckungsverfahren, auf Antrag des Schuldners, auf Sicherungsmaßnahmen zu beschränken (lit. a), die Zwangsvollstreckung an eine Sicherheitsleistung zu koppeln (lit. b) oder die Vollstreckung der Entscheidung vollständig oder teilweise auszusetzen (lit. c). Die Beschränkung der Vollstreckung steht dabei im Ermessen des zuständigen Gerichts („kann“). Zur Gewährleistung eines effektiven Schuldnerschutzes, insbesondere in Fällen der Dauersicherungsvollstreckung, sollte diese Regelung jedoch mit fortschreitender Länge des Nachprüfungsverfahrens als Soll-Vorschrift und damit als Fall eines intendierten Ermessens verstanden werden.139 Als Folge des Grundsatzes der Wirkungserstreckung ist die Vollstreckung einer Entscheidung nach Abs. 2 allerdings auszusetzen, soweit die Entscheidung im Ursprungsstaat wegen der Einlegung eines Rechtsbehelfs vorläufig nicht vollstreckbar ist – 137 Der Gesetzesentwurf orientiert sich insoweit – der Begründung zufolge – am Zuständigkeitssystem des AVAG (BR-Drs. 26/14 = BT-Drs. 18/823 zu § 1115 ZPO) und stützt die Verortung der Zuständigkeit am Landgericht mit der zu erwartenden Höhe zu vollstreckender Titelforderungen sowie der Komplexität der Rechtsfragen. Der Gesetzgeber scheint indes übersehen zu haben, dass die Landgerichte nach § 3 AVAG zwar für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel zuständig waren, dass aber die Klärung komplexer Rechtsfragen erst im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens erfolgte, welches den Oberlandesgerichten zugewiesen war, § 11 Abs. 1 S. 2 AVAG; ebenfalls kritisch Hau, MDR 2014, 1417, 1420. 138 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 4 Brüssel Ia-VO Rn. 4. 139 Ebenso bzgl. KOM(2010) 748 endgültig; BRAK-Stellungnahme Nr. 39/2011, S. 4 mit Hinweis auf die Verfahrensaussetzung nach Art. 46 Abs. 7 EuGVVO-E; vgl. auch Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 44 Brüssel Ia-VO Rn. 36 f. Auch eine entsprechende Anwendung des § 717 Abs. 2 ZPO oder des § 28 Abs. 1 S. 1 AVAG könnten dem Schuldner – sofern man eine solche Analogie zulassen möchte – in Fällen irreversibler Schädigung keinen ausreichenden Schutz bieten.
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schließlich kann eine Entscheidung im Vollstreckungsstaat keine weitergehenden Wirkungen als im Urteilsstaat entfalten.140 Nach Auffassung von Cuniberti/Rueda könnte die Befugnis, das Vollstreckungsverfahren auszusetzen oder zu beschränken, das Beschleunigungsstreben des Europäischen Gesetzgebers beeinträchtigen.141 Sie befürchten, dass das zuständige Gericht mangels normativer Anleitung bei der Befugnis zur Aussetzung der Zwangsvollstreckung übermäßig oft von dieser Gebrauch machen und auf diese Weise, trotz geringer Erfolgsaussichten im Nachprüfungsverfahren, einen Anreiz für den Schuldner schaffen könnte, den bereitgestellten Rechtsbehelf einzulegen, um so die Vollstreckung zumindest zeitweise zu verzögern. Grundsätzlich ist jedoch anzunehmen, dass das zuständige Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat. Das bedeutet, dass es sich bei der Entscheidungsfindung von den schutzwürdigen Interessen des Gläubigers und des Schuldners leiten lassen und diese unter gleichzeitiger Beachtung der Erfolgsaussichten des außerordentlichen Rechtsbehelfes gegeneinander abwägen muss.142 Dementsprechend ist, auch mit Blick auf die niedrige Erfolgsquote der erhobenen Rechtsbehelfe,143 nicht zu erwarten, dass das zuständige Gericht das Vollstreckungsverfahren unverhältnismäßig oft aussetzen und der angestrebten Verfahrensbeschleunigung entgegenwirken wird. Die Regelung des Art. 44 EuGVVO stellt damit einen angemessenen Ausgleich zwischen angestrebter Verfahrensbeschleunigung und der Notwendigkeit eines effektiven Schuldnerschutzes dar. 1. Verletzung des ordre public, Art. 45 Abs. 1 lit. a) EuGVVO Die Neufassung hält am ordre public-Vorbehalt bisheriger Prägung fest und erlaubt eine Versagung der Anerkennung, wenn diese der öffentlichen Ordnung des ersuchten Mitgliedstaates offensichtlich widersprechen würde. Der Kommissionsvorschlag hatte noch vorgesehen, den ordre public dem Maßstab des Art. 47 EuGRCh zu unterstellen und ihn damit auf dessen verfahrensrechtliche Komponente zu beschränken und der nationalen Deutungshoheit zu entziehen, vgl. Art. 46 Abs. 1 EuGVVO-E.144
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Siehe bereits oben, § 6 Fn. 84. Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 315. 142 Ebenso Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 4 4 Brüssel Ia-VO Rn. 37. Vgl. zum nationalen Recht: Götz, in: MünchKomm-ZPO, § 707 Rn. 11–13; K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 769 Rn. 17, 24; Giers, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 707 Rn. 22; Schneiders, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 769 Rn. 18 ff.; Kindl, in: Hk-ZPO, § 707 Rn. 5, § 769 Rn. 4; Zöller/Herget, ZPO, § 707 Rn. 7–10, § 769 Rn. 6. 143 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 481; CSES-Studie, S. 52. 144 Erwägungsgründe Nr. 24, 27 zum EuGVVO-E; Hess, IPRax 2011, 125, 128; Bach, ZRP 2011, 97, 99; Leible, ecolex 2011, 708, 709. 141
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Die Beschränkung auf einen verfahrensrechtlichen ordre public bedeutete, den Schutz der zweitstaatlichen wie auch der europäischen Sachrechtsordnung für den Bereich der Anerkennung und Vollstreckung vollständig aufzugeben und dem Kollisionsrecht zu überantworten, vgl. Art. 21 ROM I-VO, Art. 26 ROM IIVO. Dieser Ausschluss jeglicher materiell-rechtlichen Kontrolle vermochte nicht zu überzeugen.145 Es ist zwar nicht zu leugnen, dass die praktische Relevanz des materiell-rechtlichen ordre public gering ist146 und der Schwerpunkt der ordre public-Kontrolle auf dem verfahrensrechtlichen Sektor liegt, dies darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass aufgrund der nach wie vor heterogenen Rechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union noch Sachlagen denkbar sind, in denen die Anwendung autonomen Sachrechts mit grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen der anerkennenden Rechtsordnung kollidieren.147 Dabei ist nicht nur an Sachverhalte zu denken, die ohnehin dem Strafrecht unterliegen, sondern beispielsweise an übermäßig lange Verjährungsfristen, an die Fälle des Strafschadensersatzes,148 vereinbarte Erfolgshonorare für Anwälte,149 die Vollstreckung aus einer sittenwidrigen (Knebel-)Bürgschaft150 sowie allgemein an Verträge, deren Wirksamkeit von der vollstreckungsstaatlichen Rechtsordnung nicht hingenommen werden könnten.151 Die Notwendigkeit einer materiell-rechtlichen ordre public-Kontrolle ist nicht deshalb entfallen, weil seit dem Inkrafttreten der ROM I- und ROM II-Verordnungen – zumindest theoretisch – alle Gerichte in den europäischen Mitgliedstaaten in einem Rechtsstreit das gleiche Recht anzuwenden haben.152 Diese Argumentation übersähe zum einen die Problematik der „Altfälle“. Denn die durch die 145 Entwurf des Parlamentsvorschlages, PE467.046, S. 46 (vgl. § 6 Fn. 7); Leible, ecolex 2011, 708, 709; BRAK-Stellungnahme Nr. 39/2011, S. 4; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 293; a. A. Bach, ZRP 2011, 97, 99 (Fn. 22) („dürfte in der Praxis nicht allzu schwer wiegen“); Hess, IPRax 2011, 125, 128 („hinnehmbar“). 146 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 491; ders., EuZPR, § 6 Rn. 206; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 107; dies., JPIL 2010, 249, 259; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 310 f.; Stein, IPRax 2004, 181, 184; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 2; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 19, 21; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 804; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 67; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 168. 147 Leible, ecolex 2011, 708, 709; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 110; dies., JPIL 2010, 249, 264; siehe zudem § 5.C.III.1.d.bb. mit § 5 Fn. 153. 148 Vgl. Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 328 Rn. 123; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/ Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 12; Schütze, RIW 1993, 139 ff.; Stiefel/Stürner, VersR 1987, 829 ff.; Drolshammer/Schärer, SJZ 1986, 309. 149 BGH WM 1992, 279, 281; einschränkend allerdings BGHZ 118, 312, 332. 150 BGHZ 140, 395; Bruns, JZ 1999, 278, 279; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 218 ff. 151 Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 259. Vgl. zudem Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13 (Fn. 28), der insoweit das Beispiel der Vollstreckung eines auf der Grundlage eines Kaufvertrages über NS-Devotionalien erlassenen Urteils in Deutschland nennt; siehe auch Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409, 426. 152 Beaumont/Johnston, JPIL 2010, 249, 264.
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ROM-Verordnungen eingetretene Harmonisierung erfasst ausschließlich Verträge oder schadensbegründende Ereignisse, die ab dem 17.12.2009 geschlossen wurden bzw. ab dem 11.01.2009 eintraten.153 Da aber auch vor dem Inkrafttreten der Verordnungen begründete Schuldverhältnisse Gegenstand eines auf der Grundlage einer revidierten154 Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung durchgeführten Verfahrens bilden können, griffe das Argument der Harmonisierung insoweit ins Leere. Da der (kollisionsrechtliche) ordre public anhand inländischer Werte und Maßstäbe bestimmt wird, besteht zum anderen die nicht zu bestreitende Möglichkeit, dass die Anwendung der ordre public-Ausnahme von Staat zu Staat variiert, was schließlich in einer unterschiedlichen Rechtsanwendung münden könnte.155 Insbesondere liberalere Staaten könnten die Anwendung eines Sachrechts gestatten, welches mit den Besonderheiten eines Vollstreckungsstaates in keinster Weise zu vereinbaren ist. Und so ist es nicht unvorstellbar, dass es zu einer Wertekollision kommt, wenn ein Urteil aus einem Mitgliedstaat kraft dessen Internationalen Privatrechts auf Regelungen eines Drittstaates gestützt wird, die dem materiell-rechtlichen ordre public des Vollstreckungsstaates widersprechen.156 Des Weiteren mangelte es dem Verordnungsvorschlag im Falle des Verzichts auf eine materiell-rechtliche ordre public-Kontrolle an Kohärenz mit dem Europäischen Kollisionsrecht. Denn es ist keineswegs frei von Widersprüchen, dass die Anwendung einer fremden, eigentlich zur Streitentscheidung berufenen Norm verweigert werden kann, „wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist“ (Art. 21 ROM-I-VO, Art. 26 ROM-II-VO), ein Urteil aber, welches auf ebenjener Norm beruht, nach dem Verordnungsentwurf anerkannt und vollstreckt werden müsste.157 Die Wahl des Forums entschiede auf diese Weise über die Vollstreckungsmöglichkeit, was die Flucht in Art. 7 EuGVVO und damit das Abweichen vom actor sequitur forum rei-Grundsatz bestärken dürfte. Das Festhalten am ursprünglichen auch den materiell-rechtlichen Bestandteil umfassenden ordre public-Begriff ist damit uneingeschränkt zu begrüßen.158 Die fortbestehende Maßgeblichkeit der zweitstaatlichen Rechtsordnung bei der Bestimmung des ordre public159 gründet auf der Auffassung, dass jeder Mitglied153
Vgl. Art. 28 ROM I-VO, Artt. 31 f. ROM II-VO. Dies meint eine neugefasste und (dem Kommissionsvorschlag entsprechend) auf den materiellen ordre public-Vorbehalt verzichtende EuGVVO. 155 Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 107. 156 Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 682; Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 491; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 260. 157 Leible, ecolex 2011, 708, 709; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 9. 158 Zum Kommissionsvorschlag, KOM(2010) 748 endgültig, Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 110 (2011), 252, 293; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 110; Leible, ecolex 2011, 708, 709; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 313. 159 Art. 45 Abs. 1 lit. a) EuGVVO: „die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) 154
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staat das Recht auf Wahrung seiner grundlegenden Werte habe,160 bringt den materiellen Gehalt des Art. 67 Abs. 1 AEUV zum Ausdruck und entspricht überdies der Erkenntnis, dass etwaige Befürchtungen, nationale Souveränitätsinteressen könnten in Gestalt der ordre public-Kontrolle die Verordnungszwecke konterkarieren, angesichts der Rechtsprechung des EuGH, durch die dem Rückgriff auf die Vorbehaltsklausel klare Grenzen gezogen wurden, 161 unbegründet sind. 2. Verletzung des rechtlichen Gehörs und Vorliegen unvereinbarer Entscheidungen, Art. 45 Abs. 1 lit. b)–d) EuGVVO Die Regeln des Art. 45 Abs. 1 lit. b)–d) EuGVVO entsprechen den in Art. 34 Nr. 2–4 EuGVVO a. F. niedergelegten Versagungsgründen, so dass insofern auf die Ausführungen zur EuGVVO a. F. verwiesen werden kann.162 3. Verletzung der internationalen Zuständigkeit, Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO Über die in den Abschnitten 3 bis 5 des Kapitels II verorteten Zuständigkeitsvorschriften zum Schutz schwächerer Parteien163 hinaus behält die neugefasste EuGVVO in Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO auch weiterhin die zweitstaatliche Kontrolle der internationalen Zuständigkeit des Ursprungsgerichts bei. Neben der Rüge der Unzuständigkeit im Ursprungsverfahren kann der Urteilsfindung durch ein unzuständiges Gericht damit auch weiterhin die fehlende internationale Zuständigkeit im Zweitstaat entgegengehalten werden (sog. Doppelkontrolle).164 Der Europäische Normgeber hält damit an einem von ihm selbst als sehr wichtig erachteten Schutzinteresse fest165 und weitet den Anwendungsbereich der Vorschrift zugunsten der schwächeren Partei sogar aus. Konnte im Vollstreckungsstaat bislang ausschließlich die fehlende internationale Zuständigkeit des Ursprungsgerichts in Versicherungs- und Verbrauchersachen überprüft werden, schließt die des ersuchten Mitgliedstaats offensichtlich widersprechen würde“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 160 Entwurf des Parlamentsvorschlages, PE467.046, S. 46 (vgl. § 6 Fn. 7). 161 EuGH Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I 1935, Rn. 22 ff. – Krombach/Bamberski; Urt. v. 02.04.2009, C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Rn. 26 ff. – Gambazzi/Daimler Chrysler Canada Inc. u. a.; vgl. dazu, § 5.C.III.1.c. 162 Siehe oben, § 5.C.III.2.–3. Krit. ist in dieser Hinsicht anzumerken, dass es der Europäische Normgeber versäumt hat, den Prioritätsgrundsatz in Art. 45 Abs. 1 lit. c) EuGVVO auch auf inländische Urteile zu übertragen, vgl. Hess, IPRax 2011, 125, 128; Bach, ZRP 2011, 97, 99; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 61; siehe dazu auch oben, § 5.C.III.3. 163 Artt. 10–23 EuGVVO. 164 Anders noch im Kommissionsvorschlag, KOM(2010) 748 endgültig, krit. dazu Kieninger, VuR 2011, 243 ff. 165 Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 51; vgl. Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 46 und die Erwägungsgründe Nr. 13, 14 zur EuGVVO a. F.
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Kontrolle nun auch die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge ein, Art. 45 Abs. 1 lit. e), i) EuGVVO.166 Gleichzeitig beschränkt der Verordnungsgeber aber die Möglichkeit der Nachprüfung ihrem Zweck entsprechend auf Fälle, in denen die schwächere Partei als Beklagte betroffen ist und beseitigt damit einen seit langem beklagten Wertungswiderspruch.167 Inwieweit die Beibehaltung einer doppelten Überprüfung der internationalen Zuständigkeit weiterhin erforderlich ist, wird in der Literatur sehr kontrovers beurteilt. Während ein Teil des Schrifttums an einer zweitstaatlichen Kontrolle der internationalen Zuständigkeit festhalten möchte,168 sieht die Gegenansicht in einer solchen Regelung einen systemwidrigen Fremdkörper im Europäischen Zivilverfahrensrecht, der es obendrein an praktischer Bedeutung mangele.169 Auch wenn nicht bestritten werden kann, dass der Versagungsgrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit gegenüber den praktisch relevanteren Einwänden der Verletzung des ordre public oder des rechtlichen Gehörs ein Schattendasein führt, stellt dies nur eine Seite der Medaille dar. Denn bereits die Existenz des Art. 45 Abs. 1 lit. e), i) EuGVVO entfaltet einen merklichen Schutz der Schuldner- und insbesondere der Verbraucherinteressen. Bereits ihre Vorgängerregelung, Art. 35 EuGVVO a. F., führte dazu, dass Unternehmer unmittelbar am Verbraucherwohnsitz Klage erhoben, um sich, neben den Mühen eines (zusätzlichen) Exequaturverfahrens, das Risiko der Anfechtung der Vollstreckbarerklärung aufgrund (behaupteter) fehlender internationaler Zuständigkeit, zu ersparen.170 Ein Verzicht auf diese (doppelte) Kontrolle unter der revidierten EuGVVO hätte dagegen Anreize schaffen können, bewusst Klage an einem unzuständigen Gerichtsstand zu erheben und auf diese Weise die Ausgangssituation zum Nachteil der schwächeren Partei zu verschlechtern.171 Ein solches Vorgehen setzte zwar voraus, dass ein Gericht fehlerhaft die eigene Zuständigkeit bejaht, doch ist eine solche Fehlbeurteilung keineswegs unvorstellbar und kann auf unterschiedlichste Ursachen zu166 Auf diese Weise wird ein seit langem beklagter Wertungswiderspruch beseitigt, vgl. von Hein, RIW 2012, 97, 109; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 35 EuGVO Rn. 10 (mwN); Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 76. 167 Anders – zumindest was den Wortlaut anbelangt – noch Art. 35 Abs. 2 EuGVVO a. F. Siehe zur Möglichkeit der teleologischen Reduktion der Norm, Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 35 EuGVO Rn. 10 (mwN); Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 35 EuGVO Rn. 8 (mwN). 168 Rauscher, in: Rauscher, EuZPR 2, Einf EG-BagatellVO-E Rn. 10; Varga, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-BagatellVO Rn. 67 f.; Dörner, in: Hk-ZPO5, Art. 35 EuGVVO Rn. 6; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 35 VO (EG) 44/2001 Rn. 2. 169 Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 35 EuGVO Rn. 7; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 35 EuGVVO Rn. 8; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 75; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 35 EuGVO Rn. 9; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 31; Mäsch, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 35 EuGVVO Rn. 4; Schack, IZVR, Rn. 930; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 215; ders., in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 496. 170 So Kieninger, VuR 2011, 243, 247 zur EuGVVO a. F. 171 Für die EuVTVO: Mankowski, in: Festschrift f. Kropholler, S. 829, 848; Stadler, RIW 2004, 801, 803; Burgstaller/Neumayr, ÖJZ 2006, 179, 191; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 93.
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rückzuführen sein. Neben fehlenden Erfahrungen im Umgang mit der EuGVVO, die zu einer fehlerhaften Einschätzung der Zuständigkeitsfrage führen können, ist es insbesondere in den Fällen der Nichteinlassung des Beklagten schwierig für das erkennende Gericht eine etwaige Verbrauchereigenschaft o.Ä. festzustellen und daran anknüpfend die eigene Zuständigkeit zu bejahen oder zu verneinen.172 Da Art. 35 EuGVVO a. F. und ihm folgend Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO nicht ausschließlich der Korrektur einzelner fehlerhafter Ergebnisse dienen, sondern darüber hinaus präventive Wirkung entfalten und damit die Interessen der (potentiell) Beklagten schützen,173 kann die Bedeutung dieser Schutzvorschriften nicht allein anhand der Masse der ergangenen Rechtsprechung bemessen werden. Weiterhin ist bei der Bewertung der praktischen Relevanz einer Regelung unter Zugrundelegung der angefallenen Gerichtsverfahren ganz generell zu beachten, dass längst nicht alle pathologischen Fälle an das Tageslicht gelangen. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf die Fälle verwiesen, in denen der Schuldner angesichts der ergangenen und erstmal den Anschein der Rechtmäßigkeit für sich in Anspruch nehmenden Entscheidung zahlt, er schon durch die Klageschrift abgeschreckt wird und sich passiv verhält oder er aus anderen Gründen von der weiteren Rechtsverfolgung absieht.174 Allein der Hinweis auf die selten erfolgreiche Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit kann den Verzicht auf die Kontrolle der internationalen Zuständigkeit mithin nicht legitimieren. Vielmehr ist demgegenüber der Schutzbedürftigkeit der schwächeren Partei Rechnung zu tragen.175 Diese folgt in erster Linie daraus, dass es dem Verbraucher, Versicherungsnehmer oder Arbeitnehmer naturgemäß schwerer fällt, seine Rechte vor einem ausländischen Gericht durchzusetzen.176 Zwar weist K ieninger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Nichteinlassung des Verbrauchers nicht zwangsläufig in dessen schwächerer oder unterlegener Stellung begründet liegen muss, sondern auch durchaus auf ökonomisches Kalkül zurückgeführt werden kann („rationale[s] Desinteresse“). Insbesondere gut informierte Verbraucher können demnach angesichts eines erhöhten Kostenrisikos zu dem Schluss gelangen, dass es vorzuziehen ist, eine eingeklagte Forderung zu begleichen, auch 172 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 48; Kieninger, VuR 2011, 243, 247; Stadler, RIW 2004, 801, 807; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 65. 173 Wagner/Beckmann, RIW 2010, 44, 53; Kieninger, VuR 2011, 243, 247. 174 Kieninger, VuR 2011, 243, 247; Mankowski, VuR 2010, 16, 17. Siehe auch zu den Beratungen zur EuVTVO: Vermerk des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union vom 18.11.2003, 14746/03 JUSTCIV 243 S. 3. 175 Krit. Schütze, AWD/RIW 1974, 428, 429 („Wir nehmen hin, dass die internationale Zuständigkeit beim existenzbedrohenden Millionenprozess nicht nachgeprüft wird, schützen aber den Käufer eines Staubsaugers“). 176 Mankowski, VuR 2010, 16; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 53; Kieninger, VuR 2011, 243, 248. Dies gesteht auch der Heidelberg Report zu, der grundsätzlich für die Abschaffung der zweitstaatlichen Kontrolle der internationalen Zuständigkeit eintritt, vgl. Hess, in: Hess/Pfeiffer/ Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 477 zusammen mit Fn. 701.
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wenn diese materiell nicht besteht und vor einem unzuständigen Gericht geltend gemacht wird.177 Aber auch oder gerade in diesen Fällen ist es angezeigt, die schwächere Partei durch staatliche Regulierung zu schützen und die zweitstaatliche Kontrolle der internationalen Zuständigkeit beizubehalten.178 Denn andernfalls drohte der durch die Zuständigkeitsordnung begründete Schutz leerzulaufen. Zur Schaffung eines effektiven Schutzes der schwächeren Partei wäre es jedoch (überdies) notwendig gewesen, dem Zweitstaat die Versagung der Vollstreckung auch für den Fall zu gestatten, dass die nach Art. 26 Abs. 2 EuGVVO vozunehmende Belehrung des Beklagten über die Folgen einer rügelosen Einlassung vom Ursprungsgericht unterblieben ist.179 Die EuGVVO bietet insoweit keinen umfassenden Schutz. Denn zum einen kann die rügelose Einlassung als zulässige Abweichung180 von den schuldnerschützenden Zuständigkeitsvorschriften angesehen werden und wäre damit nicht „unvereinbar“ mit den Abschnitten 3, 4 oder 5 des Kapitels II der EuGVVO. Und zum anderen gebietet der Zweck der Verordnung, den freien Verkehr der Entscheidungen im Europäischen Binnenmarkt zu verwirklichen,181 ohnehin eine restriktive Auslegung der Versagungsgründe. Im Bewusstsein des Problems182 hätte der Europäische Gesetzgeber, sollte Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO auch diesen Fall erfassen, den Wortlaut der Vorschrift anders ausgestalten müssen. 4. Anwendbarkeit der Verordnung Vor dem Hintergrund, dass die EuGVVO mitgliedstaatlichen Entscheidungen eine umfassende Vollstreckbarkeit verleiht, die Grenzziehung hinsichtlich des Anwendungsbereiches der Verordnung aber keinesfalls immer leicht gelingt,183 ist überdies der Frage nachzugehen, inwieweit die EuGVVO eine Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung, die bislang im Exequaturverfahren erfolgte,184 gestattet.
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Kieninger, VuR 2011, 243, 248; ähnlich auch Mankowski, VuR 2010, 16, 17. Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 53; Kieninger, VuR 2011, 243, 248. 179 A.A. von Hein, RIW 2012, 97, 109. 180 Zum einen kann die rügelose Einlassung als eine nach den Artt. 15, 19, 23 EuGVVO zulässige, stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung qualifiziert werden (vgl. EuGH, Urt. v. 20.05.2010, Rs. C-111/09, Slg. 2010, I-4545 – CPP/Bilas = EuZW 2010, 678) und zum anderen macht Art. 26 Abs. 2 EuGVVO die zulässige Zuständigkeitsbegründung – anders als bspw. § 39 S. 2 ZPO („Dies gilt nicht, wenn …“) – nicht von einer erfolgten Belehrung abhängig. 181 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 3 und 6 zur EuGVVO. Siehe auch Art. 41 Abs. 2 EuGVVO. 182 EuGH, Urt. v. 20.05.2010, Rs. C-111/09, Slg. 2010, I-4545 – CPP/Bilas = EuZW 2010, 678. 183 Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1, 11 mit Hinweis auf EuGH, Urt. v. 12.09.2013, Rs. C-49/12, BB 2013, 2324 = EuZW 2013, 828 – The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs/ Sunico ApS, M & B Holding ApS u. a. 184 Gleichwohl konnte die Nichtanwendbarkeit der Verordnung auch im Rechtsbehelfsverfahren gerügt werden, siehe oben § 5.C.III. 178 Ebenso
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Einen Rechtsbehelf, der den Schuldner in die Lage versetzte, die Anwendbarkeit der Verordnung überprüfen zu lassen, sieht die Verordnung nicht vor. Da sich das Verfahren der Zwangsvollstreckung nach dem Recht des Vollstreckungsstaates richtet, Art. 41 Abs. 1, 2 EuGVVO, gelangt jedoch – über die in der Verordnung genannten außerordentlichen Rechtsbehelfe hinaus – der allgemeine, zweitstaatliche Vollstreckungsschutz zur Anwendung. Die Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung könnte daher, sofern und soweit dies nicht mit den Bestimmungen der Verordnung konfligierte oder diesen die praktische Wirksamkeit nähme, im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens sichergestellt werden.185 Gegen einen Rückgriff auf die Rechtsbehelfe des autonomen Vollstreckungsrechts spricht indes insbesondere Art. 39 EuGVVO,186 der auf die Beseitigung sämtlicher Hemmnisse einer einfachen und schnellen grenzüberschreitenden Vollstreckung sowie die Herstellung der Urteilsfreizügigkeit abzielt.187 Ließe man, neben den in der Verordnung enthaltenen außerordentlichen Rechtsbehelfen, auch einen Rückgriff auf den allgemeinen zweitstaatlichen Vollstreckungsschutz hinsichtlich der Überprüfung der Anwendbarkeit der EuGVVO zu, könnte dies die Verordnungsziele unterminieren. Dagegen ist jedoch zum einen ins Feld zu führen, dass auch für die EuGVVO a. F., deren Anerkennungsversagungsgründe aus den nämlichen Gründen als abschließend und restriktiv auszulegen betrachtet wurden, anerkannt war, dass trotz eines fehlenden Hinweises in den Artt. 34 und 35 EuGVVO a. F. eine Überprüfung des Anwendungsbereiches erfolgen konnte.188 Und zum anderen, dass eine nicht anwendbare Verordnung, die dementsprechend aus sich heraus schon keine Wirkung zu entfalten vermag, auch nicht durch die Erhebung eines nationalen Rechtsbehelfes in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt werden kann. Oder mit anderen Worten: Eine Verordnung kann nur insoweit eine Sperrwirkung erzeugen, als sie auch Anwendung findet. Eine solche Herangehensweise ließe indes außer Betracht, dass die bisherige Fassung der EuGVVO über keine Art. 39 EuGVVO entsprechende Regelung verfügte. Darüber hinaus blieben diejenigen Fälle, in denen die unbegründete Rüge der Nichtanwendbarkeit der Verordnung die grenzüberschreitende Vollstreckung beeinträchtigte, und die diesem Vorgehen innewohnende Missbrauchsgefahr, die dem Verordnungsimpetus zuwiderliefe, unberücksichtigt. Hinzu kommt, dass gerade das zweitgenannte Argument an dem Fehler leidet, dass immer erst im Rahmen der Nachprüfung festgestellt werden kann, ob eine Sperrwirkung bestand oder nicht – je nachdem, ob die Entscheidung in den 185
Siehe oben, § 6.B.I.; von Hein, RIW 2013, 97, 110. Hinsichtlich des EuGVVO-E verweist D. Müller, ZEuS 2012, 329, 344 f. insoweit auf Art. 39 Abs. 3 S. 2 EuGVVO-E, begründet sein Votum gegen eine Nachprüfbarkeit (durch das Vollstreckungsorgan) schließlich aber auch mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. 187 Erwägungsgründe Nr. 2 , 3, 23 zum EuGVVO-E. 188 EuGH, Urt. v. 14.07.1977, Rs. C-9, 10/77, Slg. 1977, 1517, Rn. 5 – Bavaria Flugesellschaft u. a./Eurocontrol; vgl. dazu oben, § 5.C.III. 186
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Anwendungsbereich der Verordnung fällt – und damit, ob die Nachprüfung als solche überhaupt zulässig war. In diesem Fall ist eine Beeinträchtigung der Wirksamkeit der Verordnung aber bereits unwiderruflich eingetreten. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass nur eine anwendbare Verordnung einem ausländischen Urteil europaweite Vollstreckbarkeit verleihen kann. Die Vollstreckung einer Entscheidung, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, würde schließlich auf einem Titel beruhen, dem es im Inland an der Vollstreckbarkeit fehlte. Der Vollstreckung mangelte es mithin an rechtsstaatlicher Legitimation und jeglicher demokratischen Rückkopplung. Ein Ergebnis, welches dem Ansinnen des Europäischen Gesetzgebers schlechterdings nicht entsprechen kann. Auch verordnungsimmanente Zwecke, insbesondere der in den Erwägungsgründen immer wieder hoch gehaltene Schuldnerschutz,189 sprechen für die zweitstaatliche Kontrolle der Anwendbarkeit der Verordnung. Zu denken ist dabei an die Vollstreckung einseitig angeordneter einstweiliger Maßnahmen, die aufgrund eines fehlerhaft ausgefüllten Begleitdokumentes190 vom zuständigen Vollstreckungsorgan als vollstreckbar angesehen werden, obwohl nicht das in der Hauptsache zuständige Gericht entschieden hat oder die Entscheidung dem Schuldner nicht zugestellt wurde. Verzichtete man insoweit auf ein Kontrollinstrument mangelte es der Verordnung, entgegen den Vorgaben des Art. 47 EuGRCh, an der Möglichkeit, effektiven Rechtsschutz zu erlangen.191 Denn es wäre keinesfalls ausgeschlossen, dass in das Vermögen des Schuldners vollstreckt würde, ohne dass diesem überhaupt die Inanspruchnahme rechtlichen Gehörs – weder im Erkenntnis- noch im Vollstreckbarerklärungsverfahren – ermöglicht wurde. Eine Nachprüfung im Vollstreckungsstaat ist mithin – trotz Fehlens einer dahingehenden unionsrechtlichen Regelung – zuzulassen.192 Die Aufgabe, die Anwendbarkeit der Verordnung zu überprüfen, könnte damit – insbesondere zumal der Gläubiger nunmehr dazu berechtigt ist, unmittelbar aus der ausländischen Entscheidung zu vollstrecken – dem Vollstreckungsorgan anheim fallen. Da die nach Art. 53 EuGVVO auszustellende Bescheinigung (Formblatt in Anhang I) die Vollstreckungsorgane im Zweitstaat nicht bindet,193 könn189 Erwägungsründe Nr. 29 und 32 der EuGVVO; sowie bereits zuvor Erwägungsründe Nr. 24, 25, 27 des EuGVVO-E und Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig, S. 2 f. 190 Siehe bereits oben, § 6.C.I.; Seidl, Ausländische Vollstreckungstitel, S. 245; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 49. 191 In diese Richtung wohl auch BRAK-Stellungnahme Nr. 39/2011, S. 6. 192 Ebenso Pohl, IPRax 2013, 104, 113; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 71; zur EuUnthVO: Garber, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 17 EuUntVO Rn. 11. 193 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 46 Brüssel Ia-VO Rn. 25; Staudinger, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 53 Brüssel Ia-VO Rn. 2; zur EuGVVO a. F. vgl. Geimer, in: Geimer/ Schütze, EuZVR, Art. 54 EuGVVO Rn. 3; Staudinger, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 54 Brüssel I-VO Rn. 2.
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ten diese von der Vollstreckung absehen, wenn es mangels Anwendbarkeit der Verordnung oder Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung an einem vollstreckungsfähigen Titel fehlt.194 Gerade in Fällen nichtrichterlicher Vollstreckung schiene dies aber keineswegs unproblematisch, denn die Bewertung der Anwendbarkeit der EuGVVO ist mit vielen – zum Teil auch nach wie vor ungeklärten – Rechtsfragen behaftet. Schwierigkeiten können sich bereits aus der Auslegung des Begriffs der „Entscheidung“ im Sinne der Artt. 36 Abs. 1 und 39 EuGVVO ergeben. Zwar definiert Art. 2 lit. a) EuGVVO den Begriff der Entscheidung als „jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten.“ Diese Legaldefinition vermag indes nicht sämtliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu beseitigen. Beispielhaft sei an dieser Stelle auf eine Entscheidung des EuGH verwiesen, in der er – zu diesem Zeitpunkt gestützt auf Artt. 27 Nr. 2, 46 Nr. 2 EuGVÜ – klarstellte, dass eine einstweilige Verfügung dann nicht nach der EuGVVO vollstreckt werden dürfe, wenn der Gegenpartei im Erkenntnisverfahren kein rechtliches Gehör gewährt wurde oder wenn die einstweilige Maßnahme ohne vorherige Zustellung an diese Partei vollstreckt werden soll,195 da einer Entscheidung (im Sinne der vormaligen Rechtslage) vielmehr ein kontradiktorisch angelegtes Verfahren zu Grunde liegen müsse.196 Hinzu kommt, dass im Grenzbereich zwischen richterlicher und behördlicher Streitbeilegung bestehen zahlreiche ungeklärte Abgrenzungsfragen.197 Angesichts der zur Klärung der Frage, ob eine Entscheidung in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, wohl unzureichenden Ausbildung der Gerichtsvollzieher wäre, neben beträchtlichen Verzögerungen,198 zu befürchten, dass in der Praxis regelmäßig und unreflektiert auf die Richtigkeit der Formblätter und damit die Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels vertraut würde, woraus erhebliche Rechtsschutzdefizite resultierten. Aus diesem Grund ist dem Schuldner, mangels unionsrechtlichen Rechtsbehelfs, die Möglichkeit zu gewähren, ei194 Vgl. Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 153 f.; Burgstaller/Neumayr, ÖJZ 2006, 179, 183; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 486 (Fn. 73); Andrae/ Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 16 EG-UntVO Rn. 9. 195 EuGH, Urt. v. 21.05.1980, Rs. 125/79, Slg. 1980, I-1553 – Denilauler; vgl. zudem BGH NJWRR 2007, 1573. 196 Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 32 EuGVVO Rn. 8; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 31 VO (EG) 44/2001 Rn. 4; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 35; Schack, IZVR, Rn. 916; Rauscher, WuB VII B., Art. 34 EuGVVO 1.07; krit. Mankowski, EWiR 2007, 329 f. Vgl. zur Rechtslage unter der revidierten EuGVVO, § 6.B.II. 197 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 175; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 34 ff.; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 9; Schlosser, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 10; siehe auch Willer, ZZP (127) 2014, 99, 107 f., 124. 198 Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 48; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 81.
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ner drohenden Zwangsvollstreckung mit den Instrumenten des allgemeinen Vollstreckungsschutzes zu begegnen.199 Er kann dem Vollstreckungsverfahren folglich mit der Erhebung einer prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO entgegentreten und auf diese Weise die Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 ZPO bewirken.200 Diese Lösung leidet allerdings an dem Makel, dass der Rückgriff auf autonome, nationale Rechtsbehelfe die Einheitlichkeit und Ausschließlichkeit der Lösungen, die bislang mit der EuGVVO a. F. gewährleistet wurden, gefährdet.201 Durch das Fehlen eines einheitlichen Rechtsbehelfs ist kein einheitlicher Rechtsschutz gewährleistet, so dass diese Rechtszersplitterung zu einem divergierenden Rechtsschutzniveau in der Europäischen Union führen könnte. Zudem würde die Einleitung eines kontradiktorischen Verfahrens die mit der Abschaffung der Zwischenmaßnahme Exequaturverfahren intendierte Beschleunigung der grenzüberschreitenden Zwangsvollstreckung in ihr Gegenteil verkehren. Die Schaffung eines einheitlichen europäischen Rechtsbehelfs wäre daher dem Rückgriff auf das nationale Vollstreckungsrecht unzweifelhaft vorzuziehen gewesen. Freilich ließe sich auch argumentieren, dass Art. 46 EuGVVO – ähnlich der Rechtslage unter der EuGVVO a. F. – die Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung als ungeschriebene Voraussetzung der grenzüberschreitenden Vollstreckung zuließe. Diesem Schluss steht indes zunächst entgegen, dass sich die Parallele zur EuGVVO a. F. nur bedingt ziehen lässt. Denn nach ihr wurde die Anwendbarkeit der Verordnung bereits erstinstanzlich im Rahmen der Vollstreckbarerklärung überprüft, sie stellte mithin deren Voraussetzung dar; das Verfahren der Vollstreckbarerklärung ist nunmehr entfallen, die Prüfung abschließend auf199 Vgl. hierzu und zu parallelen Konstellationen: BGH NJW 2006, 695; BGHZ 114, 230, 234; Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 16 EG-UntVO Rn. 10; M. Stürner, in: Kindl/ Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 5 EuVTVO Rn. 3, Art. 21 EuVTVO Rn. 9; Bittmann, in: Gebauer/Wiedmann, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Kap. 28, Art. 5 EuVTVO Rn. 40, Kap. 36, Art. 18 EuUntVO Rn. 89; ders., Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 153 f.; Burgstaller/Neumayr, ÖJZ 2006, 179, 183; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 486 (Fn. 73); a. A. St. Huber, in: Dierck/Morvilius/Vollkommer, Hdb. Zwangsvollstreckungsrecht, 8. Kap., Rn. 197; R. Wagner, IPRax 2005, 189, 199; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 5 EuVTVO Rn. 9; ebenso Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 25; Zöller/Geimer, ZPO, Art. 2 EuVTVO Rn. 1, Art. 6 EuVTVO Rn. 18, Art. 20 EuVTVO Rn. 3; Geimer, in: Festgabe f. Vollkommer, S. 385, 392. 200 Vgl. BGH NJW 2006, 695; BGH NJW 2005, 1577; BGHZ 124, 164. Ebenso für die EuUnthVO: Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 17 VO Nr. 4/2009 Rn. 44; Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 16 EG-UntVO Rn. 10. A.A. M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 5 EuVTVO Rn. 3, Art. 21 EuVTVO Rn. 9, der § 766 ZPO mit dem Argument anwenden will, dass der Schuldner die Art und Weise der Vollstreckung rüge, da diese mangels Anwendbarkeit der Verordnung (dort: EuVTVO) zunächst eine erfolgreiche Vollstreckbarerklärung voraussetze. Dies ist jedoch abzulehnen, da hier nicht um eine Beeinträchtigung des Verfahrensablaufes, sondern schwerpunktmäßig um eine Frage der Vollstreckbarkeit des Titels gestritten wird. 201 Hess, JZ 2001, 573, 582; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehalts, S. 204; Wagner/ Beckmann, RIW 2011, 44, 50 f.
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gezählter Versagungsgründe qualitativ anders zu bewerten als die Prüfung einer vorgelagerten Vollstreckungsvoraussetzung. Ferner ignorierte diese Auslegung den klaren Wortlaut des Art. 46 EuGVVO, welcher ausschließlich auf die in Art. 45 EuGVVO genannten Gründe rekurriert, sowie die Maßgeblichkeit der Bescheinigung nach Art. 53 EuGVVO für die Vollstreckung mitgliedstaatlicher Urteile, welche die Anwendbarkeit der Verordnung im konkreten Fall (zumindest mittelbar) bejaht. Der Europäische Normgeber hat vor diesem Hintergrund – im Vertrauen auf die Rechtsprechungsqualität mitgliedstaatlicher Gerichte – offensichtlich keinen Anlass gesehen, einen eigenen Rechtsbehelf zur Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung zu schaffen. Ungeachtet der Tatsache, ob man diesem – abzulehnenden – extensiven Verständnis des Art. 45 EuGVVO folgen mag, entfiele auch mit ihm nicht der insoweit bestehende Regelungsbedarf. Denn auch die Zulassung der Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung im Rahmen des Verfahrens nach Artt. 46 ff. EuGVVO beiseitigte – zumindest anfänglich – nicht die Gefahr, dass mitgliedstaatliche Gerichte mangels eindeutiger Regelung auf die Instrumente der lex fori executionis zurückgreifen könnten. 5. Zwischenergebnis Die Abschaffung des Exequaturverfahrens zur Herstellung der Urteilsfreizügigkeit entspricht der Logik des bisherigen Vorgehens des Europäischen Gesetzgebers. Dass trotz des Verzichts auf das Vollstreckbarerklärungsverfahren als zwingender Voraussetzung für die Einleitung der Zwangsvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat das erprobte System der Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe der EuGVVO übernommen wurde, ist unter dem Aspekt der Kontinuität und damit der Rechtssicherheit und -klarheit begrüßenswert. Der Verzicht auf das Exequaturverfahren, in dessen Rahmen erstinstanzlich ohnehin keine Versagungsgründe geprüft wurden, führt daher zu keiner unverantwortlichen Beeinträchtigung des Schuldnerschutzes. Vielmehr hat sich die Position des Schuldners in praxi nicht wesentlich verändert: Nach bisherigem Recht wie auch nach der revidierten EuGVVO obliegt es dem Schuldner, die Initiative zu ergreifen und die Vollstreckung aus dem ausländischen Titel zu verhindern. Auch der Zeitpunkt, ab dem er sich gegen die Vollstreckung zur Wehr setzen kann, bleibt unverändert. Nach beiden Fassungen wird der Schuldner erst ab einem Zeitpunkt einbezogen, in dem der Gläubiger bereits dazu berechtigt ist, die Vollstreckung zu betreiben. Die Tatsache, dass es künftig keiner Vollstreckbarerklärung bedarf, welche gegebenenfalls aufgehoben werden kann,202 wird durch Art. 44 EuGVVO kompensiert, der die Schuldnerrechte bis zur Entscheidung über die Versagung der Anerkennung absichert, dabei jedoch, 202
Siehe auch § 28 Abs. 1 AVAG.
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im Gegensatz zu Art. 47 Abs. 3 EuGVVO a. F., auch die Gläubigerrechte angemessen berücksichtigt.203 Im Gegensatz zum bisher eingeschlagenen Weg bei der Abschaffung des Exequaturverfahrens, einer präventiven Kontrolle im Ursprungsstaat durch Gewährleistung des Schuldnerschutzes im Wege der Vorgabe gewisser Minimumstandards oder verbindlicher Verfahrensvorschriften,204 erfolgt im Rahmen der EuGVVO auch weiterhin eine repressive Kontrolle im Vollstreckungsstaat: Die Vollstreckung ist als Regelfall zulässig, sofern nicht das Vorliegen eines Versagungsgrundes auf den Antrag des Schuldners hin festgestellt wird.
IV. Integrationsfunktion Die Integrationsfunktion ist durch die Übernahme des bisherigen Regimes der Versagungsgründe gleichermaßen erhalten geblieben, so dass insoweit auf die Ausführungen zur EuGVVO a. F. verwiesen werden kann.205
D. Ergebnis Vor dem Hintergrund der Zielsetzung, eine umfassende Urteilsfreizügigkeit herzustellen, kann die Revision der EuGVVO kaum als (weiterer)206 Paradigmenwechsel im Europäischen Zivilverfahrensrecht bezeichnet werden.207 Diese Feststellung darf jedoch keinesfalls als Ausdruck der Missbilligung aufgefasst werden; wiesen doch zahlreiche Autoren auf die Gefahr der Überbeschleunigung in der Entwicklung des Europäischen Vollstreckungsraumes hin.208 Vielmehr ist herauszustellen, dass die Neufassung der EuGVVO mit Blick auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen die Entbehrlichkeit eines 203 Siehe aber Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 518, die auf eine mögliche psychologische Hemmschwelle hinweist, die der Schuldner nun – außerhalb eines vom Gläubiger angestrengten Verfahrens – überwinden muss, um sich auf die Versagungsgründe des Art. 45 EuGVVO zu berufen; a. A. jedenfalls hinsichtlich des Wirtschaftsverkehrs Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409, 425. 204 Siehe oben, § 3.D.III. 205 Siehe oben, § 5.C.IV. 206 Vgl. zur EuVTVO oben, § 3 Fn. 106. 207 Von Hein, RIW 2013, 97, 111 („Evolution statt Revolution“); Pohl, IPRax 2013, 104, 114 („weiterer wichtiger Schritt“); Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 548 f.; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO Rn. 1, 3 („kleine Revolution“ mit Hinweis auf die ambitionierteren Pläne der Kommission); Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409; nach Ansicht von Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1, 8 ist die Europäische Kommission ohnehin über das Ziel „hinausgeschossen“; zum EuGVVO-E: Bach, ZRP 2011, 97; Hess, IPRax 2011, 125, 130; McGuire, ecolex 2011, 218 („Stückwerk“). 208 Stadler, RIW 2004, 801, 802; dies., in: Musielak/Voit, ZPO, Vorbemerkung EuZPR Rn. 2; ähnlich auch Adolphsen, in: Festschrift f. Kaissis, S. 1, 5 („der Erlass einer Verordnung [war in Einzelfällen] wichtiger als deren Qualität“).
D. Ergebnis
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Titelimportes durch ein (vorgelagertes) Exequaturverfahren mit dem weiterhin bestehenden Kontrollbedürfnis vereint und damit einen willkommenen Kompromiss zwischen der Effektivität der grenzüberschreitenden Forderungseintreibung und dem Schutz der Menschenrechte darstellt. Durch den Entfall der Vollstreckbarerklärung als Voraussetzung der zweitstaatlichen Zwangsvollstreckung und die Verlagerung der Rechtsbehelfe in das Vollstreckungsverfahren kann – je nach Rechtsordnung209 – eine deutliche Zeitersparnis erzeugt werden.210 Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Gläubiger nicht den Abschluss des Vollstreckbarerklärungsverfahrens abwarten muss211 und unmittelbar zur Vollstreckung übergehen kann. Die vom Schuldner einzuleitende Überprüfung des ausländischen Titels wirkt sich dagegen ausschließlich dann auf die Vollstreckung aus, wenn das zuständige vollstreckungsstaatliche Gericht feststellt, dass die Vollstreckung des fraglichen Titels im Widerspruch zu anerkannten Grundrechten und -prinzipien stünde.212 Damit reduziert der gewählte Ansatz die Menge der (bürokratischen) Exequaturverfahren auf eine geringe Anzahl von Rechtsbehelfsverfahren – lediglich 1–5 % aller Vollstreckbarerklärungen wurden unter der EuGVVO a. F. angefochten 213 – und nimmt Verzögerungstaktiken jegliche Effektivität.214 Dies stärkt die Effizienz der grenzüberschreitenden Vollstreckung, minimiert den Zeit- und Kostenaufwand und ist damit insbesondere unter den Gesichtspunkten der Prozessökonomie wie auch der Realisierung eines Europäischen Justizraumes vorbehaltlos zu begrüßen.215 Der erzeugte Beschleunigungseffekt sollte gleichwohl nicht überbewertet werden. Zwar wird er weder durch die Möglichkeit der Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens nach Art. 44 EuGVVO noch durch die Anpassung des Vollstreckungstitels beseitigt. Kontraproduktiv wirkt allerdings die fehlende unionsrechtliche Regelung zur Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung.216 Der insoweit drohende Rückgriff auf die Schutzinstrumente des autonomen Rechts birgt die Gefahr der Verfahrensverzögerung, weil die nach deutschem Recht zu 209 In den meisten Staaten ergeht die Vollstreckbarerklärung innerhalb weniger Tage, vgl. Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 454; ders., EuZPR, § 6 Rn. 224; CSES-Studie, S. 52, 55. 210 Vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 26 zur EuGVVO; Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 517; krit. dagegen Hess, in: Festschrift f. Gottwald, S. 273, 278 ff. 211 Art. 47 Abs. 1 EuGVVO a. F. gestattete nur den Rückgriff auf nationale Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes, vgl. oben § 5.B. 212 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 305. 213 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 4 47, 474 ff., 481, 495; CSES-Studie, S. 55. 214 Siehe aber Art. 43 Abs. 2 EuGVVO. 215 Zu KOM(2010) 748 endgültig: Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 314; Beaumont/ Johnston, IPRax 2010, 105, 108; dies., JPIL 2010, 249, 273; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 199. 216 Siehe oben, § 6.C.III.4.; Hess, in: Festschrift f. Gottwald, S. 273, 278 ff. weist darüber hinaus auf die mit der Abschaffung der Konzentration der Beschwerdeverfahren verloren gegangene Spezialisierung der entscheidenden Spruchkörper sowie die (weiterhin bestehende) Möglichkeit der Erhebung materieller Einwendungen im Vollstreckungsstaat hin.
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§ 6. Status quo: EuGVVO – VO (EU) Nr. 1215/2012
erhebende prozessuale Gestaltungsklage analog § 767 ZPO zur Einleitung eines kontradiktorischen (Erkenntnis-)Verfahrens führte.217 Ein spezieller, originär europarechtlicher Rechtsbehelf, der im Falle der grenzüberschreitenden Vollstreckung zur Verfügung stünde, gewährleistete insofern Rechtssicherheit und -einheitlichkeit und beugte einem divergierenden Rechtsschutzniveau innerhalb der Europäischen Union vor. Dass eine fühlbare Beschleunigung der grenzüberschreitenden Vollstreckung mit der Abschaffung des Exequaturverfahrens nicht einhergehen wird und diesbezügliche Erwartungen zu relativieren sind, liegt in erster Linie daran, dass die Vollstreckbarerklärung in den meisten Mitgliedstaaten – dem Heidelberg Report zufolge – bereits zum jetzigen Zeitpunkt innerhalb weniger Tage erfolgt. Zwar beziehen diese Zahlen nicht den mit der Vorbereitung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens verbundenen Zeitaufwand mit ein,218 doch ist – beabsichtigt man die Gleichstellung inländischer und ausländischer Titel – zu bedenken, dass auch eine Vollstreckung aus inländischen Titeln erst nach Erteilung der Vollstreckungsklausel erfolgen kann, § 724 Abs. 1 ZPO;219 es mithin auch bei inländischen Titeln zu Verzögerungen kommt. Der wesentliche Vorteil der Neufassung wird daher darin liegen, dass die mit dem bisherigen Verfahren verbundenen Mühen entfallen und die anfallenden Kosten sinken. Insoweit ist jedoch anzumerken, dass auch an die bewirkte Kostenreduktion keine allzu hohen Erwartungen geknüpft werden sollten. Denn obwohl der Vollstreckungsgläubiger statt der bislang für das Exequaturverfahren anfallenden Gerichtsgebühren 220 künftig nur noch eine geringe Gebühr für die Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 EuGVVO zu entrichten hat,221 ist es dem Europäischen Gesetzgeber nicht gelungen, sämtliche aus dem Wesen der grenzüberschreitenden Vollstreckung folgenden Kosten zu beseitigen.222 Dies gilt namentlich für die durch Übersetzungen und die Benennung von Zustellungsbevollmächtigten entstehenden Kosten. Die Neufassung der EuGVVO verzichtet zwar auf die Pflicht, die zu vollstreckende Entscheidung übersetzen zu lassen, gleichwohl gestattet sie der Vollstreckungsbehörde eine Übersetzung der Bescheinigung nach Art. 53 EuGVVO oder, sofern dies zur Fortsetzung des Vollstreckungsverfahrens erforderlich ist, der zu 217
Beachte zudem die Möglichkeit der einstweiligen Anordnung nach § 769 ZPO. Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 455. 219 Beachte überdies die zweiwöchige Wartefrist des § 798 ZPO. 220 Diese betrugen bislang 240 €, vgl. Nr. 1510 KV-GKG, bzw. in der Rechtsmittelinstanz 360 €, vgl. Nr. 1520 KV-GKG. 221 In Deutschland: 20 Euro, vgl. Nr. 1513 KV-GKG. Hinsichtlich des Verfahrens zur Versagung der Vollstreckung werden Gebühren in Höhe von 240 €, vgl. Nr. 1510 KV-GKG, bzw. in der Rechtsmittelinstanz 360 €, vgl. Nr. 1520 KV-GKG, erhoben. 222 Ähnlich Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 39 Brüssel Ia-VO Rn. 9 (mwN); zu den (geschätzten) durch das Erfordernis des Exequaturs verursachten Kosten vgl. CSES-Studie, S. 41 ff. 218
D. Ergebnis
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vollstreckenden Entscheidung zu verlangen, Art. 42 Abs. 3, 4 EuGVVO. Dieses Recht steht, unter den Voraussetzungen des Art. 43 Abs. 2 EuGVVO, gleichsam dem die Vollstreckung anfechtenden Schuldner zu. Die Notwendigkeit, eine Übersetzung der Entscheidung einzureichen, wird damit nicht umfänglich ausgeschlossen. Berücksichtigt man nun, dass bereits in der bisherigen Praxis, trotz des Fehlens einer Übersetzungspflicht,223 oftmals eine Übersetzung des gesamten 224 ausländischen Urteils verlangt225 oder diese im Zuge vorauseilenden Gehorsams beigebracht wurde, um Verzögerungen, die aus nachträglich angeforderten Übersetzungen resultieren konnten, zu vermeiden 226 und nimmt man hinzu, dass die Vollstreckung nach der Neufassung im Falle des Art. 43 Abs. 2 EuGVVO auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt ist, solange dem Schuldner keine zureichende Übersetzung der zu vollstreckenden Entscheidung zugestellt wurde, könnte dies den Vollstreckungsgläubiger auch weiterhin dazu veranlassen, vorbeugend Übersetzungen beizufügen, um (drohende) Verzögerungen von vornherein auszuschließen.227 Die Frage des Zustellungsbevollmächtigten wurde ebenfalls nicht zufriedenstellend gelöst, sondern lediglich auf die Ebene autonomen Rechts verlagert, Art. 41 Abs. 3 EuGVVO.228 Die bislang durch Übersetzungen und die Benennung von Zustellungsbevollmächtigten angefallenen Kosten werden damit durch die Neufassung der EuGVVO nicht vollständig ausgeschlossen. Zwar bewirkt die Neufassung der EuGVVO nicht die erwarteten Beschleunigungs- und Einspareffekte. Gleichwohl ist festzustellen, dass sich der Europäische Normgeber glücklicherweise nicht von allzu ambitionierten Zielsetzungen irritieren lassen und einen gelungenen Ausgleich zwischen konstantem Ausbau des Europäischen Justizraumes und fortgesetzter Erfüllung der bislang vom Exequaturverfahren wahrgenommen Funktionen vorgenommen hat. Während die Implementations- und die Perpetuierungsfunktion künftig durch neue Rechtsinstitute erfüllt werden, werden die essentielle Kontroll- sowie die Integrationsfunktion durch das Festhalten an den bisherigen Versagungsgründen in unverändertem Maße beibehalten. Dies verdient insbesondere vor dem Hintergrund Beifall, dass die Europäische Kommission die EuGVVO als „höchst erfolgreiches Instrument [bezeichnete], das die Erledigung grenzübergreifender Streitsachen […] er223
Vgl. Art. 55 Abs. 2 S. 1 EuGVVO a. F. Um die Verpflichtung des Schuldners zu ermitteln, würde in der Regel bereits die Übersetzung des Tenors genügen, vgl. Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 455. 225 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 4 46, 455 mit Verweis darauf, dass in Österreich, Belgien, Zypern, Tschechien, Estland, Griechenland, Ungarn, Lettland, Litauen, Luxemburg, Polen, Schottland, Slowenien und Schweden regelmäßig die Übersetzung des gesamten Urteils verlangt wurde. 226 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 43 Brüssel Ia-VO Rn. 50; CSES-Studie, S. 35. 227 Thöne, GPR 2015, 149, 152; Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 518. 228 Vgl. zum deutschen Recht § 184 ZPO. 224
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§ 6. Status quo: EuGVVO – VO (EU) Nr. 1215/2012
leichtert hat“.229 Denn Änderungen der Rechtslage sollten ganz allgemein ausschließlich dann erfolgen, wenn sie aufgrund praktischer Bedürfnisse tatsächlich erforderlich sind. Da mit jeder Reform ein Stück an Rechtssicherheit verloren geht, sollte es tunlichst vermieden werden, übermütig und unbedacht in die bewährten Strukturen einer gut funktionierenden Verordnung einzugreifen 230 und Veränderungen allein auf Grund des reinen Strebens nach Neuerung herbeizuführen.231 Obwohl die revidierte EuGVVO damit nicht als revolutionäre Neuerung zu bezeichen ist, stellt sie doch einen überzeugenden, weil maßvollen Kompromiss dar und kann, angesichts der neuerlichen Stärkung der Urteilsfreizügigkeit, auch als nachdrückliches integrationspolitisches Signal bezeichnet werden.232
229
Bericht der Kommission, KOM(2009) 174 endgültig, S. 3 f. Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2010, 1, 2. 231 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2010, 1, 2. Vgl. zur Einführung des Europäischen Vollstreckungstitels Giebel, IPRax 2011, 529 („der gerichtliche Klärungsbedarf in EuVT-Sachen [hat sich] als beträchtlich und die deutsche Gerichtspraxis für rechtsschutzsuchende Gläubiger als mitunter dornig erwiesen“). 232 Ebenso Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Vorbem zu Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO Rn. 4 („gelungene Mischung aus Abbau von Formalitäten einerseits und Bewahren von Grundwerten und Schuldnerschutz andererseits.“). 230 Ebenso
Vierter Teil:
Ausblick
§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit? Die Neufassung der EuGVVO verzichtet auf die Exequaturerteilung als Voraussetzung der Vollstreckung einer mitgliedstaatlichen Entscheidung innerhalb der Europäischen Union.1 Die Herstellung eines einheitlichen Binnenmarktes für gerichtliche Entscheidungen, die ungeachtet nationaler Grenzen anerkannt und vollstreckt werden, wurde damit jedoch noch nicht verwirklicht. Vielmehr können die Anerkennung und Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen unter bestimmten Umständen auch weiterhin versagt oder die Vollstreckung als Folge einer notwendigen Titelanpassung verzögert werden, vgl. Artt. 45 f. EuGVVO sowie Art. 54 EuGVVO, § 1114 ZPO in Verbindung mit §§ 766 Abs. 1 S. 2, 732 Abs. 2 ZPO, §§ 793, 570 Abs. 2, 3, §§ 71, 76 GBO. Dass ein vollständiger Verzicht auf jegliche Anpassungs- und Kontrollinstrumente zum jetzigen Zeitpunkt auch dem Europäischen Normgeber zu weit gegangen wäre, lässt indes nicht darauf schließen, dass etwaige Pläne auch für die Zukunft ad acta gelegt wurden. Vielmehr sah bereits das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ausdrücklich auch die Abschaffung der Anerkennungs- und Vollstreckungsversagungsgründe, insbesondere des ordre public-Einwands, vor.2 Es steht daher zu vermuten, dass der Idealzustand eines echten Binnenmarktes für Gerichtsentscheidungen aus der Perspektive der Europäischen Kommission bislang – auch mit der Revision der EuGVVO – nicht erreicht wurde. Sie wird, im Gegenteil, auch weiterhin bestrebt sein, noch bestehende Hemmnisse der grenzüberschreitenden Vollstreckung zu beseitigen und auf einen Abbau sämtlicher zweitstaatlicher Anpassungs- oder Kontrollverfahren hinzuwirken, um eine uneingeschränkte Zirkulation mitgliedstaatlicher Urteile innerhalb des Europäischen Justizraumes zu ermöglichen.3 1
Siehe hinsichtlich der Sonderstellung Großbritanniens und Dänemarks oben, § 6 Fn. 10. ABl. EG 2001, Nr. C 12, S. 1, 5, sub A.2(a)(i); siehe nun aber auch das Stockholm-Nachfolgeprogramm, ABl. EU 2014 Nr. C 240, S. 13, welches nicht auf die Schaffung neuer, sondern die Konsolidierung bestehender Rechtsinstrumente abzielt, vgl. Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2015, 1. 3 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. EU 2012 Nr. L 201, S. 107 (nachfolgend als „EuErbVO“ bezeichnet) sowie Art. 28 EuEheVO (vgl. dazu KOM(2014) 225 endgültig) auch weiterhin ein Exequaturerfordernis vorsehen. 2
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Es stellt sich daher die Frage, ob der Europäische Normgeber einen solchen Schritt hin zur unbedingten Herstellung der Urteilsfreizügigkeit bereits mit der Neufassung der EuGVVO hätte vollziehen können.
A. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht Insofern ist vorrangig die Frage zu erörtern, ob eine Abschaffung jeglicher zweitstaatlicher Einwirkungsmöglichkeit mit höherrangigem Recht vereinbar wäre. Da es hierbei – etwas zugespitzt – um die Frage geht, ob die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre Bürger ohne jede Kontrolle im Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstadium fremden Richtern ausliefern dürfen,4 wird im Schrifttum unter Hinweis auf die Verbürgungen des Grundgesetzes5 sowie die Europäische Menschenrechtskonvention6 teilweise angenommen, dass sich ein Schuldner gegen die Vollstreckung aus einem ausländischen Urteil stets mit inländischen Rechtsmitteln zur Wehr setzen können muss. Im Vordergrund steht insoweit ganz eindeutig der Rechtsschutz des Einzelnen und damit die Verzichtbarkeit einer zweitstaatlichen Kontrollmöglichkeit.
I. Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz Zur Unterfütterung der These, die unbesehene Anerkennung und Vollstreckung ausländischer gerichtlicher Entscheidungen kollidiere mit deutschem Verfassungsrecht, wird regelmäßig Bezug auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum deutsch-österreichischen Abkommen über Rechtshilfe in Abgabesachen7 genommen. In dieser Entscheidung machte das Bundesverfassungsgericht die Vollstreckung ausländischer Titel von der Einhaltung verfassungsrechtlicher
Gleiches gilt für die Vorschläge für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts (KOM(2011) 126 endgültig) und im Bereich des Güterrechts eingetragener Lebenspartnerschaften (KOM(2011) 127 endgültig). 4 Geimer, IZPR, Rn. 3180; ders., in: Geimer/Schütze, EuZVR, Einl. EuGVVO Rn. 6; Kohler, in: Reichelt/Rechberger, Europäisches Kollisionsrecht, S. 63, 69, 77 f.; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl. EG-VollstrTitelVO Rn. 33. 5 Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 424; Geimer, Anerkennung ausländischer Entscheidungen, S. 18 ff.; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 149, 153; Stadler, IPRax 2004, 2, 8 f.; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-VollstrTitelVO Rn. 33 ff. (mwN). 6 Cuniberti, IPRax 2010, 148; Schilling, IPRax 2011, 31. 7 Gesetz über den Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 4. Oktober 1954 über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen vom 25.08.1955 (BGBl. II, S. 833).
A. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht
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Vorgaben abhängig.8 Es stellte insbesondere klar, dass sowohl die Anerkennung und die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils wie auch der Vollstreckungszugriff der deutschen Behörden die Ausübung öffentlicher Gewalt darstellten,9 so dass Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG der Einführung der generellen Vollstreckungsmöglichkeit ausländischer Vollstreckungstitel Grenzen setzen könne.10 Da Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG die Eröffnung eines Rechtsweges sowie die Gewährung effektiven Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt fordere,11 gestatte es das Grundgesetz dem deutschen Gesetzgeber nicht, „die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung von […] zu vollstreckenden ausländischen Titeln auf wenige, unter Umständen nur formelle Punkte zu beschränken und damit den wirklichen Gehalt der Entscheidung […] [inländischer12] richterlicher Überprüfung vorzuenthalten.“13 Demnach läge im Fall der Vollstreckung ausländischer Urteile auf der Grundlage einer reformierten EuGVVO, die auf sämtliche Anerkennungsversagungsgründe verzichtete, die Annahme eines Verstoßes gegen die Vorgaben des Grundgesetzes nahe. Dieser Schluss berücksichtigte jedoch nicht, dass der genannte Bundesverfassungsgerichtsbeschluss zu einem Zeitpunkt ergangen ist, in dem Art. 23 GG in seiner jetzigen Form noch nicht existierte.14 Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Maastricht,15 wurde diese Vorschrift an der Stelle der bisherigen Beitrittsklausel zugunsten der Gebiete der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik eingefügt und ermächtigte die Bundesrepublik Deutschland explizit dazu, Hoheitsrechte auf die Europäische Union zu übertragen („Souveränitätstransfer“). Daher ist der Aussagegehalt des Beschlusses, „der deutsche Gesetzgeber [könne] durch schlichte „Anerkennung“ ausländischer Entscheidungen Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unterlaufen“ und die Verfügbarkeit ausländischen Rechtsschutzes sei keine zureichende Rechtfertigung, da das „Grundgesetz […] – Art. 24 GG – nur ausnahmsweise eine Zuweisung von Hoheitsrechten, wozu auch die Gewährung staatlichen Rechtsschutzes gehöre, an nichtdeutsche Hoheitsträger [zulasse]“,16 deutlich zu relativieren.17 8
BVerfGE 63, 343, 366, 375 ff. BVerfGE 63, 343, 375. 10 BVerfGE 63, 343, 375; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 159 f. 11 Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 35; Enders, in: BeckOK-GG, Art. 19 Rn. 51; Sachs/Sachs, GG, Art. 19 Rn. 143. 12 Vgl. insoweit Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 173a. 13 BVerfGE 63, 343, 376. 14 Vgl. zur Entstehungsgeschichte und den verschiedenen (Folge-)Änderungen Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 1 f., 10. 15 Vertrag über die Europäischen Union vom 07.02.1992 (BGBl. I I S. 1253) – nach der Bekanntmachung vom 19.10.1993 (BGBl. II S. 1947) am 1.11.1993 in Kraft getreten. 16 BVerfGE 63, 343, 350 f. 17 Adolphsen, in: MünchKomm-ZPO3, Vorbem zu §§ 1079 ff. ZPO Rn. 15; Stadler, IPRax 2004, 2, 9; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 87. 9
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Durch Art. 23 GG wird der Prozess der europäischen Integration in Deutschland auf ein verfassungsrechtliches Fundament gestellt. Er erklärt die Europäische Integration zum einen zur Staatszielbestimmung18 und stellt zum anderen die verfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage für die Übertragung einzelner Hoheitsrechte auf die Europäische Union dar, wodurch er eine weitreichende Rücknahme des staatlichen Ausschließlichkeitsanspruches bewirkt.19 Durch die Übertragung von Hoheitsrechten „zur Verwirklichung eines vereinten Europas“ können auch die Gewährleistungen des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG eingeschränkt werden. Die Einschränkung der grundgesetzlichen Verbürgungen ist jedoch, wie Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verdeutlicht, keinesfalls grenzenlos zulässig. Vielmehr ist eine Abschaffung zweitstaatlicher Kontroll- und Anpassungbefugnisse nur insoweit zulässig, als sie nicht die Grenzen der Artt. 23 Abs. 1 S. 3, 79 Abs. 3, 1 und 20 GG überschreitet. Dabei ist wichtig, zu beachten, dass sich Art. 79 Abs. 3 GG ausschließlich auf die Artt. 1 und 20 GG und nicht auf sämtliche Grundrechte bezieht. Der durch die Ewigkeitsklausel gewährte Schutz umfasst mithin nicht den gesamten Grundrechtskatalog.20 Die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union stellt demnach keinen Verfassungsverstoß dar, nur weil sie Grundrechtsschutz des Einzelnen, wie zum Beispiel dessen Garantie auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, beschränkt. Gleichwohl werden die Grundrechte im Rahmen der Europäischen Integration nicht gänzlich zur Disposition gestellt. Zwar sind sie nicht direkt anwendbar, doch werden die Kernbereiche der wesentlichen Grundrechte sowohl vom Menschenwürdebegriff als auch dem Rechtsstaatsprinzip erfasst. Da die Menschenwürdegarantie (vgl. auch Art. 1 Abs. 2 GG) ohne ein Mindestmaß an Grundrechtsschutz, verbunden mit einem effektiven Rechtsschutz, leerliefe und ein Rechtsstaat im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG nicht bestehen würde, ist eine (eingeschränkte) Berufung auf die Grundrechte über diesen „Umweg“ möglich.21 Auch aus Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG, welcher das Erfordernis eines „im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtschutz[es]“ durch die Europäische Union unterstreicht, folgt, dass das Bestehen eines ausreichenden Rechtsschutzes Prämisse für die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union und damit auch für
18 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 3, 5 („Bekenntnis zur europäischen Einigung“); Heintschel von Heinegg, in: BeckOK-GG, Art. 23 Rn. 4. 19 BVerfGE, 37, 271, 280 – Solange I; 58, 1, 28 – Eurocontrol I; 59, 63, 90 – Eurocontrol II; Heintschel von Heinegg, in: BeckOK-GG, Art. 23 Rn. 3; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 3. 20 Sachs/Sachs, GG, Art. 79 Rn. 57; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 10; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 III Rn. 32. 21 Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 79 Rn. 109 ff.; Dietlein, in: BeckOK-GG, Art. 79 Rn. 29; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 79 Rn. 10; Sachs/Sachs, GG, Art. 79 Rn. 57; Zacharias, in: Wehrhafte Demokratie, S. 57, 80; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 III Rn. 32 („Ein Mindeststandard an Grundrechten ist also garantiert“).
A. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht
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die Vereinbarkeit des Verzichts auf die Kontrollmöglichkeit des Exequaturverfahrens mit dem Grundgesetz ist.22 Nichts anderes brachte das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 1986 zum Ausdruck 23 als es im Rahmen des Solange II-Beschlusses festhielt, dass es seine Gerichtsbarkeit über sekundäres Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für einen Akt der öffentlichen Gewalt in Anspruch genommen wurde, nicht mehr ausübe und entsprechende Vorlagen als unzulässig abweise, „[s]olange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, zumal den Wesensgehalt der Grundrechte generell verbürgt“24 und diese Rechtsprechung in der Bananenmarktordnung-Entscheidung bestätigte.25 Es obliegt seither dem Beschwerdeführer oder dem vorlegenden Gericht darzulegen, „dass die gegenwärtige Rechtsentwicklung zum Grundrechtsschutz im europäischen Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, den jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet.“26 Ein konkreter Grundrechtsschutz des Einzelnen wird damit nicht verlangt. Und auch einzelne Grundrechtsverletzungen fallen nicht ins Gewicht, solange der Grundrechtsschutz im Wesentlichen vergleichbar ist bzw. generell gewährleistet wird.27 Mit Blick auf den dreigleisigen Grundrechtsschutz des Art. 6 EU, die Verbindlichkeit der Europäischen Grundrechtecharta, Art. 6 Abs. 1 S. 1 EU, sowie die Rechtsprechung des EuGH zu den Erfordernissen effektiven Rechtsschutzes und dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist daher kaum damit zu rechnen, dass das BVerfG ein Absinken des generellen Grundrechtsstandards in der Europäischen Union seit dem Solange II-Beschluss annehmen und die Abschaffung der Kontrollmöglichkeiten des Exequaturverfahrens für mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unvereinbar halten wird.28 Dies hat zur Folge, dass die Vorgaben des Grundgesetzes 22 R. Wagner, IPRax 2002, 75, 87; Hess, IPRax 2001, 389, 394; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 257 f.; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-VollstrTitelVO Rn. 35; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 23 Rn. 80. 23 Der Verfassunggeber hat sich bei der Formulierung des Art. 23 Abs. 1 S. 1 GG an der Solange-Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 37, 271; 73, 339) orientiert, vgl. BT-Drucks. 12/6000, S. 21 li.Sp. Vgl. zu dieser Rechtsprechung Weidemann, NVwZ 2006, 623; P. Huber, AöR 116 (1991), 210; Hofmann, in: Festschrift f. Steinberger, S. 1207; F. Kirchhof, in: Festschrift f. Herzog, S. 155; Scholz, NJW 1990, 941. 24 BVerfGE 73, 339, Leitsatz 2 (Hervorhebung durch den Verfasser). 25 BVerfGE 102, 147, Leitsätze 1 und 2 – Bananenmarktordnung. 26 BVerfGE 102, 147, 161 – Bananenmarktordnung. 27 Pabst, Entscheidungszuständigkeit, Rn. 72; Dilger, Regelungen zur internationalen Zuständigkeit in Ehesachen, Rn. 386; Herdegen, Europarecht, § 10 Rn. 29; Limbach, EuGRZ 2000, 417, 420; Hirsch, NJW 2000, 1817, 1818 f. 28 R. Wagner, IPRax 2002, 75, 87; Stein, IPRax 2004, 181, 186; Hess, IPRax 2001, 389, 394;
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
realiter keinen Maßstab für die Beurteilung europäischer Rechtsakte mehr darstellen. Ähnliches dürfte damit für das bisweilen ebenfalls ins Feld geführte29 Demokratieprinzip gelten.30 Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass auch das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung des Demokratieprinzips bereits im oben erwähnten Beschluss zum deutsch-österreichischen Abkommen über Rechtshilfe in Abgabesachen unter Verweis auf die offene Staatlichkeit der Bundesrepublik und eine andernfalls drohende völkerrechtliche Isolation ablehnte.31 Sowohl die staatliche Souveränität – in Form des Rechtsprechungsmonopols – als auch das Demokratieprinzip können mithin nicht der Abschaffung einer nachgelagerten zweitstaatlichen Kontrollmöglichkeit entgegengehalten werden und ein „Schutzschild für den Bürger“,32 in diesem Fall insbesondere den Schuldner, darstellen.
II. Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention Daneben kommt eine Überprüfung der Verordnung am Maßstab der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht. Da die Europäische Union, trotz Art. 6 Abs. 2 EUV, mangels Beitritt nach wie vor nicht an die EMRK gebunden ist, scheidet eine unmittelbare Kontrolle der Verordnung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus. Die Möglichkeit der mittelbaren Überprüfung ergibt sich jedoch aus der umfänglichen Bindung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die EMRK: Die Vollstreckung eines ausländischen Urteils auf der Grundlage der EuGVVO ist als hoheitlicher Akt eines KonAdolphsen, in: MünchKomm-ZPO3, Vorbem zu §§ 1079 ff. Rn. 15; Geimer, IZPR, Rn. 3180a; ders., in: Geimer/Schütze, EuZVR, Einl. EuGVVO Rn. 6 ff.; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 160; Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 17 EG-UntVO Rn. 9; Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 110 Anh Rn. 91; a. A. Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 160; Stadler, IPRax 2004, 2, 9; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 280; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 689 f.; Schack, in: Festschrift f. Leipold, 317, 333; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-VollstrTitelVO Rn. 35. 29 Bruns, JZ 1999, 278, 286; Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 672; zum Demokratieprinzip im Europäischen Ziviprozessrecht, vgl. M. Weber, Europäisches Prozessrecht und Demokratieprinzip, passim. 30 Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 676 ff.; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-VollstrTitelVO Rn. 33; Geimer, ZfRV 1992, 401, 404. 31 BVerfGE 63, 343, 369 f. Auch BVerfGE 89, 155 – Maastricht und BVerfGE 123, 267 – Lissabon, nach denen das Wahlrecht des Einzelnen nicht durch eine zu weitgehende oder zu unbestimmte Kompetenzübertragung auf die EU zu einer leeren Hülse verkommen darf (vgl. insoweit Herz, JA 2009, 573 ff.), ändern an diesem Ergebnis nichts. 32 Geimer, ZfRV 1992, 401, 403; ders., IZPR, Rn. 3180a. Siehe insoweit auch BVerfGE 73, 339, 374 – Solange II wonach es möglich ist, „die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland derart zu öffnen, daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland für ihren Hoheitsbereich zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb dieses Hoheitsbereichs Raum gelassen wird.“
A. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht
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ventionsstaates – auch wenn sie in Anwendung des Unionsrechts erfolgt – der Kontrolle durch die EMRK unterworfen,33 so dass die Konventionskonformität der EuGVVO auf diesem Wege (mit-)überprüft werden kann. Aus menschenrechtlicher Sicht diente das Exequaturverfahren vor allem dazu, die Vereinbarkeit der zu vollstreckenden Urteile mit der EMRK sicherzustellen.34 Hieran knüpfen die Artt. 45 der neugefassten EuGVVO an. Verzichtete man nun jedoch für die Zukunft auf eine derartige Kontrollmöglichkeit, könnte dies die Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach sich ziehen, (auch) konventionswidrige Entscheidungen zwangsweise durchzusetzen, wodurch sie den im Urteilsstaat erfolgten Konventionsverstoß perpetuierten und damit selbst konventionswidrig handelten. Der Konventionsverstoß läge bei ungeprüfter Vollstreckung eines ausländischen Urteils darin, dass sich der Vollstreckungsstaat in zurechenbarer Weise die Beeinträchtigung elementarer rechtsstaatlicher Verfahrensprinzipien im Erkenntnisverfahren im Urteilsstaat „zu Eigen macht“.35 Demnach müsste der Vollstreckungsstaat schon zur Sicherstellung der Achtung der EMRK eine Eingriffsmöglichkeit beibehalten.36 Einer (nachgelagerten) Menschenrechtskontrolle im Vollstreckungsstaat bedarf es indes dann nicht, wenn der Urteilsstaat selbst an die Konvention gebunden ist; denn in diesem Fall ist bereits die Beschwerdemöglichkeit zum Straßburger Gerichtshof eröffnet.37 Art. 6 EMRK gibt den Signatarstaaten mithin zwar auf, dafür Sorge zu tragen, effektiven Rechtsschutz im Urteilsstaat zu gewährleisten, dies erfordert jedoch keine Doppelung dieses Schutzes durch die Gerichte des Vollstreckungsstaates.38 Vor dem Hintergrund, dass sämtliche Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die EMRK gebunden sind, stieße der Verzicht auf eine nachgelagerte Kontrolle, wie sie bislang im Rahmen des Exequaturverfahrens erfolgte und nunmehr durch die Artt. 45 f. EuGVVO gewährleistet wird, auf keinerlei menschenrechtliche Bedenken. Selbst wenn man dem nicht folgte,39 wäre die Bosphorus-Rechtsprechung des EGMR zu berücksichtigen. Danach wird zugunsten der Unionsrecht anwenden33
Pabst, Entscheidungszuständigkeit, Rn. 181; Schilling, IPRax 2011, 31. EGMR v. 20.07.2001, Nr. 30882/96, Slg. 2001-VIII – Pellegrini/Italien; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 293; Schilling, IPRax 2011, 31, 33; ders., Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 521; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 129 ff. 35 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 293 f.; ders., in: Reichelt/Rechberger, Europ. Kollisionsrecht, S. 63, II.3., IV.2; Schilling, IPRax 2011, 31, 34. 36 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 293 f.; ders., in: Reichelt/Rechberger, Europ. Kollisionsrecht, S. 63, II.3., IV.2. 37 Stein, IPRax 2004, 181, 187 mit Verweis auf EGMR v. 20.07.2001, Nr. 30882/96, Slg. 2001VIII, Tz. 40 – Pellegrini/Italien. 38 Hess, IPRax 2001, 301, 304 f.; ders., in: Festschrift f. Gottwald, S. 273, 277 unter Hinweis auf EGMR v. 18.06.2013, Nr. 3890/11 – Povse/Österreich; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 87 f.; Stein, IPRax 2004, 181, 187; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 5 EuVTVO Rn. 13; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 805 f.; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 464 ff. 39 So bspw. Schilling, IPRax 2011, 31, 34; ähnlich Fawcett, ICLQ 56 (2007), 1, 5, 43. 34
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
den Konventionsstaaten vermutet, dass sie in Einklang mit der EMRK handeln, sofern der Schutz der in der Konvention verkörperten Menschenrechte nicht offenkundig unzureichend ist.40 Der EGMR verzichtet, wie auch das Bundesverfassungsgericht, auf eine Grundrechtsprüfung solange und soweit ein von der Europäischen Union vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährt wird.41 Unabhängig davon, ob man in der Vollstreckung eines konventionswidrigen, aus einem Signatarstaat stammenden Urteils einen Verstoß gegen die EMRK erblicken möchte, stünde diese der Abschaffung einer vollstreckungsstaatlichen Kontrollmöglichkeit daher nicht entgegen.
III. Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Abschaffung einer zweitstaatlichen Kontrolle sowohl mit den Vorgaben des Grundgesetzes als auch denen der EMRK zu vereinbaren wäre.42 Auch der Einwand, Art. 67 AEUV schütze die Vielfalt in der europäischen Union, dem als Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips bereits in der Kompetenzzuweisung des Art. 81 Abs. 2 AEUV Rechnung getragen wird, steht einer Abschaffung zweitstaatlicher Kontrollmöglichkeiten nicht entgegen.43
B. (Voll-)Harmonisierung der Rechtsordnungen Daneben44 gilt weithin die (Voll-)Harmonisierung der Rechtsordnungen als Prämisse für die Abschaffung einer zweitstaatlichen Kontrolle oder Korrektur.45 Da die im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr auftretenden Probleme in aller Regel aus der uneinheitlichen Rechtskultur und den verschiedenen Sach- und Ver40 EGMR v. 30.06.2005, Nr. 45036/98, NJW 2006, 194, §§ 154–156 – Bosphorus/Irland; EGMR v. 06.12.2012, Nr. 12323/11, NJW 2013, 3423 – Michaud/Frankreich m. Anm. Vondung, EuR 2013, 688 ff. Vgl. zudem zum Verhältnis zwischen EuGH und EGMR Rudolf, AnwBl. 2011, 153, 158; Kokott/ Sobotta, EuGRZ 2010, 265, 266; Vondung, AnwBl 2011, 331, 333; Baumann, EuGRZ 2011, 1. 41 Pabst, Entscheidungszuständigkeit, Rn. 186; Schilling, IPRax 2011, 31, 34 f. 42 Ebenso BGH, Beschl. v. 24.04.2014 – VII ZB 18/13, Rn. 26. 43 Kompetenzrechtliche Bedenken negierend Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 46 (Fn. 26). 44 Die Frage nach der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht – verfassungsrechtlich begründete Souveränitätsvorbehalte ausgeklammert – stellte sich im Falle der Vollharmonisierung schon gar nicht. 45 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 285 f.; ders., IPRax 2003, 401; Pfeiffer, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 75, 79; Kohler/Pintens, FamRZ 2009, 1529, 1531; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 64; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 192 f. Auch die Kommission geht im Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig, davon aus, dass die Abschaffung des Exequaturverfahrens eine vorherige Harmonisierung der autonomen Rechtsordnungen voraussetzt, vgl. KOM (2009) 175 endgültig, S. 3.
B. (Voll-)Harmonisierung der Rechtsordnungen
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fahrensrechten der Mitgliedstaaten resultieren,46 ist anzunehmen, dass mit der Schaffung eines einheitlichen und harmonisierten Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem das Prozessergebnis unabhängig vom Ort des Forums stets gleich ausfällt, auch die Notwendigkeit einer nachgeschalteten Überprüfung oder Anpassung im Vollstreckungsstaat – wie dies bislang in Form des Exequaturverfahrens geschah – entfiele.47 Allerdings ist ein „kohärentes Ganzes“, das einen Verzicht auf jegliche zweitstaatliche Kontrolle ermöglichte, noch nicht zu erkennen.48 Der europäische Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wächst zwar unaufhörlich,49 doch weisen die einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ungeachtet aller Harmonisierungsfortschritte und Konvergenzen weiterhin erhebliche Unterschiede auf.50 Bereits aufgrund der eingeschränkten Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union51 ist eine vollständige Rechtsangleichung auch in naher Zukunft nicht zu erwarten.52 Hinzu kommen neben der – aufgrund der Sonderrollen Dänemarks,53 des Vereinigten Königreichs und Irlands54 – im europäischen Prozessrecht ohnehin angelegten Gefahr der Rechtszersplitterung,55 der Rückgriff auf das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit, nach Art. 20 EUV und Artt. 326–334 AEUV56 46 Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 242 f.; Stadler, IPRax 2006, 2, 6. Siehe zudem Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 539; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 460. 47 Ähnlich Kohler, NJW 2001, 10, 15; ders., ZSR 2005 II, 263, 289; ders., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 159; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 690; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 243; Hess, JZ 2001, 573, 578. 48 Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 526. 49 Vgl. M. Stürner, Jura 2015, 813 ff. 50 Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 202; Kohler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, Diskussion zu den Referaten Oeter und Stadler, S. 211, 228; ders., ZSR 2005 II, 263, 282; ders., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 159; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 690; R. Stürner, in: Festschrift f. Schumann, S. 491 ff.; Hess, EuZPR, § 13 Rn. 8 ff.; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 524 f. 51 Vgl. das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 7 AEUV. Hiernach bedarf jeder Rechtsakt der Europäischen Union einer Rechtsgrundlage, die sich explizit aus dem europäischen Primärrecht ergibt. Der EU mangelt es mithin an einer Kompetenz-Kompetenz. Vorliegend kommt lediglich Art. 81 AEUV als Rechtsgrundlage in Betracht, welcher jedoch nur die Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug erfasst. 52 Ebenso Stein, IPRax 2004, 181, 185 („St. Nimmerleinstag“); siehe auch Teubner, MLRL 1998, 11, 12, der die Bedeutung unterschiedlicher Wirtschaftsverständnisse in diesem Zusammenhang hervorhebt. Vgl. zudem zur Kodifikation eines Europäischen Kollisionsrechts, Kieninger, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 184 ff. 53 Vgl. ABl. EU 2008 Nr. C 115, S. 299: Protokoll Nr. 22 „Über die Position Dänemarks“. 54 Vgl. ABl. EU 2008 Nr. C 115, S. 299: Protokoll Nr. 21 „Über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“. 55 Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1, 2; dies., IPRax 2010, 1, 9; ähnlich auch Hess, in: Festschrift f. Leipold, S. 237, 239 („Abgestufte Integration“) und S. 245. 56 Vgl. insoweit die Ausarbeitung der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20. Dezember 2010 zur Durchführung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehe-
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
sowie die divergierende Umsetzung des Unionsrechts,57 die der Gewährleistung einheitlicher Prozessergebnisse zuwiderlaufen. Überdies stehen der Beseitigung existenter Unterschiede in Details der Verfahrensgestaltung, im Rollenverständnis von Richtern und Anwälten sowie im Beweisrecht58 sowohl ideologische als auch praktische Hindernisse entgegen. Zum einen ist zu bedenken, dass Gerichte bzw. die Gerichtsorganisation einen Teil der Staatsorganisation und der Verfassung bilden und fremde Einflüsse in diesem Bereich eine Bedrohung für die Staatsidentität darstellen könnten. Diesbezüglich ist nur ein Blick auf das common law zu werfen, dessen Verdrängung durch die Judikatur des EuGH die Euroskepsis der englischen Juristen immer weiter bestärkt hat.59 Zum anderen darf bei der praktischen Umsetzung nicht vergessen werden, dass, wollte man eine vollkommene Harmonisierung zur Verwirklichung des Binnenmarktes erreichen, sämtliche Prozessabläufe innerhalb der Europäischen Union identisch geregelt werden müssten. Die alleinige Angleichung normativen Rechts genügte dafür nicht.60 Denn eine wirkliche Uniformität der Verfahren ist schon deshalb nicht erreichbar, weil es sich bei Prozessrecht in hohem Maße um „lebendes Recht“61 – oder im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch „law in action“ – handelt und dem Richter notwendigerweise Gestaltungsspielräume belassen bleiben müssen. Inwieweit er von diesen Gebrauch macht, wird immer „von seinem individuellen Temperament, seiner kulturellen Herkunft und Sozialisation abhängen“ – deshalb werden Prozesse in Südeuropa trotz eines vereinheitlichten Verfahrensrechtes anders ablaufen als beispielsweise in skandinavischen Gebieten.62 Die bestehenden Unterschiede in der Prozesskultur können daher nur in
scheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2010 Nr. L 343, S. 10. Siehe hierzu Pietsch, NJW 2012, 1768. Beteiligt sind folgende Staaten: Litauen, Italien, Deutschland, Belgien, Malta, Portugal, Estland, Ungarn, Österreich, Slowenien, Rumänien, Bulgarien sowie Frankreich. Griechenland zog seinen Antrag an die Europäische Kommission am 3. März 2010 zurück. 57 Vgl. hierzu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 23; Pfeiffer, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 75, 79. 58 Vgl. hierzu ausführlich Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 202; Kohler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, Diskussion zu den Referaten Oeter und Stadler, S. 211, 228; ders., ZSR 2005 II, 263, 282. Zum Beweisrecht: Nagel/ Bajons, Beweis – Preuve – Evidence, S. 815 ff. 59 Vgl. nur Andersson, EBLR 2006, 747; Harris, EuLF 2008, I-181 ff.; Briggs, ZSR 2005 II, 231 ff.; Andrews, GPR 2005, 8 ff. (S. 9 „agonizing jurisdictional farce“); Mance, (2004) LQR 120, 357, 363; Fentiman, (2004) CLJ 63, 312, 313 f.; Dutta/Heinze, EuZW 2007, 489; Hess, EuZPR, § 3 Rn. 37 – siehe zudem unten, § 7.C.II.1.c. 60 Gilles, Prozeßrechtsvergleichung, S. 25 ff., 38 ff.; Hess, EuZPR, § 13 Rn. 17; vgl. zudem Raiser, Grundlagen der Rechtssoziologie, S. 239 ff. 61 Ehrlich, Gesetz und lebendes Recht, S. 228 ff. 62 Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 202 (Zitat); Gilles, ZZPInt 7 (2001), 3, 24; Hess, EuZPR, § 13 Rn. 8 ff.
C. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
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einem langsamen, insbesondere auf Sachargumenten und Überzeugung gründenden Prozess ausgeglichen werden.63
C. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung I. Allgemeines In dem Bewusstsein, dass eine vollständige Angleichung der nationalen Rechtsordnungen nicht zu erreichen ist, wurde schließlich der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung64 zum „inhaltlichen Leitprogramm“ des Europäischen Zivilverfahrensrechts erklärt,65 um auf dieser Grundlage einen europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu errichten.66 Das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung wurde, als Ausdruck der Gleichwertigkeit rechtlicher und technischer Regeln in den Mitgliedstaaten und damit des wechselseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten in den Inhalt und die Zuverlässigkeit ihrer Rechtssysteme, ursprünglich zur Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit entwickelt.67 Der Grundsatz untersagt die Beschränkung oder die Kontrolle der Vermarktung von Waren und spricht diesen eine uneingeschränkte Verkehrsfähigkeit zu, sofern sie nach den Regeln eines Mitgliedstaates in den Verkehr gebracht wurden und ihrer Vermarktung keine „zwingenden Erfordernisse“68 entgegenstehen.69 Auf diese Weise gewährleistet das Anerkennungsprinzip die Durch63 Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 203. Dies haben mittlerweile auch die Europäischen Organe erkannt. Sie stellen im Stockholmer Programm sowie dessen Nachfolgeprogramm (Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 17024/09 bzw. ABl. EU 2014 Nr. C 240 S. 13; dazu R. Wagner, IPRax 2014, 469 ff.; ders., ZEuP 2015, 1 ff.) fest, dass zur Förderung einer echten europäischen Rechtskultur eine systematische Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Justizbediensteten zu EU-bezogenen Fragen sowie eine bessere praktische Zusammenarbeit zwischen den Partnerländern erforderlich und primär auf die einheitliche Anwendung, wirksame Umsetzung sowie Konsolidierung bestehender Rechtsinstrumente als die Schaffung neuer Rechtsinstrumente hinzuwirken sei. In diesem Zusammenhang ist auch die Gründung des European Law Institutes zu sehen, vgl. Graf von Westphalen, ZIP 2011, 1555 f.; Schulte-Nölke, ZGS 2011, 337; Wicke, DNotZ 2011, 803 ff. 64 Kritisch hinsichtlich der Terminologie: Matthies, in: Festschrift f. Steindorff, S. 1287, 1294. 65 Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 6 (Zitat); Hess, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Recht der EU, Art. 81 AEUV Rn. 31–34. Siehe auch Artt. 81 und 67 Abs. 4 AEUV. 66 Vgl. die Schlussfolgerungen des Vorsitzes Europäischer Rat (Tampere), 15./16.10.1999, Tz. 33, 34. 67 Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651, 664, 666; Waldhoff, IStR 2009, 386, 392; Streinz, Europarecht, Rn. 941 ff., 960. 68 Darunter sind insbesondere die Erfordernisse einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes zu fassen, vgl. EuGH, Urt. v. 20.02.1979, Rs. 120/78, Slg. 1979, 649, Ls. 2 – Cassis de Dijon. – Gleiches gilt selbstverständlich auch für die im AEUV genannten Rechtfertigungstatbestände. 69 Weißbuch der Kommission zur Vollendung des Binnenmarktes an den Europäischen Rat vom 28./29. Juni 1985, KOM (85) 310 endgültig, Rn. 11 ff.; Mitteilung der Kommission über die
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
setzung der Warenverkehrs- und ihr folgend der übrigen Grundfreiheiten70 im Binnenmarkt ohne die Notwendigkeit einer Rechtsharmonisierung.71 Die Übertragung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf den Bereich der justiziellen Zusammenarbeit zielte damit primär auf die Beseitigung bestehender Hemmnisse des freien Verkehrs gerichtlicher Entscheidungen ab.72 Gerichtliche Entscheidungen sollten ebenso wie Waren oder Dienstleitungen „frei“ in der Europäischen Union zirkulieren und ihre Wirkungen im Anerkennungsstaat im gleichen Maße wie im Ursprungsstaat entfalten (sog. Herkunftslandprinzip).73 Das Anerkennungsprinzip fungierte in der Folge schon bald als Legitimation einer reduzierten Überprüfung ausländischer Entscheidungen74 und förderte die Herstellung der Urteilsfreizügigkeit und damit die Verwirklichung eines einheitlichen, europäischen Justiz- und Vollstreckungsraumes.75 Zwar war die Erstreckung der Urteilswirkungen auch schon Kern der EuGVVO a. F., vgl. Art. 33 EuGVVO a. F., allerdings galt dies nicht für die Vollstreckungswirkung. Diese wurde nicht automatisch anerkannt, sondern war dem fremden Urteil erst durch eine konstitutive Entscheidung im Vollstreckungsstaat zu verleihen.76 Die Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung galt daher, aus der Warte der Europäischen Kommission, als zwangsläufig zu beseitigende Beschränkung des freien Urteilsverkehrs.77 Mit der Neufassung der EuGVVO wurde sie nunAuswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 20.02.1979 in der Rechtssache 120/78 („Cassis de Dijon“), ABl. EG 1980 Nr. C 256, S. 2; Mansel, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 1, 10; ders., RabelsZ 70 (2006), S. 653, 666. 70 Vgl. zur Übertragung des zunächst im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit entwickelten Anerkennungsprinzips auf die übrigen Grundfreiheiten: EuGH, Urt. v. 04.12.1974, Rs. 41/74. Slg. 1974, 1337, 1347 – Van Duyn/Home Office; Urt. v. 21.06.1974, Rs. 2/74, Slg. 1974, 631, 649 ff. – Reyners/Belgien; Urt. v. 03.12.1974, Rs. 33/74, Slg. 1974, 1299, 1310 ff. – van Binsbergen/Bedrijfsvereniging Metaalnijverheid. 71 Waldhoff, IStR 2009, 386, 392; Mansel, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 1, 10; Michaels, Anerkennungspflichten, S. 224, 274 ff.; J. Becker, DVBl 2001, 855, 856; Dauses/Brigola, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. C. I., Rn. 117. 72 Vgl. hierzu das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. C 12, S. 1 und das Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl. EU 2005 Nr. C 53, S. 1; siehe auch Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 154; ders., ZSR 2005 II, 263, 266 ff.; Willer, ZZP 127 (2014), 99, 103 f. 73 Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 155; ders., IPRax 2003, 401; ders., ZSR 2005 II, 263, 283; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 64. Vgl. zur Anerkennung einzelner Rechtstatbestände im europäischen Familienrecht Heiderhoff, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 127 ff. 74 Vgl. die Erwägungsründe Nr. 16 und 17 zur EuGVVO a. F.; Erwägungsgrund Nr. 19 zur EuVTVO; Erwägungsgrund Nr. 21 zur Brüssel IIa-VO. 75 Bittmann, Vom Exequatur zum qualifizierten Klauselerteilungsverfahren, S. 23; Pfeiffer, BauR 2005, 1541; Frattini, ZEuP 2006, 225, 226; Stadler, IPRax 2004, 2, 3; dies., RIW 2004, 801, 802. 76 Art. 38 Abs. 1 EuGVVO a. F. in Verbindung mit dem AVAG. Siehe oben, § 1, § 4.B. 77 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. C 12, S. 1; Mitteilung
C. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung
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mehr abgeschafft und eine weitere Hürde auf dem Weg zur Schaffung eines Europäischen Binnenmarktes für Gerichtsentscheidungen genommen. Bereits zuvor wurde dieser Schritt bei Erlass sektoriell begrenzter Verordnungen vollzogen und weitgehend auf eine zweitstaatliche Kontrolle verzichtet, vgl. Artt. 5, 20 EuVTVO, Art. 19 EuMahnVO und Art. 21 EuGFVO.78 Entgegen der festzustellenden Rechtsetzungsdynamik im Europäischen Zivilverfahrensrecht79 bleibt die revidierte EuGVVO aber hinter dem in diesen Bereichen erreichten Zustand zurück.80 Im Rahmen der Begrenzung zweitstaatlicher Einwirkungsbefugnisse ist jedoch zweierlei zu bedenken: Zum einen mag die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die Begrenzung der zweitstaatlichen Kontrolle für die oben dargestellten und sektoriell begrenzten Verordnungen angemessen sein; zum Beispiel weil der Schuldner, der sich seines Schutzes begibt auch dementsprechend weniger schutzwürdig ist, weil die Existenz eines vereinfachten Verfahrens notwendig ist, um die Geltendmachung bestimmter Forderungen nicht faktisch unmöglich zu machen oder weil die Interessen eines Unterhaltsberechtigten in der Regel stärker zu gewichten sind, als die des Verpflichteten.81 Eine solche Schutzwürdigkeitsasymmetrie im Verhältnis Gläubiger – Schuldner existiert im Anwendungsbereich der EuGVVO jedoch nicht, denn sie erfasst sämtliche Zivil- und Handelssachen und nicht nur unstreitige oder geringfügige Forderungen. Zum anderen gilt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der in der Rechtsprechung des EuGH einer fünften Grundfreiheit gleichzukommen scheint,82 nicht uneingeschränkt und wird insbesondere durch den Beklagtenschutz als gegenläufiges Regelungsprinzip eingeschränkt.83 Eine umfassende Gleichstellung von nationalen mit ausländischen Titeln im Anwendungsbereich der EuGVVO ist daher an die Einhaltung gewisser Voraussetzungen zu knüpfen.84 Insoweit hat bereits der EuGH in der Entscheidung Casder Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament „Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union“, ABl. EG 1998 Nr. C 33, S. 3; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 64; Kohler, IPRax 2003, 401, 402; ders., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147 ff. 78 Vgl. oben § 3.D.III. 79 Vgl. oben § 3, § 4 (am Anfang). 80 Vgl. oben § 6.I. und III. 81 Vgl. die Beschränkung der EuVTVO auf unbestrittene Forderungen, Art. 3 EuVTVO mit Erwägungsgrund Nr. 5 zur EuVTVO; Erwägungsgründe Nr. 6, 7 zur EuMahnVO mit KOM(2002) 746 endgültig, S. 9 f.; Erwägungsgründe Nr. 7, 8 zur EuGFVO mit KOM(2002) 746 endgültig, S. 50; Erwägungsgründe Nr. 9, 10 zur EuUnthVO mit KOM(2004) 254 endgültig, S. 19. 82 Hess, EuZPR, § 3 Rn. 15; ders., IPRax 2001, 301; Lopez-Tarruella, EuLF 2–2000/01, 122, 123; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 292. 83 EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 43 – Krombach/Bamberski; Urt. v. 11.06.1985 – Rs. 49/84, Slg. 1985, 1779, Rn. 10 – Debaecker und Plouvier; Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659, Rn. 80 f. – Schmidberger; Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9606, Rn. 35 – Omega Spielhallen. 84 Ebenso Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 64; Beaumont/Johnston, JPIL 2010, 249, 277.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Dijon85 festgelegt, dass Kernprämisse des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung die Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen ist.86 Eine gegenseitige Anerkennung unter Verzicht auf zweitstaatliche Kontrolle und Anpassung ist infolgedessen ausschließlich dann zu legitimieren, wenn eine rechtsstaatliche Äquivalenz in den einbezogenen nationalen Rechtsordnungen hergestellt ist. sis de
II. Kritik Unter Hinweis auf den fortgeschrittenen Europäischen Integrationsprozess sehen die Europäischen Institutionen die Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen als gegeben an und lassen sie, im Zusammenspiel mit dem gegenseitigen Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege der Mitgliedstaaten, als Kernprinzip des Europäischen Zivilverfahrensrechts,87 als ausreichende Rechtfertigung für den Verzicht auf zweitstaatliche Kontrollverfahren genügen.88 Diese Vorgehensweise ist jedoch keineswegs frei von Kritik. Insbesondere wird die Prämisse des Vertrauens in die Äquivalenz der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, auf der das Anerkennungspinzip beruht, von weiten Teilen der Literatur in Zweifel gezogen.89 Sie führen an, dass es schwer vorstellbar sei, dass Vertrauen 85
EuGH, Urt. v. 20.02.1979 – Rs. 120/78, Slg. 1979, 649 – Cassis de Dijon. als Grundvoraussetzung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung: EuGH, Urt. v. 09.03.1978, Rs. 106/77, Slg. 1976, 1871, 1887 – Simmenthal; Urt. v. 18.01.1979, verb. Rs. 110 und 111/78, Slg. 1979, 35, 54 – van Wesemael; Urt. v. 17.12.1981, Rs. 271/80, Slg. 1981, 3305, 3325 f. – Webb; Urt. v. 28.01.1986, Rs. 188/84, Slg. 1986, 419, 436 – Kommission/Frankreich; „Vollendung des Binnenmarktes“, Weißbuch der Kommission an den Rat, KOM (85) 310 endgültig, Nr. 61, 63–65. Darüber hinaus Nessler, NVwZ 1995, 863, 864; Müller-Graff, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, EU-/EG-Vertrag5, Art. 30 EGV Rn. 191; Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 533; Mansel, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 1, 10; Michaels, Anerkennungspflichten, S. 224. 87 Vgl. bereits § 3.D.III; Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 540. 88 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, ABl. EG Nr. C 33, S. 3 ff., Rn. 20; Erwägungsgrund Nr. 18 zur EuVTVO; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 805; M. Stürner, GPR 2010, 43, 44; Kohler, IPRax 2003, 401, 406; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 459 f.; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 201. Vgl. hierzu auch Stein, IPRax 2004, 181, 185, der darauf hinweist, dass eine vollständige Vereinheitlichung nicht als Bedingung für eine Abschaffung des Exequaturverfahrens angesehen werden könne, weil die vollständige Vereinheitlichung des gesamten Zivil- und Handelsrechts nie auch nur im Entferntesten eine Zielsetzung der Europäischen Union gewesen sei und es wohl auch kaum sein werde. Eine Verschiebung auf den Zeitpunkt eine kompletten Rechtsangleichung käme seiner Meinung deswegen einem Aufschub zum St. Nimmerleinstag gleich. 89 H. Roth, IPRax 2006, 466; Windolf/Zemmrich, JuS 2007, 803, 805; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 285; M. Stürner, GPR 2010, 43, 44; Stadler, IPRax 2004, 2, 6 ff.; dies., RIW 2004, 801, 803 ff.; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 15; Adolphsen, in: MünchKomm-ZPO, Vorbemerkung zu VO (EG) 805/2004 Rn. 7 f.; relativierend Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2010, 1, 3 („ein generelles Misstrauen ist nicht mehr gerechtfertigt“). 86 Gleichwertigkeit
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entstehen könne, so lang es nur von oben vorgegeben werde und es sich die andere Seite nicht „verdient habe“. Schließlich könne Vertrauen nur sukzessive wachsen, wenn es kontinuierlich bestätigt werde.90 Darüber hinaus liefert auch die Praxis immer wieder Ansatzpunkte, die der These der rechtsstaatlichen Äquivalenz entgegengehalten werden können. Ein gutes Beispiel stellen in diesem Zusammenhang Konstellationen im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeiten im europäischen Justizraum dar, die neben der Abschaffung des Exequaturverfahrens, Anlass zur Überarbeitung der EuGVVO gaben.91 1. forum shopping und Torpedoklagen Das Bestehen mehrerer Gerichtsstände, gepaart mit großzügigen Anerkennungsregeln sowie die Verschiedenheit des Sach- und Kollisionsrechts können einem internationalen Entscheidungseinklang entgegenstehen und, da es primäres Interesse einer Partei ist zu obsiegen, Anreize zu strategischem Verhalten setzen.92 Das systematische Ausnutzen mehrerer nebeneinander existierender Zuständigkeiten93 wird gemeinhin mit dem Begriff des forum shopping beschrieben.94 Der Kläger macht in diesen Fällen von seinem Recht Gebrauch, unter mehreren international zuständigen Gerichten dasjenige auszuwählen, das die für ihn günstigste Entscheidung treffen wird. Für die Auswahl eines bestimmten Gerichts können unterschiedlichste Kriterien maßgeblich sein. Neben verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen können auch rein faktische Gründe im Rahmen der Entscheidung in Betracht gezogen werden. Insbesondere die Nähe zu einem Gericht, dessen Besetzung, die Gerichtssprache, die Schnelligkeit, Qualität und Kosten des Verfahrens, günstige Beweismöglichkeiten95 sowie die Aussichten für die Zwangsvollstreckung und schließlich die Erfolgsaussichten in der Sache aufgrund des anzuwendenden materiellen Recht können von Bedeutung sein.96 Zwar ist gemein anerkannt, dass ein Anwalt verpflichtet ist, seinem Mandanten zu empfehlen, die Klage in dem Staat zu erheben, vor dessen Gerichten das Kla90 Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 540 f.; Schack, IZVR, Rn. 123; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 75. 91 Vgl. Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig. 92 Geimer, IZPR, Rn. 1095, 1099; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, § 5 Rn. 157. 93 Kropholler, IPR, § 58 VI 1; ders., in: Festschrift f. Firsching, S. 165; Schack, IZVR, Rn. 251; Patzina, in: MünchKomm-ZPO, § 12 Rn. 103; M. Völker, FF 2009, 443; Buchner, Kläger- und Beklagtenschutz, S. 90 ff. stellt jedoch den in der Wahl des Gerichtsstandes liegenden Vorteil in Frage. 94 Kropholler, IPR, § 60 IV 7; Hess, JZ 2001, 573, 579; Coester-Waltjen, in: Festschrift. f. Beys, S. 183, 191; Koch, in: Festschrift f. Beys, S. 733, 737; Schwartze, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 415. 95 Willer, ZZP 127 (2014) 99, 108 ff. 96 Kropholler, IPR, § 58 VI 1; ders., in: Festschrift f. Firsching, S. 165; Schack, IZVR, Rn. 254 f.; McGuire, ZfRV 2005, 83, 86.
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gebegehren die größte Chance auf Erfolg hat,97 so dass sogar „eine Pflicht des Rechtsanwalts zum forum shopping“ besteht;98 forum shopping ist mithin als legitime Folge der europäischen Jurisdiktionenvielfalt anzusehen und das klägerische Bestreben, die zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten voll auszunutzen, nicht zu tadeln.99 Dennoch ist mit dieser Prozesstaktik ein gewisses Unbehagen verbunden. Denn auch wenn forum shopping im Grundsatz als legitim anzusehen ist, benachteiligt es konstrunktionsbedingt den (potentiell) Beklagten und vermittelt so den Eindruck, dass der Kläger durch das Ausnutzen der (verbleibenden) Unterschiede zwischen den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten die angestrebte Chancengleichheit zwischen dem materiell-rechtlich Fordernden und seinem Gegner zu Fall bringt.100 Der potentielle Schuldner verfügt zwar auch über die Möglichkeit, negative Feststellungsklage zu erheben und damit das anwendbare Recht zu bestimmen, doch befindet er sich – psychologisch betrachtet – in einer völlig anderen Position. Da von ihm etwas begehrt wird, wartet er normalerweise ab, ob er tatsächlich mit einer Klage überzogen wird, und berät sich oft auch erst dann mit seinem Anwalt. Die Erhebung einer negativen Feststellungsklage zum Zwecke des forum shopping setzt deshalb ein besonderes Maß an Rechtskunde sowie Prozessbereitschaft voraus.101 Selbst wenn man die Chancengleichheit gewährleistet sähe, müsste man davon ausgehen, dass aufgrund der gleichen Möglichkeiten zum forum shopping, ein Wettlauf der Parteien zu den verschiedenen Gerichten einsetzt, weil derjenige im Vorteil wäre, der eine Klage bei einem ihm günstigen Gericht zuerst anhängig macht. Dies wäre ein rechtspolitisch unerwünschtes Ergebnis.102 Des Weiteren wäre es auch unter sozialstaatlichen Gesichtspunkten erstrebenswert, die Möglichkeiten des forum shopping auf das unvermeidliche Minimum zu begrenzen, denn in der Regel wird die Partei, die sich im Rahmen des forum shopping oder sich aufgrund ebenjenem durchsetzt, die schnellere und besser anwaltlich vertretene sein. Nicht selten handelt es sich dabei um diejenige Partei, die auch wirtschaftlich stärker ist.103
97 Geimer, IZPR, Rn. 1096; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, § 5 Rn. 164; Siehr, ZfRV 1984, 124, 141; M. Völker, FF 2009, 443, 444. 98 BGH NJW 1961, 601; NJW 1994, 1472, 1474; Schack, IZVR, Rn. 253; Geimer, IZPR, Rn. 1096; Patzina, in: MünchKomm-ZPO, § 12 Rn. 103. 99 Kropholler, IPR, § 58 VI 2; ders., in: Festschrift f. Firsching, S. 165 f.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157, 158; Schwartze, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 415, 417. 100 Kropholler, in: Festschrift f. Firsching, S. 165, 169; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, § 5 Rn. 157; Schwartze, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 415, 417. 101 Kropholler, in: Festschrift f. Firsching, S. 165, 169; allgemein zu den denkbaren Reaktionen des Beklagten Geimer, IZPR, Rn. 1108 ff. 102 Kropholler, in: Festschrift f. Firsching, S. 165, 169; Heiderhoff, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 127, 135; differenzierend Schwartze, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 415, 418 mit Hinweis auf den sog. Delaware-Effekt. 103 M. Völker, FF 2009, 443, 448; Kropholler, in: Festschrift f. Firsching, S. 165, 169.
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Aus diesen Gründen wird die Möglichkeit zum forum shopping zunehmend als unbefriedigend empfunden,104 weshalb ihr auf unionsrechtlicher Ebene durch eine Harmonisierung des Kollisionsrechts entgegenzuwirken versucht wird.105 Aber auch eine vollständige Vereinheitlichung des Internationalen Privatrechts könnte allenfalls einen – zugegebenermaßen starken – Anreiz zum forum shopping nehmen,106 dieses Phänomen aber nicht gänzlich beseitigen.107 Schließlich stellt die Wahl eines günstigen Sachrechts nicht das einzige Motiv für die bewusste Entscheidung zugunsten eines konkreten Forums dar,108 was nachhaltig durch das größte dem forum shopping anhaftende Problem unterstrichen wird. Angesprochen sind hiermit die nicht zu leugnenden mit dem forum shopping verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten, die dort zu Tage treten, wo die Wahl des Forums an Hand prozessfremder Kriterien getroffen wird, d. h. solcher, die ausschließlich darauf abzielen den Rechtsschutz des Prozessgegners zu beeinträchtigen.109 Als Beispiel sind hier insbesondere die sog. Torpedoklagen zu nennen. Im Falle einer solchen Klage bedient sich eine Partei bewusst einer „trägen“ Jurisdiktion, um durch Anrufung eines Gerichts in einem Mitgliedstaat mit bekannt langer Verfahrensdauer die Geltendmachung von Leistungs- oder Schutzansprüchen des anderen Teils wesentlich zu verzögern oder gar zu vereiteln.110 Ziel ist es also nicht, selbst Rechtsschutz zu erlangen, sondern primär, den Rechtsschutz für den Gegner zu blockieren. Der Torpedokläger macht sich insoweit den weiten Streit104 McGuire, ZfRV 2005, 83, 87; Dasser, ZSR 2000, 253, 272; von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, § 5 Rn. 157; Schack, IZVR, Rn. 251. 105 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 zur ROM II-VO, die explizit der Begrenzung des forum shoppings dienen soll. 106 Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 411; Kropholler, in: Festschrift f. Firsching, S. 165, 171 f.; Hess, NJW 2000, 23, 24; Schwartze, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 415, 422 f. Theoretisch ließe sich die divergierende Ermittlung des anwendbaren Rechts auch durch die Einrichtung eines einheitlichen Systems ausschließlicher Gerichtsstände beseitigen. Das für einen bestimmten räumlich-territorialen Sachverhalt ausschließlich zuständige Gericht könnte dann sein jeweiliges IPR anwenden. Einer divergierenden Beurteilung wäre dadurch vorgebeugt, dass nur ein Gericht angerufen werden könnte. Ein solches System verbietet sich freilich aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit sowie der Zugänglichkeit und Effektivität des Rechtsschutzes, die nur unter der Voraussetzung eines Systems konkurrierender partei- und sachverhaltsnaher Zuständigkeiten erreichbar sind und ließe somit wesentliche Partei- und Verfahrensinteressen außer Betracht. Vgl. Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 92 f., 479 ff.; ders., in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 75, 78; Kropholler, in: Festschrift f. Firsching, S. 165, 170; Geimer, IZPR, Rn. 1103. 107 Juenger, RabelsZ 46 (1982), 708, 712; Schack, IZVR, Rn. 258; McGuire, ZfRV 2005, 83, 87; dies., Verfahrenskoordination, S. 20 ff. 108 Siehe oben, § 7 Fn. 96, 107. 109 Schack, IZVR, Rn. 258; McGuire, ZfRV 2005, 83, 87; Sujecki, GRUR Int 2012, 18; vgl. zur kollisionsrechtlichen Frage der Rechtswahlfreiheit Rühl, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 364, 366 f. unter Verweis auf Neuhaus, Grundbegriffe des IPR, S. 257 („Die Parteiautonomie verliert ihren Sinn, […] wenn sie zur Herrschaft des Stärkeren über den Schwächeren wird“). 110 Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157; Thode, BauR 2005, 1533, 1534; Sujecki, GRUR Int 2012, 18; Teixeira de Sousa, in: Festschrift f. Kaissis, S. 1017 ff.
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gegenstandsbegriff und die Rigorosität der Rechtshängigkeitssperre des Art. 29 EuGVVO (ex-Art. 27 EuGVVO a. F.) zu Nutze und beeinträchtigt auf diese Weise den Rechtsschutz des Anspruchsinhabers.111 a. Rechtshängigkeitssperre gem. Art. 29 EuGVVO Besteht nach den Vorschriften eines Gesetzes oder eines vergleichbaren Regelungswerkes die Möglichkeit, dass verschiedenen Gerichten die Zuständigkeit zur Beilegung eines Rechtsstreits zufällt, so bedarf es Vorschriften über die Beachtlichkeit der Rechtshängigkeit eines (anderen) Verfahrens. Diese Aufgabe fällt in der EuGVVO den Artt. 29–34 EuGVVO zu. Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs anhängig gemacht, hat das später angerufene Gericht das Verfahren nach Art. 29 Abs. 1 EuGVVO, unabhängig davon, ob es das Ausgangsgericht für zuständig hält,112 auszusetzen bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht.113 In Deutschland erfolgt die Verfahrensaussetzung entsprechend § 148 ZPO, die Wirkungen der Aussetzung richten sich nach § 249 ZPO.114 Sobald sich das zuerst angerufene Gericht für zuständig erklärt, weist das später angerufene Gericht die Klage ab, vgl. Art. 29 Abs. 3 EuGVVO. Nur wenn sich das Erstgericht für unzuständig erklärt, kann das Zweitverfahren wieder aufgenommen werden. Durch dieses Prioritätsprinzip werden Parallelverfahren vor den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten mit der daraus resultierenden Gefahr divergierender Entscheidungen vermieden.115 Gleichzeitig wird aber auch die Möglichkeit geschaffen, durch eine schnelle Klageerhebung das Forum zu bestimmen.116 Damit ist bereits die Kehrseite dieser „mechanischen Regelung“ angesprochen: Sie er111
McGuire, ZfRV 2005, 83, 87 f; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157, 158. Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, 399, 405; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 19; Schlosser, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 10; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rn. 30; Thode, BauR 2005, 1533, 1534; C. Thiele, RIW 2004, 285, 287. Siehe aber EuGH, Urt. v. 03.04.2014, Rs. C-438/12, NJW 2014, 1871 – Irmengard Weber/Mechthilde Weber: Das später angerufene Gericht hat, ehe es das Verfahren aussetzt, zu prüfen, ob der Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts wegen eines Verstoßes gegen Art. 22 Abs. 1 EuGVVO a. F. (nun Art. 24 Abs. 1 EuGVVO) gem. Art. 35 Abs. 1 EuGVVO a. F. (nun Art. 45 Abs. 1 lit. e), ii) EuGVVO) die Anerkennung zu versagen wäre, vgl. hierzu Nordmeier, IPRax 2015, 120 ff.; Kern, IPRax 2015, 318 ff. 113 Eine Ausnahme sieht Art. 31 Abs. 2 EuGVVO für den Fall einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vor. Hiernach genießt das prorogierte Gericht – losgelöst vom Prioritätsgrundsatz – Vorrang. 114 Dohm, Einrede ausländischer Rechtshängigkeit, S. 185 f.; Goebel, ZZPInt 7 (2002), 39, 41 ff. 115 EuGH, Urt. v. 08.12.1987, Rs. 144/86, Slg. 1987, 4861 – Gubisch/Palumbo; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 1; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 27 VO (EG) 44/2001 Rn. 1; Grothe, IPRax 2004, 83; ders., IPRax 2004, 205; Thode, BauR 2005, 1533, 1534. 116 Thode, BauR 2005, 1533, 1534; P. Huber, JZ 1995, 603, 606; Juenger, in: Festschrift f. Schütze, S. 317, 321; Geimer, IPRax 2004, 505. 112
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öffnet die Möglichkeit, die Rechtshängigkeitssperre zu instrumentalisieren, um die Inanspruchnahme effektiven Rechtsschutzes durch den Gegner zu verhindern.117 Dies ist insbesondere deshalb möglich, weil selbst die Klage vor einem offenkundig unzuständigen Gericht – zum Beispiel die Erhebung einer Patentverletzungsklage vor einem Verwaltungsgericht – jede weitere Klage in derselben Sache bis zur Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts über dessen Zuständigkeit sperrt.118 b. Europäischer Streitgegenstandsbegriff Die Rechtshängigkeitssperre des Art. 29 EuGVVO erstreckt sich auf sämtliche Klagen „wegen desselben Anspruchs“. Betroffen sind folglich alle Rechtsschutzverfahren, die sich auf den gleichen Streitgegenstand beziehen. Ausgehend vom Zweck des Art. 29 EuGVVO, der Vermeidung divergierender Entscheidungen im europäischen Justizraum, hat der EuGH den Begriff „desselben Anspruchs“ extensiv und losgelöst von den nationalen Rechtsordnungen ausgelegt. Nach der von ihm angewandten Kernpunkttheorie ist „derselbe Anspruch“ und damit ein identischer Streitgegenstand bereits dann gegeben, wenn es in den „konkurrierenden Klagen“ im Kern um denselben Streit – d. h. um die Rechtsfolgen aus ein und demselben Sachverhalt – geht. Ein identischer Streitgegenstand ist dementsprechend auch bei Klagen auf Erfüllung eines Kaufvertrages und auf Feststellung seiner Unwirksamkeit gegeben.119 Dies hat zur Folge, dass eine zuerst erhobene negative Feststellungsklage im Verhältnis zur nachfolgenden Leistungsklage Sperrwirkung entfaltet.120 c. Zwischenergebnis Die wechselseitige Anerkennung eines laufenden mitgliedstaatlichen Zivilrechtsstreits ist, als Ausfluss des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten in die 117
Grothe, IPRax 2004, 205, McGuire, ZfRV 2005, 83; Mance, (2004) LQR 120, 357. zur Klageerhebung wegen behaupteter Patentrechtsverletzung vor dem Verwaltungsgericht: BVerwG NJW 2001, 1513 = IPRax 2004, 112 dazu McGuire, ZfRV 2005, 83, 88; Dasser, ZSR 2000, 253, 263. 119 EuGH, Urt. v. 09.12.1987, Rs. 144/86, Slg. 1987, 4861 – Gubisch/Palumbo; Urt. v. 06.12.1994, Rs. C-406/92, Slg. 1994, I-5439, Rn. 37 ff. – Tatry/Maciej Rataj. Kritisch diesbezüglich Fentiman, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Introduction to Arts. 27–30 Rn. 50 ff.; Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 1, 26 ff. Der europäische Streitgegenstandsbegriff ist damit weiter als der des deutschen Rechts, vgl. BGH NJW 1989, 2064; 1994, 3107, 3108; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 35; Zöller/Greger, ZPO, § 256 Rn. 16. 120 BGHZ 134, 201; OLG München EWS 1994, 106; OLG Hamm IPRax 1995, 104, 108, Linke, RIW 1988, 822, 824; Rauscher, IPRax 1985, 317, 319; Lenenbach, EWS 1995, 361. Anders im deutschen Recht, in dem eine Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis für eine negative Feststellungsklage entfallen lässt, vgl. Becker-Eberhard, in: MünchKomm-ZPO, § 256 Rn. 61 (mwN). 118 Vgl.
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grundsätzliche Äquivalenz der jeweiligen Justizgewährleistungen,121 notwendig für die Vermeidung von Parallelverfahren im europäischen Zivilprozessrecht. Gleichwohl dokumentiert die Rechtstatsächlichkeit, dass das Zusammenspiel von Art. 29 EuGVVO und der Kernpunkttheorie zu ernsthaften Verwerfungen führen kann.122 Denn die postulierte Gleichwertigkeit aller Gerichte im Europäischen Binnenmarkt basiert insoweit auf einer Fiktion, als sie die großen tatsächlichen Differenzen im Hinblick auf die Geschwindigkeit einer Bearbeitung von Anträgen und Klagen schlichtweg ignoriert.123 Da bestimmte Jurisdiktionen regelmäßig erst nach Ablauf von mehreren Jahren zu einer Entscheidung gelangen, wird der effektive Rechtsschutz des einzelnen auf diese Weise konterkariert.124 Üblich ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf die italienische Gerichtsbarkeit, gegen die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in den vergangenen Jahren einige hundert Verurteilungen ausgesprochen hat, weil sich Zivilverfahren dort im Einzelfall bis zu 26 Jahre hinauszögerten.125 Durch die mechanische Funktionsweise der Rechtshängigkeitssperre ist der Gläubiger im Extremfall für Jahrzehnte „gefangen“ und hat keine reale Chance, mit seiner Leistungsklage zum Erfolg zu kommen.126 Das Dogma von der Gleichwertigkeit der Justizgewährung erweist sich dann als evident verfehlt.127 Verstärkt wurde die Gefahr der Rechtlosstellung überdies durch die Rechtsprechung des EuGH in der Sache Gasser /MISAT.128 Durch die Entscheidung, dass der Beklagte auch mit den Einwänden einer bestehenden Gerichtsstandsvereinba121 Vgl. EuGH, Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693 Rn. 73 – Gasser/MISAT; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157, 158; Taschner, EWS 2004, 494, 498; Andrews, GPR 2005, 8, 14. 122 Ebenso Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, 399, 400; Dietze/Schnichels, EuZW 2004, 717, 720. 123 Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 412; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 202; Andrews, GPR 2005, 8, 9; Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461, 468; Kohler, in: Baur/ Mansel, Systemwechsel, S. 149, 156; Stadler, IPRax 2004, 2, 7; a. A. Stein, IPRax 2004, 181 ff. 124 Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157, 158, 165. 125 Grigolli, BRAK-Mitt. 2003, 8, nach dem ein erstinstanzliches Verfahren in Italien durchschnittlich 623 und ein zweitinstanzliches Verfahren 645 Tage dauert. Aber auch belgische, französische und portugiesische Verfahren weisen regelmäßig eine überlange Verfahrensdauer auf. Dass auch deutsche Gerichte nicht immer in einem angemessenen Zeitraum zu einer Entscheidung gelangen, zeigt der Erlass des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (BGBl. I Nr. 60, S. 2302), vgl. dazu Dietrich, ZZP 127 (2014), 169 ff. – siehe ferner das EU-Justizbarometer, COM(2013) 160 final, S. 6 ff. 126 Grothe, IPRax 2004, 205, 206; Simons, EuLF 2003, 289 f.; Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 413; Mankowski, IPRax 2009, 23, 24; Hess, EuZPR, § 6 III, Rn. 165 spricht von einem („(kostengünstigen) Justizkredit“). Vgl. das abschreckende Beispiel OLG München RIW 1998, 631 mit Anm. Mankowski, EWiR 1998, 977; ders., EWiR 2004, 439, 440. 127 Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 27 VO (EG) 44/2001 Rn. 5; Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461, 468. 128 EuGH, Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693, Rn. 43, 47, 72 – Gasser/MISAT mit Anm. Mankowski, EWiR 2004, 439 f.; Schilling, IPRax 2004, 294 ff.; siehe nun aber EuGH, Urt. v. 03.04.2014, Rs. C-438/12, NJW 2014, 1871 – Irmengard Weber/Mechthilde Weber.
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rung zugunsten eines anderen Forums129 oder einer (im Allgemeinen)130 überlangen Verfahrensdauer im angerufenen Forum131 durchzudringen vermag,132 begünstigte der Europäische Gerichtshof die effektive Nutzung der dem europäischen System der Verfahrenskoordinierung inhärenten Missbrauchspotentiale133 und verdeutlichte damit, dass die von der Europäischen Union mit dem Prioritäts-
129 Vgl. für den Fall der Gerichtsstandsvereinbarung nun aber Art. 31 Abs. 2 EuGVVO – zur Wirksamkeit dieser Regelung siehe S. 147. 130 Die Klägerin hat ihr Begehren auf eine allgemeine Prognose und nicht auf die Tatsache gestützt, dass das konkrete Verfahren unverhältnismäßig lang andauert. Dies hebt auch Schilling, IPRax 2004, 294, 295, 298 hervor. 131 BGH IPRax 1986, 293 und BGH NJW 2002, 2795, 2796 deuteten an, dass die Sperrwirkung des Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVVO a. F. im Fall einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Rechtsschutzes mit Blick auf Art. 6 EMRK durchaus entfallen könnte. Dagegen OLG München RIW 1998, 631. Der EuGH hat Ausnahmen bisher auch bei überlanger Verfahrensdauer explizit abgelehnt, denn sie verstießen gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes in den Mitgliedstaaten, vgl. EuGH, Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693 – Gasser/MISAT; Urt. v. 08.12.1987, Rs. 144/86, Slg. 1987, 4861 – Gubisch/Palumbo. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH in der Entscheidung Gasser/MISAT lediglich den Fall zu beurteilen hatte, dass im Forumsstaat im Allgemeinen eine überlange Verfahrensdauer zu erwarten war. Der anders gelagerte Fall, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 6 EMRK, Art. 103 Abs. 1 GG) konkret beeinträchtigt wurde, lag dem EuGH bislang noch nicht vor, so dass es auch nach wie vor möglich erscheint, dass in einer solchen Konstellation Art. 6 EMRK zu einer veränderten Auslegung der Rechtshängigkeitssperre zwingen würde. Für einen Entfall der Rechtshängigkeitssperre (zumindest in Extremfällen) votiert die überwiegende Auffassung in der Literatur: Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 58; ders., NJW 1984, 527, 529; Schlosser, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 12; Goebel, ZZPInt 7 (2002), 39, 46; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 27 VO (EG) 44/2001 Rn. 5; Mankowski, EWiR 2004, 439, 440; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 18; Grothe, IPRax 2004, 205, 210; Taschner, EWS 2004, 494, 496 ff. Dagegen: C. Thiele, RIW 2004, 285, 287; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 130 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 21. Mit Verweis auf den einstweiligen Rechtsschutz in anderen Mitgliedstaaten Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224 (Fn. 58). Einen Ansatz, der nicht an dem Mangel der Unbestimmtheit, den die Berufung auf Art. 6 EMRK zwangsläufig mit sich bringt, krankt, könnte die Überlegung darstellen, die Rechtshängigkeitssperre dann entfallen zu lassen, wenn eine spätere Anerkennung der Entscheidung ohnehin ausschiede, so beispielsweise bei einem Verstoß gegen zwingende Zuständigkeitsvorschriften, vgl. Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO; ähnlich Briggs/Rees, Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 5.48 und nun EuGH, Urt. v. 03.04.2014, Rs. C-438/12, NJW 2014, 1871 – Irmengard Weber/ Mechthilde Weber. 132 So auch die Befürchtung des Vereinigten Königreichs, EuGH, Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693, Rn. 61 f. – Gasser/MISAT. Vgl. zudem OLG München RIW 1998, 631 mit Anm. Mankowski, EWiR 1998, 977; Thode, BauR 2005, 1533, 1539; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 58; Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461, 467 f.; Mankowski, EWiR 2004, 439, 440. A.A. C. Thiele, RIW 2004, 285, 288 mit Verweis auf Rechtsschutzmöglichkeiten im Erststaat und die Möglichkeit den EGMR anzurufen. 133 Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, 399, 429; Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23, 31 f.; McGuire, ZfRV 2005, 83, 87 f; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157, 158; Mankowski, EWiR 2004, 439.
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prinzip angestrebte Rechtssicherheit in nicht hinnehmbaren Umfang zu Lasten der Einzelfallgerechtigkeit gehen kann.134 Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass traditionelle Rechtsinstitute des common law, wie die anti-suit injunction,135 die seit jeher für Gerechtigkeit und Billigkeit im englischen Prozess standen, vom EuGH als mit der Europäischen Zuständigkeitsordnung unvereinbar erklärt wurden und damit jedwede Bedeutung in der Europäischen Union verloren,136 nahm die Skepsis gegenüber der Effektivität und Angemessenheit des Europäischen Zivilprozessrechts namentlich in Großbritannien zu. Aus der Warte des common law schien es als könne dem EuGH der Erlass vorausschauender und verantwortungsvoller Entscheidungen nicht mehr zugetraut werden, hatte es doch den Anschein als sei er unwillig, praktische Überlegungen und die Belange der Parteien mit in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen137 und honoriere den Bruch vertraglicher Vereinbarungen sowie missbräuchliches Prozessieren.138 134 Grothe, IPRax 2004, 83; Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23, 27; Blobel, GPR 2005, 140, 142; Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 199; Mankowski, RIW 2004, 481, 587 ff.; zurückhaltender Hess, EuZPR, § 6 III, Rn. 168 mit Hinweis auf die Möglichkeit der Widerklage und des (parallelen) einstweiligen Rechtsschutzes. Anders C. Thiele, RIW 2004, 285, 286 ff., 288 f. 135 Es handelt sich dabei um ein richterlich angeordnetes Prozessführungsverbot, das der adressierten Partei sowohl die Einleitung als auch die Fortführung eines Verfahrens im Ausland untersagen kann, vgl. Maack, Englische antisuit injunctions, passim. Das Institut der anti-suit injunction hat seinen historischen Ursprng im einstigen Konkurrenzverhältnis zwischen dem English Court of Chancery und den Gerichten des common law. Das Verbot, ein Verfahren vor einem common law-Gericht fortzuführen, begründete die (prozessuale) Vorrangstellung der auf Einzelfallgerechtigkeit bedachten equity des English Court of Chancery vor dem common law. Durch die Anwendung der strikten und formalen Regeln des common law kam es oft zu als ungerecht empfundenen Urteilen, gegen die der englische König schon früh die Möglichkeit eröffnete sich an ihn zu wenden, um diese zwar dem Gesetz entsprechenden Urteile auf der Grundlage der equity (= Billigkeit) aufzuheben. Im 19. Jahrhundert wurde die als umständlich erscheinende Trennung von common law und equity jedoch aufgegeben und mit den Judicature Acts die common law courts und der Court of Chancery miteinander verbunden, vgl. Maack, Englische antisuit injunctions, S. 34, Kurth, Inländischer Rechtsschutz gegen Verfahren vor ausländischen Gerichten, S. 13 ff. 136 EuGH, Urt. v. 27.04.2004, Rs. C-159/02, Slg. 2004, I-3565 – Turner/Grovit mit Anm. Krause, RIW 2004, 533. 137 Harris, EuLF 2008, I-181, I-185; Hartley, Recueil des Courses 319 (2006), 9, 183. Auch der Heidelberg Report räumt ein, dass die EuGH-Rechtsprechung mit den Gerechtigkeitsvorstellungen aus dem Bereich des common law nur schwer vereinbar ist, vgl. Weller, in: Hess/Pfeiffer/ Schlosser, The Brussels I-Regulation, Rn. 374. 138 Harris, EuLF 2008, I-181, I-185; Andrews, GPR 2005, 8, 14 f.; Briggs, ZSR 2005 II, 231, 241, 261 („the law is made to serve man, not man to serve the law. In the end, one has to ask who gains from a rule which allows contract-breakers to get away with, either for long enough to put pressure on their co-contractors, or for ever, and which removes an English court’s right to prevent it summarily“); ders., (2004) LQR 120, 532 („European law means that an English court may not order specific enforcement of English jurisdiction agreements, and must (in a case like Turner, at least) protect the integrity of its proceedings from an abusive litigant by waiting for a Spanish court to supply remedy. It is a state of affairs which makes one rub one’s eyes in disbelief. But along with
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Dies wirkte dem Entstehen eines gegenseitigen Vertrauens, welches von den europäischen Institutionen stets vorausgesetzt wurde, entgegen und führte zu Überlegungen, die Folgen der Rechtsprechung des EuGH durch den Rückgriff auf nationale Rechtsinstrumente zu begrenzen.139 Aufgrund der hohen praktischen Bedeutung der Gerichtsstandsvereinbarung im grenzüberschreitendem Rechtsverkehr und mangels einer Art. 31 Abs. 2 EuGVVO vergleichbaren Regelung stand vor allem die Frage im Fokus der Debatte, ob Gerichtsstandsvereinbarungen auch nach der Gasser-Entscheidung des EuGH noch effektiv, zum Beispiel durch Erhebung einer Schadensersatzklage, durchgesetzt werden konnten.140 Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass weder die zur Rechtfertigung des Anerkennungsgrundsatzes herangezogene rechtsstaatliche Äquivalenz der mitgliedstaatlichen Gerichte noch ein etwaiges, darauf aubauendes gegenseitiges Vertrauen realiter bestehen. Vielmehr verdeutlicht die Rechtstatsächlichkeit, wozu ein stures Beharren auf dem Vertrauensgrundsatz führen kann: es zeitigt kontraproduktive Effekte und führt zu einer Abwendung vom europäischen Grundgedanken und einer Wiedererstarkung der nationalen Rechtsordnungen. Exkurs: Vertragliche Schadensersatzansprüche bei Verstoß gegen Gerichtsstandsvereinbarungen Durch eine Gerichtsstandsvereinbarung können die Parteien eines Zivilverfahrens die örtliche und/oder sachliche Zuständigkeit eines Gerichts begründen, sog. Prorogation, oder die (im Grunde bestehende) Zuständigkeit eines Gerichts ausschließen, sog. Derogation.141 Dies gestattet es den Parteien, später auf das langwierige Prüfen möglicher Gerichtsstände zu verzichten, erzeugt Rechtssicherheit und minimiert das Risiko paralleler Prozessführung (sog. forum planning). Außerdem soll auf diese Weise erpresserischen Klagen, die das Hauptverfahren torpedieren und nur dem Zweck dienen, Vergleichsdruck aufzubauen, möglichst frühzeitig entgegengewirkt werden.142 Ausgehend von dem Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung könnte man annehmen, dass es sich bei ihr um einen (materiell-rechtlichen) Vertrag handelt. pounds and ounces, there are no anti-suit injunctions in Utopia“); ders., Civil Jurisdiction and Judgments, Rn. 5.48. 139 Vgl. zum englischen Recht Harris, EuLF 2008, I-181 ff., u. a. unter dem Stichwort „the common law fights back“. Mit Beispielen aus mehreren europäischen Staaten, Pitz, GRUR Int 2001, 32 ff. 140 Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 6.71; ders., ZSR 2005 II, 231, 256 ff.; Tham, [2004] LMCLQ 46; Harris, EuLF 2008, I-181, I-188; Merret, (2006) 55 ICLQ 315, 326 f.; Mankowski, IPRax 2009, 23, 26 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 13. 141 Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 38 Rn. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 38 Rn. 2; Bendtsen, in: HkZPO, § 38 Rn. 1. 142 Köster, Haftung wegen Forum Shopping, S. 79; Mankowski, IPRax 2009, 23; ders., in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Vor Art. 2 Brüssel I-VO, Rn. 20h; ders., in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 1.
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Geht man nun davon aus, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung typischerweise eine Derogationskomponente – also die Verpflichtung, nicht vor einem ausgeschlossenen Gericht zu klagen – beinhaltet, wäre hierin ein Anknüpfungspunkt für einen vertraglichen Schadensersatzanspruch nach deutschem Recht zu erblicken. Denn nach der zentralen Haftungsnorm des Schuldrechts, § 280 BGB, hat der Schuldner, der eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis in zu vertretender Weise verletzt, dem Gläubiger den hieraus entstehenden Schaden zu ersetzen.143 Fraglich ist jedoch, ob Gerichtsstandsvereinbarungen tatsächlich als materiell-rechtliche Verträge anzusehen sind bzw. ob sie Pflichten im Sinne des § 280 BGB enthalten. Hiergegen könnte man einwenden, dass Gerichtsstandsvereinbarungen zuvörderst prozessuale Wirkungen entfalten und allein verfügend wirken, indem sie die Zuständigkeit oder Unzuständigkeit eines Gerichts unmittelbar herbeiführen.144 Obwohl sich das Zustandekommen sowie die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung unbestritten nach den einschlägigen materiell-rechtlichen Vorschriften bestimmen,145 lehnt die überwiegende Ansicht dementsprechend eine materiell-rechtliche Qualifikation146 ebenjener zugunsten der Annahme eines Prozessvertrages ab.147 Die Wirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung erschöpfe sich vielmehr darin, auf die gerichtliche Zuständigkeit einzuwirken und begründe daher keine einklagbare Verpflichtung, (nicht) vor einem bestimmten Gericht zu klagen.148 Dieser Folgerung liegen die Prämissen zugrunde, dass ein Prozessvertrag nicht verpflichten kann, weil dem Prozessrecht Pflichten wesensfremd sind,149 143 Generell wendet man auf alle vom Prozessrecht nicht geregelten Aspekte einer Gerichtsstandsvereinbarung materielles Recht an, siehe statt aller Zöller/Vollkommer, ZPO, § 38 Rn. 5 ff. (mwN). 144 Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozeß, 40, 100; Kropholler, in: Hdb. IZVR I, Kap. III, Rn. 168; Schack, IZVR, Rn. 862; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 769 ff.; ders., in: Facetten des Verfahrensrechts, S. 77; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 257 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 6 Rn. 305; Mankowski, IPRax 2009, 23, 26 f.; de Lousanoff, ZZP 105 (1992), 111, 114; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 38 Rn. 4; a. A. Geimer, IZPR, Rn. 1716 f. (mwN); siehe auch Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 25 Brüssel Ia-VO, Rn. 243 ff. 145 BGHZ 49, 384, 387; BGHZ 59, 23, 27; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 37 Rn. 2; Stein/Jonas/Bork, ZPO, § 38 Rn. 51; Patzina, in: MünchKomm-ZPO, § 38 Rn. 11. 146 So jedenfalls für die vorprozessuale Gerichtsstandsvereinbarung: BGHZ 49, 384, 387; 59, 23, 27; BGH NJW 1971, 323 („Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen“); Wirth, NJW 1978, 460, 461, 464; Bendtsen, in: Hk-ZPO, § 38 Rn. 3. 147 Str., BGHZ 59, 23, 26; BGH NJW 1997, 2885, 2886; 1989, 1432; 1986, 1439; Stein/Jonas/ Bork, ZPO, § 38 Rn. 50; Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozeßhandlung, S. 229, 279; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 34 f.; Patzina, in: MünchKomm-ZPO, § 38 Rn. 11; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 37 Rn. 2; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 38 Rn. 4; Vollkommer, NJW 1974, 196; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozeß, S. 40; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 557. 148 Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozeß, S. 96, 100; Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozeßhandlung, S. 221; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 34; G. Wagner, Prozeßverträge, S. 254; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 38 Rn. 4. 149 Anders Geimer, IZPR, Rn. 1716–1718. Auch der Klagerücknahmevertrag, die Vereinbarung nicht im Urkundenprozess zu klagen, Vereinbarungen über Rechtsmittelrücknahme oder den Ver-
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und dass materielles Recht und Zivilprozessrecht zu trennende Rechtsgebiete sind.150 Ein right not to be sued abroad könne damit nicht aus einer Gerichtsstandsklausel abgeleitet werden. Gleichwohl ist es verfehlt, der Vereinbarung allein auf der Grundlage der Einordnung als Prozessvertrag a priori jegliche Verpflichtungswirkung abzusprechen. Natürlich ist niemand verpflichtet, am prorogierten Gericht zu klagen. Dennoch ist es nicht von vornherein ausgeschlossen der Derogation als negativer Verfügungswirkung auch, insbesondere im internationalen Rechtsverkehr,151 eine Verpflichtungswirkung zuzuerkennen.152 Allerdings ist insoweit darauf hinzuweisen, dass nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass die im Rechtsverkehr üblichen Gerichtsstandsvereinbarungen stets und ohne Weiteres eine zusätzliche Verpflichtung enthielten, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslöste.153 Daher ist stets im Einzelfall nachzuweisen, dass die geschilderten Rechtsfolgen dem tatsächlichen oder hypothetischen (Rechtsbindungs-) Willen der Parteien entsprechen.154 Die Frage, inwieweit der Bruch einer Gerichtsstandsvereinbarung eine Schadensersatzpflicht auszulösen vermag, ist mithin eine Frage der (Vertrags-)Auslegung. Es ist daher für die beteiligten Parteien zur Stärkung der Vereinbarung empfehlenswert, eine ausdrückliche Schadensersatz- oder Vertragsstrafeklausel mit in den Vertrag aufzunehmen.155 Daneben ist aber auch zu beachten, dass Gerichtsstandsvereinbarungen zumeist in ein umfassendes Vertragswerk eingebettet sind und § 241 Abs. 2 BGB die Parteien dazu verpflichtet, die Interessen und Rechte des jeweiligen Vertragspartners zu achten und ihn nicht durch vertragswidriges Verhalten zu schädigen. Dies zeigt, dass selbst für den Fall, dass man der Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich prozessuale, verfügende Wirkung beimessen wollte, die Möglichkeit einer Schadensersatzpflicht besteht. zicht auf künftige Rechtsmittel zeigen, dass eine Verpflichtung zu einem bestimmten Prozessverhalten sehr wohl übernommen werden kann. 150 Köster, Haftung wegen Forum Shopping, S. 83; Sax, ZZP 67 (1954), 21, 52 f.; Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, S. 45 ff. 151 Köster, Haftung wegen Forum Shopping, S. 84; J. Schröder, in: Festschrift f. Kegel, S. 523, 531; Kurth, Inländischer Rechtsschutz, S. 60 f.; Jasper, Forum Shopping in England und Deutschland, S. 126 f.; Schlosser, in: Facetten des Verfahrensrechts, S. 111, 115 f. mit Hinweis auf bestehende Kostenrisiken. 152 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 66 II 2; Gottwald, in: Festschrift f. Henckel, S. 295, 308; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 168; Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, S. 224; J. Schröder, in: Festschrift f. Kegel, S. 523, 531 f.; Baum, in: Herausforderungen des internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 185, 195; Hau, Positive Kompetenzkonflikte, S. 203. 153 G. Wagner, Prozessverträge, S. 257; Spickhoff, in: Festschrift f. Deutsch, S. 327, 335; a. A. Köster, Haftung wegen Forum Shopping, S. 86; Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, S. 224; Schlosser, in: Facetten des Verfahrensrechts, S. 111, 118 f. zumindest hinsichtlich internationaler, ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen. 154 G. Wagner, Prozessverträge, S. 257; Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, S. 224; Spickhoff, in: Festschrift f. Deutsch, S. 327, 335. 155 Ebenso Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, S. 227; Mankowski, IPRax 2009, 23, 27.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Neben der Frage, ob aus der Gerichtsstandsvereinbarung überhaupt eine schuldvertragliche Verpflichtung folgt, kommt der Frage nach der Rechtswidrigkeit des in Frage stehenden Verhaltens eine besondere Bedeutung zu: Handelt eine Partei, die sich eines rechtsstaatlich eingerichteten Verfahrens bedient, rechtswidrig? Die Rechtsprechung verneint die Rechtswidrigkeit, wenn der Bürger ein von der Rechtsordnung zur Austragung von Streitigkeiten vorgesehenes Verfahren einleitet, weil der freie Zugang zu den Gerichten nicht durch Haftungsrisiken beschränkt werden dürfe.156 Dem treten jedoch weite Teile der Literatur entgegen. Sie sehen im Vertragsbruch bzw. im Fall einer unzulässigen Rechtsausübung sehr wohl eine rechtswidrige Handlung und bejahen damit auch einen Schadensersatzanspruch.157 Auch wenn die Zahl derer, die die Zulässigkeit solcher Schadensersatzklagen wegen Verletzung einer – zumindest internationalen – Gerichtsstandsklausel befürwortet, wächst, vermittelt dieser Abschnitt doch einen guten Eindruck davon, dass die Möglichkeit einer Schadensersatzklage wegen Verletzung einer Gerichtsstandsklausel in Deutschland mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden und der Erfolg einer solchen Klage keineswegs gewiss ist.158 Anders verhält es sich hingegen im Geltungsbereich des common law, welches für derartige „secondary claims“ eine gewisse Empfänglichkeit zeigt.159 Dort ist unbestritten, dass eine Partei auf Schadensersatz wegen Vertragsbruches (breach of contract) klagen kann, wenn die gegnerische Partei eine Gerichtsstandsvereinbarung missachtet hat.160 Da es im common law allgemein anerkannt ist, dass die Parteien durch Vereinbarung eine Zuständigkeit weder begründen (Prorogation) noch beseitigen (Derogation) können,161 sieht man Gerichtsstandsvereinbarungen – im Gegensatz zu prozessual verfügenden Klauseln – als privatrechtliche Vereinbarungen, ein bestimmtes Gericht (nicht) anzurufen, an. Aus einer solchen im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Abrede können sodann ohne Weiteres Schadensersatzpflichten erwachsen.162 156
BGHZ 36, 18, 20 f.; vgl. auch Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, S. 225. Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, S. 236 ff.; Köster, Haftung wegen Forum Shopping, S. 92 f; J. Schröder, in: Festschrift f. Kegel, S. 523, 541. 158 Neben den hier diskutierten vertraglichen Ansprüchen bleibt es darüber hinaus selbstverständlich bei den allgemeinen Grundsätzen der Haftung für unlautere Prozessführung, vgl. hierzu Götz, Zivilrechtliche Ersatzansprüche bei schädigender Rechtsverfolgung, passim; Häsemeyer, Schadenshaftung, passim; Henckel, Prozeßrecht und materielles Rechts, S. 291 ff.; Hopt, Schadensersatz aus unberechtigter Verfahrenseinleitung, S. 134 ff., 217 ff.; Kurth, Inländischer Rechtsschutz, S. 60 ff. 159 Union Discount Co Ltd. v Zoller, [2001] EWCA Civ 1755, [2002] 1 WLR 1517; Tham, [2004] LMCLQ, 46; Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 545. 160 Union Discount v Zoller, [2001] EWCA Civ 1755, [2002] 1 WLR 1517; ausführlich Tham, [2004] LMCLQ, 46; Briggs, ZSR 2005 II, 231, 256. 161 Vgl. Czarnikow v Roth Schmidt & Co [1922] 2 KB 478 (Schiedsvereinbarung). 162 Umfassender Überblick bei Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Kap. 8; ders., ZSR 2005 II, 231, 243; Illmer, IPRax 2009, 312, 317; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 461 (Fn. 200); Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, S. 226. 157
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Unabhängig von der Frage, ob man einen vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen eine Gerichtsstandsklausel zulassen will, stellt sich – ungeachtet der weiteren Probleme hinsichtlich des anwendbaren Rechts und der Berechnung der Schadenshöhe –, die Frage nach der Vereinbarkeit eines solchen Schadensersatzanspruches mit europarechtlichen Vorgaben. Nach der Diktion des EuGH entscheidet jedes Gericht selbst über die eigene Zuständigkeit („… das später angerufene Gericht [ist] auf keinen Fall besser in der Lage als das zuerst angerufene Gericht, über dessen Zuständigkeit zu befinden“).163 Die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruches, der auf der abredewidrigen Anrufung eines Gerichtes beruht, könnte daher als eine (verbotene)164 Kontrolle der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichtes auf der Sekundärebene angesehen werden und folglich mit Art. 29 EuGVVO und der von der EuGVVO aufgestellten Zuständigkeitsordnung kollidieren.165 Ruft man sich allerdings das von vertraglichen Rechten und Verpflichtungen geprägte englische Prozessrechtsverständnis in Erinnerung,166 könnte man dieser Ansicht entgegenhalten, dass zwischen den materiell-rechtlichen und den prozessualen Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung zu unterscheiden ist. Ausgangspunkt ist insoweit die Feststellung, dass eine solche Vereinbarung auch dann persönliche Verpflichtungen begründen kann, wenn mit ihr keine wirksame Prorogation oder Derogation einhergeht.167 Demnach ist ein später – im Rahmen der Schadensersatzklage – angerufenes Gericht in der Lage, unabhängig von etwaigen Fragen der Zuständigkeit, festzustellen, ob sich eine Partei abredewidrig verhalten hat oder nicht.168 Da die Frage, ob die geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung die Voraussetzungen des Art. 25 EuGVVO erfülle und damit wirksam die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts begründen oder abbedingen könne, Vgl. zur allgemeinen Subsidiarität der Erfüllung der Primärpflicht (sog. specific performance) im common law, Anson’s Law of Contract, S. 575 ff. 163 EuGH, Urt. v. 27.06.2001, Rs. C-351/89, Slg. 1991 I-3317, Rn. 23 – Overseas Union/New Hampshire Insurance; Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693, Rn. 28 – Gasser/MISAT. 164 EuGH, Urt. v. 27.06.2001, Rs. C-351/89, Slg. 1991 I-3317– Overseas Union/New Hampshire Insurance; Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693 – Gasser/MISAT. 165 Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 356; Fentiman, in: de Vairelles-Sommières, Forum shopping in the European Judicial Area, S. 27, 44 f.; Mankowski, IPRax 2009, 23, 30; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 461; Illmer, IPRax 2009, 312 316; a. A. Merret, (2006) 55 ICLQ 315, 332; Briggs, ZSR 2005 II, 231, 258 f.; ders., Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 8.66 f. 166 Vgl. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 2.72, 6.05 f., 8.52; ders., ZSR 2005 II, 231, 243; Illmer, IPRax 2009, 312, 317; Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 428, 461 (Fn. 200); Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln, S. 226. 167 So zum Beispiel wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht die Voraussetzungen von Art. 25 EuGVVO erfüllt. Vgl. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 8.71 („the derogation from a jurisdiction is only one of its lawfully intended consequences“). 168 Merret, (2006) 55 ICLQ 315, 321; Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 8.71. Die Fälle ausgenommen, in denen das zuerst angerufene Gericht zu der Entscheidung gelangt, dass keinerlei Vertrag bestand.
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nicht die Grundlage für die Zuerkennung des Schadensersatzes bilde,169 so die Schlussfolgerung, bestünde kein Konflikt zwischen einem etwaigen Schadensersatzverlangen und den maßgeblichen europäischen Vorgaben.170 Diese Trennung zwischen verfügenden Charakter der Gerichtsstandsklausel und den aus ihr folgenden materiell-rechtlichen Verpflichtungen vermag jedoch aus mehreren Gründen nicht zu überzeugen. Die Begründung, der Schadensersatzanspruch habe nichts mit dem in der EuGVVO begründeten Zuständigkeitssystem zu tun, erscheint verkürzt und kann die Einschätzung, derartige Schadensersatzansprüche seien nicht mit der Verordnung zu vereinbaren, nicht entkräften. Denn auch wenn die angedachten Schadensersatzansprüche die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts auf den ersten Blick nicht beeinträchtigen mögen, so zielen sie doch gerade darauf ab, die getroffene Absprache, an einem bestimmten Gericht zu klagen, abzusichern und haben daher zweifellos Auswirkungen auf die Allokation der Zuständigkeiten im System der EuGVVO.171 Für die Unzulässigkeit einer „Korrektur“ über den Schadensersatz streitet auch die West Tankers-Entscheidung.172 Sie unterstreicht, dass allein der Hinweis auf die dogmatische Verwurzelung der Schadensersatzansprüche in materiell-rechtlichen Verpflichtungen nicht genügt, um den Vorwurf der Europarechtswidrigkeit zu entkräften. Denn sowohl die auf rechtsmissbräuchliches Handeln einer Partei gestützte, als auch die auf vertraglichen Pflichten basierende anti-suit injunction sind mit der EuGVVO nicht vereinbar.173 Wenn nun aber bereits der Primäranspruch, die Klage im ausländischen Forum zu unterlassen, nicht in der Form der anti-suit injunction durchgesetzt werden kann, muss dies erst recht für den Sekundäranspruch in Form von Schadensersatz wegen Verletzung der Gerichtsstandsvereinbarung gelten.174 Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass anti-suit injunction und Schadensersatz – auch wenn sie unterschiedlich wirken (präventiv – kurativ bzw. kompensatorisch) – doch die gleichen Zwecke verfolgen,175 der 169
Insoweit ist allein die Verletzung der vertraglichen Verpflichtung maßgebend. Merret, (2006) 55 ICLQ 315, 319, 321, 332; Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 8.71. 171 Mankowski, IPRax 2009, 23, 30. Siehe auch EuGH, Urt. v. 27.04.2004, Rs. C-159/02, Slg. 2004, I-3565, Rn. 27 – Turner/Grovit zur mittelbaren Beeinträchtigung des ausländischen Verfahrens durch die anti-suit injunction. 172 EuGH, Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-185/07, Slg. 2009, I-663, Rn. 51 – Allianz SpA/West Tankers. 173 EuGH, Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-185/07, Slg. 2009, I-663, Rn. 30 – Allianz SpA/West Tankers. 174 Illmer, IPRax 2009, 312, 316; ders., SchiedsVZ 2011, 248, 251; Mankowski, IPRax 2009, 23, 30. 175 Anti-suit injunctions werden beispielsweise erst dann erlassen, wenn die Gewährung von Schadensersatz nicht ausreichen würde um eine drohende Verletzung angemessen oder abschreckend zu sanktionieren: Ferner ist Schadensersatz erst recht immer dann zu gewähren, wenn der Erlass einer anti-suit injunction von vornherein erfolglos oder gar unstatthaft wäre, vgl. Mankowski, IPRax 2009, 23, 30. 170
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Schadenersatzanspruch in der Sache also nichts anderes als einen Ersatz für die (unzulässige)176 anti-suit injunction darstellt. Da die Möglichkeit, eine vertragsbrüchige Partei in Regress zu nehmen, im Falle einer unwirksamen Derogation, zu einem Verzicht der Klageerhebung am nach der EuGVVO zuständigen Gericht bzw. einer Sanktionierung solchen Handelns führen könnte und der Streit über die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts auch lediglich in die Frage, nach dem Bestehen eines Schadensersatzanspruches übertragen würde,177 ist die Zulässigkeit solcher Schadensersatzklagen zu verneinen.178 Andernfalls drohte die Zuständigkeitsordnung der EuGVVO durch den Umweg über die Sekundärebene ausgehebelt und ihr somit die praktische Wirksamkeit genommen zu werden. Folglich sind solche (Schadensersatz-) Klagen im europäischen Justizraum (zumindest) aufgrund des vorrangigen Europarechts abzulehnen. Die revidierte EuGVVO versucht dieser Diskussion die Grundlage zu entziehen, indem sie das in Art. 29 EuGVVO niedergelegte Prioritätsprinzip zugunsten der Privatautonomie aufhebt, vgl. Art. 31 Abs. 2 und 3 EuGVVO. Nach der neugefassten Regelung soll bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung zukünftig allein das prorogierte Gericht verbindlich über die eigene Zuständigkeit entscheiden – auch wenn es als zweites angerufen wurde. Die bestehenden Missbrauchspotentiale beseitigt die Norm damit jedoch nicht. Denn der Schuldner kann einen Rechtsstreit nunmehr dadurch verzögern, dass er den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines anderen, langsamen Forums behauptet.179 Die Torpedierung einer begründeten Klage wurde damit nicht ausgeschlossen: Im Vergleich zum bisherigen System bedarf es künftig über die frühzeitige Klageerhebung in einer langsamen Jurisdiktion hinaus lediglich der Behauptung einer bestehenden Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des gewählten Forums.180
176 EuGH, Urt. v. 27.04.2004, Rs. C-159/02, Slg. 2004, I-3565 – Turner/Grovit; Urt. v. 10.02.2009, Rs. C-185/07, Slg. 2009, I-663 – Allianz SpA/West Tankers; vgl. zudem EuGH, Urt. v. 13.05.2015, Rs. C-536/13, GRUR Int 2015, 766 ff. – Gazprom OAO/Litauen. 177 Statt „wo soll man streiten“ nun „wo hätte man streiten sollen“, vgl. Mankowski, IPRax 2009, 23, 30. 178 Balthasar/Richers, RIW 2009, 351, 356; Illmer, IPRax 2009, 312, 316; ders., SchiedsVZ 2011, 248, 251; Mankowski, IPRax 2009, 23, 30; Fentiman, in: de Vairelles-Sommières, Forum Shopping, S. 27, 44 f.; a. A. Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law, Rn. 8.70 f.; ders., ZSR 2005 II, 231, 257 f. 179 Von Hein, RIW 2013, 97, 104, der hinzufügt, dass der Beklagte mit einem solchen Vorbringen aber nicht gehört werde, wenn das zuerst angerufene Gericht seine Kompetenz seinerseits auf eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung stütze. Denn insoweit gelangt die allgemeine Rechtshängigkeitsvorschrift zur Anwendung, vgl. Erwägungsgrund Nr. 22 Abs. 2 zur EuGVVO. 180 Domej, RabelsZ 78 (2014), 508, 535 fordert insoweit über die bloße Behauptung hinaus eine „gewisse Anfangswahrscheinlichkeit“, was freilich die Frage aufwirft, wann diese bzw. eine zureichende Substantiierung – im europäischen Kontext – gegeben ist.
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Die Diskussion über die Möglichkeit Schadensersatz im Fall der Missachtung einer Gerichtsstandsvereinbarung, die von einem nicht zu leugnenden Misstrauen gegenüber den Jurisdiktionen anderer Mitgliedstaaten zeugt, hat damit auch durch die Revision der EuGVVO nicht an Aktualität verloren. 2. Anwendungsprobleme des Unionsrechts Neben den soeben diskutierten Missbrauchsmöglichkeiten, die aus der Systematik der EuGVVO folgen, zeichnen sich in der Rechtspraxis einiger Mitgliedstaaten weitere nachteilige Entwicklungen ab, die gegen die Annahme des vom Europäischen Zivilprozessrecht postulierten unbedingten Vertrauens in die rechtlichen wie auch in die tatsächlichen Qualifikationen der nationalen Gerichte sprechen.181 So bestehen beispielsweise praktische Probleme bei der tatsächlichen Befolgung der europäischen Rechtsakte durch die nationalen Justizorgane sowie der Implementation des europäischen Zivilverfahrensrechts in die nationalen Rechtsordnungen.182 Dies liegt teilweise an der fehlenden Erfahrung einiger Mitgliedstaaten im Umgang mit dem Unionsrecht oder schlicht an der mangelhaften Ausstattung der Justizorgane. Ein offenes Geheimnis ist auch die grassierende Korruption in manchen Mitgliedstaaten.183 Dass es sich hierbei nicht lediglich um ein diffuses Gefühl, sondern eine Tatsache handelt, belegen Berichte der Kommission über die Korruptionsbekämpfung in der Europäischen Union.184 Bestätigt werden die Ergebnisse der Kommission durch die von der (nichtstaatlichen) Organisation Transparency 181 Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 410; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481 f.; dies., IPRax 2006, 538, 541. 182 Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481 f.; dies., IPRax 2006, 538, 541; Hess, in: Festschrift f. Leipold, S. 237, 243; Harsági/Kengyel, IPRax 2009, 533 ff.; Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 541; Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 410; Hess, EuZPR § 3 Rn. 27; Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23, 34 ff. 183 FAZ, 17.07.2008, Nr. 165, S. 3; FAZ, 15.05.2006, Nr. 112, S. 1; Zeit online, 20.07.2010, http://w ww.zeit.de/politik/ausland/2010–07/korruption-rumaenien-bulgarien (zuletzt abgerufen am 15.11.2015); euractiv.de, 11.03.2010, http://w ww.euractiv.com/node/295074 (zuletzt abgerufen am 15.11.2015). Vgl. auch KOM(2011) 80 endgültig, S. 3; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 265; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 110; Kieninger, VuR 2011, 243, 248 und das (hypothetische) Beispiel bei Mankowski, in: Festschrift f. Kropholler, S. 829, 848 f. 184 Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Korruptionsbekämpfung in der EU, COM(2014) 38 final. Vgl. ebenfalls: Zwischenbericht der Kommission an das Europäische Parlament und an den Rat über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens, KOM (2010) 112 endgültig; Bericht der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und an den Rat über Rumäniens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens, KOM (2009) 401 endgültig; Umfassender Monitoring-Bericht der Europäischen Kommission über den Stand der Beitrittsvorbereitungen, KOM (2003) 675 endgültig. Vgl. auch den Bericht der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über über die Koruptionsbekämpfung in der EU, COM(2014) 38 final.
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International veröffentlichten Korruptionsindizes. Diese geben Auskunft über die in den jeweiligen Ländern wahrgenommene Korruption und führen die Mitgliedstaaten Rumänien, Bulgarien, Griechenland und Italien gemeinsam mit Brasilien weltweit auf Platz 69 und damit hinter Ländern wie den Bahamas, Katar, Kuba, Ruanda oder Ghana; die Tschechische Republik sowie die Slowakei finden sich nur wenige Plätze davor. 185 Demzufolge kann es nicht Wunder nehmen, dass in einigen Mitgliedstaaten das öffentliche Vertrauen in die Effizienz und die Fairness des eigenen Rechtssystems nur schwach ausgeprägt ist,186 was jedoch umgehend die Frage aufwirft, wie man von fremden Staaten und deren Bürgern erwarten kann, einer fremden Justiz zu vertrauen, der nicht mal die eigenen Bürger vertrauen. Im Wissen um diese Probleme wurde bei den Erweiterungen der Europäischen Union in den letzten Jahren das Gleichwertigkeitspostulat hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Entscheidungen nicht lückenlos beachtet. Da im Hinblick auf die Justizstrukturen in mehreren der in den Jahren 2004 und 2007 beigetretenen Mitgliedstaaten Schwierigkeiten bei der Durchführung von Gemeinschaftsregelungen über den europäischen Justizraum erwartet wurden,187 enthalten die Beitrittsverträge in Art. 39 bzw. 38 jeweils eine Schutzklausel für den Bereich Justiz und Inneres, wonach die Kommission unter anderem bei „ernsten Mängeln oder der Gefahr ernster Mängel“ bei der Anwendung der Verordnungen über die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Zivilrechts „angemessene Maßnahmen treffen“ kann.188 Bislang blieben solche Maßnahmen jedoch aus – der Schutzklausel kam lediglich die Bedeutung einer Drohkulisse zu. In Anbetracht der Notwendigkeit der einheitlichen und effektiven Befolgung des Europarechts, die eine wesentliche Voraussetzung des Grundsatzes des wechselseitigen Vertrauens bildet, stimmt es aber bedenklich, wenn die Europäische Union bei der Durchsetzung ihrer Ziele die benannten Vollzugsdefizite vollständig auszuklammern scheint.
185 Transparency International, Corruption Perceptions Index 2014, abrufbar unter: https://w ww.transparency.de/Tabellarisches-Ranking.2574.0.html (zuletzt abgerufen am 15.11.2015). 186 Vgl. die Berichte der Europäischen Kommission über die Erweiterung der Europäischen Union aus dem Jahr 2003, http://ec.europa.eu/enlargement/archives/key_documents/reports_ 2003_en.htm, insbesondere den Monitoring-Bericht über die Vorbereitungen Polens auf dessen EU-Beitritt (zuletzt abgerufen am 15.11.2015). 187 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 283; Jayme/Kohler, IPRax 2004, 481, 482; Jour-Schröder, in: Schroeder, Justizreform in Osteuropa, S. 29, 33 f.; Hess, in: Festschrift f. Leipold, S. 237, 243. 188 Vgl. Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der Verträge auf denen die Europäische Union beruht (ABl. EU 2003 Nr. L 236, S. 33 = BGBl. 2003 II, S. 1408).
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3. Besonderheiten der grenzüberschreitenden Prozessführung Die Prämisse der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen und die damit einhergehende Annahme, dass es keinen Unterschied mache, ob im Heimatland oder im Ausland prozessiert werde, vernachlässigt überdies die Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten, die mit einer Verfahrensführung im Ausland verbunden sind. Tatsächlich verändert sich durch das Führen eines Prozesses in einem fremden Land und damit auch regelmäßig in einer fremden Sprache die Prozesssituation spürbar zum Nachteil des (ausländischen) Beklagten.189 Dies wird deutlich, wenn man die vielfältigen Probleme, mit denen eine Partei im Laufe eines ausländischen Verfahrens konfrontiert wird, betrachtet. So kann bereits die Wahl des Gerichtsstandes den Prozessausgang vorwegnehmen.190 Denn ungeachtet der zunehmenden Harmonisierung im europäischen Rechtsraum verbleiben spürbare Unterschiede zwischen den einzelnen Verfahrensrechten, wie beispielsweise im Bereich des Beweisrechts191 oder hinsichtlich der mehr oder weniger starken Rolle des Richters, die neben Gegensätzlichkeiten in der gelebten Prozesskultur die Prozesschancen einer Partei entscheidend beeinflussen können.192 Hinzu kommt, dass auch die Angleichung des Kollisionsrechts nicht verhindern kann, dass die konkrete Anwendung des (gleichen) materiellen Rechts – insbesondere wenn es sich nicht um das „Heimatrecht“ des Spruchkörpers handelt193 – unterschiedlich ausfallen kann. Darüber hinaus gestaltet sich bereits die Beauftragung eines Anwaltes im Ausland als schwierig, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, dass jeder Bür189 Stadler, IPRax 2004, 2, 7; dies., RIW 2004, 801, 803; Kohler, ZSR 2005 II, 163, 282 f.; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193; Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 421; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 80 f.; Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehalts, S. 144 f.; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, Rn. 1 f.; ders., IPRax 1990, 207; R. Stürner, in: Festschrift f. Nagel, S. 447, 455; M. Stürner, GPR 2010, 44, 45; ders., RabelsZ 71 (2007), 598, 599; Schack, ZZP 97 (1984), 46, 48; Hess, in: Festschrift f. Jayme, S. 339, 346; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 50; Mankowski, IPRax 2006, 454, 456 ff.; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 293; anders mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben Geimer, in: Festschrift f. Schwind, 17, 28 f. 190 Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 197; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 282 f. 191 Zu den Schwierigkeiten extraterritorialer Beweisbeschaffung, Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 81 (mwN). 192 Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, Rn. 1 ff., 5, 262 ff. (mwN); von Hoffmann, IPRax 1982, 217, 219; Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 197, 202; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 282; ders., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 156. 193 BGHZ (GrS) 44, 46, 50 f.; Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 197; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 282; ders., IPRax 2003, 401, 406; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 84. Als Beispiel kann insofern das UN-Kaufrecht angeführt werden, welches – aufgrund des Fehlens eines übergeordneten Gerichts mit verbindlicher Auslegungskompetenz – ebenfalls die Tendenz unterschiedlicher Handhabung birgt, vgl. Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 197.
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ger vertrauenswürdige Rechtsanwälte im ausländischen Gerichtsstaat kennt. Vielmehr wird er sich an seinen eigenen, heimischen Anwalt wenden müssen, um über ihn (bzw. die Anwaltskammer) Kontakt zu einem geeigneten ausländischen Anwalt aufzunehmen. Dies verursacht erhebliche Kosten, die zunächst einmal von der Partei vorzustrecken sind, ohne dass garantiert ist, dass sie ihre Auslagen zurückverlangen kann.194 Des Weiteren steht die Sprachenvielfalt der Austauschbarkeit des Forums entgegen.195 Sprachbarrieren erschweren, neben der räumlichen Entfernung und langen Postwegen,196 die Zustellung rechtserheblicher Schriftstücke und die Verständigung im Rahmen des Prozesses197 und sind damit geeignet, das rechtliche Gehör des Beklagten zu beeinträchtigen.198 Gerade bei der Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke ist es bedeutsam, dass der Adressat Kenntnis von deren Inhalt erlangt. Dies setzt aber voraus, dass der Empfänger die Sprache versteht, in der das zugestellte Dokument verfasst ist. Gleichwohl verzichtete der Europäische Gesetzgeber in dem Bestreben das Zustellungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen auf ein Übersetzungserfordernis in der EuZustVO,199 vgl. Artt. 5, 8 EuZustVO.200 Es kann somit durchaus vorkommen, dass ein Schriftstück in einer dem Schuldner unverständlichen Sprache zugestellt wird. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Beklagte unter Umständen gar nicht mit der Zustellung einer Klageschrift rechnen muss, so zum Beispiel im Fall einer unbegründeten Klage,201 ist dies bedenklich. Denn es birgt die Gefahr, dass sich der Beklagte, 194 Freitag, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 422 f.; Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, Rn. 3, 7, 200 ff., 217 ff.; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 81; Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I-Regulation, Rn. 510 ff., 557. 195 Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305, 312; Hess, IPRax 2008, 400; Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 EG-ZustVO Rn. 1; Stadler, Vielfalt der Gerichte, S. 177, 203. Siehe in diesem Zusammenhang auch das Stockholmer Programm sowie dessen Nachfolgeprogramm, vgl. § 7 Fn. 63. Allgemein zur Regelung von Sprachfragen im Europäischen Zivilverfahrensrecht: Mankowski, in: Festschrift f. Kaissis, S. 607 ff. 196 In BGH IPRax 1990, 230 benötigte ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten (vgl. § 172 ZPO) an seine Partei ungefähr drei Wochen und damit bereits drei Viertel der Berufungsfrist. 197 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 282; ders., IPRax 2003, 401, 406; Stadler, in: Practical obstacles in cross border litigation, S. 11 f. 198 Stadler, RIW 2004, 801, 807 („für das rechtliche Gehör essenziell“); Schack, SchlHA 2006, 115, 117; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 201, 205. 199 Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Novmber 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. EG Nr. L 324, S. 79. 200 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 2 der Verordnung (EG) 1348/2000 und Erwägungsgrund Nr. 2 der Verordnung (EG) 1393/2007; Schütze, RIW 2006, 352; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 437; Gottwald, in: Festschrift f. Schütze, S. 225, 226; Hess, NJW 2002, 2417, 2422. 201 Vgl. das instruktive Beispiel bei Stadler, RIW 2004, 801, 807; ebenso U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 201.
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der das zugestellte Schriftstück nicht als Klageschrift zu identifizieren vermag, nicht rechtzeitig oder ordnungsgemäß verteidigt und somit dessen rechtliches Gehör (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 103 Abs. 1 GG) beeinträchtigt wird.202 Über die Verfahrenseinleitung hinaus beeinträchtigen Sprachbarrieren zudem die Möglichkeiten des ausländischen Schuldners, dem Verfahren zu folgen und seinen Standpunkt plausibel zu machen. Auch beigefügte Übersetzungen helfen nicht ohne Weiteres über die bestehenden Sprachbarrieren hinweg. Dies belegt ein Urteil des OLG Nürnberg,203 welches sich mit der Qualität der Übersetzung eines türkischen Mahnbescheids durch einen vereidigten Dolmetscher auseinandersetzt. Schon aufgrund der einer Übersetzung juristischer Dokumente anhaftenden Schwierigkeiten kann ein grenzüberschreitender Prozess – unabhängig davon, ob man das Rechtsschutzniveau in den Mitgliedstaaten als gleichwertig ansehen mag oder nicht – nicht ohne Weiteres mit einem rein inländischem gleichgesetzt werden kann. Insoweit ist Kohler voll und ganz zuzustimmen, wenn er feststellt, dass, neben den Unterschieden im Verfahrensrecht und der gelebten Prozesskultur, die Sprache „der Vorstellung eines einheitlichen Rechtsschutzgebietes [von vornherein] physische Grenzen [setzt]“204 und damit darauf hinweist, dass es gewisse „prozessrelevante“ Unterschiede gibt, die nicht ohne Weiteres „wegzuharmonisieren“ sind. Es ist folglich nicht gleichgültig, ob ein Prozess im In- oder Ausland zu führen ist. Dies manifestiert sich auch in dem der Zuständigkeitsordnung der EuGVVO zu Grunde liegenden actor sequitur forum rei-Prinzip205 und wird – zumindest mittelbar – auch von den Staaten anerkannt, die ihren Bürgern durch exorbitante Gerichtsstände jederzeit ein Heimatforum bieten. Trotz der fortschreitenden Rechtsangleichung hat der Satz K egels damit nichts an Aktualität eingebüßt: „[Es] besteht ein großer Unterschied zwischen Rechtsverfolgung im Inland und im Ausland. Wer im Ausland sein Recht suchen muß, braucht mehr Zeit, Kraft und Geld als im Inland; er muß unbekannten Anwälten trauen, hat Sprachschwierigkeiten, findet sich im fremden Recht und Gerichtswesen nur mühsam zurecht.“ 206 202 Stadler, IPRax 2004, 2, 5; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 201 ff., 205 ff. Vgl. zur rechtspolitischen Notwendigkeit einer Übersetzung Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 452 ff. 203 OLG Nünberg IPRax 2006, 38 mit Anm. Wilske/Krapfl, IPRax 2006, 10. Die Übersetzung beschrieb den Schuldgrund wie folgt: „Durch die Anweisung der schuldigen Gesellschaft an ihre Vertreter bzw. Mitglieder des Verwaltungsrates, dass sie ihren privaten Verpflichtungen nicht nachkommen, unserer Gesellschaft lastender Verlust“. Vgl. in diesem Zusammenhang R. Stürner, in: Festschrift f. Nagel, S. 447, 455, der auf die Gefahren fehlerhafter Übersetzung hinweist. 204 Kohler ZSR 2005 II, 163, 282 f. (Zitat auf S. 283); ders., in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 156. Dem stimmt auch Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 479 zu, wenngleich er die Auffassung vertritt, dass diese Bedenken auf der Vollstreckungsebene unberücksichtigt bleiben müssen und ihnen vielmehr im Ursprungsverfahren entgegenzutreten ist. 205 Vgl. Jenard-Bericht; Erwägungsgrund 11 zur EuGVVO. 206 Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Aufl., § 22 II.
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III. Ergebnis Angesichts der fehlenden Harmonisierung innerhalb der Europäischen Union diente bisher das gegenseitige Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege der Mitgliedstaaten als tragende Grundlage des Konzepts der Anerkennung fremder Entscheidungen.207 Die Rechtswirklichkeit verdeutlicht allerdings, dass das Bestehen eines umfassenden Vertrauens ebensowenig angenommen oder vorgegeben werden kann, wie die zu dessen Rechtfertigung postulierte Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen. Die Annahme bestehenden Vertrauens entspricht nicht der Realität und verkennt die Bestrebungen, im europäischen Prozessrecht angelegten Missbrauchspotentialen durch einen Rückgriff auf autonome Rechtsinstitute entgegenzuwirken.208 Auch die Annahme der Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen ist aus zwei Gründen unzutreffend. Einerseits wird diese These durch die Rechtswirklichkeit erschüttert, die aufzeigt, dass sich das Niveau der einzelnen Rechtsordnungen keinesfalls entspricht;209 andererseits übersieht sie die nachteilige Situation in der sich der Beklagte befindet, der sich im Ausland einlassen muss.210 Wenn aber die Prämisse äquivalenter Justizgewährleistung durch die Praxis widerlegt ist, stellt sich die Frage, ob eine Verkürzung des Schuldnerschutzes unter Ausblendung dieser tatsächlichen Unterschiede allein auf der Grundlage einer unterstellten, realiter aber nicht bestehenden Gleichwertigkeit des Rechtsschutzes erfolgen kann.211 So hat es doch mittlerweile den Anschein, als nutzten die europäischen Institutionen das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten als argumentative Allzweckwaffe, ohne dabei den gegenwärtigen Integrationsstand ausreichend zu berücksichtigen.212 Darauf weist auch Kohler hin, der das „gegenseitige Vertrauen“ als „Leerformel“ bezeichnet, die unterschiedslos und beinahe reflexartig im Recht der Urteilsanerkennung verwendet werde.213 Beispielhaft verweist er darauf, dass die durchaus unterschiedlichen Vollstreckungsvorausset207 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 18 zur EuVTVO; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 156; ders., IPRax 2003, 401, 406; ders., ZEuS 2001, 575, 588; Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23, 35; M. Stürner, GPR 2010, 43, 44. 208 Siehe oben, § 7.C.II. 209 Vgl. Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 156; ders., IPRax 2003, 401, 406; ders., ZEuS 2001, 575, 588; Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23, 35, 36; Rauscher, RIW 2004/11, 1. Seite; Varga, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Einl BagatellVO Rn. 7; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 202 („[…] the fact that some judiciaries are not trustworthy needs to be adressed“). 210 Siehe § 7.C.II.3 sowie § 7.D.III.2. 211 So Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 zur Problematik der Zuständigkeitskonflikte. Vgl. auch das Stockholmer Programm, Rat der Europäischen Union, 02.12.2009, Dok. Nr. 17024/09, S. 5, Punkt 1.2.1. 212 Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23, 32; Otte, ZZPInt 8 (2003), 521, 525 ff.; ebenso wohl auch Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 532 f. 213 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 285. Vgl. zudem Blobel/Späth, EuLR 2005, 528 ff. die das gegenseitige Vertrauen zu den Gründungsmythen der E(W)G zählen.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
zungen der EuGVVO a. F., der EuEheVO und der EuVTVO jeweils mit dem Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege in den Mitgliedstaaten begründet wurden,214 allerdings ohne zu erläutern, warum das gegenseitige Vertrauen an der einen Stelle eine Nachprüfungsmöglichkeit erfordert, an einer anderen jedoch überflüssig werden lässt.215 Auch wenn die Europäische Kommission inzwischen erkannt hat, dass sie ihr Programm zur gegenseitigen Anerkennung durch „flankierende Maßnahmen“ ergänzen, vermehrt in vertrauensbildende Maßnahmen investieren und die bestehenden Probleme der Verfahrenskoordination angehen muss,216 schiene die Abschaffung des Exequaturverfahrens allein auf der Grundlage des (postulierten) gegenseitigen Vertrauens nach dem Gesagten „wie auf Sand gebaut“. Letztlich wird man aber zu konstatieren haben, dass die Fragen, ob das rechtsstaatliche Niveau in den Mitgliedstaaten vergleichbar ist, ob es tatsächlich ein gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten gibt oder geben wird und ob dies die Abschaffung jeglicher (nachträglicher) Rechtskontrolle im Vollstreckungsstaat rechtfertigen kann, am Problem vorbeigehen.217 So weist Coester-Waltjen in zutreffender Weise darauf hin, dass man – abseits dieser eher politischen Diskussion – judikatives Unrecht, d. h. richterliches Versagen, nie gänzlich ausschließen können werde und darüber hinaus auch die Möglichkeit des Prozessbetruges sowie sich generell aus grenzüberschreitenden Sachverhalten ergebende Probleme nicht zu leugnen seien.218 Die emotional geführte Debatte über ein abstraktes Vertrauen in die rechtsstaatliche Äquivalenz der Mitgliedstaaten kann an diesen Schwierigkeiten wenig ändern. Entscheidend kann im Rahmen der Ausgestaltung des Europäischen Justizraumes daher allein sein, ob und in welchem Maß die Funktionen des bisherigen Exequaturverfahrens auch zukünftig noch zufriedenstellend erfüllt werden können. Die Kontroverse um das gegenseitige Vertrauen außer Acht lassend, sollten daher die allgemeinen praktischen und technischen Erfordernisse des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs sowie die Ausgestaltung eines effektiven Schuldnerschutzes in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden. Die angestrebte Abschaffung jeglicher zweitstaatlicher Anpassungs- und Kontrollmöglichkeit sollte 214 Vgl. Erwägungsgründe Nr. 16 und 17 zur EuGVVO a. F.; Erwägungsgrund Nr. 21 zur EuEheVO; Erwägungsgrund Nr. 18 zur EuVTVO. 215 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 285. In die gleiche Richtung bzgl. der Rechtfertigung des Verzichts auf ein Exequaturverfahren im Rahmen der EuUnthVO Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 17 VO Nr. 4/2009 Rn. 21 („Eindruck politischer Beliebigkeit“); ebenso McGuire, ecolex 2011, 218, 219. 216 Vgl. Stockholmer Programm, Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 17024/09, S. 5; Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig, S. 5 f.; KOM(2010) 748 endgültig, S. 9 ff.; Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 540; Kohler, IPRax 2003, 401, 406. 217 Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193. 218 Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193; Geimer, in: Festschrift f. Németh, S. 229, 240.
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keinesfalls zu einem Hemmnis des zweitstaatlichen Vollstreckungsverfahrens führen oder im Verzicht auf die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes münden. Insbesondere Letzteres bedeutete, dass der Individualrechtsschutz übergeordneten Unionsgrundsätzen geopfert würde – ein Ergebnis, das mit der allgemeinen Grundrechtsverbürgung in Art. 67 Abs. 1 AEUV sowie den Verlautbarungen der Europäischen Union, im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stünden stets die Interessen und Bedürfnisse der Bürger,219 nicht zu vereinbaren wäre;220 zumal auch die Schuldner zu den europäischen Bürgern gehören, auch wenn dies mitunter in Vergessenheit zu geraten droht.
D. Funktionserhalt oder -verzicht? Ein über die neugefasste EuGVVO hinausgehendes Modell der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung, welches sodann auf die (zunächst) beibehaltenen Versagungsgründe verzichtete, ist, wie bereits dargelegt, ausschließlich unter der Voraussetzung zu rechtfertigen, dass die bislang im Rahmen der Vollstreckbarerklärung verorteten Funktionen auch zukünftig – soweit erforderlich – zufriedenstellend erfüllt werden.221
I. Implementationsfunktion Das Exequaturverfahren diente der Anpassung fremder Titel an die Voraussetzungen des nationalen Verfahrensrechts222 und gewährleistete, dass das zuständige Vollstreckungsorgan auf einer geeigneten Grundlage tätig werden und die Vollstreckung zügig betreiben konnte.223 Dass der Wegfall des Exequaturverfahrens und die sich daraus ergebende unmittelbare Vollstreckbarkeit ausländischer Titel der Durchsetzung der Titelfreizügigkeit aber nicht entgegenstehen, verdeutlicht die neugefasste EuGVVO. Durch die Verwendung einzelner Formblätter, die Tenorierung und Vollstreckbarkeit des Titels erläutern, sowie die Möglichkeit, die zu vollstreckende Maßnahme durch das Vollstreckungsorgan an die zweitstaatli-
219 R. Wagner, IPRax 2010, 97; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44; vgl. überdies bereits den Titel des Stockholmer Programms vom 02.12.2009, Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 17024/09 „Das Stockholmer Programm – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutze der Bürger“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 220 Althammer/Löhnig, ZZPInt 9 (2004), 23, 37; Hess, in: Festschrift f. Jayme, S. 355. 221 Siehe oben, § 6.C. 222 Siehe oben, § 5.C.I.; BGHZ 122, 16, 17 f.; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 199. 223 Siehe oben, § 4.D.I.; BGHZ 122, 16, 17 f.; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 48 f.; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 21; Yessiou-Faltsi, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 213, 223.
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chen Regelungen anpassen zu lassen, löst sie die sich aus divergierenden Titulierungsverfahren ergebende Probleme sachgerecht und zeigt, dass die Implementationsfunktion auch außerhalb eines Vollstreckbarerklärungsverfahrens bewältigt werden kann.224 Diese Erkenntnis ließ sich jedoch auch schon vor Verabschiedung der revidierten EuGVVO dem österreichischen Exekutionsrecht sowie dem schweizerischen Schuldbetreibungsrecht entnehmen. Während Ersteres bis zum Beitritt Österreichs zur Europäischen Union in 1995 über kein Vollstreckbarerklärungsverfahren verfügte und die Prüfung, inwieweit ein ausländischer Titel im Inland vollstreckt werden kann, in ein der Vollstreckung vorgeschaltetes Exekutionsbewilligungsverfahren verlagert hatte,225 verlangt Letzteres zur Einleitung des Vollstreckungsverfahrens (Betreibungsbegehren) nicht die Vorlage eines Titels226 und überträgt die Aufgabe der Konkretisierung dem Vollstreckungsgläubiger, dem es obliegt einen hinreichend bestimmten Antrag zu stellen.227
II. Perpetuierungsfunktion Die Perpetuierungsfunktion rechtfertigt sich insbesondere durch eine Überlegung: Die Schaffung eines nationalen und von der Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils emanzipierten Vollstreckungstitels gewährleistet eine erhöhte Rechtssicherheit.228 Art. 44 Abs. 2 EuGVVO zeigt in Verbindung mit §§ 1116 ZPO, 775 Nr. 1 und 2, 776 ZPO jedoch, dass der Verzicht auf die Vollstreckbarerklärung nicht zwangsläufig dem Vollstreckungsorgan die nach fremdem Recht zu beurteilende Frage der Vollstreckbarkeit auferlegt. Befürchtungen, die Übertragung des Grundsatzes der Wirkungserstreckung auf die Vollstreckungswirkung eines ausländischen Urteils konfrontiere die zuständigen Vollstreckungsorgane mit unbekannten Rechtsnormen und führe somit zu einer Verzögerung des Vollstreckungsverfahrens sind mithin nicht begründet. Die Perpetuierung der ausländischen Vollstreckbarkeit durch die Schaffung eines inländischen Titels stellt mithin keine zwingend beizubehaltende Notwendigkeit dar, deren Entfall die Schaffung eines Europäischen Justizraumes gefährdete.
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Siehe oben, § 6.C.I. Rechberger/Oberhammer, Exekutionsrecht, Rn. 119, zudem oben, § 5 Fn. 68. 226 Dies ähnelt in gewisser Weise dem deutschen Mahnverfahren nach §§ 688 ff. ZPO, wenngleich dieses freilich kein Vollstreckungs-, sondern ein titelschaffendes Verfahren darstellt. 227 Vgl. Amonn/Walther, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, § 16 f. (mwN), insbesondere § 16 Rn. 7 ff. 228 Siehe oben, § 5.C.II. 225 Vgl.
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III. Kontrollfunktion Neben der Anpassung des ausländischen Titels an die Besonderheiten des nationalen Vollstreckungsrechts und der Schaffung eines nationalen Vollstreckungstitels wird im Rahmen des Exequaturverfahrens vor allem die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards durch das Ursprungsgericht kontrolliert; auf diese Weise werden anerkennungsstaatliche Interessen sowie unverzichtbare Schuldnerrechte geschützt. Die Kontrollfunktion wird in erster Linie229 durch die Anerkennungsund Vollstreckungsversagungsgründe erfüllt. Trotz Abschaffung des Exequaturverfahrens hielt die neugefasste EuGVVO an diesen Versagungsgründen, die die grundsätzlich gewährte Urteilsfreizügigkeit einschränken und damit einen Ausgleich zwischen den Interessen des Gläubigers an einer raschen und effektiven Vollstreckung auf der einen Seite und den Interessen des Schuldners an einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren auf der anderen Seite anstreben, fest und verschob ihre Prüfung in das Vollstreckungsverfahren.230 Dem bereits 2001 verabschiedeten Maßnahmenprogramm ist jedoch eindeutig das Bestreben zu entnehmen, jegliche vollstreckungsstaatliche Kontrolle zu beseitigen, um auf diese Weise die Urteilsfreizügigkeit vollumfänglich herzustellen und der Idealvorstellung eines schrankenlosen Binnenmarkts für gerichtliche Entscheidungen näherzukommen. Es ist daher der Frage nachzugehen, ob und in welchem Umfang das Bereitstellen einer zweitstaatlichen Anerkennungs- und Vollstreckungskontrolle auch zukünftig erforderlich sein wird. 1. Ordre public-Vorbehalt im Besonderen Im Fokus der Gedankenspiele der Europäischen Kommission steht vordergründig der Verzicht auf eine nachgelagerte ordre public-Kontrolle, die sich nach ihrer Ansicht „in einer Schieflage im Verhältnis zum europäischen Integrationsprozess befindet“.231 Auch in der wissenschaftlichen Diskussion gibt es Stimmen, die der Kommission Gefolgschaft leisten und die Abschaffung der Vorbehaltsklausel als die konsequente Fortsetzung des Integrations- und Harmonisierungsprozesses in der Europäischen Union ansehen.232 Die Befürwortung der Abschaffung des ordre pub229 Siehe hinsichtlich der Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung, der Wirksamkeit der zu vollstreckenden Entscheidung, etc., § 5.C.III. 230 Siehe oben, § 6.C.III. 231 ABl. EG 1998 Nr. C 33, S. 3 Nr. 20; ABl. EG 2001 Nr. C 12, S. 1; dazu Bruns, JZ 1999, 278; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 524. 232 Geimer, IPRax 2002, 69, 71; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 463, 476; Stein, IPRax 2004, 181 ff., 190 f.; Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809, 818; dagegen aber statt vieler Schack, ZEuP 1999, 805, 807, der am Sachverstand der „Brüsseler Technokraten“ zweifelt.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
lic-Vorbehaltes in der EuGVVO beruht dabei summa summarum auf drei mehr oder weniger miteinander verwobenen Argumenten: (i) Zunächst einmal wird angeführt, dass der ordre public-Vorbehalt nur in den seltensten Fällen die Anerkennung einer fremden Entscheidung zu verhindern vermag und dem Vollstreckungsschuldner in praxi daher kaum substantiellen Rechtsschutz vermittele. Demnach sei die Abschaffung dieses Instrumentes, insbesondere vor dem Hintergrund, dass bereits dessen Existenz die Möglichkeit der Verfahrensverzögerung mit sich bringe, unnötige Kosten verursache und damit die Verwirklichung des Urteilsfreizügigkeit beeinträchtige, vernünftig.233 (ii) Ferner rechtfertige die Entwicklung des europäischen Grundrechtsstandards den Verzicht auf den ordre public-Vorbehalt. Mit den in der EMRK und der Grundrechtecharta der Europäischen Union verankerten und durch die Rechtsprechung des EuGH ausgeformten unionsrechtlichen Grundsätzen und -prinzipien existiere mittlerweile eine einheitliche Grundrechts- und Werteordnung (sog. europäischer ordre public), die in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen gelte und einen ausreichenden Rechtsschutz biete, der die Grundlage für die Abschaffung des nationalen ordre public-Vorbehaltes schaffe.234 Hierdurch seien die nationalen Vorbehaltsklauseln so weit von den europäischen Grundwerten und Rechtsvorschriften überlagert, dass nationale Abweichungen mit der Qualität eines zu beachtenden ordre public-Verstoßes praktisch ausgeschlossen seien.235 Ein Zurückgreifen auf den durch die europäischen Gerichte gewährleisteten europäischen ordre public reiche vollkommen aus.236 Dies gelte insbesondere da in pathologischen Fällen immer noch der Weg einer Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschritten werden könne.237 Die Forderung nach einer zusätzlichen nationalen ordre public-Kontrolle sei daher nicht mehr zeitgemäß und lasse sich nicht aufrechterhalten. (iii) Schließlich weisen die Befürworter der Abschaffung eines nationalen ordre public-Einwands darauf hin, dass die Vorbehaltsklausel ihren ursprünglichen Regelungszweck verloren habe. Da die Grundprinzipien der staatlichen Rechtsordnungen miteinander übereinstimmten, habe die ordre public-Kontrolle ihre klassische Funktion verloren und sich in der Sache zu einem Instrument zur 233 Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig, S. 2; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 463; Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809, 818; Stein, IPRax 2004, 181, 190. 234 Stein IPRax 2004, 181, 185 f.; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645 f.; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 464, 467, 476. 235 Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 174 f., 259 f.; ähnlich Storme, in: Festschrift f. Nakamura, S. 581, 584. 236 U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 156; Kropholler, IPR, § 36 IV, S. 252; Basedow, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 291, 293, 311; Pfeiffer, in: Festschrift Jayme, S. 675, 682; Stein, IPRax 2004, 181, 185; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 164, 166. 237 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 467; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 180, 197; Stein, IPRax 2004, 181, 186.
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Überprüfung der Ursprungsentscheidung auf grobe Fehler gewandelt.238 Allerdings entsprängen nicht sämtliche Fälle, in denen der ordre public-Vorbehalt eine Anerkennung verhindere, den Schwierigkeiten einer grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeit; häufig beträfen sie unterschiedslos Inlands- wie Auslandssachverhalte.239 Dies werfe aber die Frage auf, warum gerade bei einer grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung noch ein zusätzliches Instrument des Grundrechtsschutzes bereit gehalten werden sollte, das bei einer reinen Inlandsvollstreckung nicht zur Verfügung stünde.240 Der Einwand, diese Kontrolle stelle einen Ausgleich für mögliche Nachteile des Beklagten, der sich auf einen Prozess im Ausland einlassen musste, dar,241 könne nicht überzeugen, da dies sowohl der im Rahmen der Zuständigkeitsregeln getroffenen Entscheidung über die Zumutbarkeit einer Prozessführung im Ausland als auch der (von den europäischen Institutionen) postulierten Gleichwertigkeit der Rechtspflege in allen Mitgliedstaaten widerspräche.242 Eine ordre public-Kontrolle im Vollstreckungsstaat stelle mithin eine im zusammenwachsenden Europa nicht zu rechtfertigende Besserstellung des Schuldners im Fall einer grenzüberschreitenden Vollstreckung dar.243 Da das unionsweit erreichte Rechtsschutzniveau ein ausreichendes Fundament für die Abschaffung des ordre public-Vorbehaltes biete,244 mangele es der Vorbehaltsklausel als „bloße[r] Referenz an die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten“, insbesondere vor dem Hintergrund des stetigen Zusammenwachsens der Europäischen Union in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht, mittlerweile an einer ausreichenden Rechtfertigung.245 Nach R aum/Lindner mutet es sogar „schon fast grotesk an, wenn im Blick auf die Frage der wechselseitigen Vollstreckbarkeitserklärung ein Mitgliedstaat den anderen beargwöhnt, seine Urteile könnten den „ordre public“ verletzen.“246 Der ordre public-Vorbehalt wäre vor diesem Hin238 Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 476; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 166, 259 f.; Basedow, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 291, 294. 239 So Stein, IPRax 2004, 181, 185 mit Bezug auf den K rombach-Fall („Der Skandal des Krombach-Falles hat in keinster Weise damit zu tun, dass es ein in Deutschland lebender Bürger war, der der französischen Verfahrensregel unterworfen war; das Ergebnis hätte genauso ausgesehen, wenn ein französischer Betroffener sich an den EGMR gewandt hätte“). 240 Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 466; Stein, IPRax 2004, 181, 185; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 202. 241 Siehe insofern oben, § 7.C.II.3. 242 Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645 (Fn. 47); Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 466. 243 Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 466, 467 f. 244 Stein, IPRax 2004, 181, 186; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645. 245 Raum/Lindner, NJW 1999, 465, 470; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 173 f., 260, die überdies darauf hinweist, dass das übergeordnete Ziel, die Verwirklichung eines Vereinten Europas nicht ohne Verzicht auf nationale Souveränität zu erreichen ist. 246 Raum/Lindner, NJW 1999, 465, 470. Ähnlich Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung,
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tergrund wohl nicht nur als entbehrlich, sondern sogar als hinderlich für den weiteren Integrationsprozess und die Entwicklung eines Europäischen Justizraumes anzusehen. Der Verzicht auf eine Kontrolle des ordre public im Vollstreckungsstaat entspräche – folgte man dieser Argumentation – damit „europäischer Gesinnung“ und wäre demzufolge auch rechtspolitisch wünschenswert.247 Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist und diese Argumente den Verzicht auf eine anerkennungsrechtliche Kontrolle tragen können, soll im Folgenden genauer untersucht werden. a. Praktische Relevanz des ordre public-Vorbehaltes Ausgehend von der These, dass die Einlegung von Rechtsbehelfen im Rahmen des Exequaturverfahrens nur selten von Erfolg gekrönt ist, lässt sich durchaus bezweifeln, ob die Notwendigkeit, eine nachgelagerte ordre public-Kontrolle beizubehalten weiterhin besteht.248 Sachverhalte, in denen der Einwand der ordre public-Widrigkeit erfolgreich erhoben wurde, stellen zugegebenermaßen seltene Ausnahmen dar.249 Dass die Vorbehaltsklausel dennoch keineswegs ein obsoletes Relikt früherer uneingeschränkter Herrschaftsansprüche darstellt, welches im diametralen Widerspruch zur Anerkennung fremder Urteile steht, sondern auch weiterhin praktische Bedeutung besitzt, wird durch die Rechtsprechung bestätigt. Zu nennen ist insoweit der Aufsehen erregende Fall K rombach,250 in dem die Anwendung einer französischen Verfahrensvorschrift251 dazu führte, dass das Nichterscheinen des Beklagten, gegen den zuvor ein Haftbefehl erlassen worden war, die Unzulässigkeit der Verteidigung durch die anwesenden Prozessbevollmächtigten zur Folge hatte, so dass die Verurteilung auf der Grundlage bestrittener Tatsachenvorträge erging. Der Beklagte wurde mit anderen Worten vor die S. 466 („In einem zusammenwachsenden Europa ist kein Raum für einen derartigen Kampf der Rechtsordnungen“). 247 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 468, 476; Raum/Lindner, NJW 1999, 465, 470; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645 f.; vgl. auch Geimer, in: Festschrift f. Janos, S. 230, 241. 248 So Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809, 818; Stein, IPRax 2004, 181, 182 ff., 191; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 463 insbesondere mit Hinweis auf die Präklusionsregelung. 249 Vgl. hierzu Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 480 f., 491, 559; Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809, 818. 250 BGHZ 144, 390 = NJW 2000, 3289. Siehe auch EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935 – Krombach/Bamberski mit Anm. von Bar, JZ 2000, 725; EGMR v. 13.02.2001, Nr. 29731/96, NJW 2001, 2387 – Krombach/Frankreich mit Anm. Gundel, NJW 2001, 2380. Nach Lopez-Tarruella, EuLF 2–2000/01, 122, 128 war ein Rückgriff auf den subsidiären ordre public-Vorbehalt ausgeschlossen, da es sich vielmehr um einen Anwendungsfall des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ handelte. Krit. dazu Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 161 f. Vgl. umfassend zu den Hintergründen des Falles vgl. Netzer, ZJS 2009, 752 ff. 251 Art. 630 Code de procédure pénale (französische Strafprozessordnung).
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Wahl zwischen der Hinnahme der prozessualen Sanktion und einer wirksamen Verteidigung verbunden mit einer gleichzeitigen Inhaftierung gestellt. Erwähnenswert ist darüber hinaus eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, in der einem polnischen Unterhaltstitel die Vollstreckung versagt wurde,252 weil das Ursprungsgericht seine Entscheidung willkürlich auf eine Aussage vom Hörensagen stützte, statt die Aussage des Beklagten und angebotene unmittelbare Beweismittel253 zu berücksichtigen. Nach Ansicht des BGH verwehrte es dem Beklagten damit die Einräumung der „Rolle eines Verfahrenssubjekts […], das aktiv die Gestaltung des Verfahrens beeinflussen kann“ und verletzte mithin essentielle Verfahrensrechte.254 Mit ähnlicher Begründung untersagte der Bundesgerichtshof die Vollstreckung einer australischen 255 Entscheidung, die auf einem Verfahren beruhte, von dem der Beklagte wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court) ausgeschlossen worden war.256 Schließlich ist auf den Fall Maronier v. Larmer hinzuweisen.257 Diesem lag ein Verfahren zu Grunde, welches, nachdem die Klage ordnungsgemäß zugestellt worden war, wegen Krankheit und Konkurses des Klägers ausgesetzt und erst vierzehn Jahre später wieder aufgenommen wurde. Der zwischenzeitlich nach Großbritannien verzogene Beklagte wurde jedoch nicht über die Verfahrensfortsetzung informiert und erlangte erst mit der Registrierung des Titels in England (vgl. Art. 38 Abs. 2 EuGVVO a. F.) Kenntnis von der Fortsetzung des Prozesses. Da es sich bei dem ergangenen Urteil nicht um ein Versäumnisurteil handelte – der Beklagte hatte nach niederländischem Recht technisch am Verfahren teilgenommen 258 – konnte er sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegen das Urteil zur Wehr setzen und war insofern auf den zweitstaatlichen Rechtsschutz angewiesen. Diese Beispiele259 zeigen, dass trotz zunehmender Harmonisierung und restriktiver Handhabung des ordre public-Vorbehaltes260 nach wie vor Fälle zu verzeich252 BGH NJW 2009, 3306 mit Anm. Henrich, FamRZ 2009, 1821; Rauscher, LMK 2009, 293153; ferner dazu Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, S. 163 ff. 253 Der Beklagte hatte angeregt, sich einer gutachterlichen DNS-Untersuchung zu unterziehen, um eine mögliche Vaterschaft zu widerlegen. 254 BGH NJW 2009, 3306, 3308 f., Rn. 29; siehe zudem BGHZ 118, 312, 321; 48, 327, 333. 255 Zwar handelte es sich vorliegend um keine aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union stammende Entscheidung, doch veranschaulicht sie die nach wie vor bestehenden Spannungen zwischen angloamerikanischem und kontinentaleuropäischem Prozessverständnis und betrifft einen Verfahrensablauf, der, wie der Fall Gambazzi (vgl. oben, § 5 Fn. 127) zeigt, durchaus auch vor einem englischen Gericht und damit auch im europäischen Rechtsraum vorstellbar ist. 256 BGHZ 182, 204 = NJW 2010, 153 mit Anm. Botur, FPR 2010, 519; Gottwald, FamRZ 2009, 2074; Rauscher, JR 2010, 437. 257 Maronier v Larmer, Court of Appeal [2003] QB 620; [2002] EWCA Civ 774. 258 Thoma, Europäisierung des ordre public, S. 151 mit Verweis auf Kramer, Int’lLis (Inverno 2002/2003), 16, 18. 259 Siehe auch das obiter dictum in OLG Zweibrücken IPRax 2006, 487 mit Anm. H. Roth, IPRax 2006, 466. 260 Siehe oben, § 5.C.III.1.
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nen sind, in denen der ordre public-Vorbehalt einschlägig ist.261 Ferner wird deutlich, dass der Aussage, die wenigen Fälle, in denen der ordre public tatsächlich verletzt sei, seien zu vernachlässigen, die Frage gegenübersteht, ob man – ungeachtet ihres Ausnahmecharakters – tatsächlich Urteile anerkennen und vollstrecken will, die auf Verfahren basieren, in deren Verlauf der Beklagte vor die Wahl zwischen einer wirksamen Verteidigung und dem Absitzen einer Freiheitsstrafe gestellt wird, die auf einer willkürlichen Beweiswürdigung beruhen und Verfahrensbeteiligte zu passiven Verfahrensobjekten degradieren oder nach mehr als zehn Jahren Aussetzung wieder aufgenommen werden ohne den Beklagten darüber in Kenntnis zu setzen und auf diese Weise (prozessuale) Menschenrechte gröblichst verletzen. Die oben aufgeführten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und der nationalen Gerichte verdeutlichen damit, welche unerträglichen Folgen die Abschaffung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens der EuGVVO samt ordre public-Überprüfung mit sich bringen würde.262 Sie zeigen, dass die verschiedenartigen Prozessrechte der Mitgliedstaaten immer wieder zu Konstellationen führen können, in denen die unbesehene Vollstreckung im Zweitstaat zu bedenklichen Rechtsschutzdefiziten führen kann.263 Da neben diesen Fallgestaltungen auch Fälle des Prozessbetruges ein beachtliches Problem darstellen,264 kann die geringe praktische Bedeutung der Vorbehaltsklausel kein Argument für deren Abschaffung darstellen. Vielmehr sollte man sich, im Wissen um einen wirksamen Behelf zur Gewährleistung eines adäquaten Rechtsschutzes, glücklich schätzen, dass aufgrund der hohen Grundrechtsstandards in der europäischen Union die Grenze zur ordre public-Widrigkeit nur selten überschritten wird. Der Einwand, ein solcher Auffangtatbestand, der ohnehin nahezu nie verletzt ist, ermögliche das Hinauszögern der Vollstreckung und behindere auf diese Art und Weise in einem unverhältnismäßigen Maße die vollständige Herstellung der 261 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 479 ff., 494 (weitere Beispiele für Verletzungen des ordre publics in den einzelnen Mitgliedstaaten bei Rn. 480 ff.). Vgl. zudem den Fall Pordéa, siehe oben, § 5 Fn. 145. 262 H. Roth, IPRax 2006, 466; R. Wagner, NJW 2005, 1157, 1160; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193. 263 Hess, EuZPR, § 3 Rn. 30. 264 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 481 mit Fn. 725; ders., EuZPR, § 3 Rn. 30; Mankowski, RIW 2004, 587, 588; Francq, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 34 Rn. 27; Stadler, IPRax 2004, 2, 8; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 477; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 189; Bruns, JZ 1999, 278, 283; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 93; Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 21 EG-UntVO Rn. 44 (anders nun aber Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 21 EG-UntVO Rn. 45, 48); Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 110. Beispiele: BGH NJW 2004, 2386; BGH IPRax 1987, 236, 237; BGH WM 1986, 1370; BGHZ 141, 286, 304 (Vollstreckbarerklärung eines US-amerikanischen Urteils). A. A. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 474, der m.E. jedoch übersieht, dass gerade grenzüberschreitende Verfahren zu Informationsasymmetrien führen und auf diese Weise die Gefahr eines Prozessbetruges erhöhen.
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Urteilsfreizügigkeit in Europa,265 schlägt nicht durch, da die wenigen Fälle, die von ihm erfasst sind, unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten untragbar sind 266 und Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt auch die Wahrung der Gerechtigkeit im Einzelfall ist.267 Der ordre public-Vorbehalt „steht [… damit eben doch] nicht nur auf dem Papier“.268 b. Europäischer ordre public – Rechtsschutz durch die Europäischen Gerichte Auf der Grundlage der Bindung sämtlicher Mitgliedstaaten der Europäischen Union an die Europäische Menschenrechtskonvention und unter Hinweis auf die Entwicklung eines gemeineuropäischen ordre public wird argumentiert, dass eine einheitliche Grundrechts- und Werteordnung in allen Mitgliedstaaten existiere, die einen ausreichenden Rechtsschutz biete und die Notwendigkeit einer nationalen ordre public-Kontrolle entfallen ließe. Nach dieser Sichtweise ist es mehr als unwahrscheinlich, dass im Europäischen Justizraum Urteile ergehen, die trotz der grundsätzlichen Übereinstimmung der Rechtsordnungen in ihren Grundprinzipien in einem derart starken Widerspruch zu der Rechts- und Werteordnung des anerkennenden Mitgliedstaates stehen, dass dessen ordre public einer Urteilsanerkennung entgegen steht.269 Sollte es dennoch einmal zu einem derartigen pathologischen Fall kommen, wären immer auch europäische Grundrechte verletzt, deren Überwachung dem EuGH und dem EGMR obliegt.270 Eine nationale ordre public-Kontrolle sei demnach verzichtbar. aa. Allgemein: Europäischer Grundrechtsschutz Die Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaften sahen noch keinerlei Regelungen, den Schutz der Menschenrechte betreffend, vor. Ein Grundrechtsschutz war in ihnen nicht angelegt und von einem europäischen ordre public im 265 Dagegen könnte man argumentieren, dass die geringe praktische Relevanz der Vorbehaltsklausel im Gegenteil dokumentiere, dass sie kein spürbares Hindernis der Urteilsfreizügigkeit darstellt, so bspw. Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 145; Regen, Prozessbetrug, Rn. 928 f.; Linke, FPR 2006, 237, 239. 266 Stadler, IPRax 2004, 2, 8; dies., in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 44; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 12; Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 34 EuGVVO Rn. 9; Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, S. 167; Rauscher; LMK 2009, 293153. 267 Oberhammer, JBl. 2006, 477, 497; Stadler, IPrax 2004, 2, 8; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 265. 268 Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 50. 269 Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 165. 270 Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 165; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 310; Stein, IPRax 2004, 181, 186; R. Stürner, in: Festschrift f. den BGH III, S. 677, 689.
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Sinne einer einheitlichen Grundrechts- und Werteordnung war die Gemeinschaft zu diesem Zeitpunkt weit entfernt. Dies stellte jedoch kein Versäumnis der Gründungsstaaten dar. Vielmehr sah man schlichtweg keinerlei Veranlassung zur Aufnahme einzelner Grundrechtsverbürgungen in die Verträge. Diese Einschätzung beruhte vor allem auf der Annahme, dass die europäischen Verträge allein die Mitgliedstaaten als Völkerrechtssubjekte berechtigen und verpflichten konnten und daher auch keinerlei Grundrechtsgefährdungen Einzelner drohten.271 Dies änderte sich jedoch durch die Rechtsprechung des EuGH und der damit einhergehenden Begründung der unmittelbaren Geltung272 und des Anwendungsvorranges des Gemeinschafts- bzw. Unionsrechts.273 Hierdurch wurde erkennbar, dass europäische Rechtsakte nicht nur die Mitgliedstaaten verpflichten, sondern sehr wohl auch die Grund- und Menschenrechte der europäischen Bürger beeinträchtigen konnten.274 Dem trug der EuGH in der Entscheidung Stauder Rechnung und erkannte die Grundrechte als „allgemeine Grundsätze der Gemeinschaftsrechtsordnung“ an.275 In der Folge schuf der Gerichtshof im Wege der wertenden Rechtsvergleichung276 eine Vielzahl von eigenständigen Unionsgrundrechten 277 und formte auf diese Weise einen europäischen Grundrechtsschutz aus. Die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten 278 und die Europäische Menschenrechtskonvention 279 dienten ihm insoweit als Rechtserkenntnisquellen. Durch den Vertrag von Maastricht im Jahre 1992 fand dieser richterrechtlich ausgebildete Grundrechtsschutz schließlich Eingang in das europäische Primärrecht.280 271 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 6 EUV Rn. 4; ders., in: Calliess/Ruffert, Verfassung der Europäischen Union, Art. I-9 VVE Rn. 4; Haltern, Europarecht, Rn. 1042 ff.; Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 346 f. 272 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1, 25 – van Gend & Loos. 273 EuGH, Urt. v. 20.02.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 – Costa/ENEL; Urt. v. 17.12.1974, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125, Rn. 3 – Internationale Handelsgesellschaft. 274 Vondung, AnwBl 2011, 331; Rudolf, AnwBl 2011, 153, 154; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, Art. 6 EUV Rn. 5; Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 346 f. 275 EuGH, Urt. v. 12.11.1969, Rs. 29/69, Slg. 1969, 419 Rn. 7 – Stauder/Stadt Ulm. 276 Vgl. zur Methodik Sobotta, Transparenz in den Rechtsetzungsverfahren der EU, S. 290 ff. (mwN). 277 Pache/Rösch, EuR 2009, 769, 771 f.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 6 EUV Rn. 6; Kokott/Sobotta, EuGRZ 2010, 265, 266; Kizil, JA 2011, 277, 279; Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 352. Bsp.: Eigentumsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Meinungs- und Informationsfreiheit, Vereinigungs- und Religionsfreiheit, Achtung des Familienlebens, Verfahrensrechte wie den Anspruch auf rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz etc., vgl. Rengeling, Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, S. 1 (mwN). 278 EuGH, Urt. v. 17.12.1974, Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125, Rn. 4 – Internationale Handelsgesellschaft. 279 EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, 491, Rn. 13 – Nold/Kommission. 280 Vgl. Art. F Abs. 2 EUV/aF: „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 unterzeichneten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ge-
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„Um die überragende Bedeutung der Grundrechte und ihre Tragweite für die Unionsbürger sichtbar zu machen“ beschloss der Europäische Rat einige Jahre später, noch einen Schritt weiter zu gehen und eine Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu erarbeiten.281 Diese wurde schließlich auf dem EU-Gipfel von Nizza am 07.12.2000 feierlich proklamiert.282 Gleichwohl versagte man der Charta die Form unmittelbar bindenden Unionsrechts283 – sie blieb rechtlich unverbindlich (sog. soft law). Dessen ungeachtet beeinflusste sie fortan die Grundrechtsdiskussion. Insbesondere die Generalanwälte beim EuGH nahmen in ihren Schlussanträgen sehr bald Bezug auf die Regelungen der Grundrechtecharta,284 die nach ihrer Diktion mehr darstellten, als eine bloße „folgenlose Aufzählung rein moralischer Grundsätze“.285 Die Unionsgerichte schlossen sich dieser Auffassung sehr bald an und verwiesen in ihren Judikaten ebenfalls auf den Gewährleistungsgehalt der Charta.286 Auf diese Weise gab sie, ungeachtet ihrer fehlenden Rechtsverbindlichkeit, „Aufschluss über die durch die Gemeinschaftsrechtsordnung garantierten Grundrechte.“287 Der grundsätzliche Mangel an rechtlicher Verbindlichkeit der Charta war folglich nicht mit einem Mangel an rechtlicher Wirkung gleichzusetzen. Durch die immer wiederkehrende Bezugnahme der Regelungen der Charta beeinflusste sie regelmäßig das Ergebnis der Rechtsfindung, so dass ihr kein unwesentlicher rechtlicher Effekt zukam.288 In konsequenter Fortentwicklung des Grundrechtsschutzes erlangte die Charta mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 schließlich Rechtsverbindlichkeit, Art. 6 Abs. 1 EUV, und wurde damit, auch wenn auf eine Inkorporation in die Verträge verzichtet wurde, Bestandteil des Primärrechtes. Damit wurde sie zur Rechtsquelle erhoben und der Europäischen Union ein geschriebener Grundrechtskatalog zur Seite gestellt.289 währleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“ 281 Beschluss des Europäischen Rates vom 4. Juni 1999, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, wiedergegeben in EuGRZ 1999, S. 364 f. 282 ABl. EG 2000 Nr. C 364, S. 1, geändert durch ABl. EG 2007 Nr. C 303, S. 1. 283 Kokott/Sobotta, EuGRZ 2010, 265; Kizil, JA 2011, 277; Alber, EuGRZ 2001, 349. 284 Siehe etwa die Schlussanträge des GA Alber, C-340/99, Slg. 2001, I-4109, Nr. 94; GA Tizziano, C-173/99, Slg. 2001, I-4881, Nr. 28; GA Léger, C-353/99 P, Slg. 2001, I-9565, Nr. 82, 83; GA Kokott, C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565 (Fn. 83). 285 Schlussanträge des GA Léger v. 10.07.2001, Rs. C-353/99 P, Slg. 2001, I-9567, Rn. 74 – Rat/ Hautala. 286 EuGH, Urt. v. 27.06.2006, Rs. C-540/03, Slg. 2006, I-5769, Rn. 38 – Europäisches Parlament/Rat; Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 25 – Krombach/Bamberski; EuG, Urt. v. 30.01.2002, Rs. T-54/99, Slg. 2003, II-313, Rn. 48, 57. 287 Vgl. Schlussanträge GA Kokott v. 14.10.2004, verb. Rs. C-387/02, C-391/02 und C-403/02, Slg. 2005, I-3565, Rn. 109 (Fn. 83) – Berlusconi; Schlussanträge GA Kokott v. 23.04.2009, Rs. C-97/08 P, Rn. 74 (Fn. 63) – Akzo Nobel/Kommission. 288 Mayer, in: Schwarze/Hatje, Reformvertrag von Lissabon, S. 87; Schwartmann, AVR 43 (2005), 129, 133; Streinz, Europarecht, Rn. 732; Fischer, Europarecht, § 5 Rn. 25–27. 289 Vgl. Art. 6 Abs. 1 EUV; Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 346; Kizil, JA 2011, 277.
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Ähnliches soll grundsätzlich auch für die EMRK, die bereits früh als Rechtserkenntnisquelle anerkannt worden war,290 gelten. So bestimmt Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV, dass die Europäische Union der Europäischen Menschenrechtskonvention beitritt,291 wodurch diese ebenfalls zum Bestandteil des europäischen Primärrechts aufstiege. Ein solcher Beitritt – aufgrund des eindeutigen Wortlautes der Regelung („Die Union tritt der Europäischen Konvention […] bei“)292 geht ein Großteil der Literatur neben einer bloßen Beitrittsermächtigung auch von einer Beitrittsverpflichtung der Europäischen Union 293 samt ihrer Mitgliedstaaten 294 aus – zöge zweierlei nach sich: Zum einen würde das Konventionsrecht Teil des Unionsrechtes, was zur Folge hätte, dass konventionsverletzende Unionsrechtsakte vom Europäischen Gerichtshof aufzuheben wären (interne Grundrechtskontrolle) und zum anderen, dass sich die Europäische Union der externen (Grundrechts-)Kontrolle durch den EGMR unterwerfen würde.295 Einer solchen Überprüfungmöglichkeit der Rechtsakte und Handlungen der Union und ihrer Organe296 und dem damit verbundenen Aufstieg des EGMR zur „oberste[n] Instanz für Grundrechtsfragen in Europa“297 ist nun jedoch der EuGH entgegengetreten.298 Er qualifizierte das ausgehandelte Beitrittübereinkommen unter Hinweis 290 EuGH, Urt. v. 14.05.1974, Rs. 4/73, Slg. 1974, 491, Rn. 13 – Nold/Kommission. Eine unmittelbare Bindung der Unionsorgane an die Konventionsvorgaben wurde dagegen mehrheitlich abgelehnt, vgl. EuGH, Gutachten v. 28.03.1996, 2/94, Slg. 1996, I-1759; Pechstein, in: Streinz, EUV/ EGV, Art. 6 EUV Rn. 11; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 4 Rn. 2. 291 Diese Regelung wurde durch ein Gutachten des EuGH erforderlich, da dieser feststellte, dass die EU nicht über die notwendige Kompetenz verfüge, der EMRK beizutreten, vgl. EuGH, Gutachten 2/94, EMRK, Slg. 1996, I-1759, Rn. 6. 292 Hervorhebung durch den Verfasser. 293 Kingreen, in: Calliess/Ruffert, Verfassung der EU, Teil I, 2006, Art. I-9 Rn. 20; Pache/ Rösch, EWS 2009, 393, 398; dies., EuZW 2008, 519, 520; dies., NVwZ 2008, 473, 474 f.; Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 360 f.; Baumann, EuGRZ 2011, 1, 10; A. Weber, EuZW 2008, 7, 8. Einschränkend Szczekalla, in: Heselhaus/Nowak, Hdb. der Europäischen Grundrechte, § 2 III Rn. 11. Krit. Kizil, JA 2011, 277, 279 („unverbindliche (politische) Absichtserklärung“). Gegen eine Beitrittsverpflichtung sprechen in der Tat (1) die fehlende Möglichkeit eine derartige Verpflichtung durchzusetzen, (2) die fehlende Ausgestaltung des Beitritts (noch auszuhandelnder Beitrittsvertrag), (3) die Existenz der von den allgemeinen Regeln abweichenden speziellen Verfahrensregeln für den Beitritt (vgl. Art. 216 Abs. 6 UAbs. 2 a) ii), Abs. 8 UAbs. 2 AEUV), die bei Annahme einer Verpflichtung sämtlicher Beteiligter einem Beitritt zuzustimmen, überflüssig wären. 294 A. Weber, EuZW 2008, 7, 8; Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 360. Andernfalls könnten diese den angestrebten Beitritt blockieren, vgl. Kizil, JA 2011, 277, 279 („faktisches Vetorecht“); Hatje/Kindt, NJW 2008, 1761, 1767 („jedem Mitgliedstaat steht de facto […] ein Vetorecht zu“). 295 Kizil, JA 2011, 277, 278; Schwarze, in: Schwarze/Hatje, Reformvertrag von Lissabon, S. 9, 18; Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 362; Weiß, ZEuS 2005, 323, 348; Schwartmann, AVR 43 (2005), 129, 142; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der Europäischen Union, Rn. 1154. 296 Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 362; Kizil, JA 2011, 277, 278. Ausführlicher zu den Folgen des Beitritts Weiß, ZEuS 2005, 323, 348 ff.; Schwartmann, AVR 2005, 129 ff. 297 Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 362 f. 298 EuGH, Gutachten v. 18.12.2014, C-2/13, BeckRS 2015, 80256 – EMRK II; vgl. dazu Streinz, JuS 2015, 567 ff.; Wendel, NJW 2015, 921 ff.; Thym/Grabenwarter, EuZW 2015, 180.
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auf die eigenen Kompetenzen als unionsrechtswidrig und verhinderte damit den Beitritt der Europäischen Union zur EMRK, die damit bis auf weiteres Rechtserkenntnisquelle bleibt. Neben den in Art. 6 Abs. 3 EUV in Bezug genommenen ungeschriebenen Grundrechten erfasst Art. 6 EUV mit der Grundrechtecharta und der EMRK damit drei Grundrechts(erkenntnis)quellen.299 Dementsprechend wird in diesem Zusammenhang von einem „dreifachen“300 bzw. „dreigleisigen“301 Grundrechtsschutz auf Unionsebene gesprochen. In der Folge haben sämtliche unionsrechtlichen Maßnahmen im Einklang mit den in Art. 6 EUV in Bezug genommen Grundrechts(erkenntnis)quellen und den in ihnen niedergelegten Menschenrechten zu stehen. Andernfalls sind die in Frage stehenden Maßnahmen, nach vorrangiger grundrechtskonformer Auslegung, für nichtig zu erklären. Dies zeigt, dass sich der Grundrechtsschutz in der EU – zumindest quantitativ – stetig weiterentwickelt hat. Ein Schwachpunkt des unionalen Grundrechtsschutzes lag beispielsweise darin, dass bis zur Neufassung des Art. 6 EUV durch den Vertrag von Lissabon die Grundrechte durch den EuGH im Wege der wertenden Rechtsvergleichung von Fall zu Fall „entwickelt“ und „ausgeformt“ werden mussten. Daraus resultierte zum einen eine begrenzte Erkennbarkeit der Grundrechte für den Bürger und zum anderen (bis zum Urteilsspruch des EuGH) Rechtsunsicherheit hinsichtlich noch nicht anerkannter Grundrechte.302 Durch die Kenntlichmachung der garantierten Grundrechte und die damit einhergehende Transparenz wird diesem Problem entgegengewirkt. Ferner wird durch die Europäische Grundrechtecharta auf eine stärkere Konvergenz des Grundrechtsschutzes im Verhältnis zur EMRK hingewirkt, vgl. Art. 52 Abs. 3 EuGRCh.303 Da sich die in Art. 6 EUV erfassten Grundrechtsverbürgungen aber weitestgehend entsprechen,304 ist ein qualitativer Anstieg des europäischen Grundrechtsniveaus durch die (jüngste) Entwicklung eher zu bezweifeln.305 299 Zum Verhältnis der in Art. 6 EUV enthaltenen Grundrechtsquellen untereinander, vgl. Schulte-Herbrüggen, ZEuS 2009, 343, 353 ff., 363 f.; Kizil, JA 2011, 277, 280. 300 Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473, 475. 301 Mayer, in: Schwarze/Hatje, Reformvertrag von Lissabon, S. 87, 88. 302 Calliess, EuZW 2001, 261, 262; Busch, DRiZ 2010, 63, 65; Szczekalla, NVwZ 2006, 1019, 1020. Hinsichtlich des Schutzbereiches Ress/Ukrow, EuZW 1990, 499, 502 ff.; von Bogdandy, JZ 2001, 157, 167. Krit. aber auch hinsichtlich der „Erfindung neuer Grundrechte“, vgl. Busch, DRiZ 2010, 63, 65. Bezugnehmend auf EuGH, Urt. v. 22.11.2005, Rs. C-144/04, Slg. 2005, I-9981 – Mangold, vgl. Kokott/Sobotta, EuGRZ 2010, 265, 266; Herzog/Gerken, DRiZ 2009, 141; Mayer/Walter, Jura 2011, 532, 535 (mwN). 303 Pache/Rösch, NVwZ 2008, 473, 475; A. Weber, EuZW 2008, 7, 8; Kizil, JA 2011, 277, 280. Vgl. zum Problem EGMR v. 30.06.2005, Nr. 45036/98, NJW 2006, 194 – Bosphorus/Irland; Bröhmer, EuZW 2006, 71 ff.; Schohe, EuZW 2006, 33 ff.; Heer-Reißmann, NJW 2006, 192 ff. 304 Pache/Rösch, EuZW 2008, 519, 521; dies., EuR 2009, 769, 785; daher führt der nicht erfolgte Beitritt der EU zur EMRK auch zu keinerlei Schutzlücken, vgl. Thym, EuZW 2015, 180. 305 Pache/Rösch, EWS 2009, 393, 400; a. A. Kizil, JA 2011, 277, 281.
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Insgesamt wird der durch den EuGH gewährte Grundrechtsschutz ohnehin sehr kritisch hinterfragt.306 Interessanterweise stehen sich die Ansatzpunkte der Kritik jedoch diametral gegenüber. Während dem EuGH auf der einen Seite eine „zurückhaltende Grundrechtsjudikatur“307 und die Tendenz zur Aufrechterhaltung europäischer Rechtsakte vorgeworfen wird,308 wird ihm von anderer Stelle vorgehalten, er verfalle in einen wahren „Grundrechtsaktionismus“,309 weshalb die Gewährung eines effektiven und zugleich dogmatisch konsistenten Grundrechtsschutzes gefährdet werde.310 Unabhängig davon, ob man den abstrakt gewährten Grundrechtsschutz für ausreichend oder unzureichend hält, scheinen die eigentlichen Schwierigkeiten aber eher an anderen Stellen zu verorten sein. Insbesondere die Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte wie auch deren prozessuale Durchsetzung erscheinen als Hindernis des unionalen Grundrechtsschutzes. Daher ist an dieser Stelle zunächst auf den Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte und sodann auf das europäische Rechtsschutzsystem sowie die ihnen inhärenten Beschränkungen für die Grundrechtsdurchsetzung auf europäischer Ebene einzugehen. bb. Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte Wenn man in Anbetracht einer – mittlerweile – zweifellos entstandenen europäischen Grundrechts- und Werteordnung (sog. europäischer ordre public) auf eine mitgliedstaatlich determinierte Vorbehaltsklausel verzichten will, dann muss gewährleistet sein, dass der europäische ordre public einen umfassenden Rechtsschutz vermitteln kann. Mit anderen Worten: Die europäischen Grundrechte müssen, als wesentlicher Bestandteil des europäischen ordre public, für den Schuldner in Fällen des innereuropäischen, grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs ein derart hohes Schutzniveau bereithalten, wie dies die nationalen Vorbehaltsklauseln bisher sichergestellt haben. Das bedeutet aber auch, dass möglichst alle Fallgestaltungen einer Kontrolle am Maßstab der europäischen Grundrechte unterliegen. Problematisch ist insoweit jedoch, dass der EuGH nicht die Vereinbarkeit nationaler Regelungen, die nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen, mit Europäischen Grundrechten untersuchen kann.311 Denn lediglich „im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts“ besteht eine Bindung an die europäischen 306 Mayer, in: Schwarze/Hatje, Reformvertrag von Lissabon, S. 87, 96 („Ein uneingeschränkt positives Bild des Grundrechtsschutzes ohne jedes Fragezeichen wäre indessen kein realistisches Bild“). 307 Vondung, AnwBl 2011, 331, 333; Classen, EuR 2008, 627. 308 Calliess, EuZW 2001, 261, 262; Vondung, AnwBl 2011, 331, 333; Classen, EuR 2008, 627; von Bogdandy, JZ 2001, 157, 165; Nettesheim, EuZW 1995, 106 ff.; Huber, EuZW 1997, 517, 520 f.; a. A. Zuleeg, EuGRZ 2000, 511, 512 f. 309 Ruffert, EuR 2004, 165, 170; Schwartmann, AVR 43 (2005), 129, 130. 310 Schwartmann, AVR 43 (2005), 129, 130. 311 EuGH, Urt. v. 11.07.1985, verb. Rs. C-60 und 61/84, Slg. 1985, 2605, Rn. 26 – Cinéthèque.
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Grundrechte.312 So beispielsweise bei der Durchführung von Unionsverordnungen, der legislatorischen Umsetzung von Richtlinien sowie der Anwendung europarechtlich überformter Normen, nicht aber in Fällen der rein nationalen Gesetzgebung. Auch die Verbindlichkeit der Europäischen Grundrechtscharta ändert hieran nichts, spricht sie doch in Art. 51 Abs. 1 S. 1 EuGRCh von einer Bindung der Mitgliedstaaten „bei der Durchführung des Rechts der Union“. Zugegebenermaßen relativiert sich dieses Problem mit zunehmender europarechtlicher Überlagerung der nationalen Rechte – man geht mittlerweile davon aus, dass der Anteil europäisch determinierter Gesetze in Deutschland bei circa 80 % liegt.313 Allerdings überformt der unionsrechtliche Grundrechtsschutz damit bislang noch nicht sämtliche Rechtsbereiche, so dass auch weiterhin ein unionsrechtlich nicht überprüfbarer Raum und damit auch das Risiko von (nicht zu beseitigenden) Urteilen, die im Widerspruch zur europäischen Werteordnung stehen, bestehen bleibt. Dass dies kein theoretisches Konstrukt darstellt, beweist der Fall K remzow.314 Dem wegen Mordes und illegalen Waffenbesitzes angeklagten und in erster Instanz verurteilten Herrn K remzow wurde in einem österreichischen Strafverfahren nicht die Möglichkeit gegeben, sich in der Berufungsverhandlung persönlich zu verteidigen. Ähnlich wie in der Entscheidung K rombach stellte der EGMR in der Folge einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK fest.315 Dies veranlasste Herrn K remzow dazu ein neues Verfahren anzustrengen, in dem er unter anderem Strafmilderung und Schadensersatz begehrte. Nachdem dieses Begehren erst- und zweitinstanzlich abgelehnt wurde, wandte er sich im Wege einer außerordentlichen Revision an den Obersten Gerichtshof und regte an, die Frage nach der Vereinbarkeit der einschlägigen nationalen Vorschriften, auf denen seine Verurteilung sowie sein Ausschluss vom Verfahren beruhten, mit den Unionsgrundrechten dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen. Der österreichische Oberste Gerichtshof entsprach diesem Antrag und legte dem EuGH unter anderem die Frage vor, ob alle oder zumindest die im konkreten Verfahren relevanten Bestimmungen der EMRK auch Bestandteil des Unionsrechts seien und inwieweit, im Falle der Bejahung der Ausgangsfrage, eine über das Unionsrecht vermittelte Bindung an die Urteile des EGMR bestehe. Der EuGH stellte jedoch ausschließlich fest, dass die im Ausgangsrechtsstreit anwendbare Regelung einen Fall betraf, der nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fiel, weshalb auch die Unionsgrundrechte keine Anwendung finden 312 St. Rspr. vgl. EuGH, Urt. v. 13.07.1989, Rs. 5/88, Slg. 1989, 2609, Rn. 19 – Wachauf; Urt. v. 18.06.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925, Rn. 42 – ERT; Busch, DRiZ, 2010, 63, 65; Wallrab, Gemeinschaftsgrundrechte, S. 107; Ritter, NJW 2010, 1110, 1112; Jarass, EU-Grundrechte, § 4 Rn. 11; Mayer, in: Schwarze/Hatje, Reformvertrag von Lissabon, S. 87, 93. 313 Hoppe, EuZW 2009, 168 (mwN); Vondung, AnwBl 2011, 331, 332. 314 EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, I-2629 – Kremzow/Österreich. 315 Vgl. EGMR v. 21.09.1993, Nr. 29/1992/374/448 = Ser. A Nr. 268-B, EuGRZ 1995, 537 – Kremzow/Österreich.
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konnten.316 Die unionsrechtliche Grundrechtsordnung konnte mithin keinen Schutz zugunsten des Herrn K remzows entfalten. Auch in der Sache K rombach besaß die gegen den europäischen ordre public verstoßende Vorschrift keinen unionsrechtlichen Bezug, dennoch war in diesem Fall ein Vorabentscheidungsersuchen zulässig. Dies lag daran, dass der im Adhäsionsverfahren zugesprochene Schadensersatzanspruch zugunsten des Herrn Bamberski auf der Grundlage des EuGVÜ vollstreckt werden sollte und das deutsche Exequaturgericht dem französischen Urteil die Vollstreckbarerklärung unter Hinweis auf eine Verletzung des ordre public, Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ, und damit unter Anwendung einer europarechtlichen Regelung317 versagte. Durch die Anwendung des EuGVÜ konnte mithin der unionsrechtliche Grundrechtsschutz zur Anwendung gelangen. Dies zeigt, dass durch den ordre public-Vorbehalt der EuGVVO (bzw. früher EuGVÜ) die europäischen Grundrechte Eingang in konkrete Rechtsfälle finden können, in denen im Grunde keine Bindung an das Unionsrecht besteht. Hiergegen mag man nun einwenden, dass dieser über die Vorbehaltsklausel vermittelte Schutz (ungerechtfertigterweise)318 ausschließlich Parteien einer grenzüberschreitenden Rechtssache zu Gute komme. Dieser Einwand übersieht jedoch, dass dieser zunächst in Fällen der grenzüberschreitenden Vollstreckung gewährte Schutz, wie der Fall K rombach zeigt, zu einer Anpassung der nationalen Rechtsordnungen an die Erfordernisse der europäischen Grundrechte führen und damit einen Anstieg des allgemeinen europäischen Rechtsschutzniveaus und eine Erstreckung auf Inlandssachverhalte nach sich ziehen kann.319 Die Vorbehaltsklausel beinhaltet mithin nicht ausschließlich eine individualschützende Komponente, sondern kann darüber hinaus den europäischen Grundrechten zu einer umfassenderen und damit auch effektiveren Durchsetzung verhelfen. cc. Prozessuale Absicherung Auch bei Zutreffen der Prämisse eines ausreichenden Rechtsschutzniveaus innerhalb des Europäischen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts dürfte nicht außer Acht gelassen werden, dass es essentiell ist, inwieweit sich der Einzelne gegen etwaige Rechtsverletzungen, auch ohne die Möglichkeit im Vollstreckungsstaat die Verletzung des ordre public zu rügen, zur Wehr setzen kann. We-
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EuGH, Urt. v. 29.05.1997, Rs. C-299/95, Slg. 1997, I-2629, Rn. 18 f. – Kremzow/Österreich. Das EuGVÜ stellt zwar kein originäres Unionsrecht, sondern einen völkerrechtlichen Vertrag dar, der von den damaligen EWG-Mitgliedstaaten geschlossen wurde, gleichwohl wird er durch den EuGH ausgelegt, so dass er auch dem unionsrechtlichen Grundrechtsregime unterstellt ist. 318 Siehe insoweit oben § 7.D.III.; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, 625, 645; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 466, 467 f. 319 Vgl. unten § 7.D.III.1.b.cc.(bb)(1). 317
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sentlich ist mithin, dass die europäischen Grundrechte effektiv durchgesetzt werden können und nicht nur abstrakt, sondern auch im konkreten Einzelfall die Rechte und Interessen des Einzelnen zu wahren vermögen. Es darf mithin zu keinem Auseinanderklaffen zwischen materiell gewährleisteten Rechten und deren prozessualer Durchsetzbarkeit kommen. (1). Rechtsschutz vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Die Aufgabe der Rechtsschutzgewährleistung wird im Europäischen Recht gemeinsam von nationalen und europäischen Gerichten wahrgenommen. Im Normalfall sind die nationalen Gerichte zur Streitentscheidung berufen.320 Sie haben das Unionsrecht in eigener Verantwortung auszulegen und anzuwenden und gewährleisten damit als Unionsgerichte im funktionellen Sinn dessen Einhaltung.321 Dies folgt bereits aus der unmittelbaren und vorrangigen Geltung322 des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten und ermöglicht es den Unionsbürgern ihre durch das Unionsrecht vermittelten subjektiven Rechte vor einem nationalen Gericht durchzusetzen.323 Dieser dezentralisierte Rechtsschutz birgt jedoch die Gefahr divergierender Entscheidungen.324 Um eine einheitliche Interpretation des Unionsrechts zu gewährleisten, steht die Letztentscheidungskompetenz über die Auslegung des europäischen Primär- und Sekundärrechts sowie die Vereinbarkeit mitgliedstaatlichen Rechts mit Europarecht ausschließlich dem EuGH zu.325 Aus diesem Grund ist die Rechtsprechung des EuGH auch für die Auslegung und Fortentwicklung des europäischen Zivil(prozess)rechts und in diesem Zusammenhang auch für die Wahrung der Interessen und Rechte des Einzelnen von zentraler Bedeutung.326
320 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 13 Rn. 2 f. („Die nationalen Gerichte verwirklichen das Unionsrecht im Alltag“); M. Böhm, JA 2009, 679. 321 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 1; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 34, 36, 741; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 9 Rn. 2. 322 EuGH, Urt. v. 20.02.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 ff. – Costa/ENEL; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 18; Streinz, Europarecht, Rn. 203 ff. Es handelt sich dabei um einen Anwendungsvorrang. Das bedeutet, dass kollidierendes mitgliedstaatliches Recht seine Anwendbarkeit, nicht aber seine Geltung verliert und damit in Fällen ohne europarechtlichen Bezug wieder „aufleben“ kann. 323 EuGH, Urt. v. 05.02.1963, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 – Van Gend & Loos; Haltern, Europarecht, Rn. 333; M. Böhm, JA 2009, 679. 324 Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 741; Dauses, Das Vorabentscheidungsverfahren, S. 4 4. 325 Bruns, JZ 2011, 325; M. Böhm, JA 2009, 679, 682; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 13 Rn. 12; Herdegen, Europarecht, § 9 Rn. 31. Vgl. EuGH, Urt. v. 22.10.1987, Rs. 314/85, Slg. 1987, 4199 Rn. 15 ff. – Foto-Frost, hiernach sind nationale Gerichte nicht dazu befugt, Unionsrechtsakte selbstständig zu verwerfen, sondern zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, sofern sie eine entscheidungserhebliche unionsrechtliche Regelung für nichtig halten. 326 Bruns, JZ 2011, 325.
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(aa). Vorabentscheidungsverfahren, Art. 267 AEUV Das wichtigste Verfahren zur Gewährleistung einer einheitlichen Auslegung des europäischen Primär- und Sekundärrechts stellt das in Art. 267 AEUV niedergelegte Vorabentscheidungsverfahren dar.327 Es handelt sich dabei um ein Zwischenverfahren im Rahmen eines vor mitgliedstaatlichen Gerichten bereits anhängigen Rechtsstreites.328 Ähnlich der konkreten Normenkontrolle im deutschen Recht nach Art. 100 Abs. 1 GG wendet sich nicht der Einzelne selbst an den Europäischen Gerichtshof. Vielmehr legt das nationale (Ausgangs-)Gericht, welches im eigenen Verfahren eine unionsrechtliche Norm anwenden muss und Zweifel an deren Auslegung oder Gültigkeit hegt, dem EuGH eine konkrete Frage vor, die dieser losgelöst vom Ausgangsfall entscheidet.329 Gegenstand der Vorlagefrage kann neben der Auslegung der Verträge, also des europäischen Primärrechts, die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sein, vgl. Art. 267 Abs. 1 AEUV. Der EuGH entscheidet folglich nicht das Ausgangsverfahren oder äußert sich zu Fragen des innerstaatlichen Rechts, sondern beantwortet ausschließlich die für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erhebliche Auslegungs- oder Gültigkeitsfrage.330 Auch die im Anschluss erforderliche Anwendung des ausgelegten Rechts auf den konkret zur Entscheidung stehenden Einzelfall wird nicht vom EuGH vorgenommen, sondern ist allein Aufgabe der innerstaatlichen Gerichte.331 Hierin und in der Vorlagepflicht der letztinstanzlichen Gerichte332 verwirklicht sich zum einen die klare Aufgabentrennung von innerstaatlichen Gerichten, die zur Entscheidung des konkreten Rechtsstreits berufen sind, und dem Europäischen Gerichtshof, dem die Wahrung der einheitlichen Auslegung des Unions327 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 1; Everling, Das Vorabentscheidungsverfahren, S. 15 ff.; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 9 Rn. 2; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 234 Rn. 3 f.; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 741; Oppermann/Classen/ Nettesheim, Europarecht, § 13 Rn. 68 f. 328 A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 9 Rn. 2 („indirektes Klageverfahren“); Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 744; Hobe, Europarecht, Rn. 534. 329 A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 9 Rn. 2; Hobe, Europarecht, Rn. 536 f.; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 5. 330 Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 747; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 13 Rn. 74. In der Praxis wird der EuGH jedoch oftmals angerufen und um eine Entscheidung über die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit Europarecht oder die Anwendung einer unionsrechtlichen Norm in einem nationalen Verfahren ersucht. In diesen Fällen weist der EuGH die eigentlich unzulässigen Vorlagefragen nicht zurück, sondern formuliert sie dergestalt um, dass er sie auf ihre unionsrechtsrelevanten Elemente reduziert, vgl. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 27 mit 4 f. 331 St. Rspr.; vgl. EuGH, Urt. v. 28.03.1979, Rs. 222/78, Slg. 1979, 1163, Rn. 10 ff. – ICAP/Beneventi; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 5; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 4, 27. 332 Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, Art. 267 Abs. 3 AEUV.
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rechts obliegt,333 und zum anderen das „kooperative Zusammenwirken“ der mitgliedstaatlichen Gerichte und des Europäischen Gerichtshofes.334 Neben der objektiven Funktion der Wahrung der Rechtseinheit dient das Vorabentscheidungsverfahren nach allgemeiner Meinung aber auch der Durchsetzung des individuellen Rechtsschutzes.335 Es ermöglicht den Unionsbürgern – gemeinsam mit den mitgliedstaatlichen Gerichten – nationale oder auch europäische Rechtsakte auf ihre Unionsrechtskonformität überprüfen zu lassen336 und auf diese Weise unionsrechtlich begründete subjektive Rechte, wie beispielsweise die europäischen Grundrechte, vor nationalen Gerichten über den Umweg des Vorabentscheidungsverfahrens durchzusetzen.337 Dies kann insbesondere deswegen von Bedeutung sein, weil sich die vom EuGH entwickelten allgemeinen Grundsätze, wie die Prinzipien des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit oder die unionsrechtlich anerkannten Grundrechte, auch wenn sie „in der ein oder anderen Form Bestandteil des demokratisch-rechtsstaatlichen Selbstverständnisses sind, […] sich doch nach Umfang und Bedeutung oft fühlbar von den Ausprägungen, die sie in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen erfahren haben“ unterscheiden.338 Der europäische Rechtsschutz kann damit durchaus über die national gewährten Rechtspositionen hinausgehen. Entwertet wird das Element des Individualrechtsschutzes jedoch dadurch, dass Unionsbürger über keinen direkten Zugang zum EuGH verfügen. Durch die Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens als Zwischenverfahren müssen sie zunächst ein (Ausgangs-)Verfahren vor einem nationalen Gericht anstrengen und können innerhalb dieses Verfahrens lediglich eine Vorlage an den EuGH anregen.
333 EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1268 f. – Costa/ENEL; Urt. v. 16.12.1981, Rs. 244/80, Slg. 1981, 3045, 3062 f. – Foglia/Novello; Urt. v. 18.11.1999, Rs. C-107/98, Slg. 1999, I-8121, Rn. 29 ff. – Teckal/Gemeinde Viano; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 6 ff. 334 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 4 f.; Calliess, EuZW 2001, 261, 267; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn.748; ebenso der EuGH, Urt. v. 18.10.1990, verb. Rs. 297/88 und C-197/89, Slg. 1990, I-3763, Rn. 33 – Dzodzi, der das Vorabentscheidungsverfahren als „Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten“ bezeichnet. 335 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 1; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 743, 745; von Danwitz, NJW 1993, 1108, 1111; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 9 Rn. 5 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 05.02.1962, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 ff. – Van Gend & Loos. 336 Im Rahmen der Vorlage überprüft der EuGH zwar nie unmittelbar die Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Unionsrecht, sondern legt lediglich das relevante Unionsrecht aus, doch liegt in dieser Auslegung regelmäßig auch eine mittelbare Überprüfung der nationalen Normen, vgl. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 12. 337 Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 267 AEUV Rn. 3; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 743, 745, 751. 338 Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 161 f.; ähnlich Kokott/Sobotta, EuGRZ 2010, 265, 268.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Ein förmliches Antragsrecht, mit dem sie die Vorlage an den EuGH selbst herbeiführen können, steht ihnen nicht zur Verfügung.339 Problematisch ist dies insoweit, als dass die nationalen Gerichte ihrer Pflicht zur Vorlage zum EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht immer nachkommen.340 Zwar hat der EuGH in seiner Rechtsprechung einige Einschränkungen der Vorlagepflicht entwickelt – diese entfällt beispielsweise wenn die entscheidungserhebliche Frage in der Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt wurde341 oder wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts so offensichtlich ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt und die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und der EuGH keine Zweifel an dieser Auslegung haben würden (sog. acte claire)342 –, doch häufig gehen die Gerichte über diese Ausnahmen hinaus und entziehen sich durch den schlichten Hinweis auf die Offensichtlichkeit der Rechtsfindung – teilweise auch etwas vorschnell343 – ihrer Vorlagepflicht.344 Da ein Verstoß gegen Unionsrecht grundsätzlich nichts an der Rechtskraft der unionsrechtswidrigen Entscheidung ändert,345 wirft dies die Frage auf, ob ein Einzelner die Vorlage einer Rechtsfrage an den EuGH vor einem nationalen oder einem europäischen Gericht erzwingen kann, um auf diese Weise unionsrechtlich gewährte subjektive Rechte durchzusetzen. 339 BVerfGE 73, 339, 369 – Solange II; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 751; M. Böhm, JA 2009, 679, 683. Krit. Calliess, NJW 2002, 3577, insbes. 3582 mit Blick auf das Grundrecht des effektiven Rechtsschutzes; Bruns, JZ 2011, 325 der von einer „augenfällige[n] Diskrepanz zwischen materiell-rechtlichem Anspruch und verfahrensrechtlicher Zugangswirklichkeit“ spricht und mit Blick auf die „prägenden europäischen Rechtsordnungen“ und das US-amerikanische Zivilprozessrecht ein individuelles Zugangsrecht der EU-Bürger (in Zivilsachen) zum EuGH fordert. 340 Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 162; Kotzur, in: Häberle, Jahrbuch Öffentliches Recht, S. 337, 351 („beharrliche Nichtvorlage“); Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht4, § 14 Rn. 63 sprechen gar von einer Verweigerung gebotener Vorlagen. 341 EuGH, Urt. v. 27.03.1963, verb. Rs. 28–30/62, Slg. 1963, 63, 80 – Da Costa/Niederländische Finanzverwaltung; Urt. v. 06.10.1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, 3429, Rn. 14 – C.I.L.F.I.T./Ministero della Sanitá. 342 EuGH, Urt. v. 06.10.1982, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415, 3430, Rn. 16 – C.I.L.F.I.T./Ministero della Sanitá. 343 Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2007, 439, 502 mit Hinweis auf BGH NJW 2006, 1672, in der der Bundesgerichtshof das Vorliegen eines acte claire annahm, obwohl sein Urteil mit einer gleichgelagerten Entscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofes (OGH ÖJZ 2005, 307) unvereinbar war. Ebenso diskussionswürdig BGH NJW-RR 2007, 1573 m. krit. Anm. Heinze, ZZP 120 (2007), 303, 308 ff. 344 Jayme/Kohler, IPRax 2007, 439, 502 die exemplarisch auf die Entscheidungen der französischen Cour de cassation zur Reichweite des Art. 5 Nr. 1 Buchst. b) EuGVVO a. F. (C. Cass. 23.01.2007, Dalloz 2007, Jur. 1571) sowie des Bundesgerichtshofes zur Bestimmung des Erfüllungsortes im Falle der Erbringung einer Dienstleistung in mehreren Mitgliedstaaten (BGH NJW 2006, 1806) hinweisen. 345 EuGH, Urt. v. 13.01.2004, Rs. C-453/00, Slg. 2004, I-837, Rn. 24 ff. – Kühne & Heitz NV mit Anm. Ruffert, JZ 2004, 620; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 40.
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(α). Vertragverletzungsverfahren, Art. 258 ff. AEUV Vor dem Hintergrund, dass das Unterlassen einer gebotenen Vorlage durch ein nationales Gericht eine dem Mitgliedstaat zurechenbare Verletzung des Unionsrechts, vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV (Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit) sowie Art. 267 Abs. 3 AEUV, darstellt, ist zunächst an die Möglichkeit zu denken, direkt den EuGH um Rechtsschutz zu ersuchen und ihn im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 ff. AEUV anzurufen.346 Dem Vertragsverletzungsverfahren kommt die objektiv-rechtliche Funktion zu, die Einhaltung des Unionsrechts sicherzustellen, womit es zuvörderst dem Allgemeininteresse dient.347 Demgemäß ist auch die Klageberechtigung im Rahmen dieses Verfahrens begrenzt.348 Lediglich die Kommission, Art. 258 AEUV, und die Mitgliedstaaten, Art. 259 AEUV, sind berechtigt ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten. Um politische Spannungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zu vermeiden, sehen diese jedoch in der Regel von der Einleitung eines Verfahrens ab und überlassen diese Aufgabe nahezu ausnahmslos der Europäischen Kommission als „Hüterin der Verträge“, vgl. Art. 17 Abs. 1 EUV.349 Eine Klageerhebung durch in ihren Rechten beeinträchtigte Unionsbürger scheitert mithin an der fehlenden Klageberechtigung. Ihnen verbleibt lediglich die Möglichkeit die Initiierung eines solchen Verfahrens anzuregen. Da die Kommission aufgrund ihrer begrenzten personellen Ausstattung nicht in der Lage ist, von jeder vermeintlichen Vertragsverletzung Kenntnis zu nehmen, ist sie auf die Zusammenarbeit mit den Unionsbürgern angewiesen350 und hat zu diesem Zweck ein Formblatt zur Einlegung von Beschwerden bereitgestellt.351 Einzelne Unionsbürger können auf diese Weise die Europäische Kommission über die Vertragsverletzung in Kenntnis setzen, so dass diese über eine Verfahrenseröffnung entscheiden kann. Hierdurch erfährt das Vertragsverletzungsverfahren, dem grundsätzlich nur die objektiv-rechtliche Funktion der Sicherstellung der gleichförmigen Einhaltung der Unionsverträge zukommt,352 eine individualschützende Einfär346 Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 837; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 34; Dauses, Vorabentscheidungsverfahren, S. 113; Föhlisch, Der gemeineuropäische ordre public, S. 154; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 69; Kremer, EuR 2007, 470, 477. 347 A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 5 Rn. 1; Hobe, Europarecht, Rn. 499; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 255; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 3; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 258 AEUV Rn. 1 f. 348 A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 5 Rn. 1; Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, § 6 Rn. 9; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 253, 255. 349 Streinz, Europarecht, Rn. 396; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 5 Rn. 3; Fischer, Europarecht, Rn. 277. 350 Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 4. 351 Formblatt der Kommission für Beschwerden (89/C 26/07), ABl. EG 1989 Nr. C 26, S. 6. 352 Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 255; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 2; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 258 AEUV Rn. 1 f.
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bung.353 Ein einklagbares Recht auf Verfahrenseinleitung steht dem Unionsbürger gleichwohl nicht zu.354 Und genau hierin liegt das Problem. Denn obwohl die Europäische Kommission bei Verstößen eines mitgliedstaatlichen Gerichts gegen die Vorlagepflicht des Art. 267 Abs. 3 AEUV ein Vertragsverletzungsverfahren für zulässig erachtet,355 übt sie sich in diesen Fällen in Zurückhaltung und vertritt die Auffassung, dass das Vertragsverletzungsverfahren nicht das „geeignete Mittel“ darstelle, um eine „ordnungsgemäße Anwendung von [Art. 267 AEUV] zu erreichen.“356 Vielmehr solle es erst in Anspruch genommen werden, wenn die gebotene Vorlage infolge „offensichtlicher Unkenntnis oder einer bewussten Haltung“ unterblieben ist.357 Damit stellt sie im Rahmen ihres Ermessens358 hohe Anforderungen an die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens. In der Regel hat sich die Kommission daher, auch bei augenscheinlich vorlagepflichtigen Sachverhalten,359 darauf beschränkt, ihre Bedenken mit den beteiligten Mitgliedstaaten zu erörtern360 oder gegen die aus den Urteilen folgende Verwaltungspraxis vorzugehen.361 In der Literatur erfährt diese Haltung der Kommission eine breite Zustimmung.362 Dies gründet zum einen auf dem Respekt vor der Unabhängigkeit der 353 So auch Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 256; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 5 Rn. 1 („allein mittelbare Rolle“). 354 EuGH, Urt. v. 14.02.1989, Rs. 247/87, Slg. 1989, 291, Rn. 11 ff. – Star Fruit/Kommission; EuG, Urt. v. 29.03.1995, verb. Rs. T-479/93 u. T-559/93, Slg. 1994, S. II-1115, 1127, Rn. 31 – Bernardi/Kommission; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 44; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 257, 837; Ortlepp, Das Vertragsverletzungsverfahren als Instrument zur Sicherung der Legalität im europäischen Gemeinschaftsrecht, S. 75 f.; Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 640. 355 Antwort der EU-Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 28/68, ABl. EG 1968 Nr. C 71, S. 1. 356 Antwort der EU-Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 608/78, ABl. 1979 Nr. C 28, S. 8, 9. 357 Antwort der EU-Kommission auf die schriftliche Anfrage Nr. 608/78, ABl. 1979 Nr. C 28, S. 8, 9. 358 EuG, Urt. v. 12.11.1996, Rs. T-47/96, Slg. 1996, II-1559, Rn. 42 – SDDDA/Kommission; ferner Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 40 ff.; Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 640. 359 Vgl. Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 258 AEUV Rn. 70 f.; Lenski/Mayer, EuZW 2005, 225, die die Entscheidung Cohn-Bendit des Conseil d’État (≈ franz. Oberverwaltungsgericht) als „dezidiert europarechtsfeindlich“ bezeichnen; Meier, EuZW 1991, 11 (Fn. 7 und 8). 360 Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 258 AEUV Rn. 71; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 28; Sack, EuZW 1991, 246; Ehlermann, in: Festschrift f. Kutscher, S. 135, 153. Auch das Verfahren gegen Schweden (Az. 2003/2161, Dok. C(2004) 3899) stellt hiervon keine Ausnahme dar, da insoweit nicht das Unterlassen der Vorlage, sondern die Unvereinbarkeit schwedischen Verfahrensrechts mit der Vorlagepflicht aus Art. 267 Abs. 3 AEUV gerügt wurde, vgl. Kokott/Henze/Sobotta, JZ 2006, 633, 640; a. A. Lenski/Mayer, EuZW 2005, 225. 361 Vgl. insbesondere Sack, EuZW 1991, 246, 247. 362 Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 258 AEUV Rn. 69 ff.; Burgi,
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Gerichte363 und der durch ein Vertragsverletzungsverfahren möglicherweise drohende Gefährdung der Kooperation der mitgliedstaatlichen Gerichte mit dem EuGH.364 Zum anderen ist sie auf die erheblichen Schwierigkeiten zurückzuführen, die mit der Durchsetzung der Vorlagepflicht verbunden sind.365 Das stattgebende Urteil des EuGH hebt das nationale Urteil nicht auf, sondern stellt – ohne jegliche Gestaltungswirkung – allein die Verletzung der Unionsverträge fest.366 Art. 260 Abs. 1 AEUV verpflichtet den Mitgliedstaat die Vertragsverletzung abzustellen, überlässt diesem jedoch die Entscheidung darüber wie er den Verstoß konkret aus der Welt schafft.367 Dem stehen jedoch die aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz fließende Unabhängigkeit der Gerichte, Art. 97 Abs. 1 GG, die es dem verurteilten Mitgliedstaat untersagt, Urteile selbst aufzuheben bzw. einzelnen Gerichte eine dahingehende Weisung zu erteilen, und überdies die Rechtskraft entgegen, die auch das jeweilige Gericht daran hindert, ein bereits rechtskräftiges Urteil aufzuheben, um die gebotene Vorlage an den EuGH nachzuholen.368 Folglich können weder die Regierung des verurteilten Mitgliedstaates noch das vorlagepflichtige Gericht selbst die rechtskräftige Entscheidung aufheben.369 Aus diesem Grund verschob die Europäische Kommission zuletzt den Fokus im Vertragsverletzungsverfahren von der Judikative auf die Legislative und rechnete den Verfahrensverstoß dem Gesetzgeber zu.370 Der Vorwurf wurde nunmehr darin gesehen, dass der Gesetzgeber seine Pflichten aus dem Vertrag verletze, weil er diejenigen nationalen Bestimmungen nicht korrigiere, die eine unionsin: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, § 6 Rn. 41; Kort, DB 1996, 1323, 1324; Kremer, EuR 2007, 470, 476 ff. 363 Föhlisch, Der gemeineuropäische ordre public, S. 155; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 837; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 34; Lenski/Mayer, EuZW 2005, 225; Oppermann/Hiermaier, JuS 1980, 785; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze, Art. 234 EGV Rn. 70. 364 Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, § 6 Rn. 41; Ehlermann, in: Festschrift f. Kutscher, S. 135, 152; Lenski/Mayer, EuZW 2005, 225. 365 Föhlisch, Der gemeineuropäische ordre public, S. 156; Gaitanides, in: von der Groeben/ Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 69. 366 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 260 AEUV Rn. 2; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 309. 367 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 260 AEUV Rn. 2; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 309. 368 Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 226 EGV Rn. 9; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 837; Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, § 6 Rn. 41; Föhlisch, Der gemeineuropäische ordre public, S. 156; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 69. 369 Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der EU, § 6 Rn. 41; Nicolaysen, EuR 1985, 368, 371. 370 Vgl. insoweit Kremer, EuR 2007, 470, 477; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 28 mit Verweis auf EuGH, Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-129/00, Slg. 2003, I-14637 – Kommission/Italien; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 258 AEUV Rn. 34.
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rechtswidrige Rechtspraxis überhaupt erst ermöglichten.371 Eine Übertragung dieses Ansatzes auch auf die pflichtwidrige Nichtvorlage an den EuGH würde bedeuten, dass der Vorwurf darin zu erblicken sein könnte, dass die unionsrechtliche Pflicht zur Vorlage nicht so weit im nationalen Recht konkretisiert wurde, dass die Unterlassung einer gebotenen Vorlage von vornherein ausgeschieden wäre, dass kein ausreichendes Rechtsmittel für den Fall der unterlassenen Vorlage durch den nationalen Gesetzgeber geschaffen wurde oder darin, dass es ein direktes Antragsrecht des Bürgers nicht vorgesehen war. Dies besäße die Vorzüge, dass die Mitgliedstaaten den Verstoß durch einfache Gesetzesänderung beseitigen könnten und eine Konfrontation zwischen dem EuGH und den nationalen Gerichten, auf deren Kooperation der Gerichtshof angewiesen ist, entfiele. Unter dem Gesichtspunkt des Individualrechtsschutzes ist jedoch zu konstatieren, dass dieser Ansatz allenfalls in zukünftigen Fällen und nicht dem konkret durch die Nichtvorlage in seinen Rechten beeinträchtigten Bürger Befriedigung verschaffen kann. (β). Verfassungsbeschwerde, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG Neben dem unionsrechtlichen Instrument des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 ff. AEUV besteht – wegen der Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens als Zwischenverfahren – auch die Möglichkeit auf nationaler Ebene gegen eine unterlassene Vorlage vorzugehen. Durch die Qualifikation des EuGH als gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG372 eröffnet das Bundesverfassungsgericht den Parteien des Ausgangsverfahrens insbesondere die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des vorlageverpflichteten Gerichts zu erheben. Verkennt oder verletzt ein deutsches, letztinstanzliches Gericht seine Vorlagepflicht, kann dessen Entscheidung folglich auf eine Verfassungsbeschwerde hin aufgehoben werden, vgl. § 95 Abs. 2 BVerfGG.373 Gleichzeitig stellt das BVerfG aber auch klar, dass es durch die grundrechtsgleiche Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht „zu einem Kontrollorgan [werde], das jeden einem Gericht unterlaufenen Verfahrensfehler korrigieren müsste.“374 Vielmehr sei die Auslegung und Anwendung von Verfahrensnormen lediglich dann durch das Bundesverfassungsgericht zu beanstanden, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und 371
EuGH, Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-129/00, Slg. 2003, I-14637, Rn. 41 – Kommission/Italien. St. Rspr. seit BVerfGE 73, 339, 366 ff. – Solange II; 82, 159, 192. 373 Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 839; Hömig, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 95 Rn. 20. 374 BVerfG NVwZ 2007, 197, 198. – beim Bundesverfassungsgericht handelt es sich um keine Superrevisionsinstanz, vgl. insoweit BVerfG, Beschl. v. 29.10.2008, Az. 2 BvR 1268/07. 372
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offensichtlich unhaltbar sind.375 Das BVerfG stellt damit hohe Anforderungen an die Annahme einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG und beschränkt sich im Rahmen seiner Nachprüfung auf eine Willkürkontrolle.376 Diese hat das Bundesverfassungsgericht im Folgenden insoweit konkretisiert, als dass das Unterlassen einer Vorlage insbesondere dann als Verletzung von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG angesehen werden kann, wenn das Ausgangsgericht seine Vorlagepflicht völlig verkennt, wenn es also eine Vorlage überhaupt nicht in Betracht gezogen hat, obwohl eine unionsrechtliche Frage entscheidungserheblich war (1), das Ausgangsgericht bewusst von der Rechtsprechung des EuGH abgewichen ist (2) oder das Ausgangsgericht bei Fehlen abschließender Aussagen des EuGH von einer Vorlage absieht und dadurch den ihm in solchen Fällen zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (3). Dies kann insbesondere dann anzunehmen sein, wenn mögliche Gegenauffassungen eindeutig vorzuziehen sind.377 Ein Verstoß soll aber dann ausscheiden, „wenn das Gericht die entscheidungserhebliche Frage in zumindest vertretbarer Weise beantwortet hat.“378 Eine irrtümliche Nichtbeachtung der Vorlagepflicht genügt ebenso wenig zur Begründung eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG.379 Eine Verfassungsbeschwerde hat mithin hohe Hürden zu nehmen, ehe das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters annimmt.380 Allerdings schien in der jüngsten Zeit eine Erosion dieser Rechtsprechung zu bemerken zu sein.381 Denn in der Folge eines Beschlusses der dritten Kammer des Ersten Senats vom 25.02.2010 zur Massenentlassungsrichtlinie382 ist eine Kontroverse über den richtigen Bezugspunkt der verfassungsgerichtlichen Kontrolle aufgekommen. So wich die Kammer von der tradierten Auffassung ab, eine unterlassene Vorlage an den EuGH verletze Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG nicht, wenn das Gericht im Fall der Unvollständigkeit der unionsrechtlichen Rechtsprechung zwar von einer Vorlage absehe, aber ein materiell-rechtlich vertretbares Ergebnis finde und führte aus, dass es vielmehr auf die Frage nach der Beachtung 375 BVerfGE 82, 159, 194; BVerfG NJW 2010, 1268 f.; 2006, 3707; BVerfG NVwZ 2007, 197, 198; 2001, 1148, 1149. 376 BVerfGE 82, 159, 195; BVerfG NVwZ 2007, 197, 198; Bäcker, NJW 2011, 270; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 267 AEUV Rn. 68 ff.; Mayer/Walter, Jura 2011, 532, 534. 377 BVerfGE 82, 159, 195 f.; BVerfG NVwZ 2007, 197, 198; Bäcker, NJW 2011, 270, 271; Bruns, JZ 2011, 325, 326; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 267 AEUV Rn. 69. 378 BVerfGE 4, 116, 118 f.; BVerfG NJW 2010, 3422, 3427; BVerfG NVwZ-RR 2008, 658, 659; BVerfG NVwZ 2007, 197, 198; 2007, 942, 945. 379 BVerfGE 4, 412, 416 f.; 6, 45, 53; 7, 327, 329; a. A. Stein/Jonas/Schumann, ZPO20, Einl. Rn. 492. 380 Vgl. Bruns, JZ 2011, 325, 326, der Versuche, die Vorlage einer Rechtsfrage an den EuGH zu erzwingen, als in aller Regel von vornherein völlig aussichtslos bezeichnet. Bereits zuvor ders., JZ 1999, 278, 283 („fragwürdige Erfolgsaussichten“). 381 Bäcker, NJW 2011, 270, 271 f. mit einer Kurzdarstellung der wesentlichen Entscheidungen. 382 BVerfG NJW 2010, 1268; dazu Thüsing, NJW-Editorial 26/2010.
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oder Verkennung der Voraussetzungen der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ankomme.383 Das bedeutet, dass ein letztinstanzliches Gericht, „das von einem Vorabentscheidungsverfahren absieht, dem Recht der Prozessparteien auf den gesetzlichen Richter in der Regel nur dann gerecht [wird], wenn es nach Auswertung der entscheidungserheblichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts eine vertretbare Begründung dafür gibt, dass die maßgebliche Rechtsfrage durch den EuGH bereits entschieden ist oder dass die richtige Antwort auf diese Frage offenkundig ist. Die [unionsrechtliche] Rechtsfrage wird hingegen nicht zumindest vertretbar beantwortet, wenn das nationale Gericht eine eigene Lösung entwickelt, die nicht auf die bestehende Rechtsprechung des EuGH zurückgeführt werden kann und auch nicht einer eindeutigen Rechtslage entspricht.“384 Diese Verschiebung vom hergebrachten fallgruppenbasierten Ansatz, der teilweise materiell-rechtliche und prozessuale Fragen vermengt, hin zur Zuständigkeitsregelung des Art. 267 Abs. 3 AEUV als ausschließliche Bezugsnorm nährte in begrüßenswerter Weise die Hoffnung, dass der Nichtvorlage zukünftig engere Grenzen gezogen werden könnten. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts ist dieser Kammerentscheidung jedoch im Fall Honeywell385 explizit entgegen- und für die Beibehaltung des tradierten fallgruppenbasierten Ansatzes eingetreten. Der Erste Senat hielt in der Folge zwar an der prozessualen Anknüpfung der dritten Kammer fest, stellte jedoch klar, dass dies nicht im Widerspruch zum Honeywell-Beschluss stehe, da die Prüfungsdichte in jedem Fall auf eine Willkürkontrolle zu beschränken sei.386 Für den rechtsuchenden Bürger hat sich damit im Ergebnis wenig geändert. Die Durchsetzung der Vorlageverpflichtung eines nationalen Gerichtes zur Inanspruchnahme der unionsrechtlich gewährten subjektiven Rechte bleibt in jedem Fall ein mühsames Unterfangen.387 (γ). Menschenrechtsbeschwerde, Art. 34 EMRK Schließlich bliebe noch die Möglichkeit, die Verletzung der Vorlagepflicht mit Hilfe der Menschenrechtsbeschwerde nach Art. 34 EMRK zu rügen. Da Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, als Verkörperung des Rechts auf ein faires Verfahren, ausdrücklich die Gewährleistung des gesetzlichen Richters umfasst („auf Gesetz beruhenden Gericht“), scheint die Erhebung einer Individualbeschwerde im Zusam383
BVerfG NJW 2010, 1268, 1269, Rn. 20. Ebenso BVerfG NJW 2011, 288, 288 f. Rn. 48. BVerfG NJW 2010, 1268, 1269, Rn. 21 (Hervorhebungen durch den Verfasser); zustimmend Bäcker, NJW 2011, 270, 272. 385 BVerfGE 126, 286, Leitsatz 3, Rn. 90 = NJW 2010, 3422. Vgl. auch die Pressemitteilung Nr. 69/2010 vom 26. August 2010 mit ausdrücklicher Absage an den Beschluss der dritten Kammer des Ersten Senats. 386 BVerfG NJW 2011 Rn. 104 f.; vgl. hierzu Schröder, EuR 2011, 808, 815 ff. 387 Ebenso Britz, NJW 2012, 1313, 1314 („eher gradueller Unterschied“); Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 267 AEUV Rn. 70. 384
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menspiel mit § 580 Nr. 8 ZPO ein geeignetes Mittel darzustellen, um die Rechtskraft einer Entscheidung, die auf einer pflichtwidrig unterlassenen Vorlage an den EuGH beruht, zu durchbrechen. In der erneuten Verhandlung wäre das Gericht schließlich dazu verpflichtet, die unionsrechtsrelevante Frage dem EuGH vorzulegen, um den Vorgaben der EMRK gerecht zu werden. In der Absicht, sich nicht zum obersten Vorlagenkontrollorgan innerhalb der Europäischen Union zu entwickeln, hat der Gerichtshof jedoch bereits klargestellt, dass das in Art. 6 EMRK verankerte Recht auf ein faires Verfahren kein Vorlagerecht im Sinne von Art. 267 AEUV umfasse.388 Ähnlich der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts vermag lediglich eine willkürliche Ablehnung eines Antrags auf Vorlage Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verletzen.389 Auch die Erhebung einer Indiviualbeschwerde nach Art. 34 EMRK scheidet damit als effektives Instrument zur Durchsetzung der Vorlagepflicht aus. (δ). Zwischenergebnis Es ist daher zu konstatieren, dass die durch das Unionsrecht vermittelten subjektiven Rechte nicht in jedem Fall durch den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, gegebenenfalls auch nach (versuchter) erzwungener Vorlage, durchgesetzt werden können. Zur Stärkung des europäischen Grundrechtsschutzes wäre aus diesem Grund eine Vorlagepflicht der nationalen Gerichte auf Antrag einer Partei anzustreben.390 Zwar ist anzumerken, dass im Fall der Verletzung der Vorlagepflicht nach allgemeiner Meinung die Möglichkeit der Erhebung einer Staatshaftungsklage besteht.391 Mit der durch den Gerichtshof anerkannten mitgliedstaatlichen Haftung für Verstöße gegen das Unionsrecht ist (zumindest) gewährleistet, dass derjenige, dessen aus dem Unionsrecht fließenden Rechte durch die Nichtvorlage beeinträchtigt wurden, die ihm hieraus entstandenen Schäden ersetzt verlangen kann.392 388 EGMR v. 13.02.2007, Nr. 15073/03, EuGRZ 2008, 274 – John/Deutschland; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 38; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 EMRK Rn. 74. 389 EGMR v. 13.02.2007, Nr. 15073/03, EuGRZ 2008, 274 – John/Deutschland; v. 08.12.2009, Nr. 54193/07, NJW 2010, 3207 – Herma/Deutschland; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 38; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 EMRK Rn. 74. 390 So Bruns, JZ 2011, 325, 332; Rudolf, AnwBl 2011, 153, 158; Vondung, AnwBl 2011, 331, 336 (Nichtvorlagebeschwerde). 391 Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 267 AEUV Rn. 71; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 71. Vgl. zur Staatshaftungsklage: EuGH, Urt. v. 19.11.1991, verb. Rs. C-6/90 und 9/90, Slg. 1991, I-5357 – Francovich; Urt. v. 05.03.1996, verb. Rs. 46/93 und 48/93, Slg. 1996, I-1029 – Brasserie du Pêcheur. 392 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 267 AEUV Rn. 71; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 39; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 267 AEUV Rn. 71.
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Eine solche, rein monetäre Kompensation stellt im Vergleich zu der von Anfang an umfassenden Berücksichtigung der subjektiven Rechte des Einzelnen aber keinen gleichwertigen Rechtsschutz dar.393 Dies gilt insbesondere dann, wenn der Schaden irreversibel, bspw. im Fall der zwischenzeitlichen Insolvenz eines Unternehmens, oder immaterieller Natur ist. Die Möglichkeit, den EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens anzurufen und auf diese Weise unionsrechtlich gewährte Rechte durchzusetzen, stellt mithin – auch wenn man davon ausgehen wollte, dass das abstrakte Rechtsschutzniveau in der Europäischen Union ausreichend hoch ist – keine Gewähr für einen effektiven Rechtsschutz dar. (bb). Nichtigkeitsklage, Art. 263 Abs. 4 AEUV Einen anderen Weg zur Wahrung der durch das Unionsrecht vermittelten subjektiven Rechte könnte unter Umständen die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV ebnen. Sie ermöglicht die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union und konkretisiert auf diese Weise, neben dem bereits angesprochenen Vorabentscheidungsverfahren, die in Art. 19 Abs. 1 S. 2 EUV niedergelegte Aufgabe des Europäischen Gerichtshofes, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern.394 Es handelt sich bei ihr gemäß Art. 264 AEUV um eine Gestaltungsklage.395 Der Gerichtshof stellt folglich nicht lediglich die bestehende Rechtswidrigkeit bzw. Nichtigkeit des angegriffenen Aktes fest, sondern erklärt diesen für nichtig und beseitigt damit dessen Geltung unmittelbar und erga omnes.396 Dies ist notwendig, weil den Rechtsakten der Union bis zu deren Beseitigung durch das Urteil des EuGH die Vermutung ihrer Gültigkeit zukommt.397 393
Ähnlich auch Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 39. Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 263 AEUV Rn. 1; Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 263 AEUV Rn. 1. 395 EuGH, Urt. v. 15.12.1983, Rs. 283/82, Slg. 1983, 4219, Rn. 10 – Schoellershammer/Kommission; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 1; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 6 Rn. 1, 60. 396 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 1, Art. 264 AEUV Rn. 1 f.; Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 263 AEUV Rn. 3, 197; Ehricke, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 231 EGV Rn. 3; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 263 AEUV Rn. 6; A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 6 Rn. 60. 397 EuGH, Urt. v. 12.07.1957, verb. Rs. 7/56 und 3–7/57, Slg. 1957, 85, 126 – Algera u. a./Gemeinsame Versammlung; Urt. v. 26.02.1987, Rs. 15/85, Slg. 1987, 1005 Rn. 10 – Consorzio Cooperative d’Abbruzzo/Kommission; Urt. v. 30.06.1988, Rs. 226/87, Slg. 1988, 3611, Rn. 14 – Kommission/Griechenland; Urt. v. 15.06.1994, Rs. C-137/92, Slg. 1994, I-2555, Rn. 48 – Kommission/ BASF; Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 263 AEUV Rn. 3 Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 263 AEUV Rn. 6; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 1. 394
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Neben der unmittelbaren Gestaltung der Rechtslage liegt ein weiterer Vorteil des Nichtigkeitsverfahrens darin, dass Art. 263 Abs. 4 AEUV auch natürlichen und juristischen Personen ein direktes Klagerecht zubilligt, so dass sie auch unabhängig von einem Tätigwerden der Europäischen Kommission oder eines nationalen Gerichts gegen Maßnahmen der Europäischen Union vorgehen können. Art. 263 Abs. 4 AEUV eröffnet dem Einzelnen aber nur soweit einen Rechtsweg zum EuGH, als er sich gegen eine an ihn gerichtete (a), ihn unmittelbar und individuell betreffende Handlung (b) oder einen Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der ihn unmittelbar betrifft und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht (c), wendet. Die Nichtigkeitsklage übernimmt daher in gewissen Sinne die Funktionen der deutschen Anfechtungsklage nach §§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 1 VwGO.398 Soll die Vollstreckung eines ordre public-widrigen Urteils im Heimatstaat des Schuldners verhindert werden, kämen das ausländische Urteil als solches, dessen auf der Grundlage der europäischen Verordnung basierende Vollstreckbarkeit sowie die daran anknüpfenden Vollstreckungshandlungen als Gegenstand einer Nichtigkeitsklage in Betracht. Tauglicher Klagegenstand können nach Art. 263 Abs. 1 AEUV allerdings ausschließlich Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union, nicht aber innerstaatliche Akte sein.399 Das folgt bereits daraus, dass der Europäische Gerichtshof als Rechtsprechungsorgan der Union auch nur Unionshandeln für nichtig erklären kann.400 Die Nichtigkeitsklage muss sich mithin gegen ein der Europäischen Union zurechenbares Handeln richten. Andernfalls obliegt die Gewährung des Rechtsschutzes ausschließlich den innerstaatlichen Gerichten.401 Da die ausländische Urteilsfindung einen genuin nationalen Akt darstellt, bliebe als Gegenstand der Nichtigkeitsklage die Vollstreckbarkeit des ausländischen Titels, die auf die unmittelbare Anwendung von Unionsrecht zurückzuführen wäre. Wird diese durch die Verordnung verliehen, vgl. Art. 39 EuGVVO, müsste diese selbst den Klagegegenstand bilden. Dies scheitert jedoch daran, dass die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV auf die Anfechtung von Rechtsakten mit Verordnungscharakter beschränkt ist. Da die EuGVVO bzw. deren (neuerliche) Änderung gem. Artt. 81 Abs. 2, 289 Abs. 1, 294 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erginge, handelte es sich bei ihr jedoch um 398
A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 7 Rn. 1. EuGH, Urt. v. 25.10.1972, Rs. 96/71, Slg. 1972, 1005, Rn. 5/8 u. 9/13 – Haegeman/Kommission; Urt. v. 06.03.1979, Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 27 ff. – Simmenthal/Kommission; Urt. v. 10.06.1982, Rs. 217/81, Slg. 1982, 2200, Rn. 8 f.; Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 10; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 263 AEUV Rn. 8. 400 A. Thiele, Europäisches Prozessrecht, § 6 Rn. 24. 401 EuGH, Urt. v. 25.10.1972, Rs. 96/71, Slg. 1972, 1005, Rn. 5/8 u. 9/13 – Haegemann/Kommission; Urt. v. 06.03.1979, Rs. 92/78, Slg. 1979, 777, Rn. 27 ff. – Simmenthal/Kommission; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 263 AEUV Rn. 8. 399
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einen Rechtsakt mit Gesetzescharakter, der nicht mit der Nichtigkeitsklage angefochten werden kann.402 Ginge man dagegen – abhängig von der konkreten Ausgestaltung einer künftigen, auf den ordre public-Vorbehalt verzichtenden Verordnung – davon aus, dass die Verleihung der unionsweiten Vollstreckbarkeit, ähnlich der Bestätigung nach der EuVTVO, im Urteilsstaat erfolgte, müsste diese, um eine Kontrolle am Maßstab des Unionsrechts erreichen zu können, als Akt der Europäischen Union zu qualifizieren sein. Inwiefern eine solche Zurechnung erfolgen kann, hängt ganz generell davon ab, ob den nationalen Gerichten noch ein eigener Entscheidungsspielraum verbleibt oder sie nur noch als bloße Ausführungsorgane erscheinen.403 Zwar forciert die Europäische Union den fortschreitenden Abbau der Anerkennungshindernisse und stärkt den freien innereuropäischen Urteilsverkehr, dennoch ist die Annahme, nationale Gerichte wären lediglich zur Ausführung des Unionswillens verpflichtet, wohl nicht mit der Unabhängigkeit und Souveränität der Gerichte vereinbar. Dies wird bereits durch die opportunistische Haltung der Europäischen Kommission hinsichtlich der Nichtvorlage der nationalen letztinstanzlichen Gerichte an den EuGH verdeutlicht404 und zusätzlich dadurch unterstrichen, dass die Europäische Union keinerlei Weisungsbefugnisse gegenüber nationalen Gerichten oder Einfluss auf deren Besetzung oder Ausstattung hat. Die Kontrolle eines für vollstreckbar erklärten Urteils im Wege der Nichtigkeitsklage scheidet folglich aus.405 Auch wenn sich der Europäische Gesetzgeber im Falle der neuerlichen Überarbeitung der EuGVVO für eine Verleihung der unionsweiten Vollstreckbarkeit nach dem Vorbild der EuVTVO und damit gegen die für die EuGVVO gewählte Gleichstellung ausländischer und inländischer Urteile entschiede, fehlte es an einem geeigneten Anknüpfungspunkt für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV. Nämliches hat schließlich auch für den nationalen Vollstreckungsakt als Gegenstand der Nichtigkeitsklage zu gelten. Da die nationalen Zwangsvollstreckungsrechte bislang nahezu vollständig vom Harmonisierungsstreben der Europäischen Union verschont blieben406 und damit weiterhin autonomer Natur sind, fiele es schwer einzelne Vollstreckungsakte als Unionshandeln anzusehen. 402 Vgl. Cremer, in: Calliess/Ruffert, EGV/EUV, Art. 263 AEUV Rn. 56; M. Schröder, DÖV 2009, 61, 63 f.; Wegener, EuR 2008 (Beiheft 3), 45, 52 f.; A. Thiele, EuR 2010, 30, 43 f.; Streinz, in: Streinz/Ohler/Herrmann, Vertrag von Lissabon, S. 116; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, § 13 Rn. 65; a. A. Everling, EuZW 2010, 572, 575. 403 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 10; Gaitanides, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 263 AEUV Rn. 8; Borchardt, in: Lenz/ Borchardt, EU-Verträge, Art. 263 AEUV Rn. 4; Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 230 EGV Rn. 16; Schwarze, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 263 AEUV Rn. 21. 404 Siehe oben, § 7.D.III.1.b.cc.(aa)(1)(α). 405 Ohne Angabe von Gründen, aber im Ergebnis ebenso Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 24 (Fn. 52); vgl. zudem Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 137; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 92. 406 Siehe bereits oben, § 5.C.I.
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(cc). Beitritt der Europäischen Union zur EMRK Eine weitere Möglichkeit, unionsrechtlich gewährte Grundrechte vor dem EuGH durchzusetzen, hätte sich ferner durch den angestrebten Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben können. Der EuGH hat diese jedoch durch sein Gutachten, in welchem er den Vertragsentwurf zum Beitritt der Europäischen Union (BeitrittsV-E),407 insbesondere408 aufgrund des Verstoßes gegen das Auslegungsmonopol des EuGH,409 für unionsrechtswidrig erklärte, (zumindest vorerst410) blockiert. Der Vertragsentwurf sieht in Art. 3 Abs. 2 BeitrittsV-E – an welchem sich wesentliche Kritik des EuGH entzündete – vor, dass die Europäischen Union im Fall einer gegen einen oder mehrere ihrer Mitgliedstaaten gerichteten Menschenrechtsbeschwerde dem Verfahren als weiterer Beschwerdegegner (sog. „co-respondent“)411 beitreten kann, sofern sich die behauptete Konventionsverletzung auch auf das Unionsrecht erstrecken könnte. Dies sei namentlich in Konstellationen gegeben, in denen eine Konventionsverletzung nur im Fall der Nichtbeachtung des Unionsrechts hätte abgewendet werden können, Art. 3 Abs. 2 a. E. BeitrittsV-E. Gemäß Art. 3 Abs. 6 BeitrittsV-E hat der EGMR dem EuGH sodann die Gelegenheit einzuräumen hat, die Vereinbarkeit des Unionsrechts mit der Konvention vorab zu prüfen, sofern dies nicht bereits erfolgt ist. Sollte der einzelne Unionsbürger – zum Beispiel bei unterlassenem Vorlageersuchen nach Art. 267 AEUV – bislang noch keinen Rechtsschutz vor dem EuGH erlangt haben, könnte er jenen damit über diesen (Um-)Weg erreichen. In der Praxis wäre der hierdurch erreichte Schutz des Einzelnen aber wohl (ohnehin) eher theoretischer Natur verblieben. Schließlich erfolgt der Beitritt der Europäischen Union frewillig. Da das Zwischenverfahren keinerlei individualschützende Funktion aufweist, sondern allein dem objektiven Schutz des Unionsrechts dient („Verfahren im Interesse des (Unions-)Rechts“), hat es der Einzelne nicht in seiner Hand, die Sache an den EuGH weiterleiten zu lassen.
407 Fifth Negotiation Meeting Between the CDDH Ad Hoc Negotiation Group and the European Commission on the Accession of the European Union to the European Convention on Human Rights. Final report to the CDDH. Enthalten im Abschlussbericht des Lenkungsausschusses Menschenrechte des Europarates vom 10.6.2013, Dok. 47+1 (2013) 008 rev 2. 408 Vgl. die Zusammenfassung in EuGH, Gutachten v. 18.12.2014, C-2/13, BeckRS 2015, 80256, Rn. 258 – EMRK II. 409 Krit. Wendel, NJW 2015, 921, 923 ff., 926 („Der EuGH opfert aus übersteigerter Sorge um die (eigene) Autonomie den Beitritt zur EMRK auf längere Zeit.“); Streinz, JuS 2015, 567, 570. 410 Streinz, JuS 2015, 567, 570 schließt jedoch nicht aus, dass die Verpflichtung aus Art. 6 Abs. 2 EUV letztlich sogar unerfüllt bleibt; optimistischer dagegen Grabenwarter, EuZW 2015, 180. 411 Zivilprozessual wäre dies wohl am ehesten mit einer streitgenössischen Nebenintervention zu vergleichen.
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(dd). Zwischenergebnis Der Europäische Gerichtshof kann dem Schuldner in grenzüberschreitenden Prozessen – trotz des Bestehens eines europäischen ordre public im Sinne einer gemeinsamen Werteordnung sowie der steten Ausweitung des unionalen Grundrechtsschutzes – keinen umfassenden Rechtsschutz gewähren. Dies liegt zum einen an der keinesfalls lückenlosen Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte und zum anderen am fehlenden direkten Zugang zum EuGH. Da der Einzelne grundsätzlich auf das dezentrale Rechtsschutzsystem verwiesen wird und er über keine Möglichkeit verfügt, unmittelbaren Rechtsschutz vor dem EuGH zu erzwingen, besteht die nicht zu leugnende Gefahr, dass es ihm im Einzelfall verwehrt sein kann, seine durch den europäischen ordre public vermittelten Rechte einzufordern. Es fehlt schlichtweg an einer speziellen prozessualen Durchsetzungsmöglichkeit, zum Beispiel in Form einer Grundrechtsbeschwerde.412 Nicht grundlos wird der Rechtsweg zum EuGH als „schmale[r] und ungesicherte[r] Trampelpfad“413 oder als die „offene Flanke im [europäischen] Grundrechtsschutzkonzept“414 bezeichnet. Zumindest solange es keinen durchsetzbaren Anspruch des Einzelnen auf Vorlage zum EuGH gibt,415 können das Vorabentscheidungsverfahren und die Nichtigkeitsklage das Fehlen einer Grundrechtsbeschwerde nicht kompensieren. Die Berufung auf die europäischen Grundrechte als Rechtfertigung für die Abschaffung der Vorbehaltsklausel kann mithin vor dem Hintergrund ihrer mangelnden prozessualen Absicherung nicht überzeugen. Vielmehr legt die lückenhafte Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte gar die Beibehaltung einer Vorbehaltsklausel nahe, da dies einen umfassenderen Grundrechtsschutz mit sich brächte.416 (2). Rechtsschutz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Neben dem Europäischen Gerichtshof kommt insbesondere dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein besonderes Gewicht bei der Ge-
412 Schwartmann, AVR 43 (2005), 129, 134; Bruns, JZ 2011, 325, 326, 332; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 14 mit Einl EG-VollstrTitelVO Rn. 41 ff.; Rudolf, AnwBl 2011, 153, 158; Vondung, AnwBl 2011, 331, 336; Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 21 EG-UntVO Rn. 43; Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 670 f.; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 24; Herrmann, RabelsZ 45 (1981), 413, 422; Rengeling, in: Festschrift f. Everling, S. 1187 ff.; Reich, ZRP 2000, 375 ff.; Schwarze, DVBl 2002, 1297, 1313 f. 413 Vondung, AnwBl 2011, 331, 332. 414 Ruffert, EuR 2004, 165, 175. 415 Bruns, JZ 2011, 325, 332; Rudolf, AnwBl 2011, 153, 158; Vondung, AnwBl 2011, 331, 336 (Nichtvorlagebeschwerde zum EuGH); Oberhammer, IPRax 2010, 197, 202, der anregt den ordre public-Vorbehalt durch ein supranationales, die Menschenrechte schützendes Gericht zu ersetzen. 416 Vgl. oben, § 7.D.III.1.b.bb. mit Verweis auf das K rombach-Urteil des EuGH.
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währleistung des europäischen Grundrechtsschutzes zu.417 Über die Büger der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinaus können sich etwa achthundert Millionen Menschen aus insgesamt 47 verschiedenen Staaten an ihn wenden und eine Verletzung grundlegender Rechte rügen, sofern sie auf nationaler Ebene keine ausreichende Hilfe erfahren haben.418 Auf diese Weise hat der Gerichtshof im Zusammenspiel mit der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR)419 wesentlich dazu beigetragen, dass die Prinzipien und Garantien des Rechtsstaates und die fundamentalen Grundrechte gesichert und ausgebaut wurden.420 Aus dieser umfänglichen Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK und der damit verbundenen Konvergenz der europäischen Rechtsordnungen wird bisweilen die Entbehrlichkeit einer nachgelagerten nationalen Kontrolle ausländischer Urteile gefolgert. Auch wenn bisher keine vollständige Harmonisierung der europäischen Rechtsordnungen erfolgt sein möge, so garantiere die Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK einen ausreichenden Mindeststandard innerhalb der Europäischen Union.421 Ordre public-Verstöße seien demnach kaum noch vorstellbar. Ferner sei in jedem Mitgliedstaat – neben den nationalen Rechtsmittelinstanzen – die Beschwerde zum EGMR eröffnet, so dass – insbesondere mit Blick auf Art. 6 EMRK und den (praktisch bedeutsameren) verfahrensrechtlichen ordre public – die Vorbehaltsklausel ihre Berechtigung verloren habe.422 Für etwaige Ausreißer wird mithin auf die durch die EMRK gewährte Rechtskontrolle verwiesen; die Menschenrechtsbeschwerde gemäß Art. 34 EMRK könne ähnlich der ordre public-Kontrolle eine Notbremse für Problemfälle darstellen.423 Der Grad der durch die EMRK erreichten Rechtsangleichung und der daraus resultierende Anstieg des europäischen Grundrechtsstandards verbunden mit der Möglichkeit der Individualrechtsbeschwerde beim EGMR rechtfertige folglich den Verzicht auf die ordre public-Kontrolle.
417 Bernhardt, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. V I/1, § 137, Rn. 104 f.; Kizil, JA 2011, 277, 281; Ritter, NJW 2010, 1110, 1112 f. 418 Vgl. dazu den Artikel von Rath, taz, 19.08.2011, in dem er den EGMR als „Ort der letzten Hoffnung“ bezeichnet; Bernhardt, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. V I/1, § 137, Rn. 105; Wittinger, NJW 2001, 1238. 419 Ihre Aufgaben wurden ab 1998 vom EGMR übernommen, vgl. zum Reformprotokoll Nr. 11 Schlette, ZaöRV 1996, 905, 914 ff.; Drzemczewski/Meyer-Ladewig, EuGRZ 1994, 317. 420 Bernhardt, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. V I/1, § 137, Rn. 104. 421 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 464 f.; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645 f; Stein, IPRax 2004, 181, 186. 422 Leipold, in: Festschrift Stoll, S. 625, 645; Storme, in: Festschrift Nakamura, S. 581, 589; Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 166; Stein, IPRax 2004, 181, 185 („Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public stellt in der Regel zugleich einen Verstoß gegen Art. 6 EMRK dar.“); a. A. Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 211. 423 Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645 f; Stein, IPRax 2004, 181, 186; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 467, 475 f.; Raum/Lindner, NJW 1999, 465, 470.
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(aa). Rechtsharmonisierung und Anstieg des allgemeinen Rechtsschutzniveaus Zweifellos sind die Auswirkungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die nationalen Prozessrechte nicht zu unterschätzen:424 Die völkerrechtliche Verbindlichkeit der EMRK sowie der Straßburger Rechtsprechung veranlasste die Mitgliedstaaten und deren Gerichte vielfach dazu, ihre Rechtssysteme den Anforderungen der EMRK anzupassen425 und, namentlich in Konventionsstaaten ohne eigenständigen (normierten) Grundrechtskatalog, ihre Rechtsprechung an diesen (europäischen) Maßstäben auszurichten.426 Auf diese Weise bewirkte sie, über eine allgemeine Rechtsangleichung im europäischen Justizraum hinaus, eine Anhebung des grundrechtlichen Schutzniveaus. Gleichwohl sprechen zahlreiche Gründe gegen die These, das erreichte Rechtsschutzniveau rechtfertige den Verzicht auf eine ordre public-Kontrolle. Zum einen stellt die durch die Inbezugnahme der EMRK erfolgte Rechtsangleichung kein gleichförmiges Phänomen dar. Denn in einigen Staaten wie beispielsweise der Bundesrepublik Deutschland wurde nur zurückhaltend auf die Konvention rekurriert. Der Grund hierfür ist unter anderem darin zu erblicken, dass sich die in der EMRK verkörperten Rechte und die Gewährleistungen des Grundgesetzes weitgehend entsprechen427 und die nationalen Grundrechtsgarantien daher als ausreichend angesehen wurden.428 Besonders augenfällig wurde die Skepsis der deutschen Justiz gegenüber dem Rückgriff auf die EMRK in der Sache K rom429 bach: In seiner Entscheidung begründete der BGH den ordre public-Verstoß im Gegensatz zur Vorabentscheidung des EuGH nicht mit Art. 6 EMRK, sondern allein unter Heranziehung nationalen Rechts (Art. 103 Abs. 1 GG).430 424
Vgl. Beys, in: Festschrift f. Rechberger, S. 55 ff. Vgl. für Deutschland bspw. EGMR v. 24.06.2004, Nr. 59320/00, NJW 2004, 2647 ff.– Caroline von Hannover/Deutschland; v. 02.09.10, Nr. 46344/06, NJW 2010, 3355 ff. – Rumpf/Deutschland. Dies gilt jedoch auch über Deutschland hinaus. So hat die französische Cour de Cassation ausländischen Gesellschaften unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 EMRK die Parteifähigkeit zuerkannt (C. Cass., 05.12.1989, Rev. Crit. 1991, 667) und der EGMR entschieden, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK auch ausländischen Parteien einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach dem Recht des ersuchten Gerichts garantiert (vgl. EGMR v. 09.10.1979, Ser. A Nr. 32, S. 15, Nr. 16 – Airey/Ireland); vgl. ferner den Fall Pordéa, oben § 5 Fn. 145. 426 Busch, DRiZ 2010, 63, 64; Hess, IPRax 2001, 389, 392; ders., in: Festschrift f. Jayme, S. 339; Matscher, in: Festschrift f. Schwind, S. 71 ff. 427 Von Raumer, AnwBl 2011, 195, 198. Siehe einen Vergleich zwischen EMRK und Grundgesetz bei Rudolf/von Raumer, AnwBl 2009, 318 ff. 428 Busch, DRiZ 2010, 63, 64; Hess, in: Festschrift f. Jayme, S. 339; krit. ders., JZ 2005, 540, 550 („perspektivische Abschirmung“); in die gleiche Richtung von Raumer, AnwBl 2011, 195, 198. 429 Siehe oben, § 5 Fn. 127. 430 BGHZ 144, 390, 392 ff. Der EuGH hatte auf Art. 6 EMRK und die einschlägige Rechtsprechung des EGMR verwiesen, vgl. EGMR v. 23.11.1993, Ser. A Nr. 277-A, ÖJZ 1994, 467 – Poitrimol/Frankreich; Pelladoah/Niederlande, Ser. A, Nr. 297-B; v. 21.01.1999, Nr. 26103/95 = Slg. 1999I, 129, NJW 1999, 2353 – Van Geyseghem/Belgique. Krit. dazu Hess, IPRax 2001, 301, 303: Die Dopplung der Normen unterlaufe die Herausbildung 425
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Hinzu kommt, dass die EMRK lediglich Leitlinien vorgibt, es sich bei den (meisten) Konventionsgarantien um keine absolut gewährleisteten Rechte handelt und sich die Konvention vielfach unbestimmter Rechtsbegriffe bedient, die in den verschiedenen europäischen Staaten unterschiedlich, nämlich aus der Perspektive des jeweiligen eigenen Rechtsverständnisses interpretiert werden.431 Ein wesentlicher Grund für die unterschiedliche Ausgestaltung der gemeinsamen Rechtsgrundsätze liegt in der unterschiedlichen Stellung der EMRK begründet, die diese in den Normenhierarchien der nationalen Rechtsordnungen einnimmt.432 Denn anders als im Recht der Europäischen Union433 enthält die EMRK keine Vorgaben über ihre Stellung und Wirkungsweise im nationalen Recht der Signatarstaaten.434 Während der EMRK in Österreich Verfassungsrang zukommt,435 genießt sie in Belgien, Luxemburg, Frankreich, Spanien, Griechenland sowie einigen anderen Staaten einen (Zwischen-)Rang über den einfachen Gesetzen aber unterhalb des nationalen Verfassungsrechts.436 In Deutschland genießt die EMRK formal den Rang eines einfachen Gesetzes, vgl. Art. 59 Abs. 2 GG.437 Gleichzeitig geht das Bundesverfassungsgericht aber davon aus, dass die verfassungsrechtlich garantieren Grundrechte sowie das einfache Gesetzesrecht mit Blick auf die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes im Lichte der EMRK auszulegen sind.438 gemeinschaftsrechtlicher Mindeststandards; a. A. U. Becker, Grundrechtsschutz, S.134 ff., der diese Diskrepanz auf das „Problem der Parallelität verschiedener Rechtsordnungen innerhalb der Europäischen Union“ zurückführt. 431 Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 65; Hess, IPRax 2001, 389, 392. 432 Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einführung, Rn. 7; Ress, in: Maier, Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 260 ff.; Hess, IPRax 2001, 389, 392; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 466; Oberhammer, JBl. 2006, 477, 498 f.; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 209, 211; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 120 ff. Abhilfe könnte hier der angestrebte Beitritt der EU zur EMRK, Art. 6 Abs. 2 EU, schaffen. Durch ihn würde der EMRK als völkerrechtlicher Vertrag der EU Vorrang vor dem nationalen Recht zukommen, Art. 216 Abs. 2 AEUV, vgl. dazu Weiß, ZEuS 2005, 323, 349 f. 433 Der Vorrang des Unionsrechts ist zwar bislang nicht in den Unionsverträgen ausdrücklich festgeschrieben – anders: Art. I-6 VVE –, er ist jedoch durch die Rechtsprechung des EuGH allgemein anerkannt, vgl. EuGH, Urt. v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251 – Costa/ENEL; Urt. v. 09.03.1978, Rs. 106/77, Slg. 1978, 629 – Simmenthal II. 434 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3 Rn. 1. 435 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3 Rn. 2; Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einführung, Rn. 7. 436 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3 Rn. 3; Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Einführung, Rn. 7 mit Verweis auf Polakiewicz, in: Blackburn/Polakiewicz, Fundamental Rights in Europe, S. 21 ff. 437 Schwartmann, AVR 43 (2005), 129, 131; Weiß, ZEuS 2005, 323, 349 f. Ähnlich Italien, vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 3 Rn. 5; Polakiewicz, Verpflichtungen der Staaten, S. 305 f. 438 BVerfGE 111, 307, 324 – Görgülü; BVerfG NJW 2004, 3407, 3408: Das Grundgesetz sowie das einfache Gesetzesrecht sind „nach Möglichkeit so auszulegen […], dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschlands nicht entsteht.“; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 1 Rn. 4; Rudolf, AnwBl 2011, 153, 155. Teilweise wird deshalb auch von einem faktischen Zwischenrang ausgegangen.
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Neben der unterschiedlichen normhierarchischen Bedeutung, die der EMRK in den Mitgliedstaaten zukommt und die einer weiteren Rechtsharmonisierung entgegensteht, zeigt die Praxis weitere Probleme auf. So demonstriert die Rechtsprechung des EGMR, dass das von der Konvention abstrakt aufgestellte Rechtsschutzniveau in der Rechtswirklichkeit einiger Staaten noch nicht vollständig gewährleistet wird. Denn trotz der Bindung der Mitgliedstaaten an die EMRK stellt der Gerichtshof regelmäßig Verletzungen der Konvention fest. Denkbar sind neben einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch die nationalen Spruchkörper auch Defizite bei der Umsetzung der Mindeststandards der EMRK, welche in der Sache Pordéa, in der eine überhöhte Sicherheitsleistung dem Kläger den Zugang zur Justiz faktisch abschnitt, zu Tage traten.439 Von einem einheitlichen und durchgängig hohen Rechtsschutzniveau in den einzelnen Mitgliedstaaten kann daher also keine Rede sein. Bezugnehmend auf das Postulat des gegenseitigen Vertrauens ist aus den zahlreichen Urteilen des EGMR, in denen Konventionsverletzungen festgestellt wurden,440 vielmehr zu schlussfolgern, dass sich die mitgliedstaatlichen Gerichte beim Schutz der Menschenrechte mit Blick auf die Rechtstatsächlichkeit (noch) nicht vertrauen können.441 Im Hinblick auf das Bestehen eines gleichmäßigen europäischen Rechtsschutzniveaus ist überdies darauf hinzuweisen, dass den Urteilen des EGMR – trotz der Bindungswirkung aus Art. 46 Abs. 1 EMRK – in der Praxis keine allgemeine, vollumfängliche Wirkung zukommt und sie, vom entschiedenen Fall abgesehen, oftmals wirkungslos bleiben. Dass die Urteile des Gerichtshofes keine allgemeine Rechtsharmonisierung bewirken können, liegt an ihrer begrenzten (persönlichen und sachlichen) Bindungswirkung.442 Die Verpflichtung aus Art. 46 Abs. 1 EMRK trifft nur die Parteien des Verfahrens. Wirkungen für die einzelnen Konventionsstaaten ergeben sich folglich nur, wenn sie selbst an dem konkreten Verfahren beteiligt waren – Urteilen des EGMR kommt lediglich eine inter partes- und keine erga omnes-Wirkung zu.443 In sachlicher Hinsicht setzt der Beschwerdegegenstand, der durch den dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt bestimmt wird, der Bindungswirkung Grenzen.444 Eine Bindungswirkung über den konkreten Fall hinaus besteht nicht. 439
C.Cass., 23.03.1999, Rev. Crit. 89(2000), 224, vgl. dazu Hess, EuZPR, § 6 Rn. 204. Von 2006 bis 2008 stellte der EGMR in rund 2400 Fällen eine Verletzung des Art. 6 EMRK fest, vgl. Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 46 mit Verweis auf www.echr.coe.int/ECHR/EN/ Header/Case-Law. 441 So Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 296. 442 Unter den Voraussetzungen der Artt. 42, 44 EMRK werden Entscheidungen des EGMR endgültig und erwachsen dann mit ihrer Verkündung unmittelbar in formelle und materielle Rechtskraft, vgl. Habscheid, in: Festschrift f. Beys, S. 473, 480. 443 Grabenwarter, JZ 2010, 857, 859; Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar, Kap. 32 Rn. 70; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 15. 444 BVerfGE 111, 307, 321; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 16 Rn. 2; Grabenwarter, JZ 2010, 857, 859; Beys, Prozessuales Denken aus Attika, S. 208 ff.; Habscheid, in: Festschrift f. Beys, S. 473, 477. 440
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Hieran ändert auch die Pflicht der Mitgliedstaaten künftigen, gleichartigen Konventionsverletzungen entgegenzuwirken445 nichts. Zwar sind Urteile des Gerichtshofes, die die Konventionswidrigkeit gesetzlicher Regeln in nichtbeteiligten Staaten nahelegen, zum Anlass zu nehmen, die Vereinbarkeit der eigenen, nationalen Regeln mit den Anforderungen der EMRK zu überprüfen („Orientierungswirkung“),446 doch ist insoweit zu beachten, dass der EGMR seine Aussagen in Verfahren gegen andere Staaten häufig vor dem Hintergrund einer ganz konkreten Rechtsordnung trifft, was einer grundsätzlichen Verallgemeinerung der Urteile entgegensteht.447 Einzelne Urteile des EGMR vermögen es daher nicht, einen umfassenden und gleichmäßigen Grundrechtsschutz innerhalb der Europäischen Union herzustellen. Zur begrenzten Bindungswirkung der Urteile des Gerichtshofes kommen faktische Durchsetzungs- bzw. Vollstreckungsprobleme hinzu. Insoweit kann wiederum auf die K rombach-Entscheidung Bezug genommen werden. Der deutschen Anerkennungsverweigerung und dem darauf folgenden Urteilsspruch des EuGH gingen bereits mehrere Urteile des EGMR voraus, die die in Frage stehende französische Verfahrensvorschrift (Art. 630 CPP)448 sowie vergleichbare Regelungen aus den Niederlanden und Belgien449 als grundrechtsverletzend qualifizierten. Gleichwohl wandte die Cour de cassation – im Einklang mit der in der französischen Rechtswissenschaft vorherrschenden Ansicht – die konventionswidrige Norm weiterhin an und ignorierte die Entscheidungen des Gerichtshofes.450 Erst die Versagung der Anerkennung der französischen Entscheidung in der Sache K rombach veranlasste den französischen Gesetzgeber dazu, auf die gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßende Sanktionierung des abwesenden Beklagten zu verzichten.451 Dies zeigt, dass die mit der EMRK erreichte Harmonisierung der Rechtsordnungen sowie das erreichte Grundrechtsniveau aufgrund der unterschiedlichen Implementation der EMRK in nationales Recht, der begrenzten Rechtskrafter-
445 BVerfGE 111, 307, 321; Klein, JZ 2004, 1176, 1177; Grabenwarter, JZ 2010, 857, 860; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 16 Rn. 3. 446 BVerfG NJW 2004, 3407, 3409; Grabenwarter, JZ 2010, 857, 860 (Zitat); Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 16; Ress, EuGRZ 1996, 350. 447 Vgl. Grabenwarter, EuGRZ 2011, 229 f. 448 EGMR v. 23.11.1993, Ser. A Nr. 277-A, ÖJZ 1994, 467, Tz. 34 f. – Poitrimol/Frankreich. 449 EGMR v. 22.09.1994, Ser. A Nr. 297-A, ÖJZ 1995, 196 – Lala/Pays-Bas; v. 21.01.1999, Nr. 26103/95, NJW 1999, 2353 –Van Geyseghem/Belgien. 450 Hess, IPRax 2001, 389, 392; Gundel, EWS 2000, 442, 444 (mwN). 451 Unabhängig von der Verpflichtung, die Konventionsrechte zu gewährleisten und Entscheidungen des EGMR zu befolgen, ist umstritten, ob eine Entscheidung des EGMR (ein nationales Urteil oder einen Verwaltungsakt betreffend) eine Verpflichtung des Konventionsstaates, das geltende Recht zu ändern, nach sich ziehen kann. Ablehnend: Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 39 mit Verweis auf die völkerrechtsfreundliche Auslegung; i.E. ebenso Gerling, Gleichstellung inländischer mit ausländischen Vollstreckungstiteln, S. 211.
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streckung und faktischen Durchsetzungsproblemen nicht bedenkenlos geeignet ist, um auf eine nationale ordre public-Prüfung zu verzichten. (bb). Bindungswirkung und Durchsetzung eines Urteils des EGMR Ausgehend von der Überlegung, dass jedes Urteil oder jede Regelung, die den ordre public eines Mitgliedstaates verletzen, regelmäßig auch gegen die EMRK verstoßen dürften,452 wird angeführt, dass die Individualbeschwerde zum EGMR als Ersatz für die abzuschaffende ordre public-Kontrolle dienen könne. Im Fall einer erfolgten Grundrechtsverletzung eröffne die Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK dem Einzelnen die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Rechtsschutz gegen die Verletzung der nach der Konvention geschützten Rechte durch einen der Mitgliedstaaten zu erlangen; eine daneben bestehende nationale und rechtspolitisch unerwünschte ordre public-Kontrolle sei mithin obsolet. Dieser Ansatz vermag aus mehreren Gründen, theoretischer und praktischer Natur, nicht zu überzeugen. Zunächst einmal setzt die Einreichung einer Individualbeschwerde die Erschöpfung des gesamten nationalen Rechtsweges, in Deutschland einschließlich der Verfassungsbeschwerde, voraus (Grundsatz der Subsidiarität, Art. 35 Abs. 1 EMRK).453 Das bedeutet, dass das (vorgeblich) grundrechtsverletzende Verhalten des Konventionsstaates oftmals erst nach Jahren durch den EGMR überprüft wird. Überdies kann der EGMR lediglich eine Verletzung der EMRK feststellen454 und gegebenenfalls nach Art. 41 EMRK eine gerechte Entschädigung gewähren. Er verfügt aber nicht über die Kompetenz, eine konventionswidrige Entscheidung aufzuheben oder abzuändern.455 Dem Urteil des EGMR kommt weder rechtskraftdurchbrechende noch kassatorische Wirkung zu456 – der (angegriffene) Titel bleibt bestehen und ist weiterhin tauglicher Vollstreckungsgegenstand. Der Kon452 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 310, 465; Stein, IPRax 2004, 181, 185; R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 689. 453 Von Raumer, AnwBl 2011, 195; Wittinger, NJW 2001, 1238, 1242; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 295. 454 Habscheid, in: Festschrift f. Beys, S. 473, 479; Grabenwarter, JZ 2010, 857, 859; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 15. 455 BVerfGE 111, 307, 320; Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 580 Rn. 24; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 23; Klein, JZ 2004, 1176, 1177; Grabenwarter, JZ 2010, 857, 859; Pache/Bielitz, DVBl 2006, 325, 327; Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 46 Rn. 3. Anders hingegen § 95 Abs. 2 BVerfGG. 456 Papier, EuGRZ 2006, 1, 2; Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 46 EMRK Rn. 3; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 23; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 295. Ändern könnte sich dies möglicherweise mit dem Beitritt der Europäischen Union zur EMRK, welcher einen Vorrang der Konvention gegenüber dem nationalen Recht statuieren würde, s.o. In diesem Fall schiene es auch denkbar, dass der EuGH den Urteilen des EGMR eine unmittelbare, unionsweite Geltung zubilligen könnte, die dann unter Umständen auch rechtskraftdurchbrechend wirken könnte, vgl. Weiß, ZEuS 2005, 323, 349 f.
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ventionsstaat ist in der Folge zwar verpflichtet, die Verletzung abzustellen, Art. 46 Abs. 1 EMRK, doch ist er diesbezüglich in der Wahl seiner Mittel frei.457 Der EGMR vermag mithin nicht unmittelbaren Rechtsschutz zu gewähren und ist bei der Durchsetzung seiner Urteile auf die Mitwirkung der Mitgliedstaaten angewiesen. (α). Bindung der Vollstreckungsorgane an das Urteil des EGMR Vorstellbar wäre es zunächst, von einer Bindung der Vollstreckungsorgane an das Urteil des EGMR auszugehen. Da der EMRK in Deutschland der Rang eines einfachen Gesetzes zukommt,458 bindet sie als zwingend geltendes Gesetzesrecht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sowohl Exekutive als auch Judikative mit der Folge, dass es beiden grundsätzlich verwehrt ist, konventionswidrige Urteile zu vollstrecken.459 Mit der Feststellung eines Konventionsverstoßes durch den EGMR müsste daher auch die Zwangsvollstreckung aus dem fraglichen Titel ausscheiden. Diese Annahme übersieht jedoch, dass das Vollstreckungsorgan eine vollstreckbare Entscheidung nicht mehr auf seine Rechtmäßigkeit überprüft, sondern lediglich das Vorliegen der formellen Voraussetzungen kontrolliert.460 Die Formalisierung der Zwangsvollstreckung ist Ausdruck der organisatorischen und funktionalen Trennung von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren und soll der Effektivität der Vollstreckung dienen.461 Die Überprüfung eines Vollstreckungstitels auf dessen Konformität mit der EMRK durch die Vollstreckungsorgane hat mithin als Mittel zur wirksamen Durchsetzung der Entscheidungen des EGMR auszuscheiden. Aber selbst wenn man dies zuließe, ist festzustellen, dass die Rechtsschutzerlangung über die Individualbeschwerde nach der EMRK einen schwerfälligen und langen Weg darstellt.462 Aufgrund der Subsidiarität der Individualbeschwerde 457 EGMR v. 08.04.2004, Nr. 71503/01, Z. 202 – Assanidze; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 3, 9; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 805; Wittinger, NJW 2001, 1238; Pache, EuGRZ 2000, 601, 606. Zu Fällen, in denen dem Mitgliedstaat keine Wahlfreiheit zukam, vgl. Grabenwarter, JZ 2010, 857, 860 mit Fn. 19. 458 Benda, AnwBl. 2005, 602; Papier, EuGRZ 2006, 1. Aufgrund des im GG festgelegten Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit erhält die Konvention aber eine besondere Bedeutung, die über ihren rechtstheoretischen Rang eines einfachen Bundesgesetzes deutlich hinausgeht. 459 BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004, 2 BvR 1481/04, Rz. 45 f.; Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 1 Rn. 4, Art. 46 Rn. 12, 22, 30; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 807. Die Bindung an die Urteile des EGMR ergibt sich aus Art. 46 EMRK in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz und dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG. 460 Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 6.53; Stürner/Münch, JZ 1987, 178, 182; Gaul/Schilken/Becker-Eberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, § 5 Rn. 39 f., 42 ff., § 16 Rn. 5; Zöller/Stöber, ZPO, Vor § 704 Rn. 14; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 27 – dafür spricht ferner die Existenz von § 580 Nr. 8 ZPO. 461 Vgl. dazu § 5.C.I. 462 Stadler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 45; Gundel, NJW 2001, 2380, 2382;
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und der übermäßig langen Verfahrensdauer vor dem EGMR – ein Verfahren vor dem EGMR kann sich durchaus über mehrere Jahre hinziehen –,463 käme ein stattgebendes Urteil des Gerichtshofes in der Regel nicht rechtzeitig, sondern erginge erst nach Abschluss des Vollstreckungsverfahrens. Die Entscheidung des EGMR über das französische Strafurteil in der Rechtssache K rombach erging beispielsweise erst sieben Monate nach der letztinstanzlichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes über die Vollstreckbarerklärung, welcher bereits das Vollstreckbarerklärungs- wie auch das Rechtsbehelfsverfahren am OLG sowie das Vorabentscheidungsverfahren am EuGH vorausgingen.464 Ein Urteil des EGMR könnte die Vollstreckung regelmäßig nicht mehr verhindern, was durchaus die Frage rechtfertigt, was das höchste Rechtsschutzniveau hilft, wenn der Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist. Zwar besteht in einem solchen Fall die Möglichkeit des EGMR, der verletzten Partei gemäß Art. 41 EMRK eine gerechte Entschädigung zuzusprechen, dies stellt aber keinen gleichwertigen Ersatz, insbesondere im Fall der zwischenzeitlichen Insolvenz, dar. (β). Aussetzung nach Art. 51 EuGVVO Auch die Möglichkeit, die Vollstreckung nach Art. 51 EuGVVO auszusetzen, bis der EGMR über eine erhobene Individualbeschwerde abschließend entschieden hat, kann dieses Problem nicht überwinden. Denn dieser Weg setzt voraus, dass dem Schuldner im Ursprungsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf zur Verfügung steht bzw. er einen solchen eingelegt hat. Die Individualbeschwerde müsste mithin als ordentlicher Rechtsbehelf im Sinne der Verordnung zu qualifizieren sein. Der Begriff des ordentlichen Rechtsbehelfs ist dabei autonom und aus Gründen des Schuldnerschutzes extensiv auszulegen.465 Er erfasst nach der Rechtsprechung des EuGH jeden Rechtsbehelf, „der zur Aufhebung oder Abänderung der dem Anerkennungs- oder Klauselerteilungsverfahren […] zugrunde liegenden Entscheidung führen kann und für dessen Einlegung eine gesetzliche Frist bestimmt ist, die durch die Entscheidung selbst in Lauf gesetzt wird.“466 Urteile des Bruns, JZ 1999, 278, 285; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 684 („mühsame[r] Weg der Menschenrechtsbeschwerde in Straßburg“). 463 Vgl. die Zahlen zur Arbeitsbelastung des EGMR bei Jestaedt, JZ 2011, 872, 874 f., 878 f.: Eingänge 2010: 61.300, Erledigungen 2010: 41.183, Verletzungen 2010: 1.282 (3,11%). Diese Zahlen zeigen, dass der Gerichtshof stark überlastet und kaum noch in der Lage ist, die Verfahrensflut zu bewältigen. Ähnlich Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2011, 3126 („Der EGMR droht in der Flut der eingehenden Beschwerden unterzugehen“); Wittinger, NJW 2001, 1238, 1242; Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, Rn. 16. 464 R. Wagner, IPRax 2002, 75, 92; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 25 f. 465 EuGH, Urt. v. 22.11.1977, Rs. C-43/77, Slg. 1977, I 2175, Rn. 28 – Industrial Diamant Supplies; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 46 EuGVO Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 37 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 3; Wautelet, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 37 Brussels I Regulation Rn. 9, 16. 466 EuGH, Urt. v. 22.11.1977, Rs. C-43/77, Slg. 1997, I 2175, Rn. 42 – Industrial Diamond Sup-
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EGMR haben aber lediglich feststellenden467 und keinen kassatorischen oder abändernden Charakter. Eine Individualbeschwerde stellt mithin keinen ordentlichen Rechtsbehelf im Sinne der genannten Vorschriften dar.468 Mit Blick auf den angestrebten Beitritt der Europäischen Union zur EMRK könnte zukünftig allerdings eine andere Auslegung angezeigt sein. Denn durch den Beitritt wäre die EU an die Urteile des EGMR gebunden, vgl. Art. 46 EMRK, und könnte dieser Bindung durch eine Aussetzung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens nachkommen. Dieser ist aufgrund des eindeutigen Votums des EuGH469 derzeit jedoch nicht absehbar. Ferner stünde eine solche Auslegung des Art. 51 EuGVVO im diametralen Widerspruch zu den Zielen der Verordnung, die grenzüberschreitende Vollstreckung zu vereinfachen und zu beschleunigen, da die Vollstreckbarerklärung nach dieser Lesart auf Jahre blockiert werden könnte und die Aussetzung damit zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung des Vollstreckungsverfahrens führen würde. Da die Konventionsstaaten, und in diesem Fall die Europäische Union, grundsätzlich frei in ihrer Entscheidung sind, wie sie den Konventionsverstoß abstellen,470 wäre diese Form der konventionskonformen Auslegung überdies nicht zwingend und daher im Ergebnis abzulehnen.471 Dies zeigt, dass eine separate Menschenrechtsbeschwerde – auch unter Einbeziehung der Bindung der Vollstreckungsorgane und der Möglichkeit einer Verfahrensaussetzung – die Rechte des Schuldners nicht ebenso effektiv schützen kann, wie dies durch eine nachgelagerte ordre public-Kontrolle gewährleistet wird.
plies; Schlosser, EuZPR, Art. 46 EuGVVO Rn. 2; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 46 EuGVO Rn. 5; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 37 VO (EG) Nr. 44/2001 Rn. 3. 467 Siehe oben, § 7.D.III.1.b.cc.(bb)(2). Etwas anderes gilt jedoch für die Zuerkennung einer angemessenen Entschädigung, Art. 41 EMRK. Hierbei handelt es sich um ein Leistungsurteil, vgl. Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 41 Rn. 1, Art. 46 Rn. 23. 468 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 51 Brüssel Ia-VO Rn. 7; Mäsch, in: Kindl/ Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 37 EuGVVO Rn. 3; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 92. Anders in der EuVTVO, die allerdings auf die Beschränkung auf ordentliche Rechtsbehelfe verzichtet, siehe Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 23 EG-VollstrTitelVO Rn. 12 ff. 469 EuGH, Gutachten v. 18.12.2014, C-2/13, BeckRS 2015, 80256 – EMRK II. 470 Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 46 Rn. 25. 471 Man könnte möglicherweise noch daran denken, die Aussetzung nach Art. 51 EuGVVO über die Erhebung einer Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO zu begründen, vgl. insoweit Schlosser, EuZPR, Art. 46 EuGVVO Rn. 2. Dies erscheint indes fernliegend, müsste das Urteil des EGMR dafür doch als Einwendung im Sinne des § 767 Abs. 1 ZPO anzusehen sein. Eine solche Auslegung würde den Begriff der Einwendung über Gebühr strapazieren, zumal die Entscheidung des EGMR lediglich eine Konventionsverletzung im Verhältnis Bürger-Staat feststellt und demnach weder als rechtsvernichtende noch rechtshemmende Einwendung qualifiziert werden kann. Da auch Rechtsprechungsänderungen nach allg. Meinung nicht unter § 767 ZPO zu subsumieren sind – eine Ausnahme bildet wegen § 31 Abs. 1 BVerfGG lediglich ein Urteil des BVerfG – und andernfalls die Rechtskraft des Urteils systemwidrig ausgehöhlt würde (arg. e contrario §§ 578, 580 Nr. 8 ZPO), kann die Konventionswidrigkeit eines Urteils keine Einwendung im Sinne des § 767 ZPO darstellen.
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(γ). Restitutionsklage nach § 580 Nr. 8 ZPO Möglicherweise kann in Deutschland aber die Restitutionsklage nach § 580 Nr. 8 ZPO einen Weg zur effektiven Durchsetzung der in der EMRK verbürgten Rechte eröffnen und die Vollstreckung eines auf einer Verletzung der Konvention beruhenden Urteils verhindern. Diese Vorschrift hat der deutsche Gesetzgeber mit dem 2. Justizmodernisierungsgesetz vom 31.12.2006472 in die Zivilprozessordnung aufgenommen, um den aus der EMRK folgenden Bindungen zu entsprechen.473 Da die Erhebung einer Individualbeschwerde voraussetzt, dass der Beschwerdeführer den gesamten nationalen Rechtsweg, einschließlich der Verfassungsbeschwerde, durchlaufen hat (Grundsatz der Subsidiarität),474 wird das konventionswidrige Urteil in aller Regel bereits in Rechtskraft erwachsen und damit unanfechtbar sein.475 Trotz der Feststellung der Konventionswidrigkeit könnten in diesem Fall weder EGMR noch der Urteilsstaat das konkrete Urteil aufheben;476 der Vertragsstaat käme seiner Verpflichtung, nicht gegen die EMRK zu verstoßen bzw. derartige Verstöße umgehend abzustellen, damit nicht nach. Die Restitutionsklage löst dieses Spannungsfeld zwischen der Verbindlichkeit der Urteile des EGMR, Art. 46 Abs. 1 EMRK, und der Unanfechtbarkeit in Rechtskraft erwachsener Urteile. Mit § 580 Nr. 8 ZPO wurde die Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines rechtskräftigen, aber konventionswidrigen Urteils und damit zur Durchbrechung der Rechtskraft geschaffen.477 Nach dieser Vorschrift kann eine Restitutionsklage erhoben werden, „wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der [EMRK] festgestellt hat und das Urteil auf dieser Feststellung beruht“.478 In einem solchen Fall kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil abgeschlossenen Verfahrens erreicht, vgl. § 578 ZPO, und damit die Durchsetzung der EGMR-Urteile sichergestellt werden; die Rechtssicherheit hat dann hinter dem Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit zurücktreten.479 Fraglich ist jedoch, inwieweit dieser Rechtsbehelf auch bei der Korrektur ausländischer Urteile, deren Vollstreckung im Inland begehrt wird, helfen kann. 472
BGBl. I 2006, 3416, 3421. Dazu von Preuschen, NJW 2007, 321 ff. wohl überwiegender Auffassung stand die Einführung eines solchen Wiederaufnahmeverfahrens im Ermessen der Mitgliedstaaten, vgl. Breuer, EuGRZ 2004, 445, 449; Cremer, in: Dörr/Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar, Kap. 32 Rn. 83; Grabenwarter, JZ 2010, 857, 860; Pache/Bielitz, DVBl 2006, 325, 327 f.; a. A. Frowein, in: Frowein/Peukert, EMRK, Art. 46 Rn. 15. 474 Von Raumer, AnwBl 2011, 195; Wittinger, NJW 2001, 1238, 1242; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 295. 475 Insbesondere hindert die Erhebung einer Individualbeschwerde nicht den Eintritt der Rechtskraft, vgl. Klein, JZ 2004, 1176, 1177. 476 Siehe oben, § 7.D.III.1.b.cc.(bb)(2). 477 BT-Drs. 16/3038, S. 39. 478 Krit. dazu Braun, NJW 2007, 1620 ff.; ders., in: MünchKomm-ZPO § 580 Rn. 75. 479 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 580 Rn. 1; ausführlich dazu Braun, in: MünchKomm-ZPO § 580 Rn. 1–12. 473 Nach
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Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Zivilprozessordnung, sofern nicht anders bezeichnet, ausschließlich nationale, d. h. deutsche, Urteile erfasst. Eine Restitutionsklage gegen ausländische Urteile wird daher, auch weil sie einen Eingriff in die Souveränität des Urteilsstaates darstellte, nicht zugelassen.480 Allerdings führt die (automatische) Anerkennung eines ausländischen Urteils nach Art. 36 Abs. 1 EuGVVO zur Erstreckung der ausländischen Urteilsfolgen auf das Inland. Der ausländische Titel wird mit anderen Worten einem inländischen Titel gleichgestellt und in die eigene Rechtsordnung übernommen,481 so dass ebenso anzunehmen sein könnte, dass die Vorschrift des § 580 ZPO (und damit auch § 707 Abs. 1 ZPO) – wie auch die ebenfalls rechtskraftdurchbrechende482 Abänderungsklage483 – grundsätzlich auch auf Urteile Anwendung finden kann, die im Ausland ergangen sind – zumindest wenn der Urteilsstaat über einen entsprechenden außerordentlichen Rechtsbehelf verfügt. Gegen die Anwendbarkeit der §§ 578 ff. ZPO spricht letztlich aber die Zuständigkeitsregelung des § 584 Abs. 1 ZPO. Danach ist für die Restitutionsklage ausschließlich das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Das bedeutet, dass bei ausländischen und im Inland zu vollstreckenden Urteilen nie ein deutsches Gericht zuständig sein kann und demnach auch kein Anknüpfungspunkt für § 580 ZPO besteht. Schließlich wäre es mit dem lex fori-Grundsatz nur schwer vereinbar, ein Verfahren im Ausland nach einer erfolgreichen Restitutionsklage in Deutschland fortzusetzen.484 Eine deutsche Restitutionsklage nach § 580 Nr. 8 ZPO, die sich direkt gegen ein ausländischen Urteil richtet, scheidet folglich aus. Bei der Suche nach einem vollwertigen Äquivalent zu einer inländischen ordre public-Prüfung erweist sich der Weg über § 580 Nr. 8 ZPO mithin als Sackgasse. (cc). Zwischenergebnis Zwar kommen der EMRK, die „die fundamentalen Grundrechte und Prinzipien“ der Mitgliedstaaten beinhaltet „und damit die gemeinsame objektive Werteordnung der Europäischen Union abbildet“,485 und den Entscheidungen des Europäi480 Musielak, in: Musielak/Voit, ZPO, § 584 Rn. 3; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, § 584 Rn. 1; M. Stürner, RabelsZ 71 (2007), 598, 619; Praschma, Einwirkung auf ausländische Prozesse, S. 139. 481 BGH NJW 1983, 1976; OLG Düsseldorf FamRZ 1982, 631, 632; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 323 Rn. 103 („Inlandswirkung“); Geimer, in: Festschrift f. Georgiades, S. 489, 495. 482 H.M.: BGHZ 185, 322, Rz. 10, 20; 82, 246; BGH NJW 2008, 1446, 1448 Rz. 16; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 323 Rn. 7; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 323 Rn. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 323 Rn. 2; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 63 Rn. 47; Borth, in: Musielak/Voit, ZPO, § 323 Rn. 4. 483 BGH NJW 1983, 1976 f.; OLG Düsseldorf FamRZ 1982, 631, 632; OLG Köln FamRZ 2005, 534; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 323 Rn. 8; Zöller/Vollkommer, ZPO, § 323 Rn. 12; Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, § 323 Rn. 101. 484 Ebenso M. Stürner, RabelsZ 71 (2007), 598, 620; Praschma, Einwirkung auf ausländische Prozesse, S. 139. 485 Kizil, JA 2011, 277, 281; Ritter, NJW 2010, 1110, 1112 f.
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schen Gerichtshofes für Menschenrechte, die die nationalen Gesetzgeber in vielen Fällen bewogen haben, ihre Rechtssysteme den Anforderungen der EMRK anzupassen, eine beträchtliche grundrechtliche Bedeutung zu, doch genügt dies nicht, um anzunehmen, dass die nationalen Rechtsordnungen soweit angeglichen sind, dass sich die Prozessergebnisse in sämtlichen Mitgliedstaaten derart stark ähneln und von solcher grundrechtlicher Qualität sind, dass man davon ausgehen kann, eine nachgelagerte Kontrolle sei obsolet geworden. Auch die prozessuale Durchsetzung der in der EMRK verkörperten Rechte weist wesentliche Mängel auf, so dass nicht der Schluss gezogen werden kann, das Rechtsschutzsystem EMRK gewähre in Fragen der grenzüberschreitenden Vollstreckung einen der nationalen ordre public-Kontrolle äquivalenten Rechtsschutz. Wesentlich für diese Feststellung ist in erster Linie die Tatsache der überlangen Verfahrensdauer vor dem Gerichtshof.486 Insoweit hat der Grundsatz „justice delayed is justice denied“487 zu gelten. Daneben zeigt aber auch die Zurückhaltung des Gerichtshofes in einigen Fällen, in denen er – trotz ernsthafter Zweifel an der Grundrechtskonformität des beanstandeten staatlichen Handelns – die gestellten Anträge wegen offensichtlicher Unbegründetheit nicht zur Entscheidung annahm, dass es nicht immer empfehlenswert sein muss, sich beim Schutz der Menschenrechte ausschließlich dem EGMR anzuvertrauen.488 Als Beispiel kann der Fall Gambazzi herangezogen werden. Während der EuGH bei der gegen den Beklagten verhängten Sanktion von der „denkbar schwerste[n] Einschränkung der Verteidigungsrechte“489 sprach, verwarf der EGMR die auf Art. 6 EMRK gestützte Individualbeschwerde als unzulässig mit der Begründung sie sei offensichtlich unbegründet, vgl. Art. 35 Abs. 3 EMRK.490 Überdies ist darauf hinzuweisen, dass der EGMR in Fällen der Grundrechtskollision (mehrpolige Rechtsstreitigkeiten) den Konventionsstaaten oftmals einen Beurteilungsspielraum (margin of appreciation) zulasten seiner eigenen Kontrolldichte überlässt,491 was zur Folge haben kann, dass einzelne Rechtsverletzungen in diesen Bereichen nicht mehr durch den EGMR korrigiert werden können.
486 Nach Jestaedt, JZ 2011, 872, 878 verzeichnete der EGMR von 1959 bis 2010 450.497 Eingänge, denen jedoch lediglich 306.839 Erledigungen entgegenstehen. Das bedeutet, dass noch 150.000 Verfahren vor dem EGMR anhängig sind und lässt eine Vermutung dahingehend zu, dass die Bearbeitung neuer Verfahren – sofern sie nicht gleich als unzulässig abgewiesen werden – durchaus einiger Zeit bedürfen wird. 487 Die genaue Herkunft dieses Zitates ist unklar. Es wird aber überwiegend William Ewart Gladstone (1809–1898, ehemaliger englischer Premierminister) zugeschrieben. 488 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 295; Cuniberti, IPRax 2010, 148, 152. 489 EuGH, Urt. v. 02.04.2009, Rs. C-394/07, Slg. 2009, I-2563, Rn. 33 – Gambazzi. 490 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 295; Cuniberti, IPRax 2010, 148, 152. 491 Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18 Rn. 20, 22; Grabenwarter, in: Festschrift f. Tomuschat, S. 193 ff.
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Sowohl rechtstheoretische als auch -tatsächliche Gründe sprechen mithin gegen die Annahme, die Bindung an die EMRK sowie die Möglichkeit der Erhebung Individualbeschwerde gewährten einen hinreichenden Rechtsschutz und ließen mithin die Notwendigkeit einer autonomen ordre public-Kontrolle entfallen.492 Dieses Ergebnis wird zusätzlich dadurch untermauert, dass auch der europäische Normgeber davon ausgeht, dass der Verzicht auf den ordre public-Vorbehalt nur mit der Schaffung eines neuen Rechtsbehelfs, zum Beispiel in Form der Überprüfung gewisser Minimumstandards,493 einhergehen kann – schließlich gesteht er auf diese Weise ein, dass die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten, wie beispielsweise die Anrufung des EGMR, keinen ausreichenden Schuldnerschutz gewährleisten können.494 dd. Zwischenergebnis Es ist damit zu konstatieren, dass auch die Ausbildung einer gemeinsamen europäischen Werteordnung noch keine tragfähige Basis für die Abschaffung eines nationalen ordre public-Vorbehaltes geschaffen hat. Sie gibt zwar gemeinsame Grundprinzipien vor, doch kann sie die bestehenden System- und Strukturunterschiede lediglich begrenzen, nicht aber gänzlich beseitigen.495 Denn trotz einer einheitlichen Grundlage unterscheidet sich die konkrete Umsetzung dieser allgemeinen Rechtsgrundsätze in den einzelnen Mitgliedstaaten.496 Hinzu kommt, dass die Unionsgrundrechte keine schrankenlose Anwendbarkeit genießen und sich einige Staaten (hin und wieder) nicht ohne Weiteres den Urteilen des EGMR unterwerfen und ihr nationales Recht an die Voraussetzungen der Konvention an492 Ebenso Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 256; Gsell/Netzer, IPRax 2010, S. 403, 408; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-VollstrTitelVO Rn. 46, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 21 f.; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 264; a. A. Stein, IPRax 2004, 181, 186, der aber auch zugesteht, dass der Schutz vor dem EGMR verbesserungswürdig sei sowie Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 467, demzufolge die Nachteile der Individualbeschwerde zum EGMR angesichts des Ziels der Urteilsfreizügigkeit hinzunehmen seien. 493 Art. 10 Abs. 1, 13 ff., 19 Abs. 1 EuVTVO mit Erwägungsgründen Nr. 12–14; Art. 20 Abs. 1, 2 EuMahnVO mit Erwägungsgrund 25; Art. 18 EuGFVO mit Erwägungsgrund 31; Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig, S. 3. 494 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 298. 495 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 283. 496 Sujecki, ZEuP 2008, 458, 468, vgl. ferner das Beispiel auf S. 468 f., welches zeigt, dass dem Schutz des rechtlichen Gehörs (Art. 6 EMRK) durchaus eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen werden kann. So setzt eine wirksame Klageerhebung nach deutschem Recht die Zustellung der Klageschrift samt Anlagen voraus. Dahinter steht der Gedanke, dass der Beklagte zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs alle notwendigen Informationen erhalten muss. Anders dagegen das niederländische Recht: Nach Art. 85 Abs. 1 Rv muss der Kläger der Klageschrift zwar Anlagen beifügen, deren Fehlen indes nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung, sondern allenfalls zur Präklusion dieser Anlagen (Art. 84 Abs. 4 Rv) führt. In der Praxis erhält der Kläger schließlich jedoch ausreichend Möglichkeiten zur Nachreichung der Anlagen und damit zur Umgehung der Präklusion.
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passen. So zeigt der Fall K rombach, dass es trotz des ausgeprägten Grundrechtsschutzes innerhalb der Union neben den wohl nie auszuschließenden Fällen des judikativen Unrechts, d. h. richterlichen Versagens, auch die Existenz legislativen Unrechts in der Europäischen Union nicht ausgeschlossen werden kann.497 Die zuvor498 aufgeführten Urteile verdeutlichen, dass unabhängig vom Bestehen eines hohen Grundrechtsstandards in der Europäischen Union immer wieder Konstellationen entstehen können, in denen Grund- und Menschenrechte nachhaltig beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund ist es von enormer Bedeutung, inwieweit der durch die europäischen Grundrechte gewährte Schutz nicht nur abstrakt, sondern auch im konkreten Einzelfall die Rechte und Interessen des Einzelnen zu wahren vermag. Gerade aber im Bereich der prozessualen Durchsetzbarkeit der europäischen Grundrechtsgarantien wird deutlich, dass die europäischen Institutionen gemeinsam mit den Mitgliedstaaten nicht die Voraussetzungen für einen wirksamen Rechtsschutz geschaffen haben. Entweder fehlt es dem Bürger an einem direkten und erzwingbaren Zugang zu einem europäischen Gericht oder dieses vermag keinen unmittelbaren oder zumindest rechtzeitigen Rechtsschutz zu gewähren. Im Rahmen der effektiven Rechtsdurchsetzung wird daher deutlich, dass der durch den EuGH und den EGMR vermittelte Rechtsschutz aus rechtlichen wie auch tatsächlichen Gründen hin und wieder eher theoretischer Natur verbleibt und eine fehlende europäische Grundrechtsbeschwerde nicht zu ersetzen vermag.499 Der Rückzug auf die europäische Rechtsschutzebene scheitert mithin an der unzureichenden prozessualen Durchsetzbarkeit der abstrakt gewährten Rechte. Hinzu kommt aber auch, dass der europäische Grundrechtsstandard durchaus hinter dem Schutzniveau des Vollstreckungsstaates zurückbleiben und die Verlagerung des Grundrechtsschutzes auf die europäische Ebene damit auch eine Einschränkung des Schuldnerschutzes bedeuten kann.500 Dementsprechend kann die Tatsache, dass die Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten auf einer einheitlichen Rechts- und Werteordnung fußen und die Möglichkeit besteht, bei Verletzung bestimmter Grund- und Menschenrechte Individualbeschwerde vor dem EGMR zu erheben, nicht die Möglichkeit des Erlasses einzelner Urteile, die im Widerspruch zur öffentlichen Ordnung eines Vollstreck497 Geimer, in: Festschrift f. Németh, S. 229, 240; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193; siehe zudem oben § 6.C.IV. 498 Siehe oben, § 7.D.III.1.a. 499 Bruns, JZ 2011, 325, 330; Schwartmann, AVR 43 (2005), 129, 134; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl EG-VollstrTitelVO Rn. 41 ff., 45 f., Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 14, 21 f.; ders., Entscheidungszuständigkeit, Rn. 173; Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 670 f.; Reich, ZRP 2000, 375 ff.; vgl. dazu darüber hinaus Calliess, EuZW 2001, 261, 268. 500 Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 34; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 21 („Hier zeigt sich […] das Problem der Verlagerung des Grundrechtsschutzes auf die EU, die zu einer Nivellierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner führen kann“).
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ungsstaates stehen, ausschließen und damit einen (unbesehenen) Verzicht auf die Vorbehaltsklausel rechtfertigen.501 Infolgedessen lässt sich fragen, ob es tatsächlich „europäischer Gesinnung“ entsprechen kann, ein uneuropäisches, d. h. im Widerspruch zu europäischen Grundrechten und -prinzipien stehendes „erststaatliches Ergebnis um der europäischen Zusammenarbeit Willen hinzunehmen.“502 c. Besonderheiten der grenzüberschreitenden Vollstreckung Schließlich wird, basierend auf der Prämisse, dass es innerhalb des Europäischen Justizraumes gleichgültig ist, ob man im Heimatstaat oder in einem der Mitgliedstaaten prozessiert, darauf verwiesen, dass der ordre public seinen ursprünglichen Regelungszweck verloren habe. Er habe sich zu einem Instrument des zusätzlichen Grundrechtsschutzes bei Sachverhalten mit Auslandsberührung gewandelt und stelle damit eine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber reinen Inlandsverfahren dar. Um dies zu untermauern verweist Stein auf die K rombach-Entscheidung und führt aus, dass der Skandal dieses Falles keineswegs darin gelegen habe, dass ein Deutscher der ordre public-widrigen Regelung des Art. 630 CPP unterworfen war, zumal das Ergebnis kein anderes gewesen wäre, wenn sich ein französischer Bürger in einer ähnlichen Konstellation an den EGMR gewandt hätte.503 Vielmehr liege der Skandal in der menschenrechtsverletzenden Norm, die unterschiedslos auf In- und Ausländer angewendet werde, selbst begründet. Dem Fall liege mithin kein genuin grenzüberschreitendes Problem zugrunde, was die Frage aufwerfe, warum gerade in einem grenzüberschreitenden Fall ein zusätzlicher Schutz vonnöten sei, den ein Inländer, der ebenfalls unter der Norm leidet, nicht genieße.504 Diese Argumentation verfängt jedoch nicht. Denn auch wenn der angeführte (Einzel-)Fall nicht auf die Schwierigkeiten eines grenzüberschreitenden Prozesses zurückzuführen sein mag, so ist bereits die Prämisse falsch gewählt. Denn wie bereits an anderer Stelle dargelegt wurde, kann bereits keine vollständige Gleichstellung von in- und ausländischen Prozessen angenommen werden.505 Überdies unterstreicht die Praxis, dass die Grundrechtsverletzung oftmals gerade im grenzüberschreitenden Element des Rechtsstreites wurzelt.506
501 Sujecki, ZEuP 2008, 458, 467, 476 ff.; Schack, IZVR, Rn. 1054; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 684; Conti, Grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen, S. 167; Rauscher, LMK 2009, 293153. 502 Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 542. 503 Stein, IPRax 2004, 181, 185. 504 Stein, IPRax 2004, 181, 185; Leipold, in: Festschrift f. Stoll, S. 625, 645; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 466. 505 Vgl. § 7.C.II., D.III.1.dd. 506 Vgl. beispielhaft OLG Zweibrücken IPRax 2006, 487; Court of Appeal [2003] QB 620 (M aronier v Larmer); BGH NJW 2009, 3306.
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Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die durch ein Verbot jeglicher Nachprüfung entstehende Vollstreckungspflicht zu Lücken im Rechtsschutz führen kann.507 Durch die mögliche Anwendung verschiedenen Sach-, Prozess- und Vollstreckungsrechts können divergierende mitgliedstaatliche Wertungen, insbesondere hinsichtlich des Schuldnerschutzes, den Schuldner rechtlos stellen. Vor allem angesichts der bestehenden Jurisdiktionenvielfalt in der Europäischen Union ist es nicht unvorstellbar, dass der Schuldnerschutz im Urteilsstaat vollständig in das Vollstreckungsverfahren verschoben, im Vollstreckungsstaat jedoch umfassend im Erkenntnisverfahren angesiedelt ist, mit der Konsequenz, dass der Schuldner aufgrund des Auseinanderfallens von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren in zwei unterschiedliche Länder jeglichen Schutz verliert.508 Coester-Waltjen verweist diesbezüglich auf die Abgrenzung von Wiederaufnahmeund Aufhebungsklagen einerseits und den Vollstreckungsbehelfen andererseits und speziell auf die Abgrenzungsstreitigkeiten im deutschen Recht zwischen der Abänderung nach § 323 ZPO, der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO und der Abänderung von Unterhaltstiteln.509 Darüber hinaus gibt es auch Unterschiede bei der Berücksichtigung von Einwendungen gegen den festgestellten Anspruch. So gewähren einige Rechtsordnungen dem Schuldner zulasten der Rechtskraft ein Mehr an Schutz im Vollstreckungsverfahren und verzichten auf strenge Präklusionsregelungen.510 Als problematisch kann sich auch die grenzüberschreitende Durchsetzung vollstreckbarer Urkunden erweisen.511 Schwierigkeiten der Einbeziehung der vollstreckbaren Urkunde ergeben sich zwangsläufig in den Rechtsordnungen, denen die vollstreckbare Urkunde vollkommen fremd ist, wie zum Beispiel Großbritannien, Finnland oder Schweden.512 Weiterhin kann es zu Verwerfungen kommen, wenn Erst- und Zweitstaat das Rechtsinstitut der vollstreckbaren Urkunde zwar kennen, aber den Schuldnerschutz im Rahmen der Vollstreckung aus einer ebensolchen Urkunde unterschiedlich ausgestaltet haben. Während in Deutschland nach § 797 Abs. 4 ZPO eine unbeschränkte Berufung auf materielle Einwendungen im Vollstreckungsverfahren zugelassen wird, verfügen andere Mitgliedstaa507
Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 194. Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193. 509 Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193 f. Vgl. dazu im englischen Recht die Abänderung von Versäumniurteilen (default judgments) und Urteilen, die im beschleunigten Verfahren ergangen sind (summary judgments) durch das Erstgericht, CPR 13.2, 13.3 und CPR Practice Direction 24, p. 8.1, im Gegensatz zur separaten action to set aside, die auf eine Aufhebung des Urteils abzielt, siehe Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, S. 99. 510 Vgl. Yessiou-Faltsi, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 213, 243 f. mit Verweis auf Art. 330b und 933 § 3 grZGB; Fahrenholz, Zwangsvollstreckungsrecht in der Tschechischen Republik, S. 291 f. mit Verweis auf § 268 Abs. 1 lit. g), h) tZPO. 511 Ebenso Schlosser, IPRax 2010, 101, 104. Siehe zudem Wolfsteiner, Die vollstreckbare Urkunde, Rn. 53.28, 53.46 ff. 512 Vgl. insoweit Münch, in: Festschrift f. Rechberger, S. 395, 397 („unknown creature“) (mwN); Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, passim. 508
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ten über keine derartige Regelung. Vielmehr versuchen sie den Schuldnerinteressen bereits durch die Beschränkung der zulässigen Begründung einer vollstreckbaren Urkunde Rechnung zu tragen und untersagen beispielsweise die Errichtung einer notariellen Urkunde auf der Grundlage einer (noch) nicht fälligen Forderung. Derartige Unterschiede im Rahmen der Ausgestaltung des Schuldnerschutzes können in der Rechtlosstellung des Schuldners münden. So zum Beispiel wenn der Gläubiger die vollstreckbare Urkunde in Staat A errichten lässt, der einen nachgelagerten im Vollstreckungsverfahren angesiedelten Schuldnerschutz vorsieht, und die Vollstreckung aus diesem Titel bewusst in Staat B, der ausschließlich auf einen präventiven Schuldnerschutz im Zeitpunkt der Errichtung der Urkunde setzt, betreibt.513 Einer solchen Konstellation könnte mit dem derzeitigen System der Versagungsgründe begegnet werden, vgl. Art. 58 Abs. 1 S. 2 EuGVVO.514 Eine unbesehene Abschaffung dieser Kontrollmöglichkeiten, trotz weiterhin bestehender Unterschiede, stellte indes ein Wagnis dar. d. Ergebnis Zwar ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der ordre public-Vorbehalt in einem zusammenwachsenden Europa an Bedeutung eingebüßt hat. Aufgrund gemeinsamer europäischer Werte und Prinzipien, wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sowie einem ausgeprägten Grundrechtsschutz, hat die Zahl der Konflikte zwischen den einzelnen Rechtsordnungen abgenommen.515 Die Tatsache, dass die europäische Integration eine immer stärkere Kohärenz der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bewirkt, darf allerdings nicht den Blick dafür trüben, dass dies allein noch keine Gewähr für eine generelle Vermeidung evident rechtsstaatswidriger Urteile darstellt. Vielmehr veranschaulichen die vorangegangenen Ausführungen, dass die von den europäischen Institutionen aufgestellte Formel von der Austauschbarkeit der Rechtspflege innerhalb der Europäischen Union nach wie vor an der Realität vorbeigeht.516 Der Verzicht auf die Vorbehaltsklausel erfordert zwar keine vollständige Harmonisierung der nationalen Sach- und Prozessrechte,517 doch verdeutlicht die Rechtsprechung der europäischen wie der nationalen
513 Siehe den umfassenden Rechtsvergleich bei Leutner, Die vollstreckbare Urkunde im europäischen Rechtsverkehr. 514 Vgl. Wolfsteiner, Die vollstreckbare Urkunde, Rn. 53.48. 515 Sujecki, ZEuP 2008, 458, 468; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 91; Kohler, IPRax 2003, 401, 406; Stadler, RIW 2004, 801, 803; Blobel/Späth, EuLR 2005, 528, 542 f.; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 539. 516 Stadler, IPRax 2004, 2, 7; dies., RIW 2004, 801, 803; Kohler, ZSR 2005 II, 163, 282 f.; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 144 f.; Schack, IZVR, Rn. 1054; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 684. 517 Ebenso Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 465; Stein, IPRax 2004, 181, 185 („St. Nimmerleinstag“).
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Gerichte,518 dass die Zeit für die Abschaffung der ordre public-Kontrolle noch nicht gekommen ist und sie stattdessen auch weiterhin einen unverzichtbaren, letzten Behelf zur Gewährleistung eines adäquaten Rechtsschutzes darstellt.519 Dies gilt vor allem deshalb, weil schwere Verfahrensfehler auch zukünftig für „keinen Richter und keinen Mitgliedstaat gänzlich auszuschließen“ sein werden.520 Der vertikale Rechtsschutz kann insbesondere dann unzureichend sein, wenn der Instanzenzug zulassungsbeschränkt ist521 oder die Rechtsverletzung nicht auf die konkrete Rechtsanwendung, sondern auf die zugrunde liegende Rechtsordnung zurückzuführen ist. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sowohl der EuGH als auch der EGMR dem Schuldner in der Praxis nicht zu einer zügigen und effektiven Rechtsdurchsetzung verhelfen können, ist in diesen Fällen der Hinweis darauf, die betroffene Partei müsse sich – als Kehrseite der unionsrechtlich vermittelten Freizügigkeitsrechte – eben schon im Urteilsstaat zur Wehr setzen,522 oft nicht überzeugend.523 Auch die geringe praktische Relevanz des ordre public-Vorbehaltes kann dessen Abschaffung nicht rechtfertigen. Denn das Argument, der ordre public-Vorbehalt werde in der Praxis derart restriktiv angewendet, dass nur selten Fälle zu verzeichnen sind, in denen einem ausländischen Urteil die Vollstreckbarkeit versagt wird,524 kann nicht verhehlen, dass es in der täglichen Rechtsanwendung bisweilen doch zu Prozessen kommt, die elementaren und verfassungsrechtlich abgesicherten Verfahrensgarantien widersprechen.525 Neben den bereits dargestellten Sachverhalten, in denen Parteien zu Verfahrensobjekten degradiert werden, ihre Verteidigungsmöglichkeit an die Bedingung des Antritts einer Haftstrafe geknüpft wird oder denen gar nicht erst die Möglichkeit gegeben wird, sich wirksam zu verteidigen, zählen hierzu insbesondere Fälle des Prozessbetruges, die Missachtung anerkannter Beweisverbote sowie die Beeinträchtigung der Verfahrensrechte der Beteiligten, welche oftmals auf das Sprachenproblem bzw. ein 518
Siehe oben, § 7.D.III.1.a. Kohler, ZSR 2005 II, 263, 289 f.; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 184, 193; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 17. 520 Stadler, RIW 2004, 801, 803 f. 521 Vgl. insoweit für Deutschland nur §§ 522 Abs. 2 , 3, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Darüber hinaus: OLG Stuttgart RIW 1997, 684 (Italien); OLG Düsseldorf RIW 2001, 620 (Italien); OLG Düsseldorf IPRspr. 1994 Nr. 171 (Niederlande). 522 Hau, in: Prütting/Helms, FamFG, § 110 Anh Rn. 91; ähnlich Andrae, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR 3, Art. 21 EG-UntVO Rn. 41. 523 So bspw. im Fall K rombach, vgl. Stadler, RIW 2004, 801, 803; dies., in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 44. – Gleiches hat im Übrigen auch für die Fälle des Prozessbetruges zu gelten, in denen es dem Schuldner in aller Regel nicht mehr zuzumuten ist, weiterhin im Urteilsstaat zu prozessieren. 524 Insbesondere Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 463 sieht hierin ein Argument für einen vollständigen Verzicht auf die nationale ordre public-Kontrolle („Der Wegfall eines Rechtsschutzinstruments wiegt dann nicht allzu schwer, wenn es zuvor bereits ausgehöhlt war“). 525 Siehe oben, § 7.D.III.1.a. 519
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daraus resultierendes Fernbleiben vom Prozess zurückzuführen sind.526 Darüber hinaus muss die geringe praktische Relevanz, die der ordre public-Kontrolle zugesprochen wird, nicht die uneingeschränkte Realität abbilden. Denkbar ist auch, dass sich einige Schuldner unter dem Eindruck eines unfairen und deshalb – aus ihrer Sicht – aussichtslosen Verfahrens auf einen Vergleich einlassen oder angesichts eines ergangenen Urteils direkt zahlen, ohne den Versuch zu unternehmen, den vorliegenden Rechtsverstoß zu rügen und auf diese Weise einem Gericht die Möglichkeit zu geben, einen Verstoß gegen den ordre public festzustellen. Nicht außer Acht gelassen werden darf ferner, dass es zur Vermeidung pathologischer Fälle nicht genügt, nur im Recht der Mitgliedstaaten die Einhaltung freiheitlich-rechtsstaatlicher Mindeststandards zu gewährleisten. Denn die im erststaatlichen Verfahren anwendbare materielle Entscheidungsgrundlage muss nicht zwangsläufig dem materiellen Recht des Ursprungsstaates entsprechen. Sie kann sich vielmehr auch aus einer kollisionsrechtlichen Verweisung auf das Recht eines Drittstaates ergeben, was die Wahrscheinlichkeit des Abweichens eines Urteils vom wünschenswerten Grundrechts- und Wertestandard weiter erhöht.527 Gegenüber Drittstaaten außerhalb der europäischen Union hält dann zwar das Internationale Privatrecht eine ordre public-Kontrolle, zum Beispiel in Artt. 2, 21 ROM I-VO, Artt. 3, 26 ROM II-VO, bereit, doch ist das Kollisionsrecht längst nicht umfassend harmonisiert. Überdies stellt sich die Frage, ob die Richter im Ursprungsstaat bei der Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorbehaltsklausel auch ausreichend sensibel für die Besonderheiten derjenigen Mitgliedstaaten wären, die das Urteil im Zuge der Anerkennung und Vollstreckung im Nachhinein nicht mehr auf ihre Vereinbarkeit mit dem eigenen ordre public überprüfen könnten. Da es auch im Rahmen der kollisionsrechtlichen ordre public-Kontrolle auf die öffentliche Ordnung des Staates des angerufenen Gerichts ankommt und der entscheidende Richter – möglicherweise nicht einmal die Parteien – im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung nicht wissen wird, in welchem Staat die zu erlassende Entscheidung später vollstreckt werden soll, sind durchaus Urteile vorstellbar, die mit grundlegenden Wertungen, zum Beispiel in Form von Verbotsgesetzen, im späteren Vollstreckungsstaat konfligieren und deshalb einen ordre public-Verstoß begründen könnten. Soll von deutschen Vollstreckungsorganen beispielsweise gefordert werden können, ein im Vereinigten Königreich durchaus vorstellbares Urteil auf Zahlung des Kaufpreises für diverse NS-Devotionalien ohne jegliche 526 Sujecki, ZEuP 2008, 458, 477; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 214 f.; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 62 f.; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 125 ff.; Mankowski, RIW 2004, 587, 588; Stadler, IPRax 2004, 2, 8; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 289 f.; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 202; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 110. 527 Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 681; Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 491 mit Fn. 747; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13.
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Kontrollmöglichkeit zu vollstrecken?528 Der Schutz der eigenen Werte- und Prinzipienordnung würde „dem Erfordernis geopfert, die Freizügigkeit gerichtlicher Entscheidungen zu gewährleisten.“529 Auch die Argumentation, eine ordre public-Kontrolle stelle einen rechtspolitisch unerwünschten Fremdkörper im System der gegenseitigen Anerkennung dar, ist angesichts der in Art. 67 AEUV enthaltenen Regelung abzulehnen. Schließlich betont das Europäische Primärrecht an dieser Stelle, dass die Europäische Union „einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts [bildet], in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden.“530 Der ordre public-Vorbehalt stellt jedoch ein Instrument zur Verwirklichung und Bewahrung genau dieser Vielfalt dar, so dass er schwerlich als mit dem europäischen System der Anerkennung und Vollstreckung unvereinbar angesehen werden kann.531 Der Grundsatz des wechselseitigen Vertrauens steht diesem Schluss nicht entgegen. Schließlich entbindet er nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung prozessualer und rechtsstaatlicher Mindeststandards, sondern setzt vielmehr voraus, dass diese bereits durch das Ursprungsgericht garantiert werden.532 Ist dies indes nicht gewährleistet, so widerspricht die Beibehaltung einer ordre public-Kontrolle, die Rechtsschutzdefizite auszugleichen vermag, auch nicht dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Dies hat der EuGH mehrfach unterstrichen, als er eine absolute Geltung dieses – das gesamte Europäische Zivilprozessrecht prägenden – Grundsatzes verneint und zugleich verdeutlicht hat, dass das Ziel der Vereinfachung der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen stets in Einklang mit den (europäischen) Grundrechten und insbesondere dem Schuldnerschutz zu bringen ist.533 Der Ausgleich zwischen diesen widerstreitenden Interessen erfolgt (unter anderem) durch den ordre public-Vorbehalt als Verkörperung der europäischen Rechts- und Werteordnung. Ein uneingeschränkter Vorrang der Urteilsfreizügigkeit, der jegliche Gerechtigkeitserwägungen außer Acht ließe, wäre auch nicht mit dem Selbstverständnis der Europäischen Union als Wertegemeinschaft, die die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte achtet, vgl. Art. 2 EUV, zu vereinbaren. 528 Beispiel nach Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13 (Fn. 28); siehe auch Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409, 426. 529 GA Saggio, Schlussanträge v. 23.09.1999, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I 1935, 1938, 1949 f., Rn. 27 – Krombach/Bamberski. 530 Hervorhebungen durch den Verfasser. 531 Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 52 f. 532 Hess, EuZPR, § 3 Rn. 26. 533 EuGH, Urt. v. 28.03.2000, Rs. C-7/98, Slg. 2000, I-1935, Rn. 43 – Krombach/Bamberski; Urt. v. 11.06.1985 – Rs. 49/84, Slg. 1985, 1779, Rn. 10 – Debaecker und Plouvier; Urt. v. 13.10.2005, Rs. 422/03, Slg. 2005, I-8639 Rn. 15 – Scania; Urt. v. 12.06.2003, Rs. C-112/00, Slg. 2003, I-5659, Rn. 80 f. – Schmidberger; Urt. v. 14.10.2004, Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9606, Rn. 35 – Omega Spielhallen; GA Saggio, Schlussanträge v. 23.09.1999, Rs. C-7/98, Slg. 2000 I 1935, 1938, 1949 f., Rn. 27 – Krombach/Bamberski.
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Da der ordre public-Vorbehalt in seiner jetzigen Ausformung längst kein Überbleibsel überholten Nationalismus zum Schutz des inländischen Rechtssystems gegen jede „Invasion aus fremden Ländern“ mehr darstellt, sondern vielmehr als ein „universelle[s] Gerechtigkeitskonzept“ zu verstehen ist,534 kann er nicht als antiquiert und verzichtbar bezeichnet werden. Vielmehr ist er, solange die Gefahr der Verletzung fundamentaler Grundrechtsgarantien besteht, der ohne Vorbehaltsklausel kein Einhalt geboten werden könnte, als ultima ratio535 zur Gewährleistung eines ausreichenden Schuldnerschutzes beizubehalten.536 Andernfalls drohte die Urteilsfreizügigkeit in nicht zu rechtfertigender Weise über die Grundund Menschenrechte gestellt zu werden.537 Dieser These, die Notbremse ordre public-Vorbehalt sei zur Gewährleistung eines adäquaten Rechtsschutzniveaus erforderlich, hält Bach indessen metaphorisch entgegen: „Wer, statt mit der Regionalbahn im eigenen Heimatumkreis über die Dörfer zu tingeln, in das Flugzeug Europa einsteigt, muss sich damit abfinden, dass dort keine Notbremse vorhanden ist. Er muss auf die Flugkunst des fremden Piloten vertrauen. Dass das Absturzrisiko hierbei nicht völlig auszuschließen ist, muss in Kauf genommen werden; in der Realität hat es der Attraktivität des Flugverkehrs bislang nicht geschadet.“538
Unabhängig davon, dass es technisch wohl nur schwerlich umsetzbar wäre, eine Notbremse in Flugzeugen zu installieren, spricht die von Bach gewählte Metapher meines Erachtens eher für die Beibehaltung einer ordre public-Kontrolle im Europäischen Justizraum. Denn aufgrund der verheerenden (Personen-)Schäden, die unglücklicherweise mit Flugzeugabstürzen einhergehen, ist man im Flugverkehr 534 Schlosser, IPRax 2010, 101, 104; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 201. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Ausprägung eines europäischen ordre public, siehe oben, § 5.C.III.1.c. 535 Ähnlich Regen, Prozessbetrug, Rn. 929, der eine interessengerechte Anwendung des ordre public dessen Abschaffung vorzieht. 536 Thoma, Europäisierung des nationalen ordre public, S. 138; Sujecki, EuZW 2009, 424, 426; ders., ZEuP 2008, 458, 477; Hess, EuZPR, § 3 Rn. 25, 30; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 16; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 545; Regen, Prozessbetrug, Rn. 928 f.; Baur/ Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 55.55; H. Roth, IPRax 2006, 466; Sachsen Gessaphe, ZZPInt 5 (2000), 225, 239; Linke, IZPR4, Rn. 425; ders., FPR 2006, 237, 239; Beaumont/ Johnston, JPIL 2010, 249, 264; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 302; Schlosser, IPRax 2010, 101 ff., 104; Schack, IZVR, Rn. 1054; Gundel, EWS 2000, 442, 447; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 52; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 275 ff.; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 201 f. Zur Abschaffung der ordre public-Kontrolle im Anwendungsbereich der EuVTVO, vgl. Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 11 ff.; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 90; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193; Stadler, IPRax 2004, 2, 7; dies., RIW 2004, 801, 803 f.; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 160; ders., ZSR 2005 II, 263, 289 f.; Rechberger, in: Festschrift f. Leipold, S. 301, 305; a. A. Stein, IPRax 2004, 181, 183 ff.; Hüßtege, in: Gottwald, Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit, S. 113, 137 („die Abschaffung des antiquierten und von nationalen Vorbehalten geprägten Exequaturverfahren [ist] konsequent“); ders., in: Festschrift f. Jayme, S. 371, 385. 537 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 314; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 108; dies., JPIL 2010, 249, 273. 538 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 468.
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bereits von vornherein bestrebt, die bestehenden Risiken zu minimieren. Aus diesem Grund werden Flugzeuge, bei denen ein gewisses Risikopotential nicht von der Hand zu weisen ist, strengen Kontrollen unterworfen und im Zweifelsfall gar nicht erst zum Start zugelassen. Bei der Abschaffung der ordre public-Kontrolle in der EuGVVO verhält es sich nicht anders: Da hier ebenfalls – was auch Bach eingesteht – schwerwiegende Rechtsverletzungen nicht auszuschließen sind,539 sollte man diese Form der Kontrolle im Vollstreckungsstaat gar nicht erst abschaffen. Denn die Hoffnung, dass der EGMR einem Passagier (im europäischen Justizraum) rechtzeitig einen Fallschirm reichen wird, dürfte in aller Regel enttäuscht werden. Da ein umfassender und vor allem prozessual durchsetzbarer Schuldnerschutz, allen Gegenargumenten zum Trotz, auf europäischer Ebene nicht besteht, wäre ein Verzicht auf die ordre public-Kontrolle zum derzeitigen Stand des Integrationsprozesses nicht zu rechtfertigen.540 Die Tatsache, dass der ordre public-Vorbehalt aufgrund seiner restriktiven Handhabung und dem Verbot der révision au fond den Großteil der Fehlurteile nicht zu beseitigen vermag und seine Bedeutung mit zunehmender Rechtsharmonisierung schwinden wird, gestattet keinen gegenteiligen Schluss. Denn in diesem Fall müssten sämtliche Urteile unabhängig von der Schwere der Rechtsverletzung anerkannt und vollstreckt werden. Solange die beschriebenen Gefahren und Risiken bestehen, ist seine praktische und rechtspolitische Bedeutung daher nicht zu leugnen, so dass seine Beibehaltung – oder die eines ihm funktional entsprechenden Äquivalentes – dringend geboten ist.541 2. Schutz des rechtlichen Gehörs im Besonderen Der zweite wesentliche Versagungsgrund, auf den vorliegend eingegangen werden soll, dient dem Schutz des rechtlichen Gehörs. Er basiert auf der Überzeugung, dass conditio sine qua non für die Gewährung effektiven rechtlichen Gehörs die umfängliche Information des Beklagten über die Verfahrenseinleitung ist.542 Ihm ist das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein anderes gleichwer539 Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 16 und Sujecki, EuZW 2009, 424, 425 weisen darauf hin, dass das Urteil im englischen Gambazzi-Verfahren, sofern es nach der EuVTVO als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden wäre, ohne die Möglichkeit einer ordre public-Kontrolle – andere Rechtsbehelfe wären nach der EuVTVO wohl auch nicht einschlägig gewesen – in Italien hätte vollstreckt werden müssen. A.A. Schinkels, LMK 2009, 289819 der hiergegen einwendet, dass im Fall des Verfahrensausschlusses unter Verletzung des rechtlichen Gehörs kein Fall einer unbestrittenen Forderung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b EuVTVO vorliege. Gleiches gilt auch für den Fall M aronier /Larmer, vgl. Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 107. 540 Vgl. bspw. die Versuche ordre public-Verstöße im Rahmen der EuVTVO über das Bereicherungsrecht zu korrigieren, Oberhammer, JBl. 2006, 477, 502; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 196 ff. 541 Oberhammer, IPRax 2010, 197, 202; Schlosser, EuZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 2; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 30; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 173; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 107 f. 542 McGuire, Verfahrenskoordination, S. 174, 175; Hess, NJW 2001, 15.
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tiges Schriftstück in einer Art und Weise zuzustellen, dass er rechtzeitig Kenntnis der wesentlichen Elemente des Rechtsstreits nehmen und sich in der Folge wirksam verteidigen kann. Das bedeutet, dass das Schriftstück dem Adressaten tatsächlich zugehen und für ihn verständlich sein muss.543 Diese Prämisse eines rechtstaatlichen Verfahrens wird durch Art. 45 Abs. 1 lit. b) EuGVVO abgesichert. Auf diesen Versagungsgrund könnte nur verzichtet werden, wenn sichergestellt wäre, dass die verfahrenseinleitenden Schriftstücke jederzeit so rechtzeitig und in einer Art und Weise zugestellt werden, dass sich der Beklagte angemessen verteidigen kann. Dieser Idealvorstellung steht, abseits der fiktiven Inlandszustellung,544 vor allem die Sprachenvielfalt in der Europäischen Union entgegen. Denn insbesondere Sprachbarrieren erschweren die Zustellung rechtserheblicher, vor allem verfahrenseinleitender Schriftstücke und beeinträchtigen damit das rechtliche Gehör des Beklagten in grenzüberschreitenden Verfahren.545 Im „Spannungsfeld zwischen Justizgewährungsanspruch, Beklagtenschutz und Prozessökonomie“ sah sich der Europäische Normgeber der Herausforderung ausgesetzt, einen Ausgleich zwischen den maßgeblichen Interessen zu finden.546 Dabei entschied er sich zur Beschleunigung und Vereinfachung des Zustellungsverfahrens auf die Aufnahme eines Übersetzungserfordernisses zu verzichten, vgl. Artt. 5, 8 EuZustVO. Dies erlaubt es, dass dem Schuldner ein für ihn unverständliches Schriftstück zugestellt wird. Zur Wahrung seiner Verteidigungsrechte und zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens wurde dem Adressaten – sozusagen im Gegenzug – jedoch ein Annahmeverweigerungsrecht an die Hand gegeben, über welches er unter Verwendung des Formblattes in Anhang II der Verordnung zu belehren ist. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZustVO darf der Empfänger die Annahme des zuzustellenden Schriftstückes verweigern oder dieses binnen einer Woche zurücksenden, sofern es nicht in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaates oder einer anderen Sprache verfasst ist, die der Empfänger versteht.547 543
McGuire, Verfahrenskoordination, S. 174; Hess, NJW 2001, 15, 16. Bach will den Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. bzw. nun Art. 45 Abs. 1 lit. b) EuGVVO beibehalten, um auch künftig fiktive Zustellungen – bei ausreichendem Schuldnerschutz – im Anwendungsbereich der EuGVVO zulassen zu können. Die Beibehaltung des Versagungsgrundes entspräche damit auch dem Gläubigerinteresse, vgl. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 427 f. Vgl. zur Unzulässigkeit der fiktiven Zustellung im Anwendungsbereich der EuVTVO: Erwägungsgrund Nr. 13 zur EuVTVO; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 14 EuVTVO Rn. 2; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 14 EG-VollstrTitelVO Rn. 5; Heckel, IPRax 2008, 218, 220. 545 Siehe oben, § 7.C.II.3.; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 282; ders., IPRax 2003, 401, 406; Stadler, IPRax 2004, 2, 5; dies., in: Practical obstacles in cross border litigation, S. 11 f.; dies., RIW 2004, 801, 807 („für das rechtliche Gehör essenziell“); McGuire, Verfahrenskoordination, S. 176; Schack, SchlHA 2006, 115, 117; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 201. 546 Hess, NJW 2001, 15 (Zitat); McGuire, Verfahrenskoordination, S. 175. 547 Vgl. zum Umfang der Übersetzungspflicht EuGH, Urt. v. 08.05.2008, Rs. C-14/07, NJW 2008, 1721 ff. – Ingenieurbüro Michael Weiss & Partner/IHK Berlin. 544
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Es scheint allerdings zweifelhaft, ob der getroffene Ausgleich gelungen und durch die gewählten Mittel ein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet ist, der sämtliche aus der Grenzüberschreitung folgenden Probleme löst.548 Der Grund für diesen Argwohn liegt zum einen darin, dass die Regelung des Art. 8 EuZustVO dem Adressaten eine erhebliche Last aufbürdet, und sie zum anderen von zahlreichen Ungewissheiten begleitet wird, die eine beachtliche Rechtsunsicherheit hervorrufen. Zunächst wirft die Möglichkeit, verfahrenseinleitende Schriftstücke per Einschreiben mit Rückschein zuzustellen (Art. 14 EuZVO, § 1068 ZPO) Probleme auf. Zwar soll diese Regelung sicherstellen, „dass der Empfänger das Schriftstück tatsächlich und nachweislich erhalten hat“,549 ein konstruktionsbedingtes Problem bleibt gleichwohl bestehen: Der Empfänger eines solchen Dokumentes wird in der Regel nicht die Möglichkeit haben, das Vorliegen der Voraussetzungen des Annahmeverweigerungsrechtes zu überprüfen, da ihm der Postbote das Schreiben nur aushändigen wird, wenn der Rückschein bereits unterschrieben ist.550 Wenn dieses in fremder Sprache verfasst ist und die entsprechende Empfangsbestätigung unterzeichnet wird, ohne Kenntnis vom Inhalt des Schreibens zu nehmen, ist es jedoch zu spät für eine Annahmeverweigerung. Ob die von Art. 8 EuZustVO gewährte einwöchige Frist zur Zurücksendung des ausländischen Dokumentes in diesen Fällen ausreicht, erscheint mehr als fraglich.551 Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass jeder Unionsbürger – trotz Belehrung – umgehend tätig wird. Dies ist insbesondere dann zu bezweifeln, wenn er keinen Bezug zu dem Schreiben herzustellen vermag, zum Beispiel weil er die via Internet bestellte Ware niemals erhalten hat und seit der Bestellung schon eine längere Zeit vergangen ist.552 Dies gilt vor allem in Fällen, in denen ein solches Schreiben an einen Verbraucher adressiert ist.553 Dieser ist von einer solchen Situ548 So kann bspw. gem. Art. 8 Abs. 3 S. 3 EuZustVO (in Umsetzung des Urteils EuGH, Urt. v. 08.11.2005, Rs. C-443/03, NJW 2006, 491 – Götz Leffler/Berlin Chemie AG) die Heilung einer fehlerhaften Zustellung durch Nachsendung einer Übersetzung auf den Zeitpunkt der Zustellung des ersten Schriftstücks zurückwirken. Dies kann die die Zustellung veranlassende Partei dazu anhalten, im Wissen um die fehlende Sprachkenntnis der gegnerischen Partei, auf eine Übersetzung zu verzichten und diese erst später nachzureichen und auf diese Weise Zeit zu gewinnen und dem Adressaten die Last eines unverständlichen Schriftsatzes aufzuerlegen. Ebenso krit. Rauscher, JZ 2006, 251, 252; Schütze, RIW 2006, 352, 355; Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 EG-ZustVO Rn. 26 f.; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 201 ff. 549 KOM(2005) 305 endgültig/2, S. 6. 550 Ebenso Stadler, IPRax 2001, 514, 518, 520; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 450; Linke, in: Gottwald, Grundfragen der Gerichtsverfassung, S. 95, 105; Kondring, RIW 1996, 722. 551 Krit. auch Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 EG-ZustVO Art. 8 Rn. 26 („Frist von einer Woche [ist] extrem kurz“). 552 Vgl. hierzu das Beispiel bei Stadler, RIW 2004, 801, 807 und sich anschließend Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 65. 553 So bspw. wenn das ausländische Gericht die (oftmals schwer festzustellende) Verbrauchereigenschaft des Beklagten verkennt und sich daher entgegen Art. 18 EuGVVO als zuständig an-
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ation möglicherweise überfordert und möchte zunächst anwaltlichen Rat einholen oder legt das Schreiben – und dies ist keinesfalls undenkbar – zunächst einmal unbedacht zur Seite und lässt die Sache auf sich beruhen. Auch Art. 28 Abs. 3 EuGVVO i. V. m. Art. 19 EuZustVO kann diese Bedenken nicht ausräumen. Die Regelung will den Beklagten vor Erlass einer Säumnisentscheidung schützen, wenn dieser gar keine Kenntnis vom Verfahren haben konnte. Aus diesem Grund sieht sie vor, dass das Ursprungsgericht im Fall der Nichteinlassung des Beklagten das Verfahren so lange auszusetzen hat, bis festgestellt wurde, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück ordnungsgemäß zugestellt wurde, dem Beklagten persönlich ausgehändigt oder zumindest in dessen Wohnung abgegeben wurde und dies so rechtzeitig erfolgt ist, dass er sich hätte verteidigen können.554 Der gewährte Schutz wird allerdings durch Art. 19 Abs. 2 EuZustVO verwässert. Dieser gestattet es den Mitgliedstaaten – nach entsprechender Mitteilung an die Europäische Kommission, vgl. Art. 23 EuZustVO – das Verfahren abweichend von Abs. 1 fortzusetzen. Auch die Schutzvorschrift des Art. 28 Abs. 3 i. V. m. Art. 19 EuZustVO kann daher keine effektive Information des Beklagten gewährleisten555 und bedarf somit der Ergänzung durch Art. 45 Abs. 1 lit. b) EuGVVO. Darüber hinaus vermag Art. 8 EuZustVO nicht zu klären, welche Anforderungen generell an das Sprachniveau zu stellen sind. Zunächst bleibt unklar, wie hoch die Qualität ist, die den Sprachkenntnissen des Adressaten abverlangt werden kann,556 sprich bis zu welchem Sprachniveau noch ein Annahmeverweigerungsrecht besteht. Denn bislang haben sich noch keine generellen Kriterien zur Feststellung der ausreichenden Sprachkenntnis herausgebildet.557 Dies beginnt bei der Frage, ob für die Beurteilung der Verständlichkeit objektive oder subjektive Maßstäbe anzulegen sind und endet schließlich in vollständig unterschiedlichen Einschätzungen hinsichtlich des notwendigen Grades der Verständlichkeit.558 Dies bringt, neben der Tatsache, dass die Beweislast für die Frage der (un)berechtigten sieht, vgl. dazu Stadler, RIW 2004, 801, 807; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 65. Allg. zur Verbrauchereigenschaft im Europäischen Zivilprozess, H. Roth, in: Festschrift f. von Hoffmann, S. 715 ff. 554 Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 19 EG-ZustVO Rn. 1, 3. 555 Dazu Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 4 43; siehe ferner zur Nichtbeachtung der sechsmonatigen Wartefrist, OLG Zweibrücken IPRspr. 2005 Nr. 151 = IPRax 2006, 487 mit Anm. H. Roth, IPRax 2006, 466. 556 Schütze, RIW 2006, 352, 353; Gottwald, in: Festschrift f. Schütze, S. 225, 232 f.; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 452; Bajons, in: Festschrift f. Schütze, S. 49, 71 f. 557 Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 191; dies., in: Musielak/Voit, ZPO, Art. 8 VO (EG) 1393/2007 Rn. 4; Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 EG-ZustVO Rn. 36. Aus diesem Grund sollte der Adressat nach Ansicht Heiderhoffs in jedem Fall zunächst einmal eine Übersetzung anfertigen lassen. 558 Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 452 mit Verweis auf eine großzügige Auslegung bei Gottwald, in: Festschrift f. Schütze, S. 225, 232 f. und eine restriktive Auslegung Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 EG-ZustVO Rn. 7.
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Verweigerung nach wie vor streitig ist,559 erhebliche Risiken für die Verfahrensbeteiligten mit sich.560 Denn das Ursprungsgericht wird in der Regel nicht feststellen können, ob der im Ausland wohnhafte Empfänger die verwendete Sprache versteht.561 Dies gilt umso mehr, wenn der Adressat von seinem Annahmeverweigerungsrecht keinen Gebrauch macht und dem Verfahren fern bleibt.562 Aus diesem Grund hat sich der Adressat zu fragen, ob er tatsächlich die Annahme verweigert oder nicht doch lieber eine Übersetzung auf eigene Kosten vornehmen lässt und sich vollumfänglich auf den drohenden Prozess vorbereitet. Dies gilt insbesondere dann, wenn er sich selbst nicht sicher ist, ob er über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt. Sollte er es in einer solchen Konstellation wagen, die Annahme gem. Art. 8 Abs. 1 EuZustVO zu verweigern? Im Fall einer unberechtigten Verweigerung wäre, mangels einer unionsrechtlichen Regelung, nationales Recht anzuwenden. In Deutschland wäre mithin auf § 179 S. 3 ZPO zurückzugreifen.563 Danach gilt die Zustellung bei unberechtigter Verweigerung als erfolgt. Der Adressat liefe mithin Gefahr, dass das Schriftstück trotz Annahmeverweigerung als wirksam zugestellt behandelt würde und gegen ihn ein Versäumnisurteil erginge. Aber sollte man tatsächlich einem Laien eine solch folgenschwere Entscheidung aufbürden und gleichzeitig seinen Rechtsschutz im Rahmen der grenzüberschreitenden Vollstreckung vermindern, wenn selbst innerhalb der Rechtswissenschaft unklar ist, wann eine Annahmeverweigerung statthaft ist? Des Weiteren ist ebenso ungeklärt, welches Niveau einer Übersetzung, soweit sie erfolgt ist, abzuverlangen ist. Denn auch Übersetzungen gewährleisten nicht in jedem Fall, dass der Empfänger eine umfassende Kenntnis vom Inhalt des fraglichen Schriftstückes erhält. Da juristische Fachtermini oftmals in der jeweiligen Rechtsordnung wurzeln, können sie nicht ohne Weiteres übersetzt werden. Dies gilt umso mehr, wenn sich in der anderen Rechtsordnung, in die sie übertragen werden sollen, kein Äquivalent findet.564 An dieser Stelle sei auch noch einmal auf die bereits oben erwähnte Entscheidung des OLG Nürnberg565 hingewiesen, in
559 Für die Beweislast des Antragstellers Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 EG-ZustVO Rn. 29, 36; Ahrens, NJW 2008, 2817, 2819; Schlosser, EuZPR Art. 8 EuZVO Rn. 2 (a. A. dagegen in der Vorauflage); offen haltend Bajons, in: Festschrift f. Schütze, S. 49, 72. 560 Ahrens, NJW 2008, 2817. Zu den noch ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit Art. 8 EuZustVO siehe Mankowski, IPRax 2009, 180, 182 f. 561 Schütze, RIW 2006, 352, 335; Stadler, RIW 2004, 801, 808. 562 In diesem Fall würde das fremdsprachige Dokument als zugestellt gelten – das rechtliche Gehör wäre massiv eingeschränkt. 563 Heiderhoff, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 8 EG-ZustVO Rn. 28; Schlosser, EuZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 7 (allerdings versehentlich mit Hinweis auf § 179 S. 2 ZPO). 564 Schütze, RIW 2006, 352, 353. 565 Siehe oben, § 7 Fn. 203 mit Verweis auf OLG Nürnberg IPRax 2006, 38 (Beschreibung des Schuldgrundes im Mahnbescheid: „Durch die Anweisung der schuldigen Gesellschaft an ihre Vertreter bzw. Mitglieder des Verwaltungsrates, dass sie ihren privaten Verpflichtungen nicht nachkommen, unserer Gesellschaft lastender Verlust“).
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der sich das OLG mit der Übersetzung eines türkischen Mahnbescheides auseinanderzusetzen hatte. Zusammengefasst ist daher herauszustellen, dass die EuZustVO und insbesondere die Form der postalischen Zustellung – mittlerweile der Regelfall der grenzüberschreitenden Zustellung – im Zusammenspiel mit dem Instrument der Annahmeverweigerung keine rechtzeitige Kenntnisnahme des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gewährleisten und daher das rechtliche Gehör des Schuldners nur unzureichend schützen.566 Daher und vor dem Hintergrund, dass eine Verletzung des Annahmeverweigerungsrechtes aus Art. 8 EuZustVO eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne des Art. 45 Abs. 1 lit. b) EuGVVO begründen kann,567 sollte auf diesen Versagungsgrund nicht verzichtet werden. Dies bestätigt auch die Rechtsprechungspraxis, in der die Verletzung des rechtlichen Gehörs den häufigsten Grund für die Versagung der grenzüberschreitenden Vollstreckung bildet.568 Insoweit ist zwischen Fällen zu unterscheiden, in denen die Beklagten erst mit der Zustellung der Vollstreckbarerklärung eines Versäumnisurteils Kenntnis von der gegen sie ergangenen ausländischen Entscheidung sowie dem vorangegangenen Verfahren erlangen,569 und solchen, in denen die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks zwar formal erfolgt, dieses jedoch in einer für den Adressaten unverständlichen Sprache verfasst ist, die beklagte Partei nicht über das nach Art. 8 EuZustVO bestehende Annahmeverweigerungsrecht informiert wird, die Urteilsbegründung aber gleichwohl eine ordnungsgemäße Zustellung versichert oder in denen es an einem Hinweis auf den statthaften Rechtsbehelf fehlt.570 Diese Sachverhalte stellen nachdrücklich die ausgeprägte Fehleranfälligkeit der internationalen Zustellung heraus. Sie zeigen, auch wenn sich die Bedeutung der Anerkennungsversagung nach Art. 45 Abs. 1 lit. b) EuGVVO (ex-Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F.) durch den Übergang vom EuGVÜ zur EuGVVO deutlich redu-
566 U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 200 f.; Stadler, IPRax 2004, 2, 5; dies., IPRax 2001, 514, 519; Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 439, 461; Heiderhoff, EuZW 2006, 235, 236. 567 OLG Celle IPRax 2005, 450; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 33; Leible, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 45 Brüssel Ia-VO Rn. 44 f., 47; Mäsch, in: Kindl/ Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 34 EuGVVO Rn. 29; Dörner, in: HkZPO5, Art. 34 EuGVVO Rn. 18; Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 66; a. A. Gottwald, in: MünchKomm-ZPO, Art. 34 EuGVO Rn. 28. 568 Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 474; Stadler, RIW 2004, 801, 806; Jayme/Kohler, IPRax 1996, 377, 389; dies., IPRax 1993, 361, 366; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 17; Stein, EuZW 2004, 679, 680; Bach, Grenzüberschreitenden Vollstreckung, S. 427; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 176. 569 OLG Düsseldorf OLGR 2008, 643; OLG Zweibrücken IPRspr. 2005 Nr. 151 = IPRax 2006, 487 mit Anm. H. Roth, IPRax 2006, 466. 570 OLG Hamburg OLGR 2009, 188 = EuLF 2009 II 14; OLG Köln NJOZ 2005, 1178 = IPRspr. 2003, Nr. 179.
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ziert hat,571 dass sowohl in theoretischer wie auch praktischer Hinsicht weiterhin das Bedürfnis nach einer das rechtliche Gehör schützenden Regelung besteht.572 3. Zwischenergebnis Da die Rechtsprechungspraxis die Notwendigkeit eines effektiven Schuldnerschutzes aufzeigt, dieser aber nicht auf europäischer Ebene zu erlangen ist, ist zusammenzufassen, dass die Kontrollfunktion des (bisherigen) Exequaturverfahrens – auch mit Blick auf die Überprüfung der Anwendbarkeit der Verordnung – künftig beizubehalten ist, sofern nicht anderweitige, insbesondere Art. 45 Abs. 1 lit. a), b) EuGVVO (ex-Art. 34 Nr. 1, 2 EuGVVO a. F.) entsprechende Rechtsbehelfe geschaffen würden. Auf die übrigen in der EuGVVO enthaltenen Versagungsgründe wurde an dieser Stelle nicht eingegangen, da ihre Bedeutung als wesentlich geringer einzuschätzen ist. Hinsichtlich der Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarerklärungsversagung aufgrund kollidierender Entscheidungen ist der Grund hierfür in den Rechtshängigkeitsregeln der Art. 29 ff. EuGVVO zu sehen, die schon während des Erkenntnisverfahrens kollidierenden Entscheidungen entgegenwirken. Die geringere Relevanz der Anerkennungsversagung mangels internationaler Zuständigkeit rührte bislang aus der Tatsache, dass Gläubiger zur Umgehung des Vollstreckbarerklärungsverfahrens oftmals direkt am Wohnsitz der von Art. 45 Abs. 1 lit. e) EuGVVO (bzw. Art. 35 EuGVVO a. F.) geschützten Partei klagten und der Versagungsgrund damit (eher) präventiven Schutz entfaltete.573 4. Alternativer Rechtsschutz Die beschriebenen Rechtsschutzdefizite, die bei der Abschaffung der bestehenden Kontrolle im Vollstreckungsstaat zu befürchten wären, müssen indes keineswegs zu dem Schluss führen, dass die Versagungsgründe zwingend in ihrer derzeitigen Ausgestaltung beizubehalten sind. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang nicht das konkrete Gepräge des Schuldnerschutzes, sondern allein dessen Effektivität. Ein Verzicht wäre daher durchaus vorstellbar, sofern andere Instrumente zur Verfügung stünden oder bereitgestellt würden, die einen vergleichbaren Rechtsschutz garantieren könnten.574
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Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 474. Ob der nationale und durch die EuVTVO gewährte Schutz in den genannten Fällen ausreichend gewesen wäre, darf bezweifelt werden, vgl. Schlosser, IPRax 2010, 101, 103 („extremely cumbersome“, „hopeless“). 573 Vgl. Kieninger, VuR 2011, 243, 247. Siehe zudem oben, § 6.C.III.3. 574 Ebenso Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 14; Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 493; Oberhammer, JBl. 2006, 477, 482 f. 572
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a. Schutz auf der Vollstreckungsebene aa. Anwendbarkeit nationaler Rechtsbehelfe Da sich das Vollstreckungsverfahren nach der lex fori executionis, also dem Recht des Vollstreckungsstaates richtet,575 läge zunächst der Verweis des Schuldners auf den generellen Vollstreckungsschutz im Zweitstaat nahe.576 Den dem Schuldner im Vollstreckungsverfahren zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfen577 käme dann die Aufgabe zu, die schuldnerschützende Funktion der Versagungsgründe und insbesondere des ordre public-Vorbehaltes zu übernehmen. Die Kontrollfunktion würde mithin auf die nationale Vollstreckungsebene verlagert.578 Dieser Schritt entspräche – zumindest prima facie – dem Prinzip der Urteilsfreizügigkeit und der Gleichstellung inländischer und ausländischer Titel im Europäischen Justizraum:579 Wenn jedes mitgliedstaatliche Urteil wie ein inländisches Urteil vollstreckt wird, dann ist der generelle, gegen inländische Urteile bestehende Vollstreckungsschutz auch gegen das mitgliedstaatliche Urteile zu gewähren.580 Die ausländischen, unmittelbar vollstreckbaren Urteile müssten den gleichen Anforderungen genügen wie inländische Vollstreckungstitel. Vor dem Hintergrund, dass der ordre public-Vorbehalt im Anerkennungs- und Vollstreckungsrecht vornehmlich dazu dient, die Vollstreckung ausländischer Titel, die elementaren Grundwertungen eines Rechtsstaates widersprechen, zu verhindern, könnte sich der materiell-rechtliche Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB als „Ersatz“ für die Vorbehaltsklausel eignen. Der im Wege der Leistungsklage geltend gemachte § 826 BGB stellt nach ständiger Rechtsprechung ein zulässiges Mittel dar,581 um im Falle einer sittenwidrigen Titelerschleichung oder -ausnutzung die Herausgabe des Titels, das Unterlassen der Zwangsvollstreckung oder Ersatz des durch die Vollstreckung eingetretenen Schadens zu verlangen und auf diese Weise die Rechtkraft einer (anerkannten) Entscheidung zu durchbrechen – die „Wirkung der Rechtskraft muß da zessieren, wo sie bewußt rechtswidrig zu dem Zweck herbeigeführt ist, dem was nicht Recht ist, den Stempel des Rechts zu geben.“582 575 Art. 41 Abs. 1 EuGVVO; vgl. überdies Art. 20 Abs. 1 EuVTVO; Art. 21 Abs. 1 EuMahnVO; Art. 21 Abs. 1 EuGFVO. 576 Siehe oben, § 6.B.I. 577 Vgl. für Deutschland insbesondere §§ 765a, 766, 767, 775, 776, 793 ZPO, § 826 BGB. 578 Hess, IPRax 2004, 493; Linke, IZPR4, Rn. 425; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 161. 579 Art. 41 Abs. 1 EuGVVO; vgl. überdies Art. 20 Abs. 1 S. 2 EuVTVO; Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 EuMahnVO; Art. 21 Abs. 1 UAbs. 2 EuGFVO. 580 Vgl. zur Reichweite der Vollstreckungsgegenklage, § 6.C.II.2. 581 Erstmals RGZ 61, 359, 365 ff. 582 RGZ 61, 359, 365. Daran anknüpfend BGH NJW 1951, 759 („der Grundsatz der Rechtskraft, der dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dient, [muß] dem höchsten Zweck der Rechtspflege, Gerechtigkeit zu wirken, weichen“).
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Nach den Vorgaben der Rechtsprechung setzt die Anwendung des § 826 BGB die materielle Unrichtigkeit des Titels, die Kenntnis des Gläubigers hiervon sowie besondere Umstände, aufgrund derer ihm eine Aufgabe der erlangten Rechtsposition zugemutet werden kann, voraus.583 Diese besonderen Umstände hatten das Reichsgericht und später auch der Bundesgerichtshof, auch wenn sich dieser mitunter mit dem schlichten Hinweis auf § 242 BGB („Rechtsmissbrauch“) begnügte,584 in ständiger Rechtsprechung als gegeben angesehen, wenn ein unrichtiges Urteil durch sittenwidriges Handeln herbeigeführt wurde585 oder wenn ein unrichtiges Urteil in der Kenntnis der Unrichtigkeit in sittenwidriger Art und Weise ausgenutzt wurde.586 Die Fälle des Prozessbetruges in einem grenzüberschreitenden Verfahren könnten also ohne Weiteres von § 826 BGB, im Rahmen der Fallgruppe der sittenwidrigen Titelerschleichung, abgedeckt werden. Etwas problematischer liegt es dagegen bei denjenigen Entscheidungen, deren (bisherige) Nichtanerkennung in der Anwendung einer inakzeptablen Norm oder der fehlerhaften Anwendung einer Rechtsvorschrift begründet lag. In diesen Fällen ist der Vorwurf allein dem ausländischen Gericht zu machen; der Gläubiger trägt keinerlei Verantwortung für die Rechtsverletzung des Schuldners. Diese Konstellationen könnten allein von der Fallgruppe der sittenwidrigen Titelausnutzung erfasst werden. Fraglich ist jedoch, ob die Ausnutzung eines Titels (= Vollstreckung), dessen Anerkennung gegen den vollstreckungsstaatlichen ordre public verstieße, als sittenwidrig bezeichnet werden kann. Die Ausnutzung eines schlichten Fehlurteiles ist insofern unzureichend. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen, die dies als sittenwidrig erscheinen lassen.587 „[D]ie an sich durch die Rechtskraft legitimierte Vollstreckung [müsste] unanständig erschein[en]“,588 so dass dem Gläubiger die Aufgabe dieser Rechtsposition zuzumuten wäre. Unter Berücksichtigung der fundamentalen Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen, die der ordre public verkör583 Ausführlich Prütting/Weth, Rechtskraftdurchbrechung, Rn. 154 ff.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, § 162 III 9 ff.; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 1073; M. Stürner, RabelsZ 71 (2007), 598, 616 ff. Diese Rechtsprechung zu § 826 BGB wird in Literatur allerdings überwiegend abgelehnt. Die Kritik gründet vor allem darin, dass die Anwendung des § 826 BGB die Rechtskraft und damit auch die Rechtssicherheit unterminiere, das Wiederaufnahmerecht der §§ 578 ff. ZPO umgehe sowie eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung darstelle, vgl. M. Stürner, RabelsZ 71 (2007), 598, 612 ff. (mwN); Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 162 III 5 ff.; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rn. 615 ff.; Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 99 ff., 102; Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 1072; ders., JuS 1991, 50, 53; Schreiber, Jura 2008, 121, 124; Münzberg, NJW 1986, 361. 584 BGH NJW 1993, 3204; BGH NJW-RR 1996, 827. 585 RGZ 61, 359, 365; 78, 390; BGHZ 101, 380, 383; BGH NJW 1963, 1606. 586 RGZ 155, 55; 156, 265; 168, 12; BGHZ 40, 133; 50, 119; BGH NJW 1983, 2317; 2006, 154, 156; BGH ZZP 97 (1984), 337. 587 BGH NJW 1958, 826; 1964, 349; OLG Bremen NJW-RR 2001, 1036, 1037 f.; G. Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 826 Rn. 183; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, § 322 Rn. 274. 588 Schilken, Zivilprozessrecht, Rn. 1073.
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pert, wäre die Annahme sittenwidrigen Handelns dann zu bejahen, wenn sich der Gläubiger auf eine Rechtsposition berufen möchte, die er – wenn auch ohne eigenes Zutun – unter Missachtung elementarer Rechtsgrundsätze erlangt hat. Bereits aus der Wertung des – in diesem Fall nicht anwendbaren589 – § 580 Nr. 8 ZPO590 folgt, dass der Gläubiger nicht auf einer formalen Rechtsposition beharren kann, die im Widerspruch zu den die Rechtsordnung tragenden Prinzipien steht. Ausgehend von Anwendungsbereich und Rechtsfolgen könnte § 826 BGB damit eine ordre public-Kontrolle in nationalstaatlichem Gewand darstellen und der Gefahr der Vollstreckung eines fehlerhaften und den wirksamen Schuldnerschutz beeinträchtigenden Urteils entgegenwirken.591 Die Frage nach der Anwendbarkeit des § 826 BGB im Bereich des Europäischen Zivilverfahrensrechts ist damit jedoch noch nicht beantwortet. Zwar wird die Klage aus § 826 BGB gegen ausländische Urteile grundsätzlich für zulässig erachtet,592 doch stellt der Weg über den materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch stets eine inhaltliche Überprüfung des ausländischen Urteils dar593 und stünde überdies auch dem Bestreben auf eine generalklauselartige, die Urteilsfreizügigkeit beschränkende ordre public-Kontrolle zu verzichten, entgegen. Die Auffassung, eine Klage aus § 826 BGB ziele lediglich auf einen vermögensrechtlichen Ausgleich ab und berühre den Bestand sowie die materielle Rechtskraft der anzuerkennenden Entscheidung nicht, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern.594 Die Schadensersatzpflicht aus § 826 BGB mag das anerkannte Urteil formell bestehen lassen,595 doch ist mittlerweile unbestritten, dass im Rahmen von § 826 BGB die materielle Richtigkeit des Ersturteils nachgeprüft wird596 – es sich also um eine révision au fond handelt. Die Klage aus § 826 BGB stellte damit eine auf den unbestimmten Rechtsbegriff der Sittenwidrigkeit „prä589
Siehe oben, § 7.D.III.1.b.cc.(bb)(2)(γ). Eine Sperrwirkung des § 580 ZPO besteht insoweit nicht, vgl. Staudinger/Oechsler, § 826 Rn. 481 (mwN). 591 Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 67; Schlosser, EuZPR, Art. 20 EuGVVO Rn. 8; einschränkend auf Fälle der sittenwidrigen Titelausnutzung Pabst, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Art. 20 EG-VollstrTitelVO Rn. 37; Jennissen, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Art. 11 EuVTVO Rn. 2; Schütze, JR 1979, 184, 185. 592 M. Stürner, RabelsZ 71 (2007), 598, 618 ff.; Schütze, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 723 Rn. 19 ff.; ders., JR 1979, 184, 185; Baum, in: Heldrich/Kono, Herausforderungen des IZVR, S. 185, 196 f.; Riezler, Internationales Zivilprozeßrecht, S. 523; vgl. auch Spickhoff, in: Festschrift f. Deutsch, S. 327, 340 ff. 593 BGH NJW 1993, 3204 f.; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rn. 615; Staudinger/Oechsler, § 826 BGB Rn. 528; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 1086 ZPO Rn. 2, Art. 20 EuVTVO Rn. 4. 594 So noch RGZ 78, 389, 393; 88, 290, 293. 595 BGH NJW 1986, 1752; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 162 III 13; Soergel/Hönn, § 826 Rn. 228; G. Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 826 Rn. 185. 596 BGH NJW 1993, 3204 f.; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rn. 615; Staudinger/Oechsler, § 826 BGB Rn. 528; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 1086 ZPO Rn. 2, Art. 20 EuVTVO Rn. 4; G. Wagner, in: MünchKomm-BGB, § 826 Rn. 182. 590
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zisierte“ ordre public-Kontrolle dar, mit deren Hilfe die Wirkungen eines Urteils, das rechtsstaatlichen Maßstäben zuwiderläuft, aufgefangen und in die Souveränität des Urteilsstaates eingegriffen werden könnte. Die zur Herstellung der Urteilsfreizügigkeit erfolgte Abschaffung einer nachgelagerten zweitstaatlichen Kontrolle würde mithin durch die Anwendbarkeit des § 826 BGB konterkariert.597 Die Vorgaben des Unionsrechts stünden einem Rückgriff auf § 826 BGB entgegen.598 Die Klage aus § 826 BGB hat damit ebenso auszuscheiden wie die bereits angesprochenen Sekundäransprüche zur Durchsetzung einer sog. anti-suit injunction.599 Abhilfe vermag auch die ebenfalls an die Sittenwidrigkeit anknüpfende Generalklausel des § 765a ZPO nicht schaffen. Zwar ermächtigt sie das Vollstreckungsgericht, die missbräuchliche Ausnutzung bestehender Vollstreckungsmöglichkeiten zu unterbinden.600 Materielle Einwendungen gegen die dem Vollstreckungstitel zugrunde liegende Forderung sowie das Vorbringen, die Zwangsvollstreckung sei unzulässig, weil der Titel erschlichen (oder sonst unkorrekt erlangt) sei, sind indes ausgeschlossen und mit einer Klage gegen den Titel geltend zu machen.601 Insoweit hat aber auch ein Rückgriff auf die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO auszuscheiden. Sie kann den Verzicht auf die Vorbehaltsklausel nicht kompensieren, da die Begründetheit einer Vollstreckungsgegenklage die Geltend597 Inwiefern die Anwendung des § 826 BGB tatsächlich in Betracht kommt, wäre nach der ROM II-Verordnung zu bestimmen. Nach Art. 4 Abs. 3 ROM II-VO ist die lex fori maßgeblich. Sieht diese allerdings keinen Schadensersatz bei missbräuchlicher Vollstreckung vor, kann allenfalls der kollisionsrechtliche ordre public des Vollstreckungsstaates helfen, vgl. Rijavec/Jelinek/ Brehm, Erleichterung der Zwangsvollstreckung in Europa, S. 278. 598 M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 1086 ZPO Rn. 2, Art. 20 EuVTVO Rn. 4; ders., RabelsZ 71 (2007), 597, 633 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 20 EuVTVO Rn. 12; Adolphsen, in: MünchKomm-ZPO, § 1082 Rn. 8; Schütze, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 1086 Rn. 12; Röthel/Sparmann, WM 2006, 2285, 2293; Gerling, Gleichstellung ausländischer mit inländischen Vollstreckungstiteln, S. 248 ff.; a. A. Schlosser, EuZPR, Art. 20 EuVTVO Rn. 8; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 67. Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 20 EG-VollstrTitelVO Rn. 37 schränkt die Anwendbarkeit des § 826 BGB allerdings ein, indem er anführt, dass es zu keiner Überprüfung in der Sache selbst kommen dürfe und nennt daraufhin das Ausnutzen von Verstößen des Ausgangsverfahrens gegen Art. 6 EMRK und Art. 47 EuGRCh als Beispielsfälle für ein europarechtskonformes Eingreifen des § 826 BGB. § 826 BGB setzt jedoch immer ein materiell unrichtiges Ergebnis voraus (s.o.) und erfordert mithin die inhaltliche Nachprüfung eines Urteils. Die Tatsache, dass ein Verstoß gegen die EMRK erst später, letztverbindlich durch den EGMR festgestellt wird, ändert daran nichts. Auch in diesem Fall leidet das Urteil bereits vorher an dem Mangel der Konventionsverletzung, welcher dementsprechend schon im Ursprungsverfahren hätte geltend gemacht werden können. Die nachträgliche Gewissheit des Vorliegens einer Grundrechtsverletzung ändert mithin nichts an der Tatsache der notwendigen révision au fond, die im Rahmen des § 826 BGB erfolgt. 599 Vgl. dazu oben, § 7.C.II.1.c. 600 Heßler, in: MünchKomm-ZPO, § 765a ZPO Rn. 1. 601 OLG Hamburg MDR 1970, 426; KG FamRZ 1966, 155, 157; OLG Koblenz NJW 1957, 1197; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 47.4; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 765a Rn. 8; Zöller/Stöber, ZPO, § 765a Rn. 14; a. A. LG Kiel SchlHA 1970, 141.
D. Funktionserhalt oder -verzicht?
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machung einer rechtshemmenden oder rechtsvernichtenden materiell-rechtlichen Einwendung voraussetzt, die der Durchsetzung des titulierten Anspruchs entgegensteht602 und nach dem Schluss der letzten Tatsacheninstanz entstanden ist.603 Der ordre public-Einwand besitzt hingegen keinerlei Einfluss auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs und wäre in der Regel nach § 767 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Ein Funktionserhalt der ordre public-Kontrolle könnte allerdings durch die prozessuale Gestaltungsklage analog § 767 ZPO erfolgen. Diese wurde ursprünglich durch den Bundesgerichtshof für diejenigen Fälle als zulässig erachtet, in denen ein nach dem äußeren Erscheinungsbild wirksamer Titel aus formellen Gründen unwirksam ist und dies dem Titelinhalt nicht entnommen werden kann.604 Später wurde ihr Anwendungsbereich auch auf andere Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Titels erweitert.605 Im Unterschied zur Vollstreckungsabwehrklage ist der Streitgegenstand der prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 ZPO damit die Wirksamkeit des Vollstreckungstitels.606 Die Vollstreckung aus einem ausländischen Titel, der den vollstreckungsstaatlichen ordre public verletzt, könnte daher analog § 767 ZPO verhindert werden, wenn der ausländische Titel als unwirksam zu qualifizieren wäre. Dies wäre insbesondere dann anzunehmen, wenn es an einer wirksamen Anerkennung der Entscheidung fehlt, ihre Wirkungen mithin nicht auf das Territorium des Vollstreckungsstaates erstreckt wurden. Geht man allerdings davon aus, dass die Anerkennung innereuropäischer Urteile ex lege erfolgt und künftig auf jedwede Anerkennungsversagungsgründe, speziell die Vorbehaltsklausel, verzichtet werden soll, könnte man die Wirksamkeit einer Anerkennung nur dann verneinen, wenn man den ordre public-Vorbehalt als ungeschriebenes „componens naturale des zwischenstaatlichen Privatrechtsverkehrs“ ansähe.607 Selbst eine Nichtauf602 BGHZ 100, 211, 212; Schneiders, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 767 Rn. 36 ff.; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 767 Rn. 22; K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 767 Rn. 58. 603 Vgl. § 767 Abs. 2 ZPO; ferner K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 767 Rn. 73; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 1341; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 767 Rn. 30. 604 BGH NJW 1994, 460, 461 f.; BGH NJW 2006, 695, 696; BGHZ 114, 230, 234. 605 Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, § 767 Rn. 9b; Zöller/Herget, ZPO, § 767 Rn. 7 (mwN); Socha, JuS 2008, 794 f.; K. Schmidt/Brinkmann, in: MünchKomm-ZPO, § 767 Rn. 6. 606 BGH NJW 1994, 460, 461; BGH NJW-RR 2004, 472, 474; Preuß, in: BeckOK-ZPO, § 767 Rn. 58; Baur/Stürner/Bruns, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 45.4; Schneiders, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, § 767 ZPO Rn. 20. 607 Matscher, in: Maurach u. a., Zeitgenössische Fragen des IZVR, S. 355, 390 (Hervorhebung durch den Verfasser); Mansel, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 1, 12 f. mit Blick auf das US-amerikanische Anerkennungsrecht, welches trotz großer Rechtshomogenität zwischen den Bundesstaaten nicht auf eine einzelstaatliche ordre public-Kontrolle verzichtet; Bülow/Arnold, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil-und Handelssachen, A.I.1. (Fn. 142) mit Verweis auf die überragende Bedeutung des ordre public; Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung, S. 189 f.; Niedermann, Die ordre public-Klauseln, S. 100.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
nahme eines ordre public-Aufwandes in den Gesetzes-, Verordnungs- oder Vertragstext änderte in diesem Fall nichts an dessen Anwendbarkeit. Nimmt man an, dass dem Recht der grenzüberschreitenden Urteilsanerkennung eine ordre public-Kontrolle inhärent ist, dann wären ordre public-widrige Urteile nicht von der automatischen Anerkennung erfasst. Ein ausländisches Urteil, welches gegen den vollstreckungsstaatlichen ordre public verstößt, würde mithin nicht wirksam anerkannt und für vollstreckbar erklärt. Demzufolge könnte es auch keine taugliche Grundlage für die Vollstreckung in das in Deutschland belegene Schuldnervermögen darstellen – eine hierauf beruhende Vollstreckung wäre mithin analog § 767 ZPO unzulässig zu erklären. Die Annahme, ein ordre public-Vorbehalt sei dem grenzüberschreitenden Urteilsverkehr immanent, liefe jedoch der Zielsetzung einer revidierten EuGVVO zuwider. Verzichtet der Normgeber bewusst auf eine Vorbehaltsklausel kann nicht ohne Weiteres auf einen allgemeinen, ungeschriebenen Vorbehalt zurückgegriffen werden.608 Gegen die Geltung des ordre public-Vorbehaltes als universellem Prinzip spricht überdies die Tatsache, dass auch schon zuvor eine Reihe von Staatsverträgen609 und Verordnungen610 auf eine allgemeine Vorbehaltsklausel verzichteten. Die von Souveränitätsinteressen geprägte Vorstellung eines ungeschriebenen und unverzichtbaren ordre public-Vorbehaltes, ohne den der Staat in eine „Identitätskrise“ verfiele, weil er „jene unverzichtbaren Werte, die der souveränen existentiellen Grundentscheidung des Staates entspringen“ preisgäbe,611 ist folglich – ungeachtet der unionsrechtlichen Vorgaben – überkommen und berücksichtigt die Entwicklung der europäischen Integration nicht angemessen. Die dargestellten Ansätze, die ein dem ordre public-Vorbehalt gleichwertiges Schutzinstrument begründen könnten, sind demnach nicht mit dem Verbot der révision au fond vereinbar oder unterminierten das Bestreben, die ordre public-Kontrolle im Anwendungsbereich der Verordnung abzuschaffen und stünden daher nicht im Einklang mit einer revidierten EuGVVO.
608 BG, Urt. v. 18.09.1968, BGE 94 I 358, Erw. 4 (deutsche Kostenentscheidung zum Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 01.03.1954); Martiny, in: Hdb. IZVR III/1, Rn. 990; Pauckstadt, IPRax 1984, 17, 18; Schütze, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zivilurteile in der Bundesrepublik Deutschland, S. 78; Hwang, Reederhaftung für Ölverschmutzungsschäden, S. 128; a. A. Niedermann, Die ordre public-Klauseln, S. 101 f. 609 Zum Beispiel: Internationales Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (CIM) vom 07.02.1970 (BGBl. 1974 II, S. 357, 381); Internationales Übereinkommen über den Eisenbahn-Personen- und Gepäckverkehr (CIV) vom 07.02.1970 (BGBl. 1974 II, S. 357, 493); Reaktorschiff-Übereinkommen vom 25.05.1962 (BGBl. 1975 II, S. 957, 977); Ölverschmutzungsübereinkommen vom 29.11.1969 (BGBl. 1975 II, S. 301, 305), vgl. dazu Martiny, in: Hdb. IZVR III/2, Kap. II, Rn. 459, 480 (mwN). Siehe ferner das Haager Übereinkommen über den Zivilprozeß vom 01.03.1954 (BGBl. 1958 II, S. 576), vgl. dazu Wolff, in: Hdb. IZVR III/2, Kap. IV, Rn. 368. 610 Siehe oben, § 3.D.III.: VO (EG) Nr. 805/2004; VO (EG) Nr. 1896/2006; VO (EG) Nr. 861/2007; VO (EG) Nr. 4/2009. 611 Niedermann, Die ordre public-Klauseln, S. 100.
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bb. Teleologische Reduktion des Sekundärrechts Einen Ausweg könnte allerdings eine teleologische Reduktion der einschlägigen Regelungen der revidierten Verordnung bieten. Der Verzicht auf eine ordre public-Kontrolle oder einen ihr ähnlichen Rechtsbehelf hieße unter Umständen, dass grob rechtsstaatswidrige Urteile in sämtlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vollstreckt werden müssten. Die Mitgliedstaaten wären folglich dazu gezwungen, Urteile, die gegen Grundrechte und elementare Rechtsprinzipien verstoßen, sehenden Auges gegenüber ihren Bürgern durchzusetzen. Da sich aber die Europäische Union nicht (mehr) als bloße Wirtschafts-, sondern als Wertegemeinschaft versteht, die die wesentlichen Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes anerkennt, vgl. Artt. 2, 6 EUV, sind diese mit in die Anwendung des Unionsrechts einzubeziehen. Das Sekundärrecht und damit auch die EuGVVO sind somit primärrechtskonform auszulegen,612 mit der Folge, dass das sekundärrechtliche Verbot der ordre public-Kontrolle möglicherweise dann keine Geltung mehr beanspruchen kann, wenn es im Einzelfall gegen Primärrecht, insbesondere die europäischen Grundrechte, verstößt. Das bedeutet, dass der Verzicht auf eine ordre public-Kontrolle nur denjenigen Urteilen, die Vollstreckbarkeit erleichtern kann, die nicht die Grundrechte oder die justiziellen Garantien der EMRK und der Europäischen Grundrechtecharta beeinträchtigen.613 Hinsichtlich völkerrechtlicher Verpflichtungen der Mitgliedstaaten ist zudem auf Art. 351 AEUV hinzuweisen. Diese Regelung sieht vor, dass Pflichten der Mitgliedstaaten aus Altverträgen614 unberührt bleiben. Das heißt, dass europäisches Primärrecht im Kollisionsfall hinter nationalem Recht zurückzutreten hat, wenn letzteres der Erfüllung der betreffenden völkerrechtlichen Verpflichtung dient.615 Diese Maxime gilt trotz der engen Formulierung des Art. 351 AEUV über „die Verträge“ hinaus auch für das Sekundärrecht. So wird für die EuGVVO allgemein angenommen, dass sie sich nicht über bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen, vor allem die Garantien der EMRK, hinwegsetzen will.616 Mithin könnten auch die völkerrechtlichen Bindungen der Mitgliedstaaten für eine Bei612
Freitag, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 425. Linke, IZPR4, Rn. 425; ders., FPR 2006, 237, 239; Kohler, in: Baur/Mansel, Systemwechsel, S. 147, 160; Freitag, in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004, S. 399, 425; zurückhaltender Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 546. Siehe hierzu auch die Diskussion zur Begrenzung der Rechtshängigkeitssperre des Art. 27 EuGVVO a. F., vgl. oben, § 7 Fn. 131. 614 Altverträge im Sinne des Art. 351 AEUV sind solche, die vor dem 01.01.1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zum E(W)G bzw. EUV/AEUV abgeschlossen wurden. 615 EuGH, Urt. v. 14.01.1997, Rs. C-124/95, Slg. 1997, I-81, Rn. 61 – Centro-Com; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 351 AEUV Rn. 11. 616 Geimer, RIW 1976, 139, 146; ders., IPRax 2008, 225, 227; A. Bülow, RabelsZ 38 (1974), 262, 274; Schack, IZVR, Rn. 919; De Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2003, 153, 157; M. Stürner, IPRax 2008, 197, 203 f. 613
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behaltung der ordre public-Kontrolle, zumindest im Einzelfall, streiten, sofern dies erforderlich wäre, um den Vorgaben der Konvention Rechnung zu tragen.617 Dennoch scheint der EuGH einen anderen Standpunkt hinsichtlich einer durch Grundrechte gebotenen Nichtanwendung des Sekundärrechts einzunehmen. Lehnte er bereits in der Sache Gasser eine teleologische Reduktion der Rechtshängigkeitssperre des Art. 21 EuGVÜ (nun: Art. 29 EuGVVO) mit Hinweis auf das gegenseitige Vertrauen sowie die Rechtssicherheit und vor dem Hintergrund einer lediglich allgemein überlangen Verfahrensdauer im Urteilsstaat ab,618 knüpft er in der Sache Aguirre Zarraga /Pelz (scheinbar) an diese Rechtsprechung an.619 Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens legte das OLG Celle dem EuGH die Frage vor, ob ein Gericht des Vollstreckungsstaates auf der Grundlage von Art. 42 VO (EG) Nr. 2201/2003620 stets zur Vollstreckung der mitgliedstaatlichen Entscheidung verpflichtet sei oder ob ihm in Fällen gravierender Grundrechtsverstöße bei konformer Auslegung der Verordnung ausnahmsweise doch eine eigene Prüfungskompetenz zukommen könne. Der zu vollstreckenden Entscheidung, die auf Rückführung eines Kindes deutsch-spanischer Eltern lautete, war ein spanisches Sorgerechtsverfahren vorausgegangen, in welchem das betroffene Kind trotz der Vorgaben des Art. 24 Abs. 1 EuGRCh weder persönlich noch per Videokonferenz angehört wurde. Nach Auffassung des vorlegenden OLG Celle verstieß das Ursprungsverfahren daher gegen die in der Europäischen Grundrechtecharta niedergelegten Menschenrechte. Dies legte es nach Ansicht des Gerichts nahe, Art. 42 VO (EG) Nr. 2201/2003 dergestalt auszulegen, dass den Gerichten des Vollstreckungsstaates entgegen des Verordnungswortlautes eine eigene Prüfungskompetenz und in der Folge auch die Befugnis der Vollstreckungsverweigerung zukomme. Der EuGH lehnte diese Auslegung jedoch ab. Zur Begründung verwies er auf den dem System der Verordnung zugrunde liegenden Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, demzufolge ausschließlich das zuständige Gericht für die Entscheidung über die Rückkehr des Kindes und die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen verantwortlich sei.621 Dass eine Entscheidung, mit der das nach 617 De Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2003, 153, 157 zur Vereinbarkeit von anti-suit injunctions mit dem EuGVÜ. 618 EuGH, Urt. v. 09.12.2003, Rs. C-116/02, Slg. 2003, I-14693, Rn. 70, 72 f. – Gasser/MISAT. 619 EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-491/10 PPU – Aguirre Zarraga/Pelz mit Anm. Schulz, FamRZ 2011, 359 f. Siehe aber auch BGH, Beschl. v. 24.04.2014 – VII ZB 18/13. 620 Art. 42 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 lautet: „Eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über die Rückgabe des Kindes […] wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.“ 621 EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-491/10 PPU, Rn. 46, 70 – Aguirre Zarraga/Pelz. Ebenso (auch für extreme Einzelfälle): Gottwald, in: MünchKomm-FamFG, Art. 42 EheGVO, Rn. 10; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 42 VO (EG) Nr. 2201/2003 Rn. 3; a. A. Looschelders, JR 2006, 45, 51.
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dieser Verordnung zuständige Gericht die Rückgabe eines Kindes anordnet, in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt werde und automatisch vollstreckbar sei, ohne dass eine Anfechtungsmöglichkeit bestehe, solle eine schnellstmögliche Rückkehr des Kindes an dessen gewöhnlichen Aufenthaltsort gewährleisten.622 Eine Überprüfungsmöglichkeit im Vollstreckungsstaat beeinträchtigte die praktische Wirksamkeit der Verordnung, weshalb Einwendungen ausschließlich vor den Gerichten des Ursprungsstaates vorzubringen seien.623 Der EuGH erkennt zwar an, dass die Verordnung im Lichte der Grundrechtecharta ausgelegt werden muss, dies bedeute nach seinem Dafürhalten aber nicht, dass das Anhörungsrecht des Kindes eine absolut zu verstehende Verpflichtung darstelle. Vielmehr müssten bereits im Ausgangsverfahren Bedingungen geschaffen werden, die es dem Kind ermöglichen, dem Gericht seine Meinung mitzuteilen.624 Nach Auffassung des Gerichtshofes ist es mithin allein Sache der nationalen Gerichte des Ursprungsmitgliedstaates die Rechtmäßigkeit der Entscheidung anhand der durch die Grundrechtecharta und der Verordnung aufgestellten Erfordernisse zu überprüfen.625 Da die Kindesmutter in der vorliegenden Sache die zur Verfügung stehenden spanischen Rechtsbehelfe nicht ausgeschöpft hatte,626 brauchte der EuGH Fragen nach der Grundrechtsverletzung und eines fehlenden effektiven Rechtsschutzes sowie deren Auswirkungen auf die unionsrechtliche Vollstreckungspflicht nicht umfänglich zu beantworten und konnte insoweit auf den Rechtsweg im Ursprungsstaat verweisen. Gleichwohl unterstreicht diese Entscheidung das Wohlwollen, dass der EuGH Instrumenten des Sekundärrechts entgegenbringt.627 Die Aussicht, dass der EuGH dem angedeuteten Weg der teleologischen Reduktion folgt, um auf diese Weise auch zukünftig das Tor für eine zweitstaatliche ordre public-Kontrolle zu öffnen, ist mithin gering. Zu stark wiegen die Argumente der Rechtssicherheit und des gegenseitigen Vertrauens in der Rechtsprechung des EuGH. Sie werden ihn wohl auch künftig dazu veranlassen, am Wortlaut des Sekundärrechts festzuhalten und darauf hinzuweisen, dass den Vorgaben des Primär- oder des Völkerrechts auch außerhalb der Verordnung nachgekommen werden könne.628
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EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-491/10 PPU, Rn. 44, 48 – Aguirre Zarraga/Pelz. EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-491/10 PPU, Rn. 55 f. – Aguirre Zarraga/Pelz. 624 EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-491/10 PPU, Rn. 6 4 f. – Aguirre Zarraga/Pelz. 625 EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-491/10 PPU, Rn. 69 – Aguirre Zarraga/Pelz; ähnlich EGMR v. 18.06.2013, Nr. 3890/11, § 87 – Povse/Österreich. 626 EuGH, Urt. v. 22.12.2010, Rs. C-491/10 PPU, Rn. 71 f. – Aguirre Zarraga/Pelz. 627 Allgemein: Calliess, EuZW 2001, 261, 262; Vondung, AnwBl 2011, 331, 333; Classen, EuR 2008, 627; von Bogdandy, JZ 2001, 157, 165; Nettesheim, EuZW 1995, 106 ff.; P. Huber, EuZW 1997, 517, 520 f. 628 Siehe bspw. das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (BGBl. I Nr. 60, S. 2302). 623
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cc. Ergebnis Es ist nicht auszuschließen, dass Gerichte im Falle einer ersatzlosen Streichung der ordre public-Kontrolle versuchen werden, die Durchsetzung grundrechtsversletzender Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren zu blockieren.629 Eine Prüfung der Versagungsgründe, allen voran des ordre public-Einwands, auf der Vollstreckungsebene wäre jedoch nicht mit unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren. Ein Rückgriff auf Rechtsbehelfe des autonomen Vollstreckungsrechtes stünde im Widerspruch zum ausdrücklichen Willen des Europäischen Normgebers und dessen Impetus, die grenzüberschreitende Vollstreckung kontinuierlich zu beschleunigen und zu vereinfachen; führte er doch zu einer Verlagerung der Prüfung in ein (zumindest in Deutschland) kontradiktorisches Urteilsverfahren, welches der angestrebten Beschleunigung zuwiderliefe und missbräuchlichen Verhaltensweisen Vorschub leistete. Darüber hinaus ginge die durch die unionsrechtlich ausgeformten Versagungsgründe erreichte Rechtsangleichung unnötigerweise verloren. Es drohte mithin eine unerwünschte Rechtszersplitterung auf der Vollstreckungsebene,630 die gewiss nicht zu einer erleichterten Rechtsdurchsetzung beitrüge. Daher wäre die Kontrolle ausländischer Urteile auf der Grundlage der nationalen Vollstreckungsschutzinstrumente rechtspolitisch nicht wünschenswert und damit – auch unabhängig von etwaigen unionsrechtlichen Vorgaben – abzulehnen. b. Einführung verfahrensrechtlicher Minimumstandards Daneben ist an den mit dem „Pilotprojekt“ der EuVTVO eingeschlagenen Weg der Einführung von Minimumstandards zu denken. Man könnte die zweitstaatliche Nachprüfbarkeit des ausländischen Titels auch durch ein Verfahren zur Überprüfung verfahrensrechtlicher Mindeststandards ersetzen und auf diese Weise die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze gewährleisten. Mit der Einführung dieser Mindeststandards als Voraussetzung für eine freie Zirkulation der Vollstreckungstitel im Anwendungsbereich der EuGVVO könnte gezielt auf die neuralgischen Punkte der grenzüberschreitenden Vollstreckung bei Einleitung und Durchführung des Verfahrens eingewirkt werden. Ein Rechtsbehelf im Urteilsstaat für den Fall der Verletzung dieser Mindeststandards, der dem Beklagten mit an die Hand gegeben wird,631 verbunden mit der Möglichkeit der Verfahrensaus-
629 Linke, IZPR4, Rn. 425; Hess, IPRax 2004, 493; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 546. 630 Rechtsvergleichende Betrachtung der nationalen Vollstreckungsschutzinstrumente bei Nelle, Anspruch, Titel und Vollstreckung, passim, insbes. S. 216 ff.; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 162 ff. 631 Vgl. Artt. 10, 19 EuVTVO, Art. 20 EuMahnVO, Art. 18 EuGFVO.
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setzung632 würden dieses System zur Gewährleistung des Schuldnerschutzes vervollständigen. Die Vorgabe einzuhaltender Mindeststandards würde über die schuldnerschützenden Aspekte hinaus – ähnlich den Mindeststandards in der EuVTVO633 – die Mitgliedstaaten dazu veranlassen, die nationalen Verfahrensrechte an die Minimumstandards anzupassen und damit eine weitere Rechtsangleichung im Europäischen Justizraum bewirken.634 Ferner besäße eine solche kasuistische Auflistung der maßgeblichen Voraussetzungen der umfassenden Titelfreizügigkeit – im Gegensatz zu einer offenen Generalklausel – den Vorteil, dass mit ihr nicht die Gefahr einer ausufernden Einschränkung des freien Urteilsverkehrs einherginge und ein höheres Maß an Rechtssicherheit erzeugt werden könnte.635 Gleichzeitig bedeutete der Gewinn an Bestimmtheit und Rechtssicherheit allerdings den Verlust an Flexibilität, als großer Stärke der Vorbehaltsklausel,636 und schriebe den aktuellen Entwicklungsstand des Schuldnerschutzes fest. Eine deratige Regelung beeinträchtigte mithin das Instrument richterrechtlicher Rechtsfortbildung und damit die Möglichkeit, neu auftretenden, bisher unbekannten pathologischen Fällen entgegenzuwirken.637 Darüber hinaus könnten fest umrissene Verordnungstatbestände den Gleichlauf des in der Verordnung gewährten Schuldnerschutzes mit dem Art. 6 EMRK durch den EGMR beigemessen Bedeutungsgehalt gefährden. Da es sich bei Art. 6 EMRK um eine ausfüllungsbedürftige Blankettnorm handelt, die die Möglichkeit zur evolutiven Rechtsentwicklung beinhaltet,638 könnten im Stillstand verhaftete Minimumstandards der EMRK nicht zu voller Wirksamkeit verhelfen, wenn die sich fortentwickelnde Rechtsprechung des EGMR aufgrund der Unbeweglichkeit der Beurteilungsmaßstäbe keinen Eingang in die Beurteilung eines Verfahrens finden kann. Betrachtet man darüber hinaus die Minimumstandards der EuVTVO, so scheint es die einzige Sorge des europäischen Gesetzgebers gewesen zu sein, sicherzustellen, dass der Schuldner über die gegen ihn anhängige Klage informiert wird.639 Andere Aspekte des Grundsatzes eines fairen Verfahrens, wie sie Art. 6 EMRK gewährleistet, scheinen ausgeblendet zu werden.640 Durch Art. 6 EMRK garantierte Rechte, wie das Recht auf einen unparteiischen Richter, das Recht auf eine 632
Vgl. Art. 23 EuVTVO, Art. 22 EuMahnVO, Art. 23 EuGFVO. Siehe oben, § 3.D.III.1. 634 Ebenso Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 672 mit Verweis auf Lopez-Tarruella, EuLF 2–2000/01, 122 ff. 635 Lopez-Tarruella, EuLF 2–2000/01, 122, 128 f. 636 Siehe oben, § 4.D.II.2.c.; C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 109, 114; Simitis, in: Beitzke, Vorschläge und Gutachten („Attentat auf die Flexibilität“). 637 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 300. 638 Vgl. Matscher, in: Festschrift f. Beys, S. 989, 1006. 639 Vgl. bspw. Erwägungsgrund 12 zur EuVTVO; ebenso Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 297. Krit. hinsichtlich des Kompromisscharakters der einzelnen Minimumstandards in der EuVTVO Sujecki, ZEuP 2008, 458, 472. 640 Krit. Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 298; Oberhammer, IPRax 2011, 197, 201 633
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
öffentliche Verhandlung, der Grundsatz der Waffengleichheit sowie das Recht auf eine Urteilsbegründung641 bleiben vollständig unberücksichtigt. Wird die Reichweite eines Rechtsbehelfes aber bereits im Vorhinein derart stark auf einzelne Rechte oder Sachverhalte beschränkt, fällt es schwer, ihm einen der ordre public-Kontrolle entsprechenden Rechtsschutz zuzusprechen. Auch eine durch die EMRK gebotene extensive Auslegung würde diesbezüglich keine Abhilfe schaffen können. Dies verdeutlicht auch ein Blick in die Praxis. Insbesondere der Fall Gambazzi zeigt,642 dass die bloße Einführung von Minimumstandards im Bereich der Zustellung sowie der Information nicht ausreicht, um ein vollumfänglich rechtsstaatliches Verfahren zu garantieren.643 Der Beklagte hätte in diesem Fall – wäre die EuVTVO zur Anwendung gelangt – kaum eine Möglichkeit gehabt, gegen eine Bestätigung des Urteils als Europäischer Vollstreckungstitel vorzugehen, weil diese trotz des Verfahrensausschlusses der beklagten Partei nicht „eindeutig zu Unrecht“ im Sinne von Art. 10 Abs. 1 lit. b) EuVTVO erteilt wurde.644 Der Befürchtung des EuGH, dass es sich beim Ausschluss des Herrn Gambazzi vom Verfahren um eine unverhältnismäßige Maßnahme des englischen Gerichts handelte und damit über Gebühr in die Verteidigungsrechte des Beklagten eingegriffen wurde, hätte mit den Rechtsmitteln der EuVTVO – anders als mit einer ordre public-Kontrolle – nicht begegnet werden können. Nicht anders hätte sich der Sachverhalt dargestellt, wenn das Adhäsionsurteil im Fall K rombach, der Zahlungstitel in der Sache Maronier v. Larmer oder der Unterhaltstitel in BGH NJW 2009, 3306 als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden wären.645 Diese Fälle verdeutlichen sehr anschaulich, dass die Gewährleistung einer rechtzeitigen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren nicht völlig ausschließen kann.646 („Eine ordnungsgemäße Zustellung ist zwar wichtig, doch die Garantie eines fairen Verfahrens geht weit über dies hinaus“). 641 Siehe dazu Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Rn. 31 ff. 642 Dies gilt unabhängig davon, ob man im konkreten Fall tatsächlich einen Verstoß gegen die in der EMRK verankerten Menschenrechte annehmen möchte, vgl. dazu oben, § 7 Fn. 490 und insbesondere Schilling, IPRax 2011, 31, 37. 643 Sujecki, EuZW 2009, 424, 426; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 16; Hess, EuZPR, § 30 Rn. 30. 644 Sujecki, EuZW 2009, 424, 425; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1, 16. Siehe aber auch Schinkels, LMK 2009, 289819, der die EuVTVO gemeinschaftsrechtskonform dahingehend auslegen will, dass ein Verfahrensausschluss kein Bestreiten beseitigen kann, da andernfalls das rechtliche Gehör der Willkür der Mitgliedstaaten anheim gestellt würde. 645 Zu K rombach: M. Stürner, GPR 2010, 43, 47; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 27; U. Becker, Grundrechtsschutz, S. 174. Zu M aronier v. Larmer: Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 107. 646 Zu M aronier v. Larmer und dem durch Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a. F. (bzw. entsprechend Art. 45 Abs. 1 lit. b) EuGVVO) gewährten Schutz: Calvo Caravaca, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Art. 34 Brussels I Regulation Rn. 31.
D. Funktionserhalt oder -verzicht?
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Es zeigt sich mithin, dass die Variante der Einführung von Minimumstandards nicht sämtliche Sachverhaltskonstellationen, die eine Beeinträchtigung schützenswerter subjektiver Rechte zur Folge haben können, effektiv erfasst. Die prozessualen Mindestvorgaben sollten aus diesem Grund durch eine subsidiäre Generalklausel ergänzt werden. Diese könnte denjenigen Konstellationen Rechnung tragen, die bei der Schaffung eines Regelwerkes nicht immer mitbedacht werden können und denen mit klar umschriebenen Mindeststandards naturgemäß nicht zu begegnen ist. Bestehende Zweifel am durch Mindeststandards gewährleisteten Rechtsschutzniveau könnten auf diese Weise ausgeräumt werden. Der große Vorteil eines auf Minimumstandards basierenden Systems – ein hohes Maß an Bestimmtheit und Rechtssicherheit – ginge durch die Aufnahme eines solchen Auffangtatbestandes nicht verloren. Denn eine zurückhaltende Handhabung der Generalklausel ergäbe sich bereits dadurch, dass sie ausschließlich abseits der von den Minimumstandards abschließend geregelten Bereiche zur Anwendung gelangen könnte. Sofern die Minimumstandards alle wesentlichen, d. h. fehleranfälligen, Materien des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs abdeckten, wäre die Gefahr einer überbordenden Beeinträchtigung des freien Urteilsverkehrs bedeutend reduziert. Die Möglichkeit, auf unvorhergesehene oder unvorhersehbare Rechtsverletzungen zu reagieren, bliebe dennoch solange bestehen, bis ihre Notwendigkeit durch die kontinuierliche Rechtsangleichung innerhalb der Europäischen Union entfiele. Fraglich bliebe allerdings, an welcher Stelle die Zuständigkeit einer solchen generalklauselartigen Kontrolle sinnvollerweise zu verorten wäre: Entweder gemeinsam mit der Möglichkeit der Überprüfung der Minimumstandards im Ursprungsstaat oder, wie im Kommissionsentwurf zur Neufassung der EuGVVO angedacht,647 im Vollstreckungssstaat. Gegen eine Aufteilung (Zweispurigkeit)648 des Rechtsschutzes spricht zunächst, dass sich ein Schuldner, der beide Rechtsbehelfe bemühen möchte, mit zwei Verfahren in verschiedenen Ländern und in der Folge wohl auch unterschiedlichen Ausführungsgesetzen konfrontiert sähe,649 was dessen Rechtsdurchsetzung fraglos erschwerte. Darüber hinaus verursachte eine Aufspaltung des Rechtsschutzes – entgegen der Zielsetzung, die grenzüberschreitende Vollstreckung stetig zu vereinfachen und zu beschleunigen – zusätzliche Mühen und Kosten, die gleichermaßen Gläubiger und Schuldner belasteten.650 Vgl. überdies OLG Zweibrücken IPRspr. 2005 Nr. 151 = IPRax 2006, 487 mit Anm. H. Roth, IPRax 2006, 466. 647 Vgl. Artt. 45 und 46 EuGVVO-E. 648 D.h. Prüfung der Einhaltung der Minimumstandards im Ursprungsstaat und des generalklauselartig ausgestalteten Rechtsbehelfs im Vollstreckungsstaat. 649 Zum EuGVVO-E: Leible, ecolex 2011, 708, 709, der überdies von einem „Zuständigkeitswirrwar“ spricht. 650 Zum EuGVVO-E: Leible, ecolex 2011, 708, 709.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Zugunsten einer im Vollstreckungsstaat angesiedelten ordre public-Kontrolle ist dagegen ins Feld zu führen, dass eine gegenseitige Kontrolle nicht zwingend als Ausdruck des Misstrauens aufzufassen ist, sondern auch den Ausgangspunkt einer Fortentwicklung des bestehenden Rechts oder einer stärkeren Integration darstellen kann.651 Daneben ist auf die gesteigerte Prozessführungslast hinzuweisen, die dem Schuldner bei einer vollständigen Verlagerung des Rechtsschutzes in den Ursprungsstaat aufgebürdet würde. Angesichts der Größe der mittlerweile 28 Staaten umfassenden Europäischen Union und der bestehenden Sprachenvielfalt kann dies eine erhebliche Belastung bedeuten,652 die man dem Schuldner möglicherweise nicht zumuten sollte. Dafür streitet auch der Blick auf das amerikanische Anerkennungsrecht, welches auf der Erfahrung beruht, dass große Entfernungen und vielfältige rechtskulturelle Unterschiede die Fehleranfälligkeit von Entscheidungen zwangsläufig erhöhen.653 Gleichwohl entlastete eine im Zweitstaat angesiedelte Vorbehaltsklausel den Schuldner, schon aufgrund ihrer Subsidiarität, realiter wohl kaum. Eine Aufspaltung des Rechtsschutzes und die damit verbundene Beibehaltung einer nachgelagerten Kontrolle lassen sich auf diese Weise mithin nicht begründen. Dass ein Regelungskonzept, das auf jegliche zweitstaatliche Kontrolle verzichtet, schon konstruktionsbedingt keine Kontrolle am Maßstab des vollstreckungsstaatlichen ordre public zu bewirken vermag, ist hinsichtlich des gewährleisteten Schuldnerschutzes unschädlich. Denn angesichts des Wandels des ordre public hin zu einem europäisch geprägten Instrument des Grundrechtsschutzes654 und der fortschreitenden Konvergenz der Rechtsordnungen ginge mit einer vollständig im Urteilsstaat verorteten Kontrolle insoweit keine spürbare Beeinträchtigung des Schutzniveaus einher. Öffentliche oder gesellschaftliche Belange und Werte, die nicht an subjektive Rechte des Einzelnen anknüpfen, könnten indes Schaden nehmen.655 Ist man jedoch fest entschlossen, (noch bestehenden) nationalen Souveränitätsbestrebungen Einhalt zu gebieten und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens vollumfänglich zu entsprechen, steht einer Zusammenfassung der Kontrolle im Ursprungsstaat nichts entgegen. Über die Frage hinaus, ob die Auflistung einzelner Minimumstandards ein ausreichendes Rechtsschutzniveau bewirken kann, wird allerdings unter dem Stichwort „Selbstkontrolle ist keine Kontrolle“656 diskutiert, ob es tatsächlich realitätsnah ist, zu erwarten, ein Gericht gelange zu der Entscheidung, dass sein eigenes 651
Siehe oben, § 5.C.IV. M. Stürner, GPR 2010, 44, 45; R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 689 f.; siehe zudem oben, § 7.C.II.3 sowie § 7.D.III.1.c. 653 Siehe oben, § 4. 654 Siehe oben, § 5.C.III.1.a. 655 Vgl. oben, § 6 Fn. 151, § 7 Fn. 528. 656 Stadler, IPRax 2004, 2, 7; dies., RIW 2004, 801, 805; Rauscher, GPR 2004, 286, 288; Mankowski, in: Festschrift f. Kropholler, S. 829, 849; ders., VuR 2010, S. 16, 23. 652
D. Funktionserhalt oder -verzicht?
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Urteil nicht mit Grundrechten vereinbar ist, vgl. insoweit Art. 10 Abs. 1 EuVTVO i. V. m. § 1081 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO. Zwar handelt es sich bei einem Gericht per definitionem um eine unbeteiligte und neutrale Instanz, doch wird wohl kein Gericht bereitwillig seine eigene Entscheidung (im Rahmen der EuVTVO: die Bestätigung) oder sein eigenes Recht disqualifizieren und die eigenen, seit Jahren angewandten Regeln für inakzeptabel unfair halten.657 Nationale Gerichte sind eben, trotz ihrer grundsätzlichen Neutralität, doch immer auch in ihrem eigenen Rechtssystem verhaftet und beurteilen die Rechtmäßigkeit des eigenen Rechts aus dessen Perspektive und damit möglicherweise auch nicht immer gänzlich objektiv. Hiergegen wird zwar vorgebracht, dass eine solche Pauschalierung schon allein deswegen nicht überzeugen kann, weil sich die Prüfungsmaßstäbe im Erkenntnisund im Nachprüfungs- bzw. im Bestätigungsverfahren der EuVTVO nicht entsprächen und die Gerichte im Nachprüfungsverfahren eine veränderte Perspektive einnähmen.658 Doch selbst diese Gegenmeinung hat zu konzedieren, dass die Kontrolle im Urteilsstaat in den Fällen zu versagen droht, in denen im Ursprungsund im Nachprüfungsverfahren die maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen identisch sind.659 Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden Arbeitsüberlastung der Gerichte, erscheint es in diesen Konstellationen recht unwahrscheinlich, dass eine bereits geprüfte Tatsache – ungeachtet der Zuständigkeit eines anderen Spruchkörpers im Nachprüfungsverfahren – tatsächlich noch einmal anders bewertet werden könnte. Ob eine Selbstkontrolle – ungeachtet der funktionellen Zuständigkeitsverteilung oder der Verschiebung des Prüfungsmaßstabes – damit vor dem Hintergrund der Rechtsstaatlichkeit überzeugen kann, ist durchaus fraglich.660 Im Falle des Zusammenfassens der Rechtsbehelfe im Ursprungsstaat wäre die Kontrollzuständigkeit folglich einem anderem als dem Ursprungsgericht zuzuweisen.
657 Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 301 mit Verweis auf den Fall Gambazzi. Bevor in diesem Verfahren die Sanktion des Verfahrensausschluss verhängt wurde, wandte Gambazzi ein, dass eine solche Sanktion eine Verletzung von Art. 6 EMRK darstellen würde. Das englische Gericht wies diese Argumentation jedoch zurück und erachtete das eigene Handeln als konventionskonform, vgl. Canada Trust Co v. Stolzenberg (No 3), [1998] All ER (D) 449. 658 Vgl. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 460. 659 Dies konzedierend Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 461. 660 Stadler, IPRax 2004, 2, 7; dies., RIW 2004, 801, 805; Rauscher, GPR 2004, 286, 288; ders., Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 72; a. A. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 460 einschränkend allerdings auf S. 461. Oberhammer, IPRax 2010, 197, 201 kritisiert darüber hinaus die uneinheitliche Ausgestaltung der Nachprüfungsverfahren, die sich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheide. Die Regelung des § 321a ZPO kann in diesem Zusammenhang – schon allein wegen der verschiedenen Prüf- und Beurteilungsmaßstäbe – nicht den Nachweis dafür erbringen, dass Selbstkontrolle doch eine hinreichende Kontrolle bewirken kann. Vgl. insoweit zu der an der Zuständigkeit für die Entscheidung über die Anhörungsrüge geübten Kitik Sangmeister, NJW 2007, 2363, 2369 (mwN).
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
c. Unionsrechtlicher Rechtsbehelf im Ursprungsstaat Da die bisherigen Versagungsgründe davon ausgingen, dass im Urteilsstaat kein ausreichender Rechtsschutz gewährt wurde, könnte die Notwendigkeit, ein solches (Kontroll-)System beizubehalten, auch dadurch entfallen, dass man den bestehenden Rechtsschutz im Ursprungsstaat durch ein unionsrechtliches Instrument erweitert. Dies könnte zum Beispiel durch einen außerordentlichen Rechtsbehelf im Ursprungsstaat erfolgen. Statt der Einführung von Minimumstandards und der Kontrolle ihrer Einhaltung in einem Bestätigungsverfahren oder einem Rückgriff auf die nationalen Vollstreckungsschutzinstrumente könnte möglicherweise auch ein spezifischer, unionsrechtlicher Rechtsbehelf – ähnlich Art. 19 EuUnthVO – die rechtsstaatlichen Defizite, die aus einer Abschaffung der ordre public-Kontrolle folgten, ausgleichen. Nach Art. 19 EuUnthVO hat der Beklagte, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat, befristet661 die Möglichkeit, eine Nachprüfung der Entscheidung durch das erststaatliche Gericht zu beantragen. Dieser außerordentliche Rechtsbehelf führt zur Nichtigerklärung der Entscheidung, sofern dem Schuldner das verfahrenseinleitende oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht derart rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte oder er aufgrund höherer Gewalt außer Stande war, Einspruch gegen die geltend gemachte Unterhaltsforderung zu erheben und er es nicht versäumt hat, einen Rechtsbehelf einzulegen, obwohl er die Möglichkeit dazu besaß.662 Ein solcher außerordentlicher und genuin europarechtlicher Rechtsbehelf besäße den Vorteil, dass sowohl inlands- als auch auslandsbezogene Sachverhalte von der Nachprüfungskompetenz erfasst wären und dass über die unionsrechtliche Ausgestaltung auch die Anwendbarkeit und Maßgeblichkeit der unionsrechtlichen Grundrechte sichergestellt wäre.663 Ob durch die Anwendbarkeit der europäischen Grundrechte angesichts der Vorlagescheu einiger Gerichte auch in jedem Fall ein ausreichender Schutz sichergestellt wäre, sei an dieser Stelle dahingestellt. In jedem Fall dürfte ein solcher Rechtsbehelf nicht derart eng formuliert sein, wie dies im Fall des Art. 19 EuUnthVO erfolgt ist, der den Schuldner lediglich vor Verletzungen des rechtlichen Gehörs im verfahrenseinleitenden Stadium schützt und damit keinen umfassenden Grundrechtsschutz bietet. Verletzungen des rechtlichen Gehörs nach der Verfahrenseinleitung, der Unabhängigkeit des Gerichts, der Waffengleichheit sowie das Fehlen eines fairen Verfahrens können der Vollstreckung nach Art. 19 EuUnthVO nicht entgegengehalten werden. Ein 661 Art. 19 Abs. 2 EuUnthVO: 45 Tage ab dem Tag, an dem der Schuldner Kenntnis vom Inhalt der Entscheidung genommen hat und die Möglichkeit besaß, den Rechtsbehelf geltend zu machen. Spätestens beginnt die Frist jedoch mit dem Tag, an dem dem Schuldner Vermögensgegenstände zum Zwecke der Vollstreckung entzogen wurden. 662 Die Regelung weist damit gewisse Parallelen zu und „Schnittmengen“ mit § 321a ZPO auf. 663 Vgl. insoweit oben, § 7.D.III.1.b.bb.
D. Funktionserhalt oder -verzicht?
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solcher stark begrenzter Rechtsbehelf bietet keinen umfassenden Schutz und kann in manchen Verfahren gar zu einer Rechtlosstellung des Schuldners führen.664 Das eigentliche Problem eines solchen Instruments ist jedoch an einer anderen Stelle zu verorten. Zwar ist es sinnvoll, die nationalen Erkenntnisverfahren europarechtlich zu überformen, wenn man die Herstellung einer unionsweiten Urteilsfreizügigkeit anstrebt und den Schuldner zu diesem Zweck daran hindert, Anerkennungsversagungsgründe im Vollstreckungsstaat zu erheben,665 doch muss sich diese Überformung im Rahmen der kompetenzrechtlichen Grundordnung des Unionsrechts halten. Eine solche Vorverlagerung des Nachprüfungsverfahrens hat jedoch zur Folge, dass auch diejenigen Entscheidungen, die weder aktuell noch zu einem späteren Zeitpunkt einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen (werden), dieser Kontrolle unterzogen werden können. Das europäische Prozessrecht regelte damit auch Fälle der potentiell grenzüberschreitenden Vollstreckung und erstreckte sich damit auch auf reine Binnensachverhalte.666 Die Rechtsetzungskompetenz des Art. 81 Abs. 1 AEUV ist hingegen auf die Entwicklung einer „justizielle[n] Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug“ beschränkt.667 Sie umfasst mithin nicht die Schaffung eines einheitlichen europäischen Zivilprozessrechtes, sondern dient ausschließlich der Beseitigung der Verfahrenshindernisse, die sich aus der europäischen Prozessrechtsdiversität ergeben.668 Will man das Tatbestandsmerkmal der Grenzüberschreitung ernst nehmen, sind lediglich potentiell grenzüberschreitende Sachverhalte nicht von der Kompetenzgrundlage des Art. 81 AEUV erfasst, denn ex ante würde sich wohl kaum jemals zuverlässig ausschließen lassen, dass sich nicht doch irgendwann die Frage der Vollstreckung oder der Anerkennung in einem anderen Mitgliedstaat stellt.669 Das Tatbestandsmerkmal der Grenzüberschreitung verlöre mithin seine Funktion und wäre folglich überflüssig. Aus diesem Grund kann eine potentielle Grenzüberschreitung nicht ausreichen, um die Voraussetzungen für eine Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union als erfüllt anzusehen.670 664 Andrae, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR 3, Art. 21 EG-UntVO Rn. 41 mit Verweis auf Hohloch, in: Festschrift f. Kropholler, S. 809, 816 f.; Hilbig, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 19 VO Nr. 4/2009 Rn. 5 ff.; Lipp, in: MünchKomm-FamFG, Art. 17 EG-UntVO Rn. 3. 665 Gsell/Netzer, IPRax 2010, 403, 406. 666 Gsell/Netzer, IPRax 2010, 403, 406; Andrae/Schimrick, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 19 EG-UntVO Rn. 7; Lipp, in: MünchKomm-FamFG, Art. 19 EG-UntVO Rn. 5. 667 Vgl. dazu auch BVerfGE 123, 267 = NJW 2009, 2267, Rz. 367 – Lissabon. 668 Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 12; Weiß, in: Streinz, EUV/ AEUV, Art. 65 EGV Rn. 21; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 61; Gsell/Netzer, IPRax 2010, 403, 406. 669 Gsell/Netzer, IPRax 2010, 403, 407; auch Lipp, in: MünchKomm-FamFG, Art. 19 EG-UntVO Rn. 5 nennt Art. 19 EuUnthVO „europarechtlich nicht unproblematisch“. 670 Bach, ZRP 2011, 97, 99; Hess, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 81 AEUV Rn. 26 ff.; Reuß, in: Geimer/Schütze, IRV, Art. 1 VO Nr. 4/2009 Rn. 7; Gruber, IPRax 2010, 128, 132 f.; Rat der Europäischen Union, Dok. Nr. 8404/07 und Nr. 8547/07, Rn. 16 ff.; a. A. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, KOM(2005) 87 endgültig, S. 6.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Die Zulässigkeit eines unionsrechtlichen Rechtsbehelfes im Ursprungsstaat als Kompensation für die abgeschaffte ordre public-Kontrolle ist demnach zu verneinen. d. Unionsrechtlicher Rechtsbehelf im Vollstreckungsstaat Ferner könnte der ordre public-Vorbehalt durch einen unionsrechtlich und generalklauselartig ausgestalteten Rechtsbehelf auf der Vollstreckungsebene ersetzt werden.671 Ähnlich der Neufassung der EuGVVO672 würde die Kontrolle des ausländischen Vollstreckungstitels damit aus dem Exequaturverfahren herausgelöst und in das Vollstreckungsverfahren verlagert. Beaumont/Johnston befürworten in diesem Zusammenhang einen an Art. 20 des Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ)673 angelehnten Rechtsbehelf.674 Nach dieser Vorschrift kann die Anordnung eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde auf Rückgabe des Kindes abgelehnt werden, wenn diese nach den im ersuchten Staat geltenden Grundwerten über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten unzulässig ist. Art. 20 HKÜ sei damit zurückhaltender anzuwenden als der bisherige ordre public-Vorbehalt. Aus diesem Grund komme die Anwendung eines ihm nachgebildeten außerordentlichen Rechtsbehelfes nur in sehr seltenen Ausnahmesituationen in Betracht, mit der Konsequenz, dass der europäischen Urteilsfreizügigkeit nur geringfügige Beeinträchtigungen drohten. Der These, dass die Restriktivität des Rechtshelfes zur Herstellung der Urteilsfreizügigkeit beitrage, ist jedoch zweifach zu begegnen: Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung des Art. 20 HKÜ bisher noch nicht ein einziges Mal erfolgreich bemüht werden konnte.675 Dies wirft die Frage auf, ob eine derart enge Norm ohne ersichtlichen Anwendungsbereich tatsächlich (ausreichenden) Rechtsschutz bieten kann oder ob es sich bei ihr vielmehr um einen verzichtbaren Schein-Rechtsbehelf handelt, der lediglich den Eindruck erweckt, er biete dem in seinen Rechten verletzten Schuldner Schutz. Stattdessen wäre ein Rechtsbehelf zu wählen, der geeignet ist, den berechtigten Bedenken, die dem Verzicht auf eine Kontrolle im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr entgegengebracht werden, in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen.676
671 Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277, 280; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 305; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 203; Leible, in: Müller-Graff, Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, S. 55, 67; Georganti, Zukunft des ordre public-Vorbehaltes, S. 206; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 93; ähnlich auch Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, Rn. 563. 672 Siehe oben, § 6.C.III. 673 Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (BGBl. 1990 II, S. 206). 674 Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 109 f.; dies., JPIL 2010, 249, 273 ff. 675 Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 109 f.; dies., JPIL 2010, 249, 273 ff. 676 Siehe oben, § 5.C.III., § 7.D.III.
D. Funktionserhalt oder -verzicht?
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Überdies ist nicht ohne Weiteres anzunehmen, dass ein an Art. 20 HKÜ angelehnter Rechtsbehelf ein geringeres Hemmnis für die grenzüberschreitende Vollstreckung in Europa darstellen würde als eine beibehaltene ordre public-Kontrolle. Schließlich zieht die Aufnahme eines neuen, generalklauselartig ausgestalteten Rechtsbehelfes dessen Anwendungsbereich zunächst durch die Rechtsprechung auszugestalten ist und dem es überdies an praktischer Bewährung mangelt, naturgemäß einen gewissen Grad an Rechtsunsicherheit nach sich. Seine Juvenilität könnte somit neuen Verzögerungstaktiken Vorschub leisten und damit die angestrebte Verfahrensbeschleunigung in ihr Gegenteil verkehren. In diesem Fall liefe die Schaffung eines neuen Rechtsbehelfes der angestrebten Urteilsfreizügigkeit zuwider. Die Beibehaltung des bisherigen und bereits durch den EuGH ausgeformten sowie inhaltlich bestimmten ordre public-Begriffes ist der Aufnahme eines neuen Rechtsbehelfes, dessen Anwendungsbereich noch ausgebildet werden müsste, somit vorzuziehen.677 Die für die neugefasste EuGVVO gewählte Lösung, die auf das formalistische Exequaturverfahren verzichtet, gleichwohl aber die bewährten Anerkennungsversagungsgründe beibehält und auf diese Weise einen angemessenen und effektiven Schuldnerschutz gewährleistet, ist demnach auch unter dem Aspekt der Kontinuität und damit der Rechtssicherheit und -klarheit eindeutig der Schaffung eines neuen Rechtsbehelfes im Vollstreckungsstaat der Vorrang einzuräumen. 5. Ergebnis Im Ergebnis bestätigt sich, dass der Europäische Gesetzgeber keineswegs zwangsläufig am derzeitigen System festhalten müsste, um einen effektiven Rechtsschutz im Bereich der grenzüberschreitenden Vollstreckung zu garantieren. Zwar ist darauf hinzuweisen, dass nicht alle der vorgebrachten oder bereits erprobten Regelungsansätze zu überzeugen wissen, dennoch vermögen die vorangegangenen Ausführungen als Koordinaten – Schuldnerschutz, Rechtssetzungskompetenz und Rechtssicherheit – den Weg zu einer überzeugenden Lösung zu weisen. Die Möglichkeit den Schuldner auf den nationalen Vollstreckungsschutz zu verweisen, stünde im Widerspruch zu den Zielen der EuGVVO und führte – sofern man ihn durch die Verordnung explizit zuließe – darüber hinaus zu einer unerwünschten (Re-)Nationalisierung des Schuldnerschutzes. Zur Schaffung eines einheitlichen, unionsrechtlich determinierten Rechtsbehelfes im Ursprungsstaat mangelt es der Europäischen Union dagegen an der erforderlichen Rechtssetzungskompetenz. Gegen die Bereitstellung eines an Art. 20 HKÜ orientierten Rechtsbehelfes im Ursprungsstaat bestehen zwar keine kompetenzrechtlichen Bedenken, sie schiene jedoch mehr Probleme zu schaffen als zu lösen. 677 Ebenso Kerameus, in: Magnus/Mankowski, Brussels I Regulation, Introductory remarks to Artt. 38–52 Brussels I Regulation Rn. 23.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
Die Heranziehung von Minimumstandards leidet daneben daran, dass sie kein ausreichendes Rechtsschutzniveau zu garantieren vermag und es ihr insoweit an der Möglichkeit der Anpassung an sich verändernde und möglicherweise auch unvorhersehbare Umstände mangelt. Aus diesem Grund wäre sie zwingend um einen generalklauselartig ausgestalteten Auffangtatbestand zu ergänzen. Die Einhaltung der Minimumstandards müsste ferner durch ein anderes als das Ursprungsgericht sichergestellt werden.678 Dies vorausgesetzt könnte der Rückgriff auf Minimumstandards eine über den für die neugefasste EuGVVO gefundenen Kompromiss679 hinausgehende Möglichkeit zur zukünftigen Ausgestaltung des Schuldnerschutzes aufzeigen.
IV. Integrationsfunktion Schließlich ist zu berücksichtigen, dass den Anerkennungsversagungsgründen und insbesondere dem ordre public-Vorbehalt nicht nur eine sanktionierende, sondern darüber hinaus vor allem auch eine präventive und disziplinierende Funktion zukommt.680 Durch die Möglichkeit, die Vollstreckung einer fremden Entscheidung zu verhindern, wird die Durchsetzung des unionsweiten Grundrechtsniveaus gewährleistet und in den Mitgliedstaaten der Anreiz geschaffen, die jeweils eigene Rechtsordnung dem allgemeinen Grundrechtsstandard anzupassen. Um sicherzustellen, dass die heimischen Urteile über die eigenen Grenzen hinaus Geltung beanspruchen können, sind folglich alle Mitgliedstaaten dazu berufen, auf grundrechtswidrige Regelungen zu verzichten, mit der Konsequenz, dass die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen hinsichtlich des (steigenden) Grundrechtsniveaus sukzessive zusammenwachsen. Die Anerkennungsversagungsgründe helfen dadurch künftige Konflikte zu vermeiden und entfalten generalpräventive Wirkung.681 Dieses integrative Element,682 allen voran des ordre public-Vorbehaltes, entfiele mit der Abschaffung der Anerkennungsversagungsgründe. 678 Siehe soeben, § 7.D.III.4.b. Im Gegensatz zu Art. 10 Abs. 1 EuVTVO i. V. m. § 1081 Abs. 1 S. 1, 2 ZPO könnte dem zur Durchsetzung der Minimumstandards bereitgestellten Rechtsbehelf Devolutiveffekt beigemessen und/oder er einer spezialisierten Kammer, zum Beispiel am OLG, zugewiesen werden. 679 Prüfung der Anerkennungsversagungsgründe außerhalb des Exequaturverfahrens, vgl. oben, § 6.C.III. 680 Siehe oben, § 5.C.IV.; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13; R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 690 f.; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 91; Wagner/ Beckmann, RIW 2011, 44, 53. 681 Siehe bereits oben, § 5.C.IV. und § 7.D.III.1.b.bb., insbesondere den Hinweis auf den Fall K rombach, dem bereits mehrere Urteile vorausgingen, die die in Frage stehende französische Verfahrensvorschrift als grundrechtsverletzend qualifizierten, von der französischen Literatur wie der Cour de Cassation aber ignoriert wurden. 682 Ähnlich R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 695; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/ EuIPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 13; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 91; Wagner/Beckmann, RIW
D. Funktionserhalt oder -verzicht?
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Zwar verfügt die Europäische Union über unterschiedlichste Instrumente zur Förderung der Integration und ist insoweit nicht auf eine zweitstaatliche Anerkennungskontrolle angewiesen. Doch ist stets zu bedenken, dass ihre Kompetenzen keinesfalls schrankenlos sind.683 Aus diesem Grund hat die EU, zum Beispiel im Rahmen des Erlasses der EuVTVO, auf die Methode der „verdeckten“ respektive „mittelbaren Harmonisierung“ zurückgegriffen und durch die Ausgestaltung der Verordnung einen gewissen „Anpassungsdruck“684 auf die Mitgliedstaaten ausgeübt, die von den positiven Effekten der Verordnung685 profitieren wollten. Indem sie die Anwendung der Verordnung an eine Angleichung des autonomen Rechts an festgelegte Minimumstandards knüpfte, bewirkte sie eine, über ihre Kompetenzen hinausreichende Vereinheitlichung nationaler Verfahren.686 Die Erfüllung der Integrationsfunktion durch einzuführende Minimumstandards allein ist jedoch schon deshalb abzulehnen, weil durch sie kein adäquates Rechtsschutzniveau zu gewährleisten wäre. Vielmehr bedürften sie der Ergänzung um eine Vorbehaltsklausel.687 Diese ist auch mit Blick auf das von den europäischen Institutionen so oft beschworene Vertrauen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten von eminenter Bedeutung. Denn in einem zusammenwachsenden Europa ist stets auch der ordnungspolitische Aspekt zu bedenken, dass gegenseitiges Vertrauen in die Rechtspflege anderer Staaten nicht allein durch ständige Beschwörung, sondern nur allmählich, als Folge guter Erfahrungen wachsen kann. Ein angeordnetes Vertrauen dagegen verursacht vielmehr Misstrauen688 und würde daher kontraproduktiv auf den europäischen Integrationsprozess einwirken.689 Aus diesem Grund ist die präventiv-integrative690 Funktion der Vorbehaltsklausel gemeinsam mit dem Bewusstsein, in Ausnahmefällen über eine derartige Restkontrolle Rechtsschutz zu erlangen, als vertrauensbildende Maßnahme unverzichtbar.691 Dass der mit der Vorbehaltsklausel stets assozierte „Kontrollge2011, 44, 53; Hess, in: Hess/Pfeiffer/Schlosser, Brussels I-Regulation, S. 145 (Fn. 748) („positive effects“). 683 Vgl. Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 sowie Abs. 2 –4 EU. 684 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 19 zur EuVTVO; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 12 EuVTVO Rn. 7 (Zitat). 685 Bspw. die Bestätigung einer nationalen Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel nach Art. 6 EuVTVO. 686 Siehe oben, § 3.D.III.1. sowie § 7 Fn. 634; M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 12 EuVTVO Rn. 7; Pabst, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Art. 12 EG-VollstrTitelVO Rn. 5. 687 Siehe soeben, § 7.D.III.4.b. 688 Schack, IZVR, Rn. 121, 123; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 479; Martiny, in: Festschrift f. Sonnenberger, S. 523, 545; ähnlich Kohler, FamRZ 2002, 710 f. 689 Krit. auch Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 35, der zutreffend darauf hinweist, dass das von Unionsseite vorgegebene Vertrauen in der Praxis letztlich dem Bürger abverlangt wird. 690 Dies gilt insbesondere wenn die Vorbehaltsklausel mit der Vorgabe prozessualen Minimumstandards verknüpft wird. 691 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 297 f.; Sujecki, ZEuP 2008, 458, 469.
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§ 7. Vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit?
danke“ dem Unionsrecht nicht fremd ist, unterstreicht überdies Art. 259 AEUV.692 Die Vorbehaltsklausel sollte daher keineswegs als Hemmnis für die fortschreitende Europäische Integration, sondern vielmehr als ein Instrument zur Durchsetzung eines einheitlichen Grundrechtsstandards angesehen werden. Man täte ihr daher Unrecht, wenn man sie auf einen „Kampf der Rechtsordnungen“ reduzierte.693 Diese Funktion der Anerkennungsversagungsgründe sollte nicht, auch wenn ihre Bedeutung gewiss nicht an die der Kontrollfunktion heranreicht, unnötigerweise der umfänglichen Herstellung der Urteilsfreizügigkeit geopfert werden. Vielmehr sollte sie, idealiter durch ein Zusammenwirken einzuführender Minimumstandards und ergänzender Generalklausel, auch zukünftig erfüllt werden.
692 Dieser sieht im Vertragsverletzungsverfahren eine Klagebefugnis derjenigen Mitgliedstaaten vor, die der Auffassung sind, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus dem Vertrag verstoßen hat. Die ordre public-Kontrolle kann als eine „Fortsetzung“ dieser Kontrolle auf niedrigerer Ebene verstanden werden. 693 So aber Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 466.
Fünfter Teil:
Ergebnis und Zusammenfassung
§ 8. Ergebnis Ein Verzicht auf sämtliche zweitstaatlichen Anpassungs- oder Kontrollverfahren käme zum jetzigen Zeitpunkt zu früh. Der Europäische Gesetzgeber hat gut daran getan, den im Maßnahmenprogramm ins Auge gefassten Schritt der vollständigen Abschaffung des Exequaturverfahrens samt jeglicher Versagungsgründe mit der Neufassung der EuGVVO noch nicht zu vollziehen. Dies liegt, abseits rechtpolitischer Diskussionen, vor allem daran, dass den Funktionen des Exequaturverfahrens auch weiterhin eine beträchtliche Bedeutung im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr zukommt und diese (noch) nicht vollständig durch andere Rechtsinstitute zufriedenstellend erfüllt werden könnten.1 Zwar steht, wie schon die Neufassung der EuGVVO zeigt,2 keine der Funktionen der Abschaffung des Exequaturverfahrens in seiner bisherigen Ausgestaltung apodiktisch entgegen, doch ist festzustellen, dass einige dieser Funktionen aus der Form des Exequaturverfahrens herausgelöst aber keineswegs bedenkenlos durch andere, bereits bestehende (unionale wie nationale) Instrumente übernommen werden können. Während den Anforderungen der Implementations- und der Perpetuierungsfunktion auch schon zum jetzigen Zeitpunkt ohne Weiteres nachzukommen ist,3 lag der wesentliche Beweggrund vieler Autoren, am Exequaturverfahren festhalten zu wollen, nicht grundlos darin, dass mit diesem untrennbar auch die unverzichtbare Gewährleistung des Schuldnerschutzes verknüpft wird. Die Neufassung der EuGVVO4 beherzigt, dass diese Kontrolle auch zukünftig beizubehalten ist, so lange die Gefahr untragbarer Ergebnisse besteht.5 Ungeachtet der Beseitigung des Exequaturverfahrens überträgt sie die im Wesentlichen in den Anerkennungsversagungsründen verkörperte Kontrollfunktion auf die Vollstreckungsebene und findet damit einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Gläubiger- und Schuldnerinteressen. Das Festhalten an den bisherigen Versa1
Siehe oben, § 7.D., insbesondere § 7.D.III., IV. Siehe oben, § 6.C. 3 Siehe oben, § 6.C.I., II. sowie § 7.D.I., II. 4 Siehe oben, § 6.C.III. 5 Stein/Jonas/Oberhammer, ZPO, Art. 38 EuGVVO Rn. 11; ders., IPRax 2010, 197 ff., 202 f.; Beaumont/Johnston, IPRax 2010, 105, 107 f.; dies., JPIL 2010, 249, 270 f.; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 302; Schlosser, IPRax 2010, 101 ff., 104; Schack, IZVR, Rn. 1054; Wagner/ Beckmann, RIW 2011, 44, 52; R. Wagner, NJW 2005, 1157, 1160; Coester-Waltjen, in: Festschrift f. Beys, S. 183, 193; Gundel, EWS 2000, 442, 447; Kohler, ZSR 2005 II, 263, 275 ff.; H. Roth, IPRax 2006, 466; Hess, EuZPR, § 3 Rn. 30. 2
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gungsgründen ist der Rechtstatsächlichkeit angemessen6 und kann – auch durch die damit verbundene Beibehaltung der Integrationsfunktion – den idealen Nährboden für eine weitergehende Europäische Integration bereiten. Schließlich stellt insbesondere der beibehaltene ordre public-Vorbehalt ein Instrument dar, welches den Dialog der mitgliedstaatlichen Jurisdiktion gewährleistet,7 Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erlaubt und auf diese Weise bei der Ausbildung einer europäischen Identität hilft. Angesichts einer nicht besonders stark ausgeprägten Identifikation der Bürger mit der Europäischen Union, die für viele kaum wahrnehmbar ist, oftmals intransparent und zu bürokratisch wirkt und von vornherein ein geringeres identifikatorisches Potential besitzt als die Nationalstaaten,8 wäre die Vollstreckung menschenrechtswidriger Urteil auf der Grundlage europäischen Rechts fatal für die Akzeptanz der Europäischen Union. Ferner könnte eine weitere Vereinfachung der grenzüberschreitenden Vollstreckung in der Form der Abschaffung jeglicher zweitstaatlicher Kontrolle über die bereits beschriebenen Risiken hinaus weitere Anreize schaffen, die besondere Situation der internationalen Prozessführung zulasten des Schuldners auszunutzen.9 Gläubiger könnten dazu neigen, durch die Wahl des Forums, die Prozessführung für den Beklagten so mühsam und unattraktiv zu gestalten, dass dieser von einer Einlassung oder zumindest einer beherzten Verteidigung absähe. Prozessbetrug, arglistiges Erschleichen der Zuständigkeit und Täuschung von Gericht oder Beklagtem über Zuständigkeitstatsachen könnten im Falle einer geringeren Kontrolldichte honoriert werden.10 Die Gefahr nicht tolerierbarer Entscheidungen wird bereits jetzt durch Fälle der Korruption, durch überlastete und in der Folge nachlässig prüfende Gerichte sowie (unterinstanzliche) Gerichte erhöht, die im Umgang mit der europäischen Rechtsordnung nicht ausreichend geschult sind11 und teilweise keiner Überprüfung durch Obergerichte12 oder Öffentlichkeit unterliegen.13 Ein allein durch Zuständigkeitsregeln bewirkter Schuldnerschutz wäre in diesen Fallgestaltungen unzureichend.14 6
Siehe oben, § 5.C.III, § 7.D.III. Siehe oben, § 5.C.IV, § 7.D.IV. 8 Schmid, JZ 2001, 675, 677; Grimm, JZ 1995, 581, 587 ff. 9 Mankowski, VuR 2010, S. 16, 19; ders., in: Festschrift f. Kropholler, S. 829, 848; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 93. 10 Mankowski, in: Festschrift f. Kropholler, S. 829, 848; ders., VuR 2010, S. 16, 21; R. Wagner, IPRax 2002, 75, 93. 11 McGuire, ecolex 2011, 218, 219, die mit Verweis auf Study JLS/C4/2005/03, Rn. 49 eine Diskrepanz zwischen dem bescheinigten Erfolg des Europäischen Zivilprozessrechts und der Praxis vor erstinstanzlichen Gerichten feststellt. 12 Vgl. insoweit für Deutschland §§ 522 Abs. 2 , 3, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. 13 Mankowski, VuR 2010, 16, 19; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2010, 1, 3; R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 690. 14 Vgl. dazu bereits oben, § 5.C.III, § 7.D.III.; siehe auch EuGH, Urt. v. 16.06.1981, Rs. 166/80, 7
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Dass bislang kein zureichender Rechtsschutz innerhalb des Europäischen Justizraumes gewährleistet wird, gesteht auch der europäische Gesetzgeber ein, wenn er davon ausgeht, dass nicht auf das Exequaturverfahren verzichtet werden konnte, ohne zugleich einen neuen Rechtsbehelf bereitzustellen.15 Daher darf auch die mantraartige Berufung auf die Bedürfnisse des Wettbewerbes innerhalb der Union nicht die Erfordernisse eines effektiven Rechtsschutzes in den Hintergrund drängen. Dessen ungeachtet ist ohnehin fraglich, ob die insoweit gewählten Prämissen zutreffen. So kann es keinesfalls als gesichert angenommen werden, dass eine erleichterte grenzüberschreitende Vollstreckung Unternehmen und Bürger dazu ermutigen würde, sich zukünftig stärker auf grenzüberschreitende Handelsbeziehungen einzulassen.16 Denn angesichts der zunehmenden Globalisierung können es sich schon heute wenige Unternehmen erlauben, sich auf den nationalen Markt zu beschränken und nach außen abzuschotten, um jeglichen grenzüberschreitenden Handel zu meiden. Ob sich der auf Sicherheit bedachte Private aufgrund einer Reduzierung des Schuldnerschutzes eher dazu veranlasst sehen wird, grenzüberschreitenden Handel zu treiben, ist ebenso unwahrscheinlich. Vermeintliche ökonomische Notwendigkeiten sollten dementsprechend nicht die Motivation für europarechtliche Neuerungen darstellen. Die Ansicht, dass für das – verfassungsrechtlich vorgegebene – Ziel des Vereinten Europas auch Opfer erbracht werden müssten,17 vermag ebenso wenig an dieser Einschätzung zu ändern. Denn die zu erbringenden Opfer bestünden – angesichts der Tatsache, dass es gemeinhin anerkannt ist, dass der Schutz staatlicher Souveränität nicht mehr durch die Anerkennungsversagungsgründe bewirkt wird18 – allein im Verzicht auf den Beklagtenschutz im Stadium der Anerkennung und Vollstreckung. Die Opferbereitschaft würde mithin allein den Unionsbürgern abverlangt. Die Europäische Union, die immer wieder hervorhebt, dass die Interessen und Bedürfnisse der Bürger stets im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen sollen, müsste sich insofern bewusst machen, dass auch die Schuldner zu den europäischen Bürgern gehören.19 Der rechtspolitischen Argumentation, eine zweitstaatliche Kontrolle lasse sich in einem Binnenmarkt ohne Grenzen nur schwer begründen und laufe der Logik des Integrationsprozesses zuwider,20 ist zwar zuzugeben, dass ein generelles Slg. 1981, 1593 Rn. 7 – Klomps/Michel; a. A. Bach, Grenzüberschreitende Vollstreckung, S. 468, dem zufolge es Aufgabe des Vollstreckungsstaates sei, „uneuropäische“ Ersturteile zu beseitigen. 15 Grünbuch, KOM(2009) 175 endgültig, S. 2 f.; Programm von Stockholm, Rat der Europäischen Union, 02.12.2009, Dok. Nr. 17024/09, S. 24, Nummer 3.1.2; ebenso Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44, 51; Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286, 298. 16 So aber CSES-Studie, S. vi. 17 Geimer, in: Festschrift f. Németh, S. 229, 241; Zöller/Geimer, ZPO, § 328 Rn. 14; ebenso Portmann, Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels, S. 260. 18 Schlosser, IPRax 2010, 101, 104; vgl. auch § 5.C.III.1.a., § 7.D.III.4.b. 19 R. Wagner, IPRax 2010, 97; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44. 20 So mit Blick auf die Abschaffung des Exequaturverfahrens: Grünbuch, KOM(2009) 175 end-
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Misstrauen gegenüber den einzelnen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht mehr gerechtfertigt ist.21 Dass der Verzicht auf eine zweitstaatliche Kontrolle in der Europäischen Union aber keineswegs eine (rechtspolitische) Selbstverständlichkeit darstellen muss, verdeutlicht ein Blick auf die Artt. 4 Abs. 2 EUV und 67 Abs. 1 AEUV, die die Achtung der nationalen Identitäten sowie der Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten zu Richtlinien der Unionspolitik erheben, wie auch auf den eingeschränkten und keinesfalls absoluten Geltungsanspruch der Europäischen Grundfreiheiten. Denn trotz der immensen Bedeutung der Grundfreiheiten für den europäischen Integrationsprozess lassen sowohl die Artt. 36 S. 1, 45 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 62 i. V. m. Art. 52 Abs. 1 AEUV als auch die Cassis de Dijon-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes einzelne Überprüfungsverfahren und damit die Durchsetzung nationaler Vorschriften zum Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter zu.22 Damit stellt sich schon aus systematischer Sicht die Frage, warum man der Urteilsfreizügigkeit eine absolute Stellung einräumen sollte, wenn dies das europäische Primärrecht und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes nicht einmal für die im AEUV niedergelegten Grundfreiheiten vorsehen. Da auch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung nie grenzenlos verstanden und dem Zweitstaat immer die Möglichkeit zugestanden wurde, einen ordre public-ähnlichen Vorbehalt geltend zu machen,23 schiene es doch vielmehr angezeigt auch die bestehenden Ausnahmen vom Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Rahmen der Urteilsfreizügigkeit zuzulassen und damit eine Urteilskontrolle zu gestatten, wenn „zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls“ oder „Gründe der öffentlichen Ordnung“ dies rechtfertigten.24 Der Vergleich mit den Grundfreiheiten – insbesondere in der Gesamtschau mit Art. 72 AEUV, der den Mitgliedstaaten die Aufgabe der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Rahmen der Verwirklichung des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts belässt – spricht mithin gegen eine Abschaffung jeglicher zweitstaatlichen Anerkennungskontrolle. Dies wird noch einmal unterstrichen, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass gerade die „Fragmentierung des Kontinents […] das „europäische Wirtschaftswunder“ begründete. Denn erst „im Wettstreit der Völker und Nationen“ entwickelten sich „[w]issenschaftliche Neugierde, nutzbringende Erfindungen und wirtschaftliches Wachstum.“ Dezentral verteilte und begrenzte Macht förderte gültig, S. 2; ebenso Gsell/Netzer, IPRax 2010, 403, 409; Laborde, in: Leible/Freitag u. a., Internationales Verfahrensrecht, S. 77, 79; Hess, EuZPR, § 3 Rn. 24; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2010, 1, 2. 21 Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 2010, 1, 3; Geimer, in: Festschrift f. Németh, S. 229, 241. 22 Föhlisch, Der Gemeineuropäische ordre public, S. 29; Kohler, IPRax 2003, 401, 407; ders., in: Baur/Mansel, Kollisionsrecht, S. 63, 75. 23 Kohler, ZSR 2005 II, 263, 286; Beaumont/Johnston, JPIL 2010, 249, 277. 24 C. Völker, Dogmatik des Ordre public, S. 299; Kohler, IPRax 2003, 401, 407; Oberhammer, IPRax 2010, 197, 201; Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit, S. 764; Beaumont/Johnston, JPIL 2010, 249, 277.
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die Meinungsvielfalt, ermöglichte Kreativität, stachelte den Ehrgeiz des Wettbewerbes an und nährte den Wohlstand.25 Der europäische Partikularismus bot den Unionsbürgern, unterstützt durch die europäischen Grundfreiheiten, „die befreiende Möglichkeit zu emigrieren,“26 wenn sie anderswo bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfanden, und beförderte auf diese Weise einen ökonomischen und politischen Wettbewerb der einzelnen Mitgliedstaaten, der schließlich den Grundstein für den erreichten europäischen Wohlstand bildete. Neben der Rückbesinnung auf die Historie verdeutlichen auch zahlreiche aktuelle Beispiele, dass die stetig vorangetriebene Integration keinen Automatismus darstellen sollte. Neben den Erfahrungen aus der europäischen Währungskrise27 zeigen vor allem die jüngsten, ungarischen Gesetzesreformen,28 die (u. a.) Zweifel an der künftigen Unabhängigkeit der nationalen Justiz schürten, welche Unwägbarkeiten einem blinden Vertrauen in die Mitgliedstaaten anhaften können. Zwar beugte sich die ungarische Regierung umgehend dem durch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens erzeugten Druck aus Brüssel,29 doch hätte die Europäische Union den in ihren Grundrechten beeinträchtigten Bürgern im Ernstfall wohl nur wenig helfen können, da am Ende eines Vertragsverletzungsverfahrens allein die Feststellung der Unionsrechtsverletzung ohne jede Gestaltungswirkung gestanden hätte.30 Dies zeigt, dass ein Mehr an Europa nicht unbedingt immer mit einem mehr an Fortschritt gleichzusetzen ist.31 Aus diesem Grund warnt auch Rolf Stürner vor „realitäts- und bürgerferner Einheitsschwärmerei.“32 Der Integrationsprozess darf daher keine Einbahnstraße darstellen, sondern muss der Vielfalt und den Gegensätzen innerhalb Europas nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis Rechnung tragen. 25 Hank, Das Erfolgsrezept Europas ist die Kleinstaaterei, Frankfurter Allgemeine Zeitung online, 24.07.2011. 26 Hank, Das Erfolgsrezept Europas ist die Kleinstaaterei, Frankfurter Allgemeine Zeitung online, 24.07.2011. 27 Statt vieler Knopp, NVwZ 2011, 1480; Calliess, NVwZ 2012, 1. 28 Busse/Olt, EU will nicht mit Orbán über Finanzhilfen verhandeln, Frankfurter Allgemeine Zeitung online, 03.01.2012; Busse, EU leitet Verfahren gegen Ungarn ein, Frankfurter Allgemeine Zeitung online, 17.01.2012; Spiegel Online, Europas oberste Richter rüffeln Orbán, 06.11.2011; Verseck, Umstrittene Verfassungsänderung: Ungarn verabschiedet sich vom Rechtsstaat, Spiegel online, 11.03.2013. 29 Sueddeutsche.de, „Wir beugen uns der Macht, nicht den Argumenten“, 18.01.2012; Eder, Ungarn lenkt ein, und gibt sich unbelehrbar, Welt Online, 18.01.2012. 30 Siehe oben, § 8.B.IV.2.c.aa.(aa)(1); Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 260 AEUV Rn. 2; Pechstein, EU-Prozessrecht, Rn. 309. 31 Schlosser, IPRax 2010, 101, 104. 32 R. Stürner, in: Festschrift f. d. BGH III, S. 677, 691. Ebenfalls krit. Schorkopf, Zeugen einer großen politischen Wende, Spiegel online, 10.12.2011. Schon früh gegen eine zentralistische Struktur Europas Röpke, Jenseits von Angebot und Nachfrage, S. 365 („Verrat an Europa“; „Dezentrismus ist […] ein wesentliches Stück des europäischen Geistes“); Müller-Armack, Religion und Wirtschaft, S. 590 („Europa ist nur möglich „als Versöhnung von Gegensätzen ohne Beseitigung gewachsener Eigenart“, als freie Gemeinschaft, „in der große und kleine Staaten nebeneinander ihren Lebensraum finden“).
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Bezugnehmend auf die Argumentation der Europäischen Kommission lässt sich daher fragen, warum ein „Wettbewerb der Rechtsordnungen“, gründend auf der „Flexibilität dezentraler politischer Entscheidungsfindung“33 und stimuliert durch eine verbleibende zweitstaatliche (Urteils-)Kontrolle im Rahmen des Exequaturverfahrens, kontraproduktiv und unvereinbar mit dem europäischen Justizraum sein sollte?34 Die vorangegangenen Ausführungen und insbesondere die angestellte funktionale Betrachtung haben aufgezeigt, dass sich die zukünftige Entwicklung des Europäischen Zivilverfahrensrechts nicht ausschließlich an der Frage der Beschleunigung orientieren sollte. Vielmehr sollte das angestrebte Maß an Beschleunigung in ein gesundes Verhältnis zu den Geboten der Rechtsstaatlichkeit und des Schuldnerschutzes gestellt werden. Das bedeutet nichts anderes, als dass grundsätzlich eine möglichst hohe Beschleunigung des Gerichts- sowie Vollstreckungsverfahrens anzustreben ist, allerdings nicht ohne die drohende Gefahr der „Überbeschleunigung“ außer Acht zu lassen.35 Vor diesem Hintergrund sind die (nach wie vor) bestehenden Verzögerungen der Zwangsvollstreckung mit Blick auf die Verwerfungen, die aufgrund einer fehlenden Harmonisierung im europäischen Justizraum und einer fehlenden (Zweit-)Kontrolle drohten, als hinnehmbar zu qualifizieren. Eine Aufgabe der Kontrollfunktion ist abzulehnen, da in der Folge die erzeugten integrativen Effekte36 entfielen und die Schuldnerinteressen wenn auch nicht vollkommen preisgegeben, aber doch in einem unverhältnismäßigen Maße gefährdet würden. Denn ungeachtet des allgemeinen europäischen Rechtsschutzniveaus und dem immer wieder beschworenen gegenseitigen Vertrauen besitzt jedes Rechtssystem Schwächen, die zu intolerablen Fehlern, sowohl in Form legislativen als auch judikativen Unrechts, führen können.37 Die Neufassung der EuGVVO schafft insoweit einen fairen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des Gläubigers auf der einen und des Schuldners auf der anderen Seite.38 Schließlich gehört es gerade zu den Errungenschaften des Rechtsstaates, die
33 Jones, The European Miracle, S. 245; vgl. ferner Neuhaus/Kropholler, RabelsZ 45 (1981), 73 ff. 34 R. Stürner, in: Grunsky/Stürner u. a., Wege zu einem europäischen Zivilprozeßrecht, S. 1; ders., in: Gedenkschrift f. Arens, S. 399, 415; Schack, ZZP 107 (1994), 279, 299; Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Pfeiffer u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 202; Georganti, Die Zukunft des ordre public, S. 140; Ehricke, IPRax 1999, 311, 322; Pfeiffer, in: Festschrift f. Jayme, S. 675, 687. Allgemein zum Wettbewerb der Rechtsordnungen und der Stellung des IPR in diesem Zusammenhang, de Lima Pinheiro, IPRax 2008, 206 ff. 35 Stadler, RIW 2004, 801, 802; dies., in: Musielak/Voit, ZPO, Vorbemerkung EuZPR Rn. 2; ähnlich auch Adolphsen, in: Festschrift f. Kaissis, S. 1, 5. 36 Siehe oben, § 5.C.IV. 37 Vgl. Schlosser, IPRax 2010, 101, 104, der mit Bezug auf Deutschland überdies auf „nicht valutierte Notarurkunden“ hinweist, von denen ein beträchtliches Risiko für ausländische Vollstreckungsschuldner ausgehe; siehe dazu oben § 7.D.III.1.c. 38 Siehe oben, § 6.D.
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Beklagtenrechte nicht vollständig der schnellen Durchsetzung der Gläubigerrechte unterzuordnen.39 Dies bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass die Möglichkeit, ausländische Urteile auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigen Rechtsgrundsätzen zu überprüfen, unlösbar mit dem in der EuGVVO niedergelegten Kontrollregime und den derzeitigen Anerkennungs- und Versagungsgründen verbunden wäre. Es ist durchaus denkbar die bisherigen Versagungsgründe durch andere Instrumente zu ersetzen, ohne dass damit eine Beschränkung des Schuldnerschutzes verbunden wäre.40 Sollte es, entsprechend der von der Europäischen Kommission vorgegebenen Logik des Integrationsprozesses, als erforderlich erachtet werden, über die in der neugefassten EuGVVO getroffene Regelung hinauszugehen und jegliche zweitstaatliche Kontrolle im Europäischen Justizraum abzuschaffen,41 könnte nach der hier vertretenen Auffassung die Einführung verfahrensrechtlicher Minimumstandards erwogen werden. Der zur Überprüfung der Beachtung der Mindestanforderungen bereitgestellte Rechtsbehelf wäre jedoch an einem anderen als dem Ursprungsgericht zu verorten und müsste um einen weiteren, generalklauselartig ausgestalteten Rechtsbehelf ergänzt werden.42 Eine vollständige Verlagerung des anerkennungsrechtlichen Schuldnerschutzes in den Ursprungsstaat setzte überdies die effektive Kenntnisnahme des Schuldners vom gegen ihn initiierten Rechtsstreit voraus, so dass außerdem die bestehenden Probleme im Rahmen der internationalen Zustellung nach der EuZustVO zu lösen wären.43 Verbesserungen könnten insoweit unter anderem in der Aufnahme klarstellender Regelungen bezüglich des abverlangten Sprachniveaus, eindeutigerer bzw. eindringlicherer Belehrungen, einer Verlängerung der Frist zur Rücksendung in Art. 8 Abs. 1 EuZustVO oder der Streichung der Ausnahme des Art. 19 Abs. 2 EuZustVO bestehen. Sofern diese Voraussetzungen als erfüllt anzusehen wären, genügte auch die Vorgabe verfahrensrechtlicher Mindeststandards den Anforderungen der Kontroll- wie auch der Integrationsfunktion, so dass auf eine nachgelagerte Anerken39 Stadler, IPRax 2004, 2, 7 f; dies., RIW 2004, 801, 804. Ähnlich Freitag/Leible, BB 2009, 2, 6 („Das ursprüngliche Europa der Schuldner wandelt sich immer mehr zu einem Europa der Gläubiger, was angesichts des damit verbundenen und immer weiter reichenden Verzichts auf den ordre public-Vorbehalt nicht unproblematisch ist“). 40 Vgl. oben, § 7.D.III.4., 5. 41 Dies würde jedoch die Durchsetzung öffentlicher sowie gesellschaftlicher Belange und Werte unterbinden, vgl. oben § 7.D.III.4.b. sowie § 6 Fn. 151, § 7 Fn. 528. 42 Siehe oben, § 7.D.III.4.b., 5. 43 Vgl. oben, § 7.C.II.3. und § 7.D.III.2. Siehe zudem den Bericht der Europäischen Kommission vom 04.12.2013 an das Europäische Parlament, den Rat und den Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Handels- und Zivilsachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken), COM(2013) 858 final, insbesondere S. 18. Auch die in der EuVTVO vorgesehenen Mindeststandards sind nicht zureichend, da sie den für die grenzüberschreitende Zustellung neuralgischen Punkt der Sprache nicht regeln, krit. dazu M. Stürner, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Recht der Zwangsvollstreckung, Art. 12 EuVTVO Rn. 2.
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nungs- und Vollstreckungskontrolle verzichtet werden könnte.44 Dies folgt bereits daraus, dass ein möglichst frühzeitiger Schutz durch Minimumstandards sowie angemessene internationale Zustellungsregeln ganz grundsätzlich einer repressiven Kontrolle auf Vollstreckungsebene45 vorzuziehen ist, weil er am ehesten den Interessen der beteiligten Parteien entspricht: Der Gläubiger läuft nicht Gefahr einen im Ausland unverwertbaren Titel zu erlangen und der Schuldner erhält von Beginn an die Möglichkeit, sich wirkungsvoll zu verteidigen und frühzeitig das Risiko eines (wenn auch nur vorübergehenden)46 Eingriffes in sein Vermögen zu minimieren. Eine Verbindung der Vorgabe prozessualer Minimumstandards mit dem Bereitstellen einer Vorbehaltsklausel gewährleistete einen umfangreichen Schutz des Schuldners,47 wirkte in erster Linie präventiv-integrativ48 und förderte damit die Schaffung eines Europäischen Justizraumes. Von Bedeutung ist darüber hinaus jedoch, dass der gesetzgeberische Antrieb nicht ausschließlich darin besteht, einen schnellen Weg zur Titelkreation oder -anerkennung zu finden und im Rahmen dieser Bemühungen schützenswerte Schuldnerrechte möglicherweise unter den Tisch fallen zu lassen. Ebenso wichtig für eine erfolgreiche Rechtsdurchsetzung ist eine effektive Ausgestaltung der Vollstreckungsorganisation49 sowie die Sicherstellung ausreichender Information des Gläubigers über vollstreckungsfähige Vermögensgegenstände.50 Was hilft es einem Gläubiger, in der gesamten Europäischen Union gegen den Schuldner mit Hilfe der mitgliedstaatlichen Vollstreckungsrechte vorgehen zu können, wenn er keine Informationen über Vermögenswerte besitzt, auf die er zugreifen kann? Daher darf der Blick nicht auf die Anerkennung und Vollstreckung beschränkt, sondern muss darüber hinaus auch auf die anderen Felder, die für eine erfolgreiche Forderungsdurchsetzung von Bedeutung sind, sowie eine stärkere Konsolidierung des Europäischen Zivilprozessrechts gerichtet werden.51 Ob dies schließlich, wie von Baur in dem Streben nach gleichem Rechtsschutz für alle gefordert,52 in einem einheitlichen europäischen Zivilprozessrecht mündet 44 Dass weder die Implementations- noch die Perpetuierungsfunktion einem solchen Verzicht entgegenstünden, haben bereits die Ausführungen zur Neufassung der EuGVVO verdeutlicht, vgl. oben, § 6.C.I., II. sowie § 7.D.I., II. 45 Zum bisherigen System der EuGVVO, vgl. § 5.C.III.5. 46 Zum Beispiel durch Sicherungsmaßnahmen, vgl. Artt. 40, 44 EuGVVO. 47 Siehe oben, § 7.D.III.4.b., 5. 48 Siehe oben, § 7.D.IV. 49 Zur Schaffung eines zentralen Vollstreckungsorgans, vgl. Stamm, JZ 2012, 67 ff. 50 Kengyel/Harsagi, Grenzüberschreitende Vollstreckung in der Europäischen Union, passim. Vgl. zur deutschen Rechtslage das am 01.01.2013 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29.07.2009 (BGBl. I Nr. 48, S. 2258), dazu Sturm, FPR 2013, 547 ff.; Dierck/Griedl, NJW 2013, 3201 ff. 51 Vgl. Adolphsen, in: Festschrift f. Kaissis, S. 1, 12; Leible, in: Festschrift f. Gottwald, S. 381, 388 ff.; zur Zukunft des Europäischen Zivilverfahrensrechts siehe auch Staudinger, in: Rauscher, EuZPR/EuIPR, Einl Brüssel Ia-VO Rn. 64 ff. 52 Baur, in: Grunsky/Stürner/Walter/Wolf, Wege zu einem europäischen Zivilprozeßrecht,
§ 8. Ergebnis
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oder ob die nationalen Verfahrensrechte dem Leitspruch der Europäischen Union – In Vielfalt geeint – entsprechend überwiegend selbstständig bleiben, ist derzeit nur schwer abzusehen. Orientiert man sich am Ideal der immer engeren Union der Völker Europas hat „non erit alia lex Romae, alia Athenis, alia nunc, alia posthac; sed et apud omnes gentes et omni tempore, una eademque lex obtinebit“53 und damit die Kodifikation eines einheitlichen europäischen Zivilprozessrechts nur als eine Frage der Zeit zu gelten. Trotz der zu erwartenden Steigerung der Transparenz und Rechtssicherheit54 wird der Absicht, eine europäische Zivilprozessordnung zu schaffen, entgegengehalten, dass eine vollständige Uniformität der europäischen Verfahren unrealistisch oder zumindest unnötig und im Gegensatz dazu ein Wettbewerb der Rechtsordnungen, dem nicht die Gefahr der Versteinerung innewohne, vorzugswürdig sei.55 Daher werden alternativ auch die Einrichtung eines zweispurigen Gerichtssystems, in dem Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug einer eigenen vollständig ausgebildeten europäischen Gerichtsbarkeit zugewiesen wären,56 oder eines direkten Rechtsmittels im Sinne einer europäischen Revision zum EuGH,57 welches angesichts der Belastung des Gerichtshofes wohl mit der Möglichkeit einer a limine-Abweisung für offensichtlich unzulässige oder unbegründete Fälle oder einer dem amerikanischen writ of certioari58 nachempfundenen Annahmeregelung ausgestattet sein und gegebenenfalls mit der Bildung beigeordneter Fachgerichte nach Art. 257 AEUV59 einhergehen müsste, angeregt.60 Bis es jedoch so weit ist und eine weitere Sprosse auf der Leiter der Harmonisierung der europäischen Rechtsordnungen genommen wird, die die Notwendigkeit der Bereitstellung einzelner Anerkennungsversagungsgründe ein weiteres Stück schmälerte, ist zu konstatieren, dass man sowohl aus Gläubiger- als auch aus Schuldnerperspektive, mit dem revidierten System der EuGVVO sehr gut auskommen wird. S. 145, 147. Siehe auch McGuire, ecolex 2011, 218 ff.; Storme, RabelsZ 56 (1992) 290 ff.; Kerameus, RabelsZ 66 (2002), 1, 17; Prütting, in: Festschrift f. Baumgärtel, S. 457 ff. 53 Cicero, De re publica, III c 2. 54 Mertens, Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifiktaionen, S. 492; McGuire, ecolex 2011, 218, 219. 55 R. Stürner, in: Gedächtnisschrift f. Arens, S. 399, 415; Stadler, in: Hofmann/Reinisch/Oeter u. a., Vielfalt der Gerichte, S. 177, 203; Schack, ZZP 107 (1994), 279, 299; Ehricke, IPRax 1999, 311, 322; a. A. Adolphsen, in: Festschrift f. Kaissis, S. 1, 13; H. Roth, ZZP 109 (1996) 271, 311 ff.; vgl. auch Koch, in: Festschrift f. Beys, S. 733, 749; Müller-Graff, GPR 2009, 106, 112; Hess, EuZPR, § 13 Rn. 17 ff. 56 Schack, IZVR Rn. 37; ders., SchlHA 2006, 115, 118; krit. Andersson, ELBR 2006, 747, 748. 57 R. Stürner, in: Grunsky/Stürner/Walter/Wolf, Wege zu einem europäischen Zivilprozeßrecht, S. 1, 22; Bruns, JZ 2011, 325, 326, 332. 58 Dazu Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht, Rn. 7, 174. 59 Vgl. insofern Karpenstein/Eggers, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 257 AEUV; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EGV/EUV, Art. 257 AEUV. 60 Hierauf hinweisend von Danwitz, NJW 1993, 1108, 1115.
§ 9. Abschließende Thesen (1) Die stetig voranschreitende Europäische Integration legte den Grundstein für die Ausbildung eines eigenständigen Europäischen Zivilverfahrensrechtes, welches die Anerkennung und Vollstreckung in der Union sukzessive erleichterte.1 (2) In der Konsequenz dieser Entwicklung strebt die Europäische Union die Durchsetzung der unmittelbaren Urteilsfreizügigkeit an. Zur Rechtfertigung dieses Vorhabens verweist sie neben erwarteten Effizienzgewinnen in erster Linie auf das gegenseitige Vertrauen, das sich die europäischen Jurisdiktionen entgegenbringen, und den darauf aufbauenden Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung.2 (3) Mit der Neufassung der EuGVVO wurde dementsprechend das Exequaturverfahren abgeschafft. Der Rechtswirklichkeit, die die Herstellung einer vollumfänglichen Urteilsfreizügigkeit (noch) nicht gestattet hätte, Rechnung tragend, hielt der Europäische Normgeber jedoch an den bisherigen Versagungsgründen fest und verlagerte deren Prüfung auf die Vollstreckungsebene.3 (4) Mit dem Verzicht auf das Erfordernis der Vollstreckbarerklärung erfährt der nationale Vollstreckungsschutz eine beachtliche Ausweitung; mit dem Aufstieg des ausländischen Titels zur unmittelbaren Grundlage der Zwangsvollstreckung kann der Schuldner mittels Vollstreckungsgegenklage eine unionsweite Beseitigung der Vollstreckbarkeit erreichen.4 (5) Die Beurteilung weitergehender, auf die vollständige Herstellung der Urteilsfreizügigkeit gerichteter Pläne sollte sich nicht im Austausch rechtspolitischer Argumente erschöpfen, sondern sich vielmehr an den praktischen und technischen Erfordernissen des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs orientieren: Maßgebend kann damit allein sein, ob den Funktionen, die bislang das Exe1
Vgl. § 3.D., S. 17–35. Vgl. § 3.D.III., § 7.C.I., S. 22–35, 129 ff. 3 Vgl. § 6.B., C.III., S. 77–80, 98 ff.; zur Rechtswirklichkeit vgl. § 7.C.II. und D.III.1, S. 132–141, 148–155 und 157 ff. 4 Vgl. § 6.C.II.2., S. 89–97 . 2
§ 9. Abschließende Thesen
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quaturverfahren erfüllt, auch weiterhin Bedeutung zukommt und bejahendenfalls, ob diese auch zukünftig erfüllt werden können.5 (6) Insoweit ist festzustellen, dass die (erforderliche) Anpassung ausländischer Titel an die unterschiedlichen, nationalen Vollstreckungssysteme sowie die Perpetuierung der ausländischen Vollstreckbarkeit keine unüberbrückbaren Hindernisse darstellen.6 (7) Dies gilt indes nicht für die Kontrollfunktion, auf die angesichts (auch weiterhin) drohender, fundamentaler Rechtsverletzungen im europäischen Rechtsverkehr nicht verzichtet werden kann.7 Auch auf die Erfüllung der mit der Kontrollfunktion eng verknüpften Integrationsfunktion sollte künftig Wert gelegt werden.8 (8) Die revidierte EuGVVO hat insoweit eine überzeugende, auf Kontinuität und Rechtssicherheit ausgerichtete Lösung gefunden. Die Beibehaltung der bisherigen, im Exequaturverfahren angesiedelten Versagungsgründe ist zu begrüßen, weil weder das Europäische Rechtsschutzsystem noch bestehende, nationale Rechtsbehelfe einen adäquaten Ersatz, insbesondere des ordre public-Vorbehaltes darstellen können.9 (9) Die Notwendigkeit eines auch weiterhin erforderlichen Kontrollinstrumentes bedeutet jedoch nicht, dass auch zukünftig an den bestehenden Versagungsgründen festzuhalten ist. Ein angemessener Schuldnerschutz könnte, unter bestimmten Voraussetzungen, auch in Form verfahrensrechtlicher Minimumstandards, ergänzt um einen weiteren, generalklauselartig ausgestalteten Rechtsbehelf gewährleistet werden.10
5
Vgl. § 7.C.III.,D., S. 153–155, 155–236. Vgl. § 6.C.I., II., § 7.D.I., II., S. 81–97, 155–156. 7 Vgl. § 7.D.III.1.–3., S. 157–214, insbesondere III.1.d., S. 203–208. 8 Vgl. § 5.C.IV. und § 7.D.IV., S. 74, 234–236. 9 Vgl. § 7.D.III.4., 5., S. 214–234. 10 Vgl. § 7.D.III.4. und insbesondere 5., S. 214–234. 6
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Sachregister
Beitritt der EU zur EMRK 124, 166 f. Bestimmtheitsgrundsatz 46, 51 ff., 82 Binnenmarkt 5, 17 f., 20, 34 f., 39, 119, 157 Binnenmarktprozess 17 Brüsseler Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ) 17 ff.
– EuGV VO n.F. 75 ff., 130 f., 155 ff., 239 ff. – EuGV VO-E 75 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) 67, 97, 124 ff., 166 f., 185, 186 ff., 225 f. Europäische Unterhaltsverordnung (EuUnthVO) 33, 81, 230 f. Europäische Zustellungsverordnung (EuZustVO) 70, 151 f., 209 ff., 245 Europäische Grundrechtsbeschwerde 186, 200 Europäischer Grundrechtsschutz 163 ff., 199 f. Europäischer Justizraum 22, 24, 35, 115, 119, 154, 201, 207 f., 241, 244 ff. Europäischer Beschluss zur Kontenpfändung 50, 80 Europäischer Streitgegenstandsbegriff 137 Europäischer Vollstreckungstitel 26 ff., 226 Europäisches Zivilprozessrecht 231, 247 Exequaturverfahren 5, 44, 45 ff., 77 ff., 153 f., 239 Exorbitante Gerichtsstände 152
Civilprozeßordnung (1877) 15 f. common law 140, 144 f. contestation 96 convention double 18
forum shopping – Verfahrensrecht 133 ff. – Zwangsvollstreckungsrecht 96 f. Full Faith and Credit 37 f.
Diskriminierungsverbot 65 Doppelexequatur 91 Drittstaaten 102, 205
Gambazzi-Entscheidung 64, 103, 161, 198, 208, 226 Gasser-Entscheidung 138 f., 222 Gerichtsstandsvereinbarung 141 ff. Gesetzliche Zinsen 54, 82 Gesetzlicher Richter 178 Gleichstellungsgebot 77, 83 f. Grünbuch zur Überprüfung der EuGV VO 34 f. Grundfreiheiten 23 f., 129 f., 242
Abänderungsklage 94, 197, 202 actor sequitur forum rei 102, 152 Adhäsionsverfahren 170 Anerkennung – Begriff 4 f., 43 ff., 57 f. – Gleichstellungstheorie 44 – Historische Entwicklung 13 ff. – Kumulationstheorie 44 – Vorrang 57, 59 – Wirkung 43 ff., 55, 88 – Wirkungserstreckung 43, 55, 88 Anerkennungsinteressen 3 f. Anerkennungsversagungsgründe, vgl. Kontrollfunktion anti-suit injunction 140, 146 f., 218 Anwendbarkeit der EuGVVO 106 ff., 214
Einstweiliger Rechtsschutz 48 f., 79 f., 109 Einwand nachträglicher Zahlung 28, 47, 89 ff. Europäische Gerichtsstands- und Voll streckungsverordnung (EuGVVO) – EuGV VO a.F. 20 ff., 34 f., 43 ff., 154
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Sachregister
Grundgesetz 120 ff. Grundsatz der automatischen Anerkennung 16, 19, 43 Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung – Allgemein 23 ff., 129 ff., 132, 206, 242 – Gegenseitiges Vertrauen 23, 129 ff., 132 ff., 141, 149, 153 ff., 235, 244 – Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen 129 ff., 132 f., 138 f., 153 f. Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) 232 Implementationsfunktion 50 ff., 81 ff., 155 f., 239 Integrationsfunktion 74, 112, 234 ff., 240, 245 Integrationsprozess 63, 132, 235, 241 ff. Internationale Zuständigkeit 72 f., 103 f. Judikatives Unrecht 154, 200, 244 Judikatsklage 14 Justizielle Zusammenarbeit 18, 20, 130 Klauselerteilung 19, 27, 45, 83 f. Kontrollfunktion 56 ff., 98 ff., 157 ff., 242 ff. Krombach-Entscheidung 64, 160, 170, 188, 191, 200, 226 lex fori executionis 50 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung 24, 129 Menschenrechtsbeschwerde 187 ff. Minimumstandards 27, 30, 224 ff., 234 ff., 245 f. Missbrauchspotentiale 107, 135 ff., 153, 240 f. Nichtigkeitsklage 182 ff. Notwendigkeit effektiven Rechtsschutzes 81, 108, 154 f., 233 f., 241 Ordre public – Allgemein 57 ff., 100 ff., 157 ff., 242 ff. – Europäischer ordre public 63 ff., 163 ff.
– Kollisionsrechtlicher ordre public 58, 101 – Materiell-rechtlicher ordre public 67 f., 101, 205 – Verfahrensrechtlicher ordre public 66 f., 100 f. Perpetuierungsfunktion 55 f., 88 ff., 156, 239 Prioritätsprinzip 71 f., 136, 147 Prozessbetrug 67, 154, 162, 204, 240 Prozessuale Gestaltungsklage (analog § 767 ZPO) 110, 114, 219 f. Rechtliches Gehör 68 ff., 103, 151 f., 208 ff. Rechtshängigkeit 136 ff. Rechtskraft 95, 181, 192, 196 f., 215 ff. Reichweite der Vollstreckungsgegenklage, vgl. Einwand nachträglicher Zahlung Requisition 14 f. Restitutionsklage 196 f. right not to be sued abroad 143 Schlussfolgerungen von Tampere 22 f. Schuldbetreibungsrecht 156 Selbstkontrolle 228 f. Sittenwidrige Titelausnutzung 215 ff. Sittenwidrige Titelerschleichung 215 ff. Solange II-Beschluss 123 Souveränitätsgedanke 3, 13 f., 103, 159, 241 Sprachenproblem 150 f., 204 f., 210 ff. Titelanpassung 82 ff. Titelgegenklage, vgl. Prozessuale Gestaltungsklage (analog § 767 ZPO) Torpedoklagen 133 ff. Transparency International 148 f. Überraschungseffekt 49, 78, 80 Übersetzung 78, 114 f., 152, 212 Unvereinbare Entscheidungen 71 f. Urteilsfreizügigkeit 23, 35, 98, 120, 206 f., 242 Verbot der révision au fond 16, 57 f. Vereinigte Staaten von Amerika 36 ff. Verfassungsbeschwerde 178 ff. Vergemeinschaftung des EuGVÜ 21
Sachregister
Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel (EuVTVO) 25 ff., 154, 224 ff., 235 Verordnung zur Einführung eines Euro päischen Mahnverfahrens (EuMahnVO) 29 ff., 87 Verordnung zur Einführung eines Euro päischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO) 31 f., 85 Vertrag von Amsterdam 20, 22 Vertrag von Lissabon 167 Vertragsverletzungsverfahren 175 ff., 243 Vollharmonisierung 126 ff., 188 ff., 203 Vollstreckbare Urkunde 202 f., 244 Vollstreckbarerklärung 5, 43 f., 45 ff., 55, 121
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Vollstreckbarerklärungsverfahren, vgl. Exequaturverfahren Vollstreckungsabwehrklage 49, 55, 89 ff., 218 Vollstreckungsorgane – Gerichtsvollzieher 53, 84 f. – Prozessgericht 85 – Vollstreckungsgericht 85, 218 Vollstreckungsversagungsgründe, vgl. Kontrollfunktion Vorabentscheidungsverfahren 172 ff. West Tankers-Entscheidung 146 Zustellung, vgl. Europäische Zustellungsverordnung (EuZustVO) Zustellungsbevollmächtigter 45, 114 f.